325 50 19MB
German Pages [174] Year 1994
Richard Neudecker
Die Pracht der Latrine Zum Wandel öffentlicher Bedürfnisanstalten in der kaiserzeitlichen Stadt
Verlag Dr. Flicdrich Pfei I
•
München
Oie Im!tsche" Bibiiothe"k- CIP-Einheitsaufnahme"
Ne"Udeckn, Rlchard: l..atrilte': zum Wande"l öffcntliche"r I Richard
Oie Pracht de'l'
ßedürfnlsanstaltm in deT kaiserzeitlichen Stadt
Ne"udecke'r.- Manchen: Pfe"il. 1994 (Studimwrantiko.>nSiadt;Dd.l)
Zugi.:MW\dlen,Unlv.,Habii.-Sc:hr.,l994
158N3-9Z31171-116-4 NE: GI
Copyright 0 1994 by Vll!l'la g Dr. Friedrich Pfe"il, Münche'n Dr. Friedrkh Pfeil, Nymphenburger Straße 26, 0-303.'\5 Münche'II Alle Red!le vorbehalren Satz: �ktup PubJishlng
mit PageMako!r•
Scbim;um.. Ingollllt adt . Druck: DrucbNi Bl"iilun.o;tein. München lluchbinderische" Verarbeitung: K. Oldenbourg. Graphillche" Betric:be' GmbH, Kirc:hhelm SanbelichtunK: l'riul5hup
I'Tinted in Germany -gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier ISSN 0947-2835
-
ISBN 3·923871-86-4
Inhalt
Gründe und Hintergründe ..............••.....•.......•....•...•..•...•......• Der Zugang zum Thema .....................•.........................................................................................•. Tradition der Lalrine ........................... ......... .............. .................................................................•.
14
Das Verhallen ...............................
21 21
.............................................
................................
Ei ne ,.Semiotik« der F'äkalie .........•...........................................................................................
Dezente Entblößung ... .........
.............................. ...............................
Der soziale Vorteil .............. .. ............................... Ein neues Verhalten ....................... ·························································································· Körpersorge als Krankheit . .................................................... ........................................... Prachtlatrinen in Form und Praxis......................................................................................................
24 25 28 31
40 40
Die Sorgfalt des Architekten... .......................... ................................................... ........ ........................... ........... . Luft, Licht. Wasser und die schöne Form
40
Die Noblesse der Prachtlatrine ............................
53
Primäre Installationen ...............
...............................................
.........................................
Das Publikum ................................ .
49 62
Urbanistik und Prachtlatrinen ................................... ...................................................... . Leerstellen im Stadtplan ........................... .
72 73
Zentren des Geschäftslebens .................... .
75
Thermen.......................................................................................... .
83
Ein zelstudien .. ··································· ···················································· Rom ........................ .
92 92
Ostia .................................. .. ..... ......._......... ·························································································
103
Timgad ................................................................................................................................................
110
Cuicul. .. ... ...... ........... .. .... · ·········•·····················································································•
120
Karinth.................................................. Ephesos............................................. .
............. .............. ....................................
123
...... .............................................
126
Der •Sitz im Leben« ................................ .................................................................
132
Chronologie und Topographie des Bautypus .................................................
132 132 133 133 135 137 1 39
Ein kultureller Typus ................................................................................................................ ................................................................................................. Die Aktualisierung Eine Form der Romanisierung ................................ .................................................... ........... Desinteresse................................................................................................................................. Latrinen und politische
Kultur............................ "''"'''''""''"'""""""'"'""''''''''""'"'"''"'"'''
Ilie Rückbildung................... ............... ................... "''"'"""'"'"'""'"""'·"'""'"'"''""'"'"'""'"'' Verhaltensstrukturen in der Latrine............................................................................................ . Eine Kontaktmne ....................................................................................................................... Ritus.. .................................................. .................................................................................... Status............................................................................................................................................ Locus................................
.................. ................................
................................
Politische Berührungspunkte ......................................................................................... . D i e Parzeli l erung d e s öffentlichen Lebens .................................................. . Eine Politik d es Verhaltens ......................................................................................................
1 40 1 40 141 142 142 143 144 147
Die Ausweitung des Verhaltens................. .......................................................................................
1 50
Verzeichnisse ..............................
...................................................... . ...........................
157
....................................................................................... ................
157
Latrinen
Sachen. Personen, Orte.......................................................................... ..........................................
168
Antike schriftliche Quellen ................................................
........................................
170
Abbildungen......................................................................................................................................
174
Gründe und Hintergründe
Der Zugang zum Thema
»Uer Römer dagegen brachte, wie der Englän
dem Zement und zusammen mitdem Aquädukt,
der, der in seine Fußstapfen tritt, jeder neuen
als ein Zeugnis für die Kulturhöhc, die die Rö
Küste, auf die er den Fuß setzte (auf unsre Küste
mer erreicht hatten.,l.
setzte er ihn nie), nur seine Kloakenbesessenheit
Beachtenswert sind die beiden Zitate aus
Er blickte in die Runde in seiner Toga, und er
Lapurte deswegen, weil sie den literarischen
sagte: Hier ist gut sein. Laßt Ul\5 ein Wasserklo
Umgang mit der Fäkalie durch den Filter einer
sett installieren.- Was sie denn auch prompt
historisierenden &urteilung aufzeigen, welche
taten, sagte Lenehan...
ebenso kraß wie bewußt danebengreiCl. Ihnen
Anhand dieser anH-imperialistischen Persi
läßt sich der ethnographisch anmutende Bericht
flage römischer Latrinen-Besessenheit, die James
Herodots (2, 35) über die merkwürdigen Toilet
Joyce der aufdringlichen Kulturgröße Britanni
tengebräuche der Ägypter gegenüberstellen:
ens entgegenhält1, setzt Dominique Laporle in seinem geistreichen Prolog zu einer »Histoirede
Männer im Sitzen. Ihre Notdurft verrichten sie
Ia mcrde« zu einer nicht weniger sarkastischen
»Den Urin lassen die Frauen im Stehen, die in den Häusern, das Essen nehmen sie draußen
Definition des Kolonialstaates als »Kloake der
auf der Straße ein.« Herodot wertet nicht vom
Zivilisation« an 2• Ein zweites Mal bezieht er sieh
Standpunkt eines ihm noch unbekannten klassi-
auf die Antike in einer ebenfalls ungewohnten
7.istischen Imperialismus aus; nur erstaunt kon
Spiegelung. um die römische Cloaca Maxima als
statiert er die abnorme Um}rehrung griechischer
Beipack im humanistischen Kulturimport zur
Verhaltensregeln in einer exotischen Welt.
Wiedergewinnung antiken Zivilisationsabfalles
Wenn es im archäologischen Schrifttum zu
zu erklären: »Bis zu den trockensten Geschichts
erheiternd191 Fehlbenennungen antiker Latrinen
lehrhüchern oder bis zum lateinischen Elemen
kam. dann lag das selten an mangelnden anti
tarunterricht in den Schulen gilt sie als das ei
quarischen Kenntnissen und oft an fehlender
gentliche Kennzeichen der Zivilisation, als das
Bereitschaft, die ungewünschten Folgerungen zu
Beispiel, das man vor allen anderen anführt, vor
akzeptieren. Einigermaßen bekannt sind die
Diese Arbeit wurde von der Ludwig-Maximili..ns-Univm�ität München als Habilitittionsschrift ange nommen. Den vielen Gesprächspartnern, die mich während d� Arbeit förderlich ilnregtcn, und den Gutachtwn. die mich vor Fehlern bewahrten, kann ich hier nicht einzeln danken. Eine Ausnahme sci gP.�taUet: Meineanfänglichen Vorstellungen auf konkrete Bahnen gelenkt zu haben und an jeder Stelle einen ennutlgenden Iknkschub gegeben zu h;�ben, ist Tl!il d� unschätzbaren Hilfe von Paul Zanker. Die Bayerische Akndt'lllie der Wissenschaftton nahm das Manuskript zur Publikation in der neugegrün deten Reihe ..Studien zur antilu:n Stadt« an und stellte dafür nicht U�Wriwbliche Mittel zur Verfüp;unp;. Ihr gebührt unsere Dankbarkeitfür die Produktion des Buches. Einen persönlichen Dank spr«he ich mit Freude all denen aus. die zur Drucklegung beitrugen. Nicola Hocsch und Heinrich Siedentopf leisteten geduldige und fördernde Hilfe nicht nur in redaktionellen Fragen. Im Abbildungsven:eichnis genannte Kollegen, Photographen und Verleger beantM>rteten zuvorkommend meine lllu!trations wünsche. Marg��rete Schütotenberger ;�:richnete mit Eng;1gemcnt und kundiger Hi!nd. Der Verlag Dr. Fricdrich Pfeil gab d�n Buch ein gediegenes Aussehen. Ihnen allen danken wirfür /i11111 tl p11rp11m. J. Joyce, Ulysses, übers. v. H. Wc>tl!chliiger (1981) 184 f.ln den Anmerkungen wird die nämliche Quelle bis zur 10., RIIIChfolgeuden Anmerkung mit a.O. (ErliCheinungsjahr) angegebe11, anschließend vollständig wiederholt. Abkürzungen richten sich nnch der Archäologischen Bibliographie 1992; zur Abkütot.ung antiker Quellen s. Index. D. Laporte, Eine gelehrte Geschichte der Sdwiße (1991) 61 fl. a.0.22.
Abb. 1.
rouuoli, Latrine.
anhalt.enden Versucht>,antikcLatrint>nstühlcals Sadesesscl 7.U erklären, so unvorstellbar der Wasscr,,bfluSdurch die bes.ttzteÖfCnWig in der Sit:zplatte ist'. J. T. Bents Deutung von Latrinenbänkt'l'l als AmphorenhaltPrungen läßt sich noch in das fabulierende Milieu der frühen Reisebeschreibongen verweisen'. Emstt>r:t.u nehmen ist Oe lorio's ent rü!ltet e Weigerung. den Liltrinen in Pozzuoli jene Funktion zu.zugt.>sh.•hen. weicht> einige Antiqu a r\! vor ihm doch längst erkannt h alle n . Um dem Sakrileg des Stuhlganges im
erhabenen Ambiente des sog. Serapeion zu ent ge hen. erfindet er medi.tinische Dampfbäder für einen "bisugno deUa vlulenza del vapore nel solo sedere. {A bb . 1)•. Woanders glAubt man, ärztliche Behandlungslitühlt>, Thermendu!>ehen und Gefängnisinstallationen entdeckt zu hoben. Ungebremst vom a rchäolog i sc hen Erkenntnis zuwachs hält die V1.•rdrängung an, so daß noch 1913 der namhafte Ausgräber G. Boni die Latri· nensit7.e im Kaiserpalast auf dem Palatin mit einer eindruck.wollen Berechnung zur hydrau-
Zum Bei..opiel A. OcrbruKiier, Notke sur les �ntiquilb rumainee .J'Alger rscheint gerade der Luxus in der
Wassertechniker meint,
in
Raubtierkäfigen des römischen Colosseum die
L1.frine als dekadent, weil unzweckmäßig, und
unverzichtbaren Latrinen der gigantischen Mas
zuletzt erhebt sich eine provinzielle Minimalein
senvergnügungsstäHe entdeckt zu haben'·
richtung zum Denkmal schwei7.erischen Um
Weniger entfernt von wissenschaftlichen Ansprüchen - welche von joyce aus Klugheit
weltbewußtseins gegenüber mediterranen Un sitten des •tout
a
l'q;out«11,
und von Lateinbüchern aus Dummheit nicht
So geraten römische Fäkallt'Chnologie und
wrtreten werden- begegnen wir dem neo-im
Latrinenästhetik in Texte, die politische Ideen
periiden Stolz auf römische Latr:lnen-Zivilbati
oder bürgerliche Kulturübeneugungen propa·
nn wieder im Inschistischen Italien, und nicht
gierensollen1l. Römäsche Hygieneeinrichtungen
nur dort�. ln älteren Beschreibungen Pompejis
werden als selbstverständlicher Ausgleich für
wird die db;krete Erscheinung der antiken Latri
mangelhafte künstlerische Originalität in die
nen al11 exemplarischer Gegensatz zur Störung
Wa;�gschale geworfen, um gegenüber grlechl·
deröffentlichen Sittlichkeit in modernen Städten
scher
\-orgeführt, und in Reiserührern durch nordafri-
zu können. Der Handwerkergeist deA Älteren
G. Doni. Jhount discuvcrie!; on the
Kultur in der Gesamtwertung bestehen
P.-latiM' Hili, Rome, JRS 3.
1913, 251 f.; 11. Anm. 236. s. auch Abb.lOlf. (Thermen
F. M. Feklhau&, Die Technik der Antike und des Mittcl;dtcr.l (1931) 176, von Gortyn) als ,.kreisfiirmigP MaiSt'nlatrlneoc.
10
11
I:!
rrognmunati5Ch e Grundaatz.crldiruJiß bei F. MiUIJ!II!'Yi�;:h, Sderua e tecnil""ill nell'lmpero roma no, in; La missiont' deli'Jmpero di Roma nella slor ia della civild!. Atti del V Congrcsso nazionalc di studi romoni, 1 (11138} 5S ff. Vgl. F. Squassi, L'arte idro-sanitaria degli antichi (1954} 14 f. J. Ovtorbeck, A. Mau, Pompeji in seinenG t'biiudt'n, Altertümern und Kum1t werken• (1884) 72. J. Du nn. Handbuch der An:hitt'ktur. 2. Die Baustile, l. Die Baukunocl drr Etrusker. Die Baukunst der Röm� (19()5) 481 betnnl die Überlegenheit antiker Latrinen. ebenso F. Drexel, Das Liltri nen� in Rllm und den Provinzen, in: L. Friedländer, Dantellungen aus der SittengCKhichte RoiNI in der Zeit von Aug ust bis zum Au.�gal\ß dli'r Anto ni ne, 4 II'J21) 310 f.: •ARI mli'isten zu ihren1 Vorteil d ürfte n skh die antiken ilalieniKhen Städte von den 1nodt!rnom d u rd• ihr Latrinenwesen unterschieden haben•. Au�;:h bei E. J. OweNo, Till! ctty in tlw Grrziihlt>n st'in.
sdn, so
Um die einmal gewonnt'nc Vidfnd solche iifft>ntlichen Bedürfnisn Exkursen wird auch Ullrivathaus, Gesundheitsingenieur 103, 19112, Nr.l, I ff. Beispiele bei Handbuch der Architektur, 2. 1 . Oie Baukunst der Griechen' (1910) 520. Zu öffentlichen s.
16
überhaupt eine Veränderung eintrat, war es das langsame, späte Auftauchen von kommunalen Einrichtungen, während im allgemeinen die Sorge den Privatleuten überlassen bliebund nur dcr öffentlicheGrund überwacht wurde. Wenig stens teilweise sind der allgemeinen Latrinen versorgung näml ich auch Einrichtungen in Privathäusern z u zu r ech n en, und zwar dann, wenn sie vom Vestibül aus betreten und von Passanten genutzt werden konnten. Im Falle einer Überbauung kommunalen Grundes, wie in Delos, muß eine Ü bereinkunft mit der Stadt verwaltung vorgelegen haben 71• Darüber hinaus waren in Delos die Gymnasien und Agorai mit grölkren,doch ebenso einfachen Anlagen verse hen"'. Den hier 7.ahlreich ansässigen römischen Kaufleuten war der hygienische Standard der hellenistischen Welt vertraut, weshalb sich die Agora der Italiker unterschiedsloll in das Bild der griechischen Latrinenversorgung 1..'infügt·". Wenn wir aus italischen Städten der spitre· publikaniseheR Zeit keine derartigen öffentlichen Einrichtungen kennen, spricht das nicht gegen ihre Existenz. Als womöglich ephemm! Holz bauten können sie nicht lange überlebt haben.
37
38 39 4()
41
Diesbezügliche Anspielungen in lateinischen Komödien dürfen wegen ihres griechischen Antbientes nur bedingt als Dokumentation ge wertet werden; doch sie müssen für das römi sche Publikum verständlich gewesen sein und beweisen damit eine allgemeine Vertrautheit mit der kommunalen Vorsorge gegen Verunreini gu n gen der StraBe. Wenigstens Urinale einfa�h ster Fonn standen in der Nähe des Forum Ro manum bereils 161 v. Chr. zur Verfiigung�0• Wenn wir im Weiteren die eigentlich T.eitloaen
Notdurfteinrichtungen in Verbindung mit den Grundzügen des Fäkalverhaltens beschreiben, wenden wir uns zum Teil schon dem zeitgenös sischen Hintergrund der Prachtlatrinen zu. Un gestört von späteren Eingriffen wird in den Ve suvstädten der hygienische Standard der frühen Kaiserzeit erkennbar. Er unterscheidet sich noch nicht wesentlich von demjenigen der griechi schen Städte. in Hcrrulaneum verCügten fastalle Häuser, oft sogar die Wohnungen im Oberge scho8,überToilettcn41• Üblich waren Einzelsitzcr in oder neben der Küche, unter Treppen, in Hofwinkeln und in Werkstätten. Demzufolge
Balaneutiki!. Recherehes 1111r l e m.in dans l'antiquite grecque (1962) 211 Anm. 1. Zu öffentlic-hom und privafton Latrinen in Prio!ne s. T. Wiegand, H. Schrader, Priene. E�bnisse der Ausgrabungen und Untersuc-hungen in den Jahren 1895-189!' (1904) 294. Eine mehrsittige Latrine ist im Badetrakt von Pnillst I in Eretril. aus dem 2.fh. v.Chr., s. l'. Aubcrson. K. Schefold.. Fllhrer durch Erctria 11972) 8\f, Abb. 15. Zu Athen s. H. A. Thomp.;on, Activilies in the Athenian Agora, 1958, Hespcria 28, 1959, 101 f. Ungl'k!.'irt ist dil' Datierung der Latrine in AmoJrgus. J. Chamonard, Exploration arcMologique de DCios, 8, 1. Lc qu11rtier du thMtre (1922) 181 f.; Oers., Foui\les ä Delus, BCH 57, 1 9..13, 103. 143 ff. lSCJ. 166; Guide de �los (1966) 134; P. Bruneau, j. Ducat. Guide de Delos 11983) 1 8 1 . Raum O in der Palestre dcgranil, in der Paltt�lredu lac im SüdWt!!l teck, s. t'. Bnmcau, J. Ducata.O. (1983) 193 1. 197, Abb. 60. E. Lap.1lus, Esploration archOOlogique de Dtlos, 19. L'Agora dt'!i ltalicns (193CJ) 86 ff.; N. K. ltauh, Was thc Agora ol thc ltalians an �tabli!rhin dit' übliche Fonn der Entsorgung, s. H. Ttu!denat a.O. (1904) 987 ff. 991 .
53
54
55 56
dazu diol juristischen Quellen bei
Squassi a.O. (1954) Tl, Abb. 14. 1 7, (dort flilschlich A b b. 18 die Forica in ÜliU.1, casa dei triclini a bgeb ildet ); J. Overbcc k, A. Mau a.O. (1884) 339 (Casa dei Dioscuri). Gesindelatrine der Ca11n del Me-nandro s. u . Anm. 53. A. de Vos, M. de Vos a.O. {1982) 170. E. La R.occil, M. de Vos, A . de Vos a.O. 346. Gr q n d rißslcl.7.1U!' bei A . Oe Frilnciscis, La villil romana dl Oplontis, in: Neue FOISChungen i n Pompeji u nd den anden�n vom Vcsuvausbruch 79 n.Chr. ventehüt teten Städten (1975) Abb. S. 1 1 , Nr. 47-50. A. Carandini u.ii., Settefine5tre. Una v i l la schia vi stin neii'Etruria roruana, 1 (1985) 171, Ncht überzeugend die Identifizierung eines pa t rona len t>lnzel!len Hockklos neben den Fa.uccs, so 153. W eitere: A. de Vus, M. de V os 11.0. (1982) 253. 246 (Villa dei m i sreri} . 256 (Fa n n i WI Synistor). 327 (Villa rus t ica bei Stab i ac); zu Boscurealc, Contrada Ciuliana s. J. Durm a.O. (1905) 508; spätere bei J. Alarc.Jo u.a., Lcs viilas rumainl'S dc Sio Lucufate, Portugal (1990) I 14, mit HnlzsitZC!n; sog. Horazvill11 bei Licenza (u n pubU ziert); si!llae fnmiliariCtlt auf do>1n Misthaufen (Varro rust. I, 13, 4) sind nachgewiesen in Gorh11mbury, s. D. S. Neal, A. Wardle, J. Hunn, E x cavaticm of thc iron age, Romc1n and 1nedieval 5ettlement at Gor F.
hambury, St AlbaN
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me Entsorgung mit den Küchenabfiillen, sicher aber primär durch die überwiegende Benutzung durch das Personal bedingt. Wenn Latrinen im herrschaftlichen Badetrakt installiert sind, han delt es sich immer um Ein- oder höchstens Zweisit"arS3. Da Sklaven seltener badeten, war der Andrang geringer. Die Mehrsitzer in beiden häuslichen Bereichen verdeutlichen jedenfalls, daB bei den Domini ebertso wenig wie bei der Familia eine Affektschranke bestand. A. Ballu berichtet, daß noch im frühen 19. Jahrhundert in französischen Schlössern mehrsitzige Familien toiletten in Betrieb waren 51. Daß keinerlei Konstruktionen erdacht wur den. um Peinlichkeiten bei der gemeinsamen Benutzung auszuschalten 55, beweist noch keine schrankenlose Ungeniertheit. Wenn auch der Benutzer der Utrine sich in seinem Intimgefühl nicht verletzt fühlte, gegenüber einem Ranghö heren galt Defäkieren als herabsetzend und wurde als ein Mangel an Decus mit schlechter Haltung verglichen». Als persönliche Beleidi gung wurde die Sesehrnutzung von Hauswän den in Pompeji geahndet, dem Sakrileg in Hei-
(1'190)
68 ff.
Sog. Villa del pastore, s. A. de VC\11, M . de Vos, Pompei, Ercolano, Stabia (1982) 322. Weiten." bei J . Ward, Romano-British bUildi ngs and earthenworks (191 1 ) 167; im &>R· Praeklrium von N id a, s. I I . Mylius, Die Ost thermen von Nida und ihr Practorium, 8Jb 140-141, 1936, 317, Tal. 2; in einer Mansiu, s. R. Birlcy, V i ndo la nd il . A Roma11 fwn t ier post o n Hadrian's Wall (1ry;]) 44 f., Abb. 10; v gl . u.An1n. 430 zu Va ison, sog. P ra etoriu m. Casa del Menandro, s. E. La Rocca, M. dc V oo, A . de Vos, a.O. (1976) 1 82. 184; M. dl! Vos, A. de Vos, a .O . (1CJH2) 57 (V111 2, 1 4 .161. 163 (Casa del Jauno); zu ßoscorealo> s. J. Durm, Handb u c h der Architektur, l. Dio! Baustil�, 2. Die Baukunst der Etrusker. Die Baukunst dl"r Rt'11ner� (1905) 506. A. B.11lu, Ln ruines de Timgad. Sept a� de dkoqvertes ( 1 9 1 1 ) 72 !1.; J. Carropino, La vie quotidi enne ä Ro1n r lto l'apolli� de l'empire (1939) 322 Anm. 35. Eine Uisu ng dafür findet sich in mu!ll!hnanischen l..atrinen, z . B . in K.1iru, s. 1. Nieduziak, EtTrnv 14, 1990, '1117 Abb. 21. Cic. ofl. l. 127.
