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German Pages 237 [244] Year 1930
FRIEDRICH WILHELM JOSEPH VON
SCHELLING
DIE ROCKWENDUNG ZUM MYTHOS SCHELLINGS LETZTE WANDLUNG VON
DR. GERBRAND DEKKER MIT EINEM VORWORT VON GEH. RAT PROF. DR. PAUL HENSEL ERLANGEN
MÜNCHEN UND BERLIN 1930 VERLAG V O N R.OLDENBOURG
Alle Rechte, einschließlich Ja» der Übersetzung, vorbehalten
Druck von H . O l d e n b o u r g ,
Manchen
Das Titelbild Ist eine Wiedergabe der einzigen vorhandenen Photographie Sdielllngs
INHALTSVERZEICHNIS
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Vorwort von Prof. Dr. Paul Hensel
XI
I. Übersicht. Erstes Hauptstück: Einführung
3—8
Anlaß zu vorliegender Untersuchung S. 3. - Kritik früherer Untersucher (v. Hartmann, Fischer, Kircher, Braun, Tillich) S. 4. - Auffindung einer Handschrift (Kollegheft) über Ph. d. M., die erst eine geschichtliche Darstellung der Positiven Phil, ermöglicht S. 6. Abkürzungen Zweites Hauptstück. schrift
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I n h a l t und D a t i e r u n g der H a n d 9—18
Vergleichung des I n h a l t s der H. mit den W . : a) statistisch S. 9; b) qualitativ. Relative Vollständigkeit der H. in der Behandlung der eigentlichen Mythologie sowie in der Historisch-kritischen Einleitung S. 11. - Knappe Fassung der ,, Prinzipiellen Begründung" (der „Monotheismus"), Fehlen der „Philosophischen Einleitung"; starkes Hervortreten der „Allgemeinen Begründung" S. 12. D a t i e r u n g der H. als die früheste, 1830—1831 Fassung der Ph. d. M. S. 14.
vorgetragene
II. Das Problem. D r i t t e s H a u p t s t ü c k . D i e P r o b l e m s t e l l u n g (erklärt aus Schellings Entwicklungsgang bis nach dem Tode Carolinens) Kritik der Problemstellungen v. Hartmanns, Fischers, Tillichs und Brauns S. 21. - Problemstellung nicht aus dem Systemprogramm 1796 oder sonstigen mythologischen Betrachtungen Schellings, sondern nur aus seinem Entwicklungsgang zu gewinnen S. 22. - Die Bedeutung von Caroline und von Luise Gotter für seine Entwicklung S. 23. - Das bleibende Leitmotiv der Schellingschen Philosophie: das Universum ist das göttliche Kunstwerk, am T. I. dargestellt S. 25. - Die unabhängige Stellung der Religion in der „Me-
21—57
III
SEITE thode" S. 26. - Vorblick auf Sch.s weitere E n t w i c k l u n g S. 28. - „ B r u n o " und der Bruch mit Fichte; das absolute Ich, i m T. I. schon zum Abs. Subjekt verblaBt, wird als schöpferisches Prinzip durch die ,,Ideenwelt ersetzt (in „ P h i l , und Religion" wird dann das Seelenproblem zentral) S. 29. - Verfallsgründe des A. I.: in den Jugendschriften zu „ a b s o l u t " gefaßt, kann es den W e g zur „ W e l t " nicht finden (das Problem von „ W e s e n " und „Wirklichkeit", Spinoza) S. 32. - Seine Ersetzung im T. I. durch den, eigentlich erkenntnistheoretischen, Begriff des Subjekt-Objekt S. 33. - Ein letzter Versuch zur Rettung des Ich in der „spezifischen" Naturphilosophie (das sich potenzierende „depotenzierte I c h " ; erste Fassung der Potenzenlehre) S. 34. - Das Ich im I. S. nur als Exemplar der Art, nicht als ethische Persönlichkeit; die A r t erfallt den religiösen Zweck, ist selber wieder dem (aesthetischen) Genius gegenüber unbedeutend. Die E t h i k wird von der Religion aufgeschluckt S. 36. - Dieses Verhältnis potenziert sich in „ P h . u. R . " ; die Philosophie schluckt die Religion auf: Religion ist restlos philosophisch zu verstehen S. 37. - Die Schöpfung soll jetzt nicht nur als möglich (Naturph.) sondern auch als wirklich verstanden werden ( F r e i h e i t s l e h r e ) ; ist metaphysische Erkenntnis möglich, indem die Religion ihr dazu den Gegenstand abgibt ? S. 39. - Untersuchung Ober den, in der Struktur unseres Bewußtseins begründeten Gegensatz zwischen Philosophie und Religion. „ S e i n " und „ H a b e n " . Die beiderseitigen Übergriffe; „philosophische Religion" und „ D o g m a t i k " S. 41. - Die Berührung mit Boehmes Theosophie; Einsetzung der göttlichen und menschlichen Persönlichkeit in dem Schöpfungsprozeß, der theozentrisch begründet, aber auf das Heil des Menschen gerichtet ist. Vom Grundproblem der pos. Philosophie: „ w i e Religion a) philosophisch, b) historisch zu verstehen ist, ist a) nach der ethischen Seite hin, b) nur im A n s a t z gelöst S. 44. - Vergeblicher Versuch zur Lösung. Grund des Versagens in seiner Vereinsamung seit Carolinens Tod, der ihn zum Okkultismus führt S. 49. - Das Gefühl k o m m t auf und setzt sich, trotz Widerstandes des Denkens, im Wertgebiet der Religion als absolut S. 50. - Die R ü c k w e n d u n g z u m M y t h o s als Versuch zum Ausgleich. So entsteht die Positive Philosophie als eine neue Bindung an die N a t u r (Ph. d. M.), die der Erlösung bedarf (Ph. d. O.) S. 51. - Problemstellung I: wie war das Verhältnis zwischen H. und W . ? I I : wie findet die Ph. d. M. den Anschluß an die phil. Außenwelt ? S. 54 Die Positive Phil, setzt sich durch und wird Oberströmung; I I I : wie war ihr Verhältnis zur Rationalen Phil, in der H., und wie in den W . ? S. 56.
IV
SEITE V i e r t e s H a u p t s t a c k : D i e P r o b l e m l a g e (der endgültige Sieg der „ T a t s a c h e " als oberes Prinzip)
58—86
Rückblick auf seinen Werdegang a b Propaedeuse zur Positiven Phil.: „ Z u r Geschichte der neueren Philosophie" S. 58. - Psychologische Begründung des Sieges der Positiven — und der E n t k r ä f t u n g der Rationalen Phil. S. 59. - Referat überdie „Geschichte" S. 6 o . - I m „Unendlichen S u b j e k t " die „ T a t handlung" des Ich wohl gebrochen, aber noch nicht durch die „ T a t s a c h e " ersetzt: die Erlanger Zeit als Schwangerschaft der Positiven Phil. S. 62, die im „Empirismus" zur Geburt k o m m t ; Referat S. 64. - Letzter Versuch einer selbständigen Rationalen Phil. S. 70. - Mytho-philos. Charakter dieser an Pythagoras anknüpfenden Schrift S. 71. - Die Tatsache wird übermächtig, das geistige Prinzip nur durch das Eingreifen des „ n o u s " gerettet S. 73, dafür aber G o t t sowohl mythologisch wie praemythologisch an das „ S e i n " gebunden, und zwar, indem auch E r in einen Prozeß eingeht S. 75. - Der Zweck dieser Setzung: den Prozeß im Menschen als „ w i r k l i c h " zu setzen — nicht erreicht S. 76. — Auch befriedigt sie Sch. nicht, als höchste Vorstellung setzt er Gott als „ S u b s t a n z " , frei auch v o n den Potenzen; das Prinzip der ,,Tathandlung", edel aber schwach S. 77. - Dessen verzweifelter K a m p f gegen die „ T a t s a c h e " niemals zu Ende geführt wurde S. 78. - Das Verhältnis der Positiven Phil, zur idealistischen und zur realistischen, zu der Theosophie, zu Jacobi S. 79. - Sch. setzt die „ T a t s a c h e " als oberes Prinzip um den Mythos zu verstehen S. 83. - Sogar der erlösende G o t t wird „tatsächlich" S. 84. - Gründe des Versagens und Aussicht auf eine rechte Lösung S. 85. III. Dl« Anwendung aul dl« Handschrift. F ü n f t e s H a u p t s t ü c k . Die E i n s c h ä t z u n g der Philosophie (Die Historisch-kritische Einleitung — Vergleichung der H. mit den W.) 89—126 A. C h a r a k t e r u n d U r s p r u n g d e r M y t h o l o g i e . Unterschied in der Stimmung, trotz äußerer Übereinstimmung S. 89. - Mythologie als Erzählung S. 91, als Dichtung S. 92, als Allegorie S. 95. - Physikalische Deutungen S. 95. - Theorie einer Personifizierung sittlicher Begriffe S. 96. - Scharfe K r i t i k Hermanns S. 96. - Instinktcharakter der Mythologie, in der H . besser korrigiert S. 101. - Religiöse Theorien der Offenbarung (G. Voß) und der Uroffenbarung (Jones, Lessing, Cudworth, Creuzer) S. 104. - „ N e g a t i v e " Elemente in der H. S. 104. - Mythologie keine „ L e h r e " S. 105. - Vision des Paradieses S. 106. - Einteilung in übergeschichtlichen (Paradies-) Menschen, vorgeschichtliche (vorsintflutliche)
SEITE Menschheit und vorhistorische (mythologische) Völker S. 108. - Keine Uroffenbarung, die Verdunkelung voraussetzt. Vielmehr schaut im Paradies der Mensch, obgleich geistig gebunden, Gott intuitiv S. 109. — In den W . geht dieser Ansatz verloren, weil Sch. das „ I c h " , also auch die „intellektuelle Anschauung" hat fallen lassen S. 110. - Die israelitische Religion in den W . mehr beachtet S. 1 1 1 . B . D i e S t e l l u n g d e r P h i l o s o p h i e . N a c h d e n W . dürfe die philosophische Erklärung nur dann einsetzen, wenn die fachwissenschaftlichen Erklärungen versagen, die sich andererseits auf das Konstatieren von Tatsachen beschränken müssen und darin sogar noch von der Philosophie kontrolliert werden können. Als Einschüchterung Sch.s durch die Einzelwissenschaften zu verstehen S. 112. - In der H. dagegen wird das gute Hecht einer Ph. d. M. prinzipiell und a priori begründet; allerdings könne nur die Positive Phil, die Mythologie bewältigen S. 113. - Die Myth. beanspruche, als Ansicht des Altertums, allgemeine Belangstellung; nur die Phil, könne der zeitgemäßen Forderung genügen, in ihr Sinn zu finden S. 115. - Das Christentum sei j a ohne das Heidentum, von dem es erlöst, nicht zu verstehen S. 118. - Die Ph. d. M. hat demnach auch Beziehung auf Religion, Geschichte und Kunst. Ph. d. M. ist aber nur möglich, wenn die Myth. als ein Ganzes, Homogenes vorausgesetzt wird; sie setzt die kritisch-philologischen und historischen Studien schon voraus, mit denen sie fortwährend rechnen muß S. 1 1 9 . - Dieses Ganze soll aber ein notwendiges Allgemeines sein, in dem eine stillwirkende Gesetzmäßigkeit sei S. 120. - Die philos. Erklärung bewähre sich dadurch, daß die fachwissenschaftlichen sich als unzulänglich herausstellen S. 121. - In den W . dagegen werden zuerst letztere kritisch untersucht; erst da diese sich alle als falsch herausstellen, habe die Myth. objektiven Wahrheitsgehalt, unabhängig v o m Bewußtsein, und sei zum Gegenstand phil. Betrachtung geeignet. K r i t i k dieser Ansicht S. 122. - In der H. ist die gute Tradition der ,,Methode" noch nicht verloren; in den W. kann sich jedoch die Phil, nicht mehr gegen die weltanschaulichen Ansprüche der Einzelwissenschaften behaupten, weil auch sie die „ T a t s a c h e " als höchstes Prinzip anerkennt S. 124. Sechstes Hauptstück. Die mythologische K o n s t r u k t i o n (der Philosophie der Mythologie) 126-149 Anwendung unserer Problemstellung auf den mythologischen Teil S. 126. - Die Mythologie sei nur aus dem Prinzip der Religion abzuleiten; diese Anerkennung der Religion als selbständiges Wertgebiet fehlt in den W . S. 127. — Sch. als
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Anreger zur Begründung der Religionspsychologie S. 128. In der H. wird zur Begründung der Religionsphil, zunächst vom Rationalismus ausgegangen S. 129. - Auseinandersetzung mit Jacobi, um den Rationalisten den Zugang zum Positiven System zu ermöglichen S. 130. - Als Resultat fällt die Vernunftreligion unter den Tisch, und bleiben nur i , natürliche Religion oder Mythologie, 2. übernatürliche Religion oder Offenbarung, 3. wissenschaftliche Religion S. 132. - D e r t h e o g o n i s c h e P r o z e ß . Als Vorbereitung zum „Empirismus" (Gott als Substanz und als Ursache) wird in der H. ein „wirklicher" und ein „werdender" Gott angenommen. Der wirkliche Gott ist jedoch mit der Möglichkeit des SeinKönnens behaftet, also begrifflich unrein S. 134. - Erst in den W. deckt sich „ideal" mit „denknotwendig", „real" mit „wirklich". Das Buch „ D e r M o n o t h e i s m u s " zerfällt in einen begrifflichen und einen dogmatischen Teil. Die Entstehung dieses Buches, in dem das obere Prinzip des „Empirismus" (Gott als „Substanz") in sein Gegenteil („Substanz zu Gott") umschlägt S. 136. - Dieses, eigentlich „untere" Prinzip wird zur Grundlage der negativen Philosophie (in „Der Monotheismus als Begriff") und zum bewegenden Prinzip im Schöpfungsprozeß (in „ D e r Monotheismus als Dogma") S. 137. Auseinandersetzung mit Spinoza S. 139. - Das positive System ist neuscholastisch: „realistisch", mit „voluntaristischen" Zügen. Deutung dieser Zusammenhänge S. 140. - In der H. wird die Theogonie noch ideell gefaßt, wogegen in den W. die Potenzen als universalissima auftreten S. 141. - In der H. wird das Nicht-Sein-Sollende reale Prinzip der Theogonie erst im Menschen zum prius des Abfalls S. 143. - Der paradiesische Mensch schwebt in der Mitte zwischen dem,,idealen" Schöpfungsprozeß und dem „realen" mythologischen S. 145. - Über die Entscheidung in dieser Unentschiedenheit S. 146. - Verhältnis zwischen Mythologie und Offenbarung: die H. betont stärker das Trinitätsprinzip in der Mythologie, schätzt die nicht-christlichen Religionen höher ein S. 146. - Sch.s Versagen in der Einschätzung des Buddhismus, trotz besserer Ansätze in der H. Ihre Gründe S. 147. Das kulturelle
Ergebnis
A : für die Vergangenheit: IV. Dar alt« Sehelllng Im Zeitbild. Siebentes Art der S. 155. S. 157.
H a u p t s t ü c k . E i n w i r k u n g e n a u f S c h e l l i n g . 153—163 Einwirkungen S. 153. - Creuzer S. 154. - Rousseau - Fichte S. 156. - Hemsterhuis S. 157. - Baader - Schubert (Krause) S. 157. - Referat über die
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„Nachtseite der Naturwissenschaft" S. 160. - Vergleichung mit der Positiven Phil. S. 162. A c h t e s H a u p t s t a c k . A u s g a n g des P o s i t i v e n S y s t e m s in den M a t e r i a l i s m u s 164—168 Dieser prinzipiell nicht widerspruchsvolle Ausgang (auch der Materialismus huldigt der „Tatsache" als höchstes Prinzip) wird an der Zersetzung der Hegeischen Schule dargestellt, die an dessen Religionsphilosophie einsetzt S. 164. Nähert sich der rechte Flügel der Orthodoxie, die der Bibel als „oberster Tatsache" glaubt (Riveilbewegung), der linke berührt sich mit der Ph. d. M. in der mythologischen Deutung des Christentums durch Straufi und Feuerbach S. 166. - Es ist ein zum Materialismus führender Prozeß, den Sch. vergeblich dadurch aufzuhalten versucht, daß er eine einzelne Tatsache, nl. Christi Tod, absolut setzt S. 167, der jedoch nur als Tathandlung, nicht als Tatsache einzig ist S. 168. B : für die Gegenwart: V. Der Entwicklungsgang im Bewußtsein. N e u n t e s H a u p t s t ü c k . D i e E r s t a r r u n g des W e l t b i l d e s . 169—194 Über den paradiesischen Urzusammenhang des Menschen mit Gott: Makrokosmos und Mikrokosmos. Im „Unten" liegt aber die Zweideutigkeit des Göttlichen und des Irdischen; aus dem Urgrand steigt die Magie auf und überwuchert die Gottesweisheit S. 169. - Trotz Erlösung durch die Phil, quillt im heutigen Menschen der Mythos noch überall durch. Tiefer noch liegt die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, das nicht bloß psychologisch, sondern auch wohl historisch gefaßt werden soll S. 170. - Sch. deutet das Paradies als vorgeschichtlich, das mythologische Zeitalter als vorhistorisch S. 171; letzteres wird vom Sternglauben eingeläutet und vollendet sich erst im Polytheismus, der sowohl simultan wie sukzessiv zu verstehen ist: jeder Einzelgott gilt „hier, jetzt" absolut S. 172. - Im Polytheismus treten die beiden Grundtriebe auseinander: die „Selbstbehauptung" hemmt die „Veränderung" immer mehr S. 175. - Das höchste Prinzip der AllEinheit wird entwurzelt und fristet sein Leben nur kraft der geistigen Unzulänglichkeit der „realen" Götter S. 174. Kraft einer Tat der Willkür (Sündenfall), nicht des freien Willens, nimmt die Selbstbehauptung die Führung und verwendet die Veränderung als Mittel zum Zweck. - Das obere Prinzip, in den noch ungeschiedenen Funktionen des Intuirens und des Denkens wirkend (die „alte Weisheit"), ist schwach gegenüber dem niederen Prinzip der Vielheit, das kraft der noch ungeschiedenen Funktionen des Fühlens und
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des Wahrnehmens ein daemonisches Weltbild schafft S. 175. - Prüfung dieser These an den Ergebnissen der mythologischen Forschung. Neben der Magie findet sich auch immer die Religion vor; beiden liegt das Bedürfnis zugrunde, eine zerstörte Lebenseinheit wieder herzustellen (Beth) S. 176. - Das mythologische Bewußtsein setzt eine ursprüngliche Lebenseinheit voraus; tao, brahman-atraan, aber auch wakonda, karenga usw. S. 177. - Diese primitive WeisheitsReligion ist ebenso alt wie die Magie; erst die „reine" Religion (schlechthinnige Abhängigkeit, awe) ist später S. 178. - In ihrer gemeinsamen Zielsetzung schließen sich ursprünglich Religion und Magie nicht aus S. 179. - Der magische Akt bezweckt „Vereinselbstigung": Handhabung des Selbst in der Veränderung S. 180. - Im Paradies ist der magische Mensch Werkzeug Gottes, im Polytheismus wird er Zauberer, sucht sogar die Götter zu zwingen S. 181. - Die Mythologie wird sinnvoll, wenn der magische Mensch sich ursprünglich einer Welt, nicht von Dingen, sondern von Mächten, Potenzen gegenübersah S. 182. — Der Magier als intelligible Potenz, die sowohl die Möglichkeit wie die Macht besitzt, sich mit anderen Potenzen zu vereinselbstigen und sich als deren höhere Potenz zu setzen S. 183. - Die Frage, ob unser Weltbild noch Spuren der alten Dynamik aufweist S. 183, führt zu einer psychologischen Untersuchung des Anschauungsprozesses S. 184. - Dieser stellt sich sowohl im Vorspiel (Gewährung) wie in den ersten zwei Akten (Wertung seitens des Gefühls und Vorwerfen durch die Wahrnehmung) als dynamisch heraus, nur das Resultat (das Wahrnehmungsbild) ist statisch S. 185. - Auch bei der Wiederverflüssigung zur Vorstellung bleibt es Architektonik, geronnene Musik S. 189. - Dieser Zwiespalt in unserem heutigen Weltbild ist unerklärlich, wie sehnen uns nach der alten Einheit zurück S. 190. - Bewegung und Zeit sind dort abgeleitet; die Bewegung ist ebenso starr wie die Ruhe. Umgekehrt ist im dynamischen Weltbild die Ruhe ebenso dynamisch wie die Bewegung. Das Diskretum des „Raumes", das Kontinuum der „Dauer" als Grundformen beider Weltbilder S. 192. Dennoch ist das Paradies für uns leichter erreichbar als für den mythologisch gebundenen Menschen S. 193. Zehntes Hauptstück.
D e r neue M y t h o s
Betonung, daß die Philosophie den an der eigenen Daemonie irre gewordenen heutigen Menschen nicht im Stich lassen dürfe S. 195. - Sie habe den Menschen zur Befreiung der Persönlichkeit verholfen, als dessen Weltbild erstarrte S. 196, und seit Descartes auch das erstarrte Weltbild philosophisch
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aufgelöst (den franz. Materialismus ausgenommen) S. 197. Spinoza hebt im Leib-Seeleproblem die Descartesche Ausnahmestellung des Leibes auf. Locke, Berkeley, Hume und die französischen Sensualisten lösen deren Gegensatz in ein Beziehungssystem auf. Andererseits löst l.eibniz in der Monadenlehre die Sinnfälligkeit der „ W e l t " auf S. 198. — Gegenströmung bei Rousseau: „Zurück zur Natur", bei K a n t und den Romantikern geistig fruchtbar geworden S. 199. - Bei K a n t jedoch kein einheitliches, sondern ein pluralistisches Weltbild; das „organische" außerdem bloß notwendiges Desideratum. Fichte verflüchtigt dann die „ W e l t " zu einem Nichts S. 200. - Schelling tritt den von Herder und Goethe herkünftigen, mystischen Spinzismus als Erbschaft der Romantik an, S. 201, und verleiht dem Mythos in seiner Positiven Philosophie zeitlosen Wert. Auf der von ihm geschaffenen Grundlage S. 202 ließe sich eine, allerdings materiell wie stilistisch verschiedene Ph. d. M. aufbauen, deren Richtlinien jetzt gezogen werden: Einführung der Begriffe Daemonie, Magie und Ekstasis in das, allmählich erstarrende, mythologische Weltbild; Befreiung des Geistes durch die Philosophie, Erlösung der Kreatur durch Christus S. 203. - Schlußbetrachtung über den greisen Schelling, über seine bleibende Bedeutung und über die Gründe seines heroischen Versagens S. 207. - Der Mythos in der heutigen Philosophie und Psychologie S. 209. - Nur letztere kümmere sich um den „Neuen Mythos", beziehe sich aber meistens auf Ausnahmefälle S. 210. - Der progressive und der regressive Weg zum Mythos: Begeisterung durch Vergeistigung des statischen Weltbildes (Philosophie) und Ekstasis, Flucht aus der Stasis heraus S. 211. - Die Wege zur Ekstasis S. 212. Da die Begeisterung beschwerlich ist, die echte Ekstasis Wagemut erfordert, greift der Mensch in der Alltäglichkeit zur „ängstlichen" Ekstasis, die bloß ein einzelnes Ding zum „magischen Gebilde** dynamisiert S. 213. - Die Vorzüge: der Genuß des dynamischen Erlebnisses, ohne die Sicherungen der Dingwelt aufgeben zu müssen S. 214; um so verlockender, weil die echte Ekstasis immer beschwerlicher geworden S. 2 1 5 . - Die Daemonisierung des als absolute Potenz gesetzten Dinges, das als magisches Gebilde den in es verzückten Menschen versklavt S. 216. - Die Gefahren einer regressiven Bindung an den Mythos für die geistige Freiheit S. 217. - Die fortschreitende Dynamisierung unseres Weltbildes spüren jedoch sowohl die ängstlich-konservativen, die am statischen Weltbild festhalten, wie die Gefühlspropheten, die regressiv das dionysische Erlebnis suchen S. 218. - Falsche Kompromißlösung der Neuscholastik S. 219. - Schlußwort.
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VORWORT
D i e vorliegende Schrift zerfällt offensichtlich in zwei Teile (deren einer philosophiegeschichtliche, deren anderer systematische Bedeutung in Anspruch nimmt), die so verbunden sind, daß die Darlegungen des zweiten Teiles die des ersten voraussetzen. Das ist kein Novum; es gehört zu den guten Gepflogenheiten moderner systematischer Forschung, daß sie sich über ihre historischen Voraussetzungen besinnt und sie dem Leser zugänglich macht. Aber hier geht die historische Untersuchung einen bedeutsamen Schritt über die hergebrachte Klarstellung ihrer Grundsätze heraus; denn meistens kann die historische Grundlegung sich auf bereits Bekanntes berufen und sich damit begnügen, eine bisher wenig beachtete Seite desselben hervorzuheben und in neue Beleuchtung zu rücken. Hier aber wird dies Fundament erst durch die Arbeit selber gewonnen und zu allererst in die Geschichte der Philosophie selber eingeführt. Es muß daher bei dieser Grundlegung etwas ausführlicher verweilt werden, als es sonst in der Natur der Sache liegen würde. Bekanntlich bietet das Lebenswerk Schellings insofern eine auffallende Analogie zu dem Kants dar, daß sich auf einmal scheinbar mitten in erfolgreichster Tätigkeit ein sozusagen leerer Raum findet, der bei Kant die Zeit von der Abfassung der Inauguraldissertation bis zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft einnimmt. Er ist nur mit einigen Briefstellen bevölkert und wie die Phantasie der Reiseschriftsteller sich vorzugsweise an denjenigen Teilen des Globus ansiedelte, die in seiner kartographischen Darstellung weiße Stellen aufwiesen, so hat die Phantasie der Kantforschung nicht gesäumt, diese leeren elf Jahre mit einer beliebigen Anzahl höchst anmutig gezeichneter „Umkippungen" zu versehen, als deren letzte dann die Kritik der reinen Vernunft ihren triumphierenden Einzug hielt.
XI
Ganz etwas Ähnliches war bei Schelling der Fall. Lange Jahre des Schweigens, die bei dem bisher so unermüdlich produzierenden Proteus einen höchst befremdlichen Eindruck machen mußten, folgen eines auf das andere; briefliche Äußerungen versprechen, gerade wie bei Kant, immer wieder baldige große Leistungen und immer wieder sehen wir uns in unsern Erwartungen enttäuscht. Bis dann zuletzt, scheinbar unvermittelt, die großen Publikationen seiner letzten Periode erfolgen, die eine sehr viel erheblichere Änderung des Standpunktes bekunden, als selbst die Kritik der reinen Vernunft gegenüber der Inauguraldissertation bekundete. Was der bisher noch ungesichtete Nachlaß Schellings uns für Überraschungen bringen wird, ist noch nicht auszumachen. Einstweilen mußten mehr oder minder sinnreiche Kombinationen herhalten, um diese Kluft zwischen dem früheren und dem letzten Schelling auszufüllen; und vielleicht ist die Erklärung der Tatsache, daß diese letzte Periode Schellingschen Denkens so wenig zu wirken vermochte, darauf zurückzuführen, daß hier der Faden der Kontinuität, der bisher die ganze Schellingsche Philosophie, bei aller Verschiedenheit ihrer Phasen, doch zu einem Ganzen verband, jäh abgerissen war und die früheren Schüler und Bewunderer des Schellingschen Geistes sich in diesen, so unerwartet verwandelten Meister ebensowenig zu finden vermochten, wie die Jünger in Emmaus ihren Meister wiederzuerkennen vermochten, obwohl der mit ihnen zu Tische saß. Schelling hatte seine eigene Gefolgschaft durch sein langes Schweigen verloren, er befand sich einerseits der bis an die Zähne bewaffneten Phalanx seiner Gegner aus der Schule des ehemaligen Freundes Hegel, andererseits der neuen radikalen Richtung der modernen Naturwissenschaft gegenüber. Da ist sein Mißerfolg, den er in Berlin erlebte, und für den der häßliche Handel mit Paulus mehr ein Index als ein Grund war, nur zu erklärlich. Diese Kontinuität, die die Zeitgenossen mit vollem Recht vermißten, mindestens z. T. herzustellen, ist der Zweck des ersten Teiles des vorliegenden Buches. Der glückliche Zufall, durch den dies möglich war — die Auffindung eines Münchener Kollegheftes, dessen überzeugend durchgeführte XU
Datierung —, war freilich notwendig, um diesem Schritt über das Gebiet möglicher Kombinationen hinaus eine reale Unterlage zu geben. Aber von diesem Fußpunkt aus ist es dem Verfasser gelungen, durch Anknüpfungen nach hinten an die Würzburger Zeit und nach vorn an die Berliner Vorlesungen eine Brücke zu schlagen, die den Werdegang des Philosophen in dieser Zeit des Schweigens überzeugend und sicher erkennen läßt. Es ist eine Entdeckimg ähnlich, nur viel realer als das oft gesuchte missing link des Darwinismus, wobei es ganz gleichgültig ist, an welches Ende man den Höhepunkt der Kurve verlegt und ob man in der Berliner Zeit einen bedauerlichen Abfall des früheren Schellings von seinem erreichten Höhepunkt sieht oder den Kulminationspunkt der Kurve seiner Entwicklung erblicken zu können meint. Rein vom Standpunkt philosophiegeschichtlicher Forschung lassen sich beide Möglichkeiten vertreten, und auch der Verfasser dieses Buches ist sich ja hinreichend klar darüber, welche wesentlichen Stücke seines früheren Standpunktes Schelling aufgeben mußte, um zu dem neuen zu gelangen. Nur sind wir eben jetzt in der Lage, diese Änderungen nicht als bloßes Faktum übernehmen zu müssen und etwa noch darüber streiten zu können, ob sie Verbesserungen oder Verschlechterungen sind, sondern sie gleichsam in statu nascendi beobachten zu können. Als wichtigen Nebenerfolg aber können wir dann buchen, daß wir die Berechtigung des langen Schweigens Schellings durchaus anerkennen müssen. Gerade deshalb, weil wir hier das missing link vor uns haben, muß es uns deutlich werden, weshalb Schelling vor dem Gedanken einer Publikation immer wieder zurückbebte. Der neue Standpunkt hatte sich eben noch nicht von der Nabelschnur des früher Erreichten losgelöst; wir sehen mit Interesse, wie er hier noch gewissermaßen unfrei das festzuhalten strebt, was ihm eigentlich schon fremd und äußerlich geworden war; er war noch viel zu sehr der frühere Schelling, um schon der spätere sein zu können. Freilich entstand dadurch die Tragik, daß die früheren Freunde später beim Hervortreten des neuen Standpunktes sich in ihn nicht mehr zu finden vermochten; ihnen fehlte die Entwicklung, die Schelling in Xffl
diesen langen Jahren durchgemacht hatte und von der uns erst dies Kollegheft Kunde und Aufschluß gibt. Dieser Nachweis würde ausreichen, dem Buch einen hohen Platz in unserer Schellingliteratur anzuweisen, ja es als den wertvollsten Beitrag zu derselben in den letzten dreißig Jahren begrüßen zu lassen. Aber das Interesse des Verfassers ist durchaus nicht in erster Linie philosophiegeschichtlich fundiert, sondern er will mit vollem Bewußtsein in die augenblickliche Lage der philosophischen Diskussion eingreifen ; und so stellt er sich in seinem letzten Abschnitt die Frage, was wir mit dieser letzten Phase des Schellingschen Denkens heute anzufangen vermögen. Es hegt in der Natur der Sache, daß dieser letzte Teil des Buches sehr viel mehr umstritten werden wird, als es bei dem ersten der Fall sein kann. Ein Faktum der Vergangenheit festzustellen, wie es dem Verfasser der glückliche Zufall seines Fundes und die Versenkung in die Entwicklung Schellings ermöglichte, ist sehr viel leichter, als die Gegenwart zu analysieren oder gar einen Weg in die Zukunft zu eröffnen. Beides aber ist die Absicht des Verfassers; und hier kommt es vor allen Dingen nicht auf Kritik an, die billig genug ist, sondern auf vertrauensvolles Mitgehen auf seinen eignen Wegen mit dem selbstverständlichen Vorbehalt, das Endresultat nachprüfen und dann nach Befund entweder annehmen oder ablehnen zu können. Das Bild, das der Verfasser von der geistigen Lage der Gegenwart zeichnet, wird niemand als ein geschmeicheltes bezeichnen können, aber der Tieferblickende wird es ebensowenig als Karrikatur von vornherein ablehnen als sich lediglich daran amüsieren können. Daß die Weltanschauung der exakten Naturwissenschaft — wenn von einer solchen überhaupt gesprochen werden kann — sich als haltlos erwiesen hat und noch immer mehr erweist, wird wohl ohne weiteres zugegeben werden. Und ebenso wird nicht geleugnet werden können, daß trotz der liebevollen Ausarbeitung, die die Religionsphilosophie bei Hegel und den Hegelianern gefunden hat, die Welt des Religiösen nach den Grundpositionen des Hegeischen Denkens bei ihm nicht zu ihrem vollen Recht kommen konnte. Durch den allmächtigen Logos Hegels wird eben der Antäus des XIV
religiösen Erlebens so „aufgehoben", daß ihm die Luft vergeht und er zu ersticken droht. Es ist eben in der Religion doch noch etwas Anderes vorhanden als Philosophie in der Form der Anschauung und auf dieses ganz Andere hingewiesen zu haben, ist gerade das Verdienst Schellings, ebenso wie es für unsere Tage das Verdienst Ottos wieder geworden ist. Wenn nun weder in den exakten Naturwissenschaften noch auch in dem deutschen Idealismus Hegelscher Observanz, der für viele noch immer als die einzig legitime und konsequente Form des deutschen Idealismus überhaupt gilt, das Heil zu suchen ist, dann darf es uns nicht verwundern, nach wie verschiedenen Seiten und oft fragwürdigen Richtungen die heutige verwirrte Seele aus- und umhergreift, um die Antwort auf die sie quälenden Rätsel des Lebens und der Wirklichkeit zu finden. Die bunte Musterkarte dieser Aus- und Fehlgriffe ist mit einigem Humor geschildert, der eine trotz alledem sich äußernde Sympathie mit dieser Seelenangst nicht vermissen läßt. Aber im ganzen machen diese sich durchkreuzenden Standpunkte und Standpünktchen ganz mit Recht den Eindruck einer verwirrenden Mannigfaltigkeit, einer Herde, die durcheinanderläuft, weil ihr der Führer fehlt und die nur in der Negation übereinstimmt. Es bedarf eben der Position, um sich zu orientieren und nun erst all diese verschiedenen Tendenzen, die sich in Magie, Okkultismus, Polarismus (cf. Klages), Psychoanalyse und wie diese Richtungen sonst noch heißen mögen, einheitlich zusammenfaßt und zu einer wirklichen Front vereinigt. Was war nun das Verhängnis Schellings gewesen ? Er hatte sich in seiner einsamen Arbeit seinen bisherigen Schülern entfremdet, er hatte gewissermaßen eine Wanderfahrt angetreten und seine bisherigen Gläubigen vereinsamt zurückgelassen. Daran mußte er bei seinem Wiederauftreten in Berlin scheitern. Er war ein Hirt ohne Herde geworden. Heute sind nun auf den verschiedenen Wegen eine große Anzahl von Menschen, die gewillt sind, Ernst mit ihrer Seele und mit Gott zu machen, zu einem Punkt gelangt, wo sie reif sind, diejenige Gefolgschaft zu bilden, deren Mangel die Niederlage des Fürsten im Reiche der Geister, dem die Mannen fehlten, verursachte. Sie sind Schellingianer letzter Obser-
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vanz, ohne es zu wissen, ja ohne es zu wollen. Es scheint die Überzeugung des Verfassers zu sein, daß der richtig verstandene Schelling der letzten Periode die Aufgabe hat, an die Spitze aller derer zu treten, die heute nach einer positiven Philosophie suchen, und daß das letzte Wort des deutschen Idealismus nicht der große Klassiker Hegel, sondern der große Romantiker Schelling zu sprechen haben wird. Noch auf einen interessanten Punkt des vorliegenden Buches muß aber aufmerksam gemacht werden, der erst hier in seiner vollen Bedeutung gewürdigt werden kann. Schon in der Analyse des ersten Teiles hat der Verfasser keinen Zweifel daran gelassen, daß er weit davon entfernt ist, die Erreichung des letzten Standpunktes Schellings durchweg als Gewinn zu buchen. In einer sorgfältigen Erwägung der Grundposition, die Schelling hier einnimmt, findet der Verfasser mit Recht die definitive Absage an Schellings früheren Standpunkt, der ihm mit Fichte gemeinsam war und den er trotz aller inzwischen eingetretenen Verschiebungen getreulich festgehalten hatte. Es hat alle Wahrscheinlichkeit für sich, daß die lange Verzögerung des Hervortretens seiner neuen Lehre damit zusammenhängt, daß sich Schelling bewußt war, daß mit der Proklamierung einer Tat s a c h e als des Ausgangspunktes seiner neuen Philosophie eine der Grundpositionen des bisherigen deutschen Idealismus, der eine T a t h a n d l u n g als Prinzip der Philosophie setzte, aufgegeben war. Und daß hiermit, um in der Sprache seiner früheren Briefe über Dogmatismus und Kritizismus zu reden, ein neuer Dogmatismus eingeführt worden war. Dieser Gesichtspunkt, den auch schon Paulus in seinem vielberufenen Angriff auf Schelling hervorgehoben hatte, wird nun von dem Verfasser zum Kanon dessen, was an der Schellingschen letzten Philosophie geändert werden muß, um sie geeignet zu machen, in die moderne philosophische Bewegung als lebendiges Agens wieder einzuführen. Denn dieses Aufgeben der Grundposition des Fichte- Schellingschen Philosophierens erscheint dem Verfasser weder als berechtigt noch als notwendig. Es braucht keine logisch-dialektische Bewegung zu sein, die sich in der Entwicklung des Absoluten vollzieht. Darin hat Schelling gegenüber Hegel entschieden XVI
recht. Aber es muß in der Tat eine Entwicklung sein, die die Tatsachen erst hervorbringt und nicht, wie Schelling glaubte annehmen zu müssen, sich erst an einer Tatsache vollzieht, die als Grundlage und Ausgangspunkt der Philosophie angenommen werden muß. Mit einem Wort: zum Logos als höchstem Prinzip muß als materielle Grundlage der Mythos treten und im Mythos muß sich die Entwicklung des Absoluten als eine absolute Entwicklung darstellen und verfolgen lassen. Wird diese Umformung des Schellingschen Gedankens vollzogen — und die Möglichkeit dazu liegt in den inzwischen erreichten Fortschritten der Mythographie —, so glaubt der Verfasser, daß die Zukunft diesem gereinigten Schellingschen System der Religionsphilosophie gehören wird. Daß dies ein Programm und also eine Prophezeiung ist, sieht der Verfasser sehr klar; jedenfalls ist sicher, daß damit eine der interessantesten Schöpfungen der romantischen Philosophie zu ihrem freilich sehr verspäteten Recht gelangen wird. Erlangen, November 1929.
PROF. PAUL HENSEL.
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I. ÜBERSICHT
EINFÜHRUNG D iese Einführung will nur geben, was sie als solche verspricht : dem Leser die Struktur der vorliegenden Schrift klarzumachen ; und dazu gibt es kein besseres Mittel als ihre Entstehungsgeschichte sachlich darzustellen. Veranlassung zu meiner Arbeit gab mir die Erwerbung der Handschrift, deren Identität im ersten Hauptstück festgestellt werden soll, und zwar als ein Kollegheft, das Schellings erste vollständige Vorlesungsreihe über Philosophie der Mythologie enthält. Bisher hatte ich mich nur mit Schellings negativer Philosophie befaßt; die positive betrachtete ich, der communis opinio folgend, als eine gänzlich verfehlte Altersarbeit, in der nur selten Körnchen Gold unter dem Schutt einer phantastischen und verschrobenen Dialektik zu finden seien; und so wollte ich mich damit abfinden, die Handschrift als eine hübsche kalligraphische Arbeit zu behalten, die bloß durch ihre Beziehungen zu dem Philosophen, der mir trotz aller Bedenken innerlich so nahe steht, für mich einen besonderen Wert erhielte. Weshalb ich trotzdem dieses fast verschollene System wieder aus seinem Totenschlummer wecken will? Wer Tote aufruft, bedarf einer Rechtfertigung. Berührt dieser Spruch den Historiker nicht, dem Philosophen gilt er zweifellos: wenn er Verschollenes aus vergangener Zeit ans Licht zieht, so soll er zeigen, daß es zeitlosen Wert hat. Hier lautet also zuerst die Frage: hat die Spätphilosophie Schellings noch eigenen Wert; ist sie uns mehr als die Altersarbeit eines zwar reich begabten, aber sonderbaren und verworrenen Geistes, dessen vielfaches Erzeugnis in den Gemeinbesitz der gesamten idealistischen Philosophie eingegangen ist? Freilich, lange Zeit war Schellings positive Philosophie den Philosophen eine Torheit, den Theologen ein Ärgernis. «•
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Uaß dieses Verhalten begreiflich, sogar nicht ganz unberechtigt ist, wird unsere Untersuchung zeigen; zugleich aber, welch ein Schatz von Weisheit liegt hier beschlossen! Es ist richtig, daß ihre Mängel viel tiefer liegen als bei seiner negativen Philosophie; wir wollen aber nicht vergessen: nur ein ganz Großer kann so gewaltig fehlschlagen, daß die davonfliegenden Geistesfunken noch immerhin die Umwelt sonnenhaft erleuchten, wogegen wohl die meisten Tadler bloß das Licht eines Glühwürmchens aufbringen können. Wenn Schelling nicht so kritisch wie Kant, so felsenfest wie Fichte, so methodisch wie Hegel ist, so steigert eben der Mangel dieser Eigenschaften für den freien Denker, der sich nicht in den Rahmen einer philosophischen Schule eingliedern lassen will, noch den Reiz seiner anregenden, sprudelnden Vielseitigkeit 1 ). Nicht am wenigsten wirkt dieser Reiz in der positiven Philosophie, eine Schatzkammer ausgereifter Weisheit, die im philosophischen Sinn eigentlich noch nicht genügend verwertet worden ist. Unter den Älteren ragt nur E d u a r d v o n H a r t m a n n über den bloßen Kommentator hinaus, und zwar sehr weit; seine ausgezeichnete Darstellung in „Schellings philosophisches System" verrät ein sowohl liebevolles, wie eindringendes, weil zugleich kritisches Verständnis, dessen Klarheit nur wenig von seiner pessimistischen Einstellung getrübt wird. ') Es ist übrigens erfreulich, daß Schelling immer mehr geschätzt wird, ein Umschwung, der etwa von der Jahrhundertwende datiert, nachdem 1895 Kuno Fischers ,,Schelling" erschienen war. Wer die SchellingI.iteratur in H u g o F a l k e n h e i m s Anhang zu diesem Werk überblickt, wird von der Vernachlässigung des Meisters im vorigen Jahrhundert betroffen. Außer den wenigen Kommentaren seiner Schüler, dem Briefwechsel und den bald verstummenden Angriffen seiner Gegner, finden wir hier nur eine, freilich in ihrer Eigenart vortreffliche kritische Würdigung seitens E d u a r d v o n H a r t m a n n . 1907 erscheint aber die dreibändige Ausgabe der Werke von O t t o W e i ß , von der Erscheinung der verständnisvollen Schriften von K i r c h e r , B r a u n , S c h r ö t e r , M e t z g e r , T i l l i c h und E h r e n b e r g gefolgt; auch werden einzelne Schriften wieder herausgegeben, unter ihnen eine französische Übersetzung der Freiheitslehre (Rieder, Paris 1926). Bedeutsamer ist noch, daß jetzt, nachdem die Weißsche Ausgabe vergriffen ist, sogar ein von M a n f r e d S c h r ö t e r besorgter anastatischer Neudruck der vollständigen Werke erscheint (Oldenbourg und Beck, beide in München).
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Viel störender wirkt dieser Mangel in seinein, übrigens schönen, Aufsatz über Schellings positive Philosophie (in „Das philosophische Dreigestirn des neunzehnten Jahrhunderts), weil ihm hier die Bedeutung der regenerierenden Wirkung des Christentums als der Lebensnerv dieses Systems nicht einleuchtet; denn in völligem Einklang mit der Grundstimmung seiner Epoche empfindet von Hartmann das Christentum als eine kulturell überholte, in Zersetzung begriffene Macht. Es braucht keines Beweises, daß ihm schon aus diesem Grunde die positive Philosophie letzten Endes ein verschlossenes Buch bleiben mußte; vielmehr wäre es verwunderlich, wie sicher trotzdem manche Bemerkung den Nagel auf den Köpf trifft, wenn wir nicht wüßten, wie tief er die ihm kongeniale Philosophie Schellings auf sich hat einwirken lassen, ohne darüber seine Selbständigkeit als Denker einzubüßen. Was er trotzdem an Schelling nicht oder falsch versteht, fällt auf das Schuldkonto seiner materialistisch gestimmten Epoche, die weder für historische noch für religiöse Werte Verständnis zeigte, daher den Mythos erst recht in die Rumpelkammer verwies. Ebensowenig wie von Hartmann kann K u n o F i s c h e r ein rechtes Verhältnis zu Schellings positivem System gewinnen, so monumental seine Darstellung Schellings in seiner „Geschichte der neueren Philosophie" (Band 6, Schelling) auch ist. Daß überall der Anhänger Hegels durchblickt, möge die Darstellung der negativen Philosophie, wo er Schelling als Anreger Hegels schildert, zu einer unübertroffenen Glanzleistung stempeln, dieser Vorzug verschwindet, sobald, von der Freiheitslehre an, in der Darstellung Schelling als Gegner seines früheren Jugendfreundes geschildert wird. Notwendigerweise muß ihn Fischer als Hegelianer zu allererst von diesem Gesichtspunkt aus betrachten, und da ist es ihm nicht zu verdenken, daß seine Sympathie nicht auf Seiten Schellings steht, dessen Verhalten gegenüber Hegel und seiner Schule ebenso grob, wie die Haltung Hegels fein und vornehm war. Fischers philosophisches Gewissen behütet ihn zwar vor einer parteiischen Darstellung, aber das Herz ist nicht dabei, und so leidet die Darstellung an einem etwas faden Schematismus. An diesem Mangel leiden die neueren Arbeiten über Schellings positive Philosophie keineswegs. Hier treten zwei 5
junge, allzufrüh verstorbene Philosophen hervor, die beide für Schelling ein feines Verständnis zeigen. Erwin Kircher, der junge Romantiker, besingt in seiner „Philosophie der Romantik" Schelling als den Heros der romantischen Weltanschauung, die in seiner positiven Philosophie ihren Abschluß gefunden. Wie feiner Weihrauch steigen die hymnischen Klänge zum Meister empor, zu dem sich der liebende Jüngling in andächtiger Hingabe neigt. Ein liebliches, vom platonischen Eros durchflutetes Bildnis. Ernster, bedächtiger und kritischer sind die Werke O t t o B r a u n s (ein wissenschaftliches: „Schellings geistige Wandlungen" und ein leichter verständliches: „Hinauf zum Idealismus"), der jedoch die positive Philosophie nur skizzenhaft andeutet; es ist auch begreiflich, daß diesen begabten EuckenSchüler die Schellingsche Dogmatik nicht unbedingt anzog. Von theologischer Seite hat sich P a u l Tillich ausführlich mit Schellings positiver Philosophie beschäftigt. In seinen beiden Schriften: „Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie" und „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung" steht das Ethos Schellings im Zentrum der Betrachtung, welche das Problem der Sünde vom theologisch-christlichen Gesichtspunkt aus vortrefflich entwickelt. Diese Einstellung bedingt aber zugleich auch ihren Geltungsbereich. Nur in der Freiheitslehre nimmt das Problem der Sünde für Schelling vorübergehend eine zentrale Stellung ein, die es alsbald in der positiven Philosophie den religionswissenschaftlichen Problemen abtreten muß. Namentlich das Problem des Mythos hat somit Tillich eigentlich außer acht gelassen. Eben dieses mythologische Problem soll nun in vorliegender Untersuchung in der Mitte der Betrachtungen stehen, um es als Kernproblem von Schellings positiver Philosophie allseitig zu beleuchten. Sie wird uns zeigen, wie genial die Grundgedanken sind, deren Ewigkeitswert erst heute wieder für das philosophische Studium der Mythologie fruchtbar werden kann; wie aber nicht nur der Mangel an ausreichendem Tatsachenmaterial und die auf diesem Gebiet ungeeignete Anwendung der dialektischen Methode, sondern auch eine unheilvolle Abwendung vom Idealismus den Ausbau verdorben
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hat. Der Besitz unserer Handschrift über Philosophie der Mythologie gewährt uns dabei den unschätzbaren Vorteil, die Genesis von Schellings Spätphilosophie untersuchen zu können; bildet diese Schrift doch mit den propaedeutischen „Geschichte der neueren Philosophie" und „Philosophischer Empirismus" eine trias, die uns von der ersten Fassung dieser Philosophie ein getreues Bild gibt. Bisher war man genötigt, von dem sehr unvollkommenen Ansatz zum positiven System in „Die Weltalter" (1814) auf einmal zu dessen letzter Fassung (1854) überzugehen, als hätte in diesen vierzig Jahren nur ein Versteinerungsprozeß, keine allmähliche Entwicklung stattgefunden: somit wurde die positive Philosophie nur in ihrem Resultat, nicht in ihrem Werdegang dargestellt; Jetzt aber kann inmitten dieser Periode ein Markstein gelegt werden, welcher den Auftakt zu Schellings letzter Wandlung darstellt, als zu Anfang seiner zweiten Münchener Periode (um 1830) sein positives System im ersten Guß von der Matrix freigeworden war. Damit ist die Möglichkeit einer entwicklungsgeschichtlichen Darstellung dieser letzten vierzig Jahre in Schellings Leben als eine willkommene Ergänzung zu dem bisherigen Lebensbilde des großen Philosophen gegeben. Freilich, lückenlos wird auch dieses Bild keineswegs sein. Zuerst fehlt uns eine Handschrift der gleichen Zeit über Philosophie der Offenbarung; und dann ist ein einziger Markstein zum Überblick über eine vierzigjährige Entwicklungsperiode wohl sehr unzulänglich; nur allzuoft werden wir eine Frage entweder offen lassen oder nur hypothetisch lösen können. Erst wenn die dringende Forderung eines Schelling-Archives erfüllt wird, das die Schätze an handschriftlichem Material ordnet, welche sich jetzt in der Münchener Universitätsbibliothek, in Berlin und anderswo befinden, wird das Bildnis Schellings in seiner lebendigen Fülle vor uns aufstehen können. Alle diese Mängel sachlicher Art, wozu sich noch meine eigenen menschlichen gesellten, konnten aber nicht verhindern, daß mich die Erfüllung dieser Aufgabe immer mehr hingerissen hat, und daß ich Herrn Professor Dr. Paul Hensel in Erlangen ebenso dankbar bin für seine Anregung zu dieser Arbeit, wie für die zahlreichen und wertvollen Aufschlüsse, die er mir aus dem Schatz seiner philosophischen Kenntnis erteilte.
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Meinen herzlichsten Dank auch an die Herren Dr. Hugo Falkenheim und Dr. Manfred Schröter in München für die Gefälligkeit, mit der diese namhaften Schellingforscher mir in der Beantwortung von Spezialfragen auf diesem Gebiet entgegenkamen; an Herrn Dr. Schröter noch meinen besonderen Dank für seine tatkräftige Unterstützung bei den Vorbereitungen zum Verlag dieser Arbeit. Zum Schluß darf nicht unerwähnt bleiben, wieviel ich für diese Arbeit meinem vorhergehenden Studium der Psychoanalyse in Zürich verdanke, welche mich über die Bedeutung des mythologischen Faktors im Seelenleben des europäischen Kulturmenschen (i. c. Schelling) aufklärte. Herrn Dr. Hans Trüb in Zürich, der mir bei meiner Einführung in dieses Gebiet ein Freund und Führer war, sowie Herrn Dr. Alphonse Maeder in Zürich verdanke ich manche wertvolle Einsicht in die psychologische Seite des vorliegenden Problems; auch diesen beiden meinen herzlichen Dank! Abkürzungen H.
= Die vorhegende Handschrift über Philosophie der Mythologie. W. = Schellings sämtliche Werke (Stuttgart 1856 bis 1861). „Methode" = „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums." „Ph. u. R." = „Philosophie und Religion." T. I. = „Transzendentaler Idealismus." I. S. = „Identitätssystem." Freiheitslehre = „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit." „Geschichte" = Vorlesungen zur Geschichte der neueren Philosophie." „Empirismus" = „Vorlesungen über den Philosophischen Empirismus." Ph. d. M. — „Philosophie der Mythologie." Ph. d. O. = „Philosophie der Offenbarung." Die Referat« mos Schillings Werke «ind durch kleineren Drnek, die Zitate a m dem Kollegheft außerdem durch Zurückspringen der Zeilen bezeichnet.
I N H A L T U N D D A T I E R U N G DER H A N D S C H R I F T
Das Manuskript enthält 510 Seiten in 4/0 und trägt den doppelten Titel „Schellings Philosophie der Mythologie" und ,,Philosophie der Mythologie nach Schelling". Wer auf diese doppelte, in schönster Kalligraphie ausgeführte Bezeichnung die Hoffnung auf eine vollständige Datierung bauen sollte, sieht sich jedoch betrogen. Nicht nur fehlt jede Datierung, sondern die Andeutung der Semester ist auch unvollständig. Nur eine kritische Untersuchung der Handschrift konnte es also ermöglichen, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit die Semester festzustellen, in welchen die in diesem Kollegheft enthaltenen Vorlesungen vorgetragen wurden. Inhalt Die Handschrift zerfällt in zwei Teile, ohne weitere Unterteilung, die ich selber behufs Vergleich mit der Anordnung in den „Werken" eingefügt habe. In den W e r k e n zerfällt die Philosophie bekanntlich in zwei Bände. Band I befaßt: a) Die historisch-kritische Einleitung . . . . a') durch eine allgemeine Begründung abgeschlossen b) Die philosophische Einleitung, oder rein rationale Darstellung Band II befaßt: a) Der Monotheismus b) Die Mythologie zusammen
Seiten
228 29 315 135 539 1246
Die beiden Teile der H a n d s c h r i f t enthalten: I. Vorlesungen des . . . . Semesters (S. 1—175) a) Allgemeine Begründung (S. 1—12) b) Historisch-kritische Einleitung (S. 12—63) . . c) Der Monotheismus (S. 63—85)
.
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13 51 22
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d) Die Mythologie (bis in das Kronoszeitalter, namentlich bis in dessen Vergleichung mit Moloch) (S. 85—175) II. Vorlesungen des Winter- und Sommersemesters: a) Allgemeine Begründung (S. 176—199) . . . b) bloße Angabe: Wiederholung der Vorlesungen des vorigen Semesters (S. 199) c) Die Mythologie: 1. Schluß des Kronoszeitalters: Melcart—Herkules—Dionysos—Cybele
90 23
(s. 199—234)
2. Ägypten, Indien, China, deren Zusammenfassung, Griechenland (S. 234—510) . . . zusammen
311 510
Absolut genommen ist also der Text in den W. viel ausführlicher: ungefähr das Fünffache, wenn man in Rechnung zieht, daß die gedruckten Seiten doppelt soviel befassen als die handschriftlichen. Diese Tatsache ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß die von Schelling selber seinen Werken zugrunde gelegte Abfassung selbstverständlich viel ausführlicher und vollständiger ist als ein Kollegheft, sondern auch darauf, daß in unserer Handschrift manches von Schelling kürzer oder gar nicht ausgeführt worden ist, wobei sofort das vollständige Fehlen des zweiten Buches aus Band I, die „Philosophische Einleitung" auffällt. Um also zu einer prozentualen Vergleichung des Umfanges zu kommen, in dem die verschiedenen Abschnitte in den W. und in der H. behandelt worden ist, wollen wir diese philosophische Einleitung ausschalten und kommen zu folgender Tabelle: Werke
a) b) a) b)
Band I : Seiten Historisch-kritische Einleitung 228 25% Allgemeine Begründung . . . 29 3% Band II: Der Monotheismus 135 1 4 % Die Mythologie . 5 3 9 58% 10
Handschrift Seiten
51 35
10% 7%
22 401
5% 78%
Wenn auch das Mißtrauen gegen statistische Zahlen wohlberechtigt sein mag, hier leisten sie doch mehr als ihre Pflicht, denn sie geben in ihrem Quantenverhältnis zugleich einem nicht ganz unrichtigen Vergleich des qualitativen Wichtigkeitsverhältnisses der verschiedenen Unterteile von Schellings Philosophie der Mythologie Ausdruck. Infolgedessen ist es uns möglich, in unserer (qualitativen) Wertschätzimg dieser Zahlen auf unsere weiteren Untersuchungen vorzugreifen; daß der Leser mitsamt einen allgemeinen Überblick über die ihm unbekannte Handschrift bekommt, mag ihm willkommen sein. Auffallend ist zuerst, daß die B e h a n d l u n g der eigentlichen Mythologie in der H. einen so großen Raum einnimmt (78%), die gegenüber den 58% in den W. noch um so mehr ins Gewicht fällt, als letzterer Prozentsatz wegen der Weglassung der „Philosophischen Einleitung" eigentlich noch viel zu hoch bemessen ist und ohne diesen Umstand auf 43% zurückfallen würde. Tatsächlich steht dieser Abschnitt in der H. inhaltlich schon vollständig da und auch der Form nach sind die Abweichungen verhältnismäßig unwichtig. Dagegen ist die prinzipielle Begründung viel kürzer gefaßt: ja sie ist oft recht dürftig. Für die H i s t o r i s c h - k r i t i s c h e E i n l e i t u n g trifft diese Aussäge weniger zu. Ich kann mich dem Eindruck nicht entziehen, als habe der Hörer manchmal in seinen Notizen Schellings Worte mangelhaft wiedergegeben; insbesondere kommen Heyne und Kanne schlecht weg. Hat das Thema ihn weniger interessiert, oder hat vielmehr Schellings Vortrag den Eindruck erweckt, als sei diese Kritik anderer Theorien zwar unumgänglich, aber doch nicht von so großer Wichtigkeit ? Letzteres ist für wahrscheinlich zu halten, denn Schelling bestempelt diese fachwissenschaftlichen Theorien von vornherein der philosophischen Erklärung gegenüber als minderwertig (im Gegensatz zu den W.); und wer weiß nicht, wie stark das Werturteil eines Professors — und namentlich eines Lehrvirtuosen wie Schelling — auf Studenten einwirkt ? In dieser Stimmung läßt der Hörer leicht an Aufmerksamkeit nach; und diese Nachlässigkeit wird dadurch gefördert, daß die klare Anordnung dieser Historisch-kritischen Ein11
leitung sie ihm als „selbstverständlich" anmutet und außerdem eine Entgleisung nicht so schlimme Folgen zeitigt: bei der Behandlung der nächsten Theorie kommt man schon wieder in den Zusammenhang. Wenn diese Erwägungen zu dem Schluß führen, daß der Prozentsatz hier zu niedrig angesetzt ist, so ist doch nicht davon die Rede, daß die Historisch-kritische Einleitung etwa schon vollständig vorhanden gewesen wäre: es fehlen einige Abschnitte vollkommen, ohne daß eine Kluft bemerkbar wäre. Trotzdem ist sie im großen ganzen vollständig, was eben keineswegs von der prinzipiellen Begründung von Schellings Ansichten gelten kann, die wir in dem Buche „ D e r Monot h e i s m u s " finden. Was hier sofort in die Augen springt, ist die kurze und einfache Fassung des Kernproblems seiner Philosophie der Mythologie. Hier fällt die Zahl des Prozentsatzes schwer ins Gewicht, denn bei einer so wichtigen und schwierigen Untersuchung ist die gespannteste Aufmerksamkeit erforderlich, soll der Faden nicht abbrechen. Nirgends ist hier Nachlässigkeit bemerkbar; nur kann der Hörer an einigen Stellen scheinbar nicht folgen und verfällt einem Abrakadabra, das selbst mit Hilfe der „Werke" nicht einmal überall verständlich gemacht werden konnte. Man kann ihm diese Mängel kaum verdenken; war es doch die Unzufriedenheit des Meisters selber über die Unzulänglichkeit auch gerade dieses Abschnittes, die immer wieder die Herausgabe des ganzen Werkes verzögerte. Der Ausbau dieser Abhandlung und der Vorbau der Philosophischen Einleitung, die hier noch völlig fehlt, haben dann Schelling bis zu seinem Tode beschäftigt. In einem auffallenden Gegensatz mit dieser Kürze steht die A l l g e m e i n e B e g r ü n d u n g seiner philosophischen Methode, die 7 % des Raumes einnimmt, in den W. bloß 3 % , oder sogar bloß 2 % , die „Philosophische Einleitung" in Rechnung gezogen. Die Wucht dieser Zahl scheint dadurch beeinträchtigt zu werden, daß sowohl dem ersten wie dem zweiten Teil der Handschrift eine allgemeine Begründung vorausgeschickt wird, was aber keineswegs eine Verdoppelung bedeutet, denn beide Begründungen sind, wenn nicht ganz, so doch teilweise dem Inhalt nach verschieden. J a , wie großes 12
Gewicht Schelling damals auf diese allgemeine Begründung legte, betont noch die Tatsache, daß er sie jedesmal und zwar in anderer Fassung seinen Vorlesungen vorangehen ließ. Diese Wichtigkeit der allgemeinen philosophischen Begründung hebt sich so sehr gegen die Kürze, ja die Dürftigkeit des Abschnittes über den Monotheismus ab, daß sie uns ein sehr willkommenes Material zu der Entstehungsgeschichte von Schellings positiver Philosophie liefert. Daß wir die Philosophie der Mythologie in ihrer ersten Fassung vor uns haben, wie sie auch wohl in Erlangen vorgetragen sein mag, wird die Datierung annehmbar machen; und in diesem ersten Guß erscheint sie uns beinah wie ein musikalisches Kunstwerk: die allgemeine Begründung gibt den Grundton, das Buch: „Der Monotheismus" das Leitmotiv an, das hier schon lautet: Die Religionsgeschichte führt vom relativen Monotheismus durch den Polytheismus zum wahren Monotheismus. Dann brechen die Klänge in der Darstellung der theogonischen Menschheitsgeschichte in einem gewaltigen Strome durch, sie überstürzen sich, berauschen oft durch eine überwältigende Genialität des Schaffens — in der Tat ein herrliches Kunstwerk! Auch ein philosophisches Kunstwerk im vollen Sinne des Wortes? Schelling spürt selber wohl, daß es überall an Klarheit mangelt, und die letzten zwanzig Jahre seines Lebens genügen nicht, sein Alterswerk dialektisch zu durchleuchten. In unserer H. ist ,,der Monotheismus" das Leitmotiv, das noch sehr stark an die „Weltalter" anklingt — aber ein Leitmotiv ist keine philosophische Grundlage; und diese Erkenntnis leitet ihn dazu an, das Leitmotiv zu jener äußerst verwickelten dialektischen Darstellung auszuspinnen, die uns in den W. in dem Buch „Der Monotheismus" entgegentritt. Wie sich infolgedessen allmählich unter dem Namen „Positive Philosophie" eine philosophische Theologie erhebt, welche, sich als die höchste Philosophie behauptend, die frühere, seine rationale Philosophie als eine negative, wenn auch berechtigte, so doch geringeren Ranges betrachtet — das werden wir im Laufe unserer Untersuchung näher erforschen. Hier genüge die Feststellung, daß im Anfang dieser Entwicklung unsere Handschrift, am Ende die in den Werken erhaltene Fassung steht. 13
Datierung Der Beweis dieser Behauptung in bezug auf unsere H. ergibt sich aus einer Vergleichung mit dem Verzeichnis der Vorlesungen an der Universität München. Daß die „philosophische Einleitung" fehlt, weist auf eine frühe Datierung hin, denn schon 1837 gehört diese zum Komplex der Vorlesungen über Philosophie der Mythologie. Unser Manuskript muß sich also auf ältere Vorlesungen beziehen, von denen aber die Erlanger Vorlesungen, als zu spasmodisch, ja bruchstückweise gehalten, nicht in Betracht kommen, wie das Vorlesungsverzeichnis dieser Universität auf den ersten Blick zeigt. Wie erwähnt, zerfällt die H. in zwei Teile: 1. Vorlesungen des Semesters: a) Die Historisch-kritische Einleitung, der eine allgemeine Begründung vorausgeschickt wird; b) Der Monotheismus; c) Die Mythologie (bis in das Kronoszeitalter). 2. Vorlesungen des Winter- u. S o m m e r s e m e s t e r s : a) Allgemeine Begründung; b) bloße Angabe: „Wiederholung der Vorlesungen des vorigen Semesters"; c) die Mythologie: 1. Schluß des Kronoszeitalters: Melcart-Hercules, Dionysos, Cybele; 2. Ägypten, Indien, China, deren Zusammenfassung, Griechenland. Versuchen wir nun zuerst, den am vollständigsten bezeichneten Teil unserer H. zu datieren, so fällt zuerst der Blick im Vorlesungsverzeichnis auf die Vorlesungen des Sommersemesters 1835: Philosophie der Mythologie, zweiten Theil (ägyptische, indische, griechische Mythologie), mit Wiederholung der wesentlichen und zum Verständnis notwendigen P u n k t e des ersten Theiles, die alsdann mit den anschließenden Vorlesungen des Wintersemesters 1835/36 den zweiten Teil unserer H. ausfüllen könnte. 14
Sofort erheben sich aber manche Bedenken. Erstens hätte der Titel von Teil II: „Vorlesungen des Sommer- und Wintersemesters" heißen müssen, nicht umgekehrt. Zweitens bilden die Vorlesungen dieses Teiles ein geschlossenes Ganzes, das, über zwei Semester verteilt, das in I I a) bis c) angegebene Thema behandelt, das hier im Verzeichnis in einem Semester, nämlich das Sommersemester 1835 zusammengezogen erscheint. Dieser Einwand wäre allerdings hinfällig, wenn Schelling seine Philosophie der Mythologie in diesem Semester nicht zu Ende hätte bringen können und sie im nächsten Semester weitergelesen hätte; dann hätte aber der Titel letzterer Vorlesungen lauten müssen: „Fortsetzung der Vorlesungen des vorigen Semesters" oder ähnliches, wogegen er lautet: Wintersemester 1835/36 Allgemeine E i n l e i t u n g in die Philosophie der M y t h o l o g i e , sodann a u s f ü h r l i c h e n V o r t r a g des zweiten Theiles derselben (ägyptische, indische, hellenische Mythologie). Da sich also herausstellt, daß in diesen Semestern zwei selbständige Vorlesungsreihen über die Ph. d. M., und zwar beide über den „zweiten Theil" gelesen worden, kommt diese Kombination kaum in Frage; und überhaupt gibt es in diesen Jahren keine mögliche Kombination, die der Einteilung der H. entspricht, bis man auf das Grenzjahr 1837 stößt, dessen Vorlesungen über die Ph. d. M. schon die „philosophische Einleitung" enthalten. Dann wieder in die dreißiger Jahre zurückgehend, stoßen wir in den Jahren 1830—31 auf die einzig mögliche Kombination, n. 1. Wintersemester 1830/31: Philosophie der Mythologie, Sommersemester 1831: Philosophie der Mythologie, welche Vorlesungen also Teil II der Handschrift befassen können, wie der Titel: „Vorlesungen des Winter- und Sommersemesters" anzeigt. 15
Die Richtigkeit dieser Hypothese wird von zwei Daten bestätigt: a) in der Einleitung zum zweiten Teil sagt Schelling: „Im vergangenen Wintersemester (in den Vorlesungen über das System der Weltalter) führte ich Sie bis an die Schwelle dieses positiven Systems" (H. 176); und in der Tat hat er im Wintersemester 1829—30 über dieses Thema gelesen. b) Sagt er im Anschluß an diesen Abschnitt: Das letzte Absehen meiner Vorlesungen war eine Philosophie der Offenbarung; doch hatte ich meinen Vortrag nicht darnach benannt; denn die Ausdehnung des Gegenstandes von einer und die Kürze der Zeit von der anderen Seite ließ mich sehen, daß ich nicht bis dahin gekommen seyn würde. — Nun konnte ich aber selbst die Philosophie der Mythologie nicht vollenden und mußte meinen Zuhörern beinahe mehr noch als die Hälfte schuldig bleiben; ich sehe mich also verpflichtet, durch den Antheil, mit dem Sie mir folgten, diese fortzusetzen. (H. 177.) Ist es da nicht wahrscheinlich, daß Schelling dieser Absicht genügt habe, nachdem er seine Vorlesungen über die Ph. d. M. zu Ende geführt hatte ? Und in der Tat hat er im Wintersemester 1831—32 und im Sommersemester 1832 über Philosophie der Offenbarung gelesen. Da für das Jahr 1835/36 diese beiden Daten nicht zutreffen, kommt wohl nur die Datierung 1830/31 in Frage. Jetzt gilt es noch, Teil I der Handschrift zu datieren, und da stoßen wir auf größere Schwierigkeiten. Der Titel dieses Teiles — Vorlesungen des . . . . Semesters — ist so unvollständig als möglich. Wir finden aber im zweiten Teile, nach der allgemeinen Begründung, die Angabe: „Wiederholung der Vorlesungen des vorigen Semesters", also des Sommersemesters 1830; und dann geht die Behandlung der Mythologie genau an dem Punkt weiter, zu dem sie der erste Teil fortgeführt hatte. Die Sachlage ist also klar : da der Inhalt dieser „Vorlesungen des vorigen Semesters" mit dem des ersten Teiles identisch ist, hat der Verfasser der Handschrift ihn nicht wiederholen wollen. Nun hat aber Schelling im Sommersemester 1830 nicht „Philosophie der Mythologie", sondern „Einleitung in die
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Philosophie" gelesen; man muß bis zum Sommersemester 1828 zurückgehen, um auf Vorlesungen über die „Philosophie der gesamten Mythologie" zu stoßen. Welche von den beiden bilden nun den Inhalt unseres ersten Teiles? Die Annahme, daß es die letzteren (aus 1828) sind, erregt schwere Bedenken. Daß so weit auseinanderliegende Vorlesungen in einem Band vereinigt vorhegen, und zwar vom gleichen Kopisten geschrieben, ist zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Der Hörer kann sehr gut zu verschiedenen Zeiten den Kopisten beauftragt haben; ja, er kann sogar seine Notizen des ersten Teiles aufbewahrt haben, um ihm, nachdem Schelling den zweiten Teil gelesen hatte, die vollständige „Philosophie der Mythologie" zur Abschrift zu behändigen. Schwerer wiegt der Einwand, Schelling habe wohl schwerlich die Behandlung seiner Philosophie der Mythologie an einem so willkürlichen Punkt (n. 1. mitten in dem Kronos-Zeitalter) abgebrochen, und sie dann erst nach zwei Jahren genau an dem gleichen Punkte wieder aufgenommen. Ist diese Annahme schon überhaupt bedenklich, zu Schellings Charakter paßt eine so peinliche Pünktlichkeit wohl ganz und und gar nicht. Und dann, last not least: wenn auch eine Verschreibung des ungebräuchlichen: „eines vorigen" in „des vorigen" an und für sich verständlich ist, so fordert doch das wissenschaftliche Gewissen, sie erst da anzunehmen, wo die Annahme des Sommersemesters 1830 ausgeschlossen ist. Was hat denn die in diesem Jahre vorgetragene „Einleitung in die Philosophie" enthalten? Nach dem Herausgeber der Werke u. a. den „Philosophischen Empirismus" (W. I, 10 S. 225). Wichtiger als diese Mitteilung ist uns jedoch ein Brief von Dorfmüller an Schubert (Schubert, Selbstbiographie, 3, S. 518) der folgenden Passus über Schellings Vorlesungen in Erlangen enthält: „Er las von 1821—23 einige Male Initia Philosophiae, gab in diesen Vorlesungen nach einer geschichtlichen Einleitung eine genaue Auseinandersetzung der inneren Elemente des Monotheismus, dann Einleitung in die Philosophie der Mythologie." Diese Mitteilung ist entscheidend: Hier finden wir den ältesten Inhalt der Vorlesungen über „Einleitung in die D e k k e r , Die Rückwendung zum Mythos.
