Die Politik der Nation: Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760 bis 1960 9783486594515, 9783486566529

Die Nation ist eine kulturelle Konstruktion, der deutsche Nationalismus ein modernes politisches Phänomen: So lautet der

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German Pages 302 [299] Year 2002

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Die Politik der Nation: Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760 bis 1960
 9783486594515, 9783486566529

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Die Nation ist keine gegebene soziale Einheit, sondern das Ergebnis eines lang-

wierigen Konstruktionsprozesses unter wechselnden Bedingungen von dieser Annahme ausgehend, untersuchen die Autorinnen und Autoren die politische -

und kulturelle Dimension der Nationsvorstellungen in »Deutschland«. Das Interesse gilt insbesondere den wechselnden Bedeutungen des Nationalismus in Kriegs- und Krisensituationen. Die Vorstellungen von einem deutschen Volk und Vaterland veränderten die Art des politischen und militärischen Konflikts, während umgekehrt deren Erfahrung und Erinnerung die Nationsbildung vorantrieben. Auf diese Weise spannt der Band den Bogen über 200 Jahre deutscher Geschichte vom Siebenjährigen Krieg über das »lange 19. Jahrhundert« bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Am Ende werden die Ansätze und Aussagen der Beiträge in einer kritischen Reflexion gebündelt.

Die

Herausgeber: Jörg Echternkamp, Dr. phil., Studium der

Geschichtswissenschaft und Romanistik in Bielefeld, Poitiers und Baltimore (M.A.); seit 1997 Mitarbeiter am Militärgeschicht-

lichen Forschungsamt, Projektleiter »Krieg und Gesellschaft 1939-1945« und Redakteur der Militärgeschichtlichen Zeitschrift. Sven Oliver Müller, Dr. phil., Studium der Geschichtswissenschaft und Archäologie in Bonn und Bielefeld; seit 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie der Universität Bielefeld.

Umschlagbild: »Germania«, Gemälde von Friedrich August von Kaulbach, 1914 (Deutsches Historisches Museum Berlin)

Oldenbourg

Die PoHtik der Nation

Beiträge zur Militärgeschichte Herausgegeben vom IVliutärgescHchtlichen Forschungsamt Band 56

R.

Oldenbourg Verlag München 2002

Die Politik der Nation Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760-1960

Auftrag des Militärge s chichtlichen Fors chungs am te s herausgegeben von Im

Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller

R.

Oldenbourg Verlag München 2002

Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme -

Die Politik der Nation : Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760-1960 im Auftr. des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller. München : Oldenbourg, 2002 (Beiträge zur Militärgeschichte ; Bd. 56) ISBN 3-486-56652-0 NE: Echternkamp, Jörg [Hrsg.] ; GT

/

-

© 2002

Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Str. 145, D-81671 München Internet: http:/Ävww.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen S}rstemen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigen Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München Umschlagbild: »Germania«, Gemälde von Friedrich August von Kaulbach, 1914 (Deutsches Historisches Museum Berlin; Foto: A. Psilie/S. Ahlers) ISBN 3-486-56652-0

Inhalt VII

Vorwort

Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller Perspektiven einer politik- und kulturgeschichtlichen Nationalismusforschung. Einleitung

1

Ute Planert Wann beginnt der »moderne« deutsche Nationalismus? Plädoyer für eine nationale Sattelzeit

25

Andreas Etges Von der »vorgestellten«

61 zur

»realen« Gefühls- und

Interessengemeinschaft?

Nation und Nationalismus in Deutschland

von

1830 bis 1848

Hedda Gramley Christliches Vaterland einiges Volk. Zum Protestantismus und Nationalismus von Theologen und Historikern 1848 bis 1880

81



Vito F. Gironda Linksliberalismus und nationale Staatsbürgerschaft im Kaiserreich: Ein deutscher Weg zur Staatsbürgernation?

107

Peter Walkenhorst Der »Daseinskampf des Deutschen Volkes«:

131

Sven Oliver Müller Die umkämpfte Nation. Legitimationsprobleme im

149

Nationalismus, Sozialdarwinismus und wilhelminischen Deutschland

Imperiaüsmus im

kriegführenden Kaiserreich

Sven Reichardt »Märtyrer« der Nation. Überlegungen zum Nationalismus in der Weimarer

173

Republik

Inhalt

VI

Hans-Ulrich Wehler Radikalnationalismus und Nationalsozialismus

203

Jörg Echternkamp »Verwirrung im Vaterländischen«? Nationalismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft 1945-1960

219

JohnJ. Breuüly

247

Nationalismus als kulturelle Konstruktion:

Einige Überlegungen Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller Auswahlbibliographie: Deutscher Nationalismus vom 18. zum 20. Jahrhundert

271

Autorinnen und Autoren

291

Vorwort

dynamische Wechselverhältnis von Nation und Krieg erscheint vor aUem in Perspektive einer modernen MUitärgeschichte unstrittig. Auf der einen Seite steigerten bewaffnete Konfrontationen und geseUschaftiiche Krisen das Zusammengehörigkeitsgefühl von Großgruppen, die sich als »Nationen« begreifen. Da jede Gruppe der Abgrenzung nach außen bedarf, intensivierten die in Kriegszeiten entstehenden Feindbilder und Emotionen die Bildung von Nationen und Nationalstaaten. Auf der anderen Seite hatten diese verstärkten »nationalen« LoyaHtätsbindungen und die neue Legitimation von mUitärischen und poHtischen Auseinandersetzungen weitreichende Folgen für die BrutaHsierung und die TotaHsierung der Kriegführung und die Verbreitung poHtischer Gewalt. Für Volk und Vaterland zu sterben: das hieß in den letzten 200 Jahren zumeist, für das deutsche Volk und Vaterland sein Leben zu geben. Die Herausgeber des vorHegenden Bandes lenken den BHck vor aUem auf die durch Kriege und Krisen verursachten Legitimations- und Deutungsprozesse, mithin auf die poHtische und kultureUe Dimension der NationsvorsteUungen und der Nationsbüdung. Unter »NationaHsmus« verstehen die Autorinnen und Autoren dieses Bandes nicht ein übersteigertes Nationalgefühl, wie es der umgangsGebrauch des Wortes sprachHch nahelegen mag. Sie verwenden ihn vielmehr wertneutral, um die wechselnden VorsteUungen davon zu bezeichnen, was »Nation« den Zeitgenossen bedeutete. Gemeinsam teilen sie eine Grundannahme der neueren Historischen NationaHsmusforschung: Die Nation, das Volk ist keine ahistorische soziale Einheit, sondern gewinnt in dem Maße an Wirkungskraft, wie Menschen bereit sind, an die ReaHtät eben jener Einheit zu glauben. Bereits 1998 konnte ich in der VUla Ingenheim des MiHtärgeschichtiichen Forschungsamtes (MGFA) eine Arbeitsgruppe begrüßen, die sich mit diesen mentaHtäts- und kulturgeschichtlichen Fragen auseinandersetzte. Dank der Initiative der beiden Herausgeber trafen sich neben Professor Dr. Hans-Ulrich Wehler (Bielefeld) und Professor Dr. JohnJ. Breuilly (Birmingham) vor aUem junger Historikerinnen und Historiker, die an der Universität Bielefeld zu verschiedenen Aspekten des NationaHsmus Doktorarbeiten verfaßten oder fertiggesteUt hatten. In Potsdam entstand die Idee, Ergebnisse dieser und vergleichbarer Dissertationen zu einer übergreifenden Darstellung des deutschen NationaHsmus zu verbinden, die 200 Jahre deutscher Geschichte aus einem bestimmten BHckwinkel beleuchtet. Hier Hegt zugleich die inhaltliche und methodische Klammer, welche die Beiträge verbindet. Dazu gehören Wehlers pointierte Überlegungen zum NationaHsmus in der Das

der

Zeit des

Nationalsozialismus, die

er

auch im Rahmen der

Vortragsreihe

des

Vorwort

VIII

MGFA voraus

vorgestellt und diskutiert hatte. Wissenschaft setzt die kritische Debatte das spiegelt sich in diesem Band in besonderer Weise wider: Am Ende

des Parforceritts von 1760 bis 1960 steht eine kritische und weiterführende Reflexion aUer Beiträge von John J. BreuiUy. Aus guten Gründen lag es deshalb für mich als Herausgeber nahe, diesen Arbeiten einen Platz in der Reihe der »Beiträge -

MiHtärgeschichte« einzuräumen. Längst ist es zu einer guten Einrichtung geworden, daß sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im MiHtärgeschichtiichen Forschungsamt zu Workshops treffen können, die auf die Impulse der Mitarbeiter des MGFA zurückgehen. »Kriegsende 1945 in Deutschland« (2000), »Krieg und MiHtär im Füm« (2001) oder »Krieg und GeseUschaft 1939-1945« (2002): Stets sind es aktueüe Themen und zur

Methoden, die im Kreis der Fachleute und darüber hinaus auf beträchtliches Interesse stoßen. Diese häufig interdiszipHnär angelegten Veranstaltungen ergänzen die

großen Internationalen Tagungen zur MiHtärgeschichte, die das MGFA jedes Jahr

durchführt. Beide Formen der wissenschaftlichen Veranstaltung dienen nicht zuletzt dem Ziel, das Amt für die universitäre und außeruniversitäre Forschung offenzuhalten und durch die PubHkation wichtiger Beiträge die Ergebnisse der Geschichtswissenschaft, der MiHtärgeschichte zumal, einer breiteren Öffentlichkeit zugängUch zu machen. Dieser 56. Band der Reihe ist dafür ein weiteres Beispiel. Für die Zusammenarbeit zwischen MGFA und Universität stehen nicht zuletzt die beiden Herausgeber: Während Dr. Jörg Echternkamp seit 1997 zu den Historikern des MiHtärgeschichtiichen Forschungsamtes zählt, gehört Dr. Sven OHver MüUer als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Bielefeld an. Beiden ist für das ausdauernde Engagement zu danken, mit dem sie die Veröffentlichung neben ihren übrigen Arbeiten vorangetrieben haben. Die schwierige letzte Etappe auf dem Weg zur Drucklegung wurde mit der routinierten Unterstützung durch die Schriftieitung des MGFA zurückgelegt. Mein Dank gilt deshalb insbesondere Frau Antje Lorenz für die Textgestaltung und Herrn Dr. Peter Schramm, der die Manuskripte mit der gewohnten Sorgfalt lektoriert hat. Dr. Jörg Duppler Kapitän zur See Amtschef des MiHtärgeschichtiichen

Forschungsamtes

Jörg Echternkamp und Sven OHver MüUer

Perspektiven einer politik- und kulturgeschichtlichen Nationalismusforschung. Einleitung Krieg macht die Nation, die Nation den Krieg. In der Historischen NationaHsmusforschung ist die Funktion des Krieges als eines konstitutiven Elementes der Entstehung von Nationalstaaten häufig benannt, wenn auch selten untersucht worden1. Das moderne Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika im 18. Jahrhundert und die Mehrheit der europäischen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts, voran ItaHen und Deutschland, sind das Ergebnis von bewaffneten Konflikten. Den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts folgte nicht aUein in Europa eine ungekannte GründungsweUe neuer Nationalstaaten, welche sich aus der Konkursmasse zerfaUender Großreiche formierten. Demgegenüber ist der Zusammenhang von koUektiver Gewalt und der Herausbüdung moderner Nationen weit unklarer. Auch aus dem BHckwinkel der MiHtärgeschichte gerät der vielschichtige Zusammenhang von Nation und Krieg erst aUmähUch in den BHck. Unstrittig scheint, daß Zeiten mUitärischer Herausforderungen das Gruppenbewußtsein stärken und sich die Sensibilität für das Fremde und das Eigene erhöht. Gleichzeitig verdichtete die Bedrohung durch den müitärischen Gegner die poHtische und kultureUe Kommunikation und verbesserte so eine wichtige Bedingung des »nation-buüding«. Für den Aufstieg des modernen NationaHsmus waren zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen erhöhten kollektive Gewalt und Kriege den Legitimationsdruck auf die betroffenen GeseUschaften, die sich zunehmend gezwungen sahen, ihre PoHtik durch die Berufung auf ein übergeordnetes Gemeinwohl, auf die »Nation«, zu rechtfertigen. Zum anderen wuchs mit der Partizipation immer breiterer Bevölkerungsschichten an den miHtärischen Anstrengungen »ihres« Nationalstaates auch die Bereitschaft, diesen Staat als Ausdruck der eigenen Der

ideeUen und materieUen Interessen mit der Waffe

zu

schützen2.

»Nationalstaaten sind, so könnte man sagen, in Kriegen und für Kriege geboren«, urteilte Norbert Elias, Die Gesellschaft der Individuen, Frankfurt a.M. 1987, S. 277. Vgl. Charles Tilly, Reflections on the History of European State-Making, in: The Formation of National States in Western Europe, ed. by Charles Tilly, Princeton 1975, S. 3—83; Michael Howard, Der Krieg in der europäischen Geschichte, München 1981; Hans-Ulrich Wehler, Nationalstaat und Krieg, in: Staat und

Krieg.

Vom Mittelalter bis zur Moderne, hrsg. von Werner Rösener, Göttingen 2000, S. 225-240. Vgl. Linda Colley, Britons. Forging the Nation, 1707 1837, New Haven, London 1992; Georg Schmidt, Teutsche Kriege: Nationale Deutungsmuster und integrative Wertvorstellungen im frühneuzeitlichen Reich, in: Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis —

Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller

2

Wenn es eine Grundannahme in der jüngeren NationaHsmusforschung gibt, ist es die Einsicht, daß der NationaHsmus auch an der Wende zum 21. Jahrhundert nicht obsolet geworden ist. Das Phänomen des NationaHsmus hat sich mit aUer Macht wieder in den Vordergrund des poHtischen Bewußtseins gedrängt. Insbesondere die Ereignisse in Ost- und Südosteuropa, zuletzt der Völkermord im Kosovo, führen der Welt die Wirkungsmacht nationaUstischer Denkfiguren und Gefühle vor Augen. Der Euphemismus der »ethnischen Säuberung« bringt auf den Begriff, was viele Beobachter seit langen Jahren auf der MüUhalde der Geschichte wähnten. Die letzte Konsequenz des Nationalstaatsprinzips, die Schaffung der kultureUen Homogenität von Staatsgebiet und -bevölkerung, wurde im Mord und in der Vertreibung erneut grausame Wirklichkeit. Der BHck in die Tageszeitung und in die Geschichte des 20. Jahrhunderts erinnert an das grundsätzHche Konfliktpotential des NationaHsmus: Die wie auch immer begründete Behauptung einer nationalen Einheit und die Abgrenzung, ja Ausgrenzung von denjenigen, die nicht zu dieser Einheit gerechnet werden, bezeichnen die zwei Seiten derselben Medaüle. Die nationalistische Trennung von innen und außen, von »in-group« und »out-group«, zeitigt um so drastischere Wirkungen, als sie Widerspruch zum Verrat an der eigenen Nation erklären kann. Nicht nur die um ihre nationale Selbständigkeit ringenden Gruppen deuten Kriege und Krisen in einem nationaHstischen Koordinatensystem. Auch folgen jene Vorschläge, die auf die Lösung bestehender Konflikte durch das NationaHtätenprinzip setzen, einer Grundannahme des Nationalismus. SchUeßHch ruht eine der gängigen Ursachenerklärungen auf einem nationaHstischen Fundament. Der übersteigerte NationaHsmus sei, so die Annahme, die mehr oder minder zwangsläufige Konsequenz der Unterdrückung einer historisch tief verwurzelten nationaErsten Weltkrieg, hrsg. von Dieter Langewiesche und Georg Schmidt, München 2000, S. 33—61; Horst Carl, Der Mythos des Befreiungskrieges: Die »martialische Nation« im Zeitalter der Revolutions- und Befreiungskriege 1792—1815, in: Föderative Nation (wie oben), S. 63—82; Nikolaus Buschmann, Volksgemeinschaft und Waffenbruderschaft: Nationalismus und Kriegserfahrung in Deutschland zwischen »Novemberkrise« und »Bruderkrieg«, in: Förderative Nation (wie oben), S. 83_ 111; Jörg Echternkamp, »Teutschland, des Soldaten Vaterland«. Die Nationalisierung des Krieges im frühen 19. Jahrhundert, in: Staat und Krieg (wie Anm. 1), S. 181—203. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht vgl. Hans Peter Herrmann, Hans-Martin Blitz und Susanna Moßmann, Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt 1996; Hans-Martin Blitz, Aus Liebe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert, Hamburg 2000; »Gott mit uns«. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von Gerd Krumeich, Göttingen 2000; Krieg und Erinnerung. Fallstudien zum 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Helmut Berding, Klaus Heller und Winfried Speitkamp, Göttingen 2000; Dieter Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 35—54; Ute Frevert, Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001; Frank Becker, Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864-1913, München 2001; Karen Hagemann, »Mannlicher Muth und teutsche Ehre«. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn, München, Wien, Zürich 2002; dies., Tod für das Vaterland. Der patriotisch-nationale Heldenkult zur Zeit der Freiheitskriege, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift (MGZ), 60 (2001), S. 307-342. Vgl. auch Was ist Militärgeschichte?, hrsg. von Thomas Kühne und Benjamin zum

Ziemann, Paderborn, München, Wien, Zürich

2000.

Einleitung

3

len Identität in der Ära des Kommunismus. WeU es auf widernatüriiche Weise gewaltsam verschüttet worden sei, schlage das natürHche Nationalbewußtsein nach der postkommunistischen Zeitenwende mit doppelter Kraft durch. Nicht der NationaHsmus, sondern seine Unterdrückung wird in dieser Perspektive zum eigentlichen Motor der »ethnischen Säuberung«3. Es scheint, als habe das aUtägHche Reden über die Bedeutung des NationaHsmus am Ende des 20. Jahrhunderts seine Mythen noch verstärkt. NationaHstische Denkfiguren ermögUchen offensichtlich nach wie vor eine überzeugende Interpretation poHtischer, sozialer und kultureUer Konflikte, die starke Emotionen freisetzt. Dagegen Hingt die voluntaristische Deutung der sogenannten NationaHtätenkonflikte, der zufolge eine EHte den NationaHsmus durch den gezielten und geschickten AppeU an nationalgeschichtliche Mythen zu machtpoHtischen Zwekken instrumentaHsiert, inzwischen wenig überzeugend. Zu häufig gut nach wie vor auch in der Debatte um die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts die substantiaHstische Prämisse jedes nationaHstischen Weltbildes: die nicht als erklärungsbedürftige erachtete Grundannahme, daß Nationen reale, dauerhafte, kulturell homogene, mithin primordiale Einheiten der Weltgeschichte darsteUen. Dieser Befund weist auf das vermeintliche Paradoxon hin, daß die RenationaHsierung der PoHtik mit Prozessen einhergeht, die ober- oder unterhalb der nationalen Ebene ablaufen und hier nur stichwortartig als GlobaHsierung bzw. RegionaHsierung erwähnt werden soUen.





Die relative Offenheit der »Nation« Im folgenden soU der NationaHsmus als ein primär poHtisches Phänomen ernst genommen und seine kultureUe Dimension ausgeleuchtet werden. Die Analyse der poHtischen Dimension des NationaHsmus büdet das zentrale Erkenntnisinteresse des vorliegenden Bandes. Die Forderung, den NationaHsmus als struktureUe poHtische Erscheinung zu begreifen, heißt nicht, von einer Antinomie zwischen der poHtik- und der kulturwissenschaftlichen NationaHsmusforschung auszugehen. Die jüngere kulturwissenschaftliche NationaHsmusforschung hat selber die eminent poHtische Bedeutung kultureUer Konstruktionen gezeigt. Ein wesentiicher Er3

Vgl. Eric J. Hobsbawm, Die neuen Nationalismen, in: DIE ZEIT, Nr. 19 (6.5.1999), S. 37 f.; Rogers Brubaker, Myths and misconceptions in the study of nationalism, in: The State of the Nation. Ernest Gellner and the theory of nationalism, ed. by John A. Hall, Cambridge 1998,

S. 272 306; Der Spuk ist nicht vorbei. Völkisch-nationalistische Ideologeme im öffentlichen Diskurs der Gegenwart, hrsg. von Siegfried Jäger, Duisburg 1998; Stefan Berger, The Search for Normality. National Identity and Historical Consciousness in Germany since 1800, Providence, R.I., Oxford 1997; Konrad H. Jarausch, Normalisierung oder Re-Nationalisierung? Zur Umdeutung der deutschen Vergangenheit, in: Geschichte und Gesellschaft, 21 (1995), S. 571—584; Michael Jeismann, Alter und neuer Nationalismus, in: Grenzfalle. Über neuen und alten Nationalismus, hrsg. von Michael Jeismann und Henning Ritter, Leipzig 1993, S. 9_26; Roger Woods, Nationalismus ohne Selbstbewußtsein. Von der konservativen Revolution zur Neuen Rechten, Baden-Baden 2001. —

Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller

4

kenntnisgewinn des relativen Konstruktivismus dazu gleich mehr ist es gewesen, die Entstehung des poHtischen Raums, mithin auch der »Nation« als Ergebnis eines sich immer wiederholenden Prozesses der Kommunikation und Bedeutungszuschreibung zu verstehen. Im Sinn einer Kulturgeschichte der PoHtik stehen hier die Formen und Inhalte der kultureUen Konstruktion der Nation im Mittelpunkt der Analyse, die ihre Anregungen insbesondere aus der politischen Kulturforschung erhält4. Kurz: Die Erforschung des NationaHsmus büdet einen fruchtbaren Ansatz, um die Verschränkung von PoHtik und Kultur zu untersuchen. Die Annahme einer »natüriichen« nationalen Einheit läuft den Ergebnissen der derzeitigen Historischen NationaHsmusforschung zuwider, die sich ihrerseits auf unterschiedHchen Wegen und mit unterschiedHcher Intensität dem Komplexphänomen genähert hat. Das veränderiiche historische und methodische Interesse spiegelt sich in den Wegen und Abwegen der NationaHsmusforschung wider. Galt der NationaHsmus in den 1950er und 1960er Jahren nach der Erfahrung von Krieg und NationalsoziaHsmus als ein poHtischer Irrtum und daher als überholt, weckte er seit den späten 1970er Jahren das Interesse der Sozialwissenschaften. Ihr Angebot an makrosoziologischen NationaHsmustheorien stieß auf die Nachfrage theorieorientierter Historiker. Der sozialgeschichtiiche Ansatz öffnete auch der Historischen NationaHsmusforschung in Deutschland neue Zugänge, die über die älteren ideengeschichtiichen Studien weit hinausführten. In den Arbeiten ging es zum einen darum, mehr über die soziale Trägerschaft des NationaHsmus, seine Organisations- und Kommunikationsformen im 19. Jahrhundert zu erfahren. Zum anderen wurde nach den geseUschaftiichen Umständen gefragt, die den Aufstieg eines nationalen >Bewußtseins< in der Bevölkerung begünstigten. SchHeßHch noch weiter greifend zielten die Arbeiten darauf, den Prozeß der nationalen Einigung im Rahmen des sozialen, poHtischen und kultureUen Wandels der Modernisierung —







verstehen und zu erklären5. Zu Recht wurde gemahnt, an sozialgeschichtlichen Leitfragen festzuhalten, auch wegen der Überlagerung nationaHstischer Elemente mit solchen VorsteUungen und Interessen, die im engeren sozialen und regionalen Umfeld zu finden sind6. Gleichzeitig ist das Manko der makrosoziologischen Erklärungsangebote nicht zu übersehen, die den NationaHsmus als eine Funktion der Modernisierung betrachteten. Hier ist beispielhaft Ernest GeUner zu nennen, der die Entstehung des modernen Nationalstaates als ein notwendiges Korrelat der industriewirtzu

Das folgende nach Karl Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift, 250 (1990), S. 321-346. Zur Mentalität vgl. auch Ingrid Gilcher-Holtey, Plädoyer für eine dvnamische Mentalitätsgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 24 (1998), S. 476-497. Vgl. nur Nationalismus und sozialer Wandel, hrsg. von Otto Dann, Hamburg 1978; Dieter Düding, Die deutsche Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts als Vereinsbewegung. Anmerkungen zu ihrer Struktur und Phänomenologie zwischen Befreiungskriegszeitalter und Reichsgründung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 42 (1991), S. 601-624. So Heinz-Gerhard Haupt und Charlotte Tacke, Die Kultur des Nationalen. Sozial- und kulturgeschichtliche Ansätze bei der Erforschung des europäischen Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, in: Kulturgeschichte heute, hrsg. von Wolfgang Hardtwig und Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1996, S. 255-283, hier: S. 255.

Einleitung

5

schaftHchen und kultureUen Entwicklung interpretierte ein Argument, dem aufgrund seines funktionaHstischen Charakters klare Grenzen gesetzt sind. Der NationaHsmus dient hier als Explanans, nicht als Explanandum. Warum besitzen -

nationaüstische und nicht andere Deutungs- und Argumentationsmuster bis heute PlausibiHtät, und warum können sie Emotionen bündeln und entladen? Diese entscheidende Frage bleibt unbeantwortet7. Offen bleibt auch, ob und inwieweit nationaHstische Ideen ebenso in vorindustrieUen GeseUschaften verfangen oder sich unabhängig von Staatsbüdungsprozessen entfalten können8. Die Gefahr besteht, vermeintlich konkurrierende »partikulare« Einstellungen als >VerHerer< der nationalen Einigung auszublenden. Wie die jüngere Forschung jedoch gezeigt hat, steht NationaHsmus keineswegs mit regionalen und lokalen LoyaHtäten in Konkurrenz, vielmehr gehört zu seinen charakteristischen Funktionsmechanismen, sich in das vielschichtige Orientierungsgefüge vor Ort einbinden zu lassen9. Und die Tatsache, daß der NationaHsmus sich als ein Trojanisches Pferd der Moderne erweisen kann, wie die eingangs genannte Verbindung des modernen Selbstbestimmungsrechts mit der Attraktivität vergangener Denkweisen belegt, löst die aUzu enge Verknüpfung zwischen ideologisierter Modernisierung und Nationsbüdung auf. Deutlich zeichnen sich die Grenzen des Versuchs ab, auf einer müderen Abstraktionsebene aUgemeinere Aussagen über den struktureUen Wirkungszusammenhang von NationaHsmus, Staatsbildung und IndustriaHsierung zu treffen. Neuere, konstruktivistische Ansätze bUden ein notwendiges Korrektiv gegen die Gefahr, NationaHsmus als ein struktureUes Epiphänomen zu verkennen. Gemeint ist nicht ein radikaler Konstruktivismus, der nach dem »linguistic turn« mit einer poststrukturaHstischen Sprachphilosophie jenseits des Textes keine historische Wirklichkeit mehr zuläßt und die Analyse auf eine reine Sprachanalyse reduziert. Vielmehr geht es um den »relativen« Konstruktivismus, der die Nation in der Perspektive einer »geseUschaftiichen Konstruktion der Wirklichkeit« (Peter L. Berger und Thomas Luckmann) betrachtet. Ob man mit Benedict Anderson von einer »imagined community«, mit M. Rainer Lepsius von einer »gedachten Ordnung« oder mit Max Weber von der »VorsteUung« vom Bestehen einer »legitimen Ordnung« spricht10: Der Konstruktcharakter der Nation zählt zu den theoretischen Ernest Gellner, Nations and Nationalism, Oxford 1983. Deutsch unter dem Titel: Nationalismus und Moderne, Berlin 1991; zur Kritik an Gellner siehe Charles Taylor, Nationalism and modernity, in: State (wie Anm. 3), S. 191 ~218. Vgl. auch postum Ernest Gellner, Nationalismus. Kultur und Macht, Berlin 1999. Anthony D. Smith, The Ethnic Origins of Nations, Oxford 1986; vgl. ders., The Nation in History, Oxford 2000. Alón Confino, The Nation as a Local Metaphor: Wuerttemberg, Imperial Germany, and National Memory, 1871-1918, Chapel Hill 1997; Jörg Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770—1840), Frankfurt a.M., New York 1998, Celia Applegate, A Nation of Provinciais. The German Idea of Heimat, Berkeley, Oxford 1990; Föderative Nation (wie Anm. 2). Peter L. Berger und Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a.M. 1994 (1969); Benedikt Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, erw. Ausg., Berlin 1998 (Der Originaltitel ist präziser: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983); Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann, 5., rev. Aufl., Tübingen 1980, S. 16-19. Vgl.

Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller

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und methodischen Prämissen jüngerer Arbeiten der Historischen NationaHsmusforschung11. Ihr Erkenntnisinteresse zielt nicht auf die der Nation als unveränderHch, wenn auch in wechselnder Zusammensetzung zugeschriebenen Merkmale wie Sprache, Geschichte und ReHgion, sondern auf den Prozeß dieser Zuschreibung. In den Mittelpunkt rücken Inhalt, Formen und Vermittlungsweisen der jeweüigen Konstruktionen, die eine spezifisch nationale Sicht auf die Welt ermögHchen. Der NationaHsmus hält demzufolge handlungsleitende Deutungsmuster, Denkfiguren und Argumentationsformen parat, um Erfahrungen und Zukunftsentwürfe im Koordinatensystem des Nationalen sinnvoU einzuordnen. Nicht die Nation hat den NationaHsmus, sondern umgekehrt dieser die Nation hervorgebracht Ernest GeUners mittlerweüe weithin akzeptiertes und zitiertes Diktum gießt diesen Gedanken in eine prägnante Form12. Ausschlaggebend für die Wirkungsmacht des NationaHsmus sind der Glaube und die Selbstbindung der Individuen an »ihre« Gruppe, nicht eine vermeintlich objektive ReaHtät. Wenn man die Bedeutung dieses VorsteUungsgebäudes für den Einzelnen wie für koUektive Akteure zu verstehen sucht, heißt das nicht, die Konstruktion der Nation als HersteUung von Unwirklichem zu begreifen und sie »realen« Gemeinschaften gegenüberzusteUen, sprich: sie eines ideologischen Charakters zu bezichtigen13. AUe sozialen Gemeinschaften waren zuerst in gewisser Hinsicht vorgesteüt und konstruiert. Vielmehr ist die Tatsache entscheidend, daß die Nation durch den Glauben an ihre Gemeinschaft als ReaHtät gesetzt wird. Indem der NationaHsmus seine Bedeutung für die VorsteUungen, Interessen und Emotionen der Menschen erhält, erzeugt er eine handlungsleitende Wirklichkeit: »What -

damit verwandten Konzept der Nation als »gedachter Ordnung« M. Rainer Lepsius, Nation und Nationalismus in Deutschland, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 232—246; James J. Sheehan, Nation und Staat. Deutschland als eine »imaginierte Gemeinschaft«, in: Nation und Gesellschaft in Deutschland. Historische Essays; Hans-Ulrich Wehler zum 65. Geburtstag, hrsg. von Manfred Hettling und Paul Nolte, München 1996, S. 33—45; Bilder der Nation. Kulturelle und politische Konstruktionen des Nationalen am Beginn der europäischen Moderne, hrsg. von Ulrich Bielefeld und Gisela Engel, Hamburg 1998. Echternkamp, Aufstieg (wie Anm. 9); Svenja Goltermann, Körper der Nation. Habitusformierung und die Politik des Turnens 1860-1890, Göttingen 1998; Andreas Etges, Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich (1815-1914), Frankfurt a.M., New York 1999; Stefan-Ludwig Hoffmann, Die Politik der Geselligkeit. Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft, Göttingen 2000; Nationalismus und Nationalbewegung in Europa 1914—1945, hrsg. von Heiner Timmermann, Berlin 1999. Vgl. schon früh Ernest Gellner, Thought and Change, 3nd ed., London 1972, S. 168. So kritisiert Anderson, Erfindung (wie Anm. 10) zu Recht an Gellner, der auf der Erfindung der Nation insistiert, dieser habe »sich so sehr um den Nachweis [bemüht], der Nationalismus spiegle falsche Tatsachen vor, daß er jene >Erfindung< mit >Herstellen< von >Falschem< assozüert, anstatt mit >Vorstellen< und >KreierenEigenbewußtseins< einer sozialen Gruppe unabhängig vom historischen Kontext vorschneU unter dem Signum NationaHsmus abzubuchen und damit ungebrochene KontinuitätsHnien zu evozieren. Gegenüber der VorsteUung, daß es sich um NationaHsmus schon handelt, wenn von »Nation« geredet wird, muß daher ganz altmodisch dem quaHtativen wie quantitativen KontextuaHsieren und sorgsamen Differenzieren das Wort geredet werden. Nicht umsonst umreißt das in der Mediävistik verwandte Nationskonzept weniger eine scharfe DefinitionsHnie denn ein heuristisches Instrumentarium. Den Mittelalterforschern um das Marburger »nationes«-Projekt ging es um den Nachweis einer »Nation« genannten poHtischen OrdnungsvorsteUung, mit der bereits seit dem frühen Mittelalter Bevölkerungsgruppen durch die Herstellung eines gemeinsamen Bewußtseins integriert werden soUten. Dabei wird im Gegensatz zu älteren Forschungen, die von der Kontinuität eines >Volkes< ausgingen, die Vorgängigkeit der poHtischen Ordnung betont: die Ethnogenese ist Ergebnis, nicht Voraussetzung der Übertragung eines adeHg-klerikalen Traditionskerns auf ein Territorium14. Der hier verwendete Nationenbegriff gruppiert sich um ein lockeres Bündel von Merkmalen wie gemeinsame Siedlung und Organisation, Unterscheidung der in Frage stehenden Gruppe von ihrer Umwelt durch mindestens ein Kriterium und ein zumindest rudimentäres Bewußtsein von dieser Differenz. Insgesamt aber bHeben diese frühen Nationsgebilde als Adels- oder Klerikernationen in die Tektonik der alteuropäischen GeseUschaft eingebunden und wurden durch andere, übergreifende Wertsysteme ausbalanciert15. Auch wenn ein »Eigenbewußtsein« dieser Sozialverbände konstatiert werden kann und daher gelegentlich von einem mittelalterlichen »NationaHsmus« die Rede ist, wird man doch keine bruch-

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3 4

5

Vgl. Lemberg, Nationalismus,

Bd 2 (wie Anm. 4), S. 52 f. oder daran anknüpfend auch Alter, Nationalismus (wie Anm. 5), S. 14 und 23. Vgl. Haupt/Tacke, Kultur (wie Anm. 4). Vgl. das Modell für diese weithin akzeptierte Vorstellung bei Frantisek Graus, Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter, Sigmaringen 1980. Vgl. zur mediävistischen »nationes«-Forschung Helmut Beumann, Europäische Nationenbildung im Mittelalter. Aus der Bilanz eines Forschungsschwerpunktes, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 39 (1988), S. 587_593; Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972—1975, hrsg. von Helmut Beumann und Werner Schröder, Sigmaringen 1978; Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, hrsg. von

Joachim Ehlers, Sigmaringen 1989; Joachim Ehlers,

Mittelalterliche Voraussetzungen für nationale Identität in der Neuzeit, in: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, hrsg. von Bernhard Giesen, Frankfurt a.M. 1991, S. 77 99; Karl Ferdinand Werner, Volk, Nation, Nationalismus, Masse: Mittelalter. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd 7: Verw-Z, Stuttgart 1992, S. 171—281 sowie den Überblick bei Stauber, Nationalismus (wie Anm. 4), S. 140 142 und Langewiesche, Nation in der europäischen Geschichte (wie Anm. 4), S. 15 —18. —



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lose KontinuitätsHnie zu den MassenmobiHsierungskräften des Industrie- und Medienzeitalters ziehen können16. Am stärksten ist die Frage eines »NationaHsmus vor dem NationaHsmus« in jüngster Zeit von Wissenschaftlern diskutiert worden, die sich mit der Frühen Neuzeit beschäftigen17. Unter Berufung auf die VorsteUung der Nation als »gedachter Ordnung« orteten Wolfgang Hardtwig, Herfried Münkler, Hans Grünberger und andere den Ursprung des deutschen NationaHsmus bei den Humanisten in den Jahrzehnten um 150018, während Bernhard Giesen die RoUe der InteUektueUen betonte und Georg Schmidt den Reichspatriotismus umstandslos zum »frühneuzeitlichen deutschen Nationalbewußtsein« erklärte19. Neuerdings findet auch das bisher zu wenig untersuchte 16. und 17. Jahrhundert Aufmerksamkeit, eine Zeit, in der sich durch den Begriff des Patriotismus weniger GruppensoHdarität als die Kritik der Stände und Städte am monarchischen Zugriff artikuHerte. Im Zusammenhang mit diesen Diskussionen hat auch die Debatte um den Patriotismus des 18. Jahrhunderts eine neue Wendung genommen. Sah die ältere Literatur den Patriotismusbegriff noch ganz an die deutschen Territorialstaaten oder an das Reich gebunden20, betont die neuere Forschung die Amalgamierung von traditional und territorial fundierten VorsteUungen mit Übergreifendnationalen Konzepten. Im Kontext eines europäischen Forschungstrends wird der aufklärerische Patriotismus nun wieder stärker auf übergreifende Nationsbildungsprozesse bezogen21. Eine reinHche Scheidung zwischen >gutem< Patriotismus und 16 17

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So aber Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, München 1994. Vgl. die Kritik daran bei Langewiesche, Nation in der europäischen Geschichte (wie Anm. 4), S. 17. Vgl. den Dteraturüberblick bei Stauber, Nationalismus (wie Anm. 4) sowie die Beiträge in Nationalismus vor dem Nationalismus? (wie Anm. 8) und Förderative Nation (wie Anm. 4). Vgl. den 1992 verfaßten Aufsatz von Wolfgang Hardtwig, Vom Elitebewußtsein zur Massenbewegung. Frühformen des Nationalismus in Deutschland 1500—1840, in: Ders., Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500—1914. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1994, S. 34—54; Herfried Münkler, Nation als politische Idee im frühneuzeitlichen Europa, in: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. von Klaus Garber, Tübingen 1989, S. 56 —86; mit weiterer Literatur Herfried Münkler, Hans Grünberger und Kathrin Mayer, Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland, Berlin 1998. Vgl. Bernhard Giesen, Die Intellektuellen und die Nation. Eine deutsche Achsenzeit, Frankfurt a.M. 1993; Georg Schmidt, »Wo Freiheit ist und Recht «, da ist der Deutsche untenan?, in: Identität und Geschichte, hrsg. von Matthias Werner, Weimar 1997, S. 105-124, Zitat: S. 118. So der Tenor der Beiträge in dem Sammelband Patriotismus, hrsg. von Günter Birtsch, Hamburg 1991. Vgl. auch Rudolf Vierhaus, »Patriotismus« Begriff und Realität einer moralischpolitischen Haltung, in: Ders., Deutschland im 18. Jahrhundert. Politische Verfassung, soziales Gefüge, geistige Bewegungen. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1987, S. 96_ 109; Christoph Prignitz, Vaterlandsliebe und Freiheit. Deutscher Patriotismus von 1750—1850, Wiesbaden 1981. In anderen europäischen Staaten wird dabei explizit mit Begriffen wie Nationalismus oder Nationalkultur auch für die Frühe Neuzeit gearbeitet. Freilich muß dabei in Rechnung gestellt werden, daß die Konstruktion des Alten Reiches im europäischen Kontext eine Besonderheit darstellt. Vgl. etwa Gerald Newman, The Rise of English Nationalism. A Cultural History 1740—1830, London 1987; Simon Schama, The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age, London 1987; Linda Colley, Britons. Forging the Nation, 1707—1837, New Haven, London 1992; Richard Helgerson, Forms of Nationhood. The Elizabethan Writing of England, Chicago, London 1992; Colin Kidd, Subverting Scotland's Past. Scottish Whig Histori...

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Nationalismus, wie sie Günter Birtsch analog zur mittlerweile überwundehistoriographischen Aufspaltung in einen »Hnken«, Hberalen und einen »rechten«, aggressiven NationaHsmus im 19. Jahrhundert vorgenommen hat22, läßt sich

>bösem< nen

daher nicht mehr aufrechterhalten. Wie sich für das 19. Jahrhundert die Auffassung von der »Janusköpfigkeit« des NationaHsmus durchsetzte23, hat nun auch der Patriotismus seine Unschuld verloren. Ausgehend von der Literaturwissenschaft haben in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Studien eindrucksvoU das vorher unumstößHche Diktum widerlegt, daß vom »freiheitlichen und kosmopoHtischen Patriotismus [...] keine Brücke zum extremen NationaHsmus« führt24. Statt dessen zeigt sich, daß im Vaterlandsdiskurs des 18. Jahrhunderts bereits jene xenophoben, aggressiv-kriegstreibenden und maskuHn-heroischen Züge nachweisbar sind, die lange als charakteristisch für die >chauvinistische< Spätphase des »integralen NationaHsmus« gegolten haben25. Insgesamt jedoch bUeb die verbindende Rede vom deutschen Vaterland im 18. Jahrhundert, darauf hat Hans-Martin BHtz unlängst insistiert, semantisch offen: bürgeriiche Emanzipationshoffnungen standen neben and the Creation of

Anglo-British Identity, 1689—1830, Cambridge 1993; Andrew National Identity. Reformation to Renaissance, Cambridge 1994; ebenso einflußreich wie umstritten Dah Greenfeld, Nationalism. Five Roads to Modernity, Cambridge, Mass., London 1992. Vgl. Heinrich August Winkler, Vom linken zum rechten Nationalismus. Der deutsche Dberalismus in der Krise von 1878/79, in: Geschichte und Gesellschaft, 4 (1978), S. 5—28. An der Vorstellung einer positiv besetzten liberalen >Frühphase< des deutschen Nationalismus hält Dann trotz der antisemitischen Züge von Bretanos »Christlich-deutscher Tischgesellschaft«, dem Antisemitismus der Burschenschaften und der Hep-Hep-Unruhen fest, vgl. Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770—1990, München 1993. Auch Alter, Nationalismus (wie Anm. 5), trennt den »Risorgimento-Nationalismus« vom späteren »integralen« Nationalismus, wiewohl auch der namensgebende frühe italienische Nationalismus aggressive meist antiösterreichische Züge aufwies, vgl. den seinerseits in nationalistischen Gegensätzen verhafteten Aufsatz von Luigi Salvatorelli, Napoleon und Europa, in: Napoleon und Europa, hrsg. von Heinz-Otto Sieburg, Köln 1971, S. 171-200. Vgl. Dieter Langewiesche, Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert: zwischen Partizipation und Aggression, Bonn 1994; Hardtwig, Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland (wie Anm. 18), S. 12; so auch schon Homi K. Bhabha, Introduction. Narrating the Nation, in: Nation and Narration, ed. by Bhabha, London 1990, S. 1 —7, hier: S. 3. So Günther Birtsch, Erscheinungsformen des Patriotismus, in: Patriotismus (wie Anm. 20), ans

an

Hadfield, Literature, Politics, and

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S. 3-6. Siehe hierzu die ausgezeichnete Studie von Hans-Martin Blitz, Aus Debe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert, Hamburg 2000; Hans Peter Herrmann, Hans-Martin Blitz und Susanna Moßmann, Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1996; Klaus Bohnen, Von den Anfängen des >NationalsinnsNationale< Abstammungstheorien im Vorfeld der Nationalstaatsbildung, in: Nation und Dteratur im Europa (wie Anm. 18), S. 108-163 und Münkler, Einleitung (wie Anm. 32), vor allem S. 28. Vgl. dazu etwa Benedykt Zientara, Populus Gens Natio. Einige Probleme aus dem Bereich der ethnischen Terminologie des frühen Mittelalters, in: Nationalismus in vorindustrieller Zeit, hrsg. von Otto Dann, München 1986, S. 11—20; Benedykt Zientara, Frühzeit der europäischen Nationen. Die Entstehung von Nationalbewußtsein im nachkarolingischen Europa, Osnabrück

Vgl.

Anm. Diese

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1997.

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den übereinstimmenden Überblick bei Blitz, Aus Debe zum Vaterland S. 29-40 und bei Stauber, Nationalismus (wie Anm. 4), S. 142-145. Vgl. Münkler, Einleitung (wie Anm. 32), S. 20. Vgl. Schönemann, Volk (wie Anm. 29), S. 287.

Vgl.

(wie Anm. 25),

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den Oppositionsbegriffen formiert und der Krieg somit nationaHsiert38. FreiHch darf dabei nicht übersehen werden, daß »deutsch« mit »christlich« identisch war, die reHgiöse Abgrenzung also nach wie vor mitschwang. EbenfaUs in den Jahrzehnten um 1500 nahmen die Humanisten im Rahmen eines inteUektueUen EHtendiskurses eine »Historisierung des Eigenbewußtseins«39 vor, das nationale Vorstellungen auf ein geschichtliches Fundament steUte, nationale Mythen pflegte, nationale Stereotypen ausformuHerte und mit der Gestaltung des Arminius-Stoffes den ersten männUch-kriegerischen Nationalhelden schuf40. In diesem historischen Kontext erhielten die schon im Hochmittelalter bekannten Völkerstereotype eine neue QuaHtät: Aus der beschreibenden FeststeUung einer scheinbaren ethnischen Eigenheit wurde ein nationales Vorurteil, das aus der schroffen Abgrenzung gegenüber anderen Formationen das eigene nationale Bewußtsein schöpfte41. Die Abgrenzung nach außen mit einer Verschränkung von Inklusion und Exklusion (Kriterium 2) war also bereits für die nationalen Entwürfe im Zeitalter des Humanismus konsumtiv. Sie wurden von einer sozial abgrenzbaren Trägerschicht mit spezifischen Interessen den außerhalb ständischer Zuordnungen stehenden Gebüdeten formuHert (Kriterium 10) und standen in Zusammenhang mit kriegerischen Ereignissen (Kriterium 7). Gleichwohl war der Nationsbegriff des 15. und 16. Jahrhunderts weiterhin ständisch und funktional geprägt. Die »deutsche Nation« bHeb nach wie vor Teil anderer Identitätszuordnungen, deren Hierarchie noch nicht eindeutig auf die Superiorität des Nationalen festgelegt war42. Die Anhänger der Reformation und die Aufständischen im Bauernkrieg bedienen sich der (Sprach-)Nation als eines vorhandenen Hnguistischen Forums, doch sie war nicht das Ziel ihrer GeseUschaftsreformen, die wesentlich mit der Bibel argumentierten43. Auch bei den Humanisten war mit der Intensivierung des Nationalbewußtseins kein GeseUschaftsentwurf verbunden. Zudem kennzeichnete »Nation« im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert eine OrdnungsvorsteUung, die —



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Dieter Mertens, Nation als Teilhabeverheißung: Reformation und Bauernkrieg, in: Förderative Nation (wie Anm. 4), S. 115 134; Stauber, Nationalismus (wie Anm. 4), S. 143 f. So Schönemann, Volk (wie Anm. 29), S. 290. Zur Konstruktion der deutschen Nation in den Schriften der Humanisten vgl. aus der Fülle der Dteratur Hardtwig, Nationalismus (wie Anm. 18); Münkler/Grünberger/Mayer, Nationenbildung (wie Anm. 18); Garber, Trojaner (wie Anm. 33); Schönemann, Volk (wie Anm. 29); Mertens, Nation (wie Anm. 38); Blitz, Aus Liebe zum Vaterland (wie Anm. 25), S. 29~58; Herfried Münkler und Hans Grünberger, Nationale Identität im Diskurs der Deutschen Humanisten, in: Nationales Bewußtsein (wie Anm. 10), S. 211—248; Werner Lenk, Die nationale Komponente in der deutschen Dteraturentwicklung der frühen Neuzeit, in: Nation und Dteratur (wie Anm. 18), S. 108-163 und 669-687. Vgl. Schulze, Die Entstehung des nationalen Vorurteils (wie Anm. 27); Ludwig Schmugge, Über >nationale< Vorurteile im Mittelalter, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, 38 (1982), S. 439—459; zu Völkerstereotypen seit der Frühen Neuzeit vgl. Transformationen des Wir-Gefühls. Studien zum nationalen Habitus, hrsg. von Reinhard Blomert, Helmut Kuzmics und Annette Treibel, Frankfurt a.M. 1993; mit weiterer Dteratur Johannes Hoffmann, Stereotypen, Vorurteile, Völkerbilder in Ost und West in Wissenschaft und Unterricht: eine Bibliographie, Wiesbaden 1986; Walter Demel, Wie die Chinesen gelb wurden. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Rassentheorie, in: Historische Zeitschrift, 255 (1992), S. 625 666. Vgl. Mertens, Nation (wie Anm. 38), S. 123. Vgl. das Resümee ebd., S. 134. —

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sich in den poHtischen Diskursen noch keineswegs durchgesetzt hatte, sondern in Konkurrenz zu anderen, ebenfaUs legitim erscheinenden OrdnungsmodeUen wie Reich, Staat, Stadtkommune oder die Einheit der lateinischen Christenheit stand44. Der Ausweitung des »Nationendiskurses«, um die FormuHerung von Münkler aufzugreifen, über den Kreis der Gebüdeten und interessierten Stände hinaus waren enge Grenzen gezogen. Denn selbst wenn ein erhebHcher Teil der Menschen in direkter oder vermittelter Form im Krieg etwa mit der Abwehr der Bedrohung durch Türken konfrontiert war, kann daraus noch nicht auf die »NationaHsierung« ihrer Wahrnehmung geschlossen werden45. Weil in ihren Entwürfen militärische Konfrontation nationale Identität stiftete, konstruierte ein Teü der Humanisten zwar den ersten männHch-wehrhaften Nationalhelden und erkor Arminius zum Vorbüd im Rahmen einer Kriegstugendlehre46. Damit legten sie den Grundstein für den Konnex zwischen kriegerischer MännHchkeit und Nation. Aber der Arminius-Stoff diente der historischen Fundierung der Nation; mit ihm wurde ein Entstehungsmythos formuHert, kein Appell für die Zukunft. Zudem wurde die Figur des Arminius nur von jenen Humanisten zum antirömischen deutschen Helden stüisiert, die der protestantischen Seite nahestanden. Gemäß der Konkurrenz der Nation zu anderen OrdnungsvorsteUungen bUeb der Chemskerfürst in anderen Entwürfen in einen göttlichen Heüsplan oder als einer von vielen Territorialherrschern in die Ordnung des römischen Imperiums eingebunden. Selbst seine kriegerische Streitbarkeit wurde nicht in aUen Bearbeitungen des Stoffes positiv gesehen47. Nicht zuletzt schHeßHch war der Nationaldiskurs trotz der unzweifelhaften Verdichmng der nationalen PubHzistik um 1500 nicht auf Dauer gesteUt. Trotz der Erfindung des Buchdrucks und der Kommunikationsintensivierung in Krieg und Reformation als strukturellen Voraussetzungen bUeb das intensivierte Nationalbewußtsein eine vorübergehende Konjunktur, auch wenn es in einigen Punkten auf die Zukunft vorauswies. »Vor dem Hintergrund aUer bis dahin erreichten kommunikativen Konstituierung der deutschen Nation«, so urteüt Dieter Mertens, »büdet das Jahrfünft von 1520 bis 1525 zweifeUos einen Höhepunkt, der so bald nicht wieder erreicht wurde48.« Hardtwig hat im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit den Beginn der ersten Phase eines modernen NationaHsmus gesehen49. Es scheint mir jedoch wichtig, die konzeptioneü, zeitlich, inhaltlich wie sozial begrenzte Reichweite dieses ModeUs bereits im Begriff anzudeuten und daher —

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Das konzediert auch Münkler, Einleitung (wie Anm. 32), S. 23. Dies ist gegen Langewiesche festzuhalten, der in der Bedrohungserfahrung durch die Türkenkriege den »Schub an nationalem Denken« um 1500 über den Kreis der Humanisten hinaus wirken sah (Nation in der europäischen Geschichte [wie Anm. 4], S. 25). Doch ob die vom Türkenläuten aufgeschreckte Bevölkerung die Gefahr wirklich in nationalen und nicht religiösen Kategorien wahrnahm, weil die Aufrufe anläßlich der Türkenreichstage und die päpstliche Propaganda die Formel von der deutschen Nation verwandten, muß beim gegenwärtigen Stand der Forschung offen bleiben. Vgl. Münkler/Grünberg/Mayer, Nationenbildung (wie Anm. 18), S. 308. Vgl. ebd., S. 279-308. Vgl. Mertens, Nation (wie Anm. 38), S. 129. Vgl. Hardtwig, Vom Elitebewußtsein (wie Anm. 18), S. 45. ...

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einem punktueUen Nationaldiskurs zu sprechen, der nicht nur den eHtären Nationendiskurs der Humanisten im Sinne Münklers, sondern auch die Propagandaanstrengungen in poHtischen Auseinandersetzungen umfaßt50.

von

KonfessioneUer Nationalismus Im weiteren Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts verschwand der Nationaldiskurs nicht, aber die nationalen Zuordnungen traten hinter Prozessen der TerritoriaHsierung und KonfessionaHsierung zurück. Weiterhin markierte »deutsch« zunächst vor aUem einen Abgrenzungsbegriff gegenüber den »Welschen« oder den Osmanen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts hatte sich das bisherige kultureUexkludierende Verständnis von Nation VorsteUung einer geteüten Herkunft, um eine weitere nach außen gemeinsame Sprache, Abgrenzung Komponente erweitert: In den poHtischen und kriegerischen Auseinandersetzungen hatte die VorsteUung einer »teutschen Freiheit« als einer verbindenden und identitätsstiftenden, wenn auch faktisch jeweüs unterschiedHch interpretierten Rechtsnorm an Bedeutung gewonnen51. Zudem entwickelte sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts ein neues Rechtsbewußtsein unter den Juristen. So wie das Reich kein antikes römisches mehr war, soUte auch das römische Recht in Fragen der Reichverfassung nicht mehr maßgebHch sein52. In ein kultureU definiertes Nationalbewußtsein mischte sich also ein »innen«poHtisches Moment, das jedoch nicht im Sinne einer übergreifenden Partizipation (Kriterium 4) mißzuverstehen ist, sondern auf die Mitwirkung der Stände an der ReichspoHtik und die Abwehr hegemonialer Machtansprüche gerichtet war. Indem einige Schriften die »teutsche Freiheit« ledigHch als Eigentumsfreiheit und Rechtssicherheit interpretierten, trugen sie zusätzHch dazu bei, jede Nähe zu weitergehenden poHtischen Teühabeverheißungen abzuweisen. Immerhin setzte der WestfäHsche Friede mit der »teutschen Libertät« einen Katalog von Rechtsnormen durch, der auch die Untertanen nicht rechtlos Heß53. Im Schmalkaldischen und im Dreißigjährigen Krieg verband die evangeHsche Seite gezielt konfessioneUe PoHtik mit der Beschwörung einer deutschen Abstammungsgemeinschaft. Der Kaiser und die kathoHschen Stände Heßen sich somit der KoaHtion mit nicht-deutschen Mächten bezichtigen. Gleichzeitig rückten die evangeHschen Stände enger zusammen. Schmidt hat darin eine Frühform deutscher Einigungskriege erkennen woUen. Er übersieht dabei aUerdings, daß trotz der instrumenteUen NationaHsierung der ReHgion die KonfliktkonsteUation weiterhin reHgiös dominiert bUeb. Der protestantische NationaHsmus wirkte integrierend —



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Der Diskursbegriff wird hier nicht in der weiteren, auch Institutionen und Praktiken umfassenden Definition Foucault verstanden, sondern in der mittlerweile gebräuchlich gewordenen Verengung im Sinne eines publizistischen Diskussionszusammenhangs. Vgl. auch Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a.M. 1991. Vgl. Schmidt, Teutsche Kriege (wie Anm. 28), insbesondere S. 50. Vgl. Michael Stolleis, Reichspublizistik und Reichspatriotismus vom 16. zum 18. Jahrhundert, in: Patriotismus (wie Anm. 20), S. 7-23, hier: S. 12 f. Vgl. Schmidt, Teutsche Kriege (wie Anm. 28), S. 41 und 50.

