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German Pages 374 [376] Year 1960
D. O T T O H A E N D L E R
DIE
PREDIGT
OTTO H A E N D L E R
DIE PREDIGT Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen
D r i t t e , d u r c h g e a r b e i t e t e und e r w e i t e r t e A u f l a g e
VERLAG ALFRED TÖPELMANN 1960
· B E R L I N W35
Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlage« ist es nicht gestattet, diese« Buch oder Teile d a r a u s auf photomechanischem Wege (Photokopie, Uikrokopie) su vervielfältigen (Printed in Germany)
Dieses mit meiner Existenz besonders eng verbundene Buch bleibt nach wie vor der treuesten Mitarbeiterin zugeeignet
meiner Frau
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage. In dem geistigen Geschehen der letzten Jahrzehnte hat die Tiefenpsychologie eine immer steigende Bedeutung gewonnen. Sie ist nicht n u r zu einer selbständigen und wesentlichen Wissenschaft geworden, sondern auch zu einem immer wichtigeren, in Vielem f u n d a m e n t a l e n F a k t o r des seelischen Lehens. Wo sie einmal in ihrer Wirklichkeitsbedeutimg erkannt ist, pflegt sie eine Stellung im Leben des Menschen zu erobern, die an zentraler Bedeutung der der Religion nahekommt, in vielen Fällen ihr gleichkommt oder an ihre Stelle tritt. Eine gründliche Besinnung auf ihre Bedeutung ist deshalb f ü r die Theologie wie f ü r die Kirche unerläfilich. Die Theologie in grundsätzlicher Arbeit sowie die Kirche in ihrem praktischen Handeln hat die Bedeutung der Tiefenpsychologie f ü r ihr eigenstes W e r k aus einleuchtenden G r ü n d e n zuerst auf dem Gebiete der Seelsorge e r k a n n t . Hier liegt eine große Zahl von W e r k e n vor, die die Psychologie f ü r die Seelsorge f r u c h t b a r zu machen sich bemühen, und in der P r a x i s ist die Arbeit, wenn auch noch lange nicht umfassend genug b e k a n n t und genutzt, doch in grundsätzlicher Zielsetzung und mit k l a r e r Erkenntnis bis zur Zusammenarbeit von „Arzt und Seelsorger" gediehen. Bei aller Bedeutung, die diese Tatsachen haben, sind sie aber doch n u r ein Anfang. Es fehlt ein Doppeltes. Einmal die A n w e n d u n g der psychologischen Erkenntnisse auch auf die anderen Gebiete theologischer Arbeit lind kirchlichen W i r k e n s und das Wissen um ihre Bedeutung f ü r a l l e diese Gebiete. Sodann vor allem ein Anfassen der Probleme, die sich aus der Begegnung von Christentum und Psychologie g r u n d s ä t z l i c h ergeben. D e n n diese ist, wie j e d e echte Begegnung, f ü r beide Beteiligte Geschenk u n d F o r d e r u n g zugleich. Wie tief sie in diesem Sinne sich ausw i r k e n muß, ist beiderseits noch nicht a n n ä h e r n d e r k a n n t , geschweige denn erarbeitet. So gewiß das Maß der Ergebnisse solcher Arbeit vom geschichtlichen Gang gerade bei gesunder Entwicklung abhängig ist, so gewiß ist es doch dringendes Gebot der Stunde, daß K r ä f t e auf beiden Seiten ans W e r k gehen u m zu erarbeiten, was zurzeit herausgestellt werden kann. W e r von der Theologie h e r kommend und in ihr verwurzelt die Psychologie nicht n u r literarisch erarbeitet, sondern als Schicksal e r f a h r e n hat, ist in die Lage versetzt, beide Gebiete als Wirklichkeiten mit ihren befreienden und bedrängenden Mächten erleben zu d ü r f e n — und zu müssen. D e r Wirbel dieser beiden Ströme w i r d zum einheitlich tragenden Strom n u r durch tiefgreifende W a n d l u n g hindurch. F ü r die Erkenntnis, damit zugleich f ü r die theologische Arbeit, bedeutet diese
νπι vor allem Realisierung im Sinne von Ausscheiden unechter Erkenntnisse und Heraufkommen neuer, echter, gewachsener Erkenntnisse, zugleich Befruchtung der Gesamtschau und Ganzheitserfahrung des Seins. Man hört auf „Gedanken" zu „denken" und lernt, Wirklichkeiten zu sehen. Inwiefern diese entscheidende Wandlung vielfach nicht an der Theologie allein entsteht, die doch die wirklichste aller Wirklichkeiten zum Gegenstand hat, wird im Laufe der Ausführungen deutlich werden müssen und kann nicht in Kürze im Vorwort gesagt werden. Daß sie sich vollziehe, ist von zentraler Bedeutung. Der dringendste Wunsch, mit dem dies Buch der Öffentlichkeit übergeben wird, ist deshalb der, daß es nicht als eine theoretische Auseinandersetzung genommen wird, die etwa den einem Autor zufällig lohnenden Versuch machte, ein theologisches Problem psychologisch zu sehen. Alles was hier gesagt wird, ist in diesem Sinne nicht „gedacht", sondern der Wirklichkeit abgesehen und abgerungen. Das Buch ist nicht aus einem Interesse, sondern aus einem Schicksal — einem mit dem Schicksal der Kirche verwobenen — geboren. Es ist geboren, nicht gedacht. Seine Erkenntnisse sind bis ins Einzelne hinein mit schicksalhaftem Erfahren verwoben und haben sich aus ihm herausgehoben. Darum wünscht es sich Leser, die nicht nur dieser Tatsache gerecht werden, sondern aus eigenem Erfahren oder doch Leiden heraus Sinn haben für die Notwendigkeit von Ausführungen dieser Art in der Gegenwart. Und die ihm darum auch abnehmen, was es dem Pfarrer, der zu predigen hat, bieten möchte: z u g l e i c h grundsätzliche wissenschaftliche Klärung und konkrete Wegweisung. Die Zeiten theoretischer, vom Erdboden abgelöster Wissenschaft sind vorüber, Gott sei Dank. Wissenschaft hat e b e n m i t der unverkürzten Schärfe und Exaktheit ihrer Arbeit der gelebten Wirklichkeit zu dienen. Aber auch die von der grundsätzlichen und wissenschaftlich sauberen Fundierung gelöste praktische Arbeit muß überwunden werden, wo und soweit das nötig ist. Denn nur in der Ganzheitsschau haben wir ein wirklich gutes Gewissen, und nur sie hält den Anforderungen der Gegenwart stand. Ganzheitsschau umfaßt aber die aus dem Denken u n d die aus dem Handeln sich ergebenden Erkenntnisse. In diesem Sinne möchte diese Arbeit über das homiletische Problem hinaus zugleich ein Beitrag zur Gesamtsituation der Gegenwart sein. Das Buch . . . konnte neben allen Anforderungen . . . nur fortgeführt und abgeschlossen werden, weil die Arbeit von dem Bewußtsein getragen war, ständig unmittelbar an der Ursituation des Menschen... zu sein. Die Zueignung dieses Buches an meine Frau ist Ausdruck des Dankes und der Freude für alles tiefe Mitleben die Jahre hindurch. G r e i f s w a l d - N e u e n k i r c h e n , im August 1941. Otto Haendler.
Vorwort zur zweiten Auflage. Nachdem die erste Auflage vergriffen war, habe ich immer w i e d e r Zuschriften bekommen, deren Wunsch, noch ein Exemplar zu beschaffen, ich nicht erfüllen konnte. Allen, die mir ihr freundliches Interesse in dieser persönlichen Weise bekundeten, sage ich einen besonderen G r u ß . D e r K r i t i k habe ich mich bereitwillig geöffnet u n d gern aus i h r gelernt, soweit sie wirklich das besprach, was in dem Buche steht. Einen besonderen D a n k schulde ich Heinz-Dietrich W e n d l a n d f ü r einen Brief, der an Gehalt und Wert einer Buchbesprechung gleichkommt, und ein Musterbeispiel einer verstehenden u n d d a r u m fördernden Kritik ist. Ich habe seine vielen, wertvollen Hinweise bei der Neub e a r b e i t u n g sorgsam vor Augen gehabt. Die R e f e r a t e der Svnodalkonvente einer Kirchenprovinz, die ü b e r das Buch gehalten worden w a r e n und mir auf meine Bitte freundlichst zur V e r f ü g u n g gestellt wurden, boten ein buntes und in der Höhenlage freilich sehr unterschiedliches Bild. Im Ganzen h a b e ich aus ihnen v o r allem eins gelernt: wie schwer es ist, sich unmißverständlich auszudrücken, und die Grundsätze und Thesen in ihrem Gehalt und in ihren Konsequenzen eindeutig aufzuweisen und abzugrenzen. Ich h a b e mich bemüht, die Linien deutlicher auszuziehen u n d k l a r e r herauszustellen, was gesagt w i r d u n d was nicht gesagt wird. Nicht n u r hier, sondern auch in vielen Diskussionen nach Vorträgen und in sonstigen Gesprächen zeichnete sich die R i c h t u n g der F r a g e n u n d B e d e n k e n letztlich ziemlich einheitlich ab: immer wieder geht es um die Sorge vor der „ P s y c h o l o g i s i e r u n g " , d. h. um das Mißtrauen gegenüber der Psychologie von der Theologie h e r und um den Verdacht, daß dem Vollgewicht der theologischen Position von der Psychologie h e r A b b r u c h getan w e r d e n könne. Das Problem ist im G r u n d e einfach und man k a n n es in den schlichten Satz fassen: w e n n j e m a n d psychologisiert, d. h. die theologische W a h r h e i t in psychologische Relationen auflöst, s o l i e g t d a s a n i h m u n d n i c h t a n d e r P s y c h o l o g i e . W e n n Psychologen im grundsätzlichen D e n k e n und Psychotherapeuten in der Praxis theologische Realitäten als solche verkennen, schränkt das die Möglichkeit nicht ein, die Psychologie u n d ihre Erkenntnisse in echter Beziehung zur Theologie und i h r e r W a h r h e i t zu verwerten, es macht n u r die A u f g a b e der Theologie f ü r die Begegnung um so dringlicher. D e n n ohne diese Begegnung zwischen Psychologie u n d Theologie wird die Psychologie in den Säkularismus gedrängt, und das w i r k t sich in dem immer breiteren Strom psychotherapeutischer
χ P r a x i s schädlich aus. Die Theologie aber versäumt ohne diese Begegnung ein Stück grundlegenden und f ü r sie bedeutsamen Wissens um die Seele des Menschen, an d e r sie j a zu arbeiten hat. F ü r eines freilich ist die echte Psychologie eine wirkliche G e f a h r : f ü r allen Orthodoxismus. Seine Auflösung beginnt an der orthodoxen Verh ä r t u n g des Tageslebens mit seinen eingefahrenen Gewohnheiten, wirklichkeitsfremden Anschauungen vom Menschen und vom Leben, entsprechend unberechtigten s u b j e k t i v e n E r w a r t u n g e n und Ansprüchen usw. Man könnte viel von dem, was als Neurose auftritt, auf die Formel Orthodoxismus z u r ü c k f ü h r e n . Die gesunde Unterscheidung zwischen Rechtgläubigkeit und Orthodoxismus auf theologischem Gebiet w ä r e uns geläufiger, wenn wir uns d a r ü b e r k l a r wären, dafi es überall Orthodoxismus gibt und der theologische n u r eine Teilerscheinung dieser umfassenden und vielgestaltigen V e r h ä r t u n g s k r a n k h e i t ist. Rechte E r k e n n t nis und mit ihr rechte Lehre bleiben so k l a r und so beständig, wie sie sind, auch bei intensiver Begegnung mit Psychologie. Alle echte Überzeugung hält der P r ü f u n g stand — alle v e r k r u s t e t e Schale w i r d zersetzt. Um die „rechte L e h r e " also, die gehaltvoller A u s d r u c k der W a h r h e i t ist, und um das echte Bekenntnis in seiner Klarheit und Fülle b r a u c h t niemand zu fürchten, der sich der Psychologie öffnet. Im Blick auf diesen ganzen Problemkreis habe ich mich in der Neuauflage bemüht, die F r a g e n und Sorgen, die mir da vor der Seele stehen, deutlicher zu beantworten, und es w ä r e mir besonders willkommen, wenn das Buch zur Ü b e r w i n d u n g d e s M i f i t r a u e n s gerade der e r n s t m e i n e n d e n Theologen gegen die Psychologie durch den Aufweis ihres Rechtes und i h r e r Grenzen beitragen u n d f r u c h t b a r e Begegnung fördern könnte. Die ständige Beziehung der G e d a n k e n f ü h r u n g auf das t h e o l o g i s c h e G e s p r ä c h der Gegenwart, und das heifit des letzten Menschenalters, habe ich verschiedentlich s t ä r k e r zum A u s d r u c k gebracht. Ich hoffe, daß sie auch da e r k e n n b a r ist, wo sie nicht ausdrücklich präzisiert w u r d e . Im übrigen habe ich mich überall bemüht, in der neuen Fassung der g e g e n w ä r t i g e n s e e l i s c h e n L a g e gerecht zu werden, das an ihr Typische und das f ü r sie Entscheidende herauszustellen. In solchem Bestreben nach der theologischen und nach der psychologischen Seite hin ist j e ein Stück des zweiten und dritten Kapitels n e u b e a r b e i t e t : im zweiten Kapitel d e r Abschnitt über das „Amt als Schicksal" und der mit ihm zusammengehörige ü b e r „Theologie u n d Bekenntnis" (II. Kap., III. 2. u. 3.), wobei die neue Fassung zugleicn eine erhebliche E r w e i t e r u n g darstellt. Im dritten Kapitel ist der Abschnitt „Meditation und Gebet" (III. Kap. II. 3.) neu gestaltet, und ich hoffe, dafi in ihm die Beziehung zwischen beiden jetzt praktisch und grundsätzlich deutlicher herausgearbeitet ist.
XI Dem Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland danke ich für seine wirksame Hilfe zur Ermöglichung des Druckes, dem Institut für Psychotherapie in Berlin, dafi es sich für die erneute Drucklegung von psychologischer Seite her eingesetzt hat, für Hilfe bei der Korrektur meiner Frau und einer Anzahl von Freunden, die einzelne Stücke durcharbeiteten. In der ersten Auflage habe ich dieses Buch meiner Frau zugeeignet. Die erneute Zueignung schließt alles in sich, was wir in den Schicksalen lind Erschütterungen beispielloser Jahre gemeinsam erlebten. Greifswald-Neuenkirchen Im Januar 1948
Otto
Haendler
Vorwort zur dritten Auflage Die homiletischen und psychologischen Grundsätze und Erfahrungen, die in diesem Buche verarbeitet worden sind, haben sich mir in weiterem grundsätzlichem Studium und in der Erfahrung der Praxis bewährt und bestätigt, auch angesichts der vielfach veränderten seelischen Situation der Gegenwart. Was an ernsthafter Kritik inzwischen mir zur Kenntnis kam, habe ich bereitwillig aufgenommen und danke allen denen, die sich der Mühe einer solchen Kritik unterzogen haben. Ernsthafter Kritik bin ich weiterhin offen, d. h. einer Kritik, die sich zu dem äußert, was in dem Buche wirklich gesagt wird und nicht zu dem, was der Kritiker hineinliest oder aus Voreingenommenheit inhaltlichen oder formalen Charakters vermißt oder obwohl es in dem Buch enthalten ist nicht bemerkt. Nicht erwünscht ist in diesem Sinne vor allem zweierlei: Einmal eine Kritik, die dem Buche den Vollgehalt des Evangeliums als seine Grundlage und als das hier vertretene Ziel der Verkündigung abspricht, weil in dieser Monographie über den Prediger und die in seiner Person begründeten Gefahren und Möglichkeiten nicht der Gesamtgehalt der Verkündigung als solcher explizite erörtert wird. Dies um so mehr, als die Frage, inwieweit der Inhalt der Verkündigung in einer Homiletik darzulegen ist, sehr verschieden beantwortet werden kann. Sodann eine Kritik, die aus subjektiven Projektionen des Kritikers auf das Stichwort „Psychologie" heraus die Intensität, mit der die Psychologie hier ernst genommen und verarbeitet wird, leichthin als „Psychologisierung" sieht. Das Problem ist ernster und komplizierter, als daß es mit einem Schlagwort erledigt werden könnte. Daß Irrtümer solcher Art auch bei sonst gründlichen und bedeutenden Autoren vorkommen, kann uns nur um so mehr darauf hinweisen, wie leicht wir alle auch bei gewissenhafter Arbeit doch befangen bleiben in unseren gewohnten Vorstellungen und Methoden.
XII
Im ganzen freilich darf festgestellt werden, daß das Verständnis für die Tiefenpsychologie und der ernste Wille, ihr das abzunehmen, was sie uns Theologen zu sagen hat, im Wachsen begriffen ist. Das ist dankbar zu begrüßen eben um der Größe des Predigtdienstes willen und als Hilfe zur Reinerhaltung seines Auftrags. Denn dem Evangelium dient alles, was uns tiefer sehen und gründlicher erkennen lehrt. In diesem Sinne möchte die vorliegende Untersuchung dazu helfen, eine junge und noch keineswegs abgeschlossene Wissenschaft für die Arbeit an der Verkündigung fruchtbar zu machen. Warum dieses Buch nach einem Jahrzehnt in unveränderter Wiedergabe des Textes der zweiten Auflage und mit einem Nachtragskapitel erscheint, ist im Anfang des Nachtragskapitels begründet. Berlin-Friedrichshagen im Juni 1960
Otto Haendler
INHALT
I. Kapitel: Einleitung I. Die Lage 1. Die geistige Situation und die Kirche 2. Das homiletische Problem in seiner Beziehung zur Gesamtsituation 3. Die praktische Not der Predigtarbeit II. Die Grundsätze der Untersuchung 1. Das Subjekt des Predigers als Ausgangspunkt und ständiger Orientierungspunkt 2. Der psychologische Charakter der Untersuchung I I I . Die Tiefenpsychologie 1. Psychologie im umfassenden Sinne 2. Die Bedeutung des Unbewußten 3. Die Arbeit der Tiefenpsychologie IV. Die Bedeutung der Tiefenpsychologie für die kirchliche Arbeit 1. Dringlichkeit 2. Möglichkeiten II. Kapitel: Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt I. Das Verhältnis von subjektiven und objektiven Mächten im Werden der Predigt
1 1 1 5 11 15 15 22 29 29 30 32 36 36 38 46 46
1. Die Unmöglichkeit der Ausschaltung des Subjekts 2. Das Ausmaß der Wirkung des Subjekts 3. Die Tiefendimension
46 49 52
II. Die Struktur der Persönlichkeit in ihrer Bedeutung f ü r die Predigt
54
1. Die Schichtung der Persönlichkeit 2. Das Selbst 3. Der Weg zum Selbst in der besonderen Lage des Predigers
54 57 66
III. Das Schicksal des Predigers in seiner Bedeutung f ü r die Arbeit an der Predigt 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Schicksalsfähigkeit und Schicksal Das Amt als Schicksal Theologie und Bekenntnis als Schicksal des Predigers Bildung Pfarrhaus Schicksalemitgift a) Erbmasse und Tradition b) Befangenheit und Zuversicht e) Arbeitsart d) Fluidum
75 75 83 106 122 125 128 128 131 141 144
XIV ΠΙ. Kapitel: Der Weg des Subjektes zum Evangelium und zum Text I. Meditation 1. Verstehen als Begegnung der Ganzheiten Evangelium und Subjekt 2. Die Schichtung der Persönlichkeit in ihrer Bedeutung f ü r die Begegnung mit dem Evangelium 3. Meditation als Weg zum Evangelium a) Bildschicht und bildhaftes Denken b) Meditation als Eingehen in die Bildschicht c) Verhältnis von Meditation und Gebet, Verständnis des Kultus von daher
149 149 149 152 155 155 160 174
II. Die Bedeutung der Meditation f ü r die Predigt 185 1. Die Tiefendimension der geoffenbarten Wahrheit 185 2. Verständnis von Lehre und Dogma aus der Meditation 189 3. Die Wandlung der Schicksalsfähigkeit von der Reformation bis zur Gegenwart 195 4. Heimat- und Fremdgefühl gegenüber dem Evangelium 206 I I I . Evangelium und Text 1. Sachthemen und Texte 2. Textwahl
IV. Kapitel: Gemeinde und Gestaltung I. Prediger und Gemeinde 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Predigtgemeinde Echte Erwartung und unechte Wünsche Fremdgefühl und Heimatgefühl bei der Gemeinde Die konkrete Mannigfaltigkeit der Gemeinde Freiheit vom Urteil der Gemeinde Der Priester
II. Der priesterliche Dienst in den Fragen der Zeit 1. 2. 3. 4.
Bewältigung des Lebens Religion überhaupt Sünde und Gewissen Werk und Stille, Person und Gemeinschaft
V. Kapitel: Die Predigt I. Die unmittelbare Vorarbeit 1. Ansatz und Entschluß 2. Exegese 3. Findung II. Die Gestalt der Predigt 1. 2. 3. 4. 5.
Predigt, nicht Aufsatz Einsatz, nicht Einleitung Entwurf Bilder und Geschichten Fehler in der Gestaltung a) Das Falsche b) Das Negative c) Das Schwache
211 211 221
232 232 232 235 239 242 244 247 250 250 253 257 260
263 263 263 265 267 274 274 276 276 277 279 280 282 283
XV EH. Formen, Schreiben, Aneignen 1. Arbeitszeit 2. Das Manuskript 3. Dae Memorieren 4. Nacht und Morgen
287 287 292 296 297
IV. Der Gottesdienst 1. Altar, Sakristei, Kanzel 2. Sprache und Gesten 3. Wirkung und Rückwirkung 4. Predigt als Lebenswerk
299 299 307 310 315
Schluß 1. Grenzprobleme 2. Das Ziel der Untersuchung VI. Kapitel: Nachtrag zur III. Autlage I. Zur Lage 1. Atomzeitalter 2. Ichverlust a) Verlust an Wertbedürfnis b) Verlust an Verantwortungsgefühl c) Verlust an Erkenntniskraft 3. Atheismus II. Zur Meditation a) Zur Geltung und Bedeutung b) Zur Methode c) Zur Lebensbedeutung und zum Inhalt III. Zur Tiefenpsychologie IV. Homiletisches Seminar V. Nachtrag zum Schlußwort der II. Auflage
320 320 320 322 323 323 327 328 330 332 334 337 337 338 339 342 344 351
Namenregister
353
Sachregister
355
I. Kapitel
Einleitung I. D i e
Lage
1. D i e g e i s t i g e S i t u a t i o n u n d d i e K i r c h e Das R i n g e n u m d i e m e t a p h y s i s c h e F u n d i e r u n g d e s S e i n s ist das entscheidende Anliegen jedes Menschen und j e d e r Zeit, und alle lebendigen Perioden sind d u r c h dieses Ringen bestimmt, solche, in denen es erstorben ist, sind tot. Die Zeiten freilich, und i n n e r h a l b i h r e r die Menschen, sind verschieden schon im normalen Flufi des Geschehens. Einmal beherrscht eine geprägte Gestalt des Glaubensgrundes das Leben, ein anderes Mal w i r d u m diese Gestalt gerungen. Im ersten Falle bietet das Leben bei allem Kampf doch letztlich ein klares und gefestigtes Bild, im zweiten ist es aufgewühlt, oft chaotisch. Schließlich jedoch w e r d e n beide A r t e n des Lebens zusammengehalten d u r c h einen Lebensstrom, in dem Sein und Werden, Gestalt und Gestaltung gleichermaßen u m f a ß t sind. Eines w i r d aus dem anderen, nicht n u r aus dem Wachstum die F r u c h t , sondern auch aus der bestehenden Gestalt das neue Ringen. Die G e g e n w a r t aber bricht aus allen Maßen üblichen Geschehens heraus. Sie ist in beispielloser l i e f e aufgewühlt bis zum G r u n d e . Sie f o r d e r t die letzten K r ä f t e u n d hält doch den Blick im verpflichtenden U m k r e i s des Nächsten fesi, das diese K r ä f t e aufsaugt. Sie r u f t ein tiefes, oft leidenschaftliches Verlangen nach den überzeitlichen, u n w a n d e l b a r e n Wirklichkeiten wach u n d zerschlägt doch grausam viele der Gestalten und Formen, in denen diese bisher sichtbar und w i r k s a m w u r d e n . Sie offenbart Katastrophe und Gericht und zugleich Gnade u n d Ewigkeit, sie ist voll von göttlichen Gewalten u n d zugleich zerrissen von dämonischen Mächten. In diesem entwurzelnden Geschehen sind w i r eigentlich geworfen auf K r a f t u n d Klarheit, Eindeutigkeit und Festigkeit der metaphysischen Schau, wie sie dem chaotischen Sturm der Geschehnisse als t r a g e n d e G e g e n k r a f t entspräche. Aber gerade jetzt leben w i r zugleich in einer Zeit, der die einheitliche und feste Gestalt metaphysischer Lebensquellk r a f t m e h r denn j e versagt ist, u n d w i r d ü r f e n nicht vorgreifen nach dem, was noch nicht da ist, sondern müssen in männlichem Eingehen in das Heute, so ehrlich, so umfassend und so tief es uns möglich ist, die F l u t des Geschehens a u f n e h m e n und das Werdenwollen d u r c h t r a g e n zu neuer Gestalt. 2
H a e n d l e r , Die Predigt
2
Einleitung
Eine j e d e K i r c h e gehört in diesem G a n g der Geschichte zu den jeweils festesten Prägungen, in denen metaphysischer Besitz zum Ausd r u c k kommt. Auch in den Katastrophen w i r k t sich dabei das wechselvolle Kräftespiel aus, das schon im normalen Geschehen O r t u n d Gewicht der lebentragenden Mächte oft unmerklich, aber ständig wandelt. In den Zeiten nämlich, die aus gefestigter u n d Gestalt gewordener W a h r h e i t leben, ist die Kirche im wesentlichen unumstritten, das Leben vollzieht sich in ihren Formen und speist sich aus i h r e r W a h r h e i t . Setzt d a n n die Zeit des Ringens ein, so ragt die Kirche einerseits als ü b e r k o m m e n e feste Gestalt der Vergangenheit in die G e g e n w a r t hinein, andererseits wird auch sie hineingerissen in die Auflösung der F o r m e n u n d in das leidenschaftliche Suchen nach der neuen Gestalt. Sie erscheint daher dem einen als das Vergangene, das man, oft in heftiger Abwendung, fallen läfit, dem anderen als der Hort u n d T r ä g e r der Z u k u n f t s k r a f t , auf den man alle Glut des Hoffens und E r w a r t e n s richtet. Dazwischen spielen alle Schattierungen von Haß und Liebe, von Gleichgültigkeit und Wohlwollen. Tatsächlich unentbehrlich u n d unersetzlich ist die Kirche deshalb, weil und soweit sie die W a h r h e i t hat in der vollen Tiefe der O f f e n b a r u n g und in ausgeprägter und g r e i f b a r e r Gestalt. I h r Schicksal hängt, innerlich gesehen, davon ab, ob genug E r k e n n e n d e in i h r sind, die, nicht v e r h a f t e t an zeitgebundene Formen, doch getragen von der bleibenden W a h r h e i t , ganz im Geschehen der Zeit u n d ganz in der überzeitlichen W a h r h e i t stehen, ebenso fest v e r b u n d e n dem Sturm der geschichtlichen Situation wie der Klarheit metaphysischer Wirklichkeit. Die Kirche muli f ä h i g sein, das echte Anliegen zu erkennen, das im Ringen um neue Gestalt sich Ausdruck schafft. Sie soll weit und tief genug sein, auch in der Feindschaft noch die echte F r a g e und in der verzerrten F o r m der B e k ä m p f u n g das positive Anliegen zu finden. Sie soll sich als Kirche darin b e w ä h r e n , daß sie nicht n u r f ü r die bereit ist, die dennoch zu ihr kommen, sondern auch den Widersprechenden hilft, ihre eigentliche F r a g e zu finden u n d den Weg der befreienden W a h r h e i t zu beschreiten. Sie ist H ü t e r i n des Hortes und Helferin aller, die irgend um W a h r h e i t ringen. Sie muß f ü r j e d e mögliche und unmögliche Art, in d e r an sie herangegangen w i r d oder in der ihre Sache gemeint ist, bereit sein u n d Wege ebnen können. So soll sie d u r c h ihr W i r k e n ein gesehener und beachteter F a k t o r im Ringen der Gesamtheit werden. Die entscheidende F r a g e in dem Ringen um die metaphysische F u n dierung des Seins ist die Frage, inwieweit diese Daseinsgründung k l a r und eindeutig ü b e r den säkularen Umkreis hinaus auf metaphysische Gegebenheiten sich ausweitet und in welcher K r a f t und Klarheit diese meiaphysischen W a h r h e i t e n Gestalt finden und t r a g k r ä f t i g werden. Die G e g e n w a r t e r f ä h r t aber d u r c h die Wucht des Geschehens besonders eindringlich und besonders tief u n d schwer einen A u f r u f zu n e u e r Besinnung auf das Wesen des Menschen u n d seine kosmische Situation. Sein Ursein vor der entschleierten Wirklichkeit ist a u f g e r u f e n , sich neu zu finden, seine Beziehung zü dieser Wirklichkeit neu zu ordnen, vielfach neu zu gewinnen. Und die Existenzfrage dieses Ringens ist die ob d e r
Kirche als Hort der Wahrheit
3
Mensch in der sich offenbarenden göttlichen Gewalt und dämonischen F u r c h t b a r k e i t des Seins die Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes findet, die ihm eine echte Gestalt seines Lebens f ü r G e g e n w a r t und Z u k u n f t ermöglicht. Die Kirche ist in diesem Ringen S a c h w a l t e r d e r m e t a p h y s i s c h e n B e z i e h u n g des Menschen der Gegenwart. Sie soll die Bewältigung des Lebens aus der K r a f t Gottes und die G e staltung der Z u k u n f t vor der Wirklichkeit Gottes ermöglichen helfen. Kampf u m das Wesen erweist manches als jetzt n u r noch Schale, was in Zeiten des Habens und der festen Gestalt unbeanstandet mit dem Kern v e r b u n d e n gewesen w a r und ihm unmißverständlichen, u n m i t t e l b a r lebendigen A u s d r u c k gegeben hatte. Gestalten der Wahrheit, die als einzig mögliche Gestalten angesehen w u r d e n , haben plötzlich n u r noch f ü r eine Minderheit Geltung u n d Mittelskraft, w ä h r e n d sie den anderen farblos geworden sind. Man meint dann weithin, es k ä m p f e einfach das Heute gegen das Gestern, und die V o r k ä m p f e r des „Neuen" f ü h l e n sich als die Fortgeschrittenen, die T r ä g e r des „Alten" w e r d e n in den Verdacht der Rückständigkeit gerückt. Aber in W a h r h e i t geht es nicht um ein Gegeneinander von Gestern und Heute, sondern die Z u k u n f t s k r a f t einer AVahrheit w i r d e r p r o b t im Wandel i h r e r Gestalten. D e n n eine W a h r h e i t ist nicht von gestern, weil sie im Gestern in gestriger Gestalt w i r k s a m war, und w e n n diese Gestalt noch vielen, die andern deshalb als Gestrige erscheinen, als die eigentlich z u t r e f f e n d e gilt. W a h r h e i t findet i h r e Gestalten langsam, u m so langsamer, j e größer und überzeitlicher sie ist. Aber wenn sie W a h r h e i t ist, so w i r d und muß sie ihre neue Gestalt finden u n d in ihr, im Wesen u n v e r k ü r z t , f ü r heut und morgen sich als u n e n t b e h r lich erweisen. Das Problem der Kirche ist dementsprechend nicht das Problem i h r e r F o r m (der gestrigen u n d heutigen Gestalt), sondern das i h r e r W a h r h e i t (ob diese zeitgebunden oder überzeitlich ist). Auch sehr „neuzeitliche" Menschen sind bereit, eine „alte" F o r m ohne H e m m u n g zu b e j a h e n , w e n n die in ihr sich o f f e n b a r e n d e K r a f t als K r a f t von he\ite e r f a h r e n w i r d u n d die F o r m selbst ihnen zugänglich wird. Freilich sind sie dann mit Recht j e e r n s t h a f t e r um so unerbittlicher gegen j e d e Gestalt, in der keine gegenwärtige W a h r h e i t sich vollkräftig auswirkt. .Wiederum, so gewiß es um die W a h r h e i t geht, muß sie doch zu j e d e r Zeit ihre entsprechende Gestalt finden. Jede Zeit hat ein R e c h t a u f d i e i h r z u g ä n g l i c h e G e s t a l t d e r W a h r h e i t u n d die Kirche jederzeit die Pflicht, diese im eigentlichen „zeit-gemäße" Gestalt zu finden. So gewiß daher in d e r Kirche manches, was gestern war, auch heute sein kann, darf die Kirche im ganzen doch nicht den E i n d r u c k einer Anstalt „von gestern" machen. Wir leben in u n s e r e r geistesgeschichtlichen Stunde mit i h r e r Eigenart. W i r haben die V e r k ü n d i g u n g so zu gestalten, daß sie in dieser Stunde steht u n d nicht überspringt in vergangene geistesgeschichtliche Situationen. u m mit deren Mitteln und Wegen vor die G e g e n w a r t zu treten. D i e Predigt d e r überzeitlichen W a h r h e i t d e r O f f e n b a r u n g darf den Menschen von h e u t e nicht ü b e r das Gestern erreichen wollen, sie muß in d i r e k t e r 2»
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Einleitung·
Begegnung mit dem Heute die ungefälschte, ungefärbte und ganze Offenbarung suchen und so die Wege und den Ton der Verkündigung finden. Die Kirche kämpft deshalb, indem sie für die Wahrheit Gottes einsteht, zugleich um den Eindruck, den sie selbst macht, weil sie mit diesem Eindruck um die Wahrheit kämpft. Gestalt und Wirkung der Kirche müssen sichtbar erweisen, dafi es in der Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes, wie die Kirche sie ermöglicht, um das Heut und Morgen geht. Der Verdacht muß an der Gestalt der Kirche sich auflösen, dafi sie insgeheim die Vergangenheit zu konservieren suche. Kräfte der Vergangenheit sollen fruchtbar werden, soweit sie der Gegenwart Hilfe und Heilung bieten können. Und alle noch nicht geweckten Kräfte der Gegenwart und Zukunft sollen erschlossen werden 1 . Alle Stadien der Geistesgeschichte aber und alle Stadien der Kirchengeschichte wirken sich weiterhin in der Gegenwart aus und bleiben für sie fruchtbar. Und zugleich ist das ganze Gefüge in seinen Grundfesten erschüttert durch das notvolle neue Ringen um die Grundlagen des Seins überhaupt. D i e s e Schicksalsstunde ist nicht erst durch Krieg und Zusammenbruch heraufgeführt. Es wird hierbei auch keineswegs nur von Seiten der Kirche eine Gefahr gesehen, als wäre sie nur für Christentum lind Kirche da. Vielmehr ist die geistige Situation als ganze seit langem in Gärung und tief gefährdet, und aus der nichtkirchlichen, geschweige denn theologischen, Welt kommt der Hinweis, nicht auf die akute äußere Katastrophe, sondern auf die gefahrvolle Auswirkung eines langen Wandlungsprozesses schon vor einem Jahrzehnt bezogen: „in welcher bis ins Letzte erschütternden Weltwende der Heutige steht, der aus dem logozentrisch-christlich-mittelalterlichen Mandala heraustritt-, welche gefahrvolle Fahrt er macht" 2 . Diese Menschen „am Rande" sind für die Kirche nicht bedeutungslos, sondern vielmehr ein entscheidender Faktor hinsichtlich der Möglichkeiten, die die Kirche unserer Zeit zu -einer neuen und echten Begegnung mit dem Christentum eröffnen kann. Das erfordert aber eine wirkliche Begegnung der Menschen der Kirche mit diesen. Und dadurch wiederum wird die Kirche aufgerufen, aus einst gewohnter Bahn der eingleisigen Verfolgung eines scheinbar selbstverständlich vorgeschriebenen inneren Weges herauszutreten. Wir sind in der evangeli1 Wilhelm Maurer wendet diesen Grundsatz, das Vergangene fruchtbar zu machen, auf die Vielgestalt der ev. Kirchen an mit der berechtigten Forderung, da& es unsere Aufgabe sei, das geschichtliche Erbe, seinen Reichtum, aber auch seine Last, so zu verwalten, „dafi b e i d e s , Reichtum u η d L a s t , uns zum Segen werden können" Das ist der innerkirchliche Aufgabenkreis neben dem von uns zunächst gemeinten Aufgabenkreis der Kirche im Gesamtleben; beide ergänzen einander. Cf. Wilhelm Maurer, Ende des Landeskirchentums? Kassel 1947 (Sperrungen von uns). Der metaphysische Maßstab, der in all solchem Bemühen waltet, ist treffend ausgedrückt in der Doppelwendung: „Das Christentum ist die Erfüllung aller Volks·· Gesetzlichkeiten. Das erfährt das Volk, soweit es zur Christenheit gehört. Aber es ist auch das Gericht über alle Volkseigentümlichkeiten". (Ο. H. v. d. Gablentz, „Christenheit und Kirche", Deutsche Rundschau 1947, H. 2, S. 116.)
2 G. R. Heyer, im Eranos-Jahrbuch 1938; S. 458, s.a. hierunter S. 185 / 6
Menschen am Rande
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sehen Kirche der Heimat jetzt in einer ähnlichen Lage, wie sie vor einigen J a h r z e h n t e n die der Mission w a r , als sie erkannte, dafi a n d e r e Völker nicht die abendländische Gestalt des Christentums sich a u f p f r o p f e n lassen können, sondern d a ß bei ihnen Kirchen eigener Gestalt wachsen. Die Kirche des Abendlandes hat, keineswegs aus allen J a h r h u n d e r t e n , aber um so harmloser aus den „guten" Zeiten, ein Weltbild übernommen, das von einer letzten E r s c h ü t t e r u n g eigentlich nicht wußte. Sie muß „der G e g e n w a r t " im A u f n e h m e n der Situation u n d in i h r e r Antwort gerecht werden, — u n d sie hat eine Verheißung darin. Zugleich hat die Kirche i h r e . Gestalt bislang aus einer Zeit empfangen, die ganz im R a u m des Christentums lebte. Sie muß sich anschicken, eine G e s t a l t z u e r a r beiten, die der g e g e n w ä r t i g e n Lage auch insofern g e r e c h t w i r d , als F r a g e n d e und Suchende aus einer andern Welt h e r a n k o m m e n und in bisher nicht dagewesenem Zweifeln und E r w a r t e n dem Christentum, obwohl es ihre alte Heimat ist, neu begegnen. Dietrich Bonhoeffer hat es als die E r f a h r u n g seines Lebens bezeichnet, daß m a n „erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben l e r n t " Und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge u n d Mißerfolge, E r f a h r u n g e n und Ratlosigkeiten leben . . ." (Ev. Theologie 1946, S. 3.) Hier hat ein tief im Evangelium w u r z e l n d e r Mann und Zeuge seines Glaubens vom G l a u b e n her die „Welt" e r f a ß t : w i r müssen die Ratlosigkeit, die Dringlichkeit des F r a g e n s d e r e r verstehen, die ohne festen G l a u b e n die Welt erfassen, weil sie von ihr e r f a ß t sind, und in Liebe und W a h r h e i t e r a h n e n lernen, wie f e r n sie unserer Sprache, unserem D e n k e n oft sind, wie „central" im eigentlichen Sinne die A u f g a b e der „ E r n e u e r u n g " der Kirche ist. Die Kirche muß u m d e r V e r k ü n d i g u n g w i l l e n u n d im D i e n s t e d e r W a h r h e i t zu n e u e r G e s t a l t bereit sein, u n d gerade diese Bereitschaft ist echter A u s d r u c k evangelischer Haltung. „Der echte Protestantismus k a n n . . . kein Prog r a m m bedeuten 3 ." 2. D a s h o m i l e t i s c h e P r o b l e m in s e i n e r B e z i e h u n g zur Gesamtsituation
Die zu j e einer Zeit wichtigen Probleme kirchlichen Geschehens erscheinen auf jedem Gebiet kirchlichen Wirkens in entsprechend abgewandelter Gestalt. Deshalb k a n n kein Spezialgebiet behandelt werden, ohne daß die Gesamtprobleme f o r t l a u f e n d hineinspieien. Entsprechend ist jede Spezialuntersuchung, abgesehen von ihrem besonderen T h e m a und mit ihm, zugleich beispielhaft f ü r die Gesamtsituation. In diesem Sinne stehen w i r hier mit der Untersuchung ü b e r die Arbeit an der P r e d i g t u n u n t e r b r o c h e n in d e r e zentralen P r o b l e m a t i k der Kirche, damit aber in den Zentralfragen des Seins ü b e r h a u p t . Eine Spezialarbeit ist um so berechtigter, j e deutlicher sie sich als in das Ganze verflochten erweist, ihre Bedeutung um so umfassender, j e mehr sie im Urgegebenen und nicht erst im Spezialthema ansetzt. D e n n 3 Eberhard Grisebach, Gegenwart. Halle 1928, S. 126.
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Einleitung
das Gewicht einer Sache tritt erst dann voll ins Licht, wenn die anderen daneben nicht vergessen werden. Isolierung und isolierte Überbetonung eines bestimmten Anliegens ist auch dann, wenn dieses hervorragende Bedeutung hat, illegitime Inthronisation. Das Gewicht dieses Anliegens wird dadurch in Wahrheit nicht gehoben, sondern gemindert, weil es in den fließenden Wechsel des Lebens nicht eingeordnet bleibt. Das Leben ist aber ein Ganzes, und jeder Teil wird auch in sich selbst erst gerundet in seiner Beziehung zu allen anderen Teilen, j e d e r T e i l w i r d e r s t vom G a n z e n des S e i n s aus w i r k l i c h erfaßt. Das gilt von Christentum, Kirche und Theologie gegenüber der Ganzheit des Lebens, und es gilt von jeder theologischen Disziplin gegenüber den anderen und gegenüber dem Leben als Ganzem. Wenn hier nun vom homiletischen Problem gehandelt wird, so geschieht das dementsprechend in doppelter Zielsetzung. Es geht einerseits um das Problem der Predigt als solches in seiner eigentümlichen Art und Bedeutting, andererseits ist die Homiletik zugleich der Spezialfall, an dem entscheidende Probleme der Zeit grundsätzliche Beleuchtung finden, und an dem die Ursituation des Menschen ins Licht tritt. Wir haben also in der Wandlung der Predigt wie in der Neuformung jeden kirchlichen Gebietes das Mögliche zu tun, um die Tore zu der im Christentum gegebenen Wahrheit neu zu öffnen. Der Prediger ist wirklich „Symbol der unsere Gegenwart .betreffenden' Aktualität des Wortes Gottes" 4 , und in der Predigt muß wirklich im umfassendsten Sinne „die ganze Fülle des E\angeliums für unsern Erlebnisraum überschaubar gemacht werden' - und „das Evangelium dem Menschen der Gegenwart als Antwort auf . . . . seine Fragen verständlich werden. . . . Er muß sich hier völlig ernstgenommen fühlen" 3 . In einer Zeit wie der gegenwärtigen ist Verkündigung nur dann vollgültig, wenn sie bei keinem Zweiten stehen bleibt, vielmehr in allem Zweiten (Kirche, Bekenntnis usw.) die Urkraft des Evangeliums zum Leuchten und Wirken bringt. Denn die Zeit fragt, j e mehr sie sich selbst versteht, um so mehr nach dieser Urkraft und ist reserviert gegen alles Zweite. Ganz durchgreifend k ö n n t e nur das Maß von Urkraft wirken, das imstande wäre, eine neue Gestalt der Kirche so hinzustellen, daß man auf sie schauen m ü ß t e , und daß die Frage nach echtem Christenglauben bei aller menschlichen Schwäche solcher Gestalt sich doch an ihr orientieren könnte. In jedem Falle hat Althaus auch in der veränderten heutigen Situation noch recht: „Ich streite ab, daß es an sich eine Predigtmüdigkeit der Gemeinden gibt. Sie warten vielmehr auf eine Predigt in neuen Zungen, aus neuer Geistesmacht. Sie sind vielleicht unserer Predigt müde geworden, aber nicht der Predigt" 6 . Man hört Predigten in gewissen Kreisen, 4
S. 18.
Paul Althaus, Das Wesen des evangelischen Gottesdienstes. Gütersloh 1926,
5 Alfred Dedo Müller, Ethik. Berlin Töpelmann 1937, S. 17 u. 18. e Paul Althaus, a. a. O. S. 21/22.
Die Urkraft des Evangeliums in der Zeit
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m a n hört sie in viel weiteren nicht. In beiden gelten sie als der eigentliche A u s d r u c k dessen, was die K i r c h e zu bieten hat. In j e n e n ersten e r w a r t e t man bestenfalls nicht viel m e h r als etwa „Stärkung", in diesen zweiten nichts. Will die Predigt diese weithin freundliche, aber immer tödliche Geringachtung in der Öffentlichkeit durchbrechen, so mufi sie das G r u n d legende und Wesentliche, das sie zum Dasein, zum Selbstverständnis des Menschen und zum Weltverständnis zu sagen hat, so sagen, daß es als wesentlich e r k a n n t und angenommen w e r d e n kann. Sie muß jedem, der e r n s t h a f t seinen O r t im Leben sucht, Entscheidendes dazu sagen können, weil sie in gültiger und überzeugender Gestalt eine Wirklichkeit im.Dasein realisiert, die n u r im geistigen R a u m christlicher W a h r h e i t u n d n i r g e n d s o n s t empfangen werden kann. Diese Stellung w i r d nicht d u r c h grundsätzlichen Anspruch gewonnen, sondern durch k o n k r e t e Leistung. Die Predigt w i r k t in dem Maße an der Gestaltung des Lebens mit, in dem sie es in sich einbezieht und mit ihrer Verkündigung in es hineingeht. Sie w i r d in dem Maße als F a k t o r des Geschehens gewertet, in dem sie nicht n u r der Absicht nach und mit gutem Willen, sondern mit Können und in Vollmacht d i e W i r k l i c h k e i t d e s L e b e n s v o n d e r W i r k l i c h k e i t G o t t e s h e r d u r c h l e u c h t e t u n d auf die konk r e t e n und belangvollen F r a g e n i h r e r Zeit helfende u n d gültige A n t w o r t hat. Diese A n t w o r t darf nicht n u r in der Ebene des Ratschlags oder der F o r d e r u n g bleiben, sie muß in den T i e f e n r a u m d e r j e n i g e n Wirklichkeiten hineinführen, die im Christentum zugänglich werden. Soweit die Predigt das versäumt, schaltet sie sich auch bei allseitiger A n e r k e n n u n g aus, soweit sie es tut, schaltet sie sich auch bei weitgehender Geringschätzung ein. Die Erschütterung des Umbruchs hat uns weithin die W a h r h e i t der O f f e n b a r u n g in neuer Tiefe und K r a f t e r k e n n e n lehren, u n d so könnte das maßlose Leid eine f r u c h t b a r e Verbindung finden mit der theologischen E r n e u e r u n g , die die Arbeit der letzten Generationen uns brachte,und die so oft bezweifelte Wirklichkeitsnähe der Theologie, die sie ihrem Wesen nach hat, könnte sich eindrucksvoll erweisen. Nicht ohne E i n w i r k u n g auf die V e r k ü n d i g u n g ist freilich neben der Theologie auch die Situation der Kirche, u n d hier sind w i r zur Zeit in j e d e r Hinsicht auf dem Wege, im Τ asten und Suchen, im Bemühen um einen Neubau, bei dem n u r alles darauf ankommt, daß er dem Wesen der Kirche entspricht u n d i h r e innere „Gestalt" zur Geltung bringt. I n n e r h a l b dieser beiden Werdekreise, dem der Theologie und dem der Kirche, beiden vielfältig verwoben, hat die Predigt alle ihre Probleme neu zu verarbeiten, u n d wie sie f ü r ihren Dienst die Wege findet, die der G e g e n w a r t mit der ewigen W a h r h e i t dienen, w i r d weithin zugleich das Schicksal der Theologie u n d das der Kirche mitbestimmen. Auch hier können w i r nicht im Voraus wissen, ob wir in absehbarer Zeit eine feste neue Gestalt der Verkündigung finden werden. Wagendes Ringen um sie, auch mit manchem Fehlschlag, ist aber jedenfalls besser als t r ä g e oder ahnungslose oder entmutigende Weiterf ü h r u n g alter P r a k t i k e n , deren Unzulänglichkeit m a n doch spürt. Von entscheidender Bedeutung aber ist auf jeden Fall, daß die Kirche in dem S c h i c k s a l s s t a d i u m t i e f g r e i f e n d e r W a n d l u n g m i t
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Einleitung·
i n t e n s i v s t e r V e r t i e f u n g in das E v a n g e l i u m z u g l e i c h ganz und gar und e b e n s o i n t e n s i v „in der Z e i t " s t e h t und n i c h t v o r e i l i g m e i n t , mit g e o f f e n b a r t e r W a h r h e i t d e s R i n g e n s e n t h o b e n zu s e i n u n d e n t h e b e n zu können. Wahrheit verkündigen, heifit der Zeit voraus sein, aber nicht ihr vorauseilen, sondern sie tiefer erfassen, als sie selbst es kann und darum mit darin stehen in ihrer Unfertigkeit und Not. Die kirchliche Verkündigung ist in der Gesamtstruktur dieser Lage in gleicher Situation mit allen wesentlichen Gebieten des Lebens, auf denen weithin dieselben Erscheinungen sich bemerkbar machen. Ohne Krisen und Kämpfe geht es nirgends ab, und die Erscheinungen dieses Stadiums sind so verwandt, dafi Erkenntnisse auf dem einen Gebiet entsprechend auf ein anderes angewendet werden können. In bezug auf das heute zentrale Gebiet der Neuordnung der Beziehung der Geschlechter wird von kundiger Seite zu dieser Situation gesagt: „In den Krisen und Kämpfen der einzelnen Ehen wird der große Kampf ausgetragen um ein neues Verhältnis zwischen Mann und Frau" und „wir sind die Versuchskaninchen, an denen die neue Zeit ausprobiert wird" 7 . So können wir hier sagen: an den Predigten und Predigern der Gegenwart wird die neue Zeit der Predigt hinsichtlich ihrer Begegnung mit dem Menschen von heute und morgen erprobt. Die K ä m p f e u n d S c h m e r z e n d e r P r e d i g t a r b e i t haben wir dementsprechend zu werten. Sie gehen über das Persönliche hinaus. In ihnen will das neue Verhältnis des Menschen der Gegenwart zum Christentuni ebenso seine Gestaltung finden wie das Wesen des Pfarramts und die Art der Predigt. Darum haben alle Unsicherheiten, Fragen und Schmerzen, mit denen die Predigtarbeit gerade bei gewissenhafter Hingabe heute vielfach belastet ist, einen übersubjektiven Hintergrund, der sie als unumgänglich verständlich macht, ihnen Sinn gibt und sie als Zeichen eines werdenden Neuen erkennbar macht. Sie sind Krankheit als „Mittel und Angelhaken der Erkenntnis". Zugleich gewinnen diese Schmerzen damit für die Homiletik sachliche Bedeutung. Sie sind nicht nur, und oft überhaupt nicht, als Folge persönlicher Unzulänglichkeit des Predigers zu werten, sondern als Symptom der Lage. Es taucht die Möglichkeit auf, die weiterhin auszuwerten sein wird, dafi sie h e u r i s t i s c h e s P r i n z i p für wichtige homelitische Erkenntnisse werden könnten, Sie zeigen, wie tief die homelitische Situation in die Gesamtlage der Zeit verwoben ist. Es mutet demgegenüber wie ein Museumsstück an, wenn ein so geistestiefer Mann wie P a l m e r in seiner Pastoraltheologie 1860 (1863 II) Probleme, die heute beherrschend sind, noch in einem Einzelkapitel behandeln konnte, das 11 Seiten iimfaßt und betitelt ist „Der Verkehr des Pastors mit Freigeistern". Wie unheimlich wird hier eine als ganz fremd anmutende Welt empfunden! Wer so schreibt, steht noch unangefochten mit beiden Füßen im eigenen Lager, und das andere ist ihm das Fremde. Daß nach der Goethezeit so etwas möglich war, ist nicht ein durch die Bedeutung Palmers gerecht' Hnns v. Hatting-berg, Uber die Liebe. München 1939. S. 180.
In beiden Lagern zu Hause
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fertigtes In-sich-selbst-ruhen der Kirche, sondern ein trotz seiner Bedeutung ernstes Signal d a f ü r , wie schwer die Kirche i h r e Beziehung zur „Welt" verfehlen k a n n . Sie hat h a r t genug d a f ü r gebüßt. Und sie soll an dem Versäumten gründlichst l e r n e n : D e r heutige P r e d i g e r darf n u r so mit beiden F ü ß e n in „seinem" Lager stehen, daß er durch das andere hindurchgegangen ist. Ja, er muß in einem sehr tiefen (noch klarzulegenden) Sinne bleibend in beiden Lagern zu Hause sein (vgl. II. K a p . II. 2.), K i r c h e u n d W e l t g l e i c h e r m a ß e n i n s i c h t r a g e n u n d a u s b e i d e n h e r a u s f r a g e n , w e n n er der G e g e n w a r t von der W a h r h e i t Gottes h e r einen Heimatboden verkündigen will, auf dem sie wirklich und g e g e n w a r t s k r ä f t i g anbauen kann. Dazu ist eine Gewissenhaftigkeit erforderlich, die nach keiner Seite hin v e r k ü r z t werden kann. Die Homiletik hat zwar immer gewußt, daß sie das Evangelium nicht v e r r a t e n darf. H e u t e aber tritt mit neuem Gewicht die F o r d e r u n g daneben, d a ß a u c h d i e Z e i t n i c h t v e r raten werden darf. Zeit ist nicht Zeiterscheinung, sondern das Wesen, das hinter den Zeiterscheinungen liegt. Wesen in diesem Sinne ist Fusion eines Ewigen mit einem „Gegenwärtigen", das den tiefsten u n d eigentlichsten C h a r a k t e r der Zeit ausdrückt, das, was sie eigentlich meint. Zeiterscheinungen dagegen sind n u r die O b e r f l ä c h e der Zeit, sooft sie auch fälschlich f ü r ihr Wesen gehalten w e r d e n mögen. Wer ganz in der O f f e n b a r u n g u n d zugleich ganz in der Zeit stünde, stellte die ideale Gestalt des christlichen V e r k ü n d e r s dar. Hinter dem Ideal bleiben wir alle weit zurück. Wir können uns ihm aber nicht d a d u r c h nähern, daß wir eine Seite der Sache auf Kosten der anderen betreiben W i r können also einerseits nicht der Zeit gerecht w e r d e n wollen, indem wir der O f f e n b a r u n g etwas von ihrem Gehalt abmarkten. Die auf dieser Linie liegende G e f a h r war der Kirche aller Zeiten überwiegend b e w u ß t und hat j e w e i l s nach den Krisen zu e n t s p r e c h e n d e n K ä m p f e n gegen die V e r k ü r z u n g der O f f e n b a r u n g g e f ü h r t . W i r können aber andererseits uns auch nicht auf die O f f e n b a r u n g zurückziehen und d a f ü r der F o r d e r u n g der Zeit weniger gerecht werden. Diese G e f a h r ist in der Kirche nicht in gleichem Maße e r k a n n t , obwohl sie ebenso wie die erste zur Wirklichkeit geworden ist. Und doch ist auch sie abgründig und taucht als Rückschlag der Verweltlichung heute von neuem auf. In der praktischen A u s w i r k u n g sind i h r e v e r h e e r e n d e n Folgen nicht geringer, weil V e r r a t d e r Z e i t e c h t e V e r k ü n d i g u n g e b e n so u n m ö g l i c h m a c h t w i e V e r r a t d e s E v a n g e l i u m s 8 . 8 Wie komplex dieses Problem ist, zeigt etwa der beachtliche Hinweis Thurneysens fiir das seelsorgerliche Gespräch mit einem Goethekenner: „Aber nun sind wir Glieder der Gemeinde* vielleicht sogar T h e o l o g e n , und wie wollten wir uns dessen nicht bewußt sein, daß wir als solche in diesem Gespräch etwas zu halten und zu hüten haben? . . . daß wir e t w a s v e r r a t e n könnten? Aber . , . „unter Umständen könnte der V e r r a t a u c h d a r i n bestehen, daß wir „Perlen vor die Säue werfen". (Sperrungen von uns.) (Ed. Thurneysen, Die Lehre von der Seelsorge, 1946, S. 114.) Es geht also weder um gebundenes Stets-Bekennen, noch um das ebenso
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Einleitung
Als Verkünder der überzeitlichen Wahrheit sind wir unausweichlich zugleich Kinder der Zeit. Überall, wo diese tiefe, oft schmerzhafte Doppelheit unseres Seins verkannt wird, ist der Prediger gehindert, in der Zeit aus der Zeit zu verkündigen. Das feine Empfinden der Hörer aus der Zeit spürt ihm seine Schwäche ab. Der zaghafte Typ dieser Art, der der Zeit etwa Konzessionen macht, ist leicht entlarvt und wird schonend verurteilt, obwohl nicht immer nur Mangel an Mut, sondern oft auch eine wirkliche innere Unsicherheit der Grund ist. Der aktive Typ, der die Zeit furchtlos kritisiert, macht Eindlruck, aber dieser Mut allein ist nicht genug. Nach der einen Seite hin kann er zur Sensationslust werden, und er ist das oft geworden und hat dadurch dem Gottesdienst den Charakter der Anbetung genommen. Wenn der. Prediger so spricht, dafi die Hörer um ihn in Angst sind, so ist das bei aller unumwunden anzuerkennenden Tapferkeit doch ein homiletisches und — umfassender und schwerer wiegend — kultisches Problem. Nach der anderen Seite hin kann die unanfechtbare Position des Evangeliums im feinsten Sinne von der unantastbaren Wahrheit zum unangreifbaren Rückzugsposten herabgemindert werden. Und das ist um so gefährlicher, als die an sich schon vorhandene Neigung der Hörer bestärkt wird, auch ihrerseits sich auf das Evangelium zurückzuziehen und von ihm aus die Welt nur zu kritisieren, statt mit ihm das Leben zu durchdringen und nach Möglichkeit umzugestalten. Für solche Hörer und für solche Prediger ist dann die Kritik an der Zeit letztlich nur Abwehr einer abgelehnten, aber im Grunde nicht durchdrungenen und durchschauten Macht, und darum geschieht diese Kritik nicht in Vollmacht vom Evangelium her, darum weiter auch nicht in der Uberzeugungs- und Wandlungskraft, die sie eigentlich haben müßte. Denn der Prediger geht auf diese Weise in die Haltung der anderen nur scheinbar und uneigentlich ein, er spürt ihre Zwangsläufigkeit nicht am eigenen Leibe. Und so wird diese „Welt", gerade indem er sich ihr entzieht, ihm zur Dämonie. Und er hat ihr gegenüber nicht die Kraft des Siegers, sondern nur die Kräfte des Kritikers. Katastrophenzeiten ziehen aber nicht nur alles in die Erschütterung hinein, sondern die höheren Werte werden oft in dieser Erschütterung zugleich gefestigt. Gegenwärtig hat sich den Einen aus der Not ein ratloses, fernes Nein zum Christentum ergeben, den anderen ein neues, tieferes Ja. Beide aber sind durch die Erschütterung hindurchgegangen, beide haben, menschlich gesehen, den Boden unter den Füßen verloren, beide suchen den neuen Grund, auf den sie bauen können, wie sie es bisher nicht taten. Beide warten, hier unter dem Schein des sicheren Stehens, dort unter der Decke von Feindschaft oder Mißverstehen, im Grunde leidenschaftlich auf eine Verkündigung, die ihnen den Zugang zur göttlichen Wahrheit ermöglicht, ohne daß sie dabei das unheimliche Gefühl haben müßten, den Boden unter den Füßen zu verlieren. So sind gebundene „Weltmenschentum", in dessen überraschendem Eindruck und ban nendem Reflex der flache „Theologe" liberaler Vergangenheit sich sonnt, sondern um viel Tieferes, das Selbst vor Gott. (Cf. II Kap. II.)
Kritik in Vollmacht
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F r e u n d e u n d G e g n e r in e i n e r t i e f e r e n S c h i c h t v e r b u n d e n . Auf Seiten der Predigt mufi diese Verbundenheit sich darin auswirken, dafl w i r nicht n u r die F r a g e n der „Welt" zu „verstehen" und zu „ b e a n t w o r t e n " suchen, sie auch nicht n u r „zu unseren eigenen F r a g e n machen" — in beiden Fällen bleiben wir doch n u r auf „unserer" Seite. Sondern w i r müssen unsere Situation in der Welt so u r g r ü n d i g ernst nehmen, dafi ihre F r a g e n unsere F r a g e n s i n d und w i r sie a l s d i e u n s e r e n erleben u n d durchringen. Hierzu Wege zu weisen wird eine d e r wichtigsten A u f g a b e n einer gegenwärtigen homiletischen Besinn u n g sein. Gegen ein Verfallen an die Zeit hilft gerade das unbedingte Eingehen in sie, da sie diesem sich in i h r e r Bedingtheit offenbart. Und w e r die Infragestellung des Evangeliums nicht n u r von außen her betrachtet und beurteilt, der erst k a n n w a h r h a f t e r f a h r e n , wie die gesamte „Welt"wirklichkeit d u r c h das Evangelium in F r a g e gestellt und neu bestätigtwird. Dafl wir Kinder unserer Zeit sind, ist unsere schwerste Anfechtung und zugleich Hilfe zu i h r e r Überwindung. 3. D i e p r a k t i s c h e N o t d e r
Predig-tarbeit
Die Schwierigkeit der gegenwärtigen Lage in der Predigtarbeit kann a b e r nicht n u r grundsätzlich e r ö r t e r t werden. Denn sie w i r d k o n k r e t in einem Tatbestand, der zwar überall b e k a n n t u n d a n e r k a n n t ist, und auch weithin ernstgenommen wird, der aber trotzdem bisher nicht zu dem Versuch g e f ü h r t hat, d u r c h eine grundsätzlich von ihm ausgehende Erö r t e r u n g ihm gerecht zu werden. Dieser Tatbestand ist d i e p r a k t i s c h e N o t d e s P r e d i g e r s , besonders des j u n g e n Predigers — doch beim geübten oft n u r verdeckt, nicht behoben! — in die ihn seine große, menschliche K r ä f t e übersteigende A u f g a b e stürzt. Die Not des Nichtkönnens ist in der neueren Theologie in ihrem eigentlichen Wesen e r k a n n t und vielfach herausgehoben worden in systematischen und praktisch-theologischen Arbeiten. Die gemeinsame Erkenntnis all' dieser Arbeiten ist die, daß die Not der Verkündigung nicht in menschlicher Unzulänglichkeit ihre eigentliche Wurzel hat, sond e r n metaphysisch b e g r ü n d e t und also wesenhaft mit Größe u n d Last des Amtes v e r b u n d e n ist. D i e p r a k t i s c h - t h e o l o g i s c h e L i t e r a t u r aber hat gerade in ihrem homiletischen Zweig sich noch nicht intensiv genug und vor allem nicht grundsätzlich genug um die ganz k o n k r e t e Not der Arbeit bemüht. Sie weiß um die Unzulänglichkeit des Predigers als Sünder, auch um das Ziel und die Aufgabe, aber sie geht nicht helfend ein auf die beschämende und hilflos machende Not des Nichtkönnens mit seinem Verzagen u n d Versagen. In den älteren Homiletiken steht freilich viel Gutes und Hilfreiches d a r ü b e r . Aber in der aktuellen n e u e r e n L i t e r a t u r f ü h l t e sich der P f a r r e r in seiner Arbeit weithin im Stich gelassen. S c h r e i n e r sagt in der ersten umfassenden neuzeitlichen Homiletik mit Recht: „Die Theologie ist meist zu erhaben, an diese Not in der Ebene d e r Technik und der praktischen Vorbereitung zum Amt zu rühren. Sie
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Einleitung
umgeistert vornehm die Gipfel des Prinzipiellen, auf denen nichts wächst" 9 . Und er hebt über die fast gleichzeitig gedruckte Arbeit von T r i l l h a a s hervor: „Trillhaas will ausdrücklich und mit Recht keine »blutleere« Homiletik und denkt dabei wohl an Abhandlungen der Homiletik, wie wir sie in manchen Lehrbüchern der praktischen Theologie gleichsam als technischen Anhang zur Geschichte der Predigt vor uns haben" 1 0 . Schreiner und Trillhaas haben dem unmöglichen Zustand ein Ende bereitet, dafi wir keine gegenwartsnahe Homiletik besaßen. Neben ihnen ist neuerdings der homiletische Abschnitt in der praktischen Theologie von F e n d t zu nennen 11 . Auch in den sechs Jahren seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches ist uns eine weitere Homiletik nicht geschenkt worden. Hinsichtlich der Hilfe, die dem Prediger von a n d e r e n t h e o l o g i s c h e n D i s z i p l i n e n her wird, sagt ebenfalls Schreiner mit Recht in bezug auf das Gros der Literatur: „Ich stand unter dem Eindruck, dafl das Meiste, was die systematische Literatur zum Problem des Wortes Gottes zu sagen weiß, im luftleeren Raum völliger Abstraktion schweben blieb" 1 2 . Jedoch ist heute eine Wandlung deutlich spürbar, man denke nur etwa an den Fortschritt, den hinsichtlich der religiösen Konkretheit unter den umfassenden und theologisch grundsätzlichen Werken die Arbeiten von Β r u η η e r und noch darüber hinatis die radikal-religiöskonkrete Ethik von A. D. M ü l l e r darstellen. Es sind also wissenschaftliche Hilfsmittel von hohem Werte für die grundsätzliche Durchdringung der Probleme da, aber für die konkrete praktische Arbeit fehlen in der Homiletik die entsprechenden wissenschaftlichen Hilfsmittel. D i e p r a k t i s c h e n A b s c h n i t t e in d e r v o r l i e g e n d e n L i t e r a t u r sind zu einseitig und haben zu sehr die Neigung, Art und Methode des Autors zum Prinzip zu erheben (auch Schreiner ζ. T. und noch mehr Trillhaas). Von den Praktiken und Methoden reden sie meist so, daß nicht erkennbar wird, wie tief deren Macht und Verwendung in der Mitte des handelnden Subjektes verankert ist (ζ. B. Fendt in den rhetorischen Anweisungen). Der genannte Tatbestand ist, damit zusammenhängend, zum Α η 1 a ß dieser Studie auf zwingende W eise geworden dadurch, daß der erwähnte Zustand besonders deutlich und kräftig immer wieder in homiletischen Übungen mit Studenten und mit Kandidaten des Predigerseminars hervortrat und in deren praktischen Versuchen sich nachhaltig auswirkte. 8
Helmuth Schreiner, Die Verkündigung des Wortes Gottes. Schwenn 1936, S. 150.
io Ebenda, S. 7/8. n Leonhardt Fendt, Grundriß der praktischen Theologie, Tübingen 1938. I. Abtig. S. 83 bis 134. 12
Schreiner, a. a. O.' S. 9.
Die Not des Predigers
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Dazu kamen Beobachtungen an Predigten von Gemeindepfarrern, die in verdeckterer Form doch im Grunde die gleiche Schwierigkeit und deren Folgen erkennen ließen. Bei jeder der drei Gruppen tritt die gleiche Not in einem anderen und jedesmal typischen Stadium zutage. Der S t u d e n t ist in der Regel, trotz aller Schicksalsschwere seines Lebens heutzutage, als Homilet noch ganz in der akademischen Luft befangen und in der Unbeholfenheit des Grundschülers. Er hat nur wissenschaftliche Exegese getrieben und ist ratlos gegenüber der „praktischen Anwendung". Er versteht sie als Popularisierung und als „Erbauung" und weiß wenig oder nichts von dem Wirklichkeitsgehalt seiner Texte, den er erheben und verkündigen sollte. So ist er versucht, das exegetisch Erarbeitete entweder plötzlich fallen zu lassen zugunsten eines „praktischen" Notverständnisses des Textes oder die praktisch am besten verwendbare wissenschaftliche Exegese ohne Begründung als die richtige anzunehmen. Bei der Substanzarmut der Kirche ist der Blick gering für die Fülle praktischen Wissens um Gemeinde und Glaubensleben, das aus dem eigenen Leben auch ohne „Gemeindeerfahrung" gewonnen werden könnte. Damit zusammenhängend wird die hintergründige Tiefe der Weltsituation weithin verfehlt, weil noch zu bereitwillig und zu rasch ein Trennungsstrich zwischen Glaubensleben und irdischer Welt gezogen wird. D e r K a n d i d a t im Predigerseminar und ihm ähnlich der Vikar ist in dem risikoreichen Stadium, in dem der Absprung aus dem akademischen Raum in das wirkliche Leben gefunden werden muß. Er gleicht allzuoft einem Freischwimmer, der mit mehr Mut als sachlicher Sicherheit den Sprung in das noch nicht vertraute Element wagt. So wird schon der Ansatz des Schwimmens gewaltsam, man greift nach Rettungsringen, und das heißt in der Predigtarbeit zumeist, daß die aus den Studienjahren bereitliegenden dogmatischen Formulierungen herhalten müssen. Denn wir „wissen" j a vom Christentum immerhin soviel, daß wir zur Not, wenn auch mit einigem Unbehagen, eine Predigt „machen" können. Die Auswertung des Studiums kann selbstverständlich im günstigen Falle Rückgriff auf echtes Erkennen und Erfahren sein, sife kann aber auch als Ausweichen vor der Wirklichkeit mißbraucht werden. Im Predigerseminar kam in jedem Semesteranfang die gleiche Situation : Ein Kandidat hat einen Predigtentwurf geliefert. In der Besprechung sind die Verbesserungs Vorschläge der anderen ebenso theoretisch, substanzarm und im Grunde ratlos wie der besprochene Entwurf. Sobald man dann einiges zur Substanz des Textes sagt, mit dem Unterton des Anspruches: „Das hätten Sie mit offenen Augen auch finden können", kommt die leicht vorwurfsvolle Entschuldigung: „Ja, Sie haben eben die Erfahrung", womit die Gemeindeerfahrung und das Ubergewicht der Lebenserfahrung gemeint ist. Hier wird d i e A m t s p r a x i s v e r w e c h s e l t mit W i s s e n um W i r k l i c h k e i t e n d e r g e i s t lichen e 11. Es ist nicht gesehen, daß d i e s e und nicht die sog.
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Einleitung
,.Amtserfahrung", die eigentliche Quelle der Predigt sind, und dafi die Amtserfahrung nur in dem Maße wirklich fruchtbar wird, in dem sie mit geistlicher Erkenntnis erfafit und durchdrungen ist. Es gehört bei der gegenwärtigen Erziehung des Theologen zu den schwierigsten Aufgaben, in diesem Alter, zumal nach den Erlebnissen der letzten Jahre, die Überzeugung zu wecken, daß junge Männer bei offenen Augen eine Fülle von „Erfahrung" bereits haben können, bzW. haben und nur zu sehen und auszuwerten brauchen; ein Gebiet freilich, von dem weiterhin noch eingehend zu handeln sein wird, und das in den Kirchen gegenwärtig noch wenig ausgebaut ist. S c h i c k weist mit vollem Recht darauf hin, „daß der Zugang zur Wirklichkeit nicht in erster Linie durch die äußere Erfahrung geht, sondern durch die Welt des Geistes 13 . D e r j u n g e P f a r r e r , der den Ertrag des Studiums organisch mit der praktischen Erfahrung verschmelzen sollte, findet bei den Bedrängnissen der amtlichen Aufgaben infolge des skizzierten lückenhaften Unterbaues dazu oftmals nicht den organischen Weg und ersetzt daher die lebendige Verschmelzung zweier echter Substanzen durch die äußere Verkittung zweier Ersatzstoffe: An die Stelle organisch gewachsener, lebendiger Theologie tritt eine mit der Zeit nur mehr beruhigte und ausgebaute Reminiszenz, an die Stelle der Gemeindeerfahrung tritt infolge der Armut eigener Substanz eine Sammlung von aufgegriffenen, praktisch möglichen und verwendbaren Gedanken und Popularisierungen. Beim älteren Pfarrer kommt oft nur noch mehr Übung hinzu und freilich ein gewisses Maß von allmählich reifender wirklicher Erfahrung, das aber oft nicht alle die Tiefen durchdringt, die man einst im Studium und in aufbauenden Jahren zu ermessen begonnen hatte. Diese Charakterisierung erscheint nur dann zu einseitig, wenn man entweder durch den verbreiteten Zustand schon zu anspruchslos geworden ist, oder überhaupt von einer aus der Fülle (nicht nur aus dem Eifer!) verkündenden Kirche keinen Begriff mehr hat. Es kann aber von jedem Prediger der Weg von dem unzulänglichen derzeitigen Zustand zur höchstmöglichen Verwirklichung seiner Fähigkeiten beschritten werden: ein Weg, zu dessen Aufweis diese Untersuchung einen Beitrag liefern möchte. Auf allen drei Stufen ist die Not ihrem Wesen nach dieselbe und liegt in zweierlei Richtung. Einmal fehlt weithin ein Insein und damit die Bewegungsmöglichkeit in der Welt der geistlichen Wirklichkeiten. Sodann fehlt die Schulung im Gebrauch dessen, was man hat, und im Heraufholen des vorhandenen Besitzes. Die Homiletik hat weithin den Fehler gemacht, nur an die Schulung zu denken und 2u übersehen, daß die Einführung in den Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e m E r f a h r e n der W e l t g e i s t l i c h e r W i r k l i c h k e i t e n und der P r e d i g t e r a r b e i t u n g das Wichtige und eigentlich Entscheidende ist. In vieler Hinsicht erleichtert sich die Schulung wesentlich, wenn ein wirkliches Insein in der Substanz gewonnen ist. i» Erich Schick, Der Christ als Seelsorger. Berlin 1936. S. 49.
Unerkannte Erfahrung-
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Die k o n k r e t e Not tritt n u n mit allen geballten Schwierigkeiten auf einmal auf, wenn die Arbeit an d e r einzelnen Predigt beginnt, bildlich gesprochen in dem Augenblick, in dem der Prediger sich a n den Schreibtisch setzt. Hier einzusetzen ist zunächst ganz einfach Pflicht der Liebe. Es ist unmöglich, die j u n g e n Menschen in dieser tiefen Not mit ihrem Schmerz und i h r e r Ratlosigkeit allein zu lassen. Es k a n n aber n u r dann geholfen werden, w e n n die Homiletik es unternimmt, neben ihren grundsätzlichen E r ö r t e r u n g e n vom Wesen der Sache aus oder in ihnen zugleich, sämtliche praktischen Probleme der Arbeit an der Predigt ganz k o n k r e t v o m S t a n d o r t d e s P r e d i g e r s a u s z u b e a r b e i t e n . Das miifite auch d a n n gewagt werden, wenn m a n dazu von der Höhe grundsätzlicher theologischer Arbeit in die Niederung praktischer Ratschläge herabsteigen müßte. In Wahrheit aber handelt es sich hier um einen sehr wesentlichen u n d f r u c h t b a r e n Ansatzpunkt, dessen Bedeutung weiterhin h e r a u s z u k e h r e n sein wird.
II. D i e G r u n d s ä t z e
der
Untersuchung
1. D a s S u b j e k t d e s P r e d i g e r s als A u s g a n g s p u n k t und ständiger O r i e n t i e r u n g s p u n k t
Predigt ist V e r k ü n d i g u n g d e r W i r k l i c h k e i t Gottes. Das ist in Einem zentralste u n d weiteste Definition, die gegeben w e r d e n kann. Sie geht bewufit u n d ausdrücklich z u r ü c k hinter die meist als Gegenstand der Predigt bezeichneten Gegebenheiten, vor allem: Evangelium, W o r t Gottes u. ä. Aber an dieser Stelle k a n n das noch nicht begründet werden und eine Auseinandersetzung mit der üblichen Definition w ü r d e zum guten Teil im Formalen stecken bleiben. D e n n die hier gebotene Auffassung k a n n sich n u r durch die V e r a r b e i t u n g der Predigtprobleme an der Gesamtsubstanz der Homiletik als berechtigt und notwendig erweisen. N u r das mufi gesagt werden, dafl die kirchliche Lage der G e g e n w a r t u n d der letzten Generationen u n s immer zwingender veranlaßt, das Umfassendste und Letzterreichbare in die Mitte der A u f m e r k samkeit zu stellen. Wort Gottes, Evangelium, O f f e n b a r u n g u. a. sind o b j e k t i v die Gegebenheiten, i η denen die Wirklichkeit Gottes uns e r f a h r b a r wird. S u b j e k t i v e r f ä h r t entsprechend der Mensch a η diesen Gegebenheiten Gott. W i r haben es mit dem Evangelium n u r zu tun, weil w i r es mit Gott zu tun haben. Begnadet und richtet uns das „Wort", so begnadet und richtet uns in ihm oder d u r c h es Gott. So geht es d u r c h den ganzen Bereich des Glaubensgebietes. Evangelium, W o r t usw. sind also zweite und abgeleitete Realitäten, und es geht immer um die Wirklichkeit Gottes. Diese an sich selbstverständliche Tatsache muß auch in der Form u l i e r u n g zum A u s d r u c k kommen u n d es w i r d sich als sachlich bedeutsam erweisen, daß das geschieht. Man pflegt die O b j e k t e , mit deneD die Predigtlehre zu arbeiten hat, in einer Dreiheit zu erfassen; E v a n g e l i u m (also besser: Wirklichkeit Gottes), P r e d i g e r u n d G e m e i n d e . Suchen w i r n u n eine O r d n u n g
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Einleitung
des homiletischen Materials zu finden, so entsteht die Frage, welches dieser drei Momente den leitenden Gesichtspunkt abzugeben hat. Durchgängig wird dabei angenommen, daß das sachlich Tragende auch i r ler Anordnung und Durchführung das Tragende sein müsse. Das heißt: 1 in der praktischen Arbeit des Menschen die Sache die Form mitbestimmt, weist die homiletische Arbeit des Protestantismus nun doch auch im Gang der Erörterung bei aller Mannigfaltigkeit und tiefgreifenden Verschiedenheit eine einheitliche Linie auf: die Erörterung geht ganz überwiegen^ den Gang, daß sie mit der Wirklichkeit Gottes oder den aus ihr abgeleiteten kirchlichen Gegegebenheiten wie Offenbarung, Evangelium, Wort, Kultus als Anbetung Gottes, und Ähnlichem einsetzt und fortschreitend von ihr aus erörtert 14 . Es werden also die Gemeinde und der Prediger vom Evangelium aus gesehen. Faktisch ist es überwiegend so, daß das E v a n g e l i u m und seine Erörterung den größten Raum einnimmt, als zweites folgt die G e m e i n d e , und so gut wie durchgängig wird das Evangelium auf die Gemeinde, ihre Struktur, die Tatbestände des Hörenkönnens, die Notwendigkeit der Erneuerung usw., eingehend und sorgsam bezogen. Bei weitem am wenigsten wird der P r e d i g e r beachtet, und meist besteht die Befürchtung des Autors und der Verdacht der Leser zugleich, daß man um so „subjektivistischer" werde, je mehr man dem Subjekt Raum gebe. Nun ist die sachliche Beurteilung des Gewichtes der Gegebenheiten zweifellos richtig, zumal in der Unterscheidung des Evangeliums bzw. der Gotteswirklichkeit von Gemeinde und Prediger. Die Pole stehen in der Tat sich nicht in gleichem Range gegenüber. Sondern Gott ist der Herr der Welt; die Gemeinde, die hört, und der Prediger, der verkündigt, sind „in" der Welt. Jede Aussage ist falsch, die diese Distanz verwischt. Die Gegenüberstellung von Herr und Geschöpf ist hier das einzig Mögliche. Nicht aber ist damit über die Anordnung entschieden. Sondern die A n o r d n u n g ist f r e i , denn durch sie w e r d e n die Auss a g e n w e d e r r i c h t i g n o c h f a l s c h . Gegen die Gefahr des Subjektivismus kann sich niemand dadurch schützen, daß er die objektiven Werte in den Vordergrund stellt: ist er Subjektivist in seiner geheimen Einstellung, so wird rettungslos alles, was er schreibt, subjektivistisch — oder es bleibt im Formalen stecken. Wer andrerseits im Objektiven steht, 1 4 Als Beispiele mögen genügen: T r i l l h a a s , 1. Kap. Die Predigt als Ausrichtung des göttlichen Wortes. — S c h r e i n e r , 1. Teil: Das Wort Gottes. — Κ l e i n e r t , 1. Kap.: Der Stoff an sich § 68: Die kultische Wurzel des Homiletischen muß die Grundlage bleiben. — B a s s e r m a n n , 2. Teil: Der Kultus. — B e y e r , (1860) 1. Buch: Die Predigt als Wort Gottes. — K r a u S , 1. Teil: Prinzipielle Homiletik. 3. Kap. Von der Predigt als Kultusbestandteil. Auch da, wo formal anders begonnen wird, ist, wie diese Beispiele zeigen, der sachliche Ausgangspunkt überall, aufs Ganze gesehen, der gleiche, und auch wo er, wie bei Bassermann und KrauS, das Wesen der Rede ist, ist er eine objektive Gegebenheit und wird sogleich in die kultische Bestimmtheit einbezogen.
Subjektivsmus uiul Subjektivität
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der k a n n vom S u b j e k t reden u n d schreiben so viel er will, er k a n n die ganze A n o r d n u n g vom S u b j e k t aus gestalten, u n d er w i r d doch nicht sub ^ktivistisch werden. es k a n n sogar sein, dafi d u r c h betontes H e r v o r h e b e n des sub j e k tiveTfl'Momentes, indem es ein sorgsames Erforschen des Subjektes, seiner Gegebenheiten und seiner Möglichkeiten ist, die o b j e k t i v e Erkenntnis gefördert, der o b j e k t i v e Dienst gestützt und gesichert wird. Es ließe sich eine Entwicklung der kirchlichen Homiletik denken, in der man sich gesagt h ä t t e : wenn j e m a n d ein Lebenlang j e d e n Sonntag auf der Kanzel steht und das Größte verkündigt, das es in der Welt gibt; wenn j e m a n d Sonntag f ü r Sonntag mit s e i n e m Munde, mit Worten s e i n e r Sprache, mit Hilfe s e i n e r E r f a h r u n g und Erkenntnis das Evangelium verkündet, so ist seine Person u m d e r S a c h e w i l l e n so wichtig, daß w i r ihr die größte A u f m e r k s a m k e i t zuwenden müssen. D e n n wie viel k a n n dieser Mann verfehlen, versäumen, verderben! Wie tief k a n n seine Verkündigung wirken, wenn er menschlich u n d beruflich e r f a h r e n , geläutert im höchstmöglichen Maße ist! — Und es ist k a u m zu verstehen, daß dieser naheliegende Gesichtspunkt bisher fast ganz unbeachtet geblieben ist. Ist der G r u n d wirklich n u r die überwältigende Größe der Botschaft, die alle A u f m e r k s a m k e i t auf sich lenkt? Aber man hat doch immerhin die Gemeinde intensiv beachtet. Nach dem A u f k o m m e n des Subjektivismus, der Persönlichkeitskultur, in Idealismus und Romantik, ist die E r k l ä r u n g n u r zu finden in einer weithin s p ü r b a r e n kirchlichen Angst vor der Subjektivität um der G e f a h r des Subjektivismus willen. Die Wirklichkeit Gottes ist — u n d das mit Recht — überall als der G r u n d aller Predigt festgestellt. Aber eben um diesen G r u n d zu wahren, kommt der Prediger als S u b j e k t durchweg eigentlich n u r in seiner einlinigen Beziehung zu diesem Grunde, nämlich als der Beauftragte, der Glaubende, der nun verkündigt, in Betracht. Insofern w i r d freilich in vielen Arbeiten das menschliche Element in Betracht gezogen. Es ist nicht vergessen, daß die Einordnung des Predigtamtes in die Gemeinde neben dem theologischen auch ein anthropologisches Moment hat. Dem S u b j e k t w i d e r f ä h r t f e r n e r weitgehende Gerechtigkeit in der E r ö r t e r u n g der Beredsamkeit und in der Feststellung und Bearbeitung der Tatsache, daß der Prediger von der entsprechenden Uberzeugung getragen sein muß. S c h l e i e r m a c h e r s „Kräftigkeit des religiösen Bewußtseins" 1 5 ist j a eigentlich eine grund15 Der Kampf der vermeintlich rein objektiv auf „das Wort" gerichteten Theologie gegen die „Schleiermachersche" Linie durchzieht freilich die neuere Theologie. Sie hat umfassende Ausgestaltung neuerdings in Karl Barths kirchlicher Dogmatik II. 1. gefunden, auf praktisch-theologischem Gebiet in seiner Nachfolge durch Eduard Thvirneysen in der „Lehre von der Seelsorge" (1946). Wobei Thurneysen bezeichnender Weise den wirklich weitgehend subjektivistischen Johannes Müller und den ganz anders orientierten Rudolf Steiner in einer Linie sieht mit dem — tatsächlich doch biblisch gebundenen —· Subjektivismus der pietistischen Frömmigkeit (TerSteegen). Die Kritik an dieser Kritik kann nicht einfach ausgehen von der Geschöpflichkeit. Denn das Geschöpf kann völlig abfallen, der Teufel und seine Engel sind
3 Haendler, Die Predigt
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Einleitung
sätzliche Verbindung des subjektiven mit dem objektiven Moment, aus der sich in der homiletischen Arbeit weitgehende Berücksichtigung des o b j e k t i v e n Gesichtspunktes ergeben hat. Viele Homiletiken bringen vorzügliches Material in diesem Sinne, wobei ganz besonders V i η e t und B a s s e r m a n n noch heute eingehenden und liebevollen Studiums w e r t sind. Aber nirgends w i r d der s u b j e k t i v e Gesichtspunkt grundsätzlich selbständig neben den objektiven gestellt, nirgends w i r d er seiner Bedeut u n g entsprechend herausgearbeitet. So kommt das S u b j e k t des Predigers in der bisherigen homiletischen L i t e r a t u r nicht zu seinem Recht. Auch S c h r e i n e r und T r i l l h a a s . die, wie erwähnt, die Not gesehen haben und in Angriff nehmen, bleiben doch noch in den Anfängen i h r e r Überwindung. D e n n erstens hat j e d e objektive F r a g e der Predigt f ü r den, der Predigt arbeitet, zugleich eine g r u n d s ä t z l i c h e u n d u m f a s s e n d e subj e k t i v e Seite. Zweitens ist der Prediger nicht n u r ein Mensch, bei dem m a n gleichsam selbstverständlich G l a u b e n voraussetzen u n d f o r d e r n kann, dafi er christliche Persönlichkeit sei u n d alles, was damit nicht übereinstimmt, überwindet. Sondern der Prediger ist, so wie er ist, ein Mensch, der mit seiner ganzen Persönlichkeit, a u c h d e m nicht ü b e r w u n d e n e n U n c h r i s t l i c h e n , seine Predigt arbeitet. In diesem Sinne ist das P r o b l e m des S u b j e k t e s m i t s e i n e r l e b e n d i g e n G e s c h i c h t e nicht genügend berücksichtigt. Dieses P r o b l e m d e s S u b j e k t e s d e s P r e d i g e r s h a t aber in den letzten Jahrzehnten eine ungeahnte Verfeinerung und E r w e i t e r u n g e r f a h r e n , einmal durch die eingangs e r w ä h n t e Situation der Gegenwart deren Ubergangs- u n d K a t a s t r o p h e n c h a r a k t e r der Bedeutung des Subj e k t e s ein ganz neues Gewicht gibt; sodann d u r c h die u n e r w a r t e t e Bereicherung, die das Wissen u m den Menschen u n d die Zusammenhänge des Geschehens in ihm d u r c h die neuere seelenkundliche F o r s c h u n g e r f a h r e n haben. Was bisher notfalls als Zweites getan werden konnte, ist damit jetzt zu einer nicht m e h r t r a g b a r e n und weithin s p ü r b a r e n Lücke in der Homiletik geworden. Die vorliegende Untersuchung h a t das Ziel» zur Ausfüllung dieser L ü c k e den Ansatz zu finden und mit ihr einen A n f a n g zu machen. Sowohl die geistesgeschichtliche Lage wie der Forschungsstand der Psychologie lassen endgültige Ergebnisse noch nicht zu. Aber es ist soviel geschehen, und die Not ist so dringend, daß ein Anfanggewagt w e r d e n mufi. nach biblischer Auffassung· abgefallene Engel. Sie mu£ einsetzen mit der Erkenntnis, dafi der Mensch auch da, wo er vermeintlich von sich selbst aus sich zu Golt emporheben will, schon unter der Einwirkung Gottes steht, und mit dem schwerwiegenden Problem, ob wir nicht mit der ganzen Fragestellung, wie die „Theologie des Wortes" sie in dieser Hinsicht formuliert, schon unweigerlich weitgehend theoretisieren und d e m k o m p l e x e n C h a r a k t e r d e s s e e l i s c h e n G e s c h e h e n s n i c h t g e r e c h t w e r d e n . Die „Psychologie" kann der Theologie gewii keine Antwort geben. Aber für ihre Fragestellung kann sie gewichtige Kprrektur bedeuten.
Der Prediger in seiner Predigt
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Diese Untersuchung nimmt deshalb ihren Ausgang nicht im Evangelium (bzw. der Wirklichkeit Gottes, im Worte Gottes u. a.), sondern im Subjekt der Predigt, dem Prediger. Es wird hier Ernst gemacht mit dem Bemühen, die P r o b l e m e d e r P r e d i g t i n s t r a f f e r B e z o g e n h e i t a u f d e n P r e d i g e r z u e r ö r t e r n und alle subjektiv (nicht subjektivistisch!) gerichtete Einstellung und Gefahr zu wagen, die damit verbunden ist. Der Prediger als Subjekt der Predigt ist nicht nur Ausgangspunkt, sondern s t ä n d i g b l e i b e n d e r Orientierungspunkt. Und zwar geht es innerhalb dieses Ansatzes wieder entscheidend darum, daß der Prediger als Gegenstand der Untersuchung und Ausgangspunkt ihrer Folgerungen in keiner Weise irgendwie isoliert oder nur von einem Teil seines Wesens aus verstanden wird. Alles Sein und Geschehen ist ein in unendliche Beziehungen hinein verwobenes G a n z e s . Und a l l e s e c h t e V e r s t e h e n m u ß v o m G a n z e n a u s und i n n e r h a l b des Ganzen das Einzelne e r f a s s e n und e r k e n n e n . Geht es uns also hier um das Subjekt des Predigers, so ist entscheidend, daß in diesem Subjekt der „Prediger" nicht vom „Menschen" abgetrennt gesehen, daß der Prediger als Mensch zugleich i n d e r G e s a m t h e i t a l l e r L e b e n s b e z i e h u n g e l i erfaßt wird. Insofern verbindet sich mit dem theologischen Gesichtspunkt, daß das dritte der drei die Predigt statuierenden Elemente, der Prediger, Grundlage der Untersuchung sein soll, zugleich der philosophisch-psychologische Gesichtspunkt, daß das Einzelne nur vom Ganzen her zutreffend erfaßt werden kann. Daß die Verbindung eines nichttheologischen mit einem theologischen Gesichtspunkt nicht ein grundsätzlicher Fehler zu sein braucht, ist ebenso einleuchtend wie die Erkenntnis, daß Beachtung des Subjektes nicht zum Subjektivismus zu führen braucht. Man könnte, rein von der Sache aus, sogar behaupten, daß die Betonung der Ganzheit ein genuin theologischer Gesichtspunkt sei, denn nirgends ist die Einheit und das lückenlose Verwobensein des Daseins tiefer erkannt als in der theologischen Lehre von der Schöpfung. Da aber faktisch Philosophie und Psychologie entscheidende Beiträge, zum Teil entscheidende Anstöße zur Ganzheitserkenntnis gebracht haben, ist es klarer uud darum auch fruchtbarer, daß wir uns die Einbeziehung dieser nichttheologischen Nachbardisziplinen ausdrücklich verdeutlichen. Wir glauben, mit der so angelegten Untersuchung einen grundsätzlich ebenso sachlichen, ebenso umfassenden und ebenso ertragreichen Gesichtspunkt herauszustellen, wie es eine am Evangelium orientierte homiletische Arbeit tut 16 . Die Untersuchung ist also grundsätzlich nicht als zweiter Teil der Homiletik verstanden, der ohne einen voraus1 6 Es ist irreführend, wenn Doerne (S. 90) diesen Ansatz als bewuSten Gegenschlag gegen die S a c h h o m i l e t i k (von ihm gesperrt) bezeichnet. Denn das erweckt den Eindruck, als ob die Sachlichkeit von einem willkürlicheren, fließenderen Subjektivismus abgelöst werden solle. Tatsächlich ist die Arbeit bei dem Ansatz im Subjekt ebenso S a c h - Homiletik, wie beim Ansatz im Evangelium, denn dei Prediger gehört auch zur „Sache", die untersucht werden mu£. Un„sachlich" ist nur
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Einleitung·
gehenden ersten mit Bestimmung des Wesens d e r Predigt vom Evangelium h e r nicht möglich w ä r e , sondern als sachlich gleichwertiges Beobachtungsfeld, das im P r i n z i p alle Probleme der Homiletik von seiner O r i e n t i e r u n g aus ebenso gründlich u n d vollständig behandeln kann, wie es die O r i e n t i e r u n g am Evangelium tut. D e n n die im Protestantismus herrschende Meinung, dafi m a n ü b e r die Predigt Entscheidendes zuerst vom Evangelium h e r sagen müsse, u n d d a ß das Wesen der Predigt von da aus sich bestimme, ist nicht von der G a n z h e i t d e s M e n s c h e n aus geformt, sondern vom überwiegend und einseitig rational gesehenen Menschen aus. W o der Mensch wesentlich D e n k e n ist, k a n n ein wirkliches Verstehen eines O b j e k t e s n u r vom D e n k e n aus als möglich gelten, weil er erst d e n k e n d das O b j e k t k l a r erfassen muß, ehe er mit ihm arbeiten kann. D a ß diese im Protestantismus vorherrschende Auffassung aber einseitig ist, beweist zunächst schon das Gesamtbild der Prediger. Es gibt u n t e r ihnen eine große Zahl solcher, die wenig systematische D e n k f ä h i g keit haben. D e r Grenzfall, dem jedoch viele nahekommen, w ä r e ein Prediger, der ü b e r h a u p t nicht systematisch denken kann. W e n n das auch als Manko angesehen w e r d e n muß, etwa ebenso wie wenn j e m a n d völlig unpraktisch ist, so w i r d doch niemand d a r a u s folgern wollen, daß ein Theologe deswegen nicht predigen könne und d ü r f e . Wir h a b e n sogar Fälle, in denen auf G r u n d a n d e r e r K r ä f t e aus solchen Menschen gute und weithin w i r k e n d e Prediger werden. Hier liegt folgender Tatbestand vor: Sicher ist, daß f ü r einen solchen Menschen das Wesen der Predigt sich nicht d u r c h eine grundsätzliche E r ö r t e r u n g ü b e r das Wesen der Predigt erschließt. Trotzdem k a n n nicht gesagt werden, daß er das Wesen der Predigt nicht erkennen, geschweige denn nicht erfassen könne. Er k a n n ζ. B. eine sichere Unterscheidungsmöglichkeit f ü r die Verschiedenheit von Predigt und Vortrag haben u n d k a n n gegebenenfalls sicherer als mancher, der gedanklich eine einwandf r e i e Klarheit ü b e r das Wesen der Predigt zu besitzen meint, ein echter Prediger sein und vor unechter Predigt b e w a h r t bleiben. D e r G r u n d ist, daß er ebenfalls Wege hat, u m das Wesen der Predigt zu erfassen, n u r nicht im Rationalen. Ihm geht das Wesen der Sache nicht an der grundsätzlichen Überlegung, sondern an der k o n k r e t e n Arbeit auf. D e r E r t r a g der Erkenntnis formt sich ihm nicht im logischen Ausdruck, sondern d u r c h d r i n g t sein gelebtes Sein vom Instinkt, von der Intuition her. An u n d in der Arbeit e r f ä h r t u n d „ e r k e n n t " er das Wesen der Sache „wesenhaft" 1 7 . die Vernachlässigung· dieses Teils der Objekte der Homiletik. Die Sache Evangelium wird trotz ihres objektiven Charakters von den Theologen bekanntlich sehr verschieden (subjektiv beeinflußt) aufgefafit. Andrerseits ist die psychologische Arbeit bei allem Eingehen auf das Subjekt doch sachgebunden und wehrt der subjektivistischen Willkür ebenso stark oder — je nach der Art des Arbeitenden! — ebenso wenig, wie das Evangelium. t7 Diltheys und Sprengers „Verstehen" liegt auf der Linie dieses wesenhaften Erkennens.