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Philosophie", in welche der „Philosophische Empirismus" noch nicht aufgenommen sein konnte; war er damals noch gar nicht verfaßt. Da eben die von Dorfmüller erwähnten Themata den Inhalt des ersten Teiles unserer Handschrift ausmachen, dürfen wir also schließen, daß dieser die im Sommersemester 1830 vorgetragenen Vorlesungen über „Einleitung in die Philosophie" enthält; daß Schelling, nachdem er dieses Thema zu Ende geführt, in dem ersten Teil noch zur eigentlichen „Philosophie der Mythologie" übergeht, kann nicht als Einwand gelten. Außerdem können wir zur Unterstützung einer möglichst frühen Datierung noch folgende Momente anführen, die später zur Behandlung kommen werden: a) Die auffallende Ähnlichkeit der theoretischen Begründimg des Monotheismus mit der Beweisführung in „Die Weltalter". b) In der zweiten Allgemeinen Begründung wird der Rationalismus als Ausgangspunkt genommen, über den Schelling hinaus will; ein relativ so freundliches Verhalten wird später unwahrscheinlich, als die Rationalisten seine positive Philosophie ablehnen. c) Ebendaselbst die Polemik gegen den 1819 gestorbenen Jacobi, dessen 1825 vollständig erschienene Werke bald nachher der Vergessenheit verfallen; vielleicht auch das Fehlen der Polemik gegen die Jesuiten, die in den Werken (H. S. 28 unten) vorkommt und die dem Aufkommen des Ultramontanismus in München in den dreißiger Jahren zu verdanken sein mag. d) In der H. redet Schelling von der gegenwärtigen als einer gern alles aesthetisierenden Zeit (H. 18), wogegen jede Bezugnahme auf die Bibelkritiker fehlt. Da Straußens Leben Jesu 1835 in einer vollständig theologisch orientierten Zeit erscheint, weisen jene Anklänge an die von der Spätromantik verbreiteten aesthetische Stimmung auf ein früheres Datum hin. R e s u l t a t : die in Erlangen vorgetragenen Ansätze nicht mitgerechnet, finden wir in unserer Handschrift die früheste, in den Jahren 1830—31 vorgetragene Fassung der Philosophie der Mythologie. 18
IL DAS P R O B L E M
DIE PROBLEMSTELLUNG Schellings letzte Wandlung wird erst dann begreiflich, wenn sie als die notwendige Folge seiner früheren Wandlungen gefaßt wird; daher sich ihre Problemstellung erst als fruchtbar erweisen wird, wenn sie gleichsam aus der allmählichen Entwicklung seines Denkens emporwächst. Daß wir diese Untersuchung in wenigen Seiten zusammenfassen können, verdanken wir insbesondere Eduard von Hartmann und Kuno Fischer, deren Darstellungen jedoch nicht kritiklos übernommen sein wollen. Von Hartmann hat in „Schellings philosophisches System" die allmähliche Bekehrung des Philosophen vom „transzendentalen Idealismus" zum „transzendentalen Realismus" freudig begrüßt; es sei nur bedauerlich, daß Schelling sein Denken nicht von den ihm anhaftenden idealistischen, theosophischen und christlich-dogmatischen Schlacken habe reinigen können, die ihn verhinderten, bis zum reinen „transzendentalen Realismus" vorzudringen, wie ihn von Hartmann vertritt. Seine Darstellung ist daher von der einseitigen Tendenz zu einer oratio pro domo nicht ganz freizusprechen. Der „Schelling" K u n o Fischers dagegen erweckt den Eindruck, als ob sich die Entwicklung der Gedanken in seinem positiven System nicht nur schwieriger, sondern auch kümmerlicher gestaltet als in seiner früheren rationalen Philosophie. Wenn auch ungewollt, so läßt Fischer dennoch durchblicken, daß letztere, und namentlich die Naturphilosophie, Schellings eigentliche Leistung war und schafft damit in dieser Einseitigkeit ein sehr wertvolles Gegenbild zu der Darstellung von Hartmanns. Unsere Darstellung dagegen wird versuchen, jede Betonung a priori eines Mehrwertes, sei es zugunsten des früheren oder des späteren Schelling, zu vermeiden. Das heißt nicht, daß sie auf eine Bewertung verzichtet; indem sie die in der
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Spätphilosophie verlorenen Werte gegen die gewonnenen abwiegt, will sie vielmehr erst am Ende zu einem wohlbegründeten, sich aus der Untersuchung von selbst ergebenden Werturteil a posteriori gelangen. Dennoch erwarte der Leser nicht, in diesem Kapitel irgendeine in der Mitte haltende Darstellung von Schellings Philosophie zu finden, dessen frühere philosophische Entwicklung nur insofern herangezogen wird, als sie unserem Zweck — Schellings letzte Entwicklung zu verstehen — dienlich sein kann. Daß uns hiezu die beiden erwähnten Autoren einen reichlichen Stoff zur Verarbeitung darboten, versteht sich von selbst. Wenden wir uns der Untersuchung dieser Vorentwicklung Schellings zu, so finden wir sie von B r a u n für die Jahre 1800/10 als einen allmählichen Übergang von dem geschlossenen, aesthetischen zum beweglichen ethischen Weltbilde bezeichnet; und auch bei Tillich schimmert diese Auffassung, wenn auch modifiziert, durch seine theologischen Ausführungen hindurch. Diese Formel ist nicht falsch, aber sie berührt das Kernproblem nicht. Schelling ist primär kein Ethiker, wie Kant und Fichte; auch später stellt er ethische Betrachtungen nur in geschiehts- oder religionsphilosophischen Zusammenhängen an. Eine Ausnahme bilden freilich seine Jugendschriften, namentlich die noch im Banne Fichtes stehenden „Philosophischen Briefe über Dogmatismus und Kritizismus" (1795), wenn auch hier schon der Methaphysiker hervorspringt: der ethische Mensch erfülle sich im metaphysischen „absoluten Ich", nicht, wie bei Fichte, umgekehrt. Schon 1796 unterbreitet er jedoch den Freunden sein Lebensprogramm als eine Zukunftsvision, in der seine künftigen Leistungen — die Philosophie der Natur, der Kunst und der Mythologie — in systematischem Zusammenhang vorgezeichnet werden1). Dennoch kann dieses Programm ebensowenig als Ansatzpunkt zu einer genetischen Vorgeschichte von Schellings 1 ) Das Verdienst, dieses bisher auf Hegels Namen lautende Programm in seiner wahren Bedeutung erkannt, und, in scharfsinniger Weise datiert, eindeutig Schelling zugewiesen zu haben, kommt F r a n z R o s e n z w e i g zu. (Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, Heidelberg, Akademieberichte 1917.)
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Philosophie der Mythologie dienen als seine sonstigen Betrachtungen über Mythologie, von seiner Magisterdissertation an bis zu den Schriften der Würzburger Zeit. Nicht nur bleibt es überall bei Ansätzen oder desperaten Bemerkungen, wie Allwohns fleißige Sammelarbeit1) zeigt; aber seine Auffassung des Mythos, zuerst aufklärerisch, dann schwärmerisch, ist nach Methode, Inhalt und Zielsetzung von der Philosophie der Mythologie so grundverschieden, daß ihnen kaum mehr als der Name gemeinsam bleibt. Das Stichwort „Mythologie" kann uns nicht helfen. Trotzdem ist das „Systemprogramm" hochbedeutsam, denn es ist wie eine Knospe, die Schellings ganze Evolution enthält, dennoch für Epigenese Raum läßt, wie Rosenzweig treffend bemerkt; was insbesondere für die Mythologie zutrifft. In seiner gewaltigen Wucht ist es der erste Flug des jungen Adlers, der seine Flügel über das ganze Gebiet der Philosophie ausbreitet. So tritt, kaum ein Jahr später, der junge Genius als ein strahlender Jüngling im Frühlingsglanz der reizvollen Caroline Schlegel entgegen. Und erst dann reift er vom Jüngling zum Mann. Hat Caroline, die ältere, weltklügere, feinempfindende Frau, ihn mündig gemacht? Ich meine, daß der Einfluß seiner Geliebten — merkwürdige Mischung des daemonischen Weibes und der mütterlichen Freundin! — nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: sie entdeckt ihm sich selbst als den Heros aus Granit, den Liebling mehr noch der Pallas Athene als der Musen, den dichterischen Philosophen, der Romantik und Idealismus in eine aesthetische Kosmologie zusammenfassen wird2). Auffallend ist es, daß alle seine großen Schöpfungen als ebensoviele Kunstwerke in die Zeit seiner Verbindung mit Carolinen fallen; als ihm 1809 seine irdische Muse entfällt, versiegt der Strom, sein Selbstvertrauen verläßt ihn immer mehr. Es zeigt sich eine erhöhte Reizbarkeit, deren Äußerungen sich immer unerfreulicher gestalten. Das Pappdeckelhaus der Jacobischen Philosophie zermalmt er mit einem Dampfhammer, ohne dessen Bewohner zu schonen; hat er jedoch einen ebenbürtigen Gegner, wie Hegel, sich J
) Der Mythos bei Schelling, Charlottenburg 1927. ) Vgl. G. W a i t z : Caroline, Briefe. Leipzig 1871.
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gegenüber, so ergeht er sich in Schmähreden, der gesamten philosophischen Welt ein Zeichen, daß er sich ihm nicht gewachsen fühlt. In dieser Unsicherheit bietet ihm seine zweite Ehe kaum einen Rückhalt. Luise Götter war ohne Zweifel eine gebildete, feinfühlende Jungfrau, die als schöne bescheidene Blume Schellings Haus geziert hat und bis in hohes Alter dem verehrten Mann eine treue Gattin war; aber inspiriert hat sie Schelling nicht. Der Strom seiner Ideen, der sich mit überlegener Kraft durch die Berge ein Bett gebrochen hatte, ringt sich jetzt mühsam durch das fette Flachland hindurch, wenig an Tiefe gewinnend, viel an Klarheit verlierend. Ja, es scheint fast, als sei er, unter die Erdfläche verschwindend, erst bei der Mündung wieder bemerkbar, wenn nach einer publizistischen Untätigkeit von mehr als vierzig Jahren aus dem Nachlaß u. a. seine gesamte positive Philosophie veröffentlicht wird. Wenn nun aber Braun durch Zitate aus diesen Schriften, wie auch aus der Freiheitslehre, beweisen will, daß Schelling durchwegs einem düsteren Pessimismus verfallen war, so ist hervorzuheben, daß zunehmender Ernst in Augenblicken der Mutlosigkeit leicht zu pessimistischen Betrachtungen führen kann, insbesondere bei einem Stimmungsmenschen wie Schelling, ohne daß eine Verallgemeinerung erlaubt wäre. Der Grundton ist und bleibt optimistisch; wie schwer, zum Verzweifeln schwer, die Menschheit auch um den Geist ringt, sie ist auf dem Wege vom Zabäismus durch den Polytheismus zum Christentum in fortwährendem Fortschritt begriffen1). Es ist klar, daß Braun nur das Carolinische Zeitalter genügend berücksichtigt hat; um aber das Grundproblem von Schellings Wandlungen richtig zu fassen, müssen wir sein ganzes Leben betrachten, und zwar von einem festen Punkt aus, von dem wir die Wandlungen abmessen können. Das Problem lautet also: in welcher Grundanschauung blieb sich Schelling treu, und wie verläuft der Wechsel in deren Gestaltung ? ') Außerdem ist noch zu bemerken, daß das der Einleitung zur Philosophie der Offenbarung entnommene Zitat Brauns bloß von demjenigen gesagt wird, der sich nicht von der Philosophie erleuchten läßt; damit ist sein einziges schlagendes Argument erledigt.
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Was die erste Frage betrifft, so möchten wir das Leitmotiv von Schellings Philosophie in allen ihren Phasen folgendermaßen kennzeichnen: DAS UNIVERSUM IST DAS GÖTTLICHE KUNSTWERK. Dieses Thema praeludiert schon in seinen Jugendschriften, bricht aber in vollen, allzu ungestümen Akkorden hervor, wenn er seine Naturphilosophie, immer wieder neu geprägt, in seinem T. I. metaphysisch durchleuchtet, in seiner Identitätslehre ontologisch überbaut. Hier baut er Kants Aesthetik nach ihren beiden Seiten zu einer großartigen Kosmologie aus; die Grenzen zwischen organisch und unorganisch überschreitend, bestimmt er die Natur als den durch die produktive Tätigkeit des Geistes geschaffenen lebendigen Kosmos; dasselbe gilt auch vom Menschen, nur daß der Geist der Natur äußerlich, dem Menschen innerlich ist. So werden hier die objektive und die subjektive Seite von Kants Aesthetik methodisch verbunden, und innerhalb des Idealismus ein naturphilosophisches System entwickelt, wie es nur einem Mann wie Schelling möglich ist, der die seltene Gabe, eine beflügelte Phantasie in den Dienst der methodischen Forschung zu zwingen mit einer sehr freien Verfügung über sein wissenschaftliches Gewissen paart. Es würde zu weit führen, wenn wir die verschiedenen Entwicklungsphasen in Schellings damaligem Denken näher bestimmten. Auf die Jugendschriften kommen wir (S. 32) noch zurück; vorläufig möge es genügen, den Transzendentalen Idealismus in großen Zügen darzustellen, und zwar in seiner reifsten Gestalt, also im Ubergang zum Identitätssystem (etwa in der „Darstellung meines Systems der Philosophie", 1801). Subjekt und Objekt sind wesentlich (metaphysisch) identisch. Infolge der produktiven Tätigkeit des Geistes setzt sich nun auf der untersten Stufe der Natur das Subjekt fast völlig als Objekt, kommt aber auf den höheren Stufen immer mehr zu sich selbst zurück, bis es im Menschen frei wird und allmählich das Objekt in sich aufnimmt, so den Prozeß der sittlichen Vervollkommnung darstellend, wie er sich in der Geschichte zeigt. Ziel und Endpunkt dieses Prozesses ist das vollkommene Aufgehen des Objekts in das
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Subjekt, in dessen Vollendung sich das Kunstwerk des Geistes verwirklicht. Man könnte also sagen, das Universum sei das göttliche Kunstwerk, wenn man dieses Thema nur in die Tonart eines transzendentalen Pantheismus einstimmt. „Universum" bedeutet hier Kosmos, pantheistisch bestimmt, ohne jeglichen Gedanken an ein „Unum versum"; und für „göttlich" steht „Geist" ganz im Sinne Fichtes. Da infolgedessen die Worte „Universum" und „göttlich" einigermaßen entwertet werden, fällt die Betonung auf „Kunstwerk", und dann noch als vollkommene Ganzheit betrachtet, nicht im Werden begriffen. Das Weltbild ist zwar von einer inneren dynamis bewegt, aber trotzdem normativ bestimmt. Zum Pantheismus paßt eine erhabene Ruhe, die dem dynamischen, dichterischen Romantiker nicht sehr liegt, die er jedoch bei Spinoza entdeckt. Später wird er Spinozas System als das einseitig objektive, Fichtes als das einseitig subjektive kennzeichnen; wohl beides mit Unrecht. Hier erkennt er noch richtig, daß Denken und Ausdehnung bei Spinoza gleichwertig sind; aber der Idealismus, namentlich in der Fichte'schen Fassung, ermöglicht es ihm, die Kluft zwischen den zwei Attributen zu überbrücken, indem er, sie durch Subjekt und Objekt ersetzend, diese für identisch erklärt. Ein lebendiges Zeugnis für die Echtheit dieser harmonischen Weltanschauung liefert ein Werk aus der Zeit, als er den Gipfel des Glückes bestiegen hatte; an eine ruhmvolle, fruchttragende Lehrtätigkeit reihte sich ein auserlesener Freundeskreis — ein Glück, das durch seine Vereinigung mit Carolinen zur Glückseligkeit erhoben wurde. Diese wunderbare Konstellation spiegelt sich in dem einzigen Werke Schellings, das ein Kunstwerk im höchsten philosophischen Sinne geworden ist: die „ M e t h o d e des A k a d e m i s c h e n S t u d i u m s " . Eine Perle philosophischer Methodik, faßt sie in einem kurzen Besteck solch eine Fülle fruchtbarer, ja genialer Gedanken zusammen, wie vielleicht keine andere. Für unseren Zweck genügt es aber, die beiden Vorlesungen (8 und 9) über die historische Konstruktion des Christentums und das Studium der Theologie heranzuziehen, und sofort
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wird uns klar, wie die Religion in ihrer kulturellen Bedeutung auf einmal in Schellings System die ihr gebührende Stellung erwirbt. Freilich, in dem Grundsatze „das Universum ist das göttliche Kunstwerk" ist noch stets „Universum" als „Kosmos" gemeint; aber neben der Kunst, die als reales Gegenstück zur Philosophie immer noch hochgeschätzt wird, tritt in diesen Vorlesungen die Religion ihre Rechte auf ein selbständiges Wirkungsgebiet an. Nicht nur in Schellings Philosophie, sondern in dem gesamten kritischen Idealismus steht diese Ehrfurcht vor der Religion vereinzelt da, und ebenso vor deren Studium, der Theologie, welche auch bei Hegel der Philosophie nicht ebenbürtig blieb. Daher wohl bilden diese beiden Vorlesungen, nicht die Religionsphilosophie seines Meisters Hegel, für Strauß den Ausgangspunkt seiner Forschungen, auf deren Ergebnis sich die gesamte moderne Religionsphilosophie stützt1). Woher wohl die ungemeine Bedeutung dieser wenigen Zeilen so gänzlich vergessen sein mag? Wahrscheinlich, weil Schelling selber sie später mit den ungeheuern Massen seiner Religionsphilosophie überschüttet hat. Nicht, als ob diese bloß wertlose Lava ausschüttete; denn wir hoffen zu zeigen, daß sie, zwar nicht in der Form, aber doch in den Grundsätzen ihrer Methodik, die in der „Methode" vorliegende historische Construktion des Christentums zu einer historischen Construktion der Religion überhaupt ausgebaut hat. Und wenn man bedenkt, daß die positive Philosophie außerdem noch, neben vielen phantastischen oder veralteten, auch unzählige geistreiche und treffende Ansichten enthält, so könnte es verwunderlich erscheinen, daß sie fast vollständig in Vergessenheit gefallen ist. Die Verschlungenheit ihrer Dialektik kann der Grund nicht sein, sie gilt für Hegels „Phaenomenologie" in noch höherem Maße. Der Grund liegt vielmehr darin, daß Schelling, indem er das Welträtsel bis in seiner tiefsten Abgründlichkeit philosophisch bewältigen wollte, die Theologie vollständig aufgeschluckt hat, radikaler, als es Kant und Fichte jemals gewagt haben — und ein solcher Übergriff straft sich selbst unerbittlich. ') So t>2 i Kuno Fischer: Schelling S. 588.
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In dem folgenden Hauptstück möge dieses Thema ausführlicher behandelt werden; hier sei nur hervorgehoben, daß diese eingreifende Änderung in Schellings Lebenshaltung sich in einem mehr als vierzigjährigen Prozeß vollzogen hat, in dem nur die ersten sieben Jahre, die bis zum Tode Carolinens reichen, durch seine Schriften hinreichend bekannt sind; in bezug auf unser Problem bilden der Dialog „ B r u n o " (1802), die Abhandlung „Philosophie und R e l i g i o n " (1804) und die „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen F r e i h e i t " (1809) die wichtigsten Etappen; eine Periode, die in den „ S t u t t g a r t e r P r i v a t v o r lesungen" (1810) ihren Abschluß findet. Dann aber wird die Kluft empfindlich; das Fragment „Die Weltalter", das in die erste Münchener, die „Vorlesungen zur Geschichte der neueren Philosophie" (1822), welche in die Erlanger, und der „Philosophische E m p i r i s m u s " (1835), welche in den Anfang der zweiten Münchener Periode fallen, bilden resp. bloß einen Grundriß und ein Nebenstück zu dem System der positiven Philosophie. Sind schon in der ersten Hälfte dieser Periode die Data dürftig, von seiner philosophischen Entwicklung in den letzten 20 Jahren seines Lebens wissen wir fast nichts, denn die (gedruckte) Philosophie der Mythologie und der Offenbarung geben bloß ihr Endresultat. Einleuchtender als durch logische Beweisführungen kann dieser Entwicklungsgang durch ein Gleichnis veranschaulicht werden: die Analogie einer gotischen Kathedrale, die anstatt eines zerstörten romanischen Domes auf den alten Grundlagen errichtet worden ist. Die alte Kirche war der Ausdruck einer geschlossenen, in sich ruhenden Weltauffassung, welche sowohl die Gebundenheit des sündigen Menschen an die Erde, wie die Verbundenheit des göttlichen Menschen mit der Erde in den Mittelpunkt rückt: Christus als der gute Hirt setzt Himmel und Erde, Geisterreich und Naturreich wesentlich identisch; die philosophische Grundstimmung ist pantheistisch. Bei steigender Kultur wird aber dem Menschen die Erdgebundenheit immer beschwerlicher; über die Erde hinaus den Himmel im Sturm zu erobern, dazu macht er sich auf. War vorher Gott im guten Hirten Mensch geworden, Hüter des unmündigen Volkes, jetzt will die mündig gewordene 28
Menschheit sich zu Gott erheben, gleichsam Gott werden. Der Weg zur Erlösung von der irdischen Gebundenheit führt aber durch das Leiden Christi; das schallende Licht des gotischen Chores zerbricht am Kruzifix, dunkle Erinnerung an die Erbsünde Adams. Anstatt sich mit der Erde zu versöhnen, reißt sich der Mensch von ihr los, greift über seine Macht hinaus und verliert das Gleichgewicht; nicht mehr in sich gefestigt, braucht die gotische Kathedrale Schwibbogen und Strebepfeiler, um nicht an ihrer eigenen Grundlage, an der Kreuzigung des Irdischen, zugrunde zu gehen. Wenn nun der junge Schelling ein allzu moderner, verwickelter Mensch war um wirklich ein dem romanischen Kulturideal analoges Lehrgebäude in seiner einfachen Struktur zu gestalten, die Analogie hier also nur mit Einschränkungen gilt, so ist sie in bezug auf seine späteren Perioden wirklich zutreffend. Dieser Periode geht eine Übergangszeit voran, die von 1802—1809 reicht; sie umfaßt das letzte Jahr in Jena, die Jahre in Würzburg (1803—1806) und die ersten Jahre in München, bis Carolinens Tod. Jena und Würzburg brachten Wirrnisse äußerer und innerer Art, München dagegen fruchtbare wissenschaftliche Arbeit, anregenden Verkehr und innere Sammlung; und die Schriften dieser Periode spiegeln seinen Lebensgang in dieser Übergangszeit getreu. Jena bringt den „Bruno", Würzburg „Philosophie und Religion", die Münchener Übergangsperiode wird von der Freiheitslehre abgeschlossen. Welche Bedeutung hat zuerst der „ B r u n p " in dieser Beziehung ? Einmal hebt Kuno Fischer mit Recht hervor, daß hier das Universum als göttliches Kunstwerk geschaut wird, denn hier zuerst wird der Kosmos zum Universum, und die ganze weitere Entwicklung treibt dazu, dieses Universum als ein unum versum zu begreifen; ein Problem, das ihn sowohl im „Bruno" wie in „Philosophie und Religion" beschäftigt. Dennoch ist die Grundstimmung in beiden Schriften verschieden. Der „Bruno" bezeichnet seinen Abschied von der Stadt
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Fichtes, die er nicht verlassen kann ohne grundsätzlich mit dessen Lehre abzurechnen. Daß dieser Abschied mit Ach und Krach vor sich ging; daß Schelling den Komponenten Fichte auf die vorbereitende Stufe herabdrückt, und auf der höchsten Stufe in der Gestalt Brunos einen spinozistisch gemodelten Piaton siegen läßt; dies alles ist ein Anzeichen, daß eine innere Wandlung sich in Schelling vollzieht. Er soll sich jetzt völlig von der Bindung an Fichte lösen — das fordert sein Schicksal; es ist aber sein Verhängnis, daß er diese Lösung durch eine Verdrängung des Komponenten — Fichte in ihm selber zu erreichen versucht. Daß diese Verdrängung nicht nur für sein Verhältnis zu dem einst so verehrten Meister, sondern auch für seine weitere Entwickelung verhängnisvoll war, sei hier nur vorläufig angedeutet; hier sei vielmehr hervorgehoben, daß Schelling sich von Jena, wo die Atmosphäre Goethes und Fichtes herrschte, entfernen mußte; jetzt muß in Würzburg noch eine andere Atmosphäre, die christliche der alten Bischofstadt, auf ihn einwirken, bevor er sich in München seine eigene schaffen kann. Wie stark auch Würzburg auf ihn gewirkt hat, zeigt „Philosophie und R e l i g i o n " , denn im Gegensatz mit dem „Bruno" zeigt sich eine sehr bestimmte christliche Tendenz. Negativ wirkt sich diese Tendenz im Verblassen des spinozistischen Elementes aus; positiv darin, daß zwar Piaton nach wie vor das Leitmotiv abgibt, jedoch nicht mehr in seiner Bildungslehre der endlichen Welt aus der Ideenwelt (Timaeus), sondern in seiner Lehre von Abfall und Erlösung, zunächst noch als kosmogonische Tathandlung, denn aber auch als Schuld der Seele (Strafe und Läuterung) betrachtet (Phaedo). Dieser Übergang vom Timaeus zum Phaedo charakterisiert den Unterschied zwischen „Bruno" und „Ph. u. R . " so vollständig, daß er für eine Vergleichung beider Schriften geradezu grundlegend ist; eine Vergleichung, die wir nicht umgehen dürfen, weil der Umschwung in Schellings Denken zur positiven Philosophie schon in dieser Zeit vorbereitet wird. Noch im „Bruno" ist der Anklang an Fichte unverkennbar, aber wie stark transponiert! Die Setzung der endlichen Welt erfolgt nicht mehr durch die Tathandlung des Absoluten Ich (wie in seinen Jugendschriften), auch nicht mehr
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durch ein absolutes Subjekt—Objekt (wie im T. I. und auch noch im I. S.), sondern durch eine Welt, nämlich die Ideenwelt, als Gott in Seiner Selbstgestaltung Sein Gegenbild, frei wie Gott, also auch frei um von Ihm abzufallen. Wie unersetzlich, nach so vielversprechendem Ansatz, der Verlust! „Vom Ich als Prinzip der Philosophie" — klang es nicht wie ein „Prolog im Himmel" ? Mit Posaunenschall war das reine Ich zum Primat der Philosophie proklamiert, als göttliches Primat im Menschen sollte es ihm oberster Führer sein; aber im heißen Bemühen um die reine „Einheit" des „Ich" kann Schelling den Weg zur „Vielheit" der „Welt" nicht finden, und um Verwurzelung in der „Welt" ist es ihm eigentlich immer mehr zu tun. Es ist dieser Drang vom jetzt als bloß subjektiv empfundenen Absoluten Ich weg, und zum selbständigen Objekt hin, der ihn zu diesem extremen transzendenten Realismus führt, der eine Welt (der Ideen) als Schöpfer einer andern (der Erscheinungen) auftreten läßt. Hier rächt sich, daß er das irrtümlich als subjektiv empfundene Ich als Prinzip der Philosophie hat fallen lassen; denn ohne Ich nützt ihm die Ideenwelt nichts, die sogar bei Piaton keine weltbildende Kraft hat: läßt dieser doch im Timaeus die Welt des Scheins als ihr Abbild zwar aus ihr, aber d u r c h den Demiurg gestalten. Schelling ist natürlich anderer Meinung, als er den Bruno seine Lösung des Problems vortragen läßt. Piatons Lösung sei ungenügend, weil er den Demiurg als deus ex machina sich bloß äußerlich zur Weltbildung aufmachen läßt, ohne daß sein Zusammenhang mit der bisher allmächtigen Ideenwelt innerlich geklärt wird. Mit dem Anspruch eines solchen innerlichenDemiurgen tritt jetzt im „Bruno" die Idee auf, indem sie die alten metaphysischen Gegensätze des Endlichen und des Unendlichen in die Einheit des Ewigen zusammenfaßt1). In dieser Einheit des Unendlichen und des Endlichen erkennt man leicht die frühere absolute Identität von Subjekt und Objekt, die wir bereits aus dem T. I. kennen. Die Idee erscheint also als Indifferenz von Subjekt und Objekt, aber ') Diesen Charakter des deus ex machina behält die Idee auch später in der positiven Philosophie, jedoch weniger vornehm; durch die Zerreißung in Potenzen ihrer Göttlichkeit entkleidet, fristet sie kläglich verkümmert meistens nur ihr Dasein als ,,Mädchen für Alles".
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woher kommt es, daß sie objektiv betont, daß sie als eine „Welt" auftritt; m. a. W., daß hier das Subjekt so verblaßt ist ? Die bisher bloß angedeutete Antwort kann jetzt klar formuliert werden: weil Schelling im Laufe seiner selbständigen Entwicklung das „Absolute Ich" durch das „Subjekt" ersetzt hat. Um diese These zu begründen, müssen wir auf seine ersten selbständigen Schriften zurückgreifen, als er Fichtes „Absolutes Ich" zum Prinzip seiner Philosophie erhoben hatte, und zwar in durchaus eigener Prägung. Ja, in seiner jugendlichen Begeisterung hatte er das „Ich" sogar wesenhafter geschaut als Fichte, da er es ontologisch-überrational, nicht rational faßte, und es so vor der Gefahr schützte, entweder in die Immanenz des Bewußtseins (Fichte) oder in den Panlogismus des Geistes (Hegel) aufzugehen. Diesen notwendigen Charakter beider Jugendschrifteri „Vom Ich als Prinzip der Philosophie" und „Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus" (beide 1795) übersieht Metzger, wenn er in seiner verdienstvollen Darstellung1) an ihnen tadelt, das „Absolute Ich" sei hier ein starres ontologisches Gebilde, in ersterer Schrift scholastischdogmatisch, in letzterer mystisch-schwärmerisch gefaßt. Richtig ist, daß Schellings „Ich" nicht rational ist, sondern ontologisch-überrational, und zwar in ersterer Schrift gegeben", weil theoretisch-statisch, in letzterer „aufgegeben" weil praktisch-dynamisch orientiert. Richtig ist auch, daß die Abweichung von Fichte der Einwirkung Spinozas zuzuschreiben ist; aber welchem Spinoza? Dem Dogmatiker des ersten Buches seiner „Ethica" ? oder nicht vielmehr dem Mystiker des fünften Buches, wo es die in der ratio freigewordene Seele ist, die über die ratio hinaus die amor dei intellectualis anstrebt ? Ist nicht Schelling ein mystischer Denker wie Spinoza, wenn sein „Absolutes Ich", weil es wesentlich selbst „Einheit" ist („Vom Ich") sie nun auch wirklich werden will (Philosophische Briefe)2) ? *) Die Epochen der Schelling'schen Philosophie von 1795 bis 1802, Heidelberg 1 9 1 1 . *) Auf dieses Kernproblem der positiven Philosophie kommen wir fortwährend, ausführlich bei der Schrift Ober den Philosophischen Empirismus (S. 64 ff.) zurück.
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Dennoch verfällt der junge Denker weder Fichte noch Spinoza. Daß Schelling von Anfang an eigene Wege" geht, betont Metzger mit Recht; an diesem Punkt hat seine Darstellung durch R o s e n z w e i g s Auffindung des „Systemprogramm von 1796" seine vollgültige Bestätigung gefunden. Und welche Wege! Wer hat jemals höher gegriffen als der Verfasser dieser vom Geiste durchleuchteten Schrift! Wie ein Adler steigt er über die Welt hinaus, um sie mit einem einzigen Blick umfassen zu können; ja, in einer solchen Größe ist das zentrale Problem der Philosophie „Ich und Welt" wohl niemals wieder gestellt worden. Es ist die Tragik seines Lebens, daß er in seinem Flug zwar das ,,Ich" von der „Welt" hat frei machen können, jetzt aber den Weg zur,,Welt" nicht zurückfinden kann: wie das „Ich" „zur Welt" kommt — diese Frage hat er nicht beantworten können, ohne darüber das „ I c h " zu verlieren. Das Schicksal des Ikaros hat auch er, wenn auch ihm kaum bewußt, erleiden müssen; war es sein Mangel an formaler Begabung, der ihn scheitern ließ, oder liegt die Lösung dieses Problems über menschlicher Macht? Wie dem sei, von 1798 an läßt er das „Ich" fallen und wendet sich, in Anknüpfung an Kants Kritik der reinen Vernunft, der Erscheinungswelt zu. Schelling tritt hiermit in die sinnlich wahrnehmbare, verstandesmäßig normierbare Welt ein, wo nicht mehr von ,,Ich-Nicht Ich", sondern von Subjekt-Objekt die Rede ist. Nun sind aber Subjekt und Objekt Korrelate, die bloß erkenntnistheoretisch einen Sinn haben. Das Subjekt unterscheidet sich dadurch vom Objekt, daß es ein beseeltes „Ich" in sich birgt, imstande, nach eigener Gesetzmäßigkeit die Erscheinungswelt als Objekt seiner Erkenntnis kritisch zu erkennen; unter Voraussetzung, diese Erscheinungswelt nicht als beseeltes „Ich", sondern behufs naturwissenschaftlicher Betrachtung abstrakt, also unbeseelt, mechanisch zu erfassen. Schelling will nun dieses Subjekt trotzdem auch dazu verwenden, die Erscheinungswelt als beseeltes Ich zu erfassen, und bemerkt nicht, daß da jeder inhaltliche, qualitative Unterschied zwischen Subjekt und Objekt verschwindet; ein Tatbestand, der in der Setzung von beider Identität seinen Ausdruck findet. Subjekt und Objekt sind hiemit in die meta^ Dt'kker,
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physische Sphäre gerückt; und dies war wiederum unumgänglich, sollten sie als Prinzipien einer Natur- und Kulturphilosophie auftreten. Der spezifisch inhaltliche Unterschied, ihnen als erkenntnistheoretischen Prinzipien eigen, geht jetzt verloren, und behält bloß Geltung in dem Gebiete, das der erkenntnistheoretischen und der metaphysischen Sphäre gemeinsam ist, nämlich formal-logisch; ist auch nur mit Hilfe geometrischer Analogien zu konstruieren, wie der Vergleich Schellings des immanenten Unterschiedes in der Identität von Subjekt und Objekt mit dem Verhältnis zwischen Mittelpunkt und Peripherie im Kreise andeutet. So ergeht es dem Subjekt, wenn das Herz, das Absolute Ich, nicht mehr in ihm schlägt; des Lebens beraubt, zerfällt es zum Skelett; und dieses formale Gerippe logischer Momente soll jetzt als schöpferisches Prinzip auftreten, indem es die Natur als „produktive Tätigkeit" setzt! Es war für die Naturphilosophie ein wahres Glück, daß sie als „spezifische" schon sehr weit gediehen war, bevor sich die Identitätslehre ihrer bemächtigte und ihr als „allgemeine" ein quasi allumfassend weltanschauliches Gepräge aufdrückte. Die Zersetzung des „Ich" läßt sich auch noch an einer andern Entwicklungsreihe darstellen. Schelling hat seine „spezifische" Naturphilosophie als einen Durchbruch in das freie Feld der objektiven Wissenschaft bezeichnet. Was nach Kant unmöglich war: die Natur nicht nur als ein ideales, sondern auch als ein reales Gebilde in ihrer Ganzheit als von einer innern Zweckmäßigkeit beherrscht zu fassen — das will er wagen. Das beherrschende Prinzip findet er in der Polarität von Anziehung und Abstoßung, und zwar auf verschiedenen Stufen, die er Potenzen nennt; denn indem die Pole jeder einzelnen Stufe eine synthetische Vereinigung in einer höheren Polarität anstreben, wird in diesem Prozeß der produktiven Tätigkeit die Potenz, die Möglichkeit zur nächsthöheren Stufe gefunden. So war die ursprüngliche P o t e n z e n l e h r e , die wir nach mancher Umbildung fast gleichlautend nicht nur fünfzehn Jahre später in „Die Weltalter", sondern wiederum fünfzehn Jahre nachher in unserer Handschrift über „Philosophie der Mythologie" vorfinden.
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Bekanntlich verwirklicht sich die Steigerung der Potenzen in einem dialektischen Prozeß, der aber nicht, wie bei Hegel, sich selbst fortbewegt, sondern einen agens dazu braucht. Fichte hatte diesen Beweger im „Absoluten Ich" gefunden, darüber jedoch dem Bewegten selbständige Bedeutung abgesprochen. Der junge Schelling hatte diesen genialen Fund mit Freude aufgenommen, erkannte es aber bald als seine Aufgabe, auch dem Bewegten, der „Welt", ihr Recht zu verschaffen. Dieser Aufgabe hat er in seiner „spezifischen" Naturphilosophie genügt — was lag näher, als dem Bewegten das „Ich" als Beweger zu gesellen? Es war nun ein glücklicher Griff, daß er das Ich nicht für die Natur annektiert, weil es ja nicht nur Prinzip der Naturphilosophie, sondern der Philosophie überhaupt ist: vollendet sich das Ich doch erst im Menschen. Das Prinzip der Natur wird also als „depotenziertes Ich" gesetzt, das sich in und durch den dialektischen Prozeß zum menschlichen Ich potenzieren soll1). Daß Schelling diese vielversprechenden Blüten einschrumpfen ließ, kann aus seiner philosophischen Entwicklung nicht folgerichtig verstanden werden. Hier greift ein Verhängnis ein, das in einer Verschärfung seines Gegensatzes zu Fichte jenes klassische Beispiel akademischer Bosheit hervorruft, in dem so viel geistreiche Polemik auf so unwürdige Zwecke verschwendet wird2). Er fühlt sich genötigt, auf den Gebrauch des von seinem jetzigen Gegner ') E s ist äußerst bedauerlich, daß Schelling diese Lehre nicht weiter entwickelt hat. Fechner, teilweise auch von Hartmann, haben versucht, hier den Faden wieder anzuspinnen, ihnen fehlte aber der kulturelle Nährboden. In der neueren Biologie erheben sich allerdings nach dieser Richtung hin erfreuliche Tendenzen. So enthält Dacqu£s letztes und reifstes Werk „Leben als Symbol" (München 1928) eine geniale Abstammungslehre, die in Anschluß an Piatons Ideenlehre und Aristoteles' Entelechiebegriff den Menschen geradezu als denStamm des tierischenStammbaumes bezeichnet. — Aus dem nicht-biologischen Teil ist der Abschnitt Ober Astrologie Oberraschend schön; dagegen scheinen mir seine Ansichten Aber Magie noch nicht ausgereift. *) Freilich fällt die öffentliche Polemik einige Jahre später, aber die Gesinnung war schon längst da; nur wagte weder Fichte noch Schelling sie auszusprechen. Fischer läßt dann auch mit Recht diese Episode dem I. S. vorangehen.
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errungenen Rüstzeugs zu verzichten, und führt anstatt des „Absoluten Ich" die Identität von Subjekt und Objekt, die schon eine gewisse Bedeutung erlangt hatte, als oberstes Prinzip in das I d e n t i t ä t s s y s t e m ein. Es scheint zunächst, als ob hier das Ich noch eine Rolle spielt, und zwar in der praktischen Philosophie, in deren Sphäre es sich als Träger der sittlichen Freiheit in den Gebieten der Geschichte und der Religion betätigt. Bei näherem Zusehen erscheint aber seine Betätigung als bloße Willkür, die nur die Wahl zwischen dem endlichen Objekte im Reiche der Natur (natürlicher Wille, Trieb) und dem unendlichen im Reiche der Kunst (eigentlicher, reiner Wille) gestattet. Es ergibt sich ein vollkommen aesthetisches, geschlossenes, ruhendes Weltbild: oben das Reich der Kunst, unten das Reich der Natur, in der Mitte das theoretische und das praktische Ich. Da nur das praktische Ich für unseren Zweck Bedeutung hat (in der Religionsphilosophie spielt ja das theoretische Ich eine bloß vorbereitende Rolle), so ist es wichtig, seine Leistungsfähigkeit zu prüfen; und dann stellt sich heraus, daß die ihm zugeschriebene Willkür rein formal ist. Freilich, fallen in die Materie kann das Ich, wenn auch bloß aesthetisch, als Verendlichung; nicht ethisch, durch böse Neigung. Aber es ist nicht einzusehen, wie es als praktisches Ich des Himmelreiches der Kunst teilhaftig werden kann: ist ja in diesem Reich das Ideal der Aesthetik, der Genius, nicht das Ideal der Ethik allmächtig. Das Ich ist hier einem Tänzer zu vergleichen, der auf einem frei im Räume schwebenden Seil — der kategorische Imperativ — seine Gewandtheit zeigt; es hat nur die Wahl zwischen einem Flug in den Himmel (Reich der Kunst) und einem Absturz auf die Erde (Reich der Natur). Ferner ist der Tänzer keineswegs um seiner selbst willen da, sondern zur Ergötzung eines verehrten Publikums; das heißt: das Ich, das Individuum, ist nicht Zweck, es ist bloß da, um der Art, der Gattung zur Weiterentwicklung zu verhelfen. Die Art verwirklicht ihren Zweck als Kulturträger mittels Sitte und Gesetz in Gesellschaft und Staat; sie erfüllt damit zugleich unbewußt, im Glauben, das göttliche Gesetz. Die Ethik des Individuums verschwindet in die Moral 36
der Art, und diese in den religiösen Zweck, der sich in der Geschichte verwirklicht. So wird der Raum zwischen Himmel und Erde von der sich religiös in der Geschichte betätigenden Art ausgefüllt; unbewußt strebt sie der Aufhebung des Gegensatzes zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen nach, der ihrer Mittelstellung zwischen Himmel und Erde entspricht. Es ist klar, daß der Art hiemit dem Genius gegenüber eine untergeordnete Stellung zugewiesen ist: die Religion ist ja das Gebiet des Unvollendeten, in dem die Art aus dem Gegensatz des Endlichen und des Unendlichen sich in unbewußter Weise zu befreien sucht; die Kunst dagegen das Reich des göttlichen Menschen, der sich als Genius in den hohen Gefilden der Vollendung betätigt; wobei zu bedenken ist, daß die höchste, allumfassende Form der Kunst die vollendete Philosophie ist. Das biologische Verhältnis von Beute und Feind, nach dem im I. S. die E t h i k von der R e l i g i o n aufgeschluckt war — das Ich, auch das praktische, verschwindet in das Bewußtsein und ist der religiös gefaßten Idee gegenüber wie nichts — potenziert sich in „ P h i l o s o p h i e und R e l i g i o n " . Hier wird die R e l i g i o n von der P h i l o s o p h i e aufgeschluckt; ein Prozeß, der schon im I. S. durch ihre Unterordnung unter die Philosophie vorbereitet worden war. Wie ein gefallener Engel stürzt sie von der hohen Stätte, ihr noch in der „Methode" als Synthesis von Philosophie und Geschichte von der Philosophie angewiesen, herab, was sich am leichtesten an der veränderten Auffassung der griechischen Religion aufzeigen läßt. Wird sie dort als Polytheismus, der ja in seiner Götterwelt das Unendliche bloß symbolisch darzustellen vermag, dem mystischen Monotheismus des Christentums radikal untergeordnet, hier wird sie als Trägerin des Mysterienwesens der christlichen Religion fast gleichgesetzt; so gilt hier das Christentum bloß als die veröffentlichte Mysterienlehre, die ja die Säulen bildet, auf die jede geistige und esoterische Religion sich stützt 1 ). Der Zweck dieser Gleichsetzung zeigt sich in der Einleitung 2 ), welche P h i l o sophen zu den angeblichen Urhebern der Mysterien macht, ') W. I, 6, S. 65—70. «) W. I, 6, S. 19.
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deren erhabene philosophische Lehren, leider von fremdartigen, dem Volksglauben entnommenen Elementen vergröbert, ihren eigentlichen Gehalt darstellen. Das Christentum wäre also als bloße Veröffentlichung der Mysterienlehren wesentlich philosophisch, wie übrigens jede geistige Religion, die in ihrer vorübergehenden aphilosophischen Gestalt ein bloßes Erscheinen Gottes in der Seele ist 1 ). — Krasser kann die Verneinung der Religion als eigenes Wertgebiet schwerlich ausgesprochen werden, und ihr schönes Bündnis mit der Philosophie hat große Ähnlichkeit mit der Formel, mit der ein Staat einen andern zu annektieren pflegt. Kraft dieses neugewonnenen Satzes: „ R e l i g i o n ist restlos philosophisch zu v e r s t e h e n " geht nun auch der obenerwähnte Satz aus der „Methode": „ R e l i g i o n ist historisch zu v e r s t e h e n " als Grundsatz äus der Theologie in die Philosophie über; zusammen bilden beide später den Ausgangspunkt zu Schellings positiver Philosophie. Jedoch ist jetzt noch nicht davon die Rede, denn das neugewonnene Land soll erst friedlich durchdrungen werden; ist doch die Religion nicht, wie bei Hegel, ein autonomer Vasallstaat, sondern erobertes Gebiet. Der Philosophie wird jetzt die Aufgabe gestellt, die Religion restlos in sich aufzunehmen, jedoch mit völliger Beachtung ihrer Eigenart; von einer Vergewaltigung, wie sie die Aufklärung in der sog. „natürlichen" Religion vorgenommen hat, will Schelling nichts wissen. Im Gegenteil, wenn es der Philosophie bisher nicht gelang, mit ihren rein-rationalen Mitteln die Religion aufzuklären (höchstens, wie Sch. sagt, sie auszuklären), so liegt der Mangel eben an der Unzulänglichkeit dieser Mittel; und in der Tat stellt sich bald heraus, daß diese zu einer befriedigenden Lösung des religiösen Problems nicht ausreichen. Die Abhandlung „Ph. u. R . " hat den Schöpfungsakt noch als freie Tathandlung rational zu erfassen gemeint, aber die Worte „Abfall" und „Versöhnung" haben doch schon einen andern Klang; sie bezeichnen die Sphäre, in der diese Tathandlung vorgeht, als eine mystische, wie sie die „Methode" schon in bezug auf das Christentum gesetzt, aber nicht ausgeführt hat. ») W. I, 6, S. 19.
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Die erste Periode in München, bis zu Carolinens Tode, war der Bewältigung dieser höchsten Probleme geweiht; als Endergebnis erzeugte sie die letzte von Schelling selbst herausgegebene größere Schrift: die „ P h i l o s o p h i s c h e U n t e r s u c h u n g e n über das Wesen der m e n s c h l i c h e n F r e i h e i t und die damit z u s a m m e n h ä n g e n d e n Gegenstände", kurzerhand als „Freiheitslehre" bekannt. Wir müssen der Versuchung widerstehen, dieses herrliche Zeugnis von Schellings überragender Genialität eingehend zu prüfen. Hier sei nur hervorgehoben, daß sich jetzt ein Ideal seiner Jugend verwirklicht hat: ein Gegenstück zu Spinozas Ethik zu schaffen, in dem die Errungenschaften des kritischen Idealismus aufgenommen sind. Bei Spinoza hat die amor intellectualis Dei die Ethik zwar religiös-metaphysisch verankert, sie damit aber zugleich ihrer Selbständigkeit beraubt. Kant hatte dann zwar die Ethik befreit, dafür treibt aber das ethische Schifflein, von seinem metaphysisch-religiösen Untergrund losgelöst, uferlos auf dem philosophischen Meere umher, auf dem sie nur ihre treffliche Ausstattung vor Schiffbruch rettet. In seiner Freiheitslehre spricht dann Schelling das erlösende Wort, das leider, halb verstanden, noch heute allzusehr überhört wird; denn indieser Lösung hat sich ein Moment der Erleuchtung offenbart, das alles vorher Geschaute in seiner rationalen, alles Zukünftige in seiner irrationalen Fassung in einer überrationalen Anschauung zusammenfaßt. Für uns ist nur wichtig, wie sich dieses Zukünftige allmählich anbahnt. Das Problem lautet zunächst: wie ist die Tathandlung der Schöpfung nicht nur als möglich, sondern auch als wirklich zu verstehen? Daß sie, als produktive Tätigkeit gefaßt, möglich war, hat die Naturphilosophie gezeigt; zum rechten Verständnis der Religion soll sie aber auch als wirklich erkannt werden. Was Schelling jetzt anstrebt, will aber die Theosophie in ihrer höchsten Ansicht als Mystik leisten; sie will die innere Gesetzmäßigkeit des Kosmos, sowohl als Makrokosmos im ganzen wie als Mikrokosmos im einzelnen, in der Gestalt einer Weisheitslehre erklären, und zwar nach zwei Seiten hin: als rational zu begreifende 39
Wesentlichkeit und als irrational zu schauende Wirklichkeit. Diese beiden Momente finden sich in Kants Kritik der reinen Vernunft als Dialektik und Aesthetik wieder, jedoch mit dem der Philosophie eigenen Bestreben, sie rational zu erfassen. Liegt bei der Dialektik eine solche Fassung auf der Hand, in der Aesthetik ermöglicht sie der Satz von der Idealität von Zeit und Raum als Anschauungsformen des Bewußtseins. Kants unbestechlicher kritischer Sinn steckt jedoch der so gewonnenen Erkenntnis nach zwei Seiten Grenzen: erstens erfaßt sie ihren Gegenstand nicht restlos („wir wissen nicht, wie die Dinge an sich selbst beschaffen sind"), und zweitens beschränkt sie sich auf die Erscheinungswelt. Die Ideenwelt hat bloß regulative Bedeutung; fehlt hier doch das Element der sinnlichen, somit wissenschaftlich erfaßbaren Anschauung. Ob nicht trotzdem eine metaphysische Erkenntnis möglich ist, sei dahingestellt; jedenfalls war Kants dürftige, fast völlig in die Ethik entleerte religiöse Welt dazu außerstande. Die Theosophie tritt nun mit dem Anspruch auf, dieses für die sinnliche Welt von Kant gelöste Problem auch für die übersinnliche zu lösen; es handelt sich hier natürlich um die o n t i s c h e Welt, in der das S e i e n d e , nicht das Erscheinende, Gegenstand der Erkenntnis sein soll 1 ). Das Problem liegt Moderne Theosophen spielen oft mit diesem Problem ein Versteck spiel, indem sie als „höhere G e b i e t e " eine astrale, mentale, buddhische Welt etc. setzen. Wesentliche Belege bringen sie, wie auch die wissenschaftlichen Untersucher des sog. Okkultismus, bisher nur für eine ,,astrale" Welt bei, deren Setzung faktisch eine sehr fruchtbare H y p o these für manches okkulte Phänomen liefert. Keyserling hat aber mit Recht hervorgehoben, daB es sich hier höchstens um eine Erscheinungswelt feinerer A r t handelt, die den meisten Menschen in normalen Umständen nicht zugänglich ist. Hiermit sei nichts zuungunsten dieser Theorie gesagt, die im Gegenteil einer ernsteren Prüfung seitens der Wissenschaft gewürdigt werden möge, als bisher üblich war; aber das verhindert nicht, daß die astrale W e l t sich als eine Erscheinungswelt setzt, zu deren Anschauung bestimmte (Sinnes)organe ausgebildet werden sollen; zu deren Erfassung mithin eine erweiterte Erkenntnistheorie erforderlich wäre; keine Metaphysik, wie es einer Welt des Seins ent. spräche. (Vgl. S. 2 1 0 A n m . ) — A u c h S c h e l l i n g hat in seiner Bestimmung der intellektuellen Anschauung (vgl. v. Hartmann, Schellings Philos. System, S. 3 6 — 3 8 ) , wie später in seinen Ausführungen über das Geisterreich (u. a. in „ C l a r a " ) diesen Irrweg nicht immer zu vermeiden gewußt.
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hier aber wesentlich schwieriger, weil es sich um zwei anscheinend getrennte Gebiete — Metaphysik und Religion — handelt. Zwar gehören auch Verstand und Sinnlichkeit verschiedenen Sphären an, aber sie sind doch so innig verknüpft, daß sie unschwer aufeinander bezogen werden können. Weit ungünstiger steht es aber mit dem Verhältnis zwischen Metaphysik und Religion, ein Problem, das damals in München an der Tagesordnung war, und das so formuliert werden könnte: I s t m e t a p h y s i s c h e E r k e n n t n i s möglich, indem die Religion ihr dazu den G e g e n s t a n d a b g i b t ? Wir wollen zunächst untersuchen, ob eine solche Problemstellung möglich ist; denn es scheint, als ob von Gegenständlichkeit bloß in der Erscheinungswelt die Rede sein kann, deren Gegenständen Form und Inhalt als unzertrennliche Gegensätze innewohnen. Dieser Gegensatz ist in der (ontischen) Seinswelt aufgehoben; damit ist eine absolute Identität von Form und Inhalt gesetzt, die, unserem Bewußtsein entstiegen, nicht mehr rational erkannt oder irrational gewollt, sondern bloß im Überbewußtsein überrational erlebt werden kann. Da der Mensch aber dieses schlechthin Wesentlich-Wirkliche nur mit den Mitteln seines Bewußtseins für seine irdische Aufgabe verwerten kann, setzt er Form und Inhalt, obgleich absolut identisch, dennoch als Gegensätze, und sprengt indessen für das Bewußtsein die Seinswelt in zwei Gebiete: das Gebiet des formalen Wissens, die Metaphysik und das Gebiet des inhaltlichen Glaubens, die Religion; ja, es scheint sogar, als könne das Reich des Seins metaphysisch bloß rational (dem Wissen nach), religiös bloß irrational (dem Glauben nach) erfaßt werden—ein Gegensatz, der den Schellingschen Bezeichnungen „Wesen" und „ W i r k l i c h k e i t " entspricht. Hervorgehoben sei dennoch, daß es eine und dieselbe Seinswelt ist; nur der Gesichtspunkt, die Beleuchtung ist in den beiden Gebieten verschieden. Auch sind die Gegensätze nicht so grell: was in einem Gebiet zentral ist, das ist im andern peripherisch; was die spezifische Farbe des einen ausmacht, wirkt, im andern als die komplementäre. So tritt in der Theologie neben dem primären Problemgebiet der göttlichen W i r k l i c h k e i t gleichsam sekundär die Problematik der Dogmatik auf; in der Metaphysik 41
neben dem primären Problemgebiet des göttlichen Wesens gleichsam sekundär die Problematik der Religionsphilosophie. Es sollte selbstverständlich sein, daß beide, Dogmatik und Religionsphilosophie, Grenzgebiete bestreichen und sich dabei zu bescheiden haben, von ihrem eigenen Standpunkt aus einen Blick in das Nachbarreich zu werfen. Daß unser „selbst" dieses selbstverständlich nicht versteht, liegt im widerspruchsvollen Charakter des Bewußtseins, der in unserer Sprache gut zum Ausdruck kommt in zwei Hilfsverben, „sein" und „haben", die auch metaphysisch diese Bezeichnung mit Recht tragen, da uns das „sein" zu Gott, das „haben" (de facto) zum Teufel verhilft. Seine Seinswelt zu sein, heißt, Ewiges Wesen zu sein; sie zu haben, sich als Kreatur verendlichen zu müssen. Es ist dieser Gegensatz zwischen dem Seienden und dem Erscheinenden, dem Ewigen und dem Endlichen, Himmel und Erde, der die Grundlage unseres Bewußtseins bildet1). Wenn es nun dieses irdische Prinzip des Bewußtseins, das „haben", ist, das die Entzweiung, die Spaltung der Seinswelt in Metaphysik und Religion hervorruft, so liegt es auf der Hand, daß unser Ewiges Prinzip, das „sein", die Spaltung aufheben will. Das kann es aber nur in der Gestalt des „habens", und zwar folgenderweise: eines der beiden Gebiete wird als das alleinberechtigt Absolute, als die Seinswelt schlechthin gesetzt, und einem imbequemen Widerstand vom andern Gebiet aus dadurch vorgebeugt, daß dieses als selbständiges Ganzes durch das eigene Komplement ersetzt wird. Es ist nun auffallend, wie selten die Philosophie, wie oft dagegen die Theologie sich dieses Übergriffs schuldig gemachthat, und das ist begreiflich. Es gehört zum notwendigen Charakter einer selbstsicheren Kirche, ihre Dogmatik nicht in der etwas zweifelhaften Sphäre der doxa, des Glaubens, des Für-Wahr-Haltens zu belassen, sondern sie als Metaphysik, ') Absichtlich heißt es „Himmel und E r d e " ; nicht „Himmel und Hölle"; denn mit Recht hebt Schelling in seiner Freiheitslehre (W. I, 7, S. 364—371) hervor, daß erst dann das „Radikal Böse" entsteht, wenn der Mensch die falsche Lösung des Widerspruches versucht, indem er seinen endlichen Willen als den ewigen Willen setzt. Erst wenn sich das „haben" als „sein" setzt, wird es böse.
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als epistäme, als wahres, ja, als höheres, ontologisches, über dem menschlichen erhabenes göttliches Wissen zu behaupten; mit wieviel Wucht, das bezeugt die blutige Geschichte der Haeresien und Ketzereien. Die Philosophie dagegen führt den Prozeß nicht so zielbewußt zu Ende: weil sie zu rational ist, weiß sie allzugut die Grenzen der ratio; und weil sie zu wenig irrational ist, hat sie den Willen zur Macht nicht in sich. Sie ist im Geiste selbstgenügsam, nicht gierig nach einem „höchsten Gut", das der religiöse Mensch immer wieder gern „haben" möchte. Sie ist darum nicht göttlicher als die Religion, sondern weniger dem Verderb durch die Habsucht ausgesetzt. Die Theologie kann dann auch nicht ohne die ratio auskommen: je mehr sie sich von der Philosophie trennt, um so schärfer bildet sie ihre Dogmatik aus. Daß dagegen die Philosophie sehr viel leisten kann, ohne auf das Irrationale Bezug zu nehmen, hat der Rationalismus gezeigt. Überhaupt ist es für die Selbstbeschränkung der Philosophie kennzeichnend, daß sogar eine anspruchsvolle Richtung wie der Rationalismus nicht in das Gebiet der Religion eingreift, sondern sich auf Metaphysik beschränkt; erst als in der Aufklärungszeit das Dogma unglaubhaft, die Religion problematisch wird, bildet sich eine Religionsphilosophie aus (Hume). Und auch heute noch ist die Religionsphilosophie für die Philosophie nicht entfernt so wichtig, wie für die Theologie die Dogmatik. Wie nahe ein Übergriff in das Gebiet des Nachbarn ihr liegt, bezeugt die Theologie des Mittelalters, als sie ihre Dogmatik sehr zielbewußt der Philosophie als höchste Norm setzt. Wie verschieden, wenn von seiten der Philosophie durch Schelling sich ein solcher Übergriff ereignet! Er war sicher nicht als solcher von Schelling gemeint, und weder von ihm, noch von der Mehrzahl seiner Gegner empfunden; nur die kirchliche Orthodoxie mag ihn dumpf geahnt haben. So wie nun die Theologie nur da die Führung nehmen kann, wo die ratio noch mythologisch gebunden ist, so die Philosophie nur da, wo die ratio sich selbst übersteigert, wie im deutschen Idealismus. Als nun Schelling in „Bruno" und „Ph. u. R . " mit unerbittlicher Folgerichtigkeit die produktive Tätigkeit in die absolute Vernunftwelt aufgesogen 43
hatte, mußte es ihm klar werden, daß diese Welt, weil bloß rational begründet, von sich aus ganz formal gebildet worden war. Das nunmehr vollendete Gebäude seiner rationalen Philosophie kommt ihm jetzt wie ein totes, leeres Haus vor, nicht wie ein lebendiges Heim; und da die eigenen Mittel erschöpft sind, beraubt er das religiöse Nachbarhaus seiner Ausstattung. Ein solcher Raub war leicht: die Zersetzung der Ethik hatte ja die Religion in ihrer Stellung gefährdet. Aber schwerer ist es, das fremde Gebiet so einzugliedern, daü es eigenes wird; dazu genügt es nicht, die Möbel neu zu beziehen, so daß sie täuschend wie Gegenstände der Metaphysik aussehen, und auch Schelling gibt sich damit nicht zufrieden. In seiner Religionsphilosophie soll die Religion wirklich zur Philosophie werden — das ist das Wunschbild, das ihm als philosophische Religion fortan vorschwebt. Dieser Umschwung bereitet uns wohl die allergrößte von allen Überraschungen auf unserem Gang durch Schellings philosophische Entwicklung, die immer wieder wie eine Fahrt in einem nordischen Fjord anmutet; wenn die Ausfahrt gesperrt scheint, bringt jeweils eine unerwartete Wendung das Schiff in freies Wasser. So auch hier. Wenn die Leere der neugewonnenen Vernunft weit sicli darin kundgibt, daß die Idee als Weltprinzip weder ihre Wirklichkeit durch die Schöpfung, noch die Wirklichkeit des Radikal Bösen, also des ethischen Menschen erklären kann, so muß neben der Idee noch ein anderes Prinzip in Gott gefunden werden. Es ist nun ein wahres Glück für Schelling, daß er durch Baader mit Boehmes Theosophie in Berührung kommt, die einen bestimmenden Einfluß auf sein weiteres Denken ausübt 1 ). Wie in jeder Theosophie, wohnen hier Philosophisches und Religiöses friedlich neben- und oft durcheinander innerhalb eines farbigen, lebensvollen Systems, dessen Reiz noch durch die edle Persönlichkeit seines Urhebers erhöht wird. ' ) D a ß auch Oetinger, der m y s t i s c h e J ü n g e r B o e h m e s , auf ihn zu dieser Zeit gewirkt hat, m a c h t K u r t L e e s e ( „ V o n J a c o b B o c h m e bis S c h e l l i n g " , E r f u r t 1 9 2 7 ) annehmlich. — A u c h H a m a n n liest Schelling. wie sein Briefwechsel ausweist, mit E i n s t i m m u n g .