19
ligtümern folgten ernstereStrafen !II . So warntder Marsyas von Thigibba: »Wer hier uriniert, zit"hl den Zorn des Mars auf sich«o;a. Da zur Abllchtek knng weder der Zorn derGötter noch die Andro hung hoherGeld- und Körperstrafen ausreichte, wurde an Stellen hoher Publikumsfrequcntie rung eine öffentliche Latrine eingerichtet. Sie diente einzig der Verbergung der Fäkalien, dem Schutz der Außenstehenden, und nicht dem Schutz der Benutzer. Deren Bedürfnis ging offen sichtlich nicht über die Ausübung der Körper funktion hinaus. In dem freigelegten Areal von Herculaneum überwiegt die Wohnbebauung. daher kennen wir dort nur eine einzige öffentliche Latrine". Sie verfügt über 8 Silze und ist an die Terme del Foro angeschlossen, jedoch von außen zugäng lich. In Pompeji kenn7.eichnet die Verteilung im Stadtplan die neuralgischen Punkte (Abb. 4).o. Als Urinale standen vor allem die von den Fär bern wegen des nüt7Jichen Rohstoffes gepachte-
57
l'ers. 1, 1 1 2 · 1 1 4 ; Pclron. 71, 8; CIL 6,
2.
ten 1Hl&d't curlac zu Verfügung, Amphoren, deren Hals zur b«Juemeren Benub:ung abgeschlagen war61• Bekannt ist die Installation am Eingang zur Eumachia-Halle62• Hinterdem Odeion dien teeine 20 m lange Urinalrinne den Bedürfnissen des Publikums•', ein weiteres Urinal findet sich an den ZentraUhennen nahe der dortigen Latri ne60. DaR flüssige und feste Stoffe so weit wie möglich getrennt abgegeben wurden, geht nicht nur auf die unten;chied.Iichen Arten der Weiter verarbt'i.tung zurückM; auch der Schutz der Pas santen vor dem unliebsamen Anblick ließ sich baulich wesentlich leichter bei Urinalen als bei Vollanstalten bewerkstelligen. Kleinere Aborte finden sich daher zumeist entlang den Straßen hinter den Außenmauem der InsulaeM, ebenso am Theater"" und bei allen Thermen.-. Letztere waren immer vom Straßenpublikum 7.\1 benut zen, z.B. am Hintereingang zur Palästra der Forumsthermen. Durch die Thermcninstallati� nen war die Spülung erleichtert, wie im Bad der
1374(1. Weitere Beispiele bei T. Fröhlich, J..an.rien· und Fassa
deaabildcr in den Vesuvstädtcn. Unttorsuchungen zur .. volkstümlichen" pompejanischen Malerei (Mit tcilu�n dC!I Deut.!IChen Archäologischen Instituts. Römische Abt�IUIIR· 32. Ergänzungsheft, 1 99 1 )
59 1. ooSi quis hic urin11m fecerit habo!bit Maoriein iratum•, 1. G. C. Picard, La dvillsation d' Afrique romaine
(19.99) 28. An einer Hekatc in Salonae, s. CIL 3, 1, 1966; mit Hinweis ;�uf die Zwiilf Götter, s. CIL 6, 4, 1, 29848 b: J. Carabia. Hfcare, Rnehm werden alcht für den Bedürftigen, sondern für die Ansäs sigen, s. CIL 4, 4957 "Miximus in lecto Iateor paccavimWi hoepes ai dict'5 quilrc nuU11 matellil fuit" (VIII,
6, I. 9); A. de Vo�.
M. de V011, l'ompei, Eroolano, Stabia (1982) 126 (Caupona des Eu��:inusl. NilturgemliB
b� Ci!upon.1e, s. T. Kleberg. Hotels, restaurants et cabarets dans l'antiquit� mn1•ine 36 mit Übnsichlsrliln; ebo!nso iru Lupanar, s. A. dc Vos, M. de Vos a.O. (1982) 222, sowie bei Fullonicae, ebendil 103-104 (Fullonicac dn Ululutremulus und de5 Stephanus); E. L.1 Rnccu. M. de Vos,
11ind sie häufig
(1957) 32.
" "'
A. de Vos a.O. (1976) 1 4 1 . 196. 202. 226. 242.
} . Overbeck, A. Mau a.0. (1884) 162. Auch an privat betriebenen wic VIII 2, 23, s. A . dc Vos, M. de Vos a.O. (1982) 58.
20
1
2 3 4 Abb. 4.
Pompc1i.
Forum Forumsthermen Zentralthermen Slebianerthermen
5 6 1
Theater Odeion Palästra
Z1
lulia Felix durch das große Wasserreservoir"'.
Sitzen in einem kaiserzeitlichen Viertel außer
ebenso in den Stabianer l11ermen 111 • Trotz ihrer
halb der republikanischen Stadtll"Uiucr kann
relativen GröBe ist die dortige Latrine dunkel,
davon einen schwachen Eindruck geben71•
ungelüftet,
und verfügt nur über Hob.sitze, ein
fachste Ausmalung und einen gestamp(ten Bo
Eine soziale Hierarchie des Publikums zeigt die
den. Während des Vesuvausbruches war an der
Grundausstu.ttungderStädte mit öftmtlkhen La
Nordwestecke des Forums eine Latrine mit Vor
trinen ebenso wenig an wie eine technische oder
raum in Bau. Sie wird durch 2 Fenster belichtet,
ästhetische Verbesserung. Sie sehen alle gleich
bietet jedoch keine Waschrlnne. Die weitaus
aus". Die P1licht der Entsorgung lag noch. weit
größte Latrine Pompejis, ebenfalls aus den letz
gehend beim einzelnen Hausbesitzer und wur
ten Jahren, findet sich an der Palästra und war
denuran kritischen Positionenkommunal über
von außen her für alle Besucher des Antphlthea ters
durrtanstalten. Nicht viel anders werden die
144
nommen.
Es is t nicht zu erkennen, daß die in der
Stadtverwaltung maßgeblichen Personen ein
zugänglich.
Alle sind im echten Sinn des Wortes Not·
254
anderes lntereqe hatten, als sich den Anblick von Versehrnutzung zu ersparen. Vor diesem
NecesSII ri a
zeitlosen Hintergrund tauchen die Prachtlatri
ausgesehen haben, die der spätantike Regionen
nen auf und hezeugen einen Wandel im Verhal
meisten der katalog
für
Latrinen und
Rom anführt11• Eine Latrine mit 7
ten.
Das Verhalten
ihre Beachtung in der Urbanität parallel mit der
Eine •Semiotik .. der Fikalie
privaten Körpersorge zu- und abnimmt, und
wie
Jede aktuelle Reglementierung des Gangs zur
ihr soziales Ambiente die gesellschaftlichen
Latrine gründet - woher immer sie vordergrün
Verhältnisse der Stadt formuliert, die darin'neue
dig abzuleiten ist - letztlich in einer tieferen
Wurzrln schlagen. Schmähung des Kotes und
Schicht menschlichen Verhaltens, dort, woher
Zurückhaltung beim Defäkie!'f'n stehen deshalb
soziale Hierarchien, woherdie empfundene Dy
nicht Immer und überall in der gleichen Bel'.ie
chns sind demnach die &dingungen des
wird somit diegleichsam semantische Bewertung
allgemeinen sozialen Umgangs von formender
bestimmter KOrperteile und Handlungen zum
Bedeutung7fl.
Ausdruck gebracht. Kopralogische Träume un
Die Herabsetzung des Fäkalambientes fußt auf anthropologisch erklärbaren Verhallensmu
terliegen derselbenunterscheidenden Deutungs weise: Mist, insbesondere Mcnsdlenkot, aufdem
stem, bt.•i denen das Defäkieren zur Rangdefini
Markt, der Straße, dem öffentlichen Pl a tz 7.u
tion gegenüber Unterlegenen dient. Infolgedes
sehen, n1ache den Aufenthalt durt in Zukunft
sen
unmöglich, was wir gerne glauben; das übelste
wird es unter Tiberius als Majestätsverbre
chen bewertet, einen Ring oder ein C.eldstück
Vo17.eichen - und kaum aus alltäglichen Erleb
mit Kaiserbild in die Latrine zu l:nlgen77, unter
nissen abzuldten -
Caracalla als todeswürdig,
bei
seinen Standbil
dern zu urinieren 11. Umgekehrt läßt Nero im vullenBewußtseinseiner WürdedieStatuenallzu siegreicher Konkurrenten in Loatrinen schleifen,
sei freilich Menschenkot,der
von irgendwoher auf den Träumer herabrinnt
(2, 26). Entsprechend unso7ial sei es, jemanden mit Mist zu bewerfen (3, 52), und seinen Mund
am Hintern zu tragen, kündige Verbannung
68). Eine große Takt
gelegentlich auch Passanten70• Unwürdige Kai
wegen frecher Reden an (5,
ser wie Elagabal werden auf einer Latrine umge
losigkeit, duu eine Geldstrafe, verkünde es, in
bracht 1111, als sei die Damnatio memoriae dun::h
Tempel. Markt und Bad die Notdurft zu verrich
Fitkaispülung 7.U gewährleisten, oder sie erlei
ten, welche am Abort und Nachtshlhl, auch an
den wieClaudiuseine postume ,.Apocolucyntho
Strand, Weg,
sisa, die sowohl auf die Strafvergewaltigung als
rung anzeige. Auf Kollegen in der &hola zu
auf den erbärmlichen Nachttopf anspiclt 1 1 •
urinieren, kündige die Entlassung aus dem
Im Handbuch eines antiken Traumdeuters werden wir keine psychologischen Erkenntnisse
Feld, FluH und See eine Erleichte
Verein und den Verlust der so.zialen Stellung an
(4, 44). ln1 Theater und i n der Volksmenge
erwarten, dafür aufschlußreichen mentalen
verstößt solch eine Handlung natürlich gegen
Strukturen begegnen. Artemidorsstrenge Urtei
Sitte und Ordnung, weil damit Geringschätzung
le über sexuelles Fehlverhalten fußen weniger
zum Ausdruck gebracht wird". Soweit ft,lgen
auf absoluten moralischen Grundsätzen als auf
wir Artemidor in unserem selbstverständlichen
der jeweiligen Rollenverteilung des Traumge
zivilisierten Verhalten, kaum aber seinem fol
schehcms. die er zumeist SD7.ia1 festlegt. etwa in
genden Vorstoß in die Raffinessen der Traum
derStellung vum Dominus zum Sklaven und zur
deuhlng: Für Herrschende
Dime, in deren Träumen sich die Bedeutung
allerdings gar nicht schlimm, meint nämlich
76
71
78
79
IlD
BI
82 83
sei
all das genannte
Gute Darstellung bt'i J. HendftSI.tn,. The uu�eulatc Muse (1975) .r.um griec),Bchen Umgang mU dem Thema, we i tgehen d auf römische Utrratur übertragbar. Su et. Tib. 58; D.C. 58 fr. 2. Hbit.Aug. Carac. 5, 7: dagqen u riniert Caracalla selbstverständlich im Krei� SC!iner Soldaten, His!. Aug. Carac. 7, 1. Vgl. 511l't. Ncoro 56 (uriniert auf Götterstatucl; I uv. I , 131 (ad dfigiem non liln l um meien! faa esl}. Suet. Nero 24; 26. Hist.Aug. He1iug. 1 7, 1·2. Vitellius wurde mit Kot beworfen, s. Sawt. Vi t. 17. Die 51.1tuen de8 Demades werden zu Narhtti1pten eingeschmolun, s. Plu. 820 F. Das Schicksal. in der öffC'hllidlen Latrint' zu sterbt'n, in welcher jener Sit1. künftig gemieden wird, trifft den Ketzer Ariu �. a. Sozomenns, Hist. Ecd. 2.. 29-:10. Nicht errcichbnr war mir Gryphius, in latriniR mortu i ct ncdsi (1593). Din die überzl'Ugende Drutung vun D. Ft'hling a.O. (1974) 322 f., der di• l�t nur 1 nehr lirerari5Che Tradition IP:iner alten Kürb�r�waltisung des Diebcs von Weib und Eir;entum anführt, !IOWico dit" zeitRenössischen BeiiPidigung�formen nls ttsta u nd ctJiciCY"llld. Dazu a uafl1hrl ich. M . Fou cil ult. Histuin:' de Ia RXUoUif, J. l..eo souci de soi (19841 1 6 ff. Vg l . Hor. sat. I , 9, 70 (curtis Iudat"is l)ppedereol, W() "Uppedl."h!• im Sinn e von ,.beleid igen .. �braucht wird. Auf derselben Bed...., tung!if'bcne die ..cacat. charta" eines schlechten Di chtiPIS bei Catull. 36, 1 , womit D . fehling a.O. (1974) 3 1 5 vergleirht > Iivre m4!rile qu'un chie dessUSO< {16. Jh.); anzuschließen Ist das große Buch als pqli.l.ov xu.K6v Mi Ka\limachM, s. Ath. 72, auch der .. Rededurchfan .. Oo.ollu&.appu(o.} bei Ath. 159 IP.
23
Abb. 5.
Wandmal\'rei aus Latrine
in rompeji. IX 7, 21/'12: Ne11pel, Mu� nru:iun�le lnv.
1 1 22R5.
Artemidor. Doch einer Mißachtung von Recht und Sitte komme: es gleich, anstelledes Schw;\m·
eherweise kein Glück zu erwarten. Ethnographen
mes den Weihrauch der Götter zu verwenden und anstelle des Abortes ein Kommaß
Geste von den Mädchen der Ko-Buschleuteeben die oben erwähnte Erklärung als Geste der Ver
(S, 24). Schande und Verdacht kündige die ge träumte Koproj)hagle an (5, 38).
ferierte& und als ekelhaft bezeichnett>s Liebes
(5, 4)
Die .. Unanständigkeit« wird hier mehrfach mit jederzeit verständlichen Unterwerfungs· bz:w. Mißachtungsgesten im :.wi&cMnmenschll chen Kontakt erklärt. Auf dieser Interpreta
erhielten für dieselbe, r«ht häufig beobachtete
spottung und Emiedrigung11• Ein von Ovid re Antidot, nämlich der Dawe beim Stuhlgang zuzusehen(rem.437--4J8),erh.ältdamiteinenlchl unwesentliche Becleutungsvarlante. Ein derarti· ges Signal der verächtlichen Zurückweisung
tionsebene lassen sich überraschende Gleichun gen herstellen: Hebtdie Ehefrau ihrGewand und
wiederholt sich im Grunde bei den Kothaufen, welche siegreiche Soldaten oder Einbrecher als
entblößt dadurch ihr GescMecht vor dem Gat
Zeichtm der Erniedrigung hinterlassen•.
ten,
daM
habe jener laut Artemidor erstau.nll-
84
1. Eibl·Eibcsfeldl, Oie Biologie des
85
'· 0.
Doch was Ovid ekelerregend findet, scheut
1rn!nschlktccn Verhaltens (1986) 314 ff. 604. 14 " Y1l.Max. 2, 2. 5 �fjl;en pollli..cht Feinde); D.H.
�hlin��; .a.O. (1974) 314. Sb". 14, 5,
19, 5, 2.
" er sich nicht, in die hohe Sphäre der Poesie zu
tritt häufig die soziale Schande unmittelbar ne
tragen. Die in der anthropologischen Deutung
ben die persönliche Scham. Eine Verbindung der
lüst sich ein zunächst überraschender Wider
der Intimteile entstehen könnte, wird dennoch
angesprochene Regulierung des Fäkalexhibitio· nismu.s verfügt über vielfältige Mittel. Dadurch spruch: Während die Kunnotation der Fäkalie bei ihrer Produktion stets anrüchig ist, kann die
räumliche und zeitliche Distanzierung vom Er eignis eine Diskussion darüber ohne weiteres erlauben. Wirwerdenspäter sehen, daß dieselbe
Distanzierung mit einem Zugriff auf Körperpfle
ge und Latrinenbauten weitere Wege beschreitet.
Dezente EntbiHSuna
Sexual- und Fäkalfunktionen, die in Gemein schaftslatrinen und Urinal�n durch Entblößung
selten angesprochen. Auch Artemidor trennt die
Fäkalträume von den Sexualträumen. Einzig bei
Ovid und einigen anderen Dichtem der frühen Kaiserzeit findet sich eine literarische Nähe beider Sphären, d i e a l s momentaner Schritt
innerhalb langfristiger Veränderungen noch zu erklären sein wird. Die ersten römischen Reaktionen auf die
griechische Entblößung beim Sport sind nega
tiv. Bezeichnenderweise wird das noch unver
Im Klo der Taberne IX 7, 22 in Pompeji stellte u m
traute Phänomen auf sexualmoralischer Ebene mit der griechischen Päderastie, deren soziale
typisierten Benutzer in völliger Nacktheit dar IAbb. 5)'". Wie weit der Realitätswert dieses
öffentlicher Nacktheit nehmealle Schande ihren Anfang, meinte Ennius laut ocero•. Ein Pater
die Mitte d e s l . Jhs. n . Chr. ein Wandmaler den
Dokuments reicht, ist hier weniger interessa n t als die gedankliche Verbindung der Nacktheit mit dem Toilettengang, die eben wegen der ge meinsamen Intimität beider Bereiche näher un
Bedeutung unbekannt war, verbunden•. M i t
familias wie Cato habe sich nicht einmal im Bad
vor seinen Söhnen nackt sehen lassen 'lll, dennoch
ist flir Cicero die Entblößung im Bad längst ein selbstverständliches Faktum (fam. 9, 22, 4). Sexu
tersucht werden muß. Liegt doch in ihr zumeist
elle Libertinage kann also kaum die hauptsäch
che Latrinenbenut?.ung begründet117• Die Nähe von Sexualteilen und Fäkalorganen ist von uns
sein. Die Hintergründe für die zumindest latent
Um die antike bildliehe Wiedergabe und ihr Ambiente zu verstehen, müssen wir in den
sind in der Mikrostruktur der republikanischen Gesellschaft zu suchen. Der patriarchalische
derallgemeinen Einstellung zum Körper und sei
miliäre Gefühlsregression verantwortlich, die
unser Erstaunen über die antike gemeinschaftli
psychisch anders belegt.
mentalen Untergrund vordringen. Er besteht in
nen Grundfunktionen, die sich u.a. in der Be
wertungder EntblöBungerkennen lädt. Wird die
Nacktheit in der antiken Literatur angesprochen,
86
87
88 89
IJC 91
liche Befürchtung der Konservativen gewesen
langanhaltende Furcht vor jeglicher Entblößung
Familienaufbau war für die notorische innerfa·
�e�t�n::t
:.
i
n
n
p
� � �:!��� ����:��i!��: h�:
geschützt werden müssen'1• Umgekehrt erlaub-
T. Fröhlich, Lararien- und Fassadenbilder i n den Vesuvstädten. Unrersuchungen zur �volkstümlichenoc pompejanischen Malerei (Mitt�lungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Römische Abteilung.
32. Ergänzungsheft, t991) 40. 59. 296 f., Taf. 1 0, I . V gl. A . Scobie, Slums, sanitation, and mortality i n the Roman world, Klio 68, 1986, 429 f. zunl modernen Zivilisationsphänomen des �IK!x-elimination amalgamoc. V. Th4bcrt in: Histoire de Ia vil' priv�. 1. Oe !'Empire romain a !'an mil (1985) 303 bezeichnet Lucans Latrinenerlebnis ISuet. vita Lucani) wohl deshalb als �vulgaire ... Plu. 274 D. Vgl. hien.u W. Kroll, Römi!K.""h c Erotik. Zeit!OC"hrift für Sl-xualwissen!IChaft und Sexualkunde 17, 1930, Nr.3, 145 H., abgedruckt in: Sexualität und Erotik in der Antike (1988) 72 ff. Cic. Tu!IC. 4, 33, 70; s. L. P. Wilkinson, Cla!iS.ical attitudes to modern ia&ue� (1978) 97 fl.; N. B. Crowther, Nudity and nwrality. Athletin in Italy,Ol 76, 1 \180- 8 1 , 1 1 9 f(.; E. Eyben, Fathers an d sons, in: Marriage, divorce and children in ancienl Rome (1991) 137. Plu. Cat.Ma. 20, .5-6; vgl. Val.Max. 2. I, 7; Plu. 274 A-ß; Cic. Cluent. 1 4 1 : Oe oral. 2, 55, 224. Vgl. B. Cladigow, Römi!lt'he Erotik im Rahmen sakraler und sozio1lcr ITL'ititution.m, WützbJb 2. 1976, 1 05 ff . , nachgedruckt in: Sell.ualität und Erotik in der Antike ( 1 988), dort 3.� f.; E. Cantarclla, La vitn dt'lle donne, in: Stoda di Roma, 4. Caratteri e morfologia (1989) 576; 5. Dixon, The sentimental idea of the Roman family, in: Marriage, rlivorce and children in anci'-'nl Romc (19'Jt) 99 ff.