Denken und Erkennen
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H i e r a n w i r d w e i t e r deutlich, d a ß a u c h d e r systematisch D e n k e n d e , w e n n e r seiner E r k e n n t n i s sicher w e r d e n will, u n d w e n n sie sich seinem Wesen assimilieren soll, im G r u n d e den gleichen W e g g e h e n mufi. A l l e echte E r k e n n t n i s kann wohl den Weg über die ratio g e h e n , a b e r s i e k a n n n i c h t r a t i o n a l b l e i b e n , weil d i e r a t i o n u r eine u n t e r g e o r d n e t e H i l f e zum w e s e n h a f t e n E r k e n n e n ist. M a n m u ß mit seinem ganzen W e s e n in die zu e r k e n n e n d e W i r k l i c h k e i t h i n e i n gehen, w e n n m a n d e r e n Wesen erfassen will. S c h l a t t e r stellt mit R e c h t die T a t s a c h e h e r a u s , von w i e g r u n d l e g e n d e r B e d e u t u n g es ist, d a ß w i r sehen, ehe w i r eine T h e o r i e des Sehens h a b e n u n d d a ß w i r k e i n e r E r k e n n t n i s t h e o r i e b e d ü r f e n , u m zu wissen 1 8 . E r k e n n e n geht also w e i t ü b e r r a t i o n a l e s B e g r e i f e n hinaus, u n d dieses echte u n d eigentliche E r k e n n e n als B e r ü h r u n g des Wesens des Menschen mit d e m , W e s e n d e s z u E r k e n n e n d e n ist dem u n s y s t e m a t i s c h e n Menschen ebenso w i e d e m systematischen möglich, d e m Systematischen a b e r auch n u r d a n n , w e n n sein rationales D e n k e n in sein G e s a m t w e s e n organisch e i n g e o r d n e t ist. Es gibt D o g m a t i k e r u n d Dogmatisten, n u r d i e e r s t e r e n „ e r k e n n e n " u n d sind vor d e r G e f a h r geschützt, in d e r G e s t a l t u n g ü b e r die Substanz des E r k a n n t e n h i e r a u s dialektisches Spiel zu t r e i b e n . Mit d e m Gesagten w i r d also nicht e t w a ein W i d e r s p r u c h gegen ration a l e E r k e n n t n i s ü b e r h a u p t angemeldet, a u c h nicht gegen die selbstv e r s t ä n d l i c h e Tatsache, d a ß ein vom E v a n g e l i u m h e r u n t e r n o m m e n e r A u f r i ß d e r P r e d i g t l e h r e ü b e r das r a t i o n a l e Verstehen h i n a u s w e s e n h a f t sein k a n n , u n d a u c h nicht gegen d e n W e r t eines systematischen E r f a s s e n s des Wesens d e r P r e d i g t . S o n d e r n n u r d a m u ß W i d e r s p r u c h e r h o b e n w e r d e n , Λνο das W e s e n d e r P r e d i g t r a t i o n a l eingeengt v e r s t a n d e n w i r d . E b e n das a b e r ist im P r o t e s t a n t i s m u s w e i t h i n d e r F a l l , u n d z w a r m e h r noch als in d e r L i t e r a t u r in den r a t i o n a l i s i e r t e n K ö p f e n j ü n g e r e r u n d ä l t e r e r Theologen. W o diese E i n e n g u n g nicht s t a t t f i n d e t , vollzieht sich in u n d u n t e r d e r g e d a n k l i c h e n E r ö r t e r u n g in e i n e r t i e f e r e n Schicht d a s w e s e n h a f t e Erfassen. W e n n a b e r die Möglichkeit, das W e s e n d e r P r e d i g t von d e r k o n k r e t e n A r b e i t h e r m i t z u v e r s t e h e n , a b g e l e h n t w i r d , so ist d a s ein sicheres Zeichen d a f ü r , d a ß r a t i o n a l e Einseitigkeit vorliegt. Auf G r u n d des G e s a g t e n schicken w i r d e r U n t e r s u c h u n g d e r P r e d i g t vom P r e d i g e r aus a u c h nicht eine o r i e n t i e r e n d e D e f i n i t i o n u n s e r e r A u f f a s s u n g vom „ W e s e n d e r P r e d i g t " v o r a n . Es ist verständlich, w i e w e i t das d e m rationalistischem I r r t u m V o r s c h u b leisten w ü r d e . W i r h o f f e n , d a ß aus d e r E r ö r t e r u n g u n s e r e A u f f a s s u n g vom W e s e n d e r P r e d i g t h e r v o r t r e t e n w i r d , w a s d a n n w i e d e r u m ein Beweis f ü r die Möglichkeit u n d Richtigkeit des A u s g a n g s p u n k t e s w ä r e . D a m i t z u s a m m e n h ä n g e n d b e g i n n t die v o m S u b j e k t d e r P r e d i g t ausg e h e n d e U n t e r s u c h u n g a u c h nicht i m e n g e r e n R a h m e n mit einer E r ö r t e r u n g ü b e r die F r a g e , ob theologisch gesehen d e r P r e d i g e r oder die G e m e i n d e bzw. K i r c h e S u b j e k t d e r P r e d i g t ist. W a s von C. J. N i t z s c h d a r ü b e r herausgestellt w u r d e , ist E i g e n t u m d e r Theologie g e w o r d e n u n d is Adolf Schlatter, Das christliche Dogma. 1. Aufl. Calve bei Stvtgart 1911, S. 45.
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Einleitung
w i r d auch im folgenden implicite zu seinem Recht kommen, dafi nämlich das theologische Subjekt der Predigt über den Einz e l n e n h i n a u s d i e K i r c h e ist. Das Gewicht dieser E r k e n n t n i s k a n n n u r verstärkt, nicht aber abgeschwächt werden, wenn w i r den P r e d i g e r als S u b j e k t in seiner Ganzheit erfassen u n d ihn konsequent in die Ganzheit des Seins einordnen. Es hängt aber f ü r die Untersuchung nichts von einer vorangeschickten E r ö r t e r u n g ü b e r das theologische S u b j e k t der Predigt ab, wohl jedoch sehr viel von der D u r c h f ü h r u n g der Erkenntnis, daß der Prediger mit seiner Predigt nicht auf sich allein steht, sondern in der Kirche g r ü n d e t u n d aus ihr schöpft; wobei weiterhin die S c h a u d e r K i r c h e i n n e r h a l b d e r G a n z h e i t d e s S e i n s von entscheidender Bedeutung ist. Neuerdings h a t F e n d t die W e n d u n g vom „aktuosen Subjekt", die ebenfalls auf Nitzsch zurückgeht, in seiner Praktischen Theologie wieder aufgenommen (Fendt a.a.O. § 6). 2. D e r p s y c h o l o g i s c h e
C h a r a k t e r der
Untersuchung
Neben dem ersten Grundsatz, dafi vom S u b j e k t der Predigt ausgegangen u n d dieses als O r i e n t i e r u n g s p u n k t ständig beibehalten wird, steht, wie e r w ä h n t , als zweiter durchgehender Grundsatz der, dafi in der Untersuchung wesentlich p s y c h o l o g i s c h e Gesichtspunkte zu i h r e m R e c h t e k o m m e n . R o l l 6 u n d R e c h t d e r P s y c h o l o g i e in d e r t h e o l o g i s c h e n A r b e i t sind auch h e u t e noch umstritten. Zwar meint F e n d t , dafi es n u r noch „ein p a a r Unentwegte" gebe, die die Psychologie f ü r die Theologie ablehnen, und dafi in der P r a x i s sowohl der „radikaltheologische" S t a n d p u n k t wie der „radialpsychologische" S t a n d p u n k t gegenseitig; voneinander wüßten, dafi sie da sein müßten und unentbehrlich seien, und daß der radikaltheologische Standp u n k t „völlig auf beste E r f ü l l u n g der psychologischen Pflichten aus" sei 1 9 . W i r könneri doch die Situation nicht so günstig sehen. Man t r i f f t immer wieder auf Theologen, die der Psychologie noch mit starkem Mißt r a u e n gegenüberstehen u n d ihr gegenüber das Empfinden eines F r e m d k ö r p e r s in der Theologie nicht los werden, und die erhöhte Spannung der gegenwärtigen Gesamtlage scheint die G e f a h r dieses Kurzschlusses e r n e u t zu verschärfen. Das gilt schon von der grundsätzlichen Haltung, und noch m e h r gilt, daß die wirkliche Bereitschaft und erst recht die Kenntnis u n d das Können zur V e r w e r t u n g psychologischer Erkenntnisse weithin fehlen. J u n g s Satz: „Die P f a r r e r teilen die allgemeine Abneigung gegen psychologische Probleme u n d unglücklicherweise auch die allgemeine psychologische Unwissenheit" 2 0 , besteht weiterhin zurecht. Diese a b l e h n e n d e H a l t u n g hat zwei verschiedene, w e n n auch oft im einzelnen S u b j e k t miteinander v e r b u n d e n e G r ü η d e. Es ist sowohl gemeint, daß Psychologie i n einer echten Kirche unmöglich, wie auch, daß sie in ihr unnötig sei. is Fendt, a.a.O. S. 95. 20 C. G. Jung·, Psychologie und Religion. Zürich und Leipzig 1940, S. 81.
Synergismus und sola fide
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Die M e i n u n g v o n d e r U n m ö g l i c h k e i t geht auf die protestantische Grundthese des sola fide zurück, aber nicht in ihrem eigentlichen Sinn, sondern sie mißverstehend. Dieses Mifiverständnis des sola fide liegt überall da vor, wo bewußt oder unbewuflt aus der Erkenntnis, daß der Mensch vor Gott sein Heil nicht durch sein Tun (seine „Werke") erwerben könne, der Satz gemacht wird, daß er zum Reifen und zur Stärkung seines Glaubens n i c h t s t u n solle: ein Satz, der in Pfarrerschaft, und dadurch vielfach auch in den Gemeinden, wirksamer ist, als man erwarten sollte. Statt dafi der Mensch sola fide in der Tätigkeit des Empfangens und in der getragenen und geleiteten Aktivität lebt, lähmt er seine innere Aktivität f ü r Reifen und Wachsen seines Glaubens durch die Furcht, mit menschlichem Wirken einzugreifen in die Alleinwirksamkeit Gottes. Da das geschöpfliche Geschehen sich aber nicht betrügen läfit, folgt der Rückschlag auf dem Fuße: d a s d o c h u n v e r m e i d l i c h e H a n d e l n g l e i t e t i n d i e u n k o n t r o l l i e r t e n S p h ä r e n ab. Im gleichen Maße nämlich, in dem aus der Rationalisierung des Protestantismus das Mifiverständnis des sola fide entstand, hat der Protestantismus das sola-fide theoretischdogmatisch ebenso gewissenhaft gepflegt wie praktisch vernachlässigt. I m p r a k t i s c h e n H a n d e l n d e r e ν a 11 g e l i s c h e n G e m e i n d e n i s t d e r S y n e r g i s m u s g e n a u so im G a n g e w i e in d e r k a t h o l i s c h e n K i r c h e 2 1 . Das sola-fide-Problem bedürfte noch einer allgemein gehörten gründlichen Klärung und Überwindung seiner fast überall wirksamen Fehlauffassung in der evangelischen Kirche und einer weitgehenden und ins einzelne gehenden seelsorgerlichen Klärung (auch in der Predigt) über die Notwendigkeit seelischer Aktivität e b e n a u s dem sola fide heraus. Es gibt freilich einen falschen Synergismus, der Gott und Mensch auf gleiche Stufe stellt und das Zusammenwirken als eine Art Vereinbarung sieht. Es gibt aber auch einen echten (den biblischen) „Synergismus", in dem das Geschöpf seine Kräfte dem Schöpfer hingibt, von dem es sie empfing und in seinem Dienste sie betätigt, aus seiner Kraft heraus (das ist das „syn"), zum Heil der andern und -zum eigenen Heil. Es ist auch eine theologische und nicht nur eine „psychotherapeutische Erkenntnis, daß nur eine Höchstleistung an religiös-sittlicher Kraft die Triebausbrüche übermächtigen oder schicksalhaft seelischen Erkrankungen vorbeugen kann" 2 2 . Damit würde auch die Befürchtung ihre Bedrohlichkeit verlieren, dafi durch psychologische Arbeit die objektiven Gegebenheiten des Glaubens aufgelöst oder verflüchtigt werden zu subjektiven seelischen Vorgängen. Zunächst einmal ist das Geschehen in sich doch, was es ist, einerlei, wie man darüber denkt. Und sodann ist d a s g r ü n d l i c h e E i n g e h e n in d i e s e e l i s c h e n V o r g ä n g e o f t g e r a d e d e r A n f a n g e i n e s neuen und t i e f e r e n E r f a s s e n s des W i r k e n s G o t 2
1 Schreiner, a.a.O. S. 140. Emil Ott, Die Triebentfesselung der Gegenwart und die Seelsorge. In: Pastoraltheologie, Juli 1931. 22
Einleitung·
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t e s. Die Meinung von der Unmöglichkeit der Psychologie in der Kirche bleibt so oder so in theoretischen Erwägungen stecken, und die Wirklichkeit geht, wo sie die Herrschaft gewinnt, über sie hinweg ihren unbekümmerten Gang — im psychischen Geschehen. Dafi Psychologie in der Kirche, d. h. bei rechtem Glauben, u n n ö t i g s e i , ist eine aus entsprechender Haltung entstehende Auffassung, und sie meint entweder, daß grundsätzlich der Glaube alles ohne „Hilfe" der Psychologie schaffen müsse, oder daß der Betreffende persönlich in seinem Falle sie nicht nötig habe. Die erste Auffassung übersieht, dafi psychologische Arbeit durchaus auf gleicher Linie gehen kann wie Gebete, sittliche Anstrengung, Erkenntnis der Glaubenswahrheit usw., weil all das mit geschöpflich gegebenen Kräften Gott zu finden und ihm zu dienen sucht. Die zweite ist entweder das falsche Mißtrauen, daß Psychologie nur für Kranke sei (siehe später) oder eine unbewußte Flucht vor einer Durcharbeitung des ganzen Seins, die gerade die, die sie ablehnen, meist sehr nötig hätten 23 . Diese Ablehnung hängt in der Regel mit Intellektualisierung zusammen. Neben der Verdächtigung, die sich in ihrer grundsätzlichen Schärfe immerhin auf vereinzelte Theologen beschränken mag, steht verhängnisvoll wirksam d i e G l e i c h g ü l t i g k e i t vieler Theologen, die die Psychologie grundsätzlich gelten lassen, aber tatsächlich sich so wenig um sie bemühen, daß die Bedeutung ihrer grundsätzlichen Zustimmung anulliert wird. Ebenso verhängnisvoll ist die Halbkenntnis. Man hat Einiges gelesen oder gehört, man setzt frisch-fröhlich Psychologie gleich Freud gleich Sexualtheorie, und man weiß, warum man als braver Theologe sich entrüstet abwendet. Oder man liest mit Freude und Zustimmung, glaubt zu verstehen und ahnt doch nicht viel von den eigentlichen Tiefen und der umgestaltenden Kraft. (In dieser Richtung sind nach unserer Beobachtung die faßlichen und plastischen Bücher Fritz Künkels trotz ihrer Verdienste besonders verführerisch, weil sie leicht die Illusion wecken, als ob man nun von Psychologie etwas verstünde. Es ist also nicht vor Künkel, dem bedeutenden Therapeuten, wohl aber vor diesem Kurzschluß zu warnen.) Von Theologen hört man andererseits gelegentlich die Meinung, Psychologie interessiere sie zwar intensiv, und sie würden sich gern mit ihr eingehend befassen. Sie halten es aber für ihre selbstverständliche Pflicht, dieser Neigung zu widerstehen, weil sie die theologische Arbeit als die „eigentliche" und zentrale empfinden. Dazu ist zu sagen, daß Neigung nur dann unheilvoll ist, wenn man sich in ihr regellos und zufällig an Launen des Augenblicks oder an nur triebhafte Regungen (die es auch im Geistigen gibt) verliert. E i n e i m m e r w i e d e r a u f t a u c h e n d e N e i g u n g j e d o c h i s t e i n H i n w e i s , den wir als Geschöpfe vom Schöpfer her beachten sollen. Es könnte sein, daß gerade sie uns vom dressierten Können au gewachsenem Wissen führen soll. Denn damit, daß Theologie die zentrale Wirklichkeit zum Gegenstand ihrer Arbeit macht, 23 Vgl. S. 37.
Psychologische und theologische Sicht des gleichen Objekts
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ist nicht gesagt, dafi der Theologe n u r durch Theologie zur zentralen Wirklichkeit kommen könne. Die Tatsachen beweisen, daß Theologie die Wirklichkeit ebenso verfehlen wie finden kann. Um das grundsätzliche Verhältnis theologischer und psychologischer Arbeit zueinander zu verdeutlichen, gehen wir noch einen Schritt zurück. Eine Untersuchung gewinnt wissenschaftlichen Charakter nicht durch ihren Gegenstand, sondern durch ihre M e t h o d e . Man kann ein wissenschaftliches Problem unwissenschaftlich behandeln, und man kann ein Objekt, das als solches mit Wissenschaft nichts zu tun hat, exakt wissenschaftlich bearbeiten, wie etwa Dichtung, Musik, Phantasie. Das Gleiche gilt von der theologischen Arbeit. T h e o l o g i s c h wird eine Untersuchung nicht durch ihren Gegens t a n d , s o n d e r n d u r c h i h r e M e t h o d e . Man kann über ein „theologisches" Objekt, etwa den Glauben oder ein dogmatisches Problem, untheologisch phantasieren, und man kann ein Objekt, das an sich mit Theologie nichts zu tun hat, etwa die Wirtschaft, die Technik, das Volkslied, die Bedeutung der Erholung für den Menschen, theologisch bearbeiten. „ T h e o l o g i s c h " bedeutet, dafi ein Gegenstand wissenschaftlich untersucht wird in seinem B e z o g e n s e i n a u f d i e W i r k l i c h k e i t G o t t e s . Da diese Wirklichkeit Gottes alles betrifft, so kann auch alles theologisch untersucht werden. Entsprechend gilt: psychologisch wird eine Untersuchung nicht durch ihren Gegenstand, sondern durch ihre Methode. Man kann über „psychologische" Objekte, etwa die Gesetze und Bahnen des seelischen Geschehens, oder über seelische Eigenschaften wie Angst, Zorn, Liebe, Wahrhaftigkeit, sehr unpsychologisch phantasieren (auch dogmatisieren!), und man kann ein Objekt, das an sich mit Psychologie nichts zu tun hat, etwa eine Blume, eine Wetterkatastrophe, die Geburt eines Kindes, psychologisch bearbeiten. „ P s y c h o l o g i s c h " bedeutet, dafi ein Gegenstand wissenschaftlich untersucht wird in seinem B e z o g e n s e i n a u f d i e W i r k l i c h k e i t d e r S e e l e . Da diese Wirklichkeit alles betrifft, so kann auch alles psychologisch untersucht werden. Es versteht sich von selbst, dafi „Seele" hierbei nicht ontisch und nicht ontologisch verstanden und weder das ontische noch das ontologische Problem der Seele berührt wird. S e e 1 e ist hier psychologisch verstanden a l s I n b e g r i f f d e r p s y c h i s c h e n K r ä f t e des Menschen, der Gesetze ihres Ablaufs und der Beziehungen des psychischen Geschehens. Entscheidend ist die Tatsache, dafi die genannten Kräfte und ihre Beziehungen da sind, und man sich dahin verständigt hat, sie mit dem Gesamtbegriff Seele zu bezeichnen. Der Begriff ist hier also allgemein verstanden. Auch die von J u n g vollzogene Unterscheidung zwischen Psyche und Seele 24 steht hier nicht zur Debatte. Seele im allgemein-psychologischen Sinne im Gegensatz zum ontischen und ontologischen entspricht hier mehr dem, was J u n g Psyche 24 C. G. Jung, Psychologische Typen. 5. bis 6. Tausend. Zürich, Leipzig, Stuttgart 1921. S. 661 ff.
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nennt, greift aber über Psyche als Gegenspiel zur Seele wiederum hinaus. Wichtig ist die die Seele in das Gesamtleben des Menschen wirksam einordnende Formulierung von Hans K ü n k e l , „ O r g a n des S c h i c k s a l s i m M e n s c h e n ' ' 2 6 . . „Diese Auffassung gibt dem gesamten Seelenleben eine neue Richtung. Seele ist nicht Korrelat des Leibes sondern des Schicksals"2®. Es ist ein häufiger Vorgang im Leben, daß dasselbe Geschehen unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten angesehen werden kann und mufi. und daß beide Beurteilungen einheitlich um eines gemeinsamen Zieles willen erforderlich sind. Ein alltägliches Beispiel dafür ist etwa das Kochen der Speise auf dem Herd. Den darin sich vollziehenden Vorgang können wir nach dem durch das Kochen entstehenden Geschmack und Nährwert beurteilen. Wir können aber auch denselben Vorgang nicht stattdessen, sondern außerdem beurteilen nach dem chemischen Prozefi, dem die Speise während des Kochens unterliegt. Der eine Vorgang des Kochens schafft an demselben Objekt (der Speise) sowohl den Nährwert wie den chemischen Prozeß. Beides wird im Interesse des Menschen untersucht und beurteilt, beides steht, obwohl es gesondert untersucht werden kann, in gewissen übergreifenden Zusammenhängen. Beides gehört zusammen und ist doch voneinander getrennt. Der gleiche Vorgang wird von verschiedenen Seiten her angefaßt. Diese Möglichkeit und Notwendigkeit mehrseitiger Beurteilung ergibt sich nun auch für Geschehnisse auf geistigem Gebiet. Jedes Geschehen, das mit der Seele des Menschen zusammenhängt und in Beziehung zu seinem Glauben steht, verfällt demnach gar nicht den Spannungen der Streitfrage, ob es theologisch „oder" vorwiegend theologisch bzw. psychologisch zu verstehen sei, sondern es hat von vornherein zwei Seiten seines Wesens: Es ist theologisch u n d z u g l e i c h psychologisch zu verstehen. G l a u b e ist ein existentiell entscheidendes Geschehen im Menschen, welches seine Stellung zu Gott bestimmt. Insofern ist Glaube eine t h e o l o g i s c h e A n g e l e g e n h e i t und unterliegt theologischer Beurteilung. Glaube ist aber zugleich ein Geschehen in der Seele des Menschen, das, unbeschadet seiner metaphysischen Beziehung, in dieser und mit ihren Kräften sich vollzieht. Und niemand wird leugnen, daß echter Glaube den seelischen Zustand des Menschen wandelt, also beeinflußt, Geschehnisse in ihm hervorruft und ihn ändert. (Was übrigens unechter Glaube und Unglaube genau ebenso wirksam nur mit umgekehrten Vorzeichen tut.) Glaube ist also zugleich eine p s y c h o l o g i s c h e A n g e l e g e n h e i t und der psychologischen Untersuchung zugänglich. In gleicher Weise kann jeder beliebige Gegenstand sowohl theologisch wie psychologisch beurteilt werden. Eine Blume im Garten ist einerseits Teil der Schöpfung, sie untersteht also der theologischen Beurteilung. Ich kann sie als Werk Gottes beurteilen, ich kann ihre religiöse Wirkung 26
Hans Künkel, Der furchtlose Mensch. Jena 1938. S. 13. 2β Ebda. S. 15.
Glaube psychologisch und theologisch gesehen
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auf einen frommen wie auf einen unfrommen Menschen untersuchen. Dieselbe Blume steht aber ebenso umfassend unter psychologischem Aspekt, da sie auf die Psyche des Menschen eine psychische Einwirkung ausübt. Ich kann also etwa feststellen, daß eine Sonnenblume psychisch anders, wirkt als ein Veilchen, daß dieselbe Blume auf den einen erhebend, auf den andern sehnsuchtweckend, auf den dritten beruhigend w i r k t usw. Und schließlich zeigt sich an dem eben Gesagten, wie weitgehend die theologische und die psychologische Bearbeitung ineinander übergreifen, und daß eine saubere Scheidung n u r theoretisch, nicht praktisch vollzogen werden kann. Neben der Erkenntnis aber, daß „mau" jeden Gegenstand theologisch und psychologisch beurteilen kann, steht die Tatsache, daß jede der beiden Möglichkeiten eine konkret vorliegende Arbeitsleistung und eine konkret sich auswirkende Arbeitsmethode gezeitigt hat. Es gibt Theologie und Seelsorge (einschl. Predigt usw.) und es gibt Tiefenpsychologie nebst Psychotherapie, und in dieser liegt eine seelenkundliche Arbeitspraxis am Menschen vor, in der, zunächst und überwiegend, rein psychologische Gesichtspunkte den Ausschlag geben, Ansatz, Richtung und Resultat der Arbeit bestimmen. Hier ist die grundsätzliche und die praktische Klärung des Verhältnisses beider zueinander ein schwieriges u n d durch mancherlei Ressentiments belastetes Problem. Zunächst: Die innere Freiheit zu einer furchtlosen und fruchtbaren Verbindung theologischer und psychologischer Arb e i t gewinnt n u r der, der die g r u n d s ä t z l i c h e Unerläßlichkeit beider n e b e n e i n a n d e r erkennt. Dazu Sich durchzuringen ist heutigentages eine Aufgabe f ü r jeden Theologen, von der viel f ü r ihn und sein Wirken abhängt. Damit verbunden ist die andere Aufgabe, daß die Möglichkeit der Grenz Überschreitung von beiden Seiten her erkannt u n d überwunden wird. G r e n z ü b e r s c h.r e i t u η g seitens der Theologie liegt da vor, wo der Psychologie Recht und Notwendigkeit ihrer Arbeit bestritten wird, es sei grundsätzlich oder praktisch, sowie da, wo die Theologie glaubt, die Psychologie ersetzen zu können. Es gibt eben Macht des Geistes (pneuma) u n d K r ä f t e der Seele, und das ist zweierlei. Theologie soll die Geistesmacht bezeugen und eben dadurch die Seelenkräfte leiten. D a r u m muß sie auch die Gesetze des Geschehens in der Seele kennen, als wirklich anerkennen und ihre Erkenntnisse und Hilfen verwerten. Grenzüberschreitung seitens der Psychologie ist ebenfalls naheliegend und kommt vor, weil der Psychologe nicht arbeiten kann, ohne die Ganzheit des Menschen in Arbeit zu nehmen. Daß dabei seine eigene religiöse Überzeugung mitwirkt, ist nicht in menschlicher Schwäche begründet, sondern wesenhaft notwendig 1 * 7 . „Ein Arzt und gar ein Seelenarzt, der von der letztlich nur metaphvsisch zu fassenden Sinngebung des Lebens 27 Vgl. Erich Schick, „Psychologie und heiliger Geist", in Schriftenreihe der Europäischen Arbeitsgemeinschaft: Arzt und Seelsorger. Heft 1. Nürnberg-Berlin. Seite 33 ff.
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Einleitung
nicht ü b e r z e u g t ist, w i r d mit allen Mittelchen — d e n „ M e t h o d e n " u n d „Systemen" — ein m i s e r a b l e r F l i c k s c h u s t e r bleiben. D i e Nöte, d e n e n w i r bei d e r B e h a n d l u n g von N e u r o s e n begegnen, v e r l a n g e n es, d a ß w i r u n s mit diesen F r a g e n e r n s t h a f t auseinandersetzen, d e n e n g e g e n ü b e r die f r ü h e r k o m p e t e n t e n Konfessionen u n d P f a r r e r l e i d e r vielfach versagen" 2 8 . Psychologie ist sogar u m so größer u n d u m so h e i l k r ä f t i g e r , j e s t ä r k e r d e r Psychologe mit seiner w e l t a n s c h a u l i c h e n Ü b e r z e u g u n g , d. h. mit den K r ä f t e n seiner m e t a p h y s i s c h e n B ü c k v e r b i n d u n g , h i n t e r seiner A r b e i t steht — g e n a u · so w i e echte Theologie n u r w i r k s a m w e r d e n k a n n , w e n n sie sich mit e c h t e r Psychologie v e r b i n d e t . S i g m u n d F r e u d , d e r geniale B e g r ü n d e r d e r neuzeitlichen Psychologie, h a t f ü r Religion, mindestens im i r g e n d w i e positiven Sinne, kein Verständnis g e h a b t („Die Z u k u n f t einer Illusion"). D e s h a l b a b e r k o n n t e e r trotz seiner u n e r h ö r t e n E i n f ü h l u n g s f ä h i g k e i t die eigentlich religiösen, zumal die christlichen P r o b l e m e , nicht i h r e m W e s e n e n t s p r e c h e n d z u r Lösung f ü h r e n , sondern m u ß t e sie z w a n g s l ä u f i g ins Psychologische u m biegen. Bei ihm liegt tatsächlich die P s y c h o l o g i s i e r u n g d e r Religion vor, d e r e n n u n w e i t h i n zu U n r e c h t die gesamte Psychologie v e r d ä c h t i g t w i r d . W i e es a b e r Psychologen gibt, die mit Religion u n d C h r i s t e n t u m w e n i g e r oder w e n i g V e r b i n d u n g h a b e n , so gibt es a u c h solche, die voll im C h r i s t e n t u m stehen u n d bei d e n e n w e d e r die Psychologie noch d e r G l a u b e d a d u r c h A b b r u c h erleidet. G r u n d s ä t z l i c h ist nicht n u r G r e n z ü b e r s c h r e i t u n g v e r m e i d b a r , sondern volle V e r e i n i g u n g möglich. J e d e r f r e i l i c h v e r m a g , u n d g e r a d e in F r a g e n d e r Religion u n d des G l a u b e n s , n u r soweit zu helfen, w i e e r sieht. W e r die religiösen F r a g e n nicht sieht, k a n n nicht helfen, weil e r sie m i ß v e r s t e h e n m u ß als S y m p t o m e a n d e r e r P r o b l e m e . W e r sie a b e r sieht, ist i m m e r noch g e f r a g t , w i e tief e r sie e r k e n n t . W e n n w i r d e r Ü b e r z e u g u n g sind, d a ß das C h r i s t e n t u m die tiefste u n d eigentliche D e u t u n g u n d B e w ä l t i g u n g des Seins ist, w e r d e n w i r bei gleicher psychologischer F ä h i g k e i t u n d E r f a h r u n g d e n j e n i g e n Psychologen f ü r d e n t i e f s t g r e i f e n d e n ansehen, d e r a m u n m i t t e l b a r s t e n im C h r i s t e n t u m w u r z e l t . Je t i e f e r ein Psychologe m e t a p h y s i s c h f u n d i e r t ist, u m so t i e f e r k a n n e r in m e t a p h y s i s c h e n Nöten helfen. U m so k l a r e r w i r d e r a u c h e r k e n n e n , d a ß die d e n Menschen t r a g e n d e n W i r k l i c h k e i t e n selbständige M ä c h t e sind, nicht identisch mit d e n in ihm w i r k e n d e n Seelenk r ä f t e n , u n d a u c h nicht d e r e n P r o j e k t i o n . Im echten E r f a h r e n b e i d e r Mächte, d e r Religion u n d d e r Psychologie, w i r d die G e f a h r illegitimer G r e n z ü b e r s c h r e i t u n g a u f g e h o b e n u n d zu fruchtbarer Verbindung gewandelt. Die Freiheit und Ehrfurcht vor der G r e n z e k a n n sowohl seitens des Theologen w i e seitens des Psychologen n u r d u r c h Einsicht u n d R e i f e e r r u n g e n w e r d e n , u n d d e r G r a d i h r e r Verw i r k l i c h u n g h ä n g t v o m G r a d dieser Einsicht u n d R e i f e ab. D e r Theologe h a t nicht die A u f g a b e , d e r Psychologie d e n R ü c k e n zu k e h r e n , sondern d a h i n zu w i r k e n , d a ß schlechte Psychologie d u r c h g u t e ü b e r w u n d e n w e r d e . D e r Psychologe f ö r d e r t seine A r b e i t nicht, w e n n e r d e r Theologie 28 G. R. Heyer, Praktische Seelenhedlkunde. München 1935, S. 61/62.
Grenzüberschreitung und Arbeitsgemeinschaft
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den R ü c k e n kehrt, sondern wenn er ein echtes und tiefes Verständnis dessen sucht, was gute Theologie meint. F r u c h t b a r e Arbeit w i r d auf beiden Seiten um so m e h r geleistet, j e mehr j e d e r einzelne sich f ü r verpflichtet hält und danach strebt, Mißtrauen u n d Grenzüberschreitung zu überwinden. Alles echte u n d volle Leben ist n u r mit dem persönlichen Einsatz, d a r u m zugleich n u r mit dem Wagnis etwaiger Fehler, zu gewinnen. W e r als Theologe psychologische Besinnung ablehnt, steht in größerer G e f a h r einer lebensfremden Theologie, als w e r das Risiko auf sich nimmt und somit auch die Hilfe empfangen kann. Theologische und kirchliche Gef a h r e n d a d u r c h meiden wollen, daß man die gefahrbringenden Gebiete umgeht, ist Flucht aus dem uns aufgetragenen Dienst u n d heißt freiwillig den theologischen oder kirchlichen Strohtod sterben.
III. D i e
Tiefenpsychologie
1. P s y c h o l o g i e
im u m f a s s e n d e n
Sinne
Die P s y c h o l o g i e i m w e i t e s t e n S i n n e ist erst seit einigen Jahrzehnten zu der Bedeutung gelangt, die sie gegenwärtig hat. Sie zerfällt, aufs ganze gesehen, in drei Arbeitsgebiete, die zugleich in i h r e r Aufeinanderfolge eine Steigerung bzw. Vertiefung des Erfassens seelischer Zusammenhänge und des Ganzheitsproblems bedeuten, u n d von denen das dritte f ü r uns die unmittelbarste und Umfassendste Bedeut u n g hat. Das erste ist die e x p e r i m e n t e l l e P s y c h o l o g i e . Sie „war bestrebt, die all gemeingültigen F o r m e n menschlicher E r f a h r u n g u n d i h r e r gesetzmäßigen V e r k n ü p f u n g festzustellen. Diese Absicht mußte notwendigerweise zu einer Beschränkung auf die Erforschung der Formenelemente f ü h r e n " 2 9 . Experimentelle Psychologie erforscht mit Hilfe des Experimentes, wie die psychischen K r ä f t e des Menschen, sie seien psychisch oder psychisch-physisch bedingt, funktionieren. Ihr Interesse ist es, die Leistungsmöglichkeiten des Menschen festzustellen, Wege zur Leistungssteigerung zu suchen usw. I h r e vielseitige Bedeutung haben w i r freimütig anzuerkennen, auch die u n m i t t e l b a r e Bedeutung, die sie in mancher Richtung f ü r die Ermöglichung tiefenpsychologischer Arbeit hat. Doch liefert sie f ü r unser Problem nicht den entscheidenden Beitrag. D e n n es geht uns nicht darum, wie eine psychische Funktion a b l ä u f t oder gesteigert wird, auch noch nicht um die Bedeutung der F u n k t i o n f ü r das schicksalhafte Geschehen, sondern um dieses selbst; also darum, was d u r c h diese F u n k t i o n im Menschen als einem einheitlichen, ein Schicksal lebenden Wesen sich ereignet, wie das psychische Geschehen auf ihn und in ihm w i r k t , und was es f ü r ihn bedeutet. D e r Unterschied unseres Interesses gegenüber dem der experimentellen Psychologie gleicht etwa dem des G ä r t n e r s gegenüber dem Botaniker im 29
Otto Tumlirz, Anthropologische Psychologie. Berlin 1939, S. 32.
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Einleitung
engeren Sinne. Dieser untersucht die Pflanzen, stellt ihre Lebensbedingungen und i h r e Lebensmöglichkeiten fest u n d hat als solcher damit sein W e r k getan. D e r G ä r t n e r arbeitet mit denselben Pflanzen, aber er nimmt sich i h r e r anders an: er schafft einen G a r t e n , in dem die einzelne Pflanze lebendiger Teil eines lebendigen Ganzen ist. Das Wesentliche f ü r ihn ist der G a r t e n als Ganzes, d a h e r das Wesentliche an der Pflanze ihr Leben im G a r t e n . So steht die Arbeit der C h a r a k t e r o l o g i e , die j a in den letzten J a h r z e h n t e n mit Eifer u n d umfassenden Ergebnissen betrieben worden ist, u n s e r e r A u f g a b e schon erheblich n ä h e r . I h r bedeutsamer neuzeitlicher B e g r ü n d e r Κ 1 a g e s · charakterisiert die A u f g a b e der Psychologie (im Sinne d e r C h a r a k t e r k u n d e ) als „Verstehen der ganzen F o r m e n f ü l l e des seelischen Lebens" 3 0 . Jedoch k a n n auch von ihr noch nicht das Entscheidende empfangen werden, denn es geht' uns hier nicht u m eine „Systematik der C h a r a k t e r z ü g e " und auch nicht n u r um eine „Systematik der Charaktertypen"31. Die Arbeit der C h a r a k t e r k u n d e gleicht der sehr genauen A u f n a h m e eines Gegenständes d u r c h die Photographie. Sie gibt alles wieder und sie g e w ä h r t auch einen Einblick in die Tiefenrichtung. Aber sie bleibt im wesentlichen bei der Beschreibung u n d hat noch nicht als entscheidendes Interesse die Tendenz, in den Ablauf des Lebens und die Gestalt u n g des Schicksals formend und f ö r d e r n d einzugreifen. Es fehlt ihr noch die V e r w i r k l i c h u n g der Tiefendimension. Uns geht es hier aber, w e n n w i r von der Predigt aus von der Psychologie reden, nicht n u r u m das B i l d des C h a r a k t e r s , sondern um das S c h i c k s a l des Menschen in seiner dynamischen Wirklichkeit mit allem Erleiden und aller Gestaltung, und um die u m f o r m e n d e n und f o r t f ü h r e n d e n Kräfte, die an ihm schaffen. In diesem Vollsinn mit allen Dimensionen des lebendigen Geschehens geht an den Menschen n u r die Tiefenpsychologie h e r a n . 2. D i e B e d e u t u n g d e s
Unbewußten
Die eigentliche Tiefenpsychologie ist ü b e r die n u r forschende Psychologie hinaus und, soweit C h a r a k t e r o l o g i e n u r forschend getrieben wird, auch ü b e r diese hinaus nicht n u r u n d nicht in erster Linie Forschung, sondern vor allem T h e r a p i e . Sie hat das Ziel, dem seelisch K r a n k e n heilend, dem seelisch Gesunden f ö r d e r n d zu helfen. Somit ist sie ein gewichtiger Eingriff in die geistig-seelische Entwicklung des Menschen im Sinne einer D u r c h Ordnung, Belebung u n d F ö r d e r u n g seines seelischen Lebens. All ihre Forschungsergebnisse sind aus der P r a x i s entstanden urrd konnten n u r aus ihr entstehen, da n u r in der P r a x i s die seelischen Geschehnisse fafibar sind. Insofern ist ihre Methode der medizinischen Forschung n ä h e r als der philosophischen: sie entsteht „am O b j e k t " . Auf diese Weise freilich hat n u n die Tiefenpsychologie als Wissenschaft, also so Ludwig Klages, Charakter. 4. Aufl. 1926, S. 8. 3! Fritz Künkel, Einführung in die Charakterkunde. 4. Aufl. 1931, S. III.
Das gtoBe Unbewußte und das klein« BewuStsein
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forschend, ein zentrales und unermefilich wichtiges Gebiet des Seins neu entdeckt u n d weitgehend d u r c h d r u n g e n , wenn auch hier so eindrücklich wie k a u m sonst die Anfänglichkeit des Wissens sich s p ü r b a r macht: die „Tiefen" des Seelenlebens. I h r e Großtat ist die E n t d e c k u n g d e s U n b e w u ß t e n , das eben d u r c h sie in seiner uneTmeßlichen Bedeutung e r k a n n t worden ist. Und ihr eigentliches C h a r a k t e r i s t i k u m , ihre via regia, ist die Verarbeitung der Träume, d u r c h die störende K r ä f t e des Uiibewußten soweit ins Bewußtsein erhoben Werden können, daß sie statt störend, helfend in d a s Leben sich einordnen. P a u l B j e r r e ' s Buchtitel „Das T r ä u m e n als Heilungsweg der Seele" d r ü c k t das zutreffend aus. C. G· J u n g h a t d a s V e r h ä l t n i s v o n B e w u ß t s e i n u n d U n b e w u ß t e m ausgedrückt in dem Bilde einer nächtlichen Landschaft, die zum großen Teil im D u n k e l n liegt u n d von der n u r ein kleines Stück d u r c h einen Lichtkegel erhellt ist. Dieses kleine Stück gleicht unserm Bewußtsein, alles andere dem Unbewußten. Wie nun das Leben dieses kleinen, beleuchteten Teiles der Landschaft mit dem viel größeren Gesamtleben des im D u n k e l liegenden Teiles völlig verwoben ist, so ist das Bewußtsein des Menschen n u r der kleinere Teil seines Seins und völlig mit dem Unbewußten verwoben. „Das LTnbewußte fließt beständig in das b e w u ß t e psychologische Geschehen ein 3 2 ." „Bewußtsein entsteht d u r c h sichabwenden vom und im Gegensatz zum Instinkt 3 3 ." „Das Unb e w u ß t e ist das Ursprüngliche. Das Bewußtsein geht aus dem Unbewußten hervor" 3 4 , nicht umgekehrt. D e r abendländische Geist verwechselt d a s oft. Das Unbewußte ist eine „Totalschau potentieller Natur" 3 6 . „Unbewußt ist nicht gleich versteckt und halb vergessen. Die Inhalte des Unbewußten bringen alles an die Oberfläche, was im weitesten Sinne zur Ergänzung,, d. h. zur Ganzheit der bewußten O r i e n t i e r u n g nötig ist 3 6 ." W e n n sinnvoller Einbau gelingt, „so entsteht d a r a u s eine psychische Existenzform» welche dem Ganzen der individuellen Persönlichkeit besser entspricht und d a r u m auch fruchtlose Konflikte der bewußten u n d u n b e w u ß t e n Persönlichkeit aufhebt. Auf diesem Prinzip b e r u h t die moderne Psychotherapie, soweit sie sich von dem historischen Vorurteil freimachen konnte, daß das Unbewußte n u r infantile u n d moralisch m i n d e r w e r t i g e Inhalte berge 3 7 ." „Es gibt auch im Westen Menschen, welche letzte Ziele wittern und keine Mühe scheuen, sich diesen anzunähern 3 8 ." 32 C. G. Jung·, Psychologische Typen, S. 489. 33 C.G. Jung, Seelenprobleme der Gegenwart. Zürich, Leipzig und Stuttgart 1932, Seite 249. 34 Ders. im Vorwort zu Richard Wilhelm, Das Geheimnis der goldenen Blüte. München 1929. S. 55. 3® Ders. in: Suzuki, Die große Befreiung. Leipzig 1939. S. 28. 3β Eda. S. 29. 37 Ebda. S. 29. 38 Ebda. S. 31/32.
32
Einleitung
Die Entdeckung der Bedeutung des Unbewußten ist f ü r den gegenwärtigen Menschen von u n a b s e h b a r e r Tragweite. Sie wandelt die ganze neuzeitliche Richtung des Denkens,, die schon mit D e s c a r t e s beginnt. D e s c a r t e s „cogito ergo sum" ist das Anfangsmerkmal einer einseitig rationalen Weiterentwicklung des Menschen, die ganz besonders im Raum der protestantischen Kirche sich nachdrücklich und verhängnisvoll ausgewirkt hat. In diesen Zusammenhang gehört das nachdenkenswerte psychologische Urteil J u n g s ü b e r die S t r u k t u r der Kirche: „Es ist ihre raison d'etre, sich aller U r e r f a h r u n g entgegenzustemmen, denn diese k a n n n u r heterodox sein" 39 . Mit der steigenden Erziehung des Menschen zum vorwiegend rationalen Wesen hängt die oft erstaunlich große Instinktunsicherheit zusammen, die vielen Menschen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart a n h a f t e t ; mit ihr auch die weitgehende metaphysische Unsicherheit, die F r e m d h e i t in allen ü b e r die g r e i f b a r e Wirklichkeit hinausgehenden und damit irgendwie dem Unbewußten nahen Gegebenheiten. D i e E i n b e z i e h u n g des U n b e w u ß t e n in d a s g e l e b t e L e b e n erweist sich damit als dringend notwendig, und die seelische Gesundheit der Z u k u n f t w i r d wesentlich davon abhängen, ob wir die unmittelbare Fähigkeit wiedergewinnen, aus den K r ä f t e n des Unbewußten wieder in höherem Maße zu leben. Deshalb muß auch gründlichst der I r r t u m ü b e r w u n d e n werden, als ob psychologische Arbeit hauptsächlich eine Sache f ü r psychisch k r a n k e Menschen wäre. Dieser I r r t u m ist d a d u r c h entstanden, daß die psychologischen Erkenntnisse sich allerdings zunächst in der Behandlung von Neurosen ergeben haben. Die sachliche Beziehung zwischen Bewußtem und Unbewußtem erweist aber eindeutig, daß f ü r j e d e n Menschen, auch den Gesundesten, d u r c h eine tiefenpsychologische D u r c h a r b e i t u n g neue, oft ungeahnt starke, K r ä f t e freigelegt w e r d e n können. Ein Wissen um die Sache ohne die Vokabel „UnbeWußtes" ist zum Teil auch in der Homiletik da und kommt zu andeutendem A u s d r u c k in W e n d u n g e n wie der des tiefgründigen Theodosius Η a r η a c k : „Die Predigt ruht, wie alles Geistesleben, auf einem unmittelbaren G r u n d e in uns, von dem w i r mehr bestimmt sind, als wir gewöhnlich ahnen" 4 0 . 3. D i e A r b e i t d e r
Tiefenpsychologie
Die gegenwärtige Tiefenpsychologie ist ein vielgestaltiges Gebilde, an dem einige h u n d e r t T h e r a p e u t e n forschend und p r a k t i z i e r e n d arbeiten, so daß es weiterhin im ständigen Fortschreiten ist. D u r c h immer s t ä r k e r e A n n ä h e r u n g ursprünglich verschiedenartiger Auffassungen in nun fast drei Generationen ist ein weit und tief verästeltes W i r k u n g s f e l d entstanden, auf dem man doch in wachsendem Maße zu einheitlichen Voraussetzungen, Erkenntnissen und P r a k t i k e n kommt, so daß man weithin k a u m noch von „Schulen" reden kann. Es gibt notorisch keinen Psychologen mehr, der nicht, auch bei weitgehendstem Anschluß an eine d e r 39 Ebda. S. 32. 40 Theodosius Harnack, Praktische Theologie. Band II. Erlangen 1878, S. 250.
Das Unbewußte im gelebten Leben
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ursprünglichen Schulen, von den anderen und der gegenwärtigen Gemeinschaftsarbeit Wesentliches angenommen hätte u n d nehmend u n d gebend in sie verwoben wäre 4 1 . Trotzdem versteht man die Grundlinien und die Probleme am besten und gewinnt eine Art Tiefenschau f ü r sie, wenn man die ursprünglichen Leitlinien der drei Richtungen sich verdeutlicht, aus denen das Ganze sich zusammenschlofi,zumal neben den ü b e r g r e i f e n d e n F a k t o r e n die einzelnen Schulen ihre Selbstständigkeit undEigenprägungbewahren- Wenn das auch hier nu r in mehr als k n a p p e r Ubersi cht und Ch arakterisierung gesche heil kann, so tritt doch wie so oft in denUrrichtungen die Urproblematik h e r aus, und die immer wieder aufquellenden G r u n d a n l a g e n w e r d e n sichtbar. Insofern ist die geschichtliche Entwicklung d e r Psychotherapie ein instruktiver Beitrag zur anthropologischen Grundsituation. Die p s y c h o a n a l y t i s c h e R i c h t u n g (Freud) ist die älteste, die auf den ersten Entdeckungen fußt. Sie legt besonderen W e r t auf die Auflösung des Traumas, der Verletzung der Seele in der Kindheit, und betont die Bedeutung der (im weiteren Sinne zu verstehenden) sexuellen Sphäre. I h r e Wichtigkeit liegt in dem sorgsamen Bemühen, kausal sehend, also r ü c k w ä r t s gewendet, die Schwierigkeiten aus der Vergangenheit des Menschen aufzulösen. Die I n d i v i d u a l p s y c h o l o g i e (Adler) ist im Gegensatz dazu hauptsächlich final gewendet. Sie sieht die H a u p t t r i e b f e d e r des Menschen in dem Willen zur Selbstbehauptung. Ihre S t ä r k e liegt in der Einordnung des Einzelnen in die Gesamtheit als der gesunden W e n d u n g der Selbstb e h a u p t u n g (Künkel, „Das Wir"). Damit zusammenhängend hat sie nicht n u r f ü r die Behandlung Erwachsener, sondern auch auf pädagogischem Gebiet (psychische Heilung und F ü h r u n g Jugendlicher) große Bedeutung. Die k o m p l e x e P s y c h o l o g i e hat ihren Begründer in C. G. J u η g. „Es ist der falscheste Weg zu Jung, wenn man ihm aus der Richtung P'reud entgegenkommt 4 2 ." „Jung ist vom Erlebnis des Unbewußten ausgegangen, nicht von Freud, wie man gewöhnlich sagen hört 4 3 ." Jung sieht die beiden ersten Richtungen als zwei von zwei verschiedenen Menschentypen (extravertiert und introvertiert) ausgehende Bemühungen, denselben Sachverhalt zu verstehen, der aber tatsächlich tiefer liegt, als er von den beiden erstgenannten letztlich e r k a n n t wird. Jungs bedeutsamste Entdeckung ist die Herausarbeitung des k o l l e k t i v e n U n b e w u ß t e n neben dem persönlichen Unbewußten. Im kollektiven Unbewußten ist die gesamte urgriindig tiefe und weite E r f a h r u n g der Menschheit enthalten, und jeder einzelne wurzelt im G r u n d e in diesem Wissen d^s „uralten Mannes in ihm". Erst in diesem Ansatz ist die volle Möglichkeit gegeben, die Tiefen des menschlichen Seins nach allen Richtungen hin zu erforschen. Neben Zusammenarbeit und Zusammenschlüssen der therapeutischen Richtungen s i n d die Arbeitsgemeinschaften „Arzt und Seelsorger" symptomanisch wie praktisch bedeutsam. 42 W. M. Kranefeldt, im Zentralblatt für Psychotherapie. Band VII (1934) S. 35. « Ebda. S. 32. 4
H c e n d l e r , Die Predigt
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Einleitung·
D e r Individualpsychologe N e u m a n n h a t in einem Artikel im „Evangelischen Deutschland" 4 4 Jung als Mystiker bezeichnet. Das f ü h r t insofern irre, als diese C h a r a k t e r i s i e r u n g die o b j e k t i v vorhandene chaotische Unergründlichkeit des Unbewußten zu einer subjektiven Anschauung eines scheinbar damit irrenden Beobachters stempelt. Es ist aber in W a h r heit nicht so, dafi Jung falsch sieht, sondern so, dafi er m e h r sieht. Diese Tiefen sind eben da in i h r e r U n g r e i f b a r k e i t und Unergründlichkeit, und es ist unsere schwierige Aufgabe, d a r a n zu arbeiten, daß ihre E i n w i r k u n g in das b e w u ß t e Leben soweit möglich kontrollierbar und l e n k b a r werde. Die komplexe Psychologie geht darin b e w u ß t e u n d k l a r e Wege und kennt ihren eigenen O r t im Ganzen des Geschehens und der Gegebenheiten. „Die komplexe Psychologie sieht ihre Bedeutung darin, den Zusammenhang zwischen dem Bewußtsein und dem totalen Psychischen w i e d e r herzustellen. 4 5 " „Die Arbeit an sich selbst ist kein letztes Ziel, sondern ein Mittel, und die Erkenntnis des Ich ist eine Stufe im Prozeß der Individuation, deren Sinn der Konnex mit der psychischen Totalität ist. 4 6 " Es gehört zu den verhängnisvollsten F e h l e r n der verbreitetsten Auffassungen von der Tiefenpsychologie in Deutschland, daß gerade Jung, ihr tiefster und umfassendster Vertreter, weithin viel weniger b e k a n n t ist, als F r e u n d und Adler mit ihren Schulen es sind. G e r a d e f ü r die Begegnung mit dem Christentum ist dieses Manko besonders schwerwiegend (siehe unten). Diese drei G r u n d r i c h t u n g e n der Psychologie entsprechen n u n den drei Sphären, in denen das Leben sich abspielt, und j e d e von ihnen hat eine der Sphären mit ihrem Urproblem besonders verarbeitet. Die Sphären sind: die I c h - S p h ä r e , die geklärt w e r d e n muß (Psychoanalyse); die D u - S p h ä r e als Beziehung des Ich zum D u und zur Gesamtheit (Individualpsychologie); und j e n e dritte, die wir am besten die G r u n d s p h ä r e nennen, in der der Einzelne sowohl wie die Gesamtheit in das kollektive Unbewußte und in die H i n t e r g r ü n d e des Seins einbezogen sind (komplexe Psychologie). So selbstverständlich, wie diese D a r s t e l l u n g vereinfacht, ist es auch, dafi die Schichten ineinander ü b e r g r e i f e n und niemals ein Psychologe arbeiten könnte, wenn er sich auf eine von ihnen beschränken wollte. Auch das ist klar, daß die K l ä r u n g dieser Schichten in der tiefenpsychologischen Arbeit nicht an eine Reihenfolge gebunden ist, sie vielmehr ständig ineinandergreifen. Immerhin k a n n m a n dennoch von einer gewissen Stufenfolge insofern reden, als „wir gegenüber d e r f r ü h e r e n analytischen Seh- und Arbeitsweise in f r e i e r e L u f t kommen, wenn wir uns nach J u n g orientieren" 4 7 . 44
Das Evangelische Deutschland. Jg. 19, S. 21. T. Wolff, In: „Die kulturelle Bedeutung der komplexen Psychologie". Berlin 1935. S. 48. 4 β Ebda. S. 39. 47 Heyer, Der Organismus der Seele. 2. Aufl. 1937. S. 123. Hier ist eine umsichtige und gute Orientierung über den Gang der psychologischen Arbeit gegeben in Kap. 9 bis 11; von Jung selbst in Auseinandersetzung mit dem früheren in „Das Unbewußte im normalen und kranken Seelenleben". Zürich 1936, Kap. 1 ff. 45
Psychische Sphären
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Die r e l i g i ö s e Sphäre hat den größeren Ort, daß sie die drei genannten Sphären u m f a ß t und in j e d e r von ihnen sich verwirklichen kann. Die hier vorliegende Situation ist zu behandeln nach der E r k e n n t nis, die S c h l a t t e r f ü r die Dogmatik herausstellt: „Wir können die B e g r ü n d u n g des Gottbewußtseins nicht als eine einzelne A u f g a b e werten, neben die w i r noch a n d e r e Ziele als gleichwertig setzen" u n d „hier w i r d j e d e r Tatbestand u n t e r dem Gesichtspunkt erwogen, wie Gott d u r c h ihn o f f e n b a r sei" 48 . Wie Schlatters Dogmatik deshalb kein Einzelkapitel ü b e r „Gott" hat, so k a n n die Psychologie keine Einzelschicht i h r e r Arbeit ü b e r die S p h ä r e d e r Begegnung mit Gott haben. Zu den f ü h r e n d e n M ä n n e r n der Individualpsychologie gehört Fritz Κ ü η k e 1, der dem Christentum nahesteht. „Der Psychologe, der seine A u f g a b e ganz ernst nimmt und nicht auf halbem Wege stehenbleiben will, müßte, — auch w e n n er kein Christ w ä r e —, auf diesem Wege notwendig zum Christentum g e f ü h r t werden 4 9 ." So ist weithin die Auffassung verbreitet, daß die Individualpsychologie dem C h r i s t e n t u m am nächsten stehe u n d f ü r die christliche Arbeit am ertragreichsten sei. J u η g ist nach seinen bisher vorliegenden gedruckten Ä u ß e r u n g e n dem kirchlichen C h r i s t e n t u m gegenüber z u r ü c k h a l t e n d e r , a b e r seine Gesamtauffassung bietet mit ihrem tieferen u n d universalen Erfassen des Unbewußten und damit auch aller mythischen u n d mythologischen K r ä f t e und Vorstellungen doch den f r u c h t b a r e r e n Boden f ü r eine V e r k n ü p f u n g psychologischer u n d seelsorgerlicher Arbeit. D a s gilt besonders da. wo es sich um die letzte weltanschauliche Zuordnung von Seelsorge u n d Psychologie zueinander handelt und u m die Möglichkeit, P r o b l e m e d e r Seelsorge psychologisch tiefstmöglich zu erfassen. „Das U n b e w u ß t e ist der Mutterboden aller metaphysischen Aussagen, aller Mythologie, aller Philosophie (insofern sie nicht bloß kritisch ist) u n d aller auf psychologischen Voraussetzungen b e r u h e n d e n Lebensformen 5 0 ." Zu k o n k r e t e n Problemen der Seelsorge vergleiche m a n u. a. „die Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge" 5 1 , f e r n e r das bedeutsame, wenn auch dem Theologen vielleicht in Vielem erstaunliche Buch „Psychologie und Religion" 5 2 , noch mehr das erste Kapitel seines neuen Buches „Psychologie und Alchemie" (1944), das eine höchst beachtliche Auseinandersetzung mit dem kirchlichen Christentum bietet. «8 Adolf Schlatter, Das christliche Dogma, 1. Aufl. Calv. u. Stuttgart 1911, S. 11. 49 Evangelisches Deutschland 1938, S. 308, nach gekürztem Referat über einen Vortrag von Künkel. «o Jung, In: Suzucki, Die große Befreiung. S. 29.Weiteres im Vorwort z· III.Aufl. oi C. G. Jung, Die Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge. Zürich 1932 (V ortrag). 52 Vgl. Anm. 20 S. 22.
4*
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Einleitung
IV. D i e B e d e u t u n g der T i e f e n p s y c h o l o g i e für kirchliche 1.
Arbeit
Dringlichkeit
Die B e d e u t u n g d e r T i e f e n p s y c h o l o g i e f ü r d i e k i r c h l i c h e A r b e i t dürfte aus dem bisher Gesagten sich schon nachdrücklich ergeben. Doch ist noch folgendes hinzuzufügen: Die Einbeziehung der Tiefenpsychologie in die kirchliche Arbeit ist zunächst schon deshalb notwendig, weil wir unter den Gebildeten eine weitgehende A b w a n d e r u n g v o m P f a r r e r z u m Psychol o g e n beobachten, und zwar wiederum besonders im Protestantismus. Diese Abwanderung, die zunächst als solche vom Seelsorger weg erfolgt, ist j a damit zugleich auch eine Abwanderung vom Prediger, denn wer vom Seelsorger keine Hilfe glaubt erwarten zu können, erwartet sie auch vom Prediger nicht. J u n g teilt als Ergebnis einer entsprechenden Anfrage mit: „Für den Arzt entschieden sich 57 % aller Protestanten und nur 25 % der Katholiken. Für den Pfarrer bloß 8 % der Protestanten, dagegen 58 % der Katholiken, das waren die unzweideutigen Entscheide. Der Rest von 35 % der Protestanten konnte die Frage nicht entscheiden. Der katholische Rest von Unentschiedenen aber betrug nur 17 % 6 S ." An dieser Statistik ist bedeutsam sowohl die Tatsache der Abwanderung überhaupt, wie auch im besonderen der Prozentsatz von Protestanten im Vergleich mit Katholiken. Es ist, wenn auch hier nicht weiter zu erörtern, bedeutsam für das Problem der Kirche, daß die katholische Seelsorge der Gegenwart ihre See! sorgebefohlenen offenbar erheblich fester hält als die evangelische. Neben der entscheidenden Bedeutung, die dafür u. E. der Kultus hat. spielt für diesen Tatbestand nach vielfacher Aussage die bessere Schulung der katholischen Seelsorger in psychologischer Erkenntnis und Erfahrung eine gewichtige Rolle. Als Grund der Abwendung vom Pfarrer ergab sich auch nach Jungs Mitteilung bei dieser Umfrage bei 52 % der Mangel an psychologischer Kenntnis und entsprechendem Verständnis beim Pfarrer, bei 28 % die vorgefaßte Meinung des Pfarrers (Dogma und Tradition). Es gibt zu denken, daß alle Angehörigen von Theologen sich gegen den Pfarrer entschieden! Noch eindrücklicher für die protestantische Kirche ist der Hinweis, daß von den Patienten dreier Jahrzehnte die Grofizahl Protestanten waren 5 4 . Diese weitgehende Abwanderung vom Pfarrer ist zweifellos darin begründet, ,.daß breiteste Kreise im geistlichen Seelsorger nicht mehr den wirklichen Fachmann sehen" (Horst Fichtner). Das Vertrauen zum Psychotherapeuten ist größer, weil er die umfassendere Kenntnis der Psyche hat, und man ihm daher mehr Fähigkeit zur Führung und zum Durchordnen der seelischen Kräfte zutraut. Dem Pfarrer gesteht man zwar eine ehr furchtgebietende Weltanschauung zu, glaubt aber nicht, daß C. G. Junaf, Beziehungen, S. 13. 54 Ebda. S. 12. 53
Abwanderung· vom Pfarrer zum Therapeuten
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er helfen kann, weil er n i c h t g e n u g s e e l i s c h e F a c h k e n n t ii i s hat, u m aus dem Abstand u n d der Hilflosigkeit gegenüber dieser Weltanschauung h e r a u s z u f ü h r e n u n d ü b e r h a u p t schwierige seelische Komplikationen zu entwirren. Neben diesem G r u n d e steht als zweiter die F r e m d h e i t gegenüber dem P f a r r e r , von dem man das Empfinden hat, däfi er i n e i n e r g a n z a n d e r e n W e l t l e b t und keine B r ü c k e zu der Welt hat, aus der die Notleidenden kommen. Beide G r ü n d e aber greifen nicht n u r in die Aufgabe der Seelsorge, sondern ebenso in die der Predigt hinein. Denn Predigt ist auch Seelsorge im intensivsten Sinne. Psychologie ist also deshalb nötig, weil ein Prediger (und Seelsorger), der von ihr nichts weiß oder wissen will, Wege verschütet, die sonst gangbar w ä r e n und es versäumt, Wege gangbar zu machen, die n u r psychologische Kenntnis und Fähigkeit erschließen kann. D e r Theologe ist ohne eine wenigstens das Wesentliche enthaltende Kenntnis der Tiefenpsychologie heutigen Tages nicht mehr F a c h m a n n auf seinem Gebiet. Tiefenpsychologie w i r d in der Theologie vielfach auch deshalb verdächtigt, weil sie angeblich den Menschen zu viel zu weitgehender B e s c h ä f t i g u n g m i t s i c h s e l b s t f ü h r t , und in Besprechungen der 1. Auflage dieses Buches ist mehrfach, zum Teil mit s p ü r b a r e m G r a u e n , die B e f ü r c h t u n g laut geworden, daß m a n es j a gar nicht aushalten könne, sich selbst immer wieder zu beobachten und in solchem Maße sich ständig mit sich selbst zu beschäftigen. D e m w ä r e zunächst entgegenzuhalten, daß die ganze Fülle psychologischer Erkenntnisse weit überwiegend zunächst aus Selbstbeobachtung entstanden ist. Was der Psychologe kann, w a r u m sollte das der Theologe nicht können? Vielleicht entsteht die F u r c h t davor meist w i e d e r u m aus einer unsachlichen Vorstellung von dem Geschehen. Man versteht diese „Beschäftigung mit sich selbst" im Sinne etwa der Tagebuchleidenschaft der Romantik und sieht deshalb ein eitles, unverwurzeltes und wucherndes Spiel in ihr. Tatsächlich aber ist die psychologische „Selbstbeobachtung" ganz anders geartet. Zunächst beschränkt sich ihre fachliche D u r c h f ü h r u n g auf die Stunden beim T h e r a p e u t e n und das Festhalten der T r ä u m e ; die Berufsarbeit und alles andere gehen weiter ihren Gang. Sodann ist sie, in dieser A r t betrieben, weder ein Spiel noch eine Selbstbespiegelung, vielmehr eine sehr e r n s t h a f t e u n d oft schmerzende Sache, in der viel unerbittliche Selbsterkenntnis und F o r d e r u n g eine entscheidende Rolle spielt. Es gibt Patienten, die die Behandlung abbrechen, weil sie ihnen zu unerbittlich wird! Auch Theologen lehnen sie oft unbewußt nicht deshalb ab, weil sie theologische Bedenken gegen sie hätten, sondern der eigentliche G r u n d ist in vielen Fällen die u n b e w u ß t e F u r c h t vor ihr. Denn leider hat N e u m a n n recht mit dem Hinweis, daß selbst Theologen, die „beladen mit Wissen um Psychotherapie sind", oft „von sich selbst noch k a u m etwas verstanden haben" 5 5 . W e r von sich selbst etwas weiß, k a n n diese zielstrebige, aufdeckende und nenordnende Durchgestaltung seines 6» Deutsches Pfarrerblatt 1937, S.22.
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Einleitung
Wesens schon deshalb nicht ablehnen, weil sie ihm bedeutsame Hilfe und Förderung verheißt. Denn es ist nicht nur richtig, dafi „die psychologischen Gesichtspunkte sich erst aus der Selbstbeobachtung, aus der Beschäftigung mit sich selbst, ergeben" 56 , und daß „der Weg zur Psychologie immer durch die eigene Analyse (Selbsterkenntnis) führt" 5 7 , sondern auch, „daß man andere Menschen gar nicht richtig beurteilen kann, wenn man nicht zuvor durch Selbsterkenntnis sich das geistige Werkzeug zur Fremderkenntnis erworben hat" 58 . Im scheinbaren Gegensatz zu Tumlirz und vielen Therapeuten wird freilich umgekehrt nach Κ 1 a g e s die Selbsterkenntnis nur durch Fremderkenntnis gewonnen. Aber in dieser scheinbaren Gegensätzlichkeit stehen sich in Wahrheit nur zwei verschiedene Autorentypen gegenüber (introvertiert und extravertiert), deren Auffassungen je zu ihrem Teil beide recht haben und ineinander verwoben sind. Letzlich beweisen sie beide, daß egoistische Selbstbeobachtung und Selbstbeschäftigung nur die Verfälschung einer großen und notwendigen Aufgabe des Menschen sind, durch die er von seiner Ichsucht gerade freikommen soll. Theologisch gesehen ist die Notwendigkeit dieser Beschäftigung des Menschen mit sich selbst und der nur in ihr zu erreichenden Selbsterkenntnis begründet in dem Auftrag: „Die erste Aufgabe der Verwirklichung, vor die der Mensch gestellt ist, ist die der Selbstverwirklichung" 5 9 . P s y c h o l o g i s c h e A r b e i t führt in das Zentrum des eigenen Seins und ordnet von ihm aus das Wesen des Menschen. Darum fördert sie nicht die Selbstsucht, sondern sie fordext Opfer, Hingabe und L ö s u n g v o m I c h , oft mit Schmerz und Verzicht. Die Wendung eines Briefes von dem „dornenvollen Weg der psychologischen Arbeit", die aus der Feder eines nicht kirchlichen Patienten stammt, gibt nur wieder, was jeder ernsthaft Arbeitende erfährt, und sollte bei aller theologischen Beurteilung der Sache im Auge behalten werden. 2. M ö g l i c h k e i t e n
Psychologie kann vielfach helfen, wo guter Wille allein, auch in Verbindung mit einem echten und tiefen Glauben, nicht mehr hilft. Die Möglichkeiten sind unterschätzt in der Wendung: „Haben sich die Minderwertigkeitsgefühle zur Neurose fixiert, so ist später schwer zu helfen" 6 0 . Dieser Satz gilt nur da, wo man von Psychotherapie nichts weiß, deren Werk ja weithin gerade die A u f l ö s u n g v o n N e u r o s e n , auch von s c h e r e n und schwersten, und u.U. lange eingewurzelten, ist. Im Blick auf religiöse Anliegen,.auch auf den „Glauben" im Sinne der Offenbarung, ist zu sagen: 6
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Tumlirz, Anthropologische Psychologie. S. 54. F. Künkel, a.a.O. S. 308. Tumlirz, a.a.O. S. 84. Dedo Müller, Ethik. S. 191. Schreiner, Die Verkündigung des Wortes Gottes. S. 150.
Das religiöse Problem in der Psychotherapie
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Für viele Menschen unserer Tage, die zur Kirche keinen Zugang mehr haben, ist Psychologie der einzige, mindestens z u n ä c h s t d e r e i n z i g m ö g l i c h e W e g , in die gelebte Erfahrung einer höheren Wirklichkeit hineinzufinden. Dazu müssen wir auf jeden Fall zu helfen uns bemühen, auch dann, wenn wir nicht damit rechnen können, daß das Ergebnis ein kirchliches Christentum sein wird. Wer durch unsere Hilfe das überkommene Christentum dennoch nicht zu realisieren vermag, hat dann doch jedenfalls Hilfe in seiner Not, Hilfe zum „Selbst"werden durch die Kirche. Und die sind wir ihm schuldig, ohne Rücksicht darauf, ob sie Weg zum Christentum wirklich wird oder „nur" „menschliche" Hilfe bleibt. Auch zu dieser ist die Kirche Christi berufen, wo sie sie bieten kann, und es steht bei Gott, was daraus weiter wird. Völlig aus Unkenntnis der wirklichen Arbeit heraus ist jedenfalls das Urteil gesprochen, die Psychologie versuche, die Ruhe der Seele zu geben, während das doch der Rettungsversuch vor dem Zorn Gottes sei 81 . Auch Ρ f i s t e r , der von der Psychoanalyse herkommt, sagt, für Theologen Vertrauen zur Sache erweckend: „Es hat sich herausgestellt, daß die allerstärksten Verdrängungsgrade auf einem Konflikt mit dem Gewissen beruhen" e2 .Ferner derselbe: „Analyse erspart nicht den sittlichen Kampf" 63 . Und „daß es überall Menschen gibt, die durch Verdrängungen verhindert sind, die Segenswirkungen des Evangeliums zu verstehen und in sich wirken zu lassen" 63 . Zentraler noch formuliert Κ ü η k e 1 : „Der Weg zum Leben führt durch das Sterben, der Weg zur Gemeinschaft führt durch die äußerste Einsamkeit, der Weg zum Ja führt durch das Nein ins Trotzdem. Niemand lernt das Geben, solange er noch nimmt, niemand lernt das Lieben, solange er noch geliebt oder gehaßt werden will 64 ." Diese Sätze sind christlicher Erkenntnis nahe und liegen jedenfalls nicht auf der Linie des „Rettungsversuches vor dem Zorn Gottes"! J u n g stellt das ganze psychologische Verfahren in die religiöse Beziehung hinein, und zwar als Ergebnis der praktischen Arbeit: „Unter allen meinen Patienten jenseits der Lebensmitte, d. h. jenseits 35, ist nicht ein einziger, dessen endgültiges Problem nicht das der religiösen Einstellung wäre" 65 . „Das Problem der Heilung ist ein religiöses Problem66." Man kann also die Psychologie nicht damit abtun, daß sie nicht auf der Gesamt-Erkenntnis kirchlicher Offenbarungswahrheit fußt, sondern man m u ß s i e n a c h d e n M ö g l i c h k e i t e n n e u e r W e g e fragen, die sie verworrenen und gebundenen Menschen öffnet. Von da aus wird sie Verbündete der Seelsorge, also des Wirkens der Kirche. 6 1 Hans Asmussen, Seelsorge. München 1934. S. 30 u. 31. »2 Oskar Pfister, Analytische Seelsorge, 1927, S. 15. Oskar Pfister, .ebda. S. 139. — Pf isters bedeutsames neues Buch „Das Christentum und die Angst" ist mir vor der Drucklegung leider nicht zugänglich geworden. 6 4 Fritz Künkel, Einführung in die Charakterkunde. 4. Aufl. Leipzig 1931, S. 130/1. *5 C. G. Jung·, Die Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge. S. 12. — Johanna Henzog-DüTck in ,;Die Behandlung der Neurose", Psyche 1947, L Lieferung, S. 19: „In -einer dritteln religiösen Krise münden m a n c h e (!) Behandlungen' aus." (Sperrung und Ausrufzeichen von uns.) 6® Ebda. S. 21.
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Einleitung
Β r u η η e r nennt Freud und Jung in einer Linie mit denen, die den Menschen von der Anthropologie her begreifen. „Der Mensch ist wesentlich Sexualtrieb (so bei Freud), bei Adler wesentlich Machttrieb, bei Jung libido in einem weiteren und unbestimmteren Sinn des Wortes und ist vor allem vom Unbewußten her zu verstehen.'" Hier ist nicht gesehen, daß Jung's libido nicht Erweiterung des Freud'schen Sexualtriebes ist, sondern, anders wurzelnd und anders ausgerichtet, „ p s y c h i s c h e E n e r g i e " 67 . Daher er dann auch mit betonter Absicht den „Nachweis der psychischen Entstehung religiöser Phänomene"68 führt und sich darüber beschwert, daß das in theologischen Besprechungen übersehen würde 69 . Dieser Nachweis ist nicht Ersatz der Offenbarung, sondern a n t h r o p o l o g i s c h e B e s t ä t i g u n g der theologisch vora u s g e s e t z t e n m e n s c h l i c h e n S i t u a t i o n im g l e i c h e n S i n n e . Die Tiefenpsychologie ist für die Theologie wichtig durch die „Bedeutung ihrer Erkenntnisse für die Verflochtenheit in den Kosmos bzw. in das Chaos der gefallenen Schöpfung" 70 . Aber neben dieser noch negativen Linie steht die wichtigere positive, daß sie den Glauben des Menschen durcharbeiten und zu seiner lebendigen und fundierten Gestaltung helfen kann. Einen wichtigen homiletischen Dienst kann psychologische Kenntnis durch ihre Kraft zur A u f l o c k e r u n g tun, indem sie an sich berechtigte Meinungen, die aber doch einseitig und darum steril sind, abgrenzt und dadurch überzeugender und — hilfreicher macht. So ist es ζ. B. theologisch einwandfrei, daß die Predigt (und Seelsorge) den Widerspruch gegen Gott verurteilt, und das scheint eine in sich geschlossene und „unabdingliche" Wahrheit zu sein. Nun zeigt aber die Psychologie, wie verschieden er begründet sein kann und also auch behandelt werden muß. Ein ganzes Feld zartester Aufgaben für ernst-liebevolle Predigt eröffnet der Hinweis: „Der Widerspruch gegen Gott ist nicht Schlechtigkeit, Bosheit, Verderbtheit des Willens. Die alten Kategorien reichen hier nicht mehr aus" 71 . Oder „Die Angst offenbart sich als irreligiöses Existenzverständnis" 72 . Es kommt nicht alles aus Unglauben, was im Leben des Menschen nicht stimmt. Oft ist der U n g l a u b e nicht Wurzel der Haltung, sondern Symptom von Erscheinungen, in denen der Mensch nicht der Mahnung, sondern weitgehender Hilfe bedürfte. Das bedeutet aber, daß die Predigt, auch wenn es ihr ganz und gar um den Glauben geht, nur in viel geringerem Maße als es überwiegend geschieht, mit der Kategorie GlaubeUnglaube arbeiten kann und weitgehend stattdessen barmherzig, wissend und helfend in das Labyrinth seelischer Vorgänge hinabsteigen muß. Das 6 7 C. G. Jung, Wandlungen und Symbole des Libido, S. 45. 68 Ders. in Psychologie und Religion. 69 Ders. in Psychologie und Alchemie, Zürich 1944, S. 21. 7 0 Ritter und Stählin, Kirche und Menschenbildung. Eckartsberga 1933. S. 10. 7 1 Neumann, Angst und Krankheit vor dem Examen. Gütersloh 1933. S. 109. 7 2 Ebda. S. 10.
Unglaube und Sünde als komplexe Probleme
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gewiesene Feld zum Auffinden solcher Erkenntnisse ist aber die Psychologie. — Ferner: Das Außenbild des Menschen ist oft anders als sein I n n e n b i l d . Wie wir den Menschen erkennen und in welchem Maße uns zutreffende Erkenntnis gelingt, hängt von dem Verhältnis des Unbewußten zum Bewußten in uns selbst ab. „Im allgemeinen wird ein urteilend eingestellter Beobachter eher den bewußten Charakter erfassen, während ein wahrnehmend eingestellter Beobachter mehr durch den unbewußten Charakter beeinflußt wird 73 ." Es ist klar, wieviel das für unsere Kenntnis des Menschen und damit für unsere Aussage in der Predigt bedeutet. Ein Beispiel genüge: Anspruchsvolles Auftreten ist oft (immer?) nicht ein Zeichen von Sicherheit, sondern verdeckte Unsicherheit. Wenn wir hier helfen wollen, so können wir nicht nur gegen den Anspruch des Ich den Anspruch Gottes ins Feld führen, sondern wir müssen das verdeckte eigentliche Sein des Menschen aufsuchen, um womöglich seine Flucht in Vertrauen und Umwendung zu wandeln. Dazu aber ist psychologische Einsicht nötig. Und so muß es nicht nur in der Seelsorge, sondern auch in der Predigt sein, wenn sie helfen und im öffentlichen Leben wirken soll. Ähnliches gilt von der Abwehr und dem M i ß v e r s t e h e n k i r c h l i c h e r G r u n d b e g r i f f e . Oft ist das keine eigentliche Abwehr, sondern es fehlt nur der Zugang, weil die Voraussetzungen zum Verstehen verschüttet sind. Hier ist wiederum eine Abschaltung wirksam, die psychologisch gelöst werden könnte und ebenfalls nicht nur in der Seelsorge, sondern auch in der Predigt beachtet werden muß. So haben etwa viele Menschen auch heute noch eine Hemmung gegen das Wort „ S ü n d e " . Zwar scheint das Aufhören der offiziellen Propaganda gegen christliches Seinsverständnis und die Not der Zeit hier neuerdings zu lockern — aber solche Dinge wandeln sich langsam, und wir dürfen uns die Aufgabe nicht durch verfrühtes Ignorieren vorhandener Schwierigkeiten erleichtern. Es ist Verengung, die Erkenntnis der Unzulänglichkeit bei einem Menschen nur dann als Sündenerkenntnis gelten zu lassen, wenn sie Erkenntnis der Sünde g e n a n n t wird. Man könnte beliebig viele Fälle gegeneinander halten, in denen die eigentliche Erkenntnis und Wandlung bei dem durchgreifender sich vollzieht, der sie nicht so nennen kann, während bei dem, der von Sünde spricht, eben dadurch — vielleicht unbewußt — das wirkliche Erkennen umgangen wird. Denn das Maß der Erkenntnis der Sünde hängt nicht nur vom Glauben ab, sondern auch von der Fähigkeit des Einschauens in die eigene Seele. In der Sündenerkenntnis geschieht nicht ein Einfaches, sondern ein Doppeltes. Der Mensch steht vor Gott mit seiner Sünde, und er steht in eigener Erkenntnis des Unrechtes, das er tut. Wir müssen deshalb einerseits mit entschiedener Klarheit die Tatsache festhalten, daß die volle Wahrheit nur da gefunden wird, wo der in Christus offenbare Gott erkannt wird. Auch auf das Problem der Sünde wirkt sich das aus. Andrerseits dürfen wir aber darüber nicht vergessen, daß eine menschlich C. G. Jung·, Psychologische Typen. S. 489.
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Einleitung
gesehen völlige, tiefgreifende, gesund machende Erkenntnis und Wandl u n g auch von einer allgemeineren religiösen H a l t u n g h e r erfolgen kann, vor allem, daii vielleicht sehr verständliche Animosität gegen Christentum u n d Kirche den Menschen nicht zur sittlich-religiösen Sterilität verurteilt. E s gibt Fälle, in denen w i r die Sache umschreiben müssen, eben u m an sie h e r a n z u f ü h r e n , u n d andere, in denen w i r die Sache e r k e n n e n müssen, auch wenn sie nicht bei ihrem theologischen Namen genannt wird. Theologische und psychologische Erkenntnis sind die aufeinander gewiesenen beiden Wege u n d Möglichkeiten. D e r Christ k a n n ohne Fachkenntnis in l e i d e m leben, der Theologe nicht ohne Fachkenntnis in b e i d e n das Höchstmaß der ihm möglichen W i r k u n g erreichen. D e r christliche W e g der B e i c h t e u n d der psychologische W e g der seelischen D u r c h a r b e i t u n g sind tief verwandt, u n d einander f e r n e Geister begegnen sich in den G r ü n d e n des verschlungenen Seins. „ D i e E n t l a r v u n g d e r S e l b e t t ä u s c h u n g d u r c h Nietzsche w i r d von Klages m i t Recht als der N e r v der p s y c h o l o g i s c h e n E r r u n g e n s c h a f t e n Nietzsches angesehen. Es gilt seitdem, bei der Behandlung dem Patienten die Selbsttäuschungen aufzuheben, die Fassade herunterzureißen 7 4 ." D a s ist genau die eine Seite d e r christlichen Beichte, u n d es ergibt sich unmittelbar, welche umfassende Hilfe psychologische Kenntnis als Vorb e r e i t u n g der W a n d l u n g des Beichtkindes durch den Beichtvater u n d des H ö r e r s d u r c h den Prediger, also f ü r Seelsorge und Predigt, bedeutet. Auch die Begründung ist verwandt. „Es scheint eine A r t von Menschlieitsgewissen zu geben, das jeden empfindlich bestraft, der nicht irgendwo u n d i r g e n d w a n n den Tugendstolz seiner Selbsterhaltung u n d Selbstb e h a u p t u n g aufgibt und das Bekenntnis seiner f e h l b a r e n Menschlichkeit ablegt. O h n e dieses t r e n n t ihn eine u n d u r c h d r i n g l i c h e Mauer von dem •Gefühl, Mensch u n t e r Menschen zu sein T 5 ." Die Abgrenzung der christlichen Beichte gegen die psychologische K l ä r u n g darf nicht schematisieren u n d zugleich nicht vertuschen. Beichte ist offenes u n d rückhaltloses Aussprechen der F e h l h a l t u n g u n d Schuld vor einem anderen. Es kommen in d u r c h g r e i f e n d e r psychologischer Arbeit h ä u f i g Strecken vor, die alle Merkmale echter Beichte tragen, wo der Mensch, u. U. mit schwersten Widerständen, sich dazu durchringt, das zu sagen, was ihn bis in den G r u n d seiner Seele beschämt. A u c h die dem folgende Befreiung, der Neuansatz u n d die Umwandlung, sind zentral und gehen aufs letzte, wie in der christlichen Beichte. Man k a n n mit gutem Recht neben der kirchlich-christlichen Beichte von einer psychologischen Beichte sprechen. Soll dabei k e i n e Verwischung der Unterschiede stattfinden, so müssen w i r das P r o b l e m des „ v o r w e m " anschauen. Jede vor einem Menschen — also nicht n u r in der Stille — vollzogene Beichte ist zugleich Beichte 74
Joh. Neumann, Warum setzte sich Johannes Müller nicht durch? Zeitschrift für Religionspsych. 1930, Heft 3. 75 C. G .Jung·, Seelenprobleme der Gegenwart. S. 10.
Beichte, christlich und psychologisch gesehen
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vor der göttlichen Macht. Entscheidend ist, dafi der Mensch einerseits zu der göttlichen Macht, die er anbetet, wirklich damit kommen mufi, daß er andrerseits n u r zu dein Gott kommen kann, den er anbetet. Stößt er bis zu der ihm möglichen letzten Grenze vor, so ist seine Beichte echt und ganz. D e r Christ beichtet vor Gott, auch wenn er zum T h e r a p e u t e n spricht, auch wenn er dem etwa eine kirchliche Beichte folgen läßt. D e r Pantheist beichtet vor „Gott-Natur", oder wie er es nennen will. Man k a n n also nicht christliche u n d psychologische Beichte vom Beichtvater h e r unterscheiden, sondern m a n muß sie vom Beichtenden u n d seiner Glaubenshaltung her unterscheiden. Die eigentlich christliche Beichte trägt diesen ihren C h a r a k t e r nicht deshalb, weil sie vor dem P f a r r e r bzw. Priester geschieht, sondern weil sie d u r c h diesen, als den V e r t r e t e r u n d B e a u f t r a g t e n der Kirche, vor dem in Christus o f f e n b a r gewordenen Gott vollzogen wird. Obwohl sie d u r c h ihren C h a r a k t e r als kirchliche Beichte ä u ß e r e u n d innere Merkmale bekommt, die sie von a n d e r e r Beichte unterscheiden, ist ihre Besonderheit nicht darin begründet, daß sie in der Kirche sich vollzieht, sondern darin, daß sie vor dem H e r r n der Kirche geschieht. Auch die f o r m f r e i e Beichte vor dem Gott der Christenheit ist christliche Beichte. D a ß der W e g zum T h e r a p e u t e n nicht zur Flucht vor Gott werde, k a n n jedenfalls nicht d a d u r c h v e r h i n d e r t werden, daß man die t h e r a peutische Aussprache verdächtigt. W e r so will, ist nicht zu hindern. D e r aber k a n n auch in der kirchlichen Beichte ausweichen, u n d andrerseits gibt es Christen, denen erst in der psychologischen Arbeit der Weg w i r k licher Beichte sich geöffnet hat, obwohl sie lange im Christenglauben lebten u n d die Beichte miterlebten. Beichten bedeutet aber psychologisch, u n d das ist auch kirchlich wichtig, bei der Mutter sein. In der Beichte Wird neben Gott, dem Vater, die Kirche zur Mutter. Sie h a t nicht n u r eine vergebende, sondern auch eine bergende Macht. In der evangelischen Kirche ist das Wissen u m die Mutter rolle der Kirche weithin verlorengegangen 7 ®. D a m i t hängt es wohl zusammen, daß die Einzelbeichte so schwer Eingang findet u n d große Ansätze immer wieder abebbten. Man k a n n bei dieser Lage nicht einen Vorwurf erheben gegen die, die d a n n zum Psychologen a b w a n d e r n , sondern m a n sollte als T r ä g e r der kirchlichen V e r k ü n d i g u n g sich d a r u m 70
Auf g l e i c h e r Linie sieht Erich Schick (Beichte und Seelsorge, 1943, S. 20) das Verschwinden der Einzelbeichte begründet, wenn er es mit der Überzeugung vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen verbindet. Der Verzicht auf das Amt im sakramentalen Sinne habe zu dem Mißverständnis geführt, als bedürfe der Mensch überhaupt nicht des andern in seinen innersten Angelegenheiten. „Daraus entstand das typisch protestantische Mißverständnis gegenüber den einfachsten Notwendigkeiten der Seelsorge, die Verdächtigung alles Priesterlichen als Machtgier und Zudringlichkeit und die furchtbare innere Isolierung des einzelnen innerhalb der Gemeinde." In dem echten „Priestertum" ist nämlich tatsächlich die Mutterrolle der Kirche verwirklicht.
Einleitung
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bemühen, d e r bergenden Macht der Kirche wieder zur V e r w i r k l i c h u n g zu helfen. Das ist freilich zuerst ein kirchliches Anliegen. Aber psychologische Vertiefung k a n n die Erkenntnis seiner Notwendigkeit verstärken und die D u r c h f ü h r u n g vertiefen und w i r k s a m e r machen. Die Psychologie vertieft auch eine Erkenntnis, die von Theologen oft zu selbstverständlich b e j a h t w i r d : daß der Seelsorger und entsprechend d e r Prediger mit seinem menschlich-sündigen Wesen n e b e n , n i c h t ü b e r d e n a n d e r e n steht. Zu den eindrücklichsten A u s f ü h r u n g e n J u n g s gehört ein Abschnitt, in dem gezeigt wird, wie unumgänglich der Seelsorger die S c h a t t e n s e i t e seines eigenen Wesens annehmen muß, wenn er anderen zu i h r e r E r n e u e r u n g helfen will 7 7 . Ähnlich und k n a p p grundsätzlich sagt Ν e u m a η η : „Das ganz tiefe Verstehen der Seelennöte der anderen läßt jedes Richten aufhören" 7 8 . Zu den zwingendsten Möglichkeiten der Psychologie gehört ihr unerbittlicher Realismus. Man muß sehen oder doch ahnen, was hinter der Wendung J u n g s von dem „ f u r c h t b a r e n D o p p e l s i n n u n m i t t e l b a r e r Erf a h r u n g " 7 9 liegt, um die Bedeutung der Psychologie f ü r die Theologie 7.u verstehen. D e r Theologe hat nicht n u r Bereitschaft und E r f a h r u n g des wirklichen Gottes dem Menschen zu vermitteln, er muß auch die unvermeidlichen E r s c h ü t t e r u n g e n r i c h t i g l e i t e n lernen, so daß das Wesenh a f t e geklärt wird, u n t e r Umständen er auch dem Menschen nicht Erschütterungen zumutet, die er noch nicht tragen kann. Das alles aber läßt sich nicht in der Theologie, n u r zum Teil d u r c h eine wirkliche Liebe, und ganz erst in der Verbindung von seelsorgerlicher Liebe und psychologischer Kenntnis lernen. Von der E r f a h r u n g Gottes w i r d in der Kirche meist sehr selbstverständlich gesprochen. Man möchte besorgt fragen, ob w i r k lich immer so unmittelbare u n d tiefgreifende E r f a h r u n g da ist, wie man nach den Worten meinen sollte, oder ob nicht denen, die von E r f a h r u n g berufsmäßig u n d verantwortlich sprechen, manchmal das Wissen um ihren „ f u r c h t b a r e n Doppelsinn" v e r b o r g e n bleibt. Geborgensein und Preisgegebensein e r f a h r e n , das ist mehr, als G n a d e und Zorn Gottes dogmatisch sauber nebeneinander h a b e n und u n t e r Umständen gerade deshalb keines von beiden wirklich und ganz e r f a h r e n . Was Rudolf O t t o ü b e r die Doppelheit von numinosum fascinosum und t r e m e n d u m herausstellt, hat nicht n u r theologische, sondern auch psychologische Bedeutung. Die Kirche w ä r e nicht m e h r Kirche, der Wirklichkeit mehr zu sagen hat als „Mehr" kann durch Psychol den. Es d a r f darum auch
w e n n sie nicht wüßte, daß sie von die Psychologie an sich. D i e s e s ogie nicht ersetzt wernicht in sie aufgelöst
fT C. G. Jung, Die Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge. S. 17 bis 27. 7
8 Joh. Neumann, Psychiatrische Seelsorge. In: Arzt und Seelsorger, Heft 6, S. 17
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C. G. Jung, Psychologie und Religion, S. 82.