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aber gegen einen im nationalem Verständnis >inneren Feind. NationaHsmus und Protestantismus gingen hier gegen den kathoHschen UniversaHsmus jene innige Verbindung ein, die sich schon im humanistischen Diskurs angekündigt hatte und noch bis ins 20. Jahrhundert erkennbar war. Im Unterschied zu den schroffen Gegensätzen des Dreißigjährigen Krieges zielte der NationaHsmus seit dem 19. Jahrhundert aber trotz seiner protestantischen Prärogative und trotz immer wieder aufbrechender Konflikte letztlich jedoch darauf, die konfessioneUen Grenzen zu überwinden. Einen deutschen Nationalhelden des 17. Jahrhunderts zu konstruieren, hat nicht einmal die nationaUstische Geschichtsschreibung späterer Zeiten fertiggebracht. Zwar bUeb der kultureUe Kern des Nationalen weiterhin sichtbar, so daß protestantische EHten in Soldatenliedern die Annahme »fremder« Kriegsdienste problematisieren konnten54. Er wurde sogar um rechtspoHtische Aspekte erweitert. Und auch in den Auseinandersetzungen zwischen der evangeHschen und der kathoHschen Seite konnte niemand mehr auf das Argument vom »Wohl des Vaterlands« verzichten55. Aber vom Kampf um ein als »national« verstandenes Territorium war nichts zu sehen, und am Ende der dreißigj ährigen Zerstörungsperiode hatten die Menschen von den Wirren des Krieges so genug, daß »teutsch« mit dem Wunsch nach Frieden gleichgesetzt wurde. Ganz offensichtlich fehlte ein klar abgrenzbares Feindbüd, das diesen Krieg hätte national legitimieren können. Nationale VorsteUungen wurden seit dem frühen 17. Jahrhundert in den SprachgeseUschaften und Tugendbünden des 17. Jahrhunderts gepflegt, deren Bedeutung Hardtwig mit Recht hervorgehoben hat. Bereits hier läßt sich die für das 18. Jahrhundert so typische Verbindung von KulturnationaHsmus und Territorialpatriotismus erkennen. Die SprachgeseUschaften formierten sich im Umkreis der Landesherrschaften und Reichsstädte vorwiegend aus den Kreisen der jeweüigen Funktionsträger, nahmen AdeHge wie bürgeriiche Gelehrte auf und formuHerten einen Tugendkanon, der sowohl die Verbesserung des jeweüigen Lebensumfeldes als auch die moraUsche Ausgestaltung einer deutschen Nationalkultur im deutschen Sprachraum umfaßte. Mit diesen VorsteUungen war auch ein Superioritätsanspruch gegenüber anderen Sprachgemeinschaften verbunden. Die »Alamodien-Literatur« aus diesem Umfeld trat aUenthalben für eine Sprachreinigung ein und verurteüte >ausländische< Sitten und Kleidung55. Obwohl andere höfische GeseUschaften schon früh die Aufnahme von MitgHedern beiderlei Geschlechts qua ständischer Legitimation vorsahen, waren die SprachgeseUschaften als männHches Projekt konzipiert, das Frauen nicht gleichberechtigt zuHeß. Eine Ausnahme büdete der Pegnesische Blumenorden, dessen Geschlechtergemeinschaft sich jedoch nicht zufällig in der ideaHsierten Gegenwelt einer arkadischen SchäferidyUe ab54

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Der Schluß, in den von Eliten formulierten »Volks«liedern ließen sich »die manifest gewordenen Wünsche und Hoffnungen der Menschen, ihre Orientierungsmaßstäbe und Handlungsspielräume« ablesen (vgl. Schmidt, Teutsche Kriege [wie Anm. 28], S. 35), ist methodisch nicht zulässig. Viel eher spiegeln sich hier die Wertvorstellungen der Verfasser wider, die zur Verbreitung ihrer Vorstellungen populäre Formen aufgriffen und in ihrem Sinne umformten. Vgl. Stolleis, Reichspublizistik (wie Anm. 52), S. 15. Vgl. ebd.

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spielte. Die Verbindung von Gelehrsamkeit und patriotisch-nationaler Tugendpflege mobiHsierte jedoch auch Fürstinnen und Dichterinnen, so daß mit der »TugendHchen GeseUschaft« eine eigene Frauenassoziation ins Leben trat. Stärker als bei der verwandten »Fruchtbringenden GeseUschaft« der Männer stand bei den Frauen das reHgiöse Moment im Vordergrund; war die Männerorganisation tendenzieU überkonfessioneU ausgerichtet, gehörten seinem weibHchen Pendant ausschHeßHch Protestantinnen an, die in ihm ein protestantisches Schutzbündnis erbHckten57. In diesen Umkreis gehört auch die Vaterlandsdichtung der evangeHschen AdeHgen Catharina Regina v. Greiffenberg. Angesichts des Türkeneinfalls von 1663 entwickelte sie einen umfassenden Vaterlandsbegriff, der »Germanien, Teutschland, das Römische Reich und die ganze HebHche Teutsche Nation und Voelkerschaft« umfaßte, und rief die nach geendigtem »Bruederkriege« geeinigte

Christenheit zum Kreuzzug »wider den Erbfeind Christlichen Namens« auf. Der Angriff eines reHgiösen Feindes soUte die konfessioneUen Gegensätze auf dem Boden einer nicht nur sprachHch und kultureU, sondern auch poHtisch das Reich und territorial Germanien bestimmbaren Nation überwinden. Die Nation war hier AppeUationsinstanz und Schicksalsgemeinschaft zugleich. Den Männern fiel dabei das Kriegshandwerk zu, den Frauen in Erweiterung bisheriger Handlungsspielräume die Aufgabe der reHgiösen Bekehrung Andersgläubiger. Nationale und konfessioneUe Einigung fielen hier in eins, aber sie dienten einem übergeordneten Ziel, der Ausbreitung der christlichen Heüslehre58. Die Nation erwies sich so am Ende des 17. Jahrhunderts als eine Kultur- und Wertegemeinschaft mit einem Fundament rechtlicher Grundzüge. Ihre konfessioneUe Spaltung konnte im Zuge einer äußeren Bedrohung zurücktreten, ohne daß die reHgiösen Verwerfungen jedoch verschwanden. Wie stark das reHgiöse Moment dominierte, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß sich die nationalen Legenden dieser Zeit um den Sieg Prinz Eugens gegen die Türken rankten, während die Kriege gegen Ludwig XIV. keinen vergleichbaren Heldenmythos hervorbrachten. Der darin aufgehobene christliche Kreuzzugsgedanke erwies sich gegenüber dem rein nationalen Gegensatz als der stärkere Legendenbildner. Immerhin motivierten nationale VorsteUungen nicht nur Männer, sondern erstmals auch Frauen zum Handeln. Dabei läßt sich bereits jene geschlechterpoHtische Asymmetrie erkennen, die für den NationaHsmus so typisch ist. Die nationalkultureUe Bewegung wurde von einer gebüdeten FunktionseHte aus AdeHgen und Bürgern unter Einschluß von Dichterinnen und Literaten getragen; ihre Zusammenschlüsse waren auf Dauer gesteUt und vielfach an die Höfe oder freien Reichs-



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Vgl. Siegrid Westphal,

Frauen der Frühen Neuzeit und die deutsche Nation, in: Föderative hier: S. 379 und 381; Klaus Conermann, Die Tugendliche Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Fruchtbringenden Gesellschaft, in: Sprachgesellschaften Galante Poetinnen, hrsg. von Erika A. Metzger und Richard E. Schade, Amsterdam 1989, S. 513—626; Franz Dix, Die tugendliche GeseUschaft, in: Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Alterthümer, 6 (1877), S. 43 146. Vgl. Sieges-Seule der Buße und Glaubens/wider den Erbfeind Christlichen Namens, Nürnberg 1675, Zuschrifft an mein wehrtes Teutsches Vatterland! Allerliebstes Vatterland!, zitiert nach Westphal, Frauen (wie Anm. 57), S. 376 f. Nation

(wie Anm. 4), S. 363-385,

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Städte gebunden. Sie produzierten nationale Selbstverständigungstexte, griffen aber als Assoziationen über den bloßen Nationaldiskurs hinaus. Dennoch bUeben ihnen enge regionale, konfessioneUe und ständische Schranken gesetzt. Der NationaHsmus der SprachgeseUschaften beschränkte sich auf kleine, überwiegend protestantische Zirkel, und selbst dort bHeb der christliche Deutungshorizont bis weit in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein dominant. Insgesamt kann man sagen, daß sich die oben genannten nationalen Indikatoren zwar ausweiteten, die ReHgion jedoch ihre primäre Zuständigkeit für den Sinnhorizont und die Handlungsmotive der Menschen bewahrte. Reichs- und

Landespatriotismus: dynastische Nationalismen

Überwindung

Die aUmähHche der Spaltungen des 30jährigen Krieges und das Ende der türkischen Bedrohung in Mitteleuropa Heßen die Notwendigkeit einer zwar reichsnational begriffenen, aber von christlichen VorsteUungen dominierten konfessioneUen AlUanz gegen einen reHgiös-ethnischen »Erbfeind« verschwinden. An die SteUe der Türkenkriege rückte die Bedrohung des Reiches durch die Eroberungszüge Ludwig XIV. und im Spanischen Erbfolgekrieg. Der christHchmusHmische Gegensatz wurde von der FrontsteUung des habsburgisch dominierten Reiches gegen das ebenfaüs kathoHsche Frankreich abgelöst. Gleichzeitig beschränkte die Aufklärung die Wirkungsmächtigkeit christlicher LoyaHtätsbeziehungen unter den Gebildeten und legte damit den Grundstein für eine aUmähHche SakraHsierung des Nationalen, einen Prozeß, der sich freüich noch bis ins 19. Jahrhundert hinziehen soUte. Die AppeUe an die nationale SoHdarität während der Kriege gegen Ludwig XIV. griffen vielfach auf pubHzistische Vorbüder aus dem Dreißigjährigen Krieg zurück und aktuaHsierten sie für den gegenwärtigen Bedarf. Auch im Spanischen Erbfolgekrieg betrieb der österreichische Hof eine intensive nationale Agitation59. Die pubHzistische NationaHsierung erreichte eine bisher nicht gekannte Dimension60, und auch der Arminius-Stoff wurde wieder ausgegraben. Schon hier entstand das dynastische Vaterland aus blutiger Schlacht61. Frankreich wurde zum »modernen Rom«62, und die Habsburger erschienen nun als Retter des Reiches. In der Folgezeit führte der Machtzuwachs des Hauses Habsburg und die damit einhergehende Glorifizierung von Kaiser und Reich zu einem bisher ungekannten Aufschwung des Reichspatriotismus, ja zu einer regekechten »Reichseuphorie«, die sich in einer intensiven »ReichspubHzistik« —



widerspiegelte63. 59 611

Vgl. Burgdorf, Reichsnationalismus (wie Anm. 28), S. 158. Vgl. Stolleis, Reichspublizistik (wie Anm. 52), S. 16. Vgl. Blitz, Aus Debe zum Vaterland (wie Anm. 25), S. 74~89. Vgl. Thomas Borgstedt, Reichsidee und Liebesethik. Eine Rekonstruktion des Lohensteinschen Arminiusromans, Tübingen 1992, S. 24. Vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800, München 1988, dort weitere Dteraturangaben; Karl Otmar von Aretin, Reichspatriotismus, in: Patriotismus (wie Anm. 20), S. 26~36.

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Freüich steüte der habsburgische Kaiser in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehr und mehr dynastische Eigeninteressen in den Vordergrund. Auch das Fehlen eines äußeren Feindes begünstigte zeitweilig ein eher dynastisches als nationales Reichsverständnis. Der gelehrte Stand richtete seine LoyaHtät, aber auch seine Ansprüche zunehmend an den aufstrebenden Fürstenresidenzen aus und entwickelte aUmähHch jene »Patriotismus« genannte »moraUsch-poHtische Haltung«, die sich in einem für das Deutsche Reich charakteristischen FöderaHsmus sowohl auf die übergeordnete Einheit des Reiches als auch auf den jeweüigen Territorialstaat beziehen konnte. Weitaus häufiger war jedoch vor aUem in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts damit das regionale Umfeld des Patrioten gemeint64. Sowohl die ReichspubHzistik als auch die Schriften der Patrioten zielten wesentlich auf innere Reformen. Ging es in einem FaU um ständische Partizipation im Verhältnis zum Reich und damit um Verfassungsfragen, stand das Gemeinwohl des aufstrebenden Territorialstaates im Mittelpunkt des Patriotismus, zu dem sich zunächst die regionalen FunktionseHten bekannten. Johann Heinrich Zedlers Universaüexikon verstand 1740 unter einem Patrioten einen rechtschaffenen »LandesFreund, ein Mann, der Land und Leuten treu und redHch vorstehet, und sich die aügemeine Wohlfahrt zu Hertzen gehen lasset«65. Im Zuge des Ausbaus der Landesherrschaften zu modernen Staaten bezeichnete Patriotismus zunächst die uneigennützige Amtsführung der territorialen Verwaltungsbeamten und Regierungsträger. Durch ihren Ausschluß von Verwaltungsämtern kamen Frauen nur als Landesmütter oder Mäzenatinnen in den BHck, von einer nationalen oder patriotischen Aufgabe der Frau war nicht die Rede. Auch fehlte noch die intensive Kommunikation über eine den deutschen Sprachraum umfassende Kulturund Abstammungsgemeinschaft, die für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts charakteristisch wurde. Das patriotische Ideal schloß auch die jeweüigen Landesherrn ein, die sich selbst als Patrioten zu bezeichnen begannen und ihr Handeln mit »VaterlandsHebe« legitimierten66. Auf Seiten der Fürsten begann hier der aUmähHche Abschied von Geburt und Gottesgnadentum als QueUe fürstiicher Souveränität zugunsten des tatsächHchen oder behaupteten aügemeinen Wohls. Aber der Partizipationsanspruch des gebüdeten Bürgers an seinem Staat, der den Patriotismusbegriff in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts prägte, hatte in die FormuHerung des UniversaUexikons, die den Stand der unmittelbaren Vergangenheit vor Aufbruch des österreichisch-preußischen Gegensatzes kodifizierte, noch keinen Eingang gefunden. Auch fehlte den patriotischen GeseUschaften ein männHch-heroisches Wehrideal. Für sein Vaterland zu sterben, wurde dem Patrioten noch nicht abgefordert. Von der nationalen Rhetorik in den Krisen des Reiches an der Wende zum —



64

65

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Vgl. Priegnitz, Vaterlandsliebe (wie Anm. 20); Vierhaus, Patriotismus (wie Anm. 20) und mit weiterer Dteratur die Beiträge in dem Sammelband Patriotismus (wie Anm. 20). Vgl. Johann Heinrich Zedler, Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd 26, Leipzig, Halle 1740, Sp. 1393. Vierhaus, Patriotismus (wie Anm. 20).

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18. Jahrhundert abgesehen, standen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts einzelstaatHche Entwicklungen im Vordergrund, und auch der Reichspatriotismus war durch die Begeisterung für den habsburgischen Kaiser und die Überlappung von Kaiser und Reich eher dynastisch als national geprägt. Nationale Sattelzeit:

Spätabsolutistischer Nationalismus

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte unter Weiterführung bereits vorhandener In- und Exklusionsmechanismen eine Anzahl neuer Entwicklungen ein, die es rechtfertigen, von einer nationalen Sattelzeit zu sprechen und hier ehe Entstehungsphase des eigentlich »modernen« NationaHsmus zu sehen. Die zeitHchen Eckpunkte bilden die österreichischen Erbfolgekriege und insbesondere der Siebenjährige Krieg einerseits, die 1820er Jahre vor der HersteUung eines einheitHchen Wirtschaftsraums, dem Anwachsen Hberal-nationaler sowie demokratischer Bewegungen und der Thematisierung sozialer FragesteUungen andererseits. In diese nationale Sattelzeit faUen geknüpft an den Aufstieg des Bürgertums und an eine Umorientierung in Teüen des »Reform«adels die Durchsetzung eines nationalen Kultur- und Kommunikationsraumes, die Herausbildung bürgeriicher Partizipationserwartungen an das staatliche Gemeinwesen, die aUmähHche nationale Legitimierung der Dynastien und die FormuHerung des ultimativen und letalen Folgeanspruches, den der NationaHsmus in Absorbierung und Umformung christHcher Heüserwartung und Folgebereitschaft an seine weltlichen Jünger steüt. Hinwendung zum Staat, Partizipationsansprüche und reHgiös abgefederte Todesbereitschaft gehörten in dieser Denkfigur seither untrennbar zusammen67. Die Befürchtung, Habsburg könne das Reich in seinem Interesse instrumentalisieren, sowie der DuaHsmus zwischen Österreich und dem aufstrebenden preußischen Staat führte nach dem Hubertusburger Frieden 1763 zu einer bisher ungekannten Beschäftigung mit der Reichsverfassung, die noch bis in die Zeit der KoaHtionskriege anhielt. In der StaatsrechtsHteratur glaubte man noch nach der Säkularisation und der Abdankung des Kaisers an die MögHchkeit einer Reichsreform68. Die Verfassungsdiskussionen, an denen sich Bürgeriiche wie AdeHge beteiHgten, waren Teil einer bislang in der Forschung meist »patriotisch« genannten Bewegung, in der sich eine bürgerHch-adeHge Oberschicht anschickte, auf die Gestaltung der Staatsgeschäfte Einfluß zu nehmen. Auch in den Einzelstaaten machten sich die Gebildeten in einer nie dagewesenen Anzahl patriotischer Schriften daran, ihre bisherige »Untertanenexistenz zu überwinden und aktiv am gemeinen -

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Allerdings hat Burgdorf darauf aufmerksam gemacht, daß der Reichspatriotismus diesen tödlichen Folgeanspruch nicht stellte und hier Partizipationschancen und Todesbereitschaft nicht zusammenfielen, vgl. Burgdorf, Reichsnationalismus (wie Anm. 28), S. 176. Sollte eine weitere Quellen einbeziehende Untersuchung diese Differenz betätigen, wäre hier vielleicht ein weiteres trennscharfes Kriterium für die Unterscheidung von Reichspatriotismus und Nationalismus gefunden. Vgl. Aretin, Reichspatriotismus (wie Anm. 63), insbesondere S. 33.

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Wesen Anteü zu nehmen, dem sie nur als passive MitgHeder angehörten«69. Als Argument für eine solche über die ständische Verfassung hinausgreifende Mitgeder PoHtik führten die Patrioten ihre »VaterlandsHebe« ins Feld. Damit war aber genau jener Konnex erreicht, der in der Literatur als ein wesentliches Kriterium für den »modernen« NationaHsmus angeführt wird: Partizipation qua Bekenntnis zur Nation. Patriotismus und NationaHsmus faUen nicht umstandslos in eins, aber sie überschnitten und beeinflußten sich. An der Forschung ist es daher, zukünftig diese wechselseitigen Einflußnahmen stärker zu untersuchen. Der Einwand, daß es sich bei den bürgerHchen Partizipationswünschen des 18. Jahrhunderts nicht um eine »moderne« poHtische Repräsentation im Sinne von Verfassung und Parlament gehandelt habe, führt am Kern des Problems vorbei. Für die Zeitgenossen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konnte politische Mitgestaltung auf zwei Wegen zum Ausdruck kommen: Durch ständische Vertretung oder im Medium der Öffentlichkeit. Selbst Kants Entwurf einer repräsentativen Regierang, wie er sie sechs Jahre nach der Französischen Revolution in seiner über den Abhandlung »Ewigen Frieden« niedergelegt hatte, kam ohne Volksvernicht aber PubHzistik aus70. In diesem Zusammenhang muß mit ohne tretung, Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß noch in den Kriegen gegen Napoleon, in denen gerne der Beginn des deutschen NationaHsmus gesehen wird, sich der Plan zu einer stärkeren poHtischen Beteüigung des »Volkes« auf einen Territorialstaat in einer spezifischen Situation Preußen nach der vernichtenden müitärischen Niederlage richtete und daher zum einen vom Wirkungsraum begrenzter war als die spätaufklärerische, über staatliche Grenzen hinweg geführte Diskussion der Gelehrten. Zum zweiten bUeben die poHtischen Visionen von Heinrich Friedrich Karl, Reichsfreiherr vom und zum Stein und Karl August, Fürst v. Hardenberg, Makulatur, deren verweigerte Umsetzung die Reformer resignieren Heß71. Die in den Aufrufen an die »deutsche Nation« beschworenen soldatischen Helden soUten für die Nation ihr Leben lassen mitbestimmen soUten sie nicht. Die RepubHkaner mit ihren zahlreichen und keineswegs homogenen VorsteUungen argumentierten ja gerade nicht national, bei manchen ihrer Entwürfe sind weiterwirkende ständische Züge unübersehbar72. Wer den Maßstab poHtischer Partizipation an die »Befreiungskriege« anlegt, kann nur zu dem Schluß kommen, daß es einen »modernen« NationaHsmus auf breitem Fundament damals nicht gegeben hat. Die »Befreiungskriege« waren ein Müitärbündnis der großen Mächte zur Abwehr der

staltung





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So die klassische Definition von Vierhaus, Patriotismus (wie Anm. 20), S. 101. Reichsnationalismus (wie Anm. 28), S. 159 und Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Königsberg 1795. Man vergleiche einmal das sogenannte »Politische Testament« Steins mit Friedrich Wilhelms Aufruf »An mein Volk«, der sich im übrigen auch das wird gern übersehen an die »Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litthauer« wendet und mitnichten an eine gesamtdeutsche Nation. Beide Quellen sind leicht zugänglich in: Ernst Walter Zeeden, Europa im Umbruch. Von 1776 bis zum Wiener Kongreß, Stuttgart 1982, S. 145 f. und S. 166 f. Vgl. Uwe Schmidt, Südwestdeutschland im Zeichen der Französischen Revolution: Bürgeropposition in Ulm, Reutlingen und Essüngen, Stuttgart 1993; Heinrich Scheel, Süddeutsche Jakobiner: Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts, 3., durchgesehene Aufl., Berlin (Ost) 1980.

Vgl. Burgdorf,

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französischen Dominanz, dem sich die kleineren Staaten aus Staatsräson anschlösund das war weit seltener der FaU, sen. Wo sich die Bevölkerung daran beteiligte als es die nationaHstische Hagiographie späterer Zeiten behauptete war der Unmut über die wirtschaftliche und militärische Ausbeutung durch die Hegemonialmacht die Hauptursache. Die Verfassungs- und Partizipationsüberlegungen während und kurz nach der Kriegszeit bHeben an unterschiedHchen Représentations modeUen ausgerichtet und ambivalent. Zwar wurde die schon aus dem 17. Jahrhundert bekannte Verbindung von >germanisch-deutsch< und >freiheitsUebend< wieder aktuaüsiert. Aber was unter »Freiheit« zu verstehen sei, bUeb äußerst vage und reichte von einer Wiederauflage des StändemodeUs, wie es Friedrich Gentz interpretierte, bis hin zu Ernst Moritz Arndts Entwürfen zu einer »freiheitHchen Verfassung« und den konstitutioneUen VorsteUungen im Umkreis der FrühHberalen. Andere >nationale< Äußerungen hatten die preußischen Verhältnisse im BHck oder verbHeben in verfassungspoHtischer Unbestimmtheit. Auch die Bundesakte entschied in ihrem Passus über die »Landständische Verfassung« nicht, ob diese FormuHerung nun altständisch oder im Sinne einer Volksvertretung mit Mitspracherechten zu interpretieren sei. Mehrheitlich setzte die Diskussion um das Partizipationspotential des Nationalen erst ein, als der Krieg schon vorbei war. Bis dahin erreichte sie nur den kleinen Kreis der interessierten bürgerHchen ÖffentHchkeit, und die Pläne hatten keine Chance auf Verwirldichung. Pessimistisch hielt >Chefpropagandist< Arndt 1814 fest, daß die Gesamtheit der MobiHsierungsanstrengungen der letzten Zeit aus seinen Zeitgenossen noch »keine poHtischen Menschen« gemacht habe und man »nicht so viel weiter geschritten (sei), als manche sich einbüden«73. Es war kein ZufaU, daß die Verfassungsreformen nach 1815 eben nicht von Preußen oder Österreich ausgingen, wo die propagandistische »NationaHsierung« der Öffentlichkeit ihren höchsten Grad erreicht hatte, sondern von den >national unzuverlässigen ehemaHgen Rheinbundstaaten mit einer langen Tradition ständischer Mitbestimmung wie in Württemberg, steckengebHebenen Verfassungsplänen wie in der bayrischen Montgelas-Ära oder der Erfahrung eines ausgesprochen aufgeklärt-Hberalen Absolutismus wie in Baden74. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß in der Forschung die in ständischen Vorstellungen wurzelnden Partizipationsideen in der Vorgeschichte >nationaler< Repräsentationsformen zu wenig beachtet werden. Nicht nur in Frankreich, Spanien und Portugal gingen die revolutionären Impulse von sich umgestaltenden Ständeversammlungen aus, auch Württemberg hatte eine landständische Verfassung gekannt, auf die sich unter scharfer Beobachtung einer interessierten Öffentlichkeit die Reformbemühungen in den Jahren 1815 bis 1819 berufen konnten75. WoUte man NationaHsmus erst dort beginnen lassen, wo ständisches Denken -



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aufhörte, würde

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74

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man

die historische ReaHtät bis weit ins 19. Jahrhundert hinein

Vgl. Ernst Moritz Arndt, Über künftige ständische Verfassungen in Teutschland, in: Ders., Werke. Auswahl in 12 Teñen, hrsg. von W. Steffens, Berlin o.J., Bd 11, S. 83-130, hier: S. 85-87. Vgl. zur Frage der verfassungspolitischen Diskussion mit weiterer Dteratur Echternkamp, Aufstieg (wie Anm. 9), S. 254-290. Vgl. Hartwig Brandt, Parlamentarismus in Württemberg 1819 1870. Anatomie eines deutschen Landtags, Düsseldorf 1987. —

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verkennen. Denn auch FrühHberale waren mit ihrer scharfen Abgrenzung gegenüber den sozialen Unterschichten und ihrer Koppelung von Bildung, Eigentum und poHtischem Mitspracherecht ständischen Mustern verhaftet. Die im Namen der Nation beschworene »Freiheit« meinte zunächst einmal die Freiheit der (männHchen) Gebüdeten. Ketzerisch könnte man sogar behaupten, daß man nach diesem Maßstab von NationaHsmus erst im Vorfeld von 1871 oder sogar 1918 sprechen dürfte, als die zahlenmäßig größten Teüe der Nation das Wahlrecht erlangten. PoHtische Partizipation im Namen der Nation, das soUte dieses Gedankenexperiment zeigen, war ein gradueUer Prozeß, und die Patriotismus-Diskussion seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte auch ohne Forderung nach einer modernen Repräsentatiwerfassung daran einen mindestens ebenso großen, wenn nicht größeren Anteil als das vorübergehende Ereignis der >BefreiungskriegeAusländerei< mit -





Vgl. Horst Carl, Okkupation und Regionalismus. Die preußischen Westprovinzen im SiebenjähriKrieg, Mainz 1993. Vgl. Joachim Bauer, Student und Nation im Spiegel des »Landesvater-Dedes, in: Föderative Nation (wie Anm. 4), S. 135-155, hier: S. 136 f. Vgl. Johannes Kunisch, Einleitung, in: Aufklärung und Kriegserfahrung (wie Anm. 85), S. 739 f. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Burgdorf, Reichsnationalismus (wie Anm. 28), gen

S. 162.

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Verteidigungsschriften reagierte, in denen die transnationale BündnispoUtik verteidigt wurde93. Wolfgang Burgdorf hat Wert auf die FeststeUung gelegt, daß es sich bei den

preußischen MobiHsierangsschriften um preußischen »TerritorialnationaHsmus« und damit »keineswegs um Ausdrücke eines gesamtdeutschen Nationalbewußtseins« gehandelt habe94. Das ist zwar richtig, doch wurden in diesem Kontext Topoi kanonisiert, die sich später problemlos auf die deutsche Nation übertragen Heßen. Schon 1757 hatte die unter Rechtfertigungsdruck stehende preußische Diplomatie in einem Schreiben an den Reichstag auf die Verletzung preußischer Interessen durch die französischen Kriegsvölker hingewiesen und daraus eine Bedrohung des gesamten Deutschen Reiches abgeleitet, zu dessen Rettung aUe deutschen Reichsfürsten aufgerufen wurden selbstverständHch unter Preußens Führung95. Hier zeichnete sich bereits jene deutsche »Mission« Preußens ab, cüe in den Befreiungskriegen wie danach wirkmächtig werden soUte. Auch betrieben die Arminius-Dramen ebenso wie Abbts Vaterlandspamphlet trotz ihres eindeutig preußisch-protestantischen Bezugsrahmens keine dezidiert anti-reichische Propaganda, so daß sie auch über den aktueUen Entstehungszusammenhang hinaus als gleichsam zeitloses Zeugnis patriotischen Engagements verwendbar bHeben. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, daß auch die Rhetorik der >BefreiungskriegNationalcharakterDeutschen Bewegung< herausgearbeitet, vermeidet es aber, den hier zu konstatierenden Nationalismus beim Namen zu nennen, vgl. Herder und die deutsche Bewegung, in: Johann Gottfried Herder 1744-1803, hrsg. von Gerhard Sauder, Hamburg 1987, S. 308-340; Gerhard Sauder, Nation und Nationalismus in Deutschland, 1770 1990, 3. Aufl., München 1996. Vgl. die kritische Analyse von Blitz, Aus Debe zum Vaterland (wie Anm. 25), S. 344~349. Die Patriotischen Frauenvereine der >Befreiungskriege< wurden nach bisherigem Kennmisstand vorwiegend in Preußen und im Rheinland in der Flankierung der militärischen Maßnahmen aktiv und arbeiteten nach Kriegsende als einzelstaatlich ausgerichtete Wohltätigkeitsvereine weiter, vgl. Dirk Reder, Frauenbewegung und Nation. Patriotische Frauenvereine in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert (1813—1830), Köln 1998; Karen Hagemann, »Mannlicher Muth und teutsche Ehre«. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn, München, Wien, Zürich 2002. Aber auch in den Rheinbundstaaten gab es etwa mit dem 1805 gegründeten Stuttgarter Armenverein oder dem 1817 entstandenen Württembergischen Armenverein während der napoleonischen Zeit caritative Vereine mit (landes)patriotischer Zielsetzung, die zum Teil oder ausschließlich von Frauen getragen wurden. Ziel war aber nicht die Unterstützung der militärischen Infrastruktur, sondern Hilfeleistungen gegen die zunehmenden Verarmung, vgl. Sabine Rumpel-Nienstedt, »Thätige Mitwirkung an einem allgemeinen Staatszwecke«. Frauen in Wohltätigkeitsvereinen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Königreich Württemberg. Unveröffentl. Magisterarbeit, Tübingen 1988. Vgl. auch Ute Planert, Wessen Krieg? Welche Erfahrung? Oder: Wie national war der »Nationalkrieg« gegen Napoleon?, in: Der Krieg in religiösen und nationalen Deutungen der Neuzeit, hrsg. von Dietrich Beyrau, Tübingen 2001, S. 128 f. Vgl. Ute Planert, Zwischen Partizipation und Restriktion. Frauenemanzipation und nationales Paradigma von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, in: Föderative Nation (wie Anm. 4), S. 387-428, hier: S. 392; Ulrike Weckel, Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum, Tübingen 1998, insbesondere S. 510 531. —

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Auch die Studenten begannen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in und neben den Oden an den jeweüigen »Landesvater« gesamtnationale Töne anzuschlagen. Seit den 1740er Jahren wurde in den studentischen Stammbüchern das »Vaterland« mehr und mehr zum Thema begleitet von antifranzösischen Parolen, in denen man zur Konturierung der eigenen Identität »deutsch« gegen »französisch« abgrenzte104. Die Lyrik im Umfeld des »Göttinger Hain« beschwor die Geburt einer reHgiös überhöhten deutschen Nation aus dem Geist des Krieges und Heß es dabei weder an der SakraHsierung der Nation noch an der Ästhetisierung des Heldentods oder an aggressiven Attacken gegen Frankreich fehlen. Die Göttinger aktualisierten die Franzosenfeindschaft aus den Kriegen gegen Ludwig XIV. und aus dem Siebenjährigen Krieg nun auch in Friedenszeiten. Ihre lyrische Mobilisierung der Gewaltbereitschaft bUeb nicht bei der dichterischen Imagination stehen, sondern wurde in Hetzgedichten und Büderverbrennungen in die ReaHtät umgesetzt. Das nationaUstisch motivierte Autodafé ist keine Erfindung aus der Zeit der Befreiungskriege^ sondern wurde schon 1773 vom Göttinger Hain-Bund gegen den »KosmopoHten« Christoph Wieland in Szene gesetzt105. Ob sich ParaUelen zu der von Saul Asher beklagten antisemitischen »Germanomanie« schon vor den Aktivitäten der »Christlich-deutschen Tischgesellschaft« finden, harrt gegenwärtig noch der Erkundung. Sicher ist jedoch, daß schon zehn Jahre vor der Französischen Revolution und ganz ohne jede aktueUe Kriegseinwirkung jene Verbindung von deutschem Superioritätsansprach, KriegsverherrHchung und Xenophobie virulent wurde, wie sie in der eingangs zitierten Abrechnung des Schulmannes Embser mit dem kosmopoHtischen Ideal des »ewigen Friedens« zutage trat. Am Ende des 18. Jahrhunderts waren also bereits aUe Faktoren vorhanden, die in der neueren Forschung als konsumtiv für einen »modernen« NationaHsmus angesehen werden: die VorsteUung einer spezifischen Identität aUer Deutschen als Abstammungsgemeinschaft mit gemeinsamer Kultur und Sprache, einem geteüten auf bürgeriich-geschlechtsspezifischen Tugenden beruhenden Wertesystem und einer gemeinsamen Geschichte, die in Mythen beschworen werden konnte; die Entwicklung dieser nationalen Identität in kriegerischer wie kultureUer Abgrenzung zu anderen SozialkoUektiven, insbesondere gegenüber dem als hegemonial betrachteten Frankreich; der Versuch der Übertragung primordialer emotionaler Bindungen auf das KoUektiv; die SakraHsierung des »Vaterlands« als oberster Legitimationsinstanz einschHeßHch der Forderung, das eigene Leben dafür zu opfern; eine geschlechtsspezifische AusformuHerang der LoyaHtätspflicht gegenüber der Nation; die Existenz einer sozialen Trägergrappe, die solche Vorstellungen nicht nur artikuHerte, sondern auch über die kommunikative Infrastruktur zur Herstel—





Vgl. Bauer, Student und Nation (wie Anm. 90). Zur Nationalisierung der Burschenschaften vgl. auch Wolfgang Hardtwig, Studentische Mentalität Politische Jugendbewegung Nationalismus. Die Anfänge der deutschen Burschenschaft, in: Historische Zeitschrift, 242 (1986), S. 581—628. Vgl. Hans-Martin Blitz, »Gieb Vater, mir ein Schwert!« Identitätskonzepte und Feindbilder in der »patriotischen Lyrik Klopstocks und des Göttinger »Hain«, in: Herrmann/Blitz/Moßmann, Machtphantasie Deutschland (wie Anm. 25), S. 80—122; ders., Aus Debe zum Vaterland (wie Anm. 25), S. 361—398; Saul Asher, Germanomanie. Skizzen zu einem Zeitgemälde, Berlin 1815. -

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nationalen Diskurses verfügte; die Diskussion über die poHtische Auseines in seinen Grenzen wie in der Regierangs form variierenden Gemeinwesens, das die Herrschergewalt des Fürsten einschränken und an gesetzförmige Regelungen binden soUte; die Erprobung der Wirkung poHtischer Propaganda im Krieg, in der nationale Feindbüder an die Seite und zunehmend auch an die SteUe konfessioneUer Mobilisierung traten. Diese nationalen Zentripetalkräfte waren durchaus mit jenen vergleichbar, die sich im 18. Jahrhundert auch in anderen europäischen Staaten beobachten lassen106. Daß die historische Forschung sie trotz gegenteüiger Befunde lange nicht wahrhaben woUte, mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß man angesichts des weiteren Verlaufs der deutschen Geschichte Heber an die unschuldiger erscheinende Version einer aus der Usurpation geborenen reaktiven NationaHsierung glauben woUte. Doch die NationaHsierungstendenzen existierten unzweifelhaft lange vor 1789. Ihnen standen neben den Beschränkungen eines bürgerHchen EHtediskurses nur noch zwei wesentliche Hindernisse entgegen: der mit konfessioneUen Spannungen verknüpfte preußisch-österreichische DuaHsmus und die Schwierigkeiten, die von der Traditionsform des Reiches mit souveränen Fürsten

lung eines gestaltung





ausgingen. Um Bewegung in die dynastischen Eigeninteressen zu bringen, bedurfte es eines gemeinsamen äußeren Feindes, der in Gestalt der Französischen Revolution und der napoleonischen Expansion erstand. Bis die beiden deutschen Großmächte dauerhaft zu einer gemeinsamen PoHtik fanden, soUten nach Beginn der französischen Expansion aUerdings noch zwanzig Jahre vergehen. Daß schon nationalgesinnte Zeitgenossen, aber auch nachfolgende Historikergenerationen die >Befreiungskriege< zum nationalen Gründungsmythos überhöhten, lag eben daran, daß die kurzlebige, aber siegreiche AUianz geeignet war, vorgängige Divergenzen zu überdecken und in den Hintergrund des historischen Gedächtnisses abzudrängen. Auch Heßen sich die aus der Not geborenen und faktisch sehr begrenzten nationalen AppeUe der Fürsten an ihr »Volk« von bürgerHchen Historikern als Sieg der bürgerHchen über die dynastische PoHtik feiern und von den Nachgeborenen zur Einklagung ihrer Partizipationsforderungen nutzen. Die VorsteUung von den Befreiungskriegen als Geburtsstunde des deutschen NationaHsmus ist freüich nicht nur, wie oben entwickelt, aus diachroner, sondern auch aus synchroner Perspektive nicht haltbar. Gegenüber dem immer noch von der borussischen Hagiographie geprägten Geschichtsbild sind eine Reihe von Korrekturen anzubringen. Auch wenn die anfängHche Revolutionsbegeisterung mancher InteUektueUer schneU enttäuscht wurde, zielten patriotischen Hoffnungen in der napoleonischen -



Ära nicht ausschHeßUch auf die geeinte Nation, wie sie von den borussischen Heldendichtern beschworen wurde, sondern konnten sich auch

solange

es

noch



Britons (wie Anm. 21). Vgl. auch die Beiträge in: Nationalism in the Age of the French Revolution, ed. by Otto Dann and John Dinwiddy, London 1988, die überwiegend betonen, daß die Französische Revolution die jeweiligen Nationalismen nicht hervorbrachte, sondern allenfalls durch die damit verbundenen Kriege einen Beschleunigungseffekt erzielte.

Vgl. Colley,

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bestand auf das Reich unter habsburgischer Führung und später auf den Rheinbund richten107. In manchen Traktaten verschmolz auch »preußisch« und »deutsch« bis zur Unkenntlichkeit. Die heterogenen Auffassungen der »Nationalgeist«-Debatte setzten sich damit auch in der Kriegszeit fort. Nicht das >fortschrittHche< Preußen, sondern das >reaktionäre< Österreich war nach dem Vorbüd Frankreichs und der Rheinbundstaaten der Erfinder der aUgemeinen Wehrpflicht. Dafür, daß sich die von den Müitärreformern vorgeschlagenen Veränderungen gegen Widerstände durchsetzten konnten, war nicht Hberale Gesinnung ausschlaggebend, sondern müitärische Notwendigkeit. Die Entwicklung eines Staatsbürgerbewußtseins durch dieses neue Instrument der Partizipation ist durch die Konzentration auf die FreiwüHgeneinheiten in der älteren Forschung überschätzt worden108. In der Bevölkerung hielt sich hartnäckig die VorsteUung, daß das Kriegshandwerk die Sache einer übel beleumundeten sozialen Randgruppe sei und jemand aus halbwegs geordneten Verhältnissen nur als Strafmaßnahme >unter die Soldaten kam. In diesem Sinn fragte eine Witwe bei den bacHschen Rekrutierungsbehörden an, was ihr gerade eingezogener Sohn denn eigentlich verbrochen habe sie war sich keiner Vergehen bewußt und erbat daher seine Freüassung109. Die Rekrutierungsbestimmungen und die Praxis der Müitärbehörden im Rheinbund reflektierten diese Auffassung durch zahlreiche Ausnahmeregelungen für die Angehörigen bürgeriicher und >staatstragender< Berufe sowie durch die MögHchkeit, sich von gekauften »Einstehern« vertreten zu lassen. Diese Ausnahmeregelungen wurden erst unter dem Druck der zunehmenden Müitärbedürfnisse aufgegeben. Die Rekrutierungen verHefen vielfach nach dem Muster des »Rette sich, wer kann« und konnten nur durch die Androhung empfindUcher Sanktionen durchgesetzt werden. Preußen vertraute auf die Anziehungskraft seines Staatsdienstes, zu dem nach dem Krieg nur >FreiwüHge< Zugang haben soUten. Daß die in Preußen agierenden FreiwüHgenverbände sowohl in ihrem quantitativen Umfang als auch in ihrer müitärischen Bedeutung überschätzt worden sind, ist mittlerweüe bekannt. Der Krieg gegen Napoleon wurde mit der regulären Armee gewonnen. Versuche zur Einrichtung von Müizsystemen bHeben experimenteU und griffen vor aUem dort, wo die Untertanen ihre engste Heimat schützten. Die österreichische Landwehr funktionierte am besten da, wo sich das Gefühl unmittelbarer Bedrohung mit dynastischer LoyaHtät und sozialem Druck mischte. In den süddeutschen Reichsstädten boten weiterhin bezahlte Stadtsoldaten und die traditioneUe Bürgerwehr den Einheimischen innerhalb der Stadtmauern Schutz, nicht aber den Bewohnern der umhegenden Dörfer. Der Versuch, in Vorderöster-







107

108

Vgl. Burgdorf, Reichskonstitution (wie Anm. 29); Gerhard Schuck, Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. Kontinuitätsdenken und Diskontinuitätserfahrung in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik,

Stuttgart 1994. Eine vorsichtige Relativierung nimmt Ute Frevert vor, vgl. Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit, in: Männergeschichte Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, hrsg. von Thomas Kühne, Frankfurt a.M., New York 1996, S. 69-87. Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe (GLK), 48/5146, Supplik vom 26.2.1805. -

109

56

Ute Planert

reich während der ersten KoaHtionskriege Dorfbewohner zum Schutz der Landesgrenzen aufzubieten, schlug klägHch fehl. Die Bauern waren zwar noch bereit, ihre eigenen Dörfer zu verteidigen, aber als sie das einige Kilometer entfernte Rheinufer besetzen soUten, gingen sie schlicht nach Hause110. Der Unwüle, im MiHtär zu dienen, verlor sich auch in den Befreiungskriegen keineswegs. In Nordbaden desertierten nach dem Übergang zur AUianz über 1000 Wehrpflichtige, weü es hieß, es werde wieder nach Rußland gehen111. Und im südbadischen Bodman erwies sich der dazu ausersehene Offizier 1814/15 als unfähig, die jungen Männer des Dorfes zum Aufbau einer Heimatwehr zu motivieren. Die männHche Dorfjugend machte sich über diese Bemühungen lustig und Heß den Landwehr-Hauptmann einfach auf dem Kirchplatz stehen112. Diese und viele andere Beispiele belegen, daß der Nationaldiskurs der EHten an den weniger Gebüdeten schlicht vorbeigegangen war. Die LoyaHtät der meisten Menschen war auch nach 1806 und 1813 noch auf ihre unmittelbare Region, auf das Gebiet ihrer Reichsstadt, des nächstgelegenen Fürstenhauses, vieUeicht noch auf den jeweüigen Landesherrn, selten auch weiter auf das Reich ausgerichtet, nicht jedoch auf das Abstraktum »Nation«, das im AUtag der breiten Bevölkerung nicht verankert war. Dagegen spielte die ReHgion weiter eine große RoUe. Die Initiatoren der österreichischen Kriegspropaganda wußten das und beschrieben die Franzosen daher nicht als nationale Gegner, sondern als »Feinde Gottes und der Menschheit«, wenn sie sich während der KoaHtionskriege an die ländHche Bevölkerung richteten. Auch Arndt hat seine nationalen Aufrufe ganz bewußt in reHgiöse Formen gegossen, um sie dem »gemeinen Mann« überhaupt erst verständHch zu machen. Mit dem Mittel der ReHgion soUten hier nationsferne Schichten für die Denkfigur einer gemeinsamen Nation begeistert werden. Im Bemühen um die Popularisierung dieser VorsteUungen schon gleich den Erfolg sehen zu woUen, wie es die Mehrheit der Nationsforschung bisher getan hat, hieße jedoch, in unzulässiWeise Diskurs und Praxis gleichzusetzen. ger Die Omnipräsenz reHgiöser Topoi weist darauf hin, daß auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts kein reiner Nationalkrieg ausgefochten wurde. Die antinapoleonischen Kriege enthielten Elemente des ReHgionskrieges, in dem der Kampf gegen die »Ungläubigen« die konfessioneU gespaltene Christenheit enger zusammenrücken Heß. Stereotype aus den Türkenkriegen lebten in veränderter Form wieder auf, wenn die Franzosen als »Gottesfeinde« und »Barbaren« erschienen und Napoleon als »Antichrist« auftrat. Aber auch in anderer Hinsicht lassen sich die Kriege mit und gegen Frankreich nur mit Einschränkungen als Nationalkriege begreifen. Nicht nur, weü sich in den Tagebüchern und Briefen der weitaus meisten Kriegsteilnehmer zwar die schon aus der Frühen Neuzeit bekannten ethnischen 1,11

111

112

Stereotype,

aber keine nationalen

Gegensätze

finden und sich die deutsch-

Vgl. Ute Planert, Staat und Krieg an der Wende zur Moderne. Der deutsche Südwesten um 1800, in: Staat und Krieg. Vom Mittelalter bis zur Moderne, hrsg. von Werner Rösener, Göttingen 2000, S. 159-180.

Vgl. GLK, 236/2808. Vgl. Gräflich von Bodmansches Archiv, Bodman, Berichte des Obervogtes Honsei.

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sprachigen Kriegsteünehmer beharrüch weiter als Sachsen, Bayern und Preußen wahrnahmen113. Auch ein deutscher Nationalheld fehlt. Zwar wurden die Heldentaten Blüchers und anderer preußischer Offiziere in etlichen Liedern vorwiegend borussischer Provenienz besungen, doch war es nicht minder die Gestalt des russischen Kaisers, der die Phantasie der Zeitgenossen beschäftigte und als Überwinder Napoleons geschüdert wurde. Eine ganze Palette von Liedern und Gedichten entwarf mit der Evokation von Alexander, Fürst Bernadotte, dem engHschen König und den preußischen Generalen ein transnationales Heldenpantheon. Den Zeitgenossen war durchaus klar, was die spätere nationaUstische Hagiographie kleinzureden suchte: Bei den antinapoleonischen Kriegen handelte es sich um Auseinandersetzungen der europäischen Mächte und ihrer Dynastien mit dem imperialen Ansprach Frankreichs, denen aus Gründen der Staats- und Müitärräson ein wenig »Volk« beigemischt war. Der Wiener Kongreß und ehe Deutsche Bundesakte mit ihrer von den deutschen Führungsmächten nicht eingelösten Versprechen nach einer landständischen Verfassung haben diese Sicht eindrucksvoU bestätigt. Als Kriegshelden und Überwinder des napoleonischen Systems erschienen jedoch nicht nur die Repräsentanten der anti-französischen Großmächte, sondern auch die territorialen Fürsten und ihre Generäle. In Soldaterüiedern wurde der bayrische General v. Wrede, der eben noch mit Napoleon nach Rußland gezogen war, nach dem Seitenwechsel umstandslos zum Überwinder des französischen Kaisers stüisiert. Dies war jedoch kein bloßer Schachzug der bayrischen Kriegspropaganda, sondern entsprach dem weiterwirkenden >Partikularismus< in der Vorstellungswelt eines Großteüs der Bevölkerung. Nach der Schlacht bei Würzburg wurden die Soldaten in ihrer Heimat in erster Linie als bayrische, nicht als deutsche Trappen wülkommen geheißen. Und die einflußreichen Augsburger Handelsherren setzten 1814/15 General Wrede ein Denkmal, nicht Scharnhorst oder Blücher114. Der weiterwirkende >Lokalpatriotismus< war jedoch keine süddeutsche SpeziaHtät: Selbst Rahel Varnhagen v. Ense, die als eifrige Anhängerin Fichtes entzückt den »Reden an die deutsche Nation« gelauscht hatte und sich in den Schlachten nach 1813 der alHierten Verwundeten annahm, zog ihre »geHebten Landsleute« emotional den anderen Soldaten vor und mußte sich überwinden, den Preußen nicht mehr Hüfeleistungen als den Österreichern oder Russen zukommen zu lassen115. Die Denkmalsstiftung der Augsburger Handelsleute für den bayrischen General Wrede leitet über zu einem weiteren Punkt, der es ratsam erscheinen läßt, die VorsteUung der »NationaHsierung« Deutschlands durch die antinapoleonischen Kriege kritisch zu hinterfragen: Nicht überaU dort, wo spätere Generationen das Etikett »national« anhefteten, war auch NationaHsmus drin. Damit soU nun nicht 113 114 115

vielen Beispielen Carl Buhle, Erinnerungen aus den Feldzügen von 1809 bis den Papieren eines Veteranen der sächsischen Armee, Bautzen 1844. Vgl. Bayrisches Hauptstaatsarchiv München, Ministerium des Inneren, 45770. Vgl. die Briefe an Karoline v. Humboldt vom 17.9.1813 und Karoline v. Woltmann, 17.7.1814, in: Rahel Varnhagen von Ense, Gesammelt Werke, Bd 2: Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, München 1983, S. 231 und Bd 9: Briefe und Tagebücher aus verstreuten Quellen, München 1983, S. 356.

Vgl.

als eines 1816 entlehnt

von

aus

58

Ute Planert

behauptet werden, daß sich die französische Dominanz nach dem Abflauen der ersten repubHkanischen Begeisterung besonderer BeHebtheit erfreut hätte. Aber wer das napoleonische Herrschaftssystem ablehnte, hatte dafür oft andere als nationale Gründe. Die traditionsreiche Handelsstadt Augsburg und insbesondere das dortige auf Bankenwesen und den Fernhandel speziaHsierte Patriziat etwa wurde ausgesprochen stark von Kontinentalsperre, Seeblockade und protektionistischen Maßnahmen Frankreichs in Mitleidenschaft gezogen. Die Folgen des Wirtschaftskrieges brachten einen ganzen Wirtschaftszweig faktisch zum ErHegen und trieben die Börsennotierungen in den KeUer. Die Bevölkerung insbesondere auf dem Land stöhnte unter den Kriegskontributionen, den Einquartierungen und den Übergriffen der Soldaten. Zahlreiche VorfäUe zeigen jedoch, daß Kriegslasten insgesamt abgelehnt wurden, die verbündeten Truppen kaum höheres Ansehen genossen als die französischen Einheiten, sondern allenfaUs weniger gefürchtet wurden, und Konflikte keineswegs immer nationalen Mustern folgten116. Es bleibt ein Desiderat der Forschung, die Konflikdagen der napoleonischen Zeit nicht -



vorschneU national einzuebnen, sondern durch detaillierte Rekonstruktion die Vielfältigkeit der Sinnbezüge und den Wertehorizont der Zeitgenossen herauszupräparieren. Selbst Handlungen, die in das Pantheon der nationalen Erinnerung aufgenommen wurden, erweisen sich so bei genauerem Hinsehen als von vornationalen LoyaHtätsmustern motiviert. Der Nürnberger Buchhändler Palm, den seine Denkschrift »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung« den Kopf kostete und zum nationalen Märtyrer machte, hatte mit seiner Klage keineswegs eine zukünftige deutsche Nation, sondern das Alte Reich als poHtisches Bezugssystem vor

Augen117.

Die sogenannten »Befreiungskriege« erweisen sich nicht als Beginn des deutschen NationaHsmus, sondern aUenfaUs als Station auf dem Weg dahin. Einerseits standen die wesentlichen Bestandteüe des eHtären Nationendiskurs bereits vor dem Ausbrach der Französischen Revolution zur Verfügung, und auch mit der kosmopoHtischen Konzeption des »ewigen Friedens« war zugunsten national legitimierter Kriegsphantasien schon gebrochen worden. Andererseits reichte die Erfahrung der französischen Suprematie nicht aus, um in der breiten Bevölkerung traditioneUe Bindungen durch die Nation als oberste Legitimationsinstanz abzulösen. Selbst in Preußen war außerhalb der Zirkel der »Gebüdeten« noch 1812 von einer nationalen Aufbruchstimmung nichts zu bemerken, und auch in den eigentlichen »Befreiungskriegen« bHeben der nationalen Begeisterung noch enge Grenzen gezogen118. Wo es Aufstände gegen die französische Herrschaft gab, waren sie bei genauerem Hinsehen in aller Regel durch konkrete Bedrückungen verursacht, ergänzt um traditionale und reHgiöse Motive, nicht durch die VorsteUung, eine gesamtdeutschen Nation verwirklichen zu woUen. Auch wenn die meisten Menschen am Ende einer mehr als zwanzigjährigen Kriegs- und Krisenzeit den Frieden und 116

117 U8

Vgl. Ute Planert, Wessen Krieg? (wie Anm. 102), S. 111-139. Vgl. [Johann Philipp Palm], Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung, Nürnberg 1806. Vgl. Bernd von Münchow-Pohl, Zwischen Reform und Krieg. Untersuchungen zur seinslage in Preußen 1809-1812, Göttingen 1987.

