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German Pages 53 [56] Year 1879
Die
Quintessenz der
heutigen Volkswirtschaftslehre.
Ein Repetitorium von
Dr. Mi. Lehn.
6fiefsen.
J. Rick er'sehe Buchhandlung. 1878.
Vorwort Das vorliegende Werkchen enthält in kurzen und möglichst objectiv gehaltenen Lehrsätzen, die der besseren Cebersicht halber mit Nummern versehen sind, das Wissensnothwendigste der ökonomischen Untersuchungsresultate unserer Hauptvertreter der Volkswirthschaft. Aus diesem Grunde eignet sich daher auch das Schriftchen vorzugsweise für Studirende, die im Facultätsexamen und für Accessisten, die im Staatsexamen einer volkswirtschaftlichen Prüfung sich unterziehen müssen. Aber auch als Nachschlagebuch in Fällen, in denen man sich über die eine oder andere ökonomische Frage schnell orientiren möchte, ist das Schriftchen jedem Gebildeten zu empfehlen.
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Theoretischer Thell. I. Einleitende Sätze. 1. Unter National-Oekonomie, oder besser Volkswirthschaftslehre, versteht man diejenige Wissenschaft, welche die Regeln und Gesetze zu erforschen sucht, nach denen sich das wirtschaftliche Leben der Völker auf den verschiedenen Kulturstufen entwickelt. Als solche zieht sie in das Bereich ihrer Untersuchung die Production, Vertheilung und Consumtion der Producte, welche dem Menschen noth wendig, nützlich oder angenehm sind, oder die einen Tausch•werth repräsentiren. 2. Die Bedürfnisse des Menschen bilden den treibenden und erregenden Factor im ganzen socialen Getriebe. Sie zu befriedigen ist der Mensch genöthigt zu arbeiten — produciren —, d. h. er mufs seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten anspornen, um Producte, die zu seiner Existenz und zu seinem Wohlbefinden nöthig sind, zu erzeugen.
6 3. Zur Production ist Stoff erforderlich. Diesen Stoff liefert die Natur. Diese bildet demnach den ersten Productionsfactor. Nach ihr kommt dann die Arbeit, als zweiter und endlich das Capital, als dritter Productionsfactor. 4. Was die Arbeit betrifft, so unterscheidet man vorerst streng körperliche und streng geistige Arbeit. Erstere ist zwar auch mehr oder minder geistigen Ursprungs. Denn je gesitteter und einsichtsvoller der Mensch ist, j e mehr ihm das Wohl seiner Angehörigen am Herzen liegt, jé mehr seine Kräfte freien Spielraum haben sich selbst seine Zukunft zu bereiten, j e mehr ihm die Früchte seiner Arbeit gesichert sind und j e mehr er auf Ehre und äufseren Anstand hält, desto gröfser werden auch seine Anstrengungen sein, sich Geschicklichkeit zu erwerben, um mittelst dieser Werthe hervorzubringen. 5. Die geistige Arbeit ist in der Gesellschaftsökonomie, was die Seele dem Körper. Durch neue Erfindungen und Verbesserungen unterstützt und vermehrt sie fortwährend die Kraft des Menschen. Sie pflanzt und pflegt die produktiven Kräfte der künftigen Generationen, indem sie die Jugend zur Thätigkeit, Sittlichkeit und Intelligenz erzieht, sie erhält Ordnung und Recht, pflegt und fördert öffentliche Anstalten, Künste und Wissenschaften, vernichtet oder mildert körperliche oder moralische Gebrechen. 6. Man unterscheidet ferner productive von unj?roductiver Arbeit. Die Arbeit ist productiv, ent-
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weder indem sie Tauschwerthe hervorbringt, oder indem sie die productiven Kräfte vermehrt. Wer Pferde grofszieht producirt Tauschwerthe, wer Kinder lehrt, producirt productive Kräfte. 7. Alle Arbeiten, welche bezwecken den Rechtszustand und die Ordnung in der Gesellschaft zu erhalten, Laster und Verbrechen zu verhüten, körperliche Uebel zu verhindern oder zu vermindern, sind vorzüglich darum productiv, weil sie die productiven Kräfte der Oesellschaft erhalten und vermehren, nicht weil sie in Tauschwerten belohnt werden. Die Arbeiten, welche auf die Ausübung der schönen Künste und Wissenschaften verwandt werden, gewähren dem Menschen Erholung, erheben sein Gemüth und verschönern das Leben, produciren daher Genüsse, welche auf dem höheren Standpunkte der Civilisation und des Wohlstandes nicht minder wünschenswerth sind, als die materiellen und befähigen und spornen überdies zu höherer geistiger und materieller Production. Die Arbeiten des Gesindes befähigen den Hausherrn zur Verrichtung wichtigerer Geschäfte, die Hausfrau zur Erziehung ihrer Kinder und vermehren dadurch die productiven Kräfte der Gesellschaft. 8. Es kommt hierbei jedoch stets darauf an, dafs das richtige Verhältnifs unter den verschiedenen Klassen stattfinde und dafs jede Klasse ihren Beruf erfülle. Es kann in einem Lande zu viele Beamten, zu viele Gelehrten und zu vieles Hausgesinde geben und dann ist die von jenen geleistete Arbeit gewifs unproductiv.
8 9. Unproductiv von vornherein sind die Müfsiggänger, d. h. Diejenigen, welche sich zum Nachtheil der Moralität, der Ordnung und des Wohlbefindens der Gesellschaft beschäftigen.
II. Waare. 10. Um Waare zu sein mufs ein Ding gesellschaftlichen Gebrauchswerth haben, d. h. es mufs nicht nur die Bedürfnisse seiner Erzeuger, sondern überhaupt menschliche Bedürfnisse befriedigen. 11. Was der menschlichen Arbeit nicht bedarf, wie die Luft, Sonnenwärme, wildwachsende Beeren u. s. w. kann wohl Gebrauchswerth haben, deswegen aber doch keine Waare sein, weil sie keinen Tauschwerth hat. Ebenso ist ein Gegenstand, welcher nicht fähig ist, irgend ein Bedürfnifs, wenn auch nur ein eingebildetes Bedürfnifs, zu befriedigen, keine Waare. Ein Rock, so grofs, dafs ihn Niemand anziehen kann, wird vergeblich als ßock zur Geltung zu kommen suchen. 12. Jede Waare, mag sie qualitativ oder quantitativ noch so verschieden sein, hat ein Gemeinsames, das ist ihr Werth. Den Nominalwerth bestimmt die in jeder Waare enthaltene Arbeit. 13. Da es nun verschiedene Arten von Arbeiten gibt, nämlich kunstvolle und einfache, so mufs man, um zu einer Mafseinheit zu gelangen, alle Arbeiten in einfache Durchschnittsarbeit auflösen, so dafs also eine geringere Menge complicirter Arbeit einer gröfseren Menge einfacher Arbeit gleich kommt."
9 Je mehr Durchschnittsarbeit in einer Waare vergegenständlicht ist, desto gröfser ihr Werth. 14. Der Werth einer Waare ist veränderlich, weil die zu ihrer Herstellung nothwendige Durchschnittsarbeit sich nicht beständig gleich bleibt. Denn die Productivkraft der Arbeit ist verschiedenartig, weil sie bestimmt wird durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, durch die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihre technologische Anwendbarkeit, durch die gesellschaftlichen Combinationen des Productionsprocesses, durch den Umfang und die Wirkungsfahigkeit der Productionsmittel und durch Naturverhältnisse. 15. Je gröfser die Productivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die in ihm krystallisirte Arbeitsmasse, desto kleiner sein Werth. Umgekehrt, je kleiner die Productivkraft der Arbeit, desto gröfser die zur Herstellung eines Artikels nothwendige Arbeitszeit, desto gröfser sein Werth. Selbstverständlich gilt dies nur von der jeweiligen gesellschaftlich normalen Productivkraft. Es kann nicht mittelst der geringeren Productivkraft der Handspinnerei ein gröfserer Werth erzeugt werden, als mittelst der gröfseren Productivkraft der Maschinenspinnerei, sobald einmal diese zur gesellschaftlich normalen Arbeit geworden ist. Es mufs vielmehr die ganze Arbeit als eine werthlose betrachtet werden, welche bei der Handspinnerei mehr verbraucht wird,
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als vor Herstellung einer gleichen Waarenmenge durch die Maschinenspinnerei nöthig wäre. 16. Den Tauschwerth und somit den Preis der einzelnen Waaren bestimmt sonach, aufser den genannten allgemeinen Factoren : a. bei solchen Waaren, die nicht in beliebiger Menge erzeugt oder beschaffen werden können, wie z. B. grofse Diamanten, antique Statuen u. s. w., lediglich das Verhältnifs von Angebot und Nachfrage; b. bei solchen Waaren, die zwar vermehrt werden können, aber doch nur innerhalb gewisser Grenzen und mit mehr als verhältnifsmäfsig steigenden Opfern, die Bodenproducte im weitesten Sinne, insbesondere aber die Erzeugnisse der Landwirthschaft, die Productionskosten derer, die unter den ungünstigsten Bedingungen producirt werden mufsten; c. bei solchen Waaren endlich , die in beliebiger Menge hergestellt werden können, die regelmäfsigen Productionskosten, d. h. das durchaus nothwendige Minimum derselben. Bei dieser Klasse von Waaren bestimmen also die Productionskosten deren Tauschwerth. Damit ist folgendes Verhältnifs gemeint: Eine Klasse von Geschäftsleuten producirt eine bestimmte Waare. Durchschnittlich und auf die Länge können diese Geschäftsleute nur zu einem Preise verkaufen, welcher ihre sämmtlichen Auslagen an Capitalverwendung und Arbeitslöhnen ersetzt und ihnen dabei den landesüblichen Geschäftsgewinn abwirft. Hingegen kann der Preis nicht dauernd unter oder über diesen natürlichen Tauschwerth gehen.