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Es war die höchste Zeit. Hätte Boehme ihn nicht berührt, sicher wäre er ins pantheistische Fahrwasser geraten, und der Fjord hätte sich als ein Binnensee herausgestellt, in welchem das Schiff sich nur im Kreise herumdrehen kann. Jedoch wäre damit nicht nur jede weitere Entwicklung verhindert gewesen, sondern der Schüler Fichtes hätte das produktive Subjekt aufgeben müssen, wenigstens auf dem Gebiet des sittlichen Lebens; denn das Böse im Menschen ist nicht bloßer Mangel an Einsicht, dem Endlichen infolge seiner relativen Beschränkung eigen, es muß in der Tiefe der menschlichen Persönlichkeit seine eigene Wurzel finden. P e r s ö n l i c h k e i t ! — Wie ein Zauberwort wirkt es auf Schelling ein, und durchflutet sein System mit neuem Leben. Wirklich, das war das erlösende Wort, das den Menschen in seinem spezifischen Wert über die Natur hinaushebt, und somit den qualitativen Unterschied zwischen beiden begründet. Der Prozeß der dynamischen Entwicklung durch Natur- und Menschenwelt kommt wieder in Fluß; das Feuer der Freiheit durchflutet alle Glieder des kosmischen Körpers, wie ein Sturmwind bewegt ihn der Wille. Ja, ein allzu mächtiger Aufwand von Kräften scheint es, wenn es die Persönlichkeit G o t t e s ist, welche dazu berufen wird, nicht nur als bewegender, sondern auch als bewegter Beweger in den Prozeß einzugehen — wäre dazu die Persönlichkeit des M e n s c h e n nicht genügend ? Innerhalb des Schellingschen Systems — nein; denn die menschliche Persönlichkeit kann nicht den Naturprozeß begründen, wenigstens nicht seiner Wirklichkeit als göttliche Schöpfung nach. Die Ethik der Freiheitslehre ist notwendigerweise theozentrisch begründet; wie sollte auch eine anthropozentrische Begründung möglich sein, wo das „ I c h " in Schellings Denken seine positive Bedeutung längst eingebüßt hatte! Man lasse sich durch die Bezeichnung „Phil. Untersuchungen ü. d. Wesen d. m e n s c h l i c h e n F r e i h e i t " nicht irreführen. Freilich, kraft des intelligibelen Charakters ist das Ich im Urstande frei, wählt aber unbegreiflicherweise durch seine erste freie Tat die Unfreiheit, indem es sich in seiner S e l b s t h e i t z e n t r a l setzt ') A l s , , e m p i r i s c h e s
Ich",
1).
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anstatt Gott; fortan der Notwendigkeit unterworfen, wird es wieder befreit durch die erlösende Macht des menschgewordenen Gottes. Wo von menschlicher Freiheit die Rede, ist sie durch ihre religiöse Bestimmung mit einem negativen Vorzeichen versehen. Es ist auch Schelling keineswegs um das „Ich" als Dominante zu tun, dessen Freiheit im intelligibelen Charakter bloß dazu dient um es für seinen Fall verantwortlich zu machen, und dessen Befreiung durch Christi Tod der „idealen Reihe" seines Identitätssystems einen neuen geschichtlichen Inhalt beschaffen soll. Diese negative Setzung des menschlichen Eigenwertes stempelt Schellings Freiheitslehre, im ausgesprochenen Gegensatz zu Kant und Fichte, zu einer vorwiegend religiös begründeten Ethik. Das ganze Gewicht liegt im Prozeß der Selbstoffenbarung Gottes, wogegen die Ohnmacht und die Schuld des Menschen scharf betont werden; daß Gott somit in den ethischen Prozeß einbezogen und anthropomorph vorgestellt wird, ist die Kehrseite, die Schelling aber, wenn nur in ihrer vollen Tiefe erfaßt, eher als einen Vorzug denn als einen Mangel seines Systems bezeichnet. Nun war allerdings das Argument, mit dem er Eschenmeyers diesbezügliche Einwände niederschlug, ziemlich brüchig, denn es ist zur Wahrung der lebendigen Persönlichkeit Gottes gar nicht erforderlich, daß sie der menschlichen Persönlichkeit möglichst ähnlich sei; eher sollte das Umgekehrte der Fall sein! In bezug auf seine Zwecke hatte aber Schelling recht; denn nur ein leidender, werdender Gott konnte die Wirklichkeit des kosmischen Prozesses in Natur- und Menschenwelt wieder in Fluß bringen, der im von Ewigkeit her vollkommenen Gott versandet war. Die größte Schwierigkeit war nicht in der Natur gelegen, die schon im I. S. — dessen Schematik Schelling auch in seinem positiven System immer wieder verwendet — als die „reale" Seite galt, sondern in der „idealen" Seite, in der Menschenwelt, die mit einem „realen" Inhalt erfüllt werden soll. Denn die Freiheitslehre ist zwar theozentrisch begründet, aber nicht theologisch gerichtet; die Persönlichkeit Gottes ist nicht Zweck, sondern Mittel, um durch die religiös bestimmte Wertsetzung der menschlichen Persönlichkeit als sittliches Subjekt der „idealen" Reihe einen 46
realen Inhalt zu beschaffen. Diese Zentralität der idealen Reihe in der Freiheitslehre darf aber keineswegs dazu führen, den Zusammenhang der beiden Reihen zu stören; nach wie vor soll aus der realen Reihe die ideale emporwachsen, und zwar durch einen Prozeß der Potenzierung, der sich erst vollständig im Menschen darstellt. Es ist ein Prozeß von Finsternis zu Licht, der sich erst in der Natur, dann im Menschen, stets höher potenziert; also „eigentlich" doch wieder (nicht trotz, sondern kraft seiner theozentrischen Begründung) auf das Heil des Menschen gerichtet ist. Der Gegensatz Finsternis — Licht ist nicht neu; als das I. S. die Naturphilosophie eingliedern wollte, indem es sie aus einer „speziellen" zu einer „allgemeinen" machte, hatte es schon diesen rational anmutenden Gegensatz eingeführt. Damals war jedoch die Position der idealen Reihe wesentlich stärker: weil Schelling die reale Reihe ideal fassen wollte, war ein solcher rationalisierender Ausdruck wohl am Platz. Jetzt aber gilt es, im Gegenteil die ideale Reihe real zu fassen, und da ist es nur eine l e t z t e Position: der Versuch, innerhalb der vollkommen religiös bestimmten Freiheitslehre den Prozeß dennoch nach den Grundbegriffen des früheren, metaphysisch bestimmten I. S. durchzuführen, war im voraus zum Scheitern verurteilt. Die späteren Schriften kennen nicht mehr den „ideal" gefärbten Gegensatz Licht—Finsternis, sondern greifen zurück auf den „real" gefärbten Gegensatz Kontraktion — Expansion der „speziellen" Naturphilosophie. Nicht nur an diesem Beispiel, sondern an vielen andern ist festzustellen, daß Boehmes Einfluß in der Freiheitslehre ihren Höhepunkt erreicht hatte. Fast sämtliche Begriffe hat Schelling in analoger Bedeutung übernommen; nur verrät die festere Struktur den systematischen Philosophen, wogegen Boehmes Lehre vielmehr das Bekenntnis eines gottseligen Menschen zum Leben philosophisch darstellt. Daß die Freiheitslehre so vorbildlich klar und wohlgefügt ist, verdankt sie aber der P o t e n z e n l e h r e , die auch weiterhin die strukturelle Grundlage von Schellings Philosophie bildet; daß die Freiheitslehre sie nicht nur auf die Natur, sondern auch auf den Menschen in seiner geschichtlichen, auf Gott in seiner übergeschichtlichen Entwicklung anwendet, das ist ihre 47
Hauptbedeutung für die positive Philosophie. Sie hat hiemit das alte Problem „wie R e l i g i o n p h i l o s o p h i s c h zu v e r s t e h e n i s t " , jedenfalls nach der ethischen Seite hin gelöst. Zu der Lösung des andern Problems „ w i e R e l i g i o n h i s t o r i s c h zu v e r s t e h e n i s t " , sind bloß Ansätze da, und zwar bezeichnenderweise nach der klassischen, nicht nach der biblischen Richtung hin, wie es Boehme in seiner Exegese der „Genesis" versucht hatte; was insofern wichtig ist, als hier das Feld für die historische Konstruktion der positiven Philosophie zubereitet wird. Schelling faßt nämlich — und damit setzt er die Entwicklung seit der „Methode" fort — das griechische Heidentum als eine allmähliche Loswicklung des Menschen aus seinem Urständ im Zeitalter der Unschuld; ein Prozeß, der erst um Christi Geburt in der Zersetzung dieser Naturreligion endet, und zwar mit dem Durchbrach des Bösen, von dessen Herrschaft uns Christus erlöst. Der Fortschritt dieses Prozesses ist allerdings nur angedeutet, und von Mythologie ist noch nicht die Rede; aber die prinzipielle Setzung einer Naturepoche innerhalb der Geschichte, welche die Befreiung des Geistes im Christentum vorbereiten soll, zeigt hier die ethische Färbung, die für die christozentrische Ausbildung der positiven Philosophie eine notwendige Vorbedingung ist. Hat also die Freiheitslehre die Vorbedingungen zu einer positiven Philosophie geschaffen, sie war zu einseitig ethisch gerichtet um eine historisch begründete Religionsphilosophie auszufüllen; diese Aufgabe wird in den „ S t u t t g a r t e r P r i v a t v o r l e s u n g e n " (1810) gestellt, in „Die W e l t a l t e r " in Angriff genommen. Die Stellung des Problems war leichter als die Lösung; das beweist der Unterschied an Klarheit der beiden Schriften handgreiflich. Erstere Schrift verzeichnet, neben einer Zusammenfassung der Entwicklung Schellings in den vorangehenden Jahren, die Umformung der bisher zeitlosen Potenzen in Perioden der Selbstoffenbarung Gottes und gibt ihnen somit den historischen Charakter, der sie zum Gerippe einer übergeschichtlichen Geschichte ausbildet — denn so soll die Selbstoffenbarung Gottes begriffen werden.
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Dieses Problem zu lösen, wie es letztere Schrift will,; ging über Schellings Kraft. Nach dem Tode Carolinens völlig vereinsamt, brütet er mühsam die Geschichte Gottes aus, ohne sie klar und deutlich gestalten zu können. Es klingt uns aus dieser schwerfälligen Arbeit die Stimme eines Rufenden in seiner eigenen seelischen Wüste entgegen, der sich, nach mystischer Bezeichnung, in einem Zustand innerer Dürre befindet; er ist wie ein Johannes der Täufer, der leidet unter der Last des Mantels Christi, den er sich selbst aufgebürdet hat. Die ideale Grundlage dieser als Selbstoffenbarung Gottes begriffenen Geschichtsphilosophie sollen drei Begriffe bilden — Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — die sich real als Aeonen, überzeitliche Weltalter verwirklichen, in denen Gott Seine Persönlichkeit aus dem dunklen Grunde Seiner Natuierhebt, und zwar durch immer höhere Potenzierung; wobei sich der naturhafte Ursprung dieses Prozesses auch darin kundgibt, daß die Polarität Ausbreitung — Hemmung (Expansion-Kontraktion) — unmittelbar der noch nicht vom I. S. intellektual affizierten „speziellen" Naturphilosophie entnommen wird. Damit wäre wirklich eine geeignete Grundlage für eine Geschichtsphilosophie gewonnen, wenn nur das Problem vpn dem Menschen aus in Angriff genommen,wäre: indem die drei Begriffe, als Kontinuität des Geschehens zu-r sammengefaßt, den Begriff der Dauer als Vehikel des menschlichen Schicksals hätten liefern können. Schelling ist aber in diesen Jahren ein verlorener Mensch; der Verlust seines „alter ego" hat ihn auch von dem „ego" fast jedes seiner Freunde getrennt, und jetzt kann er sogar sein eigenes „ego" nicht mehr finden, das ihm doch die Zentralität seiner Per^ sönlichkeit verbürgen sollte. Es ist begreiflich, daß er in dieser Verfassung keine Geschichtsphilosophie begründen kann, die vom Menschen ausgeht, mit dem er ja die Fühlung verloren hat, und daß er zu den „Müttern" geht: daß er den geheimnisvollen Grund der Natur immer tiefer umwühlt, in der Hoffnung, in ihr den Stein der Weisen zu finden, sich verlierend in die Vergangenheit, in den ewigen Grund des Geschehens, indem er aus der Schöpfung als Schicksal der Natur das menschliche Schicksal als deren höhere Potenz emporzuDt-kker,
Dir Rückwenctung zum Mythos.
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heben hofft. Daß er damit die Vergangenheit in seiner eigenen Seele aufruft; daß er das naturhaft gebundene, mythologische Leben weckt, das im Unterbewußtsein jedes Menschen schlummert — das scheint er kaum zu ahnen. Dennoch war auch diese Entwicklung unumgänglich geworden. Hatte ihn die Forderung, einen möglichst gelinden Übergang von der Natur zur Menschenwelt zu finden, schon früher zu einer Beschäftigung mit den sog. „okkulten" Problemen geführt, jetzt bringt ihn Carolinens Tod mit der geheimnisvollen „Geisterweit" in unmittelbare persönliche Berührung1). Wieder rüttelt sein romantisches Gefühl an den Fesseln seines klassischen Denkens; denn, mag dieses daemonische Gefühlsleben von der Herrschaft des Denkens noch so sehr verdeckt sein, als Unterströmung will es sich geltend machen, wird jedoch vom Denken scharf zurückgewiesen: das Gefühl soll nicht vornehm tun, im „Grunde" bleiben2). Diesen bewußten Verdrängungsakt beantwortet nun das Gefühl damit, daß es f o r m a l der vom Denken auferlegten Forderung sich unterwirft, dagegen das Denkgebilde i n h a l t l i c h zu durchdringen versucht. Bildlich gesprochen: das Fühlen gebärdet sich wie das heimtückische Weib, das unbemerkt dem tyrannischen Mann die Herrschaft abzwingen will; zeigt sich doch in diesem inneren Kampf das Fühlen wieder als die typisch weibliche, das Denken als die typisch männliche Funktion der Seele. Das Gefühl darf sich nicht öffentlich als oberste Funktion setzen, das duldet das Denken nicht; da es die wertende Funktion ist, bleibt ihm somit nur der Ausweg übrig, sich als Wert absolut zu setzen. In einem idealistischen System gelten nun, psychologisch gesprochen, die Ideen als die einzigen absoluten Werte; somit stand es Schelling frei, entweder das Gute, das Wahre oder das Schöne als oberstes Prinzip zu setzen. Den ersten Weg hatten Kant und Fichte, den zweiten Hegel gewählt; ') Unnötig zu betonen, wie sehr diese „Geisterwelt" von der Fichteschen abweicht; hier kein mundus intelligibilis, sondern eine Schemenwelt, deren Gestalten ihn mit der im modernen Europäer vom Bewußtsein längst verdeckten mythologischen Schicht in Berührung bringen. *) Freiheitslehre, W. I, 7, S. 143. — Auch wird Jacobis seichte Gefühlsphilosophie mit unangemessener Schärfe zurückgewiesen.
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den dritten hatte Schelling selber in seinem I.S. eingeschlagen, ihn aber wieder verlassen müssen, wogegen er die beiden andern schon längst abgelehnt hatte, weil sie in dem Grunde seines Systems, der Naturphilosophie, nicht Wurzel fassen konnten — wenigstens dem Anschein nach. Hier scheint der Weg gesperrt, als auf einmal das absolute Wertgebiet kat'exochen, die Religion, unter dem Einfluß Boehmes als das Reich der Erleuchtung sich auftut, vor dessen Glanz die früheren Werte verblassen. Leider läßt sich die religiöse Kategorie, das Heilige, nicht so restlos als Idee in die metaphysische Welt verankern; dem widersetzt sich, wie obenerwähnt, die widerspruchsvolle Struktur unseres Bewußtseins, das beide Gebiete bloß als nebengeordnet fassen kann. Es frägt sich also, ob es möglich sei, diese Scheidungswand ohne Vergewaltigung niederzureißen; und diese Frage läßt sich bejahen, wenn wir auf eine frühere Entwicklungsperiode des Bewußtseins zurückgreifen, in der es diesen Widerspruch nicht aufwies. Wenn wir einen solchen Rückblick in die Kulturgeschichte werfen, zeigt sich tatsächlich, daß im weniger „ausgewickelten" mythologischen Bewußtsein die Scheidung zwischen Religion und Philosophie viel weniger schroff war; es ist somit ein Zustand des früh- oder gar des praemythologisehen Bewußtseins zu postulieren, in dem diese Scheidung noch gar nicht vorhanden war. Bevor wir diese Hypothese zu begründen versuchen, wollen wir sie zunächst zur psychologischen Deutung von Schellings Entwicklung verwenden. Wollte er einen Ausgleich zwischen Religion und Philosophie bewirken, so, daß der Inhalt der Religion formalmetaphysisch begriffen werden kann, so mußte zuvor die Scheidewand fallen; m. a. W. war er genötigt, sich in das mythologische und praemythologische Bewußtsein zu versenken. Es war immer Schellings Größe gewesen, einer solchen inneren Forderung ohne Bedenken Folge zu leisten; in dieser Treue gegen sich selbst beruht die Kraft seiner ProteusNatur, die man vielmehr rühmen und bewundern denn als bloße Unbeständigkeit tadeln sollte. Er tauchte tief in die
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neu entdeckte Welt des Mythos ein, durchforschte sie mit eindringlicher Hingabe und schöpfte aus allen verfügbaren Quellen; dann zauberte seine Phantasie innerhalb der strengen Formen seines Systems ein reizvolles Weltbild des Mythos hervor, das sich als vorhistorische Periode sinnvoll in die Kulturgeschichte der Menschheit eingliedern ließ. So dichtet er noch einmal die „Naturgeschichte der Menschheit" nach, jedoch aus einer Unterströmung in der eigenen Seele heraus, die, auf einmal die Bewußtseinsschwelle überströmend, einen Ausweg sucht; denn als moderner Europäer kann er nicht mehr, wie noch der Hellene, zur Zeit Homers, voller Freude in der Götterwelt seine Verbundenheit m i t der Natur erleben, ohne sie zugleich peinlich zu empfinden als eine Bindung a n die Natur, die der Erlösung bedarf. Dieses Bedürfnis nach Erlösung klingt uns aus Schellings positiver Philosophie in ergreifender Weise entgegen. Der schwäbische Löwe hat es tief empfunden, wie innig er als sinnliches Geschöpf mit der Natur verbunden ist, und wie diese Verbundenheit sich in eine unerträgliche Bindung verkehrt, sobald er sich kraft seines vernünftigen Willens in Freiheit über sie erheben will. Kant und Fichte suchten sich erkenntnistheoretisch durch die Setzung des a priori der Anschauungsformen, ethisch durch schroffe Ablehnung, von der Sinnlichkeit zu befreien, worauf sie sich in die Aesthetik flüchtet. Nach Schelling dagegen soll die Natur auch ihre Rechte haben — das ist der Beweggrund seiner Naturphilosophie, das ist seine eigene Schöpfung. Geschichtsphilosophisch bleibt er aber noch in dem System Kants und Fichtes befangen, bis Fichte unter Einfluß der Romantik seine eigenen Schranken durchbricht. Dann ist auch für Schelling der Weg zu einer eigenen Geschichtsphilosophie gebahnt, für welche er in seiner Freiheitslehre das Prinzip aufstellt: Christus ist die Zeitwende in der Geschichte, da er uns prinzipiell erlöst hat von den Fesseln der Naturgebundenheit, welche das typische Merkmal des mythologischen Bewußtseins bildet. Mit dem zu diesem Zweck gebildeten Schema, das die zunehmende Verderbnis aus der naturverbundenen Unschuld nfolge der Erhebung des partikularen Willens bis zum Unter52
gang der klassischen Kultur schildert, konnte er dagegen nichts anfangen, weil dieses Schema einen Prozeß des Niedergangs darstellt, der Tendenz zur Steigerung der Potenzenlehre widersprechend1). Hier spricht die metaphysische Oberströmung ihr Veto gegenüber der religiösen Unterströmung aus, die also genötigt ist, der vorchristlichen Geschichte einen andern Inhalt zu suchen; und dieser Kampf zwischen den beiden Strömungen, das eigentüche Schauspiel der späteren philosophischen Entwicklung Schellings, wird uns das Thema zu unserer Problemstellung abgeben können. Zuerst einiges über die Gestaltung der positiven Philosophie. Da die Erlösung aus der Naturgebundenheit vom mythologischen Prozeß zwar bezweckt, jedoch erst im Christentum erreicht wird, zielt die Philosophie der Mythologie auf die Philosophie der Offenbarung hin; das bezeugen sowohl die „Werke", wie auch unsere Handschrift. Zur Gestaltung ersterer standen ihm die Ergebnisse der damals neuen wissenschaftlichen Untersuchungen über die vorchristlichen Religionen zur Verfügung. Für die Ausbildung letzterer war er dagegen auf die Bibel angewiesen; daher ihr viel strafferer konstruktiver Charakter, den sie immer beibehielt, da Schelling die um 1835 einsetzenden bibelkritischen Forschungen vorsätzlich außer acht ließ. Damit die Deutung der Offenbarung nicht vollständig ins Uferlose geriet, war also engster Anschluß an die Mythologie geboten. Zwar soll ') Dieses am humanistischen Ideal orientierte Schema finden wir auch schon im I. S. (Phil, der Kunst, W. i, 5, S. 286 ff.), wo es die romantische Auffassung der griechischen Geschichte als Zeitalter des Schicksals (T. I.) durchquert. Fester (Rousseau und die deutsche Geschichtsphilosophie, S. 173 ff.) führt jenes humanistische Schema nicht nur auf den klar ersichtlichen Einfluß von Schillers ,.Naive und sentimentale Dichtung" sondern auch auf Motive aus Goethes „Geheimnisse" und Calderons ,,Andacht zum Kreuz" zurück. Der Gehalt beider Auffassungen, der romantischen und der humanistischen, wird in der positiven Philosophie leider nur insofern verwertet, als es deren aprioristische Einstellung erlaubt. Die dritte, an Kant orientierte klassische Geschichtsauffassung, in der „Methode" zum letzten Male hervortretend, ist in der positiven Philosophie fast nirgends verwertet.
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die christliche Aera, nach der Forderung der Freiheitslehre scharf von der vorchristlichen unterschieden sein; jedoch sollen, in Übereinstimmung mit den früher in der „Methode" und „Ph. u. R . " entwickelten Tendenzen, beide Perioden keineswegs geschieden sein. Im Gegenteil ist das entscheidende Merkmal dieses, daß die in der Mythologie den Prozeß des Fortgangs bestimmende Scheidung (krisis) in der Wiedervereinigung durch Christi Menschwerdung und Opfertod ihren Abschluß findet. Ist somit die negative Bedingung für einen innigen Zusammenhang beider Perioden erfüllt indem jede Trennung ausgeschlossen ist, so kann jetzt die positive Bedingung sich geltend machen: daß vom Anfang an der mythologische Prozeß auf das Christentum geht, zu dem die Mysterien den Übergang bilden. Ist unsere Diagnose richtig, daß die Gestaltung der positiven Philosophie dem Erlösungsbedürfnis Schellings aus psychischen Kämpfen Ausdruck gibt, so muß sich diese Einheitlichkeit in der ersten Fassung mindestens ebenso stark ausprägen wie in der letzten, uns aus den W. bekannten Fassung. Die die Frage, ob positive Philosophie aus diesem Bedürfnis heraus geboren ist, können wir aber nur teilweise beantworten, da uns Vorlesungen über Philosophie der Offenbarung aus dieser Periode nicht zu Gebote stehen; wir müssen uns infolgedessen auf folgende Problemstellung beschränken : I. W i e i s t , von u n s e r e r H a n d s c h r i f t ü b e r P h i l o s o p h i e d e r M y t h o l o g i e aus g e s e h e n , d a s i n n e r e V e r h ä l t n i s z w i s c h e n den beiden H a u p t t e i l e n d e r p o s i t i v e n P h i l o s o p h i e im V e r g l e i c h m i t d e r in den Werken vorliegenden Fassung? Ungleich wichtiger sind zwei andere Fragen, die im engsten Zusammenhang stehen. Zuerst fühlt Schelling, daß sich die Philosophie der Mythologie als philosophische Disziplin der philosophischen und überhaupt der gelehrten Welt gegenüber legitimieren soll. Nachdem also Schelling — wir werden sehen, mit wieviel Wucht — ihre Herkunft als legitim nachgewiesen hat, sollen ihr drei bestehende Disziplinen Pate stehen. Die Philosophie
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der Religion ist wohl die wichtigste unter ihnen, denn sie prägt der Neugeborenen ihren Charakter auf; aber die Philosophie der Geschichte und der Kunst — die beiden Großmächte der früheren rationalen Philosophie Schellings, deren Zusammenhang mit der Naturphilosophie in den früheren Schriften die Mythologie gewähren sollte — sind auch zugegen. So scheint es nicht allzu schwer, dieses Problem zu lösen, das folgendermaßen formuliert werden kann: II. Wie f i n d e t die P h i l o s o p h i e der Mythologie den A n s c h l u ß an die p h i l o s o p h i s c h e A u ß e n w e l t ? Viel schwieriger ist die Lösung des dritten Problems: welche Stellung die frühere rationale Philosophie künftig in Schellings System spielen soll. Bloß das formale Gerippe der Religionsphilosophie zu sein, genügt ihr nicht; damit würde Schelling nicht nur seine ganze philosophische Vergangenheit verleugnen, auch seine angesehene Stellung als Gipfelpunkt der bisherigen Philosophie ginge dann verloren — und das geht nicht! Wenn auch innerlich alle Macht auf die positive Philosophie übergeht, nach außen hin soll die rationale Philosophie im königlichen Glänze strahlen; und dieses Ziel erreicht Schelling, indem er sie als „Vergangenheit" setzt, was sie auch für ihn persönlich geworden war. In seiner ,,Geschichte" mit dem Purpurglanz der untergehenden Sonne bekleidet, in dem „Empirismus" mit den Symbolen der schöpferischen Tätigkeit, Reichsapfel und Szepter, versehen, fristet die rationale Philosophie auf ihrem alten Throne, wie die letzten Merowinger, ein Schattendasein, ehrenvoll und machtlos. Da erscheinen in Schellings Phantasie die Größen der Vergangenheit, ihr den schuldigen Tribut zu zollen: Descartes, Spinoza und Leibniz, Kant, Fichte und Jacobi reihen sich als gefügige Schemen um den Thron Nur Einer stört das schöne Schattenbild, ein Lebender: es ist Hegel, der elende Dieb, der ihm seine schönsten Praerogativen geraubt hat. Schelling ballt die Faust: niederschmettern will er den Bösewicht — aber jeder lacht sowohl über den machtlosen König, wie über den maior domus, der von seinem dunklen Versteck aus donnert und droht, ohne daß es einschlägt. 55
Es muß Schelling viel gekostet haben, diese Zuordnung der Mächte aufzugeben: war doch die einzige Lösung dieses unhaltbaren Zustandes, der rationalen Philosophie auch noch den äußeren Schein der Macht zu nehmen. Waren bisher seine rationale und seine irrationale Philosophie einander nebengeordnet, jetzt zeigte sich die Unumgänglichkeit, die ratio ganz unterzuordnen, was für ein philosophisches System doch immer seine bedenkliche Seite hat. Noch 1833—34 liest er über Geschichte der neueren Philosophie; 1837 erscheint die rationale Philosophie als philosophische Einleitung in die Philosophie der Mythologie. Alsdann ist die Umwälzung vollzogen; in der Freiheitslehre Unterströmung, in ihrer ersten Fassung Nebenströmung, wird die positive Philosophie - jetzt Oberströmung auf Kosten der rationalen, der von jetzt an als „negative" Philosophie bloß eine propaedeutische Bedeutung als Unterströmimg zukommt. Gab sich einst die Philosophie der untermenschlichen, nochnicht-rationalen, Natur als Propaedeuse zur rationalen Philosophie, jetzt wird im Menschen die N a t u r in einem „wirklichen" Befreiungsprozeß zu einem M e h r - a l s - R a t i o nalen erhoben. Nimmt es wunder, daß in diesem durchaus religiös gefaßten mythologischen Prozeß die ratio bloß als Fackelträger der „Offenbarung" auftritt ? — Was Schelling u n m i t t e l b a r zu diesem Schritt bewogen hat, ist nicht mit Sicherheit zu sagen; wahrscheinlich aber ist es, daß ihn Strauß dazu gezwungen hat, der positiven Philosophie eine eindeutige Machtstellung auch nach außen hin einzuräumen, um es mit der neuen und gefährlich erfolgreichen Religionsphilosophie jenes Hegel-Schülers aufnehmen zu können; war dies doch ein Hauptgrund für seine Berufung nach Berlin. Wie dem sei, von jetzt an ist die endgültige Zusammenfassung von Schellings vollständigem System in das scholastische Lehrgebäude, das wir im weiteren Sinne die positive Philosophie nennen, grundsätzlich bestimmt. Es besteht aus zwei Teilen, von denen der obere als eigentliche positive Philosophie die Dogmatik enthält, der untere, rationale, bezeichnenderweise an Aristoteles orientiert wird. Daß die rationale Philosophie als Unterströmung Schelling schwere Sorgen bereitet hat, ist bekannt; es ist für einen
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maior domus, nachdem er sich der Krone bemächtigt, keine beneidenswerte Lage, seinen Vorgänger als Privat-Sekretär behalten zu müssen — auch nicht, wenn dessen Arbeitszimmer nach platonisch-aristotelischem Muster vornehm ausgestattet wird. Es ist und bleibt eine Vergewaltigung, wenn die ratio der Dogmatik untergeordnet wird, zumal in einem philosophischen System; und auch diese Vergewaltigung hat sich gerächt. Obige Erörterung ist selbstverständlich bisher bloß eine Hypothese. Den Beweis soll unsere Untersuchung liefern, die also, unter Heranziehung seiner damaligen rationalen Philosophie, einen Vergleich zwischen unserer Handschrift und der Philosophie der Mythologie, wie sie in den W. vorliegt, aufstellen soll; als Problem gefaßt: III. Wie war in bezug auf die Mythologie in der e r s t e n F a s s u n g das V e r h ä l t n i s zwischen r a t i o naler u n d p o s i t i v e r P h i l o s o p h i e , und worin u n t e r s c h e i d e t es sich von der l e t z t e n ? Die Untersuchung dieser Probleme wird das Thema der nächstfolgenden Kapitel sein, jedoch nicht in obiger Anordnung. Daß wir aus methodischen Gründen das dritte Problem in der Untersuchung dem ersten vorangehen lassen, ist klar, weil ja das interne Verhältnis zwischen den beiden Teilen der positiven Philosophie als Teilproblem gegenüber dem Verhältnis der g a n z e n positiven und der rationalen Philosophie sekundär erscheinen muß. Weniger einleuchtend mag es sein, weshalb wir neben diesen beiden rein methodologischen Problemen noch das zweite behandeln, und zwar in Verbindung mit dem dritten. Der Grund ist dieser, daß Schelling immer gesonnen ist, auf weite Kreise, wenn möglich auf die ganze Kulturwelt zu wirken; und dann spielen leicht didaktische Motive mit, welche weniger dazu dienen sollen, das System wissenschaftlich zu begründen, als Anhängern anderer Weltanschauungen den Zugang zu ihm zu erleichtern. Daß diese Neigung, neben ihren didaktischen Vorzügen, auch gewisse Gefahren in sich birgt, wird unsere Untersuchung zeigen.
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DIE P R O B L E M L A G E Wenn Schelling, jetzt am Scheidewege stehend, in die Zukunft blickt, ungewiß, welchen Weg er wählen soll, da muß ihm das unbedingte Bedürfnis aufgekommen sein, sich zu sammeln, indem er seine Vergangenheit sich vergegenwärtigte; denn nur ein Rückblick auf seinen Werdegang konnte ihn dahin orientieren, daß er nicht den falschen Weg sich wähle; und nur Besinnung auf die jetzt erreichten Resultate war imstande, ihm die Richtigkeit des Ausgangspunktes zu sichern. Eine solche propaedeutische Bedeutung kommt den Vorlesungen „Zur Geschichte der neueren Philosophie" zu, die er schon 1822 in Erlangen vorgetragen hat. Unter Betonung des ersten Wörtchens „Zur" bemerken wir, daß sich der betrogen sehen wird, der ein Kompendium der Philosophiegeschichte erwartet. Schelling erblickt in der spezifischen Färbimg jedes Philosophen nur die korrespondierende Farbe im Spektrum des eigenen Systems. So konvergieren alle früheren Philosophen seit Descartes, der ja die Philosophie neu orientiert hat, in seine Naturphilosophie; das betreffende Hauptstück 1 ) dürfen wir nicht unbeachtet lassen, weil es seine jetzige Ansicht dieses Systems enthält, nach deren Schema die Potenzenlehre in der positiven Philosophie zusammengesetzt ist. In der Naturphilosophie — also Schelling — wird nicht mehr, wie in dem, auf Fichte inspirierten T. I., vom „Ich bin", vom reinen Individuum ausgegangen, dem die Aufgabe obliegt, im bewußten Prozeß wieder zu sich zu kommen, nachdem es zuerst, in einem vorbewußten Prozeß seine Welt erschaffend, außer sich gekommen war. Jetzt aber wird vom unendlichen Subjekt ausgegangen, das weder unmittelbar Gewisses ist (Fichte) noch in das Objekt untergehen kann (Spinoza); denn es objektiviert sich, um sich in einer höheren Potenz wieder siegreich als Subjekt zu setzen. So bewegt sich nicht das philosophierende Subjekt2), sondern der Gegenstand selbst (das absolute Subjekt), indem dasjenige, was auf einer früheren Stufe Subjekt war, auf einer höheren Objekt wird (ib. S. 108). Kurz gefaßt: nicht mehr die Tathandlung des Ich, sondern der Gegenstand, die Tatsache des Nicht-Ich bildet den w, I, 10, S. 99—125.
*) Fichte, D.
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Anfang des Naturprozesses: im Grunde ist die Tatsache, weil ja der Grund den Anfang bildet. Nun ist es richtig, daß Schelling wiederholt (am klarsten im „Denkmal Jacobis") diesen Grund als das zwar erste, aber zugleich unterste, keineswegs höchste Prinzip bestimmt; jedoch spielt letzteres leider immer bloß die Rolle des Herrn, als E r den „Prolog im Himmel" ausspricht, und die Führung in Schellings Philosophie praktisch dem „unteren" Prinzip, der Tatsache, überläßt. Fortwährend spielt hier das Erste als bloß „primo loco" Gesetztes die Rolle des Ersten als „vornehmsten". Die Naturphilosophie kann innerhalb ihrer Grenzen diese Grundlage allerdings brauchen; beruht ja die Natur, als Totalität gesehen, auf der Urtatsache, welche den Prozeß der Materie a potentia ad acta enthält — ein Prozeß, der uns seinerseits eben diese Urtatsache in der Mannigfaltigkeit als kosmische Ordnung enthüllt. So bildet die Urtatsache die Grundlage der Schöpfung. Unzutreffend wird sie dagegen, wenn auf das gesamte Gebiet menschlicher Erkenntnis angewandt, und dieser Tatbestand findet sich im I. S. vor; denn hier ergibt sich das Reich der Geschichte als ein mutatis mutandis erhöhtes Reich der Natur, auf dem es als Grundlage, und also mittelbar wieder auf dessen Grundlage, der Urtatsache, beruht. Somit gibt die Tatsache die Norm für die gesamte Philosophie ab, anstatt sich auf die Natur zu beschränken; die Naturphilosophie überschattet das I. S., der Teil überwuchert das Ganze. Der Ursprung dieses Mangels liegt auf der Hand. Bei seiner reichen Begabung ist Schelling (im Gegensatz zu Hegel) formativ zu wenig konzentriert, um sein gesamtes System aus einem Guß a priori zu gestalten. Das Systemprogramm von 1796 wird nicht ausgeführt; es werden immer statt einem einzigen Lehrgebäude einzelne Pavillons im gleichen Stile errichtet, und das jeweils bevorzugte unter diesen als Hauptgebäude gebraucht. Wenn dieser Mangel nicht dem T. I. anhaftet, weil Schelling hier schon die Form des Fichteschen Lehrgebäudes vorfand, in dem Aufbau des I. S. auf sich selber angewiesen, fängt er mit einem Teilproblem, der Naturphilosophie, an, dessen Teilprinzip, die Urtatsache, sich unbemerkt dem gesamten System als Grundlage unter-
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schiebt. Hätte Schelling mit der Grundlegung des gesamten Systems angefangen, und innerhalb dieses Ganzen die Stellung der Naturphilosophie bestimmt; hätte er den Teil als Spezialfall des Ganzen betrachtet, so hätte er das Teilprinzip (die Tatsache) wieder auf das Prinzip des Ganzen (die Tathandlung) zurückführen müssen. Als Fichte-Schüler hätte er dann erkannt, daß die Grundlage für die Naturphilosophie, die Tatsache, erst da ist, wenn sie von einem Ich gesetzt wird (vgl. seine eigene Jugendschrift „Vom Ich als Prinzip der Philosophie"); daß somit der Tatsache als unteres Prinzip die Tathandlung als höchstes vorangeht, nicht nur der Dignität, sondern auch der Logik nach, die ja erst infolge der begründenden Tathandlung den Grund erkennen kann. Es ist dieser schon wiederholt erwähnte Mangel in Schellings Systembildung, die progressive Paralysierung des Ich, die zuletzt seine rationale Philosophie entkräftet. Schon hier, in der Übersicht der Naturphilosophie, zeigt er sich in der Schwierigkeit, den Naturprozeß auch nur gedanklich in Fluß zu bringen; was Schelling im nächsten Kapitel 1 ) Hegel vorwirft: daß er dem Gedanken den Begriff substituiert, der doch nicht in einen Prozeß eintreten kann, trifft auch teilweise ihn selber; ist doch nicht einzusehen, wie sich der Gedanke ohne denkendes Ich bewegen kann. S. Auf diese Einwände würde Schelling uns sicher erwidern, 108 daß sein „Gegenstand" nicht realistisch, sondern als „absolutes Subjekt" zu nehmen ist; ja, daß vor Anfang des Prozesses das „absolute Subjekt" sogar nicht einmal gegenständ100 lieh ist, sondern a l s nichts, obgleich keineswegs nichts. Es sei wie die Anmut, die Unbefangenheit eines Mädchens — wir würden sagen, es sei „von selbst". 101 Wenden wir uns dieser Erörterung zu, so sehen wir, daß der erste Anfang des Prozesses nach Analogie der seelischen Verfassung dieses Mädchens dargestellt wird; so, wie dieses sich die Unbefangenheit anzieht, wenn es sie verliert, so er102 geht es auch dem Unendlichen Subjekt: es zieht sich selbst an, wird sich etwas, d. h. Objekt; nicht mehr unbefangen, empfindet es dieses Sein als etwas Zugezogenes, Zufälliges Dissonierendes, es wird „endlich": A setzt sich als B. Diese ») ib, S. 131.
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Endlichkeit ist jedoch nur da als Mittel, damit A sich als 103 unendlich setzen kann, als lauteres Wesen, frei vom Sein, 104 als A j , das also die höhere Potenz des B gewordenen A ist. A 2 als das Höhere, Begreifende, ist das Ideale, im Gegensatz zu B, dem beschränkten Realen, das die erste Materie ist. Erst im Prozeß wird B die Grundlage zur sinnlich erkennbaren Materie, indem es sich dem idealen Prinzip A 2 als Gegenstand setzt. Auf allen Stufen der Natur findet sich dieser Gegensatz 105 zwischen B und A 2 wieder; dem materiellen, realen Prinzip B gegenüber steht das immaterielle Prinzip A 2 ; dieses ist das Licht, als Begriff der Materie, als Geist in der Naturwelt. 108 So bewegt sich nicht das philosophierende Subjekt 1 ), sondern der Gegenstand selbst (das Absolute Subjekt), indem dasjenige, was auf einer früheren Stufe Subjekt war, auf 109 einer höheren Objekt wird; wozu sich B und A 2 , Materie und Licht, Objekt und Subjekt als Accidenzen, Attribute eines Höheren setzen müssen. Es entsteht ein dynamischer Prozeß, der aber in der anorganischen Natur nicht zu Ende geführt wird, da sich die Materie die Beraubung ihres Selbstseins nicht gefallen läßt. So entstehen verschiedene Stufen (Magnetismus, Elektrizität, Chemismus), in denen die Wirkung des Lichtes A 2 immer größer wird, bis im Organismus 1 1 0 der Zielpunkt im Geist der organischen Natur (Aa) erreicht wird. Auch hier finden sich wieder verschiedene Stufen der i n Lebewesen, auf denen immer mehr die Erhaltung der Form anstatt der Substanz das wesentliche Ziel wird, welches das Ideale und das Reale unter das Leben unterordnet. 112 Am Schluß dieses Prozesses wird auch das relativ subjektive A a objektiv, und zwar im Menschen; hier hat das Subjektive keinen unmittelbaren Bezug mehr auf das jetzt 1 1 3 abgeschlossene, fertige Sein; der Bezug wird ideal im reinen, menschlichen Wissen (A4). H4ff. Hier fängt die ideale Reihe an, sich in der Geschichte stets höher potenzierend, bis zuletzt ein höchstes Subjekt gefordert wird, das nicht mehr Objekt werden kann, hos theos (nicht theos), der Herr des (idealen wie realen) Seins; als Vorsehung in der Geschichte wirkend, manifestiert es sich im Menschen objektiv als Kunst, subjektiv als Religion, subjektiv-objektiv in der Philosophie. 123 Zum Schluß wird die Naturphilosophie als bloß negativ gekennzeichnet: Gott ist bloß als Resultat eines Prozesses ') Fichte.
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124 gefordert. Zwar hätte man das durch die Natur hindurcngehende Subjekt als Gott in seinem Anderssein bestimmen können; aber dann erhebt sich die Schwierigkeit, daß Gott alsdann einem Werden unterworfen wäre, was wohl nicht allgemein einleuchtend wäre: es wäre eine Zeit gewesen, zu 125 der Gott nicht als solcher gewesen wäre — wenn man nicht ein ewiges, d. h. kein Geschehen annehmen wollte.1) Daraus erhellt, daß die ganze Bewegung nur im Bewußtsein stattgefunden habe, und daß eine positive Philosophie gefordert werden soll, welche den Prozeß objektiv-wirklich darstellt. Ein so ausführliches Referat war erforderlich, weil die erste Fassung der Philosophie der Mythologie eine weitgehende Parallele mit Schellings jetziger Auffassung der Naturphilosophie zeigt; formal nach dem gleichen Schema ablaufend, zeigen sie sogar inhaltlich eine starke Verwandtschaft: die Mythologie ist der Naturprozeß der Religion. Eine Verweisung auf die Vorlesungen wäre also für den Leser unbequem gewesen; und dasselbe Argument gilt auch für den „Philosophischen Empirismus", weil Schelling erst hier offen für die Tatsache als Prinzip der Philosophie Stellung nimmt und somit unsere These unterstützt, die einer solchen Hilfe sehr bedurfte; denn gegen die zu Beginn des Referates über die „Geschichte" vorgebrachte Erwiderung hätten wir wenig einzuwenden. Aus dem sehr ausdrücklichen Gegensatz zum T. I. geht hier nur hervor, daß die Tatkraft des setzenden Ich gebrochen ist — keineswegs, daß an seine Stelle schon die Tatsache getreten ist. Das „unendliche. Subjekt" ist ein Zwittergebilde, das keinen Halt bietet; dafür ist auch der Vergleich des Schöpfungsprozesses mit einem Mädchen, das seiner unbefangenen Anmut verlustig geht, in hohem Grade bezeichnend! Um in Schellings mythologischer Sprache zu reden: das alte Prinzip der Tathandlung wird „weich", um dem neuen der Tatsache Platz zu machen. Eine solche Zeit der „Weiche" war die Erlanger Periode, die als Zeitalter der „Urania" in der Entwicklung seiner Religionsphilosophie die Mitte hält zwischen der „Uranos"Periode, in der die „Weltalter" erschienen, und der „Kronos"') Hegel, D.
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Periode, zu welcher schon der „Empirismus" gehört. Daß dieser Vergleich mehr als ein Wortspiel ist, bezeugt schon der uranische, gewaltsam schöpferische Charakter der „Weltalter", wo die Schöpfung nicht zur ruhigen, beharrlichen Tatsache kommen will, wo alles daemonische, bewegte Tathandlung ist; wer diese Arbeit andächtig best, wird ergriffen von der Größe dieses Denkers, der sogar im Versagen eine gewaltige, titanische Kraft entfaltet. Schwer ermüdet vom vergeblichen Ringen, kommt er nach Erlangen — eine glücklichere Wahl konnte er nicht treffen! Wer noch heute dieses stille Städtchen kennenlernt, der liebt es als eine bescheidene Blume, deren unaufdringlicher Duft kein Rauch und Qualm, deren anmutige Schönheit keine modernen „Zierbauten" haben zerstören können. Wie muß da den fein empfindenden Schelling erst die Behaglichkeit der grauen Barockhäuser, in farbigen Gärten eingebettet, wundersam umwoben haben! Im vorväterlichen Fuhrwerk dehnt sich die Gemächlichkeit des ruhigen Landstädtchens; da, plötzlich, schmettern die Töne eines farbenfreudigen Studentenumzugs durch die Luft; wie ein Gewitter bricht die Spannung los, die noch vorher im Hörsaal dieses gärende Geblüt als Schüler fesselte an den verehrten Lehrer. Und dann, den Genius zu ehren, zieht abends, wenn das tolle Blut hat ausgetobt, das stille Licht der Fackel durch die dämmerigen Straßen; sind das nicht ihre Seelen, leuchtend vor Begeisterung, die ihm entgegenschweben? Am nächsten Tage tauchen sie alle wieder auf, Platen und Puchta voran, und sprengen fast den Hörsaal, in dem auch mancher Graukopf, mitunter das Haupt eines Kollegen, zu seinen Füßen sitzt. — Daneben drückt ihn keinerlei Verpflichtung zu akademischer, äußerer Tätigkeit; wenn er diese Ungebundenheit auch nachher als Mangel eines Stachels empfindet, so wirkt sie doch zuerst befreiend; und da auch sein geselliger Verkehr zwar rege, aber keineswegs umfangreich ist, so wird ihm die Erlanger Zeit dahin bedeutsam, daß er die neue, in ihm wachsende Frucht ruhig reifen lassen kann. Sieben Jahre hat die Schwangerschaft der positiven Philosophie gedauert, die er in Erlangen bloß in embryonaler Form vorgetragen hat; als Mutterschoß dient dem werdenden 63
Geisteskinde seine ,,Geschichte", zu dessen Behuf er sein vergangenes System, die Naturphilosophie, als Matrix ummodelt. Es waltet eine weiche, weibliche Wirksamkeit, empfänglich für äußere Eindrücke, die sich als inneres Wachstum verwirklichen. Als aber die Geburtsstunde der positiven Philosophie sich nähert, wird auch das frühere, jetzt als negativ bezeichnete System umgebildet: die Matrix hat ihre Pflicht erfüllt. Indem die Mutter die Führung dem Sohne abtritt, fällt ihr die Aufgabe zu, ihn vor der philosophischen Welt zu legitimieren : es soll ein Prinzip der rationalen Philosophie gesetzt werden, welches Gott als wirklichen Schöpfer, nicht als logische Notwendigkeit fordert. Damit ist der Kampf zwischen Tathandlung und Tatsache, in der „Geschichte" (also zu Anfang der Schwangerschaft) noch unentschieden, zu Ende: als der König Schelling nach München zurückruft, ist die positive Philosophie (deren wichtigsten Teil unsere H. enthält) geboren, und führt Schelling zu deren Legitimierung den „ P h i l o s o p h i s c h e n E m p i r i s m u s " ins Feld, den wir jetzt näher betrachten wollen (W. I, 10, S. 227—286). I. H i s t o r i s c h e E i n l e i t u n g . S. Alle Philosophie soll die ursprüngliche Tatsache, die 227 Weltweisheit, also mehr als die Tatsache der Welt, erklären. 228 Die bisherigen Systeme wählten eine falsche Tatsache oder gingen auf allgemeine Begriffe, ohne Erfahrung, aus. 229 Die Naturphilosophie vermied diesen Fehler, indem sie die Tatsache setzt als das Werden des Objekts B zum Subjekt A; B ist ein überwundenes A, das B immer noch in sich hat und voraussetzt. Sie geht nicht, wie Kant, vom Geist, 230 sondern von der Natur aus 1 ), sie kann jedoch nicht über die reine Tatsache, als etwas zu Unbestimmtes, das zu an232 fechtbaren Schlüssen führen kann, hinaus. 233 Descartes, Malebranche und Berkeley haben nur das Erkennende als seiend gesetzt, und das geht nicht: so wird 234 ein großer Teil der Körperwelt geleugnet. Man soll auch die Tatsache, den nicht erkennenden Teil, als seiend setzen; denn sie ist das ,,me on" (im „Sophistos"), das auch, obgleich ') Man achte auf den Unterschied mit der vorigen Darstellung, in der als Ausgangspunkt das unendliche S u b j e k t , nicht das Subjekt werdende O b j e k t genommen wird.
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236 als Nicht-Sein ein Sein geringerer Art, ist. Das Bestimmende ist Ursache sowohl des Erkennenden wie des Erkennbaren, das sonst grenzenlos wäre; das Erkennende ist der Verstand 1 ), der das Erkennbare, das bloß die F o r m des Verstandes an 237 sich hat, in sich verwandelt. Da Spinoza hiefiir kein Verständnis hat, bleibt sein Dualismus ungelöst. Leibniz faßt 238 cilles bloß geistig, als Monaden; es gibt nur Erkanntes durch die praestabilierte Harmonie. Kant setzt als materia ultima 240 aller Erkennbarkeit das Ding an sich; das ist ungeschickt, denn ein Ding ist erkennbar2). Dennoch sollen die Dinge nicht bloß subjektiv, als Objekt unserer Vorstellung, sondern auch außer uns genommen werden; im Objekt ist schon Subjektives, vor und unabhängig von unserer Vorstellung. Fichte hat dann radikal dieses Erkannte gestrichen. II. D e r P r o z e ß d e s W e r d e n s ( P o t e n z e n l e h r e ) . 241
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Der philosophische Empirismus geht nun, wie die Naturphilosophie, von dem bloß und blind Objektiven (B) aus, das immer mehr A wird. In diesem Prozeß bleibt das Höchste doch B, als A gesetzt, in A verwandeltes B. Zwar geht B in A zugrunde, aber an und vor sich ist und bleibt es B, das blinde, zügellose Sein (apeiron), wogegen A als U r s a c h e der Umwandlung reine Subjektivität ist. Wir haben also zwei t a t s ä c h l i c h e , aber noch unbegriffene Prinzipien gefunden, deren Dualität uns an das System des Pythagoras erinnert, nämlich: 1 das reale Prinzip B, blindes, grenzenloses Sein, dyas, Mutter, „apeiron"; 2 das ideale Prinzip A, Ursache der Begrenzung, monas, Vater, ,,to peräinon". Das erste Prinzip, meistens „aöristas dyas" genannt, ist nicht die Mannigfaltigkeit; diese wird erst durch beide Prinzipien, das weibliche und das männliche, gemeinsam erzeugt. Vielmehr ist sie Empfänglichkeit, Weiblichkeit, eine Unentschiedenheit, die noch immer den unteren Seinsformen (z. B. dem Traum) eigen bleibt, in denen A noch wenig Klärung hervorbrachte. Das objektive Sein heißt „Zweiheit", weil es schon an der Einheit teilnimmt (im Objekt ist schon
*) Verstand im üblichen, transzendentalen Sinn; nicht im transzendenten eines ,,nous" (vgl. S. 234), also als Erkenntnisprinzip der Erscheinungswelt, nicht der Idee. 2) Fichte hatte schon gegen diese falsche Fassung Kants polemisiert; es ist unbegreiflich, daß sein Schüler ihr wieder verfällt.
D e k k e r , Die Riickwenduilg zum Mythos.
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246 Subjektives); denn B ist Materie, hypokeimenon zu A, mit dem es zusammen den Prozeß des Werdens bildet. 247 Enthält dieser Prozeß noch mehr Prinzipien ? J a . B soll als solches nicht sein; und A ist zwar das notwendig Seiende, aber nur, damit es B aufhebt, negiert. Kraft dieses nur negierenden Charakters kann es bloß vermittelnd sein; Ziel und Zweck des Prozesses müssen also in einem dritten 248 Prinzip, im Seinsollenden, enthalten sein. Wenn B Anfang, hypokeimenon, S u b s t a n z , Selbstseiendes, ungeistiges Prinzip war, A Negation des Nicht-sein-Sollenden, U r s a c h e , Selbstsein, das Ungeistige überwindend, so ist das dritte 249 Prinzip S u b s t a n z und U r s a c h e , der werdende Geist. III. Der B e g r i f f G o t t e s als Ursache. (Erste Vorstellung.)
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Bis zu diesem Punkt hat uns auch die Naturphilosophie geführt, und hier blieb sie stecken; denn damit ein Prozeß wirklich entstehe, muß entweder A oder B das Übergewicht haben, und zwar nach obiger Darstellung A. Warum aber soll es eben A sein? Aus ethischen Gründen, weil A dem Guten, B dem Bösen verwandter ist ? Aber das ist menschliehe Setzung! Von sich aus hat B das ältere Recht; es kann ohne A sein, nicht umgekehrt. Vor dem Prozeß fällt B also das Übergewicht zu, erst in dem Prozeß wird es zum „Linken", zum „me on" dem „on" gegenüber, das als ideales Prinzip des Seins das reale Prinzip des Nicht-Seins überwiegt. Wie könnte da A des Prozesses Ursache sein, von der doch gefordert wird, daß sie schon vor dem Prozeß das Übergewicht habe ? Auch intellektuelle Gründe geben keinen Ausschlag. A ist das dem Verstände mehr Zugeneigte. Aber weshalb ist nicht Unvernunft besser? Und wenn Vernunft besser ist, wozu braucht sie einen Prozeß ? Um Zeit zu machen 1 ) ? — Mit der Vernunft ist also nichts anzufangen; sie ist als Denknotwendigkeit allen gemein und für alle gleich, quasi volkstümlich — wie sollte sie da irgendeine Ungleichheit verursachen? Wir brauchen, um ein faktisches Übergewicht darzustellen, eine Ursache kat'exochen, eine causa causarum, wie sie die Pythagoräer annehmen, oder besser noch den „nous", wie Piaton im „Philebos", ihren Fuß-
') Dieser Abschnitt geht natürlich auf Hegel, gegen den die Abhandlung überhaupt polemisch verfährt.
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spuren folgend, dieses vierte Prinzip nennt; auf deutsch „Verstand", aber dann als „wollender Verstand" oder „verständiger Wille". So kommen wir auf dem Wege der wissenschaftlichen Erfahrung — gemeint ist wohl, diese induktive Methode als philosophischen Empirismus vorzutragen, D — zu Gott als der Ursache, welcher wir das Übergewicht des subjektiven Idealen Prinzips A über das objektive Reale Prinzip B zuschreiben. Er ist Ursache des Besseren (Piaton) — nicht des Guten, da alsdann kein Prozeß wäre —, Identität des Subjektiven Begrenzenden und des Objektiven Unbegrenzten, in deren Mitte die Existenz liegt: eine Einheit, die nicht negativ, sondern positiv verstanden werden soll; Er ist deshalb nicht bloß substanziell, weil Er sonst nicht Einheit entgegengesetzter Prinzipien sein könnte. Auch setzt Er das Unbegrenzte nicht als Zweck, sondern als Mittel: Er will eigentlich etwas anderes, nämlich den Zweck. — Die weiteren Ausführungen betreffen das Verhältnis Gottes zu diesem Unbegrenzten. Gott ist die Ursache, die den Prozeß veranlaßt. Seine erste Tat ist, daß Er das Sein als unbegrenzt setzt. Vor dem Prozeß war es also nicht unbegrenzt, sondern begrenzt, und zwar von der Ursache, die es besitzt — nicht durch eine Tat, sondern von Natur, als Herr des Seins, „ho ontoos oon". Gott ist also keineswegs ein schlechthin Absolutes, frei von Beziehung; vielmehr ist Er bloß Beziehimg, bloß für das Volk da, so wie ein Volk nur den Mensehen als Befreier anerkennt, der bloß für es, nicht für sich selbst da ist. Umgekehrt ist das Sein notwendiges Korrelat Gottes. Dieser scheinbare Dualismus wird dadurch aufgehoben, daß Gott als Herr des Seins -j- dem Sein selber wieder das Absolute ist. Die Schwierigkeit liegt nicht auf Seiten Gottes, sondern des Seins — ein Problem, das eine unerquickliche dialektische Erörterung veranlaßt, die wir doch nicht umgehen können, da wir in der positiven Philosophie stetig diesem Problem in immer neuer Gestalt begegnen. Hier ist das ursprüngliche Sein, das „me on", als dyas im höchsten Sinn vorhanden, als Sein-Könnendes, weil es bloß wesentlich Seiendes, also nicht Nicht-sein-Könnendes ist. Dieses lautere Sein-Können, das wir nicht, wie den Herrn des Seins, wissend, sondern gleichsam nicht-wollend setzen, ist seiner Natur nach zweideutig: es kann A bleiben,
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es kann auch zu B übergehen. Dies ist die dyas v o r Anfang des Prozesses; im Prozeß dagegen war die dyas das B, das Unbegrenzte, das entweder B bleiben kann oder sich in A verwandeln, wie wir oben gesehen haben 1 ). Nachdem also der Charakter dieses Sein-Könnenden feststeht, wird es in seinem Bezüge zu Gott als dessen S u b j e k t gesetzt. Da es nicht für sich selbst ist, nur Korrelat, kann es nicht das wissend-Wissende, sondern nur das substanzielle, in Gott verzückte, unbewegliche Wissen Gottes sein; das aktuelle wissend-Wissende wird es erst nach Beendigung des Prozesses, bei seiner Wiederkehr in Gott. Hier dagegen ist es s u b j e k t u m im eigentlichen Sinn. Ja, dieses Sein-Können ist eigentlich schon Sein-Mögen, Macht zum Sein (wie auch „können" gleich „kennen" ist); als substanzielles Sein ist es gleichsam der Zauber, der Gott gefesselt hält und einen Zustand unbewußter Seligkeit darstellt. Es ist also nötig, daß Gott diesen Zauber auflöst und den Menschen in die Unseligkeit des Werdens entläßt, damit dieser wissend, erkennend zu Ihm wiederkehre; am Ende des Prozesses ist der Mensch nicht bloß substanziell erkanntes Sein, sondern wirklich erkennendes Sein: der Schmerz des Nicht-Seins, allen bekannt, wird in das Sein, der Schmerz des Seins, nur wenigen zugänglich, in das Nicht-Sein aufgehoben. — So viel über das von Piaton und Pythagoras schon gekannte Verhältnis Gottes zu Seinen Korrelaten, von welchen Philosophen aber auffälligerweise keine zuverlässige Antwort auf diese Frage zu uns gekommen ist.
Welche Ansichten zeigt jetzt der Prozeß ? Betrachten wir die ursprüngliche Begrenztheit als den negativen (—A), die Unbegrenztheit als den positiven ( + A ) Zustand des Seins, so ist das Sein in seinem Wiedergebracht269 sein ^ A ; und alle drei sind Phasen des A in seiner Indifferenz. 270 P a r a l l e l m i t d i e s e r T r i m o r p h i e g e h t ein P r o z e ß in G o t t . Er ist immer H e r r : zuerst, das Unbegrenzte zu setzen, wodurch Er, in eine zweite Phase übergehend, Herr des Unbegrenzten wird; denn es ist göttliche Art, die Handlung durchzusetzen, nicht sie zurückzunehmen. So ist auch der Übergang zur dritten Phase zweifach; in bezug auf Gott (den eigenen Prozeß): es ist derselbe Gott, der von — A zu ') D a ß die dyas einmal in A, dann wieder in B begründet wird, ist für die ,,Erklärung" des mythologischen Prozesses natürlich sehr bequem, wenn auch der Leser sich schließlich nicht mehr auskennt.
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271 + A , dann von + A zu ¿ A schreitet; in bezug auf das Sein: 272 der A als B setzt, und dann B wieder in A zurückwendet. So werden mit Recht die drei Angesichte Gottes als Ur273 sachen des Seins gesetzt, deren Herrlichkeit erst im Menschen als durchaus gleich und gemeinschaftlich erscheint. Außerhalb der Spannung (im naturwissenschaftlich begriffenen Weltgebäude) ist die Gottheit unfindbar; in der Spannung ist sie so wirklich, daß der Mensch im Gebet sogar Gewalt über sie hat.
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IV. Der B e g r i f f G o t t e s als S u b s t a n z . (Zweite Vorstellung.) Es ist jedoch hinderlich, daß Gott an das Sein, auch an ein mögliches, gebunden sei, es „praeter se" habe; der Rationalismus fordert einen höchsten, absolut selbständigen Begriff. Dieses Problem, dessen Lösung 1827 (erste Fassung) sowohl vom religiösen Gefühl wie von der wissenschaftlichen Einsicht gefordert wird, findet 1835 (letzte Fassung) folgende Lösung. Die Setzung des ersten, begrenzten Seins wird überflüssig, indem Gott sich zum Stoff seines eigenen Wirkens setzt, sich Selbst in Ihm zum blinden Sein B (hypokeimenon) macht. Die drei ursprünglich gesetzten Phasen des (weltliehen) Seins — 1) das blinde Sein B, 2) das dieses blinde Sein Negierende, 3) das als Geist Gesetzte — werden jetzt als Phasen des g ö t t l i c h e n Seins gesetzt. Da also das erste, begrenzte Sein als Korrelatum Gottes eliminiert ist, bleibt der absolute Gott, der aus f r e i e m Willen das Sein setzt; dieser Wille ist nicht transitiv, das Sein außer ihm bewegend, sondern vielmehr immanent, sich selbst bewegend. Diese Vorstellung hat zwei Vorzüge: 1. daß der Wille den Objekten innewohnt, sie teilweise zu Subjekten macht; 2. daß nur ein Wille, als das Widerstehende, auch einer eigentlichen Uberwindung fähig ist. Jedoch, auch die frühere Vorstellung konnte den Prozeß erklären. Wichtiger ist vielmehr, daß hier ein Begriff Gottes •— der S u b s t a n z b e g r i f f — möglich wird, der G o t t über die R e l a t i o n zum S e i n , also über die höchste U r s a c h e e r h e b t , als solche E r als S c h ö p f e r e r s c h e i n t . Keineswegs soll Gott falsch rationalistisch oder theistisch-puristisch gefaßt werden; es würde Ihn aller Macht berauben, wenn Er nichts anfangen, d. h. sich nicht als B setzen könnte. Aber als höchster Begriff, als Substanz b r a u c h t Gott den Prozeß nicht in Bewegung
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zu setzen, ist Er frei von den Potenzen; denn als das B-seinKönnende ist Er noch nicht B, sondern erst das B negierende A, also bloß das wesentlich Sein-Könnende, frei von auch nur möglichen Potenzen. 282 Als zweithöchster Begriff, als Schöpfer dagegen ist Er das wirklich Sein-Könnende, hat Er die Möglichkeiten künftigen Seins schon in sich, ist Er nicht frei vom möglichen Sein. Es muß also der höchste Begriff dahin gesteigert werden, daß Gott erst die Potenzen als möglich, somit sich selber als Schöpfer setzt. Im höchsten Begriff gibt es keine Potenzen, bloß Unterschiede im 286 Sein; die Potenzen sind also e r s c h a f f e n , und zwar kraft des göttlichen Willens, der sie erst t r a n s i t i v , in Relation auf das Werden, als Potenzen im Schöpfer setzt. Die Bedeutung dieser Schrift für das Verständnis der positiven Philosophie kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, da sie die vollständige Entstehungsgeschichte ihres dialektischen Schemas (Potenzenlehre) enthält. Sehr viele, wenn nicht sämtliche dialektische Knäuel werden hier lösbar, indem sie sich als Verschlingungen von Gedankengängen aus verschiedenen Epochen herausstellen. Die verschiedenen Schichten in der Entstehung des positiven Systems liegen hier nebeneinander; sein struktueller Bauplan wird in dessen verschiedenen Phasen sichtbar. Diesen Vorzug verdankt der „Empirismus" seinem ,,Kronos"-Charakter. Wie im Kronoszeitalter der uranische Schöpfungsdrang im Weltbau zur Ruhe kommt, so zeigt sich hier, nachdem die „uranische" Schrift „Die Weltalter" den Impuls zum positiven System gegeben, im „Empirismus" der Bauplan, der freilich alles andere als einheitlich ist. Mindestens zwei Fassungen liegen vor: die älteste von 1827, welche Abschnitt IV 1 ) bloß als Forderung kennt, und die letzte von 1835, welche dieser Forderung Folge leistet 2 ); aber auch in den Einzelheiten scheint manches überarbeitet. Was nicht wundernehmen kann, weil der Zweck dieser Schrift äußerst schwer zu erfüllen war: zu der positiven Philosophie Die Einteilung in vier Abschnitten rührt von mir her, D. *) W. I, 10, S. 274.