Bewußt-

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damit den Sturz der napoleonischen Herrschaft herbeisehnten, waren ihre Sinnund Legitimationsbezüge zu vielfältig, um einfach unter dem Generalnenner NationaHsmus subsumiert zu werden. ReHgiöse Haltungen, dynastische LoyaHtäten und die Gebundenheit an die básale Welt des »Hier und Jetzt« existierten weiter und wurden außerhalb der beschränkten »GelehrtenrepubHk« nur selten durch nationale EinsteUungen aufgebrochen. Auf der Ebene der »großen PoHtik« bHeben dynastische VorsteUungen, spätabsolutistische Konzepte und das Gleichgewicht der Mächte weiterhin bestimmend. Insofern hat die Ära der Napoleonischen Kriege weit mehr mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gemein als mit der Epoche des Vormärz, als die PoHtik endgültig das Arkanum der Herrscher veriieß. Es ist daher sinnvoü, ehe Zeit zwischen den Preußisch-Österreichischen und den Napoleonischen Kriegen bis in die 1820er Jahre als eigene Epoche zu beschreiben, als nationale Sattelzeit, in der auf der Grundlage älterer VorsteUungen jene nationalen Konzepte formuHert wurden, die im weiteren Verlauf des 19. Jahrhundert wirksam geworden sind. Sie wurden in den Kriegen gegen Napoleon erstmals erprobt, konnten sich jedoch gegen das Weiterwirken konkurrierender LoyaHtäten noch nicht in aüen sozialen Schichten durchsetzen. Die »NationaHsierung« breiterer Bevölkerungskreise setzte erst aUmähHch seit den späten 1820er Jahren und unter veränderten poHtischen Vorzeichen ein. Erst danach begannen die »Befreiungskriege« jene RoUe zu spielen, die sie in ihrer Gegenwart nicht hatten als geschichtsmächtiger Mythos, auf den sich unterschiedHche Gruppen zur Verwirklichung ihrer poHtischen Ziele berufen konnten. —

Andreas

Etges

Von der »vorgestellten« zur »realen« Gefühls- und Interessengemeinschaft? Nation und Nationalismus in Deutschland von 1830 bis 1848 I. »Einheit oder Freiheit«

Die Gründung des Deutschen Zollvereins am 1. Januar 1834 bedeutete für den Kaufmann und späteren Präsidenten der Bremer Bürgerschaft Arnold Duckwitz weit mehr als eine Kooperation verschiedener deutscher Staaten auf dem Gebiet des Handels: »Den wahrhaften Vaterlands freund muß es erfreuen, daß nunmehr die seit Jahrhunderten ersehnte deutsche Einigung des deutschen Volkes auf dem rechten Boden Wurzel gefaßt hat, nämlich auf dem eines gemeinsamen Interesses in den Angelegenheiten der materiellen Wohlfahrt, denn gerade hierdurch und wohl nur hierdurch wird der Deutsche erfahren, daß er ein Gesamtvaterland hat. Er wird dieses lieben, weil es in seiner Gesamtheit ihn und sein irdisches Wohl schirmt und schützt, er wird dasselbe verteidigen, weil er nicht mehr bloß aus Sprache und Geschichte seine Verbrüderung mit den übrigen deutschen Völkerschaften erlernt, sondern weil er sie täglich erfahrt1.« Duckwitz war nicht der einzige, der mit dem Handelsbund eine Zeit angebrochen sah, in der die deutsche Nation die Welt der Idee und Phantasie verlassen habe und »wirklich«, »erfahrbar« geworden sei. Daß es so etwas wie ein »deutsches Volk«, eine »deutsche Nation« gab, gehörte zum Allgemeingut nicht nur innerhalb der Nationalbewegung. Eine solche vor allem sprachlich-kulturell sowie ethnisch bestimmte Nation in der Welt der Phantasie eine zunächst >nur< »vorgestellte Gemeinschaft« (Benedict Anderson) stand in einem Spannungsverhältnis zur Idee einer angeblich »realen« Nation als Gefühls- und Interessengemeinschaft, die durch Kommunikation, verstanden in einem weiten Sinne, geschaffen werden sollte. —



Arnold Duckwitz, Anschluß an den deutschen Zollverein (1834), in: Ders., Wirtschaftspolitische Aufsätze. Arnold Duckwitz, hanseatischer Staatsmann und Reichshandelsminister von 1848, im Kampf für eine deutsche Wirtschaftsordnung, hrsg. von Adolf Krieger, Bremen 1942, S. II-14, hier: S. 11. Während der Revolution von 1848/49 war Duckwitz kurzzeitig Handelsminister in Frankfurt.

Andreas

62

Etges

aber oftmals nebeneinander existierenden aber den 1830er Jahren an Gewicht gewinnenaUem seit die Nationskonzepte, de Idee der Nation als Interessengemeinschaft und als wirtschaftlicher Einheit stehen im Zentrum der folgenden Betrachtungen. Die wirtschaftliche Ebene des NationsbUdungsprozesses ist bisher von der NationaHsmusforschung zu wenig berücksichtigt worden. Sie kann in ihrer Bedeutung aber nur erfaßt werden, wenn sie eingebettet wird in die Entwicklung der Nationalbewegung und des NationaHsmus ganz aUgemein. Dazu gehören die heftig diskutierte Frage nach dem Primat von Einheit oder Freiheit, die RoUe Österreichs und die Frage, wer und was zu »Deutschland« gehört, die schwindende nationale Bindekraft des Deutschen Bundes, das Problem der nationalen Feinde und schHeßHch, damit verbunden, die Frage, ob sich der deutsche NationaHsmus bereits im Vormärz radikaHsierte2. James J. Sheehan beginnt seine Studie zur deutschen Geschichte von 1770 bis 1866 mit der auf den ersten Blick paradoxen FeststeUung, daß »Deutschland« in diesem Zeitraum gar nicht existiert habe. Immer wieder betont der amerikanische Historiker die Offenheit der Entwicklung, die nicht zwangsläufig auf einen kleindeutschen Nationalstaat hinausgelaufen sei. Er wendet sich gegen eine ideologisch geprägte Verengung in der Historiographie, die vielfach die »Siegerperspektive« verinnerHcht hat und unter »Deutschland« schon lange vor 1866/71 »Kleindeutschland« versteht. Damit lenkt Sheehan den BHck auf die kultureUe und poHtische Vielfalt im deutschsprachigen Mitteleuropa, wo verschiedene NationsmodeUe, oft mit unterschiedHchen territorialen VorsteUungen, konkurrierten3. TatsächHch gehörte am Ende des 18. Jahrhunderts zur VorsteUung von einer deutschen Nation nicht unbedingt ein territorialer Rahmen, erst recht nicht in Form eines einheitlichen und zentraHstischen Nationalstaats. Erst im Vormärz und vermehrt seit der Revolution von 1848/49 wurde der Begriff »Nationalstaat« verwendet. Noch bis in die 1840er Jahre hinein waren die konkurrierenden Ansichten von der staatlichen Organisation Deutschlands föderaHstischer Natur. Auch weU er eine Gefahr für die bestehenden deutschen Staaten darsteUte, war der potentieUe Nationalstaat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, anders als immer noch häufig zu lesen ist, nicht die vorherrschende ZielvorsteUung der Nationalbewegung. Als jedoch Hberale Fortschritte in den Einzelstaaten und innerhalb des Bundes weitgehend ausbHeben, wurde die zunächst positiv bewertete »Einheit in der Diese durchaus

widersprüchlichen,

vor

Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, erw. Frankfurt a.M., New York 1996. In eine ähnliche Richtung geht M. Rainer Lepsius, Nation und Nationalismus in Deutschland, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 232—246. Für ihn ist die Nation »zunächst eine gedachte Ordnung, eine kulturell deBenedict

Neuausg.,

finierte Vorstellung, die eine Kollektivität von Menschen als eine Einheit bestimmt«. Zum Verhältnis von Nationsbildung und Kommunikation siehe Karl W. Deutsch, Nationalism and Social Communication. An Inquiry into the Foundations of Nationality, 2nd ed., Cambridge, Mass. 1966 (1953). Zum Konzept des wirtschaftlichen NationaHsmus und zu seiner Ausformung im 19. Jahrhundert siehe Andreas Etges, Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich (1815-1914), Frankfurt a.M., New York 1999. Sheehan, German History, 1770-1866, Oxford 1993, S. 1. Vgl. ders., What is German History? Reflections on the Role of the Nation in German History and Historiography, in: Journal of Modern History, 53 (1981), S. 1 -23.

James).

Nation und Nationalismus in Deutschland

63

freien Vielheit« 0örg Echternkamp) allmählich als partikularistisch beklagt und eine umfassende Bundesreform verlangt, die auch als freiheitlicher Nationalstaat gedacht wurde4. Nachdem die organisierte deutsche Nationalbewegung durch die Karlsbader Beschlüsse von September 1819, durch die Zensurbestimmungen, das Verbot der Burschenschaften und andere repressive Maßnahmen für ein Jahrzehnt beinahe ausgeschaltet worden war, bekam sie durch die französische Julirevolution von 1830 einen neuen Schub. Die »erwärmenden Strahlen der Juliussonne« bewirkten aus Sicht des hessen-darmstädtischen Liberalen Wilhelm Schulz ein neues Wachstum der von 1813 bis 1815 gesäten deutschen Nation, nachdem sie zwischenzeitlich vor allem in der Phantasie der deutschen Dichter bestanden habe. Die deutsche Einheit in einem demokratischen und freiheitlichen Nationalstaat wurde zum Ziel der Nationalbewegung. Anders als während der Befreiungskriege gab es jetzt kaum frankophobe Elemente im deutschen Nationalismus, und bis zur Revolution von 1848/49 wurde die deutsche Nationalbewegung zu einer bürgerlichoppositionellen Massenbewegung, die sich weiterhin vor allem in Vereinen organi-

sierte5. Ein Höhepunkt der Nationalbewegung war das von Georg August Wirth und dem rheinbayerischen Liberalen Johann Jacob Siebenpfeiffer initiierte Hambacher Fest im Mai 1832, an dem mehr als 20 000 Menschen teilnahmen. Die Versammelten äußerten scharfe Kritik am Deutschen Bund und forderten ein freies und einiges Deutschland, dem die Zoll- und Handelseinigung folgen sollte. Wirth rief dazu auf, im ganzen Lande patriotische Gesellschaften zu gründen6. Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770 1840), Frankfurt a.M., New York 1998, S. 276-279 und 389. Vgl. Sheehan, German History (wie Anm. 3), S. 250, 285 f. und 373; Heinz Angermeier, Deutschland zwischen Reichstradition und Nationalstaat. Verfassungspolitische Konzeptionen und nationales Denken zwischen 1801 und 1815, in: Zeitschrift der Savigny-Stifrung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, 120 (1990), S. 19—101. Wilhelm Schulz, Deutschlands Einheit durch Nationalrepräsentation, Stuttgart 1832, S. 4 und 18 f. Zum frühen deutschen Nationalismus und zur Nationalbewegung in der ersten Jahrhunderthälfte siehe Echternkamp, Aufstieg (wie Anm. 4); Dieter Düding, Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1808—1847). Bedeutung und Funktion der Turner- und Sängervereine für die deutsche Nationalbewegung, München 1984; Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770-1990, München 1993, S. 51-111; Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 1985; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen >Deutschen DoppelrevolutionDeutschen Doppelrevolution< bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849—1914, München 1995, S. 889-902. Trotz des weitgehenden antiultramontanen Konsenses vertraten die Liberalen keine einmütigen Standpunkte: Nationalliberale bekämpften primär die Macht der Kirche; Anhänger der Fortschrittspartei verlangten zum Teil die Trennung von Kirche und Staat, warnten aber gleichzeitig vor einem zu starken Staat. Vgl. Olaf Blaschke, Katholizismus montan
Nation in Waffen< in Deutschland und

Frankreich, 1871 1914,

Göttingen 1997; John Breuilly, Nationalismus und moderner Staat. Deutschland und Europa, Köln 1999; Svenja Goltermann, Körper der Nation. Habitusformierung und die Politik des Turnens 1860-1890, Göttingen 1998; Ute Frevert, Nation, Krieg und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, in: Nation und Gesellschaft in Deutschland. Historische Essays; Hans-Ulrich Wehler zum 65. Geburtstag, hrsg. von Manfred Hettling und Paul Nolte, München 1996, —

S. 151-170. Zur Forschungsdiskussion Heinz-Gerhard Haupt und Charlotte Tacke, Die Kultur des Nationalen. Sozial- und kulturgeschichtliche Ansätze bei der Erforschung des europäischen Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, in: Kulturgeschichte heute, hrsg. von Wolfgang Hardtwig und Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1996, S. 255—283. Vgl. dazu Vito F. Gironda, Storia sociale e storia cultúrale del nazionalismo. Questioni e prospettive, in: Ders., Nazione, nazionalismo e cittadinanza in Germania tra Otto e Novecento, Bologna 2001, S. 3—16. Der hier verwendete Begriff der nationalen Staatsbürgerschaft drückt sowohl den Staatsbürgerstatus aus, den die Individuen im Zuge ihrer Eingliederung in die nationale Gemeinschaft bekommen, als auch nationale Zugehörigkeit. Dafür plädiere ich für eine Definition des Begriffs als eines Partizipationsrechtes an der »common national community.« Vgl. Jack B. Barbalet, Citizenship, London 1994.

Vito F. Gironda

108

Erstens spielt die Problematik des Staatsbürgerbegriffs eine SchlüsselroUe in der Konstruktion des Nationalstaates, der sich von der ständisch-korporativen GeseUschaftsbindung des Anden régime zugunsten neuer demokratischer Formen befreit, für die eine aktive Integration der Bürger notwendig war. Seine Legitimationsprobleme löste der Nationalstaat durch eine aktive Einbeziehung seiner Bürger in die öffentliche Sphäre: Aus Untertanen wurden Bürger. Zweitens wirft dieses Thema eine grundlegende Frage menschlicher VergeseUschaftung auf: Wie ist der Adressatenkreis des Bürgerstatus zu bestimmen und anhand welcher Kriterien bzw. LeitvorsteUungen soU die Nation integriert werden? Drittens sind Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft in der deutschen staatsrechtlichen Tradition zunächst getrennt voneinander entstanden. Es kam aber während des 19. Jahrhunderts zu einer Überlappung beider Begriffe, so daß Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft am Ende miteinander verflochten waren. Es bildete sich eine Art von doppelter Kodierung der Staatsbürgerschaft, so daß der Rechtsstatus des Bürgers zugleich eine vorpoHtische kultureUe Volkszugehörigkeit darsteUte4. Dabei zeigt die Entwicklung der nationalen Staatsbürgerschaft ihren rechtsförmigen Exklusionscharakter: In der Institution »Staatsbürgerschaft« konstituiert sich die Staatsnation als geschlossener Verband von Bürgern, der rechtlich einen bestimmten Personenkreis als seine MtgHeder anerkennt und den Rest als Bürger zweiter Klasse, als Fremde oder Ausländer klassifiziert. Mit der Zuweisung des Staatsbürgerstatus verbindet sich daher auch die VorsteUung einer abgrenzbaren poHtischen Gemeinschaft. Deshalb kann »Staatsbürgerschaft« nicht nur ein Faktor der Inklusion, sondern auch ein Motiv des Konflikts und der Exklusion sein. In dieser Hinsicht ist die Dimension der nationalen Zugehörigkeit mit der Zuschreibung von und dem Zugang zu staatsbürgerHchen Rechten untrennbar verknüpft5.

Jürgen Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, in: Ders., Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, Frankfurt a.M. 1998, S. 632—660. Als ein formeUer Status meint Staatsbürgerschaft MitgHedschaft in einem Staat. In der deutschen staatsrechdichen Tradition wird dies als Staatsangehörigkeit (nationality) bezeichnet. Die Staatsangehörigkeit als Rechtsverhältnis der Zuordnung von Person und Staat (d.h. als rechtliches Band zwischen Individuum und Institution, zwischen »national« und »Nation«) steht in diesem Sinn für die formeUe Seite der Staatsbürgerschaft. Dagegen verweist der amerikanische und französische Begriff von äti^enship und rítoyenneté auf die damit verknüpften Inhalte und konnotiert dadurch die Bildung des Staatswülens durch und für die Staatsbürger. Die Begriffe atiben und ätqyen waren jenseits ihrer deskriptiven Funktionen normativ aufgeladen. Kurz: Die Definition spiegelt die enge Verknüpfung von Staat und Nationsbüdung in den USA und in Frankreich wider, die den Begriffen der äti^enship oder átoyenneté eine sowohl legaljuristische als auch poHtisch-kultureUe Färbung geben. Viele Autoren erkennen gerade an dieser Begriffsgeschichte auch Differenzen, Defizite und Verspätungen der deutschen Demokratieentwicklung. Zuletzt Dieter Gosewinkel, Untertanenschaft, Staatsbürgerschaft, NationaHtät, in: BerHner Journal für Soziologie, 9 (1999), S. 507 522. Dazu auch Andreas K. Fahrmeir, NineteenthCentury German Citizenships: A Reconsideration, in: Historical Journal, 40 (1997), S. 721—752. Vgl. vor aUem Etienne BaHbar, Les frontières de la démocratie, Paris 1992; Bryan S. Turner, Citizenship Studies: A General Theory, in: Citizenship Studies, 1 (1997), S. 5 18; Dieter Gosewinkel, Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit, in: Geschichte und Gesellschaft, 21 (1995), S. 533 556. In dieser Richtung hat sich auch die gender history bewegt. Sowohl die internationale als auch die deutsche gender history haben die Gründe der Negation der weibHchen Staatsbürgerschaft als ein internes Konstrukt der Entwicklung der nationalen Staatsbürgerschaft So auch







Linksliberalismus und nationale

Staatsbürgerschaft

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Damit wandelt sich die Forschungsperspektive von einem rein juristischen und rechtlichen Blickwinkel von Angehörigkeitsbeziehungen des einzelnen Individuums zum Staat bzw. zur Staatsnation zu einer Betrachtungsweise, welche die innere Eingliederung und die Außenabgrenzung einer staatlich verfaßten Gesellschaft in den Vordergrund rückt. Empirisch spiegelt sich das in zwei grundlegenden Vermittlungskonzepten von Mitgliedschaft wider: Zuschreibung von Mitgliedschaft durch das ius soli (Territorialprinzip) und durch das ius sanguinis (Abstammungsprinzip). Das ius soli definiert die Bürgergemeinschaft als eine Territorialgemeinschaft, während das ius sanguinis sie als eine Abstammungsgemeinschaft auffaßt. Das ius soli macht den Erwerb der Staatsangehörigkeit allein von dem Geburtsort des die Staatsbürgerschaft gewährenden Landes abhängig. Grundsätzlich wird jeder Mensch als potentieller Angehöriger des Staatsvolks betrachtet und hat dadurch unmittelbaren Anspruch auf die Staatsbürgerschaft. Die Staatsbürgerschaft nach dem Prinzip des ius sanguinis wird dagegen aufgrund der Zugehörigkeit zu einem »Volk« definiert und erworben. Die biologische Abstammung definiert somit die »Volkszugehörigkeit«. Diese Auffassung postuliert eine Substanz der Nation, die in der biologischen Verwandtschaft wie auch in der »völkischen« Gesinnung der Staatsbürger besteht. Dadurch sanktioniert sie die institutionelle Geschlossenheit und die rechtsstaatliche Indifferenz und Diskriminierung gegenüber den sogenannten anderen Menschen fremder Abstammung. Prüfstein jeder historischen Definition der Staatsbürgerschaft ist also die Nation und die Idee einer Politik, welche die Gesellschaftsmitglieder durch reale Verfahren und politische Postulate eint oder trennt. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Geschichte des Kaiserreiches, so scheint es keiner weiteren Diskussionen zu bedürfen. Ausgehend von der fundamentalen Arbeit von Rogers Brubaker ist in der Forschung wohl die Feststellung konsensfähig, daß die Geschichte der institutionellen Verfestigung der nationalen Identität nach dem Muster einer sich nach außen abgrenzenden nationalen Staatsbürgerschaft bzw. der Staatsangehörigkeit mit dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 verbunden ist6. Die Vereinheitlichung bzw. Homogeni-

aufgefaßt: Die Nation bildete während des 19. und teilweise des 20. Jahrhunderts einen Horizont für die Herausbildung der Männlichkeit und der Geschlechterordnung. Allgemein dazu Erna Appelt, Geschlecht, Staatsbürgerschaft, Nation. Pohtische Konstruktionen des Geschlechterverhältnisses in Europa, Frankfurt a.M., New York 1999; zu Deutschland vor allem Ute Frevert, Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit, in: Männergeschichte Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, hrsg. von Thomas Kühne, Frankfurt a.M., New York 1996, S. 69~87; dies., Das jakobinische Modell. Allgemeine Wehrpflicht und Nationsbildung in Preußen-Deutschland, in: Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Ute Frevert, Stuttgart 1997, S. 17—47; Charlotte Tacke, Nation und Geschlechtscharaktere, in: Frauen und Nation, hrsg. von »Frauen und Geschichte BadenWürttemberg«, Tübingen 1996, S. 35_48. Zu einer Auseinandersetzung mit den internationalen und deutschen Debatten vgl. Vito F. Gironda, La cittadinanza: tra attualitä politica e storiografia, in: Ders., Nazione, nazionalismo e cittadinanza in Germania tra Otto e Novecento, Bologna 2001, S. 17-40. Dazu und zur Analyse des Gesetzgebungsprozesses insgesamt Rogers Brubaker, Citizenship and Nationhood in France and Germany, 2nd ed., Cambridge, Mass., London 1994 (deutsch unter dem Titel: Staats-Bürger. Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich, Hamburg 1994). -

Vito F. Gironda

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des rechtlichen Status der Staatsangehörigen greift mithin auf eine ethnische Definition von Volkszugehörigkeit zur Festlegung der Staatsangehörigkeit sowie zur Beschreibung von äußerer und innerer Nicht-Zugehörigkeit zurück. Das Gesetz wurde vom Konzept der Volksnation geprägt, welche die Kongruenz von Nation und ethnischer Homogenität des deutschen Volkes anstrebte7. Begleitet von der traditionellen Fixierung der Staatslehre und der Staatspraxis auf die ethnischen Bestimmungen des Staatsvolkes (Staat als Organismus) und angesichts der langen Tradition institutionalisierter Diskriminierung gegenüber Ausländern bzw. ausländischen Arbeitern und nationalen Minderheiten, entsprach dieses Gesetz der zunehmenden Radikalisierung des Reichsnationalismus seit den 1880/90er Jahren8. Im Spannungsfeld zwischen Weltmachtpolitik, nationaler Homogenisierungspolitik, preußischer Abwehrpolitik und völkischem Denken etablierte sich hiermit eine exklusionistische Konzeption der Mitgliedschaft des Individuums im Staatsvolk. Damit wurden die Kriterien der Mitgliedschaft des Individuum im Staat an das Prinzip des ius sanguinis gebunden. Diese ethno-kulturelle Sichtweise zeigte sich schon in den Verfahren einer rigiden Einbürgerungspraxis als Moment der Abwehrpolitik gegenüber jüdischen und slawischen Einbürgerungswilligen. Die Fiktion der Abstammungsgemeinschaft bildete hierfür sowohl rechtlich als auch sozial die handlungsleitende Kategorie. Dem Selbstverständnis der Deutschen lag offensichtlich ein homogenes Staatsverständnis zugrunde, das die kulturell-biologischen Merkmale als entscheidende Kriterien und Kategorien der Bestimmung des Staatsvolkes und der Gestaltung des Staatsangehörigkeits- und des Einbürgerungsrechtes betonte. Das ius sanguinis als Rechtsprinzip ist, um mit Brubaker zu sprechen, »von einer selbstverständlichen Gegebenheit in eine bewußte normative Tradition

sierung

Jetzt auch Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Anschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001, S. 278—327; ders., Die Staatsangehörigkeit als Institution des Nationalstaats. Zur Entstehung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913, in: Offene Staatlichkeit, Festschrift für ErnstWolfgang Böckenförde, hrsg. von Rolf Grawert [u.a.], Berlin 1995, S. 359—378; Eine Dokumentation der Reichstagsdebatten bietet auch Bertold Huber, Die Beratung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 im Deutschen Reichstag, in: Aufenthalt Niederlassung Einbürgerung. Stufen rechtlicher Integration, hrsg. von Klaus Barwig [u.a.], Baden-Baden 1987, -

-

S. 181-220. M. Rainer Lepsius, Nation und Nationalismus in Deutschland, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 232-246. Zu den folgenden Themen eingehend Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 3: Von der >Deutschen Doppelrevolution< bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1995, S. 946-964 und 1067-1085; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd 1 : Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 213—265; Wolfgang J. Mommsen, Nationalität im Zeichen offensiver Weltpolitik. Das deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz des Deutschen Reiches vom 22. Juni 1913, in: Nation und Gesellschaft in Deutschland (wie Anm. 1), S. 128-141; Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880 bis 1980. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Berlin, Bonn 1986; Klaus J. Bade, »Preußengänger« und »Abwehrpolitik«. Ausländerbeschäftigung, Ausländerpolitik und Ausländerkontrolle auf dem Arbeitsmark in Preußen vor den Ersten Weltkrieg, in: Archiv für Sozialgeschichte, 24(1984), S. 91 —162; Dieter Gosewinkel, »Unerwünschte Elemente«. Einwanderung und Einbürgerung der Juden in Deutschland 1848—1933, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, 27 (1998), S. 71-106.

LinksHberaHsmus und nationale Staatsbürgerschaft

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verwandelt worden«9. Mit anderen Worten: Das Volk geht der Nation und dem Staat voraus. Die Aufgabe des Staates ist es, die Homogenität der Deutschen zu wahren. Die rechtliche Kodifizierung der Staatsangehörigkeit entsprach nach Brubaker der poHtischen Kultur der wUhelminischen GeseUschaft, die anders als etwa die französische, ihre nationale Identität nach völkischen und ethno-kultureUen Kriterien bemaß. Wenn das ius soli in Frankreich und das ius sanguinis in Deutschland, so Brubaker, als Tradition aufgefaßt werden, geschieht das nicht einfach wegen ihrer Dauerhaftigkeit, sondern auch, »weü sie tief verwurzelte Gewohnheiten des nationalen Selbstverständnisses verkörpern und ausdrücken. Wegen ihrer Übereinstimmungen mit den poHtischen und kultureUen Traditionen werden sie als Rechtstraditionen verstanden und verteidigt. Diese Übereinstimmung ist es, die ihrer Langlebigkeit ihre normative Kraft verleiht10.« Fehlte dem öffentlichen Bewußtsein im Kaiserreich wirkHch ein Gegengewicht gegen aufkommende völkische VorsteUungen? Inwieweit läßt sich im Vorfeld und während der Debatten über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ein alternatives nationales Selbstverständnis zu diesen scheinbar dominanten ethnischen und kultureUen Denkfiguren der wUhelminischen GeseUschaft erkennen? Im folgenden soU dies am Beispiel des LinksHberaHsmus dargesteUt werden11. Im Mittelpunkt steht daher die Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die normative Repräsentation einer einheitlich verfaßten Nation und die Frage nach der Selbstbeschreibung einer Hberalen Variante von nationaler Gemeinschaft. In diesem Zusammenhang sind die Debatten zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes von 1912/1913 sehr aufschlußreich. In der Tat läßt sich in den Grundzügen des Reichs- und Staatsangehörigkeitsrechtes von 1913 (das heißt in der Bewahrung des »Deutschtums« im In- und Ausland und in dem Erschweren der Einbürgerung von Ausländern) auf der einen Seite die aUgemeine poHtische Grundstimmung und denen die Entstehungsgeschichte dieses Gesetin sich Wertorientierung erkennen, zes Auf der anderen Seite zeigt die poHtische Auseinandersetzung um voUzog. diese beiden Pole, welche VorsteUung vom Staatsvolk dem LinksHberaHsmus zugrunde lag. GenereUer betrachtet heißt dies, der Frage nachzugehen, ob sich der 9

10 1'

Brubaker, Staats-Bürger (wie Anm. 6), S. 175. Ebd., S. 241.

Zur Geschichte des LinksHberaHsmus, seiner Organisationsformen sowie auch seiner zahlreichen und Fusionen vgl. Dieter Langewiesche, LiberaHsmus in Deutschland, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1991; James J. Sheehan, Der deutsche LiberaHsmus. Von den Anfangen im 18. Jh. bis zum Ersten Weltkrieg; 1770-1914, München 1983; Alfred Milatz, Die HnksHberalen Parteien und Gruppen in den Reichstagswahlen 1871 1912, in: Archiv für Sozialgeschichte, 12 (1972), S. 273—292. Zum politischen Ordnungs- und GeseUschaftsmodell HnksHberaler Vorstellungen jetzt grundlegend Manfred HettHng, PoHtische BürgerHchkeit. Der Bürger zwischen Individualität und Vergesellschaftung in Deutschland und der Schweiz von 1860 bis 1918, Göttingen 1999, vor aUem S. 149—266; Gangolf Hübinger, Machtstaat, Rechtsstaat, Kulturstaat. Liberale VerfassungspoHtik im Deutschen Kaiserreich, in: Ungleiche Nachbarn. Demokratische und nationale Emanzipation bei Deutschen, Tschechen und Slowaken (1815 1914), hrsg. von Hans Mommsen und Jiri Koralka, Essen 1993, S. 49 —63; Holger J. Tober, Deutscher LiberaHsmus und SozialpoUtik in der Ära des Wilhelminismus. Anschauungen der Hberalen Parteien im parlamentarischen Entscheidungsprozeß und in der öffentlichen Diskussion, Husum 1999.

Absplitterungen





Vito F. Gironda

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LinksHberaHsmus von einem substantieU angereicherten Homogenitätsprinzip distanzierte. Die Schlüsselfrage lautet: Ähnelte das HnksHberale Verständnis von nationaler Staatsbürgerschaft dem historischen ModeU einer Staatsbürgernation

westlicher

Prägung? I.

Zugehörigkeit und Rechtsanspruch: Das Beispiel der Armenpflege

Wie bereits oben erwähnt, verfolgten die poHtischen Auseinandersetzungen um das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz einerseits das Ziel, den Verlust der Staatsangehörigkeit der Auslandsdeutschen zu verhindern und somit den ehemaHgen Deutschen den Wiedererwerb ihrer Staatsangehörigkeit zu ermögHchen. Andererseits soUten die »Fremden« vom poHtischen Gemeinwesen ausgeschlossen werden. Die DarsteUung der verschiedenen Antworten auf diese Fragen berührt direkt das nationale Selbstverständnis. Dabei ist es jedoch notwendig, zwei Ebenen scharf zu trennen. Erstens: Die staatsbürgerHche Berücksichtigung von Auslandsdeutschen ist als Strukturelement der MitgUedschaftsdefinition einer nationalstaatHch verfaßten GeseUschaft zu sehen. Das Kriterium der Zuschreibung von Zugehörigkeit durch die Generations folge regelt, wer als »zugehöriger« Staatsbürger zu betrachten sei. Dies ist die kongruente Funktionsbestimmung des Staatsangehörigkeitsrechtes und steUt zugleich den NormalfaU in der europäischen Geschichte dar. Wenn man so wül, waren die aUgemeinen Bestrebungen um die Reform des Reichs- und Staatsangehörigkeitsrechtes ein übereinstimmender Weg zur NationaHsierung des poHtischen Gemeinwesens. Zweitens: Das für die PoHtik der Identität entscheidende Strukturmerkmal läßt sich nur mit BHck auf das Verhältnis von nationalen Staatsbürgern und Ausländern verstehen. Die typologische Unterscheidung zwischen den zwei Rechtstypen des ius sangiunis und des ius soli ist in diesem Sinn relevant, weil sie die Präferenz zwischen einem »geschlossenen« und einem »offenen« ModeU von Staatlichkeit darsteUt. In der Frage der Erhaltung des Deutschtums im Ausland waren sich die LinksHberalen mit dem ganzen Parteienspektrum des Reichstages einig. Auch sie sahen die Notwendigkeit einer Reform des § 21 des Reichsgesetzes von 1870, der den automatischen Verlust der Staatsangehörigkeit nach zehn Jahren ununterbrochenen Aufenthalts im Ausland vorsah. Wenngleich sie ein reines ius sanguinis ablehnten (dazu später mehr), begründeten und begrüßten sie das Gesamtgesetz insbesondere mit dem »Anspruch früherer Deutscher auf Repatriierung, auf Rückeinbürgerung, [...] weU es sich in der Zukunft nicht mehr ereignen wird, daß der Deutsche im Ausland eines Tages zu seinem Schrecken erfahrt, daß er, ohne es zu wissen und gegen seinen Willen, nur durch eine Eigenart unserer Gesetzgebung plötzHch aufgehört hat, Deutscher zu sein. [...] Wir soUten das aUergrößte Gewicht

Linksliberalismus und nationale

Staatsbürgerschaft

113

darauf legen, besonders wertvolle Bestandteile unserer Nation mit allen Mitteln des Gesetzes am Vaterland festzuhalten12.« Beruht auch das seitens des Linksliberalismus anerkannte Leitprinzip der Abstammung auf dem Ziel einer ethnisch homogenen Nation durch die Bewahrung des Deutschtums im Ausland oder bestenfalls auf ökonomischen Nutzenerwägun-

gen?

Beides allein trifft nicht zu. Unbestritten bleibt jedoch die Tatsache, daß sich auch der Linksliberalismus an der weltpolitischen Machtentfaltung orientierte, die er teilweise der sozialdarwinistischen Ideenküche entnahm13. Das Abstammungsprinzip bloß als Formelement einer Schicksalsgemeinschaft und dies allein als Teil der Expansionspolitik des Deutschtums nach außen zu sehen wäre eine Verkürzung. Gegen diese Verkürzung spricht die Tatsache, daß, anders als das rechte Parteienspektrum, welches der Staatsangehörigkeit einen character indelebilis zugesprochen hatte, wonach ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit niemals verlieren konnte, der Linksliberalismus den Wiedererwerb der Staatsangehörigkeit für die Auslandsdeutschen an die Erfüllung der Wehrpflicht und des Willensprinzips koppelte14. Deshalb ist es wenig überraschend, daß David Felix Waldstein von der Fortschrittlichen Volkspartei in der Ausschußberatung zum Reichsangehörigkeitsgesetz auf den Antrag von Karl Braun aus dem Jahre 1870 zurückgriff. Damals hatten sich der nationalliberale Braun und andere fortgeschrittene Liberale gegen den Verlust der Staatsangehörigkeit als Folge des Fristablaufs gewandt und auf die Alternative des schweizerischen Modells hingewiesen, das keinen unfreiwilligen Verlust der Staatsangehörigkeit kannte. Die unanfechtbare Garantie des Schweizer Bürgerrechtes war ein Ergebnis der Bundesverfassung von 1848 mit ihrem Grundrechtskatalog und liberalen Freiheitsrechten. Möglich wurde die Verfassung nach dem Sieg der liberalen, mehrheitlich protestantischen Kantone über die sezessionistischen katholisch-konservativen Sonderbundskantone im Bürgerkrieg von 1847. Das lenkt den Blick auf die Bedeutung der Staatsbürgerschaft in der liberalen Tradition. Der deutsche Weg der Staatsbürgerschaft verlief konträr zum Modell der französischen citoyenneté. Die deutsche liberale Tradition vernachlässigte diese Rechte jedoch nicht, sondern ortete sie innerhalb des Staates. Seit dem Vormärz scheinen alle disparaten Konzeptionen von Staatsbürgerschaft einer Art »Familie« von Argumenten anzugehören. Sie bilden keine absoluten Gemeinsamkeiten, lassen sich jedoch auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen: Individuum und

12

13

14

So David Felix Waldstein, in: Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte [Sten. Ber. RT], 13. Legislaturperiode, Bd 289, Berlin 1912, Sp. 285 (23.2.1912). Dazu am Beispiel Friedrich Naumanns Stefan-Georg Schorr, Liberalismus zwischen 19. und 20. Jahrhundert. Reformulierung liberaler politischer Theorie in Deutschland und England am Beispiel Friedrich Naumann und Leonard T. Hobhouse, Baden-Baden 1990; Peter Theiner, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik. Friedrich Naumann im Wilhelminischen Deutschland (1860-1919), Baden-Baden 1983. Sten. Ber. RT (wie Anm. 12), Bd 290 (1913), Sp. 5283 (Abgeordneter Andreas Blunck); ebd., Bd 283 (1912), Sp. 262 (Abgeordneter David Felix Waldstein).

Vito F. Gironda

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Staatsvolk sind die Pole eines Rechtsverhältnisses15. Auch wenn für Friedrich Carl Savigny und Georg Friedrich Puchta in der Abgrenzung zu dem pactum societatis der französischen Erfahrung die Rechte nicht außerhalb des Volksgeistes als »produktive Kraft« einer poHtischen Einheit begründet sind, die sich im Staat als wahre Form der »Volksgemeinschaft« befestigt: Der Nexus zwischen Volk und Staat bleibt eine Konstante des vormärzHchen LiberaHsmus. Für Friedrich Christoph Dahlmann beispielsweise ist das Volk die Bezugsgröße für den Staat. Die Rechte sind nicht »gegen«, sondern durch die Ordnung zu begründen, die im Staat Gestalt gewinnen soU. Zugleich ist aber dieser Staat auch ein Rechtsstaat: Er agiert im Bereich des Rechtes und durch das Recht. Und für den gesamten vormärzHchen LiberaHsmus war die Garantie der Rechte und der Entfaltung des Individuums unbestritten. Ausgehend von den gleichen Argumentationsmustern etabHerte sich in einem sehr engen Zusammenhang mit der nationalen Frage die spezifisch Hberale Tradition der Grundrechte als Volksrechte, die ihre konkrete Form in der Verfassung der Paulskirche fanden. Sie wurden als »Rechte des deutschen Volkes« begriffen, um noch einmal diese enge Zugehörigkeit und das Wechselverhältnis zwischen Volk, Staat und Bürgern zu sanktionieren16. Abgesehen von der Diskussion, ob die zugrundeHegende Definition von Grundrechten keinen rein institutioneUen Volksbegriff enthielt und in den argumentativen organischen Topoi der historischen Schule verankert bHeb, scheint es mir wichtig, diese Problematik in der weiteren Entwicklung des Hberalen Denkens bezügHch der neuen ReaHtät des Nationalstaates zu sehen. In aUen Nationalstaaten wird die Staatsbürgerschaft mit der NationaHtät als Kriterium der Legitimation der staatlichen Souveränität verstanden, weü man dadurch unmittelbar zwei Ergebnisse erhält. Einerseits wird die Staatsbürgerschaft als ein individueUer Reflex der zu einer nationalen Gemeinschaft aufgefaßt. Anderseits wird der Zugehörigkeit der Staatssouveränität unterworfen, weU er zur Nation gehört, die der AusBürger druck des Staates ist. Die Statustheorie von Georg JeUinek ist von dieser Auffassung nicht weit entfernt. In der Hberalen Theorie der subjektiv-öffentlichen Rechte wird die Staatsangehörigkeit als Status verstanden, das heißt als eine besondere Sphäre der Rechtsfähigkeit, die den Individuen in ihrer direkten Beziehung zum Staat zusteht. Die SteUung des Einzelnen zum Staat kann in verschiedenen Verhältnissen Ausdruck finden, aufgrund deren er in eine Anzahl rechtlich bedeutsav.

Jetzt dazu Pietro Costa, Civitas. Storia della cittadinanza in Europa, vol. 2: L'età deUe rivoluzioni, Rom, Bari 2000, vor aUem S. 367-490. Zu der Figur des Bürgers Staatsbürgers und der sozialen Problematik der BürgerHchkeit nach wie vor Jürgen Kocka, Bürgertum und bürgeriichen GeseUschaft im 19. Jahrhundert, in: Bürger und BürgerHchkeit im 19. Jahrhundert, hrsg. von Kocka, Göttingen 1987. Zum DuaUsmus von Stadtbürger Staatsbürger und seiner Transformation im Sinne der citoyen vgl. Reinhart KoseUeck und Klaus Schreiner, Von der alteuropäischen zur neuzeitHchen Bürgerschaft. Ihr poHtisch-sozialer Wandel im Medium von Begriffs-, Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, in: Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, hrsg. von KoseUeck und Schreiner, Stuttgart 1994, S. 11 39. Zu dieser Tradition von Volksrechten vgl. Gerd Kleinheyer, Artikel: Grundrechte, in: GeschichtHche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur poHtisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. -



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Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart KoseUeck, Bd 2: S. 1047-1082.

von

E-G, Stuttgart 1975,

Linksliberalismus und nationale Staatsbürgerschaft

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versetzt wird. Aus diesen Zuständen ergeben sich Ansprüche, die öffentliche Rechte bezeichnet werden. Den eigentlichen Kern der subjektive und des Staatsangehörigkeit Staatsbürgerrechtes bildet der sogenannte »Status civitatis« (positive Status) oder besser gesagt, die Wechselwirkung zwischen dem negativen Status als Pflichtverhältnis gegenüber dem Staat und dem positiven Status als rechtlich gestützte Fähigkeit, positive Leistungen vom Staat zu verlangen. Jellinek begründete diesen Staatsangehörigkeitsbegriff wie folgt: »Kraft der Gewährung positiver Ansprüche an den Staat wird die Mitgliedschaft am Staate von einem reinen Pflichtverhältnis zu einem doppelten, zugleich berechtigenden und verpflichtenden Zustande. Dieser Zustand ist es, der als Staatsangehörigkeit, Staatsbürgerschaft, Staatsbürgerrecht, nationalité bezeichnet wird17.« Aus dieser Sicht ist Staatsbürgerschaft ein Begriff des positiven Rechtes: Das Gesetz schreibt bestimmten Personen einen Status zu, der von einer besonderen Sphäre der Rechtsfähigkeit charakterisiert ist. Aufgrund von »aktiven« rechtlichen Zuständen unterscheidet sich diese Auffassung von Staatsbürgerschaft von der Untertanenschaft. Eine solche Auffassung ist mit dem Problem der staatlichen Souveränität ursächlich verknüpft. In diesem Sinn bindet sie die Abgrenzung des »nationalen« Bürgers gegen »innere« und »äußere« Fremde an die Attribution einer Reihe von Rechten und Pflichten. Der konkrete Bedeutungsinhalt der Mitgliedschaft kann nach dem vorherrschenden Nationsverständnis variieren. Die Mitgliedschaft kann mehr oder minder »offen« (Territorialprinzip) oder »geschlossen« (Abstammungsprinzip) sein, und dies bezeichnet nur das äußere Verhältnis zu den »Fremden«, während das Problem der Anerkennung des »nationalen« Bürgers als eines Rechtsträgers und Rechtssubjektes a priori durch seine Abstammung apatre gelöst wird. Die Nationalität bleibt jedoch nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für das Ausüben von Rechten, da Anerkennung und formale Garantie der »bürgerlichen« Freiheitsräume an Besitz, Bildung und einer bestimmten Rollenzuteilung (Männlichkeit versus Weiblichkeit) gemessen werden. Wenn wir also zu unserer Ausgangsfrage zurückkehren, läßt sich feststellen, daß die liberale Betonung der Teilbindung an das Herkunftsland (Abstammungsprinzip) zugleich eine Legitimation der staatlichen Souveränität und damit des Rechtssicherheitsraumes darstellte. Gegenüber einem unter diesem liberalen Gesichtspunkt unvollendeten deutschen System der nationalen Staatsbürgerschaft, das den Auslandsdeutschen und Rückwanderern den Status des rechtlosen Fremden reservierte, bekommt diese Legitimation eine andere Bedeutung. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Entwicklung der Reichs- und Staatsangehörigkeit zu mer

Zustände

als

Jellinek gliederte den Status, in dem sich der Einzelne gegenüber dem Staat befindet in vier Stufen. Er unterscheidet den passiven Untertanenstatus (status passivus), den Status der Freiheit vom Staat (status negativum), den Status des Anspruchs gegen den Staat (status positivum) und schließlich den Status der mitwirkenden Leistung für den Staat (status activus). Georg Jellinek, System der subjektiven, öffendichen Rechte, 2., unveränd., fotomechan. Nachdr. der 2., durchges. und verm. Aufl., Tübingen 1905, Darmstadt 1963, hier: S. 162.

Vito F. Gironda

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betrachten. Die

sichtigen.

Rechtsstellung der Rückwanderer ist

dabei besonders

zu

berück-

Rechtsvereinheitlichung wurde die Auswanderungsfreiheit grundsätzlich gewährleistet18. Einschränkungen bestanden hinsichtlich der Wehrpflicht, der sich zu entziehen strafrechtlich sanktioniert wurde. Zwischen 1871 und 1890 verließen fast 1,8 Millionen Deutsche (3,5 Prozent der Bevölkerung) Im Prozeß der

Deutschland. Allein zwischen 1880 und 1885 wanderten mehr als 860 000 Menschen nach Übersee aus. Als Push-Faktor wirkten die Wachstumskrisen der Industrie in Verbindung mit der Strukturkrise des Agrarsektors. Ab Mitte der 1890er Jahre schrumpfte die Zahl der jährlichen Auswanderer bis 1913 von 41 000 auf 25 000. Der Hauptgrund dafür lag in der Tatsache, daß in der Hochindustrialisierungsperiode, die Mitte der 1890er Jahre einsetzte und fast bis zum Ersten Weltkrieg anhielt, die Anziehungskraft Amerikas angesichts der stark wachsenden Arbeitskraftnachfrage und das Erwerbsangebot auf dem deutschen Arbeitsmarkt abnahm19. Parallel dazu nahm die Zahl der Rückwanderer und der Zurückgewiesenen zu. Die jährliche Rückwanderung nach Deutschland schwankte im Verhältnis zur Auswanderung in den Jahren von 1870 bis 1880 um 22,3 Prozent und seit 1880 um etwa 14 Prozent20. In den Jahren von 1908 bis 1914 kehrten pro Jahr durchschnittlich 5660 Deutsche zurück. Die rechtliche Position der Rückwanderer war sehr unterschiedlich. Im Hinblick auf die Ordnungsfunktion der Staatsangehörigkeit im internationalen Rechtsverkehr erfolgten eine Reihe von bilateralen Vertragsabschlüssen über die Rücknahme ehemaliger Staatsangehöriger. So wurde beispielsweise in dem Vertrag zwischen Deutschland und Italien von 1873 und in dem Vertrag mit der Schweiz von 1890 festgelegt, daß eine Übernahmepflicht des Staates gegenüber seinen früheren Staatsangehörigen bestand21. Dabei folgte man der geltenden völkerrechtlichen Doktrin, nach der ein Staat zur Aufnahme seiner früheren Staatsangehörigen dann verpflichtet blieb, wenn sie keine neue Staatsangehörigkeit erworben hatten. Diese Aufnahmepflicht wurde nach dem Prinzip der Gebietshoheit eines Staates und seiner Fürsorge für ehemalige Staatsangehörige begründet. Die Rücknahmepflicht endete erst dann, wenn der Aufenthaltsstaat den Betroffenen ein Daueraufenthaltsrecht gewährt und ihnen eine Einbürgerungszusage erteilt hatte.

Dazu Michael Stolleis, »Innere

Reichsgründung« durch Rechtsvereinheitlichung 1866 1880, in: Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze. Bedingungen, Ziele, Methoden, hrsg. von Christian Starck, Göttingen 1992, S. 15-41. So Klaus J. Bade, Die deutsche überseeische Massenauswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Bestimmungsfaktoren und Entwicklungsbedingungen, in: Auswanderer, Wanderarbeiter von —

und Gastarbeiter, hrsg. Klaus J. Bade, Ostfildern 1984, S. 269. Die folgenden Zahlen stammen aus Günter Moltmann, American-German Return Migration in the Nineteenth and Early Twentieth Centuries, in: Central European History, 13 (1980), S. 378 392, sowie Andreas Grether und Sabine Scheuermann, Rückwanderung aus Amerika. Zum Problem der Rückkehr aus der Fremde, in: Der große Aufbruch. Studien zur Amerikaauswanderung, Marburg 1985, S. 215-220. Dazu Kay Hailbronner, Rückübernahme eigener und fremder Staatsangehöriger, Heidelberg —

1996.

LinksHberaHsmus und nationale

Staatsbürgerschaft

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Zusammenhang war die Beziehung zu den USA von besonderer BeNach dem Bancroft-Vertrag von 1868 verloren die deutschen Auswandedeutung. rer ihre deutsche Staatsangehörigkeit schon nach fünf Jahren des ununterbrochenen Aufenthalts in den USA. Die Rückkehr vor der Zehnjahresfrist ohne Verlust der Bürgerrechte wurde durch den Erhalt eines »Heimatscheins« in Deutschland garantiert. Kehrte aber der Auswanderer nach dem zehnjährigen Ablauf der Frist in die Heimat zurück, galt er nach dem deutschen Armen- und Ausweisungsrecht als Ausländer22. Die Staatsangehörigkeit der Auswanderer hatte nach der Zehnjahresfrist unabhängig davon, ob der Auswanderer eine andere Staatsangehörigkeit erworben hatte den sogenannten animus non revertendi Charakter, das heißt, man vermutete eine Lösung der NationaHtät: »Wenn jemand zehn Jahre lang keinen Schritt gethan hat, um seine Verbindung mit der Heimat aufrecht zu erhalten, dann [darf] der WiUe präsumiert werden [...], daß er dieses Band lösen wiU«, hieß es im Reichsgesetz von 187023. Die rechtliche Konsequenz, die der Zurückkehrende zu fürchten hatte, war zunächst der Verlust des Unterstützungswohnsitzes. Der Fortbestand des Unterstützungswohnsitzes hatte die deutsche Staatsangehörigkeit zur Bedingung, auch wenn diese Regel sehr unterschiedHch gehandhabt wurde24. Im FaU einer Verarmung war dies aber sehr wichtig. Das Vorbild hierfür war das preußische Gesetz über die Verpflichtung zur Armenpflege von 31. Dezember 1842, dessen Bedeutung im Zusammenhang mit zwei anderen Gesetzen zu sehen ist, die ebenfaUs 1842 verabschiedet worden waren: das Untertanen- und das Freizügigkeitsgesetz. Diese preußischen Regelungen, die als staatliche Reaktionen auf das Problem des Pauperismus und der gesteigerten Binnenwanderung zu interpretieren sind, wurden auf das Kaiserreich inhaltlich und formal weitgehend übertragen25. Damit begann nicht nur eine Rechtsangleichung des Staatsbürgerstatus, sondern es etabHerte sich erstdie maHg Praxis der rechtlichen Trennung von »Inländern« und »Ausländern«. Das Recht auf Freizügigkeit war den preußischen Staatsangehörigen vorbehalten, um die unerwünschten, vor aUem die verarmten Ausländer fernzuhalten, die durch die Einführung der Gewerbefreiheit aus dem Ausland angezogen wurden. Der Anspruch auf die Armenunterstützung wurde von der Wohnsitznahme abhängig gemacht. Wer in einer Gemeinde seinen Wohnsitz erwarb, gehörte in ihren Armenpflegebereich. Nur im ersten Jahr konnte der Betroffene ausgewiesen werden. Allgemein galt aber § 1 des Gesetzes zur gemeindHchen Aufnahmepflicht »neuer anziehender Personen« (Freizügigkeitsgesetz), nach dem »keinem selbständigen In diesem





22 23

24

25



Zu folgenden Fragen eingehend Axel von der Straten, Die Rechtsordnung des Zweiten Kaiserreiches und die deutsche Auswanderung nach Übersee 1871 1914, BerHn, Baden-Baden 1997. Ebd., S. 25. Diesem Prinzip konnte man sich entziehen durch a) eine rechtzeitige Rückkehr nach Deutschland innerhalb der Zehnjahresfrist oder b) durch eine Verlängerung von Reisepapieren durch ein deutsches Konsulat nach voUzogener Auswanderung und schHeßHch durch Eintragung in die Konsulatsmatrikel eines kaiserHchen Konsulats. Aber die Eintragung war demjenigen zu versagen, der dem Alter nach wehrpflichtig war. Vgl. ebd., S. 210-239. Siehe Rolf Grawert, Staat und Staatsangehörigkeit, BerHn 1973. —

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Preußischen Untertan an dem Orte, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich selbst zu verschaffen im Stande ist, der Aufenthalt verweigert oder durch lästige Bedingungen erschwert werden darf.« Im § 5 wurde weiter bestimmt, daß »zwar denjenigen, welche weder hinreichendes Vermögen noch Kräfte besitzen, sich und ihren nicht arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen, der Zuzug verweigert werden [konnte], doch die Besorgnis künftiger Verarmung eines Neuanziehenden genügt nicht zu dessen Abweisung«26. Fremde konnten dagegen mangels Aufnahmeverpflichtung der Gemeinden jederzeit ausgewiesen werden, wenn sie bedürftig waren oder wurden. Schließlich legte das Untertanengesetz zum ersten Mal klare Kriterien für den Erwerb und den Verlust der preußischen Staatsangehörigkeit fest. Seine wichtigste Bestimmung schrieb vor, daß »der Wohnsitz innerhalb unserer Staaten in Zukunft für sich allein die Eigenschaft als Preußen nicht begründet.« Das Grundprinzip war jetzt das ius sanguinis: Die preußische Staatsangehörigkeit wurde durch die Abstammung von einem preußischen Staatsangehörigen erworben. Durch die Übertragung dieser preußischen Bestimmungen auf das Kaiserreich kam es einerseits gegen den sozialkonservativen Druck der Gemeinden zu einer Liberalisierung des Inländerstatus mit Freizügigkeit. Andererseits entwickelte sich in politischer und sozialer Hinsicht die Praxis des Ausschließens gegenüber unerwünschten Fremden27. Damit gewann die Staatsangehörigkeit die Konturen eines Instruments der Ausschließung: Es wirkte nach innen inklusiv und nach außen exklusiv. Das für das Kaiserreich geltende »Unterstützungswohnsitzgesetz« von 16. Juni —

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1870

galt als Anknüpfungspunkt für Unterstützungsleistungen der Armenfürsorge.

Mit diesem Gesetz wurde die Zuständigkeit für die Armenfürsorge den Gemeinden als Ortsarmenverbände übertragen28. Im Falle einer Hilfsbedürftigkeit und einer Verarmung waren die Gemeinden verpflichtet, den deutschen Staatsbürgern in ihrem Gebiet Unterstützung zu gewährleisten: »Jeder Deutsche ist in jedem Bundesstaate in Bezug a) auf die Art und das Mass der im Falle der Hilfsbedürftigkeit zu gewährenden öffentlichen Unterstützung, b) auf den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes, als Inländer zu behandeln,« lautet der § 1 des Ge187029. Der Erwerb des Unterstützungswohnsitzes erfolgte durch Abstammung, Verehelichung und Aufenthalt. Betrachtet man das Problem unter dem Aspekt der setzes von

juristischen Homogenisierung von Rechtsgebieten (Freizügigkeit, Militär, Gewerbeordnung etc.), stellte dieses Gesetz zusammen mit dem Erwerb und Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit (l.Juni 1870) und der Freizügigkeit (zuerst Die folgenden Gesetzesbestimmungen stammen aus Grawert, Staat (wie Anm. 25), S. 46 f. Hans Harald Friedrichsen, Die Stellung des Fremden in deutschen Gesetzen und völkerrechtlichen Verträgen seit dem Zeitalter der französischen Revolution, Diss. Göttingen 1967. Dazu vor allem Christoph Sachße und Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd 2: Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871-1929, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988, S. 199. Hermann Stolp, Der Unterstützungswohnsitz, in: Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 3 (1870), S. 396—446.