11 17. Die Ursachen dieses Gesetzes sind nach R a u folgende : 1) Wenn der Preis unter die Kosten sinkt, so hat der Verkäufer einen Verlust, den er zwar, sobald derselbe unvermeidlich ist, erträgt, vor dem er sich aber künftig zu hüten sucht, indem er eine solche Sache nicht ferner zu Markte bringt. Daher muís das Angebot abnehmen, bis in Folge dessen der Preis wieder in die Höhe getrieben wird. 2) Je mehr der Preis über die Kosten steigt, desto gröfsere Gewinnste fallen den Verkäufern zu. Hierin liegt für andere Menschen eine Ermunterung, ein solches Gut ebenfalls herbeizuschaffen, um an jenem Gewinnste Theil zu nehmen. Der Zudrang zu einem solchen, besonders einträglichen Gewerbszweige zieht eine Vergröfserung des Angebotes nach sich, welche n o t wendig wieder die Preise erniedrigt. 18. Man hat also von dem natürlichen Preis — dem dauernd durch die Productionskosten bestimmten Tauschwerth — den sog. Marktpreis — den jeweilig wirklich zu zahlenden Preis — zu unterscheiden. Der natürliche Preis — so lehrt der Begründer der politischen Oekonomie, A d a m S m i t h — ist gleichsam der Mittelpunkt, gegen welchen die wandelbaren Marktpreise aller Waaren beständig gravitiren. Zufalle verschiedener Art können diese letzteren eine Zeit lang von jenem Mittelpunkte entfernt halten, sie über ihn erheben oder unter ihn erniedrigen. Sie mögen aber durch noch so grofse Hindernisse abgehalten werden, sich in diesem Euhepunkte festzu-
12 setzen, so äufsern sie doch ein beständiges Streben, sich demselben zu nähern. Mit anderen Worten : D i e Schwankungen des Marktpreises gleichen sich auf die L ä n g e a u s ; der natürliche Preis erscheint als Durchschnitt der Schwankungen des Marktpreises. 19. D e r moderne Verkehr beruht durchweg auf dem Tauschwerth. Zunächst stehen selbstständige Unternehmer als Producenten einander gegenüber und jeder derselben schafft nicht etwa, wie unter früheren Gesellschaftsformationen, Dinge, die er unmittelbar als G e b r a u c h s w e r t e für sich und die Seinigen consumirt, sondern in F o l g e der hochentwickelten, auf Theilung der Arbeit beruhenden modernen Production liegt die signatura temporis vielmehr darin, dafs ein J e d e r , der als selbstständiger Producent im modernen Verkehre steht, nicht Gebrauchsgegenstände für sich, sondern für Andere hervorbringt. Diese tauscht er a u s , oder verkauft sie gegen Geld, womit er sich alsdann die für sein persönliches Bedürfnifs dienenden Güter anschaffen kann. 20. Bei dem Austausch müssen die Waaren qualitativ verschieden nützliche Arbeiten enthalten. Gleiche Dinge gegen gleiche Dinge lassen sich nicht austauschen.
III.
Geld.
21. U m die Werthform einer Waare zu finden, mufs man dieselbe mit anderen W a a r e n , vor Allem mit Einer anderen Waare vergleichen; z. B. 10 Ellen
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Leinwand = 1 Bock, oder zehn Ellen Leinwand sind ein Bock wertb. 22. Vergleicht man nun ein bestimmtes Quantum einer Waarenart mit entsprechenden Quantitäten aller anderen Waarenarten, so zeigt sich, dafs jeder Waarenkörper zum Spiegel des Einen Waarenkörpers wird. Kehrt man dieses Verhältnifs um, so ersiebt man, dafs bestimmte Quantitäten aller Waarenarten gleich sind einem bestimmten Quantum Einer Waarenart. 23. Eine bestimmte Waare nun, die sich besonders dazu eignet, den Tauschwerth der anderen Waaren in sich auszudrücken, hat sich als allgemeines Tauschmittel geltend gemacht — das ist das Geld. Zu diesem werden in der Begel die edlen Metalle verwendet, die in geprägter Form Münze heifsen. 24. Das Geld dient zur besseren Bewerkstelligung des Austauschprocesses der Waaren. Denn da die Waaren an und für sich für ihren Besitzer meist keinen Gebrauchswerth haben, so führt er sie zu Markt, um sie zu verkaufen, d. h. gegen Geld auszu' tauschen. Der Formwechsel ist : Waare — Geld — Waare. 25. Geld, als solches, bleibt stets im Umlaufe und geht nie zum unmittelbaren Gebrauche für menschliche Zwecke über. Bekommt der Stoff, welcher zu Geld benutzt wird, eine anderweite Anwendung, dann hört er auf Geld zu sein. Dadurch unterscheidet sich das Geld von allen anderen umlaufenden Gütern, d. h. von den Waaren.
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Der Stoff des Geldes kann eine Waare sein, aber das Geld als solches ist es nicht. 26. Der in Geld ausgedrückte Tauschwerth jeder Waare heifst ihr Preis. Geld ist daher derjenige Gegenstand, welcher im Verkehre als Werthausgleichungsmittel und als Werthmaisstab dient. 27. Wo Metallgeld eingeführt ist, kann nur eine Metallgattung den Dienst der Werthmessung versehen. Denn sollten verschiedene Metalle neben einander dazu gebraucht werden können, so wäre erforderlich, dafs das gegenseitige Verhältnifs ihrer Werthe stets unwandelbar und unverrückt bliebe. Solches ist aber nicht denkbar. Namentlich ist der Werth des Goldes und des Silbers zu einander einem steten Wechsel unterworfen. E s mufste daher ein bestimmtes Metall als Norm angenommen werden, nach dem sich der Werth des anderen richtete. Anfangs scheint mehr das Gold dieses Normalmetall gewesen zu sein, dann die Norm zwischen Gold und Silber geschwankt zu haben, bis endlich seit Entdeckung Amerikas Silber entschieden dazu angenommen ward. 28. Bei der Schätzung der Werthe der Dinge, bald nach Gold, bald nach Silber, erscheint immer nur die eine dieser Metallarten als Geld, die andere als Waare, deren Werth bereits nach jenem Gelde gemessen worden. Wird z. B. der Werth einer Sache abwechselnd bald zu einem Loth Gold und bald wieder zu vierzehn Loth Silber geschätzt, dann ist das Silber gewöhnlich der eigentliche Mafsstab des Werthes, das Gold hingegen nur eine Waare, von der es im Augen-
15 blicke der Schätzung allgemein anerkannt ist, dais sich ihr Werth zum Werthe des Silbers wie vierzehn zu eins verhalte. — Den Betrag, um den ein Werthzeichen im Verkehr den Nominalwerth überschreitet, nennt man Agio oder Aufgeld, und wird gewöhnlich nach Procenten angegeben. 29. Jede Veränderung des Tauschwerthes der edlen Metalle, welcherlei Ursache immerhin derselben zu Grunde liegen mag, mufs eine Veränderung des Geldpreises aller übrigen Waaren zur unmittelbaren Folge haben; denn in dem Verhältnisse, wie jener Tauschwerth ab- oder zugenommen, ist fortan eine gröfsere oder geringere Masse edlen Metalles erforderlich, um als Gegenwerth der in den Verkehr gebrachten Waaren zu dienen; aber auf den wirklichen oder Sachpreis der Waaren kann die Preisveränderung, die dem Gelde als Waare wiederfahrt, keinen anderen Einflufa haben, als welchen die Preisveränderung irgend einer sonstigen Waare auf den Preis aller übrigen äufsert. 30. Die Geldmasse, deren ein Volk in einem gegebenen Zeiträume zu seinem Verkehre bedarf, ist dem Gesammtbetrage der Zahlungen gleich, welche in diesem Zeiträume von ihm mittelst Geld geleistet werden müssen, dividirt durch die Anzahl der Umläufe, d. h. durch die Anzahl der Male, da die in Zahlung zu gebenden Geldstücke ihren Besitzer verändern. Hiernach ist also auch die Frage zu beantworten : ob ein gegebener Staat seinen Bedarf an Geld wirklich besitze, oder in wie fern er Mangel
16 oder Ueberflufs daran habe? Ist jene Masse von Geld im Lande vorhanden, dann ist dasselbe hinlänglich damit versehen, ist sie nicht vollständig da, dann hat das Land Mangel, ist mehr als diese Summe vorhanden, dann hat es Ueberflufs an Geld. 31. Einem Geldmangel abzuhelfen, stehen der Regierung dreierlei Wege zu Gebote, nämlich : 1) Anschaffung neuer, dem Bedarfe entsprechender Vorräthe von Geld oder Geldzeichen, 2) Vervollkommnung des Creditsystems im Lande und 3) Beflügelung des Umlaufs der vorhandenen Geldmasse. 32. Das Geld läuft um, sofern es wiederholt veräufsert wird; jede Veräufserung desselben macht gleichsam einen Schritt oder Moment seines Umlaufs und die Aufeinanderfolge solcher Veräufserungen macht den Umlauf selbst aus. Die Masse des bei einer Nation vorhandenen, zur Ausgleichung der in den Verkehr gebrachten Güter bestimmten Geldes ist die Z7mfaw/s-Geldmasse der Nation. 33. Mit der Zunahme oder Abnahme der Umlauf»Geldmasse eines Volkes hat die Zu- oder Abnahme seiner Capiiai-Geldmasse durchaus nichts gemein, beide beruhen vielmehr auf ganz verschiedenen Grundsätzen. Es kann in einem Lande die Masse des umlaufenden Geldes bedeutend zunehmen, während die Masse der Geld-Capitale abnimmt und umgekehrt. Die Beantwortung der Frage : ob die Masse von umlaufendem Gelde bei einem Volke grofs oder gering sei, beruht auf einer Kenntnifs sowohl des Umlauf» und der Ausdehnung der Tauschgeschäfte, als auch
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der Beschaffenheit des Umlaufs; die Gröfse oder Geringfügigkeit des (7apiia£-Geldvorraths hingegen ist lediglich nach dem Verhältnisse zu beurtheilen, was zwischen Angebot und Nachfrage von Geldcapitalien statthat. 34. Die Zunahme des Geldumlaufs kann für gewöhnlich als eine Folge des erhöhten Nationalwohlstandes betrachtet werden; allein sie kann auch in anderen Ursachen ihren letzten Grund haben. In Zeiten, wo der Wohlstand des Volkes in hohem Grade zerrüttet ist, kann ein starker und lebhafter Geldumlauf bei ihm stattfinden, während in anderen, wo derselbe in voller Blüthe steht, verhältnifsmäfsig wenig Geld iin Umlaufe sein kann. 35. Mit der Lebhaftigkeit des Geldumlaufs ist nicht die Schnelligkeit desselben zu verwechseln. Es kann bei einem Volke wenig Geld im Verkehr sein, aber dieses wenige kann schnell umlaufen und umgekehrt kann viel Geld im Verkehre sein, aber nur sehr langsam umlaufen. Die Lebhaftigkeit des Geldumlaufs richtet sich nach der Menge und dem Umfange der Veräufserungen überhaupt, welche mittelst Geld vorgenommen werden, die Schnelligkeit desselben aber beruht auf der Menge von Veräufserungen, welche während eines bestimmten Zeitraums mittelst der nämlichen Geldstücke geschehen. Dies Letztere ist von viel heilsamerem Einflufs, als das Erstere. Denn die Schnelligkeit des Umlaufs bewirkt nämlich, dafs die Geldmasse nicht in demselben Verhältnisse vergröfsert zu werden braucht, als die Masse der Veräufserungen 2