Das Gewicht der Erfahrung
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w e r d e n , s o n d e r n i s t i h r g e g e n ü b e r z u w a h r e n . Das geschieht aber nicht durch Ablehnung oder Verdächtigung der Psychologie, sondern auf Grund ihrer ehrlichen Anerkennung und durch umfassende Einarbeitung dessen, was sie leisten kann, in die Arbeit der Kirche. „Die Einseitigkeit und Verwirrung des modernen Menschen aufzuheben, seine Einbettung in den großen Lebensstrom zu ermöglichen, ihm zu seiner Ganzheit, die seine lichte Bewußtseinsseite zur dunklen des Unbewufiten wissend und wollend rückverbindet, zu verhelfen, ist Sinn und Zweck der Jungschen Seelen führ ung80." Die Atmosphäre und die Diktion dieses typischen Satzes zeigen, neben der grundsätzlichen Bedeutung der Psychologie für die Kirche, in wie hohem Maße sie durch ihren intensiven Ansatz in der Atmosphäre gegenwärtiger geistiger Situation imstande ist, die Verkündigung der Kirche in echter „Zeitgemäßheit" zu fördern. so J. Jakobi, Die Psychologie von C. G. Jung, Zürich 1940, S. 63.
II. Kapitel
Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt I. D a s V e r h ä l t n i s v o n s u b j e k t i v e n u n d o b j e k t i v e n M ä c h t e n im W e r d e n d e r P r e d i g t 1. D i e U n m ö g l i c h k e i t d e r A u s s c h a l t u n g ' d e s
Subjekts
Die Tatsache, dafi eine Predigt über einen Text gehalten wird und eine objektiv gegebene Wahrheit vermittelt, hat weithin hinweggetäuscht über das Ausmaß, in dem die Predigt dennoch P r o d u k t d e s S u b j e k t e s ist: In wie hohem Maße das der Fall sein mufi, ergibt sich schon ganz äußerlich aus der Länge der Predigt im Verhältnis zum Text. Denn es fragt sich nun, woher das kommt, was der Prediger „über" den Text sagt, und es muß deutlich werden, in wie umfassendem Maße die Predigt, unberührt von ihrer Objektivität und ohne diese zu schmälern, Produkt des Subjektes ist. Um das herauszustellen, sei zunächst hingewiesen auf die umfassende Bedeutung, die das Subjekt in dem objektivsten Stück des Gottesdienstes hat, in der L i t u r g i e . Wer Erfahrung nicht nur in gebundener Liturgie, sondern auch in gebundener liturgischer Haltung hat, weiß, wie sehr selbst die auf einen Ton gesprochene und völlig gebundene Liturgie die Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. Man vergleiche etwa, wie verschieden Könnende und Nichtkönnende Liturgie halten, und es zeigt sich, daß man „objektiv" Liturgie nicht hält, indem man sich ausschaltet, sondern indem man sich mit seiner ganzen Subjektivität in die objektive Liturgie einschaltet. Subjektivistisch sein, als Verzerrung von subjektiv sein, bedeutet, durch seine Subjektivität die Sache stören. Objektiv sein bedeutet, a l s S u b j e k t v o n d e r S a c h e g e t r a g e n s e i n u n d a l s S u b j e k t d i e S a c h e t r a g e n . Subjektiv (nicht subjektivistisch) sein ist auch in diesem Falle möglich, und die Ausschaltung des Subjektes lähmt auch die Sache. Es geht immer nur um das EntwederOder, ob das Subjekt gegen die Sache oder mit der Sache eingeschaltet wird. — Gilt das schon von der Liturgie, so erst recht von der P r e d i g t . Es ist ein I r r t u m z u m e i n e n , m a n k ö n n e d a s Subjekt i r g e n d w i e i n d e r P r e d i g t a u s s c h a l t e n . Man kann es weder zurücktreten lassen noch durch Darbietung objektiver Wahrheiten über-
Predigt ist immer subjektiv
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flüssig oder nebensächlich machen. Der Satz eines Kandidaten 1 , „die Predigt ist überhaupt keine menschliche Leistung, sondern sie ist Verkündigung einer Botschaft in Vollmacht dessen, der sie gegeben hat", ist eine unklare Vermengung zweier divergenter Gebiete, leider aber trotzdem typisch für gewisse Folgerungen aus unverarbeiteten theologischen Sätzen. Die Frage, ob Leistung oder nicht, hängt ganz und gar nicht ab· von der Frage, ob Botschaft oder nicht, sondern es geht um geleitete oder ungeleitete Leistung, aber um Leistung in jedem Falle. Frisch und richtig sagt Κ r a u fi : „Es ist überhaupt ein meistens irrtümliches Gerede, wenn verlangt wird, daß der Prediger, wie man sich ausdrückt, »nichts vom Eigenen zum Gotteswort hinzutue«. Wer tut denn nichts vom Eigenem hinzu? Nur der gedankenlose, ideenlose Abschreiber Sobald ich wirklich predige, verwerte ich das Gotteswort individuell. Eine jede praktische Ausdeutung des letzteren macht sich also gerade dadurch und nur dadurch, daß ich mein Eigenstes über das Schriftwort disponieren lasse 2 ." Ähnlich Beyer „Die Individualität soll zur vollsten Entwicklung gebracht werden" 3 und P a l m e r „Der Prediger muß mit seiner Predigt i n e i g e n e r P e r s o n vor der Gemeinde erscheinen". Die Predigt ist „die volle Manifestation der Persönlichkeit" 4 . Wir führen diese Beispiele an als Beweis dafür, daß die alte Homiletik in vielem sehr viel lebendiger und richtiger sah als manche theologische Theorien neuerer Zeit es' ermöglichen, die sich nur deshalb so sicher gebärden können, weil sie d e r Gesamtwirklichkeit ferner sind, als sie selbst es ahnen. Es ist in Wahrheit keineswegs so, daß je mehr „objektive" Aussagen der Prediger tut, um so mehr er selbst zurückträte. Zunächst ist selbst die objektivste Wiedergabe von Textteilen, also· ihre Verlesung oder ihre Zitierung schon ein subjektives Bekenntnis, und zwar nicht nur durch die Tatsache, daß, sondern auch subjektive Nuancierung durch die Art, wie man diese Textteile wiedergibt. Erfolgt solche Wiedergabe „unter Ausschaltung des Subjektiven" gar in der falschen Meinung, man sei durch die geoffenbarte Wahrheit über die eigene Fassensmöglichkeit hinaus gedeckt, so ist das auch ein subjektives Bekenntnis, nur von negativem Charakter. Es gibt einen Rückzug auf die· Dogmatik von den eigenen leeren Feldern aus. Die in solchem Falle als; Verlegenheitsausfüllung verwendeten Reminiszenzen aus Kirchenlehre und Dogmatik sind keineswegs echte Objektivität, sondern eine Ausflucht, in der das Subjekt gleichsam einen fremden Mantel trägt, a b e r doch ihn trägt und dafür verantwortlich ist, daß es ihn umlegt und als in. ihn nicht passendes Subjekt in Erscheinung tritt. 1
Formulierungen von Studenten und Kandidaten werden hier deshalb gelegentlich herangezogen, weil sie vielfach Irrtümer, die in der Predigtarbeit der Kirche eine verdeckte Rolle spielen, in noch naiver und unverdeckter Form zum Ausdruck bringen. Sie sind damit oft ein warnendes Zeichen für die praktischen Folgerungen,, die aus nur gedanklich verarbeiteter Theologie gezogen werden. 2 Alfred Kraufi, Lehrbuch der praktischen Homiletik. 1883, S. 136. 8 Beyer, Das Wesen der christlichen Predigt. 1861, S. 589. 4 Christian Palmer, Evangelische Homiletik. IV. Stuttgart 1857, S. 600.
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
D a r ü b e r hinaus können j a solche Ausflüchte u n d Aushilfen n u r einen geringen Teil der Predigt ausfüllen. Die P r a x i s beweist, dafi auch Anfänger zwangsläufig sich b e m ü h e n , E i g e n e s i n d e r P r e d i g t z u s a g e n . Wenn das auch oft kein a d ä q u a t e r u n d voll genügender A u s d r u c k dessen ist, was sie meinen, so ist es doch stets, wenn auch noch so unbeholfen, ein A u s d r u c k dessen, was sie sind. Das k a n n in zweierlei Richtung geschehen: entweder d r ü c k t der Prediger sein wirkliches Wesen aus, oder er d r ü c k t die Tatsache aus, daß er noch kein Wesen hat u n d das Fehlende d u r c h Anleihen ersetzt. Nicht n u r f ü r diesen Fall, sondern auch f ü r den gelingenden A u s d r u c k gilt n u n weiter, daß j e d e r T e x t eine F ü l l e v o n M ö g l i c h k e i t e n d e r A u s l e g u n g bietet, auch abgesehen von den verschiedenen exegetischen Auslegungsmöglichkeiten, f ü r deren j e d e in sich vielmehr das hier zu Sagende gleichermaßen gilt. D i e Fülle der Möglichkeiten entsteht dadurch, daß j e d e r Mensch zwangsläufig einseitig ist und n u r von einer Seite h e r an den T e x t h e r a n kommen kann. D e r Text ist einem Standbild vergleichbar, das in der Mitte eines Saales steht, in den von allen Seiten h e r T ü r e n h i n e i n f ü h r e n . D i e Prediger sind die den Saal betretenden Beschauer. Jeder k a n n hineingehen, aber j e d e r n u r d u r c h eine Tür, die er w i e d e r u m nicht willkürlich wählt, sondern die ihm d u r c h Art und Lebensgang bestimmt ist. Jeder k a n n das Standbild umschreiten, aber j e d e r hat seinen persönlichen Ersteindruck, und wenn er das ganze aufgenommen hat (soweit da von Ganzlieit die Rede sein kann), seinen persönlichen Höchsteindruck, die Richtung, von der aus er das Standbild sehen muß, u m es möglichst ganz zu erfassen und zu umgreifen. Das Gesagte gilt nicht n u r f ü r die reichhaltigen Texte, bei denen man die Mannigfaltigkeit der Auslegung mit i h r e r eigenen Vielseitigkeit in Verbindung bringen könnte. Es gilt vielmehr genau so von j e d e m zent r a l e n kirchlichen Satz, sei es ein zentraler Spruch oder eine entscheidende dogmatische Wahrheit. Die K a r f r e i t a g s w a h r h e i t etwa „Christus ist f ü r uns gestorben" w i r d tatsächlich so mannigfaltig ausgelegt, wie es Mannigfaltigkeit von auslegenden Menschen gibt. Es ist also völlig abwegig, wenn ein Kandidat sagt, „der P r e d i g e r soll sich, seine G e d a n k e n und Wünsche, soweit es ihm ü b e r h a u p t möglich ist, völlig ausschalten". Das ist ihm eben nicht möglich, u n d er irrt f u n d a mental, wenn er das so entstehende P r o d u k t (soweit man es dann noch Predigt nennen will) f ü r objektive Verkündigung der objektiven W a h r heit hält. Wer „unter möglichster Ausscheidung alles Subjektiven ganz zu einem W e r k z e u g in Gottes H a n d w e r d e n " will, w i r d nicht zu dem Werkzeug Prediger, Bote, V e r k ü n d e r , sondern er w ü r d e zur Schallplatte, w e n n von ihm noch etwas erklingen könnte. W e r sich in diesem Sinne glaubt „ausgeschaltet" zu haben, in dem w i r k e n die subjektiven K r ä f t e sich unkontrolliert, ungeregelt u n d u n n o r m i e r t aus.
Starke Subjektivität gibt starke Wirkung· des Objektiven 2. D a s A u s m a ß d e r W i r k u n g d e s
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Subjekts
Jede Auslegung zieht das, was sie „ O b j e k t i v e s " sagt, unbeschadet der O b j e k t i v i t ä t , in eine gewachsene Einheit hinein, die aus der V e r s c h m e 1 ζ u η g ν on o b j e k t i v e r u n d s u b j e k t i v e r Wirkl i c h k e i t entsteht. W i r können homiletisch-psychologisch nicht von dem „objektiven" Evangelium ausgehen, sondern n u r von unserer Erkenntnis u n d E r f a h r u n g des Evangeliums und von dem Maß, in dem es in uns realisiert ist. „Jeder k a n n n u r das darstellen, was in ihm ist 5 ." Von h i e r aus ist zu w a r n e n vor der weit verbreiteten Auffassung, die das S u b j e k t i v e abwertet, indem sie es als „bloß" Subjektives bezeichnet®. G e r a d e der Rückgriff auf die Reformation hilft uns die G e f a h r meiden, daß w i r weniger erarbeiten als die Reformation, und daß w i r in einer sie nicht verstehenden Zielsetzung „nichts bloß Subjektives" sagen wollen. L u t h e r w a r in diesem echten Sinne höchst s u b j e k t i v ! Es gibt Predigten, die so stark s p ü r b a r A u s d r u c k der Persönlichkeit sind, daß diese gleichsam bildhaft e r k e n n b a r hinter ihnen erscheint. Es gibt andere, bei denen das weniger der F a l l ist. Die letzteren beweisen aber nicht, daß das persönliche Moment n u r bei den stark ausgeprägten Persönlichkeiten da ist, sondern n u r , daß bei den anderen ein geringwertigeres und minder ausgeprägtes Persönliches da ist. Stammt die Verd r ä n g u n g aus Unvermögen, so ist sie blutleere Selbstverleugnung. Stammt sie aus versteifter Theologie, so ist sie letzten Endes lieblose Selbstverleugnung. Man vergleiche in G e d a n k e n zwei die o b j e k t i v e W a h r h e i t wirklich v e r k ü n d e n d e Karfreitagspredigten. Die eine sei von einer stark e n Persönlichkeit getragen, so daß die Predigt, unbeschadet der o b j e k tiven Wahrheit, einen starken persönlichen C h a r a k t e r trägt. Die a n d e r e sei, ebenfalls die o b j e k t i v e W a h r h e i t verkündigend, von einer schwachen, s u b j e k t i v z u r ü c k t r e t e n d e n Persönlichkeit getragen. Man sieht sofort, d a ß die zweite nicht eindrucksvoller o b j e k t i v ist, sondern daß' die gleiche O b j e k t i v i t ä t beider Predigten hier zu ihrem Nachteil weniger von subj e k t i v e r K r a f t und F o r m u n g getragen ist. Auch in der objektivsten Predigt w i r k t sich umfassend die psychologische W a h r h e i t aus, „daß es k e i n Mittel gibt, sich vom Subjektsein zu befreien" 7 . W i r k ö n n e n das E v a n g e l i u m l e b e n d i g v e r k ü n d i g e n n u r so, w i e es u n s l e b e n d i g g e w o r d e n ist. 6
Schleiermacher, Prakt. Theologie, S. 73. (Ges. Werke I. Abtlg.) Zur Theologie. Bd. 13, hrsg. v. Frerichs. Berlin 1850. 6
So auch neuerdings Fendt, a.a.O. S. 105. Sehr instruktiv handelt Jung über die Bedeutung des Subjektiven in Psychologische Typen, S. 536 ff. „Indem nun der subjektive Faktor seit ältesten Z e i t e n . . . . sich selber identisch b l e i b t . . . . so ist er eine ebenso festgegründete Realität wie das äußere Objekt.... Er ist das andere Weltgesetz, und wer sich auf ihn gründet, gründet sich auf ebensoviel Sicherheit, auf ebensoviel Dauer und Gültigkeit, als der, der sich auf das Objekt beruft." — Man lese nach und denke nach, ehe man diese, immerhin überraschende, Behauptung verurteilt! 7
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Fritz Künkel, Einführung in die Charakterkunde. S. 117.
H a e n d l e r , Die Predigt
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
Demnach kommt in jeder, auch der kürzesten Predigt, nicht ein Teil, sondern die g a n z e Persönlichkeit voll zum Ausdruck. D e r Mensch ist immer n u r er. Ist er uneigentlich, so ist er als solcher „er". Psychologisch gesehen ist auch der abhängige Mensch „er" — als ein abhängiger. D a s unoriginale Wesen hat psychologisch ebenso Eigeng e s e t z l i c h k e i t w i e d a s o r i g i n a l e . Die negativen Teile der Persönlichkeit kommen negativ, die positiven positiv zur Geltung. Das Unausgebildete w i r k t sich als Mangel an Bildekraft, das Unangebaute als Mangel an Substanz aus. Man darf also nicht meinen, daß die K r a f t s t r ö m e des Evangeliums ein Ersatz f ü r fehlende K r ä f t e und Möglichkeiten des Predigers seien. Die Wahrheit, daß Gott trotz des Predigers und nicht n u r d u r c h ihn h i n d u r c h sein Evangelium wirksam machen kann, bedeutet, daß d u r c h übergreifende Zusammenhänge die negative W i r k u n g des Predigers überboten werden kann, nicht aber, daß die W i r k u n g des Predigers irgendwie ausgeschaltet wird. Yor allen Dingen w e r d e n nicht die Mankos u n d Leerflächen des Predigers gleichsam überdeckt d u r c h ü b e r sie hinwegeilende K r ä f t e der verkündigten Wahrheit. Die K r a f t s t r ö m e des Evangeliums kommen, soweit ü b e r h a u p t sie d u r c h den Prediger wirken, d u r c h seine positiven Kräfte, nicht trotz i h r e r zur Geltung. Die beste Predigt kommt nicht am meisten aus dem Evangelium und am wenigsten aus dem Subjekt, sondern am meisten aus dem Evangelium u n d am meisten aus dem S u b j e k t ; nicht dem „idealen", sondern dem b l u t h a f t e n Subjekt. Das Höchstmaß von O b j e k t i v i t ä t umfaßt, wenn es sinnvoll u n d lebendig sein soll, das Höchstmaß von W i r k u n g der objektiven W a h r h e i t und ist deshalb nicht d u r c h Ausschaltung des Subjektes, sondern im Gegenteil n u r durch das Höchstmaß von Subjektivität (nicht Subjektivismus, sondern Aktivität des Subjektes) und H e r v o r t r e t e n des Subjektes zu erreichen. Das S u b j e k t hat also nicht die Möglichkeit, Teile seines Seins von seinem Wirken auszuschalten, sondern es w i r k t als Ganzes. In dieser Hinsicht sind weithin ungenügend diejenigen Hinweise der Homiletiken, welche f ü r die Christlichkeit der Predigt vom Prediger einfach fordern, daß alles, w a s d e m C h r i s t s e i n w i d e r s p r i c h t , nach Möglichkeit in ihm ü b e r w u n d e n w e r d e n müsse. N i t z s c h sagt: „Allerdings hat sich die homiletische Persönlichkeit von der Seite der Individualität, wo sie mit allerlei Gebrechen u n d Leidenschaften b e h a f t e t ist, zu verleugnen" 8 . Ähnlich Th. H a r n a c k 9 u n d S c h w e i z e r , dieser mit dem Zusatz: Es sei „unrichtig, wenn das Leben der Individualität als p r o f a n aus dem Kultus soll abgewiesen werden" 1 0 . In diesem letzteren Satz klingt an, was die so oft wiederholte F o r d e r u n g problematisch macht hinsichtlich der 8 Nitzsch, a.a.O. S. 50. » Th. Harnack, a.a.O. S. 222. io Schweizer, a.a.O. S. 138.
Alles, was im Prediger ist, wirkt sich aas
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Möglichkeit ihrer Durchführung. Aber S c h w e i z e r fährt auch fort: ..Nur dasjenige Individuelle, welches aus keinem gemeinsamen Glaubensgrund erfüllt wäre, kann im Kultus nicht erscheinen" 10 . In diesem „nicht können" bzw. „nicht dürfen" liegt das Problem. Das abzuleugnende Individuelle erscheint eben! Mit dieser und entsprechenden Forderungen ist daher im Grunde nur gesagt, wie der Prediger sein müfite, nicht wie er ist, und also für die konkrete Lage keine Hilfe gegeben. Denn es ist dabei nicht in Betracht gezogen, daß alles noch nicht Überwundene in dem Prediger wirkt, solange es da ist: Sünde, Privatpersönlichkeit, fehlende Erkenntnis und Erfahrung. Der Prediger wirkt immer mit allem Christlichen u n d Nichtchristlichen, das in ihm ist. Das Bangen, das aus dieser Erkenntnis entstehen müßte, findet seine grundlegende Lösung nur in der vergebenden und tragenden Gnade. Das ist theologisch sauber zu erfassen und ethisch sauber anzunehmen. Der Tatbestand hat aber darüber hinaus noch eine doppelte psychologische Beziehung. Einmal die belastende, daß w i r u n e r b i t t l i c h a u c h m i t a l l e m N e g a t i v e n w i r k e n . Was sie für die Gestaltung des Predigers bedeutet, wird noch zu erarbeiten sein. Sodann aber eine eigenartige p o s i t i v e : Dieses Mitwirken unseres negativen Seinsbestandes ist nämlich zugleich unaufhebbare Voraussetzung für ein Wirken überhaupt, nämlich f ü r d i e H e r s t e l l u n g k o n k r e t e r B e z i e h u n g e n zu anderen Menschen. Nur der ganze Mensch in seiner illusionslos gesehenen Realität kann lebendig als Mensch zum Menschen wirken. Ein Mensch ohne Sünde könnte nur dann heilvoll wirken, wenn sein Erhobensein über die anderen nicht durch versteckten Hochmut wieder zur Sünde würde und die Größe seiner Liebe der Größe seines Erhobenseins entspräche. Luthers „pecca fortiter" hat auch zu den hier vorliegenden Zusammenhängen eine Beziehung. Indem wir in „getroster Verzweiflung" wissen müssen und dürfen, daß wir nur als ganze Menschen mit unseren positiven u n d negativen Seiten wirken können, wird uns eben darin zugleich das Wirken möglich. Auch der Prediger des Evangeliums ist Mensch unter Menschen, wie der Arzt' Mensch unter Menschen ist, und nur durch sein ganzes Menschsein hindurch kann er Vertrauen finden und zur Gesundung helfen. Das Wirken des Predigers ist zwangsläufig und gesund dadurch begrenzt, .daß n u r d i e a s s i m i l i e r t e n S t ü c k e s e i n e r V e r k ü n d i g u n g b e f r u c h t e n d w i r k e n k ö n n e n . Hier spielt das Wesen der Produktivität, des schöpferischen Gestaltens und erkennenden Schauens, eine entscheidende Rolle. Man kann nur das original ausdrücken, was echte Uberzeugung im engeren Sinne ist. O r i g i n a l bedeutet nicht originell. Das Wort „originell" ist orientiert an der Absetzung gegen das Gewohnte und bezeichnet eine unechte, usurpierte Originalität. Das Wort „original" ist orientiert an dem echten Kern der Persönlichkeit und besagt, daß dieser seinen adäquaten Ausdruck findet. Jeder originale Ausdruck ist schöpferisch, auch wenn er ganz schlicht und keineswegs originell ist. Auch übernommene Ausdrücke und Sätze können 5*
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
durch lebendige Assimilation original werden. Am krassen Gegensatz vermögen wir uns unmittelbar deutlich zu machen, in wie hohem Maße eine wiedergegebene Wahrheit des Glaubens original wirkt bei dem, der sie wirklich glaubt und unecht bei dem, der sie vortäuscht. 3. D i e
Tiefendimension
Eine weitere Verfestigung des Gesagten liegt darin, dafl die Wirkung der Persönlichkeit in positiven wie in negativen Stücken nicht flächig, sondern plastisch ist. Sie hat T i e f e n d i m e n s i o n . Sie trägt nicht nur das augenblickliche Sein des Redenden an die Hörenden heran, sondern sie wirkt aus dem Ganzen der durchlebten Zeit und des durchschrittenen Raumes des Subjektes. Das Schicksal wirkt mit der gesamten Vergangenheit im jeweiligen Jetzt sich aus. Auch das G e m e i n g u t wirkt als Teil der Persönlichkeit sich aus· Es ist außer ihm, aber zugleich in ihm assimiliert. Das Gemeinsame wird durch das Eigene mitbestimmt und das Eigene durch das Gemeinsame. So kommt es, daß die Gemeinde jungen· Predigern manche Unreife nachsieht, die sie älteren nicht verzeihen würde. Ebenso, daß die Predigt eines gereiften und erfahrenen älteien Mannes nicht von einem jüngeren ohne diese Erfahrung gehalten werden könnte, und daß es überhaupt eine Reife gibt, die auf keine Weise vor einem bestimmten, gegebenenfalls hohen, Alter gewonnen oder erschlichen werden kann. Von einer Predigt des greisen D r y a n d e r sagte ein ihm Nahestehender einst: „Er hat manches so ausgedrückt, wie es eben nur ein 70jähriger sagen kann". Ein alter Bauer, heißt es, steht nach jahrzehntelangem Streit zweier Nachbardörfer in der im Scheitern begriffenen Versöhnungsversammlung auf, betet das Vaterunser und bei der Bitte: „Vergib uns unsere Schuld" sieht er langsam alle Anwesenden an. Unter diesem Eindruck kam die Versöhnung zustande: ein Beispiel für die Bedeutung von durchlebter Zeit und durchmessenem Raum für die Wirkung der Persönlichkeit! Selbst mit der Macht des Vaterunsers und seiner 5. Bitte konnte nur ein g r e i s e r Mann diese Wirkung hervorrufen. Die Einordnung des Subjektes in die Predigt kann also zwar fälschlich zu subjektivistischer Predigt führen, grundsätzlich aber muß sie das keineswegs tun, sondern, wenn es recht geht, führt sie zur objektiven Verkündigung. D e r G e g e n s a t z g e g e n o b j e k t i v i s t n i c h t s u b j e k t i v , sondern w i l l k ü r l i c h und b e z i e h u n g s l o s unter f a l s c h e r Einschaltung des Subjektes. Psychologisch gesehen ist das Haben und Glauben der objektiven Wahrheit ein ebenso subjektiver Zustand, wie jeder „Subjektivismus" es ist. In jedem Falle ist das, was der Prediger verkündigt, subjektiv in ihm. Die objektive Wahrheit, die in der Predigt verkündigt wird, tritt mit der Gesamtheit ihrer Wirklichkeiten und Kraftströme dem Prediger als . . K i r c h e " ' im weitesten Sinne entgegen. In der Kirche „begegnet" dem Prediger aber nicht nur die Wirkungsmächtigkeit der Sache, sondern sie
Verkündigung aus der Wahrheit der Kirche
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verbindet sich in ihm mit seiner persönlichen Erfahrung, Reife und Tiefe zur zugleich überpersönlichen Wirkung. Das, was in dem Subjekt an zugleich überpersönlichen Momenten in dieser Richtung enthalten ist und sich auswirkt, kommt also aus der größeren Gemeinschaft, in der der Prediger steht und aus der er die Möglichkeit der Verkündigung schöpft. Das ist, psychologisch gesehen, der Sinn der „Kirche". J e d e P r e d i g t g e s c h i e h t v o n d e r K i r c h e a u s u n d i n d e r K i r c h e . Denn es gibt keine nur persönliche Erfahrung und kein nur persönliches Einssein mit einer Wahrheit, die nicht aus einer größeren Gemeinschaft der Erfahrung stammten und von daher in dem Einzelnen zum erleuchtenden Licht und zur lebendigen Erfahrung würden. In diesem Sinne wirkt sich hinsichtlich der Übersubjektivität der Predigt am Prediger das „kollektive Unbewußte" aus. Die Kirche wirkt einerseits neben und über dem Prediger als die objektive, von ihm unabhängige und außer ihm stehende Macht, die die Möglichkeiten des Subjektes weit übergreift, andererseits wirkt die Kirche in ihm, soweit er sie seiner Persönlichkeit assimiliert hat, und sie von ihm als Subjekt Besitz ergriffen hat. „ K i r c h l i c h k e i t " ist demnach nicht nur die Zustimmung zu einer bestimmten Auffassung, aber auch nicht nur die willentliche Einordnung in eine bestimmte Gemeinschaft, sondern d a s g e l e b t e R e s u l t a t e i n e r g e l e b t e n u n d l e b e n s m ä ß i g e n E i n o r d n u n g . Eine „kirchliche Persönlichkeit" ist nicht schon der, der sich mit Hingabe oder gar nur Emphase f ü r die Kirche, wie er sie versteht, einsetzt, sondern erst der, der mit seinem subjektiven Sein aus der Wahrheit der Kirche lebt. Er muß also substantiell von ihr bestimmt sein, und daß er das wird, ist lebendiges Geschehen von Jahren oder Jahrzehnten. Predigtarbeit·ist also immer F u s i o n beider Mächte: der Kirche und des predigenden Subjektes. Sie kann gelungene Fusion sein, indem wirklich die Erkenntnis der Kirche durch den Prediger zum Ausdruck kommt. Sie kann auch mißlungene Fusion sein auf zweierlei Weise. Entweder: der Prediger predigt als ein Heimatloser, er ist nicht eingeordnet in die Gemeinschaft der Kirche und nicht eingegangen in den lebendigen Raum ihrer geistlichen Erkenntnis. Oder: er macht eine mißverstandene Kirche (etwa eine liberalistisch oder rationalistisch verstandene oder mit fremden Elementen verknüpfte) ohne Wissen um die echte Kirche zur Quelle seiner Verkündigung. Ist die Entwicklung günstig gelaufen und also Verkündigung aus echter kirchlicher Erkenntnis da, so i s t alles, was der Prediger sagt, in tiefstem Sinne aus der Wahrheit der Kirche geschöpft und also kirchlich und objektiv wahr und richtig. Dabei können sehr „subjektive" Gedanken, auch solche, die nicht nur original, sondern originell sind, durchaus objektiv kirchlich richtig sein. Im andern Falle können Gedanken, die dem Anscheine nach mit der objektiven Verkündigung der Kirche übereinstimmen, und gegen die von der „Lehre" aus sich nichts einwenden läßt, in ihrer tieferen Wirkung doch sehr subjektiv im unguten Sinne, j a durchaus subjektivistisch sein. Es ist gar nicht unmöglich und geschieht zuweilen, daß ein dünner Strom trockener,
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
o b j e k t i v e r Richtigkeit zur Scheinlegitimation w i r d f ü r einen Unterstrom subjektivistischer Willkür.
starken
D a s Problem der Kirchlichkeit einer Predigt ist also nicht der Gegenpol zum Problem der Subjektivität, als ob der Prediger entweder von der objektiven Kirche oder von der s u b j e k t i v e n Persönlichkeit bestimmt wäre, oder beides in j e verschiedener Mischung. Sondern Kirche u n d Subj e k t sind zwei Mächte, die sich durchdringen sollen, u n d j e s t ä r k e r dabei die Persönlichkeit ist, um so s t ä r k e r kommt bei echter D u r c h d r i n g u n g die Kirche zur Geltung. Das Problem der Kirchlichkeit muß aus der Tiefendimension verstanden werden und w i r d verfehlt, w e n n man es n u r linear nimmt.
II. D i e S t r u k t u r d e r P e r s ö n l i c h k e i t B e d e u t u n g für die 1. D i e S c h i c h t u n g ·
der
in
ihrer
Predigt
Persönlichkeit
Im Vorhergehenden w u r d e die Bedeutung des Subjektes f ü r das W e r d e n der Predigt herausstellt. Es geht nun darum, die S t r u k t u r d i e s e s S u b j e k t e s in i h r e r Tiefenschichtung zu erkennen. Die Gesamtpersönlichkeit ( = S u b j e k t im bisher gebrauchten Sinne) ist Resultat des gesamten Seins eines Menschen. D e r Organismus des w i r k e n d e n S u b j e k t e s ist keineswegs n u r A u s d r u c k seines gegenwärtigen Seins, sondern hat nach j e d e r Richtung hin T i e f e n g l i e d e r u n g . In ihm kommt die ganze bisher gelebte Geschichte des Menschen zum Ausdruck, u-nd diese wieder ist n u r das kleine Resultat einer unermeßlichen F ü l l e von vorher Gewesenem und Gegebenem. Alle Anlagen u n d Möglichkeiten sowie alle Mächte, d u r c h die diese gestaltet worden sind, auch die Art, wie der Betreffende sein Schicksal bewältigt und an der Gestalt u n g seines Seins mitgewirkt hat, kommen in j e d e m Augenblick zum Ausdruck. W e n n auch dem Menschen, w ä h r e n d er arbeitet oder spricht, wenig oder nichts von all dem bewußt ist, so gibt es doch im tieferen Sinne nichts, was versinkt und was vergessen ist. „Es gibt ein a priori aller menschlichen Tätigkeiten und das ist die eingeborene und damit vorbewußte und u n b e w u ß t e individuelle S t r u k t u r der Psvche." „Die vorb e w u ß f e Psyche, also die des Neugeborenen, ist keineswegs ein leeres Nichts, dem alles beizubringen wäre, sondern eine enorm komplizierte und individuell aufs schärfste determinierte Voraussetzung, die n u r daru m als dunkles Nichts erscheint, weil wir sie nicht direkt sehen können 1 1 ." Versteht man u n t e r Überzeugung den Gesamtausdruck dessen, was der Mensch b e j a h t , so ist seine Überzeugung noch nicht die e i g e n t l i c h e P e r s ö n l i c h k e i t , sondern diese geht in j e d e r Hinsicht darü b e r hinaus, bzw. dahinter zurück. So k a n n die Richtung der Persönlichkeit e r k e n n b a r und festliegend sein, w ä h r e n d doch die augenblicklich vertretene Überzeugung d u r c h Zeitmomente mitgeprägt ist, die die tiefere, " C. G. Jung, In: Eranos-Jahrb. 1938, S. 407.
Verkündigung aus der zentralen Tiefe des Subjekts
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bleibende Überzeugung des Subjektes vereinseitigen, verschieben und umgestalten; Obwohl oft intensive und aufregende Erörterungen sich an eine im genannten Sinne zu verstehende Augenblicks- bzw. Ubergangsüberzeugung des Predigers bei den Hörern knüpfen, darf man doch annehmen, dafi in vielen Fällen die nachhaltigere Wirkung von der eigentlichen Überzeugung des Redners ausgeht. Das zeigt sich auch in der Tatsache, dafi übereilte und einseitige Äußerungen oft auch von solchen, die den Redner nicht genauer kennen, instinktiv als nicht echt empfunden werden. Denn der Prediger kann den Inhalt seiner Rede aus der zentralen Tiefe schöpfen, er kann ihn aber auch aus der Oberflächenschicht oder aus einer Mittelschicht nehmen. Was jeweils im Augenblick des Redens, auch in den Stunden der Arbeit, in diesem Sinne geschieht, ist nicht in das Belieben des Subjektes gestellt, vielmehr ist es eine bedeutsame Aufgabe, die Wege zu finden und in die innere Haltung zu kommen, die es mehr und mehr ermöglichen, a u s d e r z e n t r a l e n T i e f e z u s c h ö p f e n 1 2 . Der Inhalt dessen, was gesagt wird, ist also nicht immer im gleichen Maße Ausdruck der Tiefe der Persönlichkeit. Ja, es gibt Prediger, die lebenslang in ungelösten seelischen Spannungen verhältnismäßig primitiver Art leben. Auch hier beweist die Reaktion der Gemeinde die Richtigkeit dieser Feststellung. Sie spürt unbewußt, ob in höherem oder geringerem Maße das gelungen ist, was mit jeder Predigt eigentlich gemeint ist. Tief erblickende erkennen oder erahnen unter Umständen auch, ob der Prediger die Möglichkeiten seines Wesens erreicht hat. Die Tiefengliederung der Persönlichkeit ist also von ausschlaggebender Bedeutung für die Auswirkung des Subjektes in der Predigt. Das Gleiche gilt auch von der K r a f t , mit der die Überzeugung vertreten wird. Es läfit sich nicht vermeiden, daß die Augenblickskraft des Predigers und damit auch der schwingende Nachdruck, mit dem er predigt und seine Überzeugung zum Ausdruck bringt, j e und dann verschieden sind. Wäre er nämlich unabhängig von den Schwankungen subjektiven seelischen Befindens, so würde zwar der gelegentlich schwächere Ausdruck vermieden werden, aber es könnten auch die besonders starken Momente nicht in der Predigt zum Ausdruck kommen. Es ist aber so, daß in der Einzelpredigt d i e G e s a m t k r a f t d e r z e n t r a l e n P e r s ö n l i c h k e i t u n d d i e A u g e n b l i c k s k r a f t innerlich verbunden miteinander wirken. Die Gesamtpersönlichkeit kann also, auch durch ungünstige Stunden hindurch, dennoch sich auswirken, nicht nur, weil man weiß, daß sie da ist, sondern auch, weil sie hinter dem schwächeren Zustand des Augenblicks steht. Dementsprechend wird nun freilich auch der Kraftmangel der eigentlichen Persönlichkeit in der Verkündigung spürbar, und in vielen Fällen ist deutlich erkennbar, wie bei schwachen Menschen ihre Schwäche auch Vgl. Kap. III Meditation.
56
Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
d u r c h vorgetäuschte K r a f t nicht verdeckt w e r d e n kann. D a aber auch d e r S t a r k e noch s t ä r k e r w e r d e n kann, weisen die a n g e f ü h r t e n Tatsachen unmittelbar auf die Verpflichtung zur vollen E r a r b e i t u n g des höchstmöglichen persönlichen Seins. D e m Gesagten entsprechend ist die s u b j e k t i v e W i r k u n g s m a c h t des Predigers nicht ohne weiteres gesichert d u r c h die W i r k u n g s macht der objektiven Wahrheit, die er verkündigt. Man k a n n eine Überzeugung haben, die in ihrem objektiven Gehalt stärkste K r a f t besitzt (ζ. B. die christliche Wahrheit), und doch, obwohl man sie ehrlich als Eigentum in sich trägt, s u b j e k t i v ohne starke W i r k u n g s m a c h t sein. D a s ist w i e d e r u m dann der Fall, wenn die o b j e k t i v e Überzeugung nicht in entsprechendem Maße s u b j e k t i v assimiliert ist. So ergibt sich, dafi das S u b j e k t keineswegs n u r die Aufgabe hat, eine o b j e k t i v richtige Überzeugung zu finden, sondern daß sie mit seinem Wesen zu einer Einheit verschmelzen muß. Das k a n n aber n u r in dem Maße geschehen, in dem ein eigenes „Wesen" da ist. So steht der Prediger, eben um seines Dienstes an der objektiven W a h r h e i t willen, noch m e h r als j e d e r Mensch an sich schon, vor der subjektiven Aufgabe, sein eigenstes Wesen möglichst k r ä f t i g und allseitig herauszuarbeiten, nicht im Sinne einer Übersteigerung oder auch der Selbstgefälligkeit, sondern damit er das wird, was er in seiner persönlichen Einmaligkeit sein soll. Es handelt sich also um die Ü b e r w i n d u n g eines j e d e n zufälligen oder selbstgefälligen Subjektivismus und die E r a r b e i t u n g einer echten Subjektivität, zumal eine wirkliche Einordnung in die Gesamtheit durch echte S u b j e k t i v i t ä t nicht gehemmt, sondern gefördert wird. Damit stehen w i r vor dem entscheidenden Problem der Psychologie, der „Personifikation". P e r s o n i f i k a t i o n (bzw. Individuation) ist mehr, als daß man eine sog. „Persönlichkeit" im üblichen Verstände wird. Als Persönlichkeit wird in der Regel j e d e r bezeichnet, der bestimmt geprägte Auffassungen h a t u n d die Entschiedenheit und den Mut besitzt, sie zu vertreten. D i e E r f a h r u n g d e r Psychologie zeigt aber — u n d oft k a n n m a n das auch ohne Psychologie sehen — daß es u n t e r den sog. „Persönlichkeiten" dennoch Menschen gibt, die in ihrerPersönlichkeitskraft keineswegs zu einem ausgeglichenen Wesen, zu einem W i r k e n aus einem festen Zentrum und zu einem sicheren R u h e n in sich selbst gekommen sind. So ist es deshalb, weil in vielen Fällen das, was beim Menschen als Persönlichkeit heraustritt, nicht d e r A u s d r u c k seines eigentlichen Seins ist. D u r c h das theologische Studium und die Verpflichtung des Amtes k a n n bei aller unbezweifelbaren Gewissenhaftigkeit und s u b j e k t i v e n Ehrlichkeit gar leicht der Zustand eintreten, daß „Persönlichkeit-sein" sich auf diese niedere Stufe der Möglichkeiten beschränkt. D e r Mensch ist d a n n etwas geworden, was a n e r k a n n t w i r d und wirkt, und was vielleicht ein a n d e r e r mit Recht hätte w e r d e n können u n d sollen, er ist aber nicht d a s geworden, was er nach seinem eigensten Wesen werden sollte.
Erarbeitung des vollem Eigenwesens 2. D a s
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Selbst
Dieses eigentliche Wesen des Menschen, das in seinem Werden den ihm entsprechenden Ausdruck finden soll, wird in der Psychologie ζ. T. (ζ. B. von Künkel) das „Ich" genannt. Wir möchten es, um in bestimmter Richtung noch eine weitere Vertiefung zu ermöglichen, im Anschluß an einen Ausdruck Jungs als d a s „ S e l b s t " bezeichnen. Die Vokabel „Selbst" erscheint in der Psychologie vielfach 13 ohne die eigentümliche Absetzung gegen das nur „Ich", die sie bei J u n g u. a. hat,, und auf die wir hier eben Wert legen. Denn es muß zum Ausdruck kommen, daß über dem „Ich" (oder der Persönlichkeit) ein Z i e l steht, ein· „Bild des, das sie werden soll". In die tieferen Schichten und damit in die größeren Möglichkeiten weist J u n g mit dem Satz: „Ich unterscheide.... zwischen Ich und Selbst insofern das Ich nur das Subjekt mit Bewußtsein, das Selbst aber das Subjekt mit der gesamten, also auch der unbewußten Psyche ist 14 . Es ist „etwas anderes als das Ich, und insofern eine höhere Einsicht überleitet vom Ich zum Selbst, so ist letzteres ein umfänglicheres, welches die Erfahrung des Ich in sich schließt und dieses daher überragt" 1 5 . „Das individuierte Ich empfindet sich als Objekt eines unbekannten und übergeordneten Subjektes 1 6 ." „Individuation bedeutet: zum Einzelwesen werden, und, insofern wir unter Individualität unsere i n n e r s t e , l e t z t e u n d u n v e r g l e i c h b a r e E i g e n a r t i g k e i t verstehen, zum eigenen Selbst werden. Man könnte Individuation darum auch als »Verselbstung« oder als » S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g « bezeichnen" 17 . Noch deutlicher ist das uns hier Wesentliche gesagt in der Definition' der Jung nahe verwandten Auffassung von Μ a e d e r : Er sieht im Selbst „das Ich-Vorbild (Ego) und das Seelenbild (Anima), welche durch ihre Vereinigung die höchste zentrale Substanz der Psyche bilden, das sog. Selbst" 1 8 . „Dieses Selbst können wir als die i n n e r e F ü h r u n g d e s · M e n s c h e n , respektiv als das Organ derselben ansprechen, denn die eigentliche Führung liegt doch im tiefsten Kern, im Urbild. Sie macht sich nur durch die Vermittlung dieser inneren Instanz, des Selbst, bemerkbar. Dies Urbild ist eine Wesenheit, die uns der metaphysische Sinn übermittelt 18 ." Maeder fügt hinzu: „Ich persönlich glaube, daß das Urbild unmittelbar aus der Schöpferhand Gottes aus einem schöpferischen Akt hervorgeggangen ist und dem empirischen Menschen als vitaler Impuls und L e i t b i l d dient" 19 . D a s S e l b s t i s t d e r richtungg e b e n d e F a k t o r , d e r d i e P e r s o n im S i n n e d e s v o n vornherein gegebenen Urbildes leitet. 13 Vgl. etwa Klages, a.a.O. S. 16 u. 17. C. G. Jung, Psychologische Typen, S. 630. 1 5 C. G. Jung, In: Suzuki, Die große Befreiung, S. 15. 1 6 Jung, Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, S. 206/7. 1 7 C. G. Jung, a.a.O., S. 91 (Sperrungen von uns). 18 Maeder, a.a.O. S. 119. 19 Ebda. S. 119/20. 14
Die Bedeutung- des Subjektes für die Predigt
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Von der Beziehung des Ich zum Selbst spricht im G r u n d e Hans K ü n k e l , wenn er sagt: „Die Sehnsucht nach dem Leben ist die Sehnsucht, sich selber zu finden, Angst vor dem Leben ist die Angst, sich selber gewahr zu werden" 2 0 Die Vokabel „Selbst" scheint uns auch sprachlich zum A u s d r u c k zu bringen, dafi hier das tiefste Anliegen des Menschen angesprochen ist: das zu werden, w a s e i g e n t l i c h v o m S c h ö p f e r m i t i h m g e m e i n t i s t u n d ein Leben zu f ü h r e n , in dem d i e G e s e t z e s e i n e s e i g e η sten Seins voll zum Ausdruck kommen. Man k a n n diese b e i d e n Leitlinien ohne Bedenken miteinander verbinden, sie sind sogar umfassend gültig, sobald man die W e n d u n g „Schöpfer" weit genug fafit. In der psychologischen Arbeit zeigt sich nach unserer E r f a h r u n g ausnahmslos, dafi der Mensch, sobald er zum i n n e r e n Wissen um sein „Selbst" erwacht, damit z u g l e i c h in irgendeiner Weise zu einer E h r f u r c h t vor einer höheren Macht kommt, von der er sich abhängig, auf die e r sich gerichtet, u n d der er sich verpflichtet •weiß. Auch wenn w i r uns klarmachen, dafi damit noch keine christliche o d e r kirchliche Glaubenserkenntnis erreicht ist, d ü r f e n w i r doch feststellen, dafi gesunde Psychotherapie dem Menschen mindestens einen religiösen Dienst erweist. Das „ S e l b s t " ist also nicht n u r aus theoretischen Erwägungen, sondern aus praktischer E r f a h r u n g h e r a u s von vornherein i n V e r b i n d u n g mit der m e t a p h y s i s c h e n Wirklichkeit zu sehen. Theologisch beurteilt w i r d es nicht gefährdet, sondern z u t r e f f e n d eingeordnet, w e n n w i r es in die Beziehungen d e r christlichen Gottese r k e n n t n i s hineinstellen. Hier, wie überall im Leben, gilt der Grundsatz, •dafi der Mensch, will er gesund sein und seine Bestimmung erfüllen, bis zu der Grenze vordringen m u fi, die ihm e r r e i c h b a r ist, und dafi er w e i t e r nicht vordringen k a n n . Und das in j e d e m Augenblick u n d in j e d e m Stadium seines Lebens. Die Situation des Selbst in dem im G l a u b e n e r n e u e r t e n Menschen ist also die, dafi der im G l a u b e n Stehende zu seinem Selbst nicht abgesehen vom G l a u b e n kommen und nicht ohne Glauben in ihm leben k a n n . Er findet u n d erfüllt sein Selbst im Glauben. Zu seinem Selbstsein gehört der volle Glaube. W e r nicht im Glauben der Christenheit steht, wohl aber in einer allgemeinen R e l i g i o s i t ä t , mufi mindestens diese voll einbeziehen u n d eventuell tiefer sich zu eigen machen im Prozefi der Personifikation, u n d es könnte sein, dafi er zu tieferem und vollerem Glauben kommt. Es k a n n freilich auch sein, daß das nicht geschieht. Die Fälle, in denen j e m a n d d u r c h die Selbstfindung dem äußeren Schein nach sich v o m ü b e r k o m m e n e n G l a u b e n l ö s t , sind u. W. ausnahmslos solche Fälle, in denen dieser Väterglaube n u r noch eine ä u ß e r e Schale war. Nicht selten ist die Neurose, die aus dieser Unstim20
Hans Künkel, Der furchtlose Mensch, S. 33.
Das Selbst vor Gott
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migkeit entstanden ist, der Anlafi zur psychologischen Tiefenarbeit, und in solchem Falle ist die ehrliche Lösung zunächst ein Gesundungsprozefi, der so unerläßlich ist wie A u f r ä u m u n g s a r b e i t auf dem Platz, auf dem man ein neues Haiis bauen will. Wir können um des Glaubens und um der Wahrheit willen nicht wünschen, dafi jemand in einem Glaubensund Lehrgebäude weiterlebt, die ihm nicht lebendig und überzeugend sind. Können sie ihm das von innen her werden, so wird gerade die psychologische Arbeit dazu führen, und quälendes Leiden unter unverstandener „Lehre" kann gerade in der Selbstfindung zu lebendigem Eingehen in die „Wahrheit" werden. Doch darf andrerseits nun nicht jeder, der glaubt, meinen, er habe damit sein Selbst gefunden. Denn wir leiden gerade daran vielfach, dafi durch den Glauben der Mensch zwar ausgerichtet und in den Gehorsam geführt wird, dafi aber sein Eigenwesen nicht sich entsprechend entfaltet. Der Glaube wirkt sich in solchem Falle mehr im Tun, als im Werden aus. Auch der Glaubende kann noch mit Sinn und Erfolg psychologisch arbeiten und dadurch mancherlei Vertiefung und Umgestaltung, Auflösung von Neurosen und Durchordnung seines Wesens erfahren. Rechter Glaube ist sogar — neben allem anderen — „die" Therapie, und jeder rechtschaffene Therapeut weiß, wieviel Verheißung für ihn in dem Glauben seines Patienten liegt, wenn es ein gesunder Glaube ist, j a wieviel Möglichkeit der Gesundung des Glaubens gegeben ist, wenn überhaupt nur Glaube da ist. Wo Religion ist, j a wo auch nur Ehrfurcht ist, kann geholfen werden — mindestens sehr viel leichter als da, wo auch diese erst noch zu erarbeiten sind und man nur an die Not oder Verzweiflung des Leidenden anknüpfen kann. Das Selbst des Menschen bewirkt also, wenn es sein Wesen bestimmt, die Erneuerung des Menschen zunächst im allgemeinen Sinne der seelischen Gesundheit. Die „Erneuerung im Glauben" ist damit noch nicht gegeben, wo aber Glaube da ist, entsteht nicht ein Widerspruch, sondern eine fruchtbare Verbindung. Das Gewicht der Selbstfindung wird aber nur dann ermessen, wenn man versteht, daß hier eine Wandlung bis in die Gründe des Seins tatsächlich sich vollzieht, die eine wirkliche Neugeburt genannt werden kann mit dem Sterben und Werden, das dazu gehört. Die theologische Beurteilung dieses Vorganges ist ein Problem, das hier nur genannt, nicht behandelt werden kann. Es bedarf aber jedenfalls einer sehr sorgsamen Bearbeitung in Wahrheit und Liebe. Im Blick auf den Prediger und seine Predigt ist zu sagen: Es ist schon ein Ziel nach einem langen Wege erreicht, wenn jemand auch nur bis zu der Erkenntnis vorgedrungen ist, daß hinter seiner Persönlichkeit, wie sie jetzt ist, höchstwahrscheinlich ein Selbst liegt, das in mancherlei Richtung seinen wesenhaften Ausdruck in der jetzt so geprägten Persönlichkeit nicht gefunden hat. Und wer das erst erkannt hat, hat auch die Möglichkeit, auf einem verheißungsvollen Wege weiterzukommen, der ihn zu einer ungeahnten Einheitlichkeit des Wesens und Nachhaltigkeit
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Die Bedeutung dies Subjektes für die Predigt
des W i r k e n s zu f ü h r e n v e r m a g . „Es gibt k e i n e Leistung, die zu so hohem k ü n s t l e r i s c h e n R a n g e e m p o r s t e i g e n k a n n , w i e ein menschlicher L e b e n s lauf21." A n diesem P u n k t setzt n u n die B e d e u t u n g d e r v o n d e r T i e f e n p s y c h o logie e r k a n n t e n Mächte ein, u n d zugleich w i r d i h r e W i c h t i g k e i t f ü r den P r e d i g e r e r k e n n b a r : eine voll w i r k s a m e P r e d i g t setzt nicht n u r Ü b e r zeugtsein von d e r christlichen W a h r h e i t v o r a u s , s o n d e r n e r f o r d e r t zugleich Gestalten, d i e nach ihrem eigenen Maß und R h y t h m u s gewachsen sind. Alles nämlich, w a s ü b e r die B e d e u t u n g des S u b j e k t e s f ü r das W e r d e n d e r P r e d i g t b i s h e r gesagt w u r d e , gilt nicht n u r f ü r die b e w u ß t e n , s o n d e r n a u c h f ü r die u n b e w u f i t e n Schichten des Menschen. D e n n die P r e d i g t ist j a n u r das in d e r S p h ä r e des Bewußtseins sich vollziehende E n d e r g e b n i s eines t i e f g r e i f e n d e n Vorganges, in d e m a u s d e n u n t e r e n R e g i o n e n des U n b e w u f i t e n u n z ä h l i g e F ä d e n emporsteigen, die erst, w e n n sie in die Schicht des Bewußtseins e i n t r e t e n , vom S u b j e k t als v o r h a n d e n e r k a n n t werden und bewußt verwendet werden können. F ü r die P r e d i g t ist n u n , d a sie, w i e gesagt, d u r c h die Gesamtpersönlichkeit entscheidend b e s t i m m t w i r d , von g r ö ß t e m G e w i c h t die von C. G. J u n g e r a r b e i t e t e T a t s a c h e des k o l l e k t i v e n U n b e w u ß t e n. F ü r die E r a r b e i t u n g des Selbst liegt das eigentliche P r o b l e m d e r religiösen u n d w e l t a n s c h a u l i c h e n G e s t a l t u n g d a r i n , d a ß es e r f ü l l t ist von U r v o r s t e l l u n g e n , die in j e d e m Menschen i r g e n d w i e w i e d e r h e r a u f k o m m e n u n d , oft o h n e d a ß e r es weiß, sein D e n k e n , E m p f i n d e n u n d die P r ä g u n g seiner Ü b e r z e u g u n g e n b e s t i m m e n . J u n g bezeichnet sie als A r c h e t y p e n . F ü r u n s ist die L a g e so, d a ß es nicht n u r A r c h e t y p e n aus d e r W i r k l i c h k e i t s w e l t des C h r i s t e n t u m s gibt, s o n d e r n a u c h solche, die e n t w e d e r m i t d e m C h r i s t e n t u m in W i d e r s t r e i t s t e h e n o d e r doch e i n e s e h r viel allgemeinere, n o c h e r h e b l i c h m e h r mit e r d h a f t e r C h a o t i k v e r b u n d e n e V o r s t e l l u n g d e r i m C h r i s t e n t u m zu r e i n e r e r K l a r h e i t g e f ü h r t e n U r e r k e n n t n i s s e e n t h a l t e n . I n d e n letzten v i e r J a h r z e h n t e n sind e i n e F ü l l e von A r c h e t y p e n zu n e u e r G e w a l t ü b e r die Seele g e k o m m e n , die aus d e n s c h w e r e n Schicksalsschlägen u n d d e m d u r c h sie v e r ä n d e r t e n W e l t b i l d h e r a u s w u c h s e n . Keineswegs u n w i r k s a m sind d a d u r c h die A r c h e t y p e n g e w o r d e n , die i m E r t r a g geistiger S t r ö m u n g e n w i e e t w a des Realismus,, d e r R o m a n t i k , v o r h e r des H u m a n i s m u s u n d d e r Renaissance, a n d e r e r s e i t s d e r R e f o r m a t i o n , a b e r a u c h des v o r r e f o r m a t o r i s c h e n gesamtkatholischen. D e u t s c h l a n d i h r e letzten e r k e n n b a r e n A u s p r ä g u n g e n e r f a h r e n h a b e n . W i r müssen u n s d a r ü b e r k l a r sein, d a ß a l l e diese M ä c h t e in u n s w i r k e n . B e d e n k e n u n d Zweifel gegen A u f f a s s u n g e n des C h r i s t e n t u m s , E m p f i n d u n g e n des Abstandes. o d e r d e r F r e m d h e i t zu christlichen (bzw. evangelischen) P r ä g u n g e n geistlicher E r k e n n t n i s g e w i n n e n von d a aus. ein üngleich viel g r ö ß e r e s G e w i c h t , als w e n n sie n u r s u b j e k t i v e E r s c h e i n u n g e n w ä r e n . Es geht d a n a c h in solchen F r a g e n keineswegs n u r d a r u m , d a ß w i r u n s s u b j e k t i v ü b e r u n s e r e eigentliche M e i n u n g o d e r H a l t u n g 21
Be'heim-Schwarzibach, Im Pfarrerspieg'e], S. 329 (Eckartverlag, 1939).
Die Urmächte (Archetypen) winken im Prexijgw
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klarwerden. Wir können nicht kurzerhand alles, was uns in der persönlich bewußten Austragung solcher Konflikte stört, abweisen und als nicht vorhanden betrachten, sondern diese Konflikte sind nur der an der Oberfläche sichtbare Ausdruck einer Auseinandersetzung, die sich in den letzten Tiefen der Persönlichkeit und über sie hinaus im Unbewußten der Gesamtheit vollzieht. Wir sind in ihnen also auch nicht mit uns allein, sondern tragen verantwortlich das Erbe unserer Vorfahren in uns. Damit sind wir aber nicht nur v e r a n t w o r t l i c h für das, was das Christentum uns sagt, auch nicht nur für das, was in uns selbst und in anderen christlich ist, sondern ebenso tief und ebenso sorgsam für alles das, was von Urzeiten her, vielleicht in raunender Undeütlichkeit, in uns ruht, wir sind auch verantwortlich für das tiefste Recht alles schöpfungsmäfiigen Soseins, alles heidnischen dunklen Fragens. Es ist uns, jedem in dem ihm möglichen Maße und jedem an seinem Ort in der Generationenreihe, aufgetragen, alles ungeklärte Ringen der Urmächte gegeneinander und um die Klarheit des Wesens jetzt und heut und soweit wir können zur Lösung zu führen, allem gerecht werdend, was an echtem Verlangen heraufkommt, nichts verratend, was irgend auf Treue, Hilfe, Klärung und Antwort wartet. Mit dieser Erkenntnis wird uns die Möglichkeit genommen, vorschnell und oberflächlich über das zu urteilen, was mit „dem Christentum" oder „der Überzeugung der Kirche" nicht übereinstimmt. Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g w i r d aus der S p h ä r e der M e i n u n g e n u n d „ Ü b e r z e u g u n g e n " in d i e d e r M ä c h t e v e r l e g t . Damit wird der überwiegende Teil der gesprochenen und gedruckten kirchlichen Aussagen und Urteile über nichtchristliche Meinungen, besonders soweit sie sich an weitere Kreise wenden, als zu kurz angesetzt und im tiefsten Sinne „unsachlich" und kraftlos erwiesen. Wir übergehen die uns auferlegte Pflicht überall da, wo wir eine nichtchristliche Aussage mit der christlichen „vergleichen" und ihrer Gegensätzlichkeit entsprechend „verneinen". Wir können erst dann wirklich über sie reden, wenn wir es gewagt haben, sie a u f i h r e M a c h t u n d W i r k l i c h keit, nicht nur auf ihre christlich b e u r t e i l t e Richt i g k e i t u n d F a l s c h h e i t z u e r p r o b e n . Denn hinter diesen „Meinungen" stehen Wirklichkeiten und Gewalten des nicht sterbenden kollektiven Unbewußten, die in so Vielen und — auch in uns „sind"! Daß der Prediger in der Ganzheit des Seins stehen muß, daß er die andere Seite, das andere Lager nicht verleugnen darf (vgl. I. Kap. I. 2.), das gewinnt unter dieser Schau sehr ernstes Gewicht. Aber wenn wir den Weg der Mühe, der Gefahr, und der Wahrheit wagen, dann erscheint die Möglichkeit, in einer ganz neuen Tiefe und unter neuer Verheißung, i m U r g r ü n d e m i t d e n j a a u c h R i n g e n d e n u n d in i h r e r W e i s e G l a u b e n d e n v e r b u n d e n , nicht andere „Meinungen" zu „bekämpfen", sondern d i e W i r k l i c h k e i t des l e b e n d i g e n G o t t e s h e r a u s z u s t e l l e n und ihren Sieg mit zu erringen, gegen Gewalten, die real wirksam und doch dem lebendigen Gott unterlegen sind.
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Die Bedeutung· des Subjektes f ü r die Predigt
W i e wir Verkündigung u n d K l ä r u n g im einzelnen vollziehen, ist damit aller Schematisierung enthoben und mit der Besonderheit unseres p e r sönlichen Seins in Beziehung gebracht. So hat es denn auch wesentlich 5mi t u n mit dem „ T y p dem wir als Menschen angehören. D e r Fortschritt der Erkenntnis ü b e r F r e u d und Adler hinaus hat bei J u n g eingesetzt mit der anderen bedeutsamen G r u n d e r k e n n t n i s seiner psychologischen Arbeit. Er e r k a n n t e die beiden Genannten in i h r e r Gegensätzlichkeit als zwei entgegengesetzte T y p e n des Menschseins. F r e u d , der den U r i r i e b des Menschen in der Verbindung mit dem a n d e r e n sucht, also sich nach außen wendet, v e r t r i t t den e x t r a v e r t i e r t e n G r u n d t y p , A d l e r , der den U r t r i e b des Menschen in d e r Macht, also in der Innenwendung, im eigenen Ich,, sucht, v e r t r i t t den G r u n d t y p des i n t r o v e r t i e r t e n Menschen. „Diese Unterscheidung ist f ü r die n e u e r e C h a r a k t e r k u n d e von ausschlaggebender Bedeutung geworden 2 2 ." Auf der G r u n d l a g e dieser ersten Unterscheidung von Intro- u n d E x t r a version b a u t sich Jungs T y p e n l e h r e auf. In ihrem weiteren Verfolg ist sie ohne k o n k r e t e Anschauung schwer zu erläutern, aber diese G r u n d u n t e r scheidung schon ist f ü r unser Anliegen von wesentlicher Bedeutung. Es ist selbstverständlich, daß die beiden gegensätzlichen Bezeichnungen den idealisierten reinen T y p darstellen, der in Wirklichkeit nicht vorkommt. Jeder einzelne Mensch ist nicht entweder e x t r a v e r t i e r t oder introvertiert, sondern überwiegend das eine oder das a n d e r e u n d hat die Aufgabe, d u r c h Herausarbeiten der geringeren der beiden K r ä f t e den gesunden und f r u c h t b a r e n A u s g l e i c h s e i n e s W e s e n s z u s u c h e n . Auch diese Unterscheidung ist in der Homiletik zwar nicht mit dieser Bezeichnung im voraus gefunden, aber doch erahnt. In der knappen, wenig beachteten, doch inhaltreichen Homiletik von Gustav Β a u r 2 3 findet sich der Gegensatz d e r T y p e n vorgebildet in der Unterscheidung des m e h r selbsttätigen und des mehr empfänglichen Predigers, ebenso die weitere Unterteilung, daß bei dem einen mehr das Denken, bei dem a n d e r n m e h r das Fühlen überwiegt u n d die V e r b i n d u n g der beiden Gegensatzpaare zu vier Typen. Auch bringt Baur den Hinweis auf die Bedeutung des Alters und der Stimmung 2 4 u n d die lebensnahe Erkenntnis, „bei dem allen w i r d bei dem einen als passend erscheinen, was bei dem a n d e r e n geradezu verwerflich sein w ü r d e " 2 8 . D e r Typenunterschied ist zunächst deshalb von Bedeutung f ü r die Arbeit an der Predigt, weil der Introvertierte u n d der E x t r a v e r t i e r t e die Q u e l l e n i h r e s S c h a f f e n s an anderen Stellen haben u n d das Material i h r e r Predigt entsprechend an verschiedenen Stellen suchen. D e r I n t r o v e r t i e r t e ist d e r j e n i g e Typ, der in seiner stärksten A u s p r ä g u n g 22 23 24 2β
Fritz KünkeL, Charakter, Krisis und Weltanschauung·, S. 62. Gustav Baur, Homiletik, Gießen 1848, S. 204 ff. Ebda. S. 207. Ebda. S. 208.
Der introvertierte und der extravertierte Typ
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in dem aus seinem eigenen Inneren schöpfenden, dichterischen bzw. künstlerischen Gestalter dargestellt ist. Er ist deshalb im wesentlichen auf sich angewiesen. „Einfalle" kommen ihm dann, wenn er in sich selbst hineinschaut und steigen aus den Tiefen seines eigenen Wesens herauf. D e r E x t r a v e r t i e r t e dagegen schaut nicht vorwiegend in sich, sondern um sich. Ihn regt das an, was er sieht. Eine Schwierigkeit in der Arbeit entsteht f ü r jedeji der beiden T y p e n schon dadurch, daß, abgesehen von den ihres eigenen Wesens sicheren und u n b e k ü m m e r t e n Menschen, j e d e r der beiden Typen, vorwiegend a b e r der Introvertierte, das oft peinigende G e f ü h l hat, der Arbeitsart des anderen in sich selber nicht gerecht zu werden. Beim E x t r a v e r t i e r t e n wendet sich dieses G e f ü h l leicht in die E m p f i n d u n g von der Sicherheit d e r eigenen Art, die die a n d e r e geringschätzig beurteilt. D e r Introvertierte f ü h l t sich vorwiegend bedrückt, wenn er etwa weniger k o n k r e t e Geschichten, erlebte oder erlesene Beispiele, zitierte W o r t e u n d Ähnliches bereit hat u n d zu verwenden geneigt ist. Es ist f ü r die innere R u h e u n d f ü r den Weg zur eigenen Arbeitsart viel gewonnen, wenn der Prediger sich einigermaßen d a r ü b e r k l a r wird, zu welchem T y p er vorwiegend gehört und infolgedessen weiß, wo seine K r ä f t e und wo seine Schwächen liegen. Die Feststellung des T y p s ist jedoch nicht immer so einfach, wie es zünächst scheint. In der psychologischen Tiefenarbeit können überraschende Ergebnisse herauskommen, d e r a r t etwa, daß j e m a n d sich zweifelsfrei f ü r den einen T y p hält, während er in W a h r h e i t n u r , etwa aus einem mißleiteten Pflichtgefühl gegenüber bestimmten Leitbildern, die eine Seite seines Wesens stark herausgearbeitet und die a n d e r e in sich vernachlässigt bzw. u n t e r d r ü c k t hat. Es gibt Fälle, in denen eine entscheidende Befreiung des Menschen allein schon d a d u r c h eintritt, daß die andere Seite in ihm zu ihrem Rechte kommt. Das hat auch f ü r die Predigt Bedeutung. D e n n das Vollmaß der möglichen Wirksamkeit eines Predigers wird erst dann erreicht, wenn er seinen Anlagen entsprechend seine Fähigkeiten herausarbeitet. W i e d e r u m liegt hierin ein weiterer Beweis d a f ü r , in wie hohem Maße das S u b j e k t aus sich, aus seiner Tiefenpersönlichkeit h e r a u s die Predigt gestaltet. Aus der Unausgeglichenheit zwischen Extraversion und Introversion resultiert auch sehr oft die Unsicherheit, sich selbst zu geben, wie man ist u n d sein eigenes Wesen in der Predigtarbeit sich auswirken zu lassen. Sobald man das G e f ü h l hat, einer bestimmten P r e d i g t a r t (die also hier als t y p g e b u n d e n e r k a n n t ist) nicht gerecht zu werden, versucht man unwillkürlich, gelegentlich in dem entsprechenden anderen Sinne doch zu arbeiten u n d zieht das Material infolgedessen äußerlich heran. Diese Erkenntnis ist sehr wichtig f ü r diejenigen, die B i l d e r , Gleichnisse u n d Sentenzen usw. mehr aus Pflichtgefühl, um „gemeindemäßig" zu reden, verwenden. D e n n sie zeigt, daß es eine s u b j e k t i v e c h t e u n d e i n e s u b j e k t i v u n e c h t e V e r w e n d u n g gibt, die typenmäßig bestimmt ist. Bei höheren Ansprüchen an die Predigt ist demnach nicht n u r zu fragen, ob ein Bild richtig verwendet ist, d. h. also, ob es „sachlich stimmt", sondern auch, ob die V e r w e n d u n g dieses Bildes dem Wesen des
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Die Bedeutung- des Subjektes für die Predigt
Subjektes entspricht. Dadurch wird bei den Hörern das peinliche Gefühl vermieden, das man manchmal bei Männern hat, denen man abspürt, daß sie ein Bild gegen ihre eigene Neigung heranziehen, und bei denen es •dann meist auch nicht wirklich organisch eingearbeitet ist. (Man kann das nicht nur mit Logik und Intellekt machen!) Ferner ist darauf zu achten, daß die A r t d e r V e r w e n d u n g dem Wesen des Subjektes entspricht. Der Introvertierte etwa hat eine stärkere Neigung, aus einem Bilde oder einer Geschichte den wesenhaften Zug herauszuarbeiten und gegebenenfalls mit einem Hinweis oder einem einzigen Satz hinzustellen. Der Extravertierte neigt mehr zur Auswertung des gesamten bildhaften Materials. Jeder wirkt aber nur dann ganz geschlossen und unmittelbar, wenn er seiner Art treu bleibt. Die eigentlich strömende Kraft, die ursprünglich leuchtende Farbe kommt nur dann mit, wenn es aus dem eigensten Wesen strömt. Hieraus ergibt sich einerseits, daß das Subjekt mit seiner typologischen Art bis in die Einzelheiten hinein das Werden •der Predigt bestimmt. Andererseits ergibt sich die Notwendigkeit, daß man seine Art erkennt und in ihr sicher wird. Dies besagt nicht, daß es notwendig wäre, die vorwiegende Anlage einseitig auszubilden, sondern es ist auch in der Predigtarbeit die Aufgabe, den gesunden Ausgleich zu finden, also die schwächere Seite in dem Maße ihres berechtigten Anspruches herauszuarbeiten. Aus dem Gesagten ist aber erkennbar, wie wenig das durch eine äußere und äußerliche Inanspruchnahme der anderen Art möglich ist, und wie tief alle die Strebungen und Gestaltungsmöglichkeiten wurzeln, die an der Oberfläche so nebeneinander liegen. Dennoch sind die angeführten Tatsachen nur vereinzelte Hinweise auf die umfassende Wirklichkeit, daß das Selbst des Menschen die herausgearbeitete Tiefenpersönlichkeit ist. H e i ß spricht von der „vitalen Tiefenpersönlichkeit, die dem Zugriff des Bewußtseins fast ganz entzogen ist"26 Es ist nicht nur im Interesse des einzelnen gelegen, sondern eine dringende Aufgabe an der Sache und eine Notwendigkeit um der "Verkündigung willen, daß der Prediger seine Tiefenpersönlichkeit herausarbeitet und s e i n S e l b s t f i n d e t . Wer sein Selbst gefunden hat, ist ein befreiter, gewisser, ruhiger und ausgeglichener Mensch, nicht in dem Sinne einer faden Gleichmäßigkeit, die die Ströme und Kräfte des Lebens nicht in sich aufnimmt, sondern als einer, der alles Leben, auch die Stürme und Gewitter, kräftig anfaßt, voll in sich aufnimmt, ihre Macht erfährt und doch gewiß und fest in sich selber ruht. Die Wendung „in sich selbst ruhen" und ihr verwandte Wendungen sind hier und überall im psychologischen Sinne gemeint und nicht im antitheozentrischen. In sich selbst ruhen, sein Selbst gefunden haben, nach seinem eigenen Gesetz leben und ähnliches sind alles Wendungen, die nichts darüber aussagen, ob der Mensch gläubig oder ungläubig ist, mit oder ohne Gott lebt, sondern nur, daß sein Wesen in sich endgültige 2β Robert Heiß, Die Lehre vom Charakter. Berlin-Leipzig 1936. S. 242.
In sich selbst nuheril
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Klarheit gefunden hat. Psychologisch gesehen kommt der am meisten zu sich selbst und ruht am sichersten in sich selbst, der auf Gott ausgerichtet ist und in der Wahrheit des Christentums lebt. Erst von hier aus wird erkennbar, wie tief i m S e l b s t des Predigers die Frage verwurzelt ist, ob von seiner Predigt eine aufbauende, w e g r e i s e n d e , h e l f e n d e K r a f t ausgeht. Es ist schon möglich, das Evangelium so zu verkündigen, dafi man durch die Unsicherheit und Unausgeglichenheit der eigenen Tiefenpersönlichkeit nicht nur die StromIcraft der verkündigten Wahrheit hemmt, sondern auch durch das eigene Sein das Vertrauen zu der Wirklichkeit der verkündigten Mächte erschüttert. Aber auch wo derartig negative Momente nicht so deutlich spürbar sind, ja selbst, wo entschieden positive Einwirkung vom Subjekt aus da ist, ist die höchstmögliche Wirkung noch nicht erreicht, wenn nicht •das Selbst zur höchstmöglichen Gestaltung gekommen ist. Erst mit der Selbstfindung setzt die Möglichkeit wegweisender und helfender Verkündigung im tieferen Sinne ein. Denn der gegenwärtige Mensch in seiner entscheidungsreichen und gefahrenreichen Auseinandersetzung zwischen den Mächten kann sich nicht abfinden mit einer geistlichen Führung, der die unmittelbare einleuchtende Kraft und echte Weisheit fehlt, welche nur einer Verkündigung eigen ist, die aus dem E i n s s e i n der Tiefenpersönlichkeit, also d e s S e l b s t , m i t d e m , •was v e r k ü n d i g t w i r d , kommt. Zu dem Hinweis im Anfang des Abschnittes IV, 1 über die intensive Beschäftigung des Menschen mit sich selbst kann nun hier, nach der Erörterung des extravertierten und introvertierten Typs, noch ergänzend gesagt werden: Die Aufgabe der Selbstfindung ist freilich, wie erwähnt, nicht möglich ohne eingehende Beschäftigung des Menschen mit sich selbst. Aber auch der G r a d d e r S e l b s t b e s c h ä f t i g u n g ist zunächst eine Frage des Typs. Der Introvertierte beschäftigt sich zwangsläufig mit seinem Ich, weil er in ihm der Wirklichkeit zuerst begegnet. Das wird oft von den (in der Zahl überwiegenden) Extravertierten mißverstanden und als Egoismus aufgefafit. Alles Kreisen um das „eigene Ich" überwindet man am sichersten dadurch, daß man das Ich gründlichst ansieht, annimmt und gestaltet. Denn dadurch werden seine Grenzen erfahrbar. Die ΈβζβίσΙπππ^ egozentrisch, subjektivistisch u. ä. ist prinzipiell irreführend und entwertend, sie entspricht dem Vorurteil der extravertierten Einstellung gegenüber dem Wesen des Introvertierten 27 . „Es ist charakteristisch für unsere derzeitige extravertierte Schätzung, daß das Wort „subjektiv" gelegentlich fast wie ein Tadel klingt, auf alle Fälle aber als „bloß subjektiv" eine gefährliche W a f f e bedeutet, bestimmt denjenigen zu treffen, der von der unbedingten Überlegenheit des Objektes nicht restlos überzeugt ist28." 2 7 Jung, Psychologische Typen. S. 536/7. 28 Ebda. S. 537.
6 Haendler, Die Predigt
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Die Bedeutung des Subjektes fur die Predigt
S e l b s t b e s c h ä f t i g u n g ist eine im G r u n d e vitale F r a g e , v i e l f a c h E x i s t e n z f r a g e des Menschen. D e r I n t r o v e r t i e r t e h a t bis zu e i n e m gewissen G r a d e n u r die W a h l , ob e r zu G r u n d e gehen o d e r sich mit sich selbst befassen will. Es ist ihm a u c h keineswegs n u r G e n u ß u n d F r e u d e , es k a n n Last, j a Q u a l sein. A b e r es ist d e r W e g zum h ö h e r e n Sein. D e r Kampf u m die Entscheidung zwischen E x i s t e n z g e n ü g s a m k e i t u n d W e s e n s f i n d u n g m u ß i n n e n a u s g e f o c h t e n w e r d e n . A b e r das H ö h e r e steht j a i m G r u n d e im Dienst. „ L e b e n s e r h a l t u n g ist nicht S e l b s t e r h a l t u n g 2 9 . " U n d im Sinne des höchsten Lebenszieles m u ß d e r Mensch sogar sich selbst f i n d e n u n d e r h a l t e n w o l l e n — u n d die es am intensivsten t u n , stehen a m s t ä r k s t e n im D i e n s t d e r a n d e r e n u n d h a b e n die höchste F r e i h e i t von sich selbst. „Selbstliebe ist nicht Gegensatz ? u r Nächstenliebe, s o n d e r n z u r U n t r e u e gegen sich selbst 3 0 ." Von h i e r aus e r g i b t sich w e i t e r , d a ß die A b l e h n u n g d e r B e s c h ä f t i g u n g des Menschen mit seinem Ich keineswegs i m m e r so e r h a b e n e G r ü n d e d e r G e r i n g s c h ä t z u n g des „Kreisens u m das liebe I c h " h a t w i e m a n oft t u t u n d selber g l a u b t . D i e S e l b s t b e s c h ä f t i g u n g i s t nämlich k e i n e s w e g s e i n e h a r m l o s e A n g e l e g e n h e i t , sondern man ahnt, d a ß sie zu einer g r ü n d l i c h e n u n d f o l g e n r e i c h e n K l ä r u n g des ganzen Wesens u n d L e b e n s zwingen k ö n n t e . D i e A b l e h n u n g ist d a h e r oft n u r g e t a r n t e F u r c h t , u n d somit ist u n t e r U m s t ä n d e n g e r a d e sife d e r eigentliche Egoismus, n ä m l i c h die Liebe zum eigenen n i e d e r e n Ich. D e r P r e d i g e r m u ß so o d e r so die F r e i h e i t u n d d e n M u t f i n d e n , sich selber g r ü n d l i c h u n d schonungslos anzusehen. D a s g e h ö r t u n e r l ä ß l i c h z u m W e r d e n des Selbst u n d ist ein bedingungsloser u n d w a g e n d e r Einsatz. „Persönlichkeit ist die T a t des höchsten Lebensmutes, d e r absoluten Bej a h u n g des i n d i v i d u e l l S e i e n d e n " : die „ T r e u e zum eigenen Gesetz" 8 2 . U n d es ist nicht e i n f a c h geschehen mit d e r täglichen K o r r e k t u r d e s eigenen Wesens u n d H a n d e l n s a n d e n G r u n d s ä t z e n evangelischer E t h i k . D e n n d a m i t b l e i b e n w i r bei d e n s i c h t b a r e n Ä u ß e r u n g e n u n s e r e s Seins u n d k o m m e n nicht in die W u r z e l g r ü n d e , in d e n e n das Eigentliche geschieht, aus d e m das s i c h t b a r e Sein erst e n t s p r i n g t . Es ist n u r so möglich, d a ß d e r Mensch sich d a r u m b e m ü h t , seine T i e f e n p e r s ö n l i c h k e i t h e r a u s z u a r b e i t e n u n d sein Selbst zu finden. 3. D e r W e g · z u m S e l b s t i n d e r b e s o n d e r e n Predigers
Lage
des
W e n n die E r a r b e i t u n g d e s S e l b s t g r ü n d l i c h e r f o l g e n soll, so ist sie ein l a n g e r , s c h w e r e r Weg, d e r nicht o h n e b e r a t e n d e u n d f ü h r e n d e f a c h k u n d i g e H i l f e b e g a n g e n w e r d e n k a n n . Man sinkt aus seiner Scheingestalt u n t e r U m s t ä n d e n zunächst in ein wesenloses z e n t r i f u g a l e s D r e h e n von S t r e b u n g e n u n d K r ä f t e n u n d e r k e n n t dies als sein noch e r s c h r e c k e n d u n g e o r d n e t e s Wesen. Erst allmählich e r h e b t sich d a r a u s ein g e w a c h s e n e r 2» Tumlirz, a.a.O. S. 102. so Hans Künkel, Das Gesetz deines Lebens. S. 47. 32 C. G. Jung, Wirklichkeit der Seele. S. 186 u. 190.
Der gewachsen« Kern des Eigenwesen®
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Kern, der die verfügbaren Kräfte an sick zieht und zu dem eigentlichen und echten Wesen, dem „Selbst", gestaltet. Wir müssen uns im Rahmen dieser Untersuchung darauf beschränken, auf einige wenige Punkte hinzuweisen, die im besonderen für den Prediger auf diesem Wege von Bedeutung sind und für ihn im Gegensatz zu anderen Menschen «ine Eigenfärbung bekommen. Die unmittelbare Beziehung zwischen Selbstfindung und Christentum, besonders die für die Selbstfindung des Mannes und somit auch des Predigers gestellte Aufgabe hat S a u e r erkannt. „Das Christentum hat erst einmal die Wirklichkeit des M a n n e s t u m s und seines Verhältnisses zu ihm tief und genau zu erhellen, ehe die Aussprache weitergeführt wird 33 ." Man vergleiche überhaupt die Ausführungen S a u e r s übeT die Aufgabe des Christentums am Mannestum, um die Bedeutung einer versäumten Seite der Verkündigung und damit auch der Personifikation des Predigers zu erkennen. Die Aufgabe der Selbstfindung ist an sich aber für jeden Menschen durch Mächte erschwert, die auf ihn eindrängen, und die zwar seine Helfer sein könnten, durch seine Ungeschicklichkeit und Unzulänglichkeit jedoch leicht zu Gegnern werden. Der Theologe befindet sich also grundsätzlich nicht in einer besonderen Lage. Wohl aber kommt für ihn eine spezifische Gefahr aus den Mächten, die für ihn durch sein Amt sich mit besonderer A r t der Wirkung verbinden. Das gilt zunächst von der k i r c h l i c h e n T r a d i t i o n . Die Besonderheit liegt im Kirchlichen, nicht in der Tradition. Denn in einer Tradition wächst jeder Mensch auf, und wie sie ist, desgleichen wie er sich mit ihr zurechtfindet, gehört zu den schwierigsten Kapiteln seelischen Geschehens. Auch darin, dafi die kirchliche Tradition so mächtig ist. liegt noch nicht die Besonderheit, denn es gibt auch sonst starke Tradition. Die Eigenart der kirchlichen Tradition liegt vielmehr darin, dafi ihre Autorität mit m e t a p h y s i s c h e m G e w i c h t verbunden ist. Damit trägt sie einen Unbedingtheitscharakter an sich, der nicht, wie die elterliche Autorität, im Gang gesunden Reifens zur Bedingtheit herabsinkt. Während die Lösung der Vater- und Mutterbindung dadurch auf natürliche Weise unterstützt und gefordert wird, daß der Sohn als nunmehr auch erwachsener Mensch neben sie tritt, ist die kirchliche Autorität nicht eine, aus der er sich lösen soll, sondern eine, die bleiben, aber aus falscher in richtige Bindung hinübergeführt werden soll. Da aber der Mensch eine Neigung zum Sohnbleiben hat (Inzestproblem 34 ), entsteht die Möglichkeit, daß er die E l t e r n b i n d u n g a u f d i e K i r c h e ü b e r t r ä g t . Er ist dann eigentlich nie frei geworden, er hat weder die Herrlichkeit der echten Freiheit, noch ihre Einsamkeit und Furchtbarkeit erfahren, sondern er ist aus Verfügungsgewalt und Schutzgewalt der 88 Hermann Sauer, Abendländische Entscheidung Π. Leipzig 1938· S. XVI. 34 X) a s psychologische Inzestproblem umfaßt alles, was mit der Neigung zum Kindbleiben, zum Nichthinaustreten in das verantwortliche Eigenleben, zur Rückkehr in die Mutter usw. zu tun hat. Es spielt in fast allen therapeutischen Prozessen eine wesentliche Rolle. •6«
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Die 'Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
Eltern in kindhaft bleibender Abhängigkeit in Verfügungsgewalt und Schutzgewalt der Kirche übergetreten. Die Vaterbindung wird auf die Theologie, die Mutterbindung auf die Beheimatung in der Kirche übertragen. Dafi der Mensch dann nicht „freigeworden" ist, heifit hier, daß er nicht den Schritt aus der Freiheit in die e c h t e Bindung vollzogen hat. Seine Theologie ist dann auch nicht frei und reif, seine Kirchlichkeit ebenfalls nicht. Wo ihm daher sonst zentrale Lebensprobleme begegnen, löst er sie „als Sohn": er verkündet eine Theologie, die nicht gewonnen und erworben, sondern übernommen ist, und er überträgt diese unfreie Abhängigkeit unbewufit auf die Behandlung aller anderen Probleme, statt in ihnen und durch sie zu einer freien Hingabe heranzureifen. Das kann auch dann der Fall sein, wenn seine Theologie selbständig ist etwa gegenüber seinen akademischen Lehrern oder gegenüber seinem Vater, der Pfarrer ist. Sie ist dann nur innerhalb einer nie durchbrochenen patriarchalischen Autoritätenreihe verändert. Er hat eine Kirchlichkeit, die nur Elternhaus, nicht Eigenheim ist, auch wenn er selbst darin wohnt. Das Ergebnis ist, daß viele Menschen unserer Zeit sich ihm überlegen fühlen an Selbständigkeit, an eigengewachsener Lebensart, an Erwachsensein. Und diesen fehlt dann die Führung in den Räumen, deren Durchschreiten sie diesem Prediger voraus haben. Der Prediger darf dementsprechend auch auf Grund seiner Glaubensgewifiheit nicht die Ungewifiheit seiner Zeit und ihr Erleben des Verwehtseins, wie das des aufkeimenden Gefühls innerer Freiheit verleugnen und ignorieren. E r muß selbst durch diese Erschütterungen, die auch ihn anfassen, hindurch. Er soll sie im Glauben überwinden und dadurch für andere in ihnen wegweisend werden. Dafür wird er wartende Herzen finden. Hat er in sich selbst die Not nur mit dem Glauben überstülpt, so wird ihm — mit Recht und oft in sicherem Instinkt — seine Freiheit und sein Glaube nicht abgenommen. Der Prediger muß seine Beziehung zur K i r c h e so tief und so ehrlich durchleben, daß er um Größe und Not der „Loslösung" und der neuen Verwurzelung weiß und als ein Wissender über die innere Heimatlosigkeit reden kann, die viele gerade gegenüber der Kirche haben. Denn über deren zersetzende unterirdische Ausbreitung darf man sich nicht dadurch täuschen lassen, daß andererseits viel Tendenz zur Bindung, viel Verlangen nach Autorität (bei der auch unechte in Kauf genommen wird!) da ist. Sie ist Hemmung des Reifens, denn sie verhindert die Möglichkeit, das Alleinsein und Auf-sich-Angewiesensein zu erfahren. Es wäre aber ein Irrtum zu meinen, daß für Menschen, die in einer solchen falschen Autoritätsbindung leben, gleichsam ein Prediger „genüge", der auch nicht zur Freiheit gekommen ist. Denn damit würde das Ziel echter Führung aufgegeben. Diese Gebundenen soll der Prediger, soweit möglich, zur Freiheit führen. Dazu aber muß er sie selbst gewonnen haben. Das W a g n i s d e r E i n s a m k e i t in der Loslösung von falscher Bindung ist ein säkulares und ein metaphysisches Wagen zugleich. Es gilt die Einsamkeit zwischen den Stühlen und die Einsamkeit zwi»chen
Echte Autorität und echte Bindung
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den Zeiten zu w a h r e n . Erst w e r dies „zwischen" e r f a h r e n hat, ist reif geworden, seinen O r t auf der E r d e und sein Sein im R ä u m e Zeit-Ewigkeit zu finden. D e r Weg f ü h r t dann zur e c h t e n B i n d u n g an Kirche und Theologie. Echt ist in diesem Zusammenhang nicht identisch mit ehrlich. Eine unechte Bindung k a n n durchaus ehrlich sein. Sie ist d a n n wertvoller als eine, bei der ihr T r ä g e r selbst ein G e f ü h l der Unsicherheit u n d ein Mißt r a u e n hat, aber sie ist noch nicht das Letzte, was er erreichen könnte. Dafi also j e m a n d seine B e j a h u n g f ü r echt hält, beweist noch nicht, dafi sie es ist. Es d a u e r t beim Theologen bei gründlicher D u r c h a r b e i t u n g manchmal gar nicht lange, bis sich Probleme in dieser Richtung ergeben. Dennoch w i r k e n sie auch da, wo sie verdeckt bleiben und dem P r e d i g e r selbst u n b e w u ß t sind, i n d e r P r e d i g t a r b e i t sich aus. Viele Not der Art, daß man nicht weiß, was man zu einer bestimmten kirchlichen W a h r heit sagen soll, oder daß man das G e f ü h l hat, sie anderen nicht ü b e r zeugend nahebringen zu können, ist nicht, wie dann leicht vermutet wird, in der F r e m d h e i t der H ö r e r gegenüber dieser Wahrheit, sondern in der u n b e w u ß t e n F r e m d h e i t des P r e d i g e r s g e g e n ü b e r sein e r e i g e n e n Ü b e r z e u g u n g begründet . D e n n es m u ß bei solcher falschen A u t o r i t ä t s a n e r k e n n u n g das Reifen geistlicher Erkenntnis ausbleiben, ähnlich wie etwa das Reifen einer j u n gen F r a u ausbleibt, die im Mann den Vater geheiratet hat, bis er, notfalls d u r c h psychologische Tiefenarbeit, wirklich ihr Mann wird. So muß der P r e d i g e r den Weg finden, daß die kirchliche Autorität eine echte Autorität über einem wirklichen Manne wird, d. h. daß die Kirche der Grund seiner Gewißheit, nicht aber die G a r a n t i e seines Lebens wird, u n t e r d e r er noch ein „provisorisches Leben" 3 5 f ü h r t . Vor j e d e m Prediger steht daher, obwohl er Christ ist, die A u f g a b e der R e a l i s i e r u n g d e s e i g e n e n C h r i s t e n t u m s , die in einem ständigen N e u e r k e n n e n u n d Annehmen besteht. Kampf gegen die Sünde u n d „sich selbst" verleugnen ist noch nicht die F i n d u n g des Selbst. Indem ich mich selbst, d. h meinen Egoismus, mein Ich verleugne, k a n n ich durchaus noch an meinem Selbst vorbeigehen. Zum Glauben gekommen sein bzw. i m G l a u b e n s t e h e n b e d e u t e t n o c h n i c h t , d e n G l a u b e n u m f a s s e n d r e a l i s i e r t h a b e n . Sondern Mensch sein und Christ sein sind wie zwei verzweigte Organismen, die richtig ineinandergreifen müssen. Das geschieht erst dann, wenn Stück f ü r Stück das Wesen des Menschen von der K r a f t des Christenglaubens d u r c h d r u n g e n und Stück f ü r Stück des Christenglaubens Inhalt seiner selbst-eigenen Erkenntnis geworden ist. Die Gesamtströme der Entscheidung, auch der „abendländischen" Entscheidung, w e r d e n d a d u r c h in f ö r d e r n d e Bahn gelenkt, daß der Einzelne, nun eine Stufe höher, als Ganzheit seine Stelle im Ineinandergreifen der beiden Organismen „Christentum" u n d „Abendland" einnimmt. 3» C. G. Jung, Wirklichkeit der Seele. S. 93/4.