LinksHberaHsmus und nationale

Staatsbürgerschaft

119

1. November 1867) eine wichtige Zäsur für den einheitlichen Staatsbürgerstatus dar. An SteUe des an das Heimatprinzip gebundenen Systems der Armenpflege mit seinen unterschiedHchen einzelstaatlichen Körperschaften und rigiden Aus- und Einschlußmechanismen trat eine staatliche Zwangspflicht. Damit wurde die Ausund Abweisungskompetenz der Gemeinden gegenüber dem Staatsbürger weitgehend begrenzt. Die Kommunen waren nicht mehr ohne weiteres in der Lage, Inländer abzuweisen. Jetzt regelte der Staat die entsprechende Zuständigkeit. Auch wenn der Staat längst nicht zum Träger der Armenlast wurde, weU die Organisation und die Durchführung der Armenfürsorge den einzelnen Armenverbänden der Landesgesetzgebung übertragen waren, konstituierte sich somit zugleich eine neue Umgangsweise gegenüber verarmten Staatsbürgern30. Mit anderen Worten: Aus dem Staatsbürgerstatus wurde die öffentliche Armenpflege abgeleitet, die sich von der traditioneUen Unterstützung für verarmte GemeindemitgHeder in eine Verwaltungsmaxime gegenüber verarmten Staatsbürgern verwandelte. WeU nun die Auffassung herrschte, daß Armut ein Laster sei, wurde ein System der öffentlichen Armenpflege entwickelt, das den Anspruch auf die Armenpflege mit gravierenden rechtlichen und sozialen Nachteüen verknüpfte. Diese reichten vom Verlust des Wahlrechtes bis zu Einschränkungen der Freizügigkeit. Dahinter stand die Idee des sozialadäquaten Verhaltens der Bedürftigen. Es soUte Druck auf die Armen ausgeübt werden, damit sie sich auf dem Wege der Selbsthilfe aus ihrer Bedürftigkeit befreiten. Für den Wiedererwerb des Unterstützungswohnsitzes mußte der Rückwanderer nachweisen, daß er sich zwei Jahre lang an einem Ort aus eigener Kraft ernähren konnte. Allgemein ist aber dabei zu berücksichtigen, daß der verarmte Rückwanderer unter dem Ausweisungsrecht stand. Diese Ausweisungspraxis betraf auch drei Gruppen ehemaHger eigener Staatsangehöriger: diejenige, denen es trotz der bestehenden KontroUen gelungen war, im bereits wehrpflichtigen Alter nach Amerika auszuwandern; diejenige, die dieses Alter noch nicht erreicht hatten, als sie mit der Familie die Heimat veriießen; und schHeßHch diejenige, welche der Staatsangehörigkeit nach noch Deutsche waren, bevor sie das mUitärpfHchtige Alter erreichten31.

II. Offene Staatlichkeit und »Schwarze Deutsche« Wenn das Gesetz

hörigen wirkte,

von

war es

1913 einerseits

expansiv gegenüber ehemaHgen Staatsange-

andererseits äußerst restriktiv gegen nichtdeutsche Einwan-

Eckart Reidegeld, Bürgerschaftsregelungen, Freizügigkeit, Gewerbeordnung und Armenpflege im Prozeß der Modernisierung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 115 (1998), S. 205-265. Dazu und für die weiteren Diskussionen, welche die Ausweisungspraxis gegenüber ehemaHgen eigenen Staatsangehörigen in Gang setzte, und die daraus resultierenden KolHsionen mit den bereits vereinbarten völkerrechtHchen Verträgen, vor aUem mit den USA, siehe Strafen, Rechtsordnung (wie Anm. 22), S. 170-194.

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120

derer. Das Gefühl, daß die Homogenität der Nation durch Volksfremde gefährdet sei, trieb die Ethnisierung der nationalen Staatsbürgerschaft voran. In diese Richtung ist die Ablehnung des ius soli und das restriktive Einbürgerungsrecht zu interpretieren. Auf der Grundlage der Symmetrie von Zugang zu Bürgerrechten und völkischer Zugehörigkeit zeigte sich, wie der deutsche Nationalstaat durch die Institution nationaler Staatsbürgerschaft eine begrifflich klare, rechtlich konsequente und ideologisch aufgeladene Unterscheidung zwischen Bürgern und Fremden durchsetzte: Staatsbürgerschaft wurde zu einem Instrument sozialer Schließung. So wirkte die Distanz zwischen insiders und outsiders grundlegend. Diese Distanz wurde nach normativen Weltbildern begründet, die den Fremden den Anspruch auf Zugang zur staatsbürgerlichen Sphäre verweigerten, weil diese von Individuen fremder Herkunft abstammten. Gerade auf diesem Terrain jedoch zeigte sich bei der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes eher ein Konflikt zwischen unterschiedlichen Weltbildern und divergierenden politischen Auffassungen von Staatlichkeit als eine breite Zustimmung zu ethnischen Vorstellungen. In der Tat war es gerade der Regierungsentwurf, insbesondere § 7, nach dem »einem Ausländer, der sich im Inland niedergelassen hat, die Aufnahme auf seinen Antrag erteilt werden« konnte, der zu einer sehr kontroversen Auseinandersetzung im Reichstag führte und ihn in zwei Gruppen spaltete32. Auf der einen Seite standen die Rechten die Partei der Konservativen und Antisemiten, das Zentrum und die nationalliberale Reichstagsfraktion —, die grundsätzlich ein reines ius sanguinis als ausschlaggebendes Kriterium bei der Zuschreibung von Mitgliedschaft betonten. Auf der anderen Seite plädierten die Sozialdemokraten und die Liberalen der Fortschrittlichen Volkspartei für die Einführung eines bedingten ius soli. Die Ersten projizierten auf der Ebene der Gesetzgebung eine radikale Antwort auf die in der Wilhelminischen Zeit von der gesamten Gesellschaft ständig geführten Diskussion der »Ausländerfrage«, der die »sozialen Folgeprobleme der Zuwanderung ausländischer Arbeiter durch die Probleme des seiner Identität noch nicht sicheren neuen deutschen Nationalstaates ideologisch aufgeladen«33 wurde. Die Geschichte der Ausländerbeschäftigung mit ihrer repressiven staatlichen und rechtlichen Reglementierung (Ausländerzufuhr, Inlandslegitimationszwang und Rückkehrzwang) führte zu einer systematischen diskriminierenden Rechtsstellung von Einwanderern und verhinderte die Ausländerintegration im Kaiserreich. Bereits seit den 1880er Jahren war im Zuge der Masseneinwanderung aus Osteuropa im politischen Diskurs ein zunehmend rassistischer Vorbehalt gegen die Heranziehung ausländischer Arbeiter (Auslandspolen, »Ostjuden«) präsent, der seinen Ausbruch 1885/86 in der antisemitisch und antislawisch motivierten Ausweisung von 35 000 Juden und Polen fand34. Die Einbür—

Vgl. zur allgemeinen Diskussion Sten. Ber. RT (wie Anm. 12), Bd 290 (1913), Sitzungen 153 vom 28. Mai, 154 vom 29. Mai, 155 vom 30. Mai und 169 vom 25. Juni. Ulrich Herbert, Ausländer und andere Deutsche. Bemerkung über die Vorgeschichte einer aktuellen Diskussion, in: Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit, hrsg. von Mechtild M. Jansen und Ulrike Prokop, Basel, Frankfurt a.M. 1993, S. 13-28. Jack Wertheimer, Unwelcome Strangers. East European Jews in Imperial Germany, New York, Oxford 1987.

LinksHberaHsmus und nationale

Staatsbürgerschaft

121

gerungspoHtik orientierte sich seit Mitte der achtziger Jahre, wie Dieter Gosewinkel am Beispiel der Einbürgerung von Juden gezeigt hat, an der inneren Homogenität der Nation, die konkurrierende nationale und reHgiöse LoyaHtätsbindungen ausgrenzte und verdrängte. Die dauerhaften Einbürgerungshindernisse für eingewanderte Juden waren das Ergebnis einer ethnisch-kultureUen LeitvorsteUung von nationaler Homogenität. Das staatlich durchgesetzte Bedürfnis, eine wachsende Einwanderergruppe, »die als wirtschaftlich bedrohHch und ethnisch fremd empfunden wurde, grundsätzHch von der staatlichen Gemeinschaft fernzuhalten, verstärkte die AbwehrpoHtik eines Einwanderungslandes, das keines sein woUte«35. Was seit 1880 als Überfremdung und Polonisierungsgefahr perhorresziert wurde, erfuhr jetzt seine Legitimation auf der Rechtsebene. Um nur ein Beispiel zu geben: Während einer Reichstagsdebatte sah Ernst Giese von den DeutschKonservativen in der »Hauptsache des Bluts, der Abstammung das Entscheidende für den Erwerb der Staatsangehörigkeit. Diese Bestimmung dient hervorragend dazu, den völkischen Charakter und die deutsche Eigenart zu erhalten und zu bewahren«36. Der Abgeordnete Richard Herzog von der Wirtschaftlichen Vereinigung brachte diese Auffassung einer vorstaatlichen (völkischen) VorsteUung ethnischer Homogenität des Volkes auf den Punkt, indem er die Gefährdung des Deutschtums durch die Einbürgerung von Ausländern betonte: »Deutschland ist sich bei seinem immerhin noch erhebHchen Geburtenüberschuß gar nicht so sehr darauf angewiesen, auf Zuwachs von aUen mögHchen Volkselementen zu rechnen. Und die deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeit soU gewissermaßen ein Hindernis werden für aUe mögHchen unerwünschten Elemente, die unser Volkstum gefährden und die keineswegs geeignet sind, den deutschen Namen und deutsches Wesen in der Welt zu Ehren zu bringen37.« Aber diesem Argumentationsmuster widersetzen sich Sozialdemokraten und Liberale der Fortschrittlichen Volkspartei vehement, indem sie das Recht auf die Einbürgerung für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Ausländer forderten38. Begründet wurde dieser Einbürgerungsanspruch mit staatlichen und an

35 36 37 38

So Gosewinkel, Unerwünschte Elemente (wie Anm. 8), S. 97. Sten. Ber. RT (wie Anm. 12), Bd 290 (1912), Sitzung 169, Sp. 5282. Ebd., Bd 283 (1912), Sitzung 13, Sp. 283. 1912 und 1913 wurden auf Initiative der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion eine Reihe von Anträgen bezügHch einer Reform des geltenden Einbürgerungsrechtes vorgelegt. Die Anträge sahen vor a) daß »der Antrag auf Einbürgerung nicht zurückgewiesen werden kann, wenn der AntragsteUer in Deutschland geboren ist, wenn er keinem Staate angehört und aus der Ehe zwischen einem Ausländer und einer Frau hervorgegangen ist, die bis zur Eingehung der Ehe Deutsche war, d.h. wenn er mütterHcherseits Deutscher ist, deutscher Abstammung ist und durch die VereheHchung seiner Mutter keine staatsbürgerHchen Angehörigkeit in irgendeinem anderen Staate erlangt.« [so die Begründung von Eduard Bernstein, Sten. Ber. RT (wie Anm. 12), Bd 290 (1913), Sitzung 169, Sp. 5769]; b) neben denjenigen Personen, die in Deutschland geboren waren und dort ohne längere Unterbrechungen bis zur VoUjährigkeit gelebt hatten, wurde ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung auch für diejenigen, die in der Armee zu dienen bereit waren und die (von Geburt) eine deutsche Mutter hatten. Ein Sozialdemokrat resümierte die Anträge wie folgt: »Bei unserem Antrag handelt es sich ledigHch darum, daß derjenige Ausländer, der sich in deutsche Verhältnisse eingelebt hat, der gewUlt ist, dauernd in Deutschland zu leben, der dort eine FamUie gegründet hat, das Recht erhalten soU, das deutsche Bürgerrecht zu erwerben, also unge-

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nationalen Gesichtspunkten nach dem Prinzip der bereits bestehenden gesellschaftlichen und kulturellen Eingliederung ansässiger Ausländer. Wer wirtschaftlich eingegliedert sei und sich in den deutschen Verhältnissen und in der Kulturgemeinschaft eingelebt hat, habe auch ein Recht auf staatliche Einbürgerung, lautete das sozialdemokratische und linksliberale Credo. Man kann darüber streiten, ob diese Positionen kein reines ius soli beinhalteten, weil sie nicht automatisch mit der Geburt im Inland die Staatsbürgerschaft herleiteten, sondern darauf lediglich nur einen Einbürgerungsanspruch gründeten. Dagegen verlieh das französische Modell von 1889 den Einwanderern der zweiten Generation automatisch die Staatsbürgerschaft. Aber gerade diese Öffnung der Staatlichkeit in Richtung auf die Gewährung eines Anrechtes auf Bürgerrechte für Ausländer stand im Widerspruch zum Bedeutungsinhalt der Volksnation bzw. einer Substantialisierung des Staatsvolkes. Doch für die Linksliberalen war die Staatsangehörigkeit nicht nur eine formale Rechtsstellung, sondern sie hatte auch einen »materiellen« Gehalt. In dieser Hinsicht war die Konvergenz zwischen einer abstammungsgebundenen Staatsangehörigkeit und der kulturell weitergefaßten politischen Staatsnation konstitutiv. Der geforderten Mischform von ius sanguinis und ius soli lag ein Staatsangehörigkeitsbegriff zugrunde, der auch auf die Assimilation im deutschen Kulturverband zielte. Mit anderen Worten: Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sollte die wirtschaftliche und soziale Eingliederung von Ausländern nicht erleichtern. Er wurde an den Schluß dieses Prozesses gestellt und setzte die Assimilation bzw. die erfolgreiche »Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse« voraus. Der Erwerb des faktischen Mitgliedschaftsstatus ging sowohl mit einer sozialökonomischen Selbständigkeit als auch mit einer weitgehenden Identifikation mit dem Wertsystem des Ankunftslandes einher. Aber hier muß man eine wichtige Unterscheidung betonen: Die Idee der Volksnation charakterisiert sich dadurch, daß der demos der Staatsbürger, um sich als politischer Verband gleicher und freier Bürger stabilisieren zu können, notwendigerweise in dem ethnos der Volksgenossen verwurzelt sein soll. Diese Auffassung hebt das Partikulare und Einzigartige des eigenen Volkes gegenüber den anderen Völkern hervor, also die Differenz und die fähr das in Deutschland

was in Amerika besteht.« (Sten. Ber. RT, ebd., Bd 290 Im Grunde handelte es sich, wie es Otto Landsberg sehr pointiert sagte, »um Personen, die aus Ehe deutscher Frauen und staatenloser Männer hervorgegangen sind, und zwar Personen, die durch ihre Niederlassung im Inland Anhänglichkeit an Deutschland zu erkennen gegeben haben Personen, [...] die in Deutschland geboren sind, niemals in irgendeinem Land gelebt haben, die in Deutschland erzogen, die unbescholten sind, und die, sobald es

einzuführen,

(1913), Sitzung 154, Sp. 5311).

-

sich

um

männliche Personen

handelt,

zur

Erfüllung der Wehrpflicht bereit sind.« (Sten.

Ber. RT,

Bd 290 (1913), Sitzung 154, Sp. 5306). Ähnlich äußerten sich die Linksliberalen. Sie fügten noch hinzu: »Deutschland ist tatsächlich heute in großem Masse auf die Zuwanderung fremder Bevölkerungskräfte angewiesen. [...] Da müssen wir uns aber doch vor Augen halten, daß es nach Möglichkeit unsere Aufgabe sein muß, diese fremden bei uns eingewanderten und für unsere Arbeit und für unsere Gewerbe unentbehrlichen Elemente auch bei uns nach Möglichkeit zu assimilieren. [...] Man müsse alles daransetzen, diese Elemente mit dem deutschen Staatsgedanken zu erfüllen und dem Deutschtum zuzuführen.« [Andreas Blunck, Sten. Ber. RT, Bd 290 (1913), Sitzung 153, Sp. 5285]. Zustimmung fanden diese Positionen auch bei den Abgeordneten der Polen und der Dänen.

LinksHberaHsmus und nationale

Staatsbürgerschaft

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Distinktion. Auf eine Formel gebracht: Die ethno-kultureUe Dimension privilegiert das exklusive Moment der Bürgergemeinschaft. Der Unterschied zwischen »Volksnation« und »Staatsbürgernation« besteht darin, daß erstere die Integration bzw. AssimUation der Immigranten und der nationalen Minderheiten in einer bestimmten kultureUen Gemeinschaft voraussetzt. Die Staatsbürgernation unterscheidet sich von der Volksnation nicht durch das Fehlen einer kultureUen Komponente, sondern dadurch, daß sich aUe in einer kultureUen Gemeinschaft und ihrem Wertesystem (Max Weber) integrieren können und integrieren lassen39. Fragt man nach struktureUen ÄhnHchkeiten mit dem historischen ModeU der Staatsbürgernation in Frankreich oder in Amerika, so läßt sich feststeUen, daß hier eine deutliche Analogie bestanden hat. Das historische ModeU der Staatsbürgernation Frankreichs und der USA entwickelte sich innerhalb dieser Parameter und nicht aUein auf der Basis von Prozeduren und demokratischen Institutionen. Die amerikanische Erfahrung zeigt, daß die Geschichte ihres ModeUs des melting pot viele gemeinsame ParaUelen mit der europäischen Geschichte der Staatsnation aufweist. Das verfassungsrechtliche Primat des »equal äti^enship«, welches das Credo der amerikanischen »civic culture« ausmacht, war an die Assimilationsbereitschaft der Immigranten gebunden40. Der étranger der Französischen Revolution erwarb seine QuaHtät als Français (passiv) nicht aUein dadurch, daß er materieUen Besitz oder für mindestens fünf Jahre einen Wohnsitz in Frankreich nachwies, sondern aufgrund seines serment ävique*1. Die Erfindung der Nation war die Bezugsgröße der citoyenneté. Die ätoyenneté war gleichzeitig eine gemeinsame Bedingung (aUe gehören zur Nation) und ein Ort der Differenzen: Gleichheit der Rechte und Reglementierung der Differenzen. Die Distinktion zwischen aktivem und passivem Bürger entsprach der Notwendigkeit, die Differenzen zu betonen. Das Ende des droit d'aubaine und die Konzession der bürgeriichen Rechte hebt im Bezug auf die Zugehörigkeit des Individuums zur Nation das Spannungsfeld zwischen Bürgern und Fremden (Ausländern) nicht auf. Knapp hundert Jahre später und unter vöUig anderen Prämissen und historischen KonsteUationen folgte weiterhin eine assimilatorische Lehre den Grundmustern des französischen Staatsbürgerschaftssystems als einer Mischung von ius sanguinis und ius soli. Dahinter stand die Idee, daß die automatische Anerkennung der Staatsbürgerschaft bei Immigranten der zweiten Generation zu ihrer sozialen Transformation paraUel laufen würde: Es war mögHch, diese Immigranten als Franzosen zu definieren, weil sie sich durch die Assimilationswirkung der Schule und der Wehrpflicht als Franzosen fühlen würden. Aber das Vertrauen in die AssimUation fehlte nicht in der Hberalen Kultur. Im Gegenteü, gerade dieser —

Zu diesem Mißverständnis in der

Nationalismustheorie, die dem bürgeriichen (civic) NationaHskeine kultureUe Komponente zuschreibt vgl. WU1 KymUcka, Misunderstandig NationaHsm, in: Dissent, 42 (1995), S. 130-137. Zu diesen neuen Diskussionen über die amerikanische Staatsbürgerschaft vgl. Rogers M. Smith, Civic Ideals, New Haven, London 1997; Linda K. Kerber, The Meanings of Citizenship, in: The Journal of American History, 84 (1997), S. 833 855. AHgemein auch Will KymHcka, Multicultural Citizenship, Oxford 1995. Sophie Wahnich, L'impossible citoyen. L'étranger dans la Révolution française, Paris 1997. mus



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124

charakterisiert die linksliberale Politik sowohl gegenüber nationalen Minderheiten im Kampf gegen die preußische »selbstmörderische Praxis« der Germanisierung (so Martin Rade) als auch gegenüber ausgewanderten Ausländern42. Man denke nur an die vehemente Kritik der preußischen Ausweisungspolitik Mitte der achtziger Jahre, in einer Phase der deutschen Geschichte, in der die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit des Kaiserreiches besonders deutlich auftauchten. Damals lehnte man die preußische Maßregel der Ausweisungspolitik vor allem gegen russische und polnische Juden im Namen eines in vielen Bereichen bereits in Gang gesetzten Assimilationsprozesses der im Inland ansässigen Ausländern ab. Just Möller betonte in einer Artikelreihe für die Zeitschrift »Die Nation«, wie verhältnismäßig schnell sich die Anpassung und Konversion der jüdischen Einwanderer und ihrer Nachkommen an moderne Anschauungen des Reformjudentums voll-

Aspekt

ziehen. Trotz des noch am Anfang stehenden Anpassungsprozesses diagnostizierte er, daß »ihre Kinder [...] sich selbst in dieser Hinsicht schon empfänglicher für moderne Anschauungen [zeigen,] und spätestens die dritte Generation denkt und fühlt ganz, wie ihre deutschen Mitbürger«43. Wichtig war die Tatsache, daß die Einwanderer in Preußen Grundeigentum erwarben, Handel und Gewerbe betrieben, als Soldat gedient und Steuern bezahlt hatten, so daß ihnen Rechtssicherheit zustehen sollte. Karl Braun zufolge hieß das: »Man hat ihn [den Einwanderer] hinsichtlich der staatsbürgerlichen Pflichten seit langen Jahren als Inländer behandelt, so kann man ihn nicht plötzlich ex post zum Ausländer stempeln und aus seinem Wohnsitz vertreiben44.« Sie waren als Staatsangehörige im Sinne nicht von Staatsbürgern wohl aber von Untertanen zu betrachten. Ludwig v. Bar entgegnete der Ausweisungspolitik aus Furcht einer »Polonisierung« des Landes, daß, »wenn die Gefahr besteht [...], so wird diese Gefahr abgewendet werden können durch langsame und allmähliche dem Assimilationsprozesse

unterliegende Einwanderungen«45.

Dabei stand zweifelhaft der Linksliberalismus dem politischen Angehörigkeitsverständnis des historischen Modells einer Staatsbürgernation westlicher Prägung sehr nahe. Doch man kann sagen, daß dieser Assimilationsbegriff eine kulturelle Fremdheit voraussetzt und dadurch keine Sensibilität gegenüber einem kulturellen »Recht auf Ungleichheit« besitzt, wie es jetzt in der Forschung diskutiert wird46. Darüber hinaus scheint vor allem das gesamte Verhältnis des Linksliberalismus zum deutschen Judentum exemplarisch. Unter den Liberalen gab es eine Diskussion Anne Christine

Nagel,

Martin Rade.

politische Biographie, Gütersloh 1996.

Theologe

und Politiker des sozialen Liberalismus. Eine

Just Möller, Die polnischen Juden, in: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und

Litteratur, 2 (1884/85), S. 773~775, hier: S. 774. Karl Braun, Die Ausweisung im Inlande ansässiger Ausländer, in: Die Nation, 2(1885), S. 519-521, hier: S. 520. Ludwig von Bar, Die Ausweisung, in: Die Nation, 14 (1885/86), S. 184-197, hier: S. 197. Vgl. Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 1992; Hans-Joachim Salecker, Der Liberalismus und die Erfahrung der Differenzen. Über die Bedingungen der Integration der Juden in Deutschland, Berlin 1999. Siehe auch die Beiträge in: Die Konstruktion der Nation gegen die Juden, hrsg. von Peter Alter [u.a.], München 1999.

I.inksliberaUsmus und nationale

Staatsbürgerschaft

125

über die Nähe und Distanz zum Judentum, die sich im Spannungsverhältnis von Anerkennung der staatsbürgerUchen Gleichberechtigung und Forderung nach voUkommener Auflösung der jüdischen Gemeinschaft innerhalb einer säkularisierten, wenn auch christlich geprägten Nation bewegte. Im Hberalen Verständnis bezog sich die Gleichberechtigung der zu emanzipierenden Juden stets auf ihren Status als Individuen und nicht als Gruppe. Die Gleichheit und Rechtssicherheit schloß nicht das kultureUe »Recht auf Ungleichheit« oder das »Recht auf Verschiedenheit« ein. Das führte indes nicht zu einer »negierten« oder »verweigerten« Emanzipation, wenn man unter Emanzipation die HersteUung der Rechtssicherheit und Ausdehnung der Partizipationschance versteht. Hier muß der Unterschied zwischen diesen Positionen und dem modernen poHtischen Antisemitismus mit seinem anti-staatsbürgeriichen Kern scharf betont werden. Vielmehr verweist diese Problematik auf den Konflikt zwischen der Konstruktion eines modernen Nationalstaates mit seiner Forderung nach unbedingter LoyaHtät und dem Fortbestand

»Volksgruppe« bzw./oder eines »poHtisch-reHgiösen« Verbandes, um nur einige Bezeichnungen der Juden im zeitgenössischen Hberalen Sprachgebrauch zu nennen, die so typisch für die gesamte europäische Hberale Kultur gewesen sind47. Dieser Aspekt ist eine nähere Betrachtung wert. Er ist ein Kernstück eines NationaHsmus Hberaler Prägung, in dem ein egaHtäres Wertesystem und die Abgrenzungsfunktion miteinander verschmolzen. Es ist daher zu betonen, daß der NationaHsmus einen Nationalstaat postuHert, der die Existenz eines gemeinsamen kultureUen Raumes der Nation voraussetzt48. Die Konstruktionsprozesse von institutioneUen Strukturen gehen paraUel mit der Schaffung einer immer exklusiveren kultureUen und poHtischen Identität. In einer Art von Arbeitsteüung wurde dem Staat die Aufgabe einer normativen Homogenisierung zugeteüt, während der Nation die Aufgabe der Legitimation und des Konsenses, das heißt des Repräsentationsortes der Volkssouveränität zugesprochen wurde. Der NationaHsmus bietet deshalb auch eine Legitimationsgrundlage, weü er eine Versöhnung zwischen poHtischer und nationaler Einheit darsteUt. Gegenüber dieser Legitimationsfunktion der Herrschaft bewegte sich die nationale Staatsbürgerschaft immer zwischen dem Universalen und dem Partikularen. Interne Anerkennung des Staatsbürgerstatus und externe Distinktion der Zugehörigkeit sind zwei Charakteristika, die sicher die Mechanismen von Inklusion und Exklusion reglementieren, aber nicht notwendigerweise als soziale Abgrenzung wirkten. einer

Für einen allgemeinen ÜberbHck zu diesen Themen George L. Mosse, Deutsche Juden und der LiberaHsmus: ein RückbHck, in: Das deutsche Judentum und der LiberaHsmus. Dokumentation eines internationalen Seminars der Friedrich-Naumann-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Leo Beack Institut, London, Sankt Augustin 1986, S. 174—211. Zum Vergleich zwischen ItaHen und Deutschland vgl. Integrazione e identità. L'esperienza ebraica in Germania e ItaHa daU'IUuminismo al fascismo. Hrsg. von Mario Toscano, Mailand 1998. Eric J. Hobsbawm, Nations and NationaHsm since 1780. Programme, Myth, ReaHty, Cambridge 1990 (deutsch unter dem Titel: Nationen und NationaHsmus. Mythos und ReaHtät seit 1780, Frankfurt a.M., New York 1991). Zum Verhältnis von NationaHsmus und Staat grundlegend BreuiUy, NationaHsmus (wie Anm. 1).

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Das soll am Beispiel der Mischehen und der Mischlingsfrage in den Schutzgebieten dargestellt werden, weil sich hier die Grenzbestimmungen deutlich zeigen. Das konkrete Beispiel stellt die grundlegende Frage nach dem »Herausdefinieren«

Menschen aus dem rechtlichen und politischen Staatsbürgerstatus durch biologische und rassistische Begründungen. Mit der Intensivierung der deutschen Kolonialherrschaft nach der Jahrhundertwende stand das Thema im Mittelpunkt juristischer, wissenschaftlicher, rassenideologischer und politischer Auseinandersetzungen und stieß auf das zunehmende Interesse der Öffentlichkeit49. In den daran anknüpfenden Debatten zeigte sich der Linksliberalismus von rassistischen Denkfiguren mehr oder minder stark beeinflußt. Bevor dieser Aspekt näher betrachtet wird, muß eine kurze Erläuterung gegeben werden. In den Jahren von 1884 bis 1900 erwarb Deutschland Kolonien in Südwestafrika, Togo, Kamerun, Ostafrika, Samoa und Neuguinea, ferner den chinesischen Marinestützpunkt Kiautschou und die Schutzgebiete in Mikronesia. Die Schutzgebiete hatten verfassungsrechtlich einen Sonderstatus. Die Reichsverfassung von 1871 galt dort nicht50. Die Kolonien gehörten nicht zum Reichsgebiet. Sie waren gleichwohl auch kein Ausland, sondern, wie die damalige juristische Sprache lautete, ein Bestandteil des eigenen Staates und der völkerrechtlichen Persönlichkeit des Reiches. Mit dem Schutzgebietsgesetz vom 17. April 1886 wurde allerdings ein einheitlicher Begriff der Schutzgewalt verabschiedet, dessen Ausübung in die Hand des Kaisers gelegt wurde. Die Rechtsverhältnisse der Bevölkerung in den deutschen Kolonien bestimmten sich nach dem sogenannten Trennungsprinzip. Sie wurden in staatsrechtlicher Hinsicht durch das »Grundgesetz für die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtspflege in den Kolonien« (SchGG) vom 25. Juli 1900 festgelegt. Welches Recht aufweichen Personenkreis anzuwenden sei, wurde anhand der Unterscheidung zwischen Eingeborenen (Farbigen) und Nichteingeborenen (Weißen) festgelegt51. Diese Personengruppen verfügten über zwei unterschiedliche Rechtsordnungen. Während für die »nichteingeborene« Bevölkerung im wesentlichen das deutsche Recht galt, waren die Eingeborenen von der von

Einen umfassenden Überblick der Debatten bietet Franz-Josef Schulte-Althoff, Rassenmischung im Kolonialsystem. Zur deutschen Kolonialpolitik im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, in: Historisches Jahrbuch, 105 (1985), S. 125-197, der allerdings eine sehr zweifelhafte Zahl von insgesamt 6814 Mischlingen in den Kolonien gibt. Dazu jetzt auch Fatima El-Tayeb, Schwarze Deutsche. Der Diskurs um »Rasse« und nationale Identität 1890—1933, Frankfurt a.M., New York 2001; Pascal Grosse, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, Frankfurt a.M., New York 2000. Zu den Rechtsprechungsproblemen der Kolonialzeit siehe die umfassende Behandlung von Udo Wolter, Deutsches Kolonialrecht ein wenig erforschtes Rechtsgebiet, dargestellt anhand des Arbeitsrechtes der Eingeborenen, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, 17 (1995), S. 201-244. Zu den Motivlagen für eine Kodifikation des Eingeborenenrechtes am Beispiel Togo vgl. Trutz von Trotha, Zur Entstehung von Recht. Deutsche Kolonialherrschaft und Recht im »Schutzgebiet Togo« 1884-1914, in: Rechtshistorisches Journal, 7 (1988), S. 317-346. Zur Problematik des Eingeborenenrechtes und deren Interesse seitens der Politik siehe Harald Sippel, Der Deutsche Reichstag und das »Eingeborenenrecht«. Die Erforschung der Rechtsverhältnisse der autochthonen Völker in deutschen Kolonien, in: Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, 61 (1997), S. 714-738. -

LinksHberaHsmus und nationale

Staatsbürgerschaft

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TeUnahme an der Rechtsordnung der Weißen ausgeschlossen; ihre bürgeriichen Rechtsverhältnisse wurden nach dem Gewohnheitsrecht der jeweiligen ethnischen Gruppen bestimmt. Die Eingeborenen galten somit nicht als Reichsangehörige, sondern als Untertanen. Dieses Trennungsprinzip wurde mit der Zugehörigkeit der Menschen zu einer bestimmten Rasse begründet, welche die geseUschaftliche Ordnung in den Schutzgebieten nach rassistischen Gesichtspunkten organisierte. Edgar Loenig, Professor für Verfassungsrecht in HaUe, rechtfertigte dieses System folgendermaßen: »Die Eingeborenen aUer Schutzgebiete sind gegenwärtig noch durch eine tiefe Kluft von der christlich-europäischen ZiviHsation getrennt. Wie ihnen jedes Verständnis für unser ausgebUdetes und deshalb auch verwickeltes Rechtssystem fehlt, so ist es auch ganz unmögHch, sie dem in Deutschland geltenden Recht zu unterwerfen52.« Das Schutzgebietsgesetz von 1900 wies jedoch eine Lücke auf: Es regelte nicht die Frage der EheschHeßung zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen. An diesem Umstand entzündete sich in den folgenden Jahren eine juristische und poHtische Diskussion über die Gültigkeit oder Unzulässigkeit von Mischehen im Schutzgebiet, die sehr rasch die Konturen der Definitionsgrenzen der eigenen nationalen Identität zeigte. An diese Frage war eine Reihe von rechtlichen Konsequenzen gebunden, vor aUem die Gültigkeit des Bürgeriichen Gesetzbuches, das 1900 in Kraft getreten war. Es ermögHchte deutschen Reichsangehörigen im Ausland eine Ehe nach deutschem Recht zu schHeßen, so daß die autochthonen Frauen und die Kinder solcher Mischehen durch die Heirat mit einem Deutschen die deutsche Staatsbürgerschaft erwarben. Die unterschiedHchen poHtischen und juristischen EinsteUungen zu dieser Frage lassen sich in zwei Grundpositionen zusammenfassen: Auf der einen Seite findet man eine deutlich rassistische Grundannahme, die über ein Mischehen-Verbot durch ein Reichsgesetz hinausging und aUe rassistischen Topoi von der »Minderwertigkeit« des »MischHngsblutes« bis zur Entartung der überlegenen germanischen Rasse durch »Vermischung« und »Rassenkreuzungen« in der poHtischen Arena aufwarf. Auf der anderen Seite gab es ein breites Spektrum von Meinungen, die sich gegen ein Mischehen-Verbot richteten, das Thema jedoch mit massiven Vorbehalten und rassistischen Untertönen behandelte. Jene fanden ihr Sprachrohr in der Deutschen KolonialgeseUschaft, diese organisierten sich in nationalen Verbänden wie dem Deutschbund und dem Deutschnationalen Kolonialverein. Die poHtische Stoßrichtung dieses radikalnationaHstischen Sammelblocks ist leicht festzusteUen: Eine rechtiiche GleichsteUung der MischHnge mit den Weißen soUte im Namen der »Reinrassigkeit« und des »gesunden nationalen Rassenbewußtseins« vermieden werden53. 52

53

Zit. nach Wolter, Deutsches Kolonialrecht (wie Anm. 50), S. 208. Bereits 1904 steUte Hermann Hesse diese poHtischen Forderungen klar dar. In Anlehnung an einen Artikel in der Zeitschrift für KolonialpoHtik (1904), der das mangelnde Rassenbewußtsein der niedergelassenen Deutschen in den Kolonien beklagte, weU sie »noch zu wenig Herrenbewußtsein als Mitglieder der überlegenden weißen Rasse zeigen und nicht die für die Sicherheit des Staates und die Reinheit der Rasse des deutschen Blutes notwendige scharfe geseUschaftliche Trennung von den Farbigen aufrecht halten«, sagte der Mentor des völkischen NationaHsmus,

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Die Front gegen diese völkischen Forderungen zeichnete sich durch eine große Ambivalenz aus. Diese kam sehr deutlich während der politischen Auseinandersetzungen um das Mischehenverbot für Samoa zum Ausdruck, das der Staatssekretär Wilhelm

Solf, der ehemalige Gouverneur

von Samoa, am 17. Januar 1912 ausgehatte54. Dieser Erlaß löste eine sprochen heftige Kontroverse im Reichstag aus und führte zu einer von Zentrum und Sozialdemokratie an den Bundesrat gerichteten Resolution zur »Einbringung eines Gesetzesentwurfes, welcher die Ehe zwischen Weißen und Eingeborenen in allen deutschen Schutzgebieten sicherstellt und das Recht derjenigen unehelichen Kinder regelt, auf welche etwa die Bürgerliche Gesetzgebung zur Zeit keine Anwendung findet55.« Wenn man sich indes die daraus resultierenden Reichstagsdebatten genau anschaut, fällt auf, daß bei allen Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen nie um die Frage einer paritätischen, rechtlichen Gleichstellung der Mischlinge gestritten wurde, solange »die Kulturzustände so große Verschiedenheit aufzuweisen haben« (Matthias Erzberger). Diese Gleichstellung galt bei allen Reichstagsfraktionen als unerwünscht. Die Abgeordneten diskutierten vielmehr die kulturelle »Unterlegenheit« der farbigen Mischlinge. Und die fortschrittlichen Liberalen? Sie waren per se der Prototyp der Ambivalenz. Sie faßten das Thema als eine »Rassenfrage« auf56

54

55 36

daß »es notwendig sei, im Wege der Gesetzgebung auf die Reinhaltung unserer Rasse Bedacht zu nehmen. Es sei dabei von dem Grundsatz auszugehen, daß die Kinder aus Mischehen nicht die Staatsangehörigkeit der Weißen erwerben.« Und weiter: »In diesem Sinne sei in das neue Staatsangehörigkeitsgesetz eine Bestimmung einzufügen dahingehend, daß die Verheiratung eines Deutschen mit einer Farbigen für die Ehefrau nicht die Staatsangehörigkeit des Mannes begründet; daß Ehen weißer Frauen mit Farbigen nichtig sind und die Kinder aus Ehen zwischen Weißen und Farbigen die Rechtsstellung der Schutzgebietsangehörigen, also nicht von Reichsangehörigen, erlangen.« (Hermann Hesse, Die Rassenfrage in den deutschen Schutzgebieten, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, 6 (1904), S. 119). Und sein Gesinnungsgenosse Adolf Friedrich betonte einige Jahre später die allgemeine Tendenz der Behandlung der Mischlingsfrage als Rassenfrage seitens der Kolonialgesellschaft, indem er forderte: »Die vorhandenen Mischlinge sind in Fürsorgeerziehung zu nehmen, wenn ihre spätere Naturalisation beabsichtigt wird, anders sind sie wie Eingeborene zu behandeln. Ebenso sind erwachsene Mischlinge nur nach langer Behandlung etwa in niederen Stellen im Heer und Marine oder in der Zivilverwaltung zu naturalisieren. Die außereheliche Verbindung zwischen Farbigen und Weißen ist für strafbar zu erklären.« (Adolf Friedrich, Die rechtliche Beurteilung der Mischen nach deutschem Kolonialrecht, in: Koloniale Rundschau, 2 (1910), S. 24). Dieser Erlaß schrieb vor, daß die bis dahin formgerecht geschlossenen Ehen zwischen Weißen und Samoanerinnen als gültig anzuerkennen waren, während in der Zukunft Ehen zwischen Eingeboren und Weißen grundsätzlich verboten werden sollten. Das Ziel war eine Rechtsangleichung mit dem in Deutsch-Südwestafrika und -Ostafrika bereits bestehenden Mischehen-Verbot. In Südwestafrika hatte 1905 eine Gouverneursverordnung die standesamtliche Eheschließung zwischen Weißen und Eingeborenen untersagt, während in Ostafrika der Gouverneur 1906 durch einen Erlaß sich für jede bei dem Standesbeamten beantragte Eheschließung zwischen Weißen und Eingeborenen eine besondere Anweisung vorbehielt. Außerdem waren in Südwestafrika diejenigen Gemeindeangehörigen, die mit einer Eingeborenen verheiratet waren oder mit einer Farbigen im Konkubinat lebten, seit 1909 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Grundlegend dazu Karl Neumeyer, Die privatrechtlichen Mischbeziehungen nach deutschem Kolonialrecht, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht, 6 (1912), S. 125-197. Sten. Ber. RT (wie Anm. 12), Bd 285 (1912), Sp. 1724 f. Unter diesem Aspekt war die Antwort von Carl Julius Braband an Erzberger hinsichtlich der Verhinderung von »schweren aufsteckenden und vererblichen Krankheit sehr eindeutig, [...] ob

LinksHberaHsmus und nationale

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Staatsbürgerschaft

und steUten sich auf Solfs Seite. Indem einige Liberale der Resolution von Sozialdemokraten und Zentrum zustimmten, trugen sie dazu bei, daß die Resolution angenommen wurde. Ihrer Ansicht nach fehlte den Eingeborenen das Verständnis für die

einer bürgerlichen Ehe. Gleichzeitig forderten die Liberalen zumit der nationalliberalen Reichstagsfraktion eine Regelung, welche die Übernahme von rechtlichen Pflichten der Weißen gegenüber den Farbigen und ihres Nachwuchses vorsah. Trotz dieses massiven, rassisch motivierten Vorbehalts gegen MischHnge wurde ein rechtlich geregelter Raum geschaffen, der den Erwerb der Staatsbürgerschaft für farbige Ehefrauen und Kinder (auslands-)deutscher Männer gemäß § 6 nicht untersagte, weU das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz nach § 2.2 auch in den

Tragweite

sammen

»Schutzgebieten« galt. Das Beispiel soU nicht etwa die Inkongruenz des ethnisch-kultureUen Denkschemas des Staatsangehörigkeitsgesetzes zeigen, weü, wie Gosewinkel richtig betont, das Gesetz bestimmte konfessioneUe oder ethnische Gruppen aus dem Staatsverband nicht a priori ausschloß. Eher wirkte es auf die Dauer mit dem nicht assimilativen ius sanguinis als Institution potentiell geschlossener Staatlichkeit57. Vielmehr verdeutlicht das Beispiel, was Reinhart KoseUeck die »Relation obenunten« nennt58. Die VorsteUung der Volkshomogenität wird in der Fiktion vom Herrenvolk (Weber) verdoppelt. Danach ist ein Herrschaftsanspruch gegenüber Völkern außerhalb der eigenen Staatssouveränität legitim, weil diesen die QuaHfikation zur Herrschaft abgesprochen wurde. Dabei zeigte sich in aller Deutlichkeit die tiefe Widersprüchlichkeit im UnksHberalen Verständnis von der »Staatsbürger-

nation«. Zusammenfassend läßt sich feststeUen, daß auch in der Hochzeit des RadikalnationaHsmus die ethno-kultureUe Sichtweise des Staatsangehörigkeitsrechtes keineswegs ein selbstverständliches Element der deutschen nationalen Gesinnung war. Der Gesetzgebungsprozeß zeigte nur die poHtische Durchsetzungskraft eines bestimmten nationalen Selbstverständnisses neben anderen. Das Beispiel des LinksHberaHsmus ist deshalb von doppelter Bedeutung. Zum einen veranschauHcht es eine Tendenz, die der PoHtik der Identität im Kaiserreich zuwider Hef. nicht da auch Sie sagen würden, im Interesse der Nation sei es notwendig, solche EheschHeßungen zu hindern. [...] Wenn man sich auf den Standpunkt steUt und mit Recht daß bestimmte Rassentrennungen im nationalen und im Rasseninteresse schädlich sind, so würden die ganzen Erwägungen reHgiöser Natur, die Herr KoUege Erzberger angesteUt hat, nach meiner Ansicht völHg gegenstandslos sein.« [Abgeordneter Braband, Sten. Ber. RT (wie Anm. 12), Bd 283 (1912), Sitzung 56, Sp. 1744). Eine rein rassistische Position im Hberalen Lager vertrat vor aUem Paul Rohrbach. Er forderte ein Segregationssystem in den Kolonien, weil die »Ehen mit Eingeborenen ein Ruin für den weißen TeU und ein [...] Frevel für die Zukunft des Landes sind, [...] die Mischlinge erben in der Regel nicht das Gute, sondern das Schlechte, das in ihren Eltern steckte. [...] Wer farbiges Weib hat, ist bürgerHch-öffenthcher Ehrenämter, ist der Kameradschaft im Kriegeroder Turnerverein nicht würdig; und seine MischHngsnachkommenschaft gehört nicht in Schulen für deutsche Kinder.« (Paul Rohrbach, Koloniale Rassen- und Ehenfragen, in: Die HUfe 1912, S. 291-293, hier: S. 292). So Gosewinkel, Die Staatsangehörigkeit als Institution (wie Anm. 6), S. 377. Reinhart KoseUeck, Artikel: Volk, Nation, NationaHsmus, Masse, in: Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 16), Bd 7: Verw-Z, Stuttgart 1992, S. 141-431, hier: S. 145. -

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Zum anderem zeigt es, daß auch inkludierende staatsrechtliche zum Teil rassistischen Abgrenzungen innerhalb der »legitimen« tion parallel verliefen.

Vorstellungen mit Ordnung der Na-

Peter Walkenhorst

Der »Daseinskampf des Deutschen Volkes«:

Nationalismus, Sozialdarwinismus und Imperialismus im wilhelminischen Deutschland

Die Einsichten in den Konstruktcharakter der Nation und in die Bedeutung diskursiver Formationen und kultureller Praktiken für die Konstruktion nationaler Identität sind die wichtigste Erkenntnis der neueren Nationalismusforschung. In ihrer Folge erscheinen »Nation« und »Volk« nicht mehr als objektive oder gar primordiale politisch-soziale Konfigurationen, sondern als variable Deutungsmuster und Sinnkonstruktionen, deren Inhalt und Definition dem historischen Wandel unterliegen. Seinen prägnantesten Ausdruck fand dieser konstruktivistische Ansatz in der von Benedict Anderson geprägten Formel von der Nation als einer »imagined community«, die mittlerweile zu einem Topos der neueren Forschung geworden ist1. Entgegen einem nach wie vor verbreiteten Mißverständnis behaupten der konstruktivistische Ansatz und das aus ihm abgeleitete Konzept der »invention of tradition« jedoch nicht, daß die Nation »ex nihilo« erfunden wird2. Im Gegenteil: Die Konstruktion der Nation knüpft in aller Regel an bestehende historische, sprachliche, religiöse und politische Traditionen an und versucht, diese synkretistisch in das nationale Weltbild zu integrieren. Die außerordentliche Wirksamkeit und Verbreitung nationalistischer Deutungsmuster beruhen gerade auf dieser synkretistischen Flexibilität3. Um zu verstehen, warum und auf welche Weise der Nationalismus »eines der mächtigsten, wenn nicht das mächtigste soziale GlaubenssyBenedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, erw. Neuausg., Frankfurt a.M., New York 1996. Ähnlich wie Anderson definiert auch M. Rainer Lepsius die Nation als eine »gedachte Ordnung«. M. Rainer Lepsius, Nation und Nationalismus in Deutschland, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 232—246. Anthony D. Smith, The Ethnic Origins of Nations, Oxford 1986; ders., National Identity, London 1991; ders., The Origins of Nations, in: Ethnic and Racial Studies [ERS], 12(1989), S. 340—367; ders., The Nation. Invented, Imagined, Reconstructed?, in: Millenium. Journal of International Studies, 20 (1991), S. 353 —368; The Problem of National Identity: Ancient, Medival and Modern, in: ERS, 17 (1994), S. 375—399. Vgl. dagegen die Argumentation in: The Invention of Tradition, ed. by Eric J. Hobsbawm and Terence Ranger, Cambridge 1983, S. 1 —14. In wissenssoziologischer Perspektive stellt die Konstruktion der Nation mithin ein Paradebeispiel für »die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« dar, die Peter Berger und Thomas Luckmann als einen dialektischen Prozeß von Externalisierung, Objektivation und Internalisierung beschrieben haben. Vgl. Peter Berger und Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie [1969], Frankfurt a.M. 1994.

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Peter Walkenhorst

des 19. und 20. Jahrhunderts« (Norbert Elias) werden konnte4, ist es deshalb erforderlich, die Nation als ein relationales Konstrukt zu begreifen und ihre Verknüpfung mit anderen Weltbildern, Deutungsmustern und Identitäten zu analysiestem

ren5.

Ausgehend von dieser theoretischen Überlegung untersucht der vorliegende Beitrag die semantische und diskursive Verknüpfung von nationalistischen, sozialdarwinistischen und imperialistischen Deutungsmustern im wilhelminischen Deutschland. Sein Ziel ist es, die synkretistische Flexibilität des Nationalismus am Beispiel der Symbiose mit dem wohl einflußreichsten wissenschaftlichen Weltbild dieser Epoche, dem Sozialdarwinismus, herauszuarbeiten. Die Verbindung von Nationalismus und Sozialdarwinismus hatte eine Biologisierung des nationalistischen Denkens zur Folge. Diese Biologisierung manifestierte sich einerseits in der Verobjektivierung der Nation zu einer blutsverwandten Abstammungsgemeinschaft, zugleich jedoch in einer Dynamisierung des nationalistischen Weltbildes, die ihren Ausdruck in der Abkehr von einer statischen hin zu einer prozeßorientierten Vorstellung der Nation fand. Darüber hinaus soll gezeigt werden, daß dieser »Nationaldarwinismus« (Werner Conze) kein ideologisches Glasperlenspiel war, sondern die Wahrnehmung der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit nachhaltig prägte und das politische Handeln beeinflußte6. Die wahrnehmungsstrukturierende Macht dieses Deutungsmusters zeigt sich vor allem (aber keineswegs ausschließlich) in seiner Anwendung auf die internationale Politik. Durch die Verknüpfung nationalistischer und sozialdarwinistischer Vorstellungen avancierten »Nation«, »Volk« und »Rasse« zu zentralen Bezugsgrößen des geschichtlichen Daseinskampfes. Als solche bildeten sie den Kern eines imperialistischen Welt- und Geschichtsbildes, das in der klassischen Formulierung Max Webers »als Weichensteller die Bahnen bestimmtje], in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte«7. Um die semantische und diskursive Amalgamierung von nationalistischen und sozialdarwinistischen Deutungsmustern sowie die Wirkungsmacht des hieraus resultierenden imperialistischen Welt- und Geschichtsbildes zu analysieren, werden im folgenden zunächst die Bedeutung des Sozialdarwinismus als einer zentralen »Hintergrundüberzeugung« der wilhelminischen Gesellschaft und die fortschrei—



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Norbert Elias, Ein Exkurs über Nationalismus, in: Ders., Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1992, S. 159-222, Zitat: S. 194. Prasenjit Duara, Historicizing National Identity, or Who Images What and When, in: Becoming National. A Reader, ed. by Geoff Eley and Ronald G. Suny, New York, Oxford 1996, S. 150—177. Zur synkretistischen Verknüpfung nationalistischer und religiöser Deutungsmuster vgl. Peter Walkenhorst, Nationalismus als »politische Religion«? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich, in: Religion im Kaiserreich, Milieus Mentalitäten Krisen, hrsg. von Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann, Gütersloh 1996, S. 503-529. Werner Conze und Antje Sommer, Artikel: Rasse, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd 5: Pro~Soz, Stuttgart 1984, S. 135-178, Zitat: S. 165. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd 1, 7. Aufl., Tübingen 1978, S. 252; M. Rainer Lepsius, Interessen und Ideen. Die Zurechnungsproblematik bei Max Weber, in: Ders., Interessen (wie Anm. 1), S. 31—43. -

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7

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Der »Daseinskampf des Deutschen Volkes«

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tende »Biologisierung« des nationaUstischen Denkens herausgearbeitet (I.). Die wachsende Geltung nationaldarwinistischer Deutungsmuster war auf engste mit der Verbreitung des Rassebegriffs verknüpft, der seit der Jahrhundertwende in zunehmendem Maße Eingang in den nationaUstischen Sprachgebrauch fand und deshalb einer gesonderten Analyse bedarf (IL). Im Anschluß hieran wird die Übertragung nationaldarwinistischer VorsteUungen auf die internationale PoHtik am Beispiel zweier für den imperiaHstischen Diskurs konsumtiven Deutungsmuster untersucht: der Weltreichstheorie (III.) und der Lebensraumideologie (IV.). Beide Deutungsmuster strukturierten die Wahrnehmung der poHtischen Entwicklung auf internationaler Ebene und prägten einen spezifischen Erwartungshorizont, an dem sowohl poHtische Entscheidungsträger als auch andere geseUschaftliche Akteure die faktischen Ergebnisse der reichsdeutschen Außen- und KolonialpoHtik maßen. Sie waren, mit anderen Worten, grundlegende »Elemente der Weltdeutung mit mögHcher Handlungsanbindung«, die poHtisches Handeln leiteten und motivierten8. Die Bedeutung dieser Deutungsmuster sowie der ihnen zugrundeHegenden Verknüpfung nationaHstischer und sozialdarwinistischer VorsteUungen für die außenpoHtische Praxis und die poHtische Kultur der wilhelminischen GeseUschaft kann deshalb kaum überschätzt werden (V.). I. Der Sozialdarwinismus als weltanschauliche Matrix

Der Sozialdarwinismus war eine zentrale »Hintergrundüberzeugung« der wUhelminischen GeseUschaft und bUdete die weltanschauHche und diskursive Matrix für die Akzeptanz und Geltung imperiaHstischer Deutungsmuster9. Als eine »wissenschaftliche Theorie mit Weltbüdcharakter« revolutionierte Darwins Evolutionsund Selektionstheorie die Wahrnehmung und Deutung sowohl der Natur als auch der Gesellschaft, indem sie beide in den Kategorien eines angebHch unabänderHchen Naturgesetzes erklärte. Diese weltbüdverändernde Wirkung der Darwinschen Theorie bHeb deshalb nicht auf den naturwissenschaftlichen Diskurs beschränkt,

Georg BoUenbeck, Büdung und Kultur. Glanz und Elend Frankfurt a.M., Leipzig 1994, S. 15~20, hier: S. 19. Der Begriff der »Hintergrundüberzeugung« in Anlehnung

eines deutschen

Deutungsmusters,

an Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1987, Bd 2, S. 191. Zur Verbreitung sozialdarwinistischer Deutungsmuster im Deutschen Reich vgl. Alfred H. KeUy, The Descent of Darwin. The Popularisation of Darwinism in Germany, I860-1914, Chapel HiU 1981; Paul J. WeindHng, Darwinism and Social Darwinism in Imperial Germany. The Contribution of the Cell Biologist Oscar Hertwig (1849-1922), Stuttgart 1991, S. 15-28; ders., Health, Race and German PoHtics between National Unification and Nazism, 1870-1945, Cambridge 1989, S. 11 59; Hans-Ulrich Wehler, Sozialdarwinismus im expandierenden Industriestaat, in: Deutschland in der WeltpoHtik des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Imanuel Geiss und Bernd Jürgen Wendt, Düsseldorf 1973, S. 133—142; Hannsjoachim W. Koch, Der Sozialdarwinismus. Seine Genese und sein Einfluß auf das imperiaHstische Denken, München 1973; Hans-Günter ZmarzHk, Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtiiches Problem, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 11 (1963), S. 246-273. —

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sondern fand Anwendung auf nahezu aUe geseUschaftUchen Probleme des ausgehenden 19. Jahrhunderts10. Der Erfolg des Sozialdarwinismus lag in seinem Anspruch begründet, geseUschaftliche und poHtische Entwicklungen auf vermeintlich biologische Ursachen zurückzuführen und in ein umfassendes Welt- und GeschichtsbUd einzuordnen. Die ubiquitäre Verbreitung sozialdarwinistischer Deutungsmuster resultierte darüber hinaus aus der Polyvalenz ihrer zentralen Metaphern, dem »Kampf ums Dasein« und der »natürHchen Auslese«, die als interdiskursiv verwendete KoUektivsymbole eine Übertragung des Selektionsgedankens auf höchst unterschiedHche Zusammenhänge ermögHchten11. So konnte der »Kampf ums Dasein« sowohl zwischen Individuen, Klassen und Volkswirtschaften als auch zwischen Staaten, Nationen und »Rassen« ausgetragen werden. Die PlausibiHtät dieser Metapher beruhte, wie bereits Friedrich Engels erkannte, auf der schlichten »Übertragung der Hobbesschen Lehre vom beUum omnium contra omnes und der bürgeriichen ökonomischen von der Konkurrenz, sowie der malthusschen BevölkerungsTheorie aus der GeseUschaft in die belebte Natur«12. Angesichts dieser soziomorphen Ursprünge der Darwinschen Theorie war ihre Rückübertragung auf die GeseUschaft nahezu unvermeidlich. Der reziproke Analogieschluß des Sozialdarwinismus war, wie Hans-Walter Schmuhl pointiert formuHerte, im Darwinismus selbst bereits angelegt13. Durch die Verknüpfung von Evolution und Selektion bot Darwins Theorie, wie Christian Geulen argumentierte, »eine doppelte Erklärung des natürHchen Ursprungs der Menschen: zum einen ihre Herkunft aus einer sich entwickelnden Natur und zum anderen ihre Entstehung durch die Mechanismen eben dieser Naturentwicklung«14. Die evolutionistische Deutung der Selektionstheorie bildete zu-