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zunimmt, dafs also ein Volk, wenn sich bei ihm die Masse der Veräufserungen verdoppelt, die Geldmasse nicht ebenfalls zu verdoppeln, sondern vielleicht nur um ein Dritttheil zu vermehren genöthigt ist. 36. Wird Geld aus der Circulation herausgenommen und festgehalten, dann entsteht Schatzbildung. Wer Waaren verkauft, ohne neuerdings solche zu kaufen, ist Schatzbildner. In Gesellschaften mit kapitalistischer Productionsweise ist Schatzbildung nothwendig. Da Geld in hinreichender Menge vorhanden sein muís, um den beständigen Circulationsproceis der Waaren zu ermöglichen, diese aber niemals regelmäfsig umlaufen, sondern ruckweise auf dem Markte hin- und herfluthen, so müssen Geldreservoirs vorhanden sein und solche haben wir beispielsweise in den Banken. Als Nothwendigkeit stellen sich solche Einrichtungen schon deshalb heraus, weil in der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft nicht davon die Bede sein kann, dafs sich der Waarenumlauf: Waare — Geld — Waare, in Bezug auf das Geld in direct greifbarer Form vollzieht. Es functionirt vielmehr das Geld nur als Bechengeld und in letzter Instanz als Zahlungsmittel. Käufer und Verkäufer werden Schuldner und Gläubiger. Die Schuldverhältnisse werden durch Bescheinigungen festgestellt, mittelst welcher die verschiedenen bei der Waarencirculation betheiligten, bald kaufenden, bald verkaufenden Personen, die gegenseitig sich schuldenden Summen ausgleichen. Nur die Differenzen, werden von Zeit zu Zeit durch eigentliches Geld getilgt. Tritt nun bei
19 diesem Verfahren eine Stockung ein, so nennt man dies eine Geldkrise, die sich dadurch fühlbar macht, dafs Jedermann statt ideelles Geld, wirkliches Geld verlangt. IV. Kapital nnd Arbeit. 37. Kapital ist der verfügbare Ueberschufs von Erzeugnissen der (früheren) Arbeit, so weit dieser zu neuer Production angewendet wird, oder dazu dient. Von Kapital kann eigentlich nur die Rede sein in einer Gesellschaft, die Waaren producirt, bei welcher Waarencirculation besteht, die Handel treibt. 38. Die erste Erscheinungsform des Kapitals ist die Geldform. Historisch tritt das Kapital dem Grundeigenthum überall zunächst in der Form von Geld gegenüber, von Geldvermögen, Kaufmannskapital. 39. Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunächst nur durch ihre verschiedene Circulationsform. Neben der unmittelbaren Form der Waarencirculation : verkaufen um zu kaufen (Waare — Geld — Waare), tritt nämlich auch noch eine andere Circulationsform auf : kaufen um zu verkaufen (Geld — Waare — Geld). Hier spielt nun das Geld bereits die Rolle des Kapitals. Während also bei der einfachen Waarencirculation durch Vermittlung des Geldes Waare gegen Waare ausgetauscht wird, tauscht man bei der Geldcirculation durch Vermittlung der Waare Geld gegen Geld aus. Dabei tauscht man Geld gegen mehr Geld aus, man kauft, um. theuerer zu verkaufen. 2*
20 40. Das Kapital theilt man ein in stehendes (fixes, todtes) und in umlaufendes Kapital. Ersteres bestellt in denjenigen Gütern oder Werthen, deren nutzbringende Verwendung dadurch stattfindet, dafs ihr Eigenthümer oder Besitzer sie im Besitz behält, letzteres in solchen, die nur dadurch dem Eigenthümer Gewinn bringen, wenn er sie veräufsert oder zerstört. Das stehende Kapital besteht sonach in allen jenen landwirtschaftlichen, gewerblichen und Handelseinrichtungen oder Hilfsmitteln, als Maschinen, Werkzeugen, Gebäuden u. s. w., ebenso auch in jenen lebendigen Kräften und Fertigkeiten, welche oder insofern sie geeignet sind, ihre productive Wirksamkeit mehr als eine wirthschaftliche Periode zu äufsern; das nicht stehende, umlaufende, dagegen in dem Gesammtaufwand, welcher zum Betrieb irgend einer Unternehmung oder productiven Thätigkeit periodisch gemacht wird, also um fortdauern zu können, reproducirt werden mufs. Danach gehören zum nichtstehenden oder zum durchlaufenden Kapital nicht blos die Saatfrucht, der Dünger, die Nahrung, der Lohn der Arbeiter und das Viehfutter, dann auch die zur Production oder Gewinnserwerbung periodisch nothwendige Masse von Stoffen (theils Verwandlungstheils Hülfsstoffen) oder Waaren, sondern auch die alljährlich (d. h. während der gewöhnlichen Wirthschaftsperiode) auf Unterhaltung oder Wiederherstellung des stehenden Kapitals zu machenden Verwendungen, folglich auch die zur Anschaffung oder Verfertigung der nur ganz kurze Zeit zum Gebrauch dienenden
21 (d. h. schon im L a u f e einer Wirthschaftsperiode sich, abnützenden) W e r k z e u g e und G e r ä t s c h a f t e n , oder die zur E r g ä n z u n g des fortwährend nöthigen Vorraths solcher D i n g e nöthige S u m m e von Werthen. 41. Von dem Kapital der Privaten unterscheidet der Nation. D i e s e s besteht zuvörman das Kapital derst aus Grund und Boden, nachdem demselben, abgesehen von menschlicher Thätigkeit, d. h. von dem durch Arbeit und Vorauslagen aller A r t hineingelegten höheren Werth, schon von Natur aus innewohnenden, nach K l i m a , L a g e , B e w ä s s e r u n g , Schilf barkeit der F l ü s s e u. s. w. sich richtenden Werthe. Weiter aus dem gesammten stehenden und nicht stehenden Kapitale aller Einzelnen, insofern dasselbe nicht auf F o r d e r u n g e n an andere Staatsangehörige beruht und aus dem durch menschliche Thätigkeit fortwährend erhöhten Grundwerth. Zum Gesammtkapital gehört ferner die eigentliche Circulationsmasse, d. h. die Masse des umlaufenden Geldes. Auch die in der Nation vorhandenen körperlichen und geistigen Arbeitskräfte und Fertigkeiten sind Theile des Nationalkapitals. 42. Kapital entsteht durch E r s p a r u n g an den mittelst früherer Arbeit gewonnenen Werthen, d. h. durch B e s c h r ä n k u n g der unproductiven Consumtion von Gütern und K r ä f t e n und entsprechende Erweiteru n g der productiven oder reproductiven Verwendung jener sich solchergestalt anhäufenden, einen fruchtbringenden Gebrauch zulassenden Güter und K r ä f t e . 43. D a s Object der E r s p a r u n g wird geschaffen durch die Arbeit, welche das Resultat des Gebrauchs
22 der Arbeitskraft ist. Der Arbeitsprocefs besteht zunächst darin, dafs der Mensch Naturstoffe nach seinem Willen umformt. Die Naturstoffe selbst sind ursprünglich vorhanden. Sobald jedoch an ihnen menschliche Arbeit vollzogen worden, zum Zweck der Weiterverarbeitung, heifst man sie Rohstoffe. 44. Das Resultat des Arbeitsprocesses ist das Product. Producte können in verschiedenen Formen aus dem Arbeitsprocefs hervorgehen. Sie können nur zur Consumtion tauglich sein, sie können nur Rohmaterial sein, oder beides zugleich, wie z. B. die Traube als Consumtionsmittel und als Rohmaterial des Weines. Sobald Producte zur Erzeugung anderer Producte verwendet werden , hören sie auf Producte zu sein und werden Arbeitsmittel. 45. Der Werth der Arbeitskraft in Geld ausgedrückt wird Arbeitslohn genannt. 46. Die beiden Grundformen des Arbeitslohnes sind Zeitlohn und Stücklohn. Ersterer ergibt sich aus dem Umstände, dafs die Arbeitskraft stets nur auf eine bestimmte Zeitdauer verkauft wird, es ist deshalb die Rede von Taglohn, Wochenlohn u. s. w. Beim Stücklohn hingegen wird formell je nach der geleisteten Arbeitsmenge gezahlt. 47. Was bestimmt nun den Arbeitslohn? Rau drückt sich in seinen „Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre" folgendermafsen aus : Die Kosten, welche dem Arbeiter im Lohne erstattet werden müssen, bestehen bei einfachen kunstlosen Verrichtungen nur aus dem Unterhaltungsbedarfe, bei künstlicheren aber
23 kommt noch der zur Erlangung der erforderlichen Geschicklichkeit vorgenommene Güteraufwand hinzu. Der Unterhaltungsbedarf mufs nicht blos auf die Dauer der Arbeit, sondern auch auf die Jahre der Kindheit und Jugend bezogen werden, in welchen der künftige Arbeiter noch nichts erwerben kann, und überhaupt mufs der Lohn der Arbeiter zu dem Unterhalt ihrer Familien hinreichen. Wäre das Lohneinkommen dafür zu gering, so würde die arbeitende Klasse minder zahlreich werden und es würde an Arbeitern zu fehlen anfangen, bis das verringerte Angebot von Arbeit den Lohn wieder in die Höhe brächte. Dies gilt wenigstens von der gemeinen Lohnarbeit, welche nur die spärlichste Vergütung erhält und von der mittleren Zahl von Mitgliedern einer Familie. In den künstlicheren Arbeitszweigen kann es geschehen, dafs nach der dabei herkömmlichen Lebensweise der Lohn blos für einen einzelnen Arbeiter ohne Familie ausreicht und dennoch durch Zudrang aus den vielen Klassen die Zahl der Arbeiter unvermindert bleibt. 48. Die Theilung der Arbeit, deren Natur und Wichtigkeit A d a m S m i t h in seinem berühmten Buche über die Ursachen und die Natur des Reichthums zuerst dargestellt hat, ist zugleich Wirkung und Ursache der steigenden Cultur. Bei der Arbeitstheilung wird nicht allein ungemein viel Zeit erspart, die sonst jeder Uebergang von einer Theiloperation zur anderen erheischte, sondern auch durch die fort-
24 währende Gleichheit der Arbeit eine grofae Gewandtheit und Geschwindigkeit des Arbeiters erzielt. 49. Im Hinblick auf die Arbeit kann man die Eintheilung in Gattungen, wie Ackerbau, Industrie u. s. w., als Theilung der Arbeit im Allgemeinen, die Unterabtheilung dieser Gattungen in die verschiedenen Geschäftszweige, als Theilung der Arbeit im. Besonderen und die Arbeitstheilung innerhalb einer Werkstatt, als Theilung der Arbeit im Eineeinen bezeichnen. — Die Grundlage aller entwickelten und durch Waarenaustausch ermittelten Theilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und Land. 50. Manufacturmäfsige Theilung der Arbeit setzt das Vorhandensein einer entwickelten allgemeinen Theilung der Arbeit voraus. Andererseits wird die allgemeine Arbeitstheilung durch die manufacturmäfsige und grolsindustrielle weiter entwickelt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Arbeitstheilung besteht hauptsächlich darin, dafs in den einzelnen Geschäftszweigen Waaren producirt werden, während die einzelnen Theilarbeiter keine Waaren erzeugen; nur die gemeinsame Arbeit der Letzteren verwandelt sich in Waare. Y.