25
te die Sicherstellung der sozialen Distinktion auch im eng privaten Bekich keine freizügige Ü berschreitung ihrer Grenzen. Unter solchen Umständen verletzt bereits ein Kuß zwischen Eheleuten in Gegenwart der Tochter die gesell schaftliche Norm, d.h. die sozial distinguieren de Wohlanständigkeit112• Noch Plutarch (279 F) rät jungen Ehemännern, im Schlafgemach sitt sam das Ö llämpchen zu löschen. Im öffentlichen Leben gilt es als unangemessen, wenn ein Senator zuviel Wade zeigt, wenn ein Redner im deklama torischen Eifer sich zu Entblößungen hinreißen läBt. Natürlich schämt sich auch Apuleius' wohl erzogener Romanheld Ludus, plötzlich nackt im Festzug zu stehen, und er bedeckt seine Blöße mit den Händen��. Wenn ein alter Kämpfer auf den Rostra seine Körpernarben vorweist und dabei im Überschwang eine Geschwulst an den Genitalien freilegt, trifft ihn der Spott des Publi kunts - er ist natürlich kein Angehöriger der tonangebenden Schicht. Daher ist das Erlebnis für niemanden peinlich, s011 dem es verrät die mangelnde Contenance einesCenturionen. Man versteht, daß die stoffreiche Toga dils angemes sene Kleidungsstück der gehobenen Gesellschaft ist, und nichtdie knappe Paenula des Plebejers"". In der Literatur als V erletzung des Schamge fühls ven1rteilte Entblößungen spielen sich zu meist in den gehobenen Schichten ab. Wie jede andere Anpassung an eine Moral, die nach den F.rfordemissen einer sozialen Hierarchie organi siert wurde, wird auch die Form der E ntblößu ng nach einer gesellschaftlichen Skala beurteilt. Damit sind graduelle Abweichungen sozial, und nicht kulturell begründet. Die unschickliche Dar bietung einer Senatorenwade wird nur in einem festgelegten Ausschnitt des öffentlichen Lebens kritisiert. Nähert sich die Entblößung dem Geni talbereich, dann stehen hingegen sexuelle Ver haltensnormen zur Diskussion. Wegen solcher zweigleisigen Bewertung der Nacktheit könnte man leicht von doppelter Moral sprechen, wür-
92 93 94 9� 96 91
Dl!r soziale Vorteil Die körperlidte Zurückhaltung des feinen Herrn geht auf eine Erziehung des männlichen Kindes zurück, die primär der Eingliederung in den Lbng, nicht aberdem Aufbau eines verinnerlich ten Intimgefühls gilt. Von Geburt an wird der männliche Nachwuchs einerseits völligem Sinn lichkcitsentzug unterworien, andererseits gera de körperlich kräftig manipuliert. Und zwar sind nicht nur die Nase und der Hinterkopf täglich zu formen, sondern vor allem die Genitalien'7• Ziel i st dabei sowohl die spätere Potenz eines künftigen Pater familias als auch die Schicklich keil bei den selbstverständlichen Entblößungen im Bad w. Die Nacktheit wird erträglich, weil sie oberflächlich der Zurschaustellung eines mit charakterlichen Werten übereinstimmenden Körpers gilt, der nach Ansicht des Arztes Goden doch recht h.iufig dem Ideal des polykletischen
Plo. 139 E, vgl. Piu. Cat.Ma. l7. Apul. mel. 1 1 , 14. Vgl. Ciem.AJ. Pal!d 2, 51, I; 3, 20, 2. s. Plu. 1 78 C-D zu Phitipps unschicklicher EnlblöBung bo>i dM Arbeit. 0.1zu P. Brown i n : Histoire de Ia viE" privee, 1 . De \'Empire rmnain lt l'an mil (1985) 230 lf. DahE"r d i e Sorge des Schauspielers, sich unziemli!;h zu entblößen, s. Clc. off. I, 1 29. Zum BE'ispiE'I Mart. 6, 93.
Sor.>n. 2. 34 I= Rcr.�e 103 ]; Ga!. � san. luenda I, 10, 2 (GliedM ins Ebenmaß bringE"nl. Dazu ausführlich A. Rnussi!lle, Porneia (1983), deutsch mit dem Titel Dt'l' Ursprung der Kl-uschheil (1 989) 37. � lf. 11;1; bo>i J. P. N6mudau, E tre enfant a Rome (1984) 74 ff. Über Vuycure im Bad Sen. nal. 1, 16, 3; Mari. 1, 23. KörpHmdnget werden b.!lacht, s. Mart. 1 2, 83.
Überblick 98
de man nicht die gesellschaftliche Konditionie rung berücksichtigen. Denn der sexuelle Intim bereich war d u rch hierarchische Wertungen soweit einer gesamtgesellscha ftlichen Si ttl ich kei t entzogen, daß nicht grundsätzlich das Thema ta· buisiert werden mußte, sondern gleichsam ein sozial distinguierendes Schamgefühl gefordert wurde95• Sicher ist hiervon nicht unmittelbar die Fäkalzone betroffen. Doch gerade dureh ihren weitgehendenAusschlußaus derantikenSexual diskussion beweist sich die Absenz jeglicher psychopathischen Kompensation. Was Ekel erregt, ist nicht krankhaft,sondern erniedrigend. Schlechter Mundgeruch wird mit Fäkalgestank vergleichbar9o. Um die Zuweisung solch eines unterschei denden Intimverhaltens in den Bereich der so zialen Hierarchien zu rechtfertigen, muß das zugrundeliegende Erziehungsmodell geprüft werden.
26
Kanon nahekomme"'. Vergleiche waren in den Thermen leicht durchführbar. Aus einem Dick wanst einen Menschen mil wohlgeoformter Mus kuh!otur zu bilden, gelang Galen durch strenge Überwachung des Bades und der Körperenllee rung (Oe san. tuenda 6, 8, 1 2-1 3), während die Diätetik für den hPranwachsenden Knaben dar auf zielte, den Körper so schön wie möglich zu bilden ( Dfo san. tuenda2, 1 , 2). 1 n denerstenJahren mußte die Amme dafür sorgen, daß sich der k!Pine Knaberichtig hält, weil die Körperhaltung ein augenfälliges Kennzeichen der geforderten männlichen SelbstkontroUc war u11• Das positive Ergebnis solcher Körperbehandlung galt als In diz rür gesellschaftlich� Tauglichkeit, sowohl hinsichtlich der äußeren Wohlerscheinung als auch der sexuellen Leistungsfähigkeit zur ErzPU gung des Nachwuchses. Be?.eichncnd dafür ist die Anweisung an die Ammen, das Glied so zu manipulieren, daß d ie Vorhaut ausreichend lang werdc1u1• Denn der Dominus zeigte sich durch aus nackt, aber nicht unkontrolliert. Zwar verteidigt Cicero die stoische Ansicht, die Obscacna seien mit ihren Namen zu nennen, denn die Sittlichkeit werde davon nicht bccin ßußt. Und doch vermeidet er das Wort >�culus« (fam. 9, 22). Gcwallsamkeit der Sprache sei im mer mit niedrigen Sitten verbunden und ent springe einer Verachtung der Mitmenschen und seiner selbst utz. Während der infame Pro7.eßgeg ner seine Probleme mit der Bezeichnung der Intimteile habe, meint Apuleius nicht nur als Literat, die sprachlichen Klippen beim let7.ten Abenteuer des Ludus elegant umschifft zu ha-
99
100 101 102 103
104
105
ben 1111 • Eine bewußt soziale Scham wird von lin guistischen Untersuchungen zur Terminologie der lntimzoi\E' bestätigt101• Einer generellen Tabuisierung waren die intimen Körperzonen und ihre Funktionen eben nicht unterworfen. Selbst der verschrobene Kaiser Claudius häHe sonst kaum öffentlich die Frage aufgeworfen, ob während kaiserlicher Gelage gefurzt werden dürfe. Was ihn dem Gespött der Historiographen auslieferte, war nicht das Thema seines Gesetzentwurfes, son dern die darin enthaltene Aufhebung sozialer Verhaltens.';chranken. Daß es den Kritikern nicht um eine grundsätzliche Peinlichkeit ging, ver deutlicht das Erlebnis des AC!thon (Mart. 12, 77). Jener beleidigt Jupiter durch einen Fur.-. beim Gebet im Kapitol (im Sinne oben angeführter anthropologischer Verhaltensmuster) und geht daher künftig regelmäßig vorher in die Sellae Paterclianae, um i n anderer Gesellschaft sein Bedürfnis rechtzeitigaus.zutoben, woran ihn kein Peinlichkeilsgefühl hindert. Trimalchio, derdem selben Milieu angehören dürfte, hält sich für einen Aristokraten, weil E'feinengoldenen Nacht topf besitzt, benimmt sich aber plebejisch, wenn er ihn sich in aller Öffentlichkeit während des Ballspiels vorhalten läßt (Petron. 27, 5). Wenn sich ein vornehmer Besucher der Thermen nackt sehen läßt, würde ihm niemals etwas derartig Ungezügeltes - nicht Peinliches - passieren wie e inem Hebsklaven in den Nordwestthermen von Timgad (Abb. 6). Dieser ist nicht nur ein Neger, sondern lc.; nn sich eben nicht einmal während der Arbeit beherTschen ·�. Die Zurückhaltung gilt
Cal. Dc opt. corp. const. p.74S (Kühn 4), dazu jetzt die ausführlich kommentierte Übersetzung von A. Bertini Malgarini, Calenn. De optima corporis nostri constitutioM t! rk bouo habitu (1992). Regulie rung vun Schl.il, Bewegung und Diät schaffen dm jugendlich �heinenden Körper lt. l'lu. 274 D. Hierzu ausführlich (,. Bruwn, The body and society. Mt!!l , women and sexual renunciation in carly Christianity (1988) 5 II. Kinder Jemen EBmanieren II. l'l u . 9'J D, allgenreiner Plu. 439 F. Mit dem Ziel "decoris causa tcgere• wird 11m Pt!nis sogar operiert, s. Cels. 7, 25 A; Oribas. 50, 1 (l'apier pmlhe��enl. Apul. llor. 7. Apul. apol. 33-34 ..�rn-didiora dicerc honcsk«, unttor Bezugrwhme auf 1net. 1 1 , 14. Vgl. dit' Umschrei bungen bei Clem.Al Strom. 2, t06, 2 ( ... den 8all('h und das unter dem Bauch }�(>herrschen); l'aed. 2, 52; Epict. Grwm. 3, I, 31 (>�entferne deu - wie snll ich 1!5 nennen - Grund ftlr deine Körperbt:ha!lrung«); für C elsus ist •ht'Tlliil" (DiiTmbruchl ein •nomen indecorum .. , s. F. Ritter, Übertriebene Scho!U der Römer vor gewissen Ausdrücken und Wortverbindungen, RhM 3, 1835, 569 ff.; vgl. D.H. 19, 5, 2; Aug. mKg. 9, 25. s. f. N. Adams, Culus, dunes and their synonyms in Latin, Glotta 59, 1981, 231 ff.; vg l . W. Goldbergcr, Kraft.n11drüclre im Vulgä.rlatein, Clotta 18, 1930, 63. AIL'Iffihrliche Darstellung bei A. Richlin. The gar den of Priapu!>. Sexuality and o1ggrcssion in Rmnl\n humour (198.1). Peinl ich jedoch fLirC. C. Picard, La civilis!ltion d' Afrique romiline (1959) 150 .. trop indkente pour qu'on puisse Ia reproduireu. K. M. 0. Ounbabin, The mosaics of Roman North AfriCR (19'78) 162 ret'hnel ihn
27
Abb. 6. ßodenm soziale Einordnung kann an zeitlich wf'i.t voneinandE>r E>ntfE>rnten QueiiE>n beschrieben werden. Sie gleicht einem statischen Grundmu ster, das Veränderungen nur innerhalb seiner Par7.ellen ermöglicht.
1 07
Ein neues Verhalten
Eine Reihe von Dichtem der frühen Kaiserzeit konfrontiert den Leser in einer sehr direkten Weise mit Genitalsphäre und Stoffwechselvor gängen 1 1 1 • Die Thematik ist in der Literatur neu und widerspricht deutlich den noch gültigen Moralvorstellungen. Sie als »Zeichen eines uns nicht mehr vertrauten Körpergefühlsoc zu inter pretieren, wäre daher ein grobes MiBverständ n.is 1 1 2 . Denn aus der provokatorischen Derbheit einer kulturellen Protestbewegung kann nicht auf allgemein gesellschaftliche Zwang- oder Zügel losigkeit geschlossen werden. Zunächst nämlich bestätigt der Tenor des literarischen Protestes in der frühen Dichtung die nach wie vor grunds.'Hzliche Abscheu vor der Fäkalsphäre. Zur Steigerung der satirischen Kritik läßt Martial ( 1 1 , 98) die gf'sellschaftliche Unsitte des Küssens nicht einmal vor der »Sella saepius dusa«, dem ..häufig verschlossenen Sitz« haltmachen. Kaum noch zitierbar ist z.B. ein von Ovid zitiertes Remedium amoris, nämlich zuzu sehen, wenn das Mädchen das tut, »was die Sitte selbst zu sehen verbietetoc (rem. 437-438: quae mos ipse videre vetat). Mit augusteischer Würde vertrug sich solch ein Rezept nicht, mit Ovids eigenem Liebesleben ebenso wenig, wie er selbst zugibt. Entscheidend war, daß Ovicl überhaupt ein privates Sujet in die Dichtung brachte und dabei den intimsten Bereich auswählte, der nur denkbarwar. Das Hinaustragen des Privatlebens
s. P. Veync, Le folktore A Rome ct les clroits de Ia coni!ldencc publique sur lll conduitc individuelle,
Lntomus 42, 1983, 3 ff. Vgl. CIL 1 0, 4483 »caca ut possimus bcne dormire et ped icarc nalis candidas«
mit Iuv. 9, 43-46. Man vergleiche das Vokabular in der klassischen Komödie, in der der Fakalbereich
bei negativer Konnotation den Niedrigsichenden zugewiesen ist und bestenfalls deun Verhalt(!ß auf
eine Alltagsrealität :tu rückgeführt werden kann. s. dazu J . Henderson. The maculate Muse (1975), Kapitel
»Scatological hu1nour.. . Aus der lateinischen Literaturdarf derobszöne Witz nicht vorbehaltsl(lll auf die Realität überlra_g.!!n werden, wie bei A.
1 08 109
Richlin a.O.
(1983).
Depravi erende AMpielungen auf die Dolia curta als Grabmal einer Dame bl'i Prop. 4, 5, 73.
Iuv. 9,
43-46 ..agere intra vil;cera penem Jegjtimu1n atque illic hcstemae occur�rc cenae ? servus erit
minus ille miser qui foder:it agrum quam do1ninwn�, zugleich eine ParodiPrUng des Topos von der Vergänglichkeil der T.uxusgerichte, z.B. O• m . Al. Pacd. 3, 37, 3.
110
s. 1�. Veyne und P. ßrown in: Histoil't! de Ia vle privEe,
I. De
!'Empi re JOJnain ll l'an mil (1985) 174
ff.
bzw. 230 ff. DaB auf der Latrine alle Menschen gll9ch seien, wird als philusophische Erke-nntnis dem
Griechen Antiphanes zugeschrieben, s. Ath. 444 b-c.
111
112
außer den genannten: Hor. sat.
1 , 8, 38 (in me veniat mictum atque cncntum); Hor. ars 471 (minxerit in patrios dneres); luv. 3, 104-108; 6, 309-313; M..1 rt. 6, 93, 1-2 (Thais olet quam non fullonis avari te!lta vetus). Aucb außerhalb cll.'l" Satire begegnct unvermittelt das intinte Phänoml'll des Wei� Beispiele
kindlichen Bettnässens bei Lucr. 4, 1026·1029. So A. K. Siems in der Einleitung :r.u: Sexualität und Erotik in der Antike (1988). Vgl. dagegen zum Konzept des dichterisc-hl'll Ich P. Veyne, I.'f:l�le emtique romainc. L'amour, Ia poesie et I"Occidmt
(1983), 279 ff. in deutlicher Obersctzurl8 (1985).
in eine bis zu gewissem Maße öffentliche Lite·
Im 1 . und 2. Jh. n. Chr. geschieht das, was M. Fou
ratur war ein avantgardistisches Interesse und
cault als ein Anwachsen der »souci de soi«
provozierte die �;ehobene Leserschafl durch
beschreibt, und worin wir anschließend eine
Heranziehung einer abstoßenden Subkultur.
Pathologisierung der Körpersorge feststellen
Die literarischen Rebellen der frühen Kaiser
werden, die uns endlich den Funktionen der
zeit be7.eugen zwar einen Wandel, aber noch
Prachtlatrine wieder näher bringen wird 114• Eine
nicht im allgemeinen Verhalten, sondern i n der
erste partielle Publikation jener »Sorge um sich«,
Bewertung des Privatambientes, was sich zu
noch vor der Materialisierung in den Pracht
nächst als Widerstand gegen die gesellschaftli
latrinen, bedeutet ihre literarische Tilematisie
cheRestriktion derGefühledeslndividuumsund
rung. In einer fälschlich Plutarch zugewiesenen
die Übermacht der politischen Reglementierung
Schrift wird die Erziehung des Heranwachsen
des Gesellschaftslebens äußerte. Bezeichnender
den einzig darauf abgestellt, alle Emotionen im
weise lehnten diese Dichter öffentliche Karrie
Umgang mit Standesgenossen zu zügeln, die lästig werden könnten m. Das Rechte am rechten
ren und Pflichten ab. Zugleich allerdings wird derselbe Schmutz
Ort und zur rechten Zeit zu tun, dies sei soziales
durch poetische Behandlung schön. Nur da
Verhalten, lehrt Epiktel (Gnom. 4, 1 2, 1 7). Wenn
durch, und nicht wegen einer Veränderung der
auch konkrete Angaben zur Erledigung der
alltäglichen Sitten, ergab sich die Möglichkeit,
täglichen Grundfunktionen des Körpers selten
ihn in den Diskurs des privaten Verhaltens ein
angesprochen werden. fehlt es doch nicht an
zubeziehen, welchen die Publikation zunächst
Hinweisen, daß neben dercharakterlichen eben
auf rein literarischer Ebene vermittelte. I m We
so die körperliche Zurückhaltung gefordert
sentlichen bestünde kein großer Unterschied, ob
wurde''"· BeKtes wird mitder Zugehörigkeit :r.um
Dichter die Fäkalie gesellschallsfähig machen
holten gesellschaltliehen Niveau begründet. Wir
oder ob die Latrine von ihrer sozialen und un·
finden die körperliche Beherrsch ung von Emo·
geordneten Versehrnutzung befreit wird, um
tionen deshalb als ideologisch fundierte Forde·
als städtisches Ausstattu ngsobjekt bereits an
rungebenso imldcaltypdesMarcAurei(M. Ant.
augusteischen Verschönerungsprogrammen
I , 9; 1 , 15). Belehrende Verhaltensbücher sind
beteiligt zu werden. Letzteres geschieht aller·
uns zwar nicht unmittelbar erhalten, lassen sich
dings zuruichst noch nicht, doch die augustei·
aber erschließen aus dem »Paidagogosoo des
sehe Stadterneuerung ist so deutlich von der
Clemens Alexandrinus, der lediglichdie Ideolo·
Gleichung zwischen Sauberkeit und Machtord·
gie in religiöse Formeln überträgt 117, und aus den
nung geprägt, daß wir nur etwas Geduld haben
Diatriben und dem Enchiridion des Epiktet.
müssen, um die Bereinigung auch dieses letzten
Die ideologischen Werte dieser Morallehre
Privatbereiches feststellen zu können 113• Um eine
sind an der gesellschaltliehen Hierarchie orien
fragwürdige Dichotomie von »Privat« und ,.Öf
tiert. Vergessen wir nicht, daß sich »virtus« von
fentlich« vorerst zu umgehen, soll im Folgenden
.. vir« ableitet, die Tüchtigkeil zuerst männlich
beschrieben werden, welche Lebensbereichesich
ist. Cummodus z.B. beweist die Virtus Augusti
von nun ab zu einem allgemeinen Anliegen zu entwickeln beginnen.
als Löwenbezwinger, entblößt sich aber gleich·
113
114 115
116
117
Im Sinne der Darstellung von D.
Laporte, Ein!!' gelehrte GC!SChichtc der Scheißt> 1 1 99 1 1 15 pi!.5!1im; staat
lich e Ordnung als Abfiillbeseitigung bei Fronlin. ;�.q. :Z. 88; Genesung des Staates durch Aufsammeln des Straßenkaies bei Su e t . Vesp. 5; S.1uberkcit als Vo raussetzung st�l.iil ler Eingliederung bei Epict. Gnom. 4, 1 1 , 1-2. Wer s.1uber aus den Däden1 kommt, ist ein sauberes Mitglied der Bürgergemeinschaft, die
zahlcnmiissig nur anwächst, wenn dit! Str118en frei von Abfa ll sind; dazu s. D. Engels, Ro1nan Corinth. A n alterni'ltive model for thl!' dassical city (1990) 88. Vgl. Anm. 248.
Siehe auch 1'. Veyne a . O. (19851 219 ff. De liber:is educar�dis. Vgl. Epict. Gn om . 3, 2, 3·4. Nie abwe isend zu sein, sich nicht durch Luxus über
andere überh eben , in Theater und Bad nicht durch übergroßesGefolgeandere zu bedrängen. beschreibt Plutarch (823 BI als !IOZiale�� Ideal. s. CIMJ.Al. Pal.'d. 3, 20, 2; 3, 74, I; vieUach im zwcitrn Buch. z.B. 2, 60, 4. Zum Beispiel Clem.AL Piled. 3, 37, 2; 3, 66, 1 (während der Au!ISCheid nng entstünden 11innliche Begit'l· don).
30
?.eilig durch fehlende Gravitas, einen Mangel im
Medizin 111 • Zum Hausgebrauch reduzierte me
Verhalten, der schon Claudius vorgeworfen
dizinische Erkenntnisse sollen dem im öffenlli·
wurde. Commodus' Mangel an Gravitas fällt
eben Leben stehenden Mann sowohl Begründung
besonders ins Gewicht, weil der kaiserliche Lö·
als auch Hilfsmittel liefern, sich adäquat zu ver
wenkamp! vor aller Augen in einer Arena statt
halten und angenehm zu erscheinen 122• Solche
findet. Ebenso provozierten Neros Auftritteerst
Erkenntnisse waren nicht eigentlich neu. Sie ste-
dann die geltende Ordnung, als das Publikum
hen aber z.B. bei Celsus noch vollkommen in
sich über diC! kaiserliebe Entourage hinaus
einem ärztlichen Interesse m. Nunmehr geht die
f'rweitertc. M i t derselben ideologischen Begrün
Sorge u m d i e Gesundhei t überihrmSelbstzweck
dung entspricht der kaiserlichen Clementia
hinaus und gewinnt einen neucn Sinn in einer
die Beherrschung des Privatmannes bei der Bestrafung von Sklaven, denn sie kann immer nur von Höhergestellten ausgeübt werden 11�.
I
Sogar das Schlafzimmer wird zum Ort des zu rückhaltenden Benehmens nichtaus moralischer
zuerst einen geistigen Stuhlgang exerzieren, der
Rücksichtnahme auf die Gattin, sondern zur
so
recht an die unmittelbar vorausgehende Kör·
Demonstration der überlegenen Selbstbeherr
pt..'l'l!ntleerungerinnert, denn beides ist zwingen·
Khung.
dc Voraussetzung für das Abendmahl (Apul.
Mit einer Ausweitung d e r Selbstbeherr·
flor. 6). In medizinischen und philosophischen
schung auf alle Körperfunktion�o"n ist zu rech·
Schriften gleichermaßen entstehen durch stän
nen. Mare Aurels Verurteilung von Mitmen·
dige Anweisungen zu Kontrolle und Prüfung
sehen, die ihren Stuhlgang nicht reglementieren,
neue Verhaltenscodices, die persönlich und so
ist deutlich genug11�. Plutarch bedau..-rt es, daß
?.ial zugleich sind. Die Beherrschung des Kör
physische Bedürfnisse nicht unterdrückt werden
pers und der Affekte ist es, was den Vornehmen
können. Man solle sie wenigstens trainieren.
von der Masse abhebt. Als Kriterien zur Wer·
Dabei entstehe allerdings die Gefahr, sich über
tung einer Exhibition dienen ihre jeweilige Kon
Gebühr mit dem Körper zu beschäftigen. Die
trollierbarkeil und zeitlich-räumliche Reglcmen
»Sorge um sich«, welche die Beachtung aller
lierung.
