Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen: Kollisionen im Spannungsverhältnis zwischen Gemeinschafts- und nationalem Recht [1 ed.] 9783428489008, 9783428089000


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German Pages 292 Year 1997

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Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen: Kollisionen im Spannungsverhältnis zwischen Gemeinschafts- und nationalem Recht [1 ed.]
 9783428489008, 9783428089000

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ADINDA SINNAEVE

Die Rückforderung gemeinschafts rechtswidriger nationaler Beihilfen

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht lIerausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit lIeinz-Dieter Assmann, lIans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Wolfgang Graf Vitzthum sämtlich in Tübingen

Band 40

Die Rückforderung gemeinschafts rechtswidriger nationaler Beihilfen Kollisionen im Spannungsverhältnis zwischen Gemeinschafts- und nationalem Recht

Von Adinda Sinnaeve

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sinnaeve, Adinda: Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen : Kollisionen im Spannungsverhältnis zwischen Gemeinschafts- und nationalem Recht I von Adinda Sinnaeve. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht; Bd. 40) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08900-6 NE:GT

D 21

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-08900-6

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Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1996 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurden Literatur und Rechtsprechung bis August 1996 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann, der diese Dissertation betreut und mich bei der Bearbeitung des Themas stets unterstützt hat, sowie Herrn Prof. Dr. Heinz-Dieter Assmann, der das Zweitgutachten erstattet hat. Diesen Herren und den übrigen Herausgebern der Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht danke ich zudem für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe. Herzlich danken möchte ich außerdem Herrn Prof. Dr. Mare Mareseeau, der mir am Europäischen Institut der Universität Gent die Möglichkeit gab, die Druckfassung vorzubereiten, und allen, die mit hilfreichen Hinweisen und sonstiger Unterstützung zum Zustandekommen dieser Arbeit beigetragen haben. Denderhoutem, im Oktober 1996

Adinda Sinnaeve

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

Teil 1 Einordnung des Problems innerhalb des EG-Vertrages

17

A. Allgemeiner Überblick über die Beihilferegeln . . . . . . . . . . . . I. Die Beihilferegeln der Gemeinschaft . . . . .. . . . . . . . 1. Die Position der Beihilfen im EG-Vertrag. . . . . . . . 2. Das System der Beihilferegeln . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein absolutes Beihilfeverbot . . . . . .. . . . . . . . b) Art. 92 EGV ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 93 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 94 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Begriff "Beihilfe" im Gemeinschaftsrecht . 4. Abgrenzung zu Gemeinschaftsbeihilfen . 11. Die Rolle des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 1. Mögliche Rolle des nationalen Rechts in vom EG-Recht geregelten Bereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung auf Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 17 18 18 22 24 28 28 33 34 34 36

B. Einordnung der Rückforderung als Teil der Beihilferegeln . . . . . . I. Anordnung der Rückforderung durch die Kommission .... 1. Fehlende Rückforderungsregelung im EG-Vertrag . . . . . . 2. Notwendigkeit einer Rückforderungsmöglichkeit . . . . . . . 3. Mögliche Rechtsgrundlagen für die Rückforderungsanordnung . . a) Art. 9311 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 169 ff. EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verhältnis zwischen Art. 93 11 und Art. 169 EGV . 4. Zwingende Rückforderung oder Ermessen der Kommission?

37 37 37 39 41 41 43 44 49

11. Durchführung der Rückforderung und Kompetenzfrage . . 1. Rückforderung nach EG-rechtlichen Regeln . . . . . . . a) Art. 94 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückforderung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . .

53 54 54 55 59 59

8

Inhaltsverzeichnis

Teil 2 Analyse der Rückforderungspraxis A. Die von der Kommission angeordnete Rückforderungsverpflichtung I. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Rückforderungsbedürfnis bis zu den achtziger Jahren . 2. Eine neue Politik der Kommission in einem geänderten Umfeld: 1980-1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Systematische Rückforderung ab 1984 . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die heutige Rückforderungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Konstellationen, die zu einer Rückforderung führen können. 2. Das Verfahren der Kommission nach der EuGH-Rechtsprechung 3. Das Verfahren der Kommission in der Praxis. . . . . . . . . . . . 4. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Direkte Klagemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Keine mittelbare Infragestellung der Gültigkeit der Entscheidung 5. Das Problem der Rückforderung von nur gegen das Überwachungsverfahren verstoßenden Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die Auffassung der Kommission. . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die These der Generalanwälte . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Kompromiß des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Meinungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Durchführung der Rückforderung durch die Mitgliedstaaten. . I. Die zwei Grundregeln für die Durchführung der Rückforderung . 1. Rückforderungspflicht des Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgeblichkeit des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Nationale Schwierigkeiten, die die Mitgliedstaaten daran hindern können, ihrer Rückforderungspflicht nachzukommen . . . . . . . 1. Praktische Schwierigkeiten . . . . . .. . . . . . . . . . 2. Juristische Schwierigkeiten . . . . . .. . . . . . . . . . a) Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Umgehung der nationalrechtlichen Rückforderungshindernisse durch Kommission und EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Einschränkungen an die Anwendung des nationalen Rechts . . . .. 2. Ursprung dieser Schranken: Übertragung der Rechtsprechung zu Gemeinschaftsbeihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mindestgrenzen bei Gemeinschaftsbeihilfen . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung der Übertragung auf nationale Beihilfen . . . . . 3. Theoretische Begründung der Schranken bei Rückforderungen von Gemeinschafts- und nationalen Beihilfen . . . . . . . . . . . . . a) Die QualifIkation der Rückforderungsprobleme als indirekte Kollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

60 60 60 60 62 65 67 67 69 71 75 75 76 78 79 81 84 88 91 96 97 98 98 100 102 102 104 104 107 110 110 111 111 112 114 114

Inhaltsverzeichnis aa) Der Kollisionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Indirekte Kollisionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Das Verhältnis der EG zu den Mitgliedstaaten bei der Rückforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Prinzip der institutionellen Autonomie. . . . . . . . . .. bb) Die Theorie des "dedoublement fonctionnel" ... cc) Die Delegationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Theorien zur Lösung der Kollisionsfrage . . . . . . . . . . . . .. aa) Die Vorrangtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. CI!) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ß) Die Meinungen in de Literatur . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Eine modifIzierte Theorie der "autonomie procedurale" . .. cc) Art. 5 EG-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die klassischen Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Schlußfolgerung: Differenzierung nach Integrationsstand und Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Inhalt der das nationale Recht einschränkenden Regeln nach der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Effektivitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . : . . . . . . . . . .. cc) Kritische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die absolute Unmöglichkeit als einzige Schranke der Rückabwicklungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . : . . . . . . . . . . .. aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Kritische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die deutsche Vertrauensschutzregelung als Beispiel der Kollisionsprobleme und ihrer Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) § 48 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Grundsätzliche Anwendbarkeit des § 48 VwVfG . . . . . . . bb) Voraussetzungen für schutzwürdiges Vertrauen nach § 48 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Frist des § 48 IV VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Entscheidung der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . .. ee)Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die deutsche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Die Oberverwaltungsgerichte von Münster und Koblenz . .. bb) Das Bundesverwaltungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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10

Inhaltsverzeichnis ~) Bestätigung der Rechtsprechung des OVG Münster ß) Die Frage zur Vorabentscheidung an den EuGH .. c) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173 174 176

Teil 3

Kritische Betrachtung der EuGH-Rechtsprechung

178

A. Zum Kern des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

B. Einzelne Probleme der EuGH-Rechtsprechung zur Rückforderung I. Die Rückforderung trifft den Empfänger, nicht den Verursacher l. Die Risikoabwälzung auf den Empfänger . . . . . . . . 2. Zu hohe Anforderungen an die Beihilfeempfänger . . . . . . . . .. 11. Dogmatisch kritisierbare Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Das Verhältnis zwischen nationalen und Gemeinschaftsbeihilfen .. 2. Tragweite der Kompetenzen der EG bzw. der Mitgliedstaaten. .. 3. Der Einfluß auf das nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einwirkungen der EuGH-Rechtsprechung auf das nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inkohärenzen innerhalb des nationalen Rechts . . . . . . . . . .. 4. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts .... a) Das Verhältnis zwischen den allgemeinen Rechtsgrundsätzen .. b) Inkohärenzen in bezug auf Verhältnismäßigkeit . . . . . . . c) Inkohärenzen in bezug auf Vertrauens schutz . . . . . . . . . . .. aa) Volle Anwendung des Vertrauens schutzes auf Gemeinschaftsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Möglichkeit einer Geltung des gemeinschaftsrechtlichen Vertrauensschutzes auf nationaler Ebene . . . . . III. Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gründe für "judicial restraint" . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 181 181 183 187 187 189 190 190 193 194 194 195 198 198 200 206 207