Credit.
51. Credit ist das Zutrauen, das man zu einer bestimmten Person hegt, dafs diese ihre eingegangenen Zahlungsverbindlichkeiten erfüllen werde. Er ist ein ungemein wichtiger Hebel alles Handels und überhaupt alles productiven Verkehrs geworden. Der
25 nationalökonomische Werth des Credits besteht darin, dafs er Demjenigen, der Kapital nöthig hat, solches schafft, indem er entweder an die Stelle desselben tritt, oder dasselbe, das Kapital nämlich, geradezu darbietet und in beiden Fällen bald eine Ersparnifs an Kosten und Zeit vermittelt, bald die Durchführung nützlicher Unternehmungen möglich macht oder erleichtert. 52. Der Lohn des Credits ist der Zins. Ueber den Betrag desselben entscheidet in oberster Instanz das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Werden mehr Kapitalien gebraucht, als vorhanden sind, so wird der Zinsfufs hoch, werden weniger, so wird er niedrig sein. 53. Auf die Nachfrage nach Kapitalien wirkt der Bedarf. Je lebendiger der Verkehr, Ackerbau, Handel und Gewerbe ist, desto stärker wird der Bedarf sein. Aber da unter denselben Umständen auch das Angebot zunimmt und die Kapitalien sich in den Verkehr drängen, so ist keineswegs ein Steigen des Zinsfufses die Folge. Auf das Angebot wirken, nächst dem Verhältnii's der vorhandenen Kapitalmasse zu dem Bedarf, vornehmlich zwei Umstände : Gewinn und Sicherheit. Der Mangel auf der einen Seite mufs durch ein Uebergewicht auf der andern ausgeglichen werden; doch prädominirt die Sicherheit, weshalb Hypothekenschulden die niedrigsten Zinsen abwerfen, weil sie eben die meiste Sicherheit gewähren. 54. Bei der Wichtigkeit des Credits für den gesammten Verkehr haben sich sowohl vereinigte Privaten, als auch die Staatsregierungen bemüht, durch
26 eigentümliche Anstalten die Kraft und Wirksamkeit dieses Werkzeuges noch möglichst zu verstärken. Diese Anstalten zerfallen in zwei Hauptklassen : in solche, welche Kapitalien vereinigen, um sie den Creditbedürftigen darzuleihen, und in solche, welche die Bürgschaften vereinigen, um für ihre Theilnehmer bereitwilligen Credit zu finden. Zur ersten Klasse gehören vornehmlich die Banken. Doch ist das Leihgeschäft keineswegs der ursprüngliche und hauptsächlichste Zweck dieser Institute gewesen. Die ersten Banken waren Girobanken und hatten mit den ersten Wechseln dieselbe Tendenz : dem Handelsstande unnöthige Kosten und Umstände zu ersparen, indem sie eine gegenseitige einfache Ab- und Zurechnung vermittelten. Daran schlössen sich die Depositenbanken. In einzelnen Handelsstädten (z. B. in Genua 1171) sind zuerst Leihbanken errichtet worden, zum Behufe der Ausgabe und Begründung eines Creditgeldes, das nicht sowohl dem Mangel an baarem, umlaufendem Gelde abhelfen sollte. Erst später bildeten sich Bankgesellschaften, die mit anderweiten Geschäften auch die Tendenz verbanden, ihre reichen vereinigten Kräfte zur Darbietung von Darlehen, in Geld oder Credit, zu verwenden. Allmälig entwickelten sie sich zu einer Art Vermittlergeschäft zwischen Kapitalisten und Creditsuchenden. Sie nahmen Kapitalien auf, denen sie in dem Vermögen der Bank eine Sicherheit boten und liehen diese wieder unter ihren kaufmännischen Verbindungen aus.
27 55. Andere gröfstentheils durch öffentliche W i r k s a m keit in's L e b e n geführte Leihanstalten sind die Leihhäuser. Ihre B e s t i m m u n g i s t , auf F a u s t p f ä n d e r zu leihen. In dieser Art wurden dergleichen Anstalten schon im dreizehnten J a h r h u n d e r t von L o m b a r d e n und Cahursianern ( J u d e n von C a h o r s ) an vielen Orten errichtet. D a aber die gesetzliche Ansicht allen Zinsgeschäften entgegen war, so mufste man suchen, dergleichen Anstalten als milde Stiftungen darzustellen und diese Gestalt nahmen denn auch die Montes pietatis an. 56. Creditpapiere sind schriftliche Urkunden, welche ein R e c h t des E i g e n t h ü m e r s auf bestimmte Geldleistungen anderer P e r s o n e n aussprechen und daher als Ausdruck gewisser zu erlangender G e l d s u m m e n anzusehen sind. Solche Creditpapiere n u n , deren B e s t i m m u n g es ist, ebenso wie Münzen, fortwährend als Umlaufsmittel zu dienen und also j e n e zum Theil im Verkehr zu vertreten und zu e r s e t z e n , verdienen den N a m e n Papiergeld im weiteren Sinne. J e nach der P e r s o n a b e r , welche solches P a p i e r g e l d unter ihrem N a m e n in U m l a u f b r i n g t , unterscheidet m a n Privat- und Staatspapiergeld. 57. D e n Ursprung des Papiergeldes fafst M a c C u l l o c h in den Noten zu seiner A u s g a b e von A d a m S m i t h in wenigen Worten z u s a m m e n , wie folgt : „ D i e Zahlungsverbindlichkeiten Einzelner wurden frühzeitig niedergeschrieben. D i e s ist nothwendig, um dem G l ä u b i g e r Sicherheit zu geben, dafs er den vollen B e t r a g seines D a r l e h n s ansprechen k a n n , und dem
28 Schuldner, dafs er keiner Ueberforderung ausgesetzt ist; mit einem W o r t e , um alle jene Streitigkeiten zu vermeiden, die selten ausbleiben, wenn die Bedingungen von Verträgen nicht deutlich genug ausgedrückt sind. Im Verlaufe der Zeit und wenn sich die Gesellschaft mehr mit dem Handel beschäftigt, beginnen einzelne Inhaber von schriftlichen Zahlungsverbindlichkeiten Anderer, dieselben an Dritte abzugeben, denen sie ihrerseits schuldig sind. Sobald einmal die aus solcher Verwendung jener Urkunden fliefsenden Vortheile erkannt sind, wird es für Personen, auf deren Vermögen und Zuverlässigkeit das Publikum Vertrauen setzt, eine offenbare Quelle von Gewinn, ihre Verbindlichkeiten zur Zahlung gewisser Summen in einer solchen F o r m hinauszugeben, welche dieselben tauglich macht, als Umlaufsmittel bei den gewöhnlichen Transactionen des Geschäftslebens zu dienen". S o entstand das Papiergeld, hervorgerufen durch den Vorth eil der Ausgeber, diese mögen Privatpersonen, Gesellschaften oder Regierungen sein, aufgenommen von dem Verkehre, den es erleichtert, sobald er so weit gediehen ist, dafs weder das Metallgeld, noch die Wechsel, noch die Abrechnungen, noch die Umschreibungen bei den Depositenbanken für seine Bedürfnisse hinreichen. 58. „ D i e Einführung von Papier an die Stelle von Gold- und Silbergeld ersetzt — schreibt A d a m S m i t h — ein sehr theueres Werkzeug des Handels durch ein weit wohlfeileres und zuweilen ebenso taugliches. Der Umlauf wird alsdann durch ein neues
29 Rad betrieben, welches weniger anzuschaffen und zu unterhalten kostet, als das alte." — Um zu erläutern, in welcher Weise die Operation vorgenommen wird und in welcher Weise sie zur Vermehrung des rohen oder reinen Volkseinkommens beiträgt, unterwirft S m i t h die bekannteste Art von Papiergeld, die Banknoten, einer näheren Untersuchung. Wenn ein Bankier das Vertrauen geniefst, dafs er jederzeit im Stande sei, die Scheine, welche er ausgibt, auf Verlangen gegen baares Geld einzulösen, so stehen sie im Curse dem Gold und Silber gleich. Der Bankier leiht seinen Geschäftsfreunden solche Scheine und bezieht dafür die nämlichen Zinsen, als ob er baares Geld dargeliehen hätte. Dieser Zins ist die Quelle seines Gewinns. Ein Theil der Scheine kommt zwar zur Einlösung zurück; ein anderer Theil dagegen bleibt Monate und Jahre lang im Umlauf. Angenommen, der Bankier habe für 100,000 Mark Scheine ausgegeben, so kann ein baarer Vorrath von 20,000 Mark genügen, um die gelegentlich begehrten Einlösungen zu bestreiten. Diese 20,000 Mark Münze thun also die nämlichen Dienste, wozu sonst 100,000 erforderlich wären. 80,000 Mark Metallmünze werden im Umlauf erspart und wenn andere Banken und Bankiers ebenfalls solche Geschäfte machen, so kann die ganze Circulation mit dem fünften Theil des Goldes und Silbers, welches sonst nöthig wäre, im Gang erhalten werden. Da aber durch die Bankgeschäfte das jährliche Volkseinkommen nicht vermehrt wird und das vorhandene Metallgeld für den Bedarf der Circulation hinreichte,