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als Grundlage eine rationale Philosophie zu schaffen, die trotzdem selbständig auftreten konnte — ein Versuch, der Schelling in den ersten sieben Jahren seiner Münchener Professur beschäftigt hat. Es war der erste und der letzte Versuch ; denn in den gedruckten Werken erscheint die rationale Philosophie — das nicht sehr wichtige Bruchstück „Darstellung des Naturprozesses" und kleinere Abhandlungen abgerechnet — in bloß untergeordneter Stellung als Einleitung zum positiven System. Um einen schnellen Einblick in irgendeine Arbeit Schellings zu gewinnen, ist es oft sehr förderlich, sich nach der Flagge umzusehen, welche die Ladung deckt. In diesem Falle segelt Schelling unter der Flagge des Pythagoras (Piaton erscheint nur als „Pythagoräer"), und das ist höchst bedeutsam. Wir haben schon dargetan, wie ein Hang zum Irrationalen, das ja der Wirklichkeit als Faktor unentbehrlich ist, Schelling immer mehr kennzeichnet. In der Freiheitslehre sich Boehme als Führer anvertrauend, wirft er einen tiefen Blick in diese wunderbare Welt; und wenn auch nachher ihm die Theosophie als philosophisch unzureichend erscheint, so gibt sie doch den Grundton für seine weitere Entwicklung ab. Dann führt ihn seine philosophische Entwicklung, von seinen seelischen Erfahrungen seit Carolinens Tod gefördert, von der Theosophie auf die Mythologie: was bei Boehme als ungeschichtliches, ewiges Geschehen erscheint, ereignet sich hier als Vergangenheit der Menschheit, in welcher der unbewußte Naturprozeß in Fluß gerät. Es eröffnen sich unerhörte Möglichkeiten, und trotzdem schaudert Schelling; denn nicht ohne den Ariadnefaden der rationalen Philosophie wagt er sich in das Labyrinth des Mythos hinein. Zwar scheint alles gesichert. Der i n d u k t i v gewonnene Faden kann, wenn in umgekehrter Richtung abgerollt, einen tüchtigen Leitfaden zum d e d u k t i v gemeinten positiven System bilden1), das dem Labyrinth der Mythologie zugrunde liegt; aber was gewährt ihm, daß er von Ariadne herrührt? Diese Gewähr bietet nur ein Faden, der zum Labyrinth paßt, m. a. W. ') Wenn v. Hartmann (Das philosophische Dreigestirn, S. 674 (f.) die Anwendung der deduktiven Methode tadelt, verkennt er sowohl den aesthetischen Reiz wie den praktischen Nutzen dieser Ausbilanzierung.
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ein rationales System, das den Grundplan des mythologischen Weltbildes aufdeckt; und wo konnte da Schelling besser anknüpfen als bei Pythagoras? Beide Denker stehen auf der Grenzscheide zweier Weltanschauungen — der mythologischen und der wissenschaftlichen — aber wie verschieden! — Pythagoras ist der Magier, der das Zeitalter der Mythologie mit dem Schlüssel der mathematischen Zahl abschließt; mit demselben Schlüssel also, der seinen Nachfolgern das Reich der (rationalen) Philosophie aufschließen wird. Schelling dagegen fühlt sich als den Vollender eben dieser Philosophie; und nach dem Prototyp des Pythagoras beschafft er sich einen Schlüssel, der ihm das Reich des Mythos aufschließen soll. Er ist der Romantiker, den die Sehnsucht nach der Wirklichkeit zu den Tiefen des mythischen Lebens lockt; nicht aber, um es im verschleierten Lichte des Märchens zu durchwandern, sondern um es mit dem Sonnenglanz der idealistischen Philosophie zu durchleuchten. Hatte Pythagoras dieses Reich des Mythos verschlossen, Schelling schließt es wieder auf. Er will in der Wirklichkeit tiefsten Grund hinabsteigen, wo die „Mütter" walten; somit wird ihm das weibliche Prinzip, die dyas, zum Leitmotiv; nicht, wie bei Pythagoras, die übergeschlechtliche monas. Ja, wie schon diese Setzung unpythagoräisch ist, so werden auch alle andern Begriffe des Pythagoras so vollständig umgewertet, daß nicht einmal, wie man erwarten könnte, von einem umgekehrten Pythagoräismus die Rede ist: der Ariadnefaden stellt sich als zu kurz heraus und muß, wiederholt vielleicht, mit einem Faden anderer Beschaffenheit verlängert werden, was seine Zuverlässigkeit nicht vergrößert. Infolgedessen klingt der „Empirismus" wie eine groteske Komposition, die nur dann verständlich wird, wenn man das Leitmotiv kennt. Schon zu Beginn der H i s t o r i s c h e n E i n l e i t u n g (Abschnitt I) klingt es ganz wie die Forderung eines ionischen Naturphilosophen der mythologischen, vorsokratischen Zeit an, wenn Schelling behauptet: „Alle Philosophie soll die ursprüngliche Tatsache (archee)1), die Weltweisheit (sophia)1), also mehr als die Tatsache der Welt (physis)1) erklären (S. 227). Befremdlich ist dieser Vorgang nicht: Schelling will *) Eingefügt.
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ja hinter Pythagoras zurück, er will, wie die Ionier das Reich des Mythos durchschauen, in dem die Tatsache sowohl erstes wie oberstes religiös-philosophisches Prinzip war. Bei diesen alten „sophoi", mit denen der Naturphilosoph Schelling sich innerlich verwandt fühlt, war die Tatsache keineswegs ein abstractum im wissenschaftlichen oder ein Gegenstand der Erkenntnis im kritisch-philosophischen Sinn; vielmehr war sie Tatsache in der dynamischen Bedeutung einer Sache, die tut, einer wirkenden causa: die mythologische Tatsache ist magisch gewertet: sie ist „dynamis", d. h. m a c h t v o l l e Möglichkeit; und das Ideal der Naturphilosophen ist, sie mittels Erkenntnis auch magisch bestimmen zu können. Mit Hilfe dieser These, deren Richtigkeit später erwiesen werden soll, wollen wir uns den Empirismus näher ansehen. In der Historischen Einleitung tritt die Tatsache noch bescheiden auf, und zwar als Objekt (B), das zum Subjekt (A) wird; gegen das Subjekt ist es das Überwundene (S. 229), das ,,me on", also ein Sein geringerer Art; so galt es in der Naturphilosophie, die noch Rücksicht auf die idealistischen Systeme nahm. Dann kommt in Abschnitt II, „Der Prozeß des Werdens (Potenzenlehre), der eigentliche Empirismus zu Worte, in dem sich B schon stärker behauptet: es ist das unabhängige, bloß und blind objektive, das zügellose Sein (ap6iron), das zwar im Prozeß zugrunde geht, weil es sich in A verwandelt, aber immer das höchste bleibt, nämlich B, als A gesetzt, in A verwandeltes B (S. 241). Stehen hier die zwei Prinzipien gleichberechtigt nebeneinander, so ist noch wichtiger, daß A als subjektives Prinzip keineswegs als „Ich", sondern auch als Tatsache, nämlich als Ursache begriffen wird (S. 242). Die subjektive Ursache A und die objektive Tatsache B stehen sich hier als zwei tatsächliche Prinzipien gegenüber, zu deren Erklärung er auf Pythagoras zurückgreifen muß (S. 243); daß hier die Zweiheit (dyas) als Tatsache, als erstes Prinzip, der Einsheit (monas) als Ursache vorangeht, ist auch schon bezeichnend. Allerdings erfolgt in der Ausführung dieses Prozesses ein Rückschlag, indem die These der Naturphilosophie jetzt im 73
pythagoräischen Sinn wiederholt wird. A als Einheit ist, wenn nicht das erste, dennoch das höhere, geistige, männliche Prinzip der weiblichen Zweiheit B als Mannigfaltigkeit gegenüber; B erscheint als Anfang, hypokeimenon, Substanz zugleich als das erste und als das niedere Prinzip. Jedoch, A zeigt eine bedenkliche Schwäche: daß es bloß das zweite, B negierende Prinzip ist, und deshalb niemals Ziel und Zweck des Prozesses sein kann. Das niedrigere Prinzip B zeigt sich doch als substanzieller, kräftiger, und das höhere Prinzip A als das „sekundäre". Ein drittes Prinzip, Substanz und Ursache zugleich, scheint erforderlich, um den Prozeß nicht stocken zu lassen — es ist der „werdende Geist". (S. 244-249) *). Es ist für das geistige Prinzip ein wahres Glück, daß „ D e r B e g r i f f G o t t e s " (Abschnitt III) sich zu ihm schlägt, denn seine Sache stand schwach. Von sich aus hat B das ältere Recht als das primäre Prinzip, das ohne das sekundäre Prinzip A sein kann — nicht umgekehrt. Vor dem Prozeß fiel ihm also das Übergewicht zu; und in dem Prozeß wird es zwar von A als das Linke, das „me on", negiert — aber hat A das Recht dazu; weshalb ist nicht Unvernunft besser ? (S. 249—253.) Hier stößt Schelling auf den glücklichen Fund, den Willen Gottes eingreifen zu lassen, und zwar als den platonischen „nous", als den verständigen Willen oder den wollenden Verstand*), läßt aber in der Entwicklung dieses Gedankens den ganzen Vorteil wieder verloren gehen. In seiner Besorgnis, Gott „um Gottes Willen" nicht von der „Welt" zu trennen, kommt er auf einen unglückseligen Einfall: da die erste Tat Gottes die Setzung des unbegrenzten Seins war, war das Sein vorher nicht unbegrenzt, sondern begrenzt. (S. 259.) Gott ist Herr dieses Seins, nicht durch Tat (Setzung), sondern von Natur; Er ist gar nicht das schlechthin Absolute, sondern nur in Beziehung auf — und für das Sein da. (S. 260.) ') In der positiven Philosophie erscheint dieses Prinzip als C oder A,. *) Daß dieses Verfahren mit Empirie nichts zu tun hat, braucht keines Beweises: aus Denknotwendigkeiten kann niemals induktiv anf eine absolute Wirklichkeit geschlossen werden. In verdeckter Form kehrt hier der von Schelling oft gerügte Beweis Gottes wieder.
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Hier, vor Anfang des Schöpfungsprozesses, herrscht Gott als Herr des von Ihm begrenzten Seins. Was diese Begrenzung bedeutet, wird jedoch nicht klar. 1. Einmal wird das begrenzte Sein als lauter wesentlich (d. h. denknotwendig) Sein-Könnendes, als substanzielles Sein, aufgefaßt; eine höchste dyas, welche, mit ausgesprochen negativen Vorsätzen versehen, als völlige Hingabe, als Verzücktheit in Gott, als unbewegliches mystisches Wissen dargestellt wird, dessen negativer Charakter darin gipfelt, daß es zum Schluß als „subjektum" im eigentlichen Sinn, als Unterworfenes gesetzt wird. (S. 262—264.) Wer erkennt darin nicht den Nachklang von Boehmes Theosophie1), wie auch den Prototyp zu einer Schilderung des Goldenen Zeitalters? 2. Dann wieder erhebt sich das lautere Sein-Können ganz positiv als Sein-Mögen, Macht zum Sein, als Kennen (Erkenntnis ist Macht). Es ist wieder substanzielles Sein, aber jetzt positiv betont: es ist gleichsam der Zauber, der Gott gefesselt hält, den Gott nicht loswerden kann, ohne die Menschheit, freilich zu ihrem endgültigen Wohl, in die Unseligkeit zu stoßen. (S. 265—266.) Dieser logisch unlösbare Widerspruch gleicht sich aber aus, wenn wir dieses begrenzte Sein, dieses lautere SeinKönnen, bestimmen als das Urbewußtsein des Menschen, einmal in seiner paradiesisch-mystischen (1), dann wieder in seiner mythologischen (2) Phase2); eine Unterscheidung, die noch immer zur Herleltung der Mythologie aus einem früheren Zeitalter maßgebend sein kann. Hier wollen wir nur in Betracht ziehen, daß beide Phasen vorwissenschaftlich sind, und dann ergibt sich aus deren gesamter Darstellung zweierlei: a) Es ist psychologisch ersichtlich, daß Schelling, indem er aus dem unbewußten Seelenleben den in jedem Menschen schlummernden Mythos hervorruft, auch ältere Saiten mitklingen. In diesem Sinne ist auch der Titel „Empirismus" vollberechtigt, denn es ist innere Erfahrung, die ihn wieder zum Urquell des Bewußtseins hinführt, dessen historische ') Vgl. „Geschichte", W. I, 10, S. 186, wo die Theosophie als Rückkehr zum Lebensquell beschrieben wird. *) Vgl. S. 273, wo der Mensch im Gebet sogar Gewalt über die Gottheit hat.
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Entwicklung er also in umgekehrter Richtung aufdeckt. Hier liegt auch das Fazit seiner Philosophie der Mythologie: daß sie an „Echtheit" fast alle, wenn nicht sämtliche anderen Untersuchungen über Mythologie übertrifft, weil ihr Verfasser nicht äußerlich an den Mythos herantritt, sondern ihn innerlich durchschaut. Um so bedauerlicher ist es, daß hier ein Mangel seiner gesamten Religionsphilosophie besonders störend hervortritt; denn b) wird parallel zu dieser Trimorphie des Weltwerdens, dem Seinsprozeß, ein Prozeß in Gott gesetzt, und zwar mit neuen Vorzeichen für die verschiedenen Phasen, nämlich: Im Seinsprozeß war die praemythologische Phase mit A, die mythologische mit B, ihre Aufhebung mit dem erhöhten A bezeichnet, das B in sich aufgenommen hat. Im Gottesprozeß (Theogonie) dagegen heißt die praemythologische Phase —A, die mythologische + A , die Aufhebung ± A (S. 270 -273)1). Weshalb hier zweierlei Schemata? Wenn mit Seinsprozeß bloß die Schöpfung der Natur gemeint wäre, so bliebe der Sinn verborgen; denn die Philosophie der N a t u r fordert eine solche Unterscheidung nicht. Jetzt aber geht Schelling über diese hinaus, indem er den gleichen Prozeß ebenfalls als theogonischen Prozeß im Bewußtsein des Menschen setzen will, und hier droht eine Gefahr. Was bürgt mir, daß diesem bloß denknotwendigen Prozeß im menschlichen Bewußtsein auch ein wirklicher Vorgang entspricht ?• Eine solche Garantie kann nur Gott selber geben — so überlegt Schelling sich (wie einst Descartes in bezug auf die Natur); nur Gott selber kann garantieren, daß Seiner Erzeugung im Bewußtsein Wirklichkeit entspricht, nämlich indem Er sich wirklich, unabhängig vom Bewußtsein erzeugt. Wie bedenkliche Folgen dieser Parallelismus zeitigt, leuchtet sofort ein. Daß Gott handgreiflich anthropomorph wird, könnte noch mit in Kauf genommen werden, wenn nur das Ziel erreicht würde; aber das ist gar nicht der Fall! *) Daß Schelling in seiner letzten Fassung — in den W. — beide Bezeichnungsreihen neben- und durcheinander verwendet, bildet dort für die Lektüre eine große Schwierigkeit, deren Auflösung nur an dieser Stelle zu finden ist.
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Außer auf dem Wege der Mystik, den Schelling jetzt ausdrücklich ablehnt, kennen wir Gott nur mittels des Bewußtseins — auch und erst recht, wenn wir Ihn nach Analogie menschlicher Bewußtseinsvorgänge in einen theogonischen Prozeß eingehen lassen. Wie soll der wirkliche Gott für den denknotwendigen bürgen, da er doch selbst als eine Denknotwendigkeit in Schellings Bewußtsein gesetzt wird? Wenn jede Tat ihren Schatten wirft, so gilt vom Fehlschlag, daß er nichts als Schatten wirft. Auch hier. Schelling grübelt darüber, daß Gott als Herr des Seins an dieses „begrenzte Ursein" gebunden ist; ist denn Gott hiernach nicht frei? Hier rächt sich die anthropomorphe Setzung Gottes; denn was beim Menschen vollständig zutrifft, ist in bezug auf Gott unzulässig. Der Mensch als „Herr seiner Welt" ist an sie gebunden — darin liegt ja der Grund seiner Begrenzung als endliches Wesen. Da nun Schelling diese Erwägung auf Gott überträgt und einen solchen Gott selbstverständlich nicht als den höchsten anerkennen kann, sucht er einen anderen, höheren Begriff Gottes, der den jetzt gewonnenen unter sich befaßt; und diese Grübeleien führen ihn auf den „ B e g r i f f G o t t e s a l s S u b s t a n z " (Abschnitt IV). Diese Vorstellung zeigt nun wirklich den Vorzug, die Dualität zwischen Gott und Ursein aufzuheben; letzteres wird eliminiert, indem Gott aus freiem Willen das Sein in Ihm setzt (S. 277). Gott ist hier absolut frei, sogar von den Potenzen als Möglichkeiten des Seins: Er b r a u c h t den Prozeß nicht zu setzen. Es scheint, als ob hier als h ö c h s t e s Prinzip doch wieder das göttliche Ich, somit die Tathandlung als Seine freie Willenstat erscheint, mit dem Er als z w e i t h ö c h s t e s Prinzip den Schöpfer setzt, als welcher Er nicht frei vom möglichen Sein ist (S. 282—286). In Wahrheit ist es ein letzter, verzweifelter Versuch der rationalen Philosophie, das Ich als Prinzip zu handhaben — vergebens ! Die Wertungen der positiven Philosophie haben diesen höchsten Begriff schon zersetzt, indem sie ihn als das bloß wes e n t l i c h Seinkönnende dem Schöpfer als dem w i r k l i c h Seinkönnenden gegenüberstellen (S. 281—282). Es ist der letzte Versuch der Tathandlung, sich über die Tatsache zu stellen; noch einmal erhebt sich Schellings idealistische Ver77
gangenheit. Dann sinkt er in das Reich des Mythos hinab, wo die Tatsache höchstes, wie erstes Prinzip, „archee" im eigentlichen Sinne ist. Hier gilt Wirklichkeit, nicht bloß denknotwendige Wesentlichkeit; hier kann sich das höhere Prinzip des Ich nicht durchsetzen, weil das niedere, aber ältere Prinzip der Tatsache ihm an Kraft überlegen ist. J a , es scheint, als sei diese Erhebung nur dazu eingeführt, damit der Fall um so tiefer sei1). Es mußte so kommen; das zeigen schon die ersten Seiten dieses Abschnittes, in welchem Gott als höchster Begriff sich nicht als Schöpfer setzt, sondern unmittelbar als blindes Sein B, als hypokeimenon; der höchste Begriff setzt sich als den untersten, als die Grundlage, die Substanz. Es kommt hier gar nicht auf die Freiheit der Tathandlung an — das ist nur als Beschwichtigimg von Schellings philosophischem Gewissen dienlich —, sondern auf die Legitimierung der ersten Tatsache. Früher, zur Zeit des T. I., hätte er diesen höchsten Gottesbegriff als „absolutes Subjekt" bestimmt; das war damals möglich, als ihm „Subjekt" mit „geistiges Prinzip" gleichbedeutend war. Auch jetzt noch wird das ideale Prinzip als das höhere anerkannt, sowohl in bezug auf den Seinsprozeß wie auf Gott. Im Seinsprozeß hat das ideale, subjektive Prinzip als „monas", Einsheit, Anspruch auf die höchste Stellung; sowie auch der ideale Gottesbegriff der Substanz höher geschätzt wird als der reale des Schöpfers. Es ist aber ein Recht, dem keine Macht entspricht. Die Macht hegt schon beim realen Prinzip, das allmählich das ideale stürzen wird, indem es sowohl das einst so mächtige Subjekt, wie auch die jetzt als höchster Gottesbegriff noch so hoch geehrte Substanz zu seinem hypokeimenon herabdrückt. Das Subjekt wird zum „subjektum", zum Unterworfenen dem Objekt gegenüber erniedrigt; das Objekt dagegen zum Prinzip der höchsten Wirklichkeit erhoben, die als allmächtige, oberste Tatsache die magische Macht zum obersten Sein verkörpert. Obgleich schon im „Empirismus" prinzipiell zugunsten des realen Prinzips entschieden, ist der Streit bei Vollendung dieser Schrift (1835) noch keineswegs zu Ende; daß er bei ») Vgl. S. 82 f f .
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Schellings Tod noch nicht zum endgültigen und vollkommenen Sieg dieses Prinzips geführt hat, beweisen seine nachgelassenen Werke. Ein vollkommener Sieg des realen Prinzips hätte zu einem rein magischen Realismus führen müssen, und dem widersetzte sich sowohl Schellings religiöse Natur wie seine idealistische Vergangenheit1). Auch der vom mythischen Objekt ergriffene Schelling konnte nicht verkennen, daß, wenn Idealität ohne Realität, Recht ohne Macht leer ist, Realität ohne Idealität blind ist; daß also eine qualitative Potenzierung des blinden, realen Prinzips B nur durch die befreiende Wirkung des geistigen, idealen Prinzips A möglich war. Das ganze Arsenal seiner Dialektik hat Schelling daran verpulvert, diesen Streit zur Entscheidung zu bringen, der ja mit dialektischen Mitteln gar nicht entschieden werden kann. Denn, falls nur diese zur Verfügung stehen, muß jedes Prinzip schon etwas vom anderen in sich haben, soll der Prozeß überhaupt in Fluß geraten: das ideale Prinzip muß schon etwas vom Willen in sich haben, will es auf das reale wirken; und das reale schon etwas vom Geist, will es sich dieser Wirkung zugänglich erweisen. Um die Bedeutung dieses Problems zu würdigen, wollen wir den Standpunkt betrachten, den Schelling inmitten der damaligen philosophischen Strömungen allmählich gewonnen hatte, und zwar in bezug auf das allen nachkantischen Philosophen gemeinsame ontologische Problem: „Ist Wirklichkeit restlos philosophisch erfaßbar?" Es ist unverkennbar, daß dieses Problem als eine Sandbank im idealistischen Fahrwasser erscheint. Fichte vermeidet sie, indem er die Wirklichkeit als das Resultat der Tathandlungen des Ich setzt — wenn er auch später stutzig wird, ob die Tatsache, als „Nicht-Ich", wirklich so „nichtig" sei; Hegel hebt die Wirklichkeit in den Prozeß der Selbstver') Das verkennt v. Hartmann, wenn er, theoretisch folgerichtig, einen ungeteilten, induktiven Realismus im Sinne seines eigenen Systems als Konsequenz der positiven Philosophie fordert. (Das philosophische Dreigestim, S. 674 ff.) Ihm war der Weg zu einem solchen Realismus durch seinen klaren, eindringlichen, seine Dispositionen so übersichtlich ordnenden Blick gebahnt; um so mehr, als sich weder Hemmungen religiöser oder idealistischer Art, noch Gefahren magischer Herkunft auf diesem Weg einstellten.
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wirklichung des Geistes auf. Beide suchen die Lösung einseitig auf Seiten des idealen Prinzips; beide stattliche Schiffe fahren auf der wohlerprobten idealistischen Seite an der Sandbank vorbei. Nur ein Kaperschiff, wie Schopenhauer, nimmt die andere, realistische Seite; dieser „fliegende Holländer" unter den Philosophen faßt die Wirklichkeit als den Willen im dunklen Drang zum Dasein; nur selten — man weiß kaum woher — durchbricht der Sonnenstrahl der Idee ganz herrlich die schweren Wolken seiner düstern Welt. Von einer Lösung, wie sie Fichte und Hegel wenigstens formell durchführen, ist hier kaum die Rede. Schelling dagegen, angezogen von theosophischen Tauchbooten, wie Baader und Görres, die von manchem Wunder der Tiefsee zu erzählen wissen, dagegen nichts von einer Sandbank, wagt sich in seiner Freiheitslehre näher heran, worauf ein kleines Boot in heftige Erregung gerät. Es ist das Lichtschiff der Sandbank, das sich bei jedem Sturm unbändig bewegt, ohne jedoch vom Fleck zu kommen, und den Namen Jacobi trägt. Das eigene Licht seiner Laterne ist schwach, aber die großen Schiffe bemerken beim Vorüberfahren mit Genugtuung, wie sauber sich ihr eigenes Bild in den Scheiben dieser Laterne spiegelt; und so ist das nette, nützliche Schiff sehr beliebt1). Nur Eines kann er nicht ertragen: daß man der Sandbank, die seinen „Glauben" enthält, zu nahe kommt, wie jetzt Schelling; da wird Jacobi nervös, und darob Schelling grob, und rammt das arme, zartgebaute Boot ganz ungebührlich. Nachher mag er die in seinem „Denkmal Jacobis" entfesselte Grausamkeit bedauert haben; jedenfalls setzt er ihm posthum im letzten Kapitel seiner „Geschichte" ein viel gerechteres Denkmal. Hier erscheint Jacobi in einem grellen, allzu grellen Gegensatz zu der Theosophie Boehmes. Wenn diese irrtümlich meine, objektiv gültige Erkenntnis der göttlichen Wirklichkeitswelt unter Verzicht auf die rationale Form erwerben zu können, so bringe sie doch wenigstens aus ') Daß sie eigenes Licht ausstrahlt, hat Schmid in seinem ausgezeichneten Buch „Fr. H. Jacobi" gezeigt; der Untertitel „Eine Darstellung seiner Persönlichkeit und seiner Philosophie als Beitrag zu einer Geschichte des modernen Wertproblems" könnte nicht besser gewählt sein.
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der Tiefe, der Urquelle des Lebens substanzielles, potenzielles Wissen mit, dem nur die Aktualisierung durch die Form gebricht, um mitteilbar zu sein. Jedoch, anstatt über das Geschaute zu s c h w e i g e n , v e r k ü n d e der Theosoph, aber mühsam, unverständlich — ein Beweis, daß er in einem gefühlsmäßigen Prozeß begriffen ist, der chaotisch alle früheren Momente enthält; er ist nicht Herr des Gegenstandes, sondern der Gegenstand selbst 1 ). Selten ist feinsinniger über das Verfahren der Theosophen geurteilt, wie in diesen wenigen Seiten; aber die Einwände gelten nicht so sehr gegen die Theosophie wie gegen die Theosophen, weil sie meistens meinen, philosophischer Orientierung entbehren zu können. Zwar steigt der theosophische Taucher in die untersten Schichten des unterbewußten Seelenlebens hinab, um dort verschollene Schätze aus mythologischer und praemythologischer Zeit zu entdecken; jedoch, anstatt unter fortwährender Verwendung seiner kritischen Meßinstrumente nach dem philosophischen Kompaß zu fahren, vergafft er sich in der Anschauung dieser Tiefseewunder, so daß er sich nachher über die Beziehungen beider Welten keine Rechenschaft mehr geben kann2). Gegenüber diesen Allwissenden stellt sich nun Jacobi als den grundsätzlich Unwissenden, jedoch nur in bezug auf die Wirklichkeit, deren Tor er schärfer als ein Cerberus überwacht, es zugunsten des Glaubens mit tabu belegend: :zu diesen Gefilden kann sich die Philosophie nicht heranwagen, weil sie nicht über die Denknotwendigkeit der transzendentalen Erkenntnis im Sinne Kants hinauskommt. Wenn auch Schelling und Jacobi beide von der Dualität von Denknotwendigkeit und Wirklichkeit ausgehen, beide auch die Wirklichkeit als das eigentlich einzig Wertvolle betrachten, so gähnt doch eine breite Kluft zwischen ihnen, sobald es auf die Rolle der Philosophie ankommt. Jacobi untersagt ihr den Zutritt in dieses Reich des unmittelbaren, überphilosophischen Glaubenswissens; da jedoch seine erbaulichen ") W. I , 10, S. 1 8 3 — 1 8 8 . 2 ) Mißlich wird es allerdings, wenn diese Anschauungen von unverständlichem Sinn zu nur allzuverständlichem Unsinn herunterpotenziert werden — ein in unseren Tagen leider nicht ungewöhnlicher Vorgang! Dckker, Die Rückwendunz zum Mythos.
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Vorstellungen trotz eines gewissen mystischen Zusatzes zu leer sind, um es zu erfüllen, schleicht sich dennoch gelegentlich die Philosophie in ontologisch-scholastischer Gestalt wieder ein. Schellings gemeinsamer Ausgangspunkt mit Jacobi, in der Freiheitslehre noch verdeckt, tritt in der positiven Philosophie klar hervor, und zwar aus beider seelischem Bedürfnis, in der Wirklichkeit einen festen Punkt für ihre Weltanschauung zu finden — ein Bedürfnis, das jedoch Quellen sehr verschiedener Art entspringt. Jacobi findet nirgends Sicherheit hienieden; auch die Philosophie gipfelt, wenn sie über Denknotwendigkeiten hinaus will, in einer Sehnsucht nach dem Unerreichlichen, die nur der Glaube befriedigen kann. So bilde die Philosophie höchstens die Grundlage zu dem Prozeß der Theomorphie, den der Glaube vollendet, indem er die Philosophie an den transzendenten Haken des Glaubenswissens befestigt. Schelling dagegen ist der festen Zuversicht, daß die Wirklichkeit restlos philosophisch erfaßbar ist, wenn auch nur mit den Mitteln der positiven Philosophie. Aber hat diese wirklich neue Mittel zur Verfügung? Freilich, der große Scheinwerfer, mit dem das stattliche Schiff seiner Philosophie den Horizont abzusuchen pflegte, ist jetzt mit einer der Theosophie entnommenen Vorrichtung ausgestattet, die ihm ermöglicht, seine Strahlen auch in die Meerestiefe zu werfen. So gerüstet, steuert das Schiff voll froher Zuversicht auf die „Sandbank" zu, vorläufig mit gutem Erfolg: die Sandbank war nur für die idealistische, nicht für die positive Philosophie als Hemmnis da. Dann aber stellen sich die Enttäuschungen ein. Das Schiff ringt sich nur schwer durch, erschöpft sich im Kampf mit einer widerstrebenden Materie; und wenn der Scheinwerfer seine Strahlen in die Tiefe wirft, stößt er auf eine unerwartete Welt, der unterseeischen Pflanzenwelt nicht unähnlich, die westlich Afrikas die hereingeratenen Fahrzeuge in ihren Bewegungen hemmt. Verhängnisvoller ist, daß außerdem der Scheinwerfer versagt : das dialektische Licht der Potenzenlehre kann die Welt des Mythos nicht durchleuchten, die dem Gesetz der Tatsache, nicht der Tathandlung unterliegt.
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Fast vierzig Jahre lang hat dieser Kampf gedauert; um die Mitte dieser Epoche fällt die Entscheidung zu Schellings letzter, lange vorbereiteter Wandlung, welche dem Prinzip der Tatsache zum endgültigen Siege verhilft. Das Verhängnis hat sich vollzogen. Schelling hat sich damit abgefunden, das Prinzip seiner eigenen philosophischen Vergangenheit, das tatkräftige Ich, aufzugeben und als oberstes Prinzip seiner Philosophie die Tatsache anzunehmen, damit er das Reich des Mythos von dessen eigenen Grundlagen aus verstehe1). Dieser Tatbestand, an manchen Stellen ersichtlich, kommt wohl nirgends praegnanter zum Ausdruck als am Schluß der „rein rationalen" Einleitung2). Es ist die Götterdämmerung der rationalen Philosophie, die letzten Endes doch versage; denn weder in der von ihr begründeten noetischen Erkenntnis, noch in der ihr kongenialen Berührung mit Gott in der Idee (mystische Frömmigkeit, Kunst, dianoetisches Wissen) fühle sich die Seele dauernd befriedigt. Am Ende dieser Odyssee ergreife die Seele eine Sehnsucht nach dem Heim, nach der Versöhnung mit Gott, die nur die positive Philosophie gewähren könne, da sie den wirklichen, nicht den bloß ideellen Gott setze (ib. S. 564—566). Und es dringt wie ein Schrei aus Schellings Brust: *) Als diese Arbeit bereits vollendet war, fiel dem Verfasser die von dem Links-Hegelianer Riedel verfaßte anonyme Broschüre „Von Schellings religionsgeschichtlicher Ansicht; nach Briefen aus München" in die Hände (vgl. Fischer, S. 261, idem Anhang S. 847). Sie enthält u. a. einen Artikel aus der ebenfalls von Riedel redigierten Zeitschrift „Das Atheneum" (1841, Nr. 29), aus dem ich folgendes zitiere, zum Beweise, daß die Verehrung des alten Schelling für die Tatsache schon damals aufgefallen ist (S. X L I V ) : „ J e t z t dagegen im Alter erscheint Schelling, den Gegenständen gegenüber, in unterwürfiger Stellung, die Gegenstände imponieren ihm, er nimmt sie ehrerbietig auf, wie sie ihm von der Erfahrung und Geschichte in mehr oder weniger zufälliger Form geboten werden; die Visionen der intellektuellen Anschauung sind nicht mehr der Inhalt, der Orakelton nicht mehr der Ton des Schellingschen Philosophierens; die philosophische Tätigkeit hat den Schein der Selbständigkeit verloren, die Macht der Gegenstände tritt vielmehr mit überwiegender Auctorität auf; was wahr sein soll, steht jetzt für Schelling von Hause aus unabänderlich fest; seine Philosophie wagt nicht, eine absolute Selbständigkeit, gegenüber der durch Acutorität festgestellten Wahrheit, zu erstreben, sie hat zu derselben — wie im Mittelalter die scholastische Philosophie — nur das Verhältnis einer Dienenden." *) W. II, 1, S. 552 ff.
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„ I h n , Ihn will es haben, den Gott, der handelt, bei dem eine Vorsehung ist, der als ein selbst t a t s ä c h l i c h e r dem T a t s ä c h l i c h e n des A b f a l l s e n t g e g e n t r e t e n k a n n , kurz, der der Herr des Seins ist 1 )." Hier zerbricht das leidenschaftliche religiöse Verlangen Schellings die formale Hülle und springt der magische Charakter dieses „wirklichen" Gottes scharf hervor. Gegenüber dem Abfall als einer Sache, die tut, wird jetzt Gott aufgerufen als eine andere Sache, die tut, nämlich erstere vernichtet; das sei die Handlung des Gottes, bei dem eine Vorsehung ist, nämlich das unvordenkliche Wissen und Wollen der endlichen Erlösung des Menschen. Jedoch, eine Sache kann ohne weiteres nichts „ t u n " ; dazu muß etwas Dynamisches in ihr sein, das sie beherrscht: Gott ist H e r r des Seins! Der Dualismus, der dadurch entsteht, daß Gott zugleich Tatsache und Herr der Tatsache (des Seins) ist, soll darin seine Lösung finden, daß Gott als Herr des Seins + dem Sein selber wieder das Absolute ist; Zitat aus dem „Empirismus", der auch hier wieder den Schlüssel abgibt 2 ). Es war der Begriff Gottes als Ursache (erste Vorstellung), von dem dort die Rede war und dessen magischer Charakter schon dadurch angedeutet war, daß der Mensch im Gebet sogar Macht über ihn hat 3 ). Ja, das Wort „Ursache" selbst weist auf magische Zusammenhänge hin: Gott war Herr des „begrenzten Urseins", also einer echten „Ur-Sache" und zugleich, laut Bestimmung, die „Ursache" selbst; Gott projiziert sich als Objekt und beherrscht es. Ob Schelling eingesehen, daß er hier knapp am Abgrund einer theurgischen Gottesauffassung stand? Er scheint hier (vgl. S. 75) zwischen mystischer und magischer Auffassung zu schwanken; seine Einsicht, daß die Bindung Gottes an das Sein, und zwar so, daß Er bloß für das Sein da sei4), für Seine Majestät nicht ohne Gefahr sei, trieb ihn jedenfalls zum späteren Gottesbegriff (als Substanz) — ein Ansatz, der bekanntlich völlig unfruchtbar blieb8). ') Majuskeldruck von Schelling — bei ihm sehr selten. W. I, 10, S. 262. ») Ib. S. 273. 4) Ib. S. 261. 6) Für diesen Rekurs vgl. das Referat über den,,Empirismus", S. 6 9 - 70. s)
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So wurde in den W. nur die magische Gottesvorstellung festgelegt, zu der jedoch sowohl der Magier, wie die magische Formel fehlt. Um Schelling gerecht zu werden, ist übrigens hervorzuheben, daß er die Potenzenlehre als magische Formel nur im philosophischen, nicht im theurgischen Sinne gemeint hat. Aber auch philosophisch verfehlt sie ihren Zweck. Denn erstens. Schelling tritt gar nicht voraussetzungslos an den Mythos heran, um ihn von seiner Eigengesetzlichkeit aus zu verstehen, sondern zwingt ihm sein dialektisches Schema auf, in der falschen Voraussetzung, daß ein geschichtlicher Prozeß wie der mythologische nach Analogie eines metalogischen Prozesses wie die Potenzenlehre verstanden werden kann; sogar bei der damaligen Kenntnis des Mythos mußte sich diese Methode als ein Prokrustesbett erweisen. Zweifellos hat er sich andachtsvoll in diese jetzt im menschlichen Gemüt verschollene Welt des Mythos versenkt; daß ihm die dialektischen Lichtbündel seines Scheinwerfers von dieser Welt ein Zerrbild vorzauberten, rührt daher, daß er sich von den formalen Voraussetzungen des deutschen Idealismus nicht lossagen konnte. Umgekehrt hat Schelling diese falsche Bindung durch eine Verdrängung des höchsten idealistischen Prinzips, des tatkräftigen Ich, zu kompensieren versucht, und infolgedessen auf den Gebrauch des eigenen Kompasses verzichtet. Daß er dennoch im Dämmerlichte dieser Welt die Richtimg nicht verliert, verdankt er seiner genialen Intuition, welche ihm die aufsteigenden Stufen der Helligkeit als eine fortschreitende Entschleierung zeigt, die in der Offenbarung Christi ihre Ruhe findet. Jedoch, um welchen Preis! Auch die Philosophie der Offenbarung muß es erleiden, daß dem Christentum der falsche Stempel der „Tatsache" aufgedrückt wird, und ihm die befreiende Wirkung genommen, welche es der Menschheit ermöglichte, dem Träger der von Pythagoras geahnten, von Piaton geforderten freien philosophischen Wissenschaft, dem absoluten Ich, freie Bahn zu gewähren. Zum philosophischen Gralskönig erkoren, hat Schelling das reine Ich naturhaft an die Tatsache gebunden, und siecht jetzt, wie Amphortas, dahin, den Gralsbecher der Offen85
barung inmitten des mythischen Zauberwaldes hütend. Nur ein Parzival unter den Philosophen kann ihn erlösen; nur ein Denker, der ein reines Ich als Gottesfunken in sich trägt, darf sich furchtlos in den Zauberwald des Mythos versenken, ohne Gefahr, sich zu verlieren. Der Weisheit Krone winkt ihm, weil er das Gral seiner Bürde als magischer Tatsache enthebt; denn nur die freie Persönlichkeit kann das Gral so emporheben, daß die Handlung aus einer magischen Beschwörung der daemonischen Natur zu einer freien Tathandlung göttlicher Magie erhoben wird.
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III. DIE A N W E N D U N G AUF DIE HANDSCHRIFT
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DIE E I N S C H Ä T Z U N G DER P H I L O S O P H I E A. C h a r a k t e r und U r s p r u n g d e r M y t h o l o g i e . Wenn wir nun dazu übergehen, methodisch den sachlichen Inhalt der gedruckten Fassung (in den W.) mit der unserer H. zu vergleichen, so müssen uns zunächst die geringen Unterschiede enttäuschen; und wo sie da sind, ist meistens nur von einem Mangel auf Seiten der H. die Rede. Nur in bezug auf die historisch-kritische Einleitung fällt ein erheblicher Unterschied in der Anordnung auf: die allgemeine Begründung der Mythologie als geeigneter Gegenstand der Philosophie wird in der H. nicht, wie in den W., den kritischen Betrachtungen der andern, fachwissenschaftlichen Erklärungsweisen nachgeschickt, sondern geht ihnen voran. Ein solcher Unterschied wäre allerdings bedeutungslos, wenn es sich bloß um die Anordnung handelte; aber es wird sich zeigen, daß er einen sehr wichtigen Umschwung in Schellings Einstellung zum Verhältnis zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften darstellt. Hier droht jedoch eine Gefahr. Wir wollen untersuchen, ob die in den vorhergehenden Hauptstücken aufgestellte These in der Vergleichung zwischen H. und W. bestätigt wird, und da ist es leicht möglich, die jetzt aufgefundenen Unterschiede im Sinne unserer These umzudeuten. Um diese Klippe zu vermeiden, wollen wir also zunächst das Ergebnis unserer vorhergehenden Untersuchungen beiseiteschieben, und vielmehr versuchen, den Unterschied in der Einstellung Schellings zu dieser grundsätzlichen Frage aus Verschiedenheiten in der Grundstimmung zwischen den beiden Fassungen der historisch-kritischen Einleitung zu verstehen. Mit diesem schwierigen, mühseligen Unternehmen wird sich dieses Kapitel befassen; von den hier gewonnenen Ergebnissen heraus wird das folgende Kapitel dann versuchen, die Bedeutung der Wandlung in Schellings Einstellung für die gesamte Philo-
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sophie der Mythologie festzustellen, und zwar mittels einer Prüfung unserer These an jenen Ergebnissen. Nachdem also in der H. — im Gegensatz zu den W. — die Mythologie auf dem direkten, erkenntniskritischen Wege als Gegenstand der philosophischen Betrachtung erkannt worden ist (hiervon später), wird zur indirekten Methode fortgeschritten, also zur historischen Kritik der anderen Erklärungsversuche. Eine prinzipielle Begründung der Berechtigung zu einer solchen Kritik, wie sie in den W. vorliegt1), fehlt, ist auch wohl überflüssig, da ja nach unserer H. der philosophische Standpunkt der höchste ist, nicht eine „Ansicht" wie die anderen2), und also von vornherein die Philosophie als deren Richter auftreten darf und soll. Auf den sachlichen Gang der Untersuchung, die es vorderhand einmal mit der Antithese: Historische „Wahrheit" und „Dichtung" versucht8), haben diese Unterschiede allerdings keinen Einfluß. Wie aber beide Untersuchungen sachlich auch übereinstimmen mögen, von einer eigentlichen Übereinstimmung ist nicht im geringsten die Rede, denn die S t i m m u n g ist in beiden grundverschieden. Wenn sich die Historisch-kritische Einleitung in den W. durch eine milde Ausgleichung kennzeichnet, hier, in der H. bricht der tatkräftige Kämpfer in voller Kraft hervor, bewegt, leidenschaftlich fast4). Wie ein Wirbelwind muß es durch seine Hörer gefahren sein, sie oft verwirrend, so daß ein anständiges Diktat wohl fast unerreichlich scheint. Nur ein aufnahmefähiger, Schelling kongenialer Geist könnte hier eine auch nur einigermaßen befriedigende Wiedergabe der Münchener Vorlesungen geschaffen haben, und das war der Ur•) W. II. I, s. 9. ) Vgl. W. II, i, S. 9') W. II, i, S. 8—10. •) Wie stark Schelling in diesen Jahren gewirkt hat, beweist u. a. die Tatsache, daß ein Mann wie Chr. H. Weiße von Schellings Vorrede zu einer Schrift Cousins so sehr beeindrückt ist, daß er diese bloß programmatische „Vorrede" nicht nur ausführlich rezensiert, sondern sich auch weitgehend von ihr beeinflussen läßt (vgl. Kurt Leese, Philosophie und Theologie im Spätidealismus, Berlin 1929). — Auch I. H. Fichte steht unter dem Einfluß Schellings. 2
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heber unserer Handschrift nur in beschränktem Maße. Bei solchen leidenschaftlichen Ausbrüchen Schellings versagt er vollkommen, und es erscheint bloß ein Trümmerhaufen halb verstandener Sätze, der nur in der Negativität der Zerstörung die Spuren des rhetorischen Sturmes trägt. Nur an wenigen Stellen gelingt es ihm, einen leisen Widerhall von des Meisters innerlich bewegter Rhetorik zu retten, so wenn er von dem (fingierten) Erzähler spricht, der uns die Mythologie als historisch wahr und wirklich darstellen sollte: Dieselbe Absicht, die Mythologie für wahr und wirklich auszugeben, können wir dem, der sie zuerst vortrug, wenn wir uns anders einen solchen denken wollen, nicht zutrauen; denn erstlich erscheint es uns unmöglich, daß er selbst sie für wahr gehalten habe, sonst müßte er ein Wahnsinniger und Verrückter gewesen seyn; aber zweitens, wie hätte sich eine solche Meinung unter alle Völker verbreiten können; und drittens, wenn wir auch einen solchen Zufall von Wahnsinn und Verrücktheit annehmen, wie hätte sich dieser Zufall bei allen Völkern wiederholen können? — Also der erste Erzähler konnte selbst von der objektiven Wahrheit seiner Erzählung nicht überzeugt seyn, er konnte also auch andere nicht überzeugen; denn um ein geschichtliches Faktum zu beweisen, muß man entweder selbst dabei gewesen seyn oder gewisse Zeugnisse davon haben; und doch sind alle mythologischen Erscheinungen Ereignisse geschichtlicher Art. Selbst also, wenn man die ersten Anstifter für Betrüger halten wollte, was doch gewiß das Äußerste ist, so kann man nicht einsehen, wie sie einen solchen Betrug hätten durchsetzen können. Wenn man also den Mythen keine Realität zuschreiben kann, und auch die ersten Erzähler ihnen dies selber nicht zuschrieben, so scheint es uns, als wenn sie gleich anfangs nur als eine reine Dichtimg betrachtet worden wären, um sich an ihnen zu ergötzen, nicht um sie als wahr zu glauben. (H. 12.) Das muß ein mächtiger Wutausbruch gegen das selbstgeschaffene Phantasiegebilde des armen Geschichtserzählers gewesen sein, der entweder verrückt und wahnsinnig oder ein Betrüger gescholten wird, außerdem ohnmächtig, seinen Irrsinn oder Betrug bei dem Volke durchzusetzen. So schwer hatten es sogar Hegel und seine „Seiden" nicht zu leiden; ja, die Wut des heldenmütigen Don Quichote auf die Windmühlen
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könnte dem Schelüng'schen Furor gegenüber fast in einem milden Licht erscheinen. Zur Frage, ob M y t h o l o g i e D i c h t u n g sei, wird bemerkt : Auf den ersten Blick hat diese Ansicht das Empfehlende, daß sie uns der Nothwendigkeit, einen vernünftigen Sinn darin zu finden, überhebt. Hier gilt das Wort des Horaz, der vielleicht gerade in Hinsicht der Mythologie sagte, daß Künstlern und Dichtern allezeit alles erlaubt gewesen; und man kann nicht leugnen, daß z. B. in Homers Dichtungen die poetische Bedeutung allein vorherrsche, obgleich selbst das Alterthum sie allegorisierte, was wohl jetzt keinem mehr einfallen wird. Wäre nun die Mythologie nur poetische Erfindung, so müßte sie analog jenen Dichtungen betrachtet werden, die überhaupt Begebenheiten zu ihrem Gegenstande haben, und dann wären die Mythologieen epische Gedichte, und zwar das Urepos überhaupt. (H. 12—13.) Die letzten Worte decken einen Mangel in der Beweisführung auf, da hier, scheinbar ganz grundlos, die Beschränkungen „episch" und „Urepos" eingeführt werden; dennoch auch nur scheinbar, wie die Verweisung auf Homer beweist. Ein Blick auf den vorigen Abschnitt zeigt schon, daß bei der Frage, ob die Mythologie „wahr" sei, eigentlich gemeint wird, ob sie ein geschichtlich bewährtes Faktum sei; und da kann als Gegensatz nur die „geschichtliche" Poesie, also das Epos dienen. Hätte Schelling seine Frage nach der Wahrheit in der Mythologie nicht auf das Geschichtliche beschränkt, so hätte er sie mindestens dahin ausdehnen müssen, ob vielleicht die Mythologie das „Urdrama" gewesen sein könnte; eine Frage, deren kritische Erörterung für die Beziehungen der Mythologie zur Tragödie einerseits, zu den Mysterien andererseits sehr fruchtbar hätte sein können. So dramatisch bewegt Schellings eigenes Leben auch war, eine solche Fragestellung kommt ihm nicht in den Sinn, denn die zwei Grundkomponenten seiner Philosophie sind ihr nicht günstig: die Romantik verhüllt alles Dramatische in den Schleier des transzendent Idealischen, die idealistische Philosophie löst jeden Widerspruch dialektisch auf.
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In den W. wird alsdann über die Poesie ziemlich rasch zur Tagesordnung übergegangen; die H. nimmt sie ernster. Nacheinander wird sie auf die zwei Momente der Mythologie, Götterlehre und Göttergeschichte, geprüft: Ich habe gezeigt, wie man die rein poetische Erklärung darstellen müsse, um ihr wenigstens einen Schein von Wahrheit zu geben; aber wenn man tiefer eingeht, so läßt sich dieser Schein durchaus nicht behaupten. Wir haben aber ein doppeltes Moment: i. Das Polytheistische und 2. das Geschichtliche gefunden. Nun frägt es sich, ob das polytheistische Moment, die Vorstellung von Göttern oder göttlichen Wesen überhaupt eine rein poetische Erfindung sey, oder ob diese göttlichen Wesen schon vorhanden waren und die Poesie, die Geschichte sie nur entwickelt und ausgeschmückt habe; ob man ihr also das polytheistische oder das geschichtliche Moment vorbehalten müsse ? Was den ersten Fall betrifft, hinsichtlich des polytheistischen Moments, wird behauptet, daß die Vorstellung von Göttern überhaupt nur eine Erfindung sey, und soll dieß der Fall seyn, so muß ein früherer Zustand des Menschengeschlechtes angenommen werden, wo dieß nichts von Göttern wußte; dieß kann nun wieder auf zweierlei Art gedacht werden: 1. Daß die Menschen nichts von Göttern gewußt hätten, wohl aber von Gott, wobei denn der Polytheismus nur eine Degeneration der reinen Vorstellung, nur eine Entstellung der früheren, bessern Lehre gewesen wäre, und es müßten sich dann doch Spuren einer bessern Lehre finden. Dann könnte man nicht jede Spur von Wahrheit aus der Mythologie ausschließen. Oder diese Ansicht müßte, um sich consequent zu bleiben, annehmen, 2. daß es vor Erfindung der Poesie keine Spur von einer Vorstellung von Gott oder Göttern gegeben habe, also ein reiner, absoluter Atheismus gewesen sey; nicht Atheismus als Gottesleugnen genommen, denn dieß setzt schon den Begriff „Gott" voraus, sondern selbst als den Gedanken und die Vorstellung von Gott ausschließend. (H. 14—15.) Jetzt treten die wilden s ü d a m e r i k a n i s c h e n H o r d e n Azaras auf, wie in den W., aber dort viel später (W. 2, i , S. 72); und beide Male anläßlich der Theorie von J . H. Voß, daß die Menschheit, ursprünglich in dumpfer Tierheit der wahren Ursachen der Naturerscheinungen unkundig, sich
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aus Furcht und Schrecken dunkle Wahnvorstellungen gebildet habe; aus welchen sie dann von Dichtern erlöst worden sei, welche diese Wahnbilder in ergötzliche Götterfabeln umgewandelt hätten (W. 2, i , S. 69—70). Wird aber in den W. die Voß'sche Theorie als eine „noch nicht wirklich" religiöse Deutung gefaßt, die H. sieht in ihr eine „poetische", und mit besserem Recht: es geht ein Übergang von Wahnvorstellungen über Naturerscheinungen in Götterfabeln vor, und zwar durch Vermittlung von Dichtern, nicht von Priestern: Poesie, nicht Religion ist die erlösende Macht. In der H. wird dann noch hinzugefügt (vgl. W. II, 1 , S. 72): Wenn aber aus solcher Wildheit die Dichter hervorgehen, warum sehen wir denn nicht bei jenen Amerikanern, die gerade in diesem Zustande sind, die Dichter erscheinen? Nicht nur das, warum finden wir sie in einem Zustande, der sie dieses Überganges ganz unfähig macht ? — Man könnte sagen: Nicht alle Menschen und Völker sind von Natur so poetisch; zu diesem poetischen Charakter ist ein gewisses Klima, eine gewisse körperliche Constitution, ein großer Wechsel äußerer Erscheinungen erforderlich, was nicht bei allen der Fall ist. Wenn dieß wäre, dann müßten wohl alle mythologischen Völker besonders poetisch seyn; aber wir finden außer den wirklich poetischen Hellenen wohl auch Babylonier, Ägypter, Phönizier und Karthager, Etrusker, wo dieß wohl nicht der Fall sein würde. Das einzige mythologische Volk, das eine reiche Poesie hat, sind neben den Griechen die Indier, aber eben darum sind wir genötigt, die Indier den Griechen an die Seite zu stellen. (H. 15—16.) Was Schelling wohl bewogen haben mag, die Voß'sche Theorie nachher unter die „religiösen" aufzunehmen? Die Vermutung liegt nahe, daß es die immer fortschreitende Verlegung des Schwerpunktes seiner Philosophie aus der Kunst in die Religion war. Alle schweren Probleme werden in das Gebiet der Religion verlegt, und die griechische Kunst wird zum Lustgarten dieses „heiteren Volkes der Hellenen", wie es uns bei Homer erscheint 1 ), als gäbe es keine Tragik in
») w. II, 1, s. 71. 94
ihr, wie es doch die Schwermut Hesiods und Pindars, und erst recht die Tragiker, ja, gelegentlich sogar Homer, ganz anders bezeugen. Wir wollen aber auf dieses Problem nicht weiter eingehen, da es später in einem allgemeinen Zusammenhang wieder zur Sprache kommt, und wenden uns wieder der H. zu, welche mit der gleichen Begründung als in den W. 1 ) zum Schluß die Dichtung als Grund des polytheistischen Momentes (Götterlehre) zurückweist. Es gilt also, das Recht der Dichtung als Grund des zweiten, geschichtlichen Momentes (Göttergeschichte) zu betrachten. Wesentliche Unterschiede mit der Behandlung in den W. (II, i, S. 17—25) sind nicht vorhanden; nur ist zu bemerken, daß Schelling hier auch Hesiod noch, wie Homer, für eine ganze Gattung von Dichtern hält. Genau wie in den W. werden jetzt nach Verneinung der „dichterischen" die „ a l l e g o r i s c h e n " Erklärungen untersucht1). Zwar werden in der H. die dichterischen als die „ideellen", die allegorischen als die „reellen" Deutungen bezeichnet, welche letzteren dann wieder in die historischen und die physikalischen zerfallen; aber diese Bezeichnungen, die wie Nachklänge aus Schellings T. I. anmuten, ändern den Gang der Untersuchung nicht. Zu bemerken ist nur, daß Schelling hier irrigerweise die menschlichen Angelegenheiten nach der epikureischen Ansicht durch Schicksal regieren läßt, nicht, wie in den W., durch Zufall 3 ). Jetzt wird zu den p h y s i k a l i s c h e n Deutungen fortgeschritten, deren Vorzüge vor den historischen folgendermaßen angedeutet werden: Mit vergötterten Menschen verhält es sich anders als mit den vergötterten Naturkräften, die bloß personifiziert werden dürfen; denn der Mensch weiß nicht, woher sie kommen. Die Menschen bleiben doch immer nur Menschen, und ') II. 1, S. 70—71 und 18. «) W. II, 1, S. 26—30. *) W. II, 1, S. 27.
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jeder hat den Maaßstab von Seines Gleichen in sich selbst, nicht aber in den Naturkräften, die etwas Geheimnisvolles haben; daher die Alten mehr auf die Stimme des Donners, den Vogelflug, achteten, als auf den Rath der Weisen1). Die Naturkräfte haben etwas Außermenschliches, und wenn sie personifiziert werden, sind sie schon Götter; aber einen Menschen zu vergöttern ist unglaublich. (H. 20.) Unter den „speziellen" Deutungen8) findet sich auch die in den W. als zweite Abstufung der historischen Deutungen erwähnte Theorie einer P e r s o n i f i z i e r u n g s i t t l i c h e r B e g r i f f e 8 ) , deren Grund ihm p o l i t i s c h e r Art scheint. Es ist sehr leicht, den einmal vorhandenen Vorstellungen einen Sinn zu geben, und es ist wohl kein Sinn, der nicht einen gewissen Schein für sich hat. Nimmt man einmal einen sensum improprium an, dann ist schwerer zu sagen, was die Vorstellung nicht bedeutet, als was sie bedeutet; wie es gewiß namentlich bei den Griechen der Fall ist. Jeder glaubt das zu sehen, was ihm am nächsten ist; denn Britten, denen die gewaltigen Revolutionen im Kopfe stecken, sehen nur Erinnerungen an solche politische und wohl auch moralische Begebenheiten in der Mythologie, wie der große Baco v. V. sie moralisch und politisch erklärt, was wir aber kaum für mehr als ein Spiel seines Witzes halten können. Sein Büchlein könnte uns veranlassen, eine dritte Abteilung der Erklärung zu machen, nämlich eine moralische. Wie weit ist die moralische Erklärung von der physischen entfernt, und doch konnte ein Geist wie Baco sie wahrscheinlich machen. (H. 20—21.) Die in der H. fehlende Pointe gegen die Jesuiten hat Schelling wohl dazu veranlaßt, in den W. diese Deutung zwar nicht zu einer dritten zu erheben, aber sie doch als selbständige Abstufung in die „historischen" Deutungen aufzunehmen. Die Kritik der „ p h y s i k a l i s c h e n " Theorien der Philologen Heyne und Herrmann gibt uns wenig Stoff zu Verglei') w . 11, 1, s. 76. «) w . II, 1, s. 27. *) w. II, 1, s. 28.
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chungen. Die W. sind nur klarer und ausführlicher, ausgenommen die Bestimmung, Hesiod selber sei der von Herrmann fingierte Philosoph, welche die H. mit diesen Worten aufführt: Wir haben es freilich nicht so, wie es aus Hesiods Munde gekommen; weit entfernt, daß die Theogonie der älteste entstellte Grundtext sei, ist sie vielmehr das erste freie Erzeugniß der schon fertigen, sich zum Gegenstand wendenden, sich selbst zu begreifen anfangenden Mythologie. Offenbar ist im Hesiod der Moment überwunden, wo die Mythologie sich selbst unbegreiflich ist; die „Theogonie" bezeichnet dadurch einen bedeutenden Moment der Mythologie, und dadurch verdient sie den hohen Rang, den ihr Herodot neben Homer einräumt. Diese „Theogonie" ist also nicht, wie Herrmann meinte, eine Philosophie, woraus die Mythologie hervorgegangen ist, sondern umgekehrt fing man da schon an, über die Mythologie zu philosophieren, und gerade solche Ansichten über die Mythologie sind die jüngsten. (H.25.) Nur mit wenigen Worten sei noch erwähnt, daß die H. einen Ansatz zu einer besseren Würdigung der Herrmannschen Theorie enthält, die in den W. fehlt, nämlich: Obgleich dies wunderlich erscheint, so beruht doch Herrmanns Ansicht auf einzelnen wirklich philosophischen Wahrnehmungen. Er fand nämlich, daß die verschiedenen Namen der Götter in Hesiods Theogonie alle bedeutende Appellativa waren, und es fand sich bald näher, bald bei tieferer Forschung, daß alle Namen von Kräften der Naturerscheinungen entnommen sind, und daß, wenn wir das Ganze für Göttergeschichte halten, es uns ganz unverständlich wird, sonst aber ein einleuchtendes System gewährt. (H. 23.) Und in der Tat: der nüchterne Herrmann ahnt in seiner freilich gezwungenen Etymologie den Sinn des Anfangs der „Theogonie" als die von Hesiod kaum noch verstandene Schöpfung der Erscheinungswelt aus dem Chaos. Wie kommt es aber, daß der ungleich tiefere Schelling den Sinn nicht eindringlicher faßt und immer von „ K r ä f t e n der Naturerscheinungen" redet, wo er „Kosmogonische Mächte" sagen sollte ? Und daß er, diese Mächte übersehend, in seiner Ph. d. M. bei Uranos und Gäa anfangend, sofort zu Kronos und Rhea übergeht ? Hier rächt sich wohl der Dialektiker am D e k k e r , Die R ü c k w e n d u n g zum M y t h o s .
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ehemaligen Theosophen, der sicher den Vorgang der Schöpfung der „Theogonie" besser verstanden hätte; und je mehr sich Schelling die Unerschöpflichkeit des mythologischen Stoffs überwältigend entgegenstellt, um so starrer wird das dialektische System der Potenzen, in dem für diese aus dem „Grunde in Gott" aufkommenden schöpferischen Mächte kein Platz mehr ist. In der H. bleibt es bei einem erfolglosen Ansatz, in den W. unterbleibt auch dieser. Dieser Ansatz ist um so merkwürdiger, als die Polemik in den W. sonst viel milder ist, was wohl auf die allgemeine Milderung von Schellings Polemik bei fortschreitendem Alter zurückzuführen ist. Die größere Schärfe der Polemik ist auffallend, wenn man mit den W. (II, i , S. 36—37 u. 39) folgenden Abschnitt aus der H. vergleicht: Bis jetzt kennen wir aber nur die erste Hälfte unseres Weges; alles ist bloß frei wissenschaftliche Darstellung, alles ist bloß im Kopfe der Erfinder oder eines Erfinders sich befindende Vorstellung. Wir haben noch keine Götter; es frägt sich, wie diese wissenschaftlichen gelehrten Vorstellungen allgemeiner Volksglaube wurden, wie aus diesen wissenschaftlich gemeinten Darstellungen ein Götterglaube werden konnte ? Und dieser zweite Teil ist der schwerste. Herrmann hält ihn nicht für schwer, er sagt: Es war wohl natürlich, daß der erste Erfinder jene Wissenschaft nicht für sich behielt, sondern sie mittheilen wollte. Dazu gehörte vor allem, daß sie ihm selbst genügte, was mir freilich unbegreiflich ist. Es ist ja nichts da, als Elemente, Kräfte der Natur mit ihren wissenschaftlichen Namen bezeichnet und dadurch personificiert. Solche natürliche Entdeckungen mitzutheilen, ist wohl natürlich; aber wie jemand sich darauf etwas zu gute thun kann, ist nicht zu begreifen. Ists denn eine wissenschaftliche Darstellung, wenn man abstrakten Begriffen Personennamen gibt? Das thut ja auch der Bauer bei uns; er merkt, daß der Wind bläst, und nennt ihn St. Blasius; hat er deswegen wissenschaftlich den Wind erkannt? Wenn der Bauer die fallende Sucht von dem hl. Valentin ableitet, so kann dies doch für keine wissenschaftliche Begründung der *) In W. II, 1, S. 36 ist dieser Vergleich mit dem Bauer in einen Gegensatz verkehrt: die Herrmannschen Philosophen personifizieren nicht bloß, sie allegorisieren auch, daher auch seine Methode jetzt „allegorisch" heißt, nicht „reell".
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fallenden Sucht gelten1) ? H e r r m a n n meint, das Große der Entwicklung zeige sich nicht so im Einzelnen, sondern im ganzen Zusammenhange, und nun findet er in der Theogonie einen so schönen Zusammenhang, ein solches Meisterstück, nicht für leere Begriffe und Hypothesen, sondern für eine auf lange Erfahrungen und Berechnungen gegründete Theorie, eine hohe Weisheit, ein tiefes Wissen und Erkennen der Natur. Mögen auch diese hyperbolischen Ausdrücke ein wenig zu hoch angeschlagen seyn, so wären sie doch noch zu gering auf Newtons Prinzipien; denn im Anfang der Theogonie finde ich nichts als die ersten Vorstellungen des unwissenden Verstandes. Denn was ist wohl natürlicher, als daß der unwissende Kopf zuerst den leeren Raum setzt, diesen mit Materie anfüllt, diese sich bewegen läßt. Es werden also nur Begriffe aufgezählt, wie es ein unwissender Kopf thut; es ist ein bloßer unreeller Zusammenhang; von einem reellen Zusammenhang ist keine Spur. Liegt dieser vielleicht in der Vermählung des Erebos mit der Gäa (Nyx); doch was ist da für ein reeller Zusammenhang, wenn der Untere sich senkt und oben heitres Wetter wird? Ebenso ists mit den übrigen tiefen Erkenntnissen, die H e r r m a n n in den einzelnen Mythen findet, z. B. die Wahrheit, daß das Samenkorn zuerst in die Erde müsse, um Frucht zu bringen, die er in der Mythe des Raubes der Proserpina durch Pluto, der aber dann unaufhörlich rauben müßte, oder die Entstehung des Weines, die er in der Geburt des Bacchus aus der Semele findet — sind Einsichten, die jeder umsonst bekömmt, aber gewiß nicht wissenschaftlich sind. Dann fährt H e r r m a n n fort: Hat sich nun der Dichter darin gefallen, so sang er sein Gedicht, ohne daß er es für nötig hielt, die personificierende Methode zu erklären; er durfte voraussetzen, daß seine Zuhörer den Witz verständen (wozu freilich nicht viel gehörte); doch durfte er auch den Gelehrten zutrauen, daß sie die Kenntnisse für sich behielten; die Unkundigen dann halten die Sache für Götter: das Volk fasse die bloßen Bilder auf. Die personificierten Kräfte sind nun durchaus Götter, und auf die einfachste Weise, durch den natürlichsten Mißverstand, wie H e r r m a n n meint (aber eigentlich durch eine Reihe von Zufällen, z. B. der Gedankenentwicklung — der Form der Gedanken — des allgemeinen Mißverständnisses) entsteht der Götterglaube, der als ein großes schweres Verhängnis über der Menschheit durch Jahrtausende ruht. (H. 26—28.)