Teil 4

Alternativen und Verbesserungen für die heutige Rückforderungspraxis .. . . . . . . . .. A. Präventive Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Transparenz in bezug auf den Beihilfebegriff . . . . . . . . . . a) DefInition der Beihilfe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Ein Katalog der verschiedenen Beihilfekategorien . . . . . . . .. 2. Transparenz in bezug auf die Anmeldung . . .. . . . . . . . . . . a) Standardisierte Anmeldeformulare . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutliche Kriterien für die Anmeldepflicht . . . . . . . . . .. aa) Freistellungen von der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . .

211 211 211 212 212 214 215 215 216 217

11

Inhaltsverzeichnis bb) Vereinfachte Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Kategorie der staatlichen Beteiligungen . . . . . . dd) Ein allgemeiner Prüfungsmaßstab für die Anmeldung nicht-klassischer Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Verbesserungen auf der Ebene der Mitgliedstaaten . . . . . . . III. Informelle Kontakte zwischen Mitgliedstaaten und Kommission IV. Verstärkung der Stellung des Beihilfeempfängers . . . . . . . . 1. Bessere Informationen an die Beihilfeempfänger . . . . . . . a) Die Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Abschluß des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strengere Voraussetzungen für Konkurrentenklagen . . . . . .

220 223

B. Maßnahmen in bezug auf die Rückforderung selbst . . . . . . . . . . . . I. Eigene verwaltungs rechtliche Vorschriften der Gemeinschaft .. . 11. EG-rechtliche Rückforderungsregeln durch eine Verordnung auf der Grundlage des Art. 94 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gescheiterten Versuche . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 2. Pro und contra einer Verordnung nach Art. 94 EGV .... . . 3. Realisierbarkeit einer Verordnung. . . . . . . . . . .. . .... . 4. Möglicher Inhalt einer Verordnung nach Art. 94 EGV . . . . . . a) Die allgemeinen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Regelung der Rückforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Möglichkeit eines Vergleiches zwischen Kommission und Beihilfeempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eine Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fallbeispiel: die Sache Beaulieu . . . . . . . . . . . . 2. In der Regel Nichtigkeitsklagen statt Haftungsansprüche . . . . .

244

226 231 233 234 235 235 237 239 244

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.

245 245 248 252 252 254 260 264 265 266 267 269

Schlußwort

272

Zusammenfassung in Thesen

273

Literaturverzeichnis

275

Abkü rzungsverzeichnis ABI. AJDA BuH. BVerfG BVelWG CDE CMLRev. DÖV DV DVBI. E

e.a. ECLR EG EGKS ELRev. EP EU EuG EuGH EuGHE EuGRZ EuR EuZW EWG EWS GewArch. Hrsg. JDI JZ KMU LIEI NJW NVwZ OVG

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RIW RMC RMUE

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RIDE R.W. SEW T.B.H. T.B.P.

lRV VO VR VVDStRL VwVfG WuW ZHR

13

Randnummer Rechtssache Revue Trimestrielle de Droit Europeen Rechtskundig Weekblad Sociaal-Economische Wetgeving Tijdschrift voor Belgisch handelsrecht Tijdschrift voor bestuurswetenschappen en publiek recht Tijdschrift voor rechtspersonen en vennootschappen Verordnnng Verwaltnngsrnndschau Veröffentlichungen der Vereinignng der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltnngsverfahrensgesetz Wirtschaft nnd Wettbewerb Zeitschrift fiir das gesamte Handelsrecht nnd Wirtschaftsrecht