30 so werden, nachdem das Papier an die Stelle getreten und ein Fünftheil des Metallgeldes genügt, um die Einlösungen zu besorgen, die übrigen vier Fünftheile im inneren Verkehre entbehrlich, vorausgesetzt, dafs sich der Preis der edlen Metalle nicht verändert und das Papier mit der Münze gleich steht. Wenn z. B. ein Land 100 Millionen Mark Metallgeld hat und diese durch 100 Millionen Papier ersetzt werden, welche ein Vorrath von 20 Millionen Metallgeld im Umlauf erhält, so sind 80 Millionen mehr vorhanden, als der innere Verkehr bedarf. Diese 80 Millionen sind zu kostbar, als dafs man sie müfsig liegen lasse; sie werden also in das Ausland gehen. Das Papier würde im Auslande nicht an Zahlungsstatt angenommen werden, es geht also Gold und Silber hinaus. Allein das edle Metall wird nicht etwa umsonst hingegeben, oder den auswärtigen Nationen zum Geschenk gemacht. Man kauft dafür fremde Güter, welche entweder in einem dritten oder im eignen Lande zu Markt gebracht werden. Werden diese Güter in einem fremden Lande wieder verkauft, also zu dem sog. Zwischenhandel verwendet, so ist der ganze daraus entspringende Gewinn eine Vermehrung des reinen Einkommens des eigenen Landes. Das Gold und Silber, welches durch Einführung des Papiers in dem inneren Verkehre überflüssig geworden ist, bildet gleichsam ein neues Kapital zum Betriebe eines neuen Handelszweiges. Wird das Kapital zum Ankaufe von Gütern verwendet, die zum inländischen Verbrauche bestimmt sind, so bestehen
31 diese Güter entweder aus Luxusgegenständen, oder aus Rohstoffen, Hilfsstoffen und Geräthen zum Betriebe von Gewerbszweigen. Die Luxusgegenstände, wie die feinen Weine, Seidenwaaren u. s. w. sind für die Gesammtheit nutzlos; allein sie beschäftigen auch nur den kleineren Theil der Kapitale; weitaus der gröfsere Theil wird auf die letztbezeichnete Weise verwendet und befördert die Industrie, die Menge und den Ertrag der Arbeit. E s wird daher der Werth des grofsen Rades der Circulation auf die übrigen Theile des umlaufenden Kapitals übertragen und die Operation der Einführung des Papiers in dem inneren Verkehre gleicht einigermafsen der eines Unternehmers, welcher eine neuerfundene Maschine an die Stelle der alten setzt und um den Unterschied des Preises sein umlaufendes Kapital vermehrt, den Fonds, woraus er seinen Arbeitern Stoffe und Löhne liefert. 59. Creditpapiere, denen die Erfordernisse eines guten Umlaufsmittels sämmtlich oder zum Theil fehlen, bilden eine andere, vom Papiergeld verschiedene Klasse und dienen zu anderen Zwecken. Sie können mit dem Namen VerSchreibungen (Effecten) zusammengefafst werden. Hierzu gehören nun a) Urkunden, die eine Schuld zwischen zwei Personen oder eine Betheiligung bei gemeinschaftlichen Unternehmungen und Anstalten ausdrücken, Schuldbriefe (Obligationen), Rentenscheine, Actien, Zins- oder Dividendenscheine; b) solche, in denen der Aussteller einer anderen Person das Recht ertheilt, eine Summe von einem Dritten zu verlangen, Anweisungen und Wechsel.
32 60. Der Preis, welchen bestimmte Münzsorten, Papiergelder, Wechselbriefe, Staatspapiere und was ihnen gleich steht, auf einem bestimmten Marktplatze haben, ist der Gours derselben und wird an wichtigen Börsenplätzen durch die Courszettel nachrichtlich bekannt gemacht. 61. Der Gours der Metattmünzen richtet sich auf dem Weltmarkte im Allgemeinen nach dem Verhältnifs der Quantität und Qualität des in ihnen enthaltenen Metalls zu dem Marktpreise desselben; während der Cours in einzelnen Ländern zuweilen ein künstlich erzwungener ist, z. B. durch das Geoder Verbot ihrer Annahme in Staatskassen. 62. Der Gours des Papiergeldes hängt zunächst von der Leichtigkeit und Sicherheit ab, mit welcher man dasselbe gegen die baare Münze vertauschen kann, die es repräsentirt. Will man es auch nicht umtauschen, so mufs man es aber doch können. Die Leichtigkeit und Sicherheit jenes Umtausches wird nun theils durch das öffentliche Vertrauen, das der emittirende Staat geniefst, theils durch das Verhältniis bedingt, in welchem die Masse des vorhandenen Papiergeldes zu dem Bedarf an Tauschmitteln, besonders für den inneren Verkehr, steht. Der erstere Umstand ist mehr für den Cours im Auslande, der letztere für den im lnlande von Wichtigkeit. 63. Bei dem Cours von Wechselbriefen ist nicht von dem persönlichen Credit die Rede, welchen die Wechsel des einen oder des anderen Handlungshauses geniefsen, sondern es handelt sich um die Modifi-
33 catión ihres Preises, die an den einzelnen Plätzen in Bezug auf alle aus einem bestimmten Handelsplatze oder Lande herrührenden Wechsel eintritt und auf dem Courszettel durch den Stand des Discontos ausgedrückt wird. Auf gleiche Summen ausgestellte Wechsel eines und desselben Hauses haben doch zu London einen andern Preis als zu Amsterdam. Die Ursache liegt darin, dafs die Leistung an dem einen Orte erfolgt ist, die Gegenleistung an dem andern erfolgen, dabei der ersteren natürlich genau entsprechen soll, und nun alle die Ausfälle, welche die abweichenden Verhältnisse des anderen Ortes herbeiführen, ausgeglichen werden müssen. Zunächst kommen hier die verschiedenen Münzverhältnisse in Frage. Besteht die Wechselzahlung an dem einen Orte in einer höheren Münze, als an dem andern, so wird der Wechselcours insoweit gegen den letzteren sein, als die Differenz zwischen dem Metallwerthe der beiderseitigen Münzsorten beträgt. Dann kommt es aber auch auf die Leichtigkeit und Sicherheit der Deckung der Wechsel an, wie sie nicht von den besonderen Umständen der einzelnen Aussteller, sondern von den allgemeinen Verhältnissen ihrer Heimath bedingt wird.
VI. Handel. 64. Der Handel, in seiner concreten Erscheinung ein des Geldgewinnes willen betriebenes Gewerbe Einzelner, besteht wesentlich in einem durch das Geld, bald als Tauschobject, bald blofs als Werthmafs, ver3
34 mittelten Austausche verschiedener Waaren. Er hat seine Grundlage in der Mannigfaltigkeit der Production, die auf der verschiedenen Naturbeschaffenheit der Länder, auf der Mannigfaltigkeit menschlicher Anlagen, Kenntnisse, Geschicklichkeit, auf der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Entwicklung der Völker, kurz auf einer durch diese Verhältnisse hervorgerufenen Theilung der Arbeit im weitesten Sinne beruht. 65. Der Handel wird nach der Beschaffenheit und Menge der vertauschten Gegenstände auf folgende Weise eingetheilt : 1) Waarenhandel, welcher bewegliche Gebrauchsgegenstände, hauptsächlich neu erzeugte, in Umlauf bringt. Da beträchtliche Massen von Waaren mit verhältnifsmäfsig geringeren Kosten von einem Lande oder Landestheile dem anderen Theile zugeführt werden können, ihr Verbrauch aber in den meisten Fällen eine Zertheilung der gröfseren Vorräthe in kleine Quantitäten erfordert, so theilt sich der Waarenhandel wieder in Grofs- und Kleinhandel. 2) Papier- oder Effectenhandel, der sich mit Creditpapieren beschäftigt. Diese kommen hier nicht blofs als Zahlungsmittel und Gegenwerthe für ausgeliehenes Vermögen, sondern zugleich als Gegenstände, welche des Gewinnes willen eingekauft und wieder verkauft werden, in Erwägung. 66. Eine andere Eintheilung der Handelszweige entspringt aus der Rücksicht auf das Verhältnifs des Handels zur Volkswirthschaft eines einzelnen Landes.