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Nachdem alsdann die Sage der Io (in den W. erst I I , i , S. 82 aufgeführt) herangezogen ist, schreibt Schelling den Hauptfehler der Herrmannschen wie jeder ihr ähnlichen E r klärung daran zu, daß sie die Mythologie als eine Erfindung einzelner betrachte, und greift also voraus auf die Schlußbetrachtung, welche in den W. erst I I , 1 , S. 55, 58 vorkommt. Im Anschluß an die in den W. II, 1 , S. 40—41 vorkommenden Betrachtungen schließt er dann: Hiemit schließt und krönt Herrmann seine Theorie. Also die Vorstellung von Göttern war schon vorhanden, und die Philosophie wollte nichts durch die Erfindung der Mythologie, als den Götterglauben ausmerzen. Aber wenn die Vorstellung von Göttern schon vorhanden war, und jene Erfinder sie vernichten wollten, so konnten sie es nicht auf diese Art, sondern sie hätten polemisch verfahren müssen. Das Ungereimte der bisherigen Erklärungsweise leuchtet hieraus völlig ein. Eine so löbliche Absicht, den Götterglauben vernichten zu wollen, vorausgesetzt, wie hätten dann die Philosophen zu so gar ungeschickten und lächerlichen Mitteln greifen können ? Kannten sie denn das Volk nicht besser, als daß sie hätten glauben sollen, daß sich dadurch das Volk hätte bewegen lassen? Sie mußten also den wirklichen Erfolg selbst hoffen und waren also nicht so arglos bei ihrem Plane, als man öfters vorgibt. Was erwarteten sie denn aber von diesem Plane ? Vielleicht wissenschaftlichen Ruhm ? Aber sie behielten ja ihre Geheimnisse für sich! Oder wollten sie an die Stelle der vorhandenen Naturkräfte nur ihre Persönlichkeiten setzen, damit das Volk diese, ohne sie zu verstehen, annehmen sollte, um einen Nutzen davon zu haben ? Oder wollten sie ihre hohe Weisheit vor dem Volke absichtlich verbergen, um sich in ein heiliges Dunkel zu stellen, damit ein gelehrter Philolog des 19. Jahrhunderts sie entschleiere ? — Es bleibt uns demnach nichts übrig, als zu behaupten, daß der Götterglaube durch den Betrug einiger herrschsüchtiger Menschen entstanden sey. Doch wie dieser Glaube Eingang gefunden, läßt sich nicht erklären; da der erste abergläubische Glaube noch war, so läßt sich eine Übereinstimmung beider oder eine Mischung derselben nicht denken; also müßte der erste vom zweiten verdrängt worden sein; und das Volk sollte so leicht seinen alten Glauben aufgeben, um die nicht verstandenen Namen anzunehmen? Wer sollte auch nur so träumen können ? Es bleibt auch mir
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unbegreiflich, wie die Philosophen eine Mythologie so einführen, wie ein Gesetz. Sie ist ja so ganz mit dem Wesen des Menschen verflochten, wie die Sprache selbst; eine Mythologie aber in die Gedanken und Gesinnungen einzuführen, das geht selbst über die Kräfte einer zu diesem Zweck vereinigten Gesellschaft von Weisen und Dichtern.
(H. 31-32.)
Wer diese Kritik mit der schonenden Fassung in den W. vergleicht, muß sie fast als eine Verhöhnung empfinden. Eine unmäßige Gehässigkeit, durch unbegründeten Argwohn angestachelt, verunziert Schellings Charakter in den Münchener Jahren nur allzuoft, und es ist beachtenswert, wie dieser Argwohn sich hier sogar auf die hypothetischen Gebilde der Herrmannschen Philosophen erstreckt, welche, in einem zu Anfang dieses Kapitels zitierten Abschnitts schon verdächtig, jetzt des Betrugs überführt werden. So wirken Schellings Charakterzüge bis in die abstrakteste Polemik nach! Bekanntlich betrachtet Schelling die Mythologie als die natürliche Religion, welche in dem Verhältnis zu dem Göttlichen den Naturprozeß im menschlichen Bewußtsein wiederholt. Die ersten Ansätze werden in den W. gemacht (II, 1, S. 48 ff.); zwar wird S. 53 dieser Prozeß o r g a n i s c h und nicht nur natürlich genannt, und schließlich S. 55 sogar eine g e s c h i c h t l i c h e Erklärung gefordert; aber andererseits wäre doch die Mythologie Erzeugnis einer unabsichtlich-absichtlichen i n s t i n k t a r t i g e n Erfindung (S. 53). Nun wird zwar dargetan, daß von einer Erfindung nicht die Rede sein kann, vielmehr die Mythologie vom gesamten Volke ausgegangen sei, aber eben diese Wendung führt zu einer vermehrten Betonung ihres Instinktcharakters (W. II, 1, S. 59—60): der sog. Kunsttrieb der Tiere wird der Erzeugung der philosophisch-poetischen Erzeugnisse in der Mythologie gleichgestellt. Allerdings wird nachher angezeigt (W. II, 1, S. 76—77), daß der Instinkt als mythologischer Grundtrieb keineswegs ausreicht, aber grundsätzlich abgewiesen wird der „religiöse Instinkt" nicht. J a , es wird ein sonderbares Zwitterspiel mit 101
ihm getrieben. Als „reale Potenz" wird er hervorgehoben, um eine dürftige Philosophie, welche bloß das „ideale" Gottesverhältnis kennt (wohl die Hegeische, wie auch aus dem weiteren Zusammenhang hervorgeht), zu bekämpfen. Dann aber hat er auch seine Schuldigkeit getan; denn es fällt Schelling nicht ein, den religiösen Instinkt als Potenz in seine Philosophie einzuführen — dazu ist er doch wieder zu kritischidealistisch. Man könnte die Einführung des Instinktes als eine harmlose Spielerei betrachten, wenn sie Schelling nicht den tieferen Einblick in die Welt des Mythos verbaut hätte. Selten war er so nahe daran gewesen, als eben an dieser Stelle: die innige Verwobenheit von Dichtung und Philosophie in der Sprache — so innig, daß sie, stehend im Bann des magisch wirkenden Logos, noch keineswegs der Idee selbständig künstlerisch und begrifflich Ausdruck geben können — bildet einen Grundzug des mythologischen Weltbildes, zu dessen Verstehen Schelling sich selber den Zugang verschlossen hat, indem er den religiösen Instinkt vorschiebt. In der H. ist diese verhängnisvolle Neigung, Tierleben und mythologisches Leben gleichzusetzen, ebenfalls anwesend; vielleicht noch schroffer als in den W. (II, i , S. 60) wird gesagt: Wenn die Ilias und Odyssee nicht Erfindung eines Kopfes, sondern eines ganzen Geschlechtes sind, so werden wir einen gemeinschaftlichen Kunsttrieb annehmen müssen, um von der einen Seite die Einheit des Tons, die im Ganzen herrscht, von der andern die Mannigfaltigkeit, und das Individuelle des Gegenstandes zu erklären; es müßte also das ganze Geschlecht von demselben Geiste beseelt seyn, und von einem Kunsttrieb, so daß sie wie ein Individuum schrieben, wie die gesellig vereinten aber doch getrennten Individuen des Bienenstaates gemeinschaftlich wirken. (H. 35.) Demgegenüber ist im Vergleich mit den W. (II, 1, S. 48) eine größere Neigung da, sich in die mythologische Eigenart zu versenken, wenn gesagt wird: Im Geiste des Mythologie erzeugenden Volkes ist Denken und die Gestalt schaffen so vereint, daß die Einbildungskraft (Poesie) sich so wenig vom denkenden Vermögen (Philosophie) unabhängig macht, daß vielmehr die Ein-
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bildungskraft nicht producieren kann, worin nicht ein allgemeiner Begriff, eine Idee innen wäre. Das Allgemeine des Verstandes und das Concrete der Einbildungskraft ist in der Mythologie so verwachsen, daß es nicht zu trennen ist. Eine solche Ansicht setzt auch einen besonderen Zustand des Volkes und der Menschheit voraus, von dem wir in unserer Zeit nur einzelne Spuren finden. — Im wahren Dichter durchdringt sich noch immer Gedanke und Gestalt, aber nie bringt er es zu dem Allgemeinen der Mythologie. Die Mythen sind wahre allgemeine Begriffe, nur speziell ausgedrückt, jene (die dichterischen Gestaltungen) aber nur spezielle. (H. 33.) Und auch nachher, wo es sich um das Analogon des mythologischen Prozesses mit der Entstehung der Sprache handelt (W. I, S. 60), erscheint auf einmal die Bezeichnung: Wie nun das Sprüchwort, das einen Gedanken im Bilde faßt, dessen Allgemeinheit jeden frappiert, nicht so entsteht, daß jemand erst den Gedanken sucht, und dann das Bild dafür, sondern wie ein Blitz in ihm entsteht, so hat auch das Volk auf der ersten Stufe der Entwicklung die dunklen Gedanken im lebendigen Bilde gefaßt. (H. 33.) Selten ist kürzer und treffender ausgedrückt worden, wie Intuition wirkt; ja, dieser Gedanke könnte geradezu als Praeludium zu einer genetischen Theorie der intuitiven Funktion im mythischen Menschen verwandt werden. Da es aber das Los dieses Kapitels ist, fast sämtliche wichtigen Merkmale ausscheiden zu müssen, damit sie nachher in einer allgemeinen Behandlung zur Geltung kommen, müssen wir auch hier zur Tagesordnung übergehen. In den W. werden alsdann zuerst zwei q u a s i r e l i g i ö s e Erklärungen behandelt, nämlich J . H. Voß und David Hume, in der H. succ. unter den poetischen und gar nicht erörtert (über Hume W. II, 1, S. 69). Einen größeren Platz nehmen die r e l i g i ö s e n Erklärungen ein, die alle in der H. eine wesentlich gleiche Beurteilung finden; nur geht hier die Beantwortung der Frage, wie Völker entstehen (W. II, 1, Kap. V), der nach der Entstehung des Polytheismus aus dem ursprünglichen Monotheismus voran. 103
Bekanntlich enthält letzteres Problem eigentlich als Grundfrage: wie muß der ursprüngliche Monotheismus beschaffen sein, wenn aus ihm der Polytheismus hervorgehen kann und muß. Nun ist in H. und W. die Beweisführung ziemlich gleichartig, die Anordnung der verschiedenen Theorien aber nicht. In den W. sind die Theorien in zwei Kategorien geteilt: die bloß ideellen (Lessing, Cudworth), die jedoch nur die Entstehung einer Götterlehre, nicht einer Göttergeschichte erklären, und die reellen, offenbarten, die wieder in zwei Gruppen zerfallen: die, welche auf der Offenbarung des Alten Testamentes (G. Voß); und die, welche auf der Uroffenbarung (William Jones und Creuzer) fußen. Der Grund zu dieser Einteilung ist klar. Nur in einem weiteren Sinne gehört die Ph. d. M. der positiven Philosophie an, denn neben dem reellen, successiven Polytheismus (Göttergeschichte) enthält sie auch den ideellen, simultanen (Götterlehre), die sich innerhalb dieser Ph. d. M. als die positive zur negativen verhalten. Das eigentliche, positive an der Mythologie ist somit der successive Polytheismus, und jede Lehre, die sie bloß als Götterlehre erklärt, wird schleunigst erledigt: daß diese Prozedur schmerzlos an Lessing und Cudworth vollzogen wird, ist wahrscheinlich Schellings Ehrfurcht vor diesen Männern zu danken, wenn auch Lessing zu den seit Paulus' Angriff verhaßten Rationalisten gehört. Die H. kennt diese Gegensätze nicht: sie kennt bloß die zweite Gruppe, die sie einteilt in Theorien der (schriftlichen alttestamentlichen) Offenbarung (G. Voß) und der Uro f f e n b a r u n g (William Jones, Lessing, Cudworth, Creuzer), die methodisch ganz gleich, wenn auch mit einem verschiedenen Grad der Anerkennung, kritisiert werden. Wie sehr bei Schelling zu dieser Zeit positive und negative Philosophie noch durcheinander laufen, zeigt folgender Passus, der sich in den W. nicht findet: Die Einheit, die sich im Polytheismus zerstörte, war nicht die höchste Einheit (dies nur vorläufig); die Entstehung der Göttervorstellung ist ein über die Menschheit verhängtes Gericht, so daß sich die Einheit auflösen sollte. Hiermit leuchtet schon ein, daß das damalige Bewußtseyn
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nicht das höchste war. Um den Polytheismus zu erklären, bedarf es i.) einer Ursache der Zerstörung, die unabhängig vom Wissen und Wollen der Menschen war; 2.) bedarf es einer reellen Gewalt, durch die sich das Einheitsbewußtseyn zu behaupten suchte. Denn wenn die Zerstörung unbewußt geschah, so hätte Atheismus eintreten müssen. Polytheismus läßt sich nur erklären durch den Widerstand, sich zu trennen von der Einheit, also mit dem Willen sich zusammenzuhalten ; wenn Polytheismus entstanden wäre durch Schlaffheit, so wäre vielmehr Atheismus entstanden, eine vollkommene Gleichgültigkeit gegen Gott. (H. 47.) In dieser an und für sich trefflichen Darstellung, daß Erschlaffung des Monotheismus, als unbewußte Zerstörung auftretend, zum Atheismus hätte führen müssen, frappiert uns doch die Rolle, die das Bewußtsein in dieser augenscheinlich so „positiven" Beweisführung spielt. Dem Einheitsbewußtsein, das eigentlich als rein „negative" Instanz keine Macht ausüben kann, wird hier eine reelle Gewalt zugeschrieben, durch die es sich gegen die zerstörende Macht zu behaupten sucht — da sie doch eigentlich nur dem Willen, sei es dem bewußten, zukäme! Es ist begreiflich, daß Schelling mit der Veröffentlichung seiner positiven Philosophie zögerte. Von der äußeren Ausgeglichenheit in den W. ist somit an mancher Stelle in der H. wenig zu bemerken. Niemals beruft er sich hier auf den „notwendigen Fortschritt" in der Untersuchung, der ihn dort mit soviel Stolz erfüllt; es war offenbar eine schwer errungene Eigenschaft — oder vielleicht ein Rückgang in der Lebenskraft? Wie dem sei, in der H. greift manchmal sprunghaft Schelling auf Schlüsse vor, welche die an diesem Punkte notwendige Schlußfolgerung sprengen und wohl als oratorische Bomben die arglosen Hörer vollständig in Verwirrung gesetzt haben mögen. So auch an dieser Stelle. Anscheinend ist es Schelling schwer gefallen, die nötige Geduld aufzubringen, um in apollinischer Ruhe jenen Autoren ihr Recht widerfahren zu lassen, welche die Mythologie als Erfindung betrachten. Einen Augenblick scheint es noch, als wolle er die Rolle des ruhigen Untersuchers weiter spielen, als er, auf die eigene Auffassung überleitend, sagt:
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Alle diese Auffassungen haben gemeih, daß sie den ersten Monotheismus als Lehre sich denken; diese Verwirrung wäre freilich leichter zu erklären, als die Herrmannische, aber eben dies der Mythologie vorausgehen zu lassen, muß uns bedenklich erscheinen. Mythologie ist älter als die Geschichte; und Wissenschaft und Lehre läßt sich nur denken als Folge der Geschichte. Wir, die wir nicht alles in das Dunkle und Unendliche hinausschieben wollen, die wir das Begränzte suchen, wir können nicht eine frühere Lehre annehmen. Unhaltbar scheint auch jene einen Monotheismus voraussetzende Ansicht, wenn sie eine Wissenschaft voraussetzt. (H. 49.) Aber dann durchbricht er in dionysischer Begeisterung die Schranken methodischer Forschung. Es ist, als durchbohrt er mit übersinnlichem Auge die Nebel, welche die Arcana zum Mysterium des ältesten Menschenschicksals verhüllen; oder ist es so, daß sich die Nebel diesem visionären Menschen verflüchtigen, so daß ihm, kurz, wie beim Lichte des Blitzes, der Einblick in den übergeschichtlichen Zusammenhang der Geschichte gewähret wird? Wenn Schelling seine eigene Anschauung mit den Worten „man kann sie jedoch auch vom höheren Standpunkte aus betrachten" einleitet, klingt diese Aussage fast nüchtern gegenüber folgender Vision : Der Mensch ist ursprünglich ins Centrum aller Dinge gestellt, und diese seine Centralität vermittelt unmittelbar seine Gemeinschaft mit Gott. Der Mensch sieht die Dinge in ihrer göttlichen Einheit. Sein ursprünglicher Zustand ist der einer pantheistischen Intuition, wobei pantheistisch in dem Sinne genommen ist, wie auch die Schrift sagt, daß alle Dinge in Gott seien. So wie er aus dem Centrum herausgeht, und weicht, muß sich ihm die ganze Peripherie verschieben und verwirren. Dessen ungeachtet wollte er den Zustand von pantheistischer Intuition nicht verlassen, obgleich er der centralen Schauung verlustig war. Der Mensch hatte die Sünde, die Abweichung gewollt, nicht aber die Folgen derselben, die er nicht voraussah; er konnte die Bewußtseinseinheit nicht mehr behaupten, und will sie doch behaupten. Aus diesem Widerstand, die Dinge in Gott zu sehen, da sie doch für ihn außergottlich geworden sind, aus diesem Streben, auch in dem Zustande des Außer-Gott-Seins
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sie noch sehen zu wollen würde dann der Polytheismus entstehen durch ein nicht gewolltes Verhängnis. Ebenso (ist) jenes Gefühl, womit er sich sträubt, außer dem Paradies zu leben, nicht willkürlich, sondern natürlich, und so wäre die Entstehungsweise des Polytheismus eine unwillkürliche, nothwendige, gegeben mit dem Urschicksal des Menschen. (Hier sind einige Worte gestrichen, die den Satz bloß verdoppeln.) Erst mit dieser Bestimmung werden wir diese Wirkung des Polytheismus erklären können. (H. 49.) Hier erhebt sich der schwäbische Adler wohl turmhoch über das Feld seiner Untersuchung, um es mit e i n e m Blick zu bewältigen. Es ist ein Blick, den Fichte und Spinoza, Piaton, Bruno und Boehme mit ihrer Weisheit erleuchtet haben. Bald aber scheint es, daß der Adler bloß eine geflügelte Schlange ist, die, rasch erschöpft, wieder im Staube langwieriger Untersuchungen herumkriechen muß. Es wäre unrichtig, zu meinen, daß diese Ideen im Aufbau der Ph. d. M. nicht mitgewirkt haben; aber sie verwirklichen sich nicht auf diesem hohen Plan, indem sie der späteren Potenzenlehre eingegliedert werden. Es ist lehrreich, wie prompt die Dämpfung des Enthusiasmus in unserer H. stattfindet, indem erläutert wird, daß wir es zwar zu Denkbarkeit gebracht haben, daß es aber darauf ankommt, zu erklären, wie successive Mythologie entstanden sein kann. Eben hier fehlt der Anschluß; denn wo muß man die Centralität in Gott ansetzen, weil doch das Centrum schon zerstört sein müßte, als der Mensch aus ihm heraustrat? Hier müssen wir den Faden fallen lassen, um einen Vergleich obigen Abschnittes mit der korrespondierenden Stelle in den W. anzustellen, die sich II, 1 , S. 205—207 befindet. Es ist die religiöse Ansicht der Paradiesgeschichte, bald in moralischer, bald in pietistischer oder mystischer Färbung, die uns Schelling hier als eine sehr schätzbare vorträgt, weil sie den Sündenfall als ein reales Ereignis erkläre, sie aber abweist, weil sie zur Naturvergötterung führe. Es ist nun auffallend, daß die Bezeichnung des Paradiesstandes als eine „pantheistische Intuition" in der W. fehlt, und hiermit ist sie der feurigen Kraft beraubt, welche sie
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noch in der H. durchglühte, als sie des Philosophen eigene Meinung ausdrückte. Freilich, als ein Fremdkörper dringt sich hier diese enthusiastische Vision in die Historisch-kritische Einleitung der H. ein, und es fällt Schelling schwer, den Faden zurückzufinden, der ihn auf das Problem der successiven Mythologie zurückführen soll1). Leider erlaubt es der anscheinend verdorbene Text der H. nicht, diesem salto mortale mit Sicherheit nachzugehen; nur soviel scheint sicher, daß sie in zwei Sprüngen vor sich geht, und zwar mittels einer Erörterung, wie wir sie W. II, i, S. 184—185 antreffen. Sie scheint dahin zu deuten, daß in der vorgeschichtlichen, praemythologischen Menschheit das Centrum schon zerstört sei, und wir also auf einen übergeschichtlichen Menschen zurückgehen müssen, um den ungestörten Heilsstand zu finden, der uns in obigem Abschnitt so begeistert geschildert worden war. So können wir auch in umgekehrter Richtung von diesem übergeschichtlichen (Paradies-)Menschen über die vorgeschichtliche (vorsintflutliche) Menschheit zu den vorhistorischen (mythologischen) Völkern fortschreiten. Daß hier Schelling tatsächlich das Alte Testament, und zwar die Genesis, im Kopf hatte, ist aus der in der H. gestellten Frage abzuleiten: ob der gemeinschaftliche Gott nach unserem Sinne der einzige heißen kann, wie er sich später in der jüdischen Lehre hervortat. Daß die korrespondierende Stelle2) aus einer Kritik der Hume'schen Ablehnung der Bibel als geschichtliche Quelle hervorgeht, stimmt mit dieser Annahme, die somit vielleicht zur Klärung des von Schelling ziemlich unklar behandelten Problems des Vorgeschichtlichen und des Übergeschichtlichen beitragen kann. Mit Hilfe dieser Zwischenstufe wird es also möglich, die Untersuchung wieder in gebahnte Wege zu leiten; mit Ausnahme der Erörterung über die Sprache8) geht sie wesentlich wie in den W. vor4). Auch die Bekämpfung von Creuzers ») 2 ) a ) 4 )
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Vgl. w. II, 1, S. 120 ff. W. II, 1, S. 184—185. W. II, 1, S. 133—136. Sechste Vorlesung.
Ansicht des Polytheismus als Verdunklung und Erblassen ursprünglicher Erkenntnis fehlt nicht. Nur scheinbar steht sie im Widerspruch mit der vorher zitierten enthusiastischen Beschreibung des Heilsstandes des ursprünglichen Menschen als ein Gott intuitiv erfassendes und central schauendes Wesen, wie es nachher lautet: Weit entfernt, daß die Mythologie entstanden seyn könne aus einer entstellten Offenbarung, so kömmt vielmehr die Mythologie der Offenbarung vor, nicht aber die Offenbarung der Mythologie. Man spricht wohl von einer Uroffenbarung an den ersten Menschen; aber um dies zu behaupten, muß man schon erklärt haben, wie die erste Offenbarung statt gefunden haben mag. Denn der erste Mensch stand vielmehr in einem viel innigem Verhältnis zu Gott, das die Offenbarung übertrifft, welcher eine Verdunkelung der ersten Reinheit vorangegangen sein mußte. Wie Offenbarung denkbar sey, und wie sie entstehen konnte, werden wir in der Fortentwickelung sehen. Gott war nicht verdunkelt, und dem Menschen konnte nur Offenbarung geschehen, wenn seyn Bewußtseyn schon verdunkelt war; und da nur kann die Offenbarung Grund haben, wo der Gegensatz von falscher Religion auftritt. Nur eine unkritische und oberflächliche Behandlung kann Offenbarung usurpieren und voraussetzen. (H. 58) dem aber als Kehrseite gegenübersteht: Die älteste Menschheit ist also gleichsam in einer Art von Beschränktheit befangen, sie ist nicht im Zustande des freien Denkens. (H. 57.) Die Lobrede gilt also eigentlich nur dem idealen Verhältnis dieses Menschen zu seinem Gott in seiner ursprünglichen Reinheit. Dem Menschen fehlt aber das freie Denken, dem Gotte die reine Geistigkeit 1 ). Das Bestreben, die Erinnerung an eine entfliehende Vergangenheit durch colossale Bauwerke in der Masse festzuhalten, zeigt, daß man mehr einen materiellen und substanziellen als geistigen Gott zu verlieren fürchtete. Es ist in Allen das Gefühl der Betrübnis und der stummen Trauer — das Bewußtseyn, daß die Menschheit gefallen sey von der ursprünglichen Reinheit. Aber mit diesem Falle selbst ») Vgl. W. II, 1, S. 179.
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begann ein neues Aufsteigen zur ursprünglichen Erkenntnis — ja, vom höchsten Standpunkte aus kann jener Fall nur als Vermittler zwischen Gott und Menschen angesehen werden. Und nichts ist billiger, als daß wir mit jenem Kirchenvater ausrufen: Felix culpa, quae talem merint redemptorem! (H. 5 4 - 5 5 ) Zusammenfassend können wir in der H. ein viel leuchtenderes Bild des ursprünglichen Menschen erblicken als in den W. Hier erscheint ihm Gott im Goldenen Zeitalter nur in Seiner Wirklichkeit, nicht in Seinem wahren Wesen (II, i, S. 175—176); er i s t noch bloß Bewußtsein Gottes, h a t es noch nicht (II, 1, S. 187); vielmehr als durch Erkenntnis wird die Menschheit durch eine blinde, von ihrem Wollen und Denken unabhängige Macht zusammengehalten (II, 1, S. 137). In der H. wird ihr ebenfalls das freie Denken abgesprochen, dafür ist sie aber fähig, ihren Gott intuitiv zu schauen — eine positive Fakultät, die sich keineswegs mit den negativen Vorzeichen in den W. deckt. Wie nah hätte es Schelling hier gelegen, dieses „intuitive Schauen" mit der „intellektuellen Anschauung" in Beziehung zu bringen! Wenn diese vorbewußte Tätigkeit des Ich schon im heutigen Menschen mit seinem völlig ausgewickelten Bewußtseinsleben eine so wichtige Rolle spielt, wieviel mehr fällt sie noch für den praemythologischen Menschen ins Gewicht, dessen Bewußtsein noch vollständig eingewickelt war! Was bei uns in denkmäßiges Erkennen und intuitives Anschauen auseinandergefallen ist, muß bei jenem Menschen noch in einem intuitiven Denken eigentümlicher Art verschlungen gewesen sein. Freilich, der Rationalismus hatte für solche Rückblicke kein Auge; aber hat nicht Kant die Möglichkeit einer gemeinsamen Quelle des Denkens und der Anschauung erkannt; und hat nicht Schelling selber, auf Fichte fortbauend, ihr in der intellektuellen Anschauung die metaphysische Gestalt gegeben? Mehr noch: hatte nicht Fichte sie für seinen Urmenschen mit der allerdings ungeschickten Bezeichnung des „Vernunftinstinktes" postuliert? Hier kann nur die früher von uns aufgestellte These eine befriedigende Antwort geben. Schelling hatte schon in „Ph. u. R." den Komponenten-Fichte in sich selber ver-
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drängt. Das Ich hatte die Führung verloren, ja, es scheint sogar aus Schellings Bewußtsein völlig verschollen zu sein, und das ist verhängnisvoll; denn nur wer das Ich im andern Menschen sucht, kann das rechte Verhältnis zu ihm gewinnen — auch zum praemythologischen und mythologischen Menschen. Freilich, bewußt ist dieser Mensch sich seines Ich noch nicht, aber wirkt es darum nicht vorbewußt in ihm; ist nicht sein intuitives, schauendes Denken eine wenn auch vorbewußte Tathandlung seines Ich ? — Nicht, wie Schelling meint, der Kampf um das rechte Verhältnis zur obersten Tatsache, sondern die Suche nach dem Ich ist der Einsatz zum mythologischen Prozeß. Nur wer diesen Kampf des allmählich sich seiner Macht bewußt werdenden Ich gegen die ursprünglich vom Menschen selber als allmächtig gesetzte Tatsache versteht, kann zum Mythos ein richtiges Verhältnis gewinnen. Noch ein kurzes Wort über den weiteren Fortgang der H. Nachdem sie, wie erwähnt, den Faden, wie er in der achten Vorlesung der W. läuft, abgebrochen hatte1), um zuerst den Inhalt der dortigen sechsten Vorlesung2) zu geben, nimmt sie ihn jetzt wieder auf und führt ihn bis zum Schluß jener achten Vorlesung (ib. S. 196) weiter. Da mit diesen Betrachtungen die Historisch-kritische Einleitung in der H. schließt, stellt sich also heraus, daß die siebente und die neunte Vorlesung aus den W. fehlen. Die siebente Vorlesung handelt über die Bedeutung der mosaischen Schriften für die Mythologie; ein Zeichen, daß die Religion des israelitischen Volkes in den W. mehr beachtet wurde als in der H.s). Daß Schelling die in der neunten Vorlesung kritisierten, bereits 1825 erschienenen „Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie" des ihm und Creuzer verwandten >) II. 1, S. 184—185*) II, 1, S. 120—143. *) Übrigens hat Schelling diese Religion niemals, wie Hegel, auf die gleiche Stufe mit etwa der griechischen gestellt; für ihre erhabene Strenge zeigte Schelling ebensowenig Sinn wie Hegel für die Tiefe der Mysterienlehren.
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K. Ottfried Müller in seinen Vorlesungen des Jahres 1830 noch nicht erwähnt, ist kein günstiges Zeichen für die Vollständigkeit seiner Kenntnis von der einschlägigen Literatur. B. Die Stellung der Philosophie. Wie erwähnt, zeigt die Anordnung der Gedankenentwicklung der Historisch-kritischen Einleitung in den W. eine auffallende Abweichung von der in der H. befolgten: geht hier die Begründung der Berechtigung zu einer philosophischen Behandlung der Mythologie der historischen Kritik bisheriger, von Fachwissenschaftlem stammender Erklärungsversuche voran, so ist dort bekanntlich die Sachlage umgekehrt. Bei näherer Betrachtung wirkt diese Wandlung gleichsam symbolisch für die tiefgreifende Umwälzung, die in Schelling stattgefunden hatte, als er seine letzte Fassung niederschrieb. Wenn er sich hier die Frage vorlegt, ob eine philosophische Behandlung der Mythologie berechtigt sei, vertritt er die Meinung, es genüge nicht, daß sie eine höhere sei; denn die Ansichten haben sich nach der Natur der Gegenstände zu richten, nicht umgekehrt1). Man solle erst versuchen, ob nicht geringere, näherliegende Mittel ausreichen; erst wenn diese als unmöglich dargetan, darf die philosophische Erklärung als begründet gelten2). Nachdem alsdann sämtliche andere Erklärungsweisen zu leicht befunden sind, führt er aus: man könne hinternach denken, daß diese Voruntersuchung ihr Ziel auf kürzerem Wege hätte erreichen können, wenn man gleich von der Mythologie als allgemeines Phänomen ausgehend, auf die notwendige Allgemeinheit der Ursachen geschlossen hätte; aber dieser Schluß hätte nicht zugleich auf die bestimmte N a t u r dieser Ursachen geführt, die uns jetzt ebenfalls bekannt ist3). Erst wo keine andere Voraussetzung möglich blieb, habe er die philosophische aufgestellt, nicht von oben herab gleichsam diktatorisch, sondern, was allein allgemein überzeugend ist, von unten herauf begründet4). J
) ») ») «)
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Vgl. die Betrachtung Riedels S. 81. W. II, i, S. 4 — 5 . W. II, 1, S. 218. W. II, I, S. 219.
Die würdige Bescheidenheit des schwäbischen Löwen strahlt hier so milde, daß ihr Glanz uns fast über die Fadenscheinigkeit der Beweisführung hinwegtäuschen könnte. Ist das Schelling, der sich frägt, ob ein Gegenstand wohl der philosophischen Erkenntnis fähig und würdig ist ? — In fortwährendem Ringen hatte er die Lebensgebiete der Natur und Kultur in ihren Abstufungen allmählich im Glänze der Geisterwelt verklärt; nichts war dem himmelstürmenden Riesen zu erhaben, nichts aber ihm auch zu gering, daß es nicht von der göttlichen Vernunft in das Universum eingeordnet werden konnte. So war seine Philosophie wie eine Apokalypse der staunenden Welt aufgestiegen — und jetzt ? Der Schlüssel zur Beantwortung liegt im letzten Argument, das Schelling für sein Verfahren vorführt: die kritisierten Ansichten seien nicht von dem nächsten besten, sondern von Männern aufgestellt, die die Meinung für sich haben, sich mit diesem Gegenstand berufshalber und aufs gründlichste beschäftigt zu haben und deren Scharfsinn in anderen Untersuchungen bekannt ist; es gelte insbesondere, die Abneigung zu überwinden, welche viele gegen jede Einmischung der Philosophie zum voraus empfinden, die, wenn man ihre Ansichten als unphilosophisch bezeichnen wollte, einfach geantwortet hätten: Unsere Ansichten sollten nicht philosophisch sein, wir machen darauf keinen Anspruch 1 )! Seit wann brüllst du nicht mehr, Löwe, und schüttelst deine Mähnen, wenn anderes Getier in dein Jagdrevier eindringt? — Schelling ist Diplomat geworden; daß er seine Karten allzusehr zeigt, verrät Mangel an Übung. Übrigens begegnen uns mehrere Zeichen seines veränderten Verhaltens. Vergleichen wir seine rücksichtslose Abfertigung Jacobis und anderer mit seiner schwachen, auf der Staatsmacht sich stützenden Abwehr des Paulus'schen Angriffs, deren Mißerfolg ihn sogar bewog, endgültig das akademische Feld zu räumen; beachten wir auch seine jetzigen, fast freundlichen Äußerungen über Jacobi und Hegel seiner früheren oft beleidigenden und immer abschätzigen Bekämpfung gegenüber, so wird uns klar, daß hier die Milde eine Schwäche verdeckt; daß ') W. II, i, S. 218. D i - k k c r , Die K i i r k w r i u l u m : z u m M y t h o s .
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Schelling sich von den stets dreister auftretenden Einzelwissenschaftlern einschüchtern läßt. Von dieser verhängnisvollen Nachgiebigkeit den einzelnen Fachwissenschaften gegenüber ist nun in der H. noch nichts zu bemerken. Stolz und selbstbewußt eröffnet er diese Vorträge mit dem Spruch: Alle wahre Philosophie ist ihrem subjektiven Inhalt nach Erzeugnis eines großen Lebensprozesses, bei dessen Momenten man verweilen muß, um des einen Resultates mächtig zu werden, und die deshalb erlebt und durchlebt werden muß. (H. i.) Es folgt alsdann die gleiche Problemstellung wie in den W.: Es frägt sich nun, welcher Zusammenhang zwischen Mythologie und Philosophie sey, da Mythologie nach der gewöhnlichen Meinung eigentlich nichts als das freie losgelassene Reich der Unvernunft ist, während die Philosophie gerade die höchste Vernunftgemäßheit ist. (H. i.) Hier aber trennen sich die Methoden. In den W. wird die Antwort verschoben, bis die Kritik der fachwissenschaftlichen Deutungen klargestellt, ob überhaupt noch eine philosophische Erklärung erforderlich ist. Es ist für die Philosophie tröstlich, daß jedenfalls schon diese Kritik ein „philosophisches Geschäft" genannt wird; soll sich doch die historische oder gelehrte Forschung auf das Konstatieren der Tatsachen beschränken, und sogar in dieses Geschäft kann die Philosophie noch ergänzend oder berichtigend eingreifen1). Gegenüber der magistralen Entfaltung des Verhältnisses der Einzelwissenschaften zur Philosophie, wie sie uns in der „Methode" begegnet, mutet diese Darstellung grotesk an. Die Einzelwissenschaft wird zu einem Handwerk herabgedrückt, dessen richtige Handhabe die Philosophie gelegentlich noch kontrollieren kann. Welch ein unwürdiges Verhalten für beide, und wie unfruchtbar! Aber vor allem, wie grotesk klingt diese Forderung in dem Munde Schellings! Er ist einem Feldherrn gleich, der seinen Gegner zu einer bedingungslosen Übergabe zwingen will und dabei nicht bemerkt, daß dieser längst in seine Zitadelle eingedrungen ist. Der w. 114
II,
i, s.
5.
Versuch zur Überkompensierung eines Gefühls der Schwäche ist hier offensichtlich. E s ist treffend, wieviel offener und frischer die Worte lauten, mit denen in der H. die zweite „Einleitung" anhebt: Alle meine Vorlesungen sind auf die stufenweise Entwicklung eines Systems gerichtet, das nicht, erfunden seit gestern, mehr auf formellem als reellem Grunde beruht, und als solches wohl den Wissenstrieb bezaubern kann, aber bald in der Realität des Lebens zu erblassen beginnt und dann ganz verfliegt (denn dies ist das Schicksal unserer gewöhnlichen Schulphilosophie), sondern es ist ein solches, das mit der fortschreitenden Lebenserfahrung an Wirklichkeit, an Kraft und Stärke gewinnt. Ein solches System zu begründen und in ihnen zu begründen ist der Zweck dieser Vorträge. Im vergangenen Wintersemester (in den Vorlesungen über das System der Weltalter) führte ich Sie bis an die Schwelle dieses positiven Systems; positiv nannte ich es im Gegensatz der dargetanen Negativität der früheren Systeme, von denen ich zeigte, daß sie bei der von vorn anfangenden Wissenschaft nicht einmal angekommen seyen, sondern an der bloßen Dialektik stehen blieben, die bloß subjektiv ist, und sich im Subjektiven bewegt; wenn sie sich aber auch Objektivität zuschreiben will, so erzeugt sie eine Mißgeburt, die freilich nicht jeder sogleich erkennt, weil diese sogenannte Objektivität etwas von der Natur des Tintenfisches hat, der bekanntlich, wenn er verfolgt wird, einen schwärzlichen Saft ausschüttet, womit er das Wasser undurchsichtig und sich unsichtbar macht 1 ). — In jeder Zeit, sagte ich, hat die Philosophie auf die große Frage zu antworten, und diese Frage, worauf es hier ankömmt, ist diese: Ob in der Welt alles mit bloß logischer Notwendigkeit zusammengehalten werde, oder ob alles von Wille, Freiheit und That ausgehe. Ein System, das dieses letztere nachweist, nannte ich das positive System. Nachdem ich in meinen ersten Vorträgen die Wege und Zugänge hierzu gezeigt, und die ersten Schritte gethan hatte, so ist der Zweck der späteren, dieses in seiner vollständigen geschichtlichen Entfaltung zu zeigen. Denn nur dies ist die Folge einer Forschung, die von Willen, Freiheit und That ausgeht1). !) Hegel I ') Die unmittelbare Anlehnung an die „Freiheitslehre" „Empirismus" ist hier unverkennbar. 8-
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Wie es möglich war, dies an der großen und (wie die Natur) unbegreiflichen Erscheinung, an der Mythologie darzustellen, wissen die, welche meinen Vortrag hörten; die, welche mich nicht hörten, können es nicht wissen, können sich also nur eine falsche Vorstellung davon machen. (H. 176—177.) Sodann wieder auf die erste Einleitung zurückkommend, lesen wir, wie Schelling die Einwände gegen die Mythologie als Gegenstand der Philosophie kurzerhand beseitigt: Was zuerst die Furcht betrifft, daß Philosophie und Mythologie zwei entgegengesetzte Pole seyen, deren Begriffe ohne alle Gemeinschaft seyen, so ist zu bemerken, daß es nichts weniger als schwer ist zu zeigen, wie und wo sich beide berühren, und auch Stellen und Orte in der Philosophie aufzuweisen, wo sie auch über Mythologie sich äußern, und ihrer wenigstens erwähnen muß. Es wird nicht überflüssig sein, diese Berührungspunkte zu nennen. Die Mythologie setzt den Polytheismus voraus, und ist die vollständige Entwicklung desselben selbst. Der Polytheismus ist eine Form des religiösen Glaubens, und bezieht sich also nothwendig auf Religionsphilosophie. — Man könnte ihn für Irreligion zu erklären geneigt seyn. Was ist aber Irreligion ? Ist es eine falsche Religion ? Dann wäre freilich überflüssig, dies unter Christen auszusprechen. Aber falsche Religion ist nicht Mangel an jeder Religion, wie Mangel an Wahrheit nicht die Unwahrheit ist. Denn niemand sagt, daß ein ganz falscher Satz Irrtum sey. Das falsche muß einen Schein der Wahrheit enthalten; wo kein Schein ist, da ist auch keine Wahrheit. Nur Mangel an aller Religion ist Gegensatz von Religion. Polytheismus ist sonach nur eine verkehrte Religion. (H. 1—2.) (In den W. kommt dieser Passus nur nebenbei, zur Bekämpfung der Ansicht David Humes, zum Ausdruck [W. I I , 1. S. 74]-) Nachdem die Beziehungen zur Philosophie der Religion, Geschichte und Kunst festgestellt sind, fährt Schelling fort: Es ist also wohl keinem Zweifel mehr unterworfen, daß Philosophie der Mythologie zu den notwendigen Gegenständen der Philosophie gehöre. Denken Sie sich aber, daß die Mythologie in keiner jener Beziehungen allein, sondern in allen zugleich untersucht werde (das heißt, die Mythologie an sich betrachten); so wissen Sie, was Philosophie der
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Mythologie sey; und über das allgemeine Interesse, das daraus einleuchtet, habe ich wohl nicht nötig, etwas weiteres zu sagen. Zunächst scheint nun Mythologie den Alterthumsforscher zu interessieren; aber das Interesse der Mythologie erstreckt sich aufs Allgemeine. Die Philosophie der Mythologie ist die Ansicht des Alterthums selbst, welches auch eine Objektivität ist, wie die Natur. Es hat auch seine Tiefen, in welche nur die Philosophie dringen kann. Philosophie der Mythologie bezieht sich aufs ganze Alterthum selbst, nicht bloß auf Mythologie. Aber darauf ist das Interesse der Philosophie der Mythologie nicht beschränkt; denn es könnte wohl seyn, daß, wie die Philosophie immer mit ihrem Gegenstande wächst, jene Aufgabe, entweder nicht zu lösen wäre, ohne Erweiterung der Philosophie selbst, oder, daß der Gedanke gar nicht einmal zu fassen wäre, ohne diese Erweiterung der Philosophie. (H. 7.) Wir haben es hier mit dem Problem einer uns ganz fremden Wirklichkeit zu tun, der wir in unseren philosophischen und wissenschaftlichen Begriffen noch sehr ferne stehen; deren Kulte, wenn auch überwunden und erstarrt, noch in ihrer höchsten Geistigkeit durchschimmern. Kommen uns die Kulturen Griechenlands und Latiums, noch mehr Indiens und Ägyptens, nicht als ein Chaos von Unsinn und Unverstand vor ? Und dann, mit einem auch in den W. (II, 1, S. 221) vorkommenden Hieb auf Fichte: Des Forschers Aufgabe ist, auch hierin wie bei der Natur, die tote Moralisten auch für ganz vernunftlos und sinnlos finden, Sinn und Verstand zu finden und nachzuweisen; und zwar nicht vermöge einer willkürlichen Unterscheidung von Stoff und Form, sondern auch die Form soll als vernünftig erscheinen. Wird die Aufgabe so gestellt, und sie muß so gestellt werden, so genügen unsere jetzigen philosophischen Begriffe nicht, um die Untersuchungen klar zu machen; ja, diese könnten die Philosophie in Regionen leiten, wohin sie bis jetzt noch nicht gelangt ist, von wannen sie neue, nicht nur spezielle, sondern auch allgemeine Resultate zurückbrächte, die jetzt höchst nothwendig, ja Bedürfnis geworden sind. (H. 7—8.) Dann als Zwischenerörterung: Ich muß auch bemerken, daß ein Vortrag über Ursprung und Bedeutung der Mythologie zeitgemäß seyn müsse, und selbst von der Zeit gefordert werde. Wer weiß nicht, wie viel 117
In diesem Gebiethe in der neuesten Zeit geleistet ist, aber meistens nur vom philologischen und historischen Standpunkt ? — Aber wer weiß nicht auch, daß die Mythologie Erscheinungen aufweist, die nur in der Philosophie aufzufinden sind ? Nachdem jetzt einige bruchstückliche Ideen, die auf das Höhere führen können, ans Licht gebracht sind, hat sich in Teutschland gezeigt, was gewöhnlich daselbst beim Hervortreten neuer Ideen zu geschehen pflegt, daß solche weder entwickelte noch begründete Ideen schwärmerisch und enthusiastisch aufgenommen werden, und es herrschte so in den höher strebenden Forschungen über Mythologie Wildheit und Willkür; während nebenbei als nothwendige Reaktion die platte Ansicht sich geltend machte, die sich freilich nur in den platten und gemeinen Geistern festsetzt. Auf diese Weise entstand viel Willkür und Unruhe in den Köpfen, und so muß eine methodische Entwicklung des Alterthums höchst erwünscht seyn. Hier wird der Faden wieder aufgenommen: Völlig indifferent kann wohl keiner bleiben, weder der Alterthumsforscher noch sonst jemand, denn der mythologische Streit ist ein religiöser, theologischer geworden. In höchster Allgemeinheit möchte er den über christliche Dogmen geführten Streiten gleich seyn; und viele Sätze wurden ja als heidnische Vorstellungen aus dem Christentum ausgestoßen. — Man könnte hier einwenden: Welches Interesse kann die Erforschung des Heidenthums für uns haben, die wir im Lichte des Christenthums wandeln ? — Darum schon, weil die größte Wohlthat des Christenthums die Befreiung von der Nacht der Finsternis im Heidenthum ist. Die Realität des Christenthums (die ideale Bedeutung geben auch die Rationalisten zu) kann nicht erkannt werden, ohne die Realität des Heidenthums, und so möchte eine vollständige geschichtliche philosophische Begründung der Realität des Heidenthums nicht möglich seyn. Aber, könnte jemand sagen, das geht nur die Theologen an. Nein, es geht alle Stände an; alle, die sich selbst überzeugen wollen, und alle, die am künftigen Volksleben teilzunehmen haben, oder gar thätig eingreifen sollten. — Für keinen kann es gleichgültig seyn, wie er die positive Religion anzusehen hat. Ohne dieß ist keiner geschickt für ein thatenreiches, bewegtes Leben, wobei noch folgendes zu bedenken ist: nicht allein das Christenthum ist positive Religion, sondern auch die übrigen Religionen.
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Demnach glaube ich dargethan zu haben, daß ein Vortrag über Philosophie der Mythologie i) für die Philosophie selbst erweiternd sey, 2) daß er in einer sowohl engen, als wesentlichen Beziehung auf Religion, Geschichte und Kunst stehend, und auch, daß er zeitgemäß sey, ja selbst von der Zeit gefordert werde. — Ich erinnere mich noch wohl, daß ich, als ich damals die Realität retten wollte, Fichte und seine Anhänger zu meinen Gegnern hatte, und meine Idee keiner erfaßte und begreifen konnte, bis sie realisiert war. Jetzt möchte es mit der Philosophie der Mythologie ebenso gehen, wie mit der Naturphilosophie. Mit der Zeit der Entwicklung wird man schon ihren Nutzen sehen. (Vgl. W. II, 1, S. 221.) Die Philosophie der Mythologie ist demnach etwas Denkbares im Allgemeinen; aber damit können wir uns noch nicht begnügen; es muß auch in Beziehung auf die Mythologie dargethan werden, daß eine solche Philosophie der Mythologie denkbar ist. Läßt die Mythologie eine Philosophie zu? Ist sie nicht bloß Gegenstand einer gelehrten Forschung ? — Von Seiten der Theologie ist nichts einzuwenden gegen eine Philosophie der Mythologie; aber nun von Seiten der Mythologie: in .welchem Sinne ist die Mythologie Gegenstand der Philosophie ? — Dies führt uns zunächst auf den Begriff der Mythologie. Ich bemerke also zuerst, daß, indem ich von einer Philosophie der Mythologie spreche, ich die Mythologie als ein Ganzes, überall sich Gleiches, Homogenes voraussetze (vgl. W. I, 6, S. 218); 1) als Ganzes nicht nach der Bedeutung der Mythen im Einzelnen, sondern nach der Bedeutung der Mythologie, die alle Mythen voraussetzen, forschend; 2) als ein überall sich Gleiches, Homogenes, indem nicht die Rede ist von der römischen, griechischen Mythologie, sondern von dem, weis jeder Mythologie allgemein ist. Dieß Gleiche haben wir also aufzusuchen; was ist in allen Mythologieen dasselbe ? (H. 8—9.) Es wird sodann erklärt, der Mythos sei nicht im weiteren Sinne von Sage, Erzählung gemeint, sondern im engeren als Gegenstand der Mythologie, die wieder in Götterlehre und Göttereinheit auseinanderfällt (wie W. II, 1, S. 7). Es sei uns nicht um philosophische und historische, aufs einzelne gehende Untersuchungen im Gebiete der Mythologie zu tun, sondern wir sehen nur aufs Ganze (vgl. W. II, 1, S. 6), setzen ja die kritisch-philologischen und geschichtlichen Untersuchungen schon voraus.
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Dann kommt ein wichtiger Satz, der schon die Wurzel obigen Übergriffs in das Gebiet der Einzelforschung (vgl. W . I I , i , S. 5) enthält: Nur da, wo ein Irrthum oder Mangel obwaltet, wird sie auch hierauf Rücksicht nehmen. (H. 10.) der hier jedoch als völlig einwandfrei erscheint: ist es doch erste Pflicht des Philosophen, hierauf bei seinen Schlüssen Rücksicht zu nehmen; es ist ja sogar einer der größten Mängel in Schellings Ph. d. M., daß sie sich auf mangelhafte Daten gründet! Der verhängnisvolle Schritt erfolgt erst dann, wenn der Philosoph das Geschäft der historischen Forschung in solchen Fällen s e l b s t übernimmt! Daß Schelling hier das richtige Verhältnis zur Einzelforschung nicht verloren hat, zeigt der nächste Satz: E s versteht sich von selbst, daß eine Philosophie der Mythologie nur in der Mythologie sich entwickeln kann, nicht a priori; sie muß durchaus der Kritik der Philologie sich unterwerfen, sie kann nur Geschichtliches zu Grunde legen. (H. 10.) J e t z t gilt es darzustellen, daß die Mythologie unmittelbar Gegenstand der Philosophie sein kann; und da ist es für die Betrachtung von Schellings letzter geistiger Wandlung ä u ß e r s t w i c h t i g , daß hier das Problem g r u n d s ä t z l i c h a n d e r s gestellt wird als später, nämlich r e i n f o r m a l . Man urteile selber: Der Zweck ist nicht bloß ein gelehrter, sondern ein philosophischer. Dieß setzt eine bestimmte Bedeutung voraus. Sie ist erst möglich unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß in diesem Gegenstande nicht bloße Willkür und Zufall, sondern eine, wenn auch nur stillwirkende Gesetzmäßigkeit sey. Die Kochkunst würde man nicht zu einer Philosophie der Kochkunst erheben können (obgleich dieß die Engländer thun), weil alles Zufall dabei ist; wohl aber könnte man sprechen von einer Philosophie der Musik, wo eine bestimmte Gesetzmäßigkeit zum Grunde liegt. Der Gegenstand darf also nicht durch Zufall, Willkür bestimmt seyn, sondern durch Gesetzmäßigkeit. Dies ist auch von der Mythologie vorauszusetzen, nämlich daß sie ein allgemein nothwendiges Phänomen sey, wie die Kunst. Damit gehen wir nun in die Sache selbst ein, ja vielmehr in die Philosophie der Mythologie. (H. 10.)
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Es ist klar, daß diese ausschließlich formale Forderung — daß der Gegenstand, um einer philosophischen Verarbeitung fähig zu sein, bloß ein allgemein notwendiges Phänomen zu sein braucht, in dem eine stille Gesetzmäßigkeit wirkt — die Mythologie ohne weiteres zu einem solchen Gegenstand stempelt. Daß ein solches stillwirkendes Gesetz auf allen Lebensgebieten waltet, wird von jeder idealistischen Philosophie vorausgesetzt; und bei Schelling ist es sogar das dynamische Prinzip seiner Lehre, das er in immer neuer, überraschender Prägung als den Grund zur kosmischen Ordnung der Erscheinungswelt bezeichnet. E s ist nicht einzusehen, weshalb die Mythologie nicht ebensowohl zum werdenden Kosmos gehören sollte wie die „Natur" und die „Kultur", die in demselben Sinne allgemein notwendige Phaenomene sind wie die Mythologie. Vollkommen folgerichtig schließt er dann auch seine Begründung folgendermaßen: Die Mythologie kann nur Gegenstand der Philosophie oder einer philosophischen Wissenschaft seyn, in wiefern sie ein ewiges Ganzes, nothwendiges Allgemeines zu ihrem Gegenstande hat. Dabei bemerke ich aber, daß die Philosophie der Mythologie jenen allgemeinen Charakter der Nothwendigkeit in der Mythologie voraussetzt, und insofern sie diesen Charakter der Allgemeinheit und Nothwendigkeit hat, kann sie Wissenschaft seyn; aber in der Wissenschaft selbst muß dieß Ewige, Nothwendige erst untersucht und erkannt werden. Dieß ist nun freilich ein unvermeidlicher Zirkel, aber in der Philosophie selbst ist ja dieser Zirkel nicht zu vermeiden, denn sie muß, wenn sie einen Begriff von sich aufstellt, voraussetzen, daß es etwas Nothwendiges, Ewiges, Allgemeines gibt, und dieß eben in sich beweisen. Als in Griechenland die Einzelwissenschaften allmählich aus der Philosophie geboren wurden, war diese Schwierigkeit noch nicht da, denn jede wußte um ihre Geburt aus der einen Wissenschaft des Allgemeinen und Nothwendigen, der sie ihre Eigengesetzlichkeit verdankt. Sie entsteht erst, wenn die Einzelwissenschaften diese ihre Autonomie zu einer Anarchie steigern, indem sie ihre ursprüngliche Begründung in der Philosophie verleugnen. Die Philosophie der Mythologie kann dieß aber auch, nur ohne die That 1 ), ') Indem ich die Worte ,,nur ohne die T h a t " interpunktierte, habe ich den Satz verständlich zu machen gesucht; daß nämlich die
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durch die Critik aller der Standpunkte außer ihr erweisen; wie man auch in der Philosophie überhaupt auf indirekte Weise vom Standpunkte außer der Philosophie zu ihr selbst hingehen muß, nämlich eben durch den Beweis, daß jene untergeordneten Standpunkte und damit verbundenen Erklärungen unbefriedigend sind, und uns nie zur Gewißheit und Uberzeugung führen. Mit der Philosophie der Mythologie entsteht nicht erst das Bedürfnis, die Mythologie zu erklären, sondern es war von jeher der Wunsch, sie selbst zu erklären. Man hat die Erklärung der Mythologie versucht auf verschiedenem Wege, ohne jedoch von dem hohen Standpunkt auszugehen, den wir uns erwählen. Gesetzt nun, diese Standpunkte und Erklärungen ließen sich als offenbar unzulänglich darthun, die Erklärungen hätten zwar alle etwas gemein, z. B. die Annahme eines bloß zufälligen Ursprungs der Mythologie, aber man wäre nur uneinig über die Art und Weise, ohne daß entschieden werden könnte, welche Deutung die richtige sei, so müßte man bei solchen Voraussetzungen auf die Darstellung der Unzulänglichkeit dieser Untersuchungen kommen, und so würde man sich schon indirekt überzeugen von der Notwendigkeit und Allgemeinheit der Mythologie; man müßte sich überzeugen, daß es eine Philosophie der Mythologie geben müsse. (H. 10—Ii.) Ganz anders in der endgültigen Abfassung von Schellings positiver Philosophie, wie sie in den W. vorliegt. Quasi mißtrauisch wird an die Mythologie herangetreten: man weiß eigentlich nichts von ihr, erst soll einmal ihre Bedeutung sowie ihre Entstehung festgestellt werden (W. II, i , S. 6); und somit wird nach einigen rein nominellen Bestimmungen zur Kritik der fachwissenschaftlichen Erklärungen fortgeschritten. Das Resultat dieser Kritik ist bekannt: es zeigt sich, daß die sukzessive behandelten Ansichten einen zwar immer größeren, aber immerhin unzulänglichen Wahrheitsgehalt befassen, bis zuletzt die philosophische Erklärung sich als die einzig richtige herausstellt. Diese ist die objektive Erklärung, die sich als die allein siegreiche über die andern, Ph. d. M. sich nicht durch die Tat (Tathandlung im Sinne Fichtes), sondern auch durch Kritik der anderen Erklärungsweisen behaupten kann, welche letztere Methode in den W. als die einzig zulässige erscheint, nicht subsidiär wie hier.
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bloß subjektiven erhebt: die Potenzen, die den theogonischen Prozeß bilden, sind nicht bloß subjektiv im Bewußtsein vorgestellte, sondern auch reale, objektive, wirklich und an sich theogonische Mächte, sowohl Ursache wie Gegenstand dieses Prozesses, der somit von objektiv-religiöser Bedeutung ist (W. II, i , S. 207—208). In seinen einzeln fixierten Momenten bildet dieser Prozeß zwar falsche polytheistische Religionen, in seiner Ganzheit zielt er aber auf den wahren Monotheismus; somit i s t a l s s u c c e s s i v e r Polytheismus die Mythologie Wahrheit (W. II, 1, S. 209—214). Da aber jene, das Bewußtsein schaffenden Mächte keine anderen sein können als die Mächte, welche vorher die Natur erschaffen haben, sind die kosmischen Mächte Prinzipien alles Seins und alles Werdens. Mithin hat der theogonische Prozeß nicht bloß religiöse, er hat allgemeine Bedeutung, weil sich in ihm der allgemeine Prozeß wiederholt (W. II, 1, S. 215—216). Der Schluß ist also, daß die objektive, von menschlichem Meinen, Denken und Wollen unabhängige Mythologie einen objektiven Inhalt und mit ihm zugleich objektive Wahrheit gibt (W. II, 1, S. 218). Da es sich hier um eine textkritische Vergleichung handelt, sei dahingestellt, inwiefern dieser Schluß zwingend ist, m. a. W.: ob man auf dem empirisch-kritischen Wege durch Ausschaltung „falscher" Deutungen, welche in der Mythologie keine Wahrheit, überhaupt oder als solche, erkennen (W. II, 1, S. 217), zu der Sicherheit gelangen kann, daß die Mythologie objektiv wahr ist, unabhängig vom Bewußtsein; ebenso, ob es philosophisch gerechtfertigt ist, diese Forderung irgendeinem Lebensgebiet zu stellen, bevor es als Gegenstand einer philosophischen Disziplin anerkannt werden kann. Hier sei nur hervorgehoben, daß eine völlige Umwertung der üblichen rationalen Philosophie eingetreten ist; in der H. noch als Kriterium angenommen, macht sie als solches in den W. der positiven Philosophie Platz, die allein imstande ist, objektive Wahrheit, unabhängig vom Bewußtsein, festzustellen. Freilich, auch in der H. zeigt sich, wie aus obigem Zitat hervorgeht, eine gewisse Verlegenheit, als von dem unvermeidlichen Zirkel die Rede ist, in dem sich die (rationale) Philosophie bewegt, wenn sie die Mythologie als Notwendiges 123
und Allgemeines schon setzt, bevor sie als solche untersucht und erkannt wird. Da jedoch unser Bewußtsein sich weigert, irgendeine Phase in seiner Entwicklungsgeschichte, auch die mythologische, anders denn als sinnvoll zu betrachten, ist diese Verlegenheit unbegründet; und mit Recht spricht Schelling dann auch dieser deduktiven Methode der Beweisführung ihre Vollgültigkeit nicht ab, und dient die andere, in den W. als die einziggenügende Beweisführung anerkannte (mittels Kritik der fachwissenschaftlichen Erklärungsweisen), hier bloß als eine indirekte und gleichsam hinzukommende Hindeutung, daß die Mythologie allgemein und notwendig ist — und das kann sie leisten. Wenn bewiesen werden kann, daß die Deutungen der Mythologie als zufällige Erscheinungen sich und den Tatsachen widersprechen, so ist sie als notwendig und allgemein dargetan, mithin ihre historische Konstruktion möglich. Diese letzte Bezeichnung verwende ich absichtlich, da tatsächlich in der H. die Allgemeine Begründung mit der in der „Methode des akademischen Studiums" befolgten Methode identisch ist, wogegen die anderen Teile wesentlich spätere Gedankengänge aufweisen. Nachdem wir also einen Überblick über die verschiedene Stellung der Philosophie in der H. und in den W. bekommen haben, drängt sich die Frage auf, aus welchen Gründen Schelling wohl in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens allmählich die Vormachtstellung der Philosophie aufgegeben haben mag. Den Zeitgeist als Grund anzugeben, wäre eine petitio principii: die Menschen machen den Zeitgeist, nicht umgekehrt. Daß Schellings Entwicklung dem Zeitgeist gemäß war, werden wir noch darstellen; aber weiter dürfen wir nicht gehen. Auch Altersschwäche kann der Grund nicht sein; das Alter versagt in der Ausführung, aber bleibt sich in seinen Grundsätzen meistens nur allzu treu. Einen Fingerzeig finden wir jedoch in der Feststellung, daß, wie oben erwähnt, die Philosophie in der H. noch die gleiche hohe Stellung als Königin der Wissenschaften einnimmt, die Schelling ihr in der „Methode" einräumte. Diese 124
gute Tradition war auch in der H. noch nicht verloren: prinzipiell wenigstens verwehrt sich die Philosophie noch den weltanschaulichen Ansprüchen der Einzelwissenschaften, und das war nur möglich, weil diese Tradition die Tathandlung noch als höchstes philosophisches Prinzip erkannte. Solange es noch eine philosophische Tathandlung ist, welche den Einzelwissenschaften die „Tatsache" abgibt, von der sie ausgehen können, ist die Stellung der Philosophie nicht gefährdet. Erst wenn sie selber eine „Tatsache" als höchstes Prinzip anerkennt, setzt sie sich völlig den Einzelwissenschaften gleich; und da ist nicht einzusehen, wozu sie eigentlich überhaupt da ist. So schleppt das Ich in seinem Fall die ganze Philosophie mit, für welche Schelling zuletzt nur noch die Stellung eines Aschenbrödels fordert, als er sie in den W. bloß zur Ergänzung der Einzelwissenschaften auftreten lassen will. Daß sie, von ihrem letzten Beschützer so schmählich im Stich gelassen, vor den Einzelwissenschaften nicht mehr bestehen kann, versteht sich wohl von selbst.
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DIE M Y T H O L O G I S C H E
KONSTRUKTION
Wenn unsere Problemstellung richtig ist, so muß dargetan werden, daß sich nicht nur die letzte Phase des inneren philosophischen Streites in den gedruckten Werken spiegelt (was hier nur nebenbei geschehen kann), sondern auch, daß die Spuren der Phase, in der sich der Streit um 1830 befand, in unserer H. aufzufinden sind. Hier hegt die Hauptaufgabe, die wir schon in Problemstellung III folgendermaßen formuliert haben: Wie war in b e z u g auf die M y t h o l o g i e das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n r a t i o n a l e r und p o s i t i v e r Philosophie in der e r s t e n , und worin u n t e r s c h e i d e t es sich von der l e t z t e n F a s s u n g ; wogegen Problemstellung I (das Verhältnis zwischen Mythologie und Offenbarung) und II (der Anschluß an die philosophische Außenwelt) nebenbei Erörterung finden werden. Haben wir im vorigen Hauptstück gezeigt, wie die verschiedene Bewertung der „Philosophie überhaupt" die Problemlage in den beiden Phasen spiegelt, so betreten wir hier das eigentliche Gebiet des Mythos, indem zuerst das Verhältnis der Philosophie der Mythologie zur Philosophie der Religion, der Geschichte und der Kunst dargestellt wird. Da das Verhältnis zur Kunstphilosophie bloß eine Verbeugung vor dem früheren höchsten Prinzip der rationalen Philosophie bedeutet, und die Geschichtsphilosophie vollständig religionsphilosophisch gefaßt wird, ist es keine Vergewaltigung, Schellings positives System als Religionsphilosophie zu fassen. Wir wollen jetzt die Bestimmung der Religionsphilosophie in unserer Handschrift verfolgen1). Religionsphilosophie ist nur dann möglich, wenn sie als selbständige Disziplin beweisen kann, daß es ein von allen übrigen Prinzipien unabhängiges, allgemeines, selbständiges religiöses Prinzip im Menschen gebe; sonst wäre sie bloß (als natürliche, besser gesagt spekulative oder philosophische Theologie) derl ) In diesem Hauptstück werden die Zitate möglichst oft durch Referate ersetzt, weil die Darstellungen hier meistens entweder zu weitläufig oder auch stilistisch unzulänglich sind; wozu sich in den dialektischen Teilen gelegentlich eine unklare Begriffsbildung gesellt.