Einleitung Die Debatte über die Entwicklung eines europäischen Verwaltungsrechts erfreut sich seit einigen Jahren eines zunehmenden Interesses unter den Rechtswissenschaftlerni. Dazu beigetragen haben die Probleme, die der Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten stellt. In Ermangelung eines ausgebildeten europäischen Verwaltungsrechts ist die Gemeinschaft nämlich noch immer darauf angewiesen, die europäische Rechtsordnung anhand unterschiedlicher nationaler Rechtsregeln anzuwenden und durchzusetzen. Dabei können indirekte Kollisionen zwischen dem vom Gemeinschaftsrecht gewünschten Ergebnis und den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften entstehen, die kennzeichnend sind für das "Verzahnungsverhältnis" zwischen den beiden Rechtsordnungen2 . Die Problematik kristallisierte sich in der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen, die die Kommission seit Mitte der achtziger Jahre systematisch anordnet, heraus. In Deutschland stößt die Durchfiihrung der Rückforderungsanordnung der Kommission regelmäßig auf die Vertrauensschutzregelung des § 48 VwVfG. Eine explizite Regelung des Verhältnisses von § 48 VwVfG zur Kommissionsentscheidung - sei es im EG-Recht, sei es im nationalen Recht - fehlt. In seinem Bestreben, das EGRecht eine möglichst große Wirkung entfalten zu lassen, formulierte der EuGH Mindestgrenzen für die Anwendung des nationalen Rechts bei der Rückforderungsanordnung. Diese sollen verhindern; daß § 48 VwVfG und sonstige nationale Rechtsnormen der Rückforderung entgegenstehen könnten. Wegen der dadurch verursachten Einschränkung oder Modifizierung des nationalen Rechts stieß diese Rechtsprechung nicht überall auf Zustimmung. Die Kritik beschränkte sich aber meistens auf eine Darstellung

1 Schoch, JZ 1995, S. 109 ff.; Zuleeg, VVDStRL Bd. 53 (1994), S. 154 ff.; Rengeling, VVDStRL Bd. 53 (1994), S. 202 ff.; Schrnidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 ff.; Schwarze, RIDE 1993, S. 235 ff.; Gornigrrrüe, JZ 1993, S. 884 ff. (Teil 1), S. 934 ff. (Teil 2); Kadelbach, S. 131 ff.; Bleckmann, DÖV 1993, S. 837 ff.; Streinz, VelWaltungsrecht, S. 241 ff:; Schwarze, Europäisches VelWaltungsrecht; Grabitz, NJW 1989, S. 1776 ff. 2 Zum Verzahnungsverhältnis: Engel, DV 1992, S. 445 ff.; Streinz, VelWaltungsrecht, S. 254 ff.; Pescatore, EuR 1970, S. 308.

16

Einleitung

der gemeinschaftsrechtlichen Mindestgrenzen und der dadurch verursachten nationalrechtlichen Rückforderungsprobleme, ohne auf das grundsätzliche Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten in dieser Konstellation einzugehen. Da die Entwicklung solcher Mindestregeln durch den EuGH aber voraussetzt, daß Klarheit über die Stellung der Mitgliedstaaten zur EG bei der Durchführung der Rückforderung herrscht, wird eine Analyse dieser Stellung ein erstes Ziel der vorliegenden Arbeit sein. Dazu müssen die Grundtheorien über das Verhältnis zwischen der EG und den Mitgliedstaaten, sowie ihre Tragweite und Folgen für indirekte Kollisionen geprüft werden. Erst aus diesem theoretischen Fundament können Schlußfolgerungen für die Grenzen des Anwendungsbereiches des nationalen Rechts bzw. für die Kompetenz der Gemeinschaft, auf den mitgliedstaatlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts einzuwirken, gezogen werden. Wenn Inhalt und Umfang der Gemeinschaftskompetenz feststehen, können die Mindestgrenzen oder Anforderungen des Gemeinschaftsrechts an die Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts daran geprüft und kritisch gewertet werden. Zweites Ziel der Arbeit ist es, zu untersuchen, wie die Rückforderungsprobleme gelöst oder vermieden werden können. Solche Verbesserungen sind aus mehreren Gründen erforderlich. Einerseits wird der Bereich der Beihilfenaufsicht auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, denn "the more c10sely integrated markets become, the greater the trade-distorting effeet of state aid and the more tightly aid needs to be controlled"3. Nach der Vollendung des Binnenmarktes sind Beihilfen für die Mitgliedstaaten das einzige Mittel geworden, um ihre einheimische Industrie zu unterstützen4 • Insbesondere in Krisenzeiten ist daher zu befürchten, daß Mitgliedstaaten zunehmend dieses letzte Mittel des Protektionismus ergreifen, sich nicht immer an die Beihilferegeln des EG-Vertrages halten5 und somit Rückforderungen weiterhin von der Kommission angeordnet werden müssen. Andererseits hat eine Rückforderung für das Unternehmen oft schwere, manchmal sogar existenzbedrohende Folgen. Darum sind Rückforderungen zu vermeiden. Die Lösungsansätze oder Alternativen beziehen sich dann auch hauptsächlich auf die Rückforderungsmaterie; sie sind aber zum Teil auch auf andere Materien, bei denen indirekte Kollisionen auftreten, übertragbar.