Lebensäußerungen voraussetzt, kann schnell
Nur wer sich selbst beherrscht, beherrscht
zum Gegenteil ihres eigentlichen Ziels, der
andere lcichler1l!l. Zugleich muß man sich st'lbst
Zurückhaltung, führen. Wir lieben und pflegen
reglementieren und kontrollieren, um 8e7.iehun·
Fenn
den Körper, schreibt Epiktet, obwohl er das
gen mit Mitmenschen in der richtigen
Schmut:tigsk' an uns ist170•
ennöglichen. Allerdings kann der Codex jeder
Hier fmden Körperpflege und Chc"U"akterbil·
7.U
zeit durchbrochen werden, weil er an sozialer
dung nicht nur ein paralleles Interesse, sondern
Macht orientiert ist und nicht grundsätzliches
sie werden begrifflich und methcxlisch unmittel·
menschliches Verhalten ordnet. Obwohl Apu·
bar verglichen. Scneca, Plutarch, Epiktet, Apu·
leius die Einhaltung des auf »honOS« zielenden
leius und Galen bieten zahlreiche Beispiele für
Codex nicht nur von den wenigen SeMtorenoder
die klar gesehe n e Verwandt:.schaft von Ethik und
gar Konsuln fordert, deren Ab7.eichen von man·
1 18 119 1 20 121
122 123
124 1 25
J. F�rgu!l(m, M o ral valucs of the ancienl world (1958) 1 59 ff. M . Ant . 6. 30 . V��:J. I'1�. 1 26 F. Epict. Fr. 23 ( = Stoi'l. 4. 53, 29). M . Foucault, H isto ire dc Ia sNUalite. J. Le souci de 1111i ( 19841 69 ff.; z.B. Plu. 122 D, 501 A·D (Animin� an corporis affcctionet� � in t poMores). s. Plu. 137 C. So in 1 , 2. 4 f.; 1 , 3, 25; I, 9, 3 zur Verdauung. II\ 1, 1, 2 u nd 1 , 2, 7 findetsich übrigens eine med b.: i n isch e lkgrii ndung für den bald sich auYweilendcn 60gt'nannk>n l.u�Cus dt'r Thcrmcngebäude: •Die Rä u me 1nÜ�!il!ll hoch. hell und gO!räumig scin«. Apul. Socr. 21. Die TugO!nd im gcsund�n KörpPr. Plu. 137 E. s. Clcm.AI. Strum. 2, 106, 2. Vgi. S. Dill, Romansociety frum Nero to Marcus At1rclius (1925) 2tl'\l ff. (dt't Kaiser al� "Philosophical dir..clol"'Allen" dennoch eine Elitegruppe ':rr.. Die Auto
ren des 2. Jhs. n. Chr. schreiben ausschließlich
..souci de soi" beschrieben. Da keine strukturel len Veränderungen an den sozialen Hierarchien
für die wenigen Privilegierten: ,.refinement and self-control distinguished the well·born from
stattfanden, sei es nicht nötig gewesen, daß
theirunruly inferiors · · · " • und »elevated rulcs for
sich eine allgemein verordnete strengere Moral
excellentcs, in marriagc as in everything eise, d id
with others«, so formuliert
durchsetzte. Vielmehr habe eine zW\ehmende
not have to be shared.
Sorge um die eigene Person und ihre Darstel
P. Brown das Verhältnis von Körpergefühl und Gesellschaft127 • In schärferen Formulierungen
lung, als deren Hilfsmittel eben die moralischen und körperlieben Verhaltensregeln entwickelt
und an anderem historischen Material analysierte
wurden, zu einer neuartigen Ich-Beziehung
T. Veblen derartige rangbewußte Verhaltensre·
geführt'"· DaS dem so war, bewei!len einerseits
geln als ständig neu zu erfindende Sicherheils- maßnahmen der tonangebenden Schichten 128 •
die zahlreichen krassen Abweichungen ohne gesellschaftliche Folgen und andererseils die
Beim sozialen Aufptö�ll dienen sie als Pufferzo-
permanente Erteilung von Rezepten zureigenen Prüfung und Überwachung, bis hin zu unsiHli
chem Ohrenkratzen und Niesen no.
In der kaiserzeitlichen Literatur �gt'!gnet mitunter der Versuch einer Differenzierung der
Die Verhaltensliteratur der hohen Kaiser7.eit
Verhalten��regeln nach privaten und öffentlichen
bietet insgesamt nicht so sehr ethische Grundla
Bereichen, was in der Rei!.lilät zwar längst nicht
genforschung an als vielmehr pädagogische
mehr durchführbar war, jedoch den Sinn des
Rezepte. Der Schritt von der geistigen Bcschäf·
Diskurses erläutert: Eine neue Ordnung der
tigung zur täglichen Verrichtung ist kur.t. Dann
Lebensführung mußte gefunden werden, um
tritt Foucaults »souci«, die tägliche Sorgfalt der
Widersprüche aufzulösen, welche die längst
Charakter- und K{irperpßege, auch als soziale
überholten Schemata von
otium
und
"egoti11m
Sorge in Kraft. In ihr wurdeallen Gefährdungen
hervorriefen. Unbefriedigend bleibt daher Arte
des Ranges durch ein strenges physisches und
midors Schema: Er weist neben Politik und
psychisches Regiment begegnet.
Heerwesenauch Eheund Kindererziehung einer gesaDltgesellschaftlichen R�lung zu und
be
zeichnet andererseits die Lebensführung, Klei
Körpersorge als Krankheit
dung, Schuhe und Ernährung als individuelle lnreressen (4, 2). I n Wirklichkeit bleibt nämlich
Hüten wir uns davor, moderne Begriffe von
das, was wir gemeinhin als die Öffentlichkeit
Mcdi7.in und Krankheit mit der klinisch-techno
bezeichnen, nach wie vor der primäre Bereich
logischen Bedeutung z.u verwenden, die sie erst
für die Lebensführung der Oberschicht. Als Be
im 19. Jahrhundert erhielten. Hüten wir uns
weis genügt das anhaltende Streben nach Allen
gleichfalls davor, die pseudo-wissenschaftliche
sichtbaren Porträtstatuen und Ehrenin�chriften.
Schuleinteilung antiker Medizintheorie als eine
Jedoch die Aspekt� des öffentlichen Lebens und
Stufenfolge von Erkenntniszuwachs zum Wohl
m i t ihnen die Foranen des sozialen Umgi1ngs
klinischer Versorgung einer Bevölkerung miß
wandelten sich. In welcher Weise davon die
zuverstehen. Dann wird der große Erfolg der sog.
persönliche Lebensführung und das Selbstgefühl,
126
A p ul.
Methodiker im kaiser7.eitlichen Rom in anderem
tlor. 8. Auch in ,.J)e J i beris cducandiS mit berücksichtigt, sofcm
freigeboren. 127
128
P. Brown, The bnd y and sodety. Men, womcn and sexual renunciatilln in earty Christianity (1988) 20 ff. dass, in d er deutschen i.Jbersetzung: Th eorie der feinen Leute (19H9J
T. Veblen, Thc tht'!O!"y uf t h e Ieisure 19 ff.
1 29
1 30
119
Ef. Taktgefühl (humanitas) gegen Minores SC"hade nicht, nteint Pliniu11, epist. 9, 5.
M. Fouca u l t a.O. ( 1 984) 117 palilli m . M. Foucault a.O. (1'184) 7 5 passim; P.
Veync i n : Hi9toire de I a v i e priv�. 1 . O e l'empire
mit (19115) 197. Vgl. Oemens' moratisi�nde Besründungen, z.B. Paed. 2, 25, 4; 2,
und Schneuzen als schweimsche Reizungen
mnd Yor.itufen
60, 4
romain i\ J'an
(Ohrenkit;o.:eln
l'!U schaantoscr Unzucht); 3,
46.
32 Licht erscheinen, als es medizinhistorische Hand
Berücksichtigung der psychosomatischen Krank
jene Ärzte mit ihren pragmatischen Methoden
sprüchen des Patientenkreises 1». Dessen Bedürf
der tradilionellen römischen Hausmedizin cato
nisse, alsodie eines verschwindend kleinen Teils
bücher verbreiteR 1 31• Keineswegs nämlich kamen
nischer Prägung besonders entgegen. Deren Pragmatismus war vor allem vom Funktionie
heitsbilder hat ihren Grund einzig in den An
der Bevölkerung 1 311, bilden die Begrifflichkeildes Diskurses und legen seine Fäden aus. Wer kein
ren eines landwirtschaftlichen Betriebes geprägt
Bad in der Nahe hat, werde auch mit Galens
und konzentrierte sich auf Sklaven- und Vieh
Büchern nicht in Bc!rührung kommen (Oe san.
haltung. Der Dominus war nur an glücklichen
tuenda 1, 10, 15). In abhängiger Stellung finde
Geburten und schneller Heilung von Arbeitsver
man kaum gegen Abend die nötige Zeit zur
letzungen interessiert 1 J:t. Ebenso wenig fällt der
Körperpflege •», und an Feiertagen würden sol
Erfolg der Methodiker unter da! bellebte Stich
che Leute, anstaU sich um den Körper zu sorgen,
worteines römischen Eklektizismus, welcherdas
sowiesoein extrem unmäßiges lebenführen (Oe
Nüh:liche auswähle und das Theoretische ver
san. tuenda 6, 7, 22-24). Sie seien deshalb immer
werfe. Und keineswegsaus Naturverbundenheit
krank, und Galen weiß, daß nicht jeder erste Beste
Ist die antike Begrifflichkelt von Medizin und
sein Buch lesen wird, um daran seine Körper
nis oder Grundlagenforschung orientiert, son
funktionen zu überwachen (Oe san. tuenda 6, 1 4, 28). Dem fie1ees auch schwer,denn der große
dern weil der praktizierende Medi7jnergarnicht
Erfolg des Asklepiades im späten
im Zentrum des wissenschaftlichen Betriebes
und späterhin der sog. Methodiker beruhte
steht. Anhaltendes Mißtrauen gegen den im
wesentlich auf der Einführung einer raffinierten
Krankheit selten an wissenschaftlicher Erkennt
Ernstfall behandelnden Arzt macht darüber hin
1. Jh. v. Chr.
Diätetik in die Gesundheitspflege. Die teuren
aus deutlich, daß der Aufschwung dCT kaiser
Rezepte zeigen, daß sie zum Hausgebrauch
zeitlicht.•n Medizin einen anderen Schwerpunkt
einer reichen Klientel gedacht waren, wo die
hat.
Sorge um die Verdauung nach überreichem
Tatsächlich tritt schon in der frühen Kaiser zeit die ärztliche Fürsorge am beliebtesten in der Gestalt eines Amicus au(. Nur er kenne die indi
GenuS exotischer Leckerbissen recht aktuell werden konnte••. Die unumgängliche »Abma
gerungskur« (Oe subtiliante dieta) des Galen sei"Lf
viduellen Probleme, welche zu einer Erkrankung
eine mehr als gepClegte Küche voraus m. Doch
führten. Die modern anmutende Forderung nach
das genügt nicht. Weil der gute Arzt nach Galen
131
132 1 33
134 135 136
1 37
Zum Deispiel T. C. AUbutt, Creek rncdicint> in Rorne (1921) 60 ff. 176 ff.; M. J. Sc�rborough, Roman medicine ( 1 969) 41 f.; anders 0. Gou""'tch, l.c triangle hippoaatiqu" dans le monde greaHamain (19841 251 ff.; I::kr.s.., La pratiquc met:hodi'fUe, in: Les kalt"S mfdicalo!S l!o Romt!. Ac� du 2e CongiYs inttma.tional sur !es textes medicaux laiins antiqucs, Lausanne 1986 (1992) 51 ff. Die 9l.'idtische Elite lehnt Populärreupte ab, die nur Hll l.andarbeitem und Sklaven anzuwenden seien. s. U. Ci!pitani. Celso, Scribonio Largo, Pünio il Vecchio c il lnro atteggiamento nei conhonti della me· dicin;� populan:, Maia 24, 1972, 120 ff. Cal. De san. tuenda 5, 2, 12·13 (ob zuviel gegrübelt, schlecht geschlafen, zuviel gebadet oder geliebt wurde), s. Le opere psicologiche d i Galeno. Atti del lll Colloquio galenico internilzionale Pavia 1986 ( 1988); Plu. 524 D; P. Mudry, Medicus amicus. Un lrilil romain dans Ia mfdecine antique. Gesneros 37, 1980, 17 ff. Artemidors Traumdeutung läuft parallel zur med..i.ld nischen Deutung der erotischen Träu· me. s. A. Rousselle, Der Ursprung der Keuschheit (1939) 228 ff. M. Vcgetti, D Silpt're medico, in: Storia di Koma. 4. Caratteri e morfologie (1989) 389 ff. 393; L Edelstein, Antike Diätetik, Die Antike 7, 193 1 , 255 ff. Zum Privatarzt eines reichen Mannes 5. Epict. Gnom. 2. 12, 19. G aI. Oe s11n. tuendil 6, 5. Bedenklich. scheint e � dahC'T, die Kaiserthermen t!inc demokratische Einrich· tung zu nennen, in der zivillsatori!lche Errungenschaften auch noch den Ärmsten zugestanden worden SE'ien, wie etwa F. Yegül, Baths and bathing in cla!l.'linl antiquity (1992) 5. M. Vegetli a.O. (1989) 4 1 1 . 417. Vgl. Ath. 330 c (Jetzt haben wir uns vollgestopft, also sorgen wir (Ur un!ll! l"f'll Körper, damit wir später weileressen können); 11. I. Mazzini. Alimenlilzione e salute serondo i medid del mondo antic:o. Teoria e realtil, AnnMacerata 19, 1986. 9 ff.; zu den hruren Medizinen s. U. Cilpitani a.O. (1972) 1 2 1 . Ebt'11110 in Oe alim. facult. und in D e bon. Dlld . suc. 3 .
33 Z ugleich Phil osoph ist':.�, nur deshalb kann die kaiserzeitlicheMedizin ihr enhohen gesell schaft·
t ische Lebensführung. E utychia bil dete das
Grund motiv jeder Diätetik 10• Doch di ev ol lkom
I i chen Rang erhalten und als kultureller Aus
mene Vereinnahmuns des P ol islebensd urch die
druck bezeichnet werden':��. N i cht v o n ungefähr kommen viele der berühmt en Ä n:te der Kaiser
Körp erpflege stieR in Rom verständlicherweise
zeit a us der Zweiten Sophistik'.fll. Von derPhll osophi e zurM edi?J n mußte nicht erst eine Brücke geschl agen w erden. Aus M a ß
auf Ablehnung, sol ange Otium noch als G egen satz zu N egotium empfunden w urde. Erst im
2. Jh. n. Chr. hattensich dir offiziellenB etätigun
gen eines A ngehörigen d er Oberschicht v o m
u n d H armonie w ar en längst d i e Axiome der
staatserhalt endenOfficiumz u mimperialenAmt
phy siologi schen Theor ien erwachsen, die in der
ausreichend verschoben. N unmehr nimmt die
Kaiscr7..eit nur aufgegriffen werden mußten. Aus
Diätetik intensivere und beu nruhi gendere For
den Aggregatszu ständen der so genannten Kör persäfte wi rd ein fundamentaler Kreislauf v o n
men an, di e Verdau u n g wird pathologisiert und verführt zur hypochondrischen Idolatrie des
Ernährung, St uhl gang. Sexualleben u ndCharak ter p ost uliert. Unvernünftige, d.h. luxuriöse
Körp er s '"·
Ernähr ung verursache V erdauungsbeschwerden
llilhme der medizin ischen Fa chlit eratur, gleich
im Säfteha usha lt und damit Clmraktermängel,
zeitig aber a uch dieVerbreitung ihrer Sch la gwor
die w ieder in abstoßender Lebensführ ung en
Zu konslatieren i st zunächst einmal die Zu
t e i n Gesundhei t shand büchern und i n ethischen
den 141• Sa men w ird nicht anders a l s d ie übrigen
A bhandlungenzur Lebensführung, und schl ieß
Kö rpersekrete beha ndelt, da s Sexualleben eben
l i ch das Auftauchen des Phi liatros i n d en gesell
falls in den Kreis einbezogen 1.u.. Es geht folgl ich
schaftlichenZirkeln. DerartigeSchriften, auch die
w eniger um die Heilung akuter Leidrn als um
Philos ophen-Ä rz t e persönlich, begleiten und
d i e B ewahru ng einer w ohlp roportionierten Kör
beei nflus sen die Lebensführ ung und den Tages
p er--See le--Mi schung d ur ch E thi k und Di ätetik.
a bl a uf g ehobener Kreise nun i n starkem Maß e.
Die v erlorene Schr ift » Über die Seele« muß als
Al l e gesellschaftl i chen A ktiv itäten, sogar die
wi chtiges Gegenstück 7.U Soranus' medizini
Gespräche1e, werden als Kö rperübu ng gew er
schem W er k betrachtet w er den. Die Verbi ndung von Diaita undPaideia reicht
tet, alle privaten B edürfn isse, sogar das Sex ual l eben, nach ihren G esundheitseffekten benotet.
w ei t i n hel l enistische Zeit z urück. Sie diente
Die Verdauung mag unmittelba r e kö rperli che
d er l ntegrierungdesB ildung5will ens i n dieprak-
Belästigungen verursachen u nd damit a l s Krank-
138 139 140
141 142
1 43 144
145
Ga I. Mcd. Phi l . passim. GaleJU� Vater war nicht nur u1n die Gesundheit bemüht. sondern in allen Gebie ten besser bewandert a ls jeder P hi l(l6op h, s. Ga.l. Dc bon. m;�l. suc. 1 , 15. Vg l. M. Vegetti a.O. (1989) 399 .
Zu allem Plutarch.. besonden; Co! tuenda s a n lla te pmeaopta (122 B ff.). Bei Quint. decl. 268 siegt die M ed iz in über Phil osophie und Rhetorik, weil sie diese Bereiche ebenfalls umf;�sse-. G. W. Bowersock. Groe-k sophi11ts in the Roman t'mpire (1969) 58 ff. Zu den Ä n:: ten s. J. Andri, Etre mtdecin 111 Rome (1987) 91. 93. 171 ft.; besonders E. Rom;�no, Mt'dlci e filosofl. Letk>ratura medica e
sodetA altnimpcriale (1991). s. A pul. Plat. t3: Gal. De san. tuenda 4, 4, 51-52; M. Foucault, Histoire de Ia !lt'X ua l i t e, 3. Lesouci de soi (1984) 134 ff. 155 ff.; P. Brown in: Histoirede Ia vie privfto, 1. Dei'Empireromain ill l'an mil (1985) 230 f(. Ga I. Oe san. tuend. 6, 14; Oribas. syn. 1, 6: A. Rousselle. Der U rspru ng der Keuschheil (19891 25. 28 lf.; r. Brown, Tl1e body and society. Men, women and se.. ual renunciation in early Christianily (1988) 5 ff. gibt einen Überblick. So G. Wöhrle, Studien J:Ur Theoril' der antiken G es und heib;l ehl"f' (1990) 9·16 grundsätzlich, 190 ff. l!:Um Wandel ab hellenistischer Zeit. L Edelstein. The relalion of ancient philc���t•phy lo med.icinr. Bulletin nf the hi9tury of medicin 26, 1952, 29911.; Dera., Antike Diätetik. Die Antike 7, 193 1 . 255 lf., beides in: Andeo t mcdicine. Sclected pilpers of Ludwig Edl'lstein (1 967). Zur Hy pochondril' s. G. W. ßowcrsnck a.O. (1969) 11 ff.; M. Foucaul! a.O. (1984) 166, zusammenfassend 2 70; G. Harig. J. Kolbesch, Ge!iellschaftliche Aspe k te d er a nt i ken Diätetik, NTM Schriftenreihe für Geschichte der Naturwissenschaften, Technik und Medizin 8. 1971, Nr.2, 1 4 ff.; M. Veget li a.O. (1989) 40 1 . Epict . Gnom. 2, 20, 33 ( ... be1nüht sich, scin ,.kJ ei ncs Prublemclwn« IO$ZU· werden und geht ins Bad); 3, 15, 3 {= Ench. 29, 2) (man folgt st"inem Arzt). Plu. 122 B; 130. A. Rou s.'telle a .O. (1989) 22. G uter Ü berb l i ck bei F. Yegül , Baths and bathing in cl.usical anliquity (1992) 352 ff.
34
heitssymptom auftreten 1411, letztlich äußert sie sich immer als Symptom eines allgemein intak
ten uu. Von Mitleid ist dabei kaum die Rede, man schämt sich seiner Unpäßlichkeit 151• Ein gewis
ten Menschen. Permanente künstliche Hilfsmittel
ser Agrippinus l.'ißt seinen Prol!e8 platzen, weil
zur Verdauung sind nicht unüblich 1". I m Alter
er zur Zeit der angesetzten Verhandlung ge
freut man sich über heftigen Stuhl (Gal.
Oe san.
wohnt ist, Körperpflege zu betreiben tu.
tuenda 5,9),au!Reisen leidet man an Obstipation
Es entspinnt sich der lange Diskurs über die
wegen mangelnder Möglichkeilen zur Kör�r
zeitliche und räumliche Festlegungder primären
Aus gutem
Körperverrichtungen, Stuhlgang inbegriffen 153•
sorge (Gal. De san. tuenda 4, 4,
1 1 ).