35 1) Inländischer oder Binnenhandel begreift diejenigen Handelsgeschäfte in sich, bei welchen Waaren lediglich innerhalb des Landes vertauscht werden. 2) Der auswärtige H&ndel überschreitet mit seinen Unternehmungen und Sendungen die Grenzen des Landes. Er zerfallt wieder in zwei Abtheilungen : a) Ausund Einfuhrhandel, führt inländische Erzeugnisse ins Ausland und bringt von da fremde Waaren für die Verzehrung im Lande zurück; b) der Zwischenhandel beschäftigt sich blofs mit dem Umtausche ausländischer Erzeugnisse gegeneinander, ohne den Stoffarbeitem des eigenen Landes Absatz, oder den Zehrern desselben Zufuhr zu verschaffen. Von dem m&rcantilistischen Grundsatze ausgehend, dafs ein Land nur durch Vermehrung seiner Geldmenge reicher werden könne, wurde früher dem inländischen Handel, da er die Geldmenge des eigenen Landes nicht vermehrt, eine höhere volkswirtschaftliche Bedeutung nicht zugeschrieben, höchstens insofern als er auf den auswärtigen Verkehr eine Einwirkung ausübt; weit höher dagegen wurde der Aus- und Durchfuhrhandel gestellt. Die verlangte wissenschaftliche Ueberzeugung dafs die Vermehrung des inländischen Reichthums nicht von der Vermehrung der Geldmenge des Landes abhänge, dafs vielmehr jede 'Hervorbringung, jeder Erwerb nützlicher Dinge zur Reichthumsvermehrung beitragen könne, hat zu einer völligen Umgestaltung jener Ansichten geführt. E s ist durch diese Einsicht namentlich der hohe volks3*
36 wirtschaftliche Werth des inländischen Handels klar geworden. 67. Man unterscheidet ferner noch Activ- und Passivhandel. Man nennt den HandeUeines Landes activ, wenn es den auswärtigen Verkehr durch eigne Kaufleute, mit eignen Kapitalien, Schiffen u. s. w. betreibt, passiv, wenn die Waaren-Aus- und Einfuhr durch fremde Kaufleute geschieht. VII.
Einkommen.
68. Derjenige Antheil, den jeder Producent von dem Werthe eines Productes erhält zur Vergeltung des für Erzeugung desselben von seiner Seite geleisteten Dienstes, ist sein Einkommen aus dieser Production und die jährliche Summè des Einkommens aus dem gesammten productiven Vermögen einer Person bildet dessen jährliches Einkommen. — Nach Verschiedenheit der productiven Dienste und insofern dieselben aus geleisteter Arbeit bestehen, oder aus der miterzeugenden Kraft von Grund und Boden, oder aus derjenigen von Kapitalien, heifst das Einkommen Arbeitslohn, oder Landrente, oder Kapitale rente. 69. Das Einkommen, welches der Eigenthümer eines Grundstückes aus dessen Benutzung erzielt, ist die tírund-, Land- oder Bodenrente. Sie erhöht die Preise nicht, sondern ist selbst eine Folge der existirenden Preisunterschiede. Sobald es Grundstücke gibt, welche für gleiche Opfer an Kapital und Arbeit ungleichen Ertrag abwerfen, gibt es eine Grundrente
37 zum Vortheile der Eigenthümer, j e nachdem ihr Reinertrag gröfser ist : so lehrt R i c a r d o in seinen Principles. 70. D a s Einkommen, welches die Benutzung von Kapital oder beweglicher Güter abwirft, wird KapitalStamm- oder Zinsrente genannt. D i e Kapitalrente ist, wie die Grundrente, eine natürliche oder eine auabedungene. J e n e entspringt aus der eignen gewerblichen Benutzung eines Kapitals und ist mit dem Gewerbsverdienst verschmolzen. Die bedungene Kapitalrente erhält verschiedene Benennungen nach der Art der an andere Personen zur Benutzung überlassenen Kapitale und des hierdurch begründeten Rechtsverhältnisses. 71. Die Vergütung für den getatteten Gebrauch solcher Gegenstände, welche bei ihrer Anwendung nicht sobald gänzlich verzehrt, sondern nur allmählich verschlechtert werden, die man also nach geendigter Benutzung dem Eigenthümer wieder zurückgibt, ist der Mietheins. E r findet bei der Vermiethung stehender Kapitale und dauerhafter Genufsmittel statt. 72. Die umlaufenden Kapitale, mit Einschlufs des Geldes, können nicht gebraucht werden, ohne zugleich verbraucht oder ausgegeben zu werden. Bei ihnen kommt kein Vermiethen, sondern ein Darleihen v o r , indem nicht dieselben Dinge, sondern andere gleicher Art zurückgegeben werden. W a s der Leihende dem Borgenden g i b t , ist die Darleihe (Darlehen), was dieser sucht, oder wirklich empfängt, die Anleihe (Anlehen). D a s Darlehen ist regelmäfsig nur beim
38 Gelde üblich, wobei der Darleihende oft nicht weif's, ob der Schuldner dasselbe productiv (zu Kapital) oder unproductiv verwenden wird. Die Vergütung für eine solche Darleihe eines Kapitals ist der Leihzins (Zins). Wird der Zins als ein Theil (Bruch) des Kapitals gedacht, so heifst sein Verhältnifs zu diesem der Zinsfufs. Er wird gewöhnlich nach Hunderttheilen des Kapitals ausgedrückt. 73. Der Zinsfufs ist niedrig bei hohem Wohlstande; er zeigt an, dafs sowohl das Volksvermögen, als die aus der rechtlichen Ordnung hervorgehende Sicherheit fortwährend im Steigen begriffen ist, äufsert aber auch für sich selbst wieder günstige Folgen für die Betriebsamkeit, weil er die nützliche Anwendung der Kapitale erleichtert. 74. Der Unternehmer eines Gewerbes empfängt den gesammten Ertrag desselben, welcher aus den für die eigne Verzehrung bestimmten Erzeugnissen und aus dem Erlöse des verkauften Theiles derselben besteht. Hiervon hat der Unternehmer denjenigen Personen, die ihm bei dem Gewerbe beistanden, die ausbedungenen Antheile an Grund- und Kapitalrente und Arbeitslohn zu entrichten, ferner die Anschaffung der zum Arbeitsbetriebe erforderlichen Güter zu bestreiten. Was ihm nach Abzug dieser Ausgaben übrig bleibt, ist der Gewerbsverdienst. Ein vertragsmäfsiges Ausbedingen, wie bei den drei anderen Zweigen der Einkünfte, kann bei diesem Einkommen nicht stattfinden, weil es unmittelbar von dem Erfolge der Unternehmungen bestimmt wird. Die Vergütung,
39 welche der Unternehmer in seinem Verdienst anspricht, besteht aus zwei Theilen : 1) Unterhaltungsbedarf für ihn und seine Familie; 2) Entschädigung für die Gefahr von Verlusten oder des gänzlichen Mifslingens einer Unternehmung. 75. Neben dem Einzel-Einkommen (Privateinkommen) unterscheidet man noch das National-Einkommen, oder die Summe des Einkommens aus dem productiven Vermögen einer Nation. VIII. Güterverbrauch (Consnmtion). 76. Verbrauch im eigentlichen Sinne des Wortes ist Werthvernichtung : dem verbrauchten Gegenstande ist durch den Verbrauch sein Nutzen verloren gegangen. Der Verbrauch dient entweder : 1) um unmittelbaren Vortheil für das menschliche Leben zu gewähren, d. h. persönliche Güter hervorzubringen, oder 2) um die Entstehung neuer Vermögenstheile im Besitze der Staatsangehörigen zu befordern, oder 3) um beide Zwecke zugleich zu erreichen, wie dies bei dem Unterhalte der Lohnarbeiter geschieht. Im ersteren Falle sind die verbrauchten Güter Genufsmittel, im zweiten und dritten Bestandtheile des Volkskapitals. Die Verzehrung als Mittel zur Erzeugung wird productiv oder reproductiv genannt, im Gegensatz einer unproductiven. 77. Die Verzehrung aller Volksklassen findet im Einkommen derselben eine Grenze. Wenn in einem Lande beträchtlich weniger Güter erzeugt als verzehrt würden, so würde der verzehrbare Theil des
40 Gebrauchsvorraths sowie des Kapitals von Jahr zu Jahr vermindert werden, das Volkseinkommen ebenfalls abnehmen und eine dringende Aufforderung zur Einschränkung des Verbrauchs, zur Auswanderung oder zur Vermehrung der Production entstehen. Wenn dagegen die Verzehrung so weit hinter der Erzeugung zurückbliebe, dafs nicht alle Erzeugnisse Absatz finden könnten, so würden die Gewerbe stocken und die Kapitale und Arbeiter zum Theil müfsig bleiben. Beide Annahmen können in einem ganzen Volke auf die Dauer nicht wirklich erscheinen, vielmehr würde das Mifsverhältnifs beider Gröfsen auf dem einen oder anderen Wege durch das besonnene wirthschaftliche Verhalten der meisten Einwohner gehoben werden. Daher gilt zu einem guten, geregelten Zustande der Volkswirthschaft das Gleichgewicht zwischen der Verzehrung und der Hervoriringung. 78. Der Luxus, d. h. jeder das Mafs der N o t wendigkeit oder des wahren Bedürfnisses überschreitende Aufwand oder Genufs wird, von volkswirtschaftlicher Seite betrachtet, unter denselben Bedingungen nachtheilig, unter denen es überhaupt eine nicht mit der Gütererzeugung in Verbindung stehende Verzehrung geben kann. 1) In Ansehung seiner Orölse kommt es auf sein Verhältnifs zu dem reinen Volkseinkommen an. Wenn auch nicht zu befürchten ist, dafs ein Volk sich blois durch übermäfsigen Luxus zu Grunde richte, so ist es doch nützlich, wenn der Sinn für eine einfache Lebensweise vorherrschend wird. 2) In Ansehung seiner Gegenstände wird der
41 Luxus schädlich, wenn er keine wahren wohlthätigen Genüsse, sondern nur erkünstelte Beize hervorbringt. IX.
Auflagen, Steuern.