Brittan, S. 85. Vgl. Ehlennann, RMC 1992, S. 616; Gilliams, 1RV 1992, S. 391; 19. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 129. 5 Das zeigt z.B. neuerdings die Bremer Vulkan-Sache. 3

4

Teil 1

Einordnung des Problems innerhalb des EG-Vertrages A. Allgemeiner Überblick über die Beihilferegeln I. Die Beihilferegeln der Gemeinschaft 1. Die Position der Beihilfen im EG-Vertrag

Laut Art. 2 EGV stellte sich die Gemeinschaft zur Aufgabe "eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind"l. Als Hauptinstrument zur Erreichung dieses wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nannte Art. 2 EGV die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes 2 und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten. Art. 3 EGV umschreibt den Inhalt dieser beiden Instrumente durch eine Auflistung der Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaft, die wiederum in den einzelnen Kapiteln des Vertrages konkretisiert werden. Für das Verständnis des EG-Vertrages bildet der Gemeinsame Markt den zentralen Orientierungspunkt. Wirtschaftlich betrachtet sollten sich daraus eine optimale Allokation, die ursprünglich als Globalziel der Gemeinschaft im Vordergrund gestanden ise, und eine Stärkung der Effizienz der Produktion ergeben. Als Mechanismus zur Erreichung dieser ökonomischen, sowie der anderen Ziele des Art. 2 EGV war mit der Einführung des Ge-

I Bei der Maastrichter Vertragsänderung wurden diese Aufgaben neu fonnuliert und auf weitere Bereiche ausgedehnt (Art. 2 EGV in der Fassung des Art. G.2 des Unionsvertrages). 2 Zum Konzept des "Gemeinsamen Marktes" s. z.B. Taschner, in: Groeben, Kommentar, Art. 100, Rn. 33; Oppennann, Rn. 1128 ff.; KapteynlVerLoren van Themaat, S. 78 ff.; Mattera, S. 11 ff. 3 Ciresa, S. 13.

2 Sinnaeve

18

Teil 1: Einordnung des Problems innerhalb des EG-Vertrages

meinsamen Marktes zugleich ein System eines wirksamen und unvetfälschten Wettbewerbs zu schaffen4 . Dies erforderte die Abschaffung aller Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital beeinträchtigen könnten. Die vier Grundfreiheiten des EG-Vertrages bilden also eine erste Komponente des Mechanismus "Wettbewerb". Eine effiziente Allokation kann aber noch durch wettbewerbsverfälschende Handlungen von Unternehmen (Kartelle, Machtpositionen) oder Mitgliedstaaten (Beihilfen) gestört werden. Darum defIniert Art. 3 f EGV als eine der Tätigkeiten der Gemeinschaft "die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt"s. In Ausführung dieser Zielsetzung wurden in den dritten Teil, Titel I, Kapitel 16 des EG-Vertrages Wettbewerbsregeln aufgenommen7 , die neben Vorschriften bezüglich des Marktverhaltens von Unternehmen (Art. 85-90) und der - inzwischen obsolet gewordenen - innergemeinschaftlichen Dumpingbestimmung (Art. 91) auch Bestimmungen über von den Mitgliedstaaten gewährte Beihilfen umfassen (Art. 92-94). 2. Das System der Beihilferege/n