Vgl. Peter Weingart, Jürgen KroU und Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt a.M. 1992, S. 17—20 und 31 f., Zitat: S. 31. Robert M. Young, Darwin's Metaphor. Nature's Place in Victorian Culture, Cambridge 1985, S. 79—125; Peter Weingart, »Struggle for Existence«: Selection and Retention of a Metaphor, in: Biology as Society, Society as Biology: Metaphors, ed. by Sabine Maasen, Everett I. Mendelsohn and Peter Weingart, Dordrecht, London 1995, S. 127 —151; Ferdinand Fellmann, Darwins Metaphern, in: Archiv für Begriffsgeschichte, 21 (1977), S. 285_297. Zur Funktion von Metaphern beim Ideentransfer zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit aUgemein George Lakoff and Mark Johnson, Metaphors We Live By, Chicago 1980. Zum Begriff des »Interdiskurses« und der Bedeutung von KoUektivsymbolen vgl. Jürgen Link und Ursula Link-Heer, Diskurs, Interdiskurs und Literaturanalyse, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 20 (1990), S. 88—99; Bewegung und Stillstand in Metaphern und Mythen. FaUstudien zum Verhältnis von elementarem Wissen und Literarur im 19. Jahrhundert, hrsg. von Jürgen Link und Wulf Wülfing, Stuttgart 1984. Friedrich Engels, Dialektik der Natur (1873—1882), in: Marx/Engels, Gesamtausgabe (MEGA), 1. Abt., Bd 26, BerHn (Ost) 1985, S. 537. Hans-Walter Schmuhl, Rassenhygiene, NationalsoziaHsmus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung lebensunwerten Lebensecht< ist? Aber in der Abstammung liegt doch der Kern der Nationalitätsbildung. Um überhaupt den Gedan-

»Jede

Ulrich Herbert, Traditionen des Rassismus, in: Ders., Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1995, S. 11—29, Zitat: S. 13; vgl. ders., Rassismus und rationales Kalkül. Zum SteUenwert militaristisch verbrämter Legitimationsstrategien in der nationalsoziaHstischen »Weltanschauung«, in: »VernichtungspoHtik«. Eine Debatte über den Zusammenhang von SozialpoHtik und Genozid im nationalsoziaHstischen Deutschland, hrsg. von Wolfgang Schneider, Hamburg 1991, S. 25 35. Michael Jeismann, Der letzte Feind. Die Nation, die Juden und der negative UniversaHsmus, in: Die Konstruktion der Nation gegen die Juden, hrsg. von Peter Alter [u.a.], München 1999, S. 173-190; Helmut Berding, Moderner Antisemitismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988, S. 140—151; Martin Broszat, Die antisemitische Bewegung im WUhelminischen Deutschland, Diss. Köln 1953. Vgl. Herbert, Traditionen (wie Anm. 20); Biologismus im 19. Jahrhundert. Vorträge eines Symposiums 1970 in Frankfurt a.M., hrsg. von Gunter Mann, Stuttgart 1973; Hedwig Conrad-Martius, Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus und seine Folgen, München 1955. —

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ken >Volkstum< aufkommen zu lassen, muß es gewisse Teile geben, die sich für reines Blut halten und die auf Weitergabe dieses reinen Blutes Wert legen23.«

Auch Otto Hintze betonte in einer Rezension der Werke Gobineaus und Chamberlains, trotz seiner Vorbehalte gegen eine monokausale Erklärung der Geschichte durch das Rassenprinzip, daß es »neben der geistigen Gemeinschaft der Nationalität« auch auf die »physische Grundlage der Rasse« ankomme, und befürwortete eine »Festigung unseres Nationalgefühls« durch eine Verstärkung unseres »Rassencharakters«: »Wir haben ein Material von Menschen, so edel wie nur irgendeine Nation der Welt. Sorgen wir dafür, daß auch ein festes, kompaktes, einheitliches Volkstum daraus werde, das nicht bloß im Gemüt, sondern auch im Geblüt steckt, die deutsche Rasse der Zukunft24!« Die nationalistische Rassensemantik gründete jedoch nicht ausschließlich auf vitalistischen und geschichtsphilosophischen Spekulationen, sondern befand sich im Einklang mit den >Erkenntnissen< der Rassenanthropologie und Rassenhygiene, die sich seit den 1890er Jahren auf der Grundlage eines allgemeinen sozialdarwinistischen Paradigmas als neue wissenschaftliche Disziplinen etablierten. Die Rassenanthropologie, wie sie in Deutschland vor allem durch Otto Ammon und Ludwig Woltmann propagiert wurde, war durch eine Verschränkung rassentheoretischer Spekulationen und sozialdarwinistischer Vorstellungen gekennzeichnet und konzentrierte ihre Bemühungen auf die Züchtung einer Idealrasse, für die der »nordische«, »arische« oder »germanische« Rassentypus das >Zuchtideal< darstellte25. Parallel zur Entstehung der Rassenanthropologie konstituierte sich darüber hinaus die Rassenhygiene als eigenständige wissenschaftliche Disziplin, deren Grundzüge besonders durch Wilhelm Schallmayer und Alfred Ploetz konzipiert wurden. In Anlehnung an die in England seit Mitte der 1860er Jahre entwickelten Vorstellungen einer nationalen Eugenik ging es den Rassenhygienikern um die Abwehr degenerativer Tendenzen und die gezielte Selektion >hochwertiger< Erbanlagen in ganzen Populationen, nicht aber um die eugenische Förderung eines bestimmten morphologischen (»arischen«, »weißen« etc.) Rassentypus26. 23

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26

Friedrich Naumann, Deutschland und Österreich [1900], in: Ders., Werke, Bd 4: Schriften zum Parteiwesen und zum Mitteleuropaproblem, bearb. von Thomas Nipperdey und Wolfgang Schieder, Köln 1964, S. 401 -441, Zitat: S. 427. Otto Hintze, Rasse und Nationalität und ihre Bedeutung für die Geschichte, in: Ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Bd 2: Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, 2., erw. Aufl., Göttingen 1964, S. 46_65, Zitate: S. 61—63 und 65. Vgl. Becker, Sozialdarwinismus (wie Anm. 19), S. 310—387; Patrik von zur Mühlen, Rassenideologien. Geschichte und Hintergründe, Berlin, Bonn, Bad Godesberg 1977, S. 86_91 und 107 f.; Otto Ammon, Die natürliche Auslese beim Menschen. Auf Grund der Ergebnisse der anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtigen in Baden und anderer Materialien, Jena 1893; ders., Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Entwurf einer Social-

Anthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen Fragen befassen, Jena 1895; Ludwig Woltmann, Pohtische Anthropologie. Eine Untersuchung über den Einfluß der Descendenztheorie auf die Lehre von der politischen Entwicklung der Völker, Eisenach 1903. Schmuhl, Rassenhygiene (wie Anm. 13), S. 29 f. und S. 49—105; Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse (wie Anm. 10), S. 36-42 und 188-216; Weindling, Health (wie Anm. 9), S. 61-154; Sheila F. Weiss, Race Hygiene and National Efficiency. The Eugenics of Wilhelm Schallmayer, Berkeley, London 1987, S. 27—125; Alfred Ploetz, Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über die Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders dem

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Die rassenanthropologischen und rassenhygienischen Forschungen veriiehen dem Begriff der »Rasse« und der ihr zugrundeUegenden Fiktion einer biologischen Abstammungsgemeinschaft nicht nur eine neue, wissenschaftliche Legitimation, sondern boten darüber hinaus zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine radikale Neuordnung und Neuausrichtung der GeseUschaft nach Leistungs- und Effizienzkriterien, durch welche die Zielutopie der homogenen »Volksgemeinschaft« verwirkHcht werden soUte. Die Forderung nach dem Erhalt und Schutz der »Rassengrundlagen« des deutschen Volkes Hef in ihren praktischen Konsequenzen auf die voUständige poHtische und soziale Exklusion aUer als »fremd« und »minderwertig« erachteten geseUschaftlichen Gruppen hinaus. Sie richtete sich dabei nicht nur gegen »fremdvölkische« Minderheiten, sondern ebenso gegen soziale Randgruppen, Kranke und Behinderte. Außer staatlichen Maßnahmen zur Bevölkerungsund GesundheitspoHtik gehörten vor aUem eine mögHchst weitgehende Restriktion der Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte, der Entzug des Wahlrechts für die im Reich lebenden ethnisch-kultureUen Mnderheiten, das Verbot des Konnubiums sowie in letzter Konsequenz die gewaltsame Vertreibung dieser Bevölkerungsgruppen zu den aus der rassenwissenschafflichen Forschung ableitbaren poHtischen Forderungen27. Zugespitzt formuHert: Nur diejenigen, die als nützHche MitgHeder der »Volksgemeinschaft« betrachtet wurden, durften ihr angehören, aUe anderen waren unnutzer BaUast, den es nach MögHchkeit abzuwerfen galt. Diese sozialbiologische Utopie einer »rassisch« homogenen, harmonischen und leistungsorientierten GeseUschaft hatte die totale Reglementierung aUer sozialen Lebenszusammenhänge und Daseinsbezüge zum Ziel und trug somit erkennbar totaHtäre Züge. In ihrem Kern enthielt sie bereits die zentralen Grundannahmen und Forderungen der nationalsoziaHstischen RassenpoHtik28. Die Vielzahl und Verschiedenheit der unter dem Rubrum »RassenpoHtik« subsumierten Reformmaßnahmen läßt erkennen, daß der Rekurs auf den »Schutz der Rasse« ein polyvalentes Argumentationsmuster darsteUte, mit dem nahezu jede geseUschaftspoHtische Forderung begründet werden konnte. Diese inhaltliche Unbestimmtheit des Rassebegriffs bildete zugleich eine entscheidende Ursache für die zunehmende RadikaHsierung des NationaHsmus. Denn im Gegensatz zum Anspruch ihrer Verfechter, Ueßen sich aus der rassenbiologischen Verobjektivierung der Nation keine klaren Kriterien für eine positive Definition der eigenen SociaHsmus, BerHn 1895; Wilhelm SchaUmayer, Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, Jena 1903. Vgl. Alexander TUle, Volksdienst. Von einem Sozialaristokraten, BerHn 1893; ders., Von Darwin bis Nietzsche. Ein Buch Enrwicklungsethik, Leipzig 1895; Ernst Hasse, Das deutsche Reich als Nationalstaat, München 1905, S. 59—63; ders., Die Zukunft des deutschen Volkstums, München 1907, S. 46 68; Max R. Gerstenhauer, Rassenwissenschaft und RassenpoHtik, in: Deutschbund-

Blätter,

(1912), S. 60-65. Vgl. Detlev Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem NationalsoziaHsmus, Köln 1982, S. 246~279 und 289-296; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996, S. 163 177; Gisela Bock, ZwangssteriHsation im NationalsoziaHsmus. Studien zur RassenpoHtik und FrauenpoHtik, Opladen 1986; Schmuhl, Rassenhygiene (wie Anm. 13), S. 127-371; Weingart/KroU/Bayertz, Rasse (wie Anm. 10), S. 367-561. 17





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Identität ableiten. Die biologistische Nationsvorstellung war vielmehr darauf angewiesen, die Bestätigung ihrer angeblichen Höherwertigkeit in der Abgrenzung gegenüber den vermeintlich »Fremden« zu finden. Der Rassebegriff diente hierbei als Differenzkategorie, mit der sich die erforderliche Asymmetrie zwischen dem »Eigenen« und dem »Fremden« konstruieren ließ. Angesichts fehlender positiver Bestimmungskriterien avancierte die abwertende Differenz zwischen dem Eigenen und dem Fremden deshalb immer mehr zum eigentlichen Orientierungspunkt nationalistischen Denkens. Die Dialektik von Fremdwahrnehmung und Selbstbeschreibung führte im Ergebnis so zu einer extremen Differenzfixierung, deren inhaltliche Begründung variieren konnte, deren Dynamik jedoch unweigerlich auf eine weitere Radikalisierung der dem Nationalismus zugrundeliegenden Feindbilder und Deutungsmuster hinauslieP9. Als generelles Fazit läßt sich trotz der Polyvalenz des Rassebegriffs und seiner semantischen Dissonanzen mithin folgendes festhalten: Der Begriff der »Rasse« stellte einen semantischen Code dar, der die Überzeugung von der biologischen Determiniertheit allen sozialen Handelns zum Ausdruck bringen sollte. Diese Überzeugung befand sich im Einklang mit einigen der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien der Zeit und kann deshalb nicht einfach als irrationale Verirrung abgetan werden. Im Gegenteil: Auch der Rassebegriff bezog seine Plausibilität aus dem Anspruch, eine in sich schlüssige, naturwissenschaftlich begründete Erklärung für die Entwicklungen, Probleme und Widersprüche der modernen Welt zu liefern. Faktisch lief die Verwendung des Rassebegriffs auf eine semantische Reifikation des Volksgemeinschaftskonzepts hinaus, in der vorwissenschaftliche Werturteile ihre vermeintlich wissenschaftliche Rechtfertigung erfuhren. Als angeblich wissenschaftliche Erkenntnisse wirkten diese Werturteile und Deutungsmuster dann in Form des rassenbiologischen Paradigmas auf den der Wissenschaft vorgelagerten politischen und gesellschaftlichen Erfahrungsraum zurück30. Politische Relevanz erlangte die semantische und diskursive Verknüpfung rassentheoretischer und sozialdarwinistischer Ideologeme in der wilhelminischen Epoche vor allem durch ihre Anwendung auf die Kolonialpolitik. Die Überzeugung von der biologisch determinierten »Minderwertigkeit« der indigenen Bevölkerung in den überseeischen Kolonien war die weltanschauliche Grundlage des Imperialismus schlechthin, die alle Bereiche des kolonialen Alltags durchdrang31. Nationaldarwinistische Deutungsmuster bildeten, wie im folgenden gezeigt werden In diesem Sinne

interpretiert

Dirk

Richter, Die Nation als Form, Opladen 1996, S. 221 f. und

256, die Rassenterminologie als eine »semantische Verschärfung« des Nationsbegriffs, die durch

ihre vermeintlich wissenschaftliche Grundlage die unterstellte Asymmetrie zwischen menschlichen Kollektiven zementierte. Ähnlich sieht auch Geulen, Metamorphose (wie Anm. 14), S. 359 373, in der »Produktion und Reproduktion von Differenzierungen das entscheidende Merkmal der Ethnisierung des Nationalen« (Zitat: S. 365). Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene (wie Anm. 13), S. 70-78; Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse (wie Anm. 10), S. 91-103. Vgl. hierzu exemplarisch Wolfgang U. Eckart, Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884-1945, Paderborn, München, Wien, Zürich 1997. —

Der »Daseinskampf des Deutschen Volkes«

141

die zentrale ideologische Legitimation imperiaHstischer Expansionsbestrebungen, sondern steUten darüber hinaus einen kognitiven Füter dar, der die Wahrnehmung der poHtischen Entwicklung strukturierte, Erfahrungen interpretierte und poHtisches Handeln motivierte.

soU, jedoch nicht

nur

III. Die Weltreichstheorie als

imperialistisches Paradigma

»Für die Lebensbedingungen des 20. Jahrhunderts ist [...] für das deutsche Volk eine kräftige deutsche WeltpoHtik die einzige Gewähr dafür, den Kampf um das Dasein zu bestehen.« Mit diesen Worten faßte der nationaUiberale Reichstagsabgeordnete und Vorsitzende des »AUdeutschen Verbandes«, Ernst Hasse, das zentrale

Axiom des wUhelminischen ImperiaHsmus zusammen: die Überzeugung von der existentieUen Notwendigkeit imperiaHstischer Expansion als Voraussetzung für den Fortbestand der deutschen Nation. Nur als »Weltmacht« so seine Überzeugung werde das Deutsche Reich langfristig in der Lage sein, die nationale Existenz des deutschen Volkes zu gewährleisten32. Obwohl das Argument von der Notwendigkeit imperiaHstischer Expansion keine deutsche Besonderheit darsteUte, sondern sich in aUen am imperiaHstischen Konkurrenzkampf beteUigten Staaten findet, steUte sich die Alternative »Weltmacht oder Untergang?« für die deutschen ImperiaHsten mit besonderer EindringHchkeit33. Als weit- und kolonialpoHtischer Späteinsteiger verfügte das Deutsche Reich in weit geringerem Umfang als seine Hauptkonkurrenten über jene Mittel und Ressourcen wie überseeische Kolonien und eine schlagkräftige Flotte, die den Zeitgenossen als Attribute einer Weltmacht galten. Der hieraus resultierende Minderwertigkeitskomplex trug in einem nicht unerhebHchen Maße dazu bei, die PlausibUität dieses dezisionistischen Deutungsmusters zu erhöhen. Den Kern dieses Deutungsmusters bildete die Annahme, das europäische Wirtschafts- und Staatensystems werde sich über kurz oder lang zu einem Weltwirtschafts- und Weltstaatensystem entwickeln, in dem der Nationalstaat nur dann seine Souveränität werde behaupten können, wenn er zu einem »Weltindustrieund Handelsstaat« mit globalen Interessen und Einfluß expandierte34. In Verbindung mit nationaldarwinistischen VorsteUungen entstand aus dieser Überzeugung ein Welt- und GeschichtsbUd, dem zufolge die Entwicklung des internationalen Systems auf die HerausbUdung einer begrenzten Zahl von rivaHsierenden Weltmächten hinausHef, die in wachsendem Maße, sei es durch koloniale Annexion oder informeUe Herrschaftsausübung, die Welt unter sich aufteüten und ihre je—



32 33 34

Ernst Hasse, Deutsche WeltpoHtik, München 1897, S. 16. Vgl. Sönke Neitzel, Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des ImperiaHsmus, Paderborn, München, Wien, Zürich 2000. Notizen des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, Konteradmiral Alfred v. Tirpitz, zum Immediatvortrag am 28.9.1899 über die Vorbereitung und Zielsetzung der NoveUen zum Flottengesetz, abgedruckt in: Volker Berghahn und Wilhelm Deist, Rüstung im Zeichen der wilhelminischen WeltpoHtik. Grundlegende Dokumente 1890-1914, Düsseldorf 1988, S. 159-162, Zitat: S. 161.

Peter Walkenhorst

142

durch eine »neomerkantilistische« Wirtschaftspolitik abschotteten. Nach einer weitverbreiteten Auffassung zählten aufgrund ihrer unterschiedlichen Machtressourcen Großbritannien, Rußland, die Vereinigten Staaten zumindest potentiell auch das Deutsche Reich zu diesen von Amerika und während Frankreich trotz seiner Tradition als europäische GroßWeltmächten, macht und seines beträchtlichen Kolonialbesitzes in der Regel nicht zu diesem Kreis gerechnet wurde35. In diesem Sinne sah etwa Gustav Schmoller mit England, Rußland und den Vereinigten Staaten »drei riesenhafte Eroberungsreiche« entstehen, »die mit ihrer Ländergier, ihrer See- und Landmacht, ihrem Handel, ihrem Export, ihrer expansiven Kraft alle anderen kleineren Staaten herabdrücken, ja sie zu vernichten, wirtschaftlich einzuschnüren, ihnen das Lebenslicht auszublasen drohen«36. Diese Weltreichstheorie, die sich in analoger Form auch im französischen und angelsächsischen Imperialismus findet, war faktisch nichts anderes als eine Reformulierung traditioneller Machtstaatslogik, die ihre ideologische Begründung jedoch nunmehr aus nationaldarwinistischen Deutungsmustern bezog37. Durch die Übertragung des Selektionsprinzips auf die internationalen Beziehungen konnte die machtpolitische Rivalität der Großmächte zu einem weltgeschichtlichen »Kampf ums Dasein« stilisiert werden, in dem imperialistische Expansion eine quasi naturgesetzliche Notwendigkeit darstellte mit der Konsequenz, daß die großen Staaten zwangsläufig »größer und stärker, die kleinen kleiner und schwächer« werden mußten38. Obwohl bereits scharfsinnige zeitgenössische Kritiker die der »Weltreichstheorie« zugrundeliegende Annahme von der permanenten Akkumulation machtpolitischer Ressourcen in den Händen einiger weniger Weltmächte als geschichtsphilosophische Spekulation entlarvten, stellte sie das für den imperialistischen Diskurs im wilhelminischen Deutschland grundlegende Deutungsmuster dar39. Die nationaldarwinistische Deutung der internationalen Beziehungen und die aus ihr abgeleitete Weltreichstheorie prägten ein Politikverständnis, das die internationalen Beziehungen auf einen machtpolitischen Kampf um das »nationale« Dasein reduzierte, in dem allein das Recht des Stärkeren galt. Sie lieferten damit

weiligen Einflußsphären —



Der Grund hierfür

lag in der aus der relativen Stagnation des französischen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums abgeleiteten Überzeugung, daß die >Grande Nation< nicht mehr länger eine »junge«, expandierende Macht darstellte. Vgl. Neitzel, Weltmacht (wie Anm. 33), S. 90_92. Gustav Schmoller, Die Wandlungen in der europäischen Handelspolitik des 19. Jahrhunderts, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 24 (1900), S. 373-382, Zitat: S. 380. Vgl. Heinrich Dietzel, Die Theorie von den drei Weltreichen, Berlin 1900; Neitzel, Weltmacht (wie Anm. 33), S. 81-210; Fritz Fischer, Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 2.

1914, Aufl., Düsseldorf 1969, S. 68-77. Zur internationalen Verbreitung der Weltreichstheorie vgl. Neitzel, Weltmacht (wie Anm. 33), S. 210-292; Paul M. Kennedy, The Rise of the Anglo-German Antagonism 1860-1914, 2nd ed., London 1982, S. 306 320. Tirpitz, Notizen zum Immediatvortrag, in: Berghahn/Deist, Rüstung (wie Anm. 34), S. 161; Schmoller, Wandlungen (wie Anm. 36), S. 380. Vgl. die dezidierte Kritik bei Dietzel, Theorie (wie Anm. 36), der mit empirischen Argumenten den hochgradig spekulativen Charakter der »Weltreichtheorie« nachwies; Neitzel, Weltmacht (wie Anm. 33), S. 188-192. -

Der »Daseinskampf des Deutschen Volkes«

nicht

143

eine Legitimation für imperiaHstische Ambitionen, sondern beeinflußten die Wahrnehmung der Motive und Ziele der mit dem Deutschen Reich konkurrierenden Mächte. Denn, wenn die imperiaHstischen Expansionsbestrebungen aUer Großmächte auf den unabänderiichen Gesetzen des historischen Wandels beruhten, mußten auch die Regierungen dieser Staaten ihre vitalen »nationalen« Interessen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Konkurrenten verfolgen. Die dabei zwangsläufig entstehenden Konflikte waren letztlich nicht vermittelbar, sondern konnten endgültig nur durch eine machtpoHtische, d.h. mUitärische Konfrontation gelöst werden, aus der eine Seite als Sieger hervorging. Diplomatische Kompromisse besaßen demgegenüber immer nur taktische Bedeutung, indem sie eine Lösung der Machtfrage aufschoben, den grundsätzHchen Konflikt jedoch bestehen Heßen. Die ideologische Prämisse, daß imperiaHstische Expansion eine existentieUe Notwendigkeit darsteUe, produzierte auf diese Weise eine ideologische Axiomatik, die sich zu einer dauerhaften Struktur der historisch-poHtischen Wahrnehmung verfestigte und im Lauf der Zeit immer mehr fundamentaUstische Züge annahm. Die fundamentaUstische Verfestigung dieses Wahrnehmungsmusters beruhte dabei in hohem Maße auf seiner sich selbst reproduzierenden Dynamik, für die jeder tatsächHche poHtische Konflikt als Beweis für die Gültigkeit der Grundannahme diente40. Wissenschaftliche untermauert wurde dieses Weltbüd zudem durch das geopoHtische Konzept des »Lebensraumes«, das seit der Jahrhundertwende zu einem weiteren zentralen Deutungsmuster des deutschen ImperiaHsmus avancierte. nur

zugleich

IV. Die

Lebensraumideologie als politischer Erwartungshorizont

Der globale

imperiaHstische Konkurrenzkampf der Kolonialmächte zielte in letzter Konsequenz auf eine »NeuaufteUung der Erde«41. Für viele Verfechter imperiaHstischer Expansion steUte der »Daseinskampf des deutschen Volkes« deshalb in seinem Kern einen Kampf um »Lebensraum« dar. In diesem Sinne erklärte etwa der in Aachen lehrende Geographieprofessor Max Eckert vor dem Hintergrund der zweiten Marokkokrise im November 1911:

»Der Kampf um Raum ist das hervorragendste Merkmal jeglicher Lebensentwicklung auf Erden, nicht bloß der Lebensentwicklung des einzelnen Individuums, sondern eines ganzen Volkes, überhaupt des Staates. Jede vorwärtstreibende und vorwärtsstrebende Staatsentwicklung schreitet von engen Räumen zu weiten Räumen fort. Nach diesem Gesetz der zunehmenden Räume wächst jede Land- und Seemacht42.«

Vgl. die Argumentation bei Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792—1918, Stuttgart 1992,

S. 262-275. Ernst Hasse, WeltpoHtik, ImperiaHsmus und Kolonialpolitik, München 1908, S. 1. Max Eckert, Über Deutschlands Weltmachtstellung, Marokko-Abkommen und Kongokompensationen. Vortrag gehalten auf der Vorstandssitzung der Deutschen zu Berlin

KolonialgeseUschaft

Peter Walkenhorst

144

In dieser FormuHerung manifestiert sich ein wichtiger Wandel der imperiaHstischen Semantik. An die SteUe von Kolonien als Gegenstand nationalstaatlicher

Machtentfaltung trat nunmehr der abstrakte Begriff des »Raumes«. Auf diese Weise wurde die Notwendigkeit territorialer Expansion von einer konkreten historischen und geographischen KonsteUation gelöst und zu einem grundlegenden machtpoHtischen Faktum im Zeitalter imperiaHstischer RivaHtät veraUgemeinert. Territoriale Ausdehnung wurde so zu einem Axiom nationaHstischer MachtpoHtik

und »Raum« zu einer Chiffre für nationale Größe. Der Begriff »Lebensraum« stammt von dem Leipziger Geographieprofessor Friedrich Ratzel, der ihn in seiner gleichnamigen, 1901 erschienenen Studie in den wissenschaftlichen Sprachgebrauch einführte. Obwohl Ratzel ihn selbst vorwiegend im Zusammenhang seiner wissenschaftlichen Theorien propagierte, hatte er als kolonialpoHtisch engagierter PubHzist sowie als aktives MitgHed der KolonialgeseUschaft, des »AUdeutschen Verbandes« und des Flottenvereins entscheidenden Anteü an seiner Übertragung auf den poHtischen Bereich43. Unter »Lebensraum« verstand Ratzel jenen Teil der Erdoberfläche, der einer bestimmten Art als Nahrungs- und Lebensgrundlage dient. Die Größe dieses Raumes war abhängig von der Größe der jeweüigen Population, ihren spezifischen Lebensformen sowie der geographischen Beschaffenheit des Lebensraumes. Das Wachstum einer Population erforderte folgHch die Ausdehnung ihres Lebensraumes. Der von einer Art bewohnte Raum steUte daher die »aUererste Lebensbedingung« dar, die aUe übrigen Lebensäußerungen prägte. Für Ratzel war der »Kampf ums Dasein« deshalb in erster Linie ein »Kampf um Raum«. Das Überleben einer Art im Evolutionsprozeß hing ab von ihrer Fähigkeit, sich auszudehnen und fremden Lebensbedingungen

anzupassen44.

Diese »Allgewalt des Raumbedürfnisses« galt, daran Heß Ratzel keinen Zweifel, nicht nur für das Tier- und Pflanzenreich, sondern auch für die Menschheit. Im Begriff des »Lebensraumes« glaubte er den Schlüssel zu einem umfassenden Verständnis der Evolution gefunden zu haben, der die biologischer Theorien auf den Bereich menschHchen Handelns ermögHchte. »So wie der Kampf ums Dasein im Grunde immer um Raum geführt wird, sind auch die Kämpfe der Völker vielfach nur Kämpfe um Raum, deren Siegpreis daher in aUen Kriegen der neueren Geschichte ein Raumgewinn ist oder sein woUte45.« Die poHtischen ImpHkationen dieser Theorie Hegen auf der Hand: Wenn der Kampf um »Lebensraum«

Übertragung

21. November 1911, in: Deutsche Kolonialzeitung, 28(1911), S. 815-818 und 822, Zitat: S. 815. Friedrich Ratzel, Der Lebensraum. Eine biogeographische Studie, Tübingen 1901. Vgl. Woodruf D. Smith, Friedrich Ratzel and the Origins of Lebensraum, in: German Studies Review, 3 (1980), S. 51 -68; ders., PoUtics and the Sciences of Culture in Germany 1840-1920, New York, Oxford 1991, S. 219-233. Ratzel, Lebensraum (wie Anm. 43), S. 43_63, Zitate: S. 51; ders., Die Erde und das Leben. Eine vergleichende Erdkunde, 2 Bde, Leipzig, Wien 1901/02, Bd 2, S. 590-606. Ratzel, Lebensraum (wie Anm. 43), S. 44; ders., PoHtische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehrs und des Krieges, 2., umgearb. Aufl., München 1903, S. 381; ders., Die Gesetze des räumUchen Wachstums der Staaten. Ein Beitrag zur wissenschaftlichen poHtischen Geographie, in: Petermanns Geographische MitteUungen, 42 (1896), S. 97—107. am

43

44

45

Der »Daseinskampf des Deutschen Volkes«

145

das entscheidende Charakteristikum im Zusammenleben der Völker darstellte, war imperialistische Expansion in Form territorialer Herrschaft notwendig und gerechtfertigt, da sie sich in Übereinstimmung mit den fundamentalen Gesetzen der

Natur befand. Ratzeis wissenschaftliche Theorien waren in hohem Maße durch seine politischen Überzeugungen beeinflußt. Insbesondere seine Verwendung des Begriffs der »Kolonisation« für die erfolgreiche Ausdehnung einer Art verdeutlicht, wie sehr seine Theorien auf der kolonialpolitischer Vorstellungen auf die Natur beruhten. In den Augen der meisten Zeitgenossen stellten Ratzeis Theorien jedoch den wissenschaftlichen Beweis für die Notwendigkeit territorialer Expansion dar. Sein Werk und seine akademische Reputation verliehen den imperialistischen Zielen eine »Aura wissenschaftlicher Respektabilität« und trugen auf diese Weise entscheidend zu ihrer Legitimation bei46. Wie die »Weltreichstheorie« strukturierte auch die Lebensraumideologie die Wahrnehmung der internationalen Politik, indem sie einen Maßstab setzte, an dem die faktischen Ergebnisse der deutschen Außen- und Kolonialpolitik gemessen wurden. Beide Deutungsmuster zusammen prägten einen politischen Erwartungshorizont, der für die sukzessive Radikalisierung des Imperialismus wie des Nationalismus von zentraler Bedeutung war. Wie Reinhart Koselleck gezeigt hat, vollzieht sich Handeln immer im Spannungsfeld zwischen einem spezifischen »Erpolitisches und dem jeweiligen Erfahrungsraum der historischen Akteure, wartungshorizont«

Übertragung

die anthropologisch vorgegebene Kategorien darstellen, »ohne die Geschichte nicht möglich oder auch nur denkbar ist«47. Auch für die politische Praxis des wilhelminischen Imperialismus gilt, daß sich die konkreten Forderungen, Ziele und Handlungsoptionen der unterschiedlichen imperialistischen Akteure im Medium bestimmter Erfahrungen und Erwartungen konstituierten und konkretisierten. Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Station der wilhelminischen »Weltpolitik« en détail Revue passieren zu lassen48. Für die vorliegende Argumentation ist allein entscheidend, daß die faktischen Ergebnisse dieser »Weltpolitik« nicht der großspurigen imperialistischen Rhetorik entsprachen, die insbesondere Bernhard v. Bülow als Staatssekretär des Äußeren und Reichskanzler pflegte49. Nach der Annexion Jiaozhous (Kiautschous) 1897, dem Kauf der Karolinen-Inseln von Spanien 1899 sowie einer endgültigen Regelung der deutschen Besitzansprüche auf Samoa im selben Jahr gelang es dem Deutschen Reich nirgendwo mehr, seinen 46 47

Vgl. Ratzel, Lebensraum (wie Anm. 43), S. 24~35; ders., Erde, Bd 2 (wie Anm. 44), S. 571 ~582; Smith, Ratzel (wie Anm. 43); ders., Politics (wie Anm. 43), S. 221-229. Vgl. Reinhart Koselleck, >Erfahrungsraum< und >Erwartungshorizont< zwei historische Kategorien, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 2. Aufl., Frankfurt a.M. -

48

49

1992, S. 349-375, Zitat: S. 351 f. Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Großmachtstellung und Weltpolitik. Die Außenpolitik des Deutschen Reiches 1870 bis 1914, Frankfurt a.M., Berlin 1993; Gerd Fesser, Der Traum vom Platz an der Sonne. Deutsche »Weltpolitik« 1897—1914, Bremen 1996; Konrad Canis, Von Bismarck zur Weltpolitik. Deutsche Außenpolitik 1890 bis 1902, 2. Aufl., Berlin 1999.

Vgl. Peter Winzen, Bülows Weltmachtkonzept. Untersuchungen zur Frühphase seiner Außenpolitik 1897 1901, Boppard 1977; Gerd Fesser, Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow. Eine Biographie, Berlin 1991. —

146

Peter Walkenhorst

Einflußbereich effektiv und dauerhaft zu erweitern, sei es durch den Erwerb neuer Kolonien, sei es in Form wirtschaftlicher Durchdringung formeU souveräner, faktisch jedoch abhängiger Staaten. Gemessen an dem durch die Weltreichstheorie und die Lebensraumideologie konstituierten Erwartungshorizont mußte diese faktische Erfolglosigkeit der deutschen Welt- und KolonialpoHtik als eine bedrohHche Stagnation der nationalen Entwicklung erscheinen, da die als lebensnotwendig erachtete Expansion nirgends stattfand. Genau diese Diskrepanz zwischen dem ideologisch disponierten Erwartungshorizont und den konkreten Erfahrungen war die Ursache für die zunehmende Unzufriedenheit in imperiaHstischen Kreisen, die auf eine kompromißlose ExpansionspoHtik gehofft hatten und hierin durch die offizieUe Rhetorik bestärkt worden waren50. Diese wachsende Diskrepanz und die aus ihr resultierende sukzessive Desülusionierung bewirkten jedoch nicht etwa eine Aufgabe der expansionistischen ZielvorsteUungen, sondern führten im Gegenteü dazu, daß die zu ihrer Verwirldichung propagierten Maßnahmen immer radikalere Formen annahmen. Spätestens seit der zweiten Marokko-Krise 1911 verfestigte sich in weiten Kreisen des Büdungs- und Besitzbürgertums die Überzeugung, daß das Deutsche Reich keine Chance mehr habe, seine weltpoHtischen Ambitionen ohne einen Krieg zu erreichen. Da die Notwendigkeit imperiaHstischer Expansion, wie sie sich aus den Grundannahmen der Weltreichstheorie und Lebensraumideologie ergab, jedoch nicht in Frage gesteUt wurde, setze sich immer mehr die Auffassung durch, daß ein miHtärischer Konflikt früher oder später unausweichhch sei. Der Topos vom »unvermeidHchen Krieg« (Wolfgang J. Mommsen) bUdete fortan einen festen BestandteU des imperiaHstischen Diskurses, der zusehends die QuaHtät einer self-

fulfiUing-prophecy gewann51.

V. Fazit Die semantische und diskursive Verknüpfung nationaHstischer und sozialdarwinistischer Deutungsmuster war eine überaus wirkungsvoUe ideologische Synthese, welche die Wahrnehmung der poHtisch-sozialen Entwicklung auf vielfältige Weise prägte. Beide VorsteUungskomplexe ergänzten einander wechselseitig in ihrer Geltung und bildeten darüber hinaus den Anknüpfungspunkt für konkretes poHtisches Handeln. Die Bedeutung des Sozialdarwinismus lag vor aUem in seiner Fähigkeit, die einzelnen semantischen Komponenten des NationaHsmus in ein umfassendes, wissenschaftliches Weltbüd zu integrieren und ihnen auf diese Weise PlausibUität und Geltung zu verleihen. Besonders in Verbindung mit dem Begriff

Vgl. David Blackbourn, The PoHtics of Demagog;' in Imperial Germany, in: Past and Present, 113(1986), S. 152-184. Vgl. Bereit zum Krieg. KriegsmentaHtät im wilhelminischen Deutschland 1890—1914, Beiträge zur historischen Friedensforschung, hrsg. von Jost Dülffer und Karl HoU, Göttingen 1986, besonders Wolfgang J. Mommsen, Der Topos vom unvermeidlichen Krieg. AußenpoHtik und öffentliche Meinung im Deutschen Reich im letzten Jahrzehnt vor 1914, in: Ebd., S. 194—224.

Der »Daseinskampf des Deutschen Volkes«

147

der »Rasse« konnte die »gedachte Ordnung« der Nation so zu einer biologisch determinierten Einheit hypostasiert werden. Die dialektische Verknüpfung von Niedergangsprophezeiung und Fortschrittserwartung sowie die extreme Differenzfixierung des Rassebegriffs verliehen der Vorstellung der Nation darüber hinaus eine spezifische Dynamik, die eine zentrale Ursache für die sukzessive Radikalisierung des Nationalismus darstellte. Die Übertragung des Selektionsprinzips auf Nationen, Völker und »Rassen« hatte ihrerseits entscheidenden Anteil an der Popularisierung und mentalen Verankerung sozialdarwinistischer Deutungsmuster. Die Deutung der internationalen Machtpolitik als »Kampf um das nationale Dasein« bewirkte eine Politisierung der darwinistischen Theorie, ohne die ihre außerordentliche Geltung und Akzeptanz nicht zu erklären wären. Diese Geltung beruhte jedoch weniger auf dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn der Theorie, sondern vor allem auf ihren geschichtsphilosophischen Prämissen. Angesichts der nahezu ubiquitären Verbreitung der Daseinskampfmetapher in der politisch-sozialen Sprache der Zeit ist es deshalb keine Übertreibung, den Nationaldarwinismus als die wahrscheinlich einflußreichste bildungsbürgerliche Geschichtsphilosophie der wilhelminischen Epoche zu bezeichnen. Als solche spielte der Nationaldarwinismus eine zentrale Rolle bei der gesellschaftlichen Konstruktion politischer Wirklichkeit. Das aus ihm abgeleitete Weltund Geschichtsbild, wie es sich in der Weltreichstheorie und der Lebensraumideologie manifestierte, prägte den Erwartungshorizont aller am imperialistischen Diskurs beteiligten Akteure. Als Maßstab des außenpolitischen Handelns strukturierte dieser Erwartungshorizont die Wahrnehmung der politischen Entwicklung, in dem er imperialistische Expansion zu einer nationalen Existenzfrage verabsolutierte und so das Spektrum der politischen Handlungsoptionen auf die Suche nach möglichen Maßnahmen zur Verwirklichung dieses Ziels reduzierte. Auch wenn die Weltreichstheorie und die Lebensraumideologie keine unmittelbaren Handlungsanweisungen in Form konkreter politischer Konzepte und Strategien enthielten, bildeten sie gleichwohl die grundlegenden weltanschaulichen Parameter, innerhalb derer sich die Diskussion um die Ziele und Wege der deutschen »Weltpolitik« vollzog. Was folgt aus diesen Einsichten für die Ausgangsfrage nach den Erfolgsfaktoren für die Konstruktion und Verbreitung nationalistischer Deutungsmuster? Die der Nationalismus und Sozialdarwinismus im wilhelminivon Analyse Verbindung schen Kaiserreich verdeutlicht vor allem, daß der Nationalismus seine Inhalte und seine Geltung nicht aus sich heraus entfaltete, sondern erst durch die Verbindung mit anderen Weltdeutungsangeboten erlangte. Diese synkretistische Flexibilität war

und ist das Erfolgsgeheimnis nationalistischer Deutungsmuster. Der Nationalissollte deshalb nicht als eine in sich geschlossene politische Ideologie verstanden und analysiert werden, sondern als ein synkretistisches Konstrukt, in das höchst unterschiedliche Inhalte einfließen konnten. In diesen Sinne läßt sich der Nationalismus als ein weltanschauliches Betriebssystem beschreiben, das mit zahlreichen ideologischen Anwenderprogrammen kompatibel war und erst im Zusammenmus

148

Peter Walkenhorst

spiel mit diesen poHtische Wirkung entfaltete. Ziel der weiteren Forschung soUte es deshalb sein, diese konkreten Anwendungen in Vergangenheit und Gegenwart zu untersuchen, und auf diesem Wege den Basiscode des NationaHsmus zu entschlüsseln.

Sven Oliver Müller

umkämpfte Nation. Legitimationsprobleme im kriegführenden Kaiserreich Die

I.

Das Deutsche Kaiserreich stellte im Ersten Weltkrieg eine wahrhaft »nationale« Gesellschaft dar. Allerorten war von der »Nation« die Rede. Im Ersten Weltkrieg ordneten die politischen Akteure aller Richtungen wie vielleicht nie zuvor ihre bedrohliche Umwelt mit Hilfe nationalistischer Deutungen und begriffen ihre Gesellschaft als eine geschlossene Nation. »Die Nation« erschien in Nachrichten, öffentlichen Reden und historischen Darstellungen als handelnde Einheit, die mit anderen Nationen im bewaffneten Konflikt stand. Doch der durch das alltägliche Reden der Zeitgenossen erzeugte Eindruck, daß ein nationales Interesse einem anderen gegenüberstand, hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Das alltagssprachliche wie das wissenschaftliche Reden von »der« Nation und »dem« Nationalismus suggeriert zu Unrecht die Existenz einer einheitlichen Formation. Die deutsche Nation war gerade im Ersten Weltkrieg weder eine politische noch eine soziale oder semantische Einheit. Vielmehr verdeckte die Einheit der nationalen Sprache den ungebrochenen Fortbestand der rivalisierenden Weltbilder und Deutungen der politischen Lager, Interessengruppen und Regierungseliten im Rahmen von Herrschaftsauseinandersetzungen1. Moderne Politik und Herrschaft sind legitimationsbedürftig. Während vormo-

derne Gesellschaften von vergleichsweise wenigen politischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren, erfolgte mit fortschreitender Ausdifferenzierung, zunehmender sozialer Ungleichheit und der Auflösung tradierter Herrschaftsverhältnisse die unaufhaltsame Politisierung der Gesellschaft. Ruhte die traditionelle Herrschaft auf dem Glauben an die Autorität der etablierten Eliten (Adel, Klerus),

Die Definition des Begriffs »politisches Lager« folgt Karl Rohe, Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteisysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1992, besonders S. 19 —29, der darunter Formationen versteht, welche verschiedene Parteien und unterschiedliche sozialmoralische Milieus enthalten und eher aus der Abgrenzung von anderen als durch eigene Gemeinsamkeiten zusammengehalten werden. Die durch grundlegende Deutungsmuster und Aversionen bedingte Stabilität und die erst unter den Bedingungen des Weltkriegs zunehmende Flexibilität der vier großen politischen Lager des Deutschen Kaiserreichs (Konservative, Zentrum, Liberale und Sozialdemokraten) strukturierten die Öffentlichkeit.

Sven OHver MüUer

150

bedurfte Herrschaft seit der Frühen Neuzeit zunehmend der Legitimation und war zur ständigen Ablösung disponiert. Da moderner legitimer Herrschaft keine RechtfertigungsmögHchkeit aus unanfechtbaren »letzten Gründen« zur Verfügung steht, benötigen staatliche und nichtstaatliche Herrschaft, in welcher Form auch immer sie sich ausdrücken, in ausdifferenzierten GeseUschaften einer neuen Begründung. Die RationaHsierung der Herrschaft entzieht den Akteuren mithin keineswegs die MögHchkeit einer Wertorientierung, sondern nur die vermeintlich

objektive Geltung von Werten. Sobald Herrschaft und poHtische Prozesse nicht mehr als Spiegel einer gegebenen göttlichen Ordnung begriffen und begründungsbedürftig werden, führt jeder Weg ihrer Rechtfertigung zur Berufung auf ein wie auch immer definiertes Gemeinwohl. Moderne Herrschaft bedarf des Bezuges auf Mehrheiten und einer flexiblen Rechts fiktion. Legitimität band sich an die VorsteUung von der Souveränität. Die sich im ausgehenden 18. Jahrhundert verbreitende Idee des freien und souveränen Bürgers büdete die Grundlage für das Konzept der legitimen Herrschaft. Mit der grundsätzHchen Transformation von Herrschaft ist schHeßHch nur noch die »Demokratie«, genauer: die Regierung »im Namen des Volkes« mögHch. Denn ist die VorsteUung vom Gemeinwohl und der Legitimität von Mehrheiten erst etabHert, läßt sich die poHtische Exklusion breiter Bevölkerungsgruppen immer schwerer rechtfertigen2. Erklärungsbedürftig ist, wie aus dem Geltungsanspruch einer Ordnung ein Legitimitätsglaube der Beherrschten wird. In modernen GeseUschaften entsteht die-

Glaube nicht nur durch die Befriedigung materieUer und ideeUer Interessen, sondern auch durch öffentliche Kommunikation. Legitimationsprozesse voUziehen sich in den Rahmenbedingungen einer massenwirksamen Öffentlichkeit als einem entscheidenden Faktor moderner PoHtik. Herrschaft und PoHtik entwickelten sich mit der Entstehung und Ausdifferenzierung des öffentlichen Raums von der Ebene der überwiegend persönHchen Beziehungen weg zu einer öffentlichen Angelegenheit immer größerer Gruppen. Mit der Ausweitung einer pluraHstischen Öffentlichkeit und der wachsenden Konkurrenz der poHtischen Lager gewann dieses Verfahren der Legitimitätsbeschaffung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert entscheidend an Bedeutung. Die Kommunikation intensivierte sich und ermögHchte eine zunehmende Repräsentation geseUschaftiicher Interessen. Fortab war es auch in Deutschland für Regierende und Regierte, für jedes sich formierende poHtische Lager von rechts bis Hnks mögHch, aber auch notwendig, die jeweiligen Interessen im öffentlichen Raum durchzusetzen. Dabei galt es mit HUfe von diskursiv hervorgebrachten und verbreiteten Argumenten etwas koUektiv FragHches in etwas koUektiv Geltendes zu verwandeln. Legitimitätswirksame Argumente richten sich ser

übergeordneten Weltbildern der Beherrschten aus,

an

den aktueUen Interessen und

2

Vgl. zu den drei »Typen legitimer Herrschaft« Max Weber, Wirtschaft und GeseUschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann, 5., rev. Aufl., Tübingen 1972, S. 122—124; sowie WUhelm Hennis, Legitimität Zu einer Kategorie der bürgeriichen GeseUschaft, in: Legitimationsprobleme poHtischer Systeme, hrsg. von Peter Graf Kielmansegg, Opladen 1976, S. 9-38. -

Die

umkämpfte Nation

151

die Herrschaft der Regierenden zu stabilisieren. Politische Argumente zielen in Regel auf allgemein akzeptierte bzw. nur sehr schwer zu bezweifelnde Werte. Appelle an vorhandenes und offenbar anerkanntes Wissen werden als geeignet angesehen, um neues mehrheitsfähiges Wissen zu erzeugen. Auf diese Weise werden politische und soziale Konflikte in ethische überführt3. Da sich jeder Anspruch auf moderne politische Legitimität mithin auf ein übergeordnetes »universalmoralisches« Gesellschaftsmodell bezieht, entwerfen die politisch Handelnden damit auch eine vorgestellte Ordnung, innerhalb derer sie Geltung anstreben4. Diese Legitimationsbasis bietet die Vorstellung von der »Nation«5. Die Berufung auf die »Nation« und nicht auf die Monarchie oder die regierenden Eliten als maßgebliche Legitimationsinstanzen markiert eine neue Form von Politik, läßt sich aus diesem Ordnungsentwurf doch der Anspruch der gesamten Bevölkerung auf die gleichberechtigte Teilhabe am Gemeinwesen ableiten. Die Berufung auf die Nation suggeriert die Existenz von Mehrheiten und dient gleichzeitig dazu, unterschiedliche politische, soziale und ökonomische Interessen zu rechtfertigen. Die partikularen Interessen mit einem abstrakten und faktisch unbestimmbaren »nationalen Interesse« gleichzusetzen erlaubte die Legitimation und die politische Konstruktion bestehender und neuer Herrschaftsverhältnisse. Dieser Prozeß der »nationalen« Legitimationsbeschaffung ist auch in etablierten Nationalstaaten nie abgeschlossen. Vielmehr bleibt der fortgesetzte Appell an die »Nation« ein Verfahren zur Artikulation von Vorstellungen und zur Durchsetzung von Interessen, das in einer pluralistischen Gesellschaft potentiell jeder Gruppe um

der

Verfügung steht. Die semantische und ideologische Unscharfe der »Nation« war eine wesentliche Ursache für ihre Durchsetzungsfähigkeit. Das Reden von der Nation konnte weitgespannte Vorstellungen und Hoffnungen aktivieren und gleichzeitig gezielt zur Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen und Interessen instrumentalisiert werden. Zwar beriefen sich auch im kriegführenden Kaiserreich nicht alle Lager und zur

3

Heinrich Busshoff, Pohtische Legitimität. Überlegungen zu einem problematischen Begriff, Neuried 1996, besonders S. 150—196; Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, unveränd. Nachdr. der Neuauflage 1990, Frankfurt a.M. 1995 [Erstausgabe 1962]; sowie Margaret Lavinia Anderson, Practicing Democracy, Elections and Political Culture in Imperial Germany, 1867 1914, Princeton, N.J. 2000. Vgl. M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Ders., Demokratie in Deutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1993, S. 25_50; Otthein Rammstedt, Zum Legitimationsverlust von Legitimität, in: Legitimationsprobleme (wie Anm. 2), S. 108 122. In der neueren Nationalismusforschung hat sich das Konzept Benedict Andersons von der Nation als »Imagined Community« weitgehend durchgesetzt. Als »vorgestellt« wird die Nation deshalb begriffen, weil die nationale Gemeinschaft im Denken ihrer Mitglieder entsteht. Ausschlaggebend sind dabei der Glaube und die Selbstbindung der Individuen an »ihre« Gruppe, nicht eine vermeintlich »objektive« Realität. Vgl. Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, erw. Neuausg., Frankfurt a.M., New York 1996 (Der Originaltitel ist präziser: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983); Ernest Gellner, Nations and Nationalism, Oxford 1983. Deutsch unter dem Titel: Nationalismus und Moderne, Berlin 1991. Vgl. zur ausführlichen theoretischen Bestimmung von »Nation« und »Nationalismus« die Einleitung zu diesem Band.

Vgl.



4



5

Sven OHver Müller

152

Gruppen in erster Unie auf die Nation,

sondern rekurrierten mindestens ebensooft etwa auf die Klasse oder die Konfession. Doch steUten die Vieldeutigkeit und relative Unscharfe des NationaHsmus verstanden als das sich auf die Kategorie der »Nation« beziehende Reden und Handeln6 seine Anschlußfähigkeit an bestehende Weltbüder und LoyaHtäten her. Vor aUem aber begünstigte der erfolgreiche Bezug des NationaHsmus auf konkrete Herrschaftsprobleme, mithin seine realhistorische Geltung, seine Wirkungsmächtigkeit in den Augen der poHtischen Akteure7. Diese Wirkung des NationaHsmus war nicht die Folge eines Erkenntnisprozesses der Beteüigten, einer um die Sprache der NationaHsten zu bemühen »Selbstfindung der Nation«, sondern das Ergebnis einer gegenseitigen Bedeutungszuschreibung, die mit der Logik einer »self-fulfilHng-prophecy« die ReaHtät der Nation erzeugte. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb die NatürHchkeit von NationaHsmus und Nation so leicht behauptet werden konnte8. Der NationaHsmus ist daher ein ursächlich poHtisches Phänomen. Er erlangt seine Bedeutung im Rahmen von Herrschaftskonflikten, die zwischen geseUschaftHchen Gruppen oder zwischen diesen und dem Staat ausgetragen werden. Der Bezug des NationaHsmus auf grundlegende poHtische Ordnungsprobleme und auf den Kampf um die KontroUe des Staates erklärt, warum der NationaHsmus als eine Form moderner PoHtik Ausdruck und Urheber von Interessengegensätzen ist. Ungeachtet der Tatsache, daß diejenigen, welche die nationale Semantik bemühen, damit beanspmchen, sich auf die Einheit der »Gemeinschaft« zu berufen, und den aUgemeinen Konsens der »Nation« betonen, stehen hinter der Einheitsrhetorik handfeste Interessengegensätze und poHtischer Dissens. Ohne Interessengegensätze existiert keine PoHtik. Die Grundgegebenheit von PoHtik gewissermaßen ihr aUtägHcher Istzustand ist der Konflikt, weü die gemeinsame Wahrnehmung von Problemen nicht deren gemeinsame Lösung impHziert. PoHtik wird vom Konflikt rivaHsierender EHten, Klassen oder Gruppen mit unterschiedHchen materiellen und ideeUen Interessen gekennzeichnet. Diversität und PluraHtät bilden die institutioneUe Grundlage moderner GeseUschaften und begünstigen die Entstehung und Entfaltung von Auseinandersetzungen9. Je nach dem Charakter der vorgesteUten poHtischen Ordnungen wurden unterschiedHche Elemente der Umwelt nach nationaUstischen Regeln gedeutet und zu Bezugspunkten der Handlungsorientierung erhoben. Die Regierung und die widerstreitenden poHtischen Lager appelHerten im öffentlichen Raum an das gleiche -



-



-

-

Bezugssystem

der Nation. Doch

gleichartig

waren

die

NationsvorsteUungen

in

Diese Definition folgt M. Rainer Lepsius, Nation und NationaHsmus in Deutschland, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 232-246, hier: S. 232. »In so far as nationaHsm is successful it appears to be true«, John BreuiUy, NationaHsm and the State, 2nd ed., Manchester 1993, S. 64. Vgl. ebd., S. 59~64; Jörg Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen NationaHsmus (1770-1840), Frankfurt a.M., New York 1998, S. 480 f. Vgl. besonders GeUner, Nations (wie Anm. 5), S. 53 f. und 126; Murray Edelman, PoHtik als Rirual. Die symboUsche Funktion staatlicher Institutionen und poHtischen Handelns, Frankfurt a.M., New York 1990, S. 146-166. Grundlegend dazu BreuiUy, NationaHsm (wie Anm. 7). Vgl. Karl Rohe, PoHtik. Begriffe und Wirklichkeiten. Eine Einführung in das poHtische Denken, 2., völHg Überarb. und erw. Aufl., Stuttgart, BerHn, Köln 1994, besonders S. 82-102.