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Die 'Bedeutung' des Subjektes für die Predigt
D e r Unterschied solchen Vorganges gegen die oben angeführte Forderung (der Selbstverleugnung und des Kampfes gegen die Sünde) mit ihrer Selbstverständlichkeit liegt darin, dafi in Wahrheit das „ U b e r w i n d e n " ein anderes Gesicht bekommt. Man mufi es zunächst wagen, zu fragen, was überhaupt überwunden werden soll, also die Strebungen, die man in sich trägt, herauskommen zu lassen, anzuschauen, ihre Kraft Und ihre Art zu erkunden und mit furchtloser Ehrlichkeit zu fragen, wieweit sie in den Christenglauben hineingehören. Man darf nicht kappen, sondern muß einordnen, denn man könnte j a auch bloß scheinbar überwinden, indem man tatsächlich nur unterdrückt. Hierbei ist maßgebend nicht eine allgemeine Meinung vom Christentum oder ein typisches Bild, das man sich vom Christentum gemacht hat, denn dieses tut oft im voraus Dinge ab, die in eine neue Gestalt des Glaubens hineingehören könnten. Sondern maßgebend ist, schwieriger und fordernder, die ständige Begegnung des immer stärker sich entwickelnden Selbst des Menschen mit unmittelbarer christlicher Wahrheit aus der Offenbarung. Die negative Kraft einer im Selbst verwurzelten Strömung (etwa einer heidnischen oder gottwidrigen) kann man also nicht ohne weiteres dadurch ausschalten, dafi man diese Strömung mit einem negativen Vorzeichen versieht und sie entsprechend bekämpft. Sondern man mufi mit allem Ernst fragen, inwieweit sie in den Glauben einbezogen werden soll, und inwieweit sie gewandelt werden kann und mufi. Auch Aberglaube meint echte Kräfte, und irrender Glaube desgleichen. In den tieferen Schichten des Seins läfit sich n i c h t m i t d e m S c h w a r z - W e i f i S c h e m a arbeiten, sondern nur mit der Sorgfalt einer Verantwortungstreue, die ständig offene Augen hat, ständig notwendige Wege wagt und keine Mühe und Feinheit der Durchführung scheut. Nur wer ernsthaft bereit ist, eine durchgreifende, notfalls auch eine erschreckende, W a n d lung i n n e r e r E r k e n n t n i s von C h r i s t e n t u m und K i r c h e anzunehmen, kann in rechter und lebensvoller Weise den Reichtum der Vergangenheit hüten und für die Gegenwart fruchtbar machen. Nur wenn die Kirche deutlich erkennbar diese ernsthafte Bereitschaft in sich trägt, wird sie den begründeten Erwartungen der Gegenwart gerecht. Nur wenn sie ihrer Sendung entsprechend es wagt, das Wesen ihrer Verkündigung zu wahren gegen j e d e Verfälschung aus Traditions Verleugnung u n d aus Traditionsvergötzung, aus falscher Weite u n d aus falscher Enge. Eine weitere Aufgabe der Selbstfindung in und trotz starker, manchmal etwas übereilter und überbetonter, Gesamtheitstendenzen liegt für jeden Menschen darin, dafi er den gesunden A u s g l e i c h z w i s c h e n s e i n e m S e l b s t s e i n und dem S e i n in d e r G e m e i n s c h a f t findet. Eben dieser Ausgleich, der beides enthält, ist der alte weise Grundsatz, in dem Gemeinschaft lebendig und völlig bleibt. Die Betonung der Einordnung in die Gemeinschaft meint, wenn sie sich selbst recht versteht, immer, dafi Menschen, die wirklich solche sind, sich in die Gemeinschaft einordnen sollen. Die Betonung des Selbstseins und
Selbstsein in der Gemeinschaft
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S e l b s t w e r d e n s meint, w e n n sie gesund ist, i m m e r , dafi d e r Mensch mit d i e s e m Selbstsein in d e n f r u c h t b a r e n Dienst d e r G e m e i n s c h a f t t r e t e n soll. S e l b s t f i n d u n g b e d e u t e t also beides: H e r a n r e i f e n z u r in sich selbst r u h e n d e n P e r s ö n l i c h k e i t u n d Sichhingeben a n d e n D i e n s t d e r G e m e i n s c h a f t . D i e echte V e r b i n d u n g von b e i d e n ist a b e r f ü r j e d e n Menschen ein p e r s ö n l i c h e s P r o b l e m , das e r in seinem L e b e n auf eigene G e f a h r u n d mit eigenem Risiko zu lösen h a t . In Zeiten, die d u r c h so h o h e A n f o r d e r u n g e n , w i e sie Z u s a m m e n b r u c h u n d N e u b a u stellen, die E i n o r d n u n g in die G e s a m t h e i t b e s o n d e r s n a c h d r ü c k l i c h f o r d e r n müssen, w i r d nicht e t w a n u r die S e l b s t f i n d u n g e r s c h w e r t , s o n d e r n a u c h die echte E i n o r d n u n g . Es g e h t also bei d e r Hilfe, die die christliche V e r k ü n d i g u n g dem M e n s c h e n d e r G e g e n w a r t zu b i e t e n hat, w e d e r einseitig u m die v e r s t ä r k t e H i n f ü h r u n g z u m D i e n s t an d e r G e s a m t h e i t , n o c h einseitig u m die „Rett u n g " des Ich vor v e r s c h l i n g e n d e n T e n d e n z e n d e r G e s a m t h e i t . Es g e h t v i e l m e h r u m den f ü r die G e s a m t h e i t u n e n t b e h r l i c h e n Dienst, dafi trotz a l l e r e r h ö h t e n A n f o r d e r u n g e n in i h m sich voll gewachsene, gesunde u n d ganze Menschen in i h r e n Dienst stellen u n d in diesem sich a u s w i r k e n können. E r f a f i t m a n die h i e r d e r P r e d i g t gegebene A u f g a b e in i h r e r T i e f e , so e r k e n n t man, w i e v e r h ä n g n i s v o l l j e d e V e r k ü r z u n g sich a u s w i r k e n mufi, d e r die I c h w e r d u n g o d e r die E i n o r d n u n g in die G e s a m t h e i t o d e r g a r l e i d e s v e r f ä l l t , u n d ermifit die t r a g i s c h e W e i t e d e r A u s w i r k u n g aller zu engen Polemik. D a r a u s e r g i b t sich, d a ß eine m e h r o d e r w e n i g e r d e n G r u n d l i n i e n des E v a n g e l i u m s e n t s p r e c h e n d e W i e d e r g a b e dessen, w a s zu diesem P r o b l e m vom G l a u b e n aus zu sagen ist, noch nicht P r e d i g t ist, die d e n A n s p r ü c h e n u n s e r e r Zeit genügt. S o n d e r n echte u n d zeitgemäße P r e d i g t k a n n n u r d a n n w e r d e n , w e n n im S u b j e k t des P r e d i g e r s diese S p a n n u n g w i r k l i c h a u s g e t r a g e n ist u n d er in sich selbst sowohl sich gef u n d e n hat, w i e a u c h die E i n r e i h u n g in die G e s a m t h e i t vollzogen h a t u n d ständig n e u vollzieht. D e n n n u r a u s d e m gelebten Selbst u n d d e r gelebten E i n o r d n u n g e r w a c h s e n b e w u ß t e u n d u n b e w u ß t e E r k e n n t n i s s e u n d d e m z u f o l g e Möglichkeiten s p r a c h l i c h e r G e s t a l t u n g d e r A r t , d a ß aus i h n e n h e r a u s die V e r k ü n d i g u n g w i r k l i c h w e g w e i s e n d , k l ä r e n d u n d h e l f e n d in d i e Situation des g e g e n w ä r t i g e n Menschen e i n g r e i f e n k a n n . In all den g e n a n n t e n A u f g a b e n u n d w e i t e r e n im ganzen U m k r e i s des l . e b e n s k o m m t n u n a b e r die P e r s ö n l i c h k e i t des P r e d i g e r s f ü r das W e r d e n d e r P r e d i g t nicht n u r mit i h r e m C h a r a k t e r , s o n d e r n a u c h mit i h r e m j e w e i l i g e n O r t i m L e b e n s a b l a u f in B e t r a c h t . In d e r psychologischen A r b e i t ist in v e r s c h i e d e n a r t i g e r A b t ö n u n g doch •mit i m G r u n d e einheitlicher T e n d e n z die B e d e u t u n g d e r A l t e r s s t u f e n u n d der L e b e n s w e n d e n herausgearbeitet worden. Wir begnügen uns hier damit, auf die g r u n d l e g e n d e B e d e u t u n g d e r b e i d e n e n t s c h e i d e n d e n L e b e n s w e n d e n hinzuweisen, die f ü r d e n M a n n e t w a zwischen d e m 20. bis 25. u n d 40. bis 45. L e b e n s j a h r liegen. U m f a s s e n d e P r e d i g t t ä t i g k e i t e r f ü l l t die b e i d e n A b s c h n i t t e d e r ersten u n d zweiten H ä l f t e des vollen Mannestums. D a a b e r die e r s t e das Anf a n g s s t a d i u m von i m m e r h i n einer g u t e n R e i h e von J a h r e n mit u m f a ß t , so
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
ergeben sich f ü r die Predigtwirksamkeit drei Stadien: d e r j u n g e . d e r reife und der alte Prediger. Ein Vergleich zwischen Predigten von Männern vor der ersten und nach der zweiten Stufe des vollen Mannseins erweist durch deren große Verschiedenheit sehr eindrücklich, wie bedeutsam f ü r die Predigt die Altersstufen sind. Die Wirksamkeit der Predigt wird erheblich befruchtet, wenn man sich darüber klar ist, i n w e l c h e r S t u f e m a n s i c h b e f i n d e t : Der Jüngere kann nicht so wie der Ältere und der Ältere nicht so wie der Jüngere predigen, auch wenn sie einander sehr ähnlich sind. Selbst Prediger, denen die Arbeit nicht leicht fällt, machen die Erfahrung, dafi es einfacher ist, eine neue Predigt zu arbeiten, als eine mehrere Jahre alte zu wiederholen. Diese ständige Wandlung in der Predigtart beweist aber nicht nur, dafi der Mensch ununterbrochen fortschreitet, sondern erhärtet erneut die latsache, daß in ganz entscheidendem Maße die Predigt trotz aller Textgebundenheit und mit ihr aus dem Subjekt des Predigers kommt. Da wir das nicht hindern können und auch nicht hindern sollen, ist es unsere Aufgabe, in der jeweiligen Predigt u n s e r e r A l t e r s s t u f e m ö g l i c h s t g e r e c h t z u w e r d e n . Man kann das aber nur, wenn man in dieser Altersstufe wirklich drinsteht. Damit weist die Arbeit an der Predigt unmittelbar auf das schwerwiegende psychologische Problem des echten Überganges von einer Stufe in die andere. Der Ü b e r g a n g in eine neue Altersstufe wird um so leichter und bereitwilliger vollzogen, je mehr man die vorhergehenden wirklich gelebt hat. Versäumte Altersstufen sucht der Mensch in die nächstfolgenden mitzunehmen. Das Gleiche versucht er, wenn er diese folgenden, vor allem die späteren, das wirkliche Altern, fürchtet. Daher die kindischen Greise, die jugendlichen alten Jungfern. Es ist in letzter Zeit von verschiedenen Seiten her gesagt worden, daß es dem heutigen Menschen besonders schwer falle, in Würde zu altern und im Altern entsprechend zu reifen: ein die Predigtfrage weit übergreifendes, aber auch für sie sehr ernsthaftes Problem. Die Altersstufen sind für die Predigt dadurch von Bedeutung, daß sie sowohl für die Erkenntnis der Wahrheit, wie f ü r die Fähigkeit, sie zu sagen, in einen s u k z e s s i v e n W e g hineinzwingen, dessen Stadien weder vorausgenommen, noch ohne weiteres nachgeholt werden können. Man soll deshalb getrost in jedem Stadium so sein und so predigen, wie es ihm entspricht, und das ganz und mit voller Hingabe. Denn jedes Stadium hat seine Vorzüge und seine Grenzen, und darin liegt göttliche Weisheit. F ü r den j u n g e n P r e d i g e r ist die Gefahr zunächst der M a n g e l a n M a t e r i a l . Dieser Mangel als solcher ist nicht nur ein Problem der Jugend und des Anfanges, und es wird 1 deshalb von ihm später unter anderem Gesichtspunkt zu reden sein se . Soweit er sich in bestimmten Folgen 3β V g l. V. Kap. I. 3 „Findung·".
Altersstufen: der junge Prediger und die Mitte
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äußert, steht der junge Prediger in der Gefahr des großen und doch leeren Wortes. Es ist immer Ersatz für ein Manko, ist Scheingröße und Scheinfülle. Wer jung ist, soll den Mut haben, jung zu sein und zu erscheinen. Auch hier gilt, bei gewissenhafter Arbeit, ernst für die Gemeinde und tröstend f ü r den Prediger; ultra posse nemo obligatur. Er soll nur an sein posse wirklich herankommen. Nur wer seine jugendlichen Grenzen nicht in geheimer Angst, sondern in der sichtbaren Darbietung beachtet, kann später zu einer gesunden Fülle kommen. Verwandt ist die Gefahr der g e r i n g e r e n R e i f e . Aber niemand kann reif sein über sein Stadium hinaus, und niemand kann Früchte zeitigen im Herbst, der nicht im Frühling Blüten wagt, die eben noch nicht herbstreife Früchte sind. Man muß sich nur dieser Grenze bewußt bleiben und die entsprechende Bescheidenheit innerlich in sich tragen. Und man darf nicht eine Unreife, die auch hinter dem jugendlichen Stadium noch zurückbleibt, mit entsprechend verstärktem Anspruch als berechtigte Jugendlichkeit zur Schau tragen. Echtes Jungsein dringt in die Probleme und in die Wirklichkeiten oft tiefer ein, als es sich das zunächst selbst zutraut und kann mit seiner eben jugendlichen Erkenntnis auch Menschen im reiferen Stadium eine wirkliche Hilfe sein. Der V o r z u g der Jugend ist Feuer, Intensität und Kraft. Das braucht nicht fortwährend zu schäumen und überzukochen. Nicht nur der verwegene Durchgänger ist ein ganzer Mann! Ja, es gibt sogar — auch in der Predigt — eine „Flucht nach vorn", die weder stark noch rühmlich ist. Aber daß man sich ganz hingibt, das soll man in der Jugend lernen. D i e damit meist verbundene Einseitigkeit ist auch eine Kraft, wenn sie nicht aus Trägheit oder aus Dürftigkeit kommt. Ρ a 1 m e r s Forderung für die erste Predigt des Predigers im ersten Amt: „Die Gemeinde muß von ihiu schlechthin präsumieren dürfen, daß er ein bekehrter Mensch sei" 37 , ist zu beschränken auf die Uberzeugtheit und Aufrichtigkeit nach Maßgabe des dem jungen Prediger möglichen Verständnisses und darf nicht ausgedehnt werden auf umfassende geistliche Erkenntnis, die oft erst im Laufe der Jahre erwachsen kann. Die L e b e ή s m i 11 e ist oft die Zeit besonders ausgedehnter Arbeitsverpflichtungen, verbunden mit wachsender Übung in der Predigtarbeit. Ihre große Gefahr ist daher die R o u t i n e , gesteigert dadurch, daß noch nicht genug abgeklärte Reife zu ihrer Verhinderung da ist. Es entsteht dann das scheinbar inhaltreiche und im Grunde doch arme Wort, vielfach wiederholen sich bestimmte Termini häufig, so daß man aus den immer tiefer eingefahrenen Gleisen kaum noch herauskommt. Und damit verbindet sich die S t a g n a t i o n . Man ist geschickt genug, um nicht in Verlegenheit zu geraten, und man versäumt dadurch den Fortschritt, das Reifen im Können, die Vervollkommnung im Schaffen. Man nimmt einen gewissen Fortschritt, der durch den Fortgang der Jahre kommt, als Ersatz für das Größere, das man durch Arbeit erreichen sollte. Hier gilt es zur Abwehr eine gewissenhafte Pflichttreue. Sie braucht nicht extensiv zu 37 Palmer, Ev. Pastoraltheologie (1860), S. 114.
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Die Bedeutung· dee Subjektes für die Predigt
sein (s. Kap. 5). Aber sie mufi wach sein. Sonst ist die Stagnation unvermeidlich. Man bleibt dann auf einer mittleren Höhe, täuscht sich infolge der Anregungen aus der Seelsorge und aus der Zeit über den fehlenden Fortschritt und wird doch verhärtet und unfruchtbar. Wird diese Gefahr vermieden oder überwunden, so ist der Vorzug der Mitte die r u h i g e , g e s a m m e l t e K r a f t und die w a c h s e n d e R e i f e . Man ist in der Mitte des Lebens zugleich auf der Höhe des Lebens Man gewinnt Überschau und Tiefblick und ist doch noch in der Fülle der Kraft. Die Sprache wird bei gediegener Selbsterziehung knapper und der Ausdruck treffender, seine Möglichkeiten mannigfacher. Der S p r a c h l e i b gestaltet sich mehr und mehr. Die innere Freiheit in der Arbeit wächst. Aber das alles ist nicht ein ideales Fortschreiten von Höhe zu Höhe. Der Kampf und die Anforderungen des Lebens erreichen ebenfalls ihren Höhepunkt, und mit den Lichtern wachsen die Schatten. Wo aber die Entwicklung gesund verläuft, wird die Spannweite der Lebensgestaltung und damit auch die der Verkündigung sowohl durch Freuden wie durch Schmerzen, durch Erfolg wie durch Mifierfolg, tiefer und reicher. Mit dem A l t e r beginnt die Gefahr der Ermüdung. Aus ihr resultiert das müde Wort. Es kann im Klang müde sein, es kann auch in der Wandlung erlahmen. Man wiederholt seine besseren Jahre und predigt damit im Grunde aus der Vergangenheit, statt aus der Gegenwart. Ein Vermeiden dieser Gefahr ist möglich durch die Stärke des Alters, die R e i f e . Sie ist das Ergebnis der innerlich sorgsam bewahrten Erkenntnisse des fortschreitenden Lebens und steht in Verbindung mit der G ü t e . Der alte Prediger soll nicht müde sein, sondern gütig, nicht abgestanden, sondern abgeklärt, nicht senil, sondern weise. Jede Altersstufe hat ihre besondere Bedeutung, und das Leben der Gesamtheit rundet sich eben darin, dafi sie alle n e b e n e i n a n d e r sind. Der junge Mensch ist ebensowenig überflüssig wie der Greis. Und jede Altersstufe des Predigers ist nicht nur. f ü r die eigene, sondern f ü r alle Altersstufen der Hörer da. Sie spricht nicht nur die gleiche Altersstufe an, sondern mit ihrer Unreife keine, mit ihrer Reife jede. Der junge Prediger ist nicht nur „eben noch jung" und der Alte ist nicht nur „eben schon alt"', sondern jener ist jung im Dienst und dieser ist alt im Dienst. Und jeder hat die Aufgabe, den d u r c h g e r e i f t e n M e n s c h e n u n d Christen seiner Altersstufe nach Möglichkeit ans c h a u l i c h zu m a c h e n . Zu den fruchtbarsten und großartigsten Erscheinungen des Daseins gehört die Tatsache, dafi der Folge der Altersstufen im Menschen eine Art A n p a s s u n g s k r a f t d e r o b j e k t i v g e g e b e n e n G e s t a l t e n u n d F o r m u n g e n d e r W i r k l i c h k e i t und also auch der geoffenbarten Wahrheit entspricht. Jedes tiefgreifende Wort, es sei ein Wort der Offenbarung oder ein anderes, hat die Fähigkeit, m i t d e n A l t e r s s t u f e n m i t z u g e h e n Am sichtbarsten ist das an bildhaften Worten, im Profangebiet vor allem an den Märchen, im Neuen Testament an den Gleichnissen. Weithin bekannt ist, wie das Verständnis der
Der all«! Prediger: Stniwertiefung· im Verstehen
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Märchen mit der Altersstufe mitgeht: Kinder lieben sie, Jünglinge belächeln sie, Erwachsene verstehen sie neu, und Alte erkennen immer tiefer ihre abgründige Weisheit. Damit hängt es zusammen, dafl man mit der Rückkehr zur Bild- und Vorstellungswelt nach der Verhaftung an die Begriffswelt nicht etwa kindlich wird, sondern in eine tiefere Wesensschicht eingeht. Dieser Vorgang durchzieht das ganze Leben mit allen Altersstufen. Sowohl mehr bildhafte wie auch mehr gedankliche Sprache wird immer vom jeweiligen Alter aus verstanden. Daß die Tiefe des Verständnisses auf Grund der Begabung verschieden ist, ist ein davon gesonderter Vorgang, der den erstgenannten nicht beeinträchtigt. Der junge Mensch erkennt in den Gegebenheiten am stärksten die treibende Kraft, der in der Mitte die festigende und bauende Gewichtigkeit, der Ältere und Alte den Sinn. Die jeweils anderen Seiten sind in jeder Stufe mit darin, und bei einzelnen überwiegt auch lebenslang unter Umständen eine der drei. Aber die Predigt gewinnt, wenn man auch in diesem Sinne seiner Altersstufe entspricht, an überzeugender Kraft. Denn Ü b e r z e u g u n g s k r a f t e n t s t e h t n i c h t nur an d e r S a c h e , s o n d e r n zug l e i c h am A n g e p a f i t s e i n i h r e s T r ä g e r s an d i e S a c h e . Das Gesagte stellt an den Prediger zunächst die Forderung, daß er in jeder Altersstufe, also in seinem Leben fortlaufend, sich um ein unmittelbares, aus der ständigen Vertiefung entstehendes Verständnis der Offenbarung Gottes bemühe. Sodann, daß er das jeweilige Verständnis fortlaufend mit seinem Lebensverständnis, wie es ihm in der jeweiligen Altersstufe möglich ist, verbinde Schließlich, daß er seine Verkündigung speise aus der vollen Tiefe des ihm jeweils möglichen Verständnisses. Echte Predigt ist also auf Grund der Tatsache, daß sie eine gegebene Wahrheit verkündigt, nicht etwa vom Durchschreiten der Altersstufen und dem damit wachsenden Verständnis losgelöst, sondern gerade erst recht mit ihm verbunden. III. D a s S c h i c k s a l d e s P r e d i g e r s inseinerBedeutungfürdieArbeitanderPredigt 1. S c h i c k s a 1 s f ä h i g· k e i t u n d
Schicksal
Mit der Erörterung der Altersstufen haben wir bereits zu erkennen begonnen, wie wichtig das S c h i c k s a l d e s P r e d i g e r s für seine Verkündigung ist. Die B e z i e h u n g d e s M e n s c h e n z u m S c h i c k s a l hat sich gegenüber dem 19. Jhdt. entscheidend gewandelt. „Nicht die Natur, das Schicksal ist unser Welträtsel geworden. 38 " Das gilt nicht nur von den Naturbereichen, sondern auch von denjenigen Geistbereichen, deren unmittelbare Schicksalsbezogenheit uns mit der Zeit immer weniger spürbar wird. So liegt heute die entscheidende Schwierigkeit der Seelsorge hinsichtlich etwa der christologischen Verkündigung darin, daß nicht die 38 Sauer, Abendländische Entscheidung·. S. XV.
Die Bedeutung1 des; Subjektes für die Predigt
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Frage Sünde-Gnade das Existenzproblem der Zeit ist (von ihr selbst aus gesehen), sondern die Frage des Schicksals und ob Gott im Schicksal sei89. Eine als Allgemeincharakteristik anzusprechende Wendung ist der Satz, mit dem Otto G m e l i n im „Haus der Träume" beginnt: „Heute weiß ich es, und in manchen Stunden ist es mir ganz klar und ganz selbstverständlich, daß d a s S c h i c k s a l z u e i n e m M e n s c h e n g e h ö r t , w i e s e i n L e i b und s e i n e S e e l e , und gar nicht zu trennen ist von ihm". Entsprechend Hans Κ ü η k e 1: „Im Schicksal geht unser Leben vor sich" 40 . Derselbe gibt den Grund f ü r die zentrale Bedeutung des Schicksals in der heutigen Problemlage an mit dem Hinweis: „nicht große Ereignisse, sondern eine s c h i c k s a l - g e b ä r e n d e S e e l e machen den bedeutenden Menschen" 41 . Es ist die S c h i c k s a l s f ä h i g k e i t des Menschen erst, nicht schon die ihm begegnenden oder zustoßenden Dinge, die ihn in sein Schicksal hineinführt, es zum „Schicksal" im prägnanten Sinne macht, und — ihn befähigt, V er künder der Wirklichkeit Gottes im Schicksal zu sein. Deshalb ist von großer Bedeutung, daß der Mensch, der Prediger, das E i n g e h e n i n s e i n S c h i c k s a l lernt. Eingehen ist noch nicht Jasagen und bewältigen, sondern zunächst der Schritt, der v o r diesem liegt und meist für ein selbstverständliches Geschehen genommen wird: 'daß nämlich die wirkliche Begegnung des Menschen mit seinem Schicksal stattfindet und er es allseitig aufnimmt. Der Durchschnittsmensch beschränkt die Begegnung mit seinem Schicksal auf die Geschehnisse, die ihn mit Wucht überfallen. Sie sind aber nur ein Teil, und wer sich auf ihn beschränkt, kann sich eigentlich nicht wundern, wenn er sein Schicksal nicht bewältigt. Wer aber Gott verkündigen will, muß ausdrücklich W e g e s u c h e n , um sein Schicksal ganz zu finden und es in allem lebendig werden zu lassen. Eindrückliche Hinweise hierfür gibt G u a T d i n i in „Liturgische Bildung" in dem Abschnitt „Mensch und Ding" 4 2 . Er spricht von der Umwelt des Menschen an Räumlichem und Zeitlichem und der zu übenden Fähigkeit, sie i n d a s E i g e n l e b e n e i n z u b e z i e h e n , und was er sagt,, gilt nicht nur f ü r die, die ihr Heim und die gewohnte Umgebung noch haben, sondern in gewandeltem, aber zugleich intensiviertem Sinne auch f ü r jeden, der gerade jetzt eine neue, nicht „eigene" Umgebung sich „zw eigen" machen muß. Guardini sagt: „Wohnen bedeutet, einen Innenraum nicht nur als bergend und zweckmäßig zu empfinden^ sondern auch seine Maße, Hausrat und Zierrat in ihrem Eigenwert und Wechselverhältnis im Gefühl zu tragen. — Ein Haus, ein Zimmer, „hat" einer erst, wenn er Raum und Wände, Gestühl und Schmuck lebendig spürt; ein Heim, der so Vgl. auch III. Kap., II., 3., Die Wandlung der Schicksalsfähigkeit. 40
Hans Kunkel, Der furchtlose Mensch. S. 10. Ebda. S. 15. Die Sperrungen von uns. 42 Romano Guardini, Liturgische Bildung. Versuche. Verlag Deutsches Quickbornhaus, Borg Rothenfels am Main 1923. 41
Die 'Umwelt zu eigen gewinnen
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ein ganzes Gebäude mit dem Organismus seiner Räume, Maße, Einrichtungen, auf das eigene Seinsgefühl bezogen, lebendig in sich trägt . . . . Erst wer eine ganze Stadt mit ihren lebendigen Verhältnissen seelisch durchlebt und als Organ des Selbstausdrucks besitzt, hat eine Vaterstadt (lies ζ. B., wie Goethe in „Dichtung und Wahrheit" von Frankfurt spricht). Und ein Vaterland, wer schließlich mit der lebendigen Wirklichkeit eines ganzen Landes verwächst 45 ." „Von hier aus gewinnt unser Wandern einen tiefen Sinn: Darin weiten sich die Durchseelungskräfte über das Land aus; die Persönlichkeit ergreift Wälder, Heiden, Berge und Flüsse, Städte und Dörfer, Weiten und Heimlichkeiten, Industrie und Ackergebiete, Volksstämme in ihrer Eigenart und Beziehung, und ordnet sie in den Ausdrucksbereich des eigenen lebendigen Seins ein, bis sie aus innerster Wahrheit heraus sagen kann: > Meine Heimat — das bin ich. Ich kann nicht ohne sie sein, aber sie auch nicht ohne mich«." Um den Verdacht egoistischer Haltung auch hier abzuwehren, sei noch hinzugefügt: „Wie tief wird da die Liebe zur Heimat. Wie begreifen wir, daß wir der Seele des Landes dienen müssen, das unsere Seele nährt und ihr das Wort gibt und die Gestalt, darin sie sich aussprechen kann zu frei-reichem Leben44·" Liebe und Dienst sind die beiden Kräfte, durch die wir uns Gegebenheiten so verbinden, daß sie s c h i c k s a l s m ä c h t i g i n u n s w e r d e n . Beide sind eine Bereitschaft, die sich dem Gegebenen und dem Geschehenden zuwendet, sich ihm öffnet, und darauf gerüstet ist, daß darin Mächte auf uns zukommen, die wir nicht bestimmen können, sondern die uns bestimmen. Es ist ein Hinausfahren auf das Meer. Das Wesen der „Fahrt" liegt darin, daß ein Schiff nicht festliegt im Hafen, sondern ohne Schutz und ohne Rückhalt auf dem freien Meer manövriert. Die Theologie hat durch ihr normgebendes Schwergewicht vielfach die Wirkung, daß der Theologe sich an ihr festlegt wie am Kai. Aber so kann man nicht Schicksalsfähigkeit erwerben. Wer sich dagegen hingibt, gibt auch den Hafen preis mit seinem Schutz und Rückhalt und kann den Weg nicht mehr voraussehen und festlegen. Dennoch wird so erst der Theologe ein Predige*. Denn so erst ist er in der gleichen Lage mit all denen, die keine im voraus sichernde .Theologie in greifbarer Nähe haben — und so erst ist er in der Wirklichkeit. Es geht um das schicksalsträchtige Eindringen in die Gegebenheiten und Geschehnisse, von denen man sich durchdringen lassen muß. Vielfach wandelt das die „Theologie". Aber die wahre Theologie wächst erst daran zu voller Kraft empor. Zu den v o r f i n d l i c h e n G e g e b e n h e i t e n des Schicksals gehört in erster Linie heute die Tatsache, daß der Mensch, soweit er überhaupt Schicksal erlebt, i n d a s G e s a m t e c . h i c k s a l v e r f l o c h t e n ist und es miterlebt. In ruhigen Zeiten ist das mit der gedanklichen Erkenntnis noch nicht verarbeitet und auch noch nicht mit dem gefühlsmäßigen Emp« Ebda. S. 36. Ebda. S. 37. In gereifter Gestalt und auf den in ihnen sich offenbarenden Gott bezogen erscheinen dieselben. Gedanken in einem der neueren Werke Guardinis: „Dia- Herr", Würeburg 1938. S.701. 44
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Die Bedeutung1 dies Subjektes für die Predigt
finden, in Katastrophenzeiten nicht einmal dadurch, dafi man hineingeworfen ist. Sondern es ist eine besondere Aufgabe der Tiefenpersönlichkeit, hier wirklich und völlig zu verarbeiten, was auf uns zukommt. Dabei geht es uns hier zunächst darum, daß und in welcher Weise das Schicksal der Gesamtheit, also Umbruch und Aufbau, Wandlung der wirtschaftlichen und sozialen Struktur, sittliche und religiöse Not, Erfassung volkstümlicher Wurzeln des Seins, Rückgriff auf Weisheit und Kraft der Urväter, geistige Auseinandersetzung usw. a l s G e s a m t s c h i c k s a l m i t e r l e b t w i r d . Denn man kann darin stehen, und die zwangsläufigen Einflüsse des Gesamtschicksals auf das Einzelschicksal über sich ergehen lassen, ohne doch das Gesamtschicksal wirklich zu verarbeiten. Der Typ des Menschen in dieser Fehlentwicklung ist der Spießbürger. In diese Kategorie gehört jeder, der sich der Beteiligung an dem Gesamtschicksal innerlich entzieht und nun die ausfallende wirkliche Beteiligung zwangsläufig durch eine Scheinbeteiligung ersetzt, indem er in der ungefährdeten und im Grunde unbetroffenen Situation des Zuschauers (unbewußt) Getroffensein und Beteiligtsein sich und anderen vortäuscht. Die Gefahr eines Abgleitens in diesen Zustand oder doch in seine Nähe ist bei Menschen, die „im Leben stehen", nicht schon dadurch gebannt, daß sie „viel erleben". Vom Schicksal angefaßt fühlen sich in Zeiten großen Geschehens auch die, die nach Möglichkeit ausweichen. Auch wer, wie der Pfarrer, viel miterlebt, ist dadurch allein noch nicht im Schicksal drin. Wir müssen, unabhängig von dem besetzten und bewegten Tageslauf an sich, in ihm dies Eingehen in das Schicksal üben und erfahren. Jedes unechte und unvollständige Verarbeiten des Gesamtschicksals f ü h r t den, der in der Predigt dieses Gesamtschicksal mitzudeuten hat, unmittelbar dazu, daß er die mangelnde Verarbeitung durch von außen her geholte Gedanken und Wendungen und durch äußerliches Pathos zu ersetzen sucht. Man kann an diesem Gebiet den feinen Unterschied zwischen echtem und unechtem Pathos studieren. Denn das echte Aufnehmen des Gesamtschicksals f ü h r t nicht z u r extensiven, sondern z u r i n t e n s i v e n F ü l l e d e r V e r k ü n d i g u n g . Die extensive Wucht ist kein Maßstab. Die mitreißende Stoßkraft liegt sehr oft in Worten, die ohne Pathos schlicht einherschreiten. D e n n e c h t e Verarbeitung weckt eine unmittelbare lebensmäßige B e z i e h u n g z u m G e s a m t s c h i c k s a l . Dadurch wird der Mensch in E r k e n n t n i s s e geführt, die so original und so unmittelbar sind,, daß er kein herbeigeholtes Pathos braucht, weil das echte innere Pathos sich von selbst Ausdruck schafft. Liturgen, die im liturgischen Gebet Gott anschreien und Prediger, die auf der Kanzel die Gemeinde oder gar die nicht vorhandene Öffentlichkeit anschreien, sind gleichermaßen verdächtig. Die echte Verarbeitung des Gesamtschicksals ist der einzige Weg, der zu einem A u f n e h m e n der in ihrer Verarbeitung durch Gemeinde und Gesamtheit w i r k e n d e n M o t i v e führt. Nur so können unmittelbare
Das Gesamtschicksal original1 verarbeiten
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Und originale (vgl. I, 2) Erkenntnisse und Gedanken entstehen. Diese aber sind auch dann notwendig, wenn eine umfassende gemeinsame Schau des Gesamtschicksals vorhanden ist. Denn die Nahrung und Wegzehrung für den Hörer liegt nicht in der Gesamtschau als solcher, sondern in ihrer konkreten Erfassung und Darbietung durch den einzelnen Verkünder. Und diese wiederum ist in ihrer Kraft und in der Fähigkeit, zu helfen, nicht von den Gesamtgedanken abhängig, sondern von der originalen Energie, mit der sie aufgenommen und subjektiv verarbeitet worden sind. Das ist grundlegend f ü r die Verkündigung, die ja, im Blick auf das Gesamtschicksal, die D e u t u n g d i e s e s S c h i c k s a l s v o n d e r W i r k l i c h k e i t G o t t e s h e r sein soll. Der Prediger nimmt in dem tausendfältigen Geschehen der Verarbeitung des Gesamtschicksals den Ort ein, daß er von der Mitte kirchlichen Verstehens, d. h. vom Verstehen aus der Wirklichkeit Gottes her, das Gesamtgeschehen zu deuten hat. Die grundlegende Bedeutung, die die Schau des Schicksals der Gesamtheit von der Wirklichkeit Gottes her hat, wird heute neu geahnt. Männer wie S c h ü t z , T h i e l i c k e , auf katholischer Seite G u a r d i n i , Reinhold S c h n e i d e r u. a. sind ein starker Ausdruck dafür, und Symptom gerade als Autoren, die sich an einen weiteren Kreis wenden. Das ist unmittelbar wichtig für die Predigt. Es ist also in einer einmaligen Situation das in ihr G e g e b e n e o r i g i n a l z u v e r a r b e i t e n . Die Verkündigung des einzelnen Predigers steht zwar in dem Gesamtstrom der Verkündigung tausender von Predigern. Aber eben darum ist es an jedem einzelnen Ort für jeden Einzelnen entscheidend, daß er selbst wirklich und ganz das Gesamtschicksal von der Wirklichkeit Gottes her verarbeitet. Und es ist deutlich, daß die Möglichkeiten, die ihm dafür gegeben sind, und damit das konkrete Werden seiner Predigt nicht nur vom Evangelium an sich geformt wird, sondern, wie von seinem Verständnis des Evangeliums, so auch von seinem Verständnis des Gesamtschicksals, und zwar von seinem persönlichen Eindringen und Erfaßtwerden. Das Gesamtschicksal wird zugleich zum E i n z e l s c h i c k s a l . D e r Einzelne steht im Ganzen. Und der Prediger steht in seiner Zeit. Von gleicher Bedeutung wie das oben Gesagte ist die Frage, wie er s e i n Einzelschicksal im Gesamtschicksal erlebt. Art und Maß der Bewältigung des persönlichen Schicksals sind in vielfacher Verflechtung mitbestimmend für unsere Predigt. Lebe ich aus der f ülle, so predige ich auch aus der Fülle, lebe ich arm, so predige ich auch arm. Erfahrung muß voll gelebt werden und ausschwingen können. Eine Gesamtbewältigung ist keinem Menschen in dem Sinne möglich, daß er alles zu verarbeiten vermöchte, was ihm zum Schicksal werden k ö n n t e , indem es in den Bereich seines Lebenskreises hineinragt. Jedoch ist eine Gesamtbewältigung möglich dadurch, daß wir W e s e n t l i c h e s von dem, was uns zum konkreten Schicksal wird, und Wesentliches von dem, was wir f ü r unsere Lebensgestaltung brauchen, i η e i η e r e i n h e i t l i c h e n G e s a m t h e i t von einem einheitlichen
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
S e i n a u s verarbeiten können ,so dafi eine ausgeglichene und bestimmt geprägte Gestalt unseres Schicksals entsteht. Ich verbaue mir meinen Weg nicht nur durch Ungehorsam, sondern auch durch Lebensfremdheit und durch von ihr verschuldetes zu geringes Maß an Lebenserfahrung. Nicht nur der Sünder tut Unrecht, sondern auch der, der mit dem ihm anvertrauten Pfund nicht wuchert. Wuchern heißt nicht nur rastlos arbeiten, sondern klingen lassen: einklingen und ausklingen lassen und darum Wege weisen können, wie der Mensch des schweren Lebens Herr zu werden vermag. Es ist eine Frage des Instinktes, zu erkennen, was für uns von wesentlicher Bedeutung ist. Der I n s t i n k t d e s S e l b s t führt, je stärker er herausgearbeitet ist, um so mehr einen sicheren und verheißungsvollen Weg, zumal wenn er es wagt, auch gefährdende und schwere Erlebnisse in die schicksalhafte Selbstgestaltung einzubeziehen. N u r in d e m M a ß e , in d e m S c h i c k s a l e r l e b t w i r d , e n t s t e h t e c h t e E r k e n n t n i s . Aber wo sie entsteht, umgreift sie das ganze Leben. Neben dem Gesamtschicksal und dem Einzelschicksal steht das F r e m d s c h i c k s a l , d. h. das Schicksal einzelner anderer Menschen. Der Prediger ist durch sein Amt mehr als andere dazu berufen und in der Lage, Fremdschicksal mitzuerleben. Auch hier entsteht Erkenntnis daraus nur insoweit und in dem Maße, wie es in echter und voller Hingabe miterlebend verarbeitet wird. Wo das aber geschieht, gilt für verarbeitetes Schicksal jeder Art die verheißungsvolle Wahrheit, daß Erkenntnis, die an irgendeinem Erlebnis gefunden wird, das g e s a m t e G e b i e t d e s L e b e n s e r h e l l t . Die inneren Erkenntnisse durchfluten das Sein des Menschen wie in einem System kommunizierender Röhren. Wo an einer Stelle nachgefüllt wird, hebt sich der Spiegel zwar hier nicht in dem Maße des Nachfüllens, aber in dem entsprechend verringerten Maße dafür gleichmäßig an allen Stellen. So verteilt sich gelebte Erfahrung auf die Gesamtbreite des Seins: Wer ein großes Schicksal erlebt oder miterlebt, ist zwar nicht deshalb an dieser einen Stelle zugleich gegen alles gefeit, er muß vielmehr eben dieses Schicksal mit aller Mühe und Treue durchkämpfen. Aber in dem Gesamtbereich seines seelischen Seins erfährt er eine Vertiefung, die sich gleichmäßig auf alle Schicksalsgebiete erstreckt. Wenn man sich manchmal wundert, daß junge Prediger, oder doch solche, die noch kein tiefes Leid persönlich erlebt haben, in erstaunlichem Maße mitleben und wegweisend trösten können (man denke an Grabreden oder Predigten am Totensonntag), so hat das in dem Gesagten seinen Grund: Wer etwa ein großes Glück wirklich voll durchlebt, wird hellsichtig und weise nicht nur für das Glück, sondern auch für das Leid. Wer seine Kraft bis zu ihrer Grenze erprobt, erkennt nicht nur, daß es eine Grenze der Kraft, sondern auch, daß es eine Grenze der Schwachheit gibt. Wir sind deshalb darauf gewiesen, daß wir da, wo Einzelschicksal uns anfaßt oder wo Fremdschicksal uns wesenhaft berührt, mit ganzer Hingabe zufassen und wirklich durchleben. So gewinnen wir die Erkenntnis
Lebensweisheit aus verarbeitetem Schicksal
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und seelische W e i s h e i t für alle Gebiete des Lebens. „Weisheit ist Erlahrungsfülle, Weisheit ist konkretes Wissen 45 ." Nirgends ist das Dasein so unerbittlich wie darin, daß hier nichts erschlichen werden kann. Wirkliche Erkenntnis legitimiert, denn sie kann nur aus gelebtem Schicksal erwachsen sein. Darum weckt sie auch das stille, die Herzen öffnende V e r t r a u e n , das nur dem echten Seelenführer entgegengebracht wird. Wer es erwerben kann, ist als Seelsorger qualifiziert. Erst in Verbindung mit dieser Vollmacht ist die Verkündigung der Wahrheit wirksam, erst in dieser Verbindung wird sie lebendig, überzeugend und helfend. Wiederum also zeigt sich auch hier, in wie hohem Maße Verkündigung der Offenbarung erst dann reale Verkündigung ist, wenn sie mit Lebenserkenntnis aus der Erfahrung des Subjektes verbunden ist. In alledem ist es nicht so, daß man die Möglichkeit, Lebensweisheit zu gewinnen, in beliebiger Fülle annehmen oder auch auf ein beliebiges noch bequemes Maß beschränken könnte. Wieviel wir Schicksal zu bewältigen haben, das uns weise macht, bestimmen nicht wir selbst, sondern das w i r d u n s z u g e s p r o c h e n . Schicksal, das wir annehmen sollten und nicht annehmen, geht nicht spurlos an uns vorüber, sondern wird negativ. Es füllt nicht nur nicht und läßt auch nicht nur leer, sondern es macht leer. Es macht nicht nur nicht weise und läßt uns auch nicht nur in bestimmten Dingen blind, sondern es macht blind. „Jede Seele wird in dem Ganzen der Tage zu dem, was ihr bevorsteht, mehr oder weniger zubereitet 48 ." Es gibt keinen Schute; außerhalb unseres Selbst gegen S c h i c k s a l s f l u c h t . Der Schütz -kann nur aus dem erwachenden Selbst kommen, das in vollem Einsatz der Eigenleistung die Flucht meidet. Denn die Tendenz zur Schicksalsflucht liegt in jedem Menschen. Sie ist die Flucht vor der Gefahr, d. h. im Grunde vor dem Heraustreten aus dem schützenden Raum in die gefahrvolle Welt, ist das Kindbleibenwollen, das in der Mythologie seine klassische Darstellung in den Gestaltungen des Inzestproblems (Oedipus) 47 gefunden hat. Man kann den versagenden Schutz der Eltern, wenn man ins Leben hinausgehen muß, durch allerhand anderes ersetzen: Oben wurde die Kirche genannt, es kann auch die vermeintliche Amtserfahrung oder anderes sein. Amtserfahrung ist ein relativer Begriff, es fragt sich, ob wir das, was wir erleben, wirklich zu einer inneren Erfahrung werden lassen mit allem Risiko der Selbstgefährdung, das darin liegt. Schicksalsflucht und Kindbleibenwollen führt zur G e w a l t s a m k e i t , Pose und Verlegenheitsverkündigung. Sie kann sich bis ins feinste hinein tarnen, so daß sie für Prediger und Hörer fast unerkennbar bleibt. Aber es ist eine durchaus akute Gefahr, daß „der Satan sich verwandelt 45 Dedo Müller, Ethik. S. 209. 4 8 Goethe, In: Wilh. Meisters Theatralische Sendung. Leipzig, Insel-Verlag, Bd. I, S. 209. 4 7 S. Anm. zu II, 3.
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Haendler, Die Predigt
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D i e Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
in einen Engel des Lichts'" 48 : Es gibt ζ. B. einen scheinbar gläubigen u n d tröstenden Hinweis auf die Liebe Gottes, der doch in Gott nicht den im Neuen Testament offenbarten Vater in seiner Nähe und Erhabenheit sieht, sondern den schwächlichen Vater, den nicht barmherzigen, sondern mitleidigen, wie er zwar u n t e r Menschen oft in Erscheinung tritt, aber selbst da schon als Zerrbild e m p f u n d e n wird. Die tragende Bedeutung des Schicksals f ü r unsere echte Erkenntnis und damit f ü r die Möglichkeit der Verkündigung bedarf noch eines Hinweises auf die Stellung, die d a d u r c h die T h e o l o g i e gewinnt. Auch sie k a n n als Ersatz f ü r den Schicksalsweg mißbraucht werden, auf dem w i r durch Risiko, Verlorensein und Not Gott finden sollten. Das ist die feinste dämonische G e f a h r und der eigentliche Teufelskreis (Künkel) des Theologen. Theologie ist nicht als Schutz gemeint, wenn das Leben uns in die Stürme und Wirrnisse der unmittelbaren E r f a h r u n g stürzt, sondern in d e n S t ü r m e n d e s S c h i c k s a l s e r s t w ä c h s t e c h t e T h e o l o g i e . D a r u m ist jede Theologie noch unecht, die irgendwie mit Hochmut oder dem G e f ü h l der Sicherung v e r b u n d e n ist. „Sicherungen" gibt es im w a h r h a f t gelcbten Leben nicht, sondern n u r ein Preisgeben aller falschen Sicherheit, das durch Demut und Hingabe zur Gewißheit f ü h r t . E c h t e G e w i f i h e i t a b e r e n t s t e h t n i e m a l s g e r a d l i n i g in e i n e m T h e o l o g e n a u s s e i n e r s t u d i e r t e n T h e o l o g i e , sondern diese muß erst zerschlagen werden, um aus der schicksalhaft erfahrenen Gewifiheit neu und echt erstehen zu können. Theologie im tieferen Sinne erwirbt man nicht im Studium, sondern man legt in ihm die G r u n d lagen, um durch das Leben zum Theologen werden zu können. So hat Theologie trotz ihrer Bedeutung und trotz umfassender an sie zu wendender Arbeit doch eine untergeordnete Stelle. Erkenntnis Gottes im Leben und Erkenntnis des Lebens im Angesicht Gottes sind die Urk r ä f t e der Gestaltung. W e r die K r a f t hat, seine Theologie ständig diesen Mächten dienstbar zu machen, spürt u n u n t e r b r o c h e n das Wagnis jedes Schrittes, den er zu gehen hat. D a f ü r aber k a n n er auf diesem Wege die Wirklichkeit Gottes wirklich erfahren. Und dann erst ist er so weit, daß er in der Predigt nicht n u r etwas sagt, sondern verkündigt. Die mit diesen Erkenntnissen gegebene Lebensnähe rückt die K ä m p f e und auch die N i e d e r l a g e n in das Licht einer gnädigen und f r u c h t b a r e n F ü h r u n g . Sie tragen den Segen in sich, daß sie zur Demut, zur Echtheit, zur Gemeinschaft, zum Glauben und zur Verkündigung ihren lebensmäßigen Beitrag liefern. Wieviel dem Prediger an D e r a r t i g e m zugemutet werden muß und 1 kann, damit die Voraussetzungen echter Verkündigung entstehen, steht nicht in seiner eigenen Hand, sondern soll im wirklichen Glauben der höheren F ü h r u n g a n v e r t r a u t werden. Es gibt in jedem Leben v e r l o r e n e u n d v e r s ä u m t e D i n g e , und es kann in der Verschlungenheit des Seins wohl geschehen, daß man Schicksale, die m a n versäumte, weil man ihr Erleben einst aus irgendwelchen G r ü n d e n mied, in späteren Jahren doch als schuldhafte Ver«3 2. Kor. 11, 14.
Lebens'fülle und ungielebties Leben
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bäumnis erkennt. Das Wagnis, die verlorenen und versäumten Schicksale als solche in die Wirklichkeit des eigenen Lehens einzubeziehen, gehört zu den schwersten u n d schmerzvollsten Aufgaben. Es läfit sich nichts nachholen. Aber aus den Schmerzen später e r w a c h e n d e r Erkenntnis k a n n F r u c h t werden. U n g e l e b t e s L e b e n ist noch nicht im eigentlichen Sinne Verzicht und O p f e r . Denn es ist Verzicht und Opfer, die nicht hätten sein sollen. Echter Verzicht und echtes O p f e r sind eine Preisgabe seiner selbst, die sein sollen und F r u c h t bringen und zur Reife f ü h r e n . W e r aber anderen Wege weisen und Hilfe bieten soll in den verschlungenen Wegen ihres Seins, mufi im eigenen Leben die verschlungenen Probleme zu wirklicher Lösung f ü h r e n und den weiten „Spannungsbogen" (Künkel) gewinnen, der dazu gehört. D e r P r e d i g e r d a r f k e i n e n gordischen K n o t e n d u r c h h a u e n . Wo er es tut, wehrt er der Erkenntnis, die er f ü r sich und andere hätte finden sollen. Schicksalsfähigkeit ist eine so hohe K r a f t , dafi sie den ihrer F r u c h t entsprechenden Einsatz fordert. V i l r a a r spricht von den G l a u b e n s s t u f e n und sagt, der Prediger müsse f ü r die verschiedenen Stufen gleichmäßig bestimmt sein und allen alles sein 49 . Die Stufen der Lebensreife sind denen der Glaubensreife verwandt und stehen in innerer Beziehung zu ihnen. D e r heutige Mensch erlebt die Stufen der R e i f u n g ganz überwiegend in der geistigen, nichtgeistlichen Sphäre, und f ü r die Predigt ist sie die eigentlich illustrative. Man darf j a nicht meinen, dafi das eherne Gesetz des Schreitens von Stufe zu Stufe hier gelockert oder gar aufgehoben sei. Die Welt w a r t e t auf Prediger, die zur Wegweisung b e r u f e n sind und schraubt ihre Ansprüche an sie nicht herab. 2. D a s A m t a l s
Schicksal
Das „ P r e d i g t a m t " im engeren Sinne k a n n n u r verstanden werden, wenn w i r erkennen, wie mannigfach und innig es mit dem „ P f a r r a m t " a l s G a n z e m verflochten ist. Dieses wiederum w i r d von einem Menschen getragen, der von seinem Eigensein aus und vom Amt aus sein Schicksal erlebt. Die Fülle der Beziehungen, in denen dieser Gesamtkomplex f ü r die Predigt bedeutsam wird, fassen wir am besten in drei Wirkungskreise, die wir uns konzentrisch von außen nach innen einander zugeordnet vorstellen können: Amtstätigkeit, Standesschicksal (damit auch persönliches Schicksal) und Theologie des Amtes (damit auch innerste Einstellung zum Amt). Die A m t s t ä t i g k e i t mufi wiederum in ihrer Ganzheit erfafit und mit T i e f e n w i r k u n g (perspektivisch) gesehen werden. D a n n umfafit sie ihrerseits ebenfalls drei Kreise. Vom Wesen des Amtes her ist das ermöglichende äußere Rüstzeug und zugleich der innerste K e r n des Amtes der U m g a n g m i t d e r B i b e l . 49
A. F. C. Vilmar, Lehrbuch der Pastoraltheologie, hrsg. von Piderit. 1872. S. 68. 7*
Gütersloh
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
So verschieden die Pfarrer sind, nach ihrer Persönlichkeit, ihrer Theologie und ihrer sonstigen Einstellung: Kein Schreibtisch eines Pfarrers ohne Bibel. Kein Weg zu einer Amtshandlung ohne Neues Testament in der Tasche oder Bibelstellen in Herz und Kopf. Man sieht, wie der Kreis sich erweitert: es kommt hinzu der Umgang mit der Agende, das selbstverständliche (!?) Tragen des Ornats und vor allem der ganze liturgische Dienst, das häufige Tragen schwarzer Kleidung bezw. einer „Amtskleidung" (Lutherrock oder Ähnliches) und so fort oder der innere Widerspruch gegen solche Dinge. Schon die Ablehnung der „Amtskleidung" ist nicht nur Ausdruck einer Haltung, sondern prägt zugleich die Haltung ebenso intensiv wie ihr Gebrauch. Ungleich tiefer wirkt die oft zu wenig beachtete Last, dafi mancher Pfarrer wegen des ständigen amtlichen Umgangs mit der Bibel sie für sich persönlich nicht mehr oder nur mit leiser Selbstüberwindung lesen kann, ebenso wie die regelmäßige Vertiefung in die Bibel eine nicht immer, aber vielfach zentral prägende Wirkung ausübt. Auch die eventuelle i n n e r e D i s t a n z vom geformten Kultus wirkt nachhaltig auf den Amtsträger ein. (Man hüte sich, in all solchen Schwierigkeiten einfach entrüstet abzuurteilen; Kraft und Licht können gerade dem zuviel werden, der sie stark und vibrierend aufnimmt!) In dem allen freilich ist die innere Einstellung wichtiger als die äußere Gestalt. Die Bibel (wir beschränken uns auf diese) wird eminent fördernde Schicksalsmacht, wenn wir unseren Umgang mit ihr, er sei, wie er sei, so zu gestalten verstehen, daß sie uns trotz des vielen beruflichen Gebrauchs letztlich innere Verheißung, lebenskräftige Hilfe, im ehrfürchtigen und wesenhaften Sinne „Er-holung' (hereinholen und heraufholen ηeuschäffender Kräfte) ist. Man hilft sich dazu am besten, indem man die Bibel unter einem ganz b e s t i m m t e n Z i e l liest, ζ. B. schon dem oft gar nicht als wichtig erkannten, daß wir genau abstecken, wo und wie weit unser bestes Eigenwesen zustimmt, oder zurückhält, oder ablehnt; oder: wie weit wir wirklich „verstanden" oder nur gewohnt gewordene und legitimierte Gedanken uns angeeignet haben, oder man stuft die Abschnitte ab, die einem persönlich die lebenswichtigsten sind, und macht sie sich erneut besondters zu eigen. Oder man pariert die „gleitende" „Beschäftigung" mit der Bibel durch gründliche Vertiefung an e i n e m Punkt, zu der man sich Zeit und Ruhe gönnt; möglichst mit Kommentar zu ihm oder einer Monographie über ihn. Oder man vertieft sich ganz einfach in e i η Buch der Bibel so intensiv, daß man es in- und auswendig kennen lernt. All solche Maßnahmen werden schicksalhaft für das Amt und für die Predigt. Und das. was unser Amt trägt, s o l l uns schicksalhaft werden! Nämlich als echtes Schicksal, nicht nur als gewohnte Richtung. Das oft zu selbstverständliche Jasagen zur biblischen Wahrheit muß zur persönlich uns betreffenden B e g e g n u n g m i t d i e s e r W a h r h e i t werden. Darin wird sie uns Schicksal, und dann ist sie immer neu und erfrischt die Seele.
Im Wesentlichen leben
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Die Berufstätigkeit nach außen hin ist d u r c h die F o r d e r u n g d e s T a g e s bestimmt. D e r P f a r r e r ist in sehr hohem U m f a n g täglich mit F r a g e n des Glaubens, der Frömmigkeit, des Einflusses religiöser oder unreligiöser H a l t u n g auf das Leben u. s. f. angefordert. Entscheidend dabei ist dies, daß diese Anliegen in j e d e m Falle der eigentliche Sinn seines Berufes sind, auch wenn sie n u r einen Teil des Tages ausfüllen. D a z u kommt, daß er in all" solchen Lagen ständig „zu geben" hat, u n d also aus beiden G r ü n d e n unbewußt kontinuierlich auf diese Gebiete eingestellt ist. Neben diesen Tatsachen steht psychologisch mit gleichem, oft s t ä r k e r e m Gewicht, daß der P f a r r e r heute weithin persönlich nicht a n g e f o r d e r t wird, sondern man sich mit seinem öffentlichen Dienst begnügt, soweit m a n auch n u r diesen ü b e r h a u p t beansprucht. In den leeren R a u m u n d in die v e r f ü g b a r e Zeit rückt dann die meist wichtigste, seelische K r ä f t e fordernde Geschäftigkeit in pflichtmäßig zu verwaltenden sowie in betriebsam betriebenen Dingen. Letztere haben die gefährliche Eigenschaft, daß sie d u r c h einen geringen Zusatz zentraler Christlichkeit gerechtfertigt und notwendig erscheinen, tatsächlich aber meist mehr die P e r i p h e r i e als das Zentrum der Persönlichkeit des P f a r r e r s beanspruchen. Die F o r d e r u n g des Tages ist bei dieser Lage schicksalhaft f ü r den Prediger keineswegs n u r in dem Sinne, daß sie ihn in den Tiefen der Glaubenswahrheit immer mehr festigt, sondern zugleich in dem anderen, daß sie ihn v e r f l a c h e n und zerstreuen kann. Da das Erste tief vera n k e r t u n d berechtigt ist, gibt es viele Fälle, in denen Innen und Außen, geistlicher Dienst u n d Geschäftigkeit, nicht ausgeglichen sind, das Innen trägt nicht das Außen, der seelische Atem wird flach in dem Vielerlei, so daß der Tageslauf im Ganzen den Berufsträger „zerreißt", äußerlich und innerlich an ihm zerrt. Ein Gegengewicht ist hier n u r d a d u r c h zu schaffen, daß man sich auf Biegen und Brechen i n t e n s i v k o n z e n t r i e r t auf das Wesentliche. Wenn j e d e r P f a r r e r an jedes Ansinnen, das an ihn gestellt w i r d (von außen oder von innen!!), die F r a g e richten würde, ob das nicht auch j e m a n d machen könne, der nicht Theologe und Amtsträger ist, wenn j e d e r P f a r r e r , soweit bestimmte G r ü n d e seine Beteiligung notwendig machen, sie auf den geringstmöglichen G r a d beschränken würde, so w ü r d e das Bild des P f a r r e r s t a n d e s schon d a d u r c h anders aussehen. Das muß auch heute noch gesagt werden, denn man k a n n zwar in dieser Zeit der Not mit F r e u d e n eine erhebliche Konzentration vieler P f a r r e r auf das Wesentliche ihres Amtes feststellen, zugleich aber zeitigt die vielfältige innere u n d ä u ß e r e Not ein oft fast unt r a g b a r e s Maß dezentrierender Anforderungen. Ungleich wichtiger ist, daß wir nicht n u r Äußeres abschieben, sondern I n n e r e s e m p f a n g e n l e r n e n und neu den unbehinderten Weg finden, aus der Tiefe zu leben und dem Geist der O f f e n b a r u n g bereit zu sein. (Davon ist späterhin zu handeln, cf. III. Kap., I. 3. Meditation.) Die P r e d i g t l ä u f t keineswegs neben all dem her, es ist nicht f ü r sie unwichtig, was man sonst tut, wenn man n u r gewissenhaft seine Predigt arbeitet. Nicht nur, daß der immer Abgewendete auch d a f ü r weniger Zeit u n d inneren R a u m ausspart, die G e s a m t h a l t u n g w i r k t e n t -
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
s c h e i d e n d auf Sammlung, Wahrheitsnähe, Verkündigungstiefe, D e u tungsfähigkeit, Überzeugungsgewalt und andere K r ä f t e des Predigers ein. Man arbeitet an ihr nicht n u r am Schreibtisch, nicht n u r d u r c h den Seelsorgedienst, sondern man gestaltet sie d u r c h sein ganzes Sein. Es gibt nun freilich auch f ü r den Bestmeinenden ein wirklich drohendes, j a f r e s s e n d e s Z u v i e l . Man sammelt sich mit s t a r k e r Konzentration auf das Wesentliche, man beschränkt sich entschlossen, manchmal rücksichtslos auf das Unerläßliche. und doch ist j e d e r Tag übervoll, doch läfit sich die Hetze vielfach nicht vermeiden, doch schlagen die Wogen ü b e r dem Geplagten zusammen. W e r das noch nicht e r f a h r e n hat, weiß noch nicht, wie tief die Not der Überlastung werden und wie sie an der Substanz der K r ä f t e zehren kann. A b e r wie man zum Eingehen in die biblische W a h r h e i t sich auf einen P u n k t konzentrieren und in ihm das Tor finden kann, so k a n n man auch in der F o r d e r u n g des Tages nicht n u r das Erläßliche abschieben, sondern auch das Notwendige organisch ordnen. Wenn die seelische Einstellung auf das Wesentliche gerichtet ist, ist dazu schon viel geholfen. Man nehme etwa einige w e n i g e S e e l s o r g e f ä l l e heraus, die wichtigsten, se)i in ihnen intensiv und f ü h r e sie wirklich durch. Das w i r k t f r u c h t b a r auf die Predigt nicht n u r d u r c h die Anregung, eventuell den Stoff, die man d a d u r c h empfängt, sondern schon dadurch, daß der Prediger als Seelsorger seine eigene Seele mit dem Wesentlichen in B e r ü h r u n g bringt und sie sich daran nährt. O d e r man gönne sich, trotz der erworbenen Übung und des bereitliegenden Materials, einige Zeit zur Vertiefung in den Gang der nächsten Konfirmandenstunde, so weit, daß sie einem selbst neu lebendig wird. Die eigene Seele ruht und regeneriert sich in solchen Fällen, oft gerade dann, wenn sie viel K r a f t kosten, denn w i r ermüden in der Regel nicht an dem, was w i r „alles zu tun haben", sondern an dem, was wir — meist im Banne dieser Idee — n u r h a l b t u n . Unter den vielen Gehetzten unserer Tage sollte gerade der P f a r r e r schon da, wo sein Beruf allen anderen gleicht, im Überfordertsein, wegweisend sein in der i n n e r e n Ü b e r w i n d u n g d e r J a g d . Denn alle G e j a g t e n machen denselben F e h l e r : sie leben nicht genug v o n i n n e n h e r . Der p r o f a n e Dienst ist nicht freigegeben, daß wir ihn, um ihn zu schaffen, mit gutem Gewissen ohne das Heiligtum ausüben könnten, sondern er soll geheiligt werden, und das heißt, er soll aus dem Glauben und aus der Liebe geschehen. So w i r d auch das rasch Vollzogene wesenhaft. Wir eilen nicht an vielem vorüber, n u r eben an ihm hantierend — das ergibt das Vielerlei —, sondern wir tun „frisch und ohne unnötige Verzögerung viel" — das ergibt das o r g a n i s c h e T a g e w e r k . So ergibt sich aus dem Ί un meist ohne Schwierigkeit das andere, was so wesentlich zur Bewältigung gehört: daß die Dinge, mindestens die wichtigen, nicht versinken, sondern v e r a r b e i t e t werden. Auch eine notgedrungen k n a p p e seelische Bearbeitung, auf Wegen, ί τ k u r z e n Pausen, in Minuten vor dem Schlafengehen, hilft zur inneren Gesundheit und b e w a h r t uns davor, daß die Dinge uns unbewußt weiter auf der Seele
Überfülle kann aus Gefahr zur Hilfe werden
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liegen. Schließlich kommt auch ein allzu beschäftigter Mann auf diese Weise zu den unerläfilichen Pausen. Wenn es uns nicht oder zu wenig gelingt: es muß doch wohl an uns liegen, an falscher Auffassung von der Arbeit und am falschen Anfassen. An J e s u s beobachten wir eine tiefe Ruhe. Und ist es als Richtlinie bedeutungslos, dafi er die Jünger und das Volk von sich, ließ und auf den Berg ging, daß er betete? (Matth. 14, 22—23. Es liegt u. E. nicht fern, das nötigen" in diesem Sinne zu verstehen.) P a u l u s ist nicht gehetzt gewesen. L u t h e r ist für uns ein deutlich sichtbares Beispiel eines Mannes, der in der Überforderung gesund bleibt, weil er aus der Tiefe lebt. Karl B a r t h hat ihn treffend mit einem Zuge charakterisiert: „Luthers Wort, Haltung und Werk sind Zeuge der unerhörten Sammlung, in der dieser Mensch gelebt haben muß". Seine Geschlossenheit „ist im strengen Sinn des Begriffs exzentrisch. Sie ist die Geschlossenheit eines a n g e s t r e n g t h ö r e n d e n Menschen" 30 (von uns gesperrt). Luther selbst gibt einen wertvollen Hinweis in dieser Richtung zu Ebr. 3, 7: „Also ist der Glaube an Christus das Schwerste, was es gibt, denn e r h e b t h o c h h i n a u s ü b e r a l l e s , e r r e i ß t l o s v o n a l l e n W a h r n e h m u n g e n der inneren und äußeren Welt und drängt hin zu dem, was man weder in sich noch außer sich wahrnimmt, d. h. zu dem unsichtbaren, allerhöchsten und unbegreiflichen Gott". (Sperrungen von uns.) Das ist das klassische Beispiel eines Menschen, der in Gott sich selbst findet, der im Dienst am Amt zur Höchstentfaltung seiner Kraft kommt. Man muß schon so radikal in die Tiefe und in die Höhe gehen, um in der Überforderung sich zu retten. Aber wenn man das tut, so ist deutlich, wie tief es dann auch auf die Predigt wirkt, wie zentral sie werden muß. Die Überfülle des Dienstes wird dann aus der Gefahr zur Hilfe gewandelt. Hier kann nicht mehr mit Zeit gemessen werden, nicht einmal mehr mit Kraft. Die Kraft Gottes vollendet sich in der menschlichen Schwachheit (2. Kor. 12, 9). Neben dem Umgang mit der Bibel und der Forderung des Tages liegt das dritte Moment, das in der Amtstätigkeit des Pfarrers eine ihn prägende Bedeutung hat, darin, daß sein Tun und Lassen immer irgendwie •den C h a r a k t e r d e s B e k e n n e n s trägt. Wir handeln in diesem Abschnitt von Bekenntnis in dem subjektiven Sinne, daß der Mensch durch sein Wesen und sein Tun und Lassen eine Glaubensüberzeugung zum Ausdruck bringt, im folgenden Abschnitt in dem objektiven Sinne, daß der Inhalt des Christenglaubens in geprägten Formulierungen Ausdruck gefunden hat. Hier also geht es um das Bekennen des Pfarrers, nachher um das Bekenntnis bezw. die Bekenntnisse der Kirche. Beides deckt sich nicht immer im Inhalt und für die Haltung des Einzelnen, und daß diese beiden Gebiete nicht geschieden wurden, hat viel Leid bis zum Widerwärtigen gebracht. So mancher Pfarrer steht mannhaft bekennend und zum Bekennen bereit zu s e i n e r Glaubensüberzeugung und kann doch um des Gewissens willen einem bestimmten Bekenntnis nicht zustimmen und der es vertretenden Gruppe sich nicht 50 Karl Barth, Lutherfeier 1933. Theologische Existenz heute, Heft 4, S. 8.
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Die Bedeutimg· des Subjektes für die Predigt
anschließen. O f t lag der G r u n d in den letzten J a h r e n darin, dafi bei d e r Mehrzahl derer, die zu einem Bekenntnis standen, mit dieser glaubenden B e j a h u n g zugleich kirchlich k o n k r e t e Maßnahmen u n d H a l t u n g e n verb u n d e n w a r e n , denen a n d e r e nicht folgen konnten, die dem Bekenntnis als solchem wohl gern zugestimmt hätten. In einer Kirche wenigstens sollte es nicht vorkommen, daß die G r u p p e der aus Gewissensgründen Zurückhaltenden dann des mangelnden Mutes verdächtigt wird, selbst wenn die V e r t r e t e r des Bekenntnisses tatsächlich m e h r zu leiden haben und die anderen mehr verschont bleiben, und erst recht nicht, wenn der Inhalt des Bekenntnisses von den Zurückhaltenden nicht voll b e j a h t w e r d e n kann. D e n n die Kirche ist oft die einzige Stätte im leidenschaftlich heißen Ringen der Geister, wo in solch spannenden und schmerzenden Fällen noch e c h t e B r ü d e r l i c h k e i t herrschen könnte. W o sie fehlt, leidet das Amt auf beiden Seiten, bei den Kritisierten u n d bei den Kritisierenden, u n d die Predigt der Kirche w i r d in der Gemeinde eines Teiles i h r e r richtenden und b a u e n d e n K r a f t b e r a u b t . Soll ein „Bekenntnis" aber w a h r u n d segensreich w i r k s a m sein, so kommt es gerade darauf an, daß seine Bekenner in dieser objektiven H a l t u n g auch s u b j e k t i v v o l l ü b e r z e u g t stehen können. Man k a n n n u r das bekennen, w o f ü r man wirklich aus eigener Uberzeugung und mit gutem, f r e u d i g e m Gewissen leiden und sich opfern kann, und darin sind mindestens die Grundlinien der praktischen H a l t u n g einer G r u p p e mit ein geschlossen. D e n C h a r a k t e r des Bekennens gewinnt das Amt aber schon lange, bevor solche Möglichkeiten auftauchen. Denn nirgends u m g r e i f t und d u r c h d r i n g t d e r B e r u f so lückenlos d a s p e r s ö n l i c h e L e b e n wie im P f a r r a m t , und wenige Menschen können dem P f a r r e r nachfühlen, was allein schon das eine f ü r ihn bedeutet, daß er im tieferen Sinne eigentlich nie „auf Urlaub", nie ein ganz p r i v a t e r Mensch ist, und auch in absichtsloser Geselligkeit nie vergessen kann, daß er im Dienst steht, und daß sein Wort und seine H a l t u n g immer als die des P f a r r e r s , nie n u r als die des H e r r n X. aufgenommen und beurteilt werden. Es gibt Fälle, leichtere u n d schwerere, in denen der P f a r r e r allein schon dadurch nicht zur freien u n d vollen E n t f a l t u n g seiner „Persönlichkeit" kommt. W e r sich aber von den F o r d e r u n g e n d e s G l a u b e n s Gewalt antun läßt, statt sich ihnen zu öffnen, schließt vorzeitig die Lungenspitzen seiner Seele ab gegen den feinen und starken Odem, der sie füllen will. Und indem er meint, sich besonders bereitwillig hinzugeben, hat er in W a h r h e i t gerade nicht „sich" hingegeben, denn e r hat die innersten Stimmen, die etwa dagegen sprechen, zum Schweigen gebracht, anstatt sie reden zu lassen, so daß sie nicht n u r ü b e r w u n d e n , soudern gewandelt und eingeordnet worden wären. Man k a n n aber auch in der Predigt nicht d u r c h d e n G e h o r s a m d e s G l a u b e n s z u r F r e i h e i t d e s G l a u b e n s f ü h r e n , wenn man selbst nicht die volle Freiheit gefunden hat. D e n n was dazu gesagt w e r d e n k a n n und muß, w i r d n u r im eigenen E r f a h r e n entdeckt.
Die inneren Stimmein und die Freiheit der Seele
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Gewichtiger aber und persönlich viel spürbarer sind die Fälle, die so häufigen, in denen um des Amtes willen auf irgend einem Lebensgebiet ein wesentlicher V e r z i c h t geleistet wird. Manchmal freilich stumpft das ab, besonders wenn auf Möglichkeiten eigener, das Herz erfreuender, die Kräfte erfrischender Bereicherung aus Pflichtgefühl verzichtet wird (Lesen, Erholung u. ä.). Oft ists eine sehr feine Gewissensfrage, ob man nicht doch auf falschem Wege ist, indem man solche Möglichkeiten aus Pflichttreue dem Amte opfert. Messen und kategorisch entscheiden läßt sich hier nichts, solche Dinge sind labil und müssen lebens· mäßig ausgetragen werden. Aber mindestens dann sollten wir aufmerksam werden, wenn wir irgendeine Empfindung haben, die in der Richtung auf das Pathos des Opfers geht. Es könnte j a auch der Predigt ein Strom der Frische, der Tiefe und des Segens versagt bleiben, der ihr geschenkt würde, wenn der Geist nicht gebunden bliebe, und vielleicht würde dann die Segenswirkung im ganzen größer und befreiender sein, als sie es mit dem gewiß ehrlichen Verzicht ist! Aber oft leidet ein Amtsträger, ungeahnt von allen, die ihn schätzen, vielleicht verehren, ein s t i l l e s H e l d e n t u m Jahr um Jahr in einem schmerzenden Verzicht, und vielfach unter immer neuen heißen Kämpfen. So hart es ist, dürfen wir uns nicht verhehlen, daß auch hier das Steckenbleiben in innerer Unfreiheit, die daraus entstehende Gewaltsamkeit, zu einem Schwergewicht wird, das die fließende Freiheit und natürliche F reudigkeit der Predigt hemmt. Nichts wäre dringender zu wünschen, als daß solch verschwiegene Tapferkeit mit reichster Frucht gelohnt würde. Und freilich dürfen wir dessen gewiß sein, daß kein echtes Opfer ohne Frucht bleibt. Gehemmt sein ist schwer und gefährlich. Dennoch ist es nicht die größte Gefahr. Aber f r e u d i g e r G l a u b e ist der größte Sieg. Und der ehrlich Ringende hat immer die Verheißung und ist umgeben von dem Trost Gottes. Gerade er, wenn er sich noch gebunden fühlt, ist oft nur einen kleinen Schritt von der vollen Freiheit entfernt. Nicht erst diese, auch schon der Kampf und der noch schmerzende Verzicht ist eine starke Kraft zur Predigt. Wird dann die F r e i h e i t d e r S e e l e errungen, so werden in der Regel starke, reiche Kräfte neu befreit und wirksam gemacht. Wo der Prediger noch gewaltsam ist gegen sich selbst, ist er es auch in der Predigt gegen andere. Wo er noch leidet, ohne durchzubrechen, entweder zur Freiheit der Seele oder zur Freiheit Vom Zwang, kann er auch die anderen nicht zur Freiheit führen, die doch gerade darauf in seiner Predigt warten. Hat er seine Freiheit gefunden auf seinem Gebiet des Ringens, so hat er alles Ringen verstehen gelernt und den Raum der Freiheit als ein Helfer für viele gewonnen. Auch im schweren inneren Ringen darf man nicht vergessen, daß das L e b e n a l s G a n z e s g e l e b t wird und wir in seiner vollen Breite und Tiefe die klare Einstellung zu unserem Beruf gewinnen müssen. Soweit der P f a r r e r sie hat, predigt er ganz von selbst so, daß alles, was er sagt, ein Bekennen ist. Es wird dann ohne Gewaltsamkeit als ein u n m i t t e l b a r e r u n d f r e i e r A u s d r u c k seiner Überzeugung empfunden. Dagegen hat die Gemeinde ein feines O h r für jede Unterströmung
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
von n u r angenommener, nicht wesenhaft gewordener Überzeugung, auch wenn die H a l t u n g s u b j e k t i v durchaus ehrlich ist. D e r oft hämisch ausgesprochene Verdacht, dafi „die Pastoren selbst nicht glauben, was sie sagen", ist gewiß oft boshaft vorgeredet und oft gedankenlos nachgeredet u n d gehört zu den billigsten u n d armseligsten Waffen, nicht e i n m a l einem Arsenal entnommen, sondern von der Straße aufgelesen. E r ist immer ohne Verständnis und meist auch ohne Verstand, und das ist sein eigentlicher Nährboden. Dennoch findet er vielleicht ein Teilchen seiner Nahr u n g an solchen feinsten Spannungen zwischen b e w u ß t e r Überzeugung u n d u n b e w u ß t e m Anderssein. W o die Predigt in voller Übereinstimmung mit dem ganzen Wesen des Menschen steht, hat sie eine tiefe, überzeugende K r a f t , die auch da gespürt wird, wo man von diesen inneren Problemen nichts weiß. Neben der Amtstätigkeit, deren drei wichtigste Linien in i h r e r Bedeut u n g f ü r das Schicksal des P f a r r e r s und in i h r e r E i n w i r k u n g auf die Predigt skizziert wurden, steht als zweites gewichtiges Moment das Stand esse hicksal. Jeder Stand hat sein Schicksal, das f ü r den einzelnen V e r t r e t e r dieses Standes persönlich bedeutsam wird. F ü r den P f a r r e r s t a n d ist heutigentags das Wichtigste d a r a n nicht, wie f r ü h e r oft, die soziale Einschätzung des Standes. Sie t r u g den großen Wert in sich, daß der P f a r r e r in allen Kreisen Zugang hatte, d a d u r c h umfassende Menschenkenntnis gewinnen und vielfach Bindeglied sein konnte. Praktisch freilich hat das wohl meist nicht v i e l ausgetragen, obwohl es auch so Schicksal u n d Eigenempfinden mitbestimmte. Jetzt dagegen ist aus der sozialen Einschätzung eine unmittelbare s o z i a l e B e d e u t u n g geworden. D e r P f a r r e r soll beispielh a f t zeigen, wie man in völlig v e r ä n d e r t e r sozialer Lage den Verlust des Alten und den schweren neuen A n f a n g als ein Schicksal aus Gottes H a n d nimmt. Wo viele mit ihm das Geschehen und Erleiden teilen, bleibt er doch der, auf den in ganz a n d e r e r Weise gesehen wird, als f r ü h e r oft. Damals e r w a r t e t e man in vielen Kreisen Schliff, jetzt e r w a r t e t man in allen Kreisen Gestalt. D e r P f a r r e r soll d u r c h sein Schicksal seelische, c h a r a k t e r l i c h e G e s t a l t bekommen haben. Weil e r das weiß, p r ä g t ihn sein Schicksal, auch dann, wenn er nicht zu den Schwerstbetroffenen gehört. Es p r ä g t ihn um so mehr, j e mehr er die gerade ihm gestellte A u f g a b e erfüllt, sein Schicksal nicht gedankenlos zu erleben und nicht n u r einfach „damit fertig zu werden". Er soll es d u r c h l e b e n v o r G o t t , so, daß das Geschehene und das Geschehende von der O f f e n b a r u n g her durchleuchtet wird, von ihr h e r Bedeutung gewinnt u n d gedeutet wird. G e r a d e diese Standesaufgabe w i r k t unmittelbar auf die Predigt. Wer schwergetroffen ist, hat ein feines Empfinden d a f ü r , ob der P r e d i g e r n u r „ ü b e r " die Schicksale redet oder ob er aus dem inneren Erleben h e r a u s und d a r u m in sie hinein etwas zu sagen hat. Und w e r über sie etwas sagen muß — wie tief formt auch den nicht am schwersten Mitbetroffenen das wirkliche Miterleben. Das „Weinen mit den Weinend e n " (Rom. 12, 15) ist eine zentrale pastoraltheologische Aufgabe. Keines
Von den Sicherungen zur Gewißtheit
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Mannes Leben könnte so ausgeweitet und vertieft w e r d e n wie das des P f a r r e r s , allein schon d u r c h ein volles Erleben seines Standesscliicksals. Neben dieser Linie läuft gleich bedeutsam die andere her, die G e f ä h r d u n g des Standes. Zwar ist das Leben im ganzen gefährdet geworden, und das ist wohl der tiefste Einbruch in die bisherige Mentalität: wir mußten e r f a h r e n , daß es keine Sicherung mehr gibt, weder eine defensive, noch eine aggressive. Man k a n n sich nicht schützen gegen E n t b e h r u n g und G e f a h r , man k a n n nicht planen in weitere Z u k u n f t hinein. Diese doppelseitige und damit vollständige Ent-Sicherung ist der Nährboden f ü r fast alles Verzagen, alle Lebensunlust, Untüchtigkeit im neurotischen Sinne u. s. f. Zugleich offenbart ihre katastrophale W i r k u n g , •wieviel n u r Sicherung, wie wenig Gewißheit Lebensgrundlage gewesen w a r . Schon der Anteil an dieser allgemeinen G e f ä h r d u n g stellt dem P f a r r e r die Aufgabe, d u r c h Erleben seines Schicksals in einer des P r e digers würdigen Intensität v o m L e b e n i n S i c h e r u n g e n z u m L e b e n a u s G e w i ß h e i t d u r c h z u d r i n g e n . Und wer aus Gewißheit predigt, der redet in Vollmacht, er findet von innen her den „Stoff" der Predigt, er gehört zu den wesentlichen Menschen, die „durch das Jammertal gehen und machen daselbst Brunnen" 5 3 . D e r P f a r r e r s t a n d ist aber seit zwei Jahrzehnten nicht n u r mit allen durch das gemeinsame Schicksal g e f ä h r d e t , er ist b e d r o h t auch als solcher allein durch den K a m p f g e g e n s e i n e V e r k ü n d i g u n g . Die davon unmittelbar Betroffenen erleben ein Schicksal, dessen Last n i c h t allen auferlegt ist, dessen geheime F r u c h t aber auch so unmittelb a r wie ihnen selbst den Unbetroffenen nicht zuteil wird. Doch aucl. schon im Kreise der Betroffenen ist die Tiefe und K r a f t der W i r k u n g verschieden. Man t r i f f t Männer, die durch das Erlebte gewandelt sind und R ä u m e durchmessen haben, deren Segensmacht sie nicht verläßt. Man k a n n gelegentlich auch, zuerst fast erstaunt, nach den Spuren des Erlebten suchen müssen. So verschieden k a n n das gleiche oder doch verw a n d t e Schicksal genommen werden, in so verschiedenem Maße k a n n m a n sich dem Geschehen öffnen, und es liegt immer noch am Menschen selbst, ob das, Avas a n ihm geschieht, auch i n ihm geschieht u n d also im eigentlichen Sinne Geschichte macht u n d Schicksal wird. So können aber auch die nicht unmittelbar Betroffenen, wenn sie eine wache Seele haben, sich dem S t a n d e s s c h i c k s a l d e s Gefährdetseins n i c h t e n t z i e h e n . Auch Bedrohung ist Wirklichkeit im Leben der Seele, so wie sogar die phantastischsten Bilder f ü r den f u r c h t b a r e „ W i r k lichkeit sind, der von ihnen verfolgt wird, das heißt, sie „wirken" auf die in ihm „ w i r k e n d e n " Kräfte, auf seine Seele. Wir s o l l e n das Standesschicksal erleben, und wir sind gefragt, wie wir es erleben. Die Predigt ist die Selbstdarstellung des Predigers hinsichtlich seines Erlebens, auch dann, wenn er in Vollmacht und Fülle des Zeugnisses die geoffenb a r t e Wahrheit verkündigt. Auch die „objektivste" Predigt verbirgt sein Erleben so wenig, wie man seine Handschrift verstellen kann, weil auch 51 Ps 84. 7.
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Di« B^dieaitumg· d«s Subjektes für die Predigt
in d e r verstellten H a n d s c h r i f t die c h a r a k t e r i s t i s c h e n Züge erscheinen. G e s p r o c h e n e s W o r t i s t H a n d s c h r i f t d e r S e e l e . Und da die P r e d i g t gesprochenes W o r t in z e n t r a l e r G e w i c h t i g k e i t ist, gilt das von i h r besonders. J e d e r P r e d i g e r sollte das Standesschicksal des B e d r o h t seins nicht in e i n f a c h e r Sorge oder Angst, s o n d e r n in t i e f e r V e r a r b e i t u n g d u r c h l e b e n Seine P r e d i g t soll ein Zeugnis d a v o n sein, dafi e r d u r c h ein T o r h i n d u r c h g e g a n g e n ist. Nicht soll er menschliche A b w e h r u n d Angst v e r l e u g n e n . A u c h C h r i s t u s h a t gebetet „ists möglich, so gehe dieser Kelch a n m i r v o r ü b e r " . A b e r d e r P r e d i g e r soll sich a u s k e n n e n in d e m R a u m d e r F r e i h e i t h i n t e r d e r A b w e h r u n d A n g s t , u n d zu ihm h i n w i e in ihm a n d e r e n W e g w e i s e r w e r d e n . D a s Standesschicksal p r ä g t d i e P r e d i g t , u n d die P r e d i g t mit i h r e r F o r d e r u n g w i r k t w i e d e r u m auf d a s E r l e b e n des Standesschicksals z u r ü c k . Alles E r l e b e n jedofch weist, j e intensiver es ist, u m so t i e f e r , auf d e n K e r n d e r i n n e r e n Einstellung, u n d d e r ist beim P f a r r a m t die A u f f a s s u n g vom W e s e n des Amtes. So steht als s c h i c k s a l p r ä g e n d f ü r d e n P f a r r e r n e b e n d e r B e r u f s t ä t i g k e i t u n d d e m Standesschicksal als D r i t t e s d i e Theologie des Amtes. M a n k a n n k e i n e n Beruf sinnvoll ausüben, o h n e sich g r u n d s ä t z l i c h e G e d a n k e n ü b e r seinen I n h a l t u n d seine B e d e u t u n g zu machen. Je m e h r im Beruf zugleich eine Ü b e r z e u g u n g b e t ä t i g t w i r d , u m so w i c h t i g e r ist das. D a r u m h a t k e i n Beruf eine Besinnung ü b e r sein W e s e n so n ö t i g w i e d e r des P f a r r e r s , u n d es gibt a u c h tatsächlich ü b e r k e i n e n Beruf e i n e so intensive, ständig fließend b e a r b e i t e t e „Philosophie des B e r u f e s " , w i e es in d e r K i r c h e eine „ T h e o l o g i e d e s A m t e s " gibt. D i e G e f a h r a b e r e i n e r solchen Besinnung ist n u n g e r a d e b e i m Theologen b e s o n d e r s groß. Sie liegt in d e r Möglichkeit, dafi seine theologische A u f f a s s u n g vom Amt, so g e w i s s e n h a f t , s a u b e r u n d ü b e r z e u g t sie sein mag, doch m e h r seinen Kopf, als seine Seele bestimmt, dafi sie u m so m e h r i h r e M a c h t v e r liert, j e m e h r es in die i r r a t i o n a l e n Bereiche seines Daseins h i n e i n g e h t . Schicksalbestimmend u n d d a m i t a u c h auf die P r e d i g t einflufireich ist a b e r nicht die Theologie vom Amt, d i e w i r h a b e n , s o n d e r n die T h e o l o g i e vom Amt, d i e u n s h a t ! W i r h a b e n h i e r a n einem theologischen Einzel p r o b l e m einen G e s i c h t s p u n k t h e r a u s z u s t e l l e n , d e r g r u n d s ä t z l i c h f ü r alle theologische, b e s o n d e r s alle systematische A r b e i t w i c h t i g ist 5 2 . Die T h e o l o g i e , d i e w i r h a b e n , meint unsere gedanklich form u l i e r t e bezw. f o r m u l i e r b a r e A u f f a s s u n g vom Amt, w i e w i r sie u n s e t w a in A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e r L i t e r a t u r o d e r a n g e r e g t d u r c h einzelne A r b e i t e n e r w o r b e n h a b e n . Sie ist, s u b j e k t i v gesehen u n d ehrlich gemeint, A u s d r u c k dessen, wovon w i r ü b e r z e u g t sind. Sie w ä r e das in h ö h e r e m 62 Eine ausgeführte Theologie des Amtes müite bei der Verzweigung des Problems und beim heutigen Stande der Diskussion eine Erhebung des neutestamentlichen und reformatorischen Materials und eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur mindestens der letzten 40 Jahre umfassen. Dazu ist hier nicht der Raum. Wir müssen uns damit bescheiden, das herauszustellen, was, der Grundlinie unserer Untersuchung entsprechend, für das S u b j e k t des Amtsträgers von Bedeutung ist und hoffen, auch damit einen Beitrag zum Gesamtproblem zu liefern.
Theologie, die wir haben und Theologie, die uns hat
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Maße, als sie es ist, wenn wir sie erstens wirklich v o l l s t ä n d i g erarbeiten und wenn wir sie zweitens wirklich s e l b s t ä n d i g erarbeiten könnten. V o l l s t ä n d i g heifit nicht objektiv lückenlos. Vielmehr liegt die Spannung zwischen objektiver Theologie (als der der Kirche) und subjektiver Theologie (als der im Amtsträger assimilierten) gerade darin, dafi niemand subjektiv eine objektive vollständige Theologie haben kann. Ein Schulbeispiel, das diesen Tatbestand erhärtet, bietet die Arbeit der systematischen Theologie: jeder Systematiker schreibt „seine" Dogmatik. mit eigener Diktion, Betonung, Verteilung und Verarbeitung des Stoffes, vor allem, was das Instruktivste ist, mit eigenem Leitgedanken. Eine genauere Analyse bestätigt auch bei ganz ähnlichen Dogmatiken sowohl, daß jeder Autor tatsächlich seinen Leitgedanken hat, wie auch, daß dieser seinem ganzen Buch, man kann ruhig sagen auf jeder Seite, das eigentliche Gepräge gibt. Darum steht das, was der Mensch „eigentlich sagen will'", so oft mehr zwischen, als in den Zeilen. Sein Porträt erscheint h i n t e r seinem Werk. Er erarbeitet ein subjektiv organisches, eben darum aber nicht ein objektiv vollständiges Werk. Wenn die theologische Fakultät in Leyden vor gut 300 Jähren (1624) die verschiedenen Abschnitte einer Dogmatik auf ihre Mitglieder verteilen und doch als Ergebnis ein einheitliches Werk erwarten konnte 63 , und wenn die Generationen vor uns eher über Eigenwilligkeit der Theologen klagten, so sind das nur zwei Pole einer Linie, die viele Mischungen der beiden Extreme zuläßt, jedenfalls aber ist in jeder Theologie, „die wir haben", beides enthalten: das wirklich Objektive und das wirklich Subjektive. Für die T h e o l o g i e , „ d i e u n s h a t " , bekommt man am besten einen Blick, wenn man, (ein gewisses systematisches Verständnis vorausgesetzt), eine Dogmatik liest, die der eigenen Auffassung erheblich entgegengesetzt und zugleich so eindeutig und so temperamentvoll (auch ganz objektive „Lehre" kann das sein!) geschrieben ist, daß man beim Lesen a f f e k t g e l a d e n e Reaktionen bekommt. Dieses Reagieren ist nämlich bei genauerem Zusehen ebenfalls aus zwei Strömen gemischt: es ist die Lehre der „Kirche" darin und zugleich ist es die Lehre der Kirche, wie w i r sie sehen, und das bedeutet, es ist die durchaus eigene, subjektive Theologie darin. Aus dieser kommt der Affekt! Er ist bezeichnenderweise auch stets sehr eindeutig und ununterdrückbar, selbst dann, wenn wir noch nicht gedanklich klar erkennen, warum wir widersprechen. Es ist recht so, wenn es so ist, denn echtes Denken ist nicht losgelöst „objektiv', sondern es ist der geordnete und (möglichst) widerspruchslose, wenigstens einheitliche Ausdruck dessen, was unser Wesen von der objektiven Wahrheit assimiliert hat. Diese Erkenntnis bestätigt sich, wenn wir in der Richtung der Vollständigkeit weiterdenken. Wer hat Geduld, die bisher 12 Bände der Dogmatik von Karl Barth durchzuarbeiten? Wem die Lehre der Kirche bis in diese Präzision hinein lebendig 53 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik. III, 1. (1945) Vorwort.