a) Kein absolutes Beihilfeverbot Bei der Vorbereitung des EWG-Vertrages wurde der freie und unverfälschte Wettbewerb immer als wesentliches Element eines Gemeinsamen Marktes hervorgehoben. Die Wettbewerbspolitik der EG sollte daher in der Unterlassung staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen bzw. in Maßnahmen zur Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen bestehen. Der dahinterliegende wirtschaftstheoretische Zweck dabei war die Stärkung der EffI-

4 Zur Bedeutung der Wettbewerbspolitik für den Gemeinsamen Markt, s. Brittan, S. 27 ff; XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 44 f; 1. Bericht über staatliche Beihilfen, S. 1 f.

5 Bei der Maastrichter Vertragsänderung wurde dieser Artikel durch Art. 3 g ersetzt. Gleichzeitig entfielen die ersten drei Wörter, was darauf hindeutet, daß ein solches System inzwischen errichtet worden und Teil der Unionstätigkeit ist.

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Nach der Maastrichter Vertragsänderung: Dritter Teil, Titel V, Kapitel 1.

Zu den Zielen und Funktionen der Wettbewerbspolitik s. 1. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 11 ff.; 9. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 9 ff.; 14. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 11; Bemini, S. 353 ff.; Brittan, S. 2 ff.; Ciresa, S. 41 ff. 7

A. Allgemeiner Überblick über die Beihilferegeln

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zienz der Allokation, um so das angestrebte Pareto-Optimum zu erreichen8 . Für Beihilfen galt daher, daß die Wettbewerbspolitik grundsätzlich die durch Beihilfen verursachten Marktmängel mit der Durchsetzung des Art. 92 I EGV bekämpfen soll. Der unverfälschte Wettbewerb war also das wirtschaftstheoretische Ziel9. Gleichwohl sind die Beihilfen, im Gegensatz zu den anderen Komponenten der Wettbewerbspolitik, von den Gründern der EWG mit einer gewissen Behutsamkeit behandelt worden. Unter den möglichen Erklänmgsfaktoren dafür, ist zunächst auf die wirtschaftspolitische Realität in den Mitgliedstaaten hinzuweisen. Eine nationale Beihilfenpolitik wurde dort als legitimer Bestandteil der Wirtschaftspolitik betrachtet und gehandhabt1°. Ein Eingriff in diese Kompetenz durfte dann auch nur soweit gehen, als es das Konzept einer gemeinsamen Wettbewerbspolitik erforderte und sollte die Möglichkeit eines gewissen nationalen Spielraums beibehalten. Dies war um so mehr erforderlich, da deutlich war, daß der Marktmechanismus an sich nicht ausreicht, um die wichtigsten Ziele und Aufgaben des Staates bzw. der Gemeinschaft zu verwirklichenlI, und Beihilfen gerade dann für bestimmte Regionen oder Sektoren ein angebrachtes Mittel sein können12 . Das allokative Marktversagen sollte daher durch die Ausnahmen des Art. 92 II-III EGV korrigiert werden. So führten Marktversagen und nationale Wirtschaftspolitik die Gründer der EWG zu der Auffassung, daß die Aufgabe der EWG nur darin bestehe, Regeln aufzustellen, die es ermöglichen, die "guten" von den "schlechten" Beihilfen zu unterscheiden. In dem Spaak-Bericht hieß es: "il faut donc discerner les aides utiles a l'interet general et a l'expansion de la production de celles qui ont pour objet et pour effet de fausser la concurrence"13. Erstere sind unter bestimmten Umständen sogar für die Wirtschaftsentwicklung erforderlich und außerdem ein notwendiges Instrument der Strukturpolitik. Wie es die Präambel ausdrückt, wird dann auch die Gewährleistung

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Zum wirtschaftstheoretischen Hintergrund des EG-Vertrages: Ciresa, S. 14 ff.