Die

umkämpfte Nation

153

keiner Weise, so daß strenggenommen stets von Nationalisms» die Rede sein müßte. Denn die scheinbare semantische Eindeutigkeit der Begriffe »Nation« und »Nationalismus« täuscht darüber hinweg, daß diese Kategorien auch in Deutschland in den vergangenen beiden Jahrhunderten nie fest oder abschließend bestimmbar waren, und daß gerade im Ersten Weltkrieg die unterschiedlichsten Vorstellungen von der Nation nebeneinander bestanden. Offenbar projizieren unterschiedliche Gruppen und Individuen abhängig von ihrer Klasse, ihrer Konfession, ihrem Geschlecht oder ihrer politischen Orientierung jeweils ihre eigenen Wertvorstellungen und Utopien in die interpretierbare ^vorgestellte Gemeinschaft der Nation. Der Nationalismus entwickelt sich in Verbindung mit den verschiedensten Weltbildern und Loyalitäten, nicht nur weil diese weiterhin Bestand haben, sondern weil der Nationalismus einige ihrer Bestandteile aufgreift, aktiviert und mit ihnen symbiotisch koexistiert. Diese Offenheit des Nationalismus entwickelt sich oft zu einem Herrschaftsproblem. Wenn es in einem ausgebildeten Nationalstaat nicht mehr fraglich ist, wer Nationalist ist, sondern nur auf welche Weise und mit welcher Intensität, dann entspricht der Menge der Deuter die Menge der nationalistischen Deutungen. Im politischen Raum können die widersprüchlichsten Ordnungsentwürfe nebeneinander Geltung beanspruchen, und auch das Handeln des einzelnen kann durch divergierende Loyalitäten bestimmt werden10. In den zentralen innenpolitischen Fragen bestehen die Weltbilder und Überzeugungen der politischen Lager und Individuen in der Regel über lange Zeiträume hinweg fort. Nur unumstrittene Deutungsmuster sind leicht veränderbar. Vor allem gilt, das Handlungs- und Bewertungsnormen nicht unwidersprochen zu begründen und zu klassifizieren sind. Die »Wahrheitsfähigkeit« politischer Überzeugungen kann nicht zwingend bestritten werden. Moderne legitime Herrschaft kennt keine gültige Rangordnung der Werte und Zwecke. Zwar beziehen sich in öffentlichen Auseinandersetzungen politische Argumente immer wieder auf »letzte Gründe«, allerdings mit der entscheidenden Einschränkung, daß diese gegeneinander konkurrieren. Daher besteht allerorten die Möglichkeit, divergierende normative Geltungsansprüche zu rechtfertigen und für deren Anerkennung zu streiten. Zwischen ihnen gibt es keine allgemein anerkannten Abstufungen und Relativierungen, sondern lediglich den »unüberbrückbar tödlichen Kampf, so wie zwischen >Gott< und >TeufelStü< genommen: das heißt eine Linie des Verhaltens, die Farbe, die Macht, das Malerische, das Unerwartete, das Mystische; im ganzen aU jenes, was im Gemüte der Massen zählt. Wir spielen die Leier auf aUen Saiten; von der Gewalt bis zur ReHgion, von der Kunst bis zur PoHtik«. ÄhnHch steUte Hitler während des Reichsparteitages 1929 fest, daß die RepubUk »arm an Symbolen« sei und es die Pflicht des NationalsoziaHsmus sei, dafür zu sorgen, daß »die alten Symbole wieder aufgegriffen werden und daß diese alten Symbole einer neuen Zeit, wenn auch in neuer Form zugkräftig voranschweben«31. Ihr soldatischer NationaHsmus der das Müitärische als genuin poHtisch und als maßgebend für die junge Generation begriff war immer mit dem Mythos und Ritual einer sakraHsierten Nation -

verknüpft.

-

V.

Allerdings soUte man sich vor einer nachträgHchen Übernahme der stüisierten NSPropaganda hüten. Vor 1933 waren die Beerdigungszeremonien, Feieriichkeiten und sonstigen Spektakel der NS-Bewegung keineswegs so perfekt, wie etwa die Benito MussoHni, Dal maHnconico tramonto hberale aU'aurora fascista deUa Nuova ItaHa [4.8.1922], in: Ders., Omnia opera, Bd XVIII, Florenz 1956, S. 438; Hitler im Völkischen Beobachter vom 6.8.1929, zit. nach Paul, Aufstand der Büder (wie Anm. 23), S. 165. Das Zitat Hitlers findet sich nicht im Abdruck des Artikels in: [Adolf] Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen (RSA). Februar 1925 bis Januar 1933, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte, 5 Bde in 12 TeUbden, München [u.a.] 1992-1998, hier: Bd III, Teü 2, S. 354 f. ÄhnHch auch Benito Mussolini, Gespräche mit Emil Ludwig, BerHn, Wien, Leipzig 1932.

»Märtyrer« der Nation

189

durchkomponierten Riefenstahl-Filme suggerieren möchten. Dies läßt sich beispielsweise an der Verbreitung der militärähnlichen SA-Uniform zeigen. Nicht nur in den ersten Jahren nach der Parteineugründung von 1925 war die Ausrüstung der SA mehr als mangelhaft32. Noch im Oktober 1929 forderte Hitler höchstpersönlich die SA-Männer auf, sich bei der im November 1928 gegründeten parteieigenen Reichszeugmeisterei einzukleiden, denn »ungeeignete und minderwertige Nachahmungen dürfen keinen Eingang in die SA finden«33. Im Dezember 1931 wurde Ernst Röhm deutlicher. Er beklagte in einem Schreiben an seine SA-Führer, daß lediglich zwei Drittel der SA-Männer eine Uniform besäßen: »Weit schlimmer ist es noch mit der Ausrüstung. Den Berichten nach sind höchstens 1/3 der SAMänner ausgerüstet«34. Es schwang schon eine gewisse Resignation mit, als Röhm in einem Rundbrief vom Juli 1932 schrieb, ihm sei bewußt, daß vielen SAMännern die vollständige Uniformierung aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich sei. Die fehlenden Uniformteile seien insofern durch möglichst einheitliche zivile Kleidungsstücke zu ersetzen35. Bei dem größten SA-Treffen der Weimarer Republik, das im Oktober 1931 in Braunschweig stattfand, hatten sich zur Verärgerung Röhms Vorfalle ereignet, die im scharfen Kontrast zum Propagandabild von der angeblich typischen NSGroßveranstaltung standen. So wurde das »Heil« der an Hitler vorbeimarschierenden SA-Kolonnen weder gleichmäßig noch »wuchtig« ausgeführt und von der Musik übertönt. Auch in der Nähe des »Führers« trugen sich nicht gerade disziplinierte Szenen zu. Statt hoher Funktionäre blieben einfache Parteigenossen oder Frauen neben Hitler stehen, ohne weggewiesen zu werden. Eifrige Gauleiter stürzten ungestüm an die Seite des »Führers«, als die SA-Männer ihres eigenen Gaues an ihm vorbeiparadierten. Einige SA-Verbände führten bloße Zivilkapellen mit sich, was Röhm dazu veranlaßte, klarzustellen, daß die SA »kein Schützenverein« sei. Auch das Tragen der Sturmfahnen war ungleichmäßig. Mehrere Standarten trugen Stahlhelme, SA-Männer marschierten mit Koffern, großen Paketen und ähnlichem in der Hand. Die Bestimmungen über den Gruß wurden »meistens nicht beachtet«. Besonders regte sich der Stabschef über den »an Unfug grenzenden Umfang« des Photographierens auf: »Wenn auch begreiflich und berechtigt ist, dass die SA Männer sich persönliche Erinnerungen in Gestalt eigner Aufnahmen von dem Aufmarsch mitnehmen wollen«, führte Röhm aus, »so darf das doch nicht so weit gehen, dass jede feierliche Handlung dadurch gestört wird und der Bericht des vom

Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein an den Preuß.

Minister des Innern

27.3.1926, in: GStAPK, I. HA., Rep. 77, Ministerium des Innern, Tit. 4043, Nr. 309,

fol. 37 f.

(M).

RSA, Bd III (wie Anm. 31), Teil 2, S.

395. Zur Gründung der Reichszeugmeisterei: Brandenbur2 A I Pol., Nr. 2134, fol. 483; RSA, Bd III (wie

gisches Landeshauptarchiv (BLHA), Rep. Anm. 31), Teil 3, S. 360, Anm. 7.

Der Oberste SA-Führer, Chef des Stabes Ernst Röhm, vom 8.12.1931, in: Staatsarchiv München (StAM), Pol. Dir. München, Nr. 6826, fol. 454-462. Die Angaben sind identisch mit der Schlußbeurteilung des SA-Generalinspekteurs im Dezember 1931: Bundesarchiv, Berlin (BArch) (ehem. Bundesarchiv Koblenz), NS 23/123. Rundschreiben des Obersten SA-Führers, Chef des Stabes Ernst Röhm, vom 7.7.1932, in: BArch, NS 23/124.

Sven Reichardt

190

ohne sich durch Dutzende von Photograunzulässig ist das Herausspringen einphen durchkämpfen zelner SA-Männer aus der Front, um Aufnahmen zu machen«. Verärgert forderte Röhm, daß sich die SA-Führer endHch mit den Bestimmungen der Dienstverordnung vertraut machen soUten, denn der müitärische Ernst könne durch das Tragen profaner AUtagsgegenstände oder durch die Sorge um das Privatfoto für die Freunde und die Famüie daheim empfindHch gestört werden. Auch auf die mangelhafte Uniformierung kam Röhm zu sprechen: »Farbe und Stoff der Diensthemden ist außerordentlich verschieden. [...] Manche Führer trugen weiße Kragen statt der Halsbinde und Handschuhe, teüweise sogar nur einen angezogen, den anderen in der Hand. Vielfach sah man baumelnde Uhrketten, bei Studenten Coleurbänder (!) und bei manchen SA-Männern eine ganze Sammlung von Abzeichen an der Mütze36.« Gerade die symboUsche Einheitlichkeit einer unterschiedslosen soldatischen Nation wurde durch die Ergänzung der Uniform mit privaten Abzeichen Führer kaum mehr Schritt halten zu

kann,

müssen. Durchaus

zerstört.

Diese desolate Lage hing schHcht damit zusammen, daß die vollständige Uniform für viele SA-Männer zu teuer war. Die zugelassenen Lieferfirmen der Reichszeugmeisterei, wie die Württemberger Textilfirma Hugo Boss, die zu dieser Zeit »in bekannt guten QuaHtäten« in die Herstellung von SA-Uniformen einstieg, produzierten nur nach Auskunft eigener Werbeanzeigen zu »billigen Preisen«37. WoUte ein BerHner SA-Mann im Jahre 1927 eine voUständige Uniform von der ReichswirtschaftssteUe der NSDAP in BerHn beziehen, so mußte er ganze 39 Reichsmark und 55 Groschen auf den Tisch legen38. Der tarifmäßige Stundenlohn eines männHchen Facharbeiters betrug zu dieser Zeit knapp eine Reichsmark, der eines Hilfsarbeiters um die 70 Reichspfennige, so daß der Kauf einer Uniform in etwa einen voüen Wochenlohn erforderte39. Zwar verbüHgten sich die Preise für die SAUniform im Laufe der Jahre geringfügig, aber andererseits verbreiterte sich das Angebot, und neue BegehrHchkeiten wurden durch die nunmehr erwerbbaren SASporthosen, SA-Zivilabzeichen, Uhrzipfel, Fahrradwimpel, Eßnäpfe, KalbfeUTornister und SchaUplatten geweckt40. Als im JuH 1932 die neue SA-Kluft eingeführt wurde, hieß es im »Völkischen Beobachter«, daß »bei geschlossenem Auftreten immer auf die ärmeren Kameraden Rücksicht zu nehmen« sei41. Ernst Röhm bekräftigte diese Maßregel in einem SA-internen Schreiben ausdrücklich42, denn die Uniformierung soUte der sichtbare Ausdruck eines klassenübergreifenden

SA-Führer,

3,1

Der Oberste

37

Braunschweig, in: StAM, Pol. Dir, München, Nr. 6826, fol. 435-441. Wulf Reimer, Schwarzbrauner Aufschwung, in: Süddeutsche Zeitung vom 29./30.1.2000, S. 12.

38

39

40 41 42

Chef des Stabes Ernst Röhm

Anzeige im »Angriff« vom 11.7.1927,

vom

19.11.1931, betrifft:

SA Treffen in

S. 8. Siehe auch die Anzeigen im »Angriff« vom 13.2.1928, S. 4 und im »Angriff« vom 23.7.1928, S. 6 der 1. Beilage. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, hrsg. vom Statistisches Reichsamt, Jg. 47 von 1928, BerHn 1928, S. 371. Anzeigen im Angriff vom 23.1.1930, S. 3 f. Vgl. auch SA-Nachrichten, in: Der SA-Mann, Nr. 8, Beilage des Völkischen Beobachters, Nr. 85 vom 13.4.1929. Völkischer Beobachter, Nr. 190 vom 8.7.1932. Schreiben des Obersten SA-Führers, Chef des Stabes Ernst Röhm, vom 7.7.1932, in: StAM, Pol. Dir. München, Nr. 6823, Heft: »Bekleidung, Ausrüstung, Bewaffnung«, fol. 191-193.

191

»Märtyrer« der Nation

Kameradschaftsdenkens sein. Ironischerweise schlichen sich aber gerade mit der Uniform Prestigeunterschiede und soziale Differenzierungen in die SA ein, wo doch eigentlich klassenlose Einheitlichkeit demonstriert werden sollte. VI.

Die sowohl nach innen als auch nach außen gerichtete Symbolpropaganda der Nationalsozialisten bestand weniger in der Schaffung originärer, ureigner Symbole, als vielmehr in der Benutzung und Bedeutungsveränderung von traditionellen Symbolen mit hohem Aufmerksamkeitswert. Die mit diesen Symbolen verbundene Massenpräsenz der Nationalsozialisten bei ihren Feierlichkeiten wurde vom italienischen Faschismus wie auch von der linken Arbeiterbewegung übernommen, während die Fahnen und Uniformen stärker dem Symbolreich des Militärs und nationalistischer Vereinigungen entlehnt waren43. Das Besondere lag somit eher in der Kombination dieser Elemente, die in das Gesamtkonzept einer »Nation der Gleichen« eingebaut wurden, die auf die Aufhebung der Individualität im Krieg rekurrierte, in der der einzelne mit seinem Volk in einer Nation aus lauter gleichförmigen Kameraden eins geworden war. In der Glaubensgemeinschaft der faschistischen Nation wurde das Ideal einer emotional definierten männlichen Kameraderie herausgehoben, das auf die männliche Schützengrabengemeinschaft des Ersten Weltkrieges zurückging44. Die großen Gleichmacher waren somit Krieg, Kampfbereitschaft, Männlichkeit, der gemeinsame Gegner und die Nation. Durch sie sollten die sozialen Unterschiede innerhalb der eigenen Gruppe eingeebnet werden. Das Kameradschaftsgefühl wurde als moralisches Fundament der faschistischen Kampfbünde und ihrer Zusammengehörigkeit vorgestellt45. Solidarität, geteilte Begeisterung und gemeinsamer Glauben an die Nation, die Metaphysik des Willens, der idealistische Vitalismus, die intimen Beziehungen zu den anderen Mitgliedern innerhalb der gewählten Verwandtschaft der SA-Stürme: sie markierten ihre Identität. Entscheidend war die nationale Einstellung, die männliche Haltung und die entschlossene Gewaltbereitschaft die in den Propagandaformen vom Aufmarsch bis zur Beerdigung inszeniert und in den Gewaltaktionen umgesetzt wurden. Erst massenhaft praktizierte Opferbereitschaft, Treue, Unterwerfung und Pflichterfüllung symbolisierten den Wert der Nation, die als ideologisches Weltbild nur vage ausgestaltet wurde. Aus diesem Grunde spielte die -





43

So auch

44

Mosse, Gefallen für das Vaterland (wie Anm. 27), S. 47 f., 62, 70, 82 und 84; Koselleck, Einlei-

Paul, Aufstand der Bilder (wie Anm. 23), S.

tung (wie Anm. 27), S. 10 und 14 f.

Vgl. Pflichtenlehre des Sturm-Abteilungsmannes (S.A.in: GStAPK, LHA. Rep. 77, Ministerium des Innern, Tit. 4043, Nr. 311, fol. 274-285, hier: fol. 278; Der SA-Mann in Nürnberg, in: Der SA-Mann, Nr. 18 vom 22.6.1929 (Beilage des Völkischen Beobachters, Nr. 142 vom 22.6.1929); Karl W.H. Koch, Männer im Braunhemd. Vom Kampf und Sieg der SA, Düsseldorf 1936, S. 315 f. Für den italienischen Squadrismus Gentile, Storia (wie Anm. 30), S. 523 und 532 f.; Paolo Nello, L'avanguardismo giovanile alle origini del fascismo, Rom, Bari 1978, S. 67—72. Vgl. Gentile, Storia (wie Anm. 30), S. 525. Katechismus),

45

166.

Sven Reichardt

192

eine größere Rolle als der Glaubensinhalt. In dieser auch »SAGeist« genannten Haltung ging es vor aUem um das trotzig-heroische Aushalten, wobei die Sache der Tendenz nach wenig, die Festigkeit der aber so bedeutete46. wie aUes gut Schon die itaHenischen Squadristen hatten sich selbst als Propheten, Apostel, Missionare und Soldaten einer neuen »patriotischen ReHgion« betrachtet, als eine geweihte Gemeinde, die aus dem »riesigen Scheiterhaufen des Krieges« geboren worden war47. Sie präsentierten sich als »faschistische ReHgion«, die durch das Blut der Helden und Märtyrer geweiht sei, die ihr Leben für die »itaHenische Revolution« gaben48. Auch Hitler benutzte die reHgiösen Sprachfiguren und Büder sehr häufig, selbst in internen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Denkschriften. Im Dezember 1932 etwa hieß es über das Verhältnis von NS-Ideologie und Organisation: »Eine Weltanschauung benötigt zu ihrer Verbreitung keine Beamten, sondern fanatische Apostel [...] Weltanschauungen benötigen genauso wie ReHgionen zu ihrer Verwirklichung bestimmte geeignete Organisationen49.« Ohne Zweifel betrachtete sich Hitler als Messias und berief sich oft auf Gott oder die Vorse-

gläubige Haltung

Überzeugung

hung50.

Die Faschisten ItaHens und Deutschlands trennten die Welt strikt duaHstisch in die moraHsch bewerteten und sich unversöhnUch gegenüberstehenden Sphären der zutiefst verdorbenen alten Welt und der vollkommenen Welt der zukünftigen, der faschistischen Nation. Auf die Auserwählten, die noch zu leiden hätten, aber bald triumphieren würden, wurde der BHck ausgerichtet. Die Erlösung könne nur durch die vollständige Vernichtung des Feindes in einer erbitterten und letzten Schlacht vonstatten gehen, wobei das reinigende Erlösungswerk nicht durch Gott (wie in der christlichen und jüdischen ReUgion), sondern durch die Gewalt der Kampfbündler voUzogen würde. Ihr Kampf führe zur innerweltlichen Erlösung, daher sei ihre Gewalt »heüig«. Der Glaube steUte einen wichtigen inneren Kitt in den faschistischen Bewegungen dar, der als eine Reaktion auf die RationaHsierung und Entzauberung der Welt eine neuerHche Verzauberung herbeiführen sollte51. Der Glaube bezeichnete den höchsten Wert der poütischen Aktivität, er war die beschworene emotionale HauptquaHtät des Faschisten. Für den Glauben waren Opfer zu erbringen, er 46 47

48 49 50

51

Siehe Behrenbeck, Kult (wie Anm.

25), S. 185 f.

MicheHs, Le nostre idee, in: II Fascio vom 14.5.1921. Siehe auch Raul Forti und Giuseppe Ghedini, L'awento del fascismo. Cronache ferrarese, Ferrara 1922, S. 90. Vgl. Arturo Marpicati, Die faschistische Partei, in: Europäische Revue, 8 (1932), S. 729. Siehe G. Leonarda, Siamo i superatori, in: II Fascio vom 2.4.1921. RSA (wie Anm. 31), Bd V, TeU 2, S. 274 f. Vgl. auch die Rede Hitlers am 2.11.1932, in: Ebd. Adolf Hitler, Mein Kampf, 519.-523. Aufl., München 1940, S. 70 und 751; Michael Ley, Apokalyptische Bewegungen der Moderne, in: Der NationalsoziaHsmus als poHtische ReHgion (wie Anm. 17), S. 25 f.; Vondung, Die Apokalypse des NationalsoziaHsmus (wie Anm. 17), S. 36—38 und 42; ders., Magie und Manipulation (wie Anm. 17), S. 36; Michael Rißmann, Hitlers Gott. Vorsehungsglaube und Sendungsbewußtsein des deutschen Diktators, Zürich 2001. Philippe Burrin, Die poHtischen ReUgionen: Das Mythologisch-Symbolische in einer säkularisierten Welt, in: Der NationalsoziaHsmus als poHtische ReHgion (wie Anm. 17), S. 177; ErniHo Gentile, G. De

Fascism

as

Political

ReUgion, in: Journal of Contemporary History, 25 (1990), S. 229—251.

193

»Märtyrer« der Nation

Kraft, den Mut und die kompromißlose Entschiedenheit, er entscheidende das war Gegenprinzip zur rationalen Vernunft und Weltdeutung, das die emotionale Erfassung der Welt, den Enthusiasmus und den Fanatismus bestärkte52. Dieser Glaube bezog sich auf die Nation, die zum Maß aller Dinge wurde, ohne daß eine klare Vorstellung oder Definition vorlag, denn sie war schlicht »eine Art zu fühlen, zu schmecken, das Leben zu leben«53. Mustert man Privatzeugnisse von SA-Männern, so zeigt sich, wie eng Offenbarung, Erlösungshoffnung und Gewalt aneinander gekoppelt waren: Erlösung konnte nur durch Vernichtung stattfinden. Daher waren die religiösen Elemente so gehäuft im Zusammenhang mit den Grundfragen des Todes vorzufinden. Nicht nur die Sinnhaftigkeit des Todes war für die Bewegung wichtig, sondern auch der Appell an die Gewalt, an unbarmherzige Rache und Vergeltung gegen die antinationalen, antiidealistischen Linken54. stärkte den Willen, die

VII.

Natürlich blieb der politische Totenkult nicht auf die italienischen Faschisten oder deutschen Nationalsozialisten beschränkt, sondern hatte einen gemeineuropäischen Hintergrund, wobei die strukturellen europäischen Gemeinsamkeiten größer waren als die nationalen Besonderheiten. Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren in allen Ländern der Höhepunkt des Totenkultes. Noch in den kleinsten Gemeinden wurden Kriegerdenkmäler aufgestellt und in Erinnerungsfeiern der Gefallenen einer Nation gedacht. Affirmation des Krieges, Versprechen des Nichtvergessens des einfachen Soldaten, Einheitsstiftung jenseits aller Klassenbindung, Bedeutung christlicher Einflüsse für eine diesseitig-innerweltlich definierte Sinnstiftung, Identitätsstiftung im Tod für das Vaterland all dies variierte von Region zu Region, von politischem Lager zu politischem Lager und von Nation zu Nation. Es war überall präsent, wenngleich nicht in demselben Mischungsverhältnis55. Die von den Faschisten als diesseitige Offenbarung vorgestellte Politik traf einen Nerv der Zeit. In der Nachkriegszeit erlebte die außerkirchliche religiöse Weltdeutung sowohl in Italien als auch in Deutschland einen deutlichen Aufstieg. Offenbar trugen Kriegserfahrungen und Nachkriegswirren zur Steigerung des -

Zu diesen Selbstbildern siehe: La nuova lezione di Pola, in: II Fascio vom 2.10.1920. Oxoniensis, II ciclo della nazioni, in: II Fascio vom 16.4.1921. Dazu im einzelnen Reichardt, Faschistische Kampfbünde (wie Anm. 16), Kap. 5.1.6. Siehe Koselleck, Einleitung (wie Anm. 27), S. 10-13 (Zitat S. 13) und 16; Jeismann/Westheider, Wofür stirbt der Bürger? (wie Anm. 27), S. 25 und 28~48; Mosse, Gefallen für das Vaterland (wie Anm. 27), S. 131 f.; Ilaria Porciani, La festa della nazione. Rappresentazione dello Stato e spazi sociali nell'Itaha unita, Bologna 1997, S. 108—114; Oliver Janz, »Per un'Italia piu grande«. Zum Gefallenenkult im italienischen Bürgertum während des Ersten Weltkrieges, in: Volksreligiosität und Kriegserleben, hrsg. von Friedhelm Boll, Münster 1997, S. 137 —Í 56; Oliver Janz, Tod, Trauer und Vaterland: Zum Gefallenenkult in Italien während des Ersten Weltkriegs, Vortragsmanuskript vom 8.12.1999, S. 1 19, besonders S. 14 f. —

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Bedürfnisses nach reHgiöser Sinndeutung bei, die überindividueUe und koUektive Leitbüder und Verhaltensmuster in einer tiefgreifenden psychosozialen Krisensituation anbot. In ItaHen war nach den Massentötungen und Schockerfahrungen im Ersten Weltkrieg sowohl eine Wiederbelebung traditioneller ReHgiosität zu beobachten als auch ein Aufstieg neuer Formen säkularer »ReUgiosität«56. Die sogenannten reHgiösen Erneuerungsbewegungen, die »barfüßigen Propheten« (Ulrich Linse) der Weimarer RepubUk und die in zahllosen kleinen Sekten und Gruppen organisierten »Inflationsheüigen«, die über das Land ziehenden Wanderprediger sie aUe hatten in den ersten Jahren nach Kriegsende und dann nochmals mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 ihre Blütezeit erlebt. Diese »barfüßigen Propheten« waren von einer apokalyptischen Vision besessen und von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt. Die Kurve der Kirchenaustritte stieg zur gleichen Zeit deutlich an, also kurz nach dem Ersten Weltkrieg bis 1922 und dann wieder ab 1929, auch wenn der Anteil der Christen nicht unter die 95-Prozentmarke sank. Die »Inflationsheüigen«, die vorgaben, die Geschichte ihrer seit ewigen Zeiten vorgesehenen VoUendung zuzuführen, und die sich zu messianischen Führerfiguren stilisierten, fanden in der deutschen GeseUschaftskrise gleichwohl Anklang57. Die NationalsoziaUsten schlössen sich jedoch nicht nur dem aUgemeinen Anstieg reHgiöser Bedürfnisse nach dem Ersten Weltkrieg an und gaben damit vielen jungen Männern eine Antwort auf ihre Sinnfragen. Mit dem Bild einer ausschheßHch sakral vorgesteUten soldatischen Nation radikalisierten sie auch NationsvorsteUungen der Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts, in deren Nähe sie sich befanden, und steUten auf diese Weise innerhalb der beiden NachkriegsgeseUschaften in Deutschland und ItaHen einen Anschluß an die bürgeriichen Gruppen her. Zugleich versuchten sie aber auch, durch ihre Massenpräsenz die MonopolsteUung hinsichtlich der Zurschaustellung nationaler Symbole zu erlangen. Die an die Weltkriegssoldaten gemahnende Uniform, der paramüitärische Stil mit der Präsenz der Fahnen und Flaggen, die von jeher nationale wie kriegerische Symbole waren, die Übernahme einzelner nationaler Elemente wie des Adlers oder des Lorbeerkranzes beziehungsweise der Reichsfarben Schwarz-Rot-Weiß im Hakenkreuzbanner aU dies waren traditioneUe Symbole, die die Nähe zu den nationalen Gruppierungen versinnbildHchen soUten und (vor aUem durch die Massenpräsenz des Faschismus) zugleich dafür sorgten, daß die Faschisten den NationaHsmus zumindest symboHsch für sich monopoHsierten. Durch ihren Straßenkampf sowie die dazugehörigen Propagandaformen und -symbole konnten die Faschisten mit ihren Kampfbünden den Eindruck erwecken, daß die Front von neuem entstanden sei. Der Krieg war dadurch nicht nur eine heüige nationale Erinnerung, sondern wurde zu einem nach wie vor aktoeUen Ge—



Sergio Panunzio, La gravita deUa crisi attuale, in: Polémica vom August 1922. Vgl. zur Nachkriegszeit Gentile, Il culto del Httorio (wie Anm. 30), S. 32; Gentile, Fascism as PoUtical ReHgion (wie Anm. 51), S. 233. Behrenbeck, Kult (wie Anm. 25),

S. 149 —152; Kurt Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, PoHtik und GeseUschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1995, S. 230 f; Ulrich Linse, Barfüßige Propheten. Erlöser der Zwanzigerjahre, BerHn 1983.

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»Märtyrer« der Nation

Parteimitglieder wurden in der Propaganda mit den Kriegsund verschränkt, wobei eine radikale Lektion aus dem Weltkrieg parallelisiert entschiedene wurde: der Wille, die physische Gewalt und schließlich die gezogen des »antinationalen« Gegners. Der Krieg wurde so in die Nachkriegszeit Tötung hinein verlängert, wobei die »Blutzeugen der Bewegung« einerseits als Beweis für die Rechtmäßigkeit des Gefallenenkultes und andererseits als Beweis für das Avantgarde-Bewußtsein eingesetzt werden konnten, das durch mutige wie männliche Waghalsigkeit unterstrichen wurde. Die faschistischen Bewegungen in Deutschland und Italien präsentierten sich eindrucksvoll als Fortsetzung des Kampfes und Krieges, der dieses Mal zum Sieg der Nation (gegen die inneren Feinde) führen sollte. So erschienen sie als diejenigen, die das nationale Ziel am radikalsten, entschlossensten und bedingungslosesten verfochten, vor allem weil sie nicht nur den Krieg »in den Köpfen« weitertrugen, sondern auf den Straßen Kampfeinsätze bestritten und Todesopfer »für die nationale Sache« erbrachten. Aufgrund ihrer Größe konnten insbesondere der Stahlhelm, welcher der DNVP nahestand, und das sozialdemokratisch orientierte Reichsbanner (90 Prozent der Mitglieder waren Wähler oder Anhänger der SPD) mit der SA konkurrieren. Aber mit nationaler Rhetorik tat man sich im Reichsbanner vergleichsweise schwer man war sparsam im Ausdruck und wenig emphatisch. Daß man sich erst 1930/31 dazu entschloß, die stärker auf Kampf ausgerichteten Organisationen der »Eisernen Front« und die »Schutzformationen« aufzustellen, zeigt, wie schwer der Bezug auf militärische Organisationsformen fiel, da die legalistische wie pazifistische Strömung des Reichsbanners, die gegen jedwede »Soldatenspielerei« stand, stärker entwickelt war. In den relativ selten veranstalteten Totenfeiern zum Gedächtnis an die Weltkriegstoten meist zusammen mit dem »Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen« organisiert wurde an den Frieden appelliert. Ebenfalls erst in der Schlußphase der Weimarer Republik wechselte das Reichsbanner zu einer stärker nationalen Sprache eine Kurskorrektur, die von der politischen Rechten wahrscheinlich nicht zu unrecht mit Häme als Opportunismus bezeichnet wurde. Im nationalen Lager wurden die Reichsbannerleute als Deserteure und Etappenkrieger, kurz als »rote Feiglinge« abqualifiziert, man stritt ihnen jedwede Legitimation zur Deutung des »Frontgeistes« ab. Das Grundproblem lag darin, daß die Sehnsucht nach stärkerer nationaler Geschlossenheit mit dem internationalen und revolutionären Klassenkampfgedanken konkurrierte. Die Harmonisierung beider Seiten durch einen reformistischen Standpunkt blieb kompliziert und wirkte allzu unentschlossen. Die Vorstellung von einem auf Volkssouveränität fußenden »Volksstaat« sah man auch beim Reichsbanner mit der Weimaschehen. Die

toten

toten





-



rer Republik nicht verwirklicht. Daß die Sozialdemokratie vergleichsweise konkrete inhaltliche Vorstellungen, rationale Konzepte und soziale Ideen mit dem Begriff der Nation verband, markierte den wichtigsten Unterschied zu dem emotionalsakralen und auf heroischen Kampf und Haß ausgelegten Nationsverständnis bei den Nationalsozialisten. Statt Heldenmut, Opferbereitschaft und Frontkameradschaft im Schützengraben zu glorifizieren, wurde an die Schrecken des Frontein-

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Entbehrungen, das sinnlose Sterben und an den eminenten Unterschied zwischen dem Schicksal der Offiziere und der einfachen Soldaten im Ersten satzes, seine

Weltkrieg erinnert58.

Andererseits heroisierte auch das Reichsbanner seine im Straßenkampf gehauenen MitgHeder. So hieß es 1925 im Vorwärts über einen getöteten Reichsbannermann, er sei »auf dem Feld der Ehre gefallen [...] Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg [...] Der Mann fiel das Banner steht«. Auch hier begleiteten Massen die BegräbnisfeierUchkeiten. Die 40 000 Trauergäste für einen im selben Jahr getöteten Reichsbannermann aus Düsseldorf waren keine Ausnahme59. Diese Inszenierung der Beerdigungszeremonien als Massenveranstaltungen hatten sich die NationalsoziaHsten zu einem Gutteil hier abgeschaut, da sie von deren mobüisierendem Effekt begeistert waren. Wie bei den TrauerfeierHchkeiten der Arbeiterbewegung soUten die popuHstisch-partizipatorischen Elemente das Auftreten des Volkes als Subjekt der Geschichte versinnbüdHchen. Die Massen waren nicht nur JubelpubHkum, hier erlebte und mobüisierte die Masse sich selbst60. Wie die Sozialisten oder die Kommunisten setzten auch die NationalsoziaHsten auf die Karte der Massenmobüisierung, aber sie wandten sich, anders als die Linke, an die national-bürgerlichen Gruppierungen und verdeutlichten ihnen zugleich, daß sie es durchaus mit der Arbeiterbewegung aufnehmen konnten. Die ÄhnHchkeit der nationalsoziaHstischen Beerdigungen mit den bürgerlichen Trauerzeremonien war insoweit wichtiger, insofern durch den AppeU an die Nation und an die Opfer des Ersten Weltkriegs, durch das müitärische Ornament der faschistischen Massen und durch den Anklang an bürgeriiche Trauerriten eine Brücke errichtet wurde, die dem soziaHstischen Gegner versperrt war. Nicht nationaUstisch waren die kommunistischen Liebknecht-Luxemburg Demonstrationen. Denn die Andachtsriten zum Todestag der Parteigründer, diese bekenntnishaften Vergegenwärtigungen des BlutzoUs der »Märtyrer« der Bewegung, galten primär der Mobüisierung der Parteimitglieder und des Racheschwurs. Die sakralen und von messianischer Heilsgewißheit getragenen Zeremonien waren dem Faschismus hinsichtlich der Mischung aus Martyrium, GewaltappeU und Erlösung durchaus ähnHch, aber sie waren von vornherein internationaUstisch angelegt und galten nicht dem einfachen deutschen Soldaten, sondern der internatio—

58

Rohe, Reichsbanner (wie Anm. 10), S. 73, 114-125 und 245~258; Ziemann, RepubHkanische Kriegserinnerung (wie Anm. 12), S. 367-369, 371 —378 und 383~398; ders., Die Erinnerung an

den Ersten Weltkrieg in den MiHeukulturen der Weimarer RepubUk, in: Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des »modernen« Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film, hrsg. von Thomas F. Schneider, Bd 1, Osnabrück 1999, S. 249-270, hier: S. 249 f. und 254-256;

59 60

Erich Matthias, Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, in: Das Ende der Parteien 1933. DarsteUungen und Dokumente, hrsg. von Erich Matthias und Rudolf Morsey, unveränd. Nachdr. der Ausg. 1960, Düsseldorf 1984, S. 122; Hubert Renfro Knickerbocker, Deutschland so oder so?, BerHn 1932, S. 116. Vorwärts, Nr. 207 vom 3.5.1925. Siehe auch Vorwärts, Nr. 91 vom 23.2.1925. Mosse, NationaHsierung (wie Anm. 7), S. 190 ff.; Andreas Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? PoHtischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918—1933/39. BerHn und Paris im Vergleich, München 1998, S. 356—360; Welskopp, Banner der Brüderiichkeit (wie Anm. 1), S. 379 383; Ziemann, RepubHkanische Kriegserinnerung (wie Anm. 12), S. 387 389. —



197

»Märtyrer« der Nation

nalen Parteielite, den Vordenkern und »großen Führern« des insofern hierarchischer vorgestellten Kommunismus. Auch spielte die Ideologie bei den Kommunisten eine ungleich gewichtigere Rolle, denn individuelles Leid im »letzten Gefecht« des »Bürgerkrieges« wurde immer wieder gegen den Triumph der reinen Idee auf-

gerechnet61.

Nationalistisch zu sein versuchten die Kommunisten auf ihre Weise jedoch auch. Allerdings waren diese schrill nationalbolschewistischen und antifranzösischen Töne im Juni des Jahres 1923 mit Karl Radeks Lobesrede auf den Freikorpsführer Albert Leo Schlageter eher eine gescheiterte Episode als eine ernsthafte und die Massenbasis durchdringende Ideologie. Radek versuchte, indem er Schlageter zu einem »mutigen Soldaten« stilisierte, der »ehrlich dem deutschen Volke dienen« wollte, die nationalistischen Massen von ihren Führern zu trennen und die nationalrevolutionäre in eine Sozialrevolutionäre Bewegung zu verwandeln, die sich aus »Soldaten der Revolution« zusammensetzte62. Auch später vor allem in der Zeit der Weltwirtschaftskrise versuchten die Kommunisten immer wieder dadurch, daß sie über den Byzantinismus und die Korruption der nationalsozialistischen Führerriege, das »geheuchelte« Engagement der SA-Führer für die Interessen der Arbeiterschaft und den »PseudoSozialismus« in der NSDAP herzogen, die proletarischen SA-Leute an der Basis auf die Seite der Kommunisten zu ziehen. In solche Aufgaben wurden erhebliche Energien investiert. Was ein kommunistischer Versammlungsleiter aus Berlin vor der Polizei aussagte, war durchaus symptomatisch, sah er doch die »Hauptaufgabe« des RFB darin, »möglichst viele Mitglieder der SA durch entsprechend geschickte Diskussion für die Partei und ihre Nebenorganisation zu gewinnen«63. Aber diese kommunistischen Versuche waren mit minimalen Überläuferquoten erfolglos64. Auf ähnlicher Linie also dem Versuch der Gewinnung der Mittelschichten durch eine Kombination und Verzahnung von klassenkämpferisch-sozialen mit nationalen Argumentationsfiguren lag das »Programm zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes« von 1930 und die auf die Parole der Volksrevolution abhebende »Scheringer-Strategie« -

-

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Weitz, Creating German Communism, 1890—1990. From Popular Protests to Socialist State, Princeton, N.J., Chichester 1997, S. 178—185; Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996,

61

Eric D.

62

Anm. 60), S. 531, Anm. 16. Mit anderem Urteil: Conan Fischer, The German Communists and the Rise of Nazism, Basingstoke, London 1991, S. 54 ff.; ders., Class Enemies or Class Brothers? Communist-Nazi Relations in Germany 1929 1933, in: European History Quarterly, 15 (1985), S. 259~279; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd 1 (wie Anm. 1), S. 436 f.; ders., Weimar 1918 1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, S. 190 ff.; ders., Revolution, Staat, Faschismus. Zur Revision des Historischen Materialismus, Göttingen 1978. Landesarchiv Berlin (LAB), A Rep. 358, Nr. 2610, 1. Bd, fol. 56 (Aussage vom 16.10.1932). Vgl. weiterhin: Welt am Abend vom 26.10.1931 bis 13.11.1931, jeweils 1. Seite der 1. Beilage; AIZ vom 13.11.1932; GStAPK, I. HA, Rep. 219, Nr. 20, fol. 1-352; Christian Striefler, Kampf um die Macht. Kommunisten und Nationalsozialisten am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt a.M., Berlin 1993, S. 70 f., 119 f. und 173-175. Reichardt, Faschistische Kampfbünde (wie Anm. 16), Kap. 4.5.5.

S. 224-230.

Wirsching, Weltkrieg (wie





63

64

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März 1931. Aber die Wirkung dieser Versuche bHeb letztlich doch weit hinter dem Erfolg der dominanten Klassenrhetorik zurück65. Der Stahlhelm hingegen tat sich mit der nationaUstischen Rhetorik nicht sonderiich schwer, vielmehr bildete der NationaHsmus den Kernpunkt seiner Weltsicht. Die Unterschiede zum Nationsverständnis der SA waren mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar. Uniform, Fahne wie Vereidigung hatten vergleichbare Bedeutungen. NationalsoziaHsmus und nationale Rechte waren sich auch deshalb zum Verwechseln ähnHch, weil im Stahlhelm die »Heüigkeit« der Nation, die Verwendung sakraler wie kriegerischer Metaphern, Aktivismus und Antiparlamentarismus, der Anklang an das Vorbild des Weltkriegssoldaten, AntimateriaHsmus und Antimarxismus ebenso vorhanden waren wie in der SA. Von den weitgehenden Gemeinsamkeiten her erklären sich wohl auch die hohen Übertrittsraten vor allem vom Jungstahlhelm zur SA insbesondere seit 1930/31. DoppelmitgHedschaften waren der SA zwar seit dem Februar 1927 per Verbot untersagt, dürften aber dennoch vorgekommen sein. Die NationalsoziaHsten übernahmen im wesentlichen die gleichen inneren Feinde, die schon die Vorkriegsrechte in der eigenen Nation ausgemacht hatte. Das gesamte Arsenal der Antihaltungen, vom AntisoziaHsmus über die antidemokratische Ausrichtung bis hin zur vitaHstisch-ästhetisierten Antibürgeriichkeit sowie dem Antisemitismus wurde von den NationalsoziaHsten über-

vom

nommen.

Aber diese

Antihaltung stand nun nicht mehr neben oder gar hinter den außenpoHtischen Forderungen, sondern vor ihnen. Die vermeintlichen inneren Probleme wurde bei den NationalsoziaHsten nicht mehr primär als Folgeerscheinung außenpoHtischer Schwäche bewertet, sondern umgekehrt: die innenpoHtische Uneinheitlichkeit wurde als Ursache außenpoHtischer Machtlosigkeit betrachtet. Im nationalsozialistischen NationaHsmus kam der inneren Nationsfestigung der Pri-

zu, sie stand im Zentrum. Der nationale Feind stand dadurch dem SA-Mann in Gestalt des SoziaHsten oder des egoistischen Bourgeois tagtägHch vor Augen der nationale Haß konnte so stärker in seine Lebenswelt integriert werden. Zudem wurde das Verhalten gegenüber den inneren Nationsfeinden nochmals deutlich radikaUsiert in der Rhetorik, im biologistisch »objektivierten« Rassismus, vor aUem aber in der poHtischen Praxis66. Das mit dem NationaHsmus eine sozial gespaltene GeseUschaft überdeckt werden soüte, war weniger neu als das Erkennen der innenpoHtischen Verwendbarkeit und das gewaltsame Umsetzen des NationaHsmus als einer Waffe gegen die »marxistische« Linke. Diese handlungsrelevanten mat





Weitz, Creating German Communism (wie Anm. 61), S. 248 f.; Mommsen, NationaHsmus (wie Anm. 6), S. 92; Fischer, The German Communists (wie Anm. 62), S. 112—117; Tim Brown, >Not Hitler, nor Stennes, Scheringer shows you the wayDeutschen Doppelrevolution< bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849 1914, München 1995, S. 461—491, 938-965 und 1067-1081. —

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»Heiland« entsprach. Daher hielt sich der Ruf nach einem »neuen Bismarck« oder einem »Messias« durch die ganze Weimarer Republik hindurch. Die Sehnsucht nach einem plebiszitär gestützten charismatischen Führertum war keineswegs nur Gemeingut der Rechten. Diese drei Elemente wirkten alle auch nach 1918 machtvoll weiter fort. Der Nationalismus fungierte überdies auch wieder als Entwicklungsideologie, welche die »relative Rückständigkeit« des besiegten, entmilitarisierten, ökonomisch geschwächten Reiches nach 1918 bekämpfen und überwinden sollte. Die traditionellen Feindbilder wurden überscharf ausgebildet. Nationale Kohäsion wurde der uralte Topos durch die Anti-Haltung der »Ingroup« gegen die »Outgroup« gesteigert, oft durch den schier unbändigen Haß des Unterlegenen, am meisten auf Polen und Frankreich, aber auch auf England. Der »neue Nationalismus« gewann jedoch an erster Stelle seine Dynamik aus neuen Zuschreibungen, aus dem Entwurf einer neuen »gedachten Ordnung«, aus der Umdefinition der Nation und des Volkes in eine rassisch fundierte »Volksgemeinschaft«, aus der Allianz mit anderen Loyalitätsbindungen. Das zeigt erneut seine anhaltende Offenheit. Der Auslöser für den »neuen Nationalismus« war, noch einmal, das Syndrom von Krieg, Niederlage, Revolution, Versailles usw. Zunächst muß man auf der Nützlichkeit der funktionalistischen Denkfigur von »Challenge« und »Response«, der Reaktion auf die große Krise, weiterhin beharren. Die Desintegration, Kränkung, Demütigung wurden als so dominant empfunden, daß manche überkommenen Langzeitelemente des Nationalismus unzureichend wirkten. Das ist ablesbar am allgegenwärtigen Topos der »Umbruchzeit«, der »Zeitenwende«. Angeblich wurde Europas Weg seit der Reformation und der Aufklärung grundlegend revidiert. Eine neue Welt, hieß es, ziehe herauf. Daher stammte die Exaltiertheit der Diskussion, die erneut die »welthistorische« Rolle der Deutschen beschwor. Sie sollten nicht nur dem Abgrund entrinnen, sondern sich sogar an die Spitze der —

-

Menschheitsentwicklung setzen.

Deshalb konnte Gottfried Benn im Frühjahr 1933 über das »Dritte Reich« sagen, es gehe »um eine neue Vision von der Geburt des Menschen, vielleicht die letzte großartige Konzeption der weißen Rasse überhaupt«, die glücklicherweise Hitler mit seiner Bewegung realisieren werde14. Hitler hat diese Endzeiterwartungen in das große Armageddon, in den letzten Kampf gegen die Juden, gelenkt. Deutschland müsse, forderte er, die Welt von »Juda« befreien und anschließend zum »Herrn der Erde« aufsteigen. Einige Veränderungen hin zum »neuen Nationalismus« lassen sich auch an drei idealtypisch definierten Schlüsselbegriffen verfolgen. Die Volksnation wurde jetzt völkisch, rassistisch umgedeutet, viel intensiver als daß die Alldeutschen und die sozialdarwinistischen Rasseapostel vor 1914 getan hatten. Die emphatische Aufwertung von Volk und Volkstum nach dem Zerfall des Staates in Deutschland und Österreich-Ungarn bot nur »das Volk« eine Kontinuitätsgewähr, bekanntlich auch für die neue »Volksgeschichte« lenkte erneut auf das »Großdeutschland« aller Deutschsprechenden hin. Das »Volkstum« war nicht —



Benn zitiert nach

Mommsen, Nationalismus (wie Anm. 12), S. 93.

Radikalnationalismus und Nationalsozialismus

211

vornherein notwendig rassistisch, eher sozialromantisch konzipiert, wurde dann aber, vor allem vom Nationalsozialismus und seinen Vorläufern, als rassisch fundierte Volksgemeinschaft umdefiniert. Sie bildete die arische, alle Juden und Fremdvölkischen, Linken und »Erbkranken« ausschließende, also auf mörderischen Exklusionsprinzipien beruhende »neue«, »junge Nation« als Handlungseinheit. Die Utopie der Volksgemeinschaft strahlte auch in die traditionellen, zum Teil NS-resistenten Milieus aus, da die Faszination einer totalitären Bindung und Überwindung der antagonistischen Klassengesellschaft von ihr ausging. Die Kulturnation war durch den Kampf der »deutschen Kultur« gegen die »westliche Zivilisation« seit den »Ideen von 1914« immens aufgewertet worden. Der anhaltende Rekurs auf diesen restringierten Kulturbegriff bot eine Kompensation für die unverständliche Niederlage durch die Berufung auf ein unverändert überlegenes kulturelles Erbe. Die Staatsnation war seit 1871, dann durch den Weltkrieg ebenfalls aufgewertet worden. Der Wunsch nach einer möglichst radikalen Revision der Kriegsergebnisse machte die Wiedergeburt des nationalen Machtstaats zu einer unabdingbaren von

Voraussetzung.

Der »alte«, wenn man so will, der eher konservative Nationalismus blieb nach 1918 fixiert auf die Rückkehr zum Status quo des Bismarckreichs. Diese Nostalgie reichte von der DNVP bis hin zur SPD. Aber: Der »neue Nationalismus« der neuen Rechten, vor allem dann des völkischen und nationalsozialistischen Rechtsradikalismus setzte diese Rückkehr zwar als Nahziel voraus; auch er blieb antiliberal und antidemokratisch, antiparlamentarisch und antisozialistisch, da der marxistische Internationalismus die Überlegenheit der Nation negierte. Doch ging er über diese ältere Spielart weit hinaus. Er tat das dank seiner dezidierten Massenorientierung. Im Prinzip war sie seit jeher im Nationalismus angelegt, oft gerieten aber primär die bürgerlichen Klassen in sein Visier. Jetzt wurde der Anspruch auf totale Erfassung buchstäblich aller »Volksgenossen« zur leitenden Idee. Der »neue Nationalismus« war mit der Rückkehr zum Status quo des Kaiserreichs nicht zufrieden, er wollte eine neue Gesellschafts- und Staatsordnung in einem rassereinen »germanischen Reich deutscher Nation«, wie es Hitler auf dem Reichsparteitag von 1936 forderte. Diese Ordnung konnte nicht durch die Rückkehr zu einem nostalgisch verklärten Kaiserreich erreicht, sondern mußte durch eine »permanente Revolution« herbeigeführt werden. Umbruchzeiten sind die Stunde des Mythos. Neben den Mythos der »nationalen Regeneration« traten alte und neue Mythen, zum Beispiel des Reichs, Großdeutschlands, der Frontgemeinschaft, der Volksgemeinschaft, der arischen Rasse. Diese Mythen pflanzten Banner integrierender Ziele auf. Damit verstärkten sie die Züge des »neuen Nationalismus« als einer »politischen Reügion«. Auf dieser Linie äußerten sich einige einflußreiche Wortführer des »neuen Nationalismus« immer wieder, zum Beispiel Hans Zehrer, der vom »Mythos der Nation« sprach; Carl Schmitt, der den »stärksten Mythos« eindeutig »im Nationalen« sah, und Mussolinis Wort »Unser Mythos ist die Nation« zustimmte. Ernst Jünger billigte der Nation den »höchsten metaphysischen Rang« zu, der »alle anderen

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Werte

bestimmt«; sein Bruder Friedrich Georg glaubte, daß die Nation den »Weg

lebendigen Gott« eröffne. Hans Franke, ein früher Nationalsozialist, erhob »den Nationalismus zur Religion des Diesseits«15. Die rechte Intelligenz teilte Denkfiguren des »neuen Nationalismus« und bereitete dem radikalen Nationalismus des Nationalsozialismus den Weg. Bei beiden Varianten des extremen Nationalismus verlangte der Mythos auch die Bereitschaft zum heroischen Opfertod und Glauben an die reinigende Kraft der Zerstörung. Vom Mythos und anderen neuen Zuschreibungen war der Weg zur »politischen Religion« kürzer denn je zuvor. Der Radikalnationalismus des Nationalsozialismus gewann die Leidenschaft eines solchen Religionsersatzes, und es waren, noch einmal, ganz wesentlich diese nationalen Glaubensinhalte, welche die HitlerBewegung empor trugen, das Regime stabilisierten und die Kohäsion im totalen zum

Krieg gewährleisteten. Als politische Religion versprach der »neue Nationalismus« analog zu den großen Erlösungsreligionen: Kontingenzbewältigung, Sinnstiftung und Weltdeutung durch ein umfassendes Weltbild mit eigenen Normen und Verhaltensimperativen. Er beharrte auf seinem Deutungsmonopol im Verhältnis zur Konkurrenz. Er wollte durch die nationale Vergemeinschaftung mit scharfer Exklusion und privilegierender Inklusion einen überlegenen Solidarverband schaffen. Mit seinen Ritualen unterstützte er die Modellierung der Denk- und Verhaltensmuster. Die Liturgie der Reichsparteitage und Hitler-Auftritte folgte unverhüllt religiösen Vorbildern. Er kompensierte irdische Nachteile durch individuelle und kollektive Erlösungserlebnisse, auch durch die Utopie des paradiesischen Endzustandes, der »vollendeten«, der homogenen, der schließlich rassereinen Nation. Er überbrückte

die Generationenkluft durch einen unerschütterlichen Generationenvertrag, der die Toten mit den Lebenden verband. Er bezog sich auf eine Transzendenz, die einen verpflichtenden Sinn jenseits des Lebens glaubwürdig machte. Zum Höhepunkt wurde der Opfertod für die Nation. Diese Fähigkeit des Nationalismus, sich zum Radikalnationalismus und zur »politischen Religion« zu steigern, scheint wichtiger gewesen zu sein als andere, oft beschworene Kausalfaktoren der Extremisierung, zum Beispiel der ominöse sozialökonomische Einbruch des »Mittelstandes« und die nationalistische Kompensation seines Statusverlustes. Erst recht gilt das für die Manipulation durch die Rechte für innenpolitische Zwecke: Die nationale Einheitsfront habe so die Argumentation mit ihrem Nationalismus in erster Linie die Sozialdemokratie als Schuldigen der Niederlage und Revolution stigmatisiert. Man muß das Gewicht solcher Faktoren abwägen. Entscheidend aber ist das inhärente Steigerungspotential im ideellen System des Nationalismus, der in einer extremen Krisensituation einer extremen Radikalisierung fähig blieb und religiöse Leidenschaften freisetzen konnte. Eine zentrale Aufgabe bleibt daher die Erklärung dieses Extremisierungspotentials. Darauf richten sich auch die aus der neueren Nationalismusforschung herrührenden methodischen und substantiellen Einwände oder zumindest doch die Er-



Zitiert nach

Breuer, Der Neue Nationalismus (wie Anm. 12), S.

258.

Radikalnationalismus und Nationalsozialismus

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gänzungsvorschläge, denen zufolge der Aufstieg oder die Wiederbelebung, die Langlebigkeit und die Radikalisierung des Nationalismus aus der Fusion oder Alli-

mit anderen Identitäten stammen könnten. Diese Überlegungen könnten vielleicht einen hohen Grenznutzen für die präzisere Erfassung des Nationalismus ergeben, nachdem sich die älteren Erklärungsvermutungen weithin erschöpft haben. Ich nenne nur fünf von solchen externen Impulszentren. Die Geschlechtergeschichte: Der Topos vom »soldatischen«, vom »männlichen« Nationalismus nach 1918 ist bekannt. Er hängt aufs engste mit den Kriegserfahrungen zusammen, auch mit der folgenden Bürgerkriegssituation bis 1923. Männliche Kriegserfahrungen erklären vielleicht zum Teil die Radikalisierung der Überlebenden, zum Teil aber auch die »Ohne-mich«-Haltung in der USPD, KPD und SPD. Strittiger wird dieser Erklärungsversuch schon bei jener Hälfte der NSWähler von 1930 bis 1933, die bekanntlich nicht mehr im Krieg waren, vor allem also bei jungen Männern, die oft durch ihren am Krieg orientierten Nachholbedarf zur Gewalt oder zumindest zur politischen Unterstützung des Nationalsozialismus wurden. Probleme wirft diese Interpretation auch im Hinblick auf die getrieben Frauen auf, die einen gleich hohen Anteil wie die Männer an der Wählerschaft der Rechtsparteien und der NSDAP stellten. Das bekannte Verdikt, daß die deutschen Mütter lauter kleine Nazis herangezogen hätten, bedarf endlich einer vorurteilsfreien empirischen Überprüfung des Einflusses, den die Mütter tatsächlich auf die politische Sozialisation ihrer Kinder hatten16. Immerhin votierten bei den Reichstagswahlen bis zuletzt fast 60 Prozent der Wähler gegen den Nationalsozialismus, und die HJ konnte 1933 nicht mehr als 100 000 Jungen mobilisieren. Die Körpergeschichte: Dieselbe Ambivalenz begegnet einem in der Körpergeschichte, wenn man Pierre Bourdieus und Michel Foucaults »Einverleibung« oder »Einkörperung« von Habitusdispositionen ernst nimmt17. Es gibt noch keine exakte Untersuchung zur Auswirkung der Körpererfahrungen der 13 Millionen deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg, auch nicht der sechs Millionen Verwundeten und der Abermillionen von Frauen an der »Heimatfront«. Der trügerische »Common Sense« sagt, daß die Reaktion eigentlich hätte sein müssen: Nie wieder Verletzung, Vergiftung, Schützengrabenleben. Aber kann bei den Überlebenden nicht doch nach einer gewissen Zeit eine nostalgische Arroganz, eine Verklärung der Materialschlachten eingesetzt haben, die auch der Radikalisierung des Nationalismus zugute kam? Die Konfessionsgeschichte: Der deutsche Protestantismus war nach 1918 zutiefst verstört. Eine Niederlage beendete den »Heiligen Krieg«, die Kriegstheologie brach zusammen, und ein unerhörtes Ereignis folgte, denn nach 400 Jahren floh überall der Summepiscopus. Der Protestantismus hatte im 19. Jahrhundert, besonders im Kaiserreich, ohnehin in engster Verbindung mit dem Nationalismus anz

6

Gegen Claudia Koonz, Mothers in the Fatherland. Women, the Family and Nazi Politics, New York 1986, deutsch u.d.T.: Mütter im Vaterland, Freiburg i.Br. 1991. Vgl. die vorzügliche Kritik von Gisela Bock, in: Geschichte und Gesellschaft, 15 (1989), S. 563-579. Vgl. als gelungene körpergeschichtliche Untersuchung, die Bourdieus Habitusbegriff zugrunde legt, Svenja Goltermann, Körper der Nation. Habitusformierung und die Politik des Turnens 1860-1890, Göttingen 1998.