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Die 'Bedeutung' des Subjektes für die Predigt1
w e r d e n kann. D e r a n d e r e findet, dafi er es „so g e n a u " nicht b r a u c h e . Man liest a u c h eine Dogmatik nicht in all ihren Teilen mit gleichem Interesse, sondern j e d e r von uns w i r d von bestimmten Abschnitten besonders gefaßt. D e n n er t r ä g t s e i n e organisch gebildete Erkenntnis in sich und reagiert von ihr aus. Entsprechend ist aber auch unsere Theologie des Amtes, so o b j e k t i v sie una scheinen mag, s u b j e k t i v gefärbt. S e l b s t ä n d i g , als das a n d e r e neben der Vollständigkeit, bedeutet picht unbeeinflufit, sowie jenes nicht lückenlos bedeutet. Die Meinung, man sei selbständig so, daß man alles aus sich hat, und dafi m a n keine Beziehung zii anderen hat, ihnen nichts dankt, w ä r e eine vollständige Illusion und in i h r e r Torheit das einzig Selbständige an der Einbildung der Selbständigkeit. Auch d e r einsamste D e n k e r pflegt zu lesen, meist sogar intensiv und umfassend. Damit aber gibt er nicht die Gemeinschaft auf, sondern er beschränkt sie n u r auf risikofreie Begegnung u n d auf das ihn Interessierende. Wir haben alles aus der Gemeinschaft, die vor uns u n d u m uns ist, u n d w i r e r a r b e i t e n unsere Ergebnisse in der ständigen Gemeinschaft. Selbständig sind wir, sollen und können w i r sein nicht gegenüber der W a h r h e i t oder der O f f e n b a r u n g , sondern g e g e n ü b e r d e n M e n s c h e n vor uns und um uns, die die gleiche W a h r h e i t zu e r f a h r e n und zu e r k e n n e n suchen. W i r stehen mit ihnen i n d e r g l e i c h e n K i r c h e , und Kirche ist in diesem Sinne Gemeinschaft der E r f a h r u n g u n d Erkenntnis. Das findet seinen A u s d r u c k in der una sancta und in den ökumenischen Bestrebungen. Auch wo dogmatische Differenzen Kirchen t r e n n e n oder nebeneinander stehende Denominationen mit eigenen Bekenntnissen schaffen, bleiben alle in der einen Kirche Christi. A b e r die W r ahrheit schabionisiert nicht, sondern sie gestaltet, sie individualisiert i n n e r h a l b der Gemeinschaft. Gottes Erkenntnis macht den Menschen im höchsten Maße selb-ständig und „stellt" ihn zugleich im höchsten Maße in die Gemeinschaft. Kirche ist grundsätzlich die ideale Ü b e r w i n d u n g sowohl der Masse wie auch der Summe von Einzelnen, sie ü b e r w i n d e t den Herdenmenschen und den Sonderling. Beides aber, Herdenmenschen und Sonderlinge, gibt es auch im Denken. U n s e r e Theologie steht immer an irgendeinem P u n k t e zwischen unselbständigem „Nach"-denken und beziehungslosem Einzeldenken. Das I d e a l d e r S e l b s t ä n d i g k e i t w ä r e d a n n erreicht, wenn w i r gegenüber den anderen völlig auf uns selbst stünden, nachdem wir alles verarbeitet hätten, was von ihnen h e r auf uns zukam, und gegenüber der W a h r h e i t völlig eingeordnet w ä r e n in Erkenntnis und Gefolgschaft. Die W i r k l i c h k e i t ist immer hinter diesem Ideal zurück, und zwar in doppelter Richtung. W i r sehen die W a h r h e i t , die hinter allem A u s d r u c k der W a h r h e i t liegt, mehr oder weniger n u r im Spiegel der anderen, in dem Ausdruck, den sie bei anderen, einzelnen oder G r u p p e n , in Büchern oder Bekenntnissen gefunden hat. Damit aber v e r l e g e n w i r s i e v o r , vereinseitigen sie und sind unselbständig, sofern wir nicht mit dem ganzen unseres Wesens in seiner besonderen Art, die sich von anderen mehr oder weniger unterscheidet, ihr begegnet sind. Ebenso aber kommen w i r auch nicht mit der ganzen Eindringlichkeit und A u f n a h m e f ä h i g k e i t
Herdenmenschen und Sonderlinge im Denken
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unseres Wesens ihr entgegen und versäumen dadurch mehr oder weniger. Damit v e r l e g e n w i r u n s s e l b s t v o r , wir t r e f f e n auf die W a h r heit n u r mit vordergründigen Zonen unseres Wesens, nicht mit unserem tiefsten, eigentlichsten, unserem Selbst Je mehr wir diesen beiden Fehlern verfallen, um so unselbständiger bleiben wir, um so unselbständiger ist auch unsere Theologie. Auch von dieser Seite her ist sie gefärbt, nämlich d u r c h die Subjektivität anderer. Es ist also zu sagen: dem G r a d e u n s e r e r I J n s e l b s t ä n d i g k e i t entsprechend sind wir an die Theologie ausgeliefert, die uns hat, dem G r a d e u n s e r e r S e l b s t ä n d i g k e i t entsprechend gestaltet sich uns die Theologie, die wir haben, d. h. die unserem eigentlichen Wesen entspricht, und wird uns zur echten und legitimen tragenden Kraft. Aufs tiefste gesehen haben wir alle keineswegs wirklich und kongruent die Theologie, die wir gedanklich zu haben meinen und vertreten. Auch da, wo wir immer redlich uns um „unsere" Theologie bemühten, wo wir die W a h r h e i t Gottes, wie sie ist, mit unserem ganzen Herzen und D e n k e n zu erfassen suchten, stehen wir immer noch in der Spannung zwischen der Theologie, die wir haben, und der Theologie, die uns hat. Je mehr wir dieser These mißtrauen, um so mehr müssen wir wahrscheinlich ims selbst mißtrauen. Denn gerade dann, wenn tatsächlich die Theologie, die wir vertreten, uns hat, sind wir am sichersten davon überzeugt, daß wir sie haben. Wir müssen unaufhörlich und u n v e r w a n d t danach streben, daß unsere Theologie die u n w a n d e l b a r e W a h r h e i t der O f f e n b a r u n g so ausdrückt, wie nicht von anderen Theologen sie übernommen, sondern wie in Auseinandersetzung mit ihnen sie von uns erarbeitet wurde. Wo w i r — wie es j a überwiegend geschehen muß, — vorhandene Gestaltung uns zu eigen machen, sollen wir so weit wie möglich das herausgefunden haben, w a s u n s e r e m S e l b s t a d ä q u a t e n Ausd r u c k seiner Gotteserkenntnis und G l a u b e n s e r f a h r u n g verleiht. Dabei geht es also nicht um subjektivistische Willkür, wohl aber um s u b j e k t i v e R i c h t i g k e i t im A u s d r u c k d e r o b j e k t i v e n W a h r h e i t . Auch was wir über das Amt denken, also unsere Theologie des Amtes, steht bei uns allen in der Spannung zwischen einerseits einer Theologie des Amtes, die wir haben, weil sie adäquater A u s d r u c k dessen ist, was wir vom Amt e r f u h r e n , erwachsen und normiert vom biblischen Zeugnis und an der Arbeit der Theologie, .und andererseits einer Theologie des Amtes, die uns hat, weil sie erst n u r übernommen, aber noch nicht selbständig assimiliert worden ist. Diese Erkenntnis könnte weiterreichende Folgen haben, als es zunächst scheint, und u. U. sehr befreiende f ü r diejenigen, die einer jeweils herrschenden Theologie nicht f r e u d i g zustimmen können und doch meinen, daß sie in der Substanz nichts abschreiben von dem, was diese Theologie ausdrücken will. Das wird uns deutlich an einer heute weithin üblichen Formulierung. In der Theologie des Amtes w i r d in den Arbeiten der j ü n g e r e n Vergangenheit und Gegenwart gern und wie selbstverständlich vom A u f t r a g gesprochen. Obwohl dieser Ausdruck als biblisch begründet gelten kann, fällt doch auf, daß die einen u n t e r den Theologen
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
ihn f r e u d i g aufgreifen, j a geradezu als d a s erlösende Wort empfinden, w ä h r e n d a n d e r e eine ausgesprochene H e m m u n g ihm gegenüber haben. Das sind aber nicht etwa „schlechtere" Theologen bzw. Amtsträger. Die metaphysische Gewalt, die O f f e n b a r u n g s k r a f t der Wahrheit, ist in ihnen nicht weniger wirksam, als in jenen ersten, sie haben keine Verwandtschaft mit einer überholten Theologie, die die Bedeutung des Amtes nivellierte. N u r wiegt f ü r sie das, was mit dem W o r t e A u f t r a g sich ihnen als b e d r ü c k e n d verbindet, so schwer, dafi dieses Gewicht s t ä r k e r ist, als das befreiende des Wortes. W i r möchten vermuten, dafi hier die verschiedene H a l t u n g d u r c h den verschiedenen T y p bedingt ist. D e r E x t r a v e r t i e r t e w i r d befreit, w e n n er die Wirklichkeit, die ihm in seinem Amt begegnet, mit einem Wort bezeichnen kann, das die Beziehung nach außen hin, von ihm selbst weg, in diesem Falle zu Gott, betont. D e r I n t r o v e r t i e r t e sucht ein Wort, in dem das damit in ihn selbst Gelegte stärker zum A u s d r u c k kommt, obwohl er nicht weniger als der E x t r a v e r t i e r t e tatsächlich vor Gott steht und sich vor Gott stehend weiß. Die E r f a h r u n g erweist u. E. eindeutig, dafi die tatsächliche Hingabe an den Gott, vor dem w i r unser Amt führen, und an die Menschen, f ü r die wir es f ü h r e n , bei beiden Typen gleich lebendig und vollständig sein kann. Wir kommen von da aus keineswegs zu einer A u f h e b u n g aller Verständigungsmöglichkeit. Diese läge n u r vor, w e n n die W o r t e nicht m e h r bedeuten, was sie besagen. Hier aber bedeuten sie gerade sehr genau das, was sie besagen. N u r mit der Erweiterung, dafi mit anderen W o r t e n nicht immer eine andere Sache gemeint ist, dafi m i t d e m W i d e r s p r u c h gegen ein W o r t nicht ein W i d e r s p r u c h g e g e n d i e S a c h e v e r b u n d e n s e i n m u f i . Dieselbe W a h r h e i t vielmehr k a n n verschieden gesehen werden, j e nach A r t u n d T y p des sie Sehenden. Und also sind wir n u r um so tiefer verpflichtet, das w i r k lich Gemeinsame zu e r k e n n e n und aneinander anzuerkennen. So gesehen bezeichnet das Wort „ A u f t r a g " tatsächlich die M i t t e d e s A m t e s . In allen Fällen seines Verständnisses ist das gemeint, dafi d e r irdische Mensch d u r c h dieses Amt völlig hineingenommen ist in den Dienst der von Gott geoffenbarten Wahrheit. Dieser D i e n s t , dem er nicht ausweichen kann, ist getragen von der G n a d e u n d belastet mit dem u n g e h e u r e n Ernst, wie ihn n u r ein Dienst vor dem heiligen Gott haben k a n n . Er umfafit gleichermaßen völlig die Weite der E r f a h r u n g , j a der A h n u n g Gottes in N a t u r und Geschichte, und die beherrschende Klarheit der bestimmten und bestimmenden Gestalt, die diese O f f e n b a r u n g in Christus gefunden hat, sowie alles, was dazwischen ist. W i r verkündigen, dafi „von ihm und d u r c h ihn und zu ihm alle Dinge sind" und zugleich „bitten wir an Christi Statt, lasset Euch versöhnen mit Gott" 5 4 , Von dieser Mitte aus ist das Amt von den E r f a h r u n g e n durchleuchtet und durchwettert, die n a c h b e i d e n S e i t e n h i n die K r a f t eines Menschen fast ü b e r f o r d e r n können. Niemandem ist es grundsätzlich unmöglich gemacht, die H e r r l i c h k e i t d e s A m t e s so erschüt64 Röm. 11. 36, 2. Kor. 5. 20.
Das sättigende Leben aus geistlicher Substanz
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t e m d zu e r f a h r e n , d a ß d e r G l a n z ihii b l e n d e t . Sowohl die Meditation des W o r t e s Gottes 5 5 , w i e die Erlebnisse in d e r A m t s f ü h r u n g , im Lichte u n d in d e r K r a f t des W o r t e s geschehend, k ö n n e n das b e w i r k e n . W i r H e u t i g e n d ü r f t e n u n s b e m ü h e n , wenigstens eine A h n u n g von d e m zu b e k o m m e n , was die G r o ß e n des G l a u b e n s e r f a h r e n h a b e n , u n d mit d e m ü t i g e r H i n g a b e zu ermessen, in w e l c h e r g e i s t l i c h e n S u b s t a n z sie täglich lebten, w e l c h e U r g e w a l t d e r G o t t e s e r f a h r u n g L u t h e r d a z u f ü h r t e , a m E n d e seines Lebens zu b e k e n n e n : „ W i r sind Bettler, das ist w a h r ! " Es w i r d eine d e r dringlichsten A u f g a b e n d e r R e g e n e r a t i o n d e s P f a r r e r s t a n d e s sein, dieses Zentralste, d a s s ä t t i g e n d e Leben a u s g e i s t l i c h e r S u b s t a n z , w i e d e r neu zu e r f a h r e n u n d zu ihm den Z u g a n g zu finden. Nicht Schulung in d e r P r a x i s n a c h a u ß e n hin, s o n d e r n entschlossene u n d r a d i k a l e I n n e n w e n d u n g ist d a f ü r die G r u n d lage. Meditation (im n a c h h e r d a r z u l e g e n d e n Sinne) vor allem d e r biblischen T e x t e , a b e r d a n n a u c h m a n c h e r Lieder, d e r Bekenntnisse, r e f o r m a t o r i scher T e x t e usw., u n d mit dieser Meditation das ständig g e ü b t e G e b e t u n d d e r a u s g e ü b t e K u l t u s : diese D i n g e sind zu dieser i n n e r e n E r n e u e r u n g d e r legitime Weg, alles a n d e r e folgt, w e n n dieser W e g w i r k s a m b e s c h r i t t e n w i r d , von selbst u n d bedarf n u r d e r S t e u e r u n g d u r c h die in substanzv e r b u n d e n e r E r k e n n t n i s g e w o n n e n e n G r u n d s ä t z e . Jedes P f a r r e r s I n n e n l e b e n sollte so g e o r d n e t sein, w i e es in einer g u t e n C h a r a k t e r i s t i k ü b e r L u t h e r gesagt w i r d : „Er w a r von H a u s aus gewohnt, ein I n n e n l e b e n zu f ü h r e n , e r s t d i e G l u t d e r S e e l e t r i e b i h n n a c h a u ß e n." A u c h das S t u d i u m d e r Theologie muß, w i e n a c h h e r d a r z u l e g e n sein w i r d , v o n dieser T i e f e eigentlicher u n d w e s e n h a f t e r E r k e n n t n i s h e r g e l e i t e t sein. So k a n n das A m t die w i r k l i c h t r a g e n d e K r a f t eines Manneslebens sein. J e d e r A m t s t r ä g e r sollte d a n a c h streben, d a ß sein A m t nicht n u r d u r c h vieles, w a s e r mit f r e u d i g e m H e r z e n in seiner A u s ü b u n g t u t , s o n d e r n in diesem u r s p r ü n g l i c h e n Sinne i h m eine F r e u d e ist. W i r d ü r f e n es, trotz dessen u n d n e b e n dem, w a s n a c h h e r noch zu b e a c h t e n sein w i r d , als f r o h m a c h e n d e , mit D a n k e r f ü l l e n d e B e g n a d u n g n e h m e n . D a s ist theologisch g e r e c h t f e r t i g t d u r c h 2. Kor. 6. 9—10: w i r leben, Wir sind allezeit f r ö h l i c h , w i r m a c h e n viele reich, w i r h a b e n alles. U n d w e n n in Y. 11 d e r g e h o b e n e Ausruf folgt, d a ß das H e r z des Apostels sich gegen die K o r i n t h e r w e i t g e ö f f n e t habe, so geschieht das aus d e r F r e u d i g k e i t d e s A m t e s heraus. Sie t r ä g t starke, von d e r W a h r h e i t des G l a u b e n s ü b e r z e u g e n d e K r a f t in sich. D i e F r e u d i g k e i t des Zeugnisses 5 6 ist g e t r a g e n von d e r F r e u d i g k e i t des Lebens im Dienst des Amtes. Seine i m m e r o f f e n e Q u e l l e ist nicht n u r d e r U m k r e i s d e r mit A u f t r a g , B e r u f u n g , Dienst u. ä. bezeichneten B e g n a d u n g , sondern zugleich mit diesen d e m A m t e n t s p r e c h e n d e n W i r k l i c h k e i t e n die d e m M e n s c h s e i n des A m t s t r ä g e r s e n t s p r e c h e n d e n : die t r a g e n d e G n a d e Gottes ü b e r h a u p t , das j e d e m K i n d e zugängliche „Christ ist geboren, f r e u e dich, ο C h r i s t e n h e i t " u n d so fort. W o die F r e u d i g k e i t des Amtes sich n u r oder doch zu einseitig auf die G n a d e des Amtes stützt, fehlt i h r in d e r Regel 55 Vgl. im folgenden Kapitel 3. b. und c. ββ Acta 4. 13; 31; 6. 15 u.a.
8 Haendler, Die Predigt
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
zwar nicht die K r a f t und Gewißheit, wohl aber die breite G r u n d l a g e und leicht auch die D e m u t und die helle F a r b e . W e r mit einem besonderen Dienst begnadet sein darf, t u t gut, sich sehr intensiv darauf zu besinnen, daß er zugleich Mensch u n t e r Menschen ist und jenes n u r sein kann, weil — u n d s o w e i t ! — er dieses ist. Grundsätzlich muß das Sein des Amtsträgers beides gleichermaßen umschließen: d a s P f a r r e r s e i n u n d d a s M e n s c h s e i n . Yon den großen P f a r r e r g e s t a l t e n vergangener Zeiten, die n u r im schwarzen Rock gingen, hat man den Eindruck, daß ein blühend quellendes Menschsein in ihnen lebte. Die situationsgemäße F o r d e r u n g mag in den verschiedenen Zeiten verschieden sein: so wie damals die Amtstracht selbstverständlich war, so ists heute naheliegend, daß der P f a r r e r in der Regel wie a n d e r e gekleidet ist. In diesem Unterschied kommt die Verschiedenheit der Zeiten zum Ausdruck, eine Verwestlichung des .Amtes b r a u c h t damit nicht verbunden zu sein. Sie k a n n freilich eintreten, aber ebenso k a n n eine falsche „Yergeistlichung", die dann ungeistlich ist, sich einnisten. G e f a h r ist, wie bei allem Lebendigen, nach beiden Seiten hin. Über einen Vert r e t e r des Amtsrocktyps w u r d e kürzlich die plastische Ä u ß e r u n g getan: „Der hat j a einen ganzen D o m in sich." Die entgegengesetzte G e f a h r ist die, daß man — nichts in sich hat! D a n n ist der D o m wohl noch besser, aber gut ist er auch nicht. Und w i r d u r c h unser Amt so begnadeten u n d zugleich so gefährdeten „Menschen" tun gut, uns ständig b e i d e Gef a h r e n vor Augen zu halten. W e r bei L u t h e r zu Stelzen kommt, d e r flüchte, trotz aller Amtsverpflichtung, zu Goethe, dem Menschen und w e r d e einmal n u r Mensch: „Laßt mich n u r in meinem Sattel gelten, Bleibt in E u r e n Hütten, E u r e n Zelten, u n d ich reite f r o h in alle Ferne, Uber meiner Mütze n u r die Sterne" 6 7 . Und w e r vom Menschsein her in der G e f a h r der Säkularisierung steht, der k e h r e bei L u t h e r u n d bei der W a h r h e i t der Bibel ein, „daß Ihr E u r e r Leiber begebet zum O p f e r , das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei" 58 . „ W i r " — sind beides! Und bleiben beides, solange unser Herz schlägt. Die Herrlichkeit des Amtes ist aber nicht n u r tragend, sondern zugleich erschreckend. Die gegenwärtige L i t e r a t u r zum Amtsproblem u n d die k o n k r e t e Situation in der P f a r r e r s c h a f t weisen beide darauf hin, d a ß dieses E r s c h r e c k e n zurzeit das dringlichste, mindestens das eigentlich unausweichliche Problem ist. W e r von der Größe des Amtes nicht tief genug d u r c h t r ä n k t ist, dem fehlt zwar eine wesentliche K r a f t , a b e r im Erschrecken sind wir mitsamt unserem Amt in F r a g e gestellt. D e n n es geht hier nicht um die Schrecken, die an sich im Leben a u f t a u c h e n und uns zu Zeiten wie mit tief gegliederten Heeren umgeben, sondern um das eigentlich priesterliche Erschrecken, um die u n f a ß b a r e Größe des Auftrags und die Unzulänglichkeit nicht nur, sondern UnWürdigkeit, die j e d e r redliche Amtsträger bis in eine mit Vernichtung drohende T i e f e hinein e r f a h r e n muß. 57
Goethe, West-östl. Divan, im Anhang „Freisinn". 68 Röm. 12. 1.
Die Schrecken durchtraten, nicht nivellieren!
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Dieses G e f ü h l der UnWürdigkeit ist deshalb so wichtig, weil es nicht n u r , wie das durchschnittliche Schuldbewufitsein, zwar schmerzhaft, aber zugleich heilsam ist, sondern es hat Anteil an j e n e r Tiefe, die die Schuld des Menschen vor Gott gewinnt, die L u t h e r zu dem glühenden Bekenntnis bringt: „Mitten in der Höllen Angst unsre Sünd uns treiben, wo solln w i r denn fliehen hin, da wir mögen bleiben." Ja, es hat nicht n u r d a r a n Anteil, sondern es ist ü b e r dieses hinaus verschärft durch das Beauftragtsein mit dem Amt. Und mit der Unwürdigkeit w i r d n u n auch die Unzulänglichkeit tiefer, zerstörender als in j e d e m anderen Beruf, zu einer bedrohenden Macht: wie k a n n man zurückbleiben hinter der F o r d e r u n g in einein Amt, das immer vor dem heiligen Gott stellt, in dem es immer um das ewige Heil der dem T r ä g e r a n v e r t r a u t e n Menschen geht? Diese Not des Amtes, um die wohl niemand sonst wirklich weiß, wiegt mehr als alle andere Last. Das gefährlichste Bemühen, i h r e r H e r r zu werden, ist der Versuch, sie zu n i v e l l i e r e n . Er ist um so dämonischer, als das ganz u n v e r m e r k t geschehen kann. Wer hier aber nivelliert, bricht seinem Amt den dunklen Edelstein aus der Krone, er b e r a u b t sich der schmerzgeborenen K r a f t zur Frucht. L u t h e r w u r d e Reformator, weil er es wagte, ü b e r der Schuld zu verzweifeln. D e r Schrecken vor der Heiligkeit Gottes muß im realsten Sinne „ d u r c h " g e t r a g e n werden. Seine heilsame Macht liegt darin, daß er uns zum Nacherleben der L u t h e r e r f a h r u n g zwingt: daß wir radikal nichts sind, u n d uns ganz auf die Gnade Gottes verlassen. Hier mehr als irgend sonst kommt es freilich darauf an, daß w i r nicht in den narkotisierenden Bann einer Theologie geraten, die n u r uns hat, sondern in todbereiter T r e u e die inneren Schmerzen ausstehen und durchstehen, die zur Klarheit f ü h r e n . „Dir uns lassen ganz lind g a r " — das will nicht n u r gehört u n d gedacht, sondern gelernt, geübt u n d e r f a h r e n sein. Wenn aber auch dies Erschrecken in irgendeiner Weise uns begleitet u n d j e und dann wieder erwachen k a n n , so gilt doch ihm gegenüber das Recht der „ g e t r o s t e n Verzweiflung", das Recht der fröhlichen Gewißheit im Glauben. Vielleicht ist manchem hilfreich eine Wendung, mit der einer meiner F r e u n d e einmal drastisch, aber k l ä r e n d sagte: man soll das, was ü b e r w u n d e n sein darf, wirklich begraben, aber nicht als Leiche in der guten Stube stehen lassen. Es ist die t r i u m p h i e r e n d e F r e u d e des Glaubens, daß er das Glauben riskieren darf g e g e n sein eigenes Empfinden; weil „so uns unser H e r z v e r d a m met, Gott größer ist, als unser Herz" 6 9 , u n d weil der Sohn nun w i r k l i c h „dazu erschienen ist, daß er die W e r k e des Teufels zerstöre" 6 0 . Wenn r e c h t g e l e i t e t e s S c h u l d g e f ü h l uns schmerzt u n d d u r c h Buße und Gnade gesund macht, dann ist das Gottes W e r k . W e n n eber S c h u l d g e f ü h l w i e e i n e K r a n k h e i t z u m T o d e bei uns bleibt u n d die Freudigkeit lähmt, dann ist das das W e r k des Teufels. Luthers Rezept heißt: „Aus, Teufel, ich muß jetzt meinem H e r r n Christus singen u n d spielen." Wie Glaube a l l e Anfechtung überwindet u n d β» l.Joh.3. 20. e° l.Joh.3. 8. 8*
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
immer wieder neu und f r e u d i g auf Gott traut, ohne Voraussetzung und o h n e B o d e n u n t e r d e n F ü ß e n , das k a n n man bei niemand so frisch, so tief, so bezwingend und so mitreißend lernen wie bei Luther. W i r hätten wohl Anlaß, uns in dieser apokalyptisch gezeichneten Zeit in solchem Glauben zu üben. Neben der Herrlichkeit und dem Schrecken des Amtes steht seine besondere V e r s u c h u n g . Es ist die Versuchung n a c h o b e n h i n , der „geistliche Hochmut". Und es ist die Versuchung n a c h u n t e n h i n , das Bedürfnis nach Ausgleich f ü r die erforderliche geistliche Haltung, die Versuchung zur „Weltlichkeit". D e r g e i s t l i c h e H o c h m u t hat ein leichtes Angriffsfeld, denn es ist nicht schwer, vom Fach aus tiefer in dem Wissen u n d auch in dem Leben der christlichen W a h r h e i t e n zu sein, als die Gemeindeglieder. Aber j e d e r H o c h m u t m a c h t s t e r i l . Dabei sieht er harmlos aus und wird noch dazu von den Verehrern, die nicht ahnen, in welche tödliche G e f a h r sie den P f a r r e r bringen, meist nicht kritisch aufgenommen, sondern als begründetes Selbstbewußtsein empfunden, so daß die Hochachtung sich steigert. Die G e f a h r ist f ü r uns alle da, denn hier ist ein Quentchen schon Gift, u n d man sollte sich dazu erziehen, Kritik, auch schmerzende, vor allem aber verletzende — denn dies Verletztsein beweist schon die Existenz des Hochmuts —, sehr gründlich in sich eingehen zu lassen. D e r Amtsträger steht in dieser G e f a h r innerhalb seines, vielleicht sogar kleinen Kreises auch dann, wenn das Amt im öffentlichen Leben verachtet, j a verfolgt wird. Man k a n n e r n s t h a f t die Schmach Christi leiden und doch zugleich im geistlichen Hochmut gefangen sein; Auch darf nicht übersehen werden, daß geflissentliche und, auch in subtilster Feinheit, zur Schau getragene D e m u t n u r ein tarnendes G e w a n d heimlichen Hochmuts ist. A b e r nun erscheint zwischen dieser Scylla u n d Charybdis, wo m a n im angstgetränkten Ernst meint, keinen Ausweg zu finden, als Hilfe nicht eine hochgespannte geistliche Besonderheit, sondern zunächst ganz einfach das schlichte Heilmittel der charakterlichen Hausapotheke: der n a t ü r l i c h e F r e i m u t . All' die bedrohenden Gespenster des heimlichen Hochmuts und der falschen D e m u t können entmächtigt in sich zusammensinken, wenn man zunächst ganz einfach „bei Kopf und Kragen den Mut hat, das bin ich, zu sagen". Das heißt, wenn man zu sein wagt, auch als Amtsträger, der man ist und m e h r als einem Gott gegeben hat, nicht sein will. Die geradlinige Vertiefung dieser Linie ist der f r e u d i g e G l a u b e n s g e h o r s a m , der Erfolg und Mißerfolg, Bewunder u n g und Bekrittelung, in energischen D u r c h a r b e i t e n dieser Erlebnisse aller vor Gottes Angesicht, in i h r e r geringfügigen Kleinheit erkennt, so daß ilun Gott allein groß ist. „Daß uns w e r d e klein das Kleine und das Große groß erscheine." Soweit ich vor Gott und f ü r Gott lebe, bin ich von dem allen, ja i η dem allen frei, in echtem Selbstbewußtsein und in echter Demut. Ich kann im rechten Augenblick mein Amt und seine Würde, ja auch meine persönliche Geltung w a h r e n und quch einmal in n a t ü r -
Natürlicher Freimut und freudiger Glaubensgehorsam
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liebem F r e i m u t d a f ü r a u f t r e t e n , u n d ich k a n n ebenso in n a t ü r l i c h e m Freimixt z u r ü c k t r e t e n u n d K r i t i k a n n e h m e n u n d m e i n e G r e n z e n u n d F e h l e r eingestehen. D i e g e f ä h r l i c h e Schwester des H o c h m u t s ist die M e n s c h e n v e r a c h t u n g . Sie ist eine, m a n c h e m dämonische, V e r s u c h u n g in einer Zeit, in d e r so viele so schlecht g e w o r d e n sind. In i h r a b e r r e i ß t das Wissen u m K o l l e k t i v s c h u l d ab. U n d das A m t h a t i m m e r d e n A u f t r a g , S c h l a g w o r t e n , mit d e n e n m a n c h e s R e c h t e gesagt, a b e r a u c h viel Mißb f a u c h g e t r i e b e n w i r d , i h r e n tiefsten G e h a l t vor dem Angesichte G o t t e s zu geben. D e r K e r n a l l e r K o l l e k t i v s c h u l d heißt „ w i r sind allzumal S ü n d e r " . W e n n w i r das u n e r b i t t l i c h e r n s t n e h m e n u n d d a z u u n s e r e n N ä c h s t e n lieben — sehr realistisch nicht m e h r als das, a b e r ebenso vital! — w i e uns selbst, w o sollte d a noch M e n s c h e n v e r a c h t u n g gedeihen k ö n n e n ? W e n n sie in A u g e n b l i c k e n des A n g e w i d e r t s e i n s e i n m a l a u f w a l l t , so d ü r f t e n w i r als A m t s t r ä g e r uns doch w o h l darauf besinnen k ö n n e n , d a ß w i r a u c h d e s i r r e n d e n B r u d e r s H ü t e r s e i n sollen. W i r n e h m e n d e n bösen W i l l e n ernst. A b e r sollten w i r nicht a u c h die tödliche Isolierung e r n s t n e h m e n , in die d e r S c h l e c h t g e w o r d e n e sich selbst t u t u n d in die i h n meist a u c h die G u t e n v e r b a n n e n ? Man darf h i e r o h n e j e d e Sentimentalität vom Schrei d e r e i n s a m e n Seele n a c h E r l ö s u n g r e d e n . U n d d e r A m t s t r ä g e r sollte i h n h ö r e n , w e n n i h n n i e m a n d sonst h ö r t . D e r geistliche H o c h m u t als V e r s u c h u n g n a c h oben h i n ist d a d u r c h bestimmt, d a ß m a n sich gegen die irdisch-menschliche W i r k l i c h k e i t abschließt, statt sie a n z u n e h m e n u n d zu v e r a r b e i t e n , so d a ß sie, in i h r e m G u t e n b e j a h t , in i h r e m Bösen ü b e r w u n d e n , f r u c h t b a r w e r d e n k a n n . D e r selbe F e h l e r , d a ß w i r die W i r k l i c h k e i t u m u n s h e r nicht a n n e h m e n , k a n n a u c h n a c h u n t e n h i n b e g a n g e n w e r d e n , i n d e m w i r die W e l t k r i t i k l o s b e j a h e n , u n s i h r a u s l i e f e r n , i h r v e r f a l l e n . H i e r geht es u m d e n ganzen Bereich d e r D ä m o n i e e n , d e r eigenen u n d d e r d ä m o n i s c h e n G e w a l t e n , die u n s in d e r W e l t b e g e g n e n . J e d e d e r b e i d e n G r u p p e n ist an sich g e f a h r lich genug, u n d doch r u f e n sie e i n a n d e r u n d a r b e i t e n sich in die H ä n d e . D e r „ w e l t l i c h e P f a r r e r " ist eine nicht imposante, a b e r f a d e u n d v e r h ä l t n i s m ä ß i g u n b e d e u t e n d e E r s c h e i n u n g dieser Möglichkeiten, u n d m i t d e r A t m o s p h ä r e f l a c h e r Öde eines gespielten Daseins scheint e r auch, wenigstens zurzeit, k e i n e G e f a h r zu b e d e u t e n . I m m e r h i n ist in u n s allen a u c h die V e r g a n g e n h e i t als F ü l l e d e r Möglichkeiten w e i t e r lebendig, u n d w i e w i r e t w a auf a b g e h o l z t e m W a l d g e l ä n d e , das z u Sumpf sich w a n d e l t , e r s t a u n t u n d a b s c h r e c k e n d die S u m p f v e g e t a t i o n g e d e i h e n sehen, so b r a u c h t a u c h ein T y p i r g e n d w e l c h e r A r t n u r seinen Boden. W i r beoba c h t e n m i t E r s t a u n e n u n d Sorge, d a ß die alten, a u c h b e d e u t u n g s l o s e n F o r m e n eines l e i c h t e r e n L e b e n s sich alsbald zu r e g e n b e g i n n e n , w e n n die V o r a u s s e t z u n g e n des Daseins sich e i n i g e r m a ß e n . bessern. So ist es schon richtiger, w i r h a l t e n die G e f a h r des w e l t l i c h e n P f a r r e r s nicht f ü r ü b e r w u n d e n , s o n d e r n n u r f ü r zeitweilig g e b a n n t . D i e g r u n d s ä t z l i c h e Möglichkeit soll u n s w a c h h a l t e n , d a ß w i r die „ W e l t " a l s G e s t a l t des F l a c h e n u n d Nichtigen in einer d u r c h i h r e n E r n s t d a f ü r günstigen Zeit möglichst g r ü n d l i c h ü b e r w i n d e n .
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
Aber die W e l t a l s G e s t a l t d e s B ö s e n ist die um so furchtb a r e r e G e f a h r : diese Welt um uns und — diese Welt in uns! Die Tiefenpsychologie ist in Theologenkreisen immer wieder in dem Verdacht, daß sie den Gegensatz von Gut und Böse nivelliere. Auch in der Beurteilung der ersten Auflage dieses Buches ist das nicht n u r bei Doerne, sondern auch in einer Reihe von Referaten auf P f a r r k o n v e n t e n , die mir zugänglich w u r d e n , wie sonst in der Diskussion nach Vortragen zum A u s d r u c k gekommen. D a ß diese G e f a h r a k u t werden k a n n , w a r auch damals schon deutlich genug gesagt. Immerhin tut uns die Tiefenpsychologie auch den Dienst, daß sie unausweichlich aufzeigt, in welchem Maße w i r u n s e r e r U m w e l t v e r f l o c h t e n sind, so daß sie hier zum Bundesgenossen der Theologie wird. In gefährdeten Zeiten ist auch der Amtst r ä g e r m e h r gefährdet als sonst. Nicht nur, weil die Situationen, etwa solche, die ein Bekennen mit persönlicher G e f ä h r d u n g fordern, in höherem Maße eintreten, sondern auch weil die dämonischen Mächte f ü r ihn ebenso losgebunden sind, wie f ü r j e d e n anderen Menschen. Die Richtung ist k l a r : daß w i r „verständig werden, was da sei des H e r r n Wille" 6 1 , und die K r a f t ist gewiesen: „Widerstehet dem Teufel, so fliehet er von Euch, Nahet Euch zu Gott, so nahet er sich zu Euch" 0 2 . Aber die A u f g a b e d e r D u r c h f ü h r u n g ist mit allen Verwicklungen, Nöten und Schrecken der Tiefen des Menschenherzens und der W i r r e n einer Katastrophenzeit belastet. Die Kämpfe und Nöte der Gemeinde und der Welt sollen im Amtszimmer des P f a r r e r s u n d an seinem Altar stellvertretend d u r c h g e r u n g e n werden. Dazu gehört, daß der Amtsträger den Schrecken der Dämonen standhalten lernt. So k a n n etwa die intensive Vertiefung in die Apokalyse ihn h i n a u s f ü h r e n — obwohl u n d indem sie freilich eine s t a r k e Zumutung ist! — ü b e r d i e r a t l o s e R e s i g n a t i o n , der w i r in den Gemeinden überall angesichts der Entfesselung des Bösen begegnen, denn sie rollt das Bild der bösen Gewalten und ihres zerstörenden W i r k e n s radikal rücksichtslos auf. Aber sie f ü h r t die Erkenntnis des Weltgeschehens ü b e r den Sturz dieser Gewalten hina u s zur zukünftigen A n b e t u n g Gottes im Äon des „neuen Himmels u n d d e r neuen Erde", wo der Tod und Leid und Geschrei und Schmerz nicht m e h r sein werden 6 3 ). Dieses Weltbild der Apokalypse entspricht in den großen Linien dem des Neuen Testaments ü b e r h a u p t . Es geht f ü r uns selbst und f ü r die Christenheit darum, daß das „ W e l t b i l d der B i b e l " (Heim) unser übliches humanistisch-materialistisches Weltbild überwinde. U n d daß die k o s m i s c h e n A u s m a ß e der neutestamentlichen Anthropologie, Kosmologie, Christologie und Theologie (im engeren Sinne) wieder im k o n k r e t e n Leben w i r k s a m werden. Aber im Amtsträger — und im P f a r r h a u s — soll auch K r a f t s e i n , d i e D ä m o n e n des Leides und die Dämonen der Sünde z u ü b e r w i n d e n , xind die Wege dazu sollen gefunden und gewiesen w e r d e n »i Ephes.5.17. «2 Jak. 4. 7. es Apoc. 21.1.4.
Mitkämpfer und Vorkämpfer ringender Seelen
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können. Der Pfarrer soll nicht versagen, wo man k o n k r e t e B e r a t u n g von ihm erwartet, er soll nicht ausfallen als Helfer, wo eine schwache Seele getragen, aufgerichtet, zur Selbständigkeit geführt werden möchte. Mit all' solchen Anforderungen aber rücken die dämonischen Gewalten zugleich dem Pfarrer selbst entgegen. Er mufl sie für sich und für andere annehmen und überwinden können, er soll M i t k ä m p f e r u n d V o r k ä m p f e r , in d e r L ä u t e r u n g u n d S t ä r k u n g d e r S e e l e n sein. Damit aber wird die gesamte Theologie des Amtes am entscheidenden Punkte a u s d e m B e r e i c h d e s E r k e n n e n s i n d e n d e s G e s c h e h e n s überführt. Und hier liegt das Problem des Amtes und der Kirche überhaupt. An der offenbaren Stärke des Protestantismus, der subtilen Erarbeitung eines klaren theologisch-kirchlichen Denkens, ist seine geheime Schwäche erwachsen und haftet ihm bis heute an: die oft fast unbewußte seelische Einstellung, als ob mit dem richtigen Denken schon das Entscheidende gewonnen sei. Die jahrelange Erfahrung umfassender Seelsorge in den Zeiten unerhörter Anforderungen und Geschehnisse hat aber an tausend Stellen eindeutig erwiesen, dafi gerade der heutige Mensch, auch der heutige meist so ratlose Christ, nach nichts dringender verlangt, als nach k o n k r e t e r S e e l s o r g e , die ihm Wege weist, welche er gehen kann und die ihn i n d e n M a c h t b e r e i c h d e r g ö t t l i c h e n G e w a l t e n h i n e i n l e i t e t und aus dem Bereich der dämonischen Gewalten befreit. So sehr wir wissen, daß wir über Gott und seinen Geist nicht verfügen können, so deutlich sollen wir doch auch erkennen, daß G l a u b e e i n W e g ist, der g e g a n g e n werden muß. Bei rechter Amtsführung erfahren wir freilich erschütternd und so tief, daß jede Theologie sich uns lebensmäßig als „nur Ausdruck" einer „Wirklichkeit" erweist, daß, wenn so etwas gelingt, nicht wir es „getan" haben. Das wird schon klar an den Fällen, wo es nicht gelingt. Aber Paulus verkündet nicht nur: „Ihr s e i d versöhnt mit Gott", sondern : „ L a s s e t E u c h versöhnen mit Gott." Wer das aber tut (oder empfängt), beschreitet einen Weg, auf den ein Schritt in dem neuen Sein dem anderen folgt, und diese Schritte muß ei eben „tun" 6 4 . In großen Aufgaben helfen nur einfache, große Mittel. Der Amtsträger hat für die manchmal mit Katastrophengewalt über ihn hereinbrechenden Nöte des amtlichen und des persönlichen Leben die filigranartig vielfältig ausgebaute und zugleich einfach große F ü l l e d e r b i b l i s c h e n W o r t e , d e r L i e d e r usw. als Hilfe, dazu das Gebet 6 4 Die theologische Lage des vielumstrittenen Problems ist deshalb so schwierig, weil jede Seite vorgängige Voraussetzungen hat, die in der Diskussion meist nicht mit aufgeführt und gewertet werden. Eine genaue Analyse des Tatbestandes, für die hier nicht der Raum ist, würde u. E. unsere These eindeutig erhärten. Im übrigen sind beide Seiten sich näher, als es in der Diskussion manchmal scheinen will. Auch der radikalste Theoretiker des Nichts-tun-könnens geht tatsächlich den Weg des Glaubens. Auch Luther gehört mit einer Fülle von Äußerungen zu unseren Kronzeugen.
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
u n d den ganzen Kultus der Kirche, dazu die G l a u b e n s e r f a h r u n g seines Lebens Alles E i n t a u c h e n i n d i e s e W e l t ist ein A u f w a c h e n n e u e r Kräfte, ist Trost u n d Verheißung. D e r Einzelne w i r d j e nach seiner E r f ä h r u n g , Anlage u n d — m a n darf so sagen und handeln — Vorliebe die Edelsteine aus der reichen Sammlung wählen, die i h m besonders leuchten. Eine w i r k s a m e p r a k t i s c h e H i l f e ist zweierlei: man h a b e einige w e n i g e W o r t e i n n e r l i c h u n d ä u ß e r l i c h bereit, die sich als helfend erwiesen haben und ζ u u η s sprechen. Sie können in Stunden der G e f a h r die T r a g k r a f t sein, die vor dem Versinken bew a h r t . Und man h a b e einige wenige W e n d u n g e n bereit, des Gebetes oder eigner P r ä g u n g , die a u s u n s sprechen, als Notsignal, das Gott ruft, als A u s d r u c k unseres Glaubens, mit dem w i r uns auf seine K r a f t besinnen, auch solche, die A u s d r u c k unseres Wesens uns geworden sind u n d mit denen w i r uns auf uns selbst besinnen. Was nachher ü b e r Meditation zu sagen sein wird, k a n n solche Hilfen so in uns festigen, daß sie uns z w a r Not und Ringen nicht abnehmen, aber doch, soweit man das als Mensch sagen darf, d u r c h sie h i n d u r c h f ü h r e n . Sagt m a n es im Glauben, so kommt die w u n d e r b a r e K r a f t der „gewissen Zuversicht" dazu, die t r a u t , wo sie nicht sieht. D e r Glaube an C h r i s t u s . . . „hebt hoch hinaus ü b e r alles, er r e i ß t los von a l l e n W a h r n e h m u n g e n der inneren u n d äußeren Welt u n d drängt hin zu dem, was man w e d e r in sich noch außer sich w a h r n i m m t , das heifit zu dem unsichtbaren, allerhöchsten und unbegreiflichen Gott" 6 6 . So hat die ganze T h e o l o g i e d e s A m t e s d a r i n i h r e B e d e u t u n g , daß sie als grundsätzliche Besinnung in die Tiefen d e r Situation hineinleuchtet u n d dadurch auf die A m t s f ü h r u n g u n d Lebensh a l t u n g uiimittelbar einwirkt. Die zu erarbeitende Theologie, die „wir haben", sowie die Herrlichkeit, die Schrecken und die Versuchungen des Amtes, sie stehen alle u n t e r dem einheitlichen Gesichtspunkt, daß d a s A m t i n s o l c h e r t h e o l o g i s c h e n B e s i n n u n g auf seinen Gehalt uns z u m S c h i c k s a l wird. Zugleich aber, da wir dazu mit beit r a g e n oder es hindern, w i r d uns an der Theologie des Amtes deutlich, daß es uns zum Schicksal w e r d e n soll und w i r es also entsprechend intensiv leben sollen. Es ist unsere Aufgabe, den Möglichkeiten im G u t e n u n d im Schlimmen nicht auszuweichen. W i r m ü s s e n das L e b e n a u s m e s s e n mit seinen Höhen und Tiefen. Man b r a u c h t dazu nicht alles zu erleben in concreto, aber m a n muß bereit sein, alles durchzuleben in seelischer Verarbeitung. D a s bedeutet, daß w i r uns k l a r werden, wozu w i r j a u n d wozu w i r nein sagen, und daß w i r unsere Lebenslinie, wie sie uns von Gott vorgezeichnet ist, ganz und wirklich b e j a h e n . D e r Amtsträger soll s e i n Leben leben in Gehorsam des Gewissens u n d in Freiheit der Seele. es Luther zu Ebr. 3. 7. Sperrungen von uns. Nach Martin Luther, Vorlesung über den Hebräerbrief 1. 517/18, übertragen von Georg Heibig. Leipzig· 1930. S. 46/47.
Geistlich« und menschliche Vollmacht. Richtigkeit und Echtheit
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Je m e h r e r w i r k l i c h „lebt", u m so t i e f e r u n d b e f r u c h t e n d e r w i r k t sein A m t (und sein Leben) auf seine P r e d i g t ein. D e n n so l e r n e n w i r das L e b e n in seinen H ö h e n u n d in seinen T i e f e n ermessen. U n d z u r seelsorgerlichen P r e d i g t g e h ö r t nicht n u r , dafi w i r d e m H ö r e r die W i r k l i c h k e i t G o t t e s v e r k ü n d i g e n , s o n d e r n auch, dafi w i r sie ihm i n s e i n L e b e n h i n e i n v e r k ü n d i g e n . Zum e r s t e n g e h ö r t eine g e i s t l i c h e V o l l m a c h t , z u m zweiten eine m e n s c h l i c h e V o l l m a c h t . Erst in d e r organischen V e r b i n d u n g b e i d e r m i t e i n a n d e r ist die homiletische Vollmacht gegeben. D e n n die ganze F ü l l e u n d L e b e n d i g k e i t d e r P r e d i g t entsteht erst a u s dieser V e r b i n d u n g v o n b e i d e n . W e r die O f f e n b a r u n g k e n n t , a b e r das L e b e n nicht, d e r h a t in seiner P r e d i g t vielleicht die geistliche F ü l l e . A b e r es f e h l t ihm die menschliche L e b e n d i g k e i t . W e r das L e b e n k e n n t , a b e r die O f f e n b a r u n g nicht, d e r h a t vielleicht die menschliche L e b e n d i g k e i t , a b e r es f e h l t ihm die geistliche F ü l l e . Dafi solche R e d e k e i n e P r e d i g t w ä r e , leuchtet allgemein ein. W i r müssen u n s a b e r d i e E r k e n n t n i s zu eigen m a c h e n , dafi a u c h j e n e s E r s t e k e i n e P r e d i g t i m Vollsinn ist. K a n n im zweiten F a l l e die W a h r h e i t d e r O f f e n b a r u n g nicht e r k a n n t w e r d e n , so k a n n sie im e r s t e n nicht a n g e n o m m e n w e r d e n , weil sie beziehungslos ü b e r d e m L e b e n schwebt, statt erlösend ü b e r i h m zu stehen u n d in es h i n e i n z u g r e i f e n . D a ß Gott a u c h d u r c h eine unvollkomm e n e P r e d i g t W u n d e r w i r k e n k a n n , i s t u n b e s t r i t t e n . A b e r in einer H o m i letik geht es nicht d a r u m , dafi w i r diese T a t s a c h e e r n e u t feststellen u n d uns mit d e r A l l m a c h t Gottes ü b e r u n s e r e U n z u l ä n g l i c h k e i t b e r u h i g e n , s o n d e r n d a r u m , dafi w i r p r e d i g e n l e r n e n . U n d dazu' mufi das g r u n d s ä t z liche G e w i c h t h e r a u s g e s t e l l t w e r d e n , das d e r F o r d e r u n g d e r menschlichen Vollmacht z u k o m m t . W a s w i r in d e r P r e d i g t sagen, steht also nicht n u r u n t e r d e r F o r d e r u n g , d a ß es richtig sein, d. h. d e r G l a u b e n s e r k e n n t n i s d e r K i r c h e e n t s p r e c h e n mufi. D e n n es k ö n n t e an sich r i c h t i g sein, a b e r k e i n e Verbindung mit unserem Leben und unserer Erkenntnis haben. Neben der o b j e k t i v e n Richtigkeit w ü r d e d a n n die s u b j e k t i v e E c h t h e i t fehlen. A b e r erst wenn R i c h t i g k e i t u n d E c h t h e i t m i t e i n a n d e r verb u n d e n sind zu einer organischen Einheit, k o m m e n w i r z u r eigentlich so zu n e n n e n d e n „ V e r k ü n d i g u n g " . U n d erst so k a n n das, w a s w i r v e r k ü n d i g e n , von den H ö r e r n als „ W a h r h e i t " e m p f u n d e n w e r d e n . D a s Richtige k a n n m a n l e r n e n , die W a h r h e i t mufi m a n „ e r k e n n e n " . R i c h t i g k e i t v e r h ä l t sich z u r W a h r h e i t w i e das Wissen d e r Schule z u r Weisheit des Lebens. W e n n die W i r k l i c h k e i t Gottes e i n t r i t t in u n s e r Leben, w i r d sie u n s z u r W a h r h e i t . D a r u m k a n n m a n „aus d e r W a h r h e i t sein" 6 6 . D e r T r ä g e r des A m t e s soll a u s d e r W a h r h e i t s e i n u n d die i h m A n v e r t r a u t e n i n d i e W a h r h e i t f ü h r e n . D a z u mufi sein A m t i h m zum Schicksal w e r d e n . ββ Joh. 18. 37.
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt 3. T h e o l o g i e
und Bekenntnis des Predigers
als
Schicksal
Theologie ist die grundsätzliche Besinnung auf den Wahrheitsgehalt des Glaubens und seine geordnete Darbietung. Sie ergründet ihn, gibt ihm Gestalt, sie weist die Wege seiner wirksamen Yermittelung. Mit alledem ist sie eine Vertiefung und im rechten Falle Stärkung und Festigung des gelebten Glaubens. Die eigentliche und echte Theologie ist ursprünglich. Sie entsteht bei dem, der Anlage und Auftrag zum grundsätzlichen Denken und Forschen bat, als der trotz wissenschaftlicher Gestalt u n m i t t e l b a r e Ausdruck seiner Erfahrung und der in und mit ihr gewonnenen Erkenntnis. Alle g r o ß e T h e o l o g i e i s t m i t P r o p h e t i e v e r w a n d t und die Glut des Erlebnisses ist in der gegossenen Gestalt noch deutlich zu erspüren. Sie ist Theologie a u s Erkenntnis. Sobald sie nun da ist, wird sie gelesen und wird also für andere zu einer Theologie, aus der ihnen Erkenntnis erwachsen soll. Die Theologie a u s Erkenntnis ist nach der anderen Seite hin Theologie z u r Erkenntnis. Da aber unter den sie Studierenden solche sind, die ihrerseits selbst zu grundsätzlicher Gestaltung ihrer Erkenntnisse getrieben werden, so arbeiten sie Wissenschaft aus der Wissenschaft. Da ist dann das Maß des echten Getriebenseins sehr verschieden und ebenso ist das Ergebnis in sehr verschiedenem Grade unmittelbarer und dynamisch wirksamer Ausdruck lebendiger Erfahrung und Erkenntnis. So entsteht eine Theologie zweiten Grades, von der unmittelbaren Gestalt der lebendigen Erkenntnis einer Zeit bis zum verstaubten wissenschaftlichen Warenlager. Der T h e o l o g e d e r G e g e n w a r t hat in der Literatur des letzten Menschenalters hochwertiges Material in Fülle zur Verfügung. Sie ist mit der Literatur anderer Wissenschaftsfelder im Neuansatz zu einem vertieften Weltbild und zu dynamischem Erfassen der Wirklichkeit auf verwandtem Wege, und es ist gut, wenn der Theologe um diese Arbeitsverbindung weiß. Ist sie auch nicht überall in wünschenswerter Gründlichkeit und Breite vorhanden, so ist sie im grundsätzlichen Geschehen doch da, und soll genutzt werden. Dem Theologen kann dies Wissen um die G e s a m t w i s s e n s c h a f t vor allem in der Hinsicht eine Hilfe sein, daß sie die zu befürchtende theologische Einseitigkeit auszugleichen vermag. Vergleicht man sich mit dem Laien, so stellt man fest, daß die eigene religiöse Haltung die eigene Glaubenserkenntnis, hinter dem Vorhandenen weit zurückgeblieben wäre, wenn man einen anderen Beruf ergriffen hätte. Was wir in uns tragen und verkünden, ist also nicht nur Ausdruck unseres persönlichen Glaubens, sondern es hat einen starken W a c h s t u m s z u s c h u ß v o n d e r T h e o l o g i e h e r bekommen. Dadurch entsteht in uns ein Verdacht gegen unsere eigene Theologie. Ist sie echt oder ist sie nur angelernt? Wir müssen diese Frage gründlichst durcharbeiten. Sie kann zu dem Ergebnis führen, daß wir manches von dem abstreichen oder umgestalten müssen, was wir bisher für „unsere" Theologie hielten. Zugleich aber ist es ein lebensgemäßer Vorgang, daß wir an der Erkenntnis
Angelernte und selbständige Theologie
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anderer unsere Erkenntnis gestalten. Alle Arbeit ist Gemeinschaft, und wir e m p f a n g e n a u s d e r G e m e i n s c h a f t . Unser theologisches Denken ist nicht zu verwerfen, weil wir von anderen Gedanken empfangen haben, die wir aus u n s selbst heraus nicht gedacht hätten, sondern es ist umzugestalten, wenn wir mit diesen Gedanken uns selbst untreu geworden sind und sie nicht mehr das ausdrücken, was uns selbst zu echter Erkenntnis geworden ist. Daß uns die Arbeit anderer zu eigener Erkenntnis hilft, ist auch dann legitim, wenn diese dadurch in wesentlich neue Tiefen geführt wird, j a oft können wir auch eine Änderung der Richtung und eine Umgestaltung des Strombetts unserer Gedankenwelt durch andere enlpfangen, indem sie erst die eigentliche Erkenntnis unseres Selbst in uns wecken. Das g e s u n d e V e r h ä l t n i s z u r T h e o l o g i e ist für den rechtschaffenen Theologen dies, daß er in ständiger Fühlung mit ihr bleibt, nicht weil man „im Bilde bleiben muß" oder „auf der Höhe sein will", sondern weil sie ihm eine dauernde Quelle der Vertiefung und Förderung ist. Echte Theologie und gute theologische Arbeit bietet im realen Sinne N a h r u n g d e s G e i s t e s u n d d e r S e e l e . Nicht nur des Geistes: so entstünde aus der Theologie Dogmatismus. Und nicht nur der Seele: so würde aus ihr Mystizismus. Sondern rechte Erkenntnis (Lehre, Dogma) und rechte lebensmäßige Vertiefung (Frömmigkeit) machen i n i n n e r e r E i n h e i t den Theologen und den Pfarrer. Der Theologie gegenüber ist eine zweifache Fehlhaltung möglich: daß man sie i g n o r i e r t und daß man ihr v e r f ä l l t . Im ersten Falle wird sie in den Dienst, den sie tun sollte, nicht gerufen, im zweiten wird sie aus der Dienerin zur Herrin. Es ist nicht umsonst, auf die G e f a h r d e r I g n o r i e r u n g d e r T h e o l o g i e ausdrücklich hinzuweisen. Sie ist größer, als manche meinen, weil der Theologe in die Versuchung kommt, aus den lebendigen Zusammenhängen seiner Amtserfahrungen, des kirchlichen Lebens, des amtsbrüderlichen Austausches, einen Ersatz für saubere theologische Arbeit zu machen, und somit einer amtlich verbrämten Scheintheologie zu verfallen, der die selbständige Gründung auf den Quellen fehlt. Das ist schlimmer als Laientheologie, weil es, im Gegensatz zu dieser, den Anschein echter Theologie hat. Wer so handelt, hat keine Entschuldigung in der Fülle der amtlichen Anforderungen, denn es ist s a c h l i c h n o t w e n d i g , und nicht persönliche Liebhaberei, d a ß d e r P f a r r e r t h e o l o g i s c h a r b e i t e t , und wäre es auch nur ganz wenig. Er verzichtet sonst unverantwortlich auf eine Quelle fruchtbarster Förderung. Der Einwand, daß man von der theologischen Arbeit keine Anregung habe, ist deshalb hinfällig, weil er immer von denen erhoben wird, die noch nicht zu ernsthafter Arbeit vorgedrungen sind oder keine Neigung zu ihr haben. Nur durch theologische Arbeit kann der Pfarrer und Prediger s e l b s t ä n d i g werden gegenüber der Durchschnittsflachheit des religiösen Denkens. Ohne Theologie ist oder wird er mit den Jahren vom Zeugen und Ver-
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künder der Wahrheit Gottes herabgedrückt zum Sprecher der Gemeinde, der das, was er zu den Texten sagt, von dem gemeindlichen Bewußtsein empfängt, statt ständig tiefer in die Wahrheit einzudringen. Ausdrücklich ist zu sagen, dafi die religiöse Vertiefung in die Schrift, die persönliche Frömmigkeit, das eigene Glaubensleben, trotz selbstverständlich grundlegender Bedeutung für den Pfarrer und Prediger n o c h n i c h t die genügend ernsthafte, verantwortungsbewufite und -vertiefende, weiterführende Hilfe zum Amte sind. Theologische Arbeit hilft zum Eindringen und vermittelt Wissen. B e i d e s ist fruchtbar, vertieft die Erkenntnis und weckt die eigenen Gedanken. Das gilt besonders von Exegese tind Systematik. Unsere Predigt wäre gegründeter und überzeugender, wenn alle Prediger das gewaltig plastische Bild biblischer Wirklichkeit sich zu eigen machten, das die Exegese vermittelt. Die Kirche wäre stärker, wenn alle Theologen lebendig und „ergriffen" die theologische Neugeburt der letzten 40 Jahre, die Lutherrenaissance u. a. miterlebt, mitstudiert hätten, wenn sie aus dem Studium die Selbständigkeit gewonnen hätten, aus der Theologie, die die Zeit produziert, ihre eigene herauszuarbeiten. Theologie, ist Q u e l l e i m m e r neuer K r a f t und gehört zu den Aufgaben, für die Zeit und geistig-seelischer Baum ebenso da sein m u fi wie für die Besuche und anderes, weil diese gewinnen an Gehalt und Kraft, wenn der immer eilige Pfarrer sein Refugium in regelmäßiger theologischer Arbeit hat. Oft wird durch diesen einen g e o r d n e t e n R ü c k h a l t alle Arbeit so intensiviert, daß man in den anderen Dingen nicht weniger, sondern mehr schafft als bisher. Neben der Gefahr des Verzichtes auf theologische Arbeit steht die des V e r f a l l e n s a n d i e T h e o l o g i e . Diese G e f a h r kann n i c h t v o n d e r T h e o l o g i e a u s ü b e r w u n d e n w e r d e n , sondern was hier geschieht ist eine Frage des Charakters, und es geht in der Überwindung der Gefahr zugleich um die Gestaltung des Selbst. Man beobachtet nämlich durchgängig, daß Theologen engen Herzens in j e d e r theologischen Auseinandersetzung eng bleiben und auch die andere theologische Schau der Dinge in ihre Enge einbeziehen. Wer also durch Theologie sich erweitern läßt, erfährt diese Erweiterung nicht primär d u r c h die Theologie, sondern a η ihr. Er war noch in einer Enge, die sein weiteres Wesen nicht tragen konnte, und hat nun anläßlich theologischer Studien sich in die ihm entsprechende Weite und Tiefe hineingefunden. Die Theologie eines Predigers ist also neben der Zeitbedingtheit auch s u b j e k t b e d i n g t . Die weitgehende Wirkung dieser zweiten Bedingtheit darf nicht unterwertet werden infolge der Ähnlichkeit gleichzeitiger Theologien und infolge der Einordnung des Theologen etwa in eine theologisch bestimmte kirchliche Gruppe. Eben diese Einordnung vollzieht er auf Grund seiner subjektiven Artung und aus innerer Notwendigkeit, sowohl, wenn seine Überzeugung ihn zu der unmittelbar seinem natürlichen Empfinden entsprechenden Theologie führte, wie wenn sie ihn
Theologie ist Auswahl nach Wahlverwandtschaft
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veranlaßte, die seinem natürlichen Wesen widersprechende Theologie als die eigentliche zu empfinden, so dafi diese nun „seine" Theologie geworden ist. Im ersteren Falle folgt er s e i n e r positiven Seite, im zweiten s e i n e m „Widerspruch zur Welt". Auch wo die Kirche in ehrlicher Überzeugung objekiv als der radikale Gegensatz zur Welt genommen wird, erfüllt der Theologe damit zugleich subjektiv das Bedürfnis s e i n e s Gegensatzes gegen die „Welt". Denn auch wo uns die Wahrheit überwindet und wir nun also dem Absoluten und „der" Wahrheit gegenüberstehen, ist sie — die j a tausendfältig auch vorher da war, ohne uns radikal zu treffen — uns in der u n s s u b j e k t i v e n t s p r e c h e n d e n Weise begegnet. Es bleibt wahr, dafi es „die" Wahrheit ist, der wir begegnet sind, aber es bleibt ebenso wahr, dafi wir die Gestalt der Wahrheit (in diesem Falle die Theologie) psychologisch gesehen uns „ausgesucht" haben, d. h. dafi sie uns nur überwinden konnte, weil sie uns in der unserer Subjektivität entsprechenden Gestalt gegenübertrat. E r a r b e i t u n g einer T h e o l o g i e ist immer A u s w a h l nach W a h l v e r w a n d t s c h a f t . Das subjektive Empfinden, „objektiv" zu sein, ändert daran nichts, da es jeder gewissenhafte Arbeiter hat und die Ergebnisse do'ch verschieden sind. Die Relativität jeder Theologie und die Vielgestaltigkeit des Erfahrens der Wahrheit wird also schon dadurch erwiesen, dafi es stets mehrere Theologien nebeneinander gibt. Die Entscheidung der Wahrheitsfrage liegt nicht in der Korrektheit der' Theologie, sondern sehr viel tiefer und zwingender in der E c h t h e i t d e r B e g e g n u n g . Wäre es nicht so, so gäbe es weder echtes theologisches Gespräch innerhalb der Kirche, noch eine una sancta. Jede echte Theologie entsteht, unter intensiver Zuhilfenahme des j e und gegenwärtig theologisch Erarbeiteten, letztlich an der U r k u n d e d e r O f f e n b a r u n g . Diese aber ist im prägnanten Sinne nicht Theologie, sondern Zeugnis, d. h. nicht Lehrausdruck, der von einer menschlich beschränkten Seite her die Offenbarung zu fassen suchte, sondern allseitiger und ursprünglicher Ausdruck der Erfahrung geoffenbarter Wahrheit und Wirklichkeit. Indem dies urkundliche Zeugnis psychologisch auch Erfahrung wie jede andere, theologisch aber einzigartig ist, ist es S p i t z e n e r f a h r u n g d e r d e r K i r c h e g e g e b e n e n W a h r h e i t , also der reinste Ausdruck der höchsten und reinsten Erfahrung der Gotteswirklichkeit und d a m i t Quelle aller Erfahrung und Erkenntnis der Kirche. Von da aus stuft der grundsätzlich gefafite Ausdruck der Erfahrung sich hinsichtlich seiner Reinheit und seines Gewichtes nach, unten ab in Dogma bzw. Bekenntnisschriften, in Theologie der Kirchen und Gruppen und in Theologie des Einzelnen. Die theologisch verschiedenartige Bewertung dieser einzelnen Stufen ändert nicht den psychologischen Stufengang. Theologie ist nicht im einfachen Sinne Hilfsmittel zur Klärung der Erkenntnis der geistlichen Wirklichkeit, sondern indem jeder, der sich ihrer bedient, durch sie hindurch den Wirklichkeiten begegnen will, ist mit ihrem Gebrauch immer ein R i s i k o d e s g a n -
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z e n S e i n s verbunden. Man darf nicht meinen, daß man als Theologe eo ipso dazu befähigt oder gar bereit sei. Vielmehr kann Theologie, indem sie die geistlichen Realitäten zum Ausdruck bringt, auch als Ersatz für sie genommen werden, so daß man nicht durch sie hindurch zur Wirklichkeit vordringt, sondern die Theologie als Ersatz nimmt und nun diese zur S c h e i n W i r k l i c h k e i t werden läßt. Sobald nämlich die uns gefährdenden letzten Wirklichkeiten und Gewalten von uns in sprachlichen Ausdruck gefaßt sind, können sie als gebändigte Gewalten von uns i n „ B e s i t z " g e n o m m e n werden: was wir im Begriff und im Wort haben, das k ö n n e n wir zwar nun in verstärkter Tiefe mit seiner Mächtigkeit in uns einlassen, und insofern hat alle Wirklichkeit erst wenn sie sprachlich gefaßt ist, ihre letzte befruchtende Gewalt für uns. Aber was wir im Begriff und im Wort haben, das können wir genau so gut entmächtigen, indem wir es mit dem Worte „bannen". So verliert im Märchen Rumpelstilzchen seine Macht, sobald sein Name bekannt wird, so können wir den Teufel „beschwören", seitdem wir durch Christus „ihn kennen". Aber — so können wir auch Christus und seine zur Buße rufenden und segnenden Kräfte entmächtigen, indem wir uns d u r c h den t h e o l o g i s c h e n B e g r i f f vor ihrer u m s t ü r z e n d e n G e w a l t s c h ü t z e n . Wir können uns der geistlichen Wirklichkeit entziehen, indem wir sie in das theologische Gedankengebäude bannen, und dies hat dailn u. U. nicht einmal eine andere Gestalt als die lebendige Theologie. Daß diese Gefahr uns nicht einkerkere, darum müssen wir uns im fortlaufenden Kampf bemühen. Es gilt hier entsprechend von der Theologie, was J u n g vom Dogma sagt: Er weist auf Fälle hin, in denen Patienten durch die Loslösung aus kirchlicher Autorität in Krisen und leidenschaftliche Konflikte, ja in die Angst vor dem Wahnsinn gerieten und in verzweifelte Verwirrung und Depression, so grotesk und furchtbar, „daß ich völlig überzeugt bin von der außerordentlichen Wichtigkeit des Dogmas und Rituals, zum mindesten als Methoden geistiger Hygiene" 6 7 . „Das Dogma ist . . . sehr wirksames Schutzmittel gegen weitere unmittelbare Erfahrungen 8 8 ." Dem steht gegenüber: „Der Protestantismus war und ist noch ein großes Risiko und zu gleicher Zeit eine große Möglichkeit. Wenn er fortfährt, sich als Kirche zu desintegrieren, so hat er den Erfolg, den Menschen all seiner geistigen Sicherungen und Verteidigungsmittel zu entblößen, welche ihn gegen die unmittelbare Erfahrung jener Kräfte sichern, die im Unbewußten auf Befreiung warten 9 9 ." „Der Protestant ist Gott allein anheim gegeben 70 ." „Wenn ein Protestant den vollständigen Verlust seiner Kirche überlebt und doch Protestant bleibt, d. h. ein Mensch, der Gott gegenüber schutzlos ist und nicht mehr geschirmt durch Mauern oder durch Gemeinschaften, so hat er C. G. Jung·, Psychologie und Religion. S. 80/1. es Ebda. S. 85. ββ Ebda. S. 88. 7 ο Ebda. S. 89. 67
Unmittelbare Erfahrung. Eindeutigkeit und Einseitigkeit
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die einzigartige geistige Möglichkeit der unmittelbaren religiösen Erfahrung 7 1 ." Ob J u n g die protestantische Kirche ihrem gereinigten Selbstverständnis entsprechend richtig sieht, oder nicht, ist in unserem Zusammenhang ohne Belang. Er bringt eine grundlegende Erfahrung zum Ausdruck, die der Prediger durchleben mufi, wenn er wirklich „Verkünder" sein will. Er muß e r f a h r e n , wie das ist, wenn man v e r l a s s e n u n d p r e i s g e g e b e n ist. Er mufi die Tiefe durchleben, in der ihm alle kirchliche Stütze und Sicherung, auch die der Lehre, entwunden wird, so daß er als Glied der Kirche dennoch grundallein und verlassen ist. Erst in solcher Stunde wird offenbar, inwieweit man doch noch eine „Nur-Theologie" zur Stütze hatte, und der Weg zur Erfahrung der Wirklichkeit, wirklichen Gerichtes und wirklicher Gnade wird frei. Die Theologie des Predigers steht somit, j e mehr sie echt ist, um so intensiver in einer l e b e n d i g e n E n t w i c k l u n g . Echt gewachsene E n t s c h i e d e n h e i t ist ein Geschenk der Gnade und eine Quelle des Segens. Aber wir dürfen sie nicht allzu selbstverständlich als gegeben setzen, wo überhaupt Entschiedenheit vorliegt. Es gibt ein d e u t i g e und ein s e i t i g e Entschiedenheit. Diese letztere, die voreilig ist, ist unter Umständen nicht eine Macht in der Kirche, sondern eine Waffe des Teufels, die sich gegen den Aufbau echter Kirche auswirkt. Denn der Prediger zwingt sich in ihr aus vermeintlich notwendigem „Fertigsein" heraus, Schritte und Stadien seines Weges zu überspringen, die er damit in Wahrheit nicht bewältigt, sondern deren Verwirklichung er damit zunichte macht. Die gewichtslose eifrige Selbstverständlichkeit, mit der weithin solche Granitblöcke wie Rechtfertigung, Tod Christi, Versöhnung, Auferstehung u. a. in der Verkündigung gehandhabt werden, ist ein erschütterndes Merkmal fehlender „unmittelbarer Erfahrung". Und das führt die Gemeinden umittelbar dazu, daß auch sie ihrerseits diese Wahrheiten nur rationalisiert, d. h. ohne Erfahrung rational, bejahen. Es gibt in der Verkündigung der geistlichen Wirklichkeiten keinen die Erfahrung ersetzenden Rückzug auf die unangefochtene lehrhafte Form dieser Wahrheiten, um gleichsam vorläufig schon über sie predigen zu können. „Die rationalen Prädikate der Gottheit gelten und sind nur an einem Irrationalen 72 ." Das gilt auch von der Aussage über den Gott der Christenheit. D a s I r r a t i o n a l e a b e r i s t d a s n u r d u r c h u n m i t t e l b a r e E r f a h r u n g z u g ä n g l i c h e W i r k l i c h e . Glaube ist nur da, wo Berührung mit der letzten wirklichen Macht vorhanden ist, und zwar eine Berührung, die lebensgestaltend wirkt. Wo das nicht ist, ist die Verkündigung als dürre Lehre nicht gewappnet gegen den erdgewachsenen und mit den Kräften der niederen Daseinsregionen gesättigten Unglauben und erst recht nicht gegen den noch viel tiefer verwurzelten und mit höheren Kräften durchtränkten Glauben anderer Art. F a n a t i s m u s ist kein Ersatz. Im Gegenteil: „Die Stärke eines Fana7
1 Ebda. S. 91.
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Rud. Otto, Das Heilige V. Breslau 1920. S. 2.
Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
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tismus ist proportional dem Empfinden eigener Bedrohtheit" 73 . Auch subjektiv ehrlicher Glaube kann komplex sein, nämlich eine Verklemmung aus Unsicherheit und dem Gefühl der Verpflichtung zur "Verkündigung. Der gesunde Gegensatz zum Fanatismus mit der geheimen Unsicherheit als seiner Quelle ist die innere Gewißheit, aus der die Bereitschaft zum Bekenntnis entspringt. G e w i ß h e i t ist mehr als Sicherheit, sie wurzelt nicht nur in der Übung und ist nicht nur Ausdruck dessen, was man nicht in Frage stellt, sondern zugleich Ausdruck des tiefsten Eigenwesens, des gereinigten Selbst, das die rechte Verbindung zur metaphysischen Wirklichkeit gefunden hat. Wer seines Glaubens gewiß ist, vertritt ihn mit der R u h e u n d W e i t e , die viel tiefer überzeugen als jeder unruhige Eifer, und er steht in der Reife und Fülle, durch die im günstigen Falle schon sein Dasein zu einem „Bekenntnis" wird. Doch wurde von diesem subjektiven Bekennen früher gehandelt, und es geht jetzt um das o b j e k t i v e B e k e n n t n i s d e r K i r c h e und seine Bedeutung. Das Bekenntnis steht zwischen der Urkunde der Offenbarung und der Theologie, unter jener und über dieser. Es ist der gereinigte und die Generationen überdauernde Ausdruck der Glaubenswahrheit und Glaubenserfahrung. Für das Wesen des Bekenntnisses ist es von Bedeutung, daß es sowohl gesamtkirchliche Bekenntnisse gibt, wie auch solche, in denen die bestimmte Glaubenshaltung einer Einzelkirche Gestalt gefunden hat. Darin tritt die Tatsache in Erscheinung, daß auch das Bekenntnis menschliches Werk mit seinen Grenzen ist und zugleich, daß Menschenwerk gültige Gestalten des Glaubensinhaltes schaffen kann, die die Zeiten überdauern. Der K a m p f u m d a s B e k e n n t n i s gehört zu den tiefen und heiligen Anliegen der Kirche und ist doch zugleich ein schmerzlicher Erweis ihrer Menschlichkeit. Hier kommt die innerste Leidenschaft der Hingabe zum Ausdruck und in denselben Erscheinungen ebensoviel Enge, Starrheit, Eigenwille und Unfähigkeit zu der Weite von 1. Kor. 1. 10—13. Daß auch das Ringen um das Bekenntnis mitten im zentralen Ernst der Sache in taktisches Verhalten hineinführt, daß die Bedeutung von Gruppierungen, die Mehrdeutigkeit von Formulierungen, j a daß Zusammensetzung und Stimmung eines beratenden Gremiums mitspielen, das alles gehört zu den demütigenden Tatsachen, die uns daran erinnern, daß wir Kirche „in der Welt" sind und darüber nicht hinauskommen. Die B e d e u t u n g d e s B e k e n n t n i s s e s für den Prediger und für die Predigt kann nicht von den objektiven geltenden Normen her ermessen werden. Denn sie bestimmt sich nicht durch die T a t s a c h e , d a ß der Prediger dem Bekenntnis seiner Kirche verpflichtet ist, sondern durch die A r t , w i e er dieser Verpflichtung nachkommt. Die T a t s a c h e „ d a ß " hat freilich scheinbar auch als solche eine Bedeutung für Prediger und Predigt, ja, man hält sie vielfach sogar für die grundlegende. In Wahrheit aber ist ein Zustand, in dem diese Tat73
Hans March, Vom Helfen. Berlin Furche-Verlag. Ohne Jahreszahl. S. 29.
D a s lebendige Bekenntnis
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sache „daß" eine isolierte, unlebendige, formale und darum bedrückende Rolle spielen kann, bereits das Ergebnis bestimmter Haltung des Predigers bzw. einer Theologenschaft. Wenn die Vertreter der Kirche das Bekenntnis als formale Norm nehmen, so verbindet sich diese Haltung mit der immer bereiten Gemeinde-Orthodoxie zu einem unlebendigen und unfruchtbaren Schematismus und Gesetzestum. Und gerade in diesem Zustand ist dann den meisten die Erkenntnis verborgen, dafi in Wahrheit das Bekenntnis etwas anderes ist. Die illegitime Haltung scheint also mit steigendem Gewicht sich selbst als legitim zu erweisen. Damit verbindet sich oft ein Zustand, der auch an sich vielfach besteht, und dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden darf: daß nämlich die meisten Laien und oft auch viele Theologen vom Bekenntnis gar nicht eine so eingehende Kenntnis haben, daß die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen dadurch gerechtfertigt würden. Es ist ein unwahrer Zustand, wenn um eine Sache mit einer Intensität gerungen wird, die ihrer wirklichen Existenzbedeutung nicht entspricht, wenn diese Existenzbedeutung mehr durch die Struktur der Gemeinschaft (Kirche), als durch die Lebenswichtigkeit der betreffenden Sache für die Glieder der Gemeinschaft bestimmt wird. Wenn man dagegen einwendet, daß eben hierin sich die Brüchigkeit der Situation zeige und dem Bekenntnis eben zu seiner unerläßlichen lebendigen Bedeutung geholfen werden müsse, so enthält dieser Einwand freilich einen Hinweis, auf den richtigen Weg: Das B e k e n n t n i s m u ß l e b e n d i g w e r d e n , der Gemeinschaft lind dem Einzelnen, und vor allem dem Diener der Gemeinschaft. Die Beziehung zum Bekenntnis kann von dreifacher Art sein: das Bekenntnis ist für die einen adäquater A u s d r u c k ihrer eigenen Überzeugung, die anderen werten es vorwiegend als G r e n z e gegenüber anderer Überzeugung, indem sie es jedoch zugleich bejahen; bei den dritten überwiegt die F r a g e , die sie an das Bekenntnis richten müssen. Soll das Bekenntnis lebendig werden, so geschieht das am leichtesten bei denen, die das Bekenntnis der Kirche ohne Mühe als den adäquaten A u s d r u c k ihrer persönlichen inneren Überzeugung ansprechen können. Sie können den geradlinigen Weg gehen, daß sie sich in die Bekenntnisse vertiefen und sie sich immer völliger zu eigen machen. Ihre Gefahr ist die, daß sie die Verbindung mit der Gegenwart und ihrer Fragestellung verlieren. In extremen Fällen denken sie mehr mit den Fragen und in den Gedankengängen etwa des 16. Jahrhunderts, als in denen ihrer Zeit. Sie reproduzieren dann, aber sie pflanzen dann nicht. Der tiefe Gehalt der Bekenntnisse wird durch sie dann nicht so i n der Gegenwart lebendig, daß er f ü r die Gegenwart dem Glauben gestaltgebend und richtungweisend werden könnte. Infolgedessen werden sie weithin mit Hochachtung betrachtet und als die eigentlich kirchlichen Theologen oder Christen angesehen, aber nicht als auf gleichem Wege empfunden. Sie nehmen die Zeit nicht auf, und dadurch wird die Kraft ihrer Erkenntnis isoliert in geringerem oder höherem Grade und im entsprechenden Grade nicht für andere fruchtbar. 9
Haendler, Die Predigt
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
Solche Theologen gibt es immerhin in beträchtlicher Zahl, und bei der angedeuteten Einseitigkeit werden sie Qft auch ein wenig gewaltsam. Diese Tatsache tritt in w i r k s a m e Verbindung mit dem Zustand, der im folgenden Kapitel 7 4 als „Wandlung der Schicksalsfähigkeit" zu verarbeiten sein wird. D u r c h beides miteinander ist in der Öffentlichkeit, sowohl der kirchlichen wie der b r e i t e r e n allgemeinen, die Vorstellung entstanden, daß das Christentum „veraltet" sei. Hier wird an einem bedeutsamen P u n k t sichtbar, wie unmittelbar die s u b j e k t i v e Gestalt des Predigers auf seine Predigt und damit in die Gemeinde und in die Gesamtheit hineinw i r k t . D e n n tatsächlich ist diese Auffassung ebenso tragisch irrtümlich, wie die im 19. J a h r h u n d e r t mit dem A u f k o m m e n seiner naturwissenschaftlichen Theorien v e r k n ü p f t e , daß Wissenschaft und Glaube in grundsätzlicher Spannung zueinander stünden: auch n u r d a d u r c h entständen, daß die großen Forscher d u r c h geschichtliche, nicht d u r c h sachlich notwendige Einflüsse zur Kirche f r e m d oder gegnerisch standen. Hier hat auf auf einem p r o f a n e n Gebiet der „Verkündigung" die s u b j e k t i v e Gestalt d e r Forscher, e r k e n n b a r u n d den Wissenden bekannt, so stark in ihrem Lebenswerk mitgewirkt, daß darin das Gewicht unserer Feststellung f ü r den Prediger e r h ä r t e t wird. Die rechte Bekenntnishaltung müßte das Bekenntnis f ü r die Gegenw a r t , j a aus ihr h e r a u s lebendig machen, vielmehr in seiner gegenwärtigen Lebendigkeit erweisen. Wer aber nun g a n z i m B e k e n n t n i s steht, der k a n n durchaus auch g a n z i n d e r Z e i t stehen. Diese Überzeugung f u ß t auf der umfassenderen, daß das Christentum in seiner Urwirklichkeit überzeitlich ist, also in j e d e r Zeit eine vollgültige „zeitgemäße" Gestalt grundsätzlich gewinnen kann, in der es diese Zeit .aufnimmt und wandelt, durch die es von den Verstehenden als die eigentliche K r a f t d e r G e g e n w a r t und als die eigentlich zukunftgestaltende Macht e r k a n n t w i r d Soweit das jeweilige Bekenntnis dem, der ganz in ihm steht, eine entsprechend volle „Gegenwärtigkeit" nicht gestatten sollte, ist es v e r k ü r z t e r und d a r u m nicht vollgültiger Ausdruck des Glaubens. Grundsätzlich steht jedes Bekenntnis in der doppelten Schau, d a ß es einerseits gültiger A u s d r u c k der Glaubenshaltung einer Kirche ist, andererseits u n t e r dieser, gewissenhaft und besonnen zu erforschenden, F r a g e steht. O h n e diese Einschränkung w ü r d e es auf gleiche Stufe mit d e r U r k u n d e der O f f e n b a r u n g gestellt und also zu einem zweiten Kanon erhoben werden. Das recht und voll verstandene Bekenntnis ist in diesem Sinne w e g w e i s e n d f ü r d a s V e r s t ä n d n i s der O f f e n b a r u n g . Es ordnet aber deren Gehalt nach dem Prinzip der b e t r e f f e n d e n Kirche, u n d dementsprechend mufi es immer zugleich m i t d e r S c h r i f t u n d u n t e r i h r gesehen angenommen werden. Sowohl in dem präzisen, engeren Sinn, daß es eine k n a p p zusammengefaßte D e u t u n g ist, wie auch in dem weiteren, daß j e d e Kirche ihr eigenes Grundprinzip, indem sie aus ihm 74 Cf. Drittes Kapitel II. 3. Die Wandlung der Schicksalsfähigkeit von der Reformation bis zur Gegenwart.
Die überzeitliche Antwort
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lebt, immer zugleich an der U r k u n d e der O f f e n b a r u n g zu messen hat und bereit sein muß, E r w e i t e r u n g und Vertiefung, grundsätzlich auch Korr e k t u r , von dort her anzunehmen. Jeder evangelische Theologe k a n n mit leichter Mühe erproben, wie weit und tief das Prinzip seiner Kirche „sola fide" wird, wenn er seinen Gehalt aus der Schrift schöpft, wie eng u n d trocken prinzipiell, j a anmaßend prinzipiell es w e r d e n kann, wenn es n u r als grundsätzliches Bekenntnis in seinem Vertreter lebendig ist. Nicht n u r die Schrift: Luthers u r g r ü n d i g e Lebendigkeit flutet wie ein Heer von Sturzbächen über, durstendes Land, ü b e r s p r u d e l n d und belebend. — aber wie wenig davon klingt durch unsere Predigten wirklich in die Gemeinden hinein, wie gequält und d ü r r klingt oft die Verkündigung d e r lebendigsten Wirklichkeit, die es auf Erden gibt! Wenn das Bekenntnis uns lebendig ist, so haben wir zunächst die Aufgabe, d a r a n zu arbeiten, daß auch die Zeit uns lebendig sei. Ist das auch der Fall, so stellen w i r die Verbindung zwischen beiden d a d u r c h her, daß w i r die Antworten des Bekenntnisses zurückverfolgen bis zu den F r a g e n i h r e r Z e i t u n d mit diesen die F r a g e n u n s e r e r Z e i t in Beziehung setzen. N u r w e n n w i r die F r a g e n beider Zeiten mit gleicher Klarheit sehen, k a n n aus der A n t w o r t der Bekenntnisse auf die F r a g e n i h r e r Zeit die ü b e r z e i t l i c h e A n t w o r t der Bekenntnisse auf die F ragen unserer Zeit voll u n d in i h r e r ganzen Bedeutung erhoben werden. Nehmen w i r die Bekenntnisse so, so ist die F r u c h t b a r k e i t sowohl der allgemeinverständlichen Formeln der Bekenntnisse, wie der theologischen Arbeit, die in ihnen enthalten ist, sehr groß. Neben den Predigern, die das Bekenntnis als unmittelbaren Ausdruck i h r e r Uberzeugung empfinden, steht als zweite die G r u p p e derer, die es als G r e η ζ e w e r t e n u n d also seine Bedeutung darin sehen, daß es die Glaubenshaltung der eigenen Kirche oder kirchlichen Denomination abgrenzt gegen die a n d e r e r Kirchen oder Denominationen. Sie gehen konform mit der Geschichte der Bekenntnisse, sofern diese j a in Abgrenzung und als Abgrenzung entstanden sind. Freilich hat das nicht gehindert, dafi sie, in sich betrachtet, ganz überwiegend positiv darstellend w i r k e n . Das Bekenntnis als Grenze betrachtet k a n n zur t h e o l o g i s c h e n u n d r e l i g i ö s e n K l a r h e i t f ü h r e n . Das ist auch dann möglich, wenn in dem, wogegen man sich abgrenzt, viel wirklicher W e r t enthalten ist. D e n n w i r wachsen nicht n u r in der A b g r e n z u n g g e g e n d a s N e g a t i v e , sondern auch in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e m P o s i t i v e n . Solange uns das lebendig k l a r bleibt, k a n n die Abgrenzung f r u c h t b a r sein, wenn das versinkt, w i r d sie u n f r u c h t b a r . Man sollte d u r c h die Vertiefung in das Eigene so reich werden, daß m a n nach der u n f r u c h t b a r e n Abgrenzung kein Bedürfnis hat. In der Predigt spricht und w i r k t man so, wie man ist. W e r negativ ist, w i r k t negativ, w e r positiv ist, w i r k t positiv u n d b a u t von selbst mit dem, was in ihm an W e r t e n ist. Aber wir können uns d a r u m bemühen, daß auch alle A b g r e n z u n g i n d e r D a r b i e t u n g p o s i t i v s e i . Am R e f o r m a t i o n s f e s t , das als instruktives Beispiel herangezogen werden kann, kommt es darauf an, daß w i r w e r b e n d u n d überzeugend 9*
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
sagen können, was wir als evangelische Christen glauben und wie durch diesen Glauben unser Leben umgewandelt wird. Soweit w i r sagen wollen oder müssen, was die katholische Kirche nicht hat, sollten w i r u m der Gerechtigkeit und um der W a h r h e i t willen sie so darstellen, dafi auch i h r e positiven K r ä f t e zum A u s d r u c k kommen. Wenn wir das versäumen, schädigen w i r nicht n u r die katholische, sondern auch unsere eigene Sache, denn n u n w e r d e n unsere Gemeindeglieder ratlos, sobald sie frommen Katholiken begegnen und etwa beobachten, dafi diese aus i h r e r katholisch-kirchlichen Frömmigkeit h e r a u s den Katastrophen der Zeit gewachsen sind, vielleicht gar eine tiefere und gläubigere K r a f t darin beweisen, als mancher evangelische Christ. An der erhöhten Aufgabe, trotzdem unseren Glauben so zum A u s d r u c k zu bringen, dafi der H ö r e r versteht, w a r u m wir evangelisch sind und bleiben, k a n n die D a r b i e t u n g und somit unser Verständnis evangelischen Christentums n u r wachsen, und oft wächst es an solch offenem u n d redlichem Vergleich in e r f r e u lichem Maße. Die dritte G r u p p e bilden die, denen das Bekenntnis F r a g e ist. Es können feine und tiefe Menschen sein, die aus Liebe zu der überzeitlichen W a h r h e i t u n d aus dem D r a n g , den Menschen in i h r e r seelischen Not zu helfen, den Beruf des P f a r r e r s ergriffen haben, und nun das Bekenntnis wie einen z u e n g e n R o c k empfinden, in dem sie nicht atmen u n d sich nicht bewegen können. Sie leiden im Herzen u n t e r dieser Bedrängnis und im Gewissen u n t e r einem Zustand, den sie als u n w a h r h a f t i g und unmöglich empfinden — und doch sind es nicht äußere Dinge, die sie hindern, sich von ihrem Amt zu lösen, sondern so wie es sie vom Bekenntnis her forttreibt, so hält es sie von Herz und Seele her fest. Was hier vorgeht, hat niemand verstanden, der mit primitiven oder gar robusten Mitteln einen Ausweg vorschlägt, der irgendwie nach tragb a r e m Kompromifi aussieht. Die gröberen N a t u r e n verstehen im G r u n d e nicht die Not, u n d die feineren, von denen sie durchlitten wird, können sie nicht lösen mit Hilfen, die j e n e n vielleicht eine mögliche Lösung wären. Auch hier ist das erste Erfordernis, daß m a n die S i t u a t i o n so sauber wie möglich a u f n i m m t und also sieht, was eigentlich ist. Das w i r d in der Regel nicht zuerst deshalb versäumt, weil man unbewufit verschleiern u n d der Entscheidung oder K l ä r u n g aus dem Wege gehen wollte, sondern weil ein feines Gewissen in der Tatsache des Konfliktes als solchem leicht schon hängen bleibt. Seine F u r c h t b a r k e i t w i r d immer sofort so b r e n n e n d empfunden, daß m a n über dem A f f e k t nie sachlich w i r d und also aus Gewissensnot nicht zur K l ä r u n g vorstößt. Im A u f nehmen der Situation sind diese Menschen f e r n e r meist geneigt, vor allem das Negative zu sehen: die P u n k t e , in denen sie das Bekenntnis i h r e r Kirche nicht b e j a h e n können, in denen sie meinen, zu dem dort ausgesagten Wahrheitsmoment keine Beziehung zu haben. W e r aber n u r bis dahin vorstößt, ist tatsächlich noch nicht vorangekommen. D e n n er hat n u r die Anlässe des Affektes (der Gewissensnot) konstatiert. Sachliche Feststellung ist das noch nicht, weil diese Anlässe dabei noch nicht
Sperrung· gegen das Bekenntnis
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von dem mit ihnen yerbundenen Affekt gelöst werden. In dieser Lösung kann man fortschreiten, wenn man — u. U. mit der nüchternen Ausdauer einer redlichen „Arbeit" — die Gebiete feststellt, in denen ein.e Beziehung zum Bekenntnis da ist. Noch besser führt es weiter, wenn man überhaupt nicht am „Bekenntnis" festhängt, sondern aus der Bibel etwa das zusammennimmt, was man mit innerer Anteilnahme liest, wozu man „Kontakt" hat. In der Regel ist das mehr, als man denkt, bei ruhiger Besinnung stellt es sich oft als sehr viel mehr heraus. Die Situation ergibt dann meist das Bild, dafi man mit der breiten Grundlage des Christentums freudig übereinstimmt, aber für diejenigen Wahrheiten, die man dann so etwa als „ H o c h d o g m e n " empfindet, nicht eine unbefangene Bejahung finden kann. Das ist vor allem die Christologie, dann die mit ihr verbundene Trinität und Verwandtes. In den meisten Fällen darf man da von der Vermutung ausgehen, dafi der Mensch in Wahrheit diesen Glaubenserkenntnissen nicht fremd ist, sondern dafi sich etwas in ihm gegen sie s p e r r t . In schwereren und wesentlichen Fällen kann hier u. U. durch psychologische Tiefenarbeit die Situation geklärt werden, aber vielfach ist auch allein schon durch Hinweis auf die wahrscheinlich vorliegende Sperrung ein Ansatz zur Lösung zu finden. Es hat sich etwa mit der Lehre von Christus als dem Sohne Gottes eine Vorstellung verkoppelt, die die Sohnschaft zu „dogm atisch", zu sehr als die Forderung nimmt, dafi das ostentativ Unmögliche im Widerspruch zu aller Denkmöglichkeit als möglich gedacht werden solle. Der Theologe ist dann in derselben Lage wie „am einfachen Objekt" sozusagen der Laie, wenn er sich von der Kindheit her Gott als alten Mann mit weißem Bart vorstellen muß, diese Vorstellung nicht überwinden kann und nun in die Dauerhaltung des Ressentiments gegenüber dem Christentum gerät. Kann man ihm zur Lösung dieser Koppelung helfen, so ist der Weg zum Christentum frei. So kann für den Theologen der Weg zu den „Hochdogmen" frei werden, wenn seine entsprechenden, aber oft höher und komplizierter liegenden K o p p e l u n g e n sich lösen lassen. In Selbstbehandlung muß man vor allem darauf achten, dafi der Weg zum neuen Gelände vom alten Gelände her, das man schon im Besitz hat, gegangen werden muß. D e r c h r i s t o l o g i s c h g e h e m m t e T h e o l o g e nehme das mit Ernst und Liebe vor, was er an Christentum hat, wenn er diesen Besitz auch nur als Torso, besser als „ V o r h o f c h r i s t e n t u m " empfindet. Er wage es eine Zeitlang, vielleicht sogar eine lange Zeit, dieses Rumpfchristentum zu leben, zu predigen, in sich zu tragen, zu lieben, gut zu behandeln und — in seine ganze Fülle und ganze Tiefe immer mehr einzudringen und sie wirklich lebendig zu erfassen. Er lerne also zunächst einfach nur von Christus. Aber er dogmatisiere nicht diese seine Haltung: „Christus ist für mich nur der Lehrer über Gott", das wird dann sofort steril und hält den weiteren Fortschritt auf. Sondern er nehme Christus in seiner Lebendigkeit, er nehme ihn, sehr ernsthaft „in Gottes Namen", o h n e C h r i s t o l o g i e , weil Christologie Theologie und Theologie Dogmatik und Dogmatik Gegenstand des
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Anstoßes ist. Er habe Geduld zu warten, ob sich ihm eine Christologie bildet oder nicht: wobei man auch das „oder nicht" wirklich ernst nehmen muß. Sowie die heimliche Erwartung sich einschleicht, daß ..es" eben doch kommen muß, kommt es wahrscheinlich nicht. So kann man, dem quälenden Bekenntniskonflikt verhältnismäßig fern, in dem prangenden Leben des Neuen Testaments tausend ungekannte Herrlichkeiten entdecken. Wer in dieser Lebendigkeit lebt, denkt und predigt, der darf gewiß sein, daß er C h r i s t u s v e r k ü n d i g t . Zunächst einmal tut er es wärmer und unmittelbarer als mancher (nicht jeder, selbstverständlich!), der in der Lehre korrekter, aber im Herzen ärmer ist. Und in der Gemeinde weckt auch das Christusglauben. Sodann aber geht er dabei, oft ohne es selbst zu merken, schon über die Grenzen seiner affektgebundenen Haltung hinaus. Nun kann freilich n i c h t g a r a n t i e r t werden, ob und wann jemand auf diese Weise zum vollen Christusbekenntnis gelangt. Könnte es garantiert werden, so würde die damit eröffnete Möglichkeit durch den in der Garantie enthaltenen Zwang sogleich in sich selbst wieder aufgehoben. Alles Lebendige kann nur in Freiheit gedeihen. Der Theologe, dem das Bekenntnis Frage ist, kann dementsprechend auch nur gedeihen, wenn es ihm auf ungewisse Zukunft hin zunächst ernsthaft F r a g e b l e i b t , solange seine Erkenntnis ihn noch nicht zu ihm hingeführt hat. Er muß in dreifacher Richtung aufmerksam und aktiv sein: zunächst darauf achtend, daß d i e l e b e n d i g e B e g e g n u n g mit dem Bekenntnis weiter sich vollzieht und nicht ein vorläufiger oder doch unfertiger Zustand aus Unachtsamkeit zum Dauerzustand wird. Sodann muß die Aufmerksamkeit darauf gerichtet sein, daß d e m C h r i s t e n t u m f r e m d e P r i n z i p i e n in der geistigen Arbeit keine Mächt gewinnen oder, wo sie da sind, überwunden werden. Und vor allem ist Liebe und Wärme an das Bestreben zu wenden, daß die Frage an das Bekenntnis nicht die Frage des Ressentiments, und nicht die des Desinteressements, sondern die F r a g e d e r B e r e i t s c h a f t sei. Ist sie als solche lebendig, so kann diese Auseinandersetzung mit dem Bekenntnis vom „Fremdgefühl" aus 7 5 befruchtende Wirkung für den Fragenden selbst und für andere haben. Was über Verständnis von Lehre und Dogma aus der Meditation 78 zu sagen sein wird, ist auch gegenüber dem Bekenntnis ein Beitrag zum Erfahren seines Sinnes, seiner Tiefe und seiner Mächtigkeit. Eine letzte Frage, die in diesem Zusammenhang noch beachtet werden muß, ist mit dem Gesagten schon zum Teil beantwortet. Neben denen nämlich, die grundsätzlich mit gewissen Wahrheiten der christlichen Erkenntnis nicht ohne weiteres mitgehen können, stehen die vielen, besonders jüngeren Theologen, die in aller Erfahrung und damit Erkenntnis noch so im A n f a n g s t e h e n , daß das, was sie von sich aus sagen können, für eine vollchristliche Verkündigung nicht ausreicht. Das Cf. Die parallele Erörterung mit Beziehung auf das Evangelium im III. Kap. II. 4. ™ Cf. III. Kapitel, II. 2.