Grund vermerkte Apollinaris, rnedicus Titi im
Erfindet wirklich in täglichenGesprächen statt 1"'
peratoris, in der Latrine der Casa della gemma
und ist so selbstverständlich, daS die physiolo
in Herculaneum ohne Ironieund erleichtert 11hic
gischen Vorgänge ohne Schmunzeln mit der Entleerung eints Theaters verglichen werden 1 55,
cacavit bene« - sicher ein Ausdruck des
Berufs
stolzes und der persönlichen Zufriedenheit glei chermaßen 1411• Symptome der Verdauung dienen der Über prüfung einer zweckmäßigen Diät, deren Effekt
ja selbst in den dürftigen Texten der Sprachlehr bücher, den Herrneneumata Pseudodositheana, der Latrinengang in die Standardkonversation
aufgenommen wird 156• In den Schriften stellt das
die Ausgeglichenheit von Körper und Geist sei.
körperliche Wohlbefinden den ?.entralen Punkt
Der zutiefst soziale Aspekt der antiken Diätetik
der
ermöglicht das Entstehen einer persönlichen
dar, sei es als elitärer Vorzug eines sonst sorgen
�ida vivenda ratio
des gehobenen Standes
Diätetik und evoziert moralische Interprelalio·
freien Lebens oder als Ergebnis der stetigen
nenH9• Anband solcher Zusammenhänge wird
Selbstbetrachtung 157• Ärztliche Uteraturgibtdem
gelegentlich der Stuhlgang sogar zur Charakte
Gebildeten Leilfäden an die Hand, um selbstden
risierung eines M�nschen herangezogen. Jede
EinRuß seiner Lebensweise auf die Mischungs
Form von gesellschaftlicher Aktivität sei vom
verhältnisse im Körper und damit die seelischen
Gesundheitszustand abhängig. Ein erstes Indiz
Affekte täglich zu überwachen. Der auCfiillig
mit crnsterAuswirkung seienStuhlprobleme, die
pädagogische Ton solchen Schrifttums zielt auf
vom gesellschaftlichen EreignisdesGanges zum
die Selbst-Erziehung 1�. Verständlich, daß auch
Bad mit anschließendem Abendgelage abhal-
MarcAurel bei seiner Nabelschau einen Vorgang
146
147 148
149
1 50 151 152
IS:J 1 54 155 1 56
157
158
Für Ga!. De bon. mal. suc. 3 gilt eine gute Verdauung nls A l l h eil mit tel gegen ;die Krankheiten; mangel hafte Entleerung verursache nicht nur Hod sen tz U ndun gt�" n und Katarrh. auch Poda gra , Lungenent;o;ün
dung usw. laut Ga!. De san. tuenda 5, 12, 1 1 ; Plu. 123 A {;th; V or.t:cichen der Krankheit). Allg. s. A. Rousscllea.O. (1989) 1 8 ff. Cal. Oe s,,n. tuer�da 4, 4, 3. 6; 5, 9; Plu. 127 D; 134 D; Oribas. syn. S, 5 1 . CIL 4 Suppt. :J , 4 (1972) 10619; A. de Vos, M. d e Vos, l'um pe l, Ercolano, Stabia (1982) 2Tl; J. J . Da y, 1-lerculaneum. Italy's buri ed trea11ure. Rev. ed. (1985) 54 Abb. Vgl. C1L 4, 3146 aus Pompeji. G. Wöhrle a .O. (1990) 250; vgl. Plu. 123 C. Die Begutachtung zeigt sich in Plutarchs Anweisung, be im G elage andere nicht wegen ihrer Physiognomie oder ihl't'S Ge ruches zu ä rger n, s. 633 B·C. Plu. 127 E - 128 B (De tuenda sanitate praecepta), vg l . l'lu. 62 A. Ariern. 1 , 64; Plu. 1 24 8-C. Epict. Gnom. 1, 1, 29. Er gehört zu jenen, die ihren Tagesab1auf n."\Ch dem gesundheitlichen Stu nd en pla n cinrichten, s. Plu. 135 A. ln ��ehriftlicher Fonn z.B. bei Frontt1 p. 1 4 1 . 143·144 Ut bene cacaret
�>ich in seiner Erziehungsschrift mit Offenheit
ventrent palpavit Solon« (Um gut zu kacken,
über Probleme des Stuhlgangs 1o.z. Auch die weit
streichelte Solon seinen Bauch). Neben ihm sitzt
gespannten Dinner-Gespräche des Athenaios
Thalcs Meilesios, ebenfalls mit einem Stäbchen.
sind durchtränkt vom Fäkalthema, indem alle
Das Mono lautet hier: �>Durum caQ\ntes monuit
die unzähligen Speisen nach ihrer Wirkung auf
u t nitant ThaJes.. (Die hart Scheißenden mahnte
die Verdauung beurteilt werden.
Thales, fest zu drücken). An der anschließenden
Ob i m wirren Trubel der Deipnosophistai
Wand folgt Chiion Lakedaimonios. Er hält eine
oder i n Plutarchs »Moralia« 11'-', in gehobenen
Buchrolle und doziert. Mit Anspielung auf die
Gesellschaftsrunden der Philiatroi und all jener,
gebotene Ruhe lautet das Motto hier: »Vissire
für die medizinische GrundkE-nntnisse zur allge
tacite Chiion docuit subdolus« (Leise den
stelltt.•n Amphoren mit tcurem Phalemerweingut
Schw,1n1m
am
Hol..:), woraus s i ch die
Umdeu-
paßten .... Allerd ings ist d.it'SE' Deutung zuoffcn
tung des Philosophl·nstabes7.mn Keinigung.'lge-
kundig von den moralischen Vorstellungen und
rät ergibt. Wärt>n dil' Köp(e der Gäste besser er-
sozi,l len Gepflogcnht>iten einer E(X1che der Her
halten, lidk sich dil!i bt'k:umte Bonn1ut über
rendubs bf't"inOußt und findet keine Sti.itze in
Vcsp;�sian.s Mimik a u f seine Wirklichkeitsnähe
der Form der Architektur. Denn dl.'r einfache
überprüfen •u. Die Malereien werden in traia· nisch-hadrianischeZeit datiert, nämlic h vo r d t.•n Umbau des Baukontple:u-s zu Therml•n, als des-
Raum
rechteckige Grundriß mit einer Tür von dcrStm ße p.tßt nicht
zu dcr.utigen Lokt�len, die wir in Es ist vorstcllb.""tr,
Osti.l in griißert>r Zahl kennen .
fortan diente. Da
daß der sp;itew Uml:>au, bei dem der ßt.'SI'mte
der AusgriiberCalza bei ein�:tSondage keineder
unkre l:lereich der Wandmalerei verl..-.rell ging,
typiSrundet (Abb. 15). Die vierte Seite des Rau
führt eilll' so intensiv erlebte Qua!Witswrbt!sse
mes blieb sinnvollerweise frei von Sitzen und
rung hL•rbei, daß selbst dort, wo sie nicht baulich
wurde mit t!inem Waschbecken versehen. Wie
zu bewerkstelligen ist, ein bildlicher En;atz sie
diese Latrine mit ihrer kleinen Abmessung und
suggerieren soll.
5o
a m Gewölbe eim.:r Latrine
trotz eines schlecht funktionierenden Abflus·
im Souterrain a m römischen Clivus VictorikannteCacatorin dner
dediziert wurden. Das PPristyl ist auch in seinen
Latrine von Pompeji wird von 7.wei Schlangen
übrigen Tcilen teuer ausgestattet. Die Wändesind mit Marmor inkrustiert, acht S.'iulen aus hellro-
und einer Fortuna beschirmt (Abb. 5). Die Bei· schrift ••Cacator cave malum .. kann hier nicht
tem ßreccia mit korinthiS(hcn Kapitellen trugen
eine sonst gcln;iuchliche apotropäische Warnung
das Peristyldach. in der westlichen, kleineren
vor Verunreinisungen bedeuten, denn der Be
Latrine mit immerhin 53 Sitzen stützten sechsauf
nutzer soll ja senau das tun, was er an der
hohen &sen stehende Säulen aus Breccia und
Huuswand nicht darf m. Die künstll•rische Aus
Cippolinodas Vordach (Abh. 28). Denn daß hier
schmückung einiger pompejanischer Latrinen
im Gegensatz :t:ur größeren Latrine der gesamte
vergleichbarzahllo!k!n Lararienbildem ... - führt
Boden mit Marmor gepnastert ist, schließt nicht
die göttliche Gestalt nicht ein, um ein ästheti-
203
204
C. Fiorelli, NSc UIHO, 394 f. und T. Fröhlich, larilrien- und Fassadenbilder in dt'fl Vesuvstiidteu. Unter s uc hu nßen zur �volkstümlichen� pt•n•pejilnist erhalten, dafür mPhrf.1ch.
Es handelt sich um die seitlichen Begrenzungen
Sot:. Townley-Sitz in Lon d on aus d t!n Cuacalla- Thennen, A. 1·1. Smith, A catalogut' of sculptur11 in the Dc�M1nent ol Creek !'nd RoiMn ,, ntiquitit"S, 8ritish Museum, 3 0904) Nr. 2517 Abb. 65; 8. F. Cook, The Townlcy Marblt'S (1985) 48 Abb . 44. Denkbar wiiri! die Andeutung funktioniert!nd« Räder, die jedoch in dinem Fall ;1uf Dodcnh;ih11 111\Sctzcn miißten. Smith erwähnt dn weit�es Exemplar. Vgl An m . 4 und Anm. 215 F. N.'lck, Ostiil, Die Antik� 2, 1926, 21R, Abb. 9.
57
Abb. 27. Leptis Magn.l, Hadrillnslhermcn, östlich.'l Bolsenil, t.. lt"9 abords du forum (1982) Abb. ::!7.
Abi>. 29. �ti.l, Utrinc ..tcr Casenna rminus technicuserhielten -""'. in w.:!nigen Latrinen ist figürliche Rächenkunsl erhalten. ln Viennren scheinen dem Zweck der Latrinen ferner zu stehen. DiegE'dankliche Anknüpfung wird dtm noch sinnvoll, weil der Gladiatorenkampf als freilich extreme - Sportart verstanden wurde. Gerade zur Entstehungs1.eit dieser Malereien berichtet Pliniussowohl von Athletenbil�1nissen in privatenPa.lästren undcm>mala(35, 5) als auch von Gladiatorendarstellungen in allen öffentli chen Portiken (35,52). 1n beiden Fiillen sind Par triits von zt>itgcnössi��ehen Heroen des Kampf sportes gctnl'int. so da.ß auch lanuarius in der
Sijpestcijn, 7PE 90, IW2, 246.
59
Abb. 30.
Nilmost�ik a\15 Timgad, Großt> Sii.itho?nntn,
Latrine am Palatin eim> reale Figur gewesen sein wird. Die lk>geist�nmg fürderartige Heldendes T.1ges �rklärt all�rdings noch nicht ihre Verewi· gung in der L,1 triuc. Eint> Lösung biet\"! der Kontext des Zitates bei Pliniu$: Er führt die nlhletarum intngints in einen1 Zug mit den Bild· nissen verehrter Philosophen wie Epikur an. So wie d�.>ren bildliehe Gegenwart eint Sorge um geistiges Wohl plakativ und ständig präsentiert• ..türhen diP berühtnten Sportler die Sorge um gesundheitliches Wohlergehen anhand ihrer extrem manipulierten Körperbildung angespro· chen haben. E.'! i$1 bekannt, daß deren Diätetik
210
A. 6.d lu,
o.'l
l..ltrirw. und Lebensführung cinschlieBlich Stuhlgang und Sexuallt>ben äutkrst penibel überwacht wurdl'n. WM die notorisch gesund"'n Sportler fif;ll�n in der Li:atrinenmalerei VE'rmitteln sollen, steht damit auf der Ebene der einschlägigen Sprüche der Ostienser Weisen. Bemerkenswert ist in beiden Fiillen die Ülx>rhöhung der eigent lichen Leitbilder, eine uns von moderner Propa ganda her v"'rtraute Technik. In den GroßenSüdthermen von Ti1ngad d�kt ein qualitätvoller Mosaikbuden den offenen Teil des Halbrunde� der latrinen·Ellt'l.ir.\ (Abb. 30) 11". Im Mitleiteil war eine Nillandschaft dargestellt.
Lcs ruincs dc TimgaJ (1897) Taf. 25; S. GcmlOiin, Les mo:>aiques dto Timgad. Etude deso:riptivt> To1f. n. 116.
i\Rillytiquc (1969) 1:\4
60
von der außer einem Krokodil nur wenig erhaJ
dem Bereich des Sports und der Sphäre gehobe
ten ist. Das Thema ist in der Africa Proconsularis
ner Privatgenüsse. Darf man hier eine Analogie
nicht selten, in ihrem westlichen Teil (Aigerien)
wagen, wäre zu vermuten. daß ein Teil der Brun nennischen mit den thematisch vertrauten Was
bislang singulär. Sicher darf es als Anspielung auf die Wasserkraft des Nils verstanden werden
serspenderD und Brunnenknäblein gefüllt war,
ohne die Dungproduktion im Fäkalgraben mit
als einer vorrangig im privaten Ambiente der
der befruchtenden Wirkung des Nilschlammes
gehobenen Wohnarchitektur beheimateten Pla
vergleichen zu müssen. Geläufiger, obschonfer ner den Latrinen,. ist allerdings die bekannte
stik. Es versteht sich, daß keine vollständig ver gleichbaren Ensembles existieren, doch sind
Assoziation des ägyptischen Ambientes mit
mehrere künstlerische Elemente dem Umkreis
einem Leben in Luxus, welche das Sujet in
entnommen, in dem dasabendlicheGelagestatt
privaten Gesellschaftsräumen hervorrief 111• Das Bild in Timgad war kein singulärer Ein
findet. Nicht nur anband der Körpersorge im Allgemeinen, sondern durch zeitliche Nähe des
fall. Denn dasselbe Thema findet sich i n einer
Latrinenganges und des Gelages sind beide
ansonsten eher bescheidenen Latrine von Bolse
Räumlichkeiten miteinander verbunden. Dassel be gilt für die Sports7.enen. Da nun Anspielun
na schon im 2. Viertel des 1. Jhs. n. Chr. Ohne besondere architektonische Raffinesse wird die
gen immer nur zwischen Ungleichartigem her
se Anlage zumindest durch Mosaikboden und
gestellt werden können, manifestiert sich in all
Marmorinkrustierung über das Niveau einfach ster Zweckbauten hinausgehoben. Oberhalb der
den beschriebenen Elementen der Ausstattung wiederum ein Bedürfnis nach Verfremdung.
Inkrustation waren die Wände mit einer Nilland
Denn mit dem Stuhlgang haben alle diese Dinge
schaft bemalt 11�. Falls ein Raum neben dem
wenig zu tun. .. Die kulturelle Uberformung der Latrine schafft die soziologisch begründete Distanzie
Haupteingang der hadriani.schen Neptunsbäder in Ostia wirklich als Latrine diente, existiert ein drittes Beispiel; denn auch dort gibt das Boden
rung von den elementaren Vorgängen. Diekünst
mosaik eine Nillandschaft wiedcr21'.
lerische Verfremdung macht Halt vordem Latri
ln der oben genannten Latrine von Apamea waren auf dem Mosaikboden Fische und Reb
nensitz, weil lrotz allem die Natürlichkeit des Defäkierens eben ihrbewußter Inhalt blieb. Doch
hühner zu sehen: an solchem Ort ein passender
nicht überall. Die wenigen, wahrscheinlich kai·
Hinweis darauf, da8 die ohne Zweifel teuren Luxusspeisen zuletzt in der Latrine enden - wie
serlichen Latrinensitze aus rotem Marmor mit Rankenornamenten a n den Auli.!nseiten - Bei
ein bekannler Topos verkündetem. An densel
spiele sind in Paris und im Vatikan erhalten
ben Kreislauf wird man vielleicht nicht zufällig
gehören einer höheren Stufe anm. Mutmaßun
erinnert, wenn in Po.zzuoli dieselben Delphine,
gen über ihre »soziale« Funktion erübrigen sich
welche die latrinensitze schmücken, die zentra le Tholos als Verkaufs- oder Auktionsstand für
angesichts des völligen Mangels an archäologi
Fische kennzeichnen.
schem Kontext. Ist man aber�reit,die Skala der gesamten Nobilitierung auf eine soziale Hierar·
Das Wenige, was wir von der figürlichen Aus
chie an1.uwenden, wird die übersteigerte Ver fremdung jener Stühle zur Ennöglichung kom
stattung der Latrinen kennenlemen, entstantmt
munikativer Bedürfnisse auf höchster Ebene
211
212 213 214 215
Pompejanische- Beispiele' bei H. Eschebach. Die Stabianer Thermen i n Pompeji {1979) 92. In den Jagd thermen von Leptis, !. G. Pesce-, La decora�lonc dcl frigidario deUe piccole terme di Leptis, BdA 1949, 46 ff. s. A. Barbet, Peintures murales trouv4es dans !es latrines e-t le-11 boutiques pre&du forum dl! Bolsena, in: G. Hallier, a.O. (1982) 101 ff., Abb. G. Bl!calli, Scavi di Ostia, 4. Mosaici e pavimenli marmorci (1961) 59 f., Tal. 1 1 8. Vgl. hier Anm. 331. s. Anthologia Grai!Ca (Agath.) 9, 642; vgl. Anm. 109. Nur wenige solcher aufwendigen Sitze sind erhalten, wobei die lierlrunflsangilben noch da;r.u sehr unsicher sind,z.B. iln Louvre, F. de Clarac, Musi!e d e s culpture anliqut>, l. 2 (1841) 993 Nr. 69, Taf. 260; im Vatikan, s. W. A1nelung, Die Sculpturen des Vatikanischen Museums, 2 (1908) 181 Nr. 73 b Ta f. 1\f; 709 Nr. 439 Taf. il; beide bei G. M. A. Richter, The furnitureof thc Grct"ks, Etruscans and Romans (1966) 99 f., Abb. 5tlJ f.; s.o. Aum. 4 und 205.
"
benötigt worden sein. In der entgegengesetzten Rid1tung können die öffentlichen Prachtlatrinen
können. Aber für elementare Bedürfnisse war an derweitig schon gesorgt, und das darüber hin
aus demselben Grund nicht in den Kreis der eu
ausgehende Angebot einer Prachtlalrine wurde
ergetischen Geschenke an die Plebs eingt>Ordnt't
vermutlich nur dann in Anspruch genommen,
werden.
wenn sommerliche Temperaturen auch den län geren Aufenthalt in den sonstigen Freiniumen
Wir sahen, daß der Gang zur Latrine nicht in eine höhere Sphäre führte, doch imml!rhin d as
der Stadt erlaubte. Die urbanistische Unlersu· chung wird unsere Vermutung bestätigen. Der
Ambiente durch artfremde Elemente a l s sozialer
kostspielige Aufwand diente eben noch anderen
Ort akzeptabel gemacht wurde. Ein Teil des öf
Zwecken als der witterungsunabhängigen Not
fentlichen Raumes wurde von Ausstattu ngsbe
durft.
dürfnissen besetzt, die ihrem Wesen nach doch
Wir sahen, daß alles, was über die unverän
sehr privat scheinen. Man sollte daher im Auge
derten praktischen Installationen für den Stuhl
behalten, daß die Beziehung von Privatleben zu
gang hinausgeht, einen längeren Aufenthalt des
öffentlichem Leben sich verändert, wenn der so
Besuchers begünstigteoder mit ihm rechnete. Die
persönliche Aktäußerlich reflektiert und demon
Raumform förderte die Kommunikation und be
striert wird.
rücksichtigte eine
ruslz-hour.
Sorgfalt und Zeit
Doch vorerst interessieren uns an der Okku
aufwand schlie8en weite Bevölkerungskreise
pation des städtischen Raumes weitere Aspekte
aus. Damit wird der Besuch der Prachtlatrine,
des Luxus. Wenigstens in den größeren Häusern
zumal er nicht nur oberflächlich gesehen der
der führenden Bevölkerungsgruppe e)l(istierten
Körperpflege, sondern zusätzlich den distanzie
längst Toiletten, die es überflüssig erscheinen
renden Begleithandlungcn zugute kommt, ein
lassen könnten, dafür zusätzlich städtischen
weiterer Luxus, den sich die gehobene Gesell
Grund zu verschwenden, stünde dahinter nicht
schaft leistet. Die komplizierten ärztlichen Vor
die persönliche
schriften geraten in die Nähe eines Zeremoni
noch ein anderes Bedürfnis
nls
Körperpflege. Verschwendung bedeutete letzt
ells, dessen Sinn unter anderem darin besteht,
lich auch die Vernichtung der menschlichen
durch den dafür notwendigen zeitlichen und
Fäkalien mittels des erhofften reichen Wasser
gedankliche� Aufwand eine weniger augenfäl
flusses, während sie doch grundsätzlich als die
lige Art von Oberfluß vorzuführen. Die freie Ver
beste Gartendüngung galt"" ·
fügharkeil der Zeit erst erlaubt eine Planung des
ger bei der Berücksichtigung der Benutzungs
den »Sozialen Vorteil« (S.
zeiten der Latrinen. Der finanzielle Aufwand gilt
vertreib der Gesunden, sie tun es nicht aus Not«,
einem nur temporär sinnvollen Gebäude. Denn
ein echter Luxus sei das zweimalige Baden am Tag � ' 8 .
Die V erschwendu n g wird noch augenfälli·
die medizinisch orientierte Lebensführung be
Latrinengang es im Tagesablauf. Wir erinnern an
26 f.): »Baden ist Zeit
stimmt nicht nur den Zeitpunkt des Latrinen ganges im Tagesablaufl17. Sie richtet sich zudem
Die tabellarische Übersicht über die Monumen·
nach den Jahreszeiten, zumindest mittelbar
te
durch die klimatisch beeinnußte Benutzung von
Laufe des 2. Jhs. n. Chr. bis ins 3. J h . n. Chr. zu
Bädern und Sportplätzen, in welche die Latrine
steigern, im Gegensatz zur allmählich abnehmen
läßt eine Tendenz erkennen, die Pracht im
zumeist eingebunden ist. Auch vor der Bespre
den Euergesie der städtischen HonoraHoren.
chung der architektonischen Verbindung (dazu s.u. S. 83 ff.) können wir sie erschließen am der
herstellungcn sogar noch prächtiger als vorher.
. Bauform der Prachtlatrinen, die wegen ihrer her
Wenn es zutrifft, daß der Umgang der Benutzer
Nicht wenige Latrinen werden durch Wieder
vorragenden Belüftung in der kälteren Jahres
mit der öffentlichen Latrine deren Ausstattung
zeit kaum noch zu benutzen waren, zumindest
l:>estimmt - und d.11a n ist kaum zu zweifeln-,
nicht als besonders komfortabel gegolten haben
dann sind nicht zwangsläufig die Vorstellungen
216 217 218
Colum. 10, 84-85; Varro rust. 1 , 13, 4; L 38; vgl . hierzu R. Hanggis B.!ml'rkung in: Zur ßaustfUkturder Straßen von Augusta Rauricorum, IbcrA\IßSI 10, 1989, 95 Zum liblichen Tagesablauf mit Spazier!':ang, Bad, Essen s. z.B. Epict. Gnom. 3, 24, 39; s.a. folgende Anm Artem. 1 , 64; l'lu. 124 B-C; 1 27 E - 1 28 A; 655 C ltiigllcher Besuch des Gymnasiums).
62 und persönlichen Ansprüche ihrer Erbauer die
richtet werden, lassen ein anderes Zielpublikum
Ursache ihrer weiteren Verschönerung. Die ein-
erwarten. Ihre Schlichtheit bedeuten nicht man
fachsten Bt'dürfnisanstalten, die gleichzeitig er-
gelnde soziale Fürsorge.
Das Publikum
Kunst am ßau ist zu allen Zl'iten ein Luxus, den
Gebäudeteilen, etwa der Thennen, wird sie ei
die Vermögenden wünschen und finanzieren,
gens angeführt. Somit besteht kein Anlaß, in dt>n
dessen Zielpublikum sie aber nicht sein müssen.
Prachtlatrinen ein weiteres Monument zu sehen,
Für die antiken Prachtlatrinen gilt es, den Kreis
mit dem die Stifter städtischer Pracht sich ins
der Benutzer festzustellen. Wenn aus derselben
rechte Licht setzen wollten 2..'.