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Hans-Ulrich Wehler

gestanden, das galt erst recht für den im Bürgertum eminent einflußreichen Kulturprotestantismus. Wegen dieses Nexus gab es nach 1918 kaum Selbstkritik an der Kriegstheologie, keine Verwerfung der exorbitanten Kriegszielpolitik, vielmehr

herrschte eine tiefreichende Unterstützung des Radikalnationalismus vor, die in der Bewegung der »Deutschen Christen« kulminierte18. Gab es außer der äußeren Krisenkonstellation nach 1918 eine innerkonfessionelle Entwicklung, die auch den Nationalismus förderte? Oder reagierten Sprecher des Protestantismus wie Paul Althaus, Emmanuel Hirsch, Friedrich Gogarten nur als gekränkte Nationalisten, zumal der konventionelle konfessionelle Antisemitismus durch den völkischen Antisemitismus immer mehr aufgeladen wurde? Der historische Regionalismus: Überall wirkte sich der Schock der Niederlage, die Flucht der deutschen Fürsten, die Revolution aus. Besonders haßerfüllt fiel die Reaktion in Bayern aus. Nach 800 Jahren Wittelsbacher-Herrschaft folgten der Absturz in den »roten Terror« der zweiten Räterepublik und der noch blutigere »weiße« Gegenschlag. Dazu schäumte die katholische Abneigung gegen das protestantische Preußen als Kriegstreiber über. Das Selbstverständnis als »Ordnungszelle Bayern« panzerte sich gegen Republik und Demokratie. Daraus ging ein spezifisch bayerischer Rechtsradikalismus hervor, der auch zum Radikalnationalismus beigetragen haben könnte19. In Preußen vibrierten dieselben Schockwellen nach der Flucht der Hohenzollern und des Summepiscopus. Der Verlust der Hegemonialstellung seit 1871 schmerzte. Die hochspezifischen Militärtraditionen wurden in Frage gestellt. Die Folge war eine bittere Reaktion auf Niederlage und Revolution. Andererseits gab es zwölf Jahre lang bis 1932 eine erfolgreiche, auf Mehrheiten gestützte republikanische Regierung! Offensichtlich lohnt sich die Analyse des Problems, ob das verletzte einzelstaatliche oder regionale Bewußtsein den Nationalismus transformiert hat und wie dieser Vorgang im einzelnen ablief. Wissenschaftliche Diskurse: Wie veränderte sich die dem Anspruch nach wissenschaftliche Interpretation der Nation durch sozialdarwinistische und völkische Ideen? Bis 1914 hatte Deutschland den sozialdarwinistischen Nationalisten als Beweis für das »Überleben des Stärksten« gegolten. Auch demographisch war das Reich die jüngste Großmacht in Europa. Die Dynamik einer »jungen Nation« mit einem zukunftsfähigen Volkskern garantierte den anhaltenden Aufstieg. Diesen Optimismus unterbrach die Zäsur seit 1918. Zwei Millionen Tote, sechs Millionen sie Verwundete, der scharfe Rückgang des demographischen Wachstums schwächten die »völkische Kraft«. Die Angstvorstellung vom »Volkstod« drang vor. Ihm wurde entgegengesetzt: bewußte »Aufzucht«, »Ausmerze«, Euthanasie. Die Eugenik galt von rechts bis links als akzeptable Verteidigungsstrategie20. -

Vgl. die pointierte Kritik von Michael Trauthig, Im Kampf um Glauben und Kirche. Eine Studie über Gewaltakzeptanz und Krisenmentalität der württembergischen Protestanten zwischen 1918 und 1933, Leinfelden-Echterdingen 1999. Vgl. Martin H. Geyer, Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne, München 1914-1924, Götungen 1998. Dazu jetzt Christian Geulen, Sozialdarwinismus und Naturalisierung der Nation. Deutschland und Amerika im Vergleich, Diss. Bielefeld 2002.

Radikalnationalismus und Nationalsozialismus

215

Auch aus diesen Expertendiskursen kam der Ruf nach der starken Nation, nach dem homogenen, leistungsfähigen Volk, das dann erneut eine kraftvolle Machtpolitik führen könnte. Hier gab es einen gleitenden Übergang zum völkischen, rassistisch aufgeladenen Nationalismus, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen war. Wie diffundierten diese Expertendiskurse? Auch sie können die Radikalisierung des Nationalismus plausibler machen, zumal ein unmittelbarer Anschluß an Denktraditionen des neuen Rechtsradikalismus, der »völkischen Bewegung«, des Nationalsozialismus möglich war. Von ihnen allen wurde das Postulat der »völkischen Neuordnung« verfochten, welche der Nation zu neuer Kraft verhelfen sollte. Bei der Abwägung solcher Einflüsse ist man wohlberaten, immer mit dem Syndrom von Krieg, Niederlage, Revolution, Kriegs folgen usw. als kausalen Stimulanzien der Veränderung zu operieren, insbesondere um den Wandel in den Leitvorstellungen und in der Qualität des Nationalismus zu erklären. Die Forschungslage scheint noch weithin offen zu sein. Die Durchsetzungskraft anderer Loyalitätsbindungen und externer Diskurse wirkt zwar oft plausibel, doch ein exakter Nachweis fehlt bisher. Die methodische Gefahr, wenn man von solchen externen Impulszentren ausgeht, besteht darin, daß man ein Aktionsschema privilegiert. Zu fragen ist aber immer: Wer reagierte auf was? Reagierten die Geschlechter, die regionalen Identitäten, die wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Diskurse nicht auch auf die Verletzung jener kollektiven mentalen Dispositionen, jener Elemente des politischen Habitus, die wir Nationalismus nennen? Überschätzt man die quasi autonomen Einflüsse externer Einflußzentren, unterschätzt man dann nicht allzu leicht den Nationalismus als längst ein tief verankertes, psychomotorisch wirksames »Weltbild«? Zurück zu den drei vorn skizzierten Problemen, welche die nationalsozialistische Bewegung und das »Dritte Reich« unmittelbar betreffen. Die Parteiideologie war eine bunte Mischung, im Kern jedoch das Glaubenssystem einer nationalistischen Massenbewegung, welche die Revision von Versailles, den starken nationalen Machtstaat und zugleich in ihm wieder soziale Sicherheit wollte. Der Antisemitismus besaß für die Führungskader und vor allem für Hitler selber fraglos die Eigenschaften eines religiösen Glaubens. Für die Mehrheit der Parteigenossen und Wähler scheint aber die von allen »Schädlingen« bereinigte starke Nation im Mittelpunkt gestanden zu haben. Der Nationalsozialismus wurde zur »autoritären Volkspartei«, zu einer Omnibus-Bewegung zum guten Teil deshalb, weil seine nationalistischen und antimarxistischen Ziele im Vordergrund standen, mithin trotz, nicht wegen seines Antisemitismus. Die Massenakklamationen von 1930 bis 1938: Selbstverständlich beruhte der Erfolg der Hitler-Bewegung auf ihrer gnadenlosen Kritik an der Republik, ihrem zu gemäßigten Revisionismus, ihrer Wirtschaftspolitik; auf der Dynamik und dem Elan einer »jungen Bewegung«; auf der enormen Wirkung des »Führermythos« usw. Er beruhte aber auch auf der Faszination, die vom Ideal der starken Nation mit wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Sicherheit ausging. Er beruhte auf

216

Hans-Ulrich Wehler

dem Ziel des nationalen Machtstaates, der den außenpolitischen Revisionismus endlich effektiv zu radikalisieren wagte daher stammte die Zustimmung der Konservativen. Er beruhte auf dem Fernziel eines Großdeutschland mit einem gewaltigen »Lebensraum« im Osten. Er beruhte auf der Steigerung des kollektiven Selbstwert- und des nationalen Identitätsgefühls durch nationale Macht und Größe. Insofern ist Otto Danns These, 1933 sei vielleicht die »letzte große nationale Bewegung im bürgerlichen Deutschland« gewesen, sozial zwar viel zu eingeschränkt, aber der Tendenz nach nicht falsch. Die plebiszitäre Akklamation hielt erst recht an nach dem Einmarsch ins Rheinland, nach der Wiederaufrüstung, dank der Olympischen Spiele von 1936, nach der Sudetenkrise von 1937/38. Sie erreichte ihren ersten Gipfel durch den »Anschluß« Österreichs. Selbst resistente Milieus wie etwa das des politischen Katholizismus im ehemals österreichischen Breisgau wurden vom Jubel erfaßt. Auch in den vertraulichen SOPADE-Berichten an den Exil-Vorstand der SPD hieß es damals immer wieder resigniert: Selbst alte Genossen hielten jetzt Widerstand für zwecklos, Hitler sei ein zweiter Bismarck, ja größer noch als der erste -

Reichsgründer.

Ihren zweiten Gipfel erreichte die plebiszitäre Akklamation im Frühjahr 1940 nach dem Frankreich-»Feldzug«, der in sechs Wochen erreichte, wozu im Ersten Weltkrieg vier Jahre nicht ausgereicht hatten. Für all diese Krisensituationen gilt: Diese leidenschaftliche Zustimmung beruhte auf Erfolgen, die den deutschen Nationalismus befriedigten. Deutschland stand wieder als starker Nationalstaat da. Man kann die Vermutung riskieren, daß Hitler bei freien Wahlen unter Aufsicht des Völkerbundes im Winter 1938 oder im Sommer 1940 rund 90 Prozent der Wähler für sich gewonnen hätte. Die Loyalität im Krieg ist erst recht kein Erfolg der Parteidoktrin, sondern der »Nation in Waffen« gewesen. Das »Großgermanische Reich deutscher Nation«, wie es im Krieg hieß, war der expandierende imperialistische Nationalstaat, wie ihn Ernst Jünger mit vielen anderen gefordert hatte. In der Dauerkrise seit 1942 kämpfte die erdrückende Mehrheit von 18 Millionen deutschen Soldaten ums Überleben, auch für die Verteidigung der »Heimat« oft wohlwissend, was die Rache für eigene Untaten bedeuten könnte —, auch immer noch eher für die Nation und ihren Staat als für die NS-Lehre. Man sollte die verblüffend lang anhaltende Loyalität von 1942 bis zum Frühjahr 1945 ziemlich pragmatisch mit diesem Überlebenswülen, mit der Wirkung von »Sekundärtugenden« wie dem Gehorsam, der Angst vor den Sanktionen und vor der Regelverletzung und mit einer diffusen Bereitschaft zur Heimatverteidigung erklären. Wenn aber rechtfertigende allgemeinere Wertvorstellungen, Habitusformierungen ins Spiel kamen, sind es wohl eher solche von der Größe der Nation, von der Verteidigung oder Rettung der Nation oder auch der Heimat gewesen als genuin nationalsozialistische Zielvorstellungen. Kurzum, die These lautet: Der Aufstieg des Nationalsozialismus, seine Massenmobilisierung, die plebiszitäre Akklamation, die Loyalität im totalen Krieg lassen sich überzeugender erklären, wenn man von einer nationalistischen Massen—

Überzeugungen,

Radikalnationalismus und Nationalsozialismus

217

bewegung, einem zur »politischen Religion« gesteigerten Nationalismus und seiner Integrationsfähigkeit anstatt primär vom Nationalsozialismus oder von Hitlers Idiosynkrasien ausgeht. Lohnend wirkt heutzutage vor allem die Klärung der Fragen, wie ehe Geschlechterrollen, die Körpererfahrungen, die Konfessionsentwicklung, die Regionalloyalitäten, die intellektuellen Diskurse dem Nationalismus und auch dem Nationalsozialismus zugearbeitet haben. Abgesehen davon bleiben eher vertraute Probleme weiter zu klären. Der Nationalsozialismus initiierte ja in der Tat eine

wollte erstens die Machtstruktur und die Sozialhierarchie der deutschen Gesellschaft von Grund auf umstülpen, um eine neue, rassistisch fundierte Stratifikationsordnung auf der Basis unterworfener »minderwertiger Rassen« errichten zu können. Und er wollte zweitens Europas politische Ordnung umstürzen und nach der Erringung der Hegemonie von der Grundlage eines riesigen, bis zum Ural reichenden, mit dem Leben von 32 Millionen »Slawen« erkauften Kontinentalimperiums aus in den Kampf um die Weltherrschaft eintreten. Wie Hitler im Januar 1938 bereits vor höheren Offizieren erklärte: »Diesem größten Rassekern [84-110 Millionen Deutsche] wird und muß einmal die Welt

»permanente Revolution«, denn

er

gehören«21.

Diese Ziele hätten weder dem bis dahin bekannten Imperialismus noch dem Staatenantagonismus widersprochen, im Gegenteil. Aber die rassistische Grundordnung hätte den Nationalismus von innen her im Sinne der arischen Auserwähltheitslehre verändert. Kann man diese Entwicklung noch innerhalb der Parameter eines radikalisierten Nationalismus verstehen? Soll man das überhaupt versuchen? Andrerseits: Wenn seine Elastizität und Plastizität, seine Aufnahmefähigkeit für derartige Zuschreibungen so chamäleonartig veranschlagt werden, wie das die neuere Forschung dringend nahe legt, wären nicht auch die neue Rassengesellschaft und das ständig kriegführende »arische Großreich« als Extremformen noch mit dem Nationalismuskonzept kompatibel? Können, dürfen, wollen wir den Nationalismus aber so weit verstehen? Oder brauchen wir für ein politisches und soziales System, das auf die biologische Umformung der historischen Existenz zielte, andere, neue Begriffe, deren Trennschärfe der Neuartigkeit des Phänomens eher gerecht zu werden versprechen? Die methodischen, wissenschaftspolitischen und politischen Implikationen solcher Entscheidungen hegen ziemlich klar auf der Hand. Die Entscheidung für die Vorrangigkeit des Rassismus und damit für die Singularität des Nationalsozialismus verlangt spezifische Urteils- und Interpretationskategorien. Der erweiterte Nationalismusbegriff aber ermöglicht mehr: Er fördert, ja verlangt den Vergleich, und er hält die Nationalismuskritik wach. Denn der nationalsozialistische Rassismus ist die Asche von gestern. Doch der Nationalismus kann immer noch durch neue verhängnisvolle Zuschreibungen bis hin zu seiner Gefahrengrenze neu aufgeladen werden. vertrauten

Zitiert nach Jost Dülffer, Hider, Nation und Anm. 12), S. 96-116, hier: S. 102.

Volksgemeinschaft,

in: Die Deutsche Nation

(wie

Jörg Echternkamp

»Verwirrung im Vaterländischen«? Nationalismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft 1945-1960

Als sich der Nationalismus 1944/45 gegen die deutsche Nation richtete, schien er endgültig ad absurdum geführt. Wo ein Kind im Volkssturm verheizt, die eigene Stadt bombardiert und schließlich das Ende des deutschen Nationalstaats besiegelt wurde, war schmerzlich spürbar, wie das zerstörerische Potential der nationalistischen Vorstellung bei Kriegsende auf die Deutschen in ihrem Namen zurückschlug. Über 55 Millionen Menschen, darunter etwa 25 Millionen Zivilisten, hatten durch nationalsozialistischen Terror und Krieg ihr Leben verloren. Mit dieser Schreckensbilanz zu Kriegsende schien auch das Ende des deutschen Nationalismus gekommen. Nach der Zeit des Nationalsozialismus war der deutsche Nationalismus nachhaltig und längerfristig diskreditiert so lautet jedenfalls eine gängige und auf den ersten Blick eingängige Formel, wenn es um die politische Kultur der Nachkriegszeit und der jungen Bundesrepublik geht. Dem Ideal der Afolksgemeinschafix und den Lebensraumplänen des Dritten Reiches »lagen so erschreckende Formen nationaler Integration und völkischer Ausgrenzung zugrunde, daß der Nationsbegriff als solcher nach 1945 [...] tabu war«. Kollektive Identität mußte nun, so scheint es, ohne die Vorstellung von der Nation hergestellt werden1. Aufgrund der »Entlegitimierung des deutschen Nationalismus« bildete das Jahr 1945 wohl zumindest in dieser Hinsicht eine Zäsur2. In der Tat legt der häufig angeführte, aber selten durchgeführte Vergleich mit dem Nationalismus nach 1918 den negativen Befund nahe. Nach der bedingungslosen Kapitulation war zudem im Gegensatz zur Weimarer Zeit jeder »nationale« Widerstand gegen die Besatzungsmächte ohne Aussicht auf Unterstützung von —

Jost Dülffer, Hider, Nation und Volksgemeinschaft, in: Die Deutsche Nation. Geschichte, Probleme, Perspektiven, hrsg. von Otto Dann, Vierow 1994, S. 96—116, hier: S. 114. Vgl. Robert G. Moeller, Deutsche Opfer, Opfer der Deutschen. Kriegsgefangene, Vertriebene, NS-Verfolgte: Opferausgleich als Identitätspolitik, in: Nachkrieg in Deutschland, hrsg. von Klaus Naumann, Hamburg 2001, S. 29_58, hier: S. 33; Ute Frevert, Die Sprache des Volkes und die Rhetorik der Nation. Identitätssplitter in der deutschen Nachkriegszeit, in: Doppelte Zeitgeschichte. Deutschdeutsche Beziehungen 1945 1990, hrsg. von Arndt Bauerkämper, Martin Sabrow und Bernd Stöver, Bonn 1998, S. 18-31. Heinrich August Winkler, Nationalismus, Nationalstaat und nationale Frage in Deutschland seit 1945, in: Nationalismus Nationalitäten Supranationalität, hrsg. von Heinrich August Winkler und Hartmut Kaelble, Stuttgart 1993, S. 12-33, hier: S. 15. —





Jörg Echternkamp

220

innen und außen. Auch die

Diagnose so mancher zeitgenössischer Beobachter in den späten vierziger und den fünfziger Jahren scheint die Feststellung zu bestätigen. Sich von der jüngsten Vergangenheit ausdrücklich zu distanzieren bildete nachgerade eine Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Gespräch nicht nur mit Rücksicht auf die Alliierten, die ja Demokratisierung und Entmilitarisierung auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Nach dem Krieg betonte ein gemischter Chor der öffentlich geäußerten Meinung den Bruch in der politischen Kultur der Deutschen, sei es durch den allgemeinen Hinweis in der unmittelbaren Nachkriegszeit, daß mit dem politischen System des Nationalsozialismus auch seine »Wertordnung« untergegangen sei3, sei es, daß man spätestens Mitte der fünfziger Jahre glaubte, den Abgesang auf den deutschen Nationalismus anstimmen zu können. Der Schweizer Journaüst und Publizist Fritz René Allemann, der vor 1933 in Berlin studiert hatte und 1949 als Korrespondent nach Bonn gekommen war, stellte fest, »daß der Nationalsozialismus die nationale [...] Substanz, auf die er sich berief, schlechterdings verbraucht und verwirtschaftet hat«4. Am Ende stand nicht, wie Allemann mit Blick auf das Untergangsszenario im Frühjahr 1945 feststellte, »die Erinnerung an einen Akt mythischer Größe, sondern das Ende der Mythen«5. Bonn durfte nicht Weimar sein das Verdikt sollte auch den Nationalismus betreffen. Insbesondere die jüngere Generation gab sich gegenüber dem Nationalen skeptisch oder, mehr noch, gleichgültig. Der Untergang »Großdeutschlands«, der ja auch den kleindeutschen Nationalstaat in die Tiefe gerissen hatte, und die sich verfestigende Teilung in zwei Staaten schienen die Worte »Nation« und »national« aus dem Wortschatz gestrichen zu haben. »Das >Vaterland< ist für mich kein erlebbarer Begriff«, stellte ein westdeutscher Primaner 1953 fest6. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß auch in neueren Darstellungen zur Besatzungszeit, zur Bundesrepublik Deutschland und zur DDR der Nationalismus kaum berücksichtigt wird, es sei denn in der Erscheinungsform neonazistischer Umtriebe oder im Hinblick —



3

4 5

6

Vgl.

Otto Friedrich Bollnow, Sittlichkeit, in: Die Sammlung 1946, S. 154: »Mit dem Zusammenbruch eines politischen Systems geht zugleich die von ihm vertretene Wertordnung zugrunde. Das ist genau die Lage, in der wir uns heute befinden.« Fritz René Allemann, Bonn ist nicht Weimar, Köln 1956, S. 121. Ebd., S. 122. Vgl. Bernd Wegner, Hider, der Zweite Weltkrieg und die Choreographie des Untergangs, in: Geschichte und Gesellschaft, 26 (2000), S. 493-518. Wofür lohnt es sich ...? Aussagen deutscher Primaner, in: Frankfurter Hefte, 8 (1953), S. 863 867, hier: S. 866. Zur Bedeutung der Generationen vgl. Clemens Albrecht, Die Frankfurter Schule in der Geschichte der Bundesrepublik, in: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, hrsg. von Clemens Albrecht [u.a.], Frankfurt a.M., New York 1999, S. 497 519. —

-

»Verwirrung im Vaterländischen«?

221

auf die Kontinuität von NS-Eliten7. Umgekehrt widmete die Historische Nationalismusforschung dem zeitgeschichtlichen Aspekt bislang erstaunlich wenig Raum8. Geht man indes von der Annahme aus, daß der Nationalismus eine ältere, womöglich zentrale Ingredienz des Nationalsozialismus war, die als eine ideologische Strebe aus der Weimarer Zeit in das Gerüst der nationalsozialistischen Weltanschauung eingezogen wurde9, drängt sich die Frage nach Kontinuität und Wandel nationalistischer Deutungs- und Argumentationsmuster in der Nachkriegszeit auf. Das trifft um so mehr zu, als der »Neubeginn einer politischen Kultur« in der Regel von der politischen Elite der älteren Generation getragen wurde, die im Westen anhand »Weißer Listen« (wieder) und im Osten nach einer Schulung im sowjetischen Exil eingesetzt worden war. Ob in den Parteien, in den Gewerkschaften oder in der Kirche: Männer der Vorkriegsgeneration ganz selten Frauen —, die zwischen 1880 und 1900 geboren wurden, sicherten eine »Herrschaft der Alten«. Ihre Normensysteme gründeten ursprünglich auf den Erfahrungen der Weimarer Republik oder gar der Kaiserzeit. Für sie bildeten die zwölf Jahre des Dritten Reiches und die fünfeinhalb Kriegsjahre nicht die einzigen prägenden Erfahrungen10. Sie konnten deshalb, so steht zu vermuten, wie selbstverständlich auf die vor 1933 —

8

9

10

Norman M. Naimark, Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1997; Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999; Kurt P. Tauber, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism since 1945, Middletown, Conn. 1967; Jörg Friedrich, Die kalte Amnestic NS-Täter in der Bundesrepublik, München 1984. Das zeigt der Blick auf die fast 1000 Titel zum deutschen Nationalismus in: Hans-Ulrich Wehler, Bibliographie zum Nationalismus, Ms., Bielefeld 2000 (8. Fassung für die »Arbeitsgruppe Nationalismusforschung« an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Universität Bielefeld). Otto Dann (Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770-1990, München 1993, S. 297~302) geht es um die ältere »nationalpolitische« Frage der deutschen Nationalstaatlichkeit nach 1945. Dann stellt lediglich fest, daß »das überanstrengte und geschlagene, tief verunsicherte und strukturell so veränderte deutsche Volk [...] nach dem Ende von Hiders Krieg nicht die Kraft zu einer neuen Nationsbildung« hatte. Vielmehr habe man sich recht schnell mit dem Ende des Nationalstaats abgefunden und keinen Anspruch auf nationale Souveränität erhoben (S. 300 und 302). Vgl. auch Peter Alter, Nationalism and German Politics after 1945, in: The State of Germany. The National Idea in the Making, Unmaking, and Remaking of a Modern Nation-State, ed. by John Breuilly, London, New York 1992, S. 154—176; Edgar Wolfrum, Nationalismus, Föderalismus und Separatismus in Deutschland nach 1945, in: Nationalismus und Nationalbewegung in Europa 1914—1945, hrsg. von Heiner Timmermann, Berlin 1999, S. 235~252. Mit dem Schwerpunkt auf einem späteren Zeitraum vgl. Florian Roth, Die Idee der Nation im politischen Diskurs. Die Bundesrepublik Deutschland zwischen neuer Ostpolitik und Wiedervereinigung (1969-1990), Baden-Baden 1995; Hans-Ulrich Wehler, Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 2001. Vgl. den Beitrag von Hans-Ulrich Wehler in diesem Band sowie Dülffer, Hider (wie Anm. 1); George L. Mosse, Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen in Deutschland von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt a.M., New York 1993. Vgl. auch den Beitrag zur politischen Ideologiegeschichte von Christoph H. Werth, Sozialismus und Nation. Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945, Opladen 1996. Werth untersucht die Verbindung von Nationalismus und Sozialismus und ihre Klammer der Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus. Den Nationalsozialismus interpretiert er als die politisch effektive letzte, extreme Version der Denkfigur »Sozialismus-Nationalismus«. Vgl. auch Sabine Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis 1945, Vierow 1996. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik (wie Anm. 7), S. 31 und 197 f.

222

Jörg Echternkamp

gültigen Muster der politischen Kultur zurückgreifen, so daß zunächst von der Zählebigkeit politischer Werte und Denkhaltungen auszugehen ist11. Diese waren nicht zuletzt an die normativen Kategorien, die Inhalte und Ausdrucksformen eines deutschen >Nationalbewußtseins< geknüpft, das längst als »Nationalismus« auf den positiv konnotierten Begriff gebracht worden war. Mit der zunehmenden Ablehnung des Parteienstaats fanden national-korporative Ideale im Bürgertum großen Anklang. So erklärt die Hoffnung auf eine nationale Sammlung, die weite Teile der funktionalen Elite teilten, den Rausch der »nationalen Erhebung« vom 30. Januar 1933, welche die 1918 ausgebliebene »nationale Revolution« nachzuholen schien12.

Im folgenden soll deshalb die Annahme, daß das NS-Regime, der nationalsozialistische Krieg zumal, dem Nationalismus das Wasser abgegraben habe, durch die umgekehrte These auf den Kopf gestellt werden, daß die Erfahrungen von Nationalsozialismus und Krieg einen Nationalismus der Nachkriegszeit gefördert haben, der seinerseits die Rede über die jüngste Vergangenheit auf eine spezifische Weise strukturierte. Dem hegt die in der Nationalismusforschung mittlerweile weitgehend akzeptierte Prämisse zugrunde, daß die Nation als eine »gedachte Ordnung« sinnvoll zu begreifen ist, deren Wirkungsmacht auf der wertneutral verstandenen »nationalistischen« Überzeugung der Zeitgenossen von einer natürlichen Einheit des »Volkes« beruht13. Insofern die Vergangenheit des Krieges in den öffentlichen Diskussionen Westdeutschlands vergegenwärtigt wird, handelt es sich um eine Facette der Geschichtskultur der Nachkriegszeit, nicht der »Geschichtspolitik« oder, enger gefaßt, der »Vergangenheitspolitik«14. Es geht deshalb zunächst um die Semantik des Nationalen (I.) und seine Thematisierung in unterschiedlichen öffentlichen Diskussionen über die Kriegsfolgen in der frühen Nachkriegszeit (IL). Sodann steht das Angebot der Deutungsexperten im Mittelpunkt: die geschichtswissenschaftliche Konstruktion einer nationalen Meta-Erzählung in Westdeutschland, die Diktatur und Krieg in ein umfassendes Deutungsmuster integrierte (III.). In der SBZ und der DDR bildete der Nationa-



Vgl.

etwa zur Dauerhaftigkeit des Antiparlamentarismus: Hans Mommsen, Der lange Schatten untergehenden Republik. Zur Kontinuität politischer Denkhaltungen von der späten Weimarer zur frühen Bundesrepublik, in: Die Weimarer Republik 1918 1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von Karl-Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen, Bonn

der



1987, S. 552-586. Mommsen, Schatten (wie Anm. 11), S. 558 f.

Vgl. zur Historischen Nationalismusforschung die Einleitung dieses Bandes. Vgl. zur begrifflichen Abgrenzung unter anderem Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949—1989. Phasen und Kontroversen, in: Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, hrsg. von Petra Bock und Edgar Wolfrum, Göttingen 1999, S. 55—81; ders., Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen 2001; Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996; Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München, Wien 1995. Zur Wirkungsgeschichte des Krieges vgl. Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik, hrsg. von Michael T. Greven und Oliver von Wrochem, Opladen 2000, und Nachkrieg in Deutschland (wie Anm.

1).

»Verwirrung im Vaterländischen«?

223

Grundzug des »Herrschaftsdiskurses«, dem anschliegilt (IV.). Am Ende stehen einige zusammenfassende Bedeutung des deutschen Nationalismus zwischen 1945 und

lismus einen anfanglichen ßend die Aufmerksamkeit

Überlegungen 1960.

zur

I. »Echter und falscher Nationalismus« Zur Semantik des Nationalen

-

Hatte die Nation noch eine Chance? Gab es noch ein deutsches Volk? Wo waren die »Patrioten«? Unmittelbar nach Kriegsende hingen Fragen wie diese in der Luft. In einer Phase des radikalen Umbruchs, wie ihn die frühe Nachkriegszeit bedeutete, wurde das bis dato Selbstverständliche in Frage gestellt. Noch im August 1949 meinten 17 Prozent der von den Demoskopen aus Allensbach Befragten, daß Deutschland keine politische Zukunft habe, 21 Prozent zeigten sich unentschiedaß es nachgerade ein Charakteristikum der den. Wirksam blieb die Deutschen sei, sich ihres Deutschseins nicht hinreichend bewußt zu sein. Drei

Überzeugung,

Jahre später nannten die Demoskopen, die dem Problem offensichtlich Bedeutung beimaßen, als eine der möglichen schlechten Eigenschaften des eigenen Volkes, »kein Nationalbewußtsein« zu haben. Diese >Nationaleigenschaft< landete mit 11 Prozent auf Platz 3 der Merkmale, an der Spitze (18 Prozent) stand die damit eng verbundene nationale »Uneinigkeit«15. Nimmt man beide zusammen, war die Wahrnehmung von knapp einem Drittel der Befragten von der Annahme geprägt, daß es den Deutschen an nationalem Zusammenhalt mangele. Umgekehrt rangierten ganz vorne unter den guten Eigenschaften, die der deutschen Nation pauschal zugeschrieben wurden: »Fleiß, Tüchtigkeit, Strebsamkeit« (72 Prozent), »Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit, Gründlichkeit, Sauberkeit« (21 Prozent), »Gutmütigkeit, Gutwilligkeit« (12 Prozent) und »Treue« (11 Prozent)16. Die Klage über den Mangel an Nationalbewußtsein gehörte zur Begleitmusik des Nationalismus in der Nachkriegszeit. Schon 1945 hatte der Freiburger Historiker Gerhard Ritter mit Bedauern festgestellt, daß sich die deutsche Bildungsschicht »aus Furcht und Abscheu vor den Entartungen des Nationalismus« vor einem

»klaren Bekenntnis zur deutschen Nation« scheute17. Noch 1949 stellte sein Kölner Kollege Peter Rassow fest, daß eine »Krise des Nationalbewußtseins« im heutigen Deutschland »niemand leugnen« könne18. Je mehr die staatliche Teilung zur Gewißheit wurde, desto eindringlicher klang der Appell, das Nationalbewußtsein zu stärken. Auch auf der politischen Linken fragte Ernst Reuter besorgt: »Sind wir 15

Jahrbuch

der öffentlichen

Meinung

1

(1947-1955), hrsg.

Neumann, 2., durchgesehene Aufl., Allensbach 1956, S.

16 17 18

heblichkeit« (13 Prozent). Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1 (wie Anm. 15), S.

von Elisabeth Noëlle und E. Peter 126. An zweiter Stelle stand die »Über-

126 (Juli 1952). Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 61. Peter Rassow, Die Krise des Nationalbewußtseins in Deutschland (1949), in: Ders., Die Geschichtliche Einheit des Abendlandes. Reden und Aufsätze, Köln, Graz 1960, S. 57_71, hier: S. 57.

Jörg Echternkamp

224

Deutschen wirklich schon eine echte Nation geworden?« Man müsse die Menschen »hinwegreißen mit der nationalen und mit der revolutionären Leidenschaft unseres Herzens über den täglichen Kleinkram hinaus«19. Entgegen dem ersten Anschein stellt die nationalistische Krisenrhetorik einen Seismographen nicht nur für die Abwesenheit, sondern auch für die Kontinuität nationalistischer Denkfiguren dar. Wo in der Presse, in Broschüren und auf Diskussionsveranstaltungen Defizite im Nationalen ausgemacht wurden, war die Nation als eine vorgestellte

Ordnung präsent. Unklar blieb dagegen, was

als national, was als patriotisch zu gelten hatte. Als die Redaktion der linkskatholischen Frankfurter Hefte mit Walter Maria Guggenheimer einen Emigranten in ihren Kreis aufnahm, der in Nordafrika, Italien und Nordfrankreich gegen die Wehrmacht gekämpft hatte, bevor er 1945 nach Deutschland zurückkehrte, protestierten einige Leser. Ihr »tiefstes Befremden« entzündete sich an einer nationalistischen Deutung dieses Umstandes. Guggenheimer habe im Krieg »an der Seite des Feindes gegen sein eigenes Vaterland gekämpft«; man sprach gar von »seltener Verlumpung«. Die Redaktion indes decouvrierte diese Empörung als Zeichen einer »Verwirrung im Vaterländischen«. Wenn die Deutschen, wie gerne behauptet wurde, gezwungenermaßen für Hitler gekämpft hätten und von der nationalsozialistischen Tyrannei befreit worden seien, dann, hielt Eugen Kogon dagegen, gebe es wohl keinen Grund dafür, daß sich »ein deutscher Patriot« nicht an dieser Befreiung hätte beteiligen sollen20. Gleichwohl teilten noch 1954 nur 13 Prozent der befragten Deutschen die uneingeschränkte Auffassung, daß einem Emigranten, der im Krieg aus dem Exil gegen Hitler gearbeitet hatte, in der Bundesrepublik ein hohes Regierungsamt übertragen werden könnte21. Im Modus des Nationalen wurden auch nach 1945 Binnengrenzen gezogen. Der andere, schlechtere Deutsche war derjenige, der sich der >Volksgemeinschaftx entzogen hatte, oder umgekehrt derjenige, der so argumentierte. In diesem Zusammenhang tauchte der auch in der Nachkriegszeit wichtige Leitgedanke der normativen Trennung zwischen einem falschen und einem echten Nationalismus auf ein Charakteristikum des modernen Nationalismus seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Nach 1945 folgten diese gedachten Spielarten des Nationalismus einer unterschiedlichen Chronologie. Während der »falsche« Nationalismus in der Vergangenheit des Nationalsozialismus geortet wurde und sich höchstens Irrläufer in der zeitgenössischen Gegenwart fanden, galt das Nationalgefühl der Nachkriegsgesellschaft als die geradezu geläuterte und deshalb um so reinere Version des »echten« deutschen Nationalismus. Weil, nicht obwohl es in -

Zitiert nach Dieter Groh und Peter Brandt, »Vaterlandslose Gesellen«. Sozialdemokratie und Nation 1860-1990, München 1992, S. 268. E[ugen] K[ogon], Verwirrung im Vaterländischen, in: Frankfurter Hefte, 1 (1946), S. 1056-1058. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1 (wie Anm. 15), S. 139. 39 Prozent lehnten das ab, 22 Prozent blieben unentschieden, 26 Prozent machten die Entscheidung vom Einzelfall abhängig. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß die Frage wegen des Überläufers Otto John eine tagespolitische Brisanz besaß. John, der 1944 im Widerstand tätig und seit 1950 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz war, wechselte 1954 in die DDR und sollte 1955 nach seiner Rückkehr wegen Landesverrats verurteilt werden.

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der Propaganda des Dritten Reich pervertiert worden war, behaupteten viele Zeitgenossen, konnte und sollte das deutsche Nationalgefühl nun in Reinform kultiviert werden. Insofern galt der Krieg den Deutschen als Katharsis. Das Festhalten an den tradierten nationalen Werten zeugte in der Selbstwahrnehmung und Darvon der Distanz zum Nationalsozialismus. Als die ausländinach außen stellung sche Presse Mitte der fünfziger Jahre angesichts des nationalistischen Getöses im Vorfeld der Abstimmung über das Saarstatut den »Triumph des Nazismus« beklagte, unterstrich ein erboster Leser des Berliner Tagesspiegel die Trennlinie zwischen Nationalsozialismus und Nationalismus: Man dürfe nicht jene Deutschen als Nazis verdächtigen, die »einen gesunden nationalen Instinkt« hätten22. In diesem Deutungsmuster wurde das Verhältnis der Deutschen zu dem NSRegime geklärt und der Vorwurf der Verantwortlichkeit entkräftet. Auch wenn es auf der Seite der Alliierten keine explizite Rüge der Kollektivschuld gegeben hat23 und es sich um eine psychoanalytisch zu erklärende Projektion der schuldbewußten Deutschen handeln mag24: Fest steht, daß die Alliierten die Deutschen mit den von Deutschen begangenen Verbrechen durch den Blick auf die Leichenberge der Konzentrationslager direkt oder durch die Veröffentlichung der Fotos indirekt konfrontierten. Auf diese Weise schufen sie eine gemeinsame Erfahrungsgrundlage des Schuldvorwurfs, die sich gegen eine vorzeitige Anamnese sperrte25. Damit die Figur der Kollektivschuld nach 1945 in Deutschland Aufsehen erregen konnte, mußte freilich die Kollektivität der Beschuldigten auch für diese außer Frage stehen. Dem Kollektivschuldvorwurf an die Deutschen war insofern ein nationalistisches, ja nationalisierendes Element eingewoben, da er die Nation als geschlossenes Ganzes unterstellte. »Gerade wer [...] die Nation für ein unteilbares Ganzes, einen einheitlichen Organismus höherer Ordnung hält, müßte erkennen, daß wir als eine solche unteilbare Nation eine Kollektiwerantwortung für alles und jedes tragen, was deutsche Menschen in diesem Kriege getan haben,« lautete eine Mah22

23 24

25

H.-H. Z. (Leserbrief), in: Der Tagesspiegel, 11. Jg., Nr. 3084 (30.10.1955), S. 30. Vgl. ebd. die Reaktionen der Leser auf Presseberichte aus Londen und New York (Der Tagesspiegel, 11. Jg., Nr. 3080, 26.10.1955, S. 2); zum Begriff »Nationalismus« vgl. ebd. (30.10.1955) den Artikel: Die Aufregung über den deutschen Nationalismus. Ein Berliner Arzt legte nach, als er den »gesunden Nationalismus« als »natürliches Verwandtschaftsgefühl« mit der Bruderliebe verglich, an der nicht zu rütteln sei, ebd., Nr. 3101, 20.11.1955, S. 15. Norbert Frei, Von deutscher Erfindungskraft oder: Die Kollektivschuldthese in der Nachkriegszeit, in: Rechtshistorisches Journal, 16 (1997), S. 621-634. Helmut Dubiel, Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München, Wien 1999, S. 71. Aleida Assmann, 1945 Der blinde Fleck in der deutschen Erinnerungsgeschichte, in: Dies, und L'te Frevert, Geschichtsvergessenheit, Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999, S. 97-139, hier: S. 117 f. Vgl. Michael Geyer, Das Stigma der Gewalt und das Problem der nationalen Identität in Deutschland, in: Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Hans Mommsen, hrsg. von Christian Janson [u.a.], Berlin 1995, S. 673 698, besonders S. 683 f. Zur Rolle der Bilder vgl. Dagmar Barnouw, Ansichten von Deutschland (1945). Krieg und Gewalt in der zeitgenössischen Photographie, Basel, Frankfurt a.M. 1997, Cornelia Brink, Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern, München 1998, und Habbo Knoch, Die Tat als Bild. Fotografien der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001. -



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nung im Berliner Tagesspiegel, die eine Ausnahme, nicht die Regel war. Umgekehrt bedeutete die aufgeregte Abwehr eine affektive Bestätigung für die Geltung der nationalen Ordnung26. Paradoxerweise eignete sich diese Denkfigur dazu, die Verantwortung der Deutschen für den Krieg und seine Folgen zurückzuweisen. Die Inklusion der Deutschen ging mit der Exklusion ihres dämonisierten Führers einher. Nur wenn das deutsche Volk als Einheit vorausgesetzt wurde, ließ sich Hitler gleichsam als Fremdkörper von dem deutschen Volk trennen. Vor dem Hintergrund der Kollektivschulddebatte folgte die Konstruktion einer Dichotomie zweier Nationalismen einem Argumentationsmuster, das die Deutschen als Opfer einer kleinen Vereinigung namentlich bekannter Krimineller hinstellte. »Herr Hitler und seine verbrecherische Clique« mißbrauchten die Rede vom »wahren Vaterland«27. Der Nationalsozialismus wurde so als ein verkehrter Nationalismus entlarvt. Dem Einwand, das jener diesen um den Kredit gebracht habe, wurde dadurch der Boden entzogen. »Echter und falscher Nationalismus« diese Überschrift einer Glosse in den Frankfurter Heften brachte die Differenz 1946 auf den Punkt. Zur Erläuterung des als klärungsbedürftig empfundenen Sachverhalts wurden unverdächtige Autoritäten gesucht: In einem geschickten Rückgriff auf die Nationsvorstellungen der Weimarer Zeit kam beispielsweise kein geringer als der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber zu Wort, der 1938 nach Palästina emigriert war (und erst 1951 zurückkehren sollte)28. Die wertende Trennung zwischen den Nationalismen wurde hier in der altbekannten Bildsprache der Pathologie vorgenommen, die den Nachkriegsdeutschen aufgrund der Propaganda eines Goebbels noch im Ohr klang. Das Volk galt als eine ontologische Einheit, die »Nation (die eben nicht ohne Nationalgefühl besteht)« als ihr höherer Aggregatzustand, schließlich der »Nationalismus« als ein Phänomen der »Überbewußtheit«, das einen Mangel an nationaler Einheit, Freiheit und Staatlichkeit indiziere das mußte 1946 als ein Seitenhieb auf die Besatzungspolitik verstanden werden und das, wenn es sich verselbständigte, zu einem »Krankheitskomplex« verkomme29. Wer die »Entartung« eines Phänomens beklagte, hielt an diesem selbst fest. Auch Friedrich Meinecke hat kurz nach dem Krieg die Entartung des Nationalen für die »deutsche Katastrophe« verantwortlich gemacht30. Für die Verfechter des wahren Nationalismus war die Nation nicht zwangsläufig die moralische Letztinstanz. Vielmehr erhielt jener Nationalismus sein Gütesiegel durch das Bemühen, eine mögliche nationalistische Hybris durch übergeord—

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Wilhelm Westphal, Das deutsche Schuldbekenntis, in: Der Tagesspiegel, Nr. 115, 18.5.1946, Beiblatt. Die Schuld war im doppelten Sinn eine nationale: »Gerade als Nation tragen wir alle gemeinsam vor der Geschichte die Schuld an allem, was den Namen der Nation schändet.« Kogon, Verwirrung (wie Anm. 20). Echter und falscher Nationalismus (Aus einer Rede, die der jüdische Theologe und Schriftsteller Martin Buber im Jahre 1921 gehalten hat), in: Frankfurter Hefte, 2 (1947), S. 613-615. Ebd., S. 613. »Volkstum ist, wie wenn man einfach sehkräftige Augen im Kopf hat; Nation, wie wenn man deren Tätigkeit fühlt (...); Nationalismus, wie wenn einem die Augen erkrankt sind und man sich nun dauernd mit der Tatsache befaßt, daß man Augen besitzt.« Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946.

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Normensysteme einzufangen: durch die auf das christliche Europa verweisende Abendland-Ideologie31 etwa oder durch einen auf die Menschheit deutenden Kosmopolitismus, den das wachsende Interesse der Intellektuellen, vor allem der Soziologen und Philosophen, an der Anthropologie flankierte. Die Rede über die eigene Nation war dann eingebunden in einen anthropologischen Diskurs, in dem es um die humanistische Frage der Erneuerung, der »Wandlung« des Menschen und um seinen >Charakter< ging. Die Nation wurde hier in die »übernationale Verantwortung« genommen32. Das Verhältnis der Nationen untereinander bestimmten Selbständigkeit und Gleichwertigkeit, die wiederum das funktionale Verhältnis der Nationen zur Menschheit im Sinne gemeinsamer Aufgabenerfüllung prägte auch dies eine 150 Jahre alte Denkfigur des frühen deutschen Nationalismus. Nach dem Desaster des großdeutschen Sendungsbewußtseins wiesen Teile der Deutungselite

nete



den Deutschen schon bald wieder einen Platz in der Welt zu, indem sie ihnen eine kulturelle Mission bescheinigten. Das bekräftigte letztlich die Vorstellung von der Nation als einer natürlichen Ordnung ebenso wie ihre religiöse Überhöhung zu einem Teil der göttlichen Schöpfung. Wenn Otto Dibelius, Bischof der Evangelischen Kirche von BerlinBrandenburg und Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, in seiner Neujahrspredigt in der Ostberliner Marienkirche 1955 Gottes >Ja< zur Wiedervereinigung der Deutschen betonte, gab er der nationalen Ordnung die höheren Weihen. Die Gemeinde erfuhr die Zerstörung der einen Nation durch Teilung nicht nur als ein politisches Ereignis, das mit der nationalstaatlichen Vergangenheit brach, sondern auch als einen Widerspruch zum göttlichen Willen. »Gott wolle nicht,« bekräftigte denn auch Dibelius, »daß durch die Machenschaften der Menschen das, was er zu einer Gemeinsamkeit verbunden habe, gespalten werde.« Auf katholischer Seite gab Papst Pius XII eine ähnliche Grundrichtung vor, als er sich für ein Europa aussprach, daß der »göttlichen Vorsehung« entsprechend ein Hort abendländischer, sittlich-kultureller Werte auf der Grundlage der einzelnen Nationen sein müsse33. Ein positives Verständnis von Nationalismus drückte auch der justiziellen Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit seinen Stempel auf. Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß zählte der Rekurs auf den >normalen< Nationalismus ihrer Mandanten zu den Exkulpationsstrategien der Verteidiger. Indem sie und die An31

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dazu ausführlich Axel Schildt, Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999, und ders., Deutschlands Platz in einem »christlichen Abendland«. Konservative Publizisten aus dem Tat-Kreis in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in: Deutschland nach Hider. Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit 1939-1949, hrsg. von Thomas Koebner [u.a.], Opladen 1987, S. 344-369. Vgl. Assmann, 1945 (wie Anm. 25), S. 105. Dibelius zitiert in: Der Tagesspiegel, 11. Jg., Nr. 2832 (4.1.1955), S. 2; Kein Friede aus der Furcht. Papst Pius XII: national ist nicht nationalistisch, in: Ebd. Der Papst warnte in seiner Weihnachtsbotschaft 1955 vor einer Rückkehr zu dem »schädlichen« Nationalstaatsmodell des 19. Jahrhunderts und bekräftigte zugleich die Nationsidee. Dazu trennte Pius XII zwischen »national« und »nationalistisch«. Während er »das nationale Leben, Recht und Ehre eines Volkes« gefördert wissen wollte, müsse »die nationalistische Politik« als »Keim unendlicher Übel« zurückgewiesen werden.

Vgl.

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geklagten den Nationalsozialismus als die Synthese von Nationalismus und Sozialismus präsentierten, hofften sie auf Verständnis für ihre Sympathie mit der Mixtur im Nationalsozialismus, hatten doch die Bestandteile der inkriminierten Ideologie für sich genommen nichts Anrüchiges, jedenfalls nichts Kriminelles an sich. Hans Fritzsche beispielsweise, der ehemalige Leiter der Rundfunkabteilung im Propagandaministerium, der in den zwanziger Jahren der Deutschnationalen Volkspartei angehört hatte, bezeichnete sich selbst als »Patrioten]« und wies jeden Hang zu »übersteigertem Nationalismus« von sich, für den er auch den Begriff des »Chauvinismus« fand. Vor dem Kriege »galt der Nationalismus nicht als ein Verbrechen, alle vertraten ihn; es ist zu sehen, daß er heute noch vertreten wird, und ich habe ihn auch vertreten,« versicherte Fritzsche auf der Anklagebank34. Die Broschüren und Bücher der >Verteidiger-Literatur< brachten in den späten vierziger und den fünfziger Jahre diese Denkfiguren weiterhin unters Volk35. Erst Anfang der sechziger Jahre, im Zuge der Fischer-Kontroverse um die Schuld der deutschen Eliten am Ersten Weltkrieg, sollte die dichotomische Nationalismuskonstruktion Risse bekommen36. II.

Kriegsfolgen: Deutungszusammenhänge des Nationalismus

Die Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen, die Kriegsgefangenen und die >Heimkehrere sowie die wachsende Unzufriedenheit mit der Besatzungspolitik bildeten einen fruchtbaren Boden für den deutschen Nationalismus. Zu seinen Motoren zählten auf der einen Seite die zahlreichen Lobby-Organisationen, die nach 1949 als nationalistische pressure groups diesen Boden fleißig bestellten. Auf der anderen Seite sorgte die Veränderung der außen- und deutschlandpolitischen Klimalage für die Fruchtbarkeit des Bodens. Die veränderte Rolle Deutschlands in der Welt des Kalten Krieges, vor allem die hitzige Debatte über die Wiederaufrüstung, das innenpolitische Thema der frühen Bundesrepublik, Heß nationalistische Töne auch im politischen Diskurs lauter werden. Das paßte zu einer den Alliierten gegenüber feindlichen Stimmung, die vom Widerwillen gegen das Entnazifizierungsprogramm zehrte.

Der Prozeß gegen die

Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof (International Military Tribunal), Nürnberg, 14. November 1945 -1. Oktober 1946, Bd 17, Nürnberg 1948, S. 163 (164. Tag, 26. Juni 1946). Vgl. ganz ähnlich das Argument des Verteidigers von Arthur Seyß-Inquart, Gustav Steinbauer, in: Ebd., Bd 19, S. 253 (184. Tag, 23. Juli 1946). Vgl. z.B. Carl Haensel, Das Gericht vertagt sich. Aus dem Tagebuch eines Nürnberger Verteidigers, Hamburg 1950; Paul Leverkuehn, Verteidigung Manstein, Hamburg 1950; Hans Laternser, Verteidigung deutscher Soldaten. Plädoyers vor alliierten Gerichten, Bonn 1950. Vgl. Wolfgang Jäger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914—1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1984. So geißelten Politiker und Kirchenvertreter die amerikanischen Kinofilme als kulturelle Bedrohung der nationalen Integrität; vgl. Heide Fehrenbach, Cinema in Democratizing Germany. Reconstructing national identity after Hider, Chapel Hill, London 1995.

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Die Kehrseite des Selbstbildes stellte das Bild der Anderen, der Besatzungsmächte dar37. Es gehörte schon bald zum guten Ton der meisten Westdeutschen, sich bei aller Anerkennung der politischen Verdienste auch öffentlich in einer Weise als Leidtragende nicht der Kriegsfolgen, sondern der Besatzungspolitik zu geriewar. die nationalistisch Das antibolschewistische ren, Feindbild, häufig unterlegt das unter den Bedingungen des Kalten Krieges mühelos aus der Kriegs- in die Nachkriegszeit projiziert werden konnte, sorgte für zusätzlichen Eifer. Das schnell wiedergewonnene Nationalbewußtsein äußerte sich in der öffentlichen Kritik an den Kriegsgegnern von gestern. Insbesondere die Vergewaltigungserfahrungen der Frauen im Frühjahr 1945 konnten zu einem nationalen Opfer, zu einer Vergewaltigung des deutschen Volkes verallgemeinert werden38. Einen Stein des Anstoßes bildete neben der Vertreibung, der Entnazifizierung und der wirtschaftlichen Lage vor allem die Inhaftierung jener Deutschen, die vor alliierten Militärgerichten nicht nur in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt worden waren. Insbesondere die ehemaligen Wehrmachtangehörigen, die in den Gefängnissen der westlichen Alliierten in Werl, Wittlich und Landsberg einsaßen, galten binnen kurzem als »sogenannte« Kriegsverbrecher. Sie schienen Opfer einer Siegerjustiz zu sein, deren Urteil um so ungerechtfertigter anmutete, als sich die Gerüchte über eine bevorstehende Wiederbewaffnung Westdeutschlands verdichteten und sich abzeichnete, daß deutsche Soldaten ihren »Verteidigungsbeitrag« in einer Europäischen Armee leisten sollten. Aber schon vorher, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, empfanden viele die Internierung der politischen und militärischen Elite als eine Ungerechtigkeit, die in den Kategorien des nationalen Untergangs und Ehrverlustes gedeutet werden konnte. Das zeigt beispielhaft die Reaktion des protestantischen Theologen Helmut Thielicke, dem in den vierziger Jahren aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche Zugang zu verschiedenen Internierungslagern gewährt wurde. Besonders bewegte Thielicke die Begegnung mit ehemaligen deutschen Wehrmachtgeneralen in der Ludendorff-Kaserne in Neu-Ulm. Als Thielicke die spärlich ausgestatte Unterkunft der ehemaligen Generale sah und zwischen übereinandergestapelten Feldbetten aus einer Konservendose mit ihnen Kaffee trank, hatte er nach eigenem Bekunden »Mühe, [seine] Tränen zu unterdrücken.« Thielicke sah in der Misere der einst Mächtigen nicht nur den persönlichen Verfall einer militärischen Stärke, an welche die Reste von Uniformstücken erinnerten, »aus denen die roten Generalsstreifen hervorleuchteten«. Der Theologe stellte die Szene auch in einen nationalistischen Deutungszusammenhang: »Ein bewegenderes Gleichnis für

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Vgl. etwa Maria Höhn, Gis, Veronikas and Lucky Strikes: German Reactions to the American Military Presence in the Rhineland-Palatinate during the 1950s, Ann Arbor 1998. Vgl. Josef Foschepoth, German Reaction to Defeat and Occupation, in: Western Germany under Construction. Politics, Society, and Culture in the Adenauer Era, ed. by Robert G. Moeller, Ann Arbor 1997, S. 73_89. Vgl. Elizabeth Heinemann, Die Stunde der Frauen. Erinnerungen an Deutschlands »Krisenjahre« und westdeutsche nationale Idendität, in: Nachkrieg (wie Anm. 1), S. 149—177; vgl. auch Regina Mühlhauser, Vergewaltigungen in Deutschland 1945. Nationaler Opferdiskurs und individuelles Erinnern betroffener Frauen, in: Ebd., S. 384_408.