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Wege zum Bekenntnis
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Problem wird konkret an den Pesten, und unter ihnen wiederum vor allem am Karfreitag und am Osterfest, akut. Als praktische Richtlinien der Verkündigung und des Grades, in dem sie in solcher Lage vollzogen werden soll, können Anhaltspunkte wie die folgenden dienen: „Man mufi so bandeln, als wäre man allein, und wird man dann stolze Häuser bauen? Man würde ohne Zögern die Wahrheit suchen 77 ." Man frage sich ehrlich: Was weiß ich persönlich von Kräften, die nicht von der Erde sind, und halte sich in allen Einzelfragen klar, dafl alle Verkündigung der Kirche ganz umfassend Bekenntnis zur W i r k l i c h k e i t d e s l e b e n d i g e n G o t t e s i s t . Die gültige Bindung ist das E i n gebundensein in die W a h r h e i t u n d Wirklichkeit G o t t e s und in die lebendige Gestalt der Kirche. Echte und vollgültige Verkündigung entsteht nicht dadurch, dafi wir uns emporsteigern zu Aussagen, die sich mit der von uns erlebten Wirklichkeit noch nicht decken, sondern dafi wir unser Wort z u r ü c k s c h r a u b e n auf den Ausdruck dessen, was wir ernsthaft erfahren haben und ganz zu vertreten bereit sind. Die Dogmatik des Theologen soll deshalb nicht einem gut verwalteten Museum gleichen, sondern einem gut durchkonstruierten und zuverlässig arbeitenden Motor. Jedes Stück mufi e r a r b e i t e t werden in Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, denn „der Geistliche ist erstens selbst ein C h r i s t , s o d a n n Theolog" 78 . Wir müssen ständig d e n R ü c k g r i f f v o n d e r T h e o l o g i e a u f d i e W a h r h e i t vollziehen, nicht gegen die Theologie, sondern durch sie und mit ihr. Der junge Theologe neigt dazu, in der Theologie steckenzubleiben, der ältere, an ihr vorüberzugehen. Beide verfehlen ihre Kraft. Die Ungeduld in drängender Zeit, auch die des Studenten, vor der langsamen Durcharbeitung eines weiten Raumes mufi trotz der drängenden Zeit überwunden werden, denn g r u n d l e g e n d i s t n i c h t , dafi m a n zu K o n s e q u e n z e n k o m m t , s o n d e r n dafi m a n z u r S u b s t a n z k o m m t . Letztlich mufi der Blick des Theologen (wie der der Gemeinde) nicht auf die Theologie der Kirche gerichtet sein, sondern auf die Wahrheit Gottes, nicht auf die Christologie, sondern auf Christus, nicht auf die Lehre vom Geist, sondern auf die Macht des Geistes, nicht auf die Lehre von der Schöpfung, sondern auf den Schöpfer und sein Werk. Und in allem klärenden Ringen um echte Theologie gilt es, die S c h e i n a u s e i n a n d e r s e t z u n g z u m e i d e n . Schein ist jede Auseinandersetzung, deren Ausgang schon vorher entschieden ist. Dadurch wird sie unwirksam für ihren Träger und für die Gemeinde. Das 77 78
Pascal, Auswahl. Körner-Ausgabe-Leipzig·. S. 13. Schleiermacher, Prakt. Theologie. S. 241. Sperrungen von uns.
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gilt auch den Gemeinden gegenüber* die, selbst in verfehlter Zielsetzung, eine derartige verfehlte Haltung des Predigers nicht erkennen oder gar sie fordern. Die E c h t h e i t d e r P r e d i g t hängt davon ab, daß wir den entsprechenden Ausdruck unserer Haltung erarbeiten. Aber die ehrliche Arbeit fängt schon auf der untersten Stufe an. Es ist ein verhängnisvolles Merkmal einer Kirche und eines Predigers, wenn sie im lehrhaften Urteil sicherer sind als im lebensmäßigen, in der Korrektheit sicherer als in der Tiefe, in der Beurteilung der geltenden Grenzen und Unterscheidungen fähiger als im Erspüren der Kraft und des Geistes. Die Wahrheit trägt die K r a f t d e s W a c h s t u m s in sich. Die Predigt muß i π d i e s e m S i n n e freilich die ganze S p a n n w e i t e v o n d e m U r laut der O f f e n b a r u n g bis zur voll e r f ü l l t e n O f f e n b a r u n g Gottes in Christus haben. Aber der Yerkünder im Einzelfall soll bei dem Ausmaß von Wahrheit bleiben, das e r mit Fug und innerem Recht verkündigen kann und darf. So gewiß Wissenschaft die ganze Kraft und Freude des in ihr Arbeitenden in Anspruch nehmen darf, so gewiß sie in bestimmtem Sinne grundlegende Bedeutung hat, so sicher muß doch immer zugleich erkannt bleiben, daß sie bedingt und zweiten Ranges ist. Denn das eigentlich Wirksame in der Verkündigung ist nicht die Lehre, sondern der Glaube, nicht also derjenige A u s d r u c k kirchlicher Erkenntnis, der von der Kirche in objektivem Vertrauen übernommen wird, sondern der, der i η e c h t e r V e r b i n d u n g mit dem g e l e b t e n und e r f a h r e n e n G l a u b e n s t e h t . Im Grunde wirkt nicht die „Voll"gläubigkeit, sondern die Dynamik und der Prozeß der Verwirklichung im Leben. In diesem Sinne ist die Erkenntnis der Offenbarung ebenfalls als Schicksal zu werten, und der Theologe, der sich auf dem Wege weiß., wirkt stärker, echter und mehr im Sinne der Offenbarung als der seiner Theologie allzu sichere. E c h t e r G l a u b e i s t w i r k s a m e r a l s fertiger Glaube. Der bekannte Rat „predige Christum, bis du ihn hast, nachher wirst du ihn predigen, weil du ihn hast" 79 , ist berechtigt nur in einem sehr begrenzten Sinne: soweit nämlich die äußere Erfahrung einer bereits gemachten inneren Erfahrung noch nicht nachkommt, also etwa in Zeiten der Drepression oder in schwierigen Erlebnissen, die den Glauben auf eine stärkere Probe als die bisher erlebten stellen. Aber Wahrheit als beziehungslose Autorität angenommen macht den Bekenner zu einem reichen Manne, dessen Konto eingefroren ist. Nicht also darf man predigen, Avas man nicht hat und noch nie gehabt hat, auch wenn es einwandfrei der Glaube der Kirche ist. Sobald man das tut, tritt eine Verfälschung des Werdens der Predigt hinsichtlich der subjektiven Wahrhaftigkeit ein. Es ist bedeutsam und erfreulich, wie vielfältig gerade tief in der christlichen Erkenntnis stehende Theologen hinsichtlich der subjektiven Wahr·» Hering·, a.a.O. S. 410.
Echter Glaube ist wirksamer als fertiger Glaube
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haftigkeit bis ins Äußerste gewissenhaft sind. Unter den klassischen Theologen sei Y i 1 m a r angeführt: „Was man nicht erlebt hat, davon schweige man still 80 ." Ähnlich H e r i n g : „Es muß dem Wort desWerdenden eine Zurückhaltung gestattet sein, die doch nicht Verleugnung der objektiven Wahrheit sein will" 81 . Um die Jahrhundertwende C r e m e r : „Da diese Erfahrung (des Heils) nicht erzwungen werden kann, so hat der Prediger zu unterscheiden zwischen dem, was er erfahrungsgemäß weiß und zwischen dem, worüber er sich erst eine Meinung gebildet hat" 8 2 . In neuer Zeit Dedo M ü l l e r : „Der Prediger muß ganz zentral nur Diener der Kirche sein und das Evangelium verkündigen. Aber daraus wird oft die f a l s c h e O b j e k t i v i t ä t gefolgert, daß er auch etwas sagen könne und sogar viel solches sagen müsse, weil er das g a n z e Evangelium verkündigen soll, was nicht durch seine Subjektivität hindurchgegangen ist 83 ." Man wage es, n u r d a s z u p r e d i g e n , w a s m a n e r f a h r e n h a t . Das führt auf einen harten, aber gesunden und fruchtbaren Weg. Zunächst entdeckt man, daß man viel mehr erfahren hat, als man meinte. Dann schließt sich an den redlich erarbeiteten Ausdruck des Erfahrenen neue Erkenntnis an. Man wage es auch mit der Christologie! — und man wird, wenn auch durch Not und Armut hindurch, zu einer wirklichen Christologie kommen und das Gefühl des Unbehagens an der eigenen Verkündigung überwinden. Der aus dem Geist der Kirche resultierende Rat stimmt mit dem überein, w a s d i e Z e i t e r w a r t e t und, wenn sie nicht in falscher Entwicklung steht, auch die Gemeinde: Der Prediger steht nicht über der Gemeinde, sondern er ist der Mitringende eines jeden ringenden Mensehen, so wie der Pionier im unerschlossenen Land nicht am Ziel steht, um Hinweise zu geben und zu winken, sondern vorangeht als der erste, der m i t den anderen das vor Augen liegende Feld zu gewinnen hat. Man kann gewiß sein, daß zurückhaltende und Fragen offen lassende Äußerungen, wenn sie echter Ausdruck des Standortes des Predigers sind, helfender wirken als bestimmte, die über seine persönliche Erfahrung hinausgreifen. Wer aus dem Zurückhalten ebensowenig eine verborgene Sensation macht, wie er sie aus der vorgetäuschten Sicherheit machen könnte, wird auch den Weg finden, seine Zurückhaltung und sein Fragen so zu äußern, daß er dann nicht destruktiv wirkt, sondern dennoch der Führende bleibt, und in der Gemeinschaft des Ringens um die Wahrheit Gottes vorangeht. Wer mit der Gemeinde das Geheimnis Gottes anzubeten vermag auch da, wo er schweigen muß zu Erkenntnissen, über die er gerne befähigt wäre zu reden, beweist mehr echte homiletische Qualität, als wer da glaubt, er müsse zu allem etwas sagen können. 80 81 92 83
Vilmar, Pastoraltheologie. S. 41. Hering·, a. a. O. S. 67. H. Cremer, Pastoraltheologie. Hrsg. von E. Cremer, Stuttgart 1904. S. 68. Alfred Dedo Müller, Du Erde höre. Berlin 1930. S. 25 und 31.
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
4. B i l d u n g . Zur Theologie im Rahmen des persönlichen Lebens gehören die t h e o l o g i s c h e n S p e z i a l g e b i e t e des einzelnen und die w i s s e n s c h a f t l i c h e Al l g e m e i n b i l d u n g . „Die allgemeine wissenschaftliche Bildung ist eine viel wichtigere Bedingung für eine segensreiche Wirksamkeit auf der Kanzel, als es oberflächliche Betrachtung zugibt 84 " Jeder Prediger sollte e i n theologisches Gebiet nach persönlicher Neigung haben, in dem er sich nach Möglichkeit zu Hause fühlt. Auch wo die Zeit knapp ist, sollte es doch l>ereitliegen und immer wieder aufgegriffen werden. Denn auch in der theologischen Arbeit gilt die Wahrheit von den kommunizierenden Röhren 8T . Gewiß kann ein Großstadtpfarrer, der öfter als ihm lieb ist, am Sonnabend spät endlich an seine Predigt kommt, nicht Spezialist auf einem wissenschaftlichen Gebiet sein. Er nehme sich aber vor, mit e i n e m theologischen Gebiet, notfalls wenigstens mit jeweils einem theologischen Buche so in Fühlung zu sein, daß er seinen Inhalt in sich aufnimmt und in einem gewissen Mindestmaß „ a n d e r T h e o l o g i e " b l e i b t . Dem Gedanken- und Erkenntnisgut der Theologie im Ganzen soll der Pfarrer im Amt nicht fremd werden. Und wer die innere Beziehung zu den großen Theologen der Vergangenheit und zu dem, was die Theologie seiner Gegenwart denkt, noch nie gefunden hat, der kann sie doch gewinnen durch die Treue regelmäßigen Aufschlagens, wäre es auch zu wenigem Lesen. Auch hier: l'appetit vient en mangeant! Dieses Fühlunghalten fördert die Predigt nicht nur dadurch, daß es „Gedanken" -vermittelt, sondern viel tiefer noch dadurch, daß es die e i g e n e G e d a n k e n w e l t a b s c h l e i f t u n d g e s t a l t e t . Wir haben gegenwärtig sogar eine ganze Menge guter Literatur, die nicht mit schwerem theologischen Geschütz arbeitet und doch in theologische Erkenntnis hineinführt. (Etwa von Autoren wie Heim in seinen Werken f ü r weitere Kreise, Thielicke, u. a.) Aber w e t es kann, vergesse nicht: die eigentlich wissenschaftlichen Werke, an denen wir noch gründlicher arbeiten müssen, arbeiten auch noch gründlicher an uns! Man arbeitet als vielbeschäftigter Mann nicht nach dem System des Befahrens einer möglichst großen Fläche, sondern nach dem des Lotens in eine möglichst wesentliche Tiefe. Und die darauf verwendete Zeit nimmt dem Amte nichts, sondern fördert die Qualität alles Dienstes, nicht zuletzt die der Predigt. Die wissenschaftliche Arbeit, die darüber hinaus das S a m m e l n v o n „ M a t e r i a l " f ü r d i e P r e d i g t ist, darf nicht zur direkten Übertragung des Gelesenen in die Predigt führen. Nur was wir innerlich verarbeitet haben, und Was, von dem Wesen unseres Selbst durchdrungen, in uns Eigengestalt gewonnen hat, ist reif geworden zur Verwendung in der Predigt. In diesem Sinne gilt es Vorsicht gegenüber den sog. Stoffsammlungen, Karteien usw., die nur unter sehr nachdrücklicher Beachtung dieses Gesichtspunktes fruchtbar werden. Unter der gleichen Vorst Kraufi, Alfred: Lehrbuch der Homiletik. 1883. S. 134. 87 vgl. S. 80 (1. Aufl. S. 81).
Bei den Großen der Erde
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aussetzung sind freilich weite Gebiete wie Religionspsychologie, Mythologie u n d a n d e r e als Quellen der Erkenntnisse, wie w i r sie f ü r eine echte P r e d i g t brauchen, unbegrenzt ergiebig. Märchen u n d Sagen enthalten so tiefe Wahrheit, daß sie von dieser aus volle Bedeutung f ü r die Predigt gewinnen u n d nicht den Anschein zu erwecken brauchen, als ob man sie in kurzschlüssigem Entgegenkommen gegen die „Wünsche" der H ö r e r verwendete. Neben der Theologie ist eine wesentliche Quelle der Predigt die a l l g e m e i n e B i l d u n g des Predigers. Es ist dabei auszugehen von dem d u r c h Pestalozzi erarbeiteten Verständnis der Bildung, der sie im Gegensatz zum Yielwissen als organisches „Bilden" der einheitlichen Persönlichkeit versteht. B i l d u n g entsteht dadurch, daß w i r mit wesenhaften geistigen Mächten u n d Gestalten B e r ü h r u n g finden, die uns eine Tiefenschau und ein Quellgebiet erschließen können, zu denen w i r d u r c h unsere u n m i t t e l b a r e Umgebung nicht gelangen. Die Höhen menschlichen Erkennens und Schaffens in dieser Hinsicht verteilen sich ü b e r die Jahrhunderte, u n d wer an ihnen teilhaben will, muß in die J a h r h u n d e r t e hineingehen. D e n n in keiner G e g e n w a r t ist die Fülle des Ganzen so konzentriert, daß w i r aus ihr allein das Wesentliche entnehmen könnten. D a r u m muß der Prediger in die k l a s s i s c h e Weltliteratur hineingehen. Sie bietet nicht n u r Welt- u n d Menschenkenntnis, sondern sie f ü h r t unmittelbar in die R ä u m e w e s e n h a f t e r geistiger Welten ein und gibt Anteil an ihnen. „Die D i c h t u n g bleibt nach wie vor der eigentliche A u s d r u c k der Bildung der Nation. 8 6 " D e r leitende Gesichtspunkt ist nicht, daß m a p „als A k a d e m i k e r " etwas „kennen muß", also nicht die Rücksicht auf die anderen u n d deren Urteil: so genommen handeln w i r mit den Großen der Menschheit wie jemand, der um a n d e r e r willen den Gottesdienst besucht. Auch im „Weltlichen" r a u b t m a n sich damit den Segen. Vertiefung n u r f ü r sich selbst, zu der m a n sich Zeit läßt, und w e n n es in einem besetzten Leben halbe Stunden w ä r e n , aber Zeit, in der m a n nicht „schaffen" will oder muß, sondern wirklich eingehen kann, ist d e r einzig helfende Weg. Man muß b e i d e n G r o ß e n d e r E r d e v e r w e i l e n . U n d j e m e h r wir es tun, um f ü r uns zu empfangen, u m so m e h r t u n w i r es unmittelbar im Dienst. In der Zeit gesteigerten u n d weiter sich steigernden Spezialistentums gilt es nicht den Kampf gegen dieses, denn es ist notwendig u n d nicht gewaltsam redressierbar. Aber es geht um den Ausgleich. Auch der P f a r r e r ist in gewissem G r a d e Spezialist, aber zu seinem Spezialistentum gehört die spezielle Versenkung in die Weite u n d Tiefe des Seins. Und das soll er so intensiv ausüben, daß er nicht „Spezialist f ü r Religion" ist, sondern der Helfende, der stellvertretend f ü r a n d e r e mit in der Weite u n d Tiefe lebt u n d d a r a n teilnehmlen läßt. Es müssen freilich die engen Zäune abgerissen werden, innerhalb derer etwa Plato in erster Linie der Pantheist ist u n d Goethe a priori u n t e r der dogmatischen Verurteilung seiner „Gott-Natur" steht. N u r was w i r a 1 s Η u η ββ Werner Jaeger, Paideia I. 230.
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Die Bedeutung- des Subjektes für die Predigt
g e r n d e tun und nicht als a n d e r e r Küchenpolizei, w i r d uns wesenhaftes Eigentum. Man empfängt f r u c h t b a r e E i n w i r k u n g von jedem, der groß und echt ist, auch wenn er ganz anders denkt. Weltliteratur ist das Bemühen aller Zeiten um die Wahrheit, Z e i t l i t e r a t u r ist das Bemühen der G e g e n w a r t u m sie. Hat sie nicht die räumliche Spannweite der Weltliteratur, so h a t sie in ihren wertvollen Erscheinungen doch teil an der Tendenz zur Tiefe. Die überzeitlichen F r a g e n und Erkenntnisse schwingen in ihr, und sie sucht sie zu erfassen in d e r Sprache der Gegenwart. W e r wirklich liest, lernt urteilen. Und n u r w e r urteilen kann, ist imstande, die Zeitliteratur, als echten u n d wesenhaften A u s d r u c k der jeweiligen „ G e g e n w a r t " zu unterscheiden von d e r T a g e s l i t e r a t u r , die n u r Spreu ist, trotz oft anspruchsvollen Auftretens. Je leidenschaftlicher die Geister bewegt sind, u m so m e h r Geringwertiges w i r d auf den Wogen der Tagesaffekte emporgetragen. Und alles w i r k t ! D e r Prediger hat nicht in der Predigt Werturteile abzugeben. Aber wenn er f ü r sich so liest, daß er zu unterscheiden vermag, so hilft er unbewußt oder doch u n v e r m e r k t und segensreich seinen H ö r e r n dazu, daß auch sie sich zurechtfinden u n d in der Fülle das W e r t volle herausspüren. Die gute L i t e r a t u r einer Zeit ist, so gewiß w i r in der Zeit leben, nicht n u r die Sprache der Zeit, sondern irgendwie, auch wo sie uns f r e m d und entgegen ist, u n s e r e S p r a c h e . Sie geht uns an als Ausdrucksb e m ü h e n unseres erweiterten Eigenwesens und ist in B e j a h u n g und A b w e h r wesenhaft. Man b r a u c h t auch von dem G u t e n keineswegs „alles" zu lesen. Im Gegenteil: W e r nicht aus Pflichtgefühl von außen her an die L i t e r a t u r herangeht, sondern sie von innen her nimmt, findet ganz von selbst die Auswahl, unter Umständen eine verhältnismäßig beschränkte, in der ihm doch der Atem der Zeit s p ü r b a r wird, als ein ihn unmittelbar angehendes Stück seines erweiterten Eigenwesens. Und er lernt t i e f e r e r k e n n e n und deuten. W e r so liest, erhebt sich ü b e r das letztlich u n f r u c h t b a r e Gespräch, in d s m die Zeiterscheinungen „beurteilt" werden. „Was sagen Sie denn ü b e r . . . " ist n u r dann eine f r u c h t b a r e Frage, wenn sie die w e s e n h a f t e Begegnung, nicht die „Meinung" oder das „Urteil" e r f r a g t . Und die Antwort ist n u r d a n n wesenhaft, wenn sie Zeugnis der Begegnung ist. Unsere Gespräche und unsere Predigt sind aber so unmittelbar aus der gleichen Quelle unseres Seins gespeist, daß w i r in einem so wie im anderen handeln. Wo Predigt Hilfe zu wesenhafter Begegnung mit der Zeitliteratur wird, — auch wenn sie diese gar nicht direkt nennt — ist sie zugleich Hilfe zum W e s e n h a f t w e r d e n ü b e r h a u p t . So gesehen gehört nicht Geist oder Klugheit oder übermäßige Schaffenskraft, sondern eine in der Erkenntnis der W a h r h e i t Gottes lebende und fortschreitende Seele dazu, um in alledem einen sicheren Blick zu gewinnen, eine f r u c h t b a r e Erkenntnis f ü r die Verkündigung zu empfangen und denen, die an diese Dinge unselbständig herangehen, wegweisend zur Seite zu s ehen.
In der Zeit und im Tage
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V i l m a r hat Recht und Unrecht zugleich: „Die Sucht nach Zeitungen ist ein Zeichen des Verfalls. Romane sind imstande, das W o r t Gottes gründlich auszutilgen" 8 ®. So konnte geurteilt w e r d e n in einer Zeit, in der Zeitung und R u n d f u n k noch nicht die heutige Bedeutung hatten, und in d e r in Romanen nicht so umfassend wie heute die Probleme des Seins ihre Gestalt fanden. „Schlingen" zerstört immer — aber es gibt auch ein Schlingen wissenschaftlicher Literatur, das ebenso zerstört, obwohl es „Wissen" vermittelt. Die G e f a h r ist bei Romanen und Zeitungen größer, aber sie liegt letztlich hier wie dort nicht im Gegenstand, sondern im Menschen. S c h r e i n e r empfiehlt besonders das Lesen guter Biographien. Gewiß k a n n m a n viel von ihnen lernen, aber ihre bevorzugte Betonung ist schon Verallgemeinerung einer persönlichen Vorliebe. Jeder muß herausfinden, was f ü r ihn das F r u c h t b a r s t e ist. Aber es geschieht unmittelbar im Dienste der Predigt, wenn es sich auch sehr mittelbar auswirkt, daß der Prediger planvoll die Vertiefung in d i e L i t e r a t u r i n s e i n e n L e b e n s r h y t h m u s e i n o r d n e t , und es ist wesenhaftes Denken, wenn er diese wichtige Möglichkeit u n d Pflicht nicht von Tag zu Tag u n d von J a h r zu J a h r den Tagesaufgaben opfert. Wald und Feld, Berg und See, Reisen und W a n d e r n : sie sind f ü r viele n u r mehr E r i n n e r u n g , u n d viele wissen nicht, w a n n sie geliebte F e r n e n Wiedersehen werden. Auch E r i n n e r u n g aber k a n n gelebt werden, und sie ist f r u c h t b a r , w e n n sie voll D a n k ist. Aber das N a h e ist f ü r jeden d a , oft u n v e r ä n d e r t , immer Schöpfung. Und alle erlebte Schöpf u n g ist nicht n u r die k u r z e Gelegenheit, einmal aufzuatmen, sondern sie schenkt uns die mit dem Gesamtsein v e r b u n d e n e n Atemzüge, in denen auf größerem R a u m der Mensch sich findet und im Wesenhaften r u h t . All diese scheinbar peripheren Dinge haben um so mehr ihren echten O r t in dem Gesamtorganismus des Lebens, j e mehr sie mit der Tiefe und dem Zentrum des Selbst in B e r ü h r u n g und wechselseitiger Beziehung stehen. Und in dem entsprechenden Maße w i r k e n sie sich aus, auch wenn es manchmal ganz indirekt u n d u n b e m e r k t geschieht, auf die Gestaltung der Predigt als einer Verkündigung von Mensch zu Mensch. 5. P f a r r h a u s
Zu dem komplizierten Schicksalsanliegen der Gegenwart gehört das Problem der E h e u n d d e r F a m i l i e . Es h a t t e seine besondere Problematik schon seit zwei Generationen durch die tiefgreifende Neuordnung des Seins. Zu dieser chronischen tiefen Erschütterung und G e f ä h r d u n g ist die a k u t e G e f a h r des Umsturzes aller Verhältnisse d u r c h den Zusammenb r u c h gekommen. Auch in den menschlichen u n d natürlichen Dingen lebt der P f a r r e r in seiner Zeit und t r ä g t deren Probleme in seinem eigenen Ergehen mit. D e r Gießener Individualpsychologe Ν e u m a η η hat jedoch mit Recht auf die b e s o n d e r e Problematik der P f a r r e r s e h e n hingewiesen. Wir sind freilich der Überzeugung, daß die P f a r r e r s e h e n in der Gegense Vilmar, Lehre vom g-eistl. Amt. S. 161.
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
w a r t immer noch zu den besten Ehen gehören. U n d zwar am meisten gerade da, wo m a n um die grundsätzliche Problematik der Ehe in heutiger Zeit weiß, am wenigsten wohl da, wo man die Ehe in b ü r g e r l i c h e r Schwergewichtigkeit problemlos als eine „selbstverständliche" Angelegenheit nimmt. Doch k a n n nicht geleugnet werden, dafi gerade hier vielfach in besonders leidbeschwerter F o r m Probleme stillschweigend getragen u n d mit heimlichen Schmerzen durchgefochten w u r d e n und werden, die in der Zeit der W e n d e schon seit Jahrzehnten liegen u n d d a r u m auch in der d u r c h w ü h l t e n G e g e n w a r t als chronische Nöte sich weiter oft n u r u n t e r irdisch auswirken. In P f a r r h ä u s e r n geht es bei dem Problem der Ehe sehr oft darum, dafi unter der t r a g e n d e n K r a f t eines Glaubens, der verpflichtet u n d hält, Schwierigkeiten nicht in so krasser Verlassenheit e r f a h r e n w e r d e n wie in anderen Häusern, und daß d a d u r c h nun gerade dem P f a r r haus ein Stück E r f a h r u n g u n d Lebensnähe fehlt, das andere haben. Predigt entsteht aber aus dem wirklich gelebten Leben, nicht aus dem Ideal. E r f a h r u n g e n w e r d e n auf dem Wege gemacht und nicht erst am Ziel. D a d u r c h w i r d es f ü r das P f a r r h a u s zur besonderen Gefahr, wenn mit Rücksicht auf die Glaubensverpflichtung bzw. auf die Gemeinde P r o b l e m e u n t e r d r ü c k t w e r d e n , u n d m a n sich Schwierigkeiten verbirgt, die in anderen Ehen unbeschwerter, natürlicher und gleichsam harmloser angenommen w e r d e n und d a r u m ausgetragen werden können. Aber doch ist gerade der P f a r r e r der, der anderen in ihren Nöten helfen soll, und d a r u m nicht weniger, sondern m e h r alles, was das Leben in diesem Sinne als Schicksal b e r ü h r t , d u r c h t r a g e n und verarbeiten sollte. D a die Predigt n u r d u r c h verarbeitetes Schicksal wird, entsteht also aus der P r e d i g t v e r p f l i c h t u n g die u n m i t t e l b a r e Aufgabe, trotz a l l e r entgegenwirkenden Gewichte alle Probleme d e r Ehe und der F a m i l i e w i r k l i c h z u d u r c h l e b e n . Wenn man könnte, müßte man die d u r c h den Glauben gegebene „Sicherung" und die d u r c h die Gemeinde gegebene Verpflichtung ausschalten und wie ein a n d e r e r seine P r o b l e m e durcharbeiten. D a diese Ausschaltung nicht möglich ist, steht der P f a r r e r vor der anderen Menschen gegenüber schwereren Aufgabe, trotz des Problems von der Sicherung zur Gewißheit durchzustoßen, trotz des P f a r r e r s e i n s das Schicksal seines Hauses ganz und voll zu durchleben. Wo in voreiliger B e j a h u n g der T r a g k r a f t und Verpflichtung alle die hind u r c h t r a g e n d e n Mächte in Anspruch genommen werden, werden die P r o bleme nicht gelöst, sondern u n t e r d r ü c k t . Es geht d a n n weiter, aber nicht in Freiheit u n d Beschwingtheit, sondern u n t e r einem heimlichen D r u c k . D a d u r c h aber w i r d das innere Wissen gehemmt, mit dem m a n vor d i e Gemeinde sollte treten können. D e r Prediger ist b e r u f e n zur unerbittlichen W a h r h a f t i g k e i t vor sich selbst, die er in vollem Wissen um d i e genannten G e f a h r e n d u r c h f ü h r e n muß. N u r so kommt er zur Reife, und n u r so w i r k t sein Ehe- und Familienschicksal sich vollwertig f ü r seine V e r k ü n d i g u n g aus. Das P f a r r h a u s f ü h r t das E r b e des Reformators also nicht dadurch weiter, daß es „pflichtgemäß" an der reformatorisch-christlichen Auffassung von der Ehe festhält, sondern es ist berufen, 1 e b e n s g e m ä ß
Durchleben der Probleme
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die Tiefe und W a h r h e i t dieser Auffassung in einer ganz anderen Zeit zu erproben u n d beispielhaft zugänglich zu machen. Das P f a r r h a u s soll nicht den Eindruck erwecken, daß hier „noch" G r u n d s ä t z e gelten, die weithin aufgelöst sind, sondern es soll d u r c h die Art, wie hier die Ehe gelebt wird, nämlich im weitesten Sinne in W a h r h e i t u n d Liebe, die Erkenntnis neu beleben helfen, dafi die G r u n d s ä t z e d e s C h r i s t e n t u m s l e b e η t r a g e n d u n d l e b e n f ö r d e r n d sind. Das gilt bis in die schwierigen Bereiche hinein, in denen unter Umständen der P f a r r e r oder seine F r a u oder beide sich um des Amtes willen V e r z i c h t e in i h r e r Ehe auferlegen müssen, die a n d e r e nicht oder· nicht so s p ü r b a r zu t r a g e n brauchen. Solche O p f e r können dann zum Segen werden, wenn die Hingabe an das Amt so groß und w a r m ist, dafi der Verzicht wirklich getragen wird von der Hingabe an den großen Dienst, und wenn seine T r ä g e r von seiner Notwendigkeit innerlich überzeugt sind. Er erstreckt sich besonders auf zwei Gebiete: das erste ist die S c h w e i g e p f l i c h t vor dem nächsten und liebsten Menschen ü b e r Dinge, die man d u r c h das Amt weiß, u n d nun, u. U. auch bei schwieriger Entscheidung, allein d u r c h t r a g e n muß. Diese Schweigepflicht muß so eingehalten werden, daß der P f a r r e r s t a n d nicht in den Verruf der Indiskretion gerät, weil alles, was der P f a r r e r weiß, auch seine F r a u erf ä h r t u n d d a d u r c h womöglich noch andere. Das e r f o r d e r t deshalb oft tiefere O p f e r , als das Berufsgeheimnis iii a n d e r e n Berufen, weil die Seelsorge das persönliche Leben s t ä r k e r b e r ü h r t als sonst ein m e h r sachlicher Dienst. A b e r die Zurückhaltung u n d ständige Selbsterziehung schärft auch den Blick und b e w a h r t vor der Versuchung, daß man sich in die V e r a n t w o r t u n g f ü r die Seelsorge meint teilen zu können. Das völlige und erfüllende E i n s s e i n in der Lebensgemeinschaft b r a u c h t d a d u r c h nicht geschmälert zu werden. W o diese B e f ü r c h t u n g auftaucht, ist das Verhältnis zwischen Gemeinsamkeit u n d Einsamkeit noch nicht intensiv genug in der Tiefendimension verstanden. W o andrerseits die Reserve zu selbstverständlich, vielleicht sogar mit Genugtuung, hingenommen wird, ist zu befürchten, daß das Einssein nicht tief genug gelebt wird. W e n n j e d e r ganz er selbst ist u n d dem anderen in Liebe und Bereitschaft das läßt, was sein ist, w i r d j e d e d e r a r t i g e Last zur K r a f t . In der Predigt w i r k t sich zuverlässiges Schweigenkönnen als geschlossene K r a f t , oft auch als vertiefte Güte aus, u n d die Last des Alleinwissens f ü h r t tiefer in die Erkenntnis hinein. Daneben steht der oft erzwungene Verzicht auf viel von dem Alleinsein miteinander, auf viel von der R u h e u n d Besinnungsmöglichkeit, die d a d u r c h sich ergeben, daß das P f a r r h a u s ein „ o f f e n e s H a u s " sein muß. W e n n das auch gegenwärtig d u r c h die Ü b e r v ö l k e r u n g f ü r alle Familien ähnliche Nöte ergibt, so bleibt es doch f ü r r u h i g e r e Zeiten ein so typisches Merkmal des P f a r r h a u s e s , daß es mit in unseren Zusammenh a n g gehört. Hier w i r d besonders von den Introvertierten viel Verzicht geleistet: wovon die E x t r a v e r t i e r t e n nie genug haben können, das ist ihnen schon im gebotenen Mindestmaß oft zu viel. Jene sind in der Gef a h r , daß die Atmosphäre des Hauses unruhig, zerstreut wird, und daß
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
die Bewohner fahrig w e r d e n können. Diese leiden an der vermeintlich nicht intensiv genug e r f ü l l t e n Pflicht u n d doch zugleich an dem Zuviel. Jene kommen sich leicht zu tüchtig, diese zu untüchtig vor. W i r sollten hier, wie in vielem sonst, uns d a r ü b e r k l a r werden, daß es in der evangelischen Kirche in großem und starkem Sinne „das P f a r r haus", nicht aber eine Schablone des P f a r r h a u s e s gibt. D e r Reichtum liegt gerade darin, daß die Häuser verschieden sind, u n d j e d e A r t in d e r F r e i h e i t u n d F r e u d i g k e i t des Glaubens ihr e i g e n e s H a u s zu f ü h r e n u n d m i t ihm der Kirche Christi zu dienen, berechtigt u n d b e r u f e n ist. D a s H a u s des P f a r r e r s soll wirklich „sein" H a u s sein, in dem er mit seiner F r a u nach i h r e r beider A r t und Wesen Geist u n d Lebensgestaltung bestimmt. Und was die beiden als recht empfinden, was ihnen als „ihr" Ideal des P f a r r h a u s e s vorschwebt, das sollen sie überzeugt u n d freimütig leben u n d verwirklichen. Es gibt ein Offensein, des Hauses u n d der H e r zen, das sich nicht in Betriebsamkeit erfüllt, und doch mit seiner W ä r m e und Stille anspricht und überzeugt. Es gibt auch eine ständige Bewegung, an der Innerlichkeit und gesammelte Tiefe nicht zu leiden brauchen. W o aus d e r Tiefe u n d in der Liebe gelebt wird, u n d wo m a n bereit ist, F e h l e r abzustellen u n d Mankos zu ergänzen, darf m a n getrost u n d gern „seinen" W e g gehen u n d an seinem Hause sich freuen. A b e r das P f a r r h a u s ist trotz aller Wandlung der sozialen S t r u k t u r ein Haus, auf das immer noch, und vielleicht s t ä r k e r als zu manchen Zeiten, g e s e h e n wird. Dies deshalb, weil es d u r c h den Geist des Christentums beispielhaft gestaltet sein soll. So m u ß jedes P f a r r h a u s nach bestem Vermögen dem gerecht zu w e r d e n suchen, was seine T r ä g e r nach i h r e r A r t zu verwirklichen sich b e r u f e n wissen. Zugleich ist das P f a r r h a u s die Atmosphäre, in d e r die P r e d i g t gearbeitet wird, u n d das gilt nicht n u r f ü r die Stunden am Schreibtisch, sondern f ü r den ständigen geistig-seelischen Raum, in dem Erkenntnisse u n d Gedanken des Predigers wachsen u n d reifen. Damit hat es nicht n u r die überall e r k a n n t e Bedeutung nach außen hin, sondern zugleich eine tief w i r k e n d e Bedeutung nach innen hin, die ü b e r das S u b j e k t d e r Predigt u n d ü b e r die Predigt selbst w i e d e r u m nach außen hin w i r k t . Es ist der liebevollen und v e r a n t w o r t u n g s b e w u ß t e n Gestaltung wert. 6.
Schicksalsmitgift
a) Erbmasse und Tradition
Im R a h m e n des Schicksals sind weiter diejenigen K r ä f t e zu beachten, die als S c h i c k s a l s m i t g i f t bezeichnet w e r d e n können. Zunächst kommt die E r b m a s s e in Betracht. W i r haben gesunde und ungesunde C h a r a k t e r z ü g e mitbekommen. G e e r b t e Gesundheit und K r a f t sind als Kapital zu werten, das nicht n u r f r e u d i g e Arbeit ermöglicht, sondern die stimmungsmäßige Ureinstellung zur Welt wesentlich heeinflußt. D e r Gesunde hat mehr Zuversicht u n d Mut. Sie w e r d e n aber f ü r seine Predigt erst dann ganz f r u c h t b a r , wenn er nicht trotz i h r e r u n d außer ihnen, sondern aus ihnen h e r a u s es lernt, den Schwachen schwach und den B e k ü m m e r t e n b e k ü m m e r t zu sein.
Mein Haus und meine Art
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Wem geerbte Gesundheit und geerbte Schwächen so gemischt sind, dafi er wohl gerne die Mischung zugunsten der ersteren ä n d e r n w ü r d e , wird, — abgesehen von den Möglichkeiten der Hilfe, die die E r a r b e i t u n g des Selbst ihm bietet, — seine Anlage f ü r die V e r k ü n d i g u n g dann voll auswerten können, wenn er auch in diesem Sinne die tiefe W a h r h e i t des Wortes e r f ä h r t , „wenn ich schwach bin, so bin ich stark" 8 7 . Zu den Belastungen, die w i r zu t r a g e n haben, gehört auch das u n g e l e b t e L e b e n d e r E l t e r n , d. h. diejenigen Lebensgebiete, in denen ihr Sein sich nicht voll h a t a u s w i r k e n können, sei es u n t e r Schicksalsdruck, sei es unter weltanschaulichem Zwang. D e r Bereich dieser E i n w i r k u n g e n u m f a ß t auch alles, was noch aus f r ü h e r e n G e n e r a tionen ü b e r die Eltern zu uns kommt, u n d das Gesamtmilieu der Erziehung. Die Möglichkeit, d u r c h psychologische D u r c h a r b e i t u n g des eigenen Seins der Predigtwirksamkeit zu dienen, kommt an diesem P u n k t e deshalb unmittelbar in Betracht, weil eine' K l ä r u n g dieser komplizierten Zusammenhänge u n t e r kundiger psychologischer F ü h r u n g sehr wohl möglich ist. Man soll sich nicht scheuen, solche Möglichkeit zu nutzen, auch w e n n sie von nichttheologischer Seite geboten wird. Wenn L u t h e r das w u n d e r voll k ü h n e Wort p r ä g e n k a n n : „fiducia dilatat cor, f r o n t e m et vocem, timor vero hec omnia contrahit et stringit" 8 8 , so liegt hier freilich eine E r f a h r u n g vor, in der Glaube ohne Hilfe die befreiende K r a f t besitzt. Aber die hat er eben leider Gottes nicht immer, weil er nicht immer voller Glaube ist. Die Predigt w i r k t um so überzeugender, helfender u n d befreiender, j e mehr sie getragen ist von einem Menschen, dessen „Herz, Stirn u n d Stimme f r e i " ist. Es ist deshalb kindischer Glaubenstrotz u n d nicht männlicher Glaubensmut, w e n n w i r in Lagen, wo die selbständige K r a f t unseres Glaubens sich als nicht voll entwickelt erweist, auf Hilfen verzichten, die sich uns anbieten. W i r können mit ihnen, nicht gegen den Glauben, sondern in seinem Sinne, das erreichen, was w i r f ü r eine vollwertige Gestaltung der Predigt brauchen. Bedeutsam ist f e r n e r f ü r die Predigtarbeit, dafi d e r Prediger ü b e r A r t und E i n w i r k u n g seiner Familientradition hinsichtlich ihres C h a r a k t e r s als kirchlicher oder k i r c h e n f r e m d e r Tradition k l a r wird. K i r c h l i c h e T r a d i t i ο η k a n n zum Segen werden, indem sie eine Mitgift an innerer Kenntnis des Amtes bedeutet, die nicht n u r vor manchem Fehler b e w a h r t , sondern auch von einem fortgeschritteneren Ausgangspunkt aus ein tieferes Eingehen in die W a h r h e i t des Glaubens ermöglicht. Doch k a n n sie ebenso eine G e f a h r sein in dem Sinne, dafi sie an einem vollwertigen und völligen Eingehen in die Gegenwart hindert. Die Neuordnung der Kirche (und mit ihr der Predigt) k a n n n u r Von st 2. Kor. 12.10. 88 Luther, Kommentar zum Römerbrief, hrsg. von Ficker. S. 196 zu Rom. 8. 15. „Der Glaube (richtiger als Ellwein „Vertrauen") macht Herz, Stirn und Stimme frei, die Furcht aber engt das Alles ein und schnürt es zusammen" („strängt" (Strang) es). 10 Haendler, Die Predigt
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Die Bedeutung· des Subjekte® für die Predigt
solchen Männern ausgehen, die ebenso völlig in der Gegenwart stehei» wie in der echten (nicht in der erstarrten) Tradition. Nur sie sind imstande, aus der Vergangenheit das lebendige Gewicht mitzunehmen und doch den toten Ballast liegen zu lassen. Für die Predigt ist das von besonderer Bedeutung. Wir alle spüren, wie feinfühlig die Gemeinde für das ausgeglichene innere Verhältnis von Überlieferung und Gegenwart im Prediger ist, weil sie unbewußt spürt, wieviel Zukunftskraft darin geborgen ist. Um so deutlicher muß uns sein, dafi wir da keine Beziehung vortäuschen können, die nicht vorhanden ist. Der Eltern Segen baut den Kindern nicht umsonst Häuser, sondern nur wenn sie erwerben, was sie von den Vätern ererbt haben. Ererbte kirchliche Tradition, selbst beste und echteste, vollgültig gegenwartskräftig und zukunftskräftig als Eigenbesitz zu erwerben, ist oft sehr viel schwerer, als mit kirchenfremder Tradition in die Kirche hineinzukommen. Gelingt es aber, so entsteht eine Predigtwirksamkeit, die die Fülle der Erkenntnis und Lebenskraft, die aus echtester Verbindung des Christentums mit dem Gegenwartsleben kommt, in reichstem Maße fruchtbar macht. Wer von k i r c h e n f r e m d e r T r a d i t i o n herkommt, hat besonders die Aufgabe, die p o s i t i v e n W e r t e s e i n e r e i g e n e n T r a d i t i o n im engeren Sinne für die Kirche auszuschöpfen. Prediger, die aus philosophischer, medizinischer, naturwissenschaftlicher, juristischer, kaufmännischer, technischer, landwirtschaflicher, handwerklicher oder sonstwie gearteter Tradition kommen, bringen j e eine besondere S p e z i a l m ö g l i c h k e i t der B e a r b e i t u n g und B e f r u c h t u n g mit. Nicht, daß sie das Wissens- und Könnensmaterial des betreffenden Traditionsgebietes direkt anwenden könnten, zumal dieses j a bei den nunmehr Theologie studierfenden Erben nicht mehr vorliegt oder doch aufgegeben wird. Aber sie können die geistige Struktur der betreffenden Tradition und die aus ihr resultierende Einstellung zur Kirche bis in die Stimmung hinein kirchlich fruchtbar machen. Und auch das wiederum ist weniger ein direktes Verarbeiten oder ausdrückliches Aussagen, als vielmehr eine ständige, oft weithin unbewußte Haltung. Wie man in der Regel dem Manne den Beruf ansehen kann, so kann man auch im engeren Bezirk kirchlichen Verhaltens, etwa des Gespräches über Glaubens- oder Lebensfragen, dem Menschen seine Tradition abspüren. Es liegt da eine Art vor zu denken und die Dinge anzufassen, die bis in die sprachliche Gestaltung und Ausführung hinein spürbar ist. Derartige homiletische Imponderabilien sind für die Wirkung der Kirche und für ihre Gestaltung wichtiger, als es äußerlich den Anschein hat. Die M ä n g e l der kirchenfremden Tradition sind wir, die Theologen mit kirchlicher Tradition, leicht zu sehr geneigt, zuerst darin zu sehen, daß man nur mangelhaft in kirchliche Denkart und Sprache eingehe. Außerhalb der Theologenschaft aber werden die mit solchem mangelnden Eingehen verbundenen Defizits nicht nur weniger gesehen, sondern auch weniger wichtig genommen, weil sie ausgeglichen werden durch — im schlichten Sinne — größere Gegenwartsnähe der Denkart und Sprache. Es
Meine Tradition als Wert in der Kirche
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ist freilich leicht damit ein Mangel an theologischer Tiefe verbunden. Das genuin kirchliche Denken ist dann unmittelbar geneigt, diesen Mangel als das Entscheidende zu bewerten. Es ist aber selbst in solchem Falle zu bedenken, daß Tiefe und umfassende Verständlichkeit der Predigt des öfteren in Spannung zueinander stehen. Wir können das bedauern und für gefährlich halten, aber nicht ändern. Bei vielen Menschen mufi und kann der Tatsache einfach Rechnung getragen werden, daß ihre Möglichkeit nach der Tiefe hin bald auf Grenzen stößt. Es gibt aber eine praktische Tiefe, die, ohne in die Gründe und Geheimnisse einzugehen, doch eine Kraft im Leben ist und die Fähigkeit haben kann, ein Dasein bis in die letzten i h m möglichen Tiefen zu durchdringen. Wichtig ist in jedem Falle, daß der Prediger möglichst eindeutig weiß, wo er steht, damit er seine Möglichkeit zur vollen Auswirkung in seiner Predigertätigkeit bringen kann. Zum Problem der Tradition gehört noch die weitere Tatsache, daß in der Regel die Tradition eines Predigers nicht einseitig ist. Es gibt V e r b i n d u n g e n von S t r ö m u n g e n k i r c h l i c h e r und nichtk i r c h l i c h e r T r a d i t i o n , die sich günstig oder ungünstig auswirken können. Im günstigsten Falle vereint sich die Fähigkeit, aus wirklicher kirchlicher Tiefe zu schöpfen und ebenso in der nichtkirchlichen Tradition voll zu stehen und aus ihr heraus redend zu verkündigen. Im ungünstigen Falle werden die kirchliche und die nichtkirchliche Tradition von ihrem Träger als divergente Spannung empfunden. Dann ist es nicht etwa die Aufgabe, um der Amtsverpflichtung willen sich für die kirchliche Tradition zu entscheiden und die nichtkirchliche zu unterdrücken. AVer das tut, wird dem ihm schöpfungsmäßigen Auftrag in der Kirche nicht gerecht. Er soll vielmehr die Schmerzen durchtragen, die eine in der Tiefe sich vollziehende Einung der beiden divergenten Ströme mit sich bringt, und darf in dem Maße, wie er sich dieser schweren Aufgabe unterzieht, die dementsprechende Reife und umfassende Frucht ernten. Eine unmittelbare Befruchtung der Predigt würde weiterhin dann entstehen, wenn die aus der kirchlichen und die aus der kirchenfremden Tradition kommenden Elemente sich gegenseitig volle Gerechtigkeit widerfahren ließen und entsteht, soweit sie das tun. Sie müssen beide da sein und jedes von ihnen braucht das andere als Ergänzung. Auch hier ist die Mannigfaltigkeit ein Reichtum, der verwirklicht werden soll. Das neutestamentliche Bild von der Gemeinde als dem Leibe mit den verschiedenen Gliedern, die verschiedenen Dienst haben, und verschiedene Ehre (1. Kor. 12. 12—26), ist nicht ein ästhetisierender Seitenblick, sondern echter und maßgeblicher Ausdruck der Struktur der Gemeinde. b) Befangenheit und Zuversicht
Zur schicksalhaften Mitgift gehört weiterhin das Gegensatzpaar der stimmungsmäßigen Haltung gegenüber der Arbeit: Befangenheit und Zuversicht. B e f a n g e n h e i t scheint auf den ersten Blick eine geringe und darum auch geringfügige Hemmung der Bewegungsfreiheit zu sein. Es sieht 10*
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Die Bedeutung- des Subjektes für die Predigt
aus, als ob sie leicht aufgelöst werden, ja, als ob sie mit geringer Anstrengung einfach ü b e r w u n d e n w e r d e n könnte. Eine bestimmte A n f ä n g e r b e f a n g e n h e i t (s. Seite 133) löst sich in der T a t vielfach von selbst. Aber es gibt auch eine B e f a n g e n h e i t , d i e s i c h n i c h t m i t d e r Ü b u n g a u f l ö s t . U n d sie weist auf tiefere Zusammenhänge. Die Psychologie ist längst zu der Erkenntnis vorgedrungen, d a ß auch die O b e r f l ä c h e n r e g u n g e n des Menschen in seinem Zentrum ihren E r r e g e r haben. Jede B e f a n g e n h e i t i s t A n g s t . Und j e d e k o n k r e t e Angst, weil sie ein Stück der Angst ü b e r h a u p t ist, hat mit der Ursituation des Menschen zu tun. „Die Angst vor dem Leben ist die Angst, sich selber gewahr zu werden 8 9 ." „Angst ist ihrem Wesen nach immer Todesangst 9 0 ." „Die Angst offenbart sich als irreligiöses Existenz Verständnis 91 ." Die Psychologie der Gegenwart hat damit die alte W a h r h e i t wiedergefunden, die im Johannisevangelium ausgedrückt ist: „In der Welt h a b t ihr Angst 9 2 ." Das G e f ü h l des Verlorenseins ist dem Menschen in seinem Ursein mitgegeben, und es lebt in ihm als Angst. Diese m e t a p h y s i s c h f u n d i e r t e A n g s t sucht vielfach ihre Gegenstände im Säkularen. W e r von der metaphysischen Angst nichts in sich trüge, h ä t t e auch keine konk r e t e n Tagesängste, er w ä r e auch nicht befangen. D a w i r aber alle in der Weltsituation sind, wissen w i r auch alle um Angst. I h r e letzte und endgültige Ü b e r w i n d u n g ist n u r in der Fortsetzung des Johanneswortes gegeben: „Aber seid getrost, ich habe die Welt ü b e r w u n d e n . " Insofern hat auch jede k o n k r e t e irdische Angst mit irdischen O b j e k t e n ihre metaphysische Tiefe und k a n n von ihr aus aufgelöst werden. Aber wir sind nicht immer so groß u n d überwindend „im Glauben", daß das stets unmittelbar d u r c h den Glauben geschähe. Und Gott hat auch den Menschen nicht so eingerichtet, daß er die Verschlingungen und die Webmaschen des Seins überspringen d ü r f t e . Auch metaphysisch b e g r ü n dete Erscheinungen müssen, weil sie sich durch die ganze Raumweite des Seins ziehen, in allen Schichten des Seins angegriffen werden und können von ihnen allen aus angefaßt werden. Obwohl es also in einer Reihe von Fällen geschieht, daß von der E n t w i r r u n g des Zentrums aus alles andere bis zur Peripherie, vom tiefen Glauben aus alle Angst bis zum äußerlichen Befangensein bei der Predigt sich löst, muß doch meist der k o n k r e t e Weg der Auflösung im Anfassen der konkreten Situation beschritten werden. Es ist d a f ü r schon immer eine Hilfe, wenn m a n sich zunächst j e d e Befangenheit möglichst offen e i n g e s t e h t und ihr Vorhandensein möglichst u n v e r k ü r z t erkennt. W i r sollten die Hemmungen gegen dieses Eingeständnis verlieren. Befangenheit ist keine Schande. „Im Wechsel der Situationen wechselt auch das Persönlichkeitsgefühl. In ihm erscheint 89 Hans Künkel, Der furchtlose Mensch, Jena 1938. S. 33. » Philipp Lersch, Der Aufbau des Charakters. Leipzig 1938. S. 59; vgl. auch Klages, Heidegger u. a. 91 Johannes Neumann, Angst und Krankheit vor dem Examen. 1933, S. 19. »2 Joh. 16. 33.
Hilfe von der Angst
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nicht nur die gegenwärtige Situation, sondern es verkörpert die Summe der Erfahrungen, die wir gemacht haben Dies Auf und Ab, das bei dem einen stärker und bei dem andern schwächer ist, läfit sich nicht vermeiden 93 ." Dann kann man versuchen, das O b j e k t festzustellen, an das die Befangenheit sich heftet. Für das äußere Auge sind die beiden hauptsächlichsten Möglichkeiten die Angst vor der Gestaltilng und die Angst vor der Darbietung, also Unfreiheit gegenüber der Sache und Unfreiheit gegenüber der Gemeinde. Beide miteinander wirken in der A n g s t d e s A n f ä n g e r s . Sie ist ein Tribut an das Lernen, den man zahlen muß, und ein unliebsamer Zustand, durch den man hindurch muß. Man kann sich damit trösten, daß Angst als Reaktion auf die Aufgabe echte Reaktion ist. Wer Unsicherheit und Bangen im Anfang eines so großen Dienstes, wie die Predigt es ist, überhaupt nicht kennt, hat nicht eine verheißungsvolle, sondern eine besorgniserregende Prognose. Seine Sicherheit ist nicht tief genug fundiert und mit der Aufgabe noch nicht wirklich konfrontiert. Angst vor der hohen Forderung der Gestaltung macht es zunächst nötig, daß man, anstatt unter seiner Unzulänglichkeit nur zu leiden, sie erkennt, und bewußt den Raum absteckt, auf dem man leistungsfähig ist. Jeder Arbeitende bewegt sich in dem Felde zwischen Minderleistung und Höchstleistung, und hier entsteht die konkrete Arbeitsnot als Angst vor der Gestaltung. Die Hilfe liegt darin, daß wir unserer Grenzen uns ruhig und sachlich bewußt werden. Damit ist es uns möglich, auch unserer Kräfte bewußt zu werden. Denn wenn wir die Grenze unserer Leistungsfähigkeit erkennen, so gewinnen wir den Raum bis zu dieser Grenze hin, und können auf ihm das uns Mögliche leisten. Denn wenn ich meine Grenzen erkenne, so weiß ich nun zwar, über welche Linie ich nicht hinaus kann, aber ich weiß nun auch, daß ich bis zu dieser Linie heran kann. Wer in dieser Weise seine G r e n z e n e r k e n n t , soll nun zunächst in aller ernsten Bereitschaft hierin sein Schicksal bejahen, von Gott das Pfund nehmen, das er empfangen hat, und nicht nach einem größeren Pfunde schielen. Was wir haben, stellt uns i m m e r eine umfassende und uns ausfüllende Aufgabe. Die Grenzen erkennen, bedeutet nämlich nicht nur, daß ich leider mein eigenes Feld nicht überschreiten kann, sondern auch, daß ich beauftragt bin, dieses Feld wirklich allseitig zu durchschreiten, und daß ich damit mit meinem Dienst in das Gesamtleben eingeordnet bin. Sobald wir unsere Grenzen und Kräfte bejahen, wird die Arbeit sachlich, interessant, fruchtbar und sinnvoll. Wer so mit sich selbst im Reinen ist, kann auch frei werden von dem unglücklichen und soviel Schmerzen bereitenden V e r g l e i c h m i t d e m b e g a b t e r e n A m t s b r u d e r , womöglich auf derselben Kanzel. Es ist ein sinnloser und hemmender Zustand, wenn ein Mann, der sein Bestes tut, seiner Gemeinde dient und sein Leben an eine hohe Aufgabe 93 Heiß, Die Lehre vom Charakter. Berlin 1936. S. 179, 180, 179.
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
setzt, womöglich durch Jahrzehnte hindurch die Unruhe über den größeren Erfolg oder die höhere Begabung des arideren in sich trägt und sich und seiner Familie damit das Dasein trübt. Psychologisch gesehen ist der Schade sehr tiefgreifend, weil der Mensch in diesem Zustand eine „Beziehungsperson" hat, die nicht nur am Rande seines Seins steht, sondern ihn im Kern seines Wesens unfrei macht und sein Wirken in seiner Ganzheit trübt. Solche Zustände sollten, wenn möglich, gründlich abgearbeitet 94 werden, zumal sie willkommener Anlafi zur gänzlichen Durcharbeitung und Erarbeitung des Selbst werden könnten. Im übrigen erhellt schon aus einem sehr schlichten und ohne Psychologie möglichen Überlegen, daß gerechterweise sich nur ein Totalvergleich durchführen ließe, und man also das ganze Leben des beneideten Amtsbruders übernehmen müßte, auch mit seinen Schwierigkeiten und seinem Leid. Die Volksweisheit hat in einigen Märchenmotiven dieses Problem sehr eindrücklich gestaltet. Wo das Gesamtleben des beneideten Anderen so ist, daß man auch mit dem Ganzen gerne tauschen würde, muß man sich erstens klarmachen, daß man trotz allem keinen vollen Einblick hat in das, was er eventuell letztlich trägt. Sodann aber stoßen wir hier nur noch unmittelbarer auf eine Kernfrage nicht nur unseres Wirkens, sondern unseres gesamten Seins sub specie aeterni. Der Mensch soll sein, wer er ist und stehen, wo er ist, das ernst anfassen und darin froh werden. Die eigenen Grenzen und Kräfte bejahen, ist zugleich ein Schritt auf dem Wege zum· Selbst. Wer sein Selbst gefunden hat, ist frei von dem Zwange des Vergleichs. Er ruht in sich, und eben darin werden seine eigentlichen Kräfte frei. Neben der Angst vor der Gestaltung, also der Aufgabe als solcher, steht die A n g s t v o r d e r D a r b i e t u n g , also die Angst vor der Gemeinde. Die Angst vor der Gemeinde ist Angst vor der unsichtbaren Polizei. In der Regel ist sie eine aus der Kindheit übertragene Unfreiheit. Damals Avar der Polizist der Vater oder die Mutter, jetzt ist es die Gemeinde, oder der beurteilende Amtsbruder (der nicht dasselbe ist wie der beneidete), oder die kirchliche Gruppe, oder ein besonders treuer Gemeindekreis, vielleicht auch die Pfarrfrau. Abarbeiten und Erarbeiten sind liier und an anderen Stellen im Sinne der psychologischen Tiefenarbeit gemeint. Einen Fehler, eine Hemmung, eine Neurose abarbeiten bedeutet, daß man sie nicht von außen her oder gewaltsam zu unterdrücken sucht, sondern aus dem Unbewußten heraus ihren Herd, ihre Quellen und ihre Motive aufdeckt. Dadurch werden die in ihr unorganisch und gegen das Gesamtsein wirkenden Kräfte so umgeordnet, daß sie sich in das Ganze der Seele helfend eingliedern. Das bisher negativ Wirkende wird zu positiver Wirkung gebracht. Erarbeiten schlummernder Fähigkeiten bedeutet dementsprechend, daß ebenfalls ihre Wurzeln im Unbewußten aufgedeckt werden, so daß die schlummernden Kräfte erwachen und im Ganzen der Seele hilfreich wirksam werden. Oft wird auf diese Weise das Gefühl der Gesundheit und Freude neu geweckt und die Leistung erheblich gesteigert.
Angst vor der Herde, die keinen Hirten hat?
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U n t e r dem Vorbehalt, d a ß a u c h h i e r ein Zustand vorliegt, d e r in d e r R e g e l n u r d u r c h T i e f e n a r b e i t seine volle Lösung f i n d e n k a n n , ist es doch schon eine Hilfe, w e n n m a n sich die g e f ü r c h t e t e Polizei einmal e i n f a c h g r ü n d l i c h a n s i e h t . Sie ist nicht so f ü r c h t e r l i c h , sie h a t i h r e Schwächen, g e n a u w i e w i r selbst. Vor allem a b e r : trotz i h r e r N e i g u n g zum Richten, F o r d e r n und r a s c h e n A b u r t e i l e n gilt f ü r sie in oft e r s c h ü t t e r n d e m A u s m a ß das W o r t Jesu von d e r H e r d e , die k e i n e n H i r t e n h a t 9 6 . W e m die W a h r h e i t , die er v e r k ü n d e n soll, so groß ist, d a ß sie ihn e r f ü l l t , d e m w i r d an d e r G e m e i n d e i h r u n b e r e c h t i g t e s und selbst i h r berechtigtes R i c h t e r a m t klein, u n d groß w i r d i h m die Not, die, h i n t e r k l e i n e n u n d großen D i n g e n v e r b o r g e n , doch auf seine V e r k ü n d i g u n g w a r t e t , j a vielf a c h d u r c h seine V e r k ü n d i g u n g ü b e r h a u p t erst zum W a r t e n u n d A u f h o r c h e n b e f r e i t w e r d e n möchte. Man p r e d i g e d e s h a l b in g l a u b e n d e r H i n w e n d u n g zu Gott so w a h r u n d tief, d a ß die Menschen vor d e m i n n e r e n A u g e wesenlos w e r d e n mit i h r e r k l e i n e n K r i t i k u n d die Angst v o r d e r K r i t i k sich auflöst im Lichte d e r erlösenden W a h r h e i t . D e n n d e r P r e diger i s t T r ä g e r einer W i r k l i c h k e i t , d e r e n G r ö ß e u n d G e w a l t w i e ein l e b e n d i g e r Strom alles Kleine und Kleinliche w e g s c h w e m m e n k a n n . In dem Maße, in d e m uns das W i r k l i c h k e i t w i r d , w e r d e n w i r f r e i von d e r Angst. A b e r w i r sind alle Menschen. D a r u m müssen w i r d a z u sagen, d a ß die N ö t e d e r g e n a n n t e n A r t nicht „ u n e i g e n t l i c h " sind. D i e A b s t e m p e l u n g einer tatsächlichen S c h w i e r i g k e i t mit dem Stempel „ u n e i g e n t l i c h " ist ein Stück Selbstbetrug, d u r c h das s c h e i n b a r das Gew i c h t d e r Not a u f g e h o b e n , in W a h r h e i t a b e r d e r Kampf gegen sie entm ä c h t i g t w i r d . Alle solche Nöte, a u c h w e n n w i r uns i h r e r schämen und d a n n e r s t recht, sind im höchsten Maße „eigentlich". Sie gehören als wesentliches S t ü c k zu u n s e r m L e b e n u n d wollen e r n s t h a f t u n d w i r k l i c h a n g e f a ß t und aufgelöst w e r d e n . Letztlich b e i z u k o m m e n ist also, w e n n a n d e r s m a n den Menschen als ein einheitliches Ganzes n i m m t u n d auch s c h e i n b a r p e r i p h e r e E r s c h e i n u n g e n in d e r T i e f e w u r z e l n , a u c h d e r P r e d i g t a n g s t u n d i h r v e r w a n d t e n Zuständen n u r dann, w e n n die A u f l ö s u n g bis in die T i e f e d e r U b e r w i n d u n g d e r „ W e l t a n g s t " h i n e i n r e i c h t . H o m i l e t i s c h e H i l f s a r b e i t z u r Ü b e r w i n d u n g d e r Unsicherheit, b e s o n d e r s w e n n es sich u m Angst vor d e r G r ö ß e d e r A r b e i t h a n d e l t , k a n n m a n d a d u r c h tun, d a ß m a n f ü r sich T e i l a u f g a b e n s c h r i f t l i c h l ö s t , also e t w a auf G r u n d einer Gesamtdisposition einen Teil e i n e r P r e d i g t a u s a r b e i t e t u n d w i e d e r h o l t g e n a u d u r c h a r b e i t e t u n d vervollkommnet. D i e B e s c h r ä n k u n g auf einen Teil bietet die Möglichkeit, ihn n a c h verschiedenen R i c h t u n g e n hin a u s z u b a u e n u n d A u s f ü h r u n g e n v e r schiedener A r t ü b e r denselben k u r z e n G e d a n k e n a b s c h n i t t sich nebeneina n d e r zu stellen. O f t h i l f t das wesentlich zum E r k e n n e n d e r eigenen A r t u n d zum F i n d e n d e r eigenen Möglichkeiten u n d Wege. Ebenso i n s t r u k t i v i s t es, Teile g e d r u c k t v o r l i e g e n d e r P r e d i g t e n von b e d e u t e n d e n A u t o r e n i n den eigenen Stil u m z u a r b e i t e n o d e r a u c h P r e d i g t t e i l e sehr verschiedenes
Mc. 6. 34.
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D i e Bedeutung des Subjektes für die Predigt
artiger Prediger über denselben Gedanken miteinander zu vergleichen und dann den Gegenstand in eigener Arbeit auszuführen. Man mufi aber in die anderen wirklich hineingehen und durch sie hindurch wirklich zur eigenen Art vorstoßen, nur dann hat diese Übung ihren Sinn. Neben der Angst steht ein negatives Moment, das die Predigtleistung gefährdet und in ihrer Gestalt beeinflufit, die ihr verwandte M ü d i g k e i t . Sie kann Müdigkeit infolge von Überforderung sein, davon ist im nächsten Kapitel zu reden. Sie ist auch nicht identisch mit Ermüdung. Es gibt eine gesunde Ermüdung durch die Arbeit, wenn man bis zuletzt gern gearbeitet hat und dann sich wohlig dehnt. Müdigkeit aber ist etwas anderes: ein junger Mann im Alter der Berufswahl wurde gefragt, ob er, wie sein Vater, Pfarrer werden wollte, worauf er entsetzt erwiderte: „Um Himmels willen, sein ganzes Leben lang immer reden und immer wieder dasselbe sagen müssen!" Hier ist von dem Wesen des Vaters ein typischer Zustand der Müdigkeit abgelesen. Echtes Leben ist immer interessant und macht nicht müde. Der betreffende Pfarrer hat in seiner Tätigkeit die Begegnung mit der Wirklichkeit verloren. Er ist von der Müdigkeit auf dem langen Wege erfafit. Müdigkeit ist ein Mattsein schon vor und Mattbleiben in der Arbeit. Sie folgt aus einer falschen, nämlich lebensfernen Reaktion auf das, was uns begegnet. Müdigkeit tritt dann ein, wenn wir versuchen, uns um Anforderungen, die an uns gestellt werden, zu drücken oder wenn w i r uns in falscher Art um sie bemühen, so dafi wir auch das, was wir tun sollen, falsch machen. Man überwindet sie in beiden Fällen also nicht in der Predigtarbeit selbst, sondern im Gesamtbereich des Lebens dadurch, daß man überall so offen und lebendig wie möglich alles aufnimmt, was einem entgegenkommt und auf Menschen und Forderungen eingeht nach bestem Vermögen. Das gilt von der inneren Umstellung bis zur äußeren Ordnung und Zeiteinteilung. Wer für alles bereit ist, und es richtig anfafit, arbeitet mit Freude das, was ihm aufgetragen ist. Als Gegensatz zur Müdigkeit steht ihr gegenüber die unberechtigte S e l b s t z u f r i e d e n h e i t . Sie ist eine Zufriedenheit, die nicht der Leistung entspricht und wird angewendet als unbewußter Schutz gegen die Erkenntnis geringwertiger Leistung. Sie steigert die Leistung nur in den Augen des Autors, in den Augen der andern, die richtiger sehen, setzt sie sie herab. Auch hier führt der Weg zur Überwindung in die innerste Tiefe. Wer mit sich selbst „zufrieden" ist, hat sein Selbst noch nicht gefunden. Das echte Selbstsein gibt Frieden, aber nicht Zufriedenheit. Man darf in dem allen eine wirkliche Selbsterkenntnis wagen, auch wenn sie uns zeigt, daß unsere Kräfte geringer sind als wir meinten oder wünschten. Entscheidend ist nicht die Begabung, sondern die Hingabe, und zwar nicht nur für das Urteil, sondern auch für die konkrete Wirkung. Der Begabtere hat vielleicht einen größeren Zulauf; daß er deswegen die größere Wirkung hat, ist nicht gesagt. Hat er die seinen größeren Gaben entsprechende Hingabe, so wird auch seine Wirkung diesen entsprechen. Aber ob sie deshalb größer ist als die Wirkung des
Die immer frische Kraft von innen
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geringer Begabten mit der ihm entsprechenden Hingabe, ist erstens f r a g lich, und zweitens, w e n n es der Fall ist, vor dem höchsten Gericht gleichgültig. Dienst ist Dienst, und w e r seinen Dienst ganz erfüllt, hat ein ganzes Leben. Neben der G e f a h r der E r m ü d u n g steht die der R o u t i n e . Sie ist sehr unmittelbar, weil alles, was w i r f o r t l a u f e n d zu tun haben, uns in die Versuchung f ü h r t , mit wachsendem Können u n d Gewohntsein uns innerlich weniger zu beteiligen. Das Wesen der Routine liegt darin, dafi w i r etwas tun, ohne „ganz dabei zu sein". Im G r u n d e bedeutet das aber nicht n u r , dafi unsere A u f m e r k s a m k e i t nicht dabei ist, sondern d a ß unser Selbst nicht voll eingesetzt wird. Die w i r k s a m e Reaktion gegen die Routine ist nicht der extensive Fleiß. Er k a n n variabel sein. Ja, er k a n n eine Flucht vor der intensiven Leistung sein. Sondern darin liegt die eigentliche Hilfe, daß w i r mit u n b e i r r b a r e r Hingabe j e d e Predigt von neuem i n d e r T i e f e a n s e t z e n . Die Arbeit k a n n k u r z sein, sie k a n n auf die Niederschrift verzichten, sie k a n n u n t e r Umständen auf Minuten sich beschränken 9 6 . D a s alles entscheidet nicht, auch bei kürzester Arbeitsleistung k a n n j e d e s Verfallen an Routine ausgeschaltet bleiben. Aber darauf kommt es an, daß, ob w i r kurz oder lange arbeiten, die H i n g a b e ganz ist, u n d das Selbst in der Leistung ganz darin ist. N u r in dieser H a l t u n g sind wir auch v o r der großen G e f a h r geschützt, die in häufigen improvisierten Reden liegt. Sie können den Menschen unheilbar zerfasern. Ist er aber jedesmal, sei die R e d t auch noch so k u r z und u n e r w a r t e t , mit seinem ganzen Selbst darin, so w i r d er trotz des Improvisierens u n d in ihm immer wesenhafter. D e m entspricht dann echte Freude, nicht t r ä g e Zufriedenheit. O b unser Wohlgefallen an der Arbeit F r e u d e ist und also Befriedigung im tieferen Sinne, oder ob wir n u r zufrieden sind, ist ein sicherer Mafistab f ü r ihren Wert. Zwangsläufig schicksalhaft aber im negativen Sinne k a n n eine f a l s c h e Z i e l s e t z u n g werden. Sie k a n n bestehen in einseitiger Vorliebe f ü r Lieblingsgedanken, die uns mehr und m e h r Ziel werden, u n d in denen w i r mit der Zeit verarmen. Sie k a n n erwachsen aus dem v e r k ü r z t e n Bestreben zu helfen u n d zur veredelten Demagogie werden. In solchen u n d ähnlicher! Fällen entsteht das „ D r e s s a t " ( K ü n k e l ) . Es besteht darin, daß der Mensch auf einen bestimmten A n r u f , der in diesem F a l l e d u r c h die A u f g a b e zu predigen laut wird, in bestimmter zur Gewohnheit gewordener Weise reagiert, die nicht aus seinem voll lebendigen Wesen kommt. D a n n werden w i r einseitig und arm, u n d es ist uns mit der Zeit immer weniger möglich, der bunten Mannigfaltigkeit des Lebens gerecht zu werden. Auch das Dressat w i r d ü b e r w u n d e n d u r c h Eingehen in die Tiefe u n d Erwachen zum Selbst. Echte Arbeit aus der Ganzheit des Seins u n d in der Fülle des Lebens b e w a h r t vor Langeweile u n d Eintönigkeit. Die d a n n f ü r die Predigt sich ergebenden Variationen u n d der damit entstehende lebendige Wechsel bis in die A r t der Anlage hinein soll aber ®e Zur Begründung solcher Möglichkeiten vgl. Kap. V.
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
nicht, wie N i e b e r g a l l rät, erfolgen, um die Predigt interessant zu machen, denn damit wird ein niederer Instinkt der Gemeinde angesprochen, sondern sie folgt aus der inneren Notwendigkeit des vielgestaltigen Selbst und seiner Beziehung zum mannigfaltigen Leben der Gemeinde. Es gibt ein N i c h t d i s p o n i e r t s e i n und ein D i s ρ on i e r t s e i n . Und die Möglichkeit ist darin bei niemandem immer gleich. Man kann indisponiert sein aus dem Vielerlei der sonstigen Anforderungen, oder aus der unaufhörlichen Einseitigkeit der Anforderungen, oder aus der Leere des eigenen Inneren. Wo das Vielerlei verwirrt und erschöpft, da hat nicht rechteitig die das Selbst bewahrende Gegenströmung aus der Tiefe eingesetzt. Auch hier liegt also wiederum eine Aufgabe vor, die nicht nur die Predigtarbeit, sondern das Gesamtwesen des Menschen betrifft. Die Heilung des inneren Schadens ist wichtiger als das meist vergebliche Bemühen, das Vielerlei der Anforderungen herabzuschrauben. Allerdings ist oft zugleich ein radikales Abschneiden u n n ö t i g e r Forderunfeen möglich und notwendig, zumal solcher Nebenämter, die im Grunde eine Flucht vor dem Hauptamt sind. (Siehe oben, II. Kapitel, III. 2.) Bei Einseitigkeit der Anforderungen liegt das Verhältnis von Außen und Innen ähnlich, die Einseitigkeit muß kompensiert werden. Die Kompensation kann, äußerlich gesehen, in sehr verschiedenen Dingen liegen. Wichtig ist aber, daß ihre Wahl aus der Tiefe des Selbst kommt. Der Gegenstand kann deshalb auch wechseln, aber er muß immer nach Möglichkeit ein wirklicher Ausgleich und ein Gegengewicht, nicht nur Abwechslung als Scheingegengewicht sein. Inneres Leersein kann seinen Grund haben in dem schon oben erwähnten Mangel an Gehalt, es kann aber auch darin gründen, daß man ausgehöhlt ist durch die gehäufte Begegnung mit Nichtigkeiten. Auch hier ist der Rückgang in die Tiefe die wirksamste Hilfe, die vom Indisponiertsein zum Disponiertsein führt. Hier ist die weitestreichende Möglichkeit und die stärkste persönliche Verantwortung. In allen drei Fällen aber spielt das Gesetz des für die einzelne Leistung m ö g l i c h e n K r a f t - u n d Z e i t a u f w a n d e s eine entscheidende Rolle. Es ist für eine Homiletik in der Gegenwart eine der wichtigsten Aufgaben, daß sie nicht Forderungen stelle und Ratschläge gebe, die in der Praxis nicht erfüllt werden können. Wir müssen der Tatsache ins Auge schauen, daß die Kräfte des Menschen begrenzt sind, und daß er noch mehr als genug, oft mehr als zu viel, andere Dinge in seinem Tageslauf unterzubringen hat. Es ist aber im Tiefsten schädlich für die Predigtleistung, wenn der Prediger ihr gegenüber ständig ein schlechtes Gewissen hat, weil er zu wenig zur Predigtarbeit kommt. Unter dem Vorbehalt des in Kap. V Auszuführenden ist hierzu zu sagen, daß Luthers pecca fortiter im radikalen und unter Umständen robusten Sinne gelten kann, wenn die Loslösung von einem undurchführbaren Pflichttegriff nicht, leichtsinnig, sondern gewissenhaft geschieht. Jedenfalls ist solche entschlossene Lösung von dem quälenden Bilde undurchführbarer
Di« Sammlung· auf des Wesentliche und die echte Zuversicht
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F o r d e r u n g e n besser, weil f r u c h t b a r e r , als ein ewiges K r a n k e n . Und das besonders dann,, wenn die seelische Haltung sich d a d u r c h kompliziert, d a ß man einem inneren Empfinden nach eigentlich k r a n k e n müfite und doch nicht k r a n k t , weil m a n sichs nicht leisten kann, wenn m a n also die Unstimmigkeit a b w i r f t , statt sie abzuarbeiten. Man soll wissen, was man kann, das wirklich tun, u n d was d a r ü b e r hinausgeht, steht in Gottes H a n d und soll e r n s t h a f t ihm anheimgegeben werden. Die der Befangenheit und Angst entgegengesetzte Mitgift ist die Zuversicht. Welche von beiden der Mensch in höherem Maße empfangen hat, entscheidet w e d e r über seinen Wert, noch über seine Tauglichkeit als Prediger. Jesaia und Jeremia stehen nebeneinander mit dem zuversichtlichen „hier bin ich, sende mich" und dem Trostwort „Sage nicht, ich bin zu jung" 9 7 , und beide sind Propheten. Es gibt Z u v e r s i c h t a l s E i n b i l d u n g , Zuversicht aus Anlage als Frohsinn des Herzens, und Zuversicht aus Können, als berechtigtes Zutrauen zur Leistung. Die erste ist keine echte Zuversicht u n d w u r d e schon u n t e r der unberechtigten Selbstzufriedenheit e r w ä h n t . Zu ihr gehört auch die dogmatisierende Leichtmütigkeit, die J a m e s - W o b b e r m i n erwähnt, und die eine tpyische Theologengefahr ist. James unterscheidet dies.e „mehr willkürliche und dogmatisierende Leichtmütigkeit" von der u n w i l l k ü r lichen Lejchtmiitigkeit. Mit dieser ist gemeint die echte, natürliche, die unmittelbar F r e u d e an den Dingen empfindet. Die willkürliche sieht in a b s t r a k t e r Weise (also aus dogmatischen G r ü n d e n ) die Dinge als gut an. Sie „schließt das Übel aus dem Gesichtskreis aus" 9 8 . W e n n auch der T y p optimistischer Frömmigkeit, den J a m e s dabei im Auge hat, in A m e r i k a echtere u n d zahlreichere V e r t r e t e r hat als in Deutschland, so ist doch in seiner Unterscheidung ein Hinweis gegeben, d e r eine homiletische G e f a h r herausstellt: die „frisch-fröhliche" Zuversicht, die w e d e r die sachlichen G e f a h r e n noch die persönlichen Schwächen einschließlich der Leistungsschwache sieht. S t a r k e x t r a v e r t i e r t e u n d zugleich nicht sehr tiefe Theologen sind ihr nahe. Sowohl der gewaltsame Wille wie das Verpflichtungsgefühl zu einem „fröhlichen" Christentum w e r d e n dem Leben nicht gerecht, sie b e w a h r e n nicht im Manne die Jugend, sondern sie machen ihn kindisch. W e m Z u v e r s i c h t a l s A n l a g e , also als Grundstimmung, mitgegeben ist, der hat ein w u n d e r b a r e s u n d gnadenvolles Geschenk empfangen, f ü r das er immer d a n k b a r sein soll. Es w i r d seine Leistung t r a g e n u n d seine Predigt mit einer lichten K r a f t erfüllen, die auch die Gemeinde erhebt u n d zuversichtlich macht. D a ß dieser Frohsinn des Herzens seine tiefe K r a f t bleibe, ist f ü r ihn Recht u n d Pflicht. Aber die Wechselfälle des 97 Jes. 6. 8, Jer. 1. 7. PS James-Wobbermin, Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. IV. 1925. Seite 84.
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
Lebens und der Doppelsinn des Schicksals w e r d e n diese Zuversicht selbst in guten Zeiten aus jugendlicher Helle wandeln in ernst-freudige K r a f t , die doch auch dunkle Untertöne hat. D e n n schon in leichten Schicksalstagen gleicht die echte Zuversicht den hellen Registern der Orgel, die n u r auf dem t r a g e n d e n G r u n d e der dunklen überzeugend klingen, n u r mit ihnen zusammen ein ganzes Spiel sind. Auch wo die L e b e n s f r e u d e regiert, w i r d dem gereiften Manne n u r solche ganzheitliche Zuversicht abgenommen, weil n u r sie bei dem überzeugend sein k a n n , der in die Tiefen des Lebens geschaut haben muß. Arbeit an der Gestaltung des Selbst ist h i e r unmittelbare A r b e i t an der Predigt. In Not und Schrecken wird im Gegensatz hierzu oft geradezu erwartet, dafi keine Zuversicht ohne nicht n u r dunkle, sonderen düstere Untertöne sich hervorwage. D e r Prediger hat angesichts dessen sorgsam darauf zu achten, wie wohl er dem H ö r e r tun k a n n , wenn er all' seine Finsternis u n d Verzweiflung aufnimmt u n d ihr geläuterten A u s d r u c k gibt als d e r Helfer, der zum Lichte f ü h r e n soll. E r muß d e r Versuchung standhalten, die ihm geschenkte Zuversicht u n b e g r ü n d e t oder auch n u r scheinbar u n b e g r ü n d e t sprechen zu lassen. E r muß sie in sich selbst an allen F e u e r n der Not erproben — aber er darf sie auch an ihnen e r h ä r t e n . Es gibt, auch in dunkelsten Zeiten, hie u n d da das gnadenvolle Geschenk u n b e i r r t e r , dennoch wirklichkeitsnaher Zuversicht u n d unbesiegbarer Lebensfreude. Sie k a n η n u r echt sein, w e n n sie in unbedingtem Ernst die Ewigkeit in die Wirklichkeit einbezieht. D a n n aber soll sie auch mit aller K r a f t tragen, helfen, trösten, ermutigen u n d das Loblied der u n a u f h e b b a r e n G n a d e künden. Z u v e r s i c h t a u s K ö n n e n ist nicht Stimmung, sondern Haltung. Sie steht in dem gemessenen Kampf u m immer wieder erneutes H e r a n kommen an die mögliche Höchstleistung. Die Leistung besteht hier nicht n u r im rhetorischen Können u n d im gedanklichen Finden u n d Gestalten. Es gehört zu ihr vielmehr das ständig fortschreitende E r k e n n e n der Wahrheit, das Eingehen auf die Zustände des Lebens und das D u r c h leuchten i h r e r H i n t e r g r ü n d e . Nicht schon der Redner, sondern erst d e r Seelsorger, nicht schon d e r Leistungsfähige, sondern erst d e r in d e r Weisheit Stehende ist ein Könnender in der Predigt. Dieses Können umf a ß t den ganzen Menschen und r u f t alle seine K r ä f t e , bis in die T i e f e d e s Selbst hinein, zur höchsten Gestaltung auf. Ist hier die Zuversicht begründet, so gibt sie dem Manne W ü r d e und Gewicht, u n d wo dies Können da ist, darf die aus ihm entspringende Zuversicht nicht fehlen, denn ihr Fehlen w ä r e u n w a h r u n d u n w ü r d i g . A b e r dennoch ist unberechtigtes Eingebildetsein ihr gefährlich nahe, u n d f ü r diese tiefgreifende u n d verhängnisvolle W a n d l u n g des besten Seins in Schein haben die Hörenden ein feines Empfinden. Zuversicht aus Können schließt die Herzen auf, Einbildung schließt sie zu, enttäuscht u n d erbittert. W e r auf der Höhe des Könnens w a n d e l n d a r f , ist d a d u r c h m i t dem Gewicht einer sehr sorgsam zu behandelnden A u f g a b e gut u n d schwer beladen, deren E r f ü l l u n g w i e d e r u m auch hier seiner Zuversicht den dunklen, gewichtigen u n d v e r t r a u e n e r w e c k e n d e n Ton gibt.
Der dunkle Unterton
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A u c h die echteste und stärkste Zuversicht bleibt nicht immer sich selbst gleich. Es ist kein Zeichen von Wankelmütigkeit, wenn sie umschlägt in Zagen, in der Arbeit, in der Predigt oder nach der Predigt. Es w i r d hierauf im letzten Kapitel zurückzukommen sein. c) Arbeitsart
Zum Schicksal des Predigers gehört schließlich die besondere A r t des Arbeitens, die ihm seine Möglichkeiten gibt und zugleich seine Belastung darstellt. Die A r b e i t s a r t ist durch die Struktur der Persönlichkeit bedingt, und man kann wohl zeitweilig sie ändern, kommt aber auf die Dauer immer wieder auf die schicksalhaft gewiesene zurück und ist vor allem in der Feinarbeit und für die Höchstleistung an sie gebunden. Das Problem liegt darin, daß der Prediger die ihm entsprechende Arbeitsart finde und nicht lebenslang oder doch allzu lange sich (und die Gemeinde!) mit gewissenhaft gelernter und doch ihm nicht natürlicher Arbeitsart quäle. Es gibt Linienarbeit, Serpentinenarbeit, und Spiralarbeit. In jedem Menschen sind alle drei Möglichkeiten vorhanden, aber in der Regel ist eine die überwiegende und diejenige Denkart, in der seine hauptsächliche Leistung sich vollzieht. Jede von ihnen ist gleichermaßen mit Freuden und mit Schmerzen verbunden, das letztere um so mehr, j e feingliedriger sie ist, und j e mehr sie die Höchstleistung ermöglicht. Es handelt sich bei dieser Unterscheidung vorwiegend nicht um die endgültige Gestalt der Predigt, sondern um die A r t und Weise, wie bei der Arbeit die Gedanken ineinanderspielen. D i e Eigenart eines jeden ist am deutlichsten im frühesten Stadium der Denkarbeit erkennbar. Wie die Einfälle sich gleichsam selbst weiterarbeiten, in welcher A r t von Linien^ führung sie ihrer Endgestalt entgegengehen, ist hier das Entscheidende. L i n i e n a r b e i t ist die schlichteste A r t der Arbeit. Was einsetzt als Einfall, geht in gerader Linie fort, ohne daß andere Gedanken wesentlich störend dazwischenkommen. Es können zwar weitere Gedanken daneben auftauchen, und oft tun sie das auch. A b e r jeder besetzt sozusagen für sich ein eigenes Feld, und die Felder greifen im wesentlichen nicht ineinander über. D a die Gedanken sich nicht stören, läuft jeder ohne Schwierigkeit zu seinem Ziel. Diese A r t der Arbeit ist die häufigste bei schlichten Geistern. Sie kann in aller Einfachheit stark und überzeugend sein, und ob sie es ist, das hängt hier wie bei den anderen Arten davon ab, wie unmittelbar und unbedingt der Mann mit seinem Glauben und seiner K r a f t dahinter steht. Wir müssen uns in der evangelischen Homiletik von dem Vorurteil lösen, als ob die geistvollste und tiefste Predigt immer die nachhaltigste Wirkung habe. Ja, es können große Geister von ganz einfachen Worten entscheidend gepackt werden. Es wird also mit den hier zu besprechenden Unterscheidungen kein charakterliches oder pastorales Werturteil abgegeben, sondern ein homiletischer Tatbestand festgestellt. Er steht in Verbindung mit der biblischen Erkenntnis, daß die Menschen verschieden sind, auch an Gaben und Leistung — und mit der
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Die Bedeutung- des Subjektes für die Predigt
menschlichen Erkenntnis, daß jemand liebenswert und bedeutsam oft durch ganz andere Dinge wird, als durch Gaben und Leistung! Ein jeder wuchere mit seinem Pfund und nehme seinen Posten an aus Gottes Hand. Und wem mehr gegeben ist, von dem wird man auch mehr fordern. Die Möglichkeit der Linienarbeit ist monumentale Größe, ihre Gefahr, dafi sie platt werden kann. Trotzdem hat sie oft vollwertige Bedeutung, abgesehen von den erwähnten Sonderfällen, für Menschen einfacher Struktur. Man denke an einfache Dorfgemeinden mit einfachen und doch höchst wirksamen Predigern. Da geht die Predigt oft über Schwierigkeiten und Feinheiten des Lebens hinweg, und das bringt keinen Schaden, weil die Hörer diese Schwierigkeiten und Feinheiten ebenfalls nicht sehen. Was feiner verästelte Gemüter unbefriedigt läfit, kann einfachere voll erfüllen. Umgekehrt gehört es zu den bemerkenswertesten homiletischen Beobachtungen, dafi die Größe wirklich großer Prediger oft von der Mehrzahl der Hörer gar nicht verstanden wird. Es ist nicht nur ein Unsegen, daß viele Menschen keinen Sinn für Format haben! In besonderen Fällen kann Linienarbeit dennoch in Verbindung mit starker Kraft des Eindringens nicht nur auch auf große Geister nachhaltig wirken, sondern auch echte Vereinfachung und damit entscheidende Vertiefungen und Lösungen auch für die gründlichsten Geister bringen. S e r p e n t i n e i l a r b e i t verläuft in der Linienführung der Serpentine. Die Gedankenfelder werden nach rechts und links hin überschritten, entgegengesetzte Dinge geraten in Beziehung zueinander, und das Ganze ist in der Regel von einer gewissen, unter Umständen starken Spanimng geladen. Man empfindet schon bei den Einfallen, daß sie sich verbinden wollen und oft einander entgegengesetzt sind und hat vielfach Not, das Ganze zur Einheitlichkeit zu gestalten. Mit der wachsenden Schwierigkeit ist freilich auch' wachsendes Ergebnis verbunden. Wer auf dem Felde der Möglichkeiten nicht nur das einlinige Vorwärts, sondern zugleich das Hin und Her von rechts nach links hat, gewinnt eine zentralere Schau und einen weiteren Blickwinkel für die Wirklichkeiten des Lebens und ihre Verarbeitung in der Verkündigung. Die wirksame Hilfe gegen die innere Spannung liegt darin, daß man über die Serpentine nicht den Überblick verliert. Je fester das Ganze in den Bereich der Bearbeitung geratene Gedankenfeld ständig überschaut wird, um so einheitlicher wird das Ergebnis. Diese Art der Arbeit spricht stärker als die erste diejenigen an, die die Zwiespältigkeit und den Doppelsinn des Lebens lebhaft empfinden. In der echten Verarbeitung ergibt sich aber nicht eine Angleichung, nicht die Herausstellung des sogenannten (meist nicht sehr goldenen!) Mittelweges, sondern es erfolgt, j e größer die geistige Kraft ist, ein um so stärkeres Umgreifen der Weite und Fülle des Lebens. Wer in dieser Weise arbeitet, hat manchmal die erstere Arbeitsmöglichkeit zugleich daneben, in der Regel jedoch ist er im wesentlichen auf die zweite geworfen und sieht alle Dinge in ihrer Art.
Es wechseln Tiefen und Höhen
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Die eigentliche Tiefe f ü h r t , wenn sie das stärkste und also bestimmende Element ist, zur Verarbeitung des einfallenden Gedankengutes in einer Weise, deren Weg der S p i r a l e gleicht. Ihr Wesen ist, daß sie einen umfassenden Kreis von Gegebenheiten erreicht und diese immer w i e d e r umkreist, und zwar jedesmal auf einer höheren Ebene bzw. (man k a n n den Spiralweg auch umgekehrt sehen) in einer tieferen Tiefe. Die Schmerzen und die Ratlosigkeit dieses Denkens liegen darin, daß in der Arbeit sich wirklich sehr oft alles zu drehen scheint und auf dem Wege dieser wirbelnden Gedankenfolge j e d e r Einfall immer wieder in anderem Lichte erscheint. So arbeitende Menschen können häufig bei reichem und wertvollem Material, besonders in den ersten Jahren, noch unmittelb a r vor der k l a r e n Lösung das G e f ü h l eines hoffnungslosen Durcheinander haben und ü b e r den Wert des Einzelnen und des Ganzen unsicher sein. Das Schwanken zwischen Mut und Hoffnung, der j ä h e Wechsel zwischen dem G e f ü h l viel und nichts zu haben, ist hier am stärksten, und zugleich ist man hier am meisten darauf geworfen, sich auf Intuition und Gestaltung aus dem Unbewußten und U n g r e i f b a r e n h e r a u s verlassen zu müssen, und es k a n n in dieser A r t der Arbeit schon am meisten so gehen, daß man zeitweise n u r schaffen k a n n „mit dem seligen Genügen und der verzweifelnden Mutlosigkeit, welche stets meine verschiedenen Arbeitsperioden bezeichnen" 9 9 , bis man zu ruhigerer Gestaltung gelangt. A b e r zugleich ist hier die weitestreichende Möglichkeit gegeben, alle Tiefen zu erfassen und der Mannigfaltigkeit des Lebens ebenso nach seine: Weite wie nach seiner Tiefe gerecht zu werden. Die Schmerzen der Arbeit sind hier am stärksten, aber das Ergebnis ist am größten. Bei j e d e r der drei G r u p p e n k a n n in einem der Reihenfolge entsprechend steigendem Maße die Endarbeit Schwierigkeiten machen, bei der letzten besonders die E r a r b e i t u n g einer dennoch k l a r e n endgültigen Gestalt. Bei der ersten am wenigsten und bei der letzten am meisten k a n n das Ergebnis so sein, daß die Fülle und K r a f t der G e d a n k e n m a n g e l n d e Einlinigkeit und Schlichtheit der D a r b i e t u n g ausgleichen muß. Noch zum Teil in diesem Abschnitt gehört die Verschiedenheit des Ergebnisses der Arbeit bis zur Fertigstellung des M a n u s k r i p t e s . Was als P r e d i g t m a n u s k r i p t herauskommt, k a n n j e nach Verschiedenheit der Anlage Sprechmanuskript oder Studiermanuskript sein. S p r e c h m a n u s k r i p t ist ein solches, in dem die fertige Predigt, wie sie gehalten wird, vorliegt. Je näher der Mensch der Linienarbeit steht, um so näher auch dem Sprechmanuskript. Je komplizierter der Prediger ist, um so mehr arbeiten die G e d a n k e n in ihm vom fertigen Manuskript aus weiter, so daß dieses ein S t u d i e r j m a n u s k r i p t ist. Das ist gegenüber der ersten A r t weder ein Manko, noch eine Vernachlässigung, ist vielmehr ein Unterschied der Art. F ü r das Endergebnis der Arbeit sowie f ü r die innere Sicherheit ist es aber wichtig, daß man sich d a r ü b e r k l a r wird, auf welche Seite man gehört, und daß derjenige, der 99
Anselm Feuerbach, Vermächtnis. S. 128.