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jenige Teil der Metaphysik, der vom Dasein Gottes, Seinen Eigenschaften, Seinem Verhältnis zur Welt usw. handelt (W. II, i , 244 streicht hier mit Recht den Terminus „Theologie"). Dieser Beweis ist leicht zu erbringen: ist doch geschichtlich bewiesen, daß Religion älter sei als alle Wissenschaft (notitia dei insita). Mit dem Wesen des Menschen (W. II, 1 , S. 76), anfänglich als blinde Gewißheit, dunkle Ahndung gesetzt (die W. vermeiden solche einfühlende, an Jacobi anklingende Bezeichnungen, vgl. II, 1 , S. 245), ist ihr Prinzip mehr reell als ideell: Um nun ein reelles, thatsächliches, geschichtliches zu beweisen, muß sie auch den Abglauben berühren, dessen schauerlichste Erscheinungen uns im Polytheismus begegnen. Wenn in ihm nicht ein völliger Mangel, sondern nur eine Verkehrtheit ist, so muß auch sein Ursprung von jenem dunklen, von allem Denken unabhängigen, ihm zuvorkommenden Prinzip der Religion herzuleiten seyn. Ich bemerke noch, daß es keineswegs allein um den Ursprung des religiösen Bewußtseins zu erklären, eines solchen Prinzips bedürfe, sondern auch ihr Wesen. In der Praxis aller Religion wird eine von der Vernunft unabhängige Quelle der Überzeugimg angenommen; dieß Prinzip ist nun aufzusuchen. Es ist im Schwächsten, Unkundigsten so fest gegründet und überzeugend, daß es keine Macht überwinden kann (Märtyrer und Heroen), und also feist als unerschütterlicher Glaube mit dem Wesen des Menschen verbunden. Von diesem Prinzip ist nun die Erscheinung des weitverbreiteten Aberglaubens zu erklären, der eben so tief in der Menschennatur liegt, so daß er selbst in den Aufgeklärten, die in manchem Betracht wirklich aufgeklärt sind, nicht ganz zu vertilgen ist. Es ist kein Aberglaube, dem nicht ein wahrer Glaube zu Grunde liegt. Unserer Zeit, die sich soweit darüber hinausdünkt, könnte es unangemessen erscheinen, hierüber zu sprechen; aber dem Philosophen bleibt nach der Konstatierung der Thatsache noch übrig, die Ursache dieser Erscheinung aufzudecken und zu erklären. Die krassesten und verbreitetsten Erscheinungen des Aberglaubens sind das Heidenthum. Was die Forscher vorzüglich reizt, ist die Frage: wie eine Masse so ganz ungereimter und vernunftwidriger Vorstellungen entstehen, sich so weit verbreiten und sich durch Jahrtausende erhalten konnten. (H. 3—4.) Wir bringen dieses Zitat, weil es eine so offene Anerkennung des Eigenwertes und der Selbständigkeit der Religion
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enthält, wie sie in den W. nicht mehr möglich war, wo eine gegenseitige Bindung, bei welcher die Philosophie formell das Feld behauptet, aber von der Religion inhaltlich durchdrungen wird, an die Stelle der gegenseitigen Anerkennung tritt. Seitens der Philosophie fordert diese Anerkennung eine nähere Bestimmung der Religionsphilosophie als Grenzgebiet, und zwar: a) Objektiv als höhere Instanz einer histoire de la religion nach französischer Art, also als Darstellung der „successiv hervorgetretenen Entwicklung der Formen und Arten der Religion, als ebenso viele Momente in der Entwicklung des allgemeinen religiösen Bewußtseins in der Menschheit". b) Subjektiv als Erkenntnis der Entwicklung des religiösen Bewußtseins im einzelnen Subjekt (H. 2), welche nicht umhin kann zu untersuchen, wie der mythologische Aberglaube sich nicht nur im Bewußtsein, sondern auch im Leben festsetzen konnte, indem er sogar die größten Völker des Altertums zu so großen und blutigen Opfern antrieb (H. 4). Es ist klar, daß Schelling hier die Bezeichnungen „objektiv" und „subjektiv" weder im früheren Gegensatz von „materiell" und „geistig", noch im späteren von „wirklich" und „denknotwendig" faßt; daß auch letztere Deutung ausgeschlossen ist, zeigen die auf die subjektive Religionsphilosophie bezüglichen Worte, „wie der mythologische Aberglaube sich nicht nur im Bewußtsein, sondern auch im Leben festsetzen konnte", also auch subjektiv erfaßt, sowohl „denknotwendig" wie auch „wirklich" ist. Vielmehr fordert Schelling hier neben der Religionsphilosophie im heutigen Sinne, die er mit „objektiv" bezeichnet, eine „subjektive" Disziplin, die wir heute mit R e l i g i o n s p s y c h o l o g i e bezeichnen; wenn auch diese Forderung in der Entwicklung des positiven Systems nicht zu fruchtbaren Schlußfolgerungen führt — dazu hätte sie wohl als selbständige Disziplin, nicht als subjektive Religionsphilosophie gesetzt werden müssen —, so ist dennoch bemerkenswert, daß auch hier Schelling als der Anreger zur Begründung der Religionspsychologie ein Pionier der Wissenschaft gewesen ist, allerdings nur in formeller Hinsicht. Humes Religionsphilosophie war schon psychologisch eingestellt, aber erst Schelling bestimmt den Unterschied zwischen beiden Einstellungen. Jedoch, weiter geht er nicht; ja, es erscheint fast als eine Polemik gegen 128
Hume, wenn Schelling in unserer zweiten Einleitung (H. 208) die Erklärung der Offenbarung aus einem angeblichen Bedürfnis zurückweist. So hat uns die Untersuchung von selbst auf unsere „zweite" Einleitung geführt, die da anhebt, wo die „erste" abbricht: die von Schelling neubegründete Religionsphilosophie soll jetzt als die einzig haltbare den herrschenden Auffassungen, an erster Stelle der rationalistischen gegenüber, dargetan werden, und zwar a priori, nach deduktiver Methode. In den W. wäre ein solches Verfahren inkonsequent gewesen: hier bildet der entsprechende Passus (W. II, 1, S. 244—251) bloß den folgerichtigen Abschluß des empirischen Verfahrens, wie es schon Bacon anwandte (W. II, 1 S. 251), das Schelling zur Behauptung seines positiven Systems berechtigt. Die Herrschaft der induktiven Methode in der Historisch-kritischen Einleitung paßt ausgezeichnet zu der Ablehnung der ratio als wirkliches Prinzip der Philosophie, wozu die Rein-rationale Einleitung führt; eine Ablehnung, die umgekehrt dazu führt, daß der Rationalismus im obenerwähnten Passus bloß beiläufig mit der Bemerkung abgefertigt wird, daß er, theologisch betrachtet, dem Christentum die Realität nimmt, indem er ihm alles Vernunftwidrige als bloße Einkleidung abstreift (ib. 248). In der Handschrift dagegen wird dem Rationalismus die Ehre gegeben, daß von ihm, nicht vom Offenbarungsglauben ausgegangen wird; als positiver Ertrag wird gewürdigt, daß er den Zusammenhang von Mythologie und Offenbarung einsieht, jedoch auf der falschen Grundlage, daß sie beide gleich anstößig sind; ist noch ein Unterschied da, so rührt er „mehr von der von Kindheit eingepflanzten Ehrfurcht gegen das Heilige oder von Gewohnheit her". Da er sich jedoch damit abfindet, nur diejenigen Gedanken für berechtigt zu halten, die er selber begreift, und den Rest als bloße Einkleidung abschiebt, ist er unzulänglich (H. 178—179). Ist nun diese Auseinandersetzung nicht allzu lakonisch, wenn man berücksichtigt, eine wie große Rolle der Rationalismus im „Empirismus" spielt, wo er sogar die Forderung zu D c k k c r , I)ic R ü c k w c n d u n g zum M y t h o * .
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einem höchsten Gottesbegriff nicht nur aufstellt (1827) sondern auch durchsetzt (1835) ? Nicht doch. Erstens erscheint hier Schellings Vortrag stark gekürzt und unklar notiert; und dann wird die jetzt folgende Auseinandersetzung mit J a c o b i dahin zielen, den Rationalisten den Begriff der Offenbarung zugänglich zu machen; (außerdem ist zur Genüge dargetan, wie machtlos die ratio schon in jener Schrift war, ihre Stellung zü behaupten; es darf daher nicht wundernehmen, wenn ihr Einfluß sich hauptsächlich mittelbar zeigt, z. B. in der gegenseitigen Einschätzung von Mythologie, Judentum und Christentum, von der schon S. 1 1 1 die Rede war), eine Glaubensphilosophie, welche 1. behaupte, im Gefühl ein eigentümliches, religiöses Prinzip zu finden, die Quelle eines vor- (also un-)wissenschaftlichen Wissens, welches alles andere Wissen bestimmt und gleichsam regiert; (mit letzterem Wissen ist natürlich die transzendentale Erkenntnis gemeint, die bloß auf die sinnlichen, nicht auf die göttlichen Dinge Beziehung haben kann). 2. Obgleich sie das gleiche Thema behandle wie die positive Philosophie, die Offenbarung dieses Wissens als eine zeitlose, also vor- und überhistorische Offenbarung der Vernunft betrachte. Ad 1 bemerkt Schelling, das Gefühl (nach Jacobi selbst schon etwas aus der zweiten Hand) sei keine Quelle der Erkenntnis, sondern selbst eine Erkenntnis(art ?), freilich eine sehr schwache, dunkle (die Auffassung Hegels. Vgl. auch Denkmal Jacobis, W. I, 8, S. 49), zu welcher die Quelle eben aufgedeckt werden soll. Ad 2 sagt Schelling ironisch: Was nun die Offenbarung Gottes in der Vernunft betrifft, so wollen wir diese genauer kennen lernen. Sie ist mit dem Daseyn der Vernunft gesetzt; diese erhellt aus dem Schlüsse Jacobis: „Nur der Mensch weiß von Gott, das Thier nicht, nun ist die Vernunft das einzig Unterscheidbare zwischen Mensch und Thier; also ist die Vernunft das unmittelbar Gott setzende." In diesem Schlüsse scheint der 130
Untersatz, daß die Vernunft das einzige Unterscheidbare zwischen Mensch und Tier sey, besonders unantastbar und so ausgemacht, daß jeder, der nicht dieser Meinung wäre, fürchten dürfte, für unvernünftig gehalten zu werden. Ich will hier nicht jenem Lehrer der Philosophie folgen, der bei der Definition des Menschen „er bestehe aus einer vernünftigen Seele und einem unvernünftigen Leibe" — erwähnte: „man könne den Satz vielmehr umdrehen, denn die meisten Menschen bestünden aus einem vernünftigen Leibe und einer unvernünftigen Seele" — und fährt dann ernsthaft fort: Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist allerdings die freiangewandte, tätige Vernunft, nicht die substanziell Gottsetzende, die auch, seiner besonderen Daseinsstufe entsprechend, sich beim Tier sowohl in den Wirkungen des Instinktes und des Kunsttriebes, wie in seinen gewöhnlichen Handlungen ausdrückt. Wir bezeichnen Tiere gelegentlich (z. B. ein Pferd, das stätisch wird und den Koller bekömmt) als unvernünftig; es kann also im gewöhnlichen Zustand gewissermaßen vernünftig sein. Es ist deshalb schal und abgeschmackt, wenn Jacobi durchaus behaupten will, ein Tier habe zwar Verstand aber keine Vernunft. Wenn nun Jacobi behauptet, nur die Vernunft könne Gott erkennen, so ist das eine rationalistische Entgleisung; nicht einmal einen Menschen kann sie restlos erkennen — sollte da zur Erkenntnis Gottes weniger nötig sein? Diese Darstellung Jacobis ist nicht so grotesk wie es scheint; denn Jacobis Lehre von der Persönlichkeit Gottes leidet an einem Rationalismus, der zu seinem irrationalen Glaubenswissen in einem unversönlichen Gegensatz steht 1 ) Schelling nützt diese schwache Stelle aus, um sich den unbequemen Kritiker noch posthum vom Halse zu schaffen und zugleich die Vernunft als gemeine, auch den Tieren zukommende Funktion dem göttlichen, wollenden Verstand (dem aus dem „Empirismus") unterzuordnen. (Über das allgemeine Verhältnis beider Denker siehe S. 80 ff.) Außerdem gewinnt er ') Vgl. Schmid, F. H. Jacobi, S. 334: Jacobi fasse die Beweise vom Dasein Gottes geradezu als ,,magia scholastica", also begriffsrealistisch auf. — Seine durchaus rezeptive Einstellung führt ihn letzten Endes zu einer magischen Scholastik, die zwar formal dem positiven System Schellings ähnlich ist, sich jedoch an Wucht nicht mit ihm messen kann.
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dadurch einen Vorteil, der noch wichtiger ist: das unmittelbare Glaubenswissen Jacobis wird als das gesuchte reale Prinzip verwandt, das Schelling unter der Bezeichnung „materiell Gottsetzendes Prinzip" zur Begründung der Mythologie als natürliche Religion braucht; diese stehe jetzt als dritte zwischen der wissenschaftlich erzeugten Religion (die „natürliche Religion" der Rationalisten) und der offenbarten in der Mitte. Diese mittlere Stellung der Mythologie dient als Brücke, um, von der rationalistischen Vernunftreligion zur offenbarten hinüberleitend, der „strengen Wissenschaft" den Hergang der Offenbarung verständlich zu machen; insbesondere demjenigen, der die Dinge aus Vernunftgründen anzusehen gewohnt war. Mit dieser ehrenvollen Bezeichnung als „strenge Wissenschaft" hofft wohl Schelling die noch immer mächtigen Rationalisten zu locken. Sind einmal die Schäflein herübergelockt, so zeigt sich bald, daß die mythologische Brücke bloß ein Notbehelf war, nur zu diesem Zwecke von der „positiven" Seite aus geschlagen. Jetzt stellt sich heraus, daß Mythologie und Offenbarung einen unüberbrückbaren, gemeinsamen Gegensatz gegen den theologischen Rationalismus bilden, der als solcher nicht einmal fruchtbar ist; damit fällt die Vernunftreligion, die über die Natur der Offenbarung nichts lehren kann, unter den Tisch, und es bleiben nur die zwei andere übrig, nämlich: 1. natürliche Religion oder Mythologie als Voraussetzung der 2. übernatürlichen Religion oder Offenbarung (als richtiger, also nicht unnatürlicher Supranaturalismus), unter deren Voraussetzung erst eine 3. wissenschaftliche Religion der freien Einsicht und Erkenntnis möglich ist. Die Einleitung schließt dann mit einer Betrachtung über das Verhältnis zwischen diesen drei Phasen der Religion, die nichts wesentlich Neues enthält (H. 176—191). Wie harmlos dieser Versuch zur Bekehrung der Rationalisten war, leuchtet ein. Der angewiesene Weg zu Schelling,
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der über Kant und Fichte geführt hätte, wird durch den kürzeren über Jacobi ersetzt: aber leicht wird ihnen dieser Weg nicht gemacht. Nachdem ihnen zugemutet worden, die Jacobische Vernunft als gleichbedeutend mit der rationalistischen anzuerkennen — was schon eine harte Nuß ist! —, wird die Vernunft noch um eine Stufe, nämlich zu einer Menschen und Tieren gemeinsamen Funktion herabgesetzt. Der ganze Vorgang bezweckt natürlich, das materiell Gottsetzende Bewußtsein der Uranosperiode als unterste Stufe der Vernunft im Bewußtsein zu setzen; jedoch ein Rationalist müßte wohl sehr arglos sein, um darauf hereinzufallen! Daß es noch eine höhere Vernunft, die tätige, freiangewandte, gäbe, kann ihn kaum verführen, denn es wird nicht einmal erläutert, was sie bedeute; wenn es für uns auch wahrscheinlich ist, daß sie auf die negative Philosophie Beziehung nimmt. Von irgendeiner Aufmerksamkeit den Rationalisten gegenüber ist begreiflicherweise in den W. nichts ersichtlich. Wenn auch Paulus ihm die Illusion einer Bekehrung der Rationalisten nicht schon gründlich verdorben hätte 1 ), so konnte ihm andererseits die erhebliche Verringerung ihres Einflusses nicht verborgen bleiben. Ihre besten Kräfte unter den Jüngeren waren Strauß und Feuerbach gefolgt, wogegen sich die Hegeische „Rechte" wieder der Orthodoxie näherte. Letztere Neigung ist auch bei Schelling bemerkbar, als er in dem korrespondierenden Abschnitt in den W. bemerkt, daß die jetzt entwickelte Theorie mit der rechtgläubigen Ansicht stimmt 2 ), wogegen die Rationalisten alle Realität aus dem Christentum ausgemerzt haben (W. II, 2, S. 148). Am Schluß des vierten Hauptstückes werden wir dieses Phänomen noch in einem erweiterten Zusammenhang be') Die endlich offenbar gewordene positive Philosophie der Offenbarung, 1843. 2 ) Die positive Philosophie scheint sogar in Holland so sehr den Eindruck der Orthodoxie gemacht zu haben, daß ein gewisser Dr. van der Linde es für nötig hält, durch eine Teilübersetzung diese Auffassung zu bekämpfen. Ein Beweis übrigens, daß S.'s Altersphilosophie nach ihrer Drucklegung nicht so wenig gelesen wurde als man gemeinhin meint. (Ich verdanke die Kenntnis dieser Übersetzung Herrn J . D. Waller.)
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trachten, nachdem wir zuvor noch das Schicksal des Substanzbegriffes, sowohl in der H. wie in den W. verfolgt haben werden. Die folgenden Ausführungen vertreten in der H. die Stelle, die in den W. das Buch „ D e r Monotheismus" einnimmt. Anordnung und Grundlegung sind jedoch so verschieden, daß wir die Entstehimg dieses Buches nicht verstehen können, wenn wir nicht auf die Wandlung im höchsten Gottesbegriffe (als Substanz) achtgeben. Es handelt sich hier um den S c h ö p f u n g s p r o z e ß (reale Selbsterzeugung Gottes), der dem mythologischen Prozeß (Erzeugung Gottes im Bewußtsein) vorangeht. Die höchste Setzung Gottes als Substanz, als frei sogar in der Möglichkeit, sich als Seinkönnen zu setzen, paßte als pium votum zur Ehrenrettung der Majestät Gottes schlecht zum theogonischen Prozeß, zu dessen Anregung die zweithöchste Vorstellung Gottes als Schöpfer viel besser geeignet war. Die Handschrift geht dann auch davon aus, daß im menschlichen Bewußtsein Gott als Schöpfer erscheint. Das Primat Gottes als Realität steht fest; die Theogonie wird zwar in, aber nicht von dem Bewußtsein erschaffen. Gott, zu dem das Bewußtsein vorher ein allgemeines Verhältnis hatte, erzeugt sich in der Form theogonischer Potenzen im Bewußtsein. Zwar muß das Bewußtsein so beschaffen sein, daß Gott sich in ihm erzeugt, aber er ist doch ein posterius, ein Gewordenes, nur im Zusammenhang mit dem Werden zu Denkendes. Dadurch kommen wir auf den allgemeinen Begriff eines sich allgemein erzeugenden Gottes, dessen Schauplatz die Natur ist, ein Begriff, der nicht sowohl christlichen als neuzeitlichen philosophischen Ansichten widerspricht (H. 64-65.) Hier verkennt Schelling, daß die Setzung der Realität der Theogonie doch wieder ein Bewußtseinsakt ist, der für die Realität Gottes innerhalb der Grenzen des Bewußtseins keineswegs mehr als objektive Gültigkeit für ein Subjekt beanspruchen kann; diese Schranken zu durchbrechen, dazu reichen die Mittel des Idealismus nicht. Nachdem also Gott als Schöpfer dargestellt ist, und zwar als werdender (nicht als der Geburt unterworfener) Gott, also ein sich als Schöpfung setzender Schöpfer, als Herr des theogoni134
sehen Prozesses, taucht beiläufig der Substanzbegriff Gottes in der embryonalen Form auf. Im Gegensatz zu dem Endlichen, das immer, als teilweise nicht wirklich, sich zu verwirklichen bemüht ist, muß Gott als die Wirklichkeit selbst, als potenzlos, als a priori ganz und gar wirklich angesehen werden; ein Gott also, der mit dem Gott als Substanzbegriff im „Empirismus" vollkommen identisch ist. Der Widerspruch zwischen dem (jetzt gesetzten) wirklichen und dem (oben gefundenen) werdenden Gott wird dadurch gelöst, daß Gott ein von seinem Ursprünglichen Sein verschiedenes Sein annehmen kann; nicht um darin zu beharren, sondern nur um in der Aufhebung dieses Seins sich als seinem wahren Sein nach zu setzen. In diesem doppelten Gottesbegriff liegt schon das Praeludium zu den zwei Gottesvorstellungen im „Empirismus". Der werdende Gott wird dort zum zweithöchsten Gottesbegriff (Gott als Ursache, als Schöpfer), der wirkliche zu dem höchsten (Gott als Substanz) entwickelt werden. So tritt im „wirklichen Gott" der „Gott als Substanz" schon hervor, aber noch nicht rein; er ist hier noch an „ein ursprüngliches Sein" gebunden, das ihm die Möglichkeit des Sein-Könnens zuspricht. Daß Gott in dieser Weise mit dieser Möglichkeit des Sein-Könnens behaftet ist, wird Schelling 1835 zu seinem reinen Substanzbegriff führen, indem er diese Bindung an ein auch nur mögliches Objekt nur für den zweithöchsten (in der H. den werdenden genannt) anerkennt, den höchsten Begriff dagegen auch von diesem letzten Objekt befreit. Der „wirkliche Gott" der H. ist also begrifflich unrein, was aber praktisch ein Vorteil ist; denn eben diese Unreinheit bildet das Bindeglied vom wirklichen zum werdenden Gott, den Übergang des geistigen Gottes in den theogonischen Prozeß; ein Übergang, der hier viel eindeutiger ist als im „Empirismus" (vgl. die sich widersprechenden Darstellungen, wo der „Gott als Substanz" einmal selbst unmittelbar in den Prozeß eingeht [W. I, 10, S. 275], dann wieder diesen Schritt dem von ihm gesetzten Schöpfer überläßt [W. 1,10, S. 282ff.]). Ein rein geistiger Gott (wie es Gott als Substanz war) hätte nicht in einen Prozeß eingehen können, weil er das reale Prinzip B nicht in sich hat; der nicht geistige Gott unserer H. kann es, weil in seinem „ursprünglichen Sein" das reale 135
Prinzip B schon latent anwesend ist; eine kleine Konzession an die Materie, die in der H. dem idealen Prinzip in dem ganzen theogonischen Prozeß die Führimg sichert. Hier tritt noch nicht der reale, handelnde Schöpfer-Gott, sondern der ideale, potenzlose Gott als die „Wirklichkeit selbst", ersterer dagegen als der blos „werdende", auf. Es ist jedoch mehr die Unklarheit der Situation als innere Kraft, welche dem idealen Prinzip nach außen hin diese Ehre verleiht. Fünf Jahre später, im „Empirismus" zeigt sich schon, daß die Macht beim realen Prinzip (Gott als Ursache) liegt, wenn auch das ideale (Gott als Substanz) noch immer als das höhere gilt (vgl. S. 77 ff.) In den W. ist dieser Schein abgestreift. Die negative Philosophie ward hier zu einem Vorspiel, welches das Drama der Gotteserzeugung im positiven System begreiflich machen soll. Das Bindeglied zwischen den beiden bildet das Buch „Der Monotheismus", das ebenfalls als Vermittelndes ih einen negativen Teil „Der Monotheismus als Begriff" (S. i—79) und einen positiven „Der Monotheismus als Dogma" (S. 80—131) zerfällt; wenn man dieses Buch also nicht als Zwischenspiel auffassen will (wie der Herausgeber der Werke), dann muß der Übergang vom negativen Vorspiel zum positiven Drama auf S. 80 dieses Buches fallen. Daß es trotzdem eine Einheit bildet, ist nur genetisch verständlich. Zuerst hat Schelling den Inhalt des „Empirismus" von den „positiven" Elementen gereinigt, welche ihm noch einen Schein der Selbständigkeit gewährten; ebenso die „Ph. d. M." von den „negativen". Dann werden die negativen Elemente aus beiden in den ersten, die positiven in den zweiten Teil des Buches eingeteilt, und das Ganze als Theorie der Schöpfung unter dem Titel „Der Monotheismus" einheitlich dargestellt. Es ist eine Neugruppierung, die fast senkrecht auf der früheren liegt und ihre Herkunft verschiedentlich noch sehr deutlich aufweist; da der Monotheismus hier vom spezifisch religiösen Gesichtspunkt aus betrachtet wird, ist es außerdem eine Neuorientierung, die neue Elemente in sich aufgenommen und alte zurückgedrängt hat. Was jetzt aus dem einst so verehrten Substanzbegriff Gottes geworden, sehen wir auf S. 24 ff. (W. II, 2) insbesondere S. 28. Im „Empirismus" hatte Gott sich Selbst in Ihm zum blinden Sein B
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(hypokeimenon) bestimmt. Jetzt tritt dieses hypokeimenön als das „Seiende Selbst" in seiner Einzigkeit auf, und zwar als der höchste Begriff der „Substanz zu Gott". E s ist der höchste Gottesbegriff, der aber auch bloß als Begriff existiert; der bloß mögliches, nicht wirkliches Sein setzt; der negativ ist, wesentlich, nicht wirklich ; es ist das, was sein wird, also frei vom Sein. Gott ist hier Herr des Seins (hier schleicht sich die erste Vorstellung ein: vgl. S. 260). Dieses Sein-Könnende ist höchster Begriff der Philosophie, und das prius zu allem Sein; als solches ist es das blinde S e i n - K ö n n e n , potentia existendi, bloßes Objekt (hier im potenziellen Sinn genommen, als B, das sich noch nicht als subjektum setzen kann). Hier ist Gott als Substanz, das höchste, in eine Substanz zu Gott, das niedrigste Prinzip, umgeschlagen. Daß dieser Sturz unumgänglich war, haben wir schon früher (S. 77H.) dargetan; hier zeigt sich die Wirkung. D a s geistige Prinzip A , das eigentlich höchste Prinzip der Philosophie, w a r zu schwach und schlägt in sein Gegenteil um. S o ergibt sich der f ü r einen Philosophen immerhin merkwürdige Schluß, dieseshöchste Prinzip sei das blinde Sein-K ö n n e n , das hypokeimenon, dasallerunterste. Hier liegt das Prinzip des Pantheismus. Die Philosophie habe jetzt die Wahl, sich mit dem Pantheismus zu vermählen, der ebenfalls aus diesem untersten Prinzip hervorgeht (Spinoza); oder sich als negative zur Grundlage der positiven Philosophie zu setzen. (Wie sehr sich Schelling hier Jacobi nähert, ist offensichtlich; und ob er gegenüber ihm Recht behält mit der Behauptung, das positive System sei Philosophie und nicht Theologie, ist noch fraglich.) Wie steht es nun mit unserer H. ? Ihrem positiven Charakter gemäß ging natürlich der allergrößte Teil in den dogmatischen Teil des Buches „Der Monotheismus" über, dagegen bloß einige negative Körnchen in den begrifflichen. Diese betreffen zuerst die Bestimmungen des wirklichen Gottes, der als „monos theos" dargetan wird (H.69) (vgl. W. II, 2, S. 20—21), als der an-und-vor-sichSeiende, in dem Wesen und Sein eins sind, indem noch kein von seinem Wesen verschiedenes Sein ist (H. 67—69) (vgl. ib. S. 31—33). Dann aber kommt in den W. die Scheidung in den begrifflichen Teil, der die einzelnen Potenzen bestimmt, und den dogmatischen, der den Prozeß der Schöpfung darstellt, zur Geltung, der in der H. fehlt. Dort wird, im begrifflichen Teil, der jetzt gewonnene Gottesbegriff näher bestimmt (ib. S. 36 ff.), und zwar mit der Betonung, daß es sich hier bloß um begriffliche Denknotwendigkeiten handelt; von Wirklichkeit wird erst im dogmatischen Teil die Rede sein. Die H. folgt genau dem gleichen Beweisgang;
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hier jedoch wird von dem Begriff des wirklichen Gottes als von einem .lebendigen Begriff ausgegangen, der sofort in den Schöpfungsprozeß einführt. Der in den W. abgestreifte Einfluß Hegels ist hier noch unverkennbar (H. 70—71). Ungleich wichtiger ist der Vergleich mit dem dogmatischen Teil, aber auch ungleich schwerer, weil es fast unmöglich ist, genaue Parallelen zu ziehen. Nur eines kann mit Bestimmtheit gesagt werden; das Kernproblem der Schöpfung: wie der göttliche Wille Dasein schaffen kann, ohne schon irgendeinen Gegenstand, sei es auch nur eine prima materia, vorzufinden, wird schon hier in der bekannten Weise dialektisch gelöst (ib. S. 80 ff.). Jedoch ein Unterschied ist da. In den W. (ib. S. 36—38) werden zwei begriffliche Momente angenommen: 1. der noch ruhende Wille; das Seiende-selbst als Sein-Könnendes, potentia existendi, das sich 2. von seiner Natur getrieben aus der Potenz zum Actus erhebt, und durch diese bloße Tat sich als Sein, als Existierendes, als bloßes Objekt setzt. Diese Momente korrespondieren mit dem idealen Prinzip A und dem realen Prinzip B der negativen Philosophie, die jetzt mit + A und —A bezeichnet werden, aber — und das ist wichtig — bloß zur E i n l e i t u n g des Prozesses. In dem Prozeß selber ist das ideale Prinzip -|-A auf einmal „die Treppe hinaufgeschmissen", indem es die höhere Potenz A, wird, welche diese edele, aber schwächliche Rolle des ohnmächtigen Befreiers spielt, der es in der Mythologie niemals zum wirklichen Befreier, zum Geist A , bringen kann. Dagegen tritt das reale Prinzip —A sehr keck auf, denn im Prozeß wird es als das ausschließende materielle Prinzip B das fortwährend herrschende; das höhere Prinzip A, kann höchstens seinen Herrscher wechseln, dann freilich in höherer Potenz. Wenn man also nicht, wie bei den politischen Revolutionen der Völker, sagen kann, daß „plus cela change, plus cela reste la même chose", das reale Prinzip bleibt doch herrschend, auch wenn es vom idealen dauernd angestachelt wird. Es ist die Herrschaft der „Tatsache", die auch hier zum Ausdruck kommt, indem er das ideale Prinzip -f- A eliminiert und dem realen B die Führung überläßt. Daß Schelling sich dessen bewußt war, ist aber schon dadurch ausgeschlossen, daß er dem Pan138
theismus (Spinoza) den gleichen Vorgang zur Last legt. In Wahrheit aber ist Schelling hier mehr „Realist" als Spinoza, der zur endgültigen Herrschaft des Geistes bloß rein rationale Mittel braucht. Das Problem ist deshalb so interessant, weil beide Systeme innerlich sehr verwandt sind: beide sind teleologisch auf die geistige Vollendung des Menschen gerichtet. Spinoza seinerseits projiziert den dazu führenden Entwicklungsgang in der Form einer Begriffspyramide, die als Grundlage die sinnliche Natur im Menschen, als Gipfelpunkt die unio mystica hat; das Weltbild ist immanent, ruhend, anthropozentrisch. Ihm ist nur die Problematik der Seele wichtig; er braucht die Außenwelt nur als die extensio, in der sich deren Entwicklungsmöglichkeiten neben- und übereinander ausbreiten. Es genügt ihm, daß die Welt schon da ist und ihr Ablauf der seelischen parallel geht; er braucht also weder Schöpfimg noch widerseitige Einwirkung der (idealen) cogitatio und der (realen) extensio. Die Natur ist ihm nur wichtig als Grundlage der menschlichen Sinnlichkeit, nicht als kosmisches Reich außer uns; und historische Probleme, wie in bezug auf das Menschengeschlecht die Mythologie und auf die Natur die Schöpfung, liegen erst recht außerhalb seines Gesichtskreises. Schelling dagegen hat seine Naturphilosophie über die Menschenwelt hinausgetrieben und ihn zuletzt dazu geführt, nicht den einzelnen Menschen, sondern das ganze Menschengeschlecht und die Natur unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt der Theogonie geschichtlich, resp. als Mythologie und Schöpfung zu verstehen. Die bei Spinoza gleichsam kristallisierte innere Dynamik wird hier im Kräftespiel der Potenzen flüssig gemacht, damit ein wirklicher geschichtlicher Prozeß entstehe; und dazu ist es wiederum erforderlich, das innere ideale und das äußere reale Prinzip in Wechselwirkung zu bringen. Die Philosophie Spinozas ist unübertrefflich, insofern sie mit rein rationalen Mitteln eine Lebensanschauung darstellt, welche die methodische Klarheit und die innere Wärme dieses edlen Menschen in einem wohlgeordneten System zum Ausdruck bringt. Es ist ein rationalistisches Kleinod, klar, aber nicht umfassend.
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Schelling überschreitet die Schranken des Rationalismus und bildet ein allumfassendes System aus, das an Farbenpracht und äußerer Dynamik das spinozistische weit übertrifft; ein erheblicher Vorzug, den es jedoch damit erkauft, das es durch die Verwendung religiöser, also nicht reinrationaler Mittel an Klarheit einbüßt. Jetzt erhellt auch, wie der Monotheismus in dem Prozeß als Dogma auftreten kann (ib. S. 93) — eine Bezeichnung, welche den vielmehr religiösen als philosophischen Charakter des Leitmotives von Schellings Ph. d. M. verrät. Lebhaft erinnert sein letztes System an die thomistische Scholastik des Mittelalters, in welcher eine rein rational aufgebaute Metaphysik auf die Aufgabe beschränkt war, die kirchlichfe Dogmatik der Vernunft zugänglich zu machen. Die universalia bilden auch hier die oberste „Tatsache" der Philosophie; es sind realia, denen zwar Macht innewohnt (vgl. ib. S. 115), aber eine von der wirklich übermächtigen religiösen Tatsache geliehene Macht — von der Tatsache der Religion, wie sie im katholischen Dogma ihren Ausdruck fand. Die auffallende Ähnlichkeit mit dem positiven System ist begreiflich, wenn man bedenkt, wie Schelling als C h r i s t sich in die Sphäre des Mythos eingetaucht hatte, in welcher das ebenfalls christliche Mittelalter noch halbwegs steckte. Wenn wir seine negative Philosophie als ein täuschendes Gegenbild zum thomistischen Realismus ansehen können, so trägt der „Monotheismus" als Begriff doch schon Züge, die an den Voluntarismus eines Duns Scotus erinnern; so wie z. B. der Wille Gottes zur begrifflichen Erklärung des Schöpfungsprozesses eingesetzt wird. Es ist bedauerlich, daß diese voluntaristischen Züge nicht kräftiger waren; denn ebensosehr wie der Voluntarismus der erste Durchbruch des Ichprinzips war, das erst bei Fichte zur Herrschaft gelangte, nachdem es Kant von allen mythologischen Schlacken gereinigt hatte, ebenso hätte dieses Prinzip des Willens bei Schelling die Triebfeder zur Tathandlung eines freien Ich abgeben können, anstatt, wie einst in mythologischer Zeit, den Willen einer Tatsache beizulegen. Dieses Verhalten möge für geistige Vorkantianer begreiflich sein, einem Denker wie Schelling mußte es verhängnisvoll werden, daß er die mühsam erworbene
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Autonomie des Absoluten Ich wieder preisgab. Dieses Verhängnis treibt ihn weiter: Hatte er sich ohne richtigen Faden in das Labyrinth des Mythos begeben, das ihm von Pythagoras geöffnet war, jetzt wendet er sich um Führung an Aristoteles (und den aristotelischen Plato), der ihm für seine negative Philosophie ebenso maßgebend wird, wie er einst für den Thomismus ward. (Auch sind aristotelische Einflüsse bemerkbar; W. I I , 2, S. 1 1 3 . ) Auch hierin bewährt sich Schelling als Philisoph der Romantik; in dem Regreß zum gotischen Mittelalter kann er sich mit seinen romantischen Geistesgenossen einig wissen. E s war der Regreß von Fichte zu Spinoza, der ihn schließlich auf ein System führt, das mit Recht als neuscholastisch gelten darf. Das positive System ist ein dogmatischer Bau, der philosophisch unterkellert ist, genau wie die Scholastik; aber auch der religiös-dogmatische Tempelbau soll als Philosophie, sogar als die höchste gelten; so konnte sich dieses zweideutige Bauwerk nicht halten, weil es zu umfassend sein wollte. Von der Herrschaft des realen Prinzips, die zu diesem scholastischen System geführt hat, ist in der H. bei dem Schöpfungsvorgang noch nichts zu bemerken. Hier ist es die Potenzreihe A—A 2 —A g , die als Vater, Sohn und Geist schon im mythologischen Prozeß als Leitmotiv auftritt: natürlich mit A 3 als erst im Christentum erreichten Endziel. Das reale Prinzip B tritt, vom „Vater" Prinzip A gesetzt, als scheinbarer Wille Gottes auf, der ihm zugleich Seinen wahren Willen in A 2 als Prinzip des Sohnes gegenüberstellt. So ist ihm die ideale Potenzenreihe — deren beide erste Glieder er sogar in der christlichen Kirchenlehre bei Pseudodionysios Areopagita als Gottzeugende Gottheit (theotökos theotees) und Gottgezeugte Gottheit (theogönos theot6es) wiederfindet — ungleich wichtiger als das reale Prinzip B, das an sich als blindes Prinzip ohne Bedeutung, nur in bezug auf die Schöpfung gilt. Dieses Prinzip B ist das prius der Natur, eine Ekstasis, ein falsches Positives, das stufenweise durch ein höheres Positives in die Negativität zurückgeführt und dadurch verinnerlicht und erhoben wird; die Erscheinung der Natur besteht in Verwandlung dessen, welches nicht in seiner ursprünglichen Gestalt das ist, was es sein soll. Diese Rolle spielt nun B auch in der Mythologie, wenn es auch unmöglich ist, die gleiche Erklärung für Natur und Mytho-
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logie überall durchzuführen. (Ein denkwürdiges Bekenntnis, als Beweis, daß Schelling für den Unterschied zwischen Naturschöpfung und mythologischer Menschheitsgeschichte nicht blind war, wenn es leider auch hier wieder bei einem Ansatz bleibt.) Jedoch, auch die Schöpfung ist nicht Ziel, nur Mittel. Gott nimmt kein außergöttliches Sein, das sich nur als blindes Wollen B kundgibt, um darin zu beharren; das war sein scheinbarer Wille. Es war vielmehr sein wahrer Wille A t , das Sein höher zu potenzieren, wozu es erst als B gesetzt sein mußte. Ist dann A t das Ziel ? Keineswegs, denn in A, ist das materielle Prinzip noch in der Überwindimg begriffen; es ist die Negation des das geistige Prinzip A negierenden B, es ist der Befreier, jedoch selbst nicht frei. Das Ziel kann nur ein drittes, A, sein, der freiherrschende Geist über das freigewordene Sein. Diese Freiheit, die sich nicht mehr ungleich werden kann, macht den Unterschied dieses A3 mit dem ursprünglichen A aus, als Gott noch das Seinkönnende war, also außer sich in das Sein treten konnte. Das Ziel des theogonischen Prozesses ist also das Bewußtsein Gottes in seiner Selbstverwirklichung, das nicht mehr das Sein des Vaters (A), sondern das durch den Sohn (A,) verwandelte (B) und dem Geist (As) ähnlich gemacht ist. Der alleinige (monos) Gott ist nicht nur die unauflösliche Einheit dieser Potenzen, sondern auch der Wille, in jeder einzelnen Potenz so zu sein. (H. 70—75). Formal geht dieser Darstellung des Schöpfungsprozesses die Darstellung in den W. (ib. S. 80—108) ziemlich parallel; nur vermissen wir hier die Bezeichnung der Potenzen A, — A 1 ( — A s als Vater, Sohn, Geist; eine Bezeichnung, welche die Vorherrschaft des idealen Prinzips in der H. deutlich betont. Anstatt dieser tritt nun in den W. die Herrschaft der Tatsache auf, indem die Potenzen als universalissima, als reale, wirkende, insofern wirkliche Mächte angesehen werden, von denen die universalia in der Natur (Schwere, Licht usw.) abgeleitet sind; aus diesem geht wieder das konkrete Sein in seiner Mannigfaltigkeit hervor; umgekehrt sind die Dinge Abbilder der Idee, die hier als Urbild, als oberste Tatsache, auftritt, ganz im Sinne des aristotelischen Piatonismus (ib. S. 1 1 5 — 1 1 7 ) . Erst im folgenden Abschnitt (in den W. das vierte Buch „Die Mythologie" einleitend) nähern sich die Darstellungen wieder, indem auch in der H. die eigentliche Mythologie als ein realer Prozeß angenommen wird. Dennoch ist ein Unterschied 142
mit den W. da, und zwar so, daß ein sehr erheblicher Gegensatz zwischen dem Prozeß in der Schöpfung und im mythologischen Bewußtsein des Menschen gesetzt wird. Im Prozeß der Schöpfung herrscht die ideale Reihe A— A,—A,; Gott, wenn er sich als B setzt, bleibt doch A als Gott, und zwar in der höheren Potenz A, als Gegensatz zu B; er verliert sich nicht in B, sondern setzt, nach seinem wahren Willen, die Potenzierung zu Azdurch. (H. 76—77.) Als ideale Reihe herrscht Gott auch noch im ursprünglichen Menschen. Das Bewußtsein in seiner Lauterkeit ist das völlig gleiche Werk der drei göttlichen Personen; der ursprüngliche Mensch ist das Centrum der Gottheit. Alle anderen Wesen sind peripherisch, gleichsam im unversöhnten Vater, der außer dem Sohne und dem Geist ist, weil in ihnen das Prinzip der Anderheit noch nicht überwunden oder versöhnt ist. Der Mensch hat den versöhnten Vater, er ist von allen drei am Ort der ewigen Freude eingeschlossen. (H. 95.) Dennoch ist hier schon ein Übergang zum mythologischen Prozeß bemerklich. Am Ende des Naturprozesses erscheint der Mensch in seinem ursprünglichen substanziellen Bewußtsein als eine Wiedererhebung des realen Prinzips B, aber bloß potenziell, ohne die ideale Reihe zu durchbrechen; denn in diesem Bewußtsein offenbart Gott sich als dessen Genesis im Prinzip der Anderheit (B), das die zeugende Kraft des Vaters (A), die Materie der Verwirklichimg des Sohnes (Aj) und in seiner Überwundenheit der Thron des Geistes ist. (H. 77.) Ist also der Schöpfungsprozeß, bis zum Menschen inklusive, ideal, sobald der Mensch selber auftritt, geht er vom realen Prinzip aus, das von A t überwunden werden soll. Der mythologische Prozeß erscheint im Bewußtsein real, als B—A t —A,. Da B im Bewußtsein gleich A gesetzt ist, geht die ursprüngliche Einheit verloren; die Einheit des Bewußtseins wird sekundär, eine bloß gewordene. Der Grund des Menschen (B) ist instar Gott, nicht Gott selbst; seine Gemeinschaft mit Gott geht zugrunde, indem er nur dem Gott gleich ist, der B ist. Dieser ursprüngliche Monotheismus ist streng, hart, grausam; im Bewußtsein herrscht nur der reale, substanzielle Gott. (H. 90—99.) Wenn wir nun die jetzt gewonnenen Ergebnisse so zusammenfassen, daß der Idealität des Schöpfungsprozesses und des mythologischen Prozesses an sich bloß eine Realität des letzteren im Bewußtsein entspricht, so haben wir den Einfluß des realen Prinzips in der H. zu sehr beschränkt; auch
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hier wird die Realität des mythologischen Prozesses nicht bloß psychologisch begründet. Bei einer solchen Einteilung wäre die Aufstellung eines positiven Prinzips überflüssig gewesen; mit ihr könnte auch der Idealismus (und namentlich der spätere Fichte) einiggehen. Es handelt sich vielmehr um die Suprematie, die Vorherrschaft, welche, jetzt noch dem idealen Prinzip zugewiesen, immer mehr dem realen Prinzip zufallen wird; wieviel, das würde eine sorgfältige Vergleichung der Fassungen des positiven Systems in seinen verschiedenen Phasen fordern, wobei die embryonalen Fassungen der Erlanger Zeit mitberücksichtigt werden müßten. Vom Anfang bis zum Ende hat Schelling nach beiden Seiten Konzessionen machen müssen, schon deshalb, weil die praktische Darlegung des positiven Systems in der historischen Beschreibung des mythologischen Prozesses in dieser ganzen Zeit keine nennenswerte Veränderung aufweist; und da kann als ihre dialektische Begründung weder eine vollkommen idealistische erste noch eine gänzlich realistische letzte Fassung erwartet werden. Wo liegt nun eigentlich der Unterschied zwischen den beiden Fassungen? Eigentlich nur in der Darstellung des göttlichen Schöpfungsprozesses, der in der H. unter Leitung des idealen, in den W. unter der des realen Prinzips steht. Im mythologischen Prozeß (im menschlichen Bewußtsein) hat in beiden Fassungen das reale Prinzip die Führung; der zwischen den beiden Prozessen in der H. bestehende Gegensatz des idealen göttlichen und des realen menschlichen Prinzips ist somit in den W. aufgehoben, wo das reale Prinzip nicht nur den menschlichen Prozeß der Mythologie, sondern auch den göttlichen der Schöpfung beherrscht. In der H. handhabt sich im Schöpfungsprozeß noch die ideale Reihe A—A 2 —A 3 , in den W. finden wir die reale Reihe B—A,—A s . Im mythologischen Prozeß dagegen gilt für beide Fassungen die reale Reihe B—A,—A s als der Entwicklungsgang des mythologischen Bewußtseins, der so vollkommen identisch abläuft, daß wir ihn nicht weiter zu verfolgen brauchen. Es mag verwunderlich scheinen, daß in der H. der Schöpfungsprozeß der von altersher als „real" betrachteten Natur jetzt nach der idealen, dagegen der mythologische Prozeß des 144
Menschen (dessen Geschichte immer der „idealen" Reihe zugewiesen wurde) auf einmal nach der realen Reihe abläuft. In der Tat ist die Unterscheidung nicht nur richtig, sondern sogar ausnehmend fein. Der Schöpfungsprozeß zielt ja auf den Paradiesmenschen ab, in dessen „Welt" die Wirklichkeit unmittelbarer Ausdruck der göttlichen Idealität war. Mit dem Sündenfall dagegen treten die einzelnen „realen" Potenzen, die magisch wirkenden Tatsachen mit ihrem Anspruch auf jeweilige göttliche Allmacht (Polytheismus) ihre Herrschaft im Bewußtsein an. Auch hier ist wiederum ein feiner Ansatz steckengeblieben, der zu einem, diesmal ungezwungenen, dialektischen Satz hätte führen können, nämlich: daß die im Polytheismus verlorengegangene, weil noch ungelöste Idealität des Paradieses in Christus ihren Erlöser findet, indem nicht mehr das Endliche, die naturhaft gebundene „reale" Tatsache sich als Gott setzt, sondern umgekehrt Gott sich verendlicht, indem Er Mensch wird — ein Mensch, der von einem bloßen magischen Organ der Gottheit (wie im Paradiese) zur freien Persönlichkeit potenziert wird. Große Ähnlichkeit zeigen auch beide Fassungen in der Darstellung des praemythologischen Bewußtseins, das zwischen A und B in der Mitte schwebt. Die Konstruktion ist schwierig; denn einerseits braucht Schelling das ideale Prinzip A für diesen Paradieszustand; denn wäre schon hier das blinde Prinzip B das einzig herrschende, wo bliebe die intelligible Freiheit des Menschen, die ihn für den Sündenfall verantwortlich macht ? Andererseits ist das positive Prinzip seiner Mythologie gefährdet, wenn er dem idealen Prinzip A zuviel Platz einräumt. Diese Erwägungen haben Schelling wohl zu dem Pendelsystem geführt, das seine Darstellung des Paradieszustandes charakterisiert als einen Zustand der Unentschiedenheit, der Zweideutigkeit (W. II, 2, S. 141 ff.). Die Priorität des B ist dadurch gerettet, daß es der Grund des Bewußtseins ist, das in A zurückgebracht wird; durch diesen Akt hat es sich aber zu einer bloßen Möglichkeit reduziert, welche das ideale Prinzip A angreifen kann oder nicht: so ist auch die intelligible Freiheit und damit die Verantwortlichkeit für den Sündenfall (die später erfolgende Erhebung des Ii zu Anfang des mythologischen Prozesses) gerettet. Es ist D e k k e r , Die Rtickwendung zum Mythos.
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ein schwieriger Vorgang, der ganz nach dem dialektischen Schematismus des „Empirismus" abläuft, in dessen zweitem Abschnitt „Der Prozeß des Werdens" ebenfalls das reale Prinzip B das erste, das ideale A das abgeleitete, wenn auch vornehmere war (W. I, 10, S. 241—249, vgl. S. 65). Hier erhebt sich eine neue Schwierigkeit. Ist das menschliche Bewußtsein trotzdem gezwungen, in den mythologischen Prozeß einzugehen? Auch hier schafft der „Empirismus" Rat, namentlich in der ersten Gottesvorstellung (W. I, 10, S. 262—265). Das ursprüngliche Seinkönnen tritt jetzt in der H. als Unbewußtsein auf, und zwar zweiseitig. Erstens als i n t r a n s i t i v e s Sein-Können (hier spielt schon die zweite Gottesvorstellung mit, vgl, ib. 277, S. 69), lautere Wesentlichkeit, die noch in Ungewißheit ist über die Möglichkeit des Andersseins; hierin liegt die Freiheit vom Prozeß. Zweitens als t r a n s i t i v e s Sein-können, welchem sich diese Möglichkeit vorstellt. Hier muß er auf Nötigung der Nemesis wählen, ob er in den Prozeß eingehen will oder nicht; eine relative Freiheit also, eine Willkür (H. 86—89). In den W. kommt diese Unterscheidung in Wegfall. Die erste Setzung war, obgleich sie völlige Freiheit gewährte, bloß wesentlich; also denknotwendig, negativ. Um das positive Prinzip zu retten, schien es weniger gewagt, wenn mit der zweiten Setzung vorüebgenommen wurde, auch wenn infolgedessen die „intelligible" Freiheit zur Willkür herabgesetzt wurde. Ob damit dieses alte Problem der Freiheitslehre eine befriedigende Lösung fand, ist eine zweite Frage, die jedoch für Schelling nur untergeordnete Bedeutung hat gegenüber der Hauptforderung, daß sein positives Prinzip, die Tatsache, in seiner übermächtigen Stellung nicht gefährdet sei. Die „Problemstellung I " — das Verhältnis zwischen Mythologie und Offenbarung in der H. und in den W. — erfordert noch eine kurze Beachtung. Kurz gesagt: es ist wesentlich dasselbe; nur ermöglicht in der H. die Ungebrochenheit der idealen Reihe A—A,—A 3 in der Gotteserzeugung eine Anwendung des Trinitätsbegriffes in der Mythologie, welche den Gegensatz zu der Offenbarung erheblich mildert. Für die Charakteristik dieser Anwendung verweisen wir auf unser Referat, wo sowohl in bezug auf Gott wie auf den
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ursprünglichen Menschen (S. 143) die ideale Reihe geradezu als Dreieinigkeit dargestellt wird; sie ist sowohl im ursprünglichen, praemythologischen, wie im christlichen Menschen da, sowohl vor als nach dem mythologischen Prozeß also. Dieser erscheint gewissermaßen als ein reales Interregnum, als eine zeitliche Verbannung des idealen Prinzips, die es ebensowenig zugrunde richtet, als die päpstliche Verbannung in Avignon das katholische Prinzip. Es blickt doch überall durch, auch in dem mythologischen Prozeß, und begreiflicherweise in der H. viel stärker als in den W., welche bloß Anzeigen und Fußstapfen der Dreieinigkeit in den heidnischen Religionen zulassen (II, 2, S. 79). Da der Unterschied bloß in der Betonung liegt, ist jedoch der Beweis schwer zu erbringen; es sind vielmehr Feinheiten, die durchgefühlt sein wollen. Diese immerwährende Anwesenheit des Trinitätsprinzips gewährt nicht nur die Kontinuität des mythologischen Prozesses mit dem Goldenen Zeitalter einerseits, mit dem Christentum anderseits — sie bekleidet auch die vorchristlichen Religionen mit einer Würde, die in der letzten Fassung von Schellings positiver Philosophie erheblich verblaßt ist; ein Entwertungsprozeß, der innerlich notwendig war, da ja alles auf die Verherrlichung des Christentums berechnet war. Daß Schelling sich jedoch ernstlich bemüht hat, alle vorchristlichen Religionen richtig einzuschätzen, beweist ein Bekenntnis aus unserer H. (405): „daß er alle Mittel aufgewandt hat, um den Buddhismus aus der indischen Mythologie selbst entstehen zu lassen, sich darin wohl dem Ansehen einiger Männer hingebend. Nachdem er jedoch alles für diese Ansicht zu vereinigen versucht hatte, scheint sie ihm unannehmbar; den Buddhismus als Resultat einer sich vernichtenden Macht anzunehmen, will sich mit seinem Gefühl nicht vertragen. Er muß also auf den Vergleich mit der Mithraslehre zurückkehren." Von einer solchen Bemühung, den Buddhismus als den Abschluß der indischen Mythologie darzustellen, findet sich keine Spur in der H., welche diese Äußerung vollständig unvermittelt bringt. Genau wie in den W. betrachtet Schelling den Buddhismus als eine reaktive Parallelerscheinung zur indischen Mythologie, zugleich mit ihr entstanden. Was aber .o-
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dem persischen Mithradienst gelang — die Entfaltung einer Mythologie zu verhindern —, war dem Buddhismus nicht möglich; hier setzte sich der mythologische Prozeß bis zur Selbstzersetzung durch, ohne einen Abschluß finden zu können. Was hätte da mehr auf der Hand gelegen, als dem Buddhismus die abschließende Rolle zu geben, indem er den endgültigen Untergang einer zersetzten mythologischen Weltanschauung in einem mönchischen Quietismus bestätigt? Dagegen jedoch regt sich Schellings Gerechtigkeitsgefühl. Es ist töricht, eine Religion, welche das religiöse Bedürfnis von Millionen Menschen so sehr befriedigt, daß Bekehrungen seiner Anhänger selten sind, als lauter negativ zu betrachten; und Schelling, hierin glücklicher als Hegel1), hat zuviel mystische Erfahrung in sich aufgenommen, um nicht zu ahnen, daß die Quelle der inneren Kraft im Buddhismus eben diese weltumfassende, kosmische Mystik ist, welche den Kern seiner eigenen Lehre bildet. Wie aber reimt sich ein so positives Ergebnis mit dem Abschluß eines Zersetzungsprozesses? Hier zeigen sich die Grenzen von Schellings System, das mit modernen dialektischen Formeln des Westens orientalische Religionsbildungen verstehen will. Um die indische Mythologie zu verstehen, ') Bleibt Hegel in der Einfühlung hinter Schelling zurück, formal kommt er nicht über ihn hinaus. In seiner „Geschichte der neueren Philosophie", III, 2, S. 283 schreibt Erdmann in bezug auf die ersten zwei Auflagen d«r Religionsphilosophie Hegels: „Dabei machen einige Differenzen zwischen beiden Redaktionen den Verdacht rege, als habe Dankbarkeit den Schüler dahin gebracht, offenbare Unrichtigkeiten auszumerzen. So wird z. B. in der zweiten Auflage der Buddhaismus nach der Brahmareligion abgehandelt, während Schreiber dieses es weiß, daß wenigstens bis zum Jahre 1828 Hegel . . . den Buddhaismus, gegen alle historischen Zeugnisse, als eine altere Gestalt des religiösen Bewußtseins abhandelte." Hfeg£l'hegt also die gleiche Auffassung wie Schelling; ob er hier auch auf ihn eingewirkt hat ? Es ist nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Die erste Auflage von Hegels Religionsphilosophie erscheint erst 1 8 3 1 ; und wenn Schelling in seiner isolierten Stellung schon von einem für beide Philosophen etwas schwierigen Unterteil wie dem Buddhismus Kenntnis genommen hat, so war Hegels Urheberschaft, eben in diesen Jahren, das Gegenteil einer Empfehlung. Vielmehr ist anzunehmen, daß die gleichen Beweggründe, welche wir für Schelling anführen, auch Hegel zu der gleichen Stellungnahme zum Buddhismus veranlaßt haben.
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muß er anerkennen, daß sich Zufälliges, Phantastisches in die Notwendigkeit des mythologischen Prozesses mischt; in der H. (401) vergleicht er sie mit einer geognostischen Formation, deren Erscheinung ihrer Bestimmung nicht ganz angemessen ist. Hätte er klarer durchschaut, welche Rolle die Mystik schon im Brahmanismus spielt — man denke an die Brahman- und Atman-Lehre —, so wäre es ihm auch nicht so schwer gefallen, den Buddhismus als einen (wenn auch nicht den einzigen) Abschluß einer innerlich mächtigen religiösen Bewegung zu erfassen. Aber — eben das konnte er nicht. Es war ohne Zweifel ein Hindernis, daß zu jener Zeit sowohl Hinduismus wie Buddhismus nur erst mangelhaft bekannt waren; Schelling erwähnt das selber. Insbesondere, daß er bloß den nördlichen Buddhismus gekannt hat, der bekanntlich stark mit teilweise minderwertigen mythologischen Elementen durchsetzt ist. Man soll hier aber nicht den Hauptgrund suchen; denn Schelling war ein viel zu eindringlicher Geist, um nicht aus der oft grotesken Hülle den kostbaren Kern herausschälen zu können. Der Hauptgrund war vielmehr eine innerliche Hemmung; wenn der Buddhismus wirklich der positive Abschluß einer positiven mythologischen Entwicklung ist, so ersteht in ihm ein gefährlicher Nebenbuhler des Christentums! Ja, der Buddhismus hat in seiner negativen Weltbewertung die Herrschaft der Tatsache, im Brahmanismus schon stark durch die Yogalehre erschüttert, so radikal durch die Zentralität der (inneren) Tathandlung ersetzt, daß sie fast als verneint erscheint; nur wird die Fassung mystisch-philosophisch und nicht wissenschaftlichphilosophisch, weil ihm nicht ein Sokrates und ein Piaton, sondern das Samkhyasystem vorangegangen ist. Eben zu einer solchen Lösimg konnte Schelling jedoch nicht gelangen. Seine positive Philosophie hatte das mythologische Prinzip der Tatsache zum eigenen gemacht. So kommt er nicht nur in seiner Philosophie der Offenbarung aus der mythologischen Ordnung nicht heraus, er kann auch jene vorchristlichen Religionen, welche, wie Avesta und Buddhismus, schon die Tathandlung zum obersten Prinzip erhoben hatten, nur negativ als Reaktiverscheinungen zum mythologischen Prozeß erklären. 149
DAS KULTURELLE ERGEBNIS A) FQR DIE V E R G A N G E N H E I T :
IV. DER ALTE SCHELLING IM ZEITBILD B) FQR DIE G E G E N W A R T :
V. DER ENTWICKLUNGSGANG IM BEWUSSTSEIN
EINWIRKUNGEN AUF SCHELLING »Schelling ist einer von jenen Denkern ohne eigenes Rückgrat, die sich wie eine Schlingpflanze an andere anlehnen und an ihnen empordenken, nicht sosehr durch kritische Verarbeitung als durch phantasiemäßige Befruchtung, Umgestaltung und Verschmelzung.« Dieser Satz Eduard von Hartmanns 1 ) birgt einen Widerspruch in sich, denn ein Denker, der anderer Systeme phantasiemäßig befruchtet, umgestaltet und verschmilzt, kommt ohne eigenes Rückgrat nicht aus; eine These, deren Richtigkeit sowohl Metzgers Untersuchungen wie Rosenzweigs Auffindung des „Systemprogramm 1796" hinreichend bestätigt haben (vgl. S. 24—34). Hartmann hat sich durch den Tatbestand irreführen lassen, daß Schelling sich eines philosophischen Rückgrats erfreute, so gelenkig wie das eines Schlangenmenschen; deshalb stimmt auch seine Deutung der verhältnismäßigen Unfruchtbarkeit Schellings in dessen zweiter Periode nicht, als ob diese dem Fehlen neuer Philosophengestalten als Vorbilder zu verdanken sei. Vielmehr hat unsere Untersuchung gezeigt, wie die verschiedenen Philosophen — Fichte, Kant, Spinoza, Leibniz, Piaton, Bruno, Pythagoras, Aristoteles — ihm bloß die Ausdrucksformen leihen, in welche er jeweils den Gehalt seiner Philosophie einkleidet; es war sein Mangel an formaler Begabung, nicht an Selbständigkeit des Denkens, die ihn zu diesen Entlehnungen veranlaßte. Die Wahl des jeweiligen Philosophen ist immer ein Wahrzeichen seiner inneren Entwicklung, die für Schelling letzten Endes bestimmend ist; daß er zuletzt auf Aristoteles verfällt, ist also Phaenomen dieser Entwicklung, nicht Bestimmungsgrund, wie v. Hartmann meint. Wenn auch der gebundene Mensch, das empirische Ich, sich beeinflussen läßt, der auf die Stimme des Absoluten Ich hörende Denker nimmt diese ') „Schellings philosophisches System", S. 3.
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Einwirkungen bloß als Anlässe zu seiner Tathandlung hin, als bloße Umstände, denen er sich zu seinen Zwecken bedient; oder, weniger negativ gefaßt: es sind ihm wirkungsvolle Anregungen. Da wir jedoch nicht leugnen dürfen, daß hier ein Idealbild geschildert wird, und daß auch der Denker ein gebundener, den Einflüssen seiner Umwelt unterworfener Mensch ist, so scheint sich das Problem der Einwirkungen auf den alten Schelling wieder sehr verwickelt zu gestalten. Aber auch nur scheinbar. Die letzte Philosophie Schellings ist das Werk eines vereinsamten Romantikers. Die erste Generation der Romantiker, aus welcher Schelling emporgewachsen war, stirbt aus; und die Lebenden rücken allmählich von ihm ab, mit Ausnahme von wenigen Getreuen, unter denen nur Creuzer und Schubert für die Gestaltung des positiven Systems bedeutsam werden. Die Bedeutung F r i e d r i c h C r e u z e r s i s t ziemlich bekannt. Seine »Symbolik« ist eine romantische Wiederbelebung der spätantiken Ansichten über die Mythologie, die eine aus Asien herstammende, den unmündigen Völkern in bildlicher Form vorgetragene Priesterweisheit sei. Creuzer war zweifellos ein fein empfindsamer und synthetischer Geist, leider zu wenig kritisch; nachdem sein System von Herrmann in freundlicher, von Lobeck in scharfer Weise kritisch untergraben war, hat es Voß mit roher Hand niedergemetzelt1). Schelling mußte Creuzers auf Totalität gehende Einstellung kongenial sein, aber ferner — welche Unterschiede! Creuzers mythologisches Weltbild, das noch an Schellings Jugendauffassung erinnert, ist heiter, fast idyllisch, ganz in der Tonalität der Aufklärung gehalten: allmählich schreitet der Mensch von der bildlichen zur logischen Metaphysik fort. Bei Schelling dagegen keine Priesterweisheit aus dem Orient, sondern ein tragischer Kampf um Erlösung, der den ganzen mythologischen Zeitraum zwischen Sündenfall und Christentum ausfüllt; auch ist von Symbolik nicht die Rede, vielmehr von einem wirklichen theogonischen Prozeß im Bewußtsein. Ist also Schelling ') Über diese Vorgänge vgl. Ernst Howald, Der Kampf um Creuzers Symbolik, Tübingen, 1926.
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formal nur wenig von Creuzer abhängig, seine materialen Kenntnisse, namentlich seine philologischen, sind fast ausschließlich aus Creuzers Schriften entnommen, an welche infolgedessen manche Einzelbetrachtung anklingt. Seinen andern Zeitgenossen gegenüber verhält sich Schelling dagegen ablehnend, wie es seine »historische Einleitung« zur Genüge anzeigt. Selbständig baut er sein eigenes System der Mythologie auf, das ein durchaus ursprüngliches Gepräge trägt, auch da, wo er auf den Grundlagen der beiden religionsphilosophischen Urheber der Romantik, Rousseau und Hemsterhuis, weiterbaut, deren Einfluß auf Schelling somit leicht überschätzt wird. Namentlich R o u s s e a u hat für Schelling wenig bedeutet. Gemeinsam ist ihnen das Goldene Zeitalter, aber wie verschieden die Auffassung! Bei Rousseau (erster und zweiter Discours) hängt die sittliche Verwesung sehr stark mit der sozialen Entwicklung zusammen. Im ewigen Frühling des Paradieses ist der Mensch wie ein Kind; alle Leidenschaften schlummern. Er ist einsam, ungesellig, nur durch seine Allseitigkeit über das Tier erhaben, das bloß Instinkt der Selbsterhaltung, nicht Mitleid kennt. Die große Zahl der Geburten vertreibt ihn aus dem Paradies; dann erst fängt die Bildung von Gesellschaft und Sprache an, und damit die fortschreitende Verderbnis durch die Kultur in den sukzessiven Zeitaltern der Hirten, des Ackerbaus und der vollständig entwickelten Stadtkultur. So kulturmüde Rousseau ist, dennoch will er Kunst und Wissenschaft nicht vernichten ; da wir nun einmal im Sumpf stecken, können sie als Palliativa dienen (Réponse ati roi de Pologne). Später (im Emile, Contrat social usw.) glaubt er sogar in der Kulturwelt eine Besserung durch sittliche Erziehung möglich, mitunter durch den Staat, dabei auf Kreta, Sparta und das alte Persien hinweisend. Mit Schellings Philosophie der Mythologie berühren sich diese Gedankengänge kaum. Bei ihm ist die Vertreibung aus dem Paradies kein ethischer Vorgang, der sozial, sondern ein religiöser, der philosophisch verstanden werden soll, weil er ja vorhistorisch ist. Auch fernerhin ist die Diskrepanz 155
(man denke an die Bedeutung von Mythologie und Offenbarung!) so groß, daß Fester1) in den wenigen auf Schelling bezüglichen Seiten den mittelbaren Einfluß über Fichte heranziehen muß, um noch etwas dabei herauszubringen. Mit F i c h t e s »Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« hat Schelling wenigstens die philosophische Grundlage gemein, wo Fichte schreibt: »Der Geschichte werden von derselben Vernunftwissenschaft zuvörderst die Mythen über die Uranfänge des Menschengeschlechts, als zur Methaphysik gehörig, abgenommen, und sie erhält einen bestimmten Begriff davon, wonach die Geschichte eigentlich frage und was in sie gehöre, nebst einer Logik der historischen Wahrheit.« — So werden die empirischen Wissenschaften von ihren aprioristischen Elementen gereinigt (Vorlesung 7). Wenn dieser Urzustand der Menschheit zu Ende geht, kann die Geschichte ihr Recht geltend machen, weil ihr alsdann Fakta zur Verfügung stehen; zuerst die Mythe über den Urzustand selbst sowie über die Zerstreuung des Normalvolkes und seine Vermischung mit den Wilden (Vorlesung 9). Beide Philosophen sind sich darin gleich, daß sie den Urzustand der Menschheit als ein Paradies, in dem nichts vorgeht, aprioristisch postulieren (und dann Schelling in der H. mehr als in den W.); infolgedessen gehört die Erforschung dieses Zeitalters der Philosophie an. Aber schon hier zeigen sich Unterschiede: Fichte überweist sie der Metaphysik, was Schelling ausdrücklich abweist und sie dagegen für die Religionsphilosophie in Anspruch nimmt (vgl. S. 106). Jedoch, auf diese Übereinstimmung beschränkt sich die Ähnlichkeit. So eng" sich Fichtes »Zeitalter« an die späteren Aussichten Rousseaus anschließen, sowohl dem Inhalt wie dem Ziele nach, so wenig berühren sie sich mit Schellings positivem System. Fester sieht noch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Fichtes »Wilden« und den »niedrigen Racen« in Schellings Ph. d. M.a). Zu Unrecht. Fichtes »Wilden« bilden ein naives, ungelenkes Verlegenheitspostulat, das genau dasselbe leisten soll, wie die Epizyklen der mittelalterlichen Astronomie: zu ') Rousseau und die deutsche Romantik. ») W. II, 1, S. 500 ff.