79. Unter Steuern versteht man diejenigen Abgaben, welche den Staatsangehörigen, mit Bezug auf ihre allgemeine staatsrechtliche Pflicht, zu den Lasten des gemeinen Wesens aus dem Ihrigen beizutragen auferlegt werden. 80. Zu den Haupterfordernissen eines guten Steuerwesens gehört, dafs ein Jeder nach Verhältnifs seiner Einkünfte beitrage. Das reine Einkommen ist nun entweder Grundrente, oder Kapitalrente, oder Arbeitsrente. Auf diese drei Quellen stützt sich die Steuerforderung hauptsächlich. Geschieht die Forderung unmittelbar, wie bei der Grund- und Gewerbesteuer, so heifst man die Besteuerung eine directe; geschieht sie aber nur mittelbar, etwa auf Umwegen, so heifst die Besteuerung eine indirecte, worunter z. B. die Zölle, Accise, überhaupt Conswmtionssteuern, doch auch noch andere vielnamige Steuern gehören. 81. Accise ist eine Abgabe, welche von Gegenständen inländischer Erzeugung und Verzehrung erhoben wird. Bei der Einfuhr accispflichtiger Gegenstände wird in der Regel neben dem Zoll noch die Accise erhoben; bei der Ausfuhr dagegen die bezahlte Accise in der Regel zurückgegeben. — Die Accise ist eine Consumtionsabgabe, wenn sie auf Gegenständen des Verbrauchs ruht; eine indirecte Abgabe, wenn sie nicht unmittelbar von dem Consu-
42 menten erhoben wird. Gewöhnlich ist sie beides, doch werden auch Abgaben, die weder das Eine noch das Andere sind, mit dem Namen Accise belegt, z. B. die sog. Immobilienaccise, welche bei Uebergang unbeweglichen Eigenthums aus einer Hand in die andere von dem neuen Erwerber gefordert wird und in bestimmten Procenten des Kaufpreises oder Werthanschlags besteht. 82. Zoll, auf Ein-, Durch- und Ausfuhr von Waaren gelegte Abgabe, ist, je nachdem er an der Grenze oder im Innern eines Landes erhoben wird, Orenzoder Binnenzoll. Ersterer ist Eingangszoll, wenn er flir eingehende, Durchgangs- oder Transitzoll, wenn er für die durchgehenden, und Ausfuhrzoll, wenn er für die ausgehenden Waaren entrichtet wird. 83. Das Mercantil- oder Handelssystem benutzte die Zolleinrichtungen als Mittel zu seinem Zwecke, zu der Herstellung einer günstigen Handelsbilanz. Von dem Satze ausgehend, dafs der Reichthum eines Landes in dem baaren Gelde, oder in der Menge von edlen Metallen bestehe, welche das Land hervorbringt oder einfuhrt, richteten die Jünger C o l b e r t ' s ihr Bestreben dahin, möglichst viel Gold und Silber einzuführen und möglichst wenig auszuführen. Zu diesem Behufe schien es wünschenswerth, nicht nur für den eignen Bedarf, sondern für den Absatz im Auslande Waaren in Menge zu fertigen und sich dafür nicht wieder mit Waaren, sondern mit baarem Gelde bezahlen zu lassen. Demnach wurde die Einfuhr fremder Waaren entweder verboten, oder durch
43 hohe Zölle beschränkt; die Ausfuhr inländischer Artikel wurde durch Rückzölle (Ersatz der für die eingeführten Rohstoffe bezahlten Abgaben) und Ausfuhrprämien begünstigt. Zeigte sich am Jahresschlüsse aus den Zolllisten, dafs die angenommenen Werthe der ausgeführten Artikel gröfser waren, als jene der eingeführten, dafs also vom Auslande ein ansehnlicher Saldo in Baar zu bezahlen war, so nannte man dieses Ergebnifs eine günstige Handelsbilanz und freute sich der vermeintlichen Zunahme des Reichthums der Nation. Den Inbegriff der Anordnungen, welche hiernach im Zollwesen getroffen wurden, nennt man das Prohibitivsystem. 84. Ihm gegenüber verlangen die Anhänger der Handelsfreiheit, dafs Zölle nur als Einnahmen für die Staatskasse aufgelegt werden sollen; zu diesem Zwecke müssen sie nieder sein, weil hohe Zölle entweder umgangen werden, oder die Einfuhr der damit belegten Artikel beschränken, also wenig eintragen. Niedere Zölle aber hindern den freien Verkehr nicht. Diese Lehre wirft dem Prohibitivsystem vor, dafs es den Verkehr der in Bildung und Kraft voranstehenden Staaten Europas, einen Verkehr, welcher jedem von ihnen sehr vortheilhaft werden könnte, fast auf nichts heruntergebracht habe. Sie bezeichnet als Grundirrthümer jenes Systems : 1) die Meinung, dafs der Reichthum einer Nation in baarem Gelde bestehe, während derselbe in den Kräften und Fähigkeiten der Bürger und in der Menge werthvoller Güter aller Art beruhe; dies beweise z. B. England, das seinen
44 ungeheueren Umsatz mit einem verhältnifsmäfsig geringen Geldvorrathe besorge; 2) die Meinung, dafs die übrigen Länder fortfahren würden, von einem Staate zu kaufen, der ihren Erzeugnissen seine Grenzen verschliefse. Die Erfahrung lehre, dais überall Gewaltmafsregeln ergriffen und die Vortheile des freien Austausches Allen entzogen werden. Im freien Verkehre, sagen die Anhänger der Handelsfreiheit, erhalte jedes Volk seinen Bedarf an ausländischen und inländischen Froducten zu den billigsten Preisen ; es finde eine naturgemäfse Entwickelung der jedem Lande eigenthümlichen Hülfsquellen statt, welche einen soliden Zustand begründe, während die künstlich grofs gezogene Industrie jeden Augenblick mit Schwankungen zu kämpfen habe, welche der Existenz von Tausenden Verderben drohen. 85. Zwischen dem Prohibitivsysteme und der Lehre der Handelsfreiheit steht das Schutzsystem, welches im deutschen Zollvereine angenommen, aber nach der Meinung Vieler noch nicht genügend ausgebildet ist. Dasselbe will den wichtigeren, im Lande sich entwickelnden Zweigen der Industrie den inneren Markt durch Zollsätze sichern, welche die wohlfeileren Preise ausländischer Fabrikate so weit erhöhen, dafs sie die einheimischen nicht von dem Markte verdrängen. Hierdurch soll der Nation die Möglichkeit gegeben werden, eine starke, ausgedehnte Industrie zu schaffen, welche zugleich eine wesentliche Bedingung des Wohlstandes und der Macht der europäischen Staaten ist.
45 X.
Staatsschulden.
86. Ursprünglich hatten die Landesfürsten die Bedürfnisse der Regierung aus dem Ertrage ihres Privatvermögens zu bestreiten. Als in Folge schlechter W i r t schaft und der mit steigender Civilisation bis auf einen gewissen Punkt untrennbar verbundenen Vermehrung des öffentlichen Aufwandes dieser Ertrag nicht mehr genügte, trachteten sie erst nach möglichster Erweiterung ihres mehr privat- als staatsrechtlichen Einkommens — ein Streben, dem die meisten Regalien ihre Entstehung verdanken — und nahmen dann, wie der Privatmann, Anlehen auf ihre Güter auf. Als die Summe derselben, bei fortwährend zunehmenden Staatsbedürfnissen, zu hoch stieg, bewogen sie ihre Landstände, die Bezahlung der Schulden auf das Land zu übernehmen, zu welchem Behufs eine Steuer ausgeschrieben wurde, die man nur als bald vorübergehend betrachtete. Aber rastlos wuchs der öffentliche Aufwand. Die Stände übernahmen es, einen grofsen Theil desselben aus dem Ertrage regelmäfsiger Steuern zu bestreiten. Bald war nicht nur das fürstliche Kammervermögen verschuldet, sondern auch von den Ständen selbst eine Schuldenlast für den Staat geschaffen. Diese Anleihen wurden meist ganz nach Art des Privatcredits geschlossen. Ein Vertrag zwischen der aufborgenden Behörde und einem namhaften Gläubiger, beiderseitige an bestimmte Termine gebundene Aufkündigung, eine Bürgschaft, bald in Faustpfandern, bald in Verpfandung
46 liegender Gründe, bald in dem Gutsagen auswärtiger Regierungen bestellt. In vielen Ländern ging man nun allmählich zu Formen über, die durch gröfsere Bequemlichkeit für das Publikum auch dem Credit der Staaten nur förderlich sein konnten und die Staaten auch sonst mancher Verlegenheit überhoben, namentlich zu der Ausstellung der Schuldscheine in auf den Inhaber lautenden Papieren und zu der Unauf kündbarkeit. Die Hinzufügung besonderer Bürgschaften ist bei den Anleihen der meisten Staaten entbehrlich geworden. Das Vertrauen in die Gröfse und Sicherheit der reichen, von unsern Staaten verwalteten Hülfsquellen genügte. Die Staatspapiere wurden in ihrer neueren Einrichtung als Geld und als Waare benutzt; es ward immer üblicher, Kapitalien auf diese sichere und bequeme Weise anzulegen und bald entstand ein eignes Interesse der Gläubiger : dafs der Staat niemals seine Schulden bezahlen, sondern nur fortfahren möge, sie richtig zu verzinsen und sie nicht durch übergrofse Ausdehnung im Course fallen zu lassen. So beruht die grofse Macht des Credits der civilisirten Staaten theils auf den Reichthumsfortschritten der Völker, welche die Mittel für die Anlehen selbst bieten und zum Mindesten für die Möglichkeit der Verzinsung der aufgenommenen Anlehen Bürgschaft leisten; theils in dem gestiegenen Vertrauen der Kapitalisten in den Willen der Regierungen, die eingegangenen Verbindlichkeiten aus Gründen des Rechts und der Klugheit zu erfüllen; zum Theil endlich auf der Ausbildung des Verkehrs mit Staats-
47 papieren, der den speculirenden Geldhändlern hohe Gewinnste in Aussicht stellt, den kleineren Kapitalisten aber den beliebigen Umsatz der Papiere gegen baares Geld erleichtert. 87. Man unterscheidet zweierlei Arten von Staatsschulden, die schwebende und die fundirte Schuld. Erstere besteht aus denjenigen Anlehen, welche nur auf kurze Zeit, gewöhnlich nur auf die Dauer eines Jahres gemacht werden und blofs dazu dienen, kleinere Ausfälle in den Einnahmen, zu deren Deckung der Reservefonds nicht hinreicht, zu berichtigen, die Ordnung im Staatshaushalt aufrecht zu erhalten. Sie sind als Anlehen der Finanzverwaltung zu betrachten, werden mittelst der laufenden Einkünfte verzinst und abgetragen und nicht in den allgemeinen Schuldentilgungsplan aufgenommen. Die Form, in der die Aufnahme dieser Anlehen stattfindet, ist entweder die Ausgabe verzinslicher Obligationen, häufig auch verzinslicher Kassenanweisungen. Die fundirte Schuld dagegen ist nicht blofs ein vorübergehendes Anlehen der Finanzverwaltung, sondern jener Haupttheil der Schulden, welcher durch besonderen Beschlufs der gesetzgebenden Gewalt als Staatsschuld anerkannt, in den Schuldentilgungsplan aufgenommen und auf einen besonderen Tilgungsfonds angewiesen ist. XI.