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
ein Studiermanuskript erarbeitet, die W e i t e r a r b e i t in freier Beherrschung u n d mit u n b e k ü m m e r t e m Gemüt in die gehaltene P r e d i t a u f n e h m e n kann. Unterwertig in jedem Falle ist die „Schreibe" (Schreiner), d. h. ein Manuskript, das nicht Unterlage zur lebendigen Rede ist, sondern p a p i e r n e s Erzeugnis, getränkt, vielmehr getrocknet vom Schreibtischgeist. W e r diese Not ü b e r w i n d e n will, hat vor allem die Aufgabe, zu den Hörenden in der inneren Vorstellung eine so lebendige und u n m i t t e l b a r e Beziehung zu finden, dafi er nicht a n d e r s k a n n als z u i h n e n r e d e n u n d dafi er auch am Schreibtisch sie vor sich h a t mit ihrem lebendigen Schicksal. Wer eine Schreibe statt einer Rede arbeitet, ist beziehungslos z u r lebendigen Gemeinde; w ä h r e n d e r arbeitet, steht er im Banne entweder seiner „Theologie" oder eines schulmäßigen Verständnisses seiner A u f g a b e oder — wirklich n u r seines Schreibtisches. Er sollte sich zu dem Wagnis entschließen, wenigstens zunächst einmal auf das ausgearbeitete M a n u s k r i p t zu verzichten u n d nach Stichworten zu predigen, oder nach ausführlichen k u r z e n Hilfssätzen, bis er auch beim Schreiben ein R e d e n d e r ist u n d nun in neuer Weise schreiben kann. d) Fluidum
Aus allem, was im Prediger ist u n d aus ihm kommt, entsteht eine einheitliche Strömung, die auf die H ö r e n d e n sich a u s w i r k t als ein ständiger und beim Einzelsubjekt im wesentlichen sich gleichbleibender Lebensstrom. In A n b e t r a c h t seiner Vielgestaltigkeit und rationalen Umgreift a r k e i t w i r d er am besten mit dem allgemeinen W o r t F l u i d u m bezeichnet. K a r l B e t h stellt in dieser Hinsicht zwei wesentliche Tatsachen fest. Erstens: „Die wirksamste Seelsorge geht vom Unbewußten zum Unbewußten", u n d zweitens: „Das Fluidum, das vom Seelsorger ausgeht, ist nichts Zufälliges, sondern etwas, das sich mit dem W e r d e n des Gesamtc h a r a k t e r s der seelsorgerlichen Persönlichkeit einstellt" 1 0 0 . G u a r d i n i weist mit Recht darauf hin, daß „die Worte, mit denen m a n Lebendiges ausdrückt, leicht als unbestimmt e m p f u n d e n werden" 1 0 1 . Das liegt in der Sache und läßt sich nicht vermeiden. W e n n w i r den vom Prediger ausgehenden Lebensstrom mit dem allgemeinen W o r t e F l u i d u m benennen, so bezeichnet die C h a r a k t e r i s i e r u n g „allgemein" das F l u i d u m nicht als unbestimmt, sondern als u n v e r h ä r t e t u n d lebendig. Es ist nicht fließend im Sinne von schwankend, sondern von strömend. Das Gewicht der I m p o n d e r a b i l i e n ist auch hier wie überall im Leben von entscheidender Bedeutung. Die Erkenntnis „wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen" 1 0 2 , ist f ü r das Entstehen des Fluidums ebenso wichtig wie f ü r seine W i r k u n g der Hinweis auf das „ u r k r ä f t i g e Behagen", mit dem es „die Herzen aller H ö r e r zwingt" 1 0 2 . V e r k ü n d i g u n g w·0 Karl Beth, Religionspsycholgische Seelsorge. In: Zeitschrift für Religionspsychologie. 1928, Heft 1, S. 3 ff. 101 Romano Guardini, Wille und Wahrheit. S. 18. 102 Goethe, Faust I (Faust zu Wagner). Insel-Ausg. Bd. VI. S. 150.
Die echten Strömungen des Fluidums
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überredet nicht d u r c h Worte, beweist auch nicht d u r c h Tatsachen, sond e r n überzeugt dadurch, daß mit lebendigen Worten und einleuchtenden Tatsachen ein bezwingedes F l u i d u m sich verbindet. D a ß dieses F l u i d u m a u s d e r T i e f e n p e r s ö n l i c h k e i t kommt, ergibt sich aus dem bisher Gesagten von selbst. D e r Hörende hat das Gefühl, dafi das, was der Redende sagt, „aus der Tiefe seines Wesens quillt". Je mehr der Mensch sein eigenes Selbst gefunden hat, um so stärker, tiefer u n d überzeugender ist sein Fluidum. Die „Treue zum eigenen Gesetz" 1 0 3 ist die Q u e l l k r a f t der Fluidums. D e r Theologe muß auf diese T r e u e besonders achten, weil er m e h r als a n d e r e d u r c h die W u c h t d e r Wirklichkeit, der er dient, in d e r G e f a h r steht, an ihr nicht zu seinem eigenen Gesetz, sondern zu einem Fremdgesetz zu erwachsen. Ein i n d i r e k t e r Beweis f ü r die Bedeutung des Fluidums ist die Tatsache, dafi diejenigen, die es nicht haben, es zu ersetzen suchen. Künstliches Pathos u n d künstliches D ä m p f e n sind Ersatz f ü r F l u i d u m und beweisen d u r c h ihr Vorhandensein gerade seine Unentbehrlichkeit. Andererseits ist die Echtheit des Fluidums als einer strömenden K r a f t nicht e t w a e r k e n n b a r als vorhanden oder abwesend an d e r fließenden oder nichtfließenden Sprache und nicht vom Flufi der Sprache abhängig. Es gibt stockende Sprache, die doch mit bezwingendem F l u i d u m verb u n d e n ist. auch F l u i d u m , dessen K r a f t den Einflufi eines störenden Dialektes überwindet. D r y a n d e r bestätigte von Brückner, er h a b e in ganz unmöglicher, aufdringlicher Unschönheit seinen Dialekt gesprochen, aber so geistvoll gepredigt, dafi man nach einigen Sätzen alles Störende völlig vergessen hätte. Das Geheimnis des Fluidums e r k l ä r t die beiden m e r k w ü r d i g e n Tatsachen, dafi eine gehörte Predigt etwas ganz anderes ist als eine gelesene, u n d dafi vielfach Predigten in Wirklichkeit ganz anders wirken, als sie nach rationaler Beurteilung w i r k e n müfiten. Es gibt Predigten mit positivem Inhalt und doch negativer W i r k u n g . D e r G r u n d d a f ü r liegt darin, daß kein entsprechendes F l u i d u m vom Prediger ausgeht. Auf gleicher Linie liegt das Urteil ü b e r einen V o r t r a g : „es w a r äußerst interessant, aber ich h a t t e die ganze Zeit ü b e r das peinigende G e f ü h l : in diesem R ä u m e geschieht nichts". Die irrationale Wirklichkeit der Sache kommt auf den H ö r e r zu durch die i r r a t i o n a l e W i r k l i c h k e i t i h r e s T r ä g e r s . D e r H ö r e n d e hat dabei das Gefühl, daß das, was der Redende sagt, eine unmittelbare Verquickung des Wesens des Redenden mit dem Wesen der von ihm verkündigten W a h r h e i t darstellt. D a r u m ist es auch von Bedeutung, welcher Art das F l u i d u m des Redenden ist. Es gibt spendendes u n d zehrendes Fluidum, befreiendes und beengendes, erfrischendes u n d lähmendes, göttliches u n d dämonisches 1 0 4 . S p e n d e n d ist Fluidum, wenn es den Hörenden mit K r a f t beschenkt, z e h r e n d , w e n n es seine K r a f t in Anspruch nimmt, indem es an ihm 103 C. G. Jung, Die Wirklichkeit der Seele. S. 190. 104 Diese Gegensatzpaare wollen die wesentlichsten Linien herausstellen und beanspruchen nicht lückenlose Vollständigkeit. 11
H a e n d l e r , Die Predigt
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Die Bedeutung des Subjektes für die Predigt
zehrt. Der Gegensatz ist keineswegs identisch mit dem der verheißenden und fordernden Verkündigung. Es gibt Verkündigung, die Forderungen stellt und doch spendet, und Verkündigung der Verheißung, die zehrt. Der Unterschied liegt nicht in der Sache, sondern in der sie verkündenden Persönlichkeit. In dieser gründet er in der Tiefenpersönlichkeit. Wer ein geordnetes Selbst gefunden hat, ruht in sich, hat für sich genug, und ist reich genug, um weitergeben zu können. Er wirkt also spendend. Wer sein Selbst nicht gefunden hat, muß es bewußt oder unbewußt suchen, und da er dazu mehr als seine eigene Kraft braucht, zehrt er an der Kraft der anderen. Diese Dinge geschehen oft sowohl dem Verkündiger wie den Hörern unbewußt, sind aber da und wirken sich aus. Das ist ein neuer Beweis dafür, wie dringend der Prediger zur Durchgestaltung seines Selbst und damit zur Möglichkeit des Spendens kommen muß. B e f r e i e n d e s u n d b e e n g e n d e s F l u i d u m gehen nicht auf das Maß von Kraftströmen, die gespendet werden, sondern auf Erweiterung oder Einengung, die auf das innere Wesen des Hörers vom Prediger her ausgeht. Befreiendes Fluidum macht weit und froh, beengendes wirkt so, daß man den Atem verliert. In einer Studentenversammlung sprang nach gutgemeinten Reden älterer Herren der alte S c h l a t t e r auf und rief: „Liebe Leute, hier wird mir s zu eng. Lind ich glaube, wenn mir's zu eng wird, dann wird's euch auch zu eng." Dieser Ausruf war nicht eine gedankliche Polemik gegen die Aussagen der Redner, sondern echte Reaktion auf beengendes Fluidum. Der Prediger wird durch die Erkenntnis dieser Tatsache dazu aufgerufen, um einer positiv wirkenden Predigtmöglichkeit willen ständig an der Erweiterung und Vertiefung seines Seins zur G r e n z e n l o s i g k e i t hin zu arbeiten. Nur wer ohne Grenzen ist, hat das stärkstmögliche befreiende Fluidum. Ferner gibt es e r f r i s c h e n d e s u n d l ä h m e n d e s Fluidum. Das lähmende legt sich wie Mehltau von allem her, was der Redner sagt, auf die Hörenden. Auch kluge und tüchtige Männer können lähmend sein, wenn sie reden. Es ist aber dann immer in ihrer Tiefenpersönlichkeit etwas noch nicht befreit, irgendeine Kraft noch nicht zum Leben geweckt, irgendeine Seite ihres Wesens noch nicht mit der Wirklichkeit in Beziehung gekommen. Erfrischendes Fluidum hat der, der das Leben wirklich lebt und offen ist für das, was ihm entgegentritt. In allen Fällen ist die innere Wirkung der Predigt entscheidend vom Fluidum abhängig. Aiif weiten Strecken der Rede bekommen die Worte eben durch dieses den Ton und den Klang, und obwohl man vieles direkt sagen kann, kommt doch noch mehr das Eigentliche indirekt mit. Bei positivem f luidum aus befreitem und gestaltetem Selbst strömt die Predigt die entscheidende Atmosphäre aus, die das Vertrauen zur Gegenwärtigkeit und zur Weite und Tiefe der Verkündigung weckt. Hierdurch kann der Pharisäismus im Prediger und im Hörer überwunden werden. Die Moral verliert die Gesetzlichkeit und wird zur Ordnung. Die Lehre verliert die Starrheit und wird zur Verkündigung. Das Jenseits verliert die
Die grenzenlose Weite und die doppelsinnige Tiefe
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Lebensfremdheit und w i r d zur Gegenwärtigkeit der Gotteswelt. Die Predigt im ganzen verliert die Substanzdürftigkeit und bringt die Fülle der Wahrheit. In dieser Vollständigkeit aber ist das ein nie ganz erreichtes Ziel. Im k o n k r e t e n Leben steht auch das F l u i d u m des Predigers, und gerade dieses wegen seiner Verwurzelung in den Tiefen des Seins, u n t e r dem Zeichen d e r Doppelsinnigkeit alles Irdisch-Lebendigen. Das F l u i d u m k a n n g e s e g n e t sein und von Gott kommen, aber es k a n n auch dämonisch sein. Es gibt begnadete Menschen, die von dieser zweiten Möglichkeit nicht viel wissen. Sie können mit der einheitlichen lichten S t r o m k r a f t ihres Wesens große W i r k u n g ausüben, in der trotz der schlichten Klarheit doch alle Vielfalt des Lebens ist. Es gibt auch d u n k l e Gestalten, in denen die Dämonie des W i r k e n s ausgesprochen überwiegt. Unter den P r e d i g e r n w e r d e n sie k a u m zu finden sein, denn w e r so ist, beschreitet nicht den Weg zur V e r k ü n d i g u n g der W a h r h e i t Gottes. A b e r die D o p p e l h e i t des gesegneten und des dämonischen Fluidums tragen viele als oft quälendes Ineinander in sich. Sie spüren die Möglichkeit, daß mitten im gesegneten W i r k e n das F l u i d u m gleichsam umspringt und in den lichten Strom ein d u n k l e r stillschweigend und u n v e r m e r k t einfließt. Sie spüren, wie ihnen selbst die G e f a h r auflauert, d e r Dämonie ihres Fluidums zu verfallen. „Das alles will ich dir geben . . . 1 0 V Vielleicht werden auf diesem Gebiete die schmerzlichsten K ä m p f e ausgefochten. Aber es gibt eine L ä u t e r u n g s k r a f t des Geistes Gottes, die mitten im Ringen wirksam w e r d e n kann, j a es gibt eine Gnade, die ü b e r menschliches Verstehen und Vermögen hinaus d u r c h den Menschen wirkt, ohne seine negativen K r ä f t e zum Unheil w e r d e n zu lassen. Die Wahrheit, daß der Mensch immer mit allem wirkt, was er ist, w i r d d a d u r c h nicht eingeschränkt, wohl aber zu neuer Tiefe geführt. Man k a n n sein F l u i d u m zurückhalten, weil man gehemmt ist; nicht indem man es zu strömen hindert, denn was im Menschen lebendig ist, kann er nicht hindern. Aber er k a n n es hindern, lebendig zu w e r d e n Das ist dann w i e d e r u m nicht eigentlich eine Angelegenheit der Predigt, sondern eine des F r e i w e r d e n s zum Selbst. D a ß der Prediger sich d a r ü b e r k l a r werde, welches F l u i d u m von ihm ausgeht, ist dringend zu wünschen. Es gehört dazu keine „gesteigerte Selbstbeobachtung". Die wird mit Recht von j e d e m gesunden Menschen gefürchtet. Sie ist immer k r a n k h a f t , denn man m u f i k r a n k werden, wenn man d a u e r n d auf sich selbst sieht, weil man dadurch die Gemeinschaft mindert und der Mensch n u r in gelebter Gemeinschaft gesund sein kann. In der psychologischen Arbeit ist die ..Selbstbeobachtung" nicht k r a n k h a f t , weil sie ein Ziel hat und, bei richtiger Leitung und solider Arbeit, j e d e r Sentimentalität entbehrt, auch zeitlich durch den Abschluß der Arbeit begrenzt ist. Im täglichen Leben der Pflicht jedoch vollziehen wir, sobald wir nicht gedankenlos sind, ständig ein gewisses Maß der iu3 Matth. 4. 2. 11»
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Die Bedeutung· des Subjektes für die Predigt
Selbstbeobachtung, sofern w i r selbstverständlich darauf achten, wie „ w i r " auf a n d e r e w i r k e n , ζ. B. d u r c h unsere Ä u ß e r u n g e n im Gespräch, d u r c h T a t e n u n d so fort. N u r mit dieser Selbstbeobachtung ist Gemeinschaft möglich, w e r sie nicht ausübt, sprengt statt zu verbinden. W e n n der P f a r r e r u n d Prediger darauf achtet, wie er mit seinem Wesen, W o r t u n d W e r k auf die Menschen w i r k t , so e r f ü l l t er damit n u r eine unerläßliche P f l i c h t s.eines Amtes. Das b r a u c h t in keiner Weise ü b e r ein gesundes, offenes Sehen u n d Hören hinauszugehen, und es ist, a u c h wenn es intensiv ist, vor E r k r a n k u n g d a d u r c h geschützt, dafi es ein Ziel hat u n d dem A m t e und dem Leben dient. Selbstbespiegelung ist k r a n k u n d w i r d zu Autoerotismus. Auf sich selbst achten ist gesund u n d f ü h r t zu T a k t u n d Wärme. D a s F l u i d u m ist freilich nicht immer ganz einfach festzustellen. Man mufi mit Vorsicht an diese E r k u n d u n g herangehen und soll nicht seine Wünsche mit der Wirklichkeit verwechseln. Das Bild, das w i r uns von unserm W i r k e n machen, stimmt oft nicht mit dem der Andern. Die Korr e k t u r unserer Vorstellung von der Wirklichkeit aus ist in j e d e m Falle heilsam. Man e r k u n d e t solche Dinge nicht direkt, sondern m a n muß sie ablesen aus unwillkürlichen Reaktionen. — Und daß der P r e d i g e r diese feinnervige Lebendigkeit habe, zu „spüren", wie er aufgenommen wird, ist auch wieder eine Angelegenheit der innersten Persönlichkeit. Am F l u i d u m des Predigers hat naheliegenderweise auch die K i r c h e Anteil, der er angehört und dient. Er w i r d nicht n u r als Mann seiner Kirche angesehen und e m p f u n d e n , sondern er ist tatsächlich weitgehend von ihr geprägt. Die i n n e r e Beziehung des Predigers zur Kirche hat entscheidenden Einfluß auf sein Fluidum. Die gebundenste Beziehung gibt dem F l u i d u m die F ä r b u n g , daß der P r e d i g e r „ T h e o l o g e unter T h e o l o g e n " ist. Er redet von einer fachlichen Welt h e r u n d zu einer fachlichen Welt, von u n d zu einer besonderen Gruppe, d e r die H ö r e r (soweit sie nicht ähnlich geartete Theologen sind!) sich nicht angehörig fühlen. Ein Schritt mehr zur Wirklichkeit ist dann getan, w e n n der P r e diger immerhin „ T h e o l o g e u n t e r M e n s c h e n " ist. D a n n spricht er zu den Menschen, aber die Welt, die er v e r k ü n d e t , w i r d doch noch als f r e m d und f e r n empfunden. W e r schließlich iü echter Freiheit und in echter Bindung in seiner Kirche steht, w i r d ohne V e r k ü r z u n g seiner Theologie als „ M e n s c h u n t e r M e n s c h e n " e m p f u n d e n . Sein Wesen sowohl wie seine V e r k ü n d i g u n g sind so unmittelbar, daß überall die wirkliche V e r b i n d u n g zwischen göttlicher u n d menschlicher Welt gespürt wird. Daß der P r e d i g e r „Mensch" ist, besagt nicht, daß er der Welt der O f f e n b a r u n g f e r n r ü c k t , sondern daß er sie der p r o f a n e n Welt n a h e r ü c k t . Die geschöpfliche Einheit der Tageswelt u n d der höheren Welt w i r d e r s p ü r t ; was Gott verheißt u n d fordert, hängt nicht in der Luft, sondern wächst auf d e r Erde. Und darin eben w i r d offenbar, daß das irdische Leben so wenig in sich selbst r u h e n k a n n wie die Erde, u n d so völlig in die universale Wirklichkeit der Gotteswelt eingespannt u n d eingewoben ist, wie das Leben und Sein des Erdballs in das Leben u n d Sein des Kosmos.
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III. Kapitel Der Weg des Subjekts zum Evangelium und zum Text I. M e d i t i o n 1.
Verstehen
als
Begegnung· und
der
Ganzheiten
Evangelium
Subjekt
Das Selbst ist immer G a n z h e i t und wirkt immer als Ganzheit. Wir sind uns dessen oft nicht bewußt, tatsächlich aber steht auch in den Fällen, wo eine Einzelkraft des Menschen sich auswirkt, hinter ihr die Ganzheit des Selbst, und der Ort, an dem die Einzelkraft im Augenblick steht, sowie ihre Stärke und die A r t ihrer Auswirkung sind unmittelbares Resultat der Ganzheit. Diese Ganzheit des Einzelsubjektes ist wiederum Resultat der umfassenderen Ganzheit, in der die Vorstellungen und Erfahrungen aus den Urzeiten und die aller hinter uns liegenden Zeiten mitwirken. Mit alle dem, was im Einzelnen ist, tritt er dem Evangelium entgegen und in seinem Wege zum Evangelium und zum Text kann er nichts von dem ausschalten, was ohne sein Zutun von vorlängst her in ihn gelegt ist. A l s G a n z e s in diesem umfassenden Sinne b e g e g n e t das S u b j e k t d e m E v a n g e l i u m . Auch wo wir eine Einzel Wahrheit der Offenbarung Gottes erkennen, wo wir einen Einzelgedanken aufnehmen, steht hinter diesem Einzelnen immer die raumtiefe Ganzheit des Seins. Dementsprechend tritt uns nun auch das E v a n g e l i u m seinerseits stets a l s r a u m t i e f e G a η ζ h e i t entgegen. Es gibt zunächst kein Einzel wort und keinen Einzel text in dem Sinne, daß sie aus dem Zusammenhang des Ganzen herausgehoben wären. Sie sind immer nur in dem Sinne ein in sich geschlossener Teil des Ganzen, daß sie als Teilganzheit vom Menschen empfunden werden und als Teilganzheit in ihn eingehen können. In Wahrheit ruht ihre Kraft nicht darin, daß sie ein Einzelnes sind und als solches eine Ganzheit, sondern in der Speisung, die sie von der Ganzheit des Evangeliums empfangen. Jeder Einzeltext und j e d e s E i n z e l w o r t r u h t i m G a n z e n und wird nur aus einem vorgegebenen Ganzheitsverständnis das, was es als Teilganzheit ist. Das Ganzheitsverständnis des Evangeliums ist aber nun weiter nicht auf das S u b j e k t beschränkt, es entsteht auch nicht in ihm. Sondern in der Gesamtheit lebt es und von ihr empfängt es der Einzelne. Es wird also auch im Einzelnen wach als G e s a m t v e r s t ä n d n i s , das sowohl in die Breite wie in die Tiefe konkret bestimmt ist, ehe es vom Einzelnen
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Der Weg des Subjektes zum Evangelium und zum Text
übernommen wird, und als Gesamtverständnis lebt es in ihm. Auch der originellste Prediger versteht das Evangelium von seiner gegenwärtigen Kirche aus. Seine Originalität ist wie ein Sonderauswuchs an einem Baum. Auch im Originellen ist das Tragende das aus der Ganzheit Kommende. Die das Eigenverständnis bestimmende Kirche ist sowohl die Gesamtheit der gegenwärtig existierenden Kirche wie die in ihr sich auswirkende Gesamtheit der vorhergehenden kirchlichen Generationen. Jeder Prediger ist also zwangsläufig zunächst etwa als lutherischer oder reformierter Prediger aus der Tradition seiner Kirche bestimmt. Dafi wir die beiden Typen rein ausgeprägt sehr selten und viel mehr Mischtypen haben, ändert nichts an der Tatsache, dafi das Eigenverständnis vom Gesamtverständnis gespeist wird, sondern beweist nur, daß die Ganzheitskreise ineinander übergreifen. Es ist deutlich, dafi alles evangelische Verständnis über das Erwähnte hinaus noch auf dem gesamtkirchlichen Verständnis aufruht. Und in diesem Sinne ist es bedeutsam, daß das Wissen um die una sancta bei Luther stärker ausgeprägt war als bei vielen Theologen der Gegenwart. Wir stehen als Einzelne immer mitten in einem Ganzheitsverständnis des Evangeliums in der Welt. Jedes Aufnehmen und Verstehen eines Textes durch einen Prediger erwächst aus der Ganzheit des Evangeliums und aus der Ganzheit der Kirche und ist nur auf diesem Hintergrunde zu verstehen. Indem das Verständnis des konkreten Textes E i n z e l a u s d r u c k e i n e s G a n z h e i t s v e r s t ä n d n i s s e s ist, ist es aufzufassen wie ein Einzelstern, der für das Auge im Weltraum ein einzelner ist, aber doch unter den andern steht, ohne sie nicht gesehen werden kann, und bis in die kleinste seiner Bewegung hinein unrückbar verwoben ist in das All. Oder wie eine Ähre im Eelde. die als Einzelähre im Ganzen des Feldes steht. Oder wie eine Blume im Garten. Das Maß der Verwobenheit ist verschieden. Beim Stern ist sie total, bei der Ähre erheblich, und die Blume, zunächst an freigewählter Stelle gepflanzt, ist nun doch auch ein Teilganzes im größeren Ganzen. Es gibt fester und lockerer mit dem Ganzen verbundene Texte. Aber auch der am stärksten zugleich in sich ruhende bleibt von der Rückverbindung gespeist. Das Entscheidende im Verständnis und in der Auslegung eines Textes geschieht also gar nicht erst in der Einzelarbeit, etwa der Exegese oder der sog. Textmediation (vgl. hierzu Kap. IV). Das Entscheidende geschieht vielmehr in der B e g e g n u n g d e r G a n z h e i t e n S u b j e k t u n d E v a n g e l i u m und der hinter beiden liegenden Kollektivmächte. Damit ist gesagt, daß jede Bearbeitung eines Textes zur Predigt trotz ihrer konkreten Mefibarkeit und oft weitgehenden Intensität doch nur der kleinere und im tieferen Sinne unwichtigere Teil der Arbeit ist. Tatsächlich liegt vor ihr eine ungleich viel größere Gesamtarbeit, die das Ganze der die Jahre und Jahrzehnte eines Lebens durchziehenden Arbeit ani Verstehen des Evangeliums seitens eines Subjektes umfafit, und zwar in ihrem bewußten u n d unbewu fiten Teil. Es ist damit aber zugleich gegeben, daß jedes Verständnis des Evangeliums und eines Textes gebunden ist an bestimmte Voraussetzungen, die
Relatives Verstehen der absoluten Wahrheit
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dieses Verständnis einseitig machen. Es gibt eine absolute Wahrheit, aber k e i n absolutes Verständnis, sondern n u r ein r e l a t i v e s V e r s t ä n d nis der absoluten Wahrheit. Jede Kirche wendet diese Erkenntnis ohne weiteres auf die anderen Kirchen an. Sie mufi sie aber auch auf sich selbst anwenden. Auch die G r u n d e r k e n n t n i s s e der evangelischen Kirche tragen die M e r k m a l e geschöpflicher und geschichtlicher Bedingtheit an sich, die nicht n u r f ü r i h r e zu lebende Wirklichkeit, sondern auch f ü r ihre zu lehrende W a h r heit gelten. D a r ü b e r hinaus haben vier J a h r h u n d e r t e evangelischer Geschichte erwiesen, dafi der D u r c h b r u c h einer entscheidenden Erkenntnis des Evangeliums keine Garantie bietet d a f ü r , daß diese Erkenntnis in i h r e r Reinheit und Höhe festgehalten u n d gelebt wird. F ü r die Predigtarbeit ist aber nicht n u r grundlegend, dafi eine Erkenntnis da ist, sondern ebenso wichtig ist, ob sie in j e d e m Augenblick u n g e t r ü b t erhalten ist u n d verkündigt wird. D e n n w e d e r die Mächte, die das Verstehen des Einzelnen hintergründen, noch die, die das der Kirche gestalten, sind vor T r ü b u n g , Verfälschung und I r r t u m b e w a h r t . Die beiden in der Predigt sich begegnenden Mächte: D e r Prediger in seiner k o n k r e t e n Gestalt und das Evangelium in seiner k o n k r e t e n Gestalt sind also beide F a k t o r e n i n n e r h a l b der gelebten Geschichte und können desh a l b ständig in mannigfacher Weise getrübt werden. In diesem psychologischen Sinne gilt nicht die These, dafi das Evangelium uns nicht v e r f ü g b a r sei. Theologisch ist es uns in der T a t nicht v e r f ü g b a r . Das bedeutet, dafi Gott als Schöpfer und Erlöser der Welt souverän waltet und w i r in sein W e r k nicht eingreifen und seiner nicht H e r r w e r d e n können. Aber wir können das E v a n g e l i u m t r ü b e n , u n d sind auch im R ä u m e der evangelischen Kirche gegen diese T r ü b u n g nicht gesichert. E r f a h r e n der W a h r h e i t ist nicht n u r w i r k l i c h Begegn u n g im Sinne lebendigen Geschehens, sondern zugleich auch n u r Begegnung im Sinne dieser Relativität. Die Erkenntnis des Christen r u h t nicht auf einer unmittelbaren Absolutheit seines Erkennens, sondern auf einem l a b i l e n G l e i c h g e w i c h t z w i s c h e n s e i n e m Sein u n d d e r W a h r h e i t d e s E v a n g e l i u m s , wie sie ihm im R ä u m e d e r irdischen u n d geschöpflichen Kirche zugänglich ist. Um dieser Korrespondenz willen als des gottgeordneten Weges zu ihm sind w i r immer a u f d e m W e g e . Und deswegen sind w i r darauf gewiesen, die W a h r h e i t dadurch stets neu zu e r f a h r e n , dafi diese Begegnung zu der ihr möglichen Klarheit und Tiefe kommt. Die vermeintlich unwandelbare Richtigkeit des Verständnisses des Evangeliums in der evangelischen Kirche löst sich auch in ihr bei näherem Zusehen auf in die Relativität eines Geschehens innerhalb der Geschichte. Damit aber ist nicht die Reformation relativiert, sondern eine tiefe V e r a n t w o r t u n g gelegt auf die Wege, die wir zu dem Verständnis des Evangeliums, und das heifit zur Begegnung unseres Seins, mit ihm beschreiten.
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2. D i e S c h i c h t u n g d e r P e r s ö n l i c h k e i t in i h r e r B e d e u t u n g f ü r d i e B e g e g n u n g m i t d e m E v a n g e l i u m
Wenn der Mensch als Ganzes dem Evangelium als Ganzem begegnet so ist f ü r die Erkenntnis der Bedeutung dieses Begegnens u n d vor allem f ü r die Erkenntnis dessen, was dabei geschieht, eine Tatsache g r u n d legend, die uns erst durch die Tiefenpsychologie in i h r e r ganzen T r a g weite aufgedeckt worden ist: d i e S c h i c h t u n g d e r T i e f e n p e r sönlichkeit. D e r Mensch ist nicht lediglich Bewußtsein, sondern das Bewußtsein ist n u r die obere Schicht seiner Persönlichkeit. Diese ist aber nicht vollständig gesehen, wenn w i r nicht die u n t e r e Schicht, das Unbewußte, zugleich als wesentlichen Teil der Tiefenpersönlichkeit erkennen. D i e evangelische Kirche hat n u n von ihrem Verständnis des Menschen h e r ein wesentliches Interesse daran, die Bedeutung des Bewußtseins zu w a h r e n . D e n n in der b e w u ß t e n Entscheidung wurzelt mindestens sehr wesentlich die Yerantwortlichkeit des Menschen f ü r seine sündige Auflehnung gegen Gott, wenn auch schon in der E r w ä h n u n g allein des Unbewußten die Möglichkeit aufleuchtet, daß es eine tiefe u n d geheimnisvolle Beziehung auch zu diesen F r a g e n haben könnte, zumal im Blick auf die Ursituation, die w i r als „Erbsünde" zu bezeichnen gewohnt sind. Dennoch d ü r f e n w i r uns der Erkenntnis nicht verschließen, daß das U n b e w u ß t e ein ungeahntes Gewicht, auch f ü r das T u n u n d die Haltung, vor allem aber f ü r das genuine Geschehen im Menschen hat. Das Bewußtsein ist nicht n u r in mannigfacher Weise mit dem Unbewußten verwoben, sondern es r u h t so· unmittelbar, so u n e r g r ü n d l i c h verwurzelt auf ihm auf, daß w i r den schwerwiegenden Satz wagen müssen: D e r K e r n d e s G e s c h e h e n s ist nicht das B e w u ß t e , sondern das U n b e w u ß t e . W i r können diesen Satz hier nicht in alle theologischen Konsequenzen hinein verfolgen. Besonders können w i r seine Bedeutung f ü r die V e r a n t wortlichkeit, f ü r den freien Willen, f ü r das Problem d e r Sünde u n d d e r G n a d e nicht aufrollen. Es k a n n n u r ausdrücklich gesagt werden, d a ß V e r a n t w o r t l i c h k e i t der Persönlichkeit und G e s c h e h e n in der Persönlichkeit nicht ohne weiteres identisch sind. Ebenso muß aber betont werden, daß die Richtigkeit dieses Satzes f ü r d a s G e s c h e h e n sich m e h r u n d mehr bestätigt, j e genauer w i r es anschauen. D i e ganze Tiefenpsychologie mit ihren Erkenntnissen u n d ihren Heilimgsmöglichkeiten, vor allem mit dem, was sie d u r c h die Arbeit in d e r Seele aufdeckt, bestätigt immer wieder, daß f ü r alles b e w u ß t e Geschehen ein ganzes Netz von Vorentscheidungen im Unbewußten v o r h a n d e n ist. W i r sind uns der Bedeutung dieses Satzes bewußt, er ist f r ü h e r u n d nach d e m Angriff Doernes auf ihn immer wieder erwogen w o r d e n u n d muß doch a u f r e c h t e r h a l t e n werden. Einige Hinweise f ü r seine Richtigkeit können aus dem einfachen Alltagsleben erhoben werden, soweit wenigstens, daß einleuchtend wird, welche Tatbestände er bezeichnen will. Unsere wesentlichen Entscheidungen t r e f f e n wir aus dem Uinbewußten heraus. Soweit wir es scheinbar aus dem Bewußtsein tun, vollenden w i r mit diesem n u r einen Vollzug, d e r
Die tragende Kraft des Unbewufiten und seine Vorentscheidungen
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in wesentlichen Teilen im unbewufiten Geschehen schon fertig war. Wenn wir Entscheidungen nur aus dem Bewufitsein und gegen das Unbewufite treffen, erleben wir es oft genug, dafi sie Fehlentscheidungen sind. Auch die lebentragende Kraft des Instinktes liegt nicht im Bewußtsein, sondern im Unbewufiten, und nur wer instinktsicher handeln kann, bleibt vor groben Fehlentscheidungen bewahrt. Das Bewufitsein ist die Schicht des rationalen Denkens, und wir sind es gewohnt, unter Denken lediglich die rationale Seite unserer Denktätigkeit, das Denken in Begriffen und Schlüssen, zu verstehen. Dadurch sind wir dazu gekommen, das rationale Denken als das eigentliche zu betrachten. Wir empfinden es als das Anstrengende, als die eigentliche Arbeit; und da es leicht zu kontrollieren und ihm etwaige Fehlerhaftigkeit nachzuweisen ist, auch als das Verantwortliche. Wir haben die Empfindung: wer rational denkt, geht mit Last und Pflicht beladen seinen geraden Weg vom Ausgangspunkt zum Ziel, er nimmt die Mühe auf sich, die von ihm gefordert wird, er weiß, was er will und tut; und entsprechend empfinden wir: wer diese Anstrengung nicht als die eigentliche Arbeit nimmt, geht der Mühe aus dem Wege, er ist ein Spaziergänger, der genießt. Dennoch aber gibt es neben dem rationalen Denken ein anderes, das, obwohl es nicht kontrollierbar ist und nicht so „im Schweiße des Angesichtes" geschieht, doch durch die ihm oft widerfahrene Geringschätzung seine einschneidende Bedeutung nicht sich nehmen läßt und daher intensiver Beachtung bedarf. Die Homiletik weist auf dieses Denken hin mit Sätzen wie dem V i η e t s , der von der „gemeinen Logik" sagt: „die zwar immer sicher ist, etwas zu geben, immer sicher, einen gewissen Raum einzunehmen, aber nie mehr als die oben aufliegende Schicht des Erdreichs berührt" 1 . J u n g hat die beiden Arten des Denkens im Eingang der „Wandlungen und Symbole" als das gerichtete (= das rationale) und das nicht gerichtete bezeichnet 2 . Das Nichtgerichtete wird hier phantasieren, später „intuitives Denken" 3 genannt. Das Ursprüngliche ist nicht das erste, sondern das zweite. D a s g e r i c h t e t e D e n k e n i s t e r s t v i e l s p ä t e r a n d e m I n t u i t i v e n e n t s t a n d e n . Das erste ist aktiv, das zweite passiv. Mit diesem Hinweis auf das r a t i o n a l e u n d d a s i n t u i t i v e D e n k e n ist auf die beiden Schichten der Persönlichkeit hingewiesen. Denn das rationale Denken vollzieht sich im Bewußtsein, das intuitive gehört mit seinen Wurzeln der Schicht des Unbewufiten an. Es ist nun nicht so, wie es dem oberflächlichen Blick oft erscheint, dafi die wesenhafte Begegnung mit den Dingen und Gegebenheiten des Lebens dadurch erfolgte, daß wir mit dem rationalen Denken an sie herangehen. Die ι Vinet, a. a. O. S. 48. C. G. Jung·, Wandlungen und Symbole der Libido, 2. Aufl. 1928. S. 2 (und 7 bis 35). 3 C. G. Jung, Psychologische Typen. S. 612/3. 2
Leipzig-, Thieme
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Ratio kann zwar innerhalb ihrer Grenzen zum vollen Erfassen einer Sache kommen: Etwas was wir vorher nicht verstanden haben, können wir durch rationale Durcharbeitung „verstehen", etwa die Konstruktion einer Maschine oder den Etat eines Betriebes, oder auch einen Gedankengang. Das bleibt aber innerhalb der Grenzen des Rationalen. Es ist unentbehrlich in diesem Raum, wird aber vielfach zum Verhängnis, wenn es als das wesenhafte und eigentliche Verstehen genommen wird. Denn es beschränkt sich auf das beziehungslose Begreifen. Soweit eine Beziehung da ist vom verstehenden Subjekt zum Gegenstand, g e s c h i e h t d a s E n t s c h e i d e n d e in e i n e r a n d e r e n S c h i c h t . Den Etat eines Betriebes kann man zwar „verstehen", aber wer den Betrieb leiten will, muß d a r ü b e r h i n a u s eine intuitive Beziehung zum Etat und seinen Möglichkeiten haben. Die Konstruktion einer Maschine kann man „verstehen", aber ein rechter Maschinenbauer oder Maschinenschlosser hat eine Art persönlichen, d. h. intuitiven Verhältnisses zu seinen Maschinen. Ein nur rational begriffener Gedankengang wird nie zu einer Philosophie, sondern nur der intuitiv erfaßte und aufgenommene. Die Geschichte der christlichen Lehre ist ein klassisches Beispiel dafür, daß unser Verstehen immer zwischen den beiden Möglichkeiten steht: nur rational, oder, unbeschadet des rationalen Verständnisses, intuitiv aufzufassen, was uns Lebensgrundlage werden soll. Alle Polemik gegen das „Theologengezänk" spielt in diesem Gegensatz. Denn sie meint, — mit Recht oder Unrecht —, daß Dinge verhandelt werden, die nicht mehr wesenhaft seien, und daß soll heißen, daß die Begegnung im Lebendigen zu einer Auseinandersetzung im nur Rationalen abgesunken sei. Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, daß lebendiger geistiger Besitz, wenn er zugleich, soweit seine Natur es gestattet, rational verarbeitet ist, im Fortgang der Generationen der intuitiven, die Lebensbeziehungen tragenden Schicht entzogen und unbemerkt mehr und mehr auf die rationalen beschränkt wird. Handelt es sich dabei um die Glaubensgrundlage des Lebens, so hat das infolge der Zentralität des Gegenstandes zur Folge, daß die intuitiven Schichten überhaupt verkümmern und die rationalen ein ungesundes Ubergewicht gewinnen. Die Folge ist, daß der Glaube seiner V e r w u r z e l u n g i m W e s e n des Menschen verlustig geht. Diese Entwicklung haben die Dinge weithin im P r o t e s t a n t i s m u s genommen, und die Frage einer Umwendung auf einen gesunderen Weg ist deshalb von lebenswichtiger Bedeutung. Dieser Notwendigkeit kommt ein a l l g e m e i n e s B e d ü r f n i s entgegen. Wir beobachten überall, wo neues Leben aufbricht, wie man sich vom Rationalen weg und dem Intuitiven zuwendet. Im Leben steht nicht mehr das unbeteiligte, nur beobachtende, Denken und Entschließen im Kurs, sondern das durchblutete Handeln und Leben. Beispielhaft hierfür sind Werke wie K ü k e l h a u s , Urzahl und Gebärde. Freilich spielt daneben immer die Gefahr verkürzender neuer (Jberbetonung des Rationalen. Es wird über Gesundheit und Zukunft unseres Lebens entscheiden, ob wir die Wurzelung im Irrationalen wiederfinden oder nicht. Im religiös-kultu-
Die Bedeutung des Unbewußten für Kirche und Glauben
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rellen wie im irreligiösen Leben sind weithin neue irrationale Kräfte spürbar, die teils der Kirche gegenüber neutral ihr Eigenleben führen, teils sich gegen sie wenden. Ein rationaler Protestantismus kommt gegen diese Flut nicht an. Wo altes Mauerwerk und frische Flut zusammenstoßen, ist die Flut stärker, und zwar nicht nur bei den „anderen", als ob es sich um ein Rettungsmanöver in eigener Sache handelte, sondern auch bei uns selbst. A u c h und erst r e c h t der C h r i s t k a n n von den r a t i o n a l e n S c h i c h t e n n i c h t l e b e n . Und diese Tatsache muß in der Kirche erkannt werden! Es geht um die irrationale Wirklichkeit, die das Leben der Welt speist, und um die Frage, ob die Kirche gesunde und kräftige Wurzeln genug in die Tiefe senden kann, um diese Speisung aufzunehmen und dem „Leibe" zuzuleiten. Die ganze Fülle christlicher Wahrheit m u ß mit den t i e f e r e n Schichten des Seins neu a u f g e n o m men w e r d e n . A u c h im G l a u b e n l i e g t der K e r n des G e s c h e h e n s n i c h t im B e w u ß t e n , s o n d e r n im U n b e w u ß t e n . Nicht so, als ob man sich seines Glaubens nicht bewußt werden und nicht mit rationaler Klarheit ihn gegen andere Haltung absetzen könnte, wohl aber so, daß auch hier d i e G e s c h e h n i s s e a u f der sichtbaren Bühne des B e w u ß t s e i n s geleitet werd e n v o n F ä d e n , die aus einem unsichtbaren, unkontrollierbaren und s e h r v i e l i n h a l t v o l l e r e n u n d m a n n i g f a l t i g e r e n H i n t e r g r u n d e kommen. Denn irrationale Erkenntnis ist nicht gegenrationale Erkenntnis. Sie führt nur über die rationale Erkenntnis hinaus in Tiefen, die rational nicht mehr erfaßt werden können. Darum müssen wir auch und gerade im Christentum, und erst recht die Prediger, der Ausstrahlungen des Unbewußten soweit habhaft werden können, daß wir zu einem Ausgleich zwischen Bewußtsein und Unbewußtem kommen, wie er in der Psychologie das anerkannte Ziel der Arbeit ist. Man ist dann gegen störende Einbrüche des Unbewußten in das Tagesleben geschützt und die Tiefenkräfte können fruchtbar werden. 3. M e d i t a t i o n a l s W e g z u m E v a n g e l i u m a) Bitdschicht und bildhaftes Denken
Der Vorgang, in dem das geschieht, führt den Menschen aus den äußeren Bereichen in die Mitte des Seins und der Wirklichkeit hinein. Von diesem In-die-Mitte-Hineingehen empfängt der Ausdruck M e d i t a t i o n (med-itari) seine plastische Deutung und seinen wesenhaften Sinn, und dieser Sinn ist der. eigentliche und bleibende 4 . Meditation in diesem Sinne ist von früheren Zeiten als wichtigstes Mittel zur Gestaltung des Lebens erfahren worden. Für die weit verbreitete theologische Zurückhaltung gegenüber einem derartigen Wege ist es angebracht, den Hinweis S t ä h l i n s wiederzugeben 5 : „Wir nehmen (mit geistlicher 4 Die Etymologie des W o r t e s „Meditation" ist nicht sicher. Doch kann man unter diesem Vorbehalt eine sich aufdrängende, bildhaft klare und immerhin mögliche, W o r t a n a l y s e verwenden, um den Sachgehalt zu verdeutlichen.
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Übung) e i n E r b e u n s e r e r e i g e n e n K i r c h e wieder auf, das nicht die Reformation, sondern erst die Aufklärung hat verfallen lassen. L u t h e r selbst hat die ganze m e d i t a t i v e Schulung des s p ä t e r e n M i t t e l a l t e r s i n s i c h a u f g e n o m m e n , hat Lehrbücher der Meditation zeitlebens eifrig zitiert uüd hat nie aufgehört, d i e P r a x i s d e r M e d i t a t i o n s e l b s t zu ü b e n u n d a n d e r e n zu empfehlen Wer unter uns weiß denn, dafi ein Mann wie Calvin das Fasten empfiehlt, weil es so sehr geeignet sei, die Seele f ü r die heilige Meditation zu bereiten? Wer vermutet als den Verfasser einer Schrift »Heilige Meditation zur Erweckung wahrer Frömmigkeit und zur Förderung des inneren Menschen« einen klassischen Dogmatiker der protestantischen Orthodoxie wie Johann Gerhard®?" Wir reden hier nicht von der sogenannten „Predigtmeditation", die man besser anders nennen sollte (vgl. Kap. V, 1, 3), sondern von einem anderen, umfassenderen und tiefergreifenden Vorgang. Der Unterschied ist von Wilhelm Stählin herausgearbeitet 7 . Es ist sowohl f ü r uns selbst wie f ü r unsere Predigt grundlegend wichtig, dafi wir die Wege der Meditation wieder gehen lernen. Unsere Predigt wird dann nicht etwa nur bereichert, wir bekommen nicht im üblichen Sinne mehr „Gedanken" oder treffendere Formulierungen oder eindrücklichere Einfalle allein, sondern es wird alles i m W e s e n a n d e r s . Es strahlt dann von der Predigt eine neue Ruhe und Tiefe aus, die das Empfinden weckt, dafi hier etwas da ist, was sehnlichst gesucht wird und ein neues Vertrauen wachruft und rechtfertigt. Denn eben was aus den rational nicht mehr erreichbaren Tiefen kommt, ist das eigentliche Leben. Die Predigt wird lebendig, wenn der Prediger es wagt, sich dem irrationalen, intuitiven Denken zu überlassen. In der Schichtung der Tiefenpersönlichkeit ist zwischen Bewufitsein und Unbewufitem eine verbindende Mittelschicht vorhanden. Was uns bewufit ist, liegt klar zutage, es wird vom Bewufitsein aus rational, d. h. in Begriffen und Schlüssen gedacht. Das tiefste Unbewußte ist uns unzugänglich. Diejenige Schicht aber des Unbewußten, die dem Bewußtsein am nächsten liegt, ist uns zugänglich. Sie bietet uns ihren Inhalt aber nicht in Begriffen und Schlüssen, sondern in Bildern an. B
In: Das Gottesjahr 1938. Kassel 1938. S. 14/15. Sperrungen von mir. Zur Meditation v g l Dedo Müller, Ethik, S. 180 ff. Dort auch die Literaturangaben, aus der inzwischen erschienenen Literatur zu ergänzen durch: Wilh. Stählin, Das Gottes jähr 1938, Joh. Stauda-Verlag Kassel. Carl Happich, Anleitung zur Mediation, 2. Aufl., Kommissionsverlag Ed. Roether, Darmstadt 1939. Romano Guardini, Wille und Wahrheit (Geistl. Übungen) Mainz 1937. Älter, aber instruktiv hinführend vorn rationalen zum meditativen Denken: Guardini, Liturgisch© Bildung (Versuche), Burg Rothenfels/M. 1923. Neuestens zusammenfassend: Κ. B. Ritter, Uber die Meditation als Mittel der Menschenbildung, Kassel 1947. Einführend und eindringend, geistesgeschichtliche Einordnung, weitere Literatur. ι Wilh. Stählin, im Deutschen Pfarrerblatt, 1939, Nr. 41 und 42. S. 775 ff. Vgl. dazu auch Wilh. Stählin: „Uber die Meditation von Bibeltexten", Deutsches Pfarrerblatt 1943, neu abgedruckt im Gesetz-Verordnungsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Oldenburg. Amtl. Beilage: Predigthilfe 1946/47. 5. Folge. S. 24 bis 26. 8
Meditation als bildhaftes Schauen
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Die wissenschaftliche E r a r b e i t u n g d e r B i l d s c h i c h t ist seinerzeit d u r c h C a r l H a p p i c h erfolgt 8 . Im täglichen Leben ist es einem j e d e n b e k a n n t , dafi er nicht n u r mit Begriffen, sondern auch mit Bildern arbeitet. Kinder u n d Primitive denken vorwiegend in Bildern, u n d ihr Lebensgeschehen vollzieht sich entscheidend in der Bildschicht. Sprachlich gestalteter A u s d r u c k des in der Bildschicht entstehenden Erkenntnisgutes sind die Märchen und die Gleichnisse, u n d was in der D i c h t u n g ihnen v e r w a n d t ist. Unbewufit verwenden w i r die Bildschicht, das innere Schauen, fortw ä h r e n d . W e n n ein Mensch uns zum ersten Male begegnet, so haben w i r in zeitloser Schnelligkeit ein „Bild" von ihm. Es mag sich später w a n delri, aber auch d a n n geschieht die W a n d l u n g nicht d u r c h D e n k e n , sondern d u r c h „ S e h e n " . W i r d e n k e n nicht um, sondern es ä n d e r t sich das innere Bild. Und oft „wissen" w i r das ganz genau lange, ehe w i r sagen können, was sich geändert hat. In der Bildschicht vollzieht sich j e d e s rasche Handeln, j e d e r i n t u i t i v e E n t s c h l u ß , etwa das Ausweichen vor einem schnell h e r a n k o m m e n d e n Auto. D a denken w i r nicht, sondern w i r „sehen", wo w i r hinmüssen. Dafi die Bildschicht die oberste Schicht des Unbewufiten ist, zeigt sich darin, dafi in besonders gespannten Situationen w i r so u n m i t t e l b a r handeln, dafi uns sogar das Bild nicht bewufit wird. Man weiß nachher erst, was m a n getan hat. O d e r m a n beobachte etwa die A r t u n d Weise, wie m a n sich an einem lebhaften Gespräch eines Kreises von Menschen beteiligt. Irgendein W o r t r u f t spontan in uns ein Bild wach, u n d w i r f ü h l e n uns gedrängt, das, was w i r sehen, zü sagen. Geht das Gespräch weiter, ohne dafi w i r es sagen konnten, so suchen wir das Bild festzuhalten. Vergessen bedeutet, dafi das Bild absinkt, und sich e r i n n e r n geschieht dadurch, dafi das Bild w i e d e r auftaucht. D e r erwachsene Mensch u n s e r e r Zeit e r f ä h r t aber das W i r k e n der Bildschicht so, dafi es ihm ausdrücklich bewufit wird, weithin n u r noch in d e m j e n i g e n Zustand, in dem das bewufite D e n k e n m e h r oder weniger ausgeschaltet ist, nämlich im h a l b w a c h e n H i n t r ä u m e n u n d im Schlaf. Im schlafenden Menschen kommt die Bildschicht i m T r a u m z u t a g e . D a h e r r ü h r t die tiefe Bedeutung, die der T r a u m f ü r den Primitiven hat u n d die n e u e Bedeutung, die er bei e r w a c h e n d e r E r k e n n t n i s der Bedeut u n g des Unbewufiten gegenwärtig wieder gewinnt. Die V e r w e n d b a r k e i t des T r a u m m a t e r i a l s in d e r Psychotherapie b e r u h t d a r a u f , dafi die T r a u m w e l t die Quelle zum Erfassen dessen ist, was d e r Mensch an E r kenntnis u n d Weisheit in seinem Unbewufiten, sowohl im persönlichen wie im kollektiven, in sich trägt. D i e vielfach zu beobachtende F r e m d h e i t g e g e n ü b e r dieser A r b e i t der Psychologie r ü h r t daher, dafi der Mensch von h e u t e in der Regel hilflos ist i m V e r s t e h e n d i e s e r „ B i l 8 Carl Happich, Das Bildbewufitsein als Ansatzstelle psychischer Behandlung·. Im Zentralblatt für Psychotherapie. Bd. V. Heft 11. 1932. S. 663 ff. Ders.: Bildbewußtsein und schöpferische Situation, Deutsche medizindische Wochenschrift, Berlin 1939. Nr. 2. S. 68. Vgl. auch Anm. 5. Das dort Mitgeteilte ist in langjähriger Erfahrung immer wieder erprobt und weiter ausgebaut worden.
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d e r " , die ihm sein Unbewußtes heraufschickt. Sie erscheinen ihm grotesk und sinnlos, während sie tatsächlich höchst wahr und sinnvoll und von tiefster Bedeutung sind. Freilich ist der Zusammenhang für das Bewußtsein des im Wachzustand sich des Traumes Erinnernden so, wie der Zusammenhang von Inseln, die in der Tiefe des Meeres miteinander verbunden sind: erst in der Tiefe erkennt man den Zusammenhang. Und der Sinn und die Wahrheit sind oft deshalb so schwer zugänglich, weil der Mensch eben in seinem bewufit gelebten Leben noch nicht soweit ist, dafi er den Sinn und die Wahrheit erfassen könnte. Und doch ist gerade das Bild, es komme im bewußten oder unbewufiten Leben, die H i l f e , die uns im wirklichen Leben weiterführt. Das Bild, in dem wir die Wirklichkeit oder ein Stück von ihr „sehen", ermöglicht uns das e i g e n t l i c h e Verstehen. Rationales Denken ist diskursiv, auch das schnellste rationale Denken ist eine zeitliche Aufeinanderfolge von Begriffen und Gedanken. Weil es diskursiv ist, ist es zugleich in der Bewegung. Es ruht nicht, sondern es eilt. Alles wesenhafte Verstehen aber ist nicht diskursiv. Es erfaßt nicht die Einzelzüge nacheinander. Solange nur das geschieht, ist eben nicht Verstehen da, sondern erst wenn die Einzelzüge sich zu einem l e b e n d i g e n G a n z e n zusammenschließen. Ebenso ist erst dann Verstehen da, wenn wir nicht mehr an den Einzelstücken entlangeilen, sondern vor dem G a n z e n v e r w e i l e n . Einheitlich und verweilend aber sind wir eben vor dem Bild. Es ist ganzheitlich und es ruht, darum kann man es anschauen und bei ihm bleiben und sein Leben in sich aufnehmen. Leben aufnehmen aber ist Verstehen. Darum ist auch das Bild das H a f t e n d e . Gedanken werden vergessen, Bilder bleiben, auch wenn sie ins Unbewußte absinken. Jeder Mensch weiß aus eigener Erfahrung, wie lebendig etwa die Landschaften bildhaft vor ihm stehen, die er mit offener Seele durchwandert hat, oder diejenigen Erlebnisse, die für ihn bedeutsam waren. Ja, man kann schon hier erkennen, wie bedeutsam oft das bewußte Leben durch das unbewußte korrigiert wird: das Unbewußte behält nämlich oft ganz andere Bilder als die vom Bewußtsein für wichtig erachteten. Und es sagt uns damit, daß in diesem scheinbar kleinen Erlebnis, dessen wir uns „zufällig erinnern", etwas Wichtiges enthalten ist, das wir noch nicht erkannt haben. Wie aber unser Unbewußtes solche Bilder festhält, so halten auch uns die Bilder fest. Sie haften in uns und liegen in unseren Tiefen bereit. Sie kommen dann gelegentlich, oft in nicht erkennbarem Zusammenhang, plötzlich wieder vor unser Auge. Und jeder gesund empfindende Mensch weiß, wie wohltuend Bilder im Gegensatz zu Begriffen -sind. Die Examensarbeit, die den Arbeitenden zwangsläufig mit Begriffen und Denkmaterial überhäuft, beweist durch das ständig sich verringernde Wohlbefinden und durch die explosiv befreite Reaktion nach dem Examen jedem Akademiker sehr deutlich, wie nötig er die Bildschicht zur Gesundheit seines Lebens braucht. Da das Bild haftet und im Unbewußten sich verankert, bleibt es im Menschen fortlaufend zu ständiger Verwendung bereit. Es verbindet sich
Gotteserkenntnis ist nur „im Bilde" möglich
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mit neuen Erkenntnissen und steigt oftmals, wenn es mit solchen eine Verbindung eingegangen ist, vor dem inneren Auge wieder auf. Dadurch erweist es sich als w a c h s e n d u n d f r u c h t b a r . Der Begriff ist wie ein Anzug, den man auswächst und dann nicht mehr tragen kann. Das Bild ist wie die Haut, die mit dem Menschen wächst. Bilder begleiten uns durchs Leben. Wenn uns Worte (Sprüche, Sentenzen usw.) begleiten und dazu die Fähigkeit haben, mit unserer wachsenden Erkenntnis auch inhaltlich zu wachsen, so tun sie es nicht durch ihren begrifflichen, sondern durch ihren bildhaften Gehalt. Das Bild hat schließlich die wesenhafte Eigenschaft, dafi es m e t a p h y s i s c h die Bedeutung eines Ecksteins im Weltgebäude einnimmt. Alle Schöpfung ist bildhaft 9 . Wir denken sie nicht, sondern wir sehen sie. Aber indem sie von uns gesehen wird, stellt sie uns nicht nur sich selbst dar, sondern weist über sich selbst hinaus. Jedem echten und erleuchteten Sehen ist alles Bildhafte in der Welt t r a n s p a r e n t . Es ist Abbild und weist auf das Urbild hin. Darin liegt weiter beschlossen, dafi d a s W e s e n h a f t e des S e i n s n u r i m B i l d e f a f i b a r ist. Es ist ein rationaler Irrtum zu meinen, dafi der Begriff das Eigentliche fasse, das bildhafte Schauen das Uneigentliche. Mit dem logischen Erfassen erreichen wir vielmehr überhaupt nur einen begrenzten Teil der Welt, und gerade da, wo das Wesenhafte anfängt, sind wir auf das bildhafte Schauen geworfen. „Auch im Gleichnis wird Klarheit gesucht, auch hier handelt es sich um Erkenntnis, auch hier wird gedacht. Aber es ist ein anderer Erkenntnisweg, und vollzieht sich nicht in Begriffen, sondern in Bildern. U n d a u f d i e s e m W e g e a l l e i n g i b t e s G o t t e s e r k e n n t n i s 1 0 . " Es ist also nicht eine Akkomodation an die Unzulänglichkeit des Menschen oder gar an die vermeintliche Kindlichkeit des Altertums, wenn die Bibel von Gott in Bildern spricht, auch nicht nur „pädagogische" Plastik, sondern sie geht damit den sachlich angemessenen und einzig möglichen Weg. Damit ist gegeben, dafi ein Sicherwerden und Fruchtbarwerden im Arbeiten mit der Bildschicht den Menschen nicht in ein kindliches Stadium zurückführt, sondern ihn vertieft und reif macht. Es leitet nicht vom Eigentlichen weg, sondern zum Eigentlichen hin. und wer auf diesem Wege sich unsicher fühlt, weil er die begriffliche Sicherheit des logischen Aufbaus vermifit, hat noch nicht gesehen, dafi alle e c h t e b e g r i f f l i c h e E r k e n n t n i s als zweite und getragene Schicht auf Erkenntnissen a u f b a u t , die in der B i l d s c h i c h t gewonnen sind. Jede geistliche Realität führt aber den Theologen in die V e r s u c h u n g , sie nur rational oder doch zunächst rational verstehen zu wollen. Dazu verleitet ihn die Forderung seines Berufes, d a s „ g a n z e " E v a n g e l i u m zu verkündigen und die bedrängende Tatsache, dafi die öffentliche kirchliche Meinung diese Forderung weithin unbewufit rational versteht. Die ..unverkürzte Lehre" und ähnliche Forderungen β Dedo Müller, Ethik. S. 149 ff. 10 Ebda. S. 153.
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Der Weg des Subjektes zum Evangelium und zum Text
f ü h r e n fast zwangsläufig in die Not, dafi der Prediger, besonders d e r junge, meint, sagen zu müssen, was er noch nicht v e r a n t w o r t e n k a n n u n d n u n selbst der Täuschung verfällt, dafi er es sagen könne, d a er es j a „studiert", d. h. rational erarbeitet hat. Die G e f a h r ist deshalb so groß, weil m a n in d e r T a t einer weitgehenden Täuschung verfallen k a n n , sofern ein tatsächlicher Zuschuß von echter E r f a h r u n g das E m p f i n d e n weckt, als ob vollwertige E r f a h r u n g vorliege. Ein Stück echter E r f a h r u n g , etwa der H a n d Gottes im Schicksal, strömt gleichsam eine d ü n n e lebendige Schicht ü b e r auf die Christologie, u n d man meint nun, in dieser auch aus E r f a h r u n g sprechen zu können. TJnd das Unbehagen über den eigenen u n b e w u ß t e n I r r t u m ü b e r t r ä g t sich auf die H ö r e r der V e r k ü n d i g u n g u n d w i r d zu dem ebenfalls oft unbew u ß t e n E i n d r u c k des Predigers, daß sie „der W a h r h e i t " f e r n seien oder sich gegen sie wehrten. In Wirklichkeit sind sie deshalb u n b e r ü h r t geblieben, weil eine gelebte u n d d a r u m überzeugende W a h r h e i t ihnen gar nicht gesagt w o r d e n ist. Es muß also der Theologe mit besonderer H i n g a b e Wege beschreiten, die ihm von der rationalen Vorläufigkeit seiner Theologie zu wirklicher E r k e n n t n i s helfen können, d. h. zu Erkenntnis, die in seinen inneren Schichten sich vollzieht. b) Meditation als Eingehen in die Bildschicht
Meditation ist die Kunst, i n d i e B i l d s c h i c h t e i n z u g e h e n u n d in ihr Erkenntnisse zu empfangen. Die G e g e n w a r t ist weithin darauf gewiesen, in dieser einst viel feeiibten Kunst wieder mit schülerhaften Anfängen zu beginnen. Sind sie so schülerhaft, daß sie uns beschämen möchten, so sind sie doch so wichtig u n d verheißungsvoll, daß w i r das ü b e r w i n d e n sollten. Sind sie uns so f r e m d , daß w i r uns in ihnen deplaciert vorkommen, so liegt die Kümmerlichkeit nicht an diesen neu zu beschreitenden Wegen, sondern in uns. Scheinen sie uns aber zu selbstverständlich, so sind w i r u n t e r Umständen dem Leben aus der Meditation sehr n a h e u n d haben das bisher n u r nicht •erkannt. Haben w i r das G e f ü h l , daß sie nicht w e i t e r f ü h r e n , so sind w i r noch im Anfangsstadium u n d urteilen noch aus dem gespannten Emp·: finden des Lebenskampfes in den V o r d e r g r ü n d e n des Seins, daß, j e l o h n e n d e r der Erfolg sein soll, um so anstrengender der Einsatz sein müsse. Die G e g e n w a r t k ö n n t e bis in die theologischen Kreise hinein die Leglückende G n a d e Gottes neu e r f a h r e n lernen, daß es ein volles u n d lebenswertes Leben auch in gelöster Entspanntheit gibt, und daß diese f ü r das Ziel, ein solches zu gewinnen, besonders f r u c h t b a r ist. Die sind die Stärksten im Kampf u n d in d e r K r a f t der Anspannung, d i e a u s •diesen b e f r e i e n d e n S c h i c h t e n zu s c h ö p f e n v e r m ö g e n . Meditation muß im wesentlichen u n t e r F ü h r u n g gelernt werden. W o sie in wirkliche Tiefen f ü h r e n soll, ist sie nicht n u r verheißungsvoll, sond e r n zugleich gefährlich, weil im F r e i w e r d e n der Tiefenschichten auch die dämonischen Mächte im Menschen a u f b r e c h e n u n d die bis dahin gebundenen Kettenhunde los w e r d e n können. Sowohl um der E i n f ü h r u n g u n d Übung wie um der G e f a h r willen ist hier F ü h r u n g notwendig.
Der Raum um uns und der Raum in uns
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Aber es gibt schlichte Anfänge, die immerhin jeder soweit erproben kann, wie sie sich literarisch zugänglich machen lassen. Wobei sich die barmherzige Führung Gottes auch darin erweist, dafi der Mensch auf eigene Faust in der Regel aus der Literatur nicht mehr herausliest, als ihm zur Zeit zugänglich ist und er vertragen kann, während andererseits mancher spontan Verwandtes, vielleicht unbewufit längst Ausgeübtes, aufdeckt, und in der Fortführung und Vertiefung bestärkt wird. Es gibt schlichte äußerlich-innerliche H i l f e n , die zu dieser Vertiefung den Weg erleichtern können. Die einfachste und doch eine sehr wirksame Hilfe geben wir uns schon dann, wenn wir uns dazu schaffen, was wir als notwendig empfinden. R i t t e l m e y e r sagt in einer Predigt über Joh. 15, 1—11: „Wir können im Laufe des Tages, wenn wir eine Pause zwischen der Arbeit haben, unsere Gedanken statt aller anderen Wege den Weg zu Gott gehen lassen und, ohne dafi es uns irgend jemand anmerkt, unsere ganze Seele ruhen lassen in Gott und gleichsam reinigen und baden im göttlichen Licht 11 ." Dazu 23 Jahre später: „Wo hat der Mensch der Gegenwart seinen Berg der Anbetung?" und „Der Mensch der Gegenwart mufi sein Kloster in sich selber gründen das Wichtigste geschieht im Alleinsein. Alle Klöster der Vergangenheit sind Weissagungen auf das, was in der Seele geschehen soll 12 ." Für die a l l g e m e i n e D i s p o s i t i o n zur Meditation ist der R a u m , in dem wir in erster Linie unser Leben verbringen und das ständig auf uns einwirkt, von besonderer Bedeutung; beim Prediger also zunächst das Amtszimmer. Es gibt Amtszimmer, die durch die unruhige mitte-lose Atmosphäre, die sie ausströmen, plastisches Zeugnis des ungeordneten Wesens ihres Bewohners sind und ihn an einer Durchordnung seines Wesens hindern. Dabei geht es nicht um den äußerlich korrekten Eindruck. Es gibt Räume, die so „ordentlich" sind, daß sie kein Leben haben. Es gibt andererseits organische Unordnung, die in der Arbeit Ordnung ist. Letztlich geht es nicht um den Eindruck von außen her, sondern um die Anordnung von innen her und den mit ihr verbundenen Eindruck. Wichtig ist die Gesamtatmosphäre des Zimmers. Äußerlich räumliche Uberfüllung beengt auch die Seele. Die will frei sein. Und sie will „ihren" Raum haben. Darum umgebe man sich mit organisch zugehörigen Gegenständen, d. h. solchen, die eine Beziehung zum Bewohner haben. Je mehr wir den Raum u m u n s lebendig durchordnen, um so leichter kommen wir an die Durchordnung des Raumes i n u n s heran. Bei der eigentlichen Meditationsübung sollen über die allgemeine Ordnung hinaus H e m m n i s s e v e r m i e d e n werden. Zunächst ist es nötig, daß in dem Raum, in dem wir uns befinden, Störendes möglichst entfernt wird, wie etwa ablenkende Bilder oder Gegenstände, zu grelles Licht u. ä. Ferner sind Störungen in der Haltung zu vermeiden, die ge11
Geyer-Rittelmeyer, Gott und die Seele. Ulm 1907. S. 274. 12 Fr. Rittelmeyer, Meditation. Stuttgart 1930. S. 28/9. 12
H a e n d l e r , Die Predigt
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sammelt aber locker sein soll. Man kann weder in gestraffter noch in vernachlässigter Haltung meditieren. Die Gelassenheit und das innere Gleichgewicht der Haltung wird gehindert, wenn man im Sitzen Brust und Leib zusammenpreßt und durch Zurücklehnen. Man sitze bequem, den Oberkörper senkrecht, so dafi er im eigenen Gewicht ruht. Der Leib soll entspannt sein und nicht gespannt, entspannt, aber nicht erschlafft. Erschlaffung ist passiv, Anspannung ist aktiv, Entspannung ist eine Verbindung von gesunder organischer Passivität und Aktivität, ein ohne Gewaltsamkeit sich vollziehendes Zusammenführen der inneren Kräfte, die damit auf die organische Mitte ausgerichtet werden! Eine „vorgeschriebene" H a l t u n g zur Meditation gibt es nicht. Jeder muß in eigener Erfahrung erproben, welche für ihn die geeignetste ist. Nur muß die Haltung aufrecht, also sitzend, sein. Meditieren im Liegen ist falsch und gefährlich, weil man dabei zu sehr preisgegeben ist. Ebenso unrichtig ist der entsprechende Hinweis, „am meisten erreicht man es, wenn man im Liegen die Augen schließt" 13 . Man kann liegend die Gedanken wandern lassen, und man kann liegend „Betrachtungen" halten 14 . Abei man kann nicht echte Meditation im Liegen halten. „Meditiere nicht im Liegen, denn dann bist du hilflos und ausgeliefert" 16 . Wer Meditation im Liegen empfiehlt, spricht in Wahrheit von Betrachtung. Wer meditiert, erfährt sehr bald, wie bedeutsam die Haltung ist. In d e r R e g e l i s t d e r M e n s c h g e s p a n n t e r , a l s e r s e l b s t w e i ß , und was er für seinen entspannten Normalzustand hält, ist noch von allerlei Spannung und Unruhe durchzogen. Wer anfangs noch viel zu „denken" hat, und wem dabei Dinge einfallen könnten, die ihn an der Meditation hindern, weil er sie nicht vergessen darf, lege sich Block und Bleistift zurecht, um ein Stichwort zu notieren und dadurch die Sache loszuwerden. Entscheidend ist das A t m e n . Der Prediger und Seelsorger sollte vom Atmen wenigstens das Grundlegende wissen. Zunächst, daß das Tragende nicht das Ein-, sondern das Ausatmen ist. Dann, daß die kurze natürliche Pause nach dem Ausatmen nicht übergangen werden darf, und daß man „es" von selbst wieder einatmen lassen muß. Wir atmen also nicht in zwei, sondern in drei Zeiten: ausatmen — Pause — es einatmen lassen. Man kommt in der Regel schon nach kurzer, einfacher Übung zu einer neuen, krampflosen Ruhe und zu der Stille, in der man den Herzschlag spürt. Der Leib wird gelassen, die uns umgebende Welt zugleich ferngerückt und in neuer Beleuchtung gegenwärtig. Denn der Atem ist Zwischenelement zwischen Leib und Seele, als solches tief gedeutet in Goethes: „Im Atemholen sind zweierlei Gnaden" 16 . Im Atmen vollzieht sich der wechselseitige Einfluß von Leib und Seele aufeinander. Darum stockt der Atem beim Erschrecken, er fliegt in der 14 15 18
Karl Behm, in: Evangelische Jahresbriefe, Γ937, Neumarkverlag· Kassel. S. 134 Absetzung gegen „Meditation", Happich a. a. O. S. 13. Carl Happich, a.a.O. S. 11. Goethe, Inselausgabe, Bd. XI. S. 648 (West-östl. Divan) und XV. S. 20.
,Im Atemholen sind zweierlei G n a d e n "
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Hast, er strömt in der Stille. Aber zugleich stellt der Atem die Verbindung mit dem Kosmos her. So kann durch das Atmen Leib und Seele in Ordnung kommen oder in Unordnung gebracht werden bzw. bleiben. Schon das ganz schlichte absichtslose Atmen kann tief beruhigend und lösend wirken und zum Wesenhaften führen. Es gibt Fälle, in denen eine durchgreifende Wandlung des ganzen Menschen damit begann, daß er anfing, den Tag mit einigen Minuten ruhigen Atmens — in frischer Luft! — zu beginnen und zu schließen. Alles weitere kam dann mit der Zeit von selbst. Umgekehrt gibt es Menschen, die jede tiefgreifende Wandlung dadurch verhindern, daß sie immer wieder das Atmen „vergessen": was offenbar eine unbewußte Abwehr ist. Es geht erst voran, wenn diese Abwehr aufhört. Wer atmet, gelassen und bereit, ist offen für das Wesenhafte. Dieses Wesenhafte zu empfangen ist nun aber trotz echter Meditationshaltung nicht ohne weiteres sogleich für jeden möglich. Die Erfahrungen vielmehr, die gelegentlich in den ersten Meditationsübungen gemacht werden, zeigen, daß eine tiefer liegende „Bereitung" nötig ist, als die des Einnehmens meditativer Haltung in der Einzelübung. Sie sind zugleich so plastisch, manchmal so dramatisch, daß ihr Aufweis das grundsätzliche Verständnis entscheidend anbahnt. Es geschieht nämlich hin und wieder, daß Menschen, sobald sie zum ersten Male in diese Ruhehaltung eingehen, oder auch, wenn sie nach einigen gemeinsamen Meditationen, die sie zwar mitgemacht, aber nicht wirklich miterlebt hatten, nun bei einer neuen Gelegenheit dem Entscheidenden näherkommen, von etwas sehr Erschreckendem erschüttert werden. Indem sie in die innere Ruhe eingehen und das als tiefe Wohltat empfinden, steigt, ohne daß sie es wollen, aber auch ohne daß sie es hindern können, a u s d e r T i e f e i h r e s e i g e n e n I n n e r e n eine furchtbare Unruhe auf. Sobald sie das merken und es unterdrücken wollen, ist es schon zu spät. Was ist hier geschehen? Der Augenblick, in dem sie zum ersten Male wirklich zur Ruhe und zur Be-sinnung kommen, macht ihre Ängste, ihr Grauen, ihre Leidenschaften, ihre Schlechtigkeiten frei, und das tobt nun in ihrer Seele mit einer Gewalt, wie sie es noch nie erlebt haben. Sie erfahren in einem Augenblick mit Entsetzen, welche Tiefen und Finsternisse in ihnen sind. Wenn sie es vielleicht im Unbewußten schon lange geahnt haben, so war es doch bisher gebändigt. Sobald sie meditieren wollen, wird es frei und bringt sie in momentan ausweglos scheinende Not. Das wird keineswegs von allen denen erfahren, die in die Meditation eingehen. Aber die Fälle, in denen es erfahren wird, machen einen Tatbestand erkennbar, der grundsätzlich für alle wichtig ist, und tatsächlich bei allen da ist, auch dann, wenn er nicht zum Ausbruch kommt: die vielbesprochene und in kirchlichen Kreisen mit so tiefem Mißtrauen angesehene „ T i e f e d e s e i g e n e n I n n e r n " kann gar nicht willkürlich angenommen oder abgelehnt werden. Sie führt ein Eigenleben, über das der Mensch nicht Herr ist. Die Meditationspraxis des Fernen Ostens handelt nicht willkürlich, wenn sie sich mit ihm befaßt, sondern 12*
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sie nimmt einen Seins- und Wirkensbereich des Menschen in Angriff, der, sei es auch unbewußt, a l l e W a n d l u n g u n t e r b i n d e n k a n n , wenn er nicht mit gewissenhafter Sorgfalt in die Wandlung einbezogen wird. Weil diese eigene Tiefe ihre überflutenden negativen Kräfte h a t , d a r u m bemüht man sich, ihre gestaltenden positiven Kräfte wirksam zu machen. Weil die eigene Tiefe, ohne dem Willen unterworfen zu sein, in jedem Augenblick unvermutet sich melden k a n n , darum ruft man sie, um ihrer Herr zu werden. Hier liegt also nicht ästhetischer Genuß und nicht mystische Hybris vor, sondern eine strenge und herbe Schule der Selbsterziehung wird in Angriff genommen. Soweit der Osten in den positiven Kräften dieser Tiefe unmittelbar das Göttliche sieht, steht er damit im Widerspruch zur christlichen Erkenntnis. Aber diese Divergenz geht nicht von der Meditation, sondern von der Religion aus·. Diese religiöse Einordnung der eigenen Tiefe, wie sie der Osten vollzieht, ist nicht organisch mit Meditation verbunden, sondern es gibt eine östliche und eine christliche Beurteilung u n d B e h a n d l u n g d i e s e r T i e f e , und beide können in Meditation erfolgen. Denn M e d i t a t i o n i s t e i n e P r a x i s , n i c h t e i n e G l a u b e n s h a l t u n g . Sie verbindet sich, wo man sie ausübt, mit der Glaubenshaltung des Ausübenden. Wer Christ ist, muß die eigene Tiefe als Tatbestand hinnehmen: mit ihrer Gefahr, darum ist er gehalten, sie in der Meditation heraufkommen zu lassen; und mit ihrer Größe, aber die wird dem Christen nun nicht zum Göttlichen, oder zu dem „Gott in uns", sondern er nimmt sie als die schöpfungsmäßigen Kräfte, die ihm, dem Geschöpf, vom Schöpfer gegeben sind. So können und müssen wir vom Christentum aus sagen, nicht nur, daß in dieser Tiefe zerstörende Urkräfte sind, sondern daß die S ü n d e in ihnen wurzelt. In ihrer Überwindung reden wir nicht von Vergottung des Menschen, sondern von Heiligung des Glaubenden. Wir liefern uns nicht dem Osten aus, indem wir meditieren, sondern w i r m e d i tieren als Christen. So hat es auch sein grundsätzliches Recht, wenn wir je und denn in der Meditation d i e p o s i t i v e n K r ä f t e „ a u s d e r T i e f e d e s e i g n e n I n n e r n " heraufkommen lassen. Sie sind uns nicht der Gott in uns, sondern die Kräfte, die Gott in uns gelegt hat. Wir bleiben meditierend mit ihnen Geschöpf und Kind Gottes, genau so, wie wir es ohne Meditation mit all' unsren Kräften sind. Und auch wenn neue „Tiefen", die wir bisher an uns nicht kannten, sich in der Meditation öffnen, so werden wir mit ihnen nie in eine Tiefe kommen, in der Gott nicht mehr unser Gott wäre und wir nicht mehr seine Geschöpfe wären. Sollten aber uns im Meditieren indische Empr findungen anwandeln, so erkennen wir daran, daß in und unter unserem Christenglauben noch Fremdreligion in uns ist, und auch damit führt uns die Meditation nicht vom Glauben weg, sondern gerade zu ihm hin, indem sie uns die Schichten unseres Seins erkennbar macht, in denen wir, ohne es bisher gewußt zu haben, noch nicht Christen sind. Diese können wir nun ebenso in das Licht der Wahrheit stellen und der h e i -
Meditation ist eine Praxis, nicht eine Glaubenshaltung
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l i g e n d e n M a c h t d e s G e i s t e s G o t t e s h i n g e b e n , wie die e r k a n n t e Sünde, den b e w u ß t e n Unglauben, das bewufite Unchristliche in uns und alles andere, das noch der bestimmten P r ä g u n g durch den Christenglauben h a r r t . Meditation der Art, daß w i r warten, welche Bilder oder Empfindungen oder Vorstellungen aus dem eignen Inneren h e r a u f k o m m e n , gehört also in die Gesamtübung der Meditation hinein, u n d es liegt am Meditierenden selbst, ob u n d wie weit sie dem Glauben eingeordnet werden. A b e r diese f r e i e Meditation des eignen Selbst nimmt n u n nicht den größten R a u m in der Meditation ü b e r h a u p t ein. Sondern meist ü b e r wiegend ist M e d i t a t i o n a u f b e s t i m m t e O b j e k t e g e r i c h t e t . Man k a n n an sich alles meditieren. Aber die Auswahl muß sorgsam sein, da das Meditierte Macht ü b e r uns gewinnt. Deshalb scheidet zunächst alles Negative aus, da es eben nicht Macht ü b e r uns gewinnen soll. W o negative O b j e k t e oder Gewalten, die Macht über uns bereits haben, d u r c h Meditation entmächtigt w e r d e n sollen, darf das n u r u n t e r F ü h r u n g eines e r f a h r e n e n und sicheren Meditators geschehen. In Eigenmeditation könnten w i r dieser Macht noch tiefer verfallen. So berichtet ζ. B. Happich von einem Manne, den er von einer quälenden Gewitterangst d a d u r c h befreite, daß er ihn in der Meditation ein schweres Gewitter erleben ließ in einer meditativen Umwelt, die die Angst von ihm löste. Aber leichtsinnige P r o b e n in dieser Richtung auf die eigene K r a f t können sich sehr schwer rächen. Unter der Fülle der möglichen positiven O b j e k t e t r i f f t m a n die Auswahl so, daß man n u r O b j e k t e meditiert, die sich lohnen, d. h. die einen wesentlichen helfenden Einfluß auf unsere Seele ausüben, w e n n sie mit i h r e r Mächtigkeit ü b e r uns kommen. Wollen wir, indem wir uns der Schematisierung bewußt bleiben, eine lockere G r u p p i e r u n g versuchen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und n u r beispielhaft andeuten kann, so läßt sich etwa sagen: Die erste und „leichteste" G r u p p e von Meditationsgegenständen sind die D i n g e in der Natur, zu denen man auch äußerlich hingehen k a n n und die „in n a t u r a " erfrischend, sammelnd, zum Wesenhaften f ü h r e n , K r a f t geben: der Wald, die See, ein blühender Baum, ein stilles H a u s und so fort. Als zweites folgt die G r u p p e der „ Z e i c h e n " , die symbolische K r a f t h a b e n : etwa die Krippe, das Kreuz und a n d e r e Symbole, die sich in langer E r f a h r u n g als w i r k s a m erwiesen haben. Auch symbolische Gegenstände wie Licht, Kelch u n d so fort k a n n man meditieren. Das dritte sind dann, dem Fernstehenden als leicht anmutend, tatsächlich schon einige Ü b u n g erfordernd, W o r t e . Man k a n n Dichterworte, Liederverse und sonst vieles meditieren, u n d hierbei sind am f r u c h t b a r s t e n W o r t e mit b i l d h a f t e m Gehalt. In ihnen kommt schon m e h r persönliches Leben auf uns zu, als in Bildern u n d Zeichen. Und so könnten w i r als vierte G r u p p e etwa das voll Persönliche, den Menschen, ansprechen. Man k a n n Menschen, die man tief e r k e n n e n will,
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in der Meditation anschauen und man erfährt dabei in neuer Klarheit ihr Wesen und ihre Kräfte. Und das führt nun zu dem wichtigsten und tiefgreifendsten Meditationsmaterial, zu dem uns gegebenen Mächtequell, in dem das Persönliche, das personengestaltende und die Fülle der fördernden Mächte in höchster Einheitlichkeit auf uns zukommen für den, der sein Leben in der Verantwortung vor Gott lebt: zu den Worten und Geschichten der B i b e l . Dies ist der geheiligte Raum, in dem alle Meditationsübung ihren letzten Sinn und ihre Erfüllung findet. Breite Grundlage, auch vom Geübten fortgeführt, des Meditierens mannigfachster Objekte läuft doch letzlich auf dies eine Ziel hinaus, und alle Übung und Erfahrung, die wir gewinnen, kommt diesem Höchsten und Lebenswichtigsten zugute. Jedes knappste Wort gewinnt in der Meditation eine Tiefe und Leuchtkraft, in der der Gehalt der Urkunde der Offenbarung sich zu überwältigender Fülle uns entfaltet. Und erst in dieser Übung kommen wir zum eigentlichen Verständnis. In der Meditation können wir den Dogmatismus überwinden, der in die Lebensmacht der Offenbarung nicht den Eingang findet. Und wenn das für jeden Christen gilt, so darf der Theologe sich besonders gesagt sein lassen, daß Meditation biblischer Texte die wirksamste Hilfe ist, um von der unzureichenden Flächenexegese frei zu werden, die, obwohl sie sich für eine Auffassung entscheidet, doch eigentlich in den M e i n u n g e n ü b e r d e n T e x t hängen bleibt, statt d i e M ä c h t e i n d e m T e x t zu erfahren. Meditation kann also an einer unerschöpflichen Fülle von O b j e k t e n geschehen, und jedesmal, sooft wir meditieren, steht das S ub j e k t der Meditation, der Meditierende selbst, mit seinem eignen Wesen, mit seinen Tiefenschichten, in einer lebendigen Verbindung mit dem Meditationsobjekt derart, daß nie vorher festgelegt werden kann, was von seinem ihm nicht verfügbaren Seinsbestand in die Meditation mit hineinkommt und sich in ihr mit dem gewählten Objekt zu einer, wenn auch vielleicht durch Erschütterungen führenden, so doch bei guter Arbeit letzlich fruchtbaren Einheit verbindet. Das alles setzt ein mit einer Vorbereitung (siehe oben), mit der der Meditierende durch Umgebung, Haltung und Atmung zum eigentlichen und wesenhaften Sein kommt. Wir setzen an diesem Punkt nun wieder ein und handeln im folgenden von Meditation, ohne die freie Bereitschaft für die eigene Tiefe und die Ausrichtung auf ein bestimmtes Meditationsobjekt streng voneinander zu scheiden, weil ohne solche Scheidung der wirkliche Vorgang lebendiger sichtbar wird. In diesem „wesenhaften Sein" kommt es nun darauf an, nicht zu „denken", sondern g e s c h e h e n z u l a s s e n , in der Regel zunächst auch dann, wenn man ein bestimmtes Objekt meditieren will, in nicht lässiger, sondern bereiter Ausschaltung gewollter Zielsetzung. Man darf warten, bis Bilder kommen oder Empfindungen oder Vorstellungen. Es werden von selbst die wichtigen Dinge auftauchen, und es können scheinbar zufällige und fernliegende Einfälle deshalb sich einstellen, weil sie, uns nnViewußt, zur Zeit eine wesentliche Bedeutung für uns haben.
Das Sein im wesenhaften Sein
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Im Anfang habe man nötigenfalls nur das Ziel, auf diese Weise zur S t i l l e zu kommen. Durchaus gut sind die Vorschläge, dafi man etwa die Vorstellung (das Bild) von „Ruhe" oder „Stille" oder „Sammlung" meditiert, das heifit, das innere Auge auf sie richtet und auf ihnen ruhen läßt. Man mufi sie also in d a s B l i c k f e l d d e s i n n e r e n A u g e s n e h m e n . Es erfordert einige Übung, sie ohne Gewaltsamkeit darin zu behalten. Aber dadurch gehen sie bei häufiger Wiederholung allmählich in uns ein und verschmelzen mit unserem Wesen. Es darf nichts übereilt werden und nichts erzwungen werden wollen. Sowie wir das versuchen, sind wir wieder beim alten Wesen und hindern alles Werden. Man mufi dabei Geduld haben und nicht auf etwas „Besonderes" warten. Das Besondere im tieferen Leben sieht meist anders aus als man denkt und kommt oft von anderer Seite her und zu anderer Zeit, als man es sich zurechtgelegt hat. Man mufi auch nicht durchaus ein Ergebnis feststellen wollen. Die menschliche Erlösung für den Menschen der Gegenwart liegt darin, dafi er den M u t f i n d e t z u r z e i t l o s e n Z e i t , und sie nicht als verloren ansieht, weil in ihr scheinbar nichts geschieht. In Wahrheit „geschieht" in solcher Zeit oft das Meiste und Wichtigste. Will man mit aller Vorsicht und Zurückhaltung bei diesem schwer greifbaren Geschehen S t u f e n feststellen, so läßt sich etwa sagen: Das Erste, was sich einstellen mufi, ist die g e s a m m e l t e u n d e n t s p a n n t e R u h e , von der bisher gesprochen wurde, in der wir gleichsam die Stille hören, und in der das Ticken der inneren Uhr aufhört. In der Natur ist ein Gleichnis für sie die Mittagsstunde, ganz besonders die Mittagsstille eines sonnigen und windlosen Sommertages. Dem folgt, nicht gewaltsam, sondern selbsttätig, das A b s c h a l t e n d e r R a t i o , das gelassene Aufhören des zielgerichteten und wollenden Denkens, das man nicht hinunterzwingt, sondern gehen läßt, bis es sich aus dem unmittelbaren Bereich des wesenhaften Geschehens gleichsam leise entfernt, immer weiter weg und schließlich im Bilde der inneren Landschaft nicht mehr da ist. Es kann dann das innere Auge die Freiheit gewinnen, sich auf die innere Wirklichkeit einzustellen. Die inneren Strebungen und Bereitschaften sind nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, sondern auf ein unbekanntes Kommendes eingestellt. Es ist nicht ein zufälliges, sondern ein geordnetes Warten, ein Bereitsein, das das innere Wesen zur Einheit zusammenführt und in dieser inneren Einheit ruht. Das Dritte und Bedeutsamste ist das E i n g e h e n i n d e n w e s e n h a f t e n R a u m e i g e n t l i c h e r W i r k l i c h k e i t . Auch das kann man nicht zwingen wollen, sondern man muß es geschehen lassen. Dazu gehört nicht nur Entspannung, sondern ein Sichlassen, ein Sichgeben in Gewalten und Mächte, denen wir vertrauen müssen, so wie wir dem Arzt uns anvertrauen, wenn er mit uns Dinge vornimmt, die wir nicht kennen, und von denen wir nicht wissen, wie sie tun, und wie sie weitergehen. Noch wesentlicher ausgedrückt: wie ein Kind sich der Mutter anvertraut und hingibt. Denn dies Eingehen und Sichgeben in einen
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vielen bis dahin verschlossenen Raum ist ein Weg „zu den Müttern", zu den Urgründen des Seins, immer wagend und unbekannt, immer, und gerade auch im Positiven, mit der Möglichkeit eines Geschehens verbunden, das wir aus unserem inneren Leben nicht mehr bannen können. Mit diesem Eingehen und Sichgeben beginnt der eigentlich s c h i c k s a l hafte Weg der Meditation. Wer nun ein bestimmtes Objekt, etwa die See, den Wald, einen Baum, ein stilles Haus, seinen Altar in die Meditation hineinnimmt, erfährt Zweierlei: einmal g e h t e r z u d i e s e n h i n , man kann auch sagen er nimmt sie in sich hinein, so daß er den Raum, in dem er sich körperlich befindet, innerlich wirklich verläßt, bzw. von ihm frei wird; es kann auch etwa so empfunden werden, daß die uns umgebende räumliche Wirklichkeit sich gleichsam erweitert, sie wird als solche unwesentlich gegenüber der inhaltgefüllten Raumwirklichkeit überhaupt. Bei einiger Übung kann diese Fähigkeit des Eingehens so stark werden, daß man, auch wenn keine ungestörte Möglichkeit zu tiefer Meditation ist, imstande ist, etwa eine bedrängende Menschenfülle, Gewirr von Stimmen und Ansprüchen, unvermerkt auf Minuten zu verlassen und erfrischt ebenso unvermerkt in sie zurückzukehren. Das ist mehr, als nur an die See „denken", man ist wirklich an ihr gewesen, man hat ihre Kraft und Weite geatmet. — So kann man entsprechend auch der verwirrenden Fülle im eigenen Inneren entgehen, wirklich aus ihr herausgehen, zu wesenhafteren Inhalten. Das Andere, was in der Meditation erlebt wird, ist dies: der meditierte Gegenstand w i r d w e s e n h a f t e r f a h r e n ! Man geht sozusagen in das eigentliche Sein der See, des Waldes usw. ein, man erfährt sie eindrücklicher, transparenter, der kosmische Hintergrund wird spürbar, ihr eigentliches Wesen wird entscheiert. Wer nun in gleicher Weise wie solchen Gegegebenheiten der T i e f e d e s S e i n s i n i h r e r U n i v e r s a l i t ä t sich öffnet, vollzieht in noch weittragenderem Sinne das Eingehen in den wesenhaften Raum eigentlicher Wirklichkeit. In ihm kommen uns „die Mächte" entgegen. Sie können uns etwa wie ein flutendes Meer umgeben. Wir gehen in seine Wellen ein oder diese kommen auf uns zu und umfluten uns. Oder sie können wie uns anstrahlende Kräfte um uns sein, anstrahlend mit Licht, Wärme, Finsternis, Kälte, und so uns spürbar werden. Sie können als helle oder dunkle Bilder vor uns stehen, oder wie Szenen uns umgeben, auf uns zukommen, uns in ihren Vollzug einbeziehen. Das Geschehen in solcher Meditation liegt dann darin, daß die zwar immer wirkenden, aber sonst für uns mehr oder weniger ungeahnten und unspürbaren, M ä c h t e u n s s p ü r b a r w e r d e n , mit uns in Beziehung treten, daß sie sich uns und wir uns ihnen konfrontieren. Sie werden uns wirklich, die guten und die bösen, die heilvollen und die unheilvollen. Der Blick wird entschleiert, das Unsichtbare sichtbar, das Ungehörte hörbar. Ein Bild für dies Erkennen neu dem Menschen aufgehender Wirklichkeiten aus der Sagenwelt ist etwa der tiefsinnige Hinweis, daß Siegfried, nachdem er den Drachen erschlagen und in seinem
Zu den Urmächten
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Blut gebadet hat, die Sprache der Waldvögel hört und versteht. Ein Hinweis noch näher am wirklichen kosmischen Geschehen ist die Wendung im Faust: „Die Sonne tönt (!) nach alter Weise." Meditation bedeutet damit, dafi die Erkenntnis, die Erfahrungen, die Hingabe, aber auch Entscheidung und Kampf aus der Flächenregion, in der sie im Tageslauf sich doch meist vollziehen, i n d i e R e g i o n d e r w i r k e n d e n U r m ä c h t e z u r ü c k v e r l e g t werden. Die Bedeutung dieser Rückverlegung liegt darin, dafi das eigentlich gelebte Leben ganz anders wesenhaft wird, und dies Wesenhafte nun in unserem Sein wirksam werden kann. Zugleich ist deutlich geworden, dafi Meditation nicht Entrückung ist oder gar Flucht aus Kampf und Entscheidung in lichte, genufireiche Weiten, die j a doch nur traumhaft wären, sondern Vertiefung, vertiefte und eigentlicher gewordene Führung unseres Tageslaufs, wesenhaftere Entscheidung, E i n g e h e n in den eigentlichen Lebensl a u f , aus dem nun der Tageslauf sich speist. Es erwächst also in ihr eine neue und zwar die eigentliche und wesentliche Schicht des Seins und Lebens. Damit ist Meditation wesenhafte H i l f e ; j e mehr er sie übt, um so wesenhafter wird der Mensch. Er gewinnt Wege des R e i f e n s und der Wesensbildung, die er sonst nicht beschreiten könnte. Das kann beginnen mit dem Uberwinden der scheinbar nichtssagenden und doch so tief wurzelnden „ S t i m m u n g e n " . Man kann ihrer zwar oft einfach mit Energie Herr werden, und in leichten Fällen ist das der schlichteste und beste Weg. Aber so wird doch nur Spannung gegen Spannung gesetzt. An ihrer Wurzel dagegen werden sie erst dann angefafit, wenn man sie nicht nur zu überwinden, sondern zu untergreifen trachtet: wenn man, um von ihnen frei zu werden, in eine Tiefe kommt, aus der wie von selbst die Kräfte aufsteigen, vor denen diese Stimmungen sich verflüchtigen. Erst darin werden sie vollständig und wahrhaft aufgehoben, und es bleibt weder der Rest, der bei willentlicher Überwindung oft bleibt, noch vergehen sie nur durch Ablenkung, noch sinken sie in das Reservoir des Unbewufiten, um sich zu neuem Auftauchen zu sammeln. Neben den Stimmungen mit ihrem Schwanken ist Meditation ebenso eine Hilfe gegen „die Erstarrung und die Unlebendigkeit der jahrelang „eingeschliffenen Verhaltungsweisen"17. Das sind die f e s t g e f a h r e n e n G e w o h n h e i t e n , die oft uns selbst kaum bewufit sind, manchmal schmerzhaft hemmend uns im seelischen Gleichgewicht stören, bei denen wir oft auch ganz deutlich spüren, dafi sie uns festhalten auf einem seelischen Lebensniveau und auf einer Höhenlage unserer Lebensäußerungen, die unter unserem Soll liegen. So unscheinbar sie aussehen, so selbstverständlich unsere Umgebung sie nimmt („der ist so"), so zäh und schwer hemmen sie das uns mögliche Reifen und halten sie uns fern von der uns möglichen Höhen17
Künkel, Charakter, Krisis und Weltanschauung·. S. 64; dort jedoch nicht auf Meditation bezogen.