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erklären, wie das »Normalvolk« in seine Unvollkommenheit verfallen konnte, wo es doch als, vollkommen gemeint war. Ein Vergleich dieser Betrachtungen, die zü den schwächsten Teilen dieser Schrift gehören, mit den genialen Anschauungen Schellings, der in den Rassen, von den Negern ab bis zu den Kaukasiern empor, den Ausdruck einer allmählichen Potenzierung in der Menschheitsentwicklung erblickt, muß von vornherein aussichtslos erscheinen. Dieses 21. Kapitel der »Einleitung« in die Ph. d. M., wohl mithin das letzte, was der greise Schelling geschrieben, ist von einer fast visionären Tiefe und von einer Tragweite, zu deren Schätzung die Maßstäbe der heutigen mythologischen Wissenschaft nicht ausreichen. Noch aus einer andern Quelle als der vorwiegend ethisch gerichteten Lehre Rousseaus entspringt die Romantik, nämlich aus der mehr ästhetisch gefärbten Philosophie des holländischen Patriziers F r a n ç o i s H e m s t e r h u i s , dessen Einfluß Kircher in seiner »Philosophie der Romantik« mit feiner Einfühlung aufweist. In Hemsterhuis ersteht wieder das Ideal der »sophrosyne «, das wie ein feiner Duft seine Schriften durchdringt. Ein Systematiker ist er nicht; es bleibt überall bei Ansätzen, die wie vielversprechende Knospen anmuten. Es ist die Frühlingsluft der Romantik, die uns aus dieser geistreichen, in Pastell ausgeführten Genremalerei entgegenweht und sie uns als ebenso frisch wie zur Zeit ihrer Entstehimg erscheinen läßt. Trotz seiner fast fragilen Feinheit ist Hemsterhuis ein Pionier: als erster findet er das Verständnis für Kultur als geschichtliches Ergebnis wieder. Nimmt es Wunder, daß ein so gerichteter Geist sich auch vom Mythos des Goldenen Zeitalters angezogen fühlte? In seinem Dialog »Alexis, ou de l'âge d'or« zeigt er sich, auf Piaton und Pythagoras zurückgreifend, zu der Annahme eines solchen Paradieszustandes geneigt. Sicher hat Schelling diese, durch die Übersetzung Fr. Schlegels in Romantikerkreisen allbekannt gewordene Schrift gelesen. (Außerdem zitiert er Hemsterhuis S. 1 1 3 unserer H.) Wenn wir nun bedenken, daß für Schelling, wie ehemals für 157
Hemsterhuis, zu dieser Zeit Pythagoras und Piaton die philosophischen Kommentatoren des mythologischen Zeitalters waren (sei es für beide nicht im gleichen Sinn), so liegt die Vermutung nahe, daß die Schilderung des Goldenen Zeitalters bei Schelling aus der Sphäre des holländischen Philosophen geboren ist. In der ersten Münchener Zeit mag auch F r a n z von B a a d e r auf die Gestaltung von Schellings positivem System eingewirkt haben; namentlich seien, nach Ed. v. Hartmann1) die »rotatorische Bewegung der Potenzen vor Eintritt der Scheidung, die bereits in den »Weltaltern« ausführlich vorgetragen wird, und die Lehre vom idealen Urmenschen und der durch seinen Fall bewirkten Naturverschlechterung« auf Baader zurückzuführen. Ungleich eingreifender hat jedoch auf die Gestaltung namentlich des praemythologischen Goldenen Zeitalters in Schellings System ein bescheidener, feiner Gelehrter eingewirkt, dessen Verdienst erst in jüngster Zeit wieder erkannt wird. Gotthilf Heinrich von S c h u b e r t , Mineraloge und Mediziner, ist sein ganzes Leben hindurch nicht nur Schellings Schüler in philosophicis, sondern auch sein Freund gewesen; beides, vor allem letzteres eine Leistung! Schon die Vermutung scheint fast lächerlich, als könnte ein so milder Mensch wie Schubert den soviel mächtigeren Schelling beeinflussen, und dennoch ist sie nicht widersinnig: nur ein so weiches, fast weibliches Talent dringt unbemerkt in ein ausgesprochen männliches ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Schubert hatte schon, jedoch ohne großen äußeren Erfolg, seine »Ahndungen« herausgegeben, als er von befreundeter Seite förmlich dazu gezwungen wurde, im Winter 1807—08 in Dresden vor einer vornehmen, gebildeten Gesellschaft (Dresden war damals ein internationales Bildungszentrum) eine Reihe von Vorlesungen über ein »okkultistisches« Thema zu halten. Daß Krause, der in den vorhergehenden Jahren intim mit Schubert verkehrte, auf den Inhalt dieser Vor') Schellings philosophisches System, S. 25.
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lesungen, wenn auch nur mittelbar, eingewirkt hat, ist nicht unwahrscheinlich. Schubert selber erwähnt1), wie der Verkehr mit Krause, der ihm wie ein Gymnosophist oder Pythagoräer vorkam, zur Klärimg seiner vorher nebelhaften Gedanken beitrug; und daß Krause sich eben in diesen Jahren mit »Menschheitsgeschichte« beschäftigte, bezeugt Leonhardi in seiner Schrift »K. Chr. Fr. Krause als phil. Denker gewürdigt«. S. 351 schreibt er, wie Krauses Philosophie der Geschichte vom Jahre 1829 in ihren Grundzügen schon seit 1803 in Jena vorgetragen war; wie er das meiste Dahingehörige im Jahre 1807 arbeitete und vieles in seinem masonischen Werke »Die drei ältesten Kunsturkunden der Freimaurerbrüderschaft« (Dresden 1810—13) mitteilte. Und S. 305 zitiert er Krause: »dies (u. a. seine Menschheitsgeschichte, D) sah ich im Lenz des Jahres 1808 in voller Bestimmtheit ein.« Krauses und Schuberts geschichtsphilosophische Ansichten reifen also gleichzeitig, und da sie innerlich Verwandt sind, wären wir leicht geneigt, die Unterschiede zu übersehen. Freilich, auch Krause kennt, als erstes Hauptzeitalter, einen Paradieszustand; aber das zweite »Hauptzeitalter« gliedert er in drei »Zeitkreise«— Altertum, Mittelalter und Neuzeit — in denen das Göttliche resp. als endlich, transzendent und wesenhaft gesetzt wird; es bildet den Übergang zum dritten Hauptzeitalter, das uns jetzt bevorsteht und in dem Krauses wissenschaftlich-philosophischer Menschheitsbund verwirklicht wird. Krauses Geschichtsphilosophie, eine der edelsten Früchte der humanistischen Freimaurerei, ist somit eine prospektiv-teleologisch gerichtete Ideologie und steht insofern im Gegensatz zu Schellings retrospektiv-christozentrischer Einstellung; und Schuberts »Nachtseite« steht doch immerhin Schelling näher als Krause. Unter dem Titel »Ein Held aus Angst und Noth «2) erzählt Schubert mit feiner, geist reicher Selbstironie, unter wie schwerem Druck diese Vorlesungen geboren sind. Dieser Druck nötigte ihn, seine oft verschwommenen Gedankenbilder gleichsam zu kristallisieren; und die »Noth« erhebt ihn zu einer Kühnheit, die seine anderen Schriften allzusehr ver') Selbstbiographie, 2, S. 195. *) Selbstbiographie, 2, S. 266 ff.
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missen lassen. Als er dann, nicht aus eigener Bewegung, seine Vorlesungen als »Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften« herausgibt (1808), erschreckt er vor seinem eigenen Wagemut und arbeitet in der zweiten Auflage (1817) die sehr kühnen ersten fünf Kapitel vollständig um; da manchen Lesern die viel frischere erste Fassimg lieber war, bringt er in der vierten Auflage (1840) den ursprünglichen Text wieder, fügt aber die spätere Fassung der ersten vier Kapitel in einem Anhang bei. Am 30. Dezember 1808 dankt Schelling seinem Freunde für die Zusendung dieser Schrift, die er, mit Ausnahme der über Gebühr zurückhaltenden letzten Kapitel, sehr lobt. Mit seinen tiefsinnigen Ausführungen, insbesondere den medizinischen über das Hellsehen, sei ihm Schubert gewissermaßen zuvorgekommen. Was Schubert an diesem Buch irre macht, sei vielleicht, daß es nicht gleichmäßig gearbeitet ist 1 ). Die ersten vier Kapitel, die für uns besonders in Betracht kommen, erwähnt Schelling nicht, und das ist begreiflich: in dieser seiner theosophischen Epoche beschäftigen ihn zwar die Probleme des Hellsehens, noch nicht aber die mythologischen. Als nun Schelling zu diesen Problemen fortgeschritten, war bereits die zweite Auflage von Schuberts Schrift erschienen, und zwar ohne die ersten vier, auf die Uranfänge der Menschheit bezüglichen Kapitel. Ist nun Schellings Aufmerksamkeit auf diese Betrachtungen umsomehr gerichtet worden, weil er sie, wie »viele Leser« schmerzlich vermißte ? Wir wissen es nicht; aber ein merkwürdiges Zusammentreffen kann hier sicher festgestellt werden. Betrachten wir jetzt diese Kapitel näher. In dieser ältesten Zeit — also Schubert — sehen wir das Menschengeschlecht in der ersten heiligen Harmonie mit der Natur, ohne eigenen Willen, erfüllt von dem Instinkt der Weissagung und Dichtkunst, unter dem Szepter des Uranos froh. Nicht der Menschengeist erfaßt die Natur, sondern diese erfaßt lebendig den Geist des Menschen. Uber der Natur walten die Gestirnmächte; weise Priester-Könige sind als ihre reinsten Organe von den Menschen als Stellvertreter dieser göttlichen Sternmächte gewählt worden, und ihr geweihtes Auge bewahrt den alten Bund mit der l
) Plitt, Aus Schellings Leben in Briefen, 2 - 3 , S. 138.
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Natur. Überreste finden wir noch in der Priesterweisheit verschiedener Völker, in den Mysterien (Dodona, Virginia), in Weissagung aller Art. Als Goldenes Zeitalter ist diese Epoche seligen Friedens und paradiesischer Freuden bei allen Völkern der darauf folgenden Vorwelt in Erinnerung geblieben; in dieser Zeit der Kindheit war der Fatalismus (das völlige Dahingehen des eigenen Willens in ein ewiges Gesetz) noch am Platz. Auch in der Natur finden wir ja zuerst Gebundenheit (Kristall), bevor das freiere Prinzip im Pflanzenreich auftritt. Die Auffassung, daß die Menschheit aus einem Urzustand der Roheit und Wildheit durch Mangel und Furcht zur Kultur und Religion gelangt sei, wird mit der Bemerkung abgewiesen, daß die ältesten Stufen einer religiösen Entwicklung die reinsten und erhabensten Ansichten enthalten (Inder), und daß die Poesie älter sei als die Prosa; die wilden Völker seien vielmehr heruntergekommen als ursprünglich wild. Wie das Tier in seinem Instinkt und Kunsttrieb, so war auch der Mensch ein Organ der Natur, die er jedoch, vor allem in der Astronomie, in ihrer Gesetzmäßigkeit zu erkennen versuchte. Es scheint, als ob diese tiefe Priesterweisheit bei der Völkertrennung gesprengt wurde (Bailly) und allmählich verloren ging. Zugunsten des Ackerbaus ist die Astronomie nicht gepflegt worden; dieser, und sogar die Viehzucht sind spätere Kulturerscheinungen, als der Mensch sich vom lauteren Obstessen abwandte. Vielmehr ist sie aus der richtig verstandenen Astrologie entstanden: das an dem Wandel der Weltkräfte erkannte Gesetfc der Notwendigkeit wurde dem Menschen ein Maßstab des eigenen Schicksals (Kepler); sie war mehr Religionslehre und Naturkulttis, als Wissenschaft in unserem Sinne. Die Natur versteht sich erst in dem Menschen als ihr Organ, weil er die Sprache besitzt. Die alten Sprachen (Sanskrit) waren entwickelter und rhythmischer als die späteren. Dem in hoher Begeisterung gesprochenen lebendigen Wort wurde die höchste Gewalt über das Wesen der Dinge zugesprochen; es wirkt wie das Licht in der Flamme; Zukunft und Vergangenheit offenbart es, weil der ewige Geist in ihm wirkt. Die alten Priester verstehen auch die Laute der Natur, die sie zu Weissagungen verwenden (Dodona, der älteste Norden) als Sphärenharmonie, wenn auch dissonierende; so gesellt sich die Musik als älteste Kunst zur Astronomie als älteste Weisheit. Ist nun dieses Paradies durch Altern der „Mutter" oder durch Aufwachsen des „Kindes" verlorengegangen ? Hat die Abnahme der Gewalt der höheren Natur den Menschen auf eigene Kraft
DckUer, I)ie Rückwcndung /um Mythos.
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zurückgewiesen, oder hat dieser sich ihrer Obergewalt immer mehr entzogen? Wohl beides. Sein eigener Wille bewirkt seinen Fall, aber nur damit das hohe Glück der Urzeit von dem höheren Streben zur Selbständigkeit, das sich im Christentum offenbart, verdrängt wurde. Es war ein schmerzlicher, unheilvoller Weg, denn ein allgemeines Naturgesetz will, daß Altes sterben muß, wenn ein Neues und Höheres aufgehen soll. In dieser Übergangszeit hat die scheidende alte Zeit die Mysterien zum Tröste zurückgelassen, deren Hauptthema, neben Erinnerungen an das vergangene Glück, der Sieg der Liebe über den Tod war; der Untergang des Individuellen geht aus dem höchsten Streben der Seele hervor. Die Mysterien wurden den Mysten nicht mitgeteilt, sondern in einem sorgfältig vorbereiteten Zustand der Begeisterung, der göttlichen Trunkenheit offenbart. Dieser inneren Unabhängigkeit von der ihm äußerlich gewordenen Natur entspricht auch eine äußere Unabhängigkeit durch die Einführung des Ackerbaus, die ebenfalls in den eleusinischen Mysterien dargestellt wurde. Der Übergang zum Christentum bereitet sich auch negativ in der Entartung der Orakel vor, die mit gewaltsamen Mitteln versuchen, die alte Einsicht in die Natur zu erhalten; waren es in Dodona noch reine, gesunde Mittel, Delphi wirkt schon durch unterirdische Dämpfe, und schließlich soll sogar durch Blutvergießen die immer mehr mangelnde Begeisterung stimuliert werden. Vergebens. Schon der Wegfall der alten astronomischen Kenntnis war ein Zeichen des herannahenden Christentums, bezeichnenderweise zuerst bei den Griechen und Juden, die der neuen Lehre zuerst zugänglich wurden; und so mußte auch das entartete Heidentum, so krampfhaft es auch an seinen erlöschenden Orakeln hing, dem neuen Ideal des Kreuzes weichen, zu dem schon die Mysterien vorbereitet hatten. In diesen ersten vier Kapiteln paart sich mit einem wunderbaren Tiefsinn eine für Schubert ungewöhnliche Knappheit und Klarheit; wenn auch in Einzelheiten verfehlt oder überholt, so mögen sie als Ganzes für das Studium der Mythologie als klassisch gelten. Es ist daher auch unmöglich, einen guten Auszug aus diesen so gedankenreichen Blättern herzustellen; und in unserem Falle wurde diese Aufgabe noch dadurch erschwert, daß wir uns auf diejenigen Gedankenreihen beschränken mußten, die sich mit Schellings Ph. d. M. berühren. 162
Bei dem Vergleich beider Schriften springen die Unterschiede sofort ins Auge. Bei Schelling eine reiche, aber straffe dialektische Gliederung, die vom Sündenfall in aufsteigender Linie zum Christentum führt; bei Schubert ein rhythmisches, paradiesisches Weltbild, das nach dem Fall erst allmählich zersetzt und zuletzt vom Christentum abgelöst wird. Sind für Schelling die Mysterien das verinnerlichte, zum Christentum überleitende Endergebnis des mythologischen Prozesses, für Schubert sind sie außerdem noch die Schatzkammer uranischer Weisheit aus dem Goldenen Zeitalter. Der Hauptunterschied ist aber wohl, daß Schelling ein vollständiges System, Schubert bloß Grundzüge bringt; so fehlen bei Schubert, neben vielem anderen, die Beziehungen zwischen der Entstehung des Polytheismus, der Völker und der Sprache. Alle diese Unterschiede dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in beider Darstellung nicht nur die gleiche Grundstimmung herrscht, sondern daß auch beide nach dem gleichen Schema gebaut sind. Der Einfluß von Schellings Naturphilosophie ist bei Schubert auch in seiner »Nachtseite der Naturwissenschaft« sehr beträchtlich; frühzeitiger als sein Meister hat er deren Prinzipien jedoch auf das Goldene und das Mythologische Zeitalter als die Naturepochen in der Menschheitsentwicklung übertragen. Es scheint fast undenkbar, daß seine Entdeckung nicht auf Schelling eingewirkt hat, sei es auch erst einige Jahre später, so treffend ist die Ähnlichkeit. Daß Schelling selber diese Einwirkung nicht erwähnt, ist kein Einwand: je älter er wird, umso ängstlicher ist er bemüht, einen Anspruch auf absolute Ursprünglichkeit zu erheben. Das verhindert nicht, daß er sich Anregungen seiner Schüler, wenn nur unaufdringlich auftretend, niemals verschlossen hat; und was er Eschenmayer einst gewährte, wird er Schubert nicht verweigert haben.
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AUSGANG DES POSITIVEN SYSTEMS IN D E N M A T E R I A L I S M U S Wenn es wahr ist, daß jede Setzung in ihr Gegenteil umschlägt, so kann der Grund nur der sein, daß sie innerlich dieses Gegenteil schon war. Schellings positive Philosophie gilt als der unversöhnliche Gegensatz zum Materialismus; wählt doch jenes Gott, dieser die Materie als höchstes Prinzip. Hier scheint sich eine tiefe Kluft aufzutun, die jedoch dadurch überbrückt wird, daß beide ihr Prinzip als die höchste »Tatsache« betrachten. Diese These zu beweisen, wird für den Materialismus viel leichter sein, als es für die positive Philosophie war. Der Stoff ist ja für den Materialismus die Tatsache kat'exochen, die Sache, die tut, weil ihr Kraft innewohnt; darin knüpft sie unmittelbar bei dem Vorsokratiker Demokrit an. Was aber bei Demokrit noch lebendig war, weil er als MythoPhilosoph seine ganze Libido in diese Anschauung legen konnte, war nach der Periode der Sophisten und namentlich nach dem Auftreten von Sokrates und Plato nicht mehr möglich: schon bei Epikur zeigt sich die Verkümmerung, die nachher den Materialismus als ein so jämmerliches Gebilde kennzeichnen sollte. Die Führer dieser scheinbar wissenschaftlich, tatsächlich aber mythologisch begründeten Weltanschauung treten dann in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts als moderne Magier auf: mittels der Zauberformel des Kausalgesetzes können sie stufenweise zur Ur-Sache aufsteigen; diese Stufen bilden wieder relative Ur-Sachen, welche von untergeordneten Zauberformeln, den Naturgesetzen, beherrscht werden. Freilich, in dieser Reinkultur kam der Materialismus wohl nur in Deutschland vor; in Frankreich und England haben den Zeitgeist vor solchen Extremen die zwar verwandten, aber doch ungleich mehr organisch lebendigen Systeme von Comte, Spencer und Darwin behütet, deren Eindringen in Deutschland mithin schon verhältnismäßig als eine Erlösung aus dem verschränkten Formalismus dieses magischen Materialismus angesehen werden kann. Es gilt nun zu erklären, wie Schellings positive Philosophie historisch in den Materialismus ausmünden konnte. 164
Noch zu Anfang der vierziger Jahre findet seine Lehre in Berlin begeisterte Aufnahme; als fünfzehn Jahre später seine Werke erscheinen, feiert der Materialismus seine ersten Triumphe. Um diesen Vorgang richtig zu deuten, müssen wir auf die ersten Jahre nach Hegels Tod zurückgehen. Hatte Fichte das Prinzip der Tathandlung im »Ich« auf den Thron gehoben, dagegen die Tatsache als »Nicht-Ich" völlig verflüchtigt, so baute Hegel diese Anschauung dialektisch aus : die Tathandlung wird Weltprozeß, das »Ich« wird der Geist, der sich in diesem Weltprozeß verwirklicht. Die Verneinung des »NichtIch«, der Tatsache, ist zwar aufgehoben, dafür ist aber der ganze Prozeß logisch, nicht tatsächlich begründet: es fehlt die Tatsache als Grundlage ; und infolgedessen wird die Spannung des gegenstandslosen dialektischen Prozesses für den menschlichen Realitätssinn so unerträglich, daß sie die ganze Hegeische Schule sprengt. Wir wissen, daß sich der Riß nicht in dem fast unantastbaren Zentralbau von Hegels System, sondern in seiner Religionsphilosophie zeigt. »Religion ist der absolute Geist nach der Weise der Vorstellung« — so lehrt Hegel — und so stürzen sich gleich nach seinem Tode die nach Realität dürstenden Schüler auf die hauptsächlich in der Bibel erhaltenen »Vorstellungen« der christlichen Religion. Aber nicht alle im Sinne des Meisters: daß der Inhalt der Heiligen Schrift von vornherein als eine unantastbar feststehende Reihe historischer Tatsachen gilt, deren Autorität die Philosophie vor allen skeptischen Angriffen schützen soll. So versteht es nur der rechte Flügel der Hegeischen Schule, der sich in diesem Geschäfte allmählich der Orthodoxie nähert, wogegen der linke sich immer mehr dem Materialismus zuwendet. Um die Stellung der Hegeischen Schule zwischen Orthodoxie und Materialismus richtig zu verstehen, ist es erforderlich, festzustellen, daß die angeblichen Extreme formal sehr viel gemeinsam haben. Die allgemeine Rückwendung in dieser Epoche zur Huldigung vor der Tatsache als höchstem Prinzip kommt sowohl der Orthodoxie wie dem Materialismus zugute. Der Grund ist so begreiflich: An der Tathandlung
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hat man keinen Halt, sie wird als subjektiv empfunden, man will ein positives, objektives Prinzip, auf das man sich verlassen kann. Eine solche höchste Tatsache bieten sowohl Orthodoxie wie Materialismus: erstere in der Autorität der Bibel, deren Inhalt buchstäblich geglaubt werden soll; letzterer in dem Stoff und dessen Naturgesetzlichkeit, welche unbedingt gewußt werden kann. Zunächst ist der Vorteil auf seiten der Orthodoxie, weil ja die ganze, von Klassik und Romantik hervorgerufene Grundstimmung noch religiös war; daher ruft die Rückkehr zur »Tatsache« noch keinen Materialismus, sondern die sowohl im Protestantismus wie im Katholizismus aufkommende Reveilbewegung hervor. Es ist nun äußerst merkwürdig, daß dieser Reaktion die Schüler Hegels, ob rechts oder links, nicht den geringsten Widerstand leisten; auch sie werden von der Zeitströmung mitgerissen. Der rechte Flügel gibt der Orthodoxie sogar Vorschub, wenn auch diese niemals zugestehen kann, daß die Autorität der Heiligen Schrift irgendeiner Beschützung seitens der Philosophie bedürftig sein könnte. Anders steht es mit dem linken Flügel, der unter Führung von Feuerbach allmählich zum Materialismus überleitet. Auch diese Männer zweifeln nicht an der Autorität der Tatsache, sondern nur daran, ob es wirklich der Inhalt der Bibel ist, der als »oberste Tatsache« geglaubt werden soll: somit wird dieser Inhalt nicht mehr religiös als Wort Gottes absolut gewertet, sondern wissenschaftlich auf seine historische Zuverlässigkeit geprüft. Die Orthodoxie hat immer, und von ihrem Standpunkt mit Recht, jede Textkritik abgelehnt: das Wort Gottes, in der Heiligen Schrift als oberste Tatsache objektiviert, ist der Kritik des endlichen Menschengeistes unendlich überlegen. Eine »oberste Tatsache« darf nicht relativiert werden, und das geschieht, wenn sie als historisches Ereignis betrachtet wird; ihrer Heiligkeit entkleidet, schrumpft die von der Annahme einer „obersten Tatsache" abhängige orthodoxe Religion zusammen; zum Schluß (wie bei Feuerbach) als Wunschtraum anthropozentrisch gedeutet, zergeht sie in eine 166
agnostizistische Moralreligion. Dann ist der Prozeß zu Ende, und die enttäuschte Menschheit wendet sich den Priestern des Materialismus zu. Dem Materialismus. Denn nicht der Glaube an eine »oberste Tatsache «, sondern bloß an deren göttlichen Charakter, war entwurzelt; die Religion wird von der Wissenschaft verdrängt, und zwar von der Naturwissenschaft, weil sie die einzige ist, welche die oberste Tatsache als höchstes Prinzip nach objektiv gültigen Gesetzen erkennen kann. Da Erkenntnis Macht ist, wird die Naturwissenschaft als die einzig zuverlässige Erkenntnismethode die Welt immer mehr beherrschen; somit gibt das von ihr geprägte Weltbild auch die einzig haltbare Weltanschauung, den Materialismus, ab. Für unsere Zwecke ist es nun wichtig, daß es in diesem Abbauprozeß des religiösen Bewußtseins einen Moment gibt, der mit Schellings »Philosophie der Mythologie« korrespondiert, nämlich die mythologische Deutung des Christentums durch Strauß und Feuerbach. Was für die Orthodoxie noch unwandelbar feststeht — daß die Bibel als oberste Tatsache, als objektives Gotteswort, auch die tatsächliche Wahrheit und Wirklichkeit ihres so vielgestaltigen Inhalts garantiert — kommt ihnen anfechtbar vor. Der Zauber des Numinosen, welche die biblischen Vorstellungen als glaubhaft erscheinen ließ, haftet ihnen nicht mehr an, und so erscheinen sie jetzt als bloße Erzählungen religiöser Art, die nur noch mythologische oder psychologische Bedeutung haben, da sie vor dem Forum der historischen Kritik nicht bestehen können. Als ein ehrenwerter Familienspuk, den man aus gefühlsmäßig begründeter Tradition doch nicht gern vermissen möchte, fristet der Glaube in diesen Kreisen noch ein ärmliches Dasein, ohnmächtig, dem siegreichen Materialismus zu widerstehen. Der Grund ist klar. Ein oberstes Prinzip muß einheitlich sein, und das war die »Materie«, nicht aber der bunte Kreis der biblischen Vorstellungen; dieser kann als oberstes Prinzip nur dann bestehen, wenn er, wie von der Orthodoxie, mit tabu belegt wird. Wie steht es nun mit ScheUing? Er will die Gefahren der Vielheit vermeiden, indem er aus den vielen Tatsachen des Neuen Testaments eine einzige auswählt, nämlich Christi 167
Tod, und die andern vernachlässigt. Vergebens. Nur als Tathandlung ist der Tod Christi einzig, nur als Tathandlung kann er somit zum obersten Prinzip des Christentums erhoben werden; als Tatsache bleibt er eine unter vielen, und ist daher als oberstes Prinzip ungeeignet. Daß Schelling in diesen Problemen stecken blieb, ist die späte Rache des verdrängten Idealismus, der nur noch zerstörend in seiner Seele wirken kann. Da ihm die Wirkung im großen versagt ist, schleicht er sich als Potenzenlehre in die einzelnen Phasen des mythologischen Prozesses ein, die Schelling infolgedessen nicht mehr von ihrer Eigengesetzlichkeit aus verstehen kann; und dieser Mangel verwehrt ihm dann wieder den Einblick in den Übergang von der Mythologie zum Christentum als eine Umwälzung im obersten Prinzip, welche, von der griechischen Philosophie bereits vollzogen, jetzt auch religiös im Christentum ihren Abschluß findet, nachdem sie Mysterienwesen und Prophetismus, ja, schon Avesta und ägyptische Religion, vorbereitet hatten. Die Ansätze zu einer solchen Würdigung finden sich in der »Methode des akademischen Studiums«; daß er diese nicht entwickelt, sondern vernachlässigt hat, mußte sein positives System zur Unfruchtbarkeit verurteilen.
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DIE ERSTARRUNG DES WELTBILDES „Die Toten regieren die Lebenden." Mit diesem gewaltigen Worte hat Gimte, wenn auch ungewollt, seinen Positivismus charakterisiert; denn die Tatsache ist tot, die Welt des Materialismus ein Totentanz. Lebendig ist das schöpferische Prinzip, das wie der Genius eines gewaltigen Stromes die ewig seiende Wesenswelt verwirklicht; und dieses gestaltende Prinzip, das absolute Ich, lebt auch im Menschen. Ein Tropfen im Strom, vielleicht bloß durch seine Lage von den andern verschieden, kann er sich in voller Freiheit gemäß dem kosmischen Willen in seiner Eigenart gestalten, und zwar in einer eigenen Erscheinungswelt; hier Hegt der Anteil des Menschen an der Schöpfung, da er als Mitschöpfer auftreten darf. So schafft er sich seine Welt nach seinem Bilde, wie er selber nach Gottes Bild geschaffen wurde. Freilich muß zu diesem Zweck das Ich in einen Leib eingehen, Subjekt werden, will es seine Welt selbständig mittels des Bewußtseins gestalten; eine Beschränkung, die sich sowohl auf die Struktur des Bewußtseins wie auf die sinnliche Wahrnehmbarkeit seiner Erscheinungswelt überträgt. Diese Beschränkung bedeutet jedoch keine Entzweiung, solange das in seinen Leib eingegangene Ich in paradiesischem Gleichgewicht frei in der Mitte zwischen Gott und Welt schwebt. In seiner Geistigkeit ist es als Mikrokosmos das Abbild des göttlichen Makrokosmos; das ist sein Urverhältnis zu Gott, das ihn andererseits dazu befähigt, seine Welt, dem eigenen Bilde gemäß, als einen Mikrokosmos zu gestalten. Ein Doppelverhältnis, einerseits zu Gott als seinem Urbild, andererseits zu der Welt als seinem Abbild, das, obgleich es ein paradiesisches Bewußtsein voraussetzt, trotzdem den Keim der Entzweiung in sich trägt. Dieser Keim liegt nicht im „oben", das eindeutig ist; denn diese primitive Weisheit — das Wissen um das Einssein mit dem göttlichen Wissen — deckt sich noch mit der Religion als das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl vom kosmischen Willen. Vielmehr liegt er im „unten", das in seiner Zweideutigkeit (Schellings aöristas dyas) unruhig ist: es hat das göttliche und das irdische Element in sich — wozu
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braucht es noch Gott? Hier steigt aus dem Urgrund die Magie auf, die als köstliche Macht unheimlich den Menschen lockt; denn mittels Magie kann er die Welt in unmittelbarer Erkenntnis beherrschen: eritis sicut deus, sagt Mephisto. Mit diesem magischen Worte macht sich der Mensch zu Gott, nimmt das Flimmerlicht des Urgrundes den Thron des Lichtwesens ein: die Magie überwuchert die Gottesweisheit, das unselige Zeitalter des Mythos wird eingeläutet. Überstandenes Leid? Zweifellos, die Philosophie (und auf ihrer Fußspur die Erlösungsreligion) hat das Bewußtsein aus den Klammern der Magie gerettet, indem sie diese durch Wissenschaft ersetzte; aber dennoch quillt der Mythos allerorten durch die dünne Hülle unseres heutigen Bewußtseins, so aufgeklärt es sich auch gebärde. Psychoanalyse und Parapsychologie haben zur Genüge aufgedeckt, wie er in „anormalen" Fällen diese Hülle sogar durchbrechen kann. Daß er aber auch, und zwar in der Form des „magischen Gebildes" normaliter in unserem Alltagsleben auftritt, hoffen wir im letzten Hauptstück kurz aufzuzeigen; ja, dieses Gebilde beeinflußt unsere Lebenspraxis in einem so verhängnisvollen Ausmaß, daß es für das Gesicht des Mythos im modernen Menschen geradezu die Signatur abgibt. Tiefer noch als der Mythos jedoch lebt in uns das P a r a d i e s g e f ü h l . Auch es steigt wohl gelegentlich in uns auf; aber seltener und unauffälliger, nicht nur, weil es tiefer liegt, sondern auch, weil es in seiner beseligenden Wirkung oft fälschlich für eine echt-geistige Erlösung gehalten wird: der regressive Hang zum Paradiese täuscht wohlberechtigtes, weil progressives Erlösungsbedürfnis vor. Und wie begreiflich, daß wir das bequeme Gleiten in die Wohlgeborgenheit des Paradieses dem stacheligen Wege der Erlösung weitaus vorziehen! Faulheit und Feigheit täuschen hier ein mystisches Blendwerk vor, das bald erlöscht; denn . . . in der Tat glaubt kein Mensch im Ernst an eine paradiesische Zukunft ; viele Völker kennen das Paradies in irgendeiner Form als Vergangenheit, nicht ein einziges glaubt an seine dauernde Wiederkehr1). ') Die Paradiessage der Germanen (Völuspa), die eine Wiederkehr weissagt, ist spätheidnisch, wohl christlich beeinflußt, dabei keineswegs scharf
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Dieser Tatbestand läßt die bloß psychologische Deutung des Paradieses — als sei es ein bloßer Wunschtraum, der sich in das Bewußtsein durchgesetzt hat — als äußerst brüchig erscheinen. Auch die rationalistische Deutung — bei den mythologischen Völkern sei die Auffassung der alten Leute, es sei früher besser gewesen, maßgebend — ist unhaltbar1). Wenn aber die bloß psychologische Deutung des Paradieses uns nicht mehr genügt, liegt es da nicht auf der Hand, es wieder einmal zu nehmen für was es sich gibt: als wirkliche Vergangenheit? Trifft unsere Kritik zu, so wäre die Auffassung der Romantik, welche das Paradies vorkritisch als wirkliche Vergangenheit setzte, auch kritisch gerechtfertigt; dann würde Paradies — Sündenfall (oder Goldenes Zeitalter — Abfall) — als Übergang von der ursprünglichen Weltordnung zu deren Zerstörung — nicht nur im Bewußtsein, sondern auch als wirkliches Ereignis das notwendige Postulat für das magischmythologische Zeitalter bilden; m. a. W. dann sei das Paradies wirklich dem magischen Polytheismus vorangegangen, wie dieser der eigentlich historischen Aera. Schelling hat feinsinnig das mythologische Zeitalter als „ v o r h i s t o r i s c h " gekennzeichnet: es geht in ihm Allerhand vor, das die Menschen nicht wenig erschüttert, aber ihr Bewußtsein kann es noch nicht philosophisch-wissenschaftlich, also auch nicht „historisch" (im heutigen Sinn) erfassen. Das Paradies dagegen ist nach Schelling „ v o r g e s c h i c h t l i c h " ; was in ihm vorgeht, erschüttert den Menschen keineswegs, weil er bloß (in unserer Sprache, aber in Schellings Geist ausgedrückt) magisches Organ der G o t t h e i t ist. Freilich, es ist eine vom ursprünglichen Bewußtsein in freier Tathandlung gesetzte Erscheinungswelt da — das Paraumrissen und jedenfalls in der trüben Stimmung der Götterdämmerung entstanden, nicht in der frohen Zuversicht einer heilvollen Zukunft. ') So ist bei den Eskimos der Glaube an ein vergangenes Paradies lebendig, obgleich von einem Einfluß der alten Leute nichts zu bemerken ist. Vgl. Rasmussens Thulefahrt (Frankfurt 1926), eine köstliche, weil aus der Unmittelbarkeit des Erlebnisses fließende Quelle für mythologische Forschung.
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dies — aber sie sprengt die ontische Weltordnung nicht, solange sich das Subjekt bewußt ist, daß seine Setzung bloß eine Erscheinungsform dieser wesenhaften Wirklichkeitswelt ist. Daß auch dieser Mensch schon magisch tätig ist — Adam „ruft" den Tieren ihren Namen zu, wie Buber und Rosenzweig trefflich übersetzen — birgt jedoch jenen Keim zur Persönlichkeit in sich, der ihn dem Sündenfall entgegenführt. Daß dieser Sündenfall keineswegs eine totale Zerstörung der kosmischen Ordnung bewirkt, die sich erst im vollendeten Polytheismus durchsetzt, hat Schelling in ausnehmend schöner Weise ausgeführt: I. Wie der Sündenfall zunächst den Zabäismus einleitet, das Zeitalter des S t e r n g l a u b e n s , in welchem die Sterne einerseits schon eine Vielheit realer Potenzen bilden, welche dem Menschen gegenübersteht, — andererseits jedoch in ihrer Totalität die göttliche Allmacht vertreten, die sein Schicksal bestimmt — allerdings noch nicht das Schicksal der (noch nicht entwickelten) Persönlichkeit, sondern der Gruppe1). II. Wie erst im vollendeten P o l y t h e i s m u s , wenn die einzelnen Potenzen völlig auseinandertreten, die ursprüngliche Einheit vollständig verdeckt wird; so daß deren göttlicher Charakter nur dadurch gewahrt wird, daß jede einzelne im Akt der Verehrung der Seele jeweils als der Gott erscheint, m. a. W.: sich im Bewußtsein als absolut setzt. Hier erlangt Schellings treffende Feststellung, daß der Polytheismus sowohl simultan wie sukzessiv zu verstehen ist, eine neue Perspektive: a) „Der P o l y t h e i s m u s ist s i m u l t a n " bedeutet: da die Götter in ihrer Gleichzeitigkeit nebeneinander walten, kann jeder sich nur innerhalb seines Machtbereiches absolut setzen. Es kommt also für den Gläubigen darauf an, für den Machtbereich, innerhalb dessen sein Wunsch Erfüllung ') Die zeitliche Priorität des Sternglaubens scheint durch die Funde Koldeweys in Mesopotamien bestätigt zu werden. Sie rücken die Astrologie bis in vorsumerische Zeiten hinauf; und wenn man bedenkt, daß die ältesten Astrologen in ihrer unmittelbaren Wesensschau der Sternwelt wohl kaum Instrumente brauchten, so bilden die frühesten Funde nicht einmal den terminus a quo!
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linden kann, den zuständigen Gott zu finden; dann aber ist der Gott auch vom Bewußtsein absolut gesetzt, denn außerhalb des von ihm beherrschten Machtbereiches geht im Bewußtsein während der religiösen Handlung nichts vor. M. a. W.: für den Verehrer gilt nur dieser Gott, weil nur er für diesen Machtkreis zuständig ist; er wirkt also, obgleich p a r t i e l l , dennoch absolut. b) „Der P o l y t h e i s m u s ist sukzessiv" bedeutet: weil die Götter immer sich wandelnde, ja sich gegenseitig verdrängende Potenzen sind, sind ihre Machtbefugnisse nicht fest geordnet, sondern wechseln von Fall zu Fall, namentlich in den zahlreichen Grenzfällen, wo sich die Machtkreise überschneiden oder (besser gesagt) die Machtbereiche sich durchdringen. M. a. W.: für den Verehrer gilt nun dieser Gott, weil nur er für diesen Zeitabschnitt zuständig ist: er wirkt also, obgleich kasuell, dennoch absolut. So vermittelt auch der Einzelgott in der religiösen Handlung — da die andern Einzelgötter hier j e t z t nichts zu suchen haben, sind sie gleichsam „vergessen" _ — die Beziehung zur All-Einheit, indem er diese gleichsam in sich aufschluckt. Erst im Spätpolytheismus, als sich die Götterwelt zu einem aesthetischen Gebilde relativiert oder zu einem dogmatischen Gebilde erstarrt, kommt das Paradies auch in dieser partiell-kasuellen Form in Wegfall; aber dann geht es auch mit der Götterwelt zu Ende. Scheint so das Paradies als vorgeschichtlicher Tatbestand kritisch gesichert, so bleibt doch unsere Hauptposition in den folgenden Ausführungen, weil rein psychologisch begründet, unerschüttert, auch wenn wir das „Paradies" bloß psychologisch als Postulat der Magie setzen prüfen. Schelling hat den Übergang zur Mythologie, den Zabäismus, mit Recht als einen noch unentschiedenen Polytheismus und die Entscheidung zum Mythos als eine Krisis, Scheidung bezeichnet. In der Tat treten jetzt die zwei Grundtriebe der Seele — Selbstbehauptung und Veränderung1) — auseinander, die im Zabäismus (Astrologie) noch ') Wir entnehmen diese Bezeichnungen den Werken Paul Häberlins.
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ungeschieden waren. Die Selbstbehauptung erhebt sich und hemmt im Lauf des mythologischen Prozesses die „Veränderung", die Verwandlung in das Andere, immer mehr: das ,,Du" wird, um mit Buber zu sprechen, allmählich zum „Es" entfremdet 1 ). Diese Entzweiung setzt somit eine Zerstörung der ursprünglichen göttlichen All-Einheit, des „hen kai pan", voraus, welche das mythologische Bewußtsein, nach Schellings Wort, als unglückselig stempelt, und die um so verhängnisvoller wirkt, als eine andere Einheit sich noch bilden muß; denn die neue, menschliche Einheit in den Ideen der Kunst, Wissenschaft, Sittlichkeit, in der reinen Philosophie und der reinen Religion, die unsere heutige Geistigkeit kennzeichnet, ist noch nicht im Bewußtsein entwickelt. Während dieses Interregnums des Mythos wird die Erinnerung an das einstige Glück zwar als ein kostbares Kleinod immer wieder hinübergerettet, aber oft in unscheinbarer Form. Halb verstanden, wird es sehnsüchtig verehrt als ein hohes Ideal, das jedoch nicht zur Nachfolge treibt, weil es seine Macht im Leben verloren hat. Diese Macht liegt beim realen Prinzip der Vielheit, das sich in der vielgestalteten Götterwelt verkörpert, mit welcher das alte, jetzt als bloß ideal empfundene „hen kai pan" fortwährend im Kampfe liegt. Nur die Unzulänglichkeit der Götter, die in ihrer, wenn auch dynamischen, Sachhaftigkeit das religiöse Gemüt nicht ganz befriedigen können, verhindert seine vollständige Verflüchtigung. Da gleichwohl andererseits dieses alte höchste Prinzip in seiner Idealisierung entwurzelt ist, kann ihm seine Beziehung zur Erde nur die reale Götterwelt vermitteln. An diese Welt ist es gebunden, ihr verdankt es seine Nahrung; und wenn mit der fortschreitenden Erstarrung des Weltbildes die Götter in Staub zerfallen, dann schweigt und stirbt auch der „große Pan". Wie war nun eine solche Machtstellung des realen Prinzips möglich? Von vornherein gegeben war sie nicht. Die ursprüngliche Einheit war weder ideal noch real, sie faßte das ganze Seelenleben in seinem höheren und niederen Aspekt l
) Martin Buber: „Ich und Du".
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noch zusammen; aber dieses „zusammen" bedeutete dennoch die Führung des obern, idealen Prinzips. Es war jedoch eine unselbständige, nur unmittelbar in Gott als Ausfluß Seines Willens begründete Führung, und dagegen erhebt sich, wie erwähnt, die aufkommende menschliche Persönlichkeit. Als agens zu dieser Erhebung wider Gott kann aber dem paradiesischen Menschen der (freie) Wille nicht zu Gebote stehen — er ist ja bloß Organ Gottes! — sondern nur die beiden Grundtriebe, die zusammen das untere Prinzip, die ,,reale" Grundlage bilden. Im magisch-mythologischen Menschen bemächtigen sich also diese beiden Triebe der Führung, und zwar begreiflicherweise so, daß die „Selbstbehauptung" die eigentliche Führung an sich zieht und die „Veränderung" als Mittel zum Zweck verwendet. Der „Sündenfall" ist somit nicht eine Tat des (freien) Willens, wie Schelling in seiner „Freiheitslehre" behauptet — dann wäre nicht einzusehen, wieso der weitere mythologische Prozeß so unfrei ist — sondern vielmehr der Willkür, welche die Seele einseitig dem Grundtrieb der Selbstbehauptung auslieferte. Für einen solchen willkürlichen Entschluß ist der freie Mensch vollkommen verantwortlich, ja, nur für ihn; denn für einen Entschluß des freien Willens, der ja eo ipso gut ist, b r a u c h t er sich nicht zu verantworten, wie es Schelling meint, der hiermit (in der „Freiheitslehre") fälschlich das obere Prinzip des freien Willens in die G r u n d l a g e zum mythologischen Prozeß verkehrt. Vielmehr ist es die Schuld des Menschen, daß er das obere Prinzip verkümmern und an dessen Stelle das untere gewähren läßt. Das obere Prinzip der Seele umfaßt zwei, hier noch ungeschiedene Funktionen: Intuiren und Denken. Dieses intuitive Denken ist die „alte Weisheit", welche die ursprüngliche Einheit des Bewußtseins in der schauenden ratio — im Logos — trägt, und die Schicksalsverbundenheit mit der kosmischen All-Einheit aufrecht erhält; zuerst wohl in der Astrologie (bei Schelling das noch unentschiedene Zeitalter des Zabäismus), treibt sie dann in den höheren aegyptischen und griechischen Mysterien, im Ethos der iranischen und jüdischen Religion, in den Weisheitslehren der Inder und Chinesen, wie auch tieferstehender Völker ihre Blüten; 175
ja vielleicht sind ihre Spuren auch im Hochgott primitiver Völker nachzuweisen1). Ungleich stärker ist das niedere Prinzip, das ebenfalls zwei noch ungeschiedene Funktionen umfaßt: Wahrnehmen und Fühlen 8 ). Es ist stärker, da es die Entzweiung bewirkt, und somit die Beziehung zum grundsätzlich Neuen, zur Vielheit als selbständiger Potenz, vermittelt; und da es die Rolle spielt, die eigentlich dem oberen Prinzip zukäme, setzt es diese Vielheit nicht als G r u n d l a g e der Welt, sondern als ihr P r i n z i p . Das Denken kann diese Verkehrung nicht verhindern: es ist ja selbst unkritisch, noch nicht von der Intuition geschieden, also unfrei; und dabei machtlos. Den vielen Trieben fällt die volle Macht zu; einmal durchdringen, dann zerreißen sie sich, und so wird das Weltbild wunderlich und jeder Ordnung widersprechend, wie es scheint. Die Welt bleibt dynamisch bewegt, wie vorher; ihr fehlt aber die Führung des höheren Prinzips, und so zerfällt ihre ursprüngliche Vielheit in viele einzelne Gebilde, ohne inneren Zusammenhang — alles Ausgeburten losgebrochener Triebe. In ihrer ungeheuren sinnfälligen Sinnlosigkeit stellt sie sich zunächst dem Menschen als ein überragendes Daemonenreich entgegen. Die skeptische Frage, ,,ob diese Ausführungen , nicht Nachklänge romantischer Phantasterei, somit unbegründete, wertlose Konstruktionen darstellen", legt uns die Pflicht auf, sie an den Ergebnissen der mythologischen Forschung zu prüfen. Das neunzehnte Jahrhundert erst hat mit dieser Forschung Ernst gemacht, indem es voraussetzungslos Tatsachen zu sammeln anfing. Und nicht nur wurde gesammelt: es war ') Fahrenfort (Het hoogste wezen bij de primitiven) äußert sich allerdings skeptisch, obgleich er bloß den „Urmonotheismus" ablehnt. — Tatsächlich herrscht auf diesem Gebiet unter den Forschern noch der allerschärfste Widerspruch, dessen Lösung teilweise durch Vorurteile gehemmt wird. *) Diese Vierteilung der seelischen Funktionen in Intuiren, Denken. Fahlen und Wahrnehmen (anstatt des vieldeutigen „Empfinden") ist C. G. Jungs „Psychologische Typen" entnommen; ihre Brauchbarkeit wird unsere Untersuchung zeigen.
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unvermeidlich, daß diese Forscher, obgleich keine Denker, sondern Fachgelehrte, auch ihre Theorien aufstellten. Verhängnisvoll wurde da die „animistische" Theorie Tylors, weil sie der einflußreiche Philosoph Herbert Spencer übernahm und sie als einen der glänzendsten Steine in die Kette der Irrtümer eingereiht hat, mit welcher die westeuropäische und namentlich die angelsächsische Kulturwelt von ihm beglückt worden ist. Die späteren Forscher haben jedoch diese Theorie als falsch befunden: setzt doch der Animismus eine Dualität von Seele und Leib voraus, die bei den primitivsten Völkern noch gar nicht vorkommt. Allgemein dagegen, auch im primitivsten Bewußtsein, findet sich die Magie vor, aus deren Zersetzung dann allmählich die Religion entstanden sein sollte. K a r l B e t h hat nun in seinem trefflichen Buch „ R e l i g i o n u n d Magie" die Unhaltbarkeit dieser These (von der Entstehung der Religion aus Magie) dargetan. Nach ihr sollte das häufige Mißlingen der magischen Akte die Menschen zu der Einsicht geführt haben, daß nicht ihre eigene Macht, sondern höhere Gewalt die Welt regiert. So aber urteilt das mythologische Bewußtsein nicht: wenn ein magischer Akt mißlingt, liegt das Scheitern nicht an der Unzulänglichkeit des Prinzips, sondern an einem Fehler in der Ausführung. Irgendein Detail sei versäumt oder fehlerhaft ausgeführt worden, und so wird die Magie nicht unglaubhaft, sondern baut bei steigender Kultur ihr Ritual zu mächtigen Systemen aus, die sich sogar, wie in der Vedareligion, der Götter bemächtigen können. Andererseits finde sich im primitivsten Bewußtsein neben der Magie immer auch der Gottesglaube, die Religion als grundsätzlich von ihr verschiedene, wenn auch oft mit ihr verschlungene Macht vor. Beth weist darauf hin, daß Beiden, Religion und Magie, ein gleiches Bedürfnis zugrunde hegt: eine z e r s t ö r t e L e b e n s e i n h e i t w i e d e r h e r z u s t e l l e n . Was aber die Religion auf dem Wege der Versöhnung mit dem hilfreichen Gotte in der (kultischen oder kultlosen) V e r e h r u n g anstrebt, das will die Magie durch eigene K r a f t und E i n s i c h t erreichen. D e k k e r , Die Rückwcndunjr zum Mythos.
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In dieser Hypothese (deren Richtigkeit dann Beth empirisch in überzeugender Weise beweist) finden sich drei Elemente vor : die Voraussetzimg einer ursprünglichen AllEinheit — ihre Zerstörung — die Versuche zu ihrer Wiederherstellung mittels Religion und Magie. „Das mythologische Bewußtsein setzt eine ursprüngliche Lebenseinheit voraus" heißt: in der Welt ist Jedes jedem Andern wesensgleich. „Tat tvam asi" — „dieses (Andere) bist Du", sagt die altindische Weisheit; und mit dieser paradiesischen Naturmystik kann sich das frühe, knospenhafte Gemüt begnügen. Es ist die gleiche Stimmung des „von Selbst Sein", die uns im chinesischen „tao", in der Brahman-Atmanlehre, in den Mythen vom Paradies und vom Goldenen Zeitalter als eine Stimme der Sehnsucht nach der verlorenen Unschuld des Kindesalters entgegenklingt. Hier wirkt das höhere Prinzip des Intuitiven Denkens, das sich sogar in der Krisis des mythologischen Zeitalters des Bewußtseins bemächtigen kann. Freilich, sämtlich sind es hochkulturelle Völker; aber auch in den religiösen Anschauungen tieferstehender Kulturen verraten verwandte Ideen (wakonda, karenga, andriamanitra, sila usw.) den gleichen Ursprung1). Diesen Weisheitsgehalt verkennt leider Beth, da er sich allzusehr auf die Tiefkulturen konzentriert hat und deren Verwandtschaft mit den parallelen Hochkulturen kaum erwähnt. Sicher ist es nicht hoch genug einzuschätzen, daß er als Erster sich vollständig in die Eigenart des frühen Bewußtseins zu versenken versteht; und dennoch erntet er die volle Frucht des Werkes nicht, weil er den Blick zu tief gerichtet hat. Freilich, diese „primitive Religion" jener Hochkulturen ist eigentlich Theosophie, Gottesweisheit. Mit unserer heutigen engeren, alles Philosophische ausschaltenden Fassung der Religion als „schlechthinnige Abhängigkeit" oder „awe" vor dem „mysterium tremendum" hat sie wenig *) Hieraus erbellt zur Genüge, daß „primitiv" bloß eine frtthe, keineswegs eine niedrige Stufe andeutet. Allzuoft noch klingt, ausgesprochen oder nicht, im Begriffe „primitiv" die Tönung „minderwertig" durch; mit diesem evolutionistischen oder theologischen Unfug sollte einmal gründlich aufgeräumt werden.
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zu tun; von dieser „reinen" Religion mag es wohl gelten, daß sie erst bei Abweisung der Magie entsteht. Hier erhebt sich freilich eine schwierige Frage, die wir nicht gänzlich umgehen dürfen, wenn es auch zu weit führen dürfte, das Problem wirklich in Angriff zu nehmen. — Wie ist es möglich, daß sich Religion und Magie, Ehrfurcht und Frechheit vertragen? Wie ist es verträglich, daß zugleich der Gott und der Magier Herr der Welt sind? Darauf ist zu erwidern, daß diese Gegensätze erst in einer späteren Phase des Bewußtseins (nämlich in der Ethik des persisch-prophetischen Kulturkreises) aufkommen. Im primitiven Bewußtsein dagegen ist es ein Streben, das Beide treibt: das Verlangen nach Lebenseinheit mit dem All. Wege und Mittel sind jedoch — wenn auch dem primitiven Menschen nicht immer klar bewußt — so grundverschieden, daß ein Zusammenstoß als ausgeschlossen erscheint; denn primitive Religion erstrebt Vereinigung mit der Allmacht oder mit dem Gotte, der sie jeweils vergegenwärtigt; primitive Magie dagegen bescheidet sich auf die Vereinigung mit einem Einzelwesen. Erst da, wo sich in späteren Phasen eines ausgebildeten Polytheismus der Magier in priesterlicher Funktion durchsetzt und die Götter zu magischen Potenzen (Daemonen) herabdrückt, können sich Religion und Magie verschlingen — zum Kampfe jedoch kommt es nie, da Beide die Wiederherstellung der zerstörten All-Einheit des Lebens bezwecken. Für dieses Ideal der All-Einheit hat Beth die Bezeichnung „Symbiose" angesetzt, wohl nach dem Vorbild Livy-Brühls, der diesen Ausdruck zwar für primitive Völker, aber im soziologischen Sinn anwendet; und da „Symbiose" als „Zusammenleben" auch schon längst in der Zoologie verwandt wird, möchte die an sich schon bessere Bezeichnung H o m o i o b i o s e mehr am Platze sein1). Schwieriger ist es, ein passendes deutsches Wort zu finden; wir sprachen von A l l - E i n h e i t , L e b e n s e i n h e i t , aber auch L e b e n s g l e i c h heit oder L e b e n s g l e i c h u n g käme in Betracht. Wie kann nun der Vorgang bezeichnet werden, der diesen ersehnten Zustand herbeiruft ? 1
) Ich verdanke diese Anregung Herren Dr. v. Andel und Dr. Vloemans.
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Hier könnte die Bezeichnung „Verwandlung" am Platze sein oder besser vielleicht der von Boehme verwandte Ausdruck „ V e r ä n d e r u n g " (in das Andere aufgehen). I d e n t i f i z i e r u n g möge richtiger sein, es klingt abstrakt und fade; sollte man keinen Anstand nehmen, aus dem holländischen den Ausdruck „vereenzelviging" zu übernehmen, so wäre in dem Worte „ V e r e i n s e l b s t i g u n g " der deutschen Sprache eine unschätzbare Bereicherung erstanden. Das Wort „Veränderung", so schön es ist, gibt dem Bestreben keinen adaequaten Ausdruck; denn niemals kann es die Sehnsucht eines selbständigen, intelligibelen Wesens sein, in ein Anderes restlos aufzugehen, und sei es die Allheit; was aber ist seliger, als sich mit dem andern „Selbst" zu „vereinigen", sei es ein anderes Geschöpf oder gar die Gottheit selber, ohne darüber verloren zu gehen? Ohne darüber verloren zu gehen; denn auch der zweite Grundtrieb der Seele, die Handhabung des Selbst, macht sich geltend; ja, es ist, wie erwähnt, im magischen Menschen sogar das führende Prinzip. Nur ein intelligibeles Wesen kann somit als Magier auftreten, weil nur es die freie Verfügung über das „Selbst" hat; und nicht ahmt er das Erwünschte nach (wie man früher meinte), sondern verändert sich in es, vereinselbstigt sich mit ihm. Die „Veränderung" bedeutet, daß er das andere Lebewesen (und Alles lebt) wird: kraft des magischen Aktes ist der Magier ein Adler, ein Wolf, ein Bär, eine Nachtigall, ein Baum, der Regen. Die „Vereinselbstigung" jedoch drückt zugleich den Tatbestand aus, daß er trotzdem das eigene „Selbst" handhabt, somit in der neuen Gestalt Mensch b l e i b t ; und das ist auch notwendig; denn wie könnte er magisch wirken, wenn er vollständig in das andere Lebewesen aufginge, bloß ein Exemplar deren Art würde? Daß auf dieser Fakultät eben erst die Überlegenheit des magischen Menschen beruht, ist bisher vielfach übersehen worden1). Diese gemeinsame Grundlage für Magie und Religion gilt also a priori; sowohl vor als nach der Zerstörung des ') Der Unterschied von der bloßen mania, Raserei, ist hier wohl hervorzuheben; sie ist der bloßen Ekstasis zuzurechnen, von der später die Rede sein wird.