Quelle wie die Geldmittel auch die intellektuell�
Über das Zielpublikum des Luxus geben
Rechtfertigung für die weitere Steigerung der
schriftliche Quellen nur unzureichend Auskunft.
künstlerischen Ausst01ttung fließt, wäre zu er
Benutzer der Latrinen begegnen uns dort selten,
warten, daß diese die eigenen ästhetischen An
Selbstzeugnisse in der Form von Graffiti haben
sprücheder gehobcnsten Benutzerschicht erfüllt.
:;ie uns nirgends hinterlassen. Zu Martials
Im Jargon von T. Vehlens »Theory of thc leisure
ven Latrinengästen zählt !;'in Dichter, der wirk
class« hieße das, der Luxus würde im Sinne der
lich dort seine Lyrik zum Besten �ebe. Im Epi·
demonstrativen Verschwendung eingesetzt,
gramm tritt er - falls hinter ihm eine reale Figur
nicht der stellvertretenden. Die
steht -
stellvcrtrerende
fikti·
als A fte rd i chter auf_ andereunrühmliche
Anwendung des Luxus ist ein Grundmotiv der
Figuren in den Epigrammen sind Schmamtzcrm.
antiken Euergesie. Bezüglich der Prachtlatrinen
Der Kern des Witzes ist eindeutig. So lächerlich
wäre eine derartige Unterscheidung anhand des
ihre Motivationen Sl'in mögen, solche Figuren
Publikums zu treffen.
gehören doch zumindest einer Bevölkerungs·
Aufschlüsse könnten Kleinfunde aus den
gruppean, die den Kontakt mit höheren Kreisen
Fäkalgräben vermitteln, zu denen jedoch bisher
sucht. Heide, der Dichter und der Schmarotzer,
keine chronologisch auswertbaren Stratigraphi·
rechnen dort mit feinerem Besuch, der antike
en publiziert sind m. Ein denkbnrer Umweg ist
Leser vermutlich ebenfalls. Wie jene Latrinen aus
die Friige nach dem Bauträger. Wir werden spä
gesehen haben könnten, erfahren wir leider nicht.
ter den Namen von hohen Amtsträgern begeg·
Ebenso weni� kennen wir die Latrine, in der
nen, die für die Bauausführung verschiedener
Lucan allzu geistesgegenwärlig ein donnerndes
Projekte mitsamt den darin enthaltenen Latri
Geräusch mit einem neronischen Ver.; kommen
nen verantwortlich zeichneten; euergeHsehe
tierte (Suet. vita Lucani). Wir können nur erschlie
Leistungen erbrachten sie hier nicht, denn die
ßen, daß sie von Leuten isen als die Necess.1ria
nn
221
eine Mitwisserschaft in Gefahr zu geraten. Die Sellae Paterdianae in Rom wurden von einem
Mart. 1 1, 77; 12, 6 1 .
die Cura r
63 gewissen Aethon aufgesucht, welcher als sozia
ßen lassen. Ein kleiner Einbau in der Latrine des
le Kunstfigur irgendwo zwischen den noblen
Asklcpieions von Kos ist ausgesprochen singu
isfm.
Auch
lär und könnte an dieser Heilstätte ehenso mit
diese offenbar stadtbekannte Latrine bleibt fU.r
ärLtlichen Hilfeleistungen zu tun haben. War der
Kreisen und der Plebs anzusiedeln
Conductor tatsächlich während der
uns ein Phantom.
Ö ffnungs
Es kann allerdings nicht verwundern, daß
zeiten präsent, dann bestand seine Hauptaufga
namhafte historische Personen gehobenen Stan
be wenigstens nicht nachweislich in einer Kon
des selten bei Latrinenbesuchen beschrieben wurden. Ihnen diente die Literatur, unsere
trolle des Zugangs. Auf eine weniger unmittelbare Kontrolle
Ü berwindung des
mußte dennoch nicht verzichtet werden. Fronto
grundsätzlichen Abscheus, in der gleichen Wei
beschreibt die Vorkehrungen, welche in priva
Schriflquellen, als Mittel zur
se, wie die Latrinen nobilitiert und im Stadtbild
ten und weniger privaten Gebäuden eine Aus·
isoliert wurden. Anders die zahlreichen Neces
wahl der Besucher ermöglichtenm. Daß privat
saria und Straßenurinale, die in ungenierter
betriebene Bäder durch Türsteher, Eintriltsgel·
Direktheil und ohne tiefe Reflexion von der
der und Schlösser geschütT.t wil.ren, ist allerdings
Masse der Bevölkerung aufgesucht wurden.
selbstverständlich. D{'r Wert der Quelle best{'ht
Bevor wir angesichts solch dürftiger Ergeb
aber darin, daß Fronto diese Beis piele in einem
nisse versuchen, an den Monumenten Hinweise
Diskurs zum Verhalten anführt. Denn er will an
auf ihre Benutzerkreise zu entdecken, müßte ein konkretes Ausleseverfahren überha u pt erst
ihnen demonstrieren, wie notwendig eine An· passung des Verhaltens an das Ambiente seF�.
nachgewiesen werden. Doch die Suche nach
Soll sie erfolgreich sein, bedeutet sie zugleich eine
geeigneten Vorrichtungen an Latrinen ist erfolg
Restriktion des Publikums, die bereits beim
los. Sollte �ne Restriktion des Zuganges durch
Anblick der Gebäude automatisch in Kraft tritt.
handfeste Kontrollen erfolgt sein, ist sie zumin·
Auch ohne konkrete Barrieren mußte sich das
dest baulich nicht faßbar. ln der archäologischen
gesellschaftliche N iveau einer Prachtlatrine
Literatur wird sie des öfteren mit derselben
wenigstens i n groben Konturen durch ihre for·
Selbstverständlichkeit, mit welcher mi'ln die heu·
male Erscheinung und das ihrer unmittelbaren
tige Klofrau erw p. 246-251 (Nabcr) Apul. flor. 1 8 trilgt in der
Curia
�digna« vor, in dl!t Bibliothek »erudita«.
64
Abb. 31; Perga mon,
Duv�llatrine im Asklepiw-Hl'iligtum.
Stellung d1.•r Frau zugleich gesellschaftlich defi niert wird. Bei öffentlichen Prachtlatrinen ist dann eine Unterscheidung nach Besucherkreisen zu erwar ten, wenn sie .1 ls Doppelanl,1gen errichtet wur den. Sie sind selten. Wir bcg1.-gnen ihnen in Poz ZU(lli und in den Hi'ldriansthermen von Lcptis Magn..1 . In beiden Fälh.>n ist man geneigt, die Ver· doppelungdem erwähnten Kriterium derpraclu vollen Größe zuzuschreiben. Im Asklepiei(ln 01ußerhalb l,ergi\mons wur de im 2. fh. n. Chr. t>benfalls eine Doppelanlage errichtet (Abb. 31). VomgemeinsiUllcn Vorraum nus sind übt!r ein 7.weitcs Vestibül eine 40 Sitze fassende Latrine und dane�n l'inc kleinere mit 1 7 Sitzen zugänglich. Sie unterscheiden sich er heblich. Während die gröGen,• mit einem Licht· hof versehen ist, in dem 4 Säulen mit korinthi· sehen Kapitellen dAsGt-wölbt>überdem Un,gang tragen. fehlen bei der kleineren Dachstützen. D.1· mit ist zwar nicht ausgeschlossen, daS sie über eine wenigereffiziente Dachöffnung belüftt't und belichtet wurde, trotzden' wirkt sil! lR'SCheide ner. Sie wird deoshalb gerne von standardi
deutlichem Willen zur Rcprascntation neu gt.'
sierten Modeihm läßt sich dcnnuch nicht konst,l
staltet wor.ien. Er:;tt:inigeZcit spätcr, im 2. o..tcr
tieren. StattdL�St:n kgt die jo:.· weiligc Kombinati
beginnenden 3. Jh. n. Chr., schritt man 7.Ur Ein
on lx�timmter LuxuselEe.schluß
festzustellen, um dCtta n eine soziale Gliederung
VOrßelegen haben muß. ßeide okkupieren Stra
der erwarteten ßesucher nachzuweisen.
Benraum, weshalb ein kommunales Projekt zu
Beileibe nicht alle neuen Großbauten zur
vermuten ist. Die größere der �idl'n Latrinen
Glanzzeit der Lenfalls die
wiederspiegelt Nicht ohne Grund, wenngleich
vorhandenen Leilungen ilusnut�enn.. Die Säu
übertrieben, wirkten sie auf Zeitgenossen wie
lt'n dt'S Vordaches über d.en Sitzen waren aus
ganze Städte. Unter diesem Aspekt wäre eine
lokalem Sandstein gefertig, die Wände mit vege tabilen Motiven bemalt. J:Jerartige Lösungen bieten in en;ter Liniejene Vorteile einer guten Splilung und Belüftung
Bestandsaufnahme der zahlreichen Latrinen und Toiletten in der Villa Hadriilna lohnend. Ein rascher Überblick erbringt eine größere Zahl vo11 Einzelklos i n den prächtigsten Bereichen
sowie ausreichender Belichtung, d i � wir als
der Villa. Ihre Ausstattung scheint dem Luxus
Hauptmerkmale von Prachtlatrinen feststellten.
der angrenzenden Räume angentessen gewesen
Wenn auch der ästhetische Luxus von Nym
zu sein (Piaz7..a d'oro, lnselvilla, sog. Bibliothe
phäen und Statuennischen fehlt,.so schafft doch
ken, Winterpalast, Kanopos). Größere Gemein
die regelmässige AusstattUnf; mit Säulen und zu
schaftslatrinen finden sich bei den Kasernen und
meist Wandinkrustationen eine deutliche Ab-
im Hospitium, dort in der Art der rustikalen
234
F.bcn.�o in
Marti�ny
"
Anlagen. Mehrsitzige Latrinen, ebenfalls in ein facher Aus�tattung, gibt es in den Thennen und oberhalb des Kanoposm. Ohne Zweifel hieltsich in der Rt"Sidenz zeitweilig eine größere Schar hochgestellter Persönlichkeiten auf. Dem indivi duellen Gang zur Toilctte war ein edles Gehäuse zugebilligt, Erwartungen auf gesellschaftliche ErPignisse hingegPn c.>ntstomden auf der Latrine nicht. Denn prächtig� Großlatrinen fehlen. Soll· ten wir daraus schließen, daß Plaudereien über Verdauungsprobleme dem Verhalten des höch· sten Range$ nichtangemcs.scn w,,�n? Da.s li'ltente Problem. die Sorge
zu
übertrf:'ibcn, schreiben
unsere Quellen ja dem höchsten Stand 7.U. Gera de die Tatsnche, daß wir auch davon erfahren, spricht allerdings gegen eine Deutung der kaiser lichen lsolierungimSinne verstärkten Intimitäts· bedürfni�SC!>. Stattdessen könnte die Verkleine rung der Latrinen einfach die innerst!i vom Rang bestimmte Exklusivität des Besucherkreises an·
Altb. 34. Rom, L..'trin� ct.. r
Domu�
A.uguslana.
zeigen. Nur damit erklärt sich diP Form einer jüngst in der Villa Hadriana nahe den sog. Bi
drl'i marmorne I..A t rincnsit7.e eingefügt. Wie in
bliotheken entdedten Latrine: In dem prächtig
der Villa Ht�driana weicht diese Anlag�ineinem
ausgestatteten Raum sind nur zwei Latrinensit ze frontal einander gegenüber angeordnet.
wichtigen 1\Jnlt von alll'n öf(entlichen I...a trinen ab: DiedurchlAufende Bank ist von Einzelsitzen
Die L.,trinen auf dem Palatin könnten solch eine ldzte Distinktion bestätigen. Im domitia
in Nischen ersetzt. Ihre Anordnung im Ht�lbkrcis hzw. eint�nder gegenüber fördert i'!.bcr st:"lbst hier
nischen Kaiserpalast stand den1 Personal eine
die Kommunikation und schließt denkbare Inti
Latrine mit 60 Sitzen im Untergeschoß des
mitätsbedürfnisse aus - die Domitit�n bekannt·
be
riichtigten Tridiniums zur Verfügung, Bondis
liehbei anderen Tiitigkeitenbcsaß1•. t::Jer Einbau
t>ingt�ngs erwähnte »Aufzuganlage«. Sie ist dun
von bequemeren und prächtigeren Ein7.l'l�it7.en,
kel, schlecht gelüftet und nur mit den notwen
die Aufstellung einer Statuengalcrie, trliibcn die
digsten Einrichtungen versehen�. Aus Zeich nungen und Beschreibungen ist eine weitere
weiter. Der Vollständigkeit halber sei eine Wo?i·
Latrine bekannt. die
tere, solitäre Lmpeltcs Blei·
Ma)(entius an d e r Siidwe�t-Ecke d e s Palatin
rohrist sie in domitianische Zeit datiert. in einer
entstand. Benutzt wurde sie sicherlich von den
Apsis, in deren Boden ein flaches halbrundes
höheren Chargen des kaiserlichen Gefolges. Als
Becken eingelassen ·.var, waren in zwei Geschos·
Rundbau erfüllte sie in vollkommener Weise ein
sen je drei Nischen angebracht. Dil' oberen l'nt·
Kommunikationsbe-dürfnis der Benutzer.
hielten vermutlich Statuen. in die unteren waren
235
236 237
238
Eino? Hierarchie der Baufonnen und Ausge-
s. M. Ut-blacktr, Das Te�ttro marittimQ in der Villa H.1driani'l {1985) 1 7 f. 2 1 . 48; Anm. 124 (�og. Biblio thckt>n, dazu dt-mn1ithst M . Kleibrink}; A. Nibby, Dcscrizionedelb Villa Adriana (1821)32; R. La ntia ni, Ruins and exc.wations of nncient Rome (1891) Abb. !5. G. CllretiQni, N S c 1949, 6S ff.; s. A n m . 1. G. A. Guatt.ani, Roma d�Krina ed illustnta, 1 (1805) 51 f. Nr.l l ( = 13); im Auszug wit'dergegebt.on u11d abgeb il de t bei H. Deglane, U. p.lh\is dt"S C'k11rs au ml'!Ot Palatin,Ca�l#lte archiologique 1�. 1888, 146 f., Abb., Taf. 21, und bei H. Th&lenat in Darernberg - Saglio, 3, 2 (1904) 988 . Abb. 4362. Eine Latrine in der Domus Aure.a unter den Titusthcrmcn erwähnt E. Q. Visconti, DCom I, 18n-?3, 243. Zum Vergleich: J'hilip V. und seine Gemahlin Elisabt>th Farnese be$ut h ten die LAtrine ge•nein!lll nl, s. Nachweis bei J. Car�-opino, La vie quotid ien n e ,\ Rome .'1 !'rt, 191 1-1912, in: WalPrmilla and nrilitary worka on Hadrian's Wall (1976) 133 ff. Weitere bei J. Ward, Romano·British buil d ings and earthenworks (191 1 ) s.v. latrinto5; V. E. Nash-Williams, The Roman legionary fortress at Caer\eon, Munmouthshirc (1946) 22 H.; 0. Bantz, Kastell Hesselbach und andere Forschungen am Odcn waldlimes (1973) 43 f., Anm. 93; H. v.Petrikovits, Oie Innenbauten römischer Uogionslager während der l'rinzipatsu-it (1975) 106; R. Birley. Vindolanda. A Roman frontier post 1111 Hadriiln's Wall (l!:ln) 88 f. 95, Abb. 20; P. T. Bidwell, The Rom a n fort of Vindlllanda at Chesterholm, Northumberland (1985) 50 !., Abb. 2U; I . Nielsen, Thermae et b;.lnea. The archllccture and culhrral hlstory of Roman publlc baths (1990) 80; 0. dc Ia Bl!doyere, The buildings of Rormm Britain (1991) 59 f.
71 wie wir sie definiert hatxm, aus�chließlich ein
Ephesos w id�' r iegt zu werden. Offensichtlich
Gebäude des frei zugänglichen städtischen Rau
gestaltete sich dit' tägliche Praxis weniger sc he
mes sind. Sobald der bauliche Kontext enger
matisch als die zugrundeliegenden Theorien,
definiert wi rd und sich das Publikum eher zufäl
mmal da die Mittel zur PublikumsabgrPn7.ung
lig als gerielt beim Stuhlgang 1.usammenfindet,
wenig handfest waren. Doch eine soziale Durch lässigkeit des Systems würde nur Ausnahmen erklären. Berücksichtigen wir stattdessen die
wirJ n u r mehr
ein
schmuckloser Zweckbau
angeboten. I n den Prachtlatrinen wird demzu
folge ei ne übergeord ne t�·, eben sozide
tigcr wird das Publikum. Desto problematischer
rung des Platzes durch Portiken, Schranken und
wird fürunsdie nachträglichcZergliederungder
Denkmäler, existiert eine vertikale. Hoch oben
Besucherströme, bei der 1.udem die Tageszeiten
be-findet sich an Giebelfeldern, die politische und
7.U
berücksichtigen sind. Ganz besonders gilt das
religiös� Bilder tragen, die Sphäre von Staat und
fürden ze-ntralstenStadtbereich, den in der Regel
Staatsgöttem. Immer noch um Meter über das
die Zone um das kommunale Forum konstitu·
PflSUnde Körperentschlackung bei Bad
gewesen zu sein. je nachdrücklicher das Forum
oder Sport f8nden. Für sie empfiehlt er eine stren·
(Oe
allein von staatlicher und religiöser Architektur
bon. mal.
geprägt ist, je weniger an .zivilen Aktivitäten
suc. :Z. 1 ) :1§4. Man kenne die ungemütliche Situa·
die zunehmende Häufung und das dichte Ar
ge Diät und stärkere Entleerung
tion, wegen politischer �häfte momentan
rangement von Ehrenmonumenten zuließen,
seinem Bedürfnis nicht nachgehen zu können
desto seltener findet
mitsamt der folgenden Blockade und schwersten
zahlreicher dagegen sich in den Randbereichen
Gesundheitsschäden (Oe san. tuenda 6, 10, 35).
oder unmittelbar anschließenden Zonen funk
sich
eine Prachtlatrine. Je
Nur besondere Naturen könnten durch Schwit
tionell diversifizierte Bauten ansiedeln, umso
zen während des Herumlaufens und Streitens
sicherer ist mit einer PrachtJatrine zu rechnen.
genügend schlechteSäfteabführen ( De san. tuen
Körpersorgen und Geschäftssorgen treten bei
da 5, 1 1 , 21·22).
Galen in einen Konflikt, dessen Lösung in einer
Wenige schriftliche Quellen veranschauli-
253 254 255 256 257 258
räumlichen Verhindung bewerkstelligt wurde.
Eiru- weitere wird vennutet im Ostßügel der Stoa des Theaters, s. J. Johnson, E11cavations al Mintumae, I (1935) 60. Nonnalerweist' bt'!lchränken sich Amts- und Ge5chäftstätlgkl!iten auf den Vormillag, su !'Iu. 284 D. AE 1978, Nr .1 3 1 von 51 n.Chr. s. Zeugnis der Pa pyri zu Ale11andria bei S. Daris. Alet9andria d'Egitto. Un mito ? Paideia 45,1990, 1 03 ff. 1 1 5. Dig. 42. 4, 7, 1 3 (Uiplanl. Zu penönl iche n Intrigen und Kontakten s. Apul. apot. 59. 82. Wc.r Nwachsen wird, �ht nm Markt auf und ab laut Epicl. Gnum. 3, 5, 3-4. Ausführliche Bet!chreibung der Vormittagsgeschäflc in den Hermc. neumata von Sponheim, s. A. C. Dionisotti, From AU!k)niul"' schoold.ays ? A schoolbook and its relativl!!l, JKS 72, 198.2, 83 rf.; A. Ciardina, L'impem e il tributo. GI\ Hermeneumata di Spanheim e- alhi testi, RFil 1 13, 1985, 307 H. P. Veyne in: Hi5toirede Ia vie privl!e, 1 . Oe l'empire mma i n il l'an mil (1985) 123 wen det ncuzcitliche Bewertungen der Arb!! i t an, wenn er als Kennzeichen der Ober.�ehicht das Ni ch tstun be zeichnet.
71
9
Abb. 37. Side, kaiserzeitliche Agora.
ID
;p
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-40
10 "'
711
Denn für einen Latrinenbesuch, der den bisher festgestellten Bedürfnislien einer gehobenen Schicht entgegenkam, war in dengehobenen Ge schäftsvierteln der Städte gesorgt. ln Side befindet sich die bislang einzige be· kannte Prachtlatrine der Stadt an der kaiserzeit lichen Agora (Abb. 37). An ihrer a�hitektoni· sehen Fonn ist zu erkennen, daß sie als integrier ter Bestandteil der Platzanlage geplant worden war, wenngleich der Zugang von dort verbor gen Ist. Ein zweiter Eingang ist vom äußeren Umgang des benachbarten Theaters aus zu er reichen, welcher damit als Erschließungskorri dor vom eigentlichen Hauptzugang an der vor beiführenden Säulenstraße dient. Die Latrine ist als Baukörper in die Agora integriert, funktional hingegen auf die Außenseite hin ausgerichtet. Der dortige Abschnitt der Säulenstraße wird durch Bögen und Nymphäen als wichtigstes öffentliches - nicht staatliches - Zentrum mar kiert. An der monumentalen Eingangsfront der Agora ist die beste Geschäftslage 7.U erwarten. Dazu paßt ausgezeichnet, daß einer der Läden hinter der Portikus durch eine Mosaikinschrift als Arztpraxis bezeichnet winfl�. Das Flanieren bei den Läden der Salbenhändler. der Gold schmiede und der Wollhändler spiele die zen trale Rolle im Tagesablauf der Jeunesse dorle, kritisiert der Propagandist der feinen Zurück haltungl'O. Regelmäßig finden wir in gleicher Position an der Außen:;eite der Forumsbebauung Laden zeilen eingerichtet, deren gehobenes Niveau sich in der Installation von Nymphäen oder wenig stens Brunnen zu erkennen gibt. Solchem Ambi ente, das dem Forum verbunden und gleichzei tig von ihm abgewandt ist, sind die dortigen Prachtlatrinen zugeordnet. Wenn an der ViPille Place von Thubursicum Numidarum eine grö ßere Latrine am Treppenaufgang zur eigentli chen Platea eingerichtet wurde (Abb. 38), und
259
l�ul freundlichem 1-linweis
zwar zu einem späteren Zeitpunkt111, darf das nicht als ein verschämtes Verstecken aus dem Sichtkreis des Zeremonieplatzes mißverstanden werden. Als Versorgungseinrichtung ist sie näm lichauf den forumsnahen Abschnitt einer Haupt straße ausgerichtet, die zum Eink21ufszentrum für gehobenes Publikum wurde. ln Bulla Regia vereinten im 2. Jh. n. Chr. zwei parallel angeord nete Plat7.anlagen fast alle wichtigen Funktions5lättendes Stadtlebens (Abb. 39)2oz. Während der östliche Platz eindeutiger auf die politischen und religiösen, d.h. zeremoniellen Belange zuge· schnitten ist, wirkt die sog. DeuxiCmc Esplanade bürgerlicher. Wir linden dort z.B. ein kleines Bad und einen Exedraraum für repräsentative Ban· kette. An der Südwestseite der Basilika - und damit zum Außenbereich zählend - sind die Reste einer Latrine, die wir anband ihrer Größe und der Säulen der gehobenen Klasse zurech nen dürfen. Der nur oberflächlich freigelegte Bereich gibt an der vorbeiführenden Straße zu minde!lt noch Spuren eines Nymphäums zu er kennen. Beispiele für solch eine Anordnung sind zahl reich&�. Wir finden sie auch 5Chon früher als in den nordafrikanischen Städten dPs2. Jhs. n . Chr. Die Prachtlatrine wird nicht etwa als fertige Ein richtung auseinem anderenAmbiente übernom men, sondern für eben jene Ansprüche ent wickelt, die sich im gesellschafllichcn Treffpunkt des besseren Stadtpublikums geltend machten. Schon als im 2. Viertel des 1. Jhs. n. Chr. das Stadtzentrum von Bolsena neu gestaltet wurde, bemühte man sich um eine angemessene LatrinP (Abb. 40). Das Ergebnis wurde oben beschrie· ben. Für die Verhältnisse einer mittelitalischen Kleinstadt darf sie durchaus als Prachtlatrine gelten. Sie wurde in die gedeckte Forumspassa ge gelegt, unmittelbar an die Ecke zur Rue des boutiques hin. Die häufig zu beobachtende Lage in solchen Passagen bot neben einem abgeschirm-
der Ausgräberin Y. Inan. Wer gerade nichts zu tun habe, gehe ins Theater 9, 20. An der Agora sitzen die Drogisten mit Reklameschil·
oder ruhelo.s hin und her, s. Epict. Gnom. 3,
dern, s. Epict. Cnum. 3, 24, 80. Zu den Zentren von Side s. P. Grus, M. Torelli, Storia dell'urbanislica. Ii munde> romano (1988) 406.