Bevölkerung.
88. Die Gröfse der Bevölkerung eines Staates ist, wie jede Gröfse, eine absolute und eine relative, d. h. sie kann an und für sich als Thatsache und zweitens im
48 Verhältnifs zu irgend einem anderen Gegenstande, hier also namentlich zum Umfange des Landes, betrachtet werden. Grofse Bevölkerungsdichtigkeit ist an und für sich kein entscheidender Beweis des Wohlstandes. Allzu spärliche Bevölkerung ist übrigens ein Zeichen von Schwäche. Rufslands natürliche Zustände erlauben keine dichte Bevölkerung und halten dieses Reich , also in verhältnifsmäfsiger Schwäche. Bei lang bestehenden Culturstaaten ist schnelle Zunahme der Bevölkerung eben so wenig ein solcher Beweis. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Unterhaltungsmittel (Vermögen, Kapital) mindestens ebenso schnell als die Bevölkerung zunehmen. — Kriege haben auf die Bevölkerungszahl weniger Einflufs, als man in der Regel meint : selbst in den tödtlichsten fällt nur ein verhältnifsmäfsig kleiner, bald ersetzter Theil. Aber der erlittene Verlust lastet um so schwerer auf dem Wohlstande der Bevölkerung und dadurch allerdings auch indirect auf der Anzahl, indem die Umgekommenen grade die Kraft und die besten Lebensjahre besitzen, womit sie sonst die productivsten Arbeiter gewesen wären. — Die Lebensart endlich hat sehr grofsen Einflufs auf die Bevölkerung. Schlechte Lebensweise tödtet hauptsächlich die Schwächsten, also Arme, Kinder, Greise u. s. w. In Zahlen ausgedrückt, sagt man, dafs dadurch die mittlere Lebensdauer niedriger als sonst steht.
49
Geschichtlicher Theil. In der Geschichte der politischen Oekonomie der drei letzten Jahrhunderte treten drei verschiedene Lehrgebäude hervor, welche man unter dem Namen der drei staatswirthschaftlichen Systeme aufführt. Das erste ist das Handels- oder Mercantilsystem, das zweite das physiokratische oder ökonomische System und das dritte das Industriesystem. I.
Das Handels- oder Mercantilsytem.
Die nationalökonomische Theorie, welche unter diesem Namen bekannt ist, stützt sich auf den Grundsatz, dafs das Geld allein oder doch vorzugsweise den Reichthum und die Macht der Staaten begründe. Man datirt dieses System gewöhnlich von C o 1 b er t. Dies ist insofern richtig, als es seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, der Erlassung des französischen Zolltarifs von 1664, eine höchst wichtige Rolle in dem europäischen Staatenleben gespielt hat. Allein unrichtig wäre die Meinung, C o l b e r t sei der Erfinder jenes Systems gewesen. Das Princip, auf welchem dasselbe beruht, war vielmehr längst in dem Bewufstsein der Völker festgewurzelt, längst gingen die theoretischen Arbeiten in England, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland von demselben aus und eine Reihe von Staatsmafsregeln war in den meisten Ländern im Sinne jenes Princips getroffen worden. Das Mercantilsystem ging von dem Schlüsse aus, dafs wie der einzelne Bürger sich durch Geld4
50 gewinn bereichert, so auch in einem ganzen Volke die Vermehrung des Metallgeldes das beste Mittel zur Erhöhung des Wohlstandes sei und von diesem längst vorhanden gewesenen Grundgedanken gingen C ö l b e r t' s Mafsregeln hervor. Hierzu kam die Rücksicht auf das fiscalische Interesse; denn nur dann konnte die Kasse des verschwenderischen Hofs sich stets auf's Neue füllen, wenn Geld im Ueberflufs im Lande circulirte. Die streng mit aller Consequenz durchgeführten Mafsregeln C o l b e r t ' s riefen in den meisten europäischen Staaten Gegenmafsregeln in's Leben — das Mercantilsystem wurde allgemein. Von der Ueberschätzung des Metallgeldes vermochte man sich einmal nicht mehr loszureifsen, ob man gleich auch nicht verkennen konnte, dafs dasselbe für sich gar kein menschliches Bedürfnifs befriedige. F ü r Länder, die nicht aus eignen Bergwerken Gold und Silber erhalten können, bot sich kein anderes dauerndes Mittel zur Vermehrung dieser Stoffe im Lande dar, als sie im Handel vom Auslande herbeizuziehen. Zu diesem Zwecke sollten viele im Lande erzeugten Waaren hinausgeführt, aber nur wenige fremde hereingeführt werden und man nahm an, dafs dann der ganze Ueberschufs der Ausfuhr über die Einfuhr vom Auslande in Geld bezahlt werden müsse. Der Unterschied zwischen der Gröfse der Aus- und Einfuhr wurde Handelsbilanz genannt und dann als günstig angesehen, wenn die Ausfuhr gröfser war, als die Einfuhr. Dagegen hielt man
51 das Hinausgehen von Münze oder Münzmetall für gemeinschädlich. II.
Das Physiokratische System.
Dieses System entstand in Frankreich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, veranlafst von dem Anblick des traurigen wirtschaftlichen Zustandes, welcher dort unter der verschwenderischen Regierung Ludwig X V . zu finden war. Der Stifter dieses Lehrgebäudes war der königliche Leibarzt F r a n ç o i s Q u e s n a y. Die Physiokraten gingen von der Ansicht aus, dafs nur die Urproduction die Masse der vorhandenen Güter vermehren könne und durch alle durch Umarbeitung und Vertrieb den Gütern beigelegten höheren Werthe doch jene Masse nicht erhöht werde, da während der Umarbeitung und des Vertriebs eben so viel verzehrt werde, als an Werth entstehe. Sie verwechselten die durch den Landbau erzeugten Güter mit den Gütern überhaupt, würdigten die Vermehrung der Güterwerthe, die durch Industrie und Handel, ja auch durch Alles bewirkt wird, was zur Sicherung des Rechtszustandes, zur Veredlung der Cultur, zur Förderung menschlicher Zwecke geschieht, nicht genug und übersahen, dafs auch die höheren Werthe und die sie vermittelnden Leistungen gegen einander ausgeglichen und ausgetauscht werden. Ihr System scheiterte für die praktische Ausführung schon an dem Unpraktischen ihres Vorschlags, alle Steuern auf eine einzige Grundsteuer zu reduciren.
52 Aber ungeachtet der Einseitigkeit und LJnhaltbarkeit seines Hauptsatzes, war, das physiokratische System doch sehr verdienstlich und folgenreich, weil es den Anfang einer tieferen Forschung über volkswirtschaftliche Gegenstände bildete, neue Begriffe und Kunstausdrücke aufstellte, die Wichtigkeit des Landbaues hervorhob, den Glauben an die grofse Bedeutung der Handelsbilanz bekämpfte und überhaupt den Widerstreit gegen das Handelssystem begann, wodurch es richtigere Ansichten vorbereitete. III.
Das Industriesystem.
Dieses dritte staatswirthschaftliche Lehrgebäude wurde von dem schottischen Gelehrten A d a m S m i t h aufgestellt und wird gewöhnlich auch nach demselben benannt. Die Hauptgedanken dieses Systems sind folgende : 1) Die Sachgüter werden durch die menschliche Arbeit mit Hülfe der Grundstücke und des Kapitals hervorgebracht und der Tauschwerth der Güter bestimmt sich durch die Menge der auf sie gewendeten Arbeit. 2) Die wichtigsten Mittel, welche die productive Wirkung der Arbeit verstärken, sind die zweckmäfsige Theilung der Arbeiten und der Gebrauch des Kapitals. 3) Nicht blofs die auf Gewinnung roher Stoffe von der Erde gerichtete Arbeit, sondern auch die Thätigkeiten der Stoffveredlung (Gewerbe, Fabrikation) und des Handels bewirken die Vermehrung des Vermögens, sind also productiv. 4) Diese drei Klassen von Gewerben verdienen in gleichem Mafse von der Regierung unterstützt zu
53 werden. 5) Das freie Mitwerben (Concurrenz) stellt von selbst die angemessensten Preise der Dinge her, bewirkt die Ausgleichung des Bedürfnisses mit den Vorräthen, verschafft den Theilnehmern an der Production ihre gebührenden Antheile als Grundrente, Kapitalgewinn und Arbeitslohn und leistet überhaupt in der Volkswirthschaft nützliche Dienste. 6) Die Regierung soll nur insofern auf die wirthschaftlichen Angelegenheiten des Volkes einwirken, als sie die Hindernisse, die der Entwicklung des Gewerbfleifses im Wege stehen, zu entfernen sucht, sonst aber die Freiheit in Gewerbsangelegenheiten walten- lassen, namentlich auch im auswärtigen Handel, 7) In Beziehung auf ihre eigenen Einnahmen soll die Regierung nicht an dem Betriebe von Gewerben Theil nehmen, sondern ihren Bedarf auf die am wenigsten störende Weise durch Besteuerung von dem reinen Einkommen der Bürger aufbringen.
Druck von W i l h e l m K e l l e r in Giefsen.