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paradiesischen Bewußtseins, in welchem die All-Einheit noch gegenwärtig, aktuell ist; wo somit die Vereinselbstigung mühelos — von selbst — vor sich geht. Durch die Zerstörung jedoch löst sich der Mensch von der All-Einheit ab; es bleibt ihm nur noch die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies. Mit der Erhebung der Vielheit zum höchsten Prinzip muß dann das Bewußtsein in den mythologischen Prozeß eintreten; es hilft nicht, wenn ein Volk ihn verweigert (wie Schelling trefflich, wenn auch allzu schroff, von den Chinesen aussagt). Es versteht sich, daß ein solcher Übergang einschneidend auf das Verhältnis von Religion und Magie einwirken mußte. Ohne Zweifel geht im paradiesischen Bewußtsein die Führimg von der Religion aus: die All-Einheit ist den Einzelwesen übergeordnet, sie ist es, die als Homoiobiose das Substrat für den magischen Akt abgibt; und umgekehrt ist dieser Akt die Anwendung dieses makrokosmischen Allprinzips auf mikrokosmische Einzelwesen. Der Mensch als Magier ist bloß Werkzeug Gottes. Im mythologischen Zeitalter dagegen fällt diese göttliche Allheit allmählich in unterschiedene göttliche Einzelwesen auseinander, die sich nur noch graduell, der Dignität nach, keineswegs prinzipiell von den andern Lebewesen unterscheiden. Dann verringert sich die Distanz zwischen Gott und Magier so sehr, daß der Gott als Zauberer auftritt; schlimmer noch, daß der Priester den Gott zwingt. Eine solche Zersetzung der Religion durch Magie muß zuletzt zu einer a-religiösen Lebenshaltung führen, wovon der Ausgang der Vedareligion das klassische Beispiel liefert. — Daß bei Tiefkulturen dieser Konflikt nicht eintritt, sei nur nebenbei erwähnt; aber was hemmt bei den Hochkulturen die Erhebung der Magie zur Beherrscherin des Bewußtseins ? Ja, wie ist es möglich, daß ihr Bann je irgendwo gebrochen worden ? Das schwache All-Einheitsprinzip war dazu ebensowenig im Stande wie der Polytheismus; denn Beide entsprechen einem Weltbild, das der Magie freie Bahn gewährte. Nur eine a l l m ä h l i c h e W a n d l u n g im W e l t b i l d selbst war im Stande, der Magie ihren Nährboden, die mythologische Welt181
anschauung, zu verdorren; denn erst bei vollständig verwandeltem Weltbild wird es der Philosophie möglich, ein neues Lebensprinzip an die Stelle des magischen zur Herrschaft zu führen — wenn auch das besiegte Prinzip bis auf den heutigen Tag einen Einfluß ausübt, der um so ungehemmter wirken kann, weil er sich im Verborgenen vollzieht. Nach außen hin jedoch springt ein scharfer Unterschied sofort in die Augen. Das primitive, frühmythologisch e Bewußtsein setzt eine zerstörte All-Einheit, eine paradiesische Lebensgleichung voraus, d. h.: Jedes kann sich mit Jedem vereinselbstigen. Es ist eine Weltanschauung, die unserem Bewußtsein unzugänglich ist; denn wie könnte ein an seinen Körper gebundener Mensch auf einmal in einen andern Körper eingehen, wie es der magische Mensch zu können vorgibt ? Dieser Widerspruch kann nicht dadurch gelöst werden, daß wir unsere Vorfahren, wenn nicht als Schwindler oder Irrsinnige, so doch als sonst lobenswerte, jedoch gutgläubige, dem Trug zugängliche Kinderseelen hinstellen. Denn wohin nun mit den primitiven Hochkulturen? Wohin auch mit den religiösen Erneuerern, den bahnbrechenden Künstlern und Philosophen, ja mit den Pionieren der Wissenschaften, die alle ohne Verhüllung stark magische Züge aufweisen? Die Zeit ist vorbei, daß Wagner über Faust den Kopf schütteln konnte, Faust fordert seine Anerkennung! Und dann: zu einer solchen Überhebung fehlt uns jede Berechtigung. Auf Schwindel, Irrsinn oder Schwachsinn könnte nur unter einer einzigen Bedingung geschlossen werden: wenn der primitive, magische Mensch das gleiche Weltbild hätte wie wir! Aber ist dem wirklich so? Freilich, wir stehen einer D i n g w e l t gegenüber, und Dinge können sich nicht ineinander verwandeln, sie stoßen sich hart im Räume. Aber wie, wenn unsere Urahnen ihre Welt nicht als eine s t a t i s c h e Welt von D i n g e n , sondern als eine d y n a mische Welt von M ä c h t e n wahrgenommen hätten? Uns freilich scheint es zunächst befremdend, daß eine Welt aus Potenzen, anstatt aus Dingen bestünde; aber dürfen wir daher die Hypothese zurückweisen, daß es früher anders war ? 182
Übersehen wir nicht, daß sie mit einem Schlage unsere Urahnen rechtfertigt und die Grundlage ihrer Weltanschauung verständlich macht! Hier wäre nicht eine Dingwelt, in der sich, für das naiv-realistische, unmittelbare Bewußtsein wenigstens, die Dinge quantitativ voneinander abheben; hier wäre eine Welt von beschwingten, qualitativ bestimmten Potenzen, die sich nur durch den R h y t h m o s voneinander unterscheiden. Was dort unsinnig schien — daß ein Ding sich in ein anderes Ding verwandele — das ist hier selbstverständlich: daß eine Macht sich mit einer andern Macht verschmelze, ja, sich der andern bemächtige. Der Magier wäre dann eine Potenz, die kraft ihres intelligibelen Wesens den Rhythmos anderer Lebewesen — und Alles ist lebendige Potenz! — nicht nur theoretisch kennt, sondern eben als P o t e n z sowohl die Möglichkeit wie die Macht besitzt, sich mit ihnen zu v e r e i n s e l b s t i g e n , d. h. weil er nicht in sie aufgeht, sondern sich als Mensch handhabt, sich über sie hinaus als ihre „höhere P o t e n z " zu setzen. Diese dreifache Potenzialität zeichnet den Magier als den selbstherrlichen Menschen aus, dem der Weg zu Gott verschlossen scheint. Und dennoch wölbt sich unwandelbar die Himmelskuppel der Mystik als Reich der Gottesweisheit auch über das unruhige Reich des Mythos. Auch der magische Mensch kann sich — nicht nur kasuell und partiell, wie im magischen Akt — sondern dauernd erlösen, indem er als Teilmacht sich verschmilzt mit der allmächtigen Gottheit, unter welchem „Namen" sie ihm auch erscheinen möge. In dieser Kreuzung mit den letzten, auf empirischer Grundlage gewonnenen Ergebnissen der mythologischen Forschung findet unsere Hypothese also ihren ersten Halt. Aber schon erhebt sich eine andere Frage. Wenn wirklich das heutige statische Weltbild aus einer allmählichen Erstarrung des primitiven dynamischen entstanden ist, hat es dann vielleicht noch Spuren der alten Dynamik aufzuweisen ? Zunächst scheint es, als ob diese Frage verneinend zu beantworten sei. Das Bild unserer Welt, als unmittelbarer Gegenstand unserer Wahrnehmung, ist statisch; — starr, 183
steif, tot, nur mathematisch erfaßbar. Die Dinge sind im Räume vorhanden als nebengeordnete Größen, mit feststehenden Qualitäten, deren Sosein erst aus ihrem starren Dasein geschlossen werden kann. Nur dem Dasein und Sosein in anderer Gruppierung entnehmen wir, daß es Zeit und Bewegung gibt; in dem „es ist jetzt anders" konstruieren wir Bewegung und Zeit hinterher. Der Raum, nicht die Zeit, dient uns also als Grundform der äußeren Anschauung. Wenn aber nichts Vermittelndes da ist, wie ist dann die Entstehimg einer solchen Erstarrung erklärbar? — Wie können wir überhaupt zu den Vorstellungen „Zeit", „Bewegung" kommen; ja, wie ist in einer toten Dingwelt Leben möglich ? Eine falsche Fragestellung hat uns hier unnötig Schwierigkeiten bereitet. Wir haben übersehen, daß unser „Weltbild" keine Größe für sich ist, sondern Moment in einem Prozeß, und zwar E n d r e s u l t a t des A n s c h a u u n g s p r o zesses. Zwecklos war es, Vermittelndes in dem Faktor zu suchen, der eben die Erstarrung aufweist; aber ist vielleicht in den andern Faktoren dieses Prozesses Dynamisches aufzudecken? Dazu ist allerdings eine Zergliederung des Anschauungsprozesses im heutigen Menschen erforderlich, der wir uns zunächst zuwenden wollen. Die Erfassung des Anschauungsprozesses ist nach verschiedenen Methoden möglich. Für uns kommt weder die physiologische noch die erkenntniskritische Methode in Frage, da wir es weder mit Leibes- noch mit Geistesproblemen zu tun haben, sondern mit seelischen. Das ist für uns ein wahres Glück; denn die beiden erwähnten Methoden führen in einen Sumpf von undurchsichtigen Problemen, denen gegenüber die psychologische Methode als eine klare, wenn auch tiefe, mysteriöse Quelle erscheint. Physiologisch dringt man ja nicht einmal zum Problem durch, so dunkel sind die Vorgänge im Leibe; aber auch erkenntniskritisch, mit dem Lichte des Denkens, sind diese Probleme schwer zu durchleuchten. Der Anschauungsprozeß bewegt sich ja in den Niederungen der Seele. Hier dringt das reine Denken nicht durch; es muß sich hier 184
schon in die bildlichen, spätmythologischen Formen verkleiden, die Piaton als „Mythos" bezeichnet. Nur in der weiblichen Verkleidung der bildhaften Einfühlung kann sich das Denken durchsetzen, will es sich von der sprudelnden, unmittelbaren Lebensquelle nicht abschneiden, welche den Anschauungsprozeß treibt und speist. Freilich, wir können und dürfen uns an die Aufgabe wagen, den Anschauungsprozeß so zu beschreiben, wie er in der Seele wirklich vorgeht — aber nur als Mythos! Dem Bewußtseinsprozeß der Anschauung geht ein Prolog voran, der von den Psychologen meistens fälschlich in den eigentlichen Prozeß hineingeschmuggelt und mit einem unzutreffenden Terminus wie das schwerbelastete „Empfindung" oder das fade „Perzeption", „Rezeption" benannt wird. Die Seele gewahrt, daß etwas außer ihr da ist; daher wir diesen Zustand mit Fug als „ G e w ä h r u n g " bezeichnen; als vorbewußte Ahnung kann sie als Vorstufe zum Anschauungsprozeß gelten, der ja bewußt abläuft. Die holländische Sprache setzt hier das Wort „Gewahrwerdimg" ein, das Sinn und Eigenart dieser Regung noch besser ausdrückt; denn die Gewährung ist nicht eine seelische Funktion, vielmehr der Grund zur Ahnung eines „Wahren", das im „Werden" begriffen ist; und da dieses Wahre nicht als in, — sondern als außer uns gewahret wird, d. h. als „Welt", so dürfen wir aussagen, daß hier das Werden einer wahren Welt geahnt wird, deren dynamischer Charakter in die Augen springt. Was bedeutet nun dieser vorbewußte Vorgang für das Bewußtsein ? Zunächst: er w i r k t auf es ein: der dynamische Charakter wird somit gewahrt. Die widerspruchsvolle Struktur des Bewußtseins — Ausdruck der „Zerstörung"! — verhindert jedoch, ihn als die Einwirkung einer werdenden, wahren Welt aufzunehmen; ihm sind es vielmehr disharmonische Potenzen, die als fremdartige Mächte auf es eindringen und zur Reaktion, zur unmittelbaren Stellungnahme nötigen wollen. Mit dieser Einwirkung ist der Prolog gesprochen, das Spiel kann beginnen. 185
Jetzt ist es wohl mit der Dynamik zu Ende ?, wird wohl der Eindruck als „Wahrnehmung" statisch festgelegt? Mit nichten: das Bewußtsein reagiert auf die Wucht der eindringenden Fremdmächte nicht durch Wahrnehmung, sondern mit dem G e f ü h l , und zwar in durchaus dynamischer Weise. Wenn sich die Wirkung der Gewährung unmittelbar in Wahrnehmimg umsetzen würde, so wäre die Seele ja innerlich gar nicht beteiligt; einem Spiegel gleich, würde sie das Perzipierte zurückwerfen als ein Aperzipiertes, das in keinerlei Weise die Eigenart dieser besonderen Seele verriete. Das Weltbild wäre vollkommen neutral, für alle Menschen gleich. Und welch ein Wimderspiegel wäre es, der Dynamisches (die Gewährung) als Statisches (das Wahrnehmungsbild) reflektierte! Ein starres, sphynxartiges Rätsel böte diese Umwandlung, dessen Lösung ohne Voraussetzung des Mittelgliedes einer inneren seelischen Anteilnahme nicht einmal möglich ist! Ein dunkles Problem, fürwahr; wenn vom Gefühl die Rede, führt es uns hinab in des Lebens tiefste Quelle, wo des Seelengrundes Rätsel winkt. Einfühlend es anzudeuten ist möglich, erkennend es aufzuklären nicht; daher nur, wie erwähnt, die spätmythologische Form — das Symbol — uns einführen kann. Nicht mehr unmittelbar, wie unsern Ahnen uralter Zeit, ist uns nüchternen, modernen Menschen die Wesensschau in Seelentiefen gewährt; nur die Brücke des Symbols verbindet uns mit dem eigenen Zauberland wieder. Nimmt es da wunder, daß immer wieder das Problem des dunklen Gefühls den Philosophen ein Stein des Anstoßes gewesen? Den Rationalisten im weitesten Sinn ist das Gefühl der Prügelknabe, und sogar noch Hegel wird ihm nicht gerecht. Erst die Romantik würdigt es, wenn leider oftmals allzu überschwenglich und in allzu dunkler Deutung. Wie Schelling vergebüch den richtigen Mittelweg — Befreiung des Gefühls aus der Verdrängung unter Führung der ratio — gesucht hat; wie trotzdem, wenn auch wider Schellings Willen und Wissen, das Gefühl, nach seiner Anerkennung als Seelengrund, sich allmählich auch die Würde eines höchsten Prinzips anmaßt, haben wir gesehen. Auch Schel186
ling hat sich zuletzt ohne Rückhalt zu der Romantik geschlagen, und das ist begreiflich; denn nur sie kennt den Mythos wieder. So werden auch wir für unsere Beschreibung des Anschauungsprozesses zu dem in der Romantik sehr beliebten orphischen Symbol greifen müssen, welches die Seele faßt als ein Saiteninstrument, durch Ungeist zerstört. Was für die Seele als solche noch zweifelhaft erscheinen möge: daß sie, wie ein Instrument, in ihren Möglichkeiten beschränkt ist — das gilt ohne Zweifel für die b e w u ß t e Seele. Erst sie darf mit Fug ein im Umfang beschränktes Saiteninstrument heißen; und da der eigentliche Prozeß des Anschauens sich innerhalb der Grenzen des Bewußtseins abspielt, wird das Gleichnis sich trefflich bewähren. Auf dieses Instrument nun dringen die Gewährungen als neue fremde Tongebilde ein, als eine chaotische, im Werden begriffene Welt verschlungener Melodien rauschen sie durch die Saiten der Seele. Ob wilde, heulende, sturmbewegte Winde oder sanfte, säuselnde Lüftchen, ob simpeler Hirtengesang oder vielklängig verwirrter Chor — Aufnahme fordern sie, je nach der Eigenart herrisch gebietend oder im sanften anschmiegenden Schmeicheln leise flehend. Und da sie noch fordern, geht schon wieder eine Verwandlung vor, immerwährend verdrängen sich die Gebilde, sich durchdringend , verschlingend und wieder lösend, dem Wolkenspiel ähnlich, das im Sturme die Sphären durchstreift. Weder Ruhe noch Rast wird der Seele gelassen, das ganze Leben lang entrüstet sie ein Stürmen und Drängen verwirrender Mächte, die Alles versprechen und Nichts erfüllen — echter P o t e n z e n , „Macht" und „Möglichkeit" zugleich. Es ist die chaotische „Materie", die sich der Seele zur Gestaltung anbietet, damit sie als Nachbildner des Demiurgen sich ihre Welt gestalten kann. Diesem Andrang gegenüber verhält sich die Seele zunächst vollkommen rezeptiv. Der Forderung, alle eindringenden Gebilde in das Bewußtsein zu erheben, k a n n sie nicht genügen, denn als bewußte Seele ist sie bloß ein beschränktes Instrument; was eine zu große oder zu kleine Schwingungszahl aufweist, kommt somit in Wegfall — sagen wir in das „Unterbewußtsein". Was aber innerhalb ihres 187
Bereiches fällt, muß sie aufnehmen, ob es ihr genehm ist oder nicht — eine für die Seele demütigende Lage, deren Grund jedoch klar ist: hat sie hier doch bloß ihre niederen Funktionen, nicht die höheren, den freien Willen tragenden, zur Verfügung1). Also rezeptiv ist ihr Verhalten gegenüber dieser fortwährenden Gestaltung ihrer Welt, aber keineswegs passiv; denn mittels des Gefühls tritt sie den einmal aufgenommenen Potenzen aktiv gegenüber, und zwar wertend. Das Gefühl w e r t e t ; es kann zwar nicht verhindern, daß Dissonanzen in die Seele eindringen, aber es kann sie negativ bewerten, die Konsonanzen dagegen unter positiver Wertbetonung in den seelischen Rhythmos aufnehmen. Es kann mit „ja" aufnehmen, mit „nein" zwar nicht abweisen, aber doch ablehnen; zwischen diesen beiden Extremen liegt dann eine ganze Skala von Wertungen, welche sich das Bewußtsein nur dadurch vergegenwärtigen kann, daß es sich die also gewertete Gefühlswelt bildlich gegenüberstellt — und zwar mittels einer seelischen Funktion, die wir mit „wahrnehmen" bezeichnen. Durch Wahrnehmung will sich also das Bewußtsein anschauliche Klarheit über die vom Gefühl getroffene Wertung seiner Welt beschaffen. So, wie das Gefühl sie wertet, so wirft sie die Wahrnehmung dem Bewußtsein vor. Im Gefühl ein Wertgebilde, ist sie in der Wahrnehmung ein „Vorwurf", ein Objekt geworden; was als Gefühlswertung subjektiv war, wird als Wahrnehmungsbild objektiv. Dennoch — auch dieser Gegensatz will nicht absolut genommen sein. Die Wertung ist allerdings subjektiv, aber es ist Wertung einer im Werden begriffenen Welt, also nicht rein subjektiv; andererseits ist auch das Wahrnehmungsbild dadurch stark subjektiv gefärbt, daß es eben ein treuer Ausdruck von Gefühlswertungen ist. Die Struktur ist eigentlich so, daß die gemeinsame Grundlage des Fühlens und des Wahrnehmens die Gewährung ist, die eben als vorbewußt sowohl Subjekt wie Objekt noch ungeschieden enthält. Sie ist der Prolog, das Gefühl beherrscht den ersten, ') Aus demselben Grunde ist hier von Verdrängungen noch keine Rede; diese entstehen erst im viel späteren Stadium der „Vorstellungen".
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das Wahrnehmen den zweiten Akt dieses Dramas, das unsere Auseinandersetzung mit der Außenwelt zum Thema hat, und in dem wir tagtäglich die Titelrolle spielen. Wohl ist es nicht die ganze Wucht der Persönlichkeit, die in diesen zwei ersten Akten eingesetzt wird — es fehlt ja die Mitwirkung der höheren seelischen Funktionen, des Denkens und des Intuirens, vollkommen, und nur als Triebleben treibt es der Wille in naturgebundener Urwüchsigkeit — aber dennoch fehlt es an dramatischen Momenten nicht. Namentlich im ersten Akt, wo das Gefühl sich wertend mit den Eindringlingen auseinandersetzt, kann sich die Spannung bis zur Katastrophe steigern; wie flaut sie aber ab, sobald sie der Wahrnehmung eisiger Hauch als „Vorwurf" erstarrend hinauswirft! Ein Vorgang, obwohl selbst noch dynamischer Art, dennoch dahin zielend, die lebendurchfluteten Gefühlsgebilde zu paralysieren, eine Welt gewaltiger Wallungen zu einem Panoptikum toter Gegenstände, zu einer echten Dingwelt zu fixieren. Freilich, da unser Denken und Intuiren diesem sinnlosen Nebeneinander einen Sinn verleihen kann, so ist dem Geiste die Erscheinungswelt doch wieder eine sinnvolle Architektonik, die als „geronnene Musik" noch an das musische Gefühlsgebilde erinnert, dem er seine Entstehung verdankt. Gleichwohl bleibt sie starre Architektonik: auch dem vergeistigten Menschen ist seine Wahrnehmungswelt im besten Falle das geronnene Gefühlsgebilde. Aus der Tiefe dieser Kluft zwischen Gefühls- und Wahrnehmungsgebilde taucht hier ein Rätsel auf, das wir Heutige kaum zu erwägen wagen. Der deutsche Idealismus war entschieden mutiger: Fichte und Hegel haben die „Natur" glänzend besiegt und — beseitigt. Aber offen gestanden: ist uns da Schelling nicht lieber, als er in immer unvollendeten Versuchen mit dem Rätsel ringt ? Wenn die Romantik (Novalis) es mannigfach gedeutet, so hat Schelling es zu durchleuchten versucht; dann aber hat so mancherlei Gestrüpp es überwuchert, daß es schien, als ob hier gar kein Rätsel wäre. Jetzt aber tritt die Forderung an uns heran, mit aller quasi-kritischen „Erklärung" aufzuräumen, die nichts erklärt, 189
vielmehr des Rätsels Tiefe uns verdeckt; und nicht Erklärung — die uns (noch) nicht möglich — Klärung bloß sei hier versucht, und ehrliche Vergegenwärtigung des Risses, der das Gefühlsgebilde unserer Seele abtrennt von dem wahrgenommenen Weltbild. Als eine starre Leiche hegt also die Welt vor unsern Augen, und erst erneute Deutung vom Verstände her verleiht ihr rationalen Sinn. Nur, daß wir gleich die Leiche neu beleben, verbirgt uns den Verhalt, daß da am Ende des lebendigen Prozesses unvermittelt steht — der Tod, starr wie Satan selbst. An allen Ecken dieses Weltgebäudes steht geschrieben „Grenze" als ihr Merkmal; eine „Es" Welt des Außereinander, in der sich die Dinge im Räume stoßen, starrt aus toten, leblosen Augen uns an. Wo ist da noch Gemeinsamkeit mit dem Prozeß der ungeheuer lebensvollen Mächte, der diese tote Welt geboren? Ist es der Begriff der „Grenze" ? Sicher, auch diese Mächte begrenzen sich; aber ihre Grenzen liegen da, wo sie das Gleichgewicht sich halten, sind labil und flüssig, wallen hin und her, verschwinden und entstehen neu, — je nachdem die Mächte auf sich prallen, sich durchdringen und verschlingen und sich wieder auseinander lösen. In der „Gewährung" ist die Grenze noch ein Kind des Chaos; sagen wir: ein Grenzbegriff. Und sicher, das Gefühl mit seinem „ja" und „nein" macht schon die Grenzen schärfer; aber wird nicht alles, wenn auch notgedrungen, aufgenommen in der Seele Rhythmos, Freund und Feind? Weshalb tötet unsere Seele diese lebensvolle Welt und wirft sie als die tote, starre Dingwelt in den Raum hinaus? Allerdings, es ist demütigend für das Bewußtsein, daß es nicht nach Willkür walten kann; wäre es dann so vielleicht, daß, lieber als dem lebenden Naturspiel zu verfallen, es die herrischen Gewalten hinauswirft in den Raum als tote Dinge ? — daß es, ihre Flüssigkeit in Eis verwandelnd, lieber einer Eiswelt Herr, als einer blühenden Naturwelt Sklave sein will? Müßige Betrachtungen! In der Form des „vielleicht" ist das Rätsel nicht zu lösen; die Sphinx rückt zurück und
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lächelt sardonisch. Das Rätsel bleibt, wenn auch geklärt, gleichwohl unerklärlich; ja, es wird noch fremdartiger, wenn wir bemerken, daß es bloß für unser heutiges westeuropäisches Bewußtsein im vollen Umfang da ist. Inder und Griechen bemerken das Fortschreiten der Erstarrung im Lauf der Zeiten und geben ihrem schmerzlichen Erstaunen Ausdruck in der Lehre von den „Zeitaltern", jedes unglückseliger als das frühere. Nur wir, Menschen des Westens, sind stolz auf unsere Errungenschaft, die uns die Herrschaft über die Erde beschafft hat, ohne zu bemerken, daß sie unter unsem Händen zur toten Unnatur erstarrt ist. Wie war das früher anders, als der Mensch noch jung und ganz Natur war! Keineswegs entäußert von der Seele, spiegelt hier das Weltbild keine tote Außenwelt. Ihm nicht gegenüber, wie ein Es dem Ich, erscheint die Welt dem frühen Menschen noch. Nein, vielmehr eine U m w e l t , deren Mittelpunkt er bildet, Leben seines Lebens — ein stetiger Wandel wechselnder Lebensformen, alle gleich vertraut und heimlich, weil der Mensch in jeder ihren Rhythmos kann belauschen und sich nach Belieben leicht und mühelos in sie verwandeln, ohne seine Eigenheit darüber zu verlieren. Hier ist Magie noch keine Kunst, weil ganz Natur; die Religion unmittelbar Erlebnis. Kein Priester und kein Magier trennt ihn da von Gott und von der Welt; denn diese Welt ist Gottes eigenes Sein und seiner Wesenheit ganz inniglich verwandt. Es ist das Lied des Paradieses, das noch lange nachklingt, als das Paradies schon längst verloren, beinahe schon vergessen war. Seltsam: wenn auch unser Weltbild starr ist und von Alledem nichts aufweist — so klingt das Lied der Sehnsucht auch in unserer Seele nach und findet Anklang — ja, kaum weniger stark als bei den Weisen Indiens und Chinas, um von den spätem ganz zu schweigen. Aber ist das wirklich so sonderbar ? — Bedenken wir: nur das Endresultat des Anschauungsprozesses — das Wahrnehmungsbild — ist der Erstarrung erlegen; der Prozeß selbst ist dynamisch wie vorher. Die Welt des frühen Menschen ist wie ein strömender Fluß — panta rhei — aber nach und nach hat der Frost seine Oberfläche gefesselt; und dennoch 191
wissen wir: da unter der Eisrinde unserer Wahrnehmungswelt kocht und brodelt es, da ist Leben und Bewegung, und wir brauchen bloß die starre Rinde aufzulösen, um zur alten Lebensquelle zu gelangen. Aber — so wird uns der Skeptiker entgegenhalten — auch in unserer sogenannten starren Welt ist Leben und Bewegung; bewegen sich die Dinge nicht unaufhörlich? Sicher ist Bewegung da, jedoch keine e c h t e ; denn auch sie fällt unter die Kategorie des Raumes, wie unsere Zeitkategorie überhaupt, insofern sie auf die Außenwelt Beziehung hat, aus der räumlichen abgeleitet ist. Was wir Bewegung nennen, ist ein Nacheinander verschiedener räumlicher Zustände; dieses Nacheinander ist ein Diskretum, nicht mehr ein Kontinuum, wie es die Kategorie der „Dauer" in der früheren Welt war. Ja, echte Bewegung gibt es auch noch in unserem wertenden Gefühl, wie überhaupt im ganzen Anschauungsprozeß, der d a u e r n d w e i t e r s c h r e i t e t , somit ein echter P r o z e ß ist1). Bis auf die Fixierung in der Wahrnehmung: dann erstarrt der Prozeß in eine Reihe von Bildern, die sich in einer festen Folgenreihe ablösen und nur dadurch den Schein der Dynamik wecken, daß sie so rasch aufeinander folgen2). In Wirklichkeit sind sie starr; denn sie folgen der Kategorie der Zeit, die als meßbares Diskretum eigentlich „räumlicher" Art ist. Resultat: in der reinen Wahrnehmung ist die Bewegung ebenso starr wie die Ruhe8). Umgekehrt ist im dynamischen Weltbild die „Ruhe" ebenso dynamisch wie die Bewegung, nämlich ein labiles Gleichgewicht, das jeden Augenblick in Bewegung übergehen kann; es ist das, was wir vorher in diesem Weltbild als die „Grenze" bezeichnet haben. Die „Ruhe" ist hier ein Grenzbegriff, eine Grenze zwischen wallenden Potenzen, die aufgehoben und an anderer Stelle neu entstehen kann, sobald das Gleichgewicht verloren geht und wiederhergestellt wird. x
) Daher ist bei Kant in der sog. innerseelischen Welt die Zeit eine ursprüngliche, ja, die einzige Anschauungsform, wogegen sie in der Außenwelt als vom Raum abgeleitet erscheint. *) Die gleiche Täuschung wie beim Film. 3 ) Wohlbemerkt, ist Ober die Möglichkeit einer Verflüssigung in der ,.Vorstellung" hier nichts behauptet.
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Hier repräsentiert die „Ruhe" freilich das räumliche Elément, wie im statischen Weltbild die „Bewegung" das zeitliche, und auch hier ist es ebenso schwach. Hatte im statischen Weltbild die Bewegimg den Charakter des Diskretums angenommen, hier umgekehrt ist die Ruhe kontinuierlicher Art ; steht dort Alles unter der Grundform des Raumes, hier wallt Alles unter der Kategorie der Dauer. Hier steht nichts, besteht nichts, kommt nichts zu Stande; hier fließt Alles und hebt sich im Setzen wieder auf, um in Wechselwirkung auf das Andere einzuwirken und sich von ihm beeinflüssen zu lassen1). So ist dem frühen Menschen seine Welt nicht fremd: unmittelbar genießt er sie in dauernder Verwandlung; und die Gemeinschaft des Erlebnisses — genußvoll oder qualvoll möge es sein — verleiht ihr einen festen Sinn als Welt von positiv wie negativ gefaßten Werten. Bei uns, Modernen, das gleiche Bedürfnis: jedoch, nur mittelbar kann unsere Dingwelt uns die Erfüllung der Bedürfnisse bringen; als Gegenstand des Gefühls möge sie der Seele wertvoll sein, als Gegenstand der Wahrnehmung ist sie doch bloß eine tote Dingwelt. Die Beziehung des Primitiven zu seiner Welt ist „wahrnehmendes Fühlen" oder „gefühlsmäßiges Wahrnehmen" (wie schon S. 176 angedeutet) ; bei dem Modernen ist das Verhältnis zwischen diesen beiden unteren Funktionen „kritisch" geworden, sie sind a n einandergeraten und seitdem in einer fortwährenden Spannung begriffen, die zur Zeit des Rationalismus wohl ihren Höhepunkt erreichte (Descartes). Es könnte nun wohl beim Leser der Eindruck entstehen, als zögen wir die frühe Bewußtseinsverfassung der heutigen vor. Eine solche Absicht würde jedoch unserer Meinung völlig widersprechen. Was am paradiesischen Bewußtsein dauernd wertvoll ist, kann der Mensch von heute noch erleben, freilich nur in mystischer Ekstase; besser noch als mancher „Primitive", der im unglückselig-mythologischen ') In diesem Weltbild lebt und webt Bergson, der daher Kant nie wird verstehen können. Daß er so starken Anklang gefunden, ist ein Zeichen der Zeit. D e k k e r , Die Rückwendung zum Mythos.
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Bewußtsein seiner Tiefkultur über seine Angst vor der verhängnisvollen Vielheit der Gewalten kaum den Weg zur Gotteswelt sich bahnen kann. Und dann — es soll uns unvergessen bleiben, daß die ratio in ihrer reifsten Form als Idealismus zu des Geistes Freiheit uns erhoben hat. (Dies den Schwärmern für das Primitive, insofern sie Prediger des Antirationalen sind, höchst gefährlich für die schwer erkämpfte Freiheit und die Wegbereiter für erneute Sklaverei.) Jedoch, die Freiheit setzt voraus, daß die oberen Funktionen — das rationale Denken und die überrationale Intuition — schon die Führung übernommen haben; und davon ist in den Niederungen, in denen unsere Untersuchung sich bewegt, gar keine Rede. Es sind ja erst die beiden ersten Akte des Dramas, aber — im täglichen Leben die wichtigsten! Wie selten lassen wir die ratio gelten und wie oft handeln wir in unmittelbarer, von der ratio kaum aufgeklärter Gefühlsbewegung! Und darum war es wichtig, uns die Niederungen unseres Seelenlebens einmal richtig und für sich gesondert anzusehen, sowohl in ihrer früheren wie in unserer heutigen Verfassung. Es ist ein nüchternes Geschäft, wenn auch nicht ohne Spannung! Manches schwärmerische Bild muß es zerstören, und das ist kein Schaden; .denn die Wirklichkeit ist immer spannender als alle Schwärmerei.
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DER N E U E MYTHOS. Mancher zünftige Philosoph wird über den Titel dieses Kapitels noch heftiger den Kopf schütteln als über die Ausführungen des vorigen. Schon der These „daß unser Weltbild dinghaft, starr ist" kann er nicht beipflichten, auch wenn er sie für Descartes gelten läßt; aber seitdem sei doch die Philosophie fortgeschritten! Wenn schon Leibniz und Hume die Außenwelt nicht mehr dinghaft fassen, obgleich sie noch nicht die rechte Beziehung zu ihr gewinnen können, so sei es Kants unsterbliche Leistung gewesen, diese Beziehung herzustellen, indem er die „Welt" als „Gegenstand der Erfahrung" faßte. Ist es also nicht zulässig, seit Descartes (und vielleicht Spinoza) von einem dinghaft-starren Weltbild zu reden, den Mythos habe schon die griechische Philosophie überwunden. Kantianer und Hegelianer werden sich darin einig wissen, daß der Mythos als „aufgehobene" Phase der Bewußtseinsentwicklung nur noch das Thema geschichtlich-psychologischer Untersuchungen abgeben kann; und wo er heute als „Traum" (im weitesten Sinne genommen) wieder auftaucht, da sei er ein Rest, der baldmöglichst aufzulösen ist. Der Mythos ist und bleibt „Vergangenheit"; von einem „neuen Mythos" zu reden, kann höchstens den Dunkelmännern jeder Gattung zugute kommen. Jedoch — dies sei dem ersteren Einwand entgegengestellt — die Starrheit ist nicht vom philosophischen, sondern vom alltäglichen Weltbild ausgesagt, das noch heute durchaus Descartes' philosophischem Weltbild entspricht. Descartes' Philosophie hat die große Aufgabe erfüllt, das wissenschaftliche Weltbild von morgen, das alltägliche von übermorgen zu bestimmen: ein Jahrhundert nach seinem Tode, als mit Newton, dem letzten Naturphilosophen, der Mythos begraben ist, feiert die physikalische Mechanik ihre ersten Triumphe; und wiederum ein Jahrhundert später gibt sie in Büchner, Voigt, Moleschott dem Weltbild auch der Laien ihr starres Gepräge, das noch heute für uns in unserer Alltäglichkeit maßgebend ist. Dieses Weltbild — so führten wir aus — ist eine dinghafte Projektion der gefühlsgewerteten Gewährungen, die .3'
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auf uns eindringen; statisches Ergebnis eines dynamischen Prozesses. Nur diese erste Phase des Erkenntnisprozesses ist rein vorphilosophischer Natur; schon die nächste Phase, als die Einbildungskraft das wahrgenommene Weltbild in sich als „Vorstellung" zurücknimmt, ist ein halbphilosophisches Abstraktionsverfahren, das uns die Starrheit unseres Weltbildes verdeckt. Aber auch dieses starre Weltbild verdeckt seinerseits wieder den durchaus dynamischen Prozeß, der es geschaffen hat und der sich doch geltend machen will. Dem alltäglichen Bewußtsein ist ja die Starrheit unerträglich, immer und immer wieder will es zur daemonischen Quelle durchbrechen, aus der es sich speist ; m. a. W. : es lebt und webt im Mythos. Wohl schien es vorderhand, als könne der Materialismus in der dynamisierten Materie ein neues mythologisches Prinzip abgeben, aber die. Entwicklung der Naturwissenschaften selber hat diesen Mythos zerstört. So ist jetzt der Mensch in seiner Alltäglichkeit irre geworden an seiner eigenen Daemonie. Und da erhebt sich die Frage, ob der Philosoph berechtigt ist, sich in die reine Sphäre eines mundus intelligibilis zurückzuziehen und es den „Dunkelmännern" zu überlassen, den Menschen von heute in seiner irregewordenen Daemonie zu verführen — oder ob ihm nicht die Pflicht obliegt, mit der Leuchte des Geistes dieser Daemonie ihren Platz als dynamische Grundlage des Lebens anzuweisen. Die Frage stellen, heißt, sie mit einem herzhaften „so sei es" zu beantworten. Ob „der neue Mythos" ein Schlagwort oder ein Lösungswort wird, — darüber liegt die Entscheidung jetzt bei der Philosophie. Ist aber die Philosophie im Stande, diese ihre Aufgabe zu erfüllen; hat sich der Geist wirklich befreit, so daß er als Leuchte über dem Mythos walten kann? Karl Joël betont in seiner Burckhardt-Biographie, wie sehr dieser Historiker — hierin mit dem jungen Nietzsche einig — den Tod des Mythos in Hellas mit Trauer betrachtet, zugleich aber es freudig begrüßt, daß dieser Tod die Geburt der Persönlichkeit ermöglicht ; und Joël selber hat in seinem 196
Buch „Die Geburt der Naturphilosophie aus dem Geist der Mystik 1 )" sowie explizite in seiner „Antike Philosophie"*) diese Antithese zum Leitfaden gewählt. Burckhardt und Joël fassen damit für eine kritische Periode die zwei Grundtendenzen zusammen, die vorher Schelling und Schubert gesondert, aber dann für die größere Zeitspanne von Paradies bis Christentum ihren Ausführungen zu Grunde legen : Schelling feiert die Befreiung des Geistes, Schubert betont besonders den Tod des Mythos. Und was Schubert schon angedeutet — daß der Mythos an der Erstarrung des Weltbildes stirbt — ist zuf Grundlage unserer Untersuchung geworden. Jedoch, in der Spätantike ist der Mythos nicht tot, bloß scheintot ; noch einmal lebt er im Mittelalter auf und bildet in einem letzten Aufleuchten die Grundlage der RenaissancePhilosophie; dann aber verkümmert er bei Galilei und stirbt bei Descartes — die Welt ist gestorben, ihr Bild erstarrt. Ist damit der Geist befreit? Mit nichten. Auch eine Leiche kann daemonisch wirken, und so fällt der Aufklärung die Aufgabe zu, den Geist zu befreien, indem er die tote Außenwelt auflöst — ein Prozeß, der von Descartes bis Fichte führt und dessen einzelne Phasen wir kurz verfolgen wollen. Zu dieser Auflösung der Außenwelt haben alle philosophischen Strömungen beigetragen, mit Ausnahme des französischen Materialismus, der nur Descartes' Metaphysik fallen läßt, sonst aber sein Erbe antritt und der blühenden mechanischen Physik ihr Weltbild schafft. Er galvanisiert die Leiche, und oft in sehr geistreicher Weise. Die Andern jedoch lösen allmählich die Leiche auf, indem sie ihr die Vitalität entziehen und nach innen wenden. In diesem Introversionsprozeß wird dann zunächst der menschliche Leib problematisch. Schon bei Descartes. Es war ein Leichtes, die Außenwelt, die Tiere inklusive, mechanisch zu deuten ; aber wie stand es da mit dem Leibe, der für den Intellekt doch auch gewissermaßen zur Außen*) Jena 1906. -) Band I, Tübingen 1921.
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weit gehört? Descartes bereitet bekanntlich dem Leib eine Ausnahmestellung, indem er ihn zur Seele in Wechselwirkung setzt; eine ungenügende Lösung, die dann über Geulincx zum Parallelismus Spinozas führt. Spinoza hebt die Ausnahmestellung des Menschen auf und güedert Seele und Leib in den mathematisch bestimmbaren Naturmechanismus ein. So besagt es uns die Form seines Systems; aber wie anders der Gehalt! Steht schon bei Descartes der Mensch im Mittelpunkt, Spinozas System ist eine Lebenslehre des Menschen, eine echte, theozentrisch gerichtete Anthropologie; innerlich bedeutet ihm die Außenwelt nichts, der Seele Heil alles. Dieser innere Widerspruch hat die Zeitgenossen an Spinoza irre gemacht. Das Leib-Seeleproblem fällt dauernd unter den Tisch; ihr Gegensatz wird zuerst von Locke, dann konsequenter von Berkeley, H u m e und den f r a n zösischen S e n s u a l i s t e n in ein Beziehungssystem aufgelöst, das alle „Substanz" durch „Funktion" ersetzt. Der Sensualismus löst die Welt in ihre Atome auf (er läutet den Triumphzug der Chemie ein!); ja, es ist nahe daran, daß er auch die Seele auflöst — ein Extrem, vor dem ihn einerseits nur die letzten Endes religiös verankerte self-centredness der englischen, andererseits die logisch-mathematische Zentralität der französischen Seele behütet1). Eine solche Zentralität ist dagegen der zum Grübeln geneigten deutschen Seele gar nicht selbstverständlich — daher fordert sie eine Systematisierung, die Leibniz ihr in genialer Weise geschaffen hat. Hier ist die Sinnenfälligkeit der Welt vollkommen aufgelöst; von ihrer materialen Grundlage bleibt nur ein formales, mathematisch erfaßbares Gerippe, das der deutschen Seele nach ihrer furchtbaren Erschütterung wieder neue Richtlinien beschaffen konnte. Wichtiger noch als diese immerhin negative ist seine positive ') Es ist überhaupt bemerkenswert, wie oft die Philosophen die seelischen Schwächen ihres Volkes zu kompensieren versuchen. Der Engländer ist in seiner Tatkraft nicht sensualistisch, der Deutsche in seiner Empfindsamkeit nicht aktivistisch veranlagt; dagegen geht die englische Philosophie durchwegs von der „Anschauung", die deutsche aberwiegend vom „Denken" und „Wollen" aus. — Auf die Bedeutung dieser „Kompensation" im Volksleben können wir hier nicht eingehen.
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Leistung: daß er die „Welt" wieder lebendig sieht, indem er ihre „Sinnfälligkeit" durch „Kraft" ersetzt. Die Monaden sind ja energetische Potenzen, die auf dem Wege zur Vollendung bis zur Zentralmonade, zu Gott hinauf, immer mehr vom Lichte der Ratio durchleuchtet werden. Dennoch ist hier von einer eigentlichen „Welt" nicht mehr die Rede. Daß die menschliche Monade, die Seele, bloß eine Zwischenstufe einnimmt, täusche nicht darüber hinweg, daß sie den Grundton abgibt. Gott ist in seiner Rationalität dem rein geistigen Menschen wesensgleich; die untermenschlichen Monaden bilden eine verinnerlichte, fensterlose Welt, die in ihrer hierarchischen Gliederung teleologisch auf den Menschen zustrebt. Somit ist sein System eine theozentrische Anthropologie, in dem für eine „Welt" kein Platz mehr ist: es fehlen ihr sowohl die materiale Grundlage wie die unmittelbaren innerweltlichen Beziehungen. Soweit war die Auflösung der „Welt" fortgeschritten, als in Rousseau eine Gegenströmung einsetzt. Die Aufklärung war in V o l t a i r e paradoxal geworden, unerträglich der Seele, die jetzt wieder nach Verwurzelung sucht. Kein Wunder, daß Rousseaus regressive Fanfare „zurück zur Natur" begeisterten Widerhall fand. Rousseaus Ressentiment dem entwurzelten Geist gegenüber verhinderte jedoch dessen Verwurzelung; und so mußte sich der schweizerische Naturfreund in der Philosophiegeschichte zu der Rolle bescheiden, einerseits den Grundton zur Romantik abzugeben, andererr seits den dritten und letzten Komponenten in der von Kant geleisteten Synthese zu bilden. Kant und die Romantik haben in der Tat, wenn auoh nicht im gleichen Sinne, ein „zurück zur Natur" gemein; hier kommt Schelling schon in Sicht. Zunächst Kant. Durch Hume aus seinem „dogmatischen Schlummer" geweckt, kehrt er in seiner „kopernikanischen Wendung" Leibniz um: nicht mehr strebe die „Welt" teleologisch auf den Menschen zu, vielmehr wende sich der Mensch zur „Welt", nicht jedoch um in sie aufzugehen, sondern um sie sich gegenüberzustellen. Wäre also Kant der Begründer des „neuen Mythos" ? Er selber hätte bei dieser Behauptung ein Lächeln kaum
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unterdrücken können. So fruchtbar seine Kritik des Erkenntnisvermögens für die Wissenschaft war, sie kann nur beweisen, wie eine tote, mechanische Welt notwendig, nicht wie eine lebendige Welt wirklich sei. Dann spürt er zwar das „non satis" dieser Betrachtungsweise und setzt in der Welt des Organismus und der Kunst eine lebendige Welt, aber nur als notwendiges Desideratum, nicht als phaenomenon bene fundatum; also als factum unbeweisbar. Das Leben ist bei Kant wie eine Hülle, die unsere theoretisch erfaßbare Welt umschließt und durchdringt wie der Aether die Erde, in seiner Unfaßbarkeit Gegenstand mehr der Sehnsucht als der Erkenntnis. Kant leidet unter dieser Beschränktheit des menschlichen Erkenntnisvermögens, die ihm den Weg in die echte Wirklichkeit der Welt verbaut; er nimmt sie aber nicht tragisch: ist nicht der Mensch in seiner sittlichen Würde so groß wie das Sternenheer? So ist Kants Weltbild alles Andere als einheitlich; eigentlich gibt es bei ihm mehrere „Weltbilder", welche ebensoviele Bereiche konstituieren, deren Methoden es zu erforschen gilt. Der Mensch steht hier nicht inmitten einer lebendigen Welt, von deren Totalität aus er die Pluralität der Gesichtspunkte betrachten kann, er steht vielmehr von Anfang an einer Pluralität von Gesichtspunkten gegenüber, von denen die Totalität des „aesthetischen" Weltbildes nur eine ist. Diese Weltpluralität a priori wirkt dann natürlich auf den Menschen zurück, dessen Persönlichkeit in ein erkenntnistheoretisches, ethisches, aesthetisches „Subjekt" aufgeteilt wird; was bei Kant noch methodologische Unterscheidung war, wird dann bei seinen Nachfolgern systematische Scheidung, weil schon bei Kant das einigende Band allzu locker war. F i c h t e fällt das große Verdienst zu, die von der Romantik, ja schon von Lessing postulierte menschliche Persönlichkeit gerettet zu haben, indem er das Ich systematisch als das a priori der Philosophie setzt und begründet — auf Kosten der „Welt"; vom Ich als zu Erkennendes gesetzt, ist diese dazu bestimmt, zunächst (in der Wissenschaftslehre) zu einem bloßen Materiale der Pflichterfüllung herabgedrückt zu werden; In der Aufklärung atomisiert oder subjektiviert,
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ist sie bei Fichte zu einem Nichts verflüchtigt; das große Spiel der Befreiung des Menschen ist ausgespielt, denn sein Gegenspieler, die „Welt", ist nicht mehr. An diesem Punkte taucht der Name „Schelling" vor uns auf; denn wie einmal er selber, haben jetzt wir — freilich in einem andern Sinn — die „Geschichte der neueren Philosophie" seit Descartes als Auftakt zu seiner Philosophie gefaßt 1 ). In einem andern Sinn; denn in Schelling dürfen wir den Meister ehren, der als Erster den Neuen Mythos begründet hat, als er in seiner Einleitung zur „Philosophie der Mythologie" ihr gutes Recht damit behauptet, daß wir Alle den Mythos noch in uns haben, dessen Begriff seine Aufnahme in die Philosophie fordert, damit diese nicht in Denknotwendigkeiten schwebe, sondern wieder eine lebendige Beziehung zur Wirklichkeit der Welt gewinne. Das ist romantische Art; aber was ist Romantik ? Ihre Conturae sind so flüssig, daß auch Schlegel sie nicht zu bestimmen vermochte; und da ist es auffallend, daß sie ihr begriffliches Gefüge nicht den Sturm- und Drangphilosophen (wie etwa Hamann oder Jacobi) entnahm, sondern sehr unromantischen Philosophen, wie Spinoza und nachher Fichte: sie brauchte ja eben diese Verfestigung! Schon lange bevor ihr Fichte das freie Ich als erlösendes Moment geschenkt, hat die Romantik im System S p i n o z a s ein adaequates Gefüge für ihre noch schwärmerischen Gedanken und Gefühle einer neuen, lebendigen „Welt" erkannt. Spinozas Pantheismus schlägt bei Lessing, dann bei Herder in deren Theismus ein; namentlich H e r d e r berauscht sich an der Gottesmystik des letzten Buches der Ethica, so daß sie den harten substantiellen Gott des ersten Buches, der ja bloß blinder, absichtsloser Naturmechanismus ist, so sehr verklärt, daß dieser Gott als der Inbegriff einer lebendigorganischen, ja vollkommen schönen Natur erscheint. Die Mahnung Jacobis, der den Charakter dieses Gottesbegriffs bei Spinoza (aber auch nur dieses) richtig einsah, wird mit *) Jacobi und Hegel können wir als Exponente seines Ressentiment hier außer Acht lassen.
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Spott zurückgewiesen: Herder, und auf seiner Fußspur Goethe, wollten nur den mystischen Gott — eine Auffassung, die für die Romantik, so auch für den jungen Schelling (vgl. S. 32) maßgebend wurde. Vom „mystischen Gott" Spionzas berauscht, hat die Romantik dessen statischen, starren ,,Natur"-Gott in ihrer Ekstasis dynamisiert, und so die „göttliche" Natur zur wirklichen Grundlage des Lebens, zum Neuen Mythos erweckt. Ihre Erbschaft tritt Schelling an, wenn er in seiner positiven Philosophie den Mythos geschichtlich aufdeckt und begrifflich verwertet; es ist seine Leistung, daß er ihn damit dem Denken aller Zeiten zugänglich gemacht hat. Die andern Romantiker konnten ihm nur einen Gefühlswert verleihen, der bloß für sie und die Neo-Romantik jeder Gattung gelten kann; erst die philosophische Form, welche ihr Schelling geprägt, verleiht ihr zeitlosen Wert. Es ist erfreulich, daß sich die philosophische Welt des alten Schelling nicht mehr schämt, indem sie ihm (so Cassirer in seiner „Philosophie der symbolischen Formen", Band II „Der Mythos") jedenfalls diese formale Ehrenrettung gewährt. Wenn nun vorliegende Untersuchung auch zu einer mehr als formalen, zu einer gehaltvollen Ehrenrettung führen möchte, würde sich der Verfasser schon reichlich entlohnt fühlen; denn es kann dem aufmerksamen Leser nicht verborgen geblieben sein, wie sehr er sich, trotz aller Kritik, innerlich dem Altmeister anschließt, zu dessen Würdigung die Wissenschaft der Mythologie wieder geradezu drängt. Erst auf Grund unserer Resultate haben wir den Anschluß an Schelling wieder zurückfinden können. Es wäre nun zwecklos, die zahlreichen Berührungspunkte, die wir im Laufe unserer Untersuchung notierten, zu wiederholen; aber es scheint uns sehr am Platze, hier, wo wir uns vom „Alten Mythos" (nämlich vom „Mythos" des vorphilosophischen Zeitalters) verabschieden, uns noch einmal die von Schelling gezogenen Richtlinien für dessen Studium vor Augen zu stellen: I. Die Mythologie ist die Erhebung des unteren Prinzips der Vielheit, des realen Naturgrundes, über das ideale Prinzip der Einheit (Sündenfall); ihre Ge202
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schichte ist der Kampf beider Prinzipien im Bewußtsein. Sie setzt ein „Paradies" voraus, nach dem die im Bann der einzelnen realen Mächte stehenden Völker immer wieder sehnsüchtig zurückverlangen. Die Zersplitterung dieser Mächte setzt sich nach dem „Sündenfall" noch nicht sofort durch; dem entwickelten Polytheismus geht im Zabäismus (Astrologie) ein noch unentschiedener Polytheismus voran. Die Erlösung des Bewußtseins aus dem Bann dieser als Götter verehrten Mächte bereitet sich in der Mythologie der einzelnen Völker vor; in den Mysterien auf höchster Stufe. Der Polytheismus stellt somit nicht nur eine simultan herrschende, sondern ebenfalls eine sukzessiv ihrer „Aufhebung" entgegenstrebende Potenzenwelt dar. Christus vollzieht in seinem Leben und seinem Tod die Erlösung von der vielgestaltigen Macht dieser Realen Potenzenwelt, indem sich Gott in ihm real als Mensch offenbart.
Nach diesen Richtlinien ließe sich dann eine „Philosophie der Mythologie" weiterführen, die allerdings in ihrem Aufbau, sowohl stilistisch als material, von der Schellingschen sehr verschieden ausfallen wird. Schon unsere Untersuchung hat gezeigt, wie dringend erforderlich eine Erweiterung der Grundlage ist, die sich dann in den folgenden Hauptlinien auszeichnen ließe: ad I: a) Der M y t h o s ist, als d y n a m i s c h e G r u n d l a g e u n s e r e s L e b e n s , die in d a e m o n i s c h e r Vielheit h e r v o r b r e c h e n d e P o t e n z . Diese Potenz soll „im Grunde" bleiben, überwältigt jedoch in der „Mythologie" das höchste logoische Prinzip und bemächtigt sich der Führung im Bewußtsein. Die mit dem Anspruch auf Herrschaft auftretende Einzelpotenz heißt D a e m o n . 203
b) M y t h o l o g i e ist somit die Herrschaft einer „Welt", die nicht aus Dingen besteht, sondern in Potenzen zerfällt; das Weltbild ist dynamisch, nicht statisch. c) Magie ist die Fähigkeit des Menschen, die Einzelpotenzen zu erkennen und zu beherrschen, indem er sich mit ihnen vereinselbstigt, d. h. mittels der beiden Grundtriebe der Seele (Selbstbehauptung und Ver-anderung) sich in sie verwandelt, ohne darüber seine Selbständigkeit zu verlieren. d) Religion dagegen strebt Vereinselbstigung mit dem logoischen Prinzip an, das im Polytheismus durch die Einzelgötter überwältigt wird; und zwar so, daß sich der Einzelgott jeweils als allmächtig setzt. ad II: Notwendiges Postulat der Magie ist das P a r a d i e s , in dem noch alle daemonischen Potenzen im Schöße der AllEinheit liegen. Die ganze „Welt" (auch der Mensch) ist hier noch selig unbewußte, wohlgeordnete dynamische Natur — eine göttliche Hierarchie von Potenzen, mit welchen sich der Mensch als magisches Organ der Gottheit mühelos vereinselbstigen und als deren höchste Spitze kraft des schöpferischen Wortes (Logos) sie beherrschen kann. Der Glaube an diese All-Einheit als göttliche Weltpotenz umspannt noch das mythologische Weltbild und eignet sich ausnehmend zum Substrat der Magie1). Andererseits ist diese magische Fakultät der Grund zur Selbstherrlichkeit des Menschen, die sich im „Sündenfall" wider die Unfreiheit des Paradieses erhebt und den mythologischen Prozeß einleitet. ad III: Die hervorbrechenden Daemonen stürmen gegen das logoische Prinzip an, das jedoch vorläufig, wenn auch in der pervertierten Form der A s t r o l o g i e , die Führung behält. Die Perversion besteht darin, daß die Gottheit in Einzelx ) Ein Rest dieses Glaubens liegt im sakralen König vor, der durch sein bloßes Dasein die Weltordnung bandhabt, indem er sich mit der göttlichen Weltpotenz einig weiß; eine Funktion, die in niederen Kulturen auch wohl dem Magier zufallt.
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potenzen (Sterngötter) zerfällt, die jedoch Alle noch in einem kosmischen Zusammenhang- stehen; und der Mensch, obgleich des unmittelbaren kosmischen Zusammenhangs verlustig, erkennt in diesem Zusammenklang der Potenzen die sein Schicksal beherrschende göttliche Macht; wohlverstanden, nicht das Schicksal des Einzelmenschen (der noch belanglos ist), sondern der Gruppe1), ad IV: a) Das logoische Prinzip (in der Astrologie schon pervertiert) verblaßt und wird immer mehr daemonisch durchsetzt. Aus dem logoischen Leben des Menschen zieht sich die Weisheit zurück in die Esoterik und läßt eine unweise Religion zurück, die keine Beziehung zur Weltpotenz mehr gewährt. Die hervorstechendsten Daemonen bemächtigen sich als „Götter" des religiösen Bewußtseins, das, unglückselig geworden, einer Erlösung bedarf, die jeweils nur kasuell und partiell stattfinden kann, weil sich der P o l y t h e i s m u s sowohl sukzessiv wie simultan durchgesetzt hat. — Über den im Paradies noch nicht vorhandenen Unterschied zwischen Religion und Magie in diesem Zeitalter vgl. ad I c, d. b) Indessen setzt, in der frühen Magie schwach, im Fortgang immer kräftiger, eine E r s t a r r u n g des W e l t b i l d e s ein, die allmählich die dynamische Potenzenwelt in eine statische Dingwelt verwandelt2). Hier geht die Vereinselbstigung mit dem Gotte in der Religion, mit dem Daemon in der Magie nicht rtiehr „von selbst"; nur die E k s t a s i s kann sie vermitteln, indem sie den Menschen aus der statischen Dingwelt in die dynamische l ) Auch hier liegt ihr Heil noch in der H a n d des Königs, der die Weltordnung h a n d h a b t ; jedoch nicht mehr durch sein bloßes Dasein, sondern indem er „seinem Gestirn folgt"; nur die Gestirngötter vermitteln ihm noch die Vereinselbstigung mit der Weltpotenz. *) Dieser Prozeß setzt ein m i t der Reflexion über den Tod. Uranfänglich eine Verwandlung wie jede andere (und im Paradiese wohl noch gar nicht wirksam), wird der Tod (und mit ihm die Zeugung) problematisch, als der Leib des daemonischen Toten in der ..Anschauung" zum Leichnam erstarrt; hier erst entwickelt sich der Animismus als erste Lösung des LeibSeeleproblems — eine Antinomie, die erst der „ T o d " hervorruft und die somit im frühmagischen Zeitalter noch im Schöße der Natur schlummert.
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Potenzenwelt zurückversetzt. Sowohl in der Magie wie in der Religion wird sie immer mehr notwendige Voraussetzung der eigentlichen Verwandlung1). c) Sinn und Zweck dieser leidvollen Erstarrung ist die w e s e n h a f t e Befreiung des Geistes aus der Naturgebundenheit durch die Philosophie 8 ). Die wirkliche Erlösimg von der schrecklichen Gewalt des Schicksals, die beim Auftauchen der Todesfrage sich der Gemüter bemächtigt, kann die Philosophie jedoch nicht bewirken, denn sie ergreift in ihrer intellektuell orientierten Lösung das gequälte Gemüt des Volkes nicht. Hier steht sie im Nachteil gegenüber der Tragödie, welche die Qual in voller Anschaulichkeit darstellt; und vollends gegenüber den Mysterien, die wohl in den höheren Weihen eine ekstatisch-religiöse Lösung des Problems vom Schicksal überhaupt, und von Tod und Zeugung im Besondern dargeboten haben mögen. ad V: Was die Philosophie nicht leisten, was die Mysterien bloß vorbereiten konnten, hat Christus verwirklicht. Im Judentum fand Er eine, von der Awesta wachgerufene Ethik *) Da auch die Götter und Daemonen in die Erstarrung einbezogen werden — sie werden bildhaft dargestellt! — erfordert die Ekstasis einen immer größeren rituellen und liturgischen Aufwand; zunächst noch „hinter" der starren Naturwelt „stehend", lösen sie sich allmählich von ihr ab und werden entweder unglaubhaft oder „ungeheuer", zuletzt „böse". *) Philosophie bewirkt die Befreiung des homo sapiens überhaupt. Zuerst befreit sie die Seele durch Reflexion über die „Welt" aus deren Bann, indem sie den Logos aus einer magischen Weltpotenz in das Prinzip der Intuition und des Denkens verwandelt, die hier noch nicht auseinanderklaffen, sondern im „theorein" innig verbunden bleiben. Bei zunehmender Erstarrung löst sich dann der Logos von der „Welt" ab und verinnerlicht sich im Menschen, der kraft seines Logos jetzt die starre Welt ( n a t u r wissenschaftlich betrachten kann. In der Seelentiefe dieses homo faber lebt aber noch lange (so bei Piaton im „Mythos") der frühere homo divinans (Danzel), der in der Ekstasis wieder aufleben kann; ja, notih heute ist seine Mitwirkung für jede wissenschaftliche Entdeckung erforderlich. Die Verinnerlichung des Logos führt auch zur Aufdeckung des E t h o s , das erst im freien Menschen wirken kann; die Philosophie bringt hier aber nur wesenhafte Befreiung Einzelner, keine wirkliche Erlösung des Volkes, weil ihr Ethos in der Religion keinen Halt findet.
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vor, welche der Religion als feste Grundlage diente, nachdem sie die Propheten grundsätzlich von jeder Daemonologie befreit hatten — die religiöse Gegenleistung zur philosophischgriechischen. Diesè Reinigung hat dem Reiche Gottes Raum geschaffen, in welchem das „Gotteskind" die Synthesis der freien Persönlichkeit mit dem „Paradies" vollzieht. Religiös gesprochen: C h r i s t u s h a t die K r e a t u r erlöst. Daß diese Erlösung nicht eine magisch wirkende „Tatsache" war (die übrigens das mythologische Prinzip wieder unter falscher Flagge zur Herrschaft verhelfen würde), sondern eine vorbildlich wirkende, weil wirkliche Tathandlung, die immer und immer wieder mit der Forderung der „Nachfolge" an uns herantritt, haben Seine „Nachfolger" nicht immer eingesehen — und das ist so begreiflich: denn wieviel bequemer ist es, sich von einer „Tatsache" erlösen zu lassen, als einer „Tathandlung" in schwerem seelischem Ringen nachzufolgen1) ! Mit dieser Feststellung sind wir nochmals bei Schelling angelangt. Auch er ist dieser petitio principii erlegen, nicht aber aus Feigheit oder Verlogenheit, sondern auf der Suche nach der Wahrheit. Fest steht der Heros aus Granit auf hoher Warte, saeris in undis tranquillus, uns ein Wahrzeichen: hatte er zuerst den dramatischen Sieg der mythologischen Potenz über das logoische Prinzip scharf beleuchtet — in seiner „Philosophie der Offenbarung" hat er diese Verkehrung nicht zurechtgerückt: Christi Tod bringt nicht die E r l ö s u n g vom Mythos, er v e r k l ä r t bloß den Mythos — wenn auch Schelling an die erlösende Wirkung seiner Lehre glaubte. Der Himmelfahrtstag, an dem ich diese Zeilen schreibe, hat sich in feierlichen Glockentönen über die Stadt ausgebreitet; und im Nachhall dieser Klänge ist es mir klar geworden: diese Philosophie des Christentums ist ein Torso ') Der Leser wird im vorhergehenden Résumé, besonders in den Noten, verschiedene Fingerzeige gefunden haben, die über die Grenzen dieser Untersuchung hinausweisen und daher nur als Wegweiser gewertet werden wollen.
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geblieben; es fehlt ihr die „Himmelfahrt". In ihrer „Menschwerdung Gottes" ist das ideale Prinzip „sachlich" geworden, bloß „Wurzel"; und eine bloße Wurzel ist noch keine Pflanze. Um Pflanze zu werden, braucht sie das ideale Sonnenprinzip, das freilich zuerst in erbarmender Liebkosung sich zu ihr neigt und „irdisch" wird; dann aber die Pflanze aus der Erde hinaus dem Himmel entgegenzieht. Die Wurzel war bloß dynamische Potenz, welche das hohe Prinzip der Energeia braucht, damit die Pflanze an das Licht komme. Schelling hat die Sonne vom Himmel geholt, damit die Erde sonnenhaft werde; denn nur eine tatsächliche, fast handgreifliche Berührung mit Gott könne den irdischen, sündigen Menschen erlösen. Daß Gott Mensch geworden ist, tatsächlich Mensch, untergetaucht in den Urgrund, das ist ihm Christentum; in dieser Offenbarung des Leidens Christi erfülle sich die Philosophie. Das ist der große, tiefe Blick eines weise gewordenen Menschen. Wie anders war der strahlende Jüngling! Sein Auge spiegelte die Welt, die lebendige, wunderbare, in allen ihren Facetten in kristallener Klarheit — es war ein reines, welthaftes Auge. Es sollte aber mehr als Spiegel der Welt, es sollte ihm Tor der Seele sein; und das bewirkte die Berührung mit dem Tode. Das Leid um Carolinens Tod vertieft es; dann schmilzt die hintere Wand, die das Auge zum Spiegeln befähigte. Es wird dunkel um Schelling; vergeblich ringt er um Klarheit, um Verklärung letzthin. Daß der graue Schelling sie gefunden, bezeugt sein Altersbildnis mehr noch als sein Alterswerk: da ist die spiegelnde Wand geschmolzen; das Auge, durchsichtig geworden, gewährt uns den Durchblick in seine Seele. Aber auch das Alterswerk ist vom Geiste wahrer Weisheit durchglüht; es wäre auch sonderbar, wenn dieser Mensch in seiner reifsten intellektualen Anschauung bloß ein Petrefakt geschaffen hätte, wie die irrige Meinung lautet. — Allerdings gilt dieses Lob mehr seinen Lehren über die Mythologie als über das Christentum. Wie groß, wie wahr die Philosophie der Mythologie, bei aller Irrigkeit der Systematik, bei allen Mängeln inhaltlicher Ausführung, in ihrem A u f b a u ist, das wird man erst allmählich wieder anerkennen 208
können; denn immer deutlicher wird die große Linie vom Paradiese über die Mythologie zum heutigen Bewußtsein sichtbar werden. Die allerhellsten heutigen Mythologen stammeln erst wieder, was Schelling intellektual in voller Klarheit geschaut hat: daß die Geschichte der Menschheit, auch die Vorgeschichte, im tiefsten Sinne nur die Entwicklung des Bewußtseins zum Gegenstand hat, ohne daß dabei dogmatische Voraussetzungen (z. B. über „Fortschritt" von einem niedrigen Ursprung aus) eingeschmuggelt werden. Die Überspannung des logoischen Prinzips im Idealismus hat Schelling dazu verführt, der mythischen Wurzel zur Führung zu verhelfen; aber auch diese Verkehrung des Prinzips ist der letzte Akt eines verzweifelten Kampfes um das Heil. Und wenn wir bei unserem Abschied von Schelling diesen tragischen Tatbestand, weil für uns so unendlich lehrreich, nochmals beleuchten, so sei es in Ehrfurcht und Dankbarkeit dem Genius, der an unserer Stelle das große Leid der Verzweifelung am Ich getragen hat. Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß in unserer Zeit sich das Verständnis für die bleibende Bedeutung des Mythos mehrt 1 ). Die romantischen Mythologen melden sich in Neuausgaben (Schelling, Bachofen), an die sich bemerkenswerte Ansätze zu einer selbständigen Weiterführung anschließen (Bauemler, Schröter). Rohde, Burckhardt, Nietzsche finden erneuert Anerkennung ; und Joël wird in seinem feinen Verständnis für die Übergänge zur Philosophie („Antike Philosophie" und „Die Geburt der Naturphilosophie aus dem Geist der Mystik") geschätzt. Rein methodologisch haben nur Cassirer (Philosophie der symbolischen Formen), dann auch im allgemeineren Sinn Danzel (Wissenschaft und Magie) und Graebner (Das Weltbild des Primitiven) den Mythos erforscht. Endlich sind auch von andern Forschungsgebieten heraus Gelehrte zum Mythos vorgestoßen; so von der Psychoanalyse aus: Freud, Jung und Andere; von der Psychologie 1 ) Liebert hat in seiner Schrift „Mythus und K u l t u r " auf die Wichtigkeit dieser Zeitströmung hingewiesen.
D c k k e r , Die Rückweudung 7um Mythos.
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aus: Howald; von der Parapsychologie aus: de Jong; von der Soziologie aus: Dürkheim und L6vy-Brühl; um von den Andern zu schweigen1). Mit diesen Forschern verbindet uns die Überzeugung, daß der Mythos im heutigen Menschen noch lebt, und daß gewisse Phaenomene auf ihrem Gebiet infolgedessen mit mythologischen Erscheinungen gemeinsame Merkmale aufweisen. Mit den Philosophen haben wir die prinzipielle Einstellung gemein, daß die Mythologie nur als frühere Form des Bewußtseins gedeutet werden kann; aber unsere Methode ist von der ihrigen grundverschieden. Bisher versuchte man das mythologische Weltbild durch Abhebung gegen das heutige zu deuten; wir dagegen untersuchen, inwiefern sich das heutige Weltbild gegen das mythologische abhebt. Diese Methode bietet drei Vorteile: a) sie tritt eo ipso ohne Vorurteil an den Mythos heran; b) sie entwickelt folgerichtig das spätere Weltbild aus dem früheren; c) deckt infolgedessen mühelos im späteren die Spuren des früheren auf. Insofern nun diese Spuren auffielen, haben uns schon die Spezialforscher auf den verschiedenen Gebieten der Psychologie vorgearbeitet. Die Beschränktheit ihres Gebietes lenkt ihre Aufmerksamkeit jedoch kaum auf das ') Auf die Gefahr hin, für unwissenschaftlich zu gelten, dürfen wir in diesem Zusammenhang die Bedeutung der modernen T h e o s o p h i e nicht übersehen, In H. P. B l a v a t s k y erneuert sich der hellenistische und orientalische Synkretismus wieder als eine reiche und tiefe, aber unklare Quelle esoterischer Weisheit. Auf namhafte Forscher wie A. R. W a i t e und G. S. Mead hat sie anregend gewirkt. R u d o l f S t e i n e r hat diese Weisheit für den Westen umgewandelt und Anschluß an die europäische Wissenschaft gesucht. Daß er eine so stark umstrittene Persönlichkeit ist, erschwert die Einschätzung dieses ohne Zweifel hochbedeutenden Mannes. — Eine sehr merkwürdige Figur ist auch der Rosenkreuzer Max H e i n d e l . Der heutige S p i r i t i s m u s sucht in seinen gewissenhaftesten Vertretern ebenfalls Anschluß an die Wissenschaft, namentlich an die Parapsychologie. Zusammenfassend können wir sagen, daß Theosophie und Spiritismus (um von anderen Strömungen zu schweigen), obgleich nicht wissenschaftlich orientiert, nicht nur selber eine ,,Rückwendung zum Mythos" bedeuten, sondern auch sehr anregend auf dessen Studium wirken können. Daß kritische Sichtung fortwährend erforderlich ist, versteht sich.
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Unauffällige; und dennoch ist in der Alltäglichkeit der Mythos ein so wirksamer, ja beherrschender Faktor, daß es sich lohnen wird, sein Gesicht näher zu beleuchten. Es schleicht sich nämlich in unser tägliches Leben der Mythos in so mancherlei verführerischer Verkleidung als „oberstes Prinzip" ein, daß wir es nicht einmal bemerken. So entsteht eine falsche, weil regressive Bindimg, eine richtige Versklavung an den Mythos, die in ihrer Uneigentlichkeit entlarvt werden soll, damit wir der progressiven Verbundenheit mit dem neuen Mythos als dynamischer Grundlage unseres Lebens freie Bahn schaffen können. Daß der heutige Mensch den Mythos wieder sucht, ist leicht zu begreifen, denn unser starres Weltbild ist gegenüber dem früheren dynamischen wohl sehr im Nachteil. Das starre „Ding" kann keinem Bedürfnis „entsprechen" (denn wie könnte ein totes „Es" sprechen?), geschweige, daß es uns den Weg zur heißersehnten Vereinselbstigung sperrt. Wie kommen wir aus dieser unerträglichen Lage heraus ? — das ist jetzt die brennende Frage. Hier gibt es zwei Wege: einen progressiven und einen regressiven. Den progressiven zeigt die Philosophie: er führt zur Befreiung durch Vergeistigung. Er bedeutet dauernden Kampf um das Ideal durch kritische Gestaltung seiner Selbst. Der Mensch ist aber der Natur nach träge, er will das Ideal so fertig auf den Tisch bekommen; ohne irgendwie sich anzustrengen, will er sich mit seinem „Preismensch" vereinselbstigen. Das will er, oder vielmehr möchte er, solange er jung ist. Freilich, leicht flammt er auf, Unrecht und Gemeinheit zu bekämpfen; aber währt es lange? Leichter ist es, Stroh zu klauen als Eichenholz zu hacken. Wieviel billige Ekstasis, wie wenig teuer zu erkaufende Begeisterung! Nimmt es Wunder, daß bald, allzubald das Feuer erlischt ? Dann führt die Enttäuschung ihn dem großen Kompromiß zu . . . 1), und dann wählt er den bequemen, regressiven Weg ') Die ethische Eigenart dieser Triebfeder, sowohl negativ auf den regressiven wie positiv auf den progressiven Weg hin, hat Häberlin („Der Charakter" und anderwärts) klar erkannt.
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der reinen E k s t a s i s , den das Kind schon, und ausgiebig, begangen — ihn verläßt auf immer die B e g e i s t e r u n g . Der Unterschied ist klar. Begeisterung ist Vergeistigung des statischen Weltbildes, das keineswegs verneint, sondern in seiner relativen Berechtigung (als Gegenstand der „Orientierung") gesetzt und aufgehoben wird. Ekstasis dagegen ist F l u c h t aus der S t a s i s heraus, echte ek-stasis 1 ), und zwar F l u c h t d u r c h V e r f l ü c h t i g u n g . Verflüchtigen aber heißt hier, Grenzen verwischen: nebelhaft wallend soll die starre, statische Grenze werden, welche die Dinge voneinander abhebt. So entsteht Ekstasis immer durch Berauschung irgendwelcher Art, wenn auch die Mittel, vereinzelt oder kombiniert angewandt, weit auseinandergehen. Neben der Berauschung durch Rauschmittel im engeren Sinne (materiale wie Alkohol, Opium usw.) gibt es unzählige immaterielle Mittel. — Da ist die Berauschung durch Geräusche, von der herrlichsten Musik bis zum tierischen Getöse — wohl die älteste Form. Aber von altersher bekannt ist auch Berauschung durch „Ausgehen", besser gesagt Modifikation des Atems; passiv bei Ertrinken, Erwürgung, aktiv bei Sport (Ekstase der Olympischen Spiele; sogar die Zuschauer geraten „außer Atem"!) und Tanz; iii methodischer Anwendung in der „Hatha Yoga". Die Yoga führt uns auf den Rausch durch Schmälerung der Ansprüche unseres statischen Körpers mittels Askese, Selbstpeinigung und sonstiger Enthaltsamkeit, alles ebenfalls aktive Mittel. Passiv dagegen ist die als Traum bekannte Ekstase; sowie auch die Erscheinungen auf dem Gebiete der Parapsychologie (Magnetismus, Suggestion, Hypnotismus, Mediumismus usw.), die allmählich auf das Gebiet der Psychopathologie hinüberführen. Eine merkwürdige Skala von Seelenzuständen, von den gröbsten an bis zu den feinsten, augenscheinlich; und trotz') Etymologisch stimmt die Ableitung natürlich nicht, denn ein griechisches Wort