Vgl. 1. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 125. 10 Zu den Zielen und Funktionen der nationalen Beihilfenpolitik, Winter, Nationale steunmaatrege1en, S. 24 ff. 11 Zum Marktversagen als Grund rur staatliche Interventionen, Schina, S. 2; Winter, Nationale steunmaatregelen, S. 16 ff. 12 Beihilfen können es Unternehmen oder Sektoren ermöglichen, z.B. eine wirtschaftlich erforderliche Restrukturierung durchzuflihren oder in wirtschaftlich zurückgebliebene Regionen zu investieren. D Comite intergouvernemental, Rapport des Chefs de Delegation, S. 16 f. 9

2'

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Teil 1: Einordnung des Problems innerhalb des EG-Vertrages

eines redlichen Wettbewerbs l4, nicht des volkommenen Wettbewerbs nach einem theoretischen Modell angestrebt. Dementsprechend hieß es im ersten Wettbewerbsbericht: "Die Gewährung staatlicher Beihilfen, die am Gemeinschaftsinteresse orientiert und strukturpolitisch erforderlich sind, steht mit dem Prinzip eines redlichen Wettbewerbs durchaus im Einklang. Sie ist sogar eine Voraussetzung für die harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft"15. Deshalb fmdet man im Art. 92 EGV kein absolutes und unbedingtes Verbot l6 . Der EWG-Vertrag unterscheidet sich hier vom EGKS-Vertrag, der in Art. 4 c "von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ilmen auferlegte Sonderlasten, in welcher Form dies auch immer geschieht", untersagtl7. Jedoch hat sich im Montanbereich die Handhabung eines absolutes Verbots bald als unmöglich erwiesen; das Verbot wurde dann auch ab Mitte der sechziger Jahre durch eine weite Neuinterpretation und Ausnahmeentscheidungen der Hohen Behörde auf Grund des Art. 95 EGKS-Vertrag relativiert l8, so daß in der Praxis auch im Montanbereich kein absolutes Verbot mehr herrscht und die Systeme der beiden Verträge sich angenähert haben l9 .

Art. 92 EGV enthält auch wörtlich kein absolutes Verbot und keine strikte Definitionen, sondern ein nuanciertes System, das Raum für eine nationale Beihilfenpolitik bietet, gleichzeitig aber gewährleisten will, daß die Mitgliedstaaten dabei die Interessen und Ziele der Gemeinschaft ausreichend beriicksichtigen20 • Wo Beihilfen notwendig oder erforderlich sind, sollten sie zumindest "gemeinschaftsverträglich" sein. In Art. 92 I EGV wird bestimmt, daß Beihilfen, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchti-

14 4. Absatz der Präambel; s. auch 1. Bericht über die Wettbewerbspolitik, 14. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 11.

s.

13;

1. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 14. s. z.B. EuGHE 1977, RS 74/76, 557 (575); EuGHE 1977, RS 78/76, 595 (609); EuGHE 1992, RS C-78 bis 83/90, 1-1847 (1883); EuGHE 1992, RS C-149 und 150/91,1-3899 (3926); EuGHE 1992, RS C-17/91, 1-6523 (6555). IS

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17 Zwn Unterschied zwischen dem EWG-Vertrag und dem EGKS-Vertrag in bezug auf Beihilfen, Mertens de Wilmars, S. 426 f.; Joly, S. 16 ff. 1S Ausführlich dazu Winter, Nationale steunmaatrege1en, S. 142 ff. 19

Mertens de Wilmars, S. 428 ff.

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Vgl. 1. Bericht über die Beihilfepolitik, S. 18.