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Der Weg· des Subjektes zum Evangelium und zum Text
läge. Wir können ihre Gewalt d a d u r c h auflösen, dafi w i r in immer wiederholter Meditation uns das Verhalten, Empfinden und Sein zu eigen machen, das unseren Möglichkeiten entspricht. Das k a n n im Kleinen und im Großen geschehen. So können auch a k u t e E i n b r ü c h e in unseren Lebensbereich, Erschütterungen, Leid, Verzicht, k u r z alles, was verarbeitet w e r d e n will, in der Meditation tiefer, völliger, geschlossener und nachhaltiger aufgenommen werden, als es ohne sie möglich ist. Dieser bedeutsame W e g ist uns n u n schließlich auch offen f ü r die B e g e g n u n g m i t d e n l e t z t e n W i r k l i c h k e i t e n , f ü r die Vertiefung in die W a h r h e i t der O f f e n b a r u n g , so daß sie dem eigenen Wesen meditativ u n m i t t e l b a r e r u n d w e s e n h a f t e r v e r b u n d e n wird, als ohne solche Ü b u n g : etwa indem man des Morgens aus der Sammlung h e r a u s ein Wort d e r B i b e l sich kommen läßt, in das m a n nun wesenhaft eingehen kann, so daß man dann f ü r a n d e r e Lesung sehr viel mehr geöffnet ist. Und dieses Reifen k a n n sich vertiefen in fortschreitender Übung, durch die immer m e h r von dem, was das W o r t der O f f e n b a r u n g uns entgegenbringt, sich unserem Eigenwesen verbindet. Eine ungeahnte E r h ö h u n g der Möglichkeit, das E r k a n n t e weiterzugeben, ist damit zugleich v e r b u n d e n . Je m e h r das geschieht, um so mehr w e r d e n w i r geschlossene Menschen, und finden den Einklang mit der Wahrheit. In der ganzen Breite des Seins lernen w i r so, die Fülle des Gegebenen rascher, umfassender und gründlicher zu v e r a r b e i t e n . Das Einzelne w i r d tiefer angefaßt, sicherer bis zu seiner Mitte verarbeitet und beständiger in seiner f r u c h t b a r e n Bedeutung f ü r uns in unserm Wesen fixiert, gleichsam lichtbeständig gemacht. Meditation ist der Weg der Erkenntnis der Tiefen des Seins. „Die Menschheit hat längst alles empfangen, was zu empfangen ist. Aber sie muß es immer wieder von neuem u n d in immer wieder neuer F o r m empfangen und verarbeiten." „Alle Geheimnisse liegen in vollkommener O f f e n h e i t vor uns. N u r wir stufen uns gegen sie a b vom Stein bis zum Seher. Es gibt kein Geheimnis an sich, e s g i b t n u r Uneing e w e i h t e a l l e r G r a d e 18 ." Meditation ist der wirksamste Weg, alle Probleme des Lebens neu und selbständig nicht n u r zu durchdenken, sondern zu durchleben. W i r d sie ein wesentlicher Bestandteil des Seins, so wächst in ihr „ j e n e r Überschuß an plastischen, ausheilenden, nachbildenden u n d wiederherstellenden Kräften", die „ein Z e i c h e n d e r g r o ß e n Gesundheit" sind. D e m T h e o l o g e n k a n n die im Studium vorausgenommene rationale E r o b e r u n g des Gesamtchristentums auf diesem Wege mit der Zeit zu einem e c h t e n G e l ä n d e g e w i n n werden. W i r d der Weg sachgemäß beschritten, so k a n n das rationale Wissen überall Hilfe sein. Und was w i r inzwischen an Christenglauben wirklich e r f a h r e n und erlebt haben — Christian Morgenstern, In: Wer vom Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht haben. Zum 23. und 24. Februar. (Sperrung von uns.)
Echte Bilder durch Meditation
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denn niemand steht j a n u r rational im Glauben, sondern lebt sich normalerweise fortschreitend in seine Tiefe ein — schließt sich mit den Erkenntnissen der Meditation zu einer lebendigen Einheit zusammen. Es muß aber immer k l a r bleiben, daß Meditation nicht ein Spezialweg ist, weder f ü r Erkenntnis des Christentums u n t e r Ausschlufi p r o f a n e r Wirklichkeiten, noch f ü r diese u n t e r Ausschlufi des Christentums. Sie ist n u r d a n n auf einem bestimmten Gebiet w a h r u n d f r u c h t b a r , w e n n w i r in ihr immer f ü r a l l e s bereit sind, weil w i r mit unserem Wesen in der ganzen Welt sind u n d zur ganzen gegebenen Wirklichkeit die echte Beziehung finden sollen. Eine p e r i p h e r e K o n t r o l l m ö g l i c h k e i t der Echtheit oder Unechtheit des b i l d h a f t e n M e d i t i e r e n s liegt darin, ob es mit d e r Zeit einen Einflufi gewinnt auf die Art, wie w i r B i l d e r i n d e r V e r k ü n d i g u n g verwenden. Es gibt bildartige „Vergleiche", die man „heranzieht", und die n u r dem möglich sind, der der w e s e n h a f t e n Welt des Bildes f e r n ist. W e r in Bildern sehen lernt, e r f ä h r t den Unterschied zwischen dem echten und dem unechten Bild. Man k a n n bei w e s e n h a f t e n B i l d e r n in der Vertiefung bleiben, nicht indem m a n ü b e r sie nachdenkt, sondern indem m a n sie innerlich anschaut. Das b e f r u c h t e n d e Anschauen läßt sich schon an den dem äußeren Auge sichtbaren Bildern lernen. W i r wissen, daß P o r t r a i t s lebendig werden, w e n n w i r uns in sie vertiefen. Andererseits gibt es Menschen, die nicht einmal die R u h e finden, in ein Bild wirklich einzugehen und sich ü b e r ihm zu vergessen. Bilder in richtiger Weise anschauen ist eine gute Vorü b u n g d e r Meditation. Ein Schritt weiter ist es, w e n n m a n nicht n u r gemalte, sondern gewachsene Bilder, etwa Landschaften, in dieser Weise anschauen lernt. Es k a n n so geschehen, daß wir die Landschaft in uns hineinnehmen und auch so, daß wir in die Landschaft hineingehen. Beides ist eine s p ü r b a r e Befreiung, E r w e i t e r u n g u n d Vertiefung des Seins. D a b e i ist das Wort „sehen" u n d das W o r t „bildhaft" nicht zu pressen. Es gibt auch ein intuitives Spüren, bei dem das f a r b i g e u n d gestaltete Bild im H i n t e r g r u n d bleibt, aber doch eine echte E r k e n n t n i s aus der Bildschicht entsteht. F ü r die M e d i t a t i o n c h r i s t l i c h e r S y m b o l e (Kreuz, Krippe, Stern usw.) ist noch ein Besonderes zu sagen. Auch f ü r sie gilt zunächst in diesem Zusammenhang der allgemeine Hinweis J u n g s : „Nur d u r c h das Symbol k a n n das Unbewußte erreicht und ausgedrückt werden, desh a l b wird auch die Individuation des Symbols nie e n t r a t e n können" 1 9 . Aber die M e d i t a t i o n c h r i s t l i c h e r Z e i c h e n muß sorgsam vorbereitet werden als Schutz gegen die G e f a h r , daß nicht das Zeichen, sondern eine mit ihm v e r b u n d e n e dogmatische Vorstellung in ihm meditiert wird. Zeichen sind mehrdeutig, u n d das gehört zu i h r e r Echtheit. Das Fortschreiten in der Erfassung i h r e r Tiefe ist v e r w a n d t mit dem Fortschreiten in der Erfassung der Tiefe von Sprüchen, Sentenzen usw. 19 C. G Jung, im: Geheimnis der goldenen Blüte. S. 40. — Symbole als Hilfe zur Loslösung von bloßer Begrifflichkeit: Evang. Jahresbriefe 1936, Nr. 4, S. 113.
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Der Weg1 des Subjektes zum Evangelium und zum Text
Sowohl die Zeichen w i e die W o r t e h a b e n , soweit sie echte Meditationso b j e k t e sind, die Eigenschaft, dafi sie mit i h r e r S p a n n w e i t e a l l e S c h i c h t e n d e s S e i n s d u r c h m e s s e n u n d u n s von Schicht zu Schicht in u n s e r e r V e r t i e f u n g begleiten, i n d e m sie u n s m e h r u n d m e h r sich erschließen, u n d z w a r j e w e i l s e n t s p r e c h e n d d e r uns z u g ä n g l i c h e n Erkenntnisschicht. M e d i t a t i o n d e r I n h a l t e c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s ist n i c h t n u r u m des G l a u b e n s w i l l e n zentral, s o n d e r n a u c h im Blick auf die Geistesgeschichte in einer Zeit des U b e r g a n g e s w i e d e r g e g e n w ä r t i g e n besonders, n o t w e n d i g deshalb, weil w i r sonst G e f a h r l a u f e n , d u r c h alles R i n g e n doch n u r aus einer Zeit v e r a l t e t e r D o g m a t i s i e r u n g in eine P e r i o d e n e u e r D o g m a t i s i e r u n g ü b e r z u g e h e n u n d weil d a n n alle die u n b e f r i e d i g t blieben, die n a c h d e r w i r k l i c h m a n n i g f a l t i g e n , i m L e b e n allseitig w i r k e n d e n W a h r h e i t des C h r i s t e n g l a u b e n s suchen. Meditation ist L e b e n s ü b u n g auf l a n g e Sicht. Sie f ü h r t nicht zum Erfolg, w e n n m a n sie n a c h einigen W o c h e n oder M o n a t e n a u f g i b t . Sie m u ß v i e l m e h r so in d e n Menschen eingehen, dafi sein gesamtes D e n k e n und Empfinden mehr und mehr meditativ wird. D u r c h erfahrene Meditationsführer können bestimmte Ü b u n g e n d a u e r n d e Gestalt z u r V e r w e n d u n g a u c h f ü r a n d e r e b e k o m m e n . Sie k ö n n e n auf p r o f a n e m oder auf religiösem G e b i e t e liegen u n d auf j e d e m sich zu Ü b u n g s r e i h e n zusammenschließen. F ü r d e n C h r i s t e n u n d e r s t r e c h t f ü r den Theologen ist es gut, w e n n d e r R a u m , d e n in seinem L e b e n die p r o f a n e n Ü b u n g e n e i n n e h m e n , nicht g e r i n g e r ist als d e r d e r r e l i giösen, a u c h d a n n , w e n n e r in die T i e f e christlicher W a h r h e i t s e r k e n n t n i s e i n z u d r i n g e n sich anschickt. D i e A n l a g e d e r Menschen u n d i h r e N ä h e z u r Meditation ist v e r schieden. Es gibt Menschen, die sich i h r fast selbstverständlich ö f f n e n . W e r a b e r aus dieser N ä h e h e r a u s zunächst nichts besonderes d a r i n findet, m e i n e nicht, d a ß sie f ü r ihn k e i n e B e d e u t u n g habe. D i e Verb i n d u n g des S e l b s t v e r s t ä n d l i c h e n mit dem a u s d r ü c k l i c h G e ü b t e n k a n n b e s o n d e r s f r u c h t b a r w e r d e n . Je r a t i o n a l i s i e r t e r andereseits d e r Mensch ist, u m so m e h r lächelt er ü b e r diese Dinge, u m so m e h r k o m m t e r sich e r h a b e n vor u n d — u m so m e h r h ä t t e e r sie nötig! W a s geschieht, k a n n m a n nicht v o r h e r wissen, nicht etwa, weil es zufällig w ä r e , s o n d e r n weil j e d e r Weg, d e n w i r v o r h e r k e n n e n , kein echt s c h i c k s a l h a f t e r W e g ist, s o n d e r n eine von u n s gewollte M a r s c h r o u t e . D a s E i g e n t l i c h e g e s c h i e h t im U n b e k a n n t e n u n d U n b e m ä c h t i g t e n . Hier h a t die Psychologie eine echte V e r w a n d t s c h a f t mit d e r Theologie: D a ß w i r u n s u n s e r e s Schicksals nicht b e m ä c h t i g e n k ö n n e n , ist A b b i l d des Urbildes, daß w i r u n s Gottes nicht b e m ä c h t i g e n k ö n n e n . D a s Wesen d e r Meditation ist W i e d e r h o l u n g . N u r in s t ä n d i g e r Ü b u n g u n d W i e d e r h o l u n g lassen sich w i r k l i c h e F o r t s c h r i t t e erzielen. D a s b e d e u t e t f r e i l i c h nichts G e r i n g e r e s als die B e r e i t s c h a f t , in eine ents p r e c h e n d e H a l t u n g ständig u n d zu w e s e n t l i c h e r B e e i n f l u s s u n g d e s Lebens d u r c h sie einzugehen.
Ein jeder suche s e i n e n Weg·!
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Aber auch hier darf nicht schematisiert werden. Wiederholung und Regelmäßigkeit besagt nicht, dafi etwas bei allen Menschen gleich sein muß. Es gibt Menschen der Regel (form- und regelbedürftige), Menschen der Freiheit (form- und regelgegnerische) und Menschen der Wahl zwischen beiden (form- und regelzugängliche). M e n s c h e n d e r R e g e l handeln ihrem Wesen entsprechend und am fruchtbarsten, wenn sie sich an feste Regeln binden und diese unbedingt durchführen. Sie erkennen diese ihre Anlage daran, daß sie auch bei selbstüberwindender Durchführung das Gefühl haben, nicht sich zu verkaufen, sondern zu ihrem Selbst zu kommen. Die Unbedingtheit der Regel kann dabei auf die Zeit sich beschränken, sie kann Zeit und Form betreffen, sie kann sogar die Bindung an den Inhalt mit umfassen. M e n s c J i e n d e r F r e i h e i t sind im Gegensatz dazu nicht imstande, eine bestimmte Übung in immer gleicher Regelmäßigkeit durchzuführen. Während die Ungetreuen der Regel dabei ein schlechtes Gewissen haben würden, ist den Menschen der Freiheit deutlich, daß sie eben mit der Regel sich verkaufen und ihrem Wesen untreu werden würden. Sie handeln dabei aus einer ebenso starken Verpflichtung, wie auf ihrem anderen Wege die Menschen der Regel. Aber der Rhythmus des Menschen der Freiheit ist anders geartet, und darum ist auch sein Gesetz anders. Seine Haltung fordert dieselbe Treue und denselben Ernst. Der Unterschied liegt nicht in der Bereitschaft, nicht in der Hingabe, nicht in der Durchführung, sondern in der Art der Handhabung. M e n s c h e n d e r W a h l sind die, deren Lebensrhythmus dann am treusten bewahrt wird, und deren Tun dann am fruchtbarsten wird, wenn sie zwischen Bindung und Freiheit wechseln. Auch der Wechsel ist keine Willkür, sondern Gehorsam gegen das innerste Gesetz des Lebens. Sie tragen beide Möglichkeiten in sich, aber nicht so, dafi sie nach ihrem Behagen wechseln, sondern nach dem Ruf ihrer innersten Verantwortung. Das, was praktisch durchgeführt wird, ist, obwohl grundsätzlich Möglichkeit, doch konkret jeweils Notwendigkeit. Niemand aber tut gut, sich vor sich selbst für immer auf eine bestimmte Art festzulegen. Jedes Leben ist der Wandlung unterworfen. Man darf nicht mit der Regel die Freiheit vergewaltigen und nicht mit der Freiheit die Regel. Man darf nicht eines an das andere verkaufen. Wo die Regel entsteht, muß sie aus der Freiheit geboren sein. Die Möglichkeiten der Variation sind so mannigfach, daß sie nun auch mit der Unzulänglichkeit und U n z u v e r l ä s s i g k e i t des Menschen sich verbinden. Und dazu kommt, daß unsere Daseinssituation überhaupt ständig gefährdet ist, um so mehr, je mehr wir in die Tiefen kommen: „Das Leben ist ein dunkler Wald, durch den allein und ohne Schutz zu gehen nur ganz wenige Menschen sich getrauen." Deshalb kann es Zeiten geben, in denen eine Art Zwang heilsam ist, unter Umständen sogar unter Führung und mit Verpflichtung vor einem anderen Menschen. Aber auch das soll nicht unter dem Ziel stehen, daß der Zwang zum Dauerzustand werde, sondern daß er dem Menschen helfe, seine eigene Art zu finden. Alles muß so gehandhabt werden, daß wir u n s e r e f r e i e s t e u n d
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e i g e n s t e M ö g l i c h k e i t verwirklichen. Denn in Zwang und Freiheit, in Regel und Wechsel, sind wir S a c h w a l t e r d e r m e t a p h y s i s c h e n R ü c k v e r b i n d u r t g u n s e r e s S e i n s , und sie diktiert das Gesetz unseres I.ebens in seiner Stetigkeit und in seinem Wechsel. Meditation ist v e r w a n d t m i t p s y c h o l o g i s c h e r T i e f e n a r b e i t . Sie ersetzt diese nicht, da zur vollen Durcharbeitung des Seins und Erarbeitung des Selbst oft die Zusammenarbeit mit dem kundigen und erfahrenen Psychologen gehört. Aber sie soll selbst mit ihr zusammenwirken, und wo sie es tut, wird auch psychologische Arbeit in hohem Maße durch sie gefördert. Man kann M e d i t a t i o n a l s A u t o p s y c h o t h e r a p i e bezeichnen, da sie in der Durchordnung und Heilung der Seele das erreicht, was der Mensch für sich allein erreichen kann, und zugleich über die psychologische Zusammenarbeit hinaus die ureigene Selbstarbeit vollzieht, die wiederum durch gemeinsame Arbeit nicht ersetzt werden kann. Sie gibt damit dem Menschen der Gegenwart die Möglichkeit, von seiner Wurzellosigkeit und seinem psychischen Verwehtsein freizukommen. Denn die Hilfe gegen innerste Unsicherheit ist allein der demütige Weg, der es wagt, die Unsicherheiten anzuerkennen und anzugehen, so daß man durch sie nach der Tiefe hin durchstößt und den u n t e r d e n Unsicherheiten liegenden festen Boden gewinnt. c) Verhältnis von Meditation und Geoet. Verständnis desi Kultus von daher.
Eine Klärung des Verhältnisses zwischen Meditation und Gebet ist zunächst schon deshalb erwünscht, weil sie das Wesen der Meditation durch die Abgrenzung gegen das Gebet noch deutlicher herausstellen kann. Viel gewichtiger aber ist die religiöse Kernfrage, ob das Herzstück des Glaubenslebens, das Gebet, durch Meditation irgendwie, deutlicher oder feiner, tangiert, ersetzt, geschmälert, seiner Einzigartigkeit beraubt wird, oder ob beide beziehungslos nebeneinander hergehen, oder ob vielleicht eines von beiden das andere stützt und fördert oder gar beide einander fördern und zum Teil zu einer Einheit sich verschmelzen können. Wir gehen hier, nachdem von Meditation bisher eingehend gehandelt wurde, am besten davon aus, daß wir das Wesen des Gebetes feststellen. Zunächst einige Definitionen des Gebetes aus der theologischen Literatur in einer Auswahl, die diejenigen w e s e n t l i c h e n Linien herausstellt, die eine lebensnahe Erfassung des Gebetes zu beachten gebietet. Die Sperrungen sind unter diesem Gesichtspunkt von uns vollzogen. Gebet ist „die zentralste Funktion des religiösen Lebens, die unmittelbarste Form des Gottesumgangs.... ein ganz persönliches H i n t r e t e n v o r G o t t e s A n g e s i c h t " 2 0 . „Beten heißt mit Gott reden. Die Rede kann auch mit den Lippen, oder nur im Herzen, oder sogar in w o r t l o s e r E r h e b u n g d e s S i n n e s zu Gott geschehen. So oder so: daß wir uns selbst vor Gott bringen und Gott u n s h ö r e , das macht das 20 Heiler in R.G.G. III, Band II, Sp. 869.
Gebet
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Gebet zum Gebet" 2 1 . „Gottesdienst entsteht schon dadurch, dafi w i r zum A n d e n k e n an Gott befähigt s i n d . . . . Indem w i r weiter nicht n u r u n s e r Denken, sondern unser B e g e h r e n z u G o t t w e n d e n , entsteht das Gebet" 2 2 . Gebet w i r d bestimmt als „die k i n d l i c h e A n r e d e an den nahen, dreifaltigen Gott" 2 3 . „Beten heifit: b e i G o t t A l l e s s u c h e n m ü s s e n , d a r u m u n d d a r a u f h i n , dafi man von Gott gänzlich gefunden worden ist" 2 4 . „Wiederum betet n u r der, der bei Gott alles sucht. Und wieder sucht n u r der alles bei Gott, der bei sich selber nichts sucht" 2 6 . „Wir sprechen ü b e r unsere Lage mit dem e i n z i g e n , d e r a u c h a u ß e r h a l b d e s G a n z e n s t e h t , nämlich mit Gott" 2 6 . „Unser g a n z e s m e n s c h l i c h e s G e i s t e s l e b e n ist im letzten G r u n d e Gebet. W i r beten ohne Unterlafi" 2 7 mufi in j e d e m Gebet die Gewifiheit leben: „Die rechte H a n d des Höchsten k a n n alles ä n d e r n ! (Ps. 77. 11). Denn das Gebet ist immer auch Bittgebet, es will G o t t b e w e g e n , etwas zu tun, was er sonst nicht tun würde" 2 8 . „Das Gebet ist Glaube in actu Das Gebet ist das A t m e n d e r g l a u b e n d e n S e e l e " 2 9 . „ . . . . ebenso mufi auch das rechte Gebet a u s d e r t i e f e n B e s i n n u n g ü b e r das eigene Leben wie ü b e r das Gotteswort herauswachsen" 3 0 . Eine a n d e r e Auswahl w ü r d e so oder so auf die gleichen tragenden Momente f ü h r e n . W e r die zitierien Autoren kennt, sieht, dafi j e d e r von ihnen die aus s e i n e r Geistesart und Erlebniswelt eigentümlich erhobene Definition gibt, u n d dafi sie doch alle die gleiche G r u n d a u f f a s sung vom Gebet bieten. D r e i M o m e n t e t r e t e n als bestimmend f ü r das Gebet hervor. D a s Erste u n d schlechthin Entscheidende ist, dafi das Gebet sich a n G o t t w e n d e t , damit aber an die höchste Macht, nicht an den f r e m d e n nur, sondern an den wirkenden, den fordernden, den richtenden und begnadenden Gott. Nichts ist so lebendig, so flutend, so geschichteschaffend und schicksalgestaltend, wie die Begegnung mit Gott. N u r wer in dem W o r t e „Gott" den ganzen Inhalt der neutestamentlichen O f f e n b a r u n g sieht, ermifit, was hier sich ereignet. Es ist eine Wirklichkeit, die neben und ü b e r allen anderen Wirklichkeiten so wesenhaft anders steht, dafi 21
Em. Hirsch, ebda. Sp. 894. Ad. Schlatter, Das christliche Dogma. l.Aufl. S.214. 23 Martin Köhler, Die Wissenschaft der christlichen Lehre. Leipzig 1905. III. S. 432. 24 Karl Barth, Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogm a t i l München 1927. S. 208. 25 Ders., Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur kirchlichen Dogmatik. München 1932. S. 488. 26 Karl Heim, Glaube und Leben. Ges. Aufsätze und Vorträge. Berlin 1926. S. 484. 2 7 Ders. ebda. S. 494. 2 ® Th. Ellwein, Evangelische Lehre. München 1933. S. 189. 2« Emil Brunner, Das Gebot und die Ordnungen. Tübingen 1932. S. 297. so Ebda. S. 298. Brunner gebraucht in diesem Zusammenhang auch das Wort „Meditation", wir zitieren diese Stelle aber nicht, da nicht unser prägnanter Wortsinn vorliegt und das Zitat deshalb nur irreführen würde. 22
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d a d u r c h all' diese a n d e r e n r e l a t i v i e r t w e r d e n . G o t t allein ist absolut. U n d d e r B e t e r steht im G e b e t vor d e r a b s o l u t e n G o t t e s w i r k l i c h k e i t . D a r a u s e r g e b t sich, d e m e n t s p r e c h e n d , das Zweite: G e b e t ist das H e r z s t ü c k d e s G l a u b e n s l e b e n s ü b e r h a u p t , nicht n u r sein „ W e s e n " oder Z e n t r u m , s o n d e r n sein Pulsschlag, u n d damit zugleich die z e n t r a l e , die k o n s t i t u i e r e n d e Ä u ß e r u n g des L e b e n s selbst. Psychologisch a u s g e d r ü c k t : G e b e t ist d e r eigentliche, j a d e r d e n Menschen als glaub e n d e n Menschen erst k o n s t i t u i e r e n d e Vollzug des Selbst. Im G e b e t w i r d u n d ist d e r Mensch im intensivstem M a ß e „er", im G e b e t w i r d sein eigentliches Ich, sein C h a r a k t e r , seine P e r s ö n l i c h k e i t gestaltet u n d d r ü c k t sich in i h m aus. G e b e t ist die tiefste u n d intensivste S e l b s t v e r w i r k lichung. Aus dem W e s e n Gottes, d e r f ü r d e n Menschen nicht e i n f a c h „da ist", s o n d e r n s c h e n k e n d u n d f o r d e r n d ihm g e g e n ü b e r t r i t t , folgt n u n das d r i t t e k o n s t i t u i e r e n d e Moment des Gebets. D a s ist die d e m G e b e t e i g e n t ü m l i c h e H a l t u n g . G e b e t ist seinem W e s e n n a c h i m m e r von R i c h t u n g u n d B e w e g u n g bestimmt, es ist im G r u n d e a k t i v . A m deutlichsten w i r d das a m Bittgebet, das z u m leidenschaftlichen, a n d r ä n g e n d e n F l e h e n w e r d e n k a n n . A b e r a u c h das D a n k g e b e t ist von gleichem C h a r a k t e r , es „ b r i n g t " d e n D a n k „ v o r " Gott. In beiden gibt d e r Mensch etwas ans sich h e r a u s a n Gott. D o r t den W u n s c h , h i e r die A n t w o r t auf den e r f ü l l t e n W u n s c h bzw. auf das o h n e Bitte g e w ä h r t e G e s c h e n k . Nicht so deutlich ist d e r s e l b e T a t b e s t a n d in d e r K r o n e des Gebetes, d e r A n b e t u n g . D o c h ist sie letzlich n u r die "Vollendung d e r Bitte u n d des D a n k e s , d e n n b e i d e w e r d e n von sich aus u m so m e h r z u r A n b e t u n g , j e m e h r d e r Mensch nicht n u r e t w a s aus sich, s o n d e r n sich selbst Gott hingibt. R e i n e A n b e t u n g ist volle H i n gabe. In d e r A n b e t u n g k a n n w e i t h i n die d r ä n g e n d e B e w e g u n g des Bittu n d D a n k g e b e t e s d u r c h die r u h e n d e F ü l l e abgelöst sein, a b e r d e r G r u n d zug ist ebenso s t a r k da, n u r in a n d e r e r Gestalt. Alles G e b e t ist H i n g a b e . Und z w a r ist es H i n g a b e an den l e b e n d i g e n Gott u n d d a m i t ein T u n , in d e m d e r Mensch in seiner T o t a l i t ä t b e a n s p r u c h t ist u n d sich in seiner T o t a l i t ä t b e a n s p r u c h e n läßt. G e b e t ist i m m e r universal, w i e j e d e H i n g a b e u n i v e r s a l ist, die diesen N a m e n verdient, u n d völlige H i n g a b e n u r an Gott möglich ist. U n t e r s u c h e n w i r die e n t s p r e c h e n d e n M o m e n t e bei d e r Meditation, so t r i t t d e r U n t e r s c h i e d zwischen G e b e t u n d Meditation d a n n a m d e u t lichsten h e r a u s , w e n n w i r z u n ä c h s t i n b e w u ß t e r Beschränk u n g eine letzte u n d höchste Möglichkeit d e r Meditation, die als Meditation der geoffenbarten Wahrheit herausgestellt wurde, unberücksichtigt lassen u n d bei den vielfältigen a n d e r e n Möglichkeiten bleiben. W i r d e n k e n an M e d i t a t i o n v o n G e g e n s t ä n d e n , Z e i c h e n , M e n s e h e n usw. In j e d e m Falle, a u c h w e n n w i r einzelne W o r t e , w i e e t w a „Ruhe", m e d i t i e r e n , h a t d e r M e d i t i e r e n d e sich g e g e n ü b e r ein Ο b j e k t , i m weitesten Sinne des Wortes. M a n m e d i t i e r t i m m e r „etwas", u n d a u c h w e r schweigend w a r t e t auf das, w a s aus d e r T i e f e des eigenen Ich h e r a u f steigen soll, w a r t e t d a m i t auf ein „Etwas". Dieses O b j e k t d e r MeditatioD
Wir meditieren v o r Gott, wir beten ζ u Gott
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t r i t t dem Menschen in der realen Welt gegenüber, d. h. es richtet an ihn einen Anspruch, es begegnet ihm. Je hochwertiger das O b j e k t ist, um so intensiver ist die Begegnung und um so m e h r vom „Selbst" des Meditierenden nimmt sie in Anspruch. Meditiere ich einen Menschen, so vollzieht sich in der Meditation nichts Geringeres als die Ich-Du-Begegnung, die den Meditierenden also in seiner Totalität beansprucht. Ja, w i r erk a n n t e n es als den Sinn der Meditation, daß m a n es lerne, die „Mächtigk e i t " der O b j e k t e zu e r f a h r e n . Es ist also dieselbe Lebendigkeit da, wie beim Gebet, und das erste Wesensmerkmal der Meditation entspricht genau dem ersten Wesensm e r k m a l des Gebetes. D e m Meditierenden wie dem Betenden tritt eine Wirklichkeit entgegen, deren realer C h a r a k t e r d a d u r c h gesichert ist, daß sie sich an ein O b j e k t irgendwelcher A r t heftet. D e r Meditierende steht in der Meditation immer vor einer O b j e k t w i r k l i c h k e i t . D e r grundsätzliche Unterschied gegenüber dem Gebet besteht aber n u n bei allen sonst möglichen O b j e k t e n darin, daß sie n i c h t a b s o l u t , s o n d e r n r e l a t i v sind. Dementsprechend können und sollen sie zwar den Meditierenden mit i h r e r g a n z e n „Mächtigkeit" voll erfassen. Aber auch w e n n das größtmögliche O b j e k t diese Mächtigkeit ausstrahlt, so daß w i r durch seine Macht ernsthaft gefährdet oder tiefgehend gefördert w e r d e n in unserer Existenz, stehen w i r dem O b j e k t und seiner Mächtigkeit immer noch gegenüber als Geschöpf, das einem anderen Geschöpf begegnet. Die Relativitätsgrenze zum Schöpfer hin, auf die Absolutheitsseite hin, w i r d nicht überschritten. W e n n sie j e u n d dann überschritten wird, so ist das nicht im Wesen der Meditation, auch nicht im Wesen des O b j e k t e s begründet, sondern in dem f e h l e r h a f t e n Vorgehen des Subjektes, und hier w i e d e r u m nicht im falschen Meditieren, sondern im falschen Sein und Glauben. D e r Meditierende macht das O b j e k t zu seinem Gott. Auch wenn er das nicht vor, sondern in der Meditation tut, schießt ein G l a u b e n s i r r t u m in diese ein. Er sollte und könnte von Meditations wegen I r r t u m und Fehler vermeiden. Ja, es k a n n um gekehrt geschehen, daß w i r eben im Meditieren die Relativität eines Gegenstandes e r f a h r e n , daß wir im Meditieren eines uns als relativ b e w u ß t e n O b j e k t e s erkennen, daß sein W e r t geringer ist, als wir bisher meinten. Meditierend bleiben wir immer, bei allen O b j e k t e n , im R ä u m e der Schöpfung, sie sind unter uns, oder neben uns, j a auch wenn sie ü b e r uns sind, meditieren w i r letzlich auf gleicher Ebene, gleich auf gleich. D e r Beter steht v o r der Wirklichkeit des absoluten Gottes, der Meditator steht g e g e n ü b e r der Wirklichkeit des relativen O b j e k t e s . Entsprechend gestaltet sich das zweite Moment. In j e d e m Falle meditieren w i r als S u b j e k t . Auch dem geringsten O b j e k t begegnen w i r in der Meditation als Subjekt. Es ist sogar gerade das Wesen und das Ziel der Meditation, daß w i r in ihr im Vollsinn Subjekt, Eigenwesen, sind oder es d u r c h sie werden. Meditationsübung auf lange Sicht hat das ausgesprochene Ziel, und kein weiteres k a n n sie sinnvoll machen: daß wir d u r c h sie im höchstmöglichen G r a d e zu unserem Selbst kommen. Meditation, wie Gebet, ist S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g . 13
Haendler, Die Predigt
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Das Gewicht, mit dem ein meditiertes O b j e k t zu unserer Selbstverwirklichung beiträgt, k a n n größer oder kleiner sein. In der Regel bilden alle diese O b j e k t e und die an ihnen vollzogenen Übungen eine Reihe mit vielen Wiederholungen, in der j e d e Ü b u n g und j e d e W i r k u n g ihren Platz hat. Aber auch wenn ich etwa dem Menschen, an dem ich im höchstmöglichen G r a d e „mich selbst finde", „zu mir selbst erwache", in der Meditation so begegne, dafi diese Verwirklichung im Höchstmaß des Möglichen sich vollzieht, so bin ich zwar vielleicht wirklich „ganz"' zu mir selbst erwacht, und die E r f a h r u n g ist vielleicht wie keine a n d e r e grundlegend und bleibt grundlegend f ü r mein Leben. Aber immer noch ist das n u r eine Teilerfahrung, und die höhere F r a g e des Daseins bleibt die, wie ich vor Gott stehe u n d ob ich d u r c h ihn zu dem werde, was d e r Schöpfer mit mir, dem Geschöpf, gemeint hat. Gott erfafit uns ganz, um uns zu gestalten, j e d e sonstige Begegnung, auch die tiefste, erfafit uns nur zum Teil. D e r Beter betreibt die grundsätzlich absolute Selbstverwirklichung vor Gott, der Meditator betreibt die grundsätzlich immer relative Selbstverwirklichung am O b j e k t der Meditation. Auch hier wird an der grundsätzlichen Lage nichts dadurch geändert, dafi man Gott ausweichen und einem O b j e k t als seinem Gott verfallen kann. In beiden Punkten, also in der Wirklichkeit, der man begegnet, u n d in der Art, wie durch diese Begegnung Selbstverwirklichung sich vollzieht, ist der Unterschied zwischen Gebet und Meditation d u r c h den Gegensatz absolut — relativ zu erfassen. Das dritte bestimmende Moment ist f ü r beide Tätigkeiten die Haltung. Hier läfit. sich nicht in gleichem Umfang in gleicher Eindeutigkeit ein spezifischer Gegensatz herausstellen. Das ist darin begründet, dafi Haltung in sich schon Relation ist, dafi sie nicht wie das S u b j e k t und das O b j e k t j e f ü r sich da ist, sondern die A r t der Beziehung des S u b j e k t e s zum O b j e k t bedeutet. Wir schränken zunächst noch einmal ein, und zwar diesmal nicht auf der Seite der Meditation und ihrer O b j e k t e , sondern auf der Seite des Gebetes und seiner Art. Wir denken zunächst n u r an das B i t t g e b e t und vergleichen die H a l t u n g des bittend Betenden mit der des Meditierenden. D a n n tritt der Unterschied deutlich h e r a u s : der Bittende nimmt eine überwiegend aktive, der Meditierende eine überwiegend w a r t e n d e Haltung ein. Bildhaft k l a r wird das, wenn w i r die K ö r p e r h a l t u n g des Aufhebens der Hände beim Gebet 3 1 mit der K ö r p e r h a l t u n g der Meditation vergleichen, bei der die H ä n d e im Schoß ruhen. Im D a η k g e b e t ist schon mehr r u h e n d e Haltung. In der A n b e t u n g dagegen kommt die H a l t u n g des Betenden der des Meditierenden im bisher beachteten Sinne sehr nahe: der Anbetende „steht stille" vor Gott, er bittet nicht, er w a r t e t nicht auf etwas, er ist e r f ü l l t von Gottes Herrlichkeit. Er ist g a n z e r f ü l l t und e r ist e r f ü l l t . 3i 1. Tim. 2. 8; Ps. 134, 2; 1. Mos. 14. 22 u. a.
.Alle Meditation meinet Anbetung Gottes"
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Wenn demnach sowohl vom Anbetenden, wie vom M e d i t i e r e n d e n gesagt w e r d e n k a n n , d a ß e r sich in einer a k t i v e n P a s s i v i t ä t b e f i n d e t , so e r g i b t sich d a r a u s zweierlei. Einmal, d a ß a u c h bei gleicher G r u n d h a l t u n g d e r S a c h g e h a l t d e s G e schehens (Gebet o d e r Meditation) d u r c h d a s „Objekt"32 b e s t i m m t w i r d . Sodann, dafi M e d i t a t i o n d e m G e b e t u m s o n ä h e r k o m m t , je näher· ihr O b j e k t an die G o t t e s w i r k lichkeit heranrückt. Man k a n n also f r e i m ü t i g b e t e n u n d b r a u c h t im G e s p r ä c h mit d e m V a t e r im H i m m e l a u c h bei strengster Selbsterziehung nicht d a r a n zu d e n k e n , dafi es eine Schule d e r Meditation gibt, die m a n nicht v e r s ä u m e n sollte. D e n n echtes G e b e t n i m m t von d e r Meditation das auf, w a s das G e b e t als solches f ö r d e r t , u n d bleibt doch echt u n d u n b e i r r t e b e n das Gebet. Und m a n k a n n f r e i m ü t i g m e d i t i e r e n u n d b r a u c h t nicht zu sorgen, d a ß m a n d a r ü b e r das G e b e t v e r s ä u m e . R e c h t e Meditation f ü h r t den, d e r ü b e r h a u p t vom Beten weiß, t i e f e r in das G e b e t h i n e i n u n d nicht von ihm fort, j a es k a n n , j e n ä h e r sein G e g e n s t a n d d e r W i r k l i c h k e i t Gottes k o m m t , u m so m e h r vom echten G e b e t das a u f n e h m e n , w a s die Meditation als solche f ö r d e r t , u n d diese bleibt doch echte Meditation. A b e r h i e r ist die R e s e r v e g a r nicht e r f o r d e r l i c h a u ß e r als Schutz gegen u n b e r e c h t i g t e E r h e b u n g u n w ü r d i g e r O b j e k t e zum G e g e n s t a n d d e r A n b e t u n g . D e n n es ist gewifi k e i n Schade, w e n n M e d i t a t i o n zum G e b e t w i r d . U n d es ist ebenso w e n i g ein Schade, w e n n G e b e t z u r M e d i t a t i o n wird. So g e h e n echtes G e b e t u n d echte Meditation i m H ö c h s t e n e i n e E i n h e i t ein, ohne doch zu u n k l a r e r V e r m i s c h u n g zu k o m m e n . Man k a n n in d e r K i r c h e m e d i t i e r e n so gut w i e m a n im Zimmer b e t e n k a n n . Es k a n n eine Meditation u n m i t t e l b a r in ein G e b e t ü b e r g e h e n , u n d m a n k a n n vom G e b e t z u r Meditation k o m m e n . D e r legitime O r t , an d e m diese E i n i g u n g von Meditation u n d G e b e t sich am deutlichsten vollzieht, ist die Meditation von christlichen Zeichen u n d — d a j e d e s Zeichen m e h r d e u t i g ist — noch m e h r von B i b e l w o r t e n . In A b w a n d l u n g eines b e k a n n t e n W o r t e s von E c k e h a r t k ö n n t e m a n s a g e n : „Alle Meditation meinet Anbetung Gottes" W i r w ü r d e n in d e r evangelischen K i r c h e diesen Z u s a m m e n h a n g leichter verstehen, w e n n w i r besser wüfiten, d a ß es nicht n u r Gebet, sond e r n a u c h eine „ S c h u l e d e s G e b e t s " gibt. F e n d t stellt bei L u t h e r eine „Schule d e r H e i l i g u n g " fest 3 3 , u n d w e n n d a r i n a u c h das G e b e t nicht in p a r a l l e l e n S t u f e n n e b e n d e r H e i l i g u n g als e n t s p r e c h e n d f o r t s c h r e i t e n d a u f g e b a u t w i r d , so ist doch selbstverständlich die P r a x i s des Betens eine Schule, w e n n die d e r H e i l i g u n g eine solche ist, d. h. es gibt einen F o r t s c h r i t t i m G e b e t d u r c h Ü b u n g , sofern m a n in d e r Ü b u n g von e i n e m 32 Die Bezeichnung „Objekt des Gebetes" für den Gott, an den das Gebet sich richtet, ist eigentlich unmöglich, sie wird hier um des Parallelismus willen gebraucht. S3 Leonhardt Fendt, Luthers Schule der Heiligung. Leipzig 1929. 13*
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geringen Anfang her weiterkommt, Erfahrung und Können gewinnt. Wenn Fendt in diesem Zusammenhang mit Recht Luthers Satz aus dem Römerbriefkommentar zitiert 34 : „Non dabitur gratia sine ista agriculture sui ipsius", so hat er gewifi recht damit, dafi hier keine (katholisch verstandene) die Gnade vorbereitende Tätigkeit des Menschen gemeint sein kann. Aber ebenso recht mit der Deutung: „Wenn du Gnade bekommst, so bekommst du zugleich die agricultura an dir -selbst." Und wenn die Worte bedeuten sollen, was sie sagen, und wenn die Ordnung des Lebens bleibt, was sie ist, so kann a g r i c u l t u r a s u i nur irgendwie ein, wenn auch von der Gnade gegeben und in der Gnade geschehend, f o r t s c h r e i t e n d e s W i r k e n bedeuten. Was aber von der Heiligung als ganzes gilt, das gilt auch vom Gebet. Wir nehmen dem Gebet sein Leben, wenn es n u r so möglich sein soll, daß wir immer mit einem Nichts anfangen. Sind wir auch nichts vor Gott, so sind wir doch mit diesem Zustand in ein organisch sich gestaltendes, damit auch, rück- oder fortschreitendes, Wachstum hineingestellt. Und wenn die Kraft und Wirkung der Heiligung nach evangelischer Erkenntnis nicht im Menschen, sondern im Geist Gottes liegt, so wird doch dadurch ihr geschichtlicher, also organisch fortschreitender Charakter nicht aufgehoben. Dafi man im Gebet fortschreiten kann, bestätigen wir indirekt dadurch, daß wir von „großen Betern" reden. Und daß man es soll, fordern wir praktisch, wenn wir zum regelmäßigen Gebet, zur „Übung" des Gebetes, auffordern. Entsprechend würde auch die „Schule der Meditation" uns nicht so mißtrauisch machen, wenn sie nicht mit den buddhistischen Hintergründen der dortigen Praxis, und für diese freilich nach unserem Verständnis mit Recht, belastet wäre. Wenn aber buddhistische Praxis den in Christus offenbaren Gott und „katholische" Praxis die allwirkende Gnade nicht kennt, und also jene mit den Tiefen der eigenen Seele und diese mit der Werkgerechtigkeit die theologische Unanfechtbarkeit der Meditationsund der Gebets s c h u l e zu gefährden scheint, so haben wir dadurch nur um so dringenderen Anlaß, uns über das W e s e n e v a n g e l i s c h e r S c h u l u n g eindeutig klar zu werden. Sie fußt darauf, daß alles, auch Übung und Fortschritt, Reifen und „Vollkommen werden" von Anfang an völlig auf dem sola fide aufruht und in jedem Augenblick in ihm steht. Sie vollzieht sich darin, daß die all wirkende Gnade Gottes, in jedem Falle und überall v o r g ä n g i g und ohne jeden falsch verstandenen Synergismus, in uns ein Geschehen wirkt. In diesem Geschehen ist unser Wirken deshalb nicht synergistisch, weil es „nur aus Gnaden" geschieht. Und es ist u n s e r Wirken, sofern Gott von uns Gehorsam, also „des Willen t u n" 35 , fordert. Hat man diese Grundsituation erfaßt, so ist es eigentlich gar nicht schwer, das „Tun" des Christen in das „sola gratia" einzuordnen 36 . 3* Ebda. S. 38/39. 35 Joh. 7. 17. 3β Cf. I. Kapitel, Π. 2.
Meditation als Hilfe zum, Gebet
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Damit ist auch die Meditation grundsätzlich in die evangelische Glaubenshaltung als evangelisch möglich eingebaut, und w e r recht meditiert und dabei immer tiefer in die biblische W a h r h e i t eindringt, der gewinnt eben i η der Meditation auch ein immer tieferes Verständnis des sola fide und k a n n immer m e h r von ihm d u r c h d r u n g e n werden, — d u r c h Gebet u n d Meditation. H i l f e zum Gebet k a n n Meditation werden, weil das Gebet dadurch, dafi es sich an Gott richtet, nicht schon gegen Verfälschung gesichert ist. D e n n Verfälschung des Gebetes entsteht nicht n u r aus der Selbstsucht, die Gott mißbrauchen will, sondern auch d u r c h das kurzschlüssige Verhalten, daß Gebet nicht n u r ein Anruf „in der Not" sein, sondern auch die Not überspringen kann. D e r Mensch flieht dann von sich selbst weg zu Gott, statt sich in Gott zu finden, u n d sucht den Deus e x machina statt des Vaters im Himmel. Die Hilfe stellt sich manchmal dann trotzdem ein, aber das Menschenwesen bleibt undurchgeordnet, u n d es geht j a h r e lang immer wieder u m dieselbe Sache, in der man gleichsam täglich wieder von neuem anfängt. Man denke dabei etwa an Neigung zur Heftigkeit, an „Nervosität" u. ä. Das ist d a d u r c h mitverschuldet, daß die Kirche mit allem N a c h d r u c k — mit Recht — als erste F o r d e r u n g betont, daß der Mensch mit seinem Gewissen ins Klare kommen muß. Also steht dann auch im Gebet das Unrecht voran. Aber es gibt U n r e c h t , d a s n i c h t K r a n k h e i t s h e r d , s o n d e r n K r a n k h e i t s s y m p t o m i s t , u n d wo die Hilfe d u r c h Beseitigung des Herdes ganz von selbst kommen w ü r d e . So entsteht ζ. B. oft Unrechtes T u n aus Hemmungen, aus denen der gehemmte Mensch seinen Ausweg sucht. D a die T ü r verklemmt ist, muß er durchs Fenster, d. h. da die H e m m u n g die gesunde Auflösung nicht findet, explodiert sie in irgendeinem Tun, das dann als Unrecht auf dem Täter lastet. In solchen Lagen w i r d beispielhaft deutlich, daß Gebet d u r c h Meditation ergänzt und u n t e r Umständen korrigiert w e r d e n muß. Eben weil Meditation gleichsam länger beim Ich v e r h a r r t als das Gebet, k a n n sie die G e f a h r abdämmen, daß das Gebet das Ich überspringt. N u r das egoistische Ich, die Selbstinthronisierung, ist verwerflich. D a s den W e g der Reinigung beschreitende Ich, die Selbstverwirklichung, gehört vor Gott. Eine weitere lebendige Beziehung k a n n d a d u r c h entstehen, daß Gebet und Meditation einander so ergänzen können wie Gespräche und schweigende Besinnung. Keines ersetzt das andere, und jedes b r a u c h t das andere. In der Besinnung ist die Begegnung mit darin u n d in der Begegnung die Besinnung. Wo man jedes von beiden in lockerer Selbstverständlichkeit zu seinem Rechte kommen läßt, gehen sie reibungslos, dem seelischen Bedarf entsprechend, j e und d a n n ineinander über. O f t ist es so, daß überwiegend Gebet und Meditation in gleicher S t ä r k e u n d weitgehender Einheit ineinander sind. Und das gilt besonders von demjenigen Geschehen, in dem nach üblicher Meinung n u r die betende, tatsächlich aber, wenigstens dem G r u n d satz nach, auch die meditative H i n w e n d u n g zu Gott in geordneter Gestalt vollzogen werden, in dem öffentlichen Kultus der Kirche.
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Unter K u l t u s wird in der evangelischen Theologie überwiegend n u r der öffentliche, in feststehenden Formen sich vollziehende Gottesdienst verstanden. Das ist zu eng gefafit, und hier ist die Begriffsbestimmung deshalb bedeutsam, weil das verengte Verständnis eine wesentliche Seite der Sache nicht ins Blickfeld nimmt und dadurch das Sachverständnis unvollständig wird. Wir müssen in den Kultus a l l e Hinwendung zu Gott, auch die persönliche, auch die ungestaltete, einbeziehen, wenn wir für die öffentliche die richtige Haltung finden wollen. Es ist also nicht nur der Gottesdienst Kultus, sondern dieser ist Kultus im engeren Sinne, und Kultus im weiteren Sinne ist die Durchgestaltung des täglichen Lebens mit der sich in der Stille wiederholenden ausdrücklichen Hinwendung zu Gott. Der erstere hat in der Kirche seine bestimmte Zeit und Ordnung. Die letztere ist grundsätzlich in dem Sinne freigegeben, dafl der Mensch, bzw. die Familie, Art und Weg finden können und sollen, in dem Sinne jedoch nicht, daß die „Übung" des Kultus ebensogut fehlen wie vollzogen werden könnte. Im Räume der evangelischen Kirchen beschränkt sich der Kultus im weiteren Sinne gegenwärtig überwiegend darauf, daß einige Familien täglich Andacht halten, und einige Menschen ihr tägliches stilles Gebet. Dieser Kultus im weiteren Sinne ist damit praktisch so bedeutungslos geworden, daß man d e s h a l b auch in den Gemeinden bei dem Worte Kultus überhaupt nur an Gottesdienst und kirchliche Handlungen denkt. Aber ein Ausdruck dafür, in welche Tiefe beide wesenhaft zusammengehören, ist die Tatsache, daß der sonntägliche Gottesdienst recht verstanden nicht eine Insel im Meere der Woche ist, wobei seine Entleerung und seine Entfernung vom Leben ohne weiteres verständlich wird — sondern eine Krönung der kultisch durchlebten Woche, wodurch er wieder lebendig werden würde. Die Notwendigkeit des Kultus ist b e g r ü n d e t nicht erst in der Sünde, denn dann wäre Kultus lediglich der Weg zur Überbrückung der Entfernung des Menschen von Gott. Auch nicht erst in der christlichen Situation, die die Anbetung Gottes erfordert, sondern schon in der a n t h r o p o l o g i s c h e n S i t u a t i o n . Deshalb bereits, weil wir in der Zeit und im Räume leben, und also unsere Lebensäußerungen sich verteilen in verschiedene Zeitabschnitte und in verschiedene Richtungen, brauchen wir neben den besonderen Stunden des Essens, der Arbeit, des Ruhens usw. die besonderen Stunden der Hinwendung zu Gott. Sie sind also, ebenso wie die anderen, nicht negativ gesondert vom sonstigen Leben, sondern positiv organisch mit ihm verbunden und aus ihm herausgehoben. Sie sind nicht Abschnitte, in denen geschieht, was sonst nicht geschieht, sondern Äußerungen, in denen a u s d r ü c k l i c h ges c h i e h t , w a s s o n s t d a s L e b e n d u r c h z i e h t , so wie etwa die Nahrungsaufnahme ausdrücklich geschieht, aber die Verarbeitung fortwährend, das Ruhen ausdrücklich, aber Ruhe, immer im Menschen sein muß.
Kultus ist gestaltete u n d ungestaltete Hinwendung zu Gott
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Das W e s e n d e s K u l t u s 3 7 ist H i n w e n d u n g des ganzen Menschen zu Gott. Auf Grund der Urbeziehung zwischen dem Geschöpf und dem Schöpfer, und zwar dem heiligen Gott und dem in der „Welt" lebenden Menschen spezialisiert sich das Wesen des Kultus dahin, daß er die B e r e i t s c h a f t wird, Gott aufzunehmen u n d das B e s c h r e i t e n d e r W e g e , durch die das geschieht. Diese Wege sind im privaten Leben Meditation, Gebet, Andacht u n d Verwandtes, im gemeinsam gelebten Leben der Kirche der Gottesdienst, u n d zwar wesentlich seine Liturgie. L i t u r g i e ist demnach m e d i t a t i v e s G e b e t i n f e s t e r G e s t a l t . Die ihrem Wesen entsprechend erlebte Liturgie f ü h r t den Teilh a b e n d e n nicht in eine Passivität, bei der der Liturg der aktive wäre, sondern die Teilhabenden und den Liturgen gleichermaßen in die passivaktive Sammlung u n d V e r s e n k u n g , in der Menschen v o r d e m l e b e n d i g e n G o t t stehen u n d den Weg zu ihm gehen. Diese dem Wesen der Liturgie entsprechende G r u n d h a l t u n g ist gleichermaßen u n d gleichbleibend gefordert von dem liturgischen Gebet, vom liturgischen Gesang, von der Schriftlesung, dem Glaubensbekenntnis u n d allem, was z u m Geschehen am Altar gehört. D e r T r ä g e r des liturgischen Geschehens ist damit ganz und gar nicht n u r der, der im Namen der Gemeinde spricht, sondern er ist in seinem Handeln am Altar, das in j e d e m Sinne Hinwendung zu Gott ist, der erste und verantwortliche T r ä g e r dieser p a s s i v - a k t i v e n H i n w e n d u n g z u G o t t . Es ist nicht n u r unmöglich, daß ein zerstreuter Liturg eine gute Liturgie hält, sondern es muß so sein, daß in dem am Altar handelnden Liturgen alle Sammlung und H i n w e n d u n g der Gemeinde sich sammelt und in ihm Vor Gott tritt u n d ebenso, daß der Liturg, der am meisten E r f a h r u n g und Möglichkeit in dieser Hingabe haben sollte, seine gesammelte Hinwendung auf die Gemeinde überträgt. Liturgie ist nicht ein „Verlesen" von Gebeten u n d Schriftabschnitten, das durch einen einzelnen Menschen vor Vielen und f ü r sie geschieht, so daß j e d e r nach A u f m e r k s a m k e i t u n d Neigung sich beteiligen könnte oder nicht, sondern ein k r a f t g e l a d e n e s G e s c h e h e n , in dem wirklich u n d wesenhaft etwas geschieht. Und das in der gesammeltsten Hingabe u n d in gesteigerter Möglichkeit der E r f a h r u n g und der Wirklichkeit des Geschehens beim Liturgen. Es ist eine d u r c h a u s wesensgemäße Beurteilung der Liturgie, wenn von einem evangelischen Christen über G u a r d i n i geurteilt w u r d e : „Wenn er eine Morgenfeier gehalten hat, geht es den ganzen T a g mit einem, so stark sind die Ströme, die von ihm ausgehen". Diese Ströme sind eben nicht subjektiv, sondern im Kultus kommen d u r c h e i n e m e n s c h l i c h e Einzelperson, d i e K r a f t s t r ö m e e i n e r o b j e k t i v e n Wirkl i c h k e i t zu e i n e r G e m e i n s c h a f t von Menschen. 37 Zu einer umfassenden Erörterung und Auseinandersetzung über das Wesen des Kultus ist hier nicht der Raum. Es muß genügen, diejenigen Linien thetisch herauszustellen, die in unserem Zusammenhang von Bedeutung sind.
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Der Weg des Subjektes zum Evang-elium und zum Text
Wir sind uns der Tatsache bewufit, daß in der evangelischen Kirche in vielen Fällen dieses Geschehen nicht einsetzt, und zwar sowohl infolge der fehlenden liturgischen und überhaupt kultischen Schulung und Führung der Pfarrer, wie auch, weil weithin die so gesehene Wirklichkeit der Liturgie nicht erkannter Besitz der Liturgen und der Gemeinden ist. Mit dem Gegensatz zwischen evangelischem und katholischem Verständnis des Kultus hat diese Wirklichkeit nichts zu tun, denn sie liegt v o r dem Punkt, wo beide sich trennen, als gemeinsames Gut der una sancta.. Die Entwicklung der jüngsten Zeit hat an einigen Stellen der evangelischen Kirche diesem Verständnis stärker den Boden bereitet. Wo es durchgebrochen ist, wurde gleichzeitig festgestellt, also nicht nur theoretisch erschlossen, sondern an der ausgeübten Wirklichkeit des Kultus erfahren, daß so verstandener und s o v o l l z o g e n e r K u l t u s a u f den L i t u r g e n t i e f g r e i f e n d e n Einfluß ausübt. Dieser Einfluß liegt darin, daß der Liturg durch seinen liturgischen Dienst in stärkstem Maße i n d e n B e r e i c h d e r g e i s t l i c h e n W i r k l i c h k e i t e n h i n e i n g e z o g e n w i r d . Wer am Altar steht, wird dadurch ein anderer Mensch. Es strömen ihm Kräfte zu, die schon rein äußerlich in Zeiten hoher Anforderungen an die Kraft ihn zu Leistungen befähigen, deren er sonst nicht fähig wäre. Er spürt, daß dieser Dienst nicht Kraft fordert, sondern Kraft g^ibt, nicht ermüdet, sondern erfrischt, und zwar indem er aus tiefsten sonst verschlossenen Quellen speist. Man kann die konkrete Probe erleben, daß man in umfassendem Dienst auf Freizeiten ermüdet, wenn man nur Vorträge hält, dagegen erquickt heimkehrt, wenn man über sie hinaus auch den kultischen Dienst versah. Das Wesen des Liturgen wird in seiner eigentlichen Tiefe von den Wirklichkeiten berührt und erfüllt, die der Kultus öffnet und, wo dieser Dienst in der rechten Hingabe geschieht, trägt er trotz aller schmerzlich empfundenen Schwachheit zur Durchklärung und Reinigung des Wesens in einem Maße bei, das immer nur mit Dank lind Ehrfurcht empfunden werden kann. Κ u 11 us steht also sowohl in seinem Wesen wie in seiner Wirkung in nächster Nähe zur Meditation. Ja, er i s t M e d i t a t i o n ' i n g e f o r m t e r G e s t a l t . Und Meditation ist in ihren Tiefen Kultus in freier, nicht festgeformter Gestalt. Nicht als ob das eine auf das andere zurückzuführen wäre oder aus ihm erwüchse. Zwar kann man sagen, daß aus der gestaltlosen Meditation, wenn sie immer mehr in die Gottesbegegnung einmündet, sich das Bedürfnis nach einer festen Gestalt der „Meditation vor Gott" und vielleicht auch nach einem gemeinsamen Vollzug ergibt. Man kann ebenso sagen, daß aus dem Kultus mit seiner tiefen und unmittelbaren Hinwendung zu Gott, sowohl in der Einsamkeit wie in der Gemeinschaft, das Bedürfnis entsteht, diese unmittelbare Versenkung auch ungebunden nach jeder Richtung des Seins hin auszuüben. Aber im Grunde sind die freieste Meditation und der gebundenste Kultus mit allen dazwischenliegenden Möglichkeiten ebenso viele A u s strahlungen mehr oder weniger konkreten Vollzuges
Liturgie ist Meditation in geformter Gestalt
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der Urnotwendigkeit menschlicher Seinsbetätigung, die Einordnung in die gesamte Wirklichkeit und die Begegnung mit ihren Mächten bis zur Begegnung mit dem lebendigen Gott w e s e n h a f t zu realisieren. II. D i e B e d e u t u n g
der Meditation
für die
Predigt
1. D i e T i e f e n g l i e d e r u n g der g e o f f e n b a r t e n W a h r h e i t
In den dargelegten Zusammenhängen ist die B e d e u t u n g d e r M e d i t a t i o n f ü r d i e P r e d i g t a r b e i t begründet. Sie wird um so tiefer, je mehr wir uns vergegenwärtigen, dafl Kultus als gestaltete Meditation in festen Formen ebenfalls zum Bereich des meditativen Geschehens gehört, so dafi also im Folgenden stets ungeformte u n d geformte Meditation im Blickfeld zu halten ist. Wenn Predigt nur Wiedergabe objektiver Tatsachen wäre und es f ü r diese Wiedergabe also gleichgültig wäre, wer sie vollzieht, so hätte alle Meditation für die Arbeit an der Predigt keine Bedeutung. Da aber Verkündigung nur durch die innere Verschmelzung der Wahrheit mit dem persönlichen Sein ihres Verkünders möglich ist, so ist Μ e d i t a tion der inhaltvollste und fruchtbarste Weg zur Predigt Diese grundlegende Bedeutung der Meditation f ü r die Predigt wird wirksam in d r e i f a c h e r R i c h t u n g : sie erst g e s t a l t e t d a s S e l b s t des Predigers, sie erst ö f f n e t i h m d i e g e o f f e n b a r t e W a h r h e i t so, daß er den Eingang in ihre Räume findet und sie in ihrer Tiefendimension „erkennt", und sie erst ermöglicht die wirkliche Einigung und V e r s c h m e l z u n g z w i s c h e n d e m S u b j e k t u n d der g e o f f e n b a r t e n Wahrheit. Was über G e s t a l t u n g d e s S e l b s t zu sagen ist, ist im wesentlichen bereits ausgeführt worden. Von der verlebendigenden A u f g l i e d e r u n g d e r O f f e n b a r u n g in ihrer Tiefendimension wird sogleich zu handeln sein. Die V e r s e h m e l z u n g d e s S u b j e k t e s m.i t d e r W a h r h e i t kommt je und dann der sachlichen Möglichkeit und Notwendigkeit entsprechend zum Ausdruck. In allen drei Richtungen erlöst Meditation von dem einengenden und verhärtenden Zwang der nur rationalen Bewustseinskultur und führt in die lebensvollen Tiefen der menschlichen Wirklichkeit und der geoffenbarten Wahrheit hinein. Damit kann eine echte „Gegenwärtigkeit" des Christentums mit erkennbarer Zukunftskraft heraustreten. H e y e r s Formulierung 3 6 bezeichnet zwar nicht einen direkten Weg zum Christentum, wohl aber die Wiederaufnahme der Fühlung mit Urgegebenheiten. Diese m ü s s e n jedoch nicht, wie Heyer meint, ein „Heraustreten aus dem logozentrisch-christlich-mittelalterlichen Mandala" sein, sondern 38 Vgl. S. 4.
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Der Weg· des Subjektes zum Evangelium und zum Text
können ebensogut mit ihm verbunden bleiben. Denn a u c h d e r C h r i s t mufi, w i l l er g e s u n d s e i n , sich den U r e l e m e n t e n z u w e n d e n . In welchem Maße es gelingt, diese „Gegenwärtigkeit" herauszustellen, ist freilich abhängig von mancherlei Faktoren innerhalb und außerhalb der Kirche und ihrer Verkündigung. Trotz dieses Risikos aber und in ihm ist die Verkündigung verpflichtet, die Wege zu beschreiten, auf denen sie ihre Gegenwartsaufgabe sub specie aeterni und vor menschlichem Wissen und Gewissen zu erfüllen vermag. Hinsichtlich d e r g e o f f e n b a r t e n W a h r h e i t ist in der evangelischen Kirche überwiegend nur eine sehr verkürzte Erkenntnis der beiden Tatsachen da, daß sie eine Tiefengliederung hat, und daß man in ihre Räume den Eingang finden muß. Wenn ein junger Amtsbruder einmal äußerte: „Wir beschäftigen uns nun seit 10 Jahren täglich mit dem Neuen Testament, aber was haben wir dabei an w i r k l i c h e r Erkenntnis eigentlich erreicht?" — so War damit unbewußt das als Ziel gemeint, was durch Meditation erkannt und erfahren werden kann, daß die Wahrheit des Evangeliums eine Tiefengliederung besitzt, in die man eindringen kann und soll. Aus der bewußten geistigen Situation der Kirche aber entsteht bei dem Theologen, wenn von dieser Tatsache geredet wird, leicht der Verdacht, daß ein bewußter oder unbewußter Versuch vorliege, evangeliumsfremde Elemente in die evangelische Kirche einzuführen. Das bereitwillige Zugeständnis, daß das Evangelium eine unergründliche „Tiefe" hat, ist noch nicht Erkenntnis· seiner Tiefengliederung. Das Wissen um diese ist deshalb nicht mehr evangelisches Allgemeingut, weil die Speisung aus der Wahrheit Gottes sich weithin v e r e n g t h a t auf die beiden Wege, die in schmalem Strom den einst voll gelebten Reichtum des Pietismus und der Orthodoxie unzureichend weiterführen: E r b a u u n g u n d L e h r e . Die umfassende Bereitschaft, die man für die Wahrheit Gottes haben sollte, wird weithin in den Gemeinden verkürzt zu dem Verlangen nach einer erquickenden, wenn auch das Gewissen schärfenden, Erbauung. Indem man diese aus dem Buch der Bibel zu entnehmen sucht, hat gleichzeitig die „Kirche des Wortes" das neutestamentliche Verständnis von Christus als dem „lebendigen Wort" eingeschränkt auf das Wort = Bibelbuch. Auf die gleiche niedere Ebene herabgezogen ist dementsprechend die andere Linie, daß die Wahrheit wesentlich als Lehre verstanden wird, und es als ein Stück auf dem Wege des Heils empfunden wird, wenn man die evangelische Lehre „bejaht". Selbstverständlich kann auch in solcher Haltung viel echte Hingabe und wirkliche Erkenntnis sein. Das ändert aber nicht die Tatsache, daß diese Haltung eine Verkürzung ist. Und es ist kennzeichnend, daß überall, wo die Kirche zu neuem Erwachen gekommen ist, auch neue Wege gesucht werden. Der Ansatz zur Verkürzung des Wissens um die Tiefenräume (nicht nur die erbaulich verstandene „Tiefe") des Evangeliums liegt im Mißverstehen des Kampfes Luthers um die V e r s t ä n d l i c h k e i t d e s E v a n g e l i u m s f ü r j e d e r m a n n . Er wird weithin, auch in der
Tiefen der Wahrheit in Stufen
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Geschichte des Protestantismus, so aufgefafit, als ob nach Luthers Meinung das Evangelium wie eine Weisheit, die an der Straße liegt, von „jedermann" ohne Voraussetzung müsse verstanden werden können und nicht Tiefen enthalten könne, die nicht jedermann zugänglich seien; das bedeutet eine Herabsetzung der göttlichen Wahrheit, aus der mißverstandenen These vom allgemeinen Priestertum heraus, zu einer Allerweltsweisheit, für die man nur den guten Willen der Bereitschaft zum „Glauben" und zum Folgen haben müsse. (Zweifellos hängen mit dieser Entwicklung Fehlerscheinungen wie die Forderung des verstandesmäßigen Bejahens der Lehre u. a. zusammen!) Daß L u t h e r es nicht so gemeint hat, erhellt schon an sich überall aus der bohrenden Eindringlichkeit seiner Exegese: was allgemeinverständlich ist, bedarf nicht einer solchen Energie. Es wird aber auch vielfach von ihm ausdrücklich (und nachdrücklich!) gesagt. Als Beispiel sei angezogen seine Ausführung zur Prädestinationslehre, zu Rom 9, 16 S9 . Dort bezeichnet Luther die Prädestinationslehre als robustissimum vinum et perfectissimus cibus, solida esca perfectorutai i. e. excellentissima theologia. Daß das auf den C h a r a k t e r der geistlichen Nahrung und des g e i s t l i c h e n V e r s t e h e n s geht, beweist der Zusatz, in dem er auf 1. Kor. , 6 hinweist: De qua Apostolus: „Sapientiam loquimur inter perfectos" und daß er dazusetzt: „Ego vero parvulus sum, lactis indigens, non esta. Ita faciat qui mecum parvulus est". Vorher: „Hic tarnen moneo ut in istis speculandis nullus irruat, qui nondum est purgate mentis, ne cadat. in barathrum (Abgrund) horroris et desperationis, set prius purget oculos cordis in meditatione vulnerum Jesu Christi. Neque enim ego ista legerem, nisi ordo lectionis et necessitas cogeret". Luther sieht also in der Hl. Schrift Erkenntnisse, d i e s e l b s t i h m n o c h u n z u g ä n g l i c h sind und weiß von „Vollkommenen", die diese Erkenntnis haben. Und diese g e i s t l i c h verstandene Erkenntnis nennt er „Theologie im eigentlichen Sinn des Wortes". Luthers viel gebrauchte Wendung vom Hans im Stall und Grete in der Küche ist also in der volkstümlichen Auffassung nicht richtig verstanden. Sie meint, daß jedem die geistlichen Wirklichkeiten offenstehen, nicht aber, daß es sich im Evangelium nur um allgemeinverständliche Wahrheiten handele. H a n s u n d G r e t e v o n d a m a l s s i n d n i c h t H i n z u n d K u n z v o n h e u t e . Es gilt vielmehr auch für Hans und Grete, daß sie in der Erkenntnis des Evangeliums an Grenzen kommen, wo andere in der Erkenntnis weiter vordringen können und sie nicht, und ebenso, daß sie in ihrer Weise und nach ihren Möglichkeiten e i n d r i n g e n sollen. Die Wahrheit hat also Tiefendimension, und es gibt für den, der sich in sie zu versenken beginnt, eine T i e f e n g l i e d e r u n g d e r W a h r h e i t . Man kann danach Schriftabschnitte zu Gruppen zusammenstellen, die verschieden hohe Anforderungen stellen. Zur einfachsten Gruppe würde der 139. Psalm gehören, zur höchsten das hohepriesterliche Gebet »9 Luthers Komm. z. Römerbrief, hrsg·. von Ficker, S. 226.
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Der Weg des Subjektes zum Evangelium und zum Text
Joh. 17. Jeder Abschnitt führt an sich von der einfachsten Erkenntnis bis zur höchsten. Aber der m e d i t a t i v e K e r n p u n k t l i e g t i n v e r s c h i e d e n e r H ö h e . Wer in die Tiefe eindringen will, tut besser, mit Psalm 139 zu beginnen als mit Joh. 17. Gegen die praktische Einteilung in Stufenfolgen spricht nicht, dafi man die höheren Stücke j a schon kennt, wenn man mit den ersten anfängt. Soweit man sie nicht meditativ erfafit hat, „kennt" man sie eben noch nicht, soweit sie einem meditativ aufgegangen sind, hindern und stören sie nicht andere, anfänglichere Vertiefung. Die Gliederung bedeutet überhaupt nicht, dafi man von einem zum anderen so „fortschreitet", wie man in eine höhere Klasse versetzt wird, indem man die niedere verläßt, sondern dafi' eine Schicht der Erkenntnis nach der andern sich auftut, aber man immer in allen lebt. Es wird nichts entwertet dadurch, dafi es zu den Anfangsstufen gehört. Jede echte Erkenntnis ist ganz. E r s t v o n d a a u s w i r d v e r s t ä n d l i c h , daß es Menschen gibt, die zum Christentum nicht nein sagen, die sich subjektiv als Christen fühlen, und in deren Leben doch zentrale Wahrheiten um Christus keine zentrale Rolle spielen. Wer vom verengten Verständnis der Erbauung und der Lehre aus an diese Tatsachen herangeht, kann nur meinen, dafi hier ein im Grunde unverständlicher halber Glaube vorliege. Denn er kann nicht erkennen, warum nun ein Mensch nicht zum Christenglauben weitergeht. Nur daraus ist viele lieblose und verständnislose Beurteilung solchen „Schicksalsglaubens" zu verstehen. Wer das Christentum meditativ erfafit, versteht zwar in einer neuen Tiefe, dafi es in der Tat zwangsläufig weitertreibt zur Christuserkenntnis, und dafi in einem viel tieferen Sinne, als der Lehrhafte meint, jeder zu früh aufhört, der auf sie verzichtet. Aber er versteht zugleich, daß es sich um ein Stadium der Erkenntnis handelt, und daß ein Weiterschreiten bestimmt gearteten Menschen oft aus Gesamtzusammenhängen des Lebens heraus zur Zeit oder überhaupt nicht möglich ist. Man kann nur aus Meditation verstehen, daß es sich „mit dem 1. Artikel" in der Tat gläubig leben läfit. Der Mensch begegnet dem ganzen und wirklichen Gott, wenn er dem Schöpfer begegnet. Er wird ganz von sich selbst gelöst, wenn Gott ihn beansprucht. Und man kann sehr ernsthaft und sehr nachdrücklich sein Leben bestreiten aus einem solchen „anfänglichen" Glauben. Mindestens der Prediger sollte verstehen, dafi hier alle Lebensprobleme in ihrer Weise durchgearbeitet werden können, und daß hier eine volle Befreiung und Bindung stattfinden kann. Dazu kommt: Christusglaübe ist viel gewichtiger und, zumal für den heutigen Menschen, mehr von Hindernissen umgeben, als dafi er selbstverständlich oder auch nur mit dem Aufwand der Tageskräfte zugänglich wäre. Es gehört nicht nur ein Zugehen auf Christus dazu, sondern eine Auflösung der vielerlei Hemmungen. Die dogmatischen Verhärtungen, etwa der Anstoß an der Bezeichnung „Sohn Gottes" sind eben — das erfafit man in der Meditation — nicht nur ein rationales Verstandeshindernis, sondern ein A b g e b u n d e n s e i n d e r L e b e n s k r ä f t e . Wenn hier Wandlung kommen soll, so mufi eine durchgreifende Be-
Die Lebenskraft des „anfänglichen" Glaubens
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freiung eintreten, und die muß oft in scheinbar fernliegenden Gebieten des persönlichen Lebens ansetzen, etwa bei der Auflösung dogmatistischer Einstellung überhaupt, und so vom Zentrum aus zu lebensnaher Aufnahmefähigkeit für eine höhere geistige Wahrheit führen. Häufig aber weiß das weder der Gehemmte noch sieht es der Seelsorger oder Prediger, der ihm helfen will.-Denn es ist nur aus der Tiefe der Meditation heraus möglich, hier richtige Wege zu finden, weil nur von hier aus die Gefahr und der Fehlweg rational-dogmatischen Korrekturversuchs aufgehoben und erkannt werden kann, und weil nur hier die lebendige Mannigfaltigkeit der Erkenntnismöglichkeiten sich erschließt. 2. V e r s t ä n d n i s
von L e h r e
und D o g m a
aus
der
Meditation
Das führt zu dem Problem der L e h r e bzw. des D o g m a s . In der evangelischen Kirche ist es infolge der unbewußten rationalisierenden Tendenzen in zünftigen Kreisen weithin zu einer Uberbetonung der „Lehre', der „Rechtgläubigkeit'. gekommen. Sie wird ihres Charakters nicht entkleidet dadurch, daß man zugleich die Unerläßlichkeit eines Lebens aus dem Glauben betont, denn das normative und korrektive Element bleibt dann doch zunächst die Lehre Dadurch wird aber die Erkenntnis verdunkelt, daß e i n E r f a h r e n d e r t r a g e n d e n u n d w a n d e l n d e n K r ä f t e des G l a u b e n s mit der B e j a h u n g d e r L e h r e k e i n e s w e g s e i n z u s e t z e n , nicht einmal mit ihr Schritt zu halten b r a u c h t . Infolge dieser Überbetonung haben wir in fernerstehenden Laienkreisen die entsprechend starke Abneigung gegen Lehre und Dogma und das Bedürfnis, von beiden möglichst frei, zu den heilenden und helfenden Mächten des Christentums dennoch leben zu dürfen. Das ist jetzt nicht eine ausdrücklich herausgestellte Parole, trotzdem aber weithin wirksame praktische Haltung. Der einst laute Ruf nach dem „dogmenfreien Christentum (der doch selbst auch „dogmatisch" ist!) hat durch erschütterte Zeiten sich in nicht wenigen wertvollen Menschen vertieft zu dem stillen Verlangen nach einem e c h t e n Z u g a n g , d e r nicht die Lehre als die einzig m ö g l i c h e B r ü c k e ane r k e n n t , also etwa dem Geiste Christi, vielleicht sogar in sehr subjektivem und unzulänglichem Verständnis, sich möchte offnen dürfen, auch wenn man zur „Rechtfertigung" keinen Zugang hat. Die Strukturdifferenz zwischen jenen und diesen Kreisen wird von den letzteren sehr oft so empfunden, daß „das Christentum" offiziell eben fremd empfundene Lehre sei, und man sich deshalb nur am Rande der Kirche halten könne, von ersteren entsprechend so, daß die anderen als fremd und nicht als vollchristlich angesehen werden. Im Grund ist auf beiden Seiten Lehre und Dogma mißverstanden. In dem, was oben über die Urkunde der Offenbarung sowie über Dogma und Lehre ausgeführt wurde, liegt nicht nur eine abstufende Sicht dessen, was einem werdenden Glauben helfen kann, zur Klarheit zu kommen, sondern zugleich ein Herangehen an all diese Gegebenheiten von einer grundsätzlich anderen Seite als der rationalen her. Nämlich
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Der Weg des Subjektes zum Evangelium und zum Text
W o r t Gottes, Dogma, Bekenntnis u n d Lehre w e r d e n gesehen in i h r e r organischen Lebendigkeit, als Gegebenheiten, die entstanden sind u n d zum Flufl des Geschehens i h r e volle Beziehung h a b e n (nicht n u r eine Geschichte haben). Obwohl sie ihren normativen C h a r a k t e r behalten, verlieren sie so doch den s t a r r e n C h a r a k t e r . Die Bewegung ist nicht m e h r n u r auf d e r einen Seite, nämlich der des glaubenden Menschen, als o b ihm eine unbewegliche W a h r h e i t gegenüberstünde, an die er versuchen müsse heranzukommen, sondern auch die normierendeai Gegebenheiten sind beweglich, lebendig, organisch. Sie haben echte Gewalt, aber sie t u n nicht Gewalt an. Es ist mit ihnen Β e g e g η u η g möglich, u n d die Begegnung ist die wesensgemäße A r t der Auseinandersetzung mit ihnen. Was uns also etwa mit Stellvertretung, Gottessohnschaft Christi usw. gesagt ist, erschließt sich lebensmäßig in konzentrischen Kreisen. Auch w e r das alles „studiert" hat, „ e r k e n n t " es doch n u r entsprechend seinem geistlichen Schicksalsweg, S t u f e um Stufe weiter eindringend. D a r u m k a n n gesagt w e r d e n : „Nur w e m ein hoher Geist geschenkt ist, u n d w e r gleichzeitig in seinem Innern, im R a u m der Seele, in seinem Bildbewußtsein w a h r e O r d n u n g geschafft hat, k a n n das Wesen der inneren Erlebnisse in r e c h t e W o r t e fassen; auf religiösem Gebiet k a n n das n u r ein >hoher Priester«. Ein Dogma k a n n deshalb n u r von Menschen solcher A r t geformt w e r d e n . Deshalb ist ein Dogma einem bloßen Verstand fast immer unverständlich 4 0 ." Sind die „ D o g m e n " so entstanden, so sind sie A u s d r u c k e i n e r Τ i e f en e r k e η η t η i s , d i e in e i n e r t i e f e r e n und w e s e n h a f t e r e n S e i n s s c h i c h t , als der des r a t i o n a l e n Y e r s t e h e n s l i e g t . Sie wollen nicht erklären, sondern sie d r ü c k e n in einer Antinomie aus, was rational u n e r k l ä r b a r ist. Deshalb können sie ohne die Tiefenschau der Meditation nicht n u r nicht verstanden, sondern erst recht auch nicht verkündigt werden. Die E r f a h r u n g beweist dementsprechend immer wieder, daß u n m e d i t a t i v e V e r k ü n d i g u n g der christlichen W a h r h e i t die entscheidenden Aussagen beziehungslos u n d apodiktisch hinsetzt und, sicherlich subjektiv ehrlich überzeugt, aber doch homiletisch hilflos, so oder so, direkt o d e r indirekt, sie zu „glauben" f o r d e r t . W i r haben ungezählte Beispiele von Predigtwendungen, in denen etwa völlig unorganisch die These hingesetzt wird, daß „Christus f ü r uns gestorben ist", daß „der Geist Gottes das ganz Andere ist", daß „der Inhalt der Osterbotschaft die A u f e r s t e h u n g " ist u. ä. Womöglich dazu: „Das muß ein Christ glauben". Hier ist gelerntes Dogma, nicht meditative Erkenntnis, die deshalb u n z u r e i c h e n d e G r u n d l a g e der Aussage. Und w e r als H ö r e r folgen will, dem müßte neben seinen sonstigen, f u n d i e r t e n Lebenserkenntnissen eine G r u p p e von „geglaubten" Erkenntnissen entstehen. Wobei dann so geartetes „Glauben" and mit ihm das „Geglaubte" gegenüber den echten Erkenntnissen das Unsichere, Geringere und Willkürlichere wäre. Das F u n d i e r t e ist dann unbestritten u ü d unumgehbar, das andere k a n n man glauben oder a u c h 40
Carl Happich, Anleitung zur Meditation. S. 6/7.
Dogmen werden erlebt in der Meditation
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nicht glauben. Und die Herzstücke des echten Glaubens, gerade sie, hängen in der Luft. Erst die meditative Schau gibt die Möglichkeit, Dogmen so zu verkündigen, dafi sie „ g l a u b h a f t " im eigentlichen Sinne wierden. Denn sie ist ein Nacherleben und Nacherkennen der Wege, die der Gestalter des Dogmas gfegangen ist. Hier werden diejenigen Lebensgebiete und Seinsschichten erschlossen und fruchtbar gemacht, auf denen die tieferen Erkenntnisse wachsen, also das „für Euch" wird etwa als das lebendige Eintreten spürbar, der Geist Gottes wird als die heilige Macht aus der ungetrübten Klarheit erkennbar, Auferstehung wird als Überwindung des Todes und Sieg des Lebens erfahrbar. So kann man seinen Glauben zwar auch nicht „erklären", aber er hängt nicht mehr in der Luft, sondern ist f u n d i e r t , und zwar unerschütterlicher als alle rational mögliche Erkenntnis, nämlich i n d e n e x i s t e n t i e l l tragenden Schichten des Seins. Es ergibt sich aus dem allen, daß sowohl der Prediger wie die Hörer R e i h e n f o l g e u n d Z e i t des Erfassens bestimmter Wahrheiten des Glaubens n i c h t f e s t s e t z e n u n d n i c h t e r z w i n g e n k ö n n e n . Diese Erkenntnis wird unmittelbar fruchtbar in der Predigt, wenn der Prediger aus ihr die Möglichkeit lernt, neben einer vollen und unverkürzten Verkündigung im ausgeführten lebendigen Sinne doch jedem Hörer in seelsorgerlicher Zartheit die innere F r e i h e i t zu lassen, die er ihm schuldig ist, und deren Gewährung zugleich am allerstärksten zum Eingehen in die Glaubenswahrheiten aufruft und ermuntert. Wenn man auf diese Weise Menschen auf ihrem Wege läfit und die Geduld hat zu warten, bis sie weiterschreiten können, so ist das in Wahrheit kein Verlust; denn dafi voreilige und unfundierte (darum meist rationale oder beziehungslos unrationäle) Bejahung keine Lebenskräfte schafft, sowohl für den einzelnen wie für die Kirche, haben die Geschehnisse der letzten Jahrzehnte deutlich genug erwiesen. Andererseits ist es für viele eine eine große Wohltat und fördernde Klärung, wenn sie zu der Erkenntnis angeleitet werden können, in welchem Stadium der Glaubenserkenntnis sie sich befinden. Die Tatsache, dafi man in die Glaubenserkenntnis nach der Tiefe zu eindringen kann und soll, bedeutet dann nicht eine Festlegung derart, als ob das der ratio noch Nächtstliegende zuerst, das rational am meisten Unverständliche zuletzt erarbeitet werden müsse, also ein Fortschritt von vermeintlich „leichteren" zu vermeintlich „schwereren" Dogmen stattfände. Das wäre wiederum eine Rationalisierung des Irrationalen und ein Versuch, ihm doch irgendwie rational beizukommen. Deshalb hat eine dementsprechende Führung, sowohl in der Predigt wie in der Seelsorge, auch nichts gemein mit einer Apologetik, die das „unannehmbar" scheinende Christentum „annehmbar" zu machen versucht. Es liegt überhaupt nicht das eine oder das andere der rationalen Erkenntnis näher oder ferner (siehe Beispiel unten). A l l e echte Erkenntnis dieser Art ist überrational. Und es geht vielmehr darum, dafi Verkündende und Hörende einen Weg ganz anderer Art beschreiten, indem sie mit den Tiefenkräften
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Der Weg des SuDjexte& zum Evang-elium und zum Text
er Weg- des Subjektes zum Evangelium und zum Text
e r das G e s c h e h e n e b e r i c h t e t e , noch nicht sagen konnte, w i e sie ausg e f a l l e n w a r . Es gibt L a g e n , in d e n e n es f ü r d e n i m L e b e n s t e h e n d e n P r e d i g e r k e i n e n Zweifel g e b e n k a n n ü b e r die N o t w e n d i g k e i t , d e m A u g e n b l i c k u n b e d i n g t g e r e c h t zu w e r d e n , a u c h w e n n er f ü r c h t e n muß, d a ß e r nicht ganz so gelingt, w i e es eigentlich sein m ü ß t e . E i n e u n a u s g e r e i f t e P r e d i g t , die ein W o r t z u r L a g e ist, ist u n t e r U m s t ä n d e n besser als eine a u s g e r e i f t e o h n e Beziehung z u r L a g e . In solchem F a l l e gilt es, nicht Kleines zu sagen, s o n d e r n G r o ß e s w a g e n — w e n n m a n das Groß** nicht n u r w a g t , s o n d e r n a u c h t r ä g t . F r e i e T e x t w a h l b e d e u t e t zunächst, d a ß m a n sich nicht a n i r g e n d e i n e v o r g e s c h r i e b e n e R e i h e bindet. I n n e r h a l b dieser E i n s c h r ä n k u n g k a n n sie eine von Sonntag zu Sonntag f r e i e W a h l sein o d e r eine f r e i g e w ä h l t e R e i h e von T e x t e n n a c h eigenen G e s i c h t s p u n k t e n . D a s e r s t e ist z w a r mit d e r Z u f ä l l i g k e i t u n d o f t Schwierigkeit d e r S t i m m u n g u n d des Suchens v e r b u n d e n . G r u n d s ä t z l i c h k a n n es d e n n o c h nicht abg e l e h n t w e r d e n . W i e d e r u m ist es eine F r a g e d e r s u b j e k t i v e n Anlage, auf w e l c h e Weise d e r Mensch z u r f r u c h t b a r s t e i l W i r k s a m k e i t k o m m t . E s gibt P r e d i g e r , die l e b e n s l a n g ü b e r w i e g e n d f r e i e T e x t e g e w ä h l t h a b e n , u n d m a n k a n n das nicht in e i n e m m a n g e l n d e n E r f a ß t s e i n von d e r O b j e k t i v i t ä t d e r K i r c h e b e g r ü n d e t sehen. D e r Evangelist, d e r in d e r Regel ü b e r f r e i e T e x t e p r e d i g t , sowie d e r evangeli'sierende P f a r r e r ist ein Beispiel d a f ü r , w i e m a n auf diese Weise o b j e k t i v sein u n d o b j e k t i v im S i n n e des E v a n g e l i u m s w i r k e n d e Ergebnisse zeitigen k a n n . Es gibt im L e b e n des einzelnen P e r i o d e n , in d e n e n a u f b r e c h e n d e u n d s t r ö m e n d e p r o d u k t i v e G e s t a l t u n g s k r a f t es i h m ermöglicht u n d ihn v e r a n l a ß t , die T e x t w a h l sich v o r z u b e h a l t e n . W i c h t i g ist, d a ß die G r ü n d e f ü r die f r e i e T e x t w a h l nicht negativ, s o n d e r n positiv sind. F l u c h t vor d e r P e r i k o p e n r e i h e ist negativ, Scheu v o r i h r k a n n positiv sein. M ü d e Zufälligkeit ist negativ, E r g r e i f e n dessen, w a s sich a n b i e t e t u n d l e b e n d i g wird, ist positiv. In d e r E n t s c h e i d u n g f ü r oder gegen geht es nicht u m das B e h a g e n des P r e d i g e r s , sondern d a r u m , d a ß seine Möglichkeiten, so vollständig es sein k a n n , z u r Ausw i r k u n g k o m m e n . D e s h a l b k a n n sogar eine einseitige T e x t w a h l eine Z e i t l a n g b e r e c h t i g t sein, u n d u n t e r U m s t ä n d e n m u ß m a n g e r a d e d e m j u n g e n P r e d i g e r , w e n n m a n ihm zu seinem W e i t e r k o m m e n d i e n e n will, d a z u r a t e n , d a ß e r eine, w e n n a u c h einseitige, Möglichkeit, die ihm gegeben ist, zunächst e i n m a l h e r a u s a r b e i t e t . Es e r f o l g t d a n n bei g u t e m F o r t g a n g nicht ständige W i e d e r h o l u n g , sondern es r e i f t eine F r u c h t . D i e T e x t w a h l n a c h N e i g u n g ist e n t s p r e c h e n d d e r T e x t g e m ä ß h e i t (s. oben) zunächst mindestens nicht eo ipso u n t r a g b a r e r S u b j e k t i v i s m u s oder g a r Egoismus. W e r so urteilt, sieht e n t w e d e r nicht, w i e m a n n i g f a c h v e r f l o c h t e n d e r menschliche O r g a n i s m u s ist, oder e r ist von einem, in d e r K i r c h e f r e i l i c h epidemischen, V e r f o l g u n g s w a h n d u r c h Subjektivismusverdacht befallen. Subjektiv und subjektivistisch sind a u c h h i e r nicht dasselbe, u n d das S u b j e k t h a t in d e m ganzen Umf a n g e , den die bisherigen E r ö r t e r u n g e n herausgestellt h a b e n , nicht n u r sein Recht, s o n d e r n a u c h seine A u f g a b e in d e r P r e d i g t .
Lieblmgsg-edanken überwachsen, Grunderkenntnisse vertiefen
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Gegen die freie T e x t w a h l w i r d in der Regel die G e f a h r des einseitigen Wiederholens von Lieblingsgedanken a n g e f ü h r t . Auch hier können w i r die A b w e h r der G e f a h r mit dem vermeintlichen Abhilfsmittel nicht so unmittelbar v e r b u n d e n sehen. Die G e f a h r des Wiederholens von L i e b l i n g s g e d a n k e n ist leider auch bei der Bindung an vorgeschriebene T e x t e nicht ausgeschaltet. Ja, es ist geradezu erstaunlich, in welchem Maße es dem S u b j e k t gelingt, auch bei den fernliegendsten T e x t e n immer wieder seine Lieblingsgedanken anzubringen und sie u n t e r Umständen sogar so mit dem Text zu verflechten, dafi sie wie textgemäß erscheinen. Man w i r d von dem wiederholten Zurückkommen auf Lieblingsgedanken nicht d a d u r c h frei, daß m a n sich an vorgeschriebene T e x t e bindet, nämlich nicht von außen her. Man muß v o n i n n e n her diese Neigung, die j a ein Zwang ist, überwachsen, indem man den Lieblingsgedanken nicht ausweicht, sondern indem m a n sie angreift. Das geschieht dadurch, daß man sie ihrem Wesen gemäß behandelt. Die ständige Rückk e h r zu ihnen beweist nämlich, daß man in ihrem R ä u m e immer noch etwas sagen möchte, was man bisher nicht gesagt hat. Deshalb muß man sich nicht von ihnen wegwenden — sie kommen doch wieder! —, sondern sich ihnen gerade gründlichst zuwenden. Man predige sie endlich einmal wirklich und ganz! Man arbeite eine oder sogar m e h r e r e Predigten sorgfältig und intensiv, die den Lieblingsgedanken bis zur letzten subjektiven Möglichkeit ausdrücken und gestalten. Man fasse ihn nach allen Seiten hin an, nach seiner biblischen Grundlage, seinen Zusammenhängen im Ganzen des Glaubens und der Erkenntnis, seinem praktischen Gewicht und seiner praktischen A n w e n d b a r k e i t . So w i r d man der Tendenz zu seiner Wiederholung H e r r , weil man dann endlich das gesagt hat, weswegen man immer wiederholte, und weil man ihn d u r c h die gründliche Arbeit in das Ganze der Wahrheit an seinem Platz einordnen lernte. Anders begründet ist die R ü c k k e h r zu Lieblingsgedanken, wenn sie nicht ein drängendes Vorwärts, sondern ein verlegenes R ü c k w ä r t s ist. wenn man also nicht zu ihnen hin will, sondern sie als Reserve im Fach liegen hat und aus Mangel an anderen Gedanken auf sie zurückgreift. Aber auch hier ist das Mittel der Abhilfe dasselbe, n u r mit etwas a n d e r e r W i r k u n g . Diese A r t des R ü c k g r i f f s ist nämlich in der Regel ein Beweis d a f ü r , daß ü b e r h a u p t nicht gründlich gearbeitet wird. Man k a n n dann an dem gründlichen Anschauen der Restbestände seines homiletischen Sparbuches erkennen, daß ein tätiger Mann nicht vom Ersparten leben darf, sondern frische Einnahmen hereinbringen muß. Im Unterschied von beiden A r t e n des Rückgriffs auf Lieblingsgedanken gibt