260 261 262 263
Cl em. A l . Paed. 3, 74. 4, wo7.u auch die �Jagd auf weibliche PaSSilnten• gtohörc. Viellckht im Zuge einer Restaurierung der Platea vetus 1nit Randgebimden und Cellae, s. S. Gseil,
lnscriptic>ns iatines de I' Algl!rie, I (1922) Nr. 1273, u m 326-333 n.Chr. ÜbeTblick bei E. M. Ruprcchtsberger. Bulla Regia, A W 1 6, 1985. Nr.l, 13 ff. s. l-l i ppo Regius, Perge. Minturnae, Pola; in Philippoi am römischen Forum i n einem Erkraum v er mutet aufgrund toiner 3 -si trigen Platte und clncs AbßuBkanah;;, s. P. Cnllart, Phitippes, ville de Maddoiue (1937) 356, Taf. 54.
FORUM NOVUM
Abb. 38. Thubursicum, Vieill� Place und Forum NovUm.
Abb. 39,
Bulla Rcgia, Esplanades.
BI
BASILICA FORUM
AUE DES BDUTIQUES
m\\ob0 ---'
=,._______, Abb. 40. Bolsena. len Eingang die Möglichkeit, die Benutzung
I
'-----='----"'--" .. .
die Pos.itionierungdE'I" neuartigen Prachtlatrinen
durch Absperrungen zu regulieren. Der 6ingang
an den Treffpunkten der eleganten Gesellschaft,
der Passage in Bolsena war durch ein Gitter zu
die d a m i t nur aufgewertet werden konnten
verschließen, in Thubursicum (Vieille Place), in
(Abb. 35).
.
Side und in Philippoi sind solche Vorrichtungen
Keinesfalls steht der geschlossene Laden
%u VE'I"mulen. Dadurch wurden die Latrinen aus
komplex der Römischen Agora auf der Stufe
einer freien Straßenflucht ausgeklammert und
der Lebensmittelmärkte. Viel eher ist er mit dem
einer Übforwachung unterworfen. die allerdings
sog. Macellum von Pozzuoli zu vergleichen
in erster Linie dem anschließenden Forum galt.
(Abb. 41 ), das alle üblichen Macella an architek
Geschäftszonen suchen die Nähe des staat
tonischer Pracht in den Schatten stellt. Der Kai
lich-repräsentativen Zentrums, ohne von ihm
serkultbau, der ihm den Rufnamen Serapeion ein
funktional abhängig zu sein. Bei einer umfang
brachte, und die Ausstattung mit Mannorskulp·
reicheren Stadtfläche können sie skh verlagern,
turen mythologischer Sujets entfernen ihn noch
die Latrinen wandern mit. A n der traditionsrei
weiter von dem vormittäglichen Treiben. das ein
chen Agora von Athen standen zur Kaiserzeit
üblicher Fisch· oder Gemüsemarkt bot. Zudem
außerhalb der SW-Bäder zwei kleinere und be
ist in den Flügelbauten jeder zweite Laden nicht
scheidene Bedürfnisanstalten an derSüdwestek
auf den Innenhof, sondem auf die außen umlau
ke und neben der Attal.os-Stoa zur Verfügung .. .
fenden Portiken geöffnet. Ohne �ine detaillierte
ln einer ganz anderen Größenordnung hingegen
Bauaufnahme lassen skh die Gründe für die se
trafen wirvordem Eingangzur Römischen Agora bereits auf ein zweites sehr frühes Beispiel für
ten. Sicher gewann sie durch die aufwendige
2&4
verisch� Umgestaltung der Anlage nur vermu
s. Taf. 8 bei H. A. Thompson. R. E. Wycherley, ThP Agora of Athens (1972); Tbc Athenian Agora. A guide to the- excavation and museum• (1990) 58. Die Datierung scheint rechl unsicher zu sein.
" In vielen Fällt!n sind diese Latrinen an Säulen hallen angeschlossen. Porliken waren als multi funktionaler Bautypus zunächst in Heiligtümern entstanden und wurden von dort unter Beibe haltung ihres nobilitierenden Wertesauf profane Platzanlagen übertragen. Von dort verlagerten sie sich weiter auf die Außenseiten der Fora, zunächst a m hervorgehobenen Abschnitt des Decumanus. Als sich in der hohen Kaiserzeit die fürdas bürgerliche Leben wichtigen Aktivitäten vom Staatsforum lösten, wanderten die Portilten gleichsam mit in die langen Fluchten der Laden uilen. Wir werden in Thamugadi zuerst einer Prachtlatrine an der Portikus vor dem Forum begegnen, und später einer architektonisch noch viel aufwendigeren an der neuen Prachtstraße außerhalb des sog. Castrum lll�. DieZunahme von Säulenstraßen in der kaiserzeitlichen Stadt ist also Indiz für eine Verlagerung des gemeinschaft lidten Lebens von polilischen auf privatgeschäft Abb.
41. Pozzuoli, q. Serapeiun.
liche Areale. Latrinen wandern mit und unter streichen i n der neuen Aufmerksamkeit, die ihnen gewidmet wird, jene Verschiebung der
Tholos int Zentrum und den Einbau des Tem
JnreressenZW. Jm 2. Jh. n. Chr. entstand z.B. die
pels an Prestige. Die auffällige Umorienticnmg
enonne Latrine von Apa.mea an der Rüdeseite
der Läden könnte mit einer ökonomischen Wand
eines Nymphäums an der großen Kolonnaden
lung eines früheren, echten Maceilums in Zusam
straße.,.
menhang stehen, nachdem sich i m späteren
Sobald die enge Bindung an das topographi
I. Jh. n. Chr. ein großerTeil des Femhandel:; von
sche Stadtzentrum entfällt, werden Kolonnaden
Puteoli nach Ostia verlagert hatte. Der Baukom
stra8en und zugehörige Latrinen auf eine sozio
plex wäre mitder Veränderung seinerwirt.scbaft
logische Viertelbildung beziehbar. I n Kos ent
lichen Funktion zugleich auf ein höheres sozia
stand die besprochene Prachtlatrine erst am Ende
les Niveau angehoben worden. Ein zunehmen
des 3. Jhs. n. Chr., viel später als die gegenüber
der Bedarf an luxuriösen Einkaufszentl't'n, die
liegenden Thennen. Der Decumanus wird in die
sich :.�:u Flanierviertcln entwickelten, ist i n der
sem Abschnitt von Läden gesäumt, sogar eine
mittleren Kaiserzeit häufiger festzustellen. Wir
weitere kleine L.1trine trifft man an. Die Pracht
erinnern an die Saepta im römischen Campus
latrine wurde, nach Ausweis der abgetretenen
Martius, diesich nachder praktischen Auflösung
Schwelle, über eint" lange Zeit hin stark frequen
der Comitien ;o;u einem fn:izei.toricnti�rten Zen
tiert. Wie in Apamea hielt man sich noch bei einer
trum entwickelten, das noch nachmittags von der
späteren Restaurierung an das hohe Niveau der
High Society frequentiert wurdeHS. An gehobe
Ausstattung. Der Decumanus bildete zur glei
nem Publikum herrschte in Pou.uoli sicher kein
chen Zeit das Vorfeld der luxuriösen Stadtpalä
Mangel. In ein derartig zeitlich und sozial defi
ste von Kos. Jene verfügen alle über große Ge
niertes Ambiente fügen sich die beiden Pracht
meinschaftslatrinen a m Vestibül. Es wii.re nicht
latrinen bestens ein.
nötig gewesen, das noble Viertel mit einer hygie-
26.'5 266 267
268
Mart. 2. 14; J, 2U; ':1, 59; Ov. ars 1, 67; 3, 387; Sen. dial. 1 , 5, 4. s. 1 1 3 ff. 1 18 . D i e zunehmende Distanzierung des öffentlichen Alltaplebens v o m Forum sowie d i e eingeschränkte Öffentlichkeit des politisch·reli.giÖtien Zentrums im 2. Jb.. n. Chr. be5C'breiben H. J. Schatii!S und J. Ein garlner in: Die römi5Che Stadl im 2. Jnhrhunderl n.Chr. Der Funktionswandel des öffentlichen R.1umcs. Kolloquium in xantcn 1990 (1992) 183 ff. b?.w. 213 ff. s. P. Gros, M. Torelli a.O. (1988) 418 zur Neugestaltung.
" nischen Gemeinschaftseinrichtung von adäquatem Äußeren zu versehen, hätten nicht die Domini eine Stätte der Begegnung gesucht. Sie
befindet sich nicht zufä.llig in der Nachbarschaft der Thermen. Die weitaus meisten Prachtlatri nen sind a n Thermen angeschlossen.
Thermen
Die prächtigsten Latrinen von Leptis Magna wurden im Zuge des Ausbaus der Hadrians thermen eingerichtet (Abb. 42). Die zur gleichen Zeit den Thermen vorgelegte sog. Palästra mit weiten Exedren kann allein schon wegen ihrer zahlreichen Zugänge kaum noch primär als Sportstätte bezeiclmet werden 2611 • Wie eine Platz anlage erschließt sie die bauliche Umgebung, etwa die östliche der beiden Latrinen Wld die Ladenreihen, welche die Thermen im Osten säu men. Für die Urbanistische Struktur von Leptis bedeutetdie severische Erweiterung, zu welcher der nordöstlich angrenzende Platz mit einem prächtigen Nymphäum zählt, eine Verschiebung des realen Stadtzentrums vom bisherigen Fo rumsviertel. Sie geht einher mit der Anlageeines neuen Wohnviertels westlich der Thermen. Von dort aus war die westliche Latrine ideal ange schlossen. In dieserWeiseentstand ein neuesSub zentrum, dessen Hauptbestandteile Thermen, Säulenstraße mit Läden und Nymphäum aus schlieBiich an unpolitische Tätigkeiten geknüpft waren. Aus diesem Grund wurden hier zwei Prachtlatrinen angeboren. Dieses erste Beispiel führt uns vor Aug.m, daß die räumliche Verbindupg mit Thermen wie bei den Fora - auf eine Kombination ver schiedenartiger Zwecke und Ansprüche zurück geht. Die Prachtlatrine zählt [olglich zu den
"' 2 70
Vg l .
F.
marginalen Raumangeboten, wie bezüglich der Geschäftszonen bereits deutlich wurde. Wir wer den bei der folgenden Beschreibung der Ther men-Latrinen darauf achten, wie Bedürfnisse der Körpersorge mit !Iolchen des gesellschaftliclten Lebens unter ein gemeinsames Dach gebracht werden. Die Verbindung von Bad und Latrine, so zweckmäßig sie uns aus hygienischer Sicht er scheinen mag, ist nicht selbstverständlich. ln Privathäusern nämlich befinden sich die Aborte nach wie vor in oder neben der Küche, häufig an den Vestibula, viel seltener im Badetrakt Nicht unerheblich bei ihrer Installierung sind 7.Weifels ohne die wassertechnischen Voraussetzungen der Entsorgung und Zuleitung�. Doch der ßa. devorgang wird offenbar nicht immer und grundsätzlich mit der Körperentleerung verbun den. Zwar finden sich im Innenbereich der Ther men gelegentlich Aborte; sie sind jedoch immer klein und bescheiden in der Ausstattung171• Eine ganze Reihe großer ThermenanL"Igen hingegen verfügt nachweislich über keine fest installier ten Latrinen 272• An Privathäusern S."lhen wir, daß die größten Gemeinschaftslatrinen häufig gemäß den Benutzerkreisen an den Vestibula lagen. Für anspruchslose Thermenlatrinen gilt das gleich falls27J. Aber auch die Prachtlatrinen befinden sichimmermehroder weniger im Außenbereich
Yegül, ß01ths and bathing in cia.'IS.iall antiquity
(1992)
397.
Ohne auf die technischen Installationen näher einzugehen, verwl!isen wir auf Conimbriga; dort verfüg ten die OaviSC'hen T'hennen üb" I.atrincn, während die spält'r außen angcblluten zwar die Spülung
ausnutzten, doch sonst g.1nz unabh.ii ngig waren. In Martigny wie in Sumelocenna waren sie nahe den Thermen und dem Kollektor, aber von dl'l' Straße zugänglich. 271 272
273
Beispiele in den Winterbädern von Thuburbo; in den Ostthern1en von Nida mit Vestibül hinter dem Apodylt'rium; 'fhermen von MIIS!Ill ciuccoli, Raum Q Aleria. Pra.. torium; Ephe&OII , liOß- Ano-BIId. Kleine Thermen in Madouru&, s. S. Gsell, C. A. Joly, khami5sa, Mdaourouch, Announa, 2 (1922) 102 f.; erste Phase der Westbäder in Mirobriga; Suburbane Thenn.m von Hen:ulanum, s. A. Maiuri, Erculimu. I nuuvi scavi, 1927-1958 (1958) 173. A.leria (Thenm>n Santa Laurina), Anemurium. Athen (SW-ßäderl, Delidis Mah>r, Cemenelum, Cilur num, Collen, Dchar Jdid, Epidaun111, Fiesole, Greatchestm, Korinth (Bad an LechilionstraBe), Tht!rmen der Myrthu!!a in Kyrene, l.eplis (Tenne 111rde), les Fontanll!l! Sal�. Ostia (Neptunsthcrmen. Termedel ftlosofu, Terme del faro, Tenne dellc Bl"i co\onne, Terme del nuollltorel,
Oued.
Athmenia, Pergam011
..
Abb. 42. Leptis Magna. Umge-bung der hadria11ischen Bäder. der Thermen, nicht selten zusätzlich zu einer einfachen Latrine im Inneren des Badesm. Sie sind entweder noch vor Betreten des Apodyte
Bades aus zu erreiche11. Da für die natürlichen Bedürfnissevon Badegästen eine einzige Latrine genügt hätte, können die Unterschiede an Größe
riums oder unmittelbar von außen erreichbar:m,
und Qualität mit weiteren Absichten des Publi
gelegenilich sogar als eigenständiger Baukörper
kums zu tun haben. Indem sie über getrennte
errichtet:m.. Zu ihrer prächtigen Ausgestaltung
Zugänge zum Thermenkomplex angesteuert
müssen noch andere Beweggründe geführt ha
werden mußten, war die Wahl vor dem Gebäu
ben als solche der persönlichen Sauberkeit und
d e und nach gleichsam externen Kriterien zu
der technischen Vorteile.
treffenrn. Vorstellbar wäre die Öffnung einerder
Die beiden Latrinen in Leptls Magna waren
beiden Latrinen außerhalb der Bade:teiten. Un
wie üblich vom Außenbereich des eigentlichen
verkennbar ist jedenfalls die räumliche Dislaru:
274
275
276 2n
(Badcgasse und Ostthermen), Ptolemais, s�alburg. Silchcster. Sufetula. Thaenae, Thamugadi CGmBc und Kleine Ostthermcn, Kleine Nordostth"rnen, ThermCP am Serl..i usntilrkt), Thysdrus, Vaison, Viro· ccmiu1n. Nur von außen erreichbar in Cuicul fTh.CTmes du Capiloi}, V;lllesio, in Herculoaneum. So in Thamusida, Dura-Europos, Vienne, in l11amugad.i in den Thermes dea Filadelfes und Kleinen Nordtherlnen. Bulla R.ogia (Menunia-Thennert), Cuicul (Südthermen), Ephe!los (Vediuathennen, Constanlins;thennt>n), Madanrus, Mimbriga, R.nn (Arvalheilif!:lum), Sabratha. Tham uga d i (GroßE> Süclthcmu!n, Thermes des Filadt>lfus), Thamu11ida, Thuburbo Maiua (Sommertherm.en), beide Thermen von Thubunicum. Alexandria, Carthago. a. ((. Bartoccini, Lc lerme di l.epds (Leptis Magnal (1929) 75.
.. zum Badevorgang als Körperreinigung.
Beispielen war sie dadurch von der Straße aus
Carthago erhielt mit dem Bau der Antoni
gut erreichbar170• Das Gymnasium beherbergte
äußerst prächtige GroSlatrinen (Abb. 43). Beid�
Rande ein Ärztezentrom residierte ;z���� . Gleichzei
nusthermen 045-1 62 n . Chr.) ebenfalls zwei
sind als Exedren gestaltet. Eine ist in die Rand bebauung der Area eingefügt, die den eigentli
chen Badetrakt umgibt. Wegen ihrer selbst für Nordafrika ungewöhnlichen Größe wurde sie
zunächst gar für ein Theater gehalten'n. Zu einem Schuppenmuster gefügte Platten aus
signierte Kunstwerke, während in den Sälen am
tig mit einer Erneuerung des gesamten Komple
xes im 4. Jh. n. Chr. erhielt der Badetrakt eine
eigene Latrine. Sie war mit nur 8 Sitzen in einem
einfachen geschlossenen Raum untergebracht,
dennoch mit einem qualitätvollen Mosai�boden
versehen. Ihre späte Entstehung zu einer Zeit,
Chemtou-Mannor schmückten den Boden. Vnn
als viele Thermen mit luxuriösen Abteilungen
Säulenstellung abgegrenzt. Die zweite, ganz
erklärt die SC'heinbare Inkongruenz von Form,
den davorliegenden Arkaden war sie durch eine
ähnlkhe Latrine befindet sich gegenüber dem
Haupteingang zu den Thermen auf der anderen
Straßenseite. Sie verfügt deshalb über ein quer
für höherstehende Gäste versehen wurden31, Lage und Ausstattung.
Auch in Gigthis, wie in vielen anderen Ther
nlE'nkomplexen, liegtdie große Latrineam Gym
vorgelegtes Vestibül. Der ruinöse Zustand läßt
nasium (Abb. 44), dessen ungewöhnlicher kreis
se der Ausstattung erkennen. Lediglich a m Ge
chende Einfügung von vier exedrafönnigen Ge
dart noch weniger von der ehemaligen Raffines wölbeansatz des Umganges sind noC'h geringe
Reste farbigen Stucks erhalten. Beide Latrinen,.
mit gleichem Anspruch auf Luxus, liegen außer halb des eigentlichen Badebetriebes und können zum sekundären Angebot gerechnet werden.
Auch die innere Latrine war durch einen Seiten eingang der Area leicht von ��Iien zu erreichen,
runder Grundriß eine ästhetisch recht anspre sellschaftsräumen erlaubte. Einerdavon war für die Latrine bestimmt. Thuburbo Maius bietet ein
weiteres Beispiel für den engen Anschluß an die
Sportstätten. Die sog. So�nmerthenncn Yt'rsah
man erst dann mit einer groBen Latrine, als ne
benan eine neue Palästra enbtand (225 n. Chr.)
(Abb. 45). Vor dem gemeinsamen Eingang gele
allerdings nur zu Zeiten der Offnung des Bades.
gen, stand sie ganz unabhängig von der Wahl
von den wassertechnischen Anlagen profiliert
offen.
Die Latrine gegenüber dem Haupteingang mag
haben - sie sind nicht dokumentiert-,
ihre Be
nutzung war vom Besuch der Bäder unabhän
gig.
Im Gesamtplander Thermen sind die Pracht
latrinen dem sekundären Angebot wie z.B. Bi
bliotheken, Spielsälen, Gymnasien u.ä. zugeard net. In Salamis wurde eine Exedra-Latrine in der
entfernten Ecke des angrenzenden Gymnasiums
eingerichtet (Abb. 278 279
280 281
282
283
18).
Wie i n vielen anderen
der einen oder anderen Stätte allen Besuchern So wird allmählich deutlich, daß derjenige
Bereich, der ein vielfälligeres kulturelles Ange
bot hatte, eher eine große I...:t trine erforderte als
das eigentliche Bad •. In ThuburOO Maius ver legte mansogar zu einem späteren Zeitpunktden
Eingang zum Bad ans andere Ende, womit die Latrine in erster Linieden Besuchem der Palästra
angeboten wurde2'1.
Im griechischen Osten hatten die Gymnasien
G. C. Picard, La civllisation d' Afrique romaine (1959) 209; Ders., Nordafrika und die Römer(1962) 153 f. Aul!erdem in Lamb;1esi� (Lrgatcn.thennen}, Ostia {Neptunsthermen), Rom {Baptisterium!. Der Stuhlgang erfolgt nach individuellen Gesichtspunkten vor, zwischen oder nach der Körperübung, hat ebenso wie Sport und Baden als Hauptziel die heilsame Entschlak kung und gehört auf jeden Fall zu den wesent lichen Voraussetzungen der Rekreation. Die Hauptmahlzeit, bekanntlich bei Einbruch der
Latrine nicht mPhr am Ei nga ng lag.. sonde-m unabhängig vom Besuch des Bades den Bedürfniss�n der 284 285
286
Passanten zur Verfügung stand. Im Osten gab es daher eine traditionelle Ver.>ol'ßung der Gynmasien mit Latrinen, s. Amorgos und Anm. 37 f. :zu Oe-tos Anhand der sonst überlieferten Ö ffnungszei tPn der Bäder scheint dies recht spät, vg l . H. Meu sel, Die V�rwaltung und Finanzierung der öffentlichen Bäder zur römischen Kaiserzeit {Diss. Köln 1960) 30 ff.
l48 tf.