A. Allgemeiner Überblick über die Beihilferegeln

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gen, und soweit der Vertrag nicht etwas anderes bestimmt. Gleich darauf werden dann die verschiedenen Kategorien Beihilfen aufgeführt, die de iure mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind (Art. 92 11 EGV) oder durch eine Genehmigung der Kommission als vereinbar angesehen werden können (Art. 92 III EGV). Diese Ausnahmen und Einschränkungen, der weite Ermessensspielraum der Kommission und die Reservefunktion des Rates (Art. 93 11 3 EGV), sowie die oben gemachten Ausführungen zeigen, daß man aus der Position der Art. 92-94 EGV im Kapitel über Wettbewerbsregeln nicht ableiten darf, daß der Vertrag Beihilfen prinzipiell ablehnend gegenüber stehe!. Dies ergibt sich außerdem auch aus dem Überwachungssystem des Art. 93 EGV. Danach kann sich die Kommission, wenn sie eine Beihilfe für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt hält, auf eine Vorprüfung beschränken und die Gewährung der Beihilfe auf informelle Weise genehmigen. Hat sie aber Zweifel über die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt, dann muß die Kommission ein kontradiktorisches Hauptverfahren durchführen, in dem sie auch Dritten Gelegenheit zur Äußerung gibt, bevor sie eine negative Entscheidung treffen darf. Dieser Unterschied weist darauf hin, daß ein Verbot nicht die Regel ist. In dieselbe Richtung geht auch die Stellungnahme des Europäischen Parlaments, daß nämlich Beihilfen als solche weder gutgeheißen, noch verurteilt werden sollen22 . Der unverfälschte Wettbewerb wurde im EG-Vertrag freilich nicht als Ziel an sich, sondern eher als Mittel zur Erreichung der Gemeinschaftsziele betrachtet23 . Wenn Beihilfen aber selbst einen Beitrag liefern, um diese allgemeinen Vertragsziele zu erreichen und dieser Beitrag für wichtiger gehalten werden muß, als die dadurch verursachte Wettbewerbsstörung, dann sollen Beihilfen positiv bewertet werden und erlaubt sein24 .

So hat der Vertrag ein System geschaffen, das nationale Beihilfen auf ihre Gemeinschaftsverträglichkeit prüft, um zu verhindern, daß die Mit-

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Roberti, AJDA 1993, S. 397 f.; Winter, Nationale steunmaatregelen, S. 116.

Entschließung zmn 19. Bericht der Kommission der Europ äischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik vom 25.2.1991, ABI. 1991 C 48/168 (Nr. 40). 23 Wenig, in: Groeben, Kommentar, Vorb. zu den Art. 85 bis 94, Rn. 9; Faber, S. 131; Palmeri, S. 24. 24 Dies ist z.B. der Fall, wenn das Spiel der Marktkräfte allein es nicht oder nicht binnen angemessener Frist gestatten würde, bestimmte Ziele zu erreichen, oder welUl es zu untragbaren sozialen Spaunungen führen würde. Hieraus erklären sich die Ausnahmen vom Beihilfeverbot; 1. Bericht über die Wettbewerbspolitik, S. 126. 22

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gliedstaaten eine "beggar my neighbour policy"25 betreiben und Zielsetzungen nationaler Wirtschaftspolitik auf Kosten des Gemeinschaftsinteresses verwirklichen wollen26 . Durch diese Überpriifung ihrer Vereinbarkeit mit den Gemeinschaftszielen werden nationale Beihilfen in gewissem Sinne EG-politisch koordiniert und gesteuert27 . Unter diesem Gesichtspunkt trifft von Wallenbergs Behauptung, die Beihilferegelung gehe nur vom Prinzip der negativen Integration aus28 - d.h. die Gemeinschaftsorgane verteidigen nur den Gemeinsamen Markt vor gemeinschaftsschädlichen Maßnahmen, ohne eine direkt gestaltende Tätigkeit zu entfalten -, nicht ganz zu. Schon durch ihre Kontrolle betreibt die Kommission in der Praxis eine bestimmte Beihilfenpolitik, an der sich die Mitgliedstaaten zu orientieren haben. Sie genehmigt Beihilfen nur, wenn sie in eine das Gemeinschaftsinteresse vertretende Gemeinschaftspolitik passen, und erreicht so eine Art Koordinationspolitik. Diese soll verhindern, daß mitgliedstaatliche Maßnahmen einander neutralisieren, und daß Mitgliedstaaten ihre nationalen Schwierigkeiten in andere Mitgliedstaaten verlegen29 . Die Kommission handelt hier dann auch vielmehr auf der Kreuzung zwischen negativer und positiver Integration30 .

b) Art. 92 EGV Art. 92 I EGV lautet "Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verI