Vgl. die Lage der Latrinen an der fron!illI'Mrfurum. lnnt!nan:;\iche Isolierung des Bodens gegen Regenwasser, die durch eine Zwischenschicht mit »Hypokausten« bewerkstel ligt wurde19'1. Nebenbei ermöglichte die Boden erhöhung, der Fäkalgrube die notwendige Tiefe zu geben. Für einen optimalen Abfluß sorgten drei Kloaken, die nachträglich noch erweitert wurden. Angesichts der ohnehin prekären Iso lierung wurde an der geraden Wand auf den üblichen Brunnen verzichtet. Alle Wilnde waren mit Marmor inkrustiert. Die gesicherte Datierung schließt es aus, die se Latrine mitden Selh'le Paterclianae in der Nähe des Kapitols zu identifizieren2Yl!, die schon % n. Chr. bei Martial ( 1 2, 77) erwähnt werden. Das ist kein Verlust, erhalten wir dafür doch mit diesem Epigramm Kenntnis von einer weiteren
Latrine am Fuß des Kapitols, die sich durch ihre Benennung als ein offenbar bekannter Treffpunkt ausweist. Die Prachtlatrine zeigt also in Rom schon verhältnismäßig früh alle weiterhin verwende ten Grundfonneo voll entwickelt. Gerade wegen der zwanghaften Einpassung der Exedra in die ßauten des Caesarforums ist es wahrsche-inlich, daß der Typus bereits eingehihrt war. Am Largo Argentina übertrifft das Platzangebot mit insge samt ca. 1 00 Sitzplätzen, wozu vemmtlich eine weitere große Latrine unmiltelbar südlich der Forica pensile zu addieren ist, bei weitem alles in den Provinzenstildien bislang Gesehene. Da mit nicht genug: Wenig später, zu Beginn des 2. Jhs. n. Chr., wurde eine Exedra der nahegele genen Crypta Balbi zur Latrine mit 40-50 Sitzen und einem neuen Mosaikboden verwandelt (Abb. 53). Dergestalt war innerhalb kürzester Zeit i n einer Kleinregion des Zentrums ein alle formalen Spielarten umfassendes, durchorgani siertes und endgültig ausreichendes Latrinennetz geschaffen worden, das kaum als erster tasten der Versuch in Rom gewertet werden kann. Aus Dio's Formulierung auf eine Planun�; von öffent licher Hand zu schließen, liegt nahe Dio's Erklärung bestätigt, daß alle diese Ln trinen als erniedrigende Orte angesehen werden konnten. Dennoch erreichen sie die architekto nische Qualität ihrer städtbaulichen Umgebung, die als gut frequentiertes Einkaufszentrum und Flanierviertel bekannt war. Die beiden Latrinen sind nicht auf die Area Sacra hin orientiert, wo eine sakral t>egründete Reinlichkeit sie erwarten lieBe, sondern im Hinblick auf die Besucher und Passanten der Portiken des Pompeiustheatcrs und der weiteren Straßenportikeil inl Zentrum des Marsfeldes. Nicht zufällig sind uns die Eigennamen der Portiken literarisch überliefert Trotz der langen Wege in Rom waren sie als regelmäßige Treffpunkte der Gesellschaft be k.mnt m. Ziehen wir die Dlchtung als Dokumen tation heran, dann hatte, wer den Weg aus der Subura hierher fand, bestimmtegesellschaftliche Ambitionen. Für das Marsfeld verzeichnet der Regionenkatalog eine relaliv geringe Anzahl von Insulae als Wohnangebot für weniger Hemittelte.
298
Unsinnig ist die Annahme einer Heizung, so j. Ca rcop in o a.O. (1939) 59 So E. Rodrfguez-Almcida, Due note znarzialillnt!. I »balneil quattuor in Campu« t! \e >o:se\lae l'iltt'l'· clianaeu subcapztoline, MEFRA 1 0 1 , IQ69, 249 ff.
299
s.o. Anm.
297
265
" Gerne wüßte man Bescheid, ob die Auffächeruns
des Latri nenangebotes hier einem unterschied lichen Publikumsverkehr Rechnung getrquenticrt worden sein.
In einem eindrucksvolleren Bild bieten die römi
Versuchen wir nun, anhand der einmaligen
Entwicklung a u f die Spur zu kommen. Dererste
Blick muß nochmals dem Palatin gellen. Denn
mit dem Ausbau des kaiserlichen Wohnsitzes zu
einer vielseitigen und großflächigen PHiastarchi tektur wuchs zugleich eine Hofgesellschaft her
an, in der Veränderungen des politischen und
sozialen Lebens der Urbs ihren Ausgang nah
men odcr zuerstspürbar wurden301. Wirerwähn
ten im Abschnitt zum Publikum, daß die archi
tektonische Zergliederung des Palastbezirkes
einer räunlikhen Aufteilung des geseUschaftli chen Lebens und seiner Kontaktzonen entsprach, in die vermutlich die Latrinen eingegliedert
Do
schen Beispit'le gleichwohl nur eine Bestätigung
waren. Zwei bemerkenswerte Anlagen aus
besteht sicher auch darin, mehr jedoch in ihrer
Ohne Zweifel stellen dieToilette des Kaiscrs und
unserer bisherigen Interpretationen. I h r Wert
frühen Zeitstellung. Jknn sie schließen unmit
telbar an die Phase an, als der Latrinengang noch
mitians Regierungszeit begegneten uns dabei 302•
die Großlatrine für das Personal nicht die Über tragung einer vorgE"gebencn Hierarchie städti
ungelöste Probleme aufwarf, deren sich die Satire
scher Latrinen in den Palastbereich dar, sondern
stellen das Ambiente keineswegs nobel dar.
schen goldenem Nachttopf :!lU und
heilvollen Latrinengang des Lucan (Suet. vita Lu
eine unterhalb der Domus Tiberiana versteckte
der Dichtereinen bekannten Vers Neros und trieb
Schritt in der G..'Rese des Typus erkennbar wird:
bentächtigte. Martials einschlägige Epigramme
Umso viels.1gender istdie Überlieferung vom un
cani). Auf einen donnernden Furz hin 7.itierte
damit die Consessores zu panischer Flucht aus der Stätte, geradeso als könnten sie in den Ver
dacht einer Teilnahme a n einer Verschwörung
geraten. Offenbar war es für ein Mitglied höch
ster Gesellschaftskreise nicht ungewöhnlich, eine
ö!fentliche Latrine aufzusuchen; wäre Lucan dort
i n niedrigster Gesellschaft ge�essen, wäre der
Scherz nicht angekommen. Die anrüchige Kör perentleerung schuf hier buchstäblich eine Kon
fliktsituation mit dem hohen Rang. Wir erfahren
wurzeln in der rangbewußten Trennung 7.wi
sel/ae familia ricne. Zwischen beiden Rangsphären befindet sich Latrine, a n der - i n vespasianischer Zei t - ein
von äußerst bescheidener architektonischer
Ausformung, schlecht belichtet und kaum be
lüftet, dekoriert mit einemanspruchsvollen Bild
programm, das wesentliche Diskurspunkte auf
greift, nämlich die Negierung des Geruchs (Zi
tronenbäume) und die Berufung auf körperliche
Hochform (Gladiatoren). Oie Motiv� für eine
Nobililierung, die mit leichten Nuancen in die
städtischen Latrinen übertragen wurde, entstan
den im kulturell entwickchsten Ambiente des
leider nicht, wie diese Latrine aussah, erkennen
Palatin oder gleich nebenan. Im Kreise der Höf
Die un-
de die beschriebene intellektuelle und architek-
dafür die Gefahr, die ein zu politisches Thema in eine unpolitische Defäkieranstalt brachte.
300
App.
linge - dazu zählten fast alle Amtsträger - wur
BC 2, 102 :w Rechtsvorgängen, nicht aber Fini GrUnde dafür an.
Pilsini,
108
hiennit ein Raum zur Verfügung gestellt, der eine
überregionale Versorgung ohne die Exklusivität
der Balnea und Stationesgewährleistel. Daß die
übersehen, daß Ostia zu dieser Zeit grundsätz lich nicht sehr reich mit Prachtarchitekturen
versehen war. Wir erinnern daran, daß die we
Erbauer keinen Anlaß ;-ur dekorativen Erhöhung
nigen Komplexe von internationalem Luxusni
I m Theaterviertel standen zwei Latrinen in
Kaiserhaus errichtet worden sind. Die Forums
des Ambientes sahen, ist kennzeichnend.
nerhalb der Neptunsthermen zur Verfügung.
veau, das Forum und die Großthcrmen, vom
bäder be:r.ilhlte vermutlich der antoninische Prä
Eine größere, die im Zug einer späteren Reno
torianerpr.lfekt Gavius Maximusm. Honoratio
ren wie Gamala griffen nur restaurierend in dte
vierung inkrustiert wurde, war in der Nordwest
ecke der Palästra leicht von außen erreichbar
Sie war nicht nur für Badegäste und Sporttrei
städtische Architektur ein und bestimmten nicht
das Stadtbild:>. .. _ Die einzige, wohl kommunal
bende bestimmt, denn Läden im Südflügel des
errichtete öffentliche Latrine nahe den Forums
dem Badeingang wurde ebenfal!s noch im 2. Jh.
wie sie für Wohnräume in den lnsulaegebräuch
Komplexes öffnen sich :�.ur Palästra hin -"". Vor
n. Chr. eine weitere Latrine eingerichtet331• Ein
weithin geläufiger Standard wurde somit viel
leicht schon im 2. Jh . n. Chr. innerhalb der Ther
thermen wird durch eine F'ensterfolge belichtet, lich ist. Säulenperistyle und Exedren, welche andernorts die Prachtlatrinen gleichermaßen wie
die städtischen Domus prägen, sind in der Osti
men geboten. Allerdings war der gesamte Kom
enser Wohnarchitektur eine Rarität. An finanzi
haus geliefert worden, das in Bauinschriften den
standen für andere Bauobjekte zur Verfügung.
Frequentierung der dortigen Latrinen ergab sich
schaft, die sich in Stationes und Balnea traf, kam
plex, wie auch die Forumsthermen, vom Kaiser
finanziellen Auhvand gebührend hervorhob. Die
aus der Nachbarschaft der Piazzale dclle corpo razioni, an der das kleinteilige soziale Leben
Ostias ein geschäftlich nötiges Zentruru fand. Daß
die in der benachbarten Kaserne stationierten 400 Vigiles wesentlich am Publikum beteiligt waren,
ellen Mitteln dazu hätte es nicht gefehlt, denn sie
Für die führenden Leute in der Ostienser Gesell es offenbar weniger darauf an, vor den Augen der gesamten Stadtbevölkerung prestigeträchti ge Wohn- und Lebenswerte zu entwickeln als
vielmehr innerhalb ihrer berufsorientierten Zir
kel Vergnügen zu finden. Wenn nicht die firum
ist eher unwahrscheinlich; denn ihnen standen
zielle Kraft des Einzelnen, so war doch wenig _ stens sein i.Jberschuß an freier Zeit im Vergleich
schmückt war. Der Vollst:indigkeit halber sei
eingeschränkter. Der Luxus unproduktiverStun
antoninischen Terme della Porta Marina für das
der Körperpflegeund ihrer Exzesse - auch in der
zwei große Latrinen zu Verfügung, � eren eine milderoben beschriebenen Fortuna-Adikula ge zuletzt noch eine Latrine erwähnt, die in den extramurale Zentrum installiert wurde; wegen ihrer schlechten Erhaltung ist sie nicht genauer zu bewerten :w .
D a m i t erschöpft sich d i e Ausstattung Ostias
mit landbesitzenden Honoratioren um einiges
den Wilr jedoch ein wesentliches Kenn7,eichen Prachtlatrine. Der gewerbetreibenden Ober
schicht von Ostia konnte sie infolgedessen kein inneres Bedürfnis werden.
mit öffentlichen Latrinen zu einer Zeit, als in
Im 4. Jh. n. Chr. erlebte die Stadt eine späte Blü
lengeschmückte Exedren und Peristyle den hy
zweiten gründlichen Veränderung des Stadtbil
Es ist nicht zu
ziell bestimmten Architektur geprägt wird m_ Wo
manch einer Provirv.stadt gleich mehrere säu gienischen Bedürfnissen einer geringeren Bevöl kerungszahl angeboten wurden.
330
s. T. L Heres, Una ricerca sulla storia edilizia delle Terme di Nettuno ad Ostia antica (!I 4, 2) ncl pcriodo post-adrianeo, MededKom 40, 1978, 93 ff. und
331
tezeit der Latrinen. Sie geht einher ruit einer
des, das zunehmend vom Verfall der kommer
T. L Heres
a.O. (1978) 107 hält den
41, 1979, 40
Anb der Philosophen so ernst ge
vorhanden sind, unt�rscheiden sie sich in Form
meint waren wied iejenigcn derGästc, bedeuten
und Ekdeutung ganz wesentlich.
sie keine Ironie, sondern den tapferen Versuch,
Timgad
DieColonia Marclana Thamugadi wurde 100
Timgad ging als Latrinenstadt in die archäologi sche Literatur cin)J'I. Ihre 1 1 mehr odl•r weniger
n.
öffentlichen Latrinen und 12 Badeanstalten ste
tersuchung der nordilfrikanischen Städtegrün
hen numerisch gleichwertig neben denrn von
dungen wissen wir, daß di!! Stadt kl'ine V�tcra
Ostia. Doch die formalen Unterschiede sind au
nenkolonie war·'«', Die bilderbuchhdte Anlage
Chr. von Traian gefll ründet. Seit Gascous Un
genfällig. Wir werden nochmals die Eigenheiten
in Form eine; Castrum, die für den langlebigen
so1.ialen und politischen Struktur untersuchen
als Folge einer traianischt'n ldL'Ologie, nach der
müssen (Abb. 57).
mittels eines traditionsreichen Kolonietypus die
des Stad tplant'S als Ergebnisse einer spezifischt>n
:ns 339
Irrtum mit verantwortlich ist, erläutert Le Bohec
So etwa $. C..age, Les di�Sses socialt'S dans l'empire rorrlili n
( 1 %4 ) 217.
s. ZiMt von H. Ihm bei J. G. &urkt', Der Unrat in Sitte, Br.�uch, Glauben und GewllhnheitrKhl der
VO!ker (ßeiw('rke wm Studium der Anthropophyteia, fi, 1913) 509 (Durch dir Kloaken schreitend .. ). Grundle�endc- Lit....ratur i m Index zu den hie:;igcn 1...1lrinen. Voll-;tiindig...ter Stadtplan bei A. ß.lllu, J..e" ruinesdeTimgad. Sept ll n n k's d e dt'-couverlt'S [ 1 9 1 1 ); R.C;'Ignat, Carthage, Tilngad, TCbessi� et les vil.les
a ntiq u C"S ,j(' I' Ahique du Nnrd :\(1_927) 44 ff. Gute Zul!antml'nfassung bei J. E Stambnugh, The ancient Roman city ( l ':JI!II ) 281 ff. Einen Uhoablick über die Stadtentwicklung geben P. Ro ma nell i in; EAA '7 ( 1 9(,6) 7'93 ff. und J. L\>�..�us in: Tiu� Princelon encyclopOO ia of classical sitt'li (1976) R99 ff.; Y. Thebert a.O (l':Jt\.5) 326; 1'. Gt08, M. Tnrel l i, Storia dell'urbll n i.. tica. 11 mund o romano (19!16) 331 ff.
34(1
i..d pnlltiquc municipale de l'empire ru10ain cn Afrique PrOC(lnsulaire dt! Tr�jan seve-re C19nl 97 1f
J. Cnsoou,
11. !Wptimc·
111
.. ...,
Große OsUharmen
11
Große Nordlhermtn
12
der Philadalphol Eudra·latrine
14
Blcler
a
Abb. 57.
9
10
Kleina Nordltlermerl
_,.._
w•lh•rm•n
Capltolstherman BAW am Set1 1 uemarkl
Große
SUdlhemlen Carfldius-Haus
13
Januarlue-Haua Sertlua-Haua
15
Kleine Ostlharm.n Kleine NOfdoalltlarmen
18
Timgad.
militärische und ökonomische Romanisicrung
optisch eine ursprüngliche Chnncengleich�t.
der Grenzresion demonstriert werden sollte 311 •
Gellius brachte die pseudu-republikanische
Gleich groBe Grundstücke treten lwrei.ts bfoim
Gründungsideologie
inlf
die Fonnel von den
Durchsehreilen der völlig regelmäSig geglieder-
•v.rkleinertcn Abbildern desrömischen Volkes·
ten Straßenzüge in ErschPinung und verkünden
(16, 1 3, 9: effi gies parvae simulaaaqur populi
341
Y. Lr Bohcc, TlJnsnd, la Numidie el l'armet! romaine. A pniJIOS du livrcdc E. Fmtret.!i, BA AniNnt lS-16, 19?'!1-10, 1 115 ff.
112 romani). I n der Realität dürfte Timgad dennoch
Grenzbewohner: i n ihren kulturellen Ansprü
von Anfang an eine wichtige logistische Rolle in
chen römischer als die Römer, in den sozialen
der Versorgung der Grenzarmee zugedacht ge·
t>iner ausgesprochenen Epigraphomanie zuge
wcsen sein. Gascou beschreibt die strategischen
neigtm. So könnte das politischeund öffentliche
und landwirtschaftlichen Vorzüge ihrer Lage. Da
Leben der Stadt gan7. i n den traditionellen Dah
die Stadt zudem faktisch durch die Legio 111 Au·
nen verlaufen, wenn nicht von außen Konflikte
gusta aufgebaut wurde, kann ihrer Bevölkerung
einflössen. Den administrativen Formen sind sie
eine gewisse n1ilitärische Note nicht gefehll ha-
kaum ablesbar. Zwar tritt in der kommunalen
ben. Sie wird Veteranen angezogen haben, auch
Verwaltung nunmehr der kaiserlich überwachte
wenn sie nicht zu ihrer Versorgung gegründet
Curatur der Finam:en auf, er wird jedoch fast
worden war. Ähnlich wie i n Ostia war in den
immer unter den lokalen Honoratioren ausge
crsten Generationen die aufsteigende Schicht
wählt. Tiefere Einblicke in dali wirkliche politi
noch heterogener Herkunft 'W.I.. Ganz anders aber
sehe Leben gewährt die Pro.sopographie der
waren die Grundlagen ihrer Prosperität von der
Ämter. Darunter ist die Liste der Flam.ines, die
Akkumulation des landwirtschaftlichen Grund-
Pavis d'Escurac erstellte, am interessantesten*·
besitzes be�timmt. Diesbrachtesowohleine freie-
Das mit dem Kaiserkult verbundene Flaminiat
reVerrügung überdie Geschältszcit alsaucheine
beset7.en wenige Familien, die Sertii, Corfidii,
lltärkel't' Konzentration der Elite mit sich. Mit an-
Aclii luliani, Sabini. Im Gegensatz zu niedrige
deren Worten, Wenige konnten TYicher wen..ien
ren, lokalen Priesterämtern war es nicht nur per
und hatten mehrZeit für ihl'l' Selbstdarstellung
se auf das Zentrum der Macht ausgerichtet,
zur VerfügungUJ. Besonders die Aufsteiger
sondem stelltefürihreTrägerdiepolitischenVer
werden sich die traditionellen Werte angeeignet
knüpfungen mit der Provinzialverwaltung und
ha.ben, welche für eine andernorts eingesessene
darüber hinaus mit dt>r R�chsverwaltung her.
Honoratiorenschicht selbstverliländlich waren.
Von hier erfolgte der entscheidende Sprung aus
Da die Reichsregierung an einPr Romanisieruns
der lokalen Sozialstruktur in die höchste Zentra
interessiert war,die sich selber in den herkömm-
le der Equites und Senatores. Aus dieser Positi
lichen Bahnen trug. galt im öffentlichen Leben
on heraus traten die Honoratioren dann wieder
Timgads wie vieler andererStädteder Proconsu-
als Patroni der Stadt in Erscheinung. Vermutlich
laris die kommunale Verwaltung viel. Getragen
zielte die kleine Elite der Stadt in ihren politi
wurde sie von einer führenden Schicht, die ei·
sehen und gesellschaftlichen Bestrebungen ganz
nen derart engen und selbstbewußten Gesell-
auf solch eint'n Endpunkt der S07Jalen Karriere,
SChaftszirkel bildete, daß selbst an Bauinschrif-
den sie innerhalb der Grenzen der Stadtpolitik
�n die Angabeder Übcn1an1en ausreichte; n1an
nicht erreichen konnte. Ihren Erfolg und die
kannte sich. Die Präsemo; i m lokalpolitisclum
realen Machtverhältnisse veranschaulicht die
Leben diente aber nicht nur der Selbslbefriedi-
Aufstellung der Ehrenstatuen auf dem Forum,
gung, sondern stellte eine wesentliche Stufe in
deren Rekonstruktion wir G. Zimmer verdan
der sozialen Karriere dar. Nicht Wenigen gelang
kcnw. Unter den geehrten Privatpersonen Ein
der Aufstieg über das Flaminiat in den Ritter-
den sich immer nur solche Patroni, die eine Kar
odersogar Senatorenstand lW. E. Fentress stellte
riere i m H�r oder i n der Reichsverwaltung
deren Streben in einen überzeugenden Zusam-
gemacht hatten. Ehrungen für andere verdiente
menhang mit dem typisclum Verhalten der
Mitbürger der Lokalpolitik fehlen. Mit Rt'Cht,
342 343 344
345 346
347
J . M . Lass�re, Ubiquc populus (1 977) 601 ff. 650 tt. M. Benabou, L'Afrique, in: l.'impero nnnilno e le !itrutturc ecunumiche e soriali delle pwvince (1986) 1 34. L..a ut B. Remy, La place d es s6\a leurs ortginaires des provinces d'Afrique dans l'administration det< pmvinces rumilincs d' Anilkllie au Haut F.mpire. in: 1.' Africa romana. Atti de! I V Conwcno d i studiu, Sa!illa ri 1986 (1987) .587 ff. ge häu ft im 2.-3. Jh. n.Chr., darunter vit!te Aufsteigl!r. ll. Ft>ntress, Frontier culture and poliücs a l Timgad, BAAntNat 17, 19111 , B, 399 ff. H . Puvis d'Escurac. Flaminal ct societ� dans Ia Colonie de Timgad. AntAfr 15, 1980. 183 ff. G. Zimmer, L...ucus datus decreto decurionum. Zur StiltUcnaufstellung zweier Furumsanlaj;en im römi schen Afrika (19119); in knapper Form wiederholt in: Die römi5Clu! Stadt im 2. Jahrhundert n.Chr. Der Funktiunswandel des öffcntliclu!n Raumes. Kolloquiun1 in Xanten 1990 (1992) 301 tf.
I I :\
Abb. S8.
Timg01d, L.1lrine �m Forum.
d('nn die pol itisch en Möglichkl"ihm t.'lwil dnes
gl!n vnn l'ersnn ifi ka tionen ,
At-dil{'n bfosl,·hriinkten sich a u f di�e Gcnch1nigu ng
Dcmllltstr;,ti