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den Fall und den Abstieg meines Vaterlandes konnte es kaum geben39.« Die Behandlung durch die Wachmannschaften bot zugleich die Gelegenheit, die Alliierten für einen möglichen deutschen Nationalismus im pejorativen Sinn verantwortlich zu machen. Die »oft sadistischen Quälereien«, die deutsche Internierte erfahren müßten, untergrabe die Glaubwürdigkeit der Alliierten und habe dazu geführt, daß

bekehrte Altnazis »der Versuchung einer Renazifizierung erlagen«40. Kritik kam auch von der Kanzel. Thielicke nutzte 1947 die Karfreitagspredigt in der Stuttgarter Markuskirche zur Alliiertenschelte und stieß auf große Resonanz, nicht zuletzt im Ausland. Kritiker dagegen betitelten den Theologen als einen »Konjunkturritter, der auf den Wellen eines aufkommenden Nationalismus zu schwimmen versuchte und sein kirchliches Amt verriete«41. Dieser Widerständigkeit gegen die Alliierten im Namen nationaler Interessen in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren wurde vor allem in den USA von der U.S. High Commission for Germany sorgfältig registriert, galt doch die Renaissance des Nationalismus als ein Symptom dafür, daß die Umerziehungs- und Demokratisierungsversuche, die ausdrücklich auf die Beseitigung von Nationalismus und Militarismus zielten, gescheitert waren42. Schon während des Krieges waren Überlegungen, wie der »German Chauvinism« überwunden werden könnte, in die amerikanischen Umerziehungspläne eingeflossen43. Dennoch mußte das State Department 1949 mit Bück auf die westdeutsche Wahlkampfrhetorik melden: »German nationalism is on the rise again«, während die New York Times zwischen einem »chauvinistic nationalism« und einem Nationalismus unterschied, »which merely represents the natural love of the Germans for their homeland«44. Angesichts der verteidigungspolitischen Pläne hinderten die Nachrichten aus Westdeutschland freilich weder John McCloy 1951 an seiner Amnestiepolitik45 noch Dwight D. Eisenhower an der bekannten Ehrenerklärung, die er im selben Jahr für die ehemaligen Wehrmachtsoldaten abgab.

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Helmut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen, Hamburg 1984, S. 245. Ebd., S. 246. Ebd., S. 247—251. Der Beifall kam, wie sich Thielicke erinnert, vor allem von der falschen Seite: So lobte ihn Hans Grimm, der Verfasser des Kolonialromans »Volk ohne Raum«, in einem Brief

als »wackere(n) deutsche(n) Mann«. Frank M. Buscher, The U.S. High Commission and German Nationalism, 1949 1952, in: Central European History, 23 (1990), S. 57_75. Buscher geht von einem >extremen< Nationalismus und >Rechtsextremismus< aus. Vgl. Memorandum on The Elimination of German Chauvinism, prepared by the Institute of Social Research (Columbia University), New York, August 1942, National Archives and Record Administiration, College Park, Md. (NARA), RG 59, Box 203. Vgl. auch Special Report on American Opinion, No. 100 (5.8.1949) und No. 101 (11.8.1949), ebd. Special Report on American Opinion No. 98 (22.7.1949), Dept. of State, NARA, RG 59, Box 34. Charles W. Thayer, The Unquiet Germans, New York 1957, S. 234. Nicht dieser Gnadenakt, sondern das Festhalten an den Todesstrafen in sieben Fällen führte zu einem weiteren nationalistischen Aufschrei in der Presse, in Pamphleten und auch in der Politik. Adenauers militärische Berater Hans Speidel und Adolf Heusinger drohten mit der Verweigerung eines deutschen Verteidigungsbeitrags für den Fall, daß die Todesurteile vollstreckt würden. Vgl. Georg Meyer, Adolf Heusinger. Dienst eines deutschen Soldaten 1915 bis 1964, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 443. —

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Die soziale Gruppe, die sich mit am lautesten für die hochoffizielle Ehrenrettung der Wehrmacht eingesetzt und in den Kulissen der Bundeshauptstadt agiert hatte, bestand aus den ehemaligen Soldaten selbst. Sie organisierten sich seit 1949 und entwickelten als Teil der Veteranenkultur eine rege Publikationstätigkeit, deren Bandbreite von Kameradschaftsblättern über Regiments- und Divisionsgeschichten bis zur Verbandspublizistik reichte46. Zu ihren Hauptforderungen gehörte ein Ende der »Diffamierung«, die sie seit Kriegsende durch die Alliierten erlitten hätten. Die Veteranen waren Verteidiger in eigener Sache. Nach der Aufhebung des Organisationsverbots der Alliierten Ende 1949 entwickelte sich eine buntscheckige Veteranenkultur, gestützt durch die ins Kraut schießenden Organisationen auf lokaler, regionaler und, mit der Gründung des Bundes versorgungsberechtigter ehemaliger Wehrmachtsangehöriger und Hinterbliebenen (BvW) 1950, schließlich des Verbandes deutscher Soldaten (VdS) 1951, auf bundesweiter Ebene. Die kleinen Kameradschaftszirkel ebenso wie die großen Traditionsverbände des Afrikader und der »Großdeutschland« dienten der VersiDivision korps, Fallschirmjäger des soldatischen Selbstverständnisses nach innen, aber auch seiner Darcherung In der nach außen. Veteranenkultur wurde ein nationalistisches Gestellung schichts- und Selbstbild gezeichnet, das über den Zweiten und Ersten Weltkrieg hinauswies. Der Wehrmachtsoldat ging in einem »deutschen Soldatentum« auf, das »in sich wandelnder Gestalt durch die Jahrhunderte den Gefahren aus dem Osten gewehrt« habe47. Der Überfall auf die Sowjetunion war dann nur der letzte Versuch deutscher Soldaten, ihrer Mission gerecht zu werden. »Stalingrad« stand als Metapher für die Opferbereitschaft der 6. Armee nicht für die Verantwortungslosigkeit ihrer militärischen Führer48. Diese Form der Erinnerung, die an die nationalsozialistische Propaganda nahtlos anknüpfte, sicherte die deutsche Wiederbewaffnung geschichtsphilosophisch ab. Jene Veteranen, die einer neuen Wehrmacht das Wort redeten, konnten den Anspruch anmelden, »weiter unsere geschichtliche Aufgabe zu erfüllen«49. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, wollte man nationalistische Argumente allein auf der einen Seite des Konflikts über die Wiederbewaffnung nachweisen. Vielmehr meldeten sich nicht nur Befürworter, sondern auch entschlossene Gegner —

Vgl. Jay Lockenour, Soldiers as Citizens. Former Wehrmacht Officers in the Federal Republic of Germany, 1945—1955, Lincoln 2001; Thomas Kühne, Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeitgesellschaft. Die Veteranenkultur der Bundesrepublik (1945 1995), in: Nachkrieg (wie Anm. 1), S. 90—113; Jörg Echternkamp, Mit dem Krieg seinen Frieden schließen Wehrmacht und Weltkrieg in der Veteranenkultur 1945 1960, in: Von der Kriegskultur zur Friedenskultur? Zum Mentalitätswandel in Deutschland seit 1945, hrsg. von Thomas Kühne, Münster, Hamburg, Lon—

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don 2000, S. 78—93; Alaric Searle, Veterans' Associations and Political Radicalism in West Germany, 1951 1954: A Case Study of the Traditionsgemeinschaft Großdeutschland, in: Canadian Journal of History, 8 (1999), S. 221-248; James M. Diehl, The Thanks of the Fatherland. German Veterans after the Second World War, Chapel Hill, London 1993. [Gottfried] Hansen, Gedanken zur Zeit, in: Der Notweg, 2 (1950), Nr. 11 [November], S. 1. Zur Rezeption der Niederlage von Stalingrad vgl. die Beiträge in: Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht, hrsg. von Wolfram Wette und Gerd R. Ueberschär, Frankfurt a.M. 1992. Vgl. auch Thomas Kühne, Zwischen Männerbund und Volksgemeinschaft. Hiders Soldaten und der Mythos der Kameradschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte, 38 (1998), S. 165-189. Hansen, Gedanken zur Zeit (wie Anm. 47), S. 1. —

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unterschiedlicher politischer Provenienz darunter gleichfalls ehemalige Wehrmachtsoldaten mit unterschiedlichen Begründungen zu Wort, die nicht frei von nationalistischen Untertönen waren. Das traf etwa auf den pazifistischen Neutralismus im Umfeld des Nauheimer Kreises um den linkskatholischen Ulrich Noack zu, der den Deutschen die ordnungsstiftende Rolle eines pazifistischen Wegweisers zu einem weltweiten Friedenssystem zuwies50. Das galt mehr noch für die Neutralisten der äußeren Rechten, die mit einer Mixtur von Nationalismus und antiwestlichen, nach innen gegen Demokratie und Liberalismus gerichteten Ressentiments gegen die Einflußnahme der Besatzungsmächte und (längerfristig) für eine eigenständige deutsche Rüstung eintraten51. Nicht zuletzt auf diese Randgruppen zielte die politische Strategie der SED, von der sogleich die Rede sein wird. Fest steht, daß die Nachkriegsgesellschaft über eine zentrale Streitfrage im gemeinsamen Modus des Natiejnalismus kontrovers debattierte. Eine andere Kriegsfolge: das Problem der sozialen Integration der Kriegsopfer, der Heimkehrer, vor allem der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, bildete einen weiteren Deutungszusammenhang, in dem nationalistische Denkfiguren bedeutsam wurden. Im Spektrum der >multiplen Identitäten< lag die Flüchtlingsfrage an der Schnittstelle von nationaler und regionaler Identität. Kamen die Menschen aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien als »Fremde« in die heimische Region, oder wurden sie als Deutsche begrüßt? Im politischen Diskurs war es gängig, Solidarität im Namen der Nation einzufordern. So beschwor der Sozialdemokrat Erich Ollenhauer im November 1949 die »nationale Not«, die jeder Deutsche mittragen müsse52. In der Presse der SBZ schlug man dieselbe Saite an. In Brandenburg beispielsweise erging bereits zur ersten Friedensweihnacht 1945 die Mahnung, die Menschen aus den »Abtretungsgebieten« nicht im Stich zu lassen, denn »es sind deutsche Menschen, deutsche Frauen und Kinder«. Analog beklagten sich die geschockten Flüchtlinge über die oftmals niederschmetternden Erfahrungen bei ihrer Ankunft im übriggebliebenen Deutschland: »Und das alles unter Deutschen unter sich!«53. Ein kurzer Blick auf die regionalen Heftchen und Broschüren, die im Genre der Heimatkalender das Regionalbewußtsein kultivierten, zeigt die Kontinuität älterer, bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichender Denkfiguren. Im westfälischen Kiepenkerl-Jahrbuch beispielsweise erschien die Eingliederung der »Neu-



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Klaus von Schubert, Wiederbewaffnung und Westintegration. Die innere Auseinandersetum die militärische und außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik 1950—1952, Stuttgart 1970, S. 132. Vgl. Kurt Hermann, Aussprache über Aufrüstung: Schwerwiegende Gegengründe, in: Nation Europa, 1951, H. 6, S. 29 f. Dieses nationalistische Motiv der Gegner eines deutschen Verteidigungskontingents, das nicht zum Wiederstarken einer eigenständigen deutschen Armee geführt hätte, betont Mchael Geyer, Der Kalte Krieg, die Deutschen und die Angst. Die westdeutsche Opposition gegen Wiederbewaffnung und Kernwaffen, in: Nachkrieg (wie Anm. 1), S. 267—318, hier: S. 281 f. Zitiert nach Groh/Brandt, Vaterlandslose Gesellen (wie Anm. 19), S. 267 f. Gerda Sucker, Friedensweihnacht 1945, in: Volkswille 1. Jg., Nr. 19 (23.12.1945), S. 1; Michael Schwartz, »Zwangsheimat Deutschland«. Vertriebene und Kernbevölkerung zwischen Gesellschaftskonflikt und Integrationspolitik, in: Nachkrieg (wie Anm. 1), S. 114—148, Zitat: S. 117.

Vgl.

zung

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bürger« im ideologischen Zwielicht von regionalen und nationalen Selbstzuschreibungen. Dabei war auch die Rede von der Heimat nationalistisch gebrochen. Der in Bielefeld erscheinende Kiepenkerl stellte einerseits zunächst fest, daß »unsere alte Heimat zwischen Weser und Teutoburger Wald« stets »das Glück gehabt [hatte], binnendeutsch umschlossen zu sein.« Wer aus dem Ravensberger Land »auszog in die Fremde«, konnte sich durchsetzen, weil er »lebensstark von Blut und Art« war. Andererseits paßten die Flüchtlinge aus den Ostgebieten aus nationalistischen Gründen ins >mittel-deutsche< Westfalen, stellten sie doch »ein bewährtes deutsches Volkstum dar, dessen kultureller Wert im Gesamtgefüge der deutschen Stammesentwicklungen über jeden Zweifel erhaben ist.« Fazit: Nach Westfalen kamen »nicht einfach >fremde Menschen< [...], sondern deutsche Volksgruppen, deren innerer Bestand herkömmlich auf der gleichen Wertlinie mit dem

[...] Minden-Ravensberger-Volkstum liegt«54. Noch ein zweiter Gedanke zeigte in diesem Kontext, wie sehr die kriegsbedingte demographische und geographische Nachkriegsentwicklung in den Kategorien eines deutschen Nationalismus gedeutet werden konnte, den eine sozialdarwinistische Lebensraum-Ideologie eintrübte. Die Bewältigung dieser Kriegsfolge geriet, wie schon der Krieg selbst, zu einer Existenzfrage des deutschen Volkes. Auch hierfür liefert der »Kiepenkerl« ein Beispiel: »Alle Deutschen« stünden unter dem gleichen »Schicksalsgesetz«, insofern stellten die Flüchtlinge einen »Prüfstein« für die Fähigkeit der Deutschen dar, auch auf dieser verkleinerten nationalen Basis zu einer »sich ihrer selbst bewußten Zusammengehörigkeit« zu gelangen. Deshalb müsse das »neue Volkstum« aus den ehemaligen Siedlungsgebieten in das »alte

deutsche Stammland« überführt werden. Der Heimatkalender malte auch die Konsequenz des Scheiterns in den düsteren Farben des nationalen Untergangs. Er beschwor die »tödliche Gefahr der Selbstauflösung unseres deutschen Restvolkes«, die angesichts der Notwendigkeit, im europäischen »Großraum« die (deutschen) Kräfte zu bündeln, um so größer erschien55. Diese Gemengelage von Regionalbewußtsein und Nationalismus wirft ein Licht auf den mentalen Haushalt der Nach-

kriegsgesellschaft. Daß diese Wahrnehmungsdispositionen

nicht untypisch waren, zeigt auch die öffentliche Diskussion über die staatliche Neuordnung im Spannungsfeld von Zentralismus, Föderalismus und Separatismus. Das Verhältnis der kleineren Einheit zur übergeordneten wurde im Vokabular einer Stammesrhetorik artikuliert, die ihre Ursprünge im 19. Jahrhundert hatte. Das verdeutlichen unmittelbar nach dem Krieg bereits die »stammesföderalistische [n] Neugliederungskonzepte« etwa der Alemannischen Freiheitsbewegung oder des Schwäbisch-Alemannischen HeimatAuf der Suche nach neuer Heimat, in: Kiepenkerl-Jahrbuch für Minden, Ravensberg, Lippe, hrsg. von Wilhelm Busse, 1 (1949), S. 153-155. Ebd., S. 155. Vgl. auch Westfalen-Zeitung (Nr. 1, 15.3.1946, S. 3) als »Heimatzeitung in des Wortes gutem Sinne«. »Man darf mit Recht behaupten, daß unseres Stammes Eigenart durch die Jahrhunderte überall Anerkennung fand und daß man den Westfalen in der ganzen Welt mit Achtung begegnete.« Einen starken »Haß« zwischen den Regionen innerhalb Deutschlands registrierte auch die britische Besatzungsmacht, vgl. Intelligence Summary No. 44 of G.S.I., H.Q. British Troops, Berlin, S. 2 (22.5.1946), Public Record Office, Kew, FO 371/55879.

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234

bundes, die sich in der Debatte um die Restrukturierung Südwestdeutschlands zu Wort meldeten56. Noch Mitte der fünfziger Jahre griff etwa die parteiübergreifende Fränkische Arbeitsgemeinschaft e.V. Nürnberg für die historische Beweisführung in die Zeit der Befreiungskriege zurück, um die fränkische und schwäbische Eigenständigkeit gegenüber der altbayerischen Dominanz herauszustreichen. Der »Mythos Staatsbayern« ignoriere das »fränkische Stammesbewußtsein«, die neue bayerische Verfassung verstoße gegen »die elementarsten stammesmäßigen Eigenrechte«, klagte etwa ein Franke Mitte der fünfziger Jahre57. Auch für die Konstruktion der deutschen Nation kam es darauf an, Gegenwart und Zukunft durch Geschichtsbilder zu untermalen, die trotz der jüngsten Vergangenheit Legitimations- und Integrationskraft besaßen. Welche Angebote hielt die Geschichtswissenschaft im ersten Nachkriegsjahrzehnt bereit? III.

Krieg und Wehrmacht in der Nationalgeschichte

Die Wirren der

Nachkriegszeit hatten den Druck auf die Geschichtswissenschaft Vergangenheit, die jüngste zumal, zu erklären. Ein historiographiegeschichtlicher Seitenblick soll keineswegs der Annahme Vorschub leisten, daß die geschichtskulturelle Diskussion einzig eine Frage der Fachdisziplin (gewesen) sei. Insbesondere aus dem Blickwinkel der Nationalismusforschung ist festzuhalten, daß Historiker nicht die einzigen sind, die nationale Identität durch Vergangenheitsentwürfe konstruieren. Als Angehörige der Deutungselite gleich welcher politischen Couleur waren sie jedoch gerade nach 1945 von der »Bildungsmacht« ihres Faches und der gesellschaftliche Funktion der Deutung und Sinnstiftung übererhöht, die

zeugt. Mehr noch: Die Historiker sahen sich in dieser Hinsicht in einer nationalen Pflicht: »Denn wann hätte jemals«, fragte Gerhard Ritter, »unser Volk mit solcher Sehnsucht darauf gewartet, in seiner tiefen Unruhe ein ruhig-sachliches Wort zu hören über sein Schicksal, über den Sinn des Erlebens dieser Jahre, über die allgemeine Richtung des Weges, der von gestern über das Heute in das Morgen führte«58? Die zentrale Frage konnte nur lauten, warum »unser deutsches Volk, jahrhundertelang eine der friedfertigsten unter den Nationen des Abendlandes, zum Schrecken Europas und der Welt werden konnte.« Die Entstehungs- und

Vgl. Jürgen Klöckler, Abendland, Alpenland,

Alemannien. Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland 1945-1947, München 1998. Vgl. auch Wolfrum, Nationalismus (wie Anm. 8). Franken in Bayern ein Problem!, Nürnberg 1956, zitiert in: Süddeutsche Zeitung Nr. 29, 4./5.2.1959, S. 4. Vgl. ebd., Schwaben klagen über Zentralismus. Aus Augsburg kommt der Ruf: »Nie wieder München«. Gerhard Ritter, Geschichte als Bndungsmacht. Ein Beitrag zur historisch-politischen Neubesinnung, Stuttgart 1946, S. 32 f. Zur Historiographiegeschichte sei hier der Kürze halber verwiesen auf den Literaturbericht von Christoph Cornelißen, Geschichtswissenschaft und Politik im Gleichschritt? Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, in: Neue Politische Literatur, 42 (1997), S. 275-309. Vgl. Mary Fulbrook, German National Identity after the Holocaust, Cambridge 1999, S. 103-118.

»Verwirrung im Vaterländischen«?

235

Entwicklungsgeschichte des preußisch-deutschen >Militarismus< sollte einerseits, so lautete Ritters Forderung, »ohne alle Hemmungen durch alteingewurzelte Vorurteile unserer Nationalhistorie« erfolgen, andererseits »aber auch ohne die natürlichen Vorurteile des Ausländers«59. Die Antwort konnte nur ein deutscher Historiker geben, das galt dem ersten Vorsitzenden des neuen Historikerverbandes als ausgemacht.

jüngeren Historikern ab, die im Nationalsozialismus ihre Karriebegonnen hatten, dominierten die älteren, noch im 19. Jahrhundert wurzelnden Sieht

re

man von

national-konservativen Historiker die deutsche Geschichtswissenschaft. Sie fühlten sich, wie Siegfried A. Kaehler im Juli 1933 an Hermann Aubin schrieb, als »bürgerliche Nationalist[en]«60, die nach dem >Friedensdiktat< von Versailles auf die österreichisch-preußische deutsche Staatlichkeit fixiert und geistesgeschichtlich orientiert waren. Sie hatten sich im »Dritten Reich« nicht zuletzt dank ihrer nationalistischen Orientierung arrangieren können61. Die meisten, auch die wegen der positivistischen Wissenschaftstradition unauffälligeren nationalsozialistischen Historiker waren schon nach kurzer Zeit wieder in ihrer Zunft tätig. Der neorankeanische Ruf nach der historischen Wahrheit und ein Hang zum Quellenpositivismus stellte die methodologischen Weichen für die Beschäftigung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit62. Die Kapitulation warf für viele Historiker die Frage nach den historischen Ursachen auf. Wie ließ sich die Gründung des Nationalstaats in die Geschichte einordnen, die, so die Annahme, schließlich zu seinem Zusammenbruch geführt hatte? 1945 verwies deshalb auf 1871, das Ende des Dritten Reiches deutete auf den Anfang der Einigung des >Zweiten Reichese hin, das ja bislang als Schlußpunkt einer mühsamen Nationalgeschichte ideologisch betrachtet worden war. Die zuletzt aus der NS-Propaganda bekannte Konstruktion einer Linie von Bismarck zu Hitler lehnten die meisten nationalkonservativen Historiker ab. Sie ordneten Bismarck einer anderen, durch das europäische Staatensystem geprägten Epoche zu, die 1917 mit dem Beginn des Zeitalters der WeltpoHtik zu Ende gegangen sei. Der Nationalsozialismus mußte deshalb in einem Zusammenhang mit dem Marxismus, nicht mit dem älteren Nationalstaat gesehen werden63.

59

Gerhard Ritter, Vorwort, in: Ders., Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des >Militarismus< in Deutschland, Bd 1: Die altpreußische Tradition (1740-1890), 2. Aufl., München 1959

60

Zitiert nach Hans-Erich Volkmann, Deutsche Historiker im Umgang mit Drittem Reich und Zweitem Weltkrieg 1939-1949, in: Ende des Dritten Reiches Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau, hrsg. von Hans-Erich Volkmann, München, Zürich 1995,

(meine Herv., J.E.).

-

S.

61

62

63

861-911, hier: S. 894. Vgl. Ingo Haar, Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der »Volkstumskampf« im Osten, Göttingen 2000; Volkmann, Deutsche Historiker (wie Anm. 60); Karen Schönwälder, Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M., New York 1992. Vgl. hierzu und zum folgenden ausführlich Sebastian Conrad, Auf der Suche nach der verlorenen Nation. Geschichtsschreibung in Westdeutschland und Japan, 1945 1960, Göttingen 1999. Vgl. ebd., S. 65 f. —

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236

Hielt die Geschichtswissenschaft also an einer Nationalgeschichte fest, deren Anfange sie auf unterschiedliche Weise auf die Gegenwart bezog, zeugten die zahlreichen historischen Ortsbestimmungen von dem Bemühen, den Aufstieg des Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und die Zäsur von 1945 zu verarbeiten. Sie prägte ein Grundmotiv: die Annahme, daß die Deutschen auf ihrem Gang durch die Geschichte ab einem bestimmten Zeitpunkt auf historische Abwege geraten seien. »Der Irrweg einer Nation« dieser Titel eines im mexikanischen Exil geschriebenen Büchleins des jüdischen Kommunisten Alexander Abusch hätte über zahlreichen Arbeiten stehen können64. In der Tradition ihrer Zunft gaben sich die Historiker große Mühe, die Entwicklungslinien der deutschen Geschichte nachzuzeichnen, um auf diese Weise die Gegenwart zu erklären. Wenn die Historiker den Beginn dieses Irrwegs auch unterschiedlich datierten für die meisten begann er 1740 mit der Vorherrschaft Preußens —, so führte er stets in den Abgrund der jüngsten Vergangenheit. Die im Kaiserreich wurzelnden Historiker empfanden wie ihr Nestor, der nunmehr 84jährige, seit 1932 emeritierte Friedrich Meinecke, die Kapitulation von 1945 als eine »deutsche Katastrophe«65. Die Frage, der sich die Historiker nach 1945 stellen mußten, lautete: Wie konnte die militärische Niederlage erklärt werden, ohne daß die Vergangenheit der Deutschen ihre traditionsstiftende Funktion verlor? Sie bildete eine Leitfrage der Geschichtsschreibung nach 1945. Die Antwort lief, kurz gesagt, auf ein Erklärungsmuster hinaus, daß die Zeit des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges als das Ergebnis einer Fehlentwicklung der an sich guten nationalen Eigenschaften der Deutschen darstellte. »Mit uns ist durch die zwölf Jahre etwas geschehen, das wie eine Umschmelzung unseres Wesens ist66.« Die Devise für die Zukunft konnte dann nur heißen, zu diesem nationalen Nukleus zurückzukehren. In der Regel war ein Fundus kultureller Werte gemeint, der die jüngste Vergangenheit unbeschadet überstanden habe. Dieses Deutungs- und Argumentationsmuster entsprach der eingangs geschilderten normativen Dichotomie eines wahren und eines falschen Nationalismus und unterfütterte das kulturelle Sendungsbewußtsein. So betonte beispielsweise Ritter, daß »die Hitlerbewegung [...] eine extreme Entartungsform des neudeutschen Nationalismus überhaupt« gewesen ist, dessen Ursprung er auf den Schlachtfeldern der Freiheitskriege sah67. —

-

64

Alexander Abusch, Der Mexiko 1945.

65

Meinecke, Katastrophe (wie Anm. 30).

66

67

Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte,

Karl Jaspers, Erneuerung der Universität. Rede bei der Wiedereröffnung der Universität Heidelberg mit medizinischen Kursen, 1945, in: Die Wandlung, 1 (1945/46), H. 1, zitiert in: Ders., Lebensfragen der deutschen Politik, München 1963, S. 26—35, hier: S. 27. »Mythisch gesprochen: die Teufel haben auf uns eingehauen und haben uns mitgerissen in eine Verwirrung, daß uns Sehen und Hören verging.« Das war nur bedingt entlastend gemeint: Jaspers weist auf die Alternative des Freitods angesichts der manifesten Verbrechen hin. Freilich ist der Tod eine höchst zweifelhafte Alternative, und so stellte auch J aspers fest, daß »wir«, die Überlebenden, den Freitod aus dem zwar »schwachen«, aber »auch richtigen Grund« nicht gewählt hätten, denn »unser Tod hätte doch nichts helfen können.« Ritter, Geschichte als Bildungsmacht (wie Anm. 58), S. 39. Ritter ging es mit diesem Hinweis auf das Nationale um die Ehrenrettung des (partikularen) Preußentums, das ja die Alliierten für den Aufstieg des Nationalsozialismus verantwortlich machten.

»Verwirrung im Vaterländischen«?

237

wie bei Die Fehlentwicklung konnte auf genuin nationale, aber auch Meinecke und Ritter auf europäische, allgemeine Einflüsse wie die Doppelrevolution, die Moderne und, vor allem in der katholischen Perspektive, auf die Säkularisierung zurückgeführt werden. Das entsprach der Modernitätsskepsis der konservativen Historiker68. In jedem Fall lenkte es von der Forschung nach den strukturellen Mängeln in der Vergangenheit der eigenen Gesellschaft ab. Der Siegeszug der Totalitarismustheorie sollte diese Tendenz in den fünfziger Jahren ebenso verstärken wie die strukturgeschichtliche Erweiterung der Zeitgeschichte, die den Nationalsozialismus in erster Linie als ein Produkt der modernen Massengesellschaft erscheinen ließ69. So wurden Krieg und Nationalsozialismus in ein größeres Geschichtsbild des 20. Jahrhunderts eingeschrieben, in dem das Problem der »Vermassung« der Gesellschaft einen prominenten Platz einnahm. Von der »Masse« ging durchweg die Gefahr für Politik und Gesellschaft aus. Als eine Folge des Ersten Weltkriegs, so das Deutungsmuster, sei ein »entpersönlichte[s] Massenmenschentum« entstanden70. Das Phänomen sahen die Historiker als ein universales an. Diese Grundtendenz der Geschichtsdeutung als Vermassung ließ den Nationalsozialismus als den Höhepunkt einer solchen Entwicklung erscheinen; die Masse fand sich schließlich in der starken Hand eines Führers wieder. Ritter formulierte die Quintessenz dieser Betrachtungsweise: »Im Kern seines Wesens ist der Nationalsozialismus gar kein originaldeutsches Gewächs, sondern die deutsche Form einer europäischen Erscheinung: des Einparteien- und Führerstaates71.« Schließlich fand auch die Parole vom Nationalbewußtsein ihren Widerhall in der Historiographie. Daß der Historiker Rassow eine Krise des Nationalbewußtseins konstatierte, davon war bereits die Rede. Doch was verstand Rassow unter Nationalbewußtsein72? Angesichts der Vieldeutigkeit des Begriffes definierte er Nationalbewußtsein nominalistisch als das »hohe Bewußtsein, einer Nation anzugehören«. Internationalismus, Weltbürgertum oder Humanismus wiewohl Gegenbegriffe verweisen zugleich darauf, daß die Nation stets über sich selbst hinausweist: Sie steht zur Menschheit in einem »Dienstverhältnis«. Ihr »Sendungsbewußtsein« sei, so Rassow, eine Ingredienz jedes Nationalbewußtseins73. Gestützt auf die in den dreißiger Jahren erschienene Arbeit von Kurt Stavenhagen, der in Riga, Königsberg und Posen Philosophiegeschichte gelehrt hatte, ging der Kölner Historiker von einem »Substrat allen Volksseins« aus: einer »biologische [n] Grundsubstanz«, der Gemeinsamkeit der Sitten, der Sprache und des Rechts, wenngleich er das nicht als Rasse benannt wissen wollte. Das Volk wird in dem Maße zur Na-

-



-

68

69 70 71

72 73

Vgl. als ein Beispiel: Gerhard Ritter, Europa und die deutsche Frage. Betrachtungen über die geschichtliche Eigenart des deutschen Staatsdenkens, München 1948; vgl. Conrad, Suche (wie Anm. 62), S. 169 f. Vgl. zur Strukturgeschichte als »Palliativ« Conrad, Suche (wie Anm. 62), S. 255-271. Ritter, Europa (wie Anm. 68). Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Mit einem Brief Goerdelers in Faksimile, Stuttgart 1954, 4. Aufl. 1984 (unveränderter Nachdruck der 3. Aufl. von 1956), S. 94. Zu den historischen Voraussetzungen des Nationalsozialismus vgl. ebd., S. 91—98. Rassow, Krise (wie Anm. 18), S. 57. Rassow stützte sich u.a. auf Kurt Stavenhagen, Das Wesen der Nation, Berlin 1934, vgl. Rassow, Krise (wie Anm. 18), S. 58. Rassow, Krise (wie Anm. 18), S. 58.

238

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ein Bewußtsein seiner selbst als einer »Jahrhunderte alten Geschichtsund Erlebnisgemeinschaft« entwickelt. Im Vergleich mit anderen Völkern nun sei »das Nationalbewußtsein der Deutschen [...] älter als das irgendeiner anderen Nation Europas«. Rassow datierte seinen Beginn und damit den Beginn der deutschen Geschichte auf das 10. Jahrhundert, auf die politische und kulturelle Verselbständigung des ostfränkischen Reiches, den Kampf von fünf deutschen Stämmen unter der Führung von Otto I. gegen die Ungarn74. Die Nation als selbstbewußte Schicksalsgemeinschaft: In diese Definition ließ sich nicht nur der Stolz auf vergangene Leistungen der Nationsangehörigen, sondern auch und ganz besonders die Erinnerung an gemeinsame Notzeiten einbinden. Der Dreißigjährige Krieg, die Unterdrückung durch Napoleon und, zuletzt, »die Leiden, die die Gewaltherrschaft Hitlers und der grausige Absturz in die Tiefe 1939 bis 1945 über uns gebracht haben das sind nationbildende Kräfte«. Die Zeit des Nationalsozialismus und des Totalen Krieges gewinnen in diesem Rückblick eine Bedeutung als Antriebskraft des Nationbildungsprozesses. Terror und Kriegstod wurden zu nationalen »Erlebniskräftefn]«. Gerade weil sie so schrecklich waren, würden sie gleichsam einen besonders festen Platz im Gedächtnis der Nation einnehmen; das Erlebnis werde noch »die Phantasie unserer fernsten Enkel«

tion, wie

es

-

beschäftigen75.

Auch wenn hier nur einige Tendenzen der westdeutschen Geschichtswissenschaft im ersten Nachkriegs Jahrzehnt skizziert werden konnten, ist festzuhalten, daß die überwiegend national-konservativen deutschen Historiker ein Geschichtsbild präsentierten, daß dem Bedürfnis nach Sinnstiftung und Orientierung auf doppelte Weise Rechnung trug. Zum einen setzte es die Tradition einer (geistesgeschichtlichen) Nationalgeschichtsschreibung fort, in deren Mittelpunkt die Entwicklung des eigenen Volkes, nicht zuletzt die Entwicklung seines Nationalbewußtseins stand. Die Nachkriegsgesellschaft erhielt ein Deutungsangebot zur nationalen Selbstvergewisserung durch die Vergangenheit. Zum anderen wurde diese Vergangenheit mit unterschiedlichen Mitteln gegen die Jahre vor 1945 immunisiert, deren Grauen das Sinnstiftungs- und Orientierungspotential der deutschen Geschichte nachhaltig erschüttert und zur kritischen Selbstreflexion mit Kategorien gezwungen hätte, die mit einer nationalistischen Überhöhung unvereinbar gewesen wären. Nationalsozialismus und Krieg wurden aus einem spezifischen Winkel im Rückblick sichtbar. So wie die Deutschen dank des Nationalsozialismus zu einem wahren Nationalismus zurückkehren konnten, so schienen die Kriegserfahrungen das deutsche Volk erneut als eine nationale Schicksalsgemeinschaft bestätigt zu haben. Auch dadurch erklärt sich die Unverbrüchlichkeit der öffentlichen Erinnerung und symbolischen Praxis im Gedenken an die Toten beider Weltkriege, die von den Besonderheiten des nationalsozialistischen Krieges zwangsläufig absehen mußte. 74

75

Vgl.

Peter Rassow, Nationalgeschichte und Universalgeschichte (1955), in: Ders., Geschichtliche Einheit (wie Anm. 18), S. 72—82, hier: S. 72.; vgl. bereits ders., Nationalgeschichte und Universalgeschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 2 (1951), H. 9. Rassow, Krise (wie Anm. 18), S. 58 60. -

239

»Verwirrung im Vaterländischen«?

Das Kriegerdenkmal aus den zwanziger Jahren brauchte häufig nur um die Zahlen »1939-1945« ergänzt zu werden; vor allem zwei nationale Symbole der Adler und das Eiserne Kreuz kündeten wie zuvor vom Einsatz der Gefallenen für das Vaterland76. Der 1951/52 wieder eingeführte Volkstrauertag, für dessen feierliche Inszenierung der ebenfalls wieder präsente Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge verantwortlich zeichnete, gab der symbolischen Erinnerung in einem geschichtspolitischen Akt die Weihe eines nationalen Feiertages. Hingegen war der 8. Mai als Datum des Kriegsendes nicht als Feiertag in Betracht gekommen, da ihn die DDR als einen gegen den Westen gerichteten »Tag der Befreiung« bereits geschickt in Szene setzte. Auch der 20. Juli 1944, der Tag des Attentats auf Hitler, kam nicht in Frage, sollte er doch noch auf lange Zeit mit dem Stigma des >Landesverratse versehen bleiben77. Erst nach dem Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953 erhielt die Bundesrepublik auf Initiative der sozialdemokratischen Opposition mit dem Tag der Deutschen Einheit einen Nationalfeiertag, der auf die Gesamtnation verwies paradoxerweise zu einer Zeit, als sich die nationalstaatliche Teilung durch die voranschreitendende Westintegration verfestigt hatte. Aber auch die Geschichtspolitik vor Ort wie etwa die Einweihung von Kriegerdenkmälern gab Anlaß, die Kriegsvergangenheit als eine nationale Leidenszeit zu inszenieren. Das zeigt exemplarisch die Einweihung eines Gefallenendenkmals in einer Kleinstadt im Harz. Das »Erinnerungsmal«, das die Stadt Osterode 1954 errichtet hatte, galt den Honoratioren als ein »Symbol des gemeinsamen Opferganges der deutschen Stämme«, die Erinnerung daran bildete einen »Gemeinbesitz des ganzen deutschen Volkes«. Die Trauer stellte gleichsam den emotionalen Kitt der nationalen Identität dar. Zum anderen bildete die Stätte einen Ort, der besondere »Empfindungen« auslösen sollte: »Dankbarkeit und Achtung« für die gefallenen Soldaten. Das Denkmal zeuge von der »aufopfernden Pflichterfüllung des einzelnen Soldaten«, von dem Willen der Truppenteile »aller deutscher Stämme, im Dienst [...] des Volkes [...] die Gebote der Waffenehre und Kameradschaft als sinnfälligsten Ausdruck soldatischer Gemeinschaft im Sieg und in der Niederlage zu wahren«78. Frühestens als Anfang der sechziger Jahre die parlamentarischen Debatten über die Verjährung von NS-Verbrechen begannen und die NS-Prozesse für Aufsehen sorgten, kamen Deutsche auch als Täter ins Gerede. Erst zu diesem Zeitpunkt setzte die Erosion des Opfer-Diskurses ein. Die Sorge um den vermeintlichen Mangel an Nationalbewußtsein und die Annahme nationaler Eigenschaften, die nationalistische Überhöhung der innenpolitischen Diskussionen über Kriegsfolgen und Wiederbewaffnung, schließlich die Konstruktion nationaler Vergangenheitsentwürfe, welche die Zeit des Nationalso-

-

-

76

Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd 6: Bundesrepublik, Heidelberg 1987, S. 238-242. Peter Steinbach, Widerstand im Dritten Reich die Keimzelle der Nachkriegsdemokratie? Die Auseinandersetzung mit dem Widerstand in der historischen politischen Bildungsarbeit, in den Medien und in der öffentlichen Meinung nach 1945, in: Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime, hrsg. von Gerd R. Ueberschär, Köln 1994, S. 79—100. Vgl. zur Erinnerungsfunktion des 8. Mai Dubiel, Geschichte (wie Anm. 24). Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), RH 26-59/5. -

78

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240

zialismus und vor allem des Krieges so integrierten, daß ihre sinnstiftende Funktion nicht verloren ging all das signalisiert die fortgesetzte Bedeutung, die der Vorstellung einer nationalen Ordnung auch nach 1945 in weiten Teilen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft beigemessen wurde. Die Kontinuität älterer Überzeugungen zeigte sich nicht zuletzt bei der Nagelprobe auf die Loyalität gegenüber der eigenen Nation: die Bereitschaft der Deutschen, für ihr Volk zu sterben. Von den Meinungsforschern gefragt, ob es irgend etwas gebe, für das es sich lohne, sein Leben einzusetzen, entgegneten 25 Prozent der jungen Männer im März 1952: »für Deutschland, für mein Volk, für meine Heimat«. Es folgten mit Abstand unter anderem die Familie (11 Prozent), die persönliche Freiheit (6 Prozent), der Frieden (3 Prozent) und die christliche Religion (3 Prozent)79. Ein Drittel befürwortete die theoretische Option, daß es Deutschland gut und dem Befragten schlecht gehe, während 37 Prozent ihr eigenes Wohlbefinden über das nationale Wohl stellten und 30 Prozent mit der Frage nichts anzufangen wußten80. Während nationalistische Deutungs- und Argumentationsmuster in der pluralistischen Gesellschaft Westdeutschlands in unterschiedlicher, ja konträrer Weise bemüht wurden, erhielten sie in der SBZ und der DDR vorübergehend einen festen Platz im Rahmen der politischen Strategie. -

IV. Die >Nation< zwischen Krieg und Frieden »Westarbeit« in der SBZ/DDR



Die nationale Politik der SED war im wesentlichen eine Funktion der deutschlandpolitischen Vorgaben aus Moskau. Die veränderlichen Rahmenbedingungen, welche die sowjetische Führung festsetzte, ließen der SED-Führung nur einen geringen Handlungsspielraum, der in Zeiten einer relativen Stabilität ihrer Herrschaft in Ostdeutschland, also 1951/1952 und seit 1957/59, etwas größer ausfiel als in der Zeit innenpolitischer Anspannung (1953, 1956 und 1961). Nicht »Deutschlandpolitik«, sondern »Westarbeit« lautete die selbst gewählte Bezeichnung für die Propaganda der SED in den westlichen Zonen bzw. in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Mit Hilfe eines umfangreichen und zentralisierten Apparates, der die Massenorganisationen ebenso erfaßte wie Ministerien und Blockparteien, versuchte die SED, gezielt Einfluß auf die öffentliche Meinung in Westdeutschland zu nehmen81. An die zwei teils konkurrierenden Bewegungen, die 79

80 81

Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1 (wie Anm. 15), S. 123. Freilich zeigten überzeugt, daß es nichts gebe, für das es sich lohne, sein Leben einzusetzen. Ebd., S. 123. Heike Arnos, Die Westpolitik der

Vgl.

sich 42 Prozent

SED 1948/49-1961. »Arbeit nach Westdeutschland« durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1999, besonders S. 7 76; Rolf Badstübner, Die sowjetische Deutschlandpolitik im Lichte neuer Quellen, in: Die deutsche Frage in der Nachkriegszeit, hrsg. von Wilfried Loth, Berlin 1994, S. 102-135; Michael Lemke, Die DDR und die deutsche Frage 1949 1955, in: Die deutsche Frage (wie oben), S. 136—171, und ders., Die Deutschlandpolitik der DDR zwischen Moskauer Oktroi und Bonner Sogwirkung, in: Die DDR als Geschichte. Fra—



»Verwirrung im Vaterländischen«?

241

und die Initiative einer »Nationalen Front«, welche die Aktivitäten prägten, kann hier nur erinnert werden. Vielmehr lohnt ein Blick darauf, wie die >Nation< in die Argumentations- und Deutungsmuster des zentral ge-

Volkskongreßbewegung

»Herrschaftsdiskurses« nach 1945 eingebunden wurde. »Wie steht der Marxist zur Nation?« Diese Frage wurde nach dem Ende des Krieges in der sozialistischen Presse aufgeworfen. Kein Zweifel bestand daran, daß der Begriff der Nation vor dem Erfahrungshintergrund des Weltkrieges einerseits und der nationalen Teilung in der Nachkriegszeit andererseits neu bestimmt werden mußte. Die »imperialistische Abenteuer- und Kriegspolitik« führte nicht dazu, den Begriff >Nation< über Bord zu werfen, sondern gab Anlaß zum Justieren der aus »nationalen« Gründen. Bereits der Erste Semantik Weltkrieg habe dem »deutschen Volk« gezeigt, was imperialistische Herrschaft bedeute; der »Hitlerfaschismus und der Hitlerkrieg« hätten erneut verdeutlicht, daß »imperialistische Gewalt und Kriegspolitik« nicht nur eine Gefahr für »die fremden Völker« sei, sondern »eine Politik des nationalen Selbstmordes für das eigene Volk darstellte.« Der antifaschistische Kampf des Proletariats erhielt auf diese Weise eine nationale Weihe. Seit 1933 habe, so lautete die ebenso marxistische wie nationalistische Deutung der jüngsten Vergangenheit, die Arbeiterbewegung gemeinsam mit den anderen fortschrittlichen Kräften »den Kampf um das eigene Vaterland« mit dem Ziel geführt, den Imperialisten »das nationale Schicksal« aus den Händen zu reißen. Schon bald mußten die Sozialisten »klar erkennen, daß in Wirklichkeit sie die wahrhaft patriotische Partei [war]«. Da allein die Arbeiterklasse für Frieden und Freiheit einstand, besitzt sie einen Alleinvertretungsanspruch im Hinblick auf »die wahrhaft nationalen Interessen«, hieß es 1946 im Zentralorgan der Kommunistischen Partei82. Vor der Kontrastfolie des Krieges leuchtete der Appell an den Frieden unmittelbar ein. Ihn national aufzuladen und auf diesem Wege die Führungsmacht der SED zu bekräftigen ermöglichte das Junktim von Frieden und nationaler Einheit, hinter dem sich das konkrete deutschlandpolitische Ziel verbarg, die Westintegration und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zu verhindern. Diese Nationalisierung der Politik, genauer: das nationale Fundieren der eigenen Herrschaftslegitimation bedeutete angesichts der staatlichen Teilung und der »bürgerlichen« Kritik daran nichts anderes als einen Streit um die Definitionsmacht im deutschdeutschen Nationalismusdiskurs. Der Nationbegriff wurde trotz seiner Bedeutung in der NS-Propaganda nicht über Bord geworfen, sondern positiv umgedeutet und darüber hinaus allein für die eigene sozialistische Sache reklamiert. steuerten



gen S. 181

Hypothesen

-

Perspektiven, hrsg.

von

Jürgen

Kocka und Martin Sabrow, Berlin 1994,

194; Manfred Overesch, Die Gründung der DDR 1949 als nationales Kerngebiet und der -

gesamtdeutsche Anspruch von KPD und SED, in: Materialien der Enquête-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«, Bd V/2: Deutschlandpolitik, Baden-Baden 1995, S. 1927-1966; Wolfgang Pfeiler, Die >nationale< Politik der KPD/SED 1945-1952, in: Ebd., S. 1967-2014; Dietrich Staritz, Zwischen Ostintegration und nationaler Verpflichtung. Zur Ost- und Deutschlandpolitik der SED, 1948 bis 1952, in: Westdeutschland (wie Anm. 38), S. 279-289. Wie steht der Marxist zur Nation? in: Deutsche Volkszeitung, 2. Jg. Nr. 94 (21.4.1946), S. 3. —

Jörg Echternkamp

242

Das erforderte zweierlei. Zum einen mußte die Nation, das klang bereits an, mit der Arbeiterbewegung in der Tradition des Nationalbolschewismus versöhnt werden. Dem »Patriotismus« der Arbeiterklasse stand der proletarische Internationalismus nur scheinbar im Wege. Der vermeintliche Gegensatz wurde vielmehr durch eine simple Argumentationsfigur in ein komplementäres Verhältnis überführt. Der »nationale Kampf« gegen Reaktion und Imperialismus wurde als ein Ringen für die Gleichberechtigung aller Völker, für Frieden und Freiheit auf der ganzen Welt internationalisiert. Die innenpolitische Auseinandersetzung erhielt so eine außen- und weltpolitische Dimension. Wenn »das schaffende deutsche Volk im eigenen Hause Ordnung schafft«, indem es die »die Macht [...] der Kriegshetzer« vernichtet, diene es letztlich allen friedliebenden Völkern. Deutscher Patriotismus und proletarischer Internationalismus widersprachen sich also nicht; »vielmehr ist das eine ohne das andere nicht denkbar«83. Zum anderen mußte jede abweichende Verwendung der Schlüsselbegriffe als irreführender Manipulationsversuch der Gegenseite entlarvt werden. Konzediert wurde, daß Worte wie >Vaterland< und >Nation< in der Arbeiterbewegung bislang »fast verpönt« und vielmehr »das Privileg der bürgerlichen Parteien« gewesen seien. Spätestens nach der Erfahrung von Diktatur und Krieg klinge die nationale Parole aus dem Mund »bürgerlich-reaktionärer« Politiker jedoch nach einer »gemeinen lieferte den Der Lüge«. Krieg Begründungszusammenhang. Die kriegslüsternen und die friedliebenden Sozialisten wurden auch im Hinblick auf ihImperialisten ren nationalen Charakter einander dichotomisch gegenübergestellt. Hieß es einerseits: »Die Imperialisten kennen kein Vaterland, kein nationales Interesse,« folgte andererseits die apodiktische Feststellung: »Nur die freiheits- und friedliebenden Kräfte des Volkes haben das Recht, sich als nationale und patriotische zu bezeichnen.« Auch im Osten gehörte die bekannte normative Dichotomie, die auch in der begrifflichen Gegenüberstellung von »Nationalismus und Chauvinismus« daherkam, zu den Funktionsmechanismen des Nationalismus84. Auch hier dienten sie dazu, Exklusivität im Inneren herzustellen und die Grenzlinien zu der negativen Referenzgesellschaft im Westen zu ziehen. Aus der Reklamation des Nationsbegriffs im Kontext der Friedensrhetorik ergab sich im Umkehrschluß die Diskreditierung der nationalen Rede anderer. »Würden wir es aber der Reaktion ermöglichen, sich national zu tarnen, würden wir ihr diese Fahne überlassen, dann würde sie von neuem die Volksmassen in ihr Garn locken können.« Das verblüffend deutliche Bekenntnis zu der massenmobilisierenden Wirkung der nationalen Parole ließ offenbar den Verdacht aufkommen, daß auch die eigene Seite diese >Fahne< zu demselben Zweck schwenke, ohne tatsächlich national gesonnen zu sein. Jedenfalls sah sich der Redner veranlaßt zu beteuern, daß »unsere positive Einstellung zur Nation [...] aufrichtig« sei85. War der Begriff >Nation< erst einmal besetzt, konnten gesamtdeutsche Ansprüche formuliert werden. Die Nationalisierung der Kampf- und Friedensrhetorik sollte bis in 83

84 85

Ebd., S. 3.

Vgl. Werner Krauss, Nationalismus und Chauvinismus, in: Aufbau, 2 (1946), S. 443—456. Wie steht der Marxist

zur

Nation?

(wie Anm. 82), S. 3.

»Verwirrung im Vaterländischen«?

243

die fünfziger Jahre die vorgegebene Forderung nach einem einheitlichen deutschen Staat untermauern. »Ganz Deutschland ist unsere Heimat und unser Vaterland« diese Schlagzeile des »Neuen Deutschland« brachte die Leitidee 1950 auf den Punkt. Vor dem Hintergrund des Krieges zielte der vielbeschworene Kampf für den Frieden als eine nationale Bewegung auf die Mobilisierung aller Deutschen. Sie richtete sich gegen die anderen: die westlichen Alliierten. Die in der unmittelbaren Nachkriegszeit bekannte Deutung der Deutschen als Barbaren wurde hier kurzerhand umgedreht. So stilisierten die Propagandisten den Kampf gegen die Besatzungsmächte in Westdeutschland zu einem »Kampf gegen die barbarischen Zerstörer unserer herrlichen deutschen Kultur«86. Der Antiamerikanismus, der als Kulturkritik auftrat, sollte die tiefsitzenden antiwestliche Ressentiments schüren. Die angesichts der Teilung und Besatzung Deutschlands nicht von der Hand zu weisende, für den Nationalismus typische Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit der nationalen Einheit zwang zu mahnenden Worten an die Adresse der Zweifler. Kurt Hager, Leiter der Abteilung Parteischulung und -propaganda der SED, mußte im Juli 1950 einräumen, daß es selbst unter Genossen gelegentlich »Stimmungen des [...] nationalen Nihilismus« gebe; so soll zum Beispiel ein Bergarbeiter geäußert habe: »Es gibt keine deutsche Nation mehr.« Hager betonte, daß aus dem Kampf der Nationalen Front für einen einigen und unabhängigen deutschen Staat nicht gefolgert werden dürfe, daß es die deutsche Nation nicht gebe. Die nationale Einheit blieb ein ambivalenter Begriff: Er konnte die staatliche Einheit der Nation ebenso bedeuten wie die von der politischen Ordnung unabhängige Einheit der Nation. Aus der »nationale [n] Unterdrückungs- und Kolonisierungspolitik« der westlichen Alliierten dürfe denn auch nicht der falsche Schluß gezogen werden, daß »die deutsche Nation aufgehört habe zu existieren, daß sie bereits zerfallen sei«87. Der dynamische Nationbegriff der Propaganda lief vielmehr auf einen qualitative Wandel zum Besseren hinaus. Die gebetsmühlenartig wiederholte Zielvorstellung hieß: ein vereinter deutscher Staat, aus dem sich die Besatzungstruppen nach Abschluß eines Friedensvertrages zurückgezogen hätten, im engen Bündnis mit der Sowjetunion. Zu den Stichworten Einheit und Freiheit gesellte sich ein drittes: »das starke Deutschland«88. Diese nationalistischen Parolen zielten der antifaschistischen Herrschaftslegitimation zum Trotz nicht zuletzt auf die äußere Rechte in Westdeutschland. SED und KPD hofierten selbst halsstarrige Nationalsozialisten. Um den mationalen Widerstand< gegen die Wiederbewaffnung zu mobilisieren, griffen sie dazu gelegentlich tief in die Mottenkiste der Geschichte, wenn sie in den frühen fünfziger Jahren die Konvention von Tauroggen aus der Zeit der preußisch-russischen Allianz in den Befreiungskriegen bemühten. Auch der Kult um Theodor Körner lag

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86 87

Deutschland gehört den Deutschen, in: Neues Deutschland, 5. (61.) Jg., Nr. 225 (26.9.1950), S. 2. Kurt Hager, Von Stalin lernen heißt siegen lernen, in: Neues Deutschland, 5. (61.) Jg., Nr. 174 (28.7.1950), S. 4. Deutschland gehört den Deutschen (wie Anm. 86). -

88

Jörg Echtemkamp

244

auf dieser Linie89. Tatsächlich schielten insbesondere ehemalige Offiziere nach Osten, weil sie sich dort besser verstanden wähnten und in Ostberlin oder Moskau den Schlüssel für die Lösung der deutschen Frage sahen, die ihnen mehr am Herzen lag als die Wiederbewaffnung und die Integration eines Teiles in ein freies und demokratisches Westeuropa90. Man hoffte auf die Rückkehr zu nationaler Größe auf dem Weg bewaffneter Neutralität. Die Stalin-Note vom 10. März 1952 schlug denselben Ton an, indem sie einem neutralen Deutschland eine (beschränkte) Nationalarmee zur Wahrung seiner Neutralität zugestand. Die diversen Verbindungen der linken und rechten Extrempositionen sei es die »Bruderschaft«, sei es der »Führungsring ehemaliger Soldaten« kamen indes aufgrund der antisowjetischen Einstellung der westdeutschen Bevölkerung über das Stadium des Sektierertums nicht hinaus. Statt dessen wurden die ostdeutschen Parolen im Westen als Neuauflage des alten Nationalismus angeprangert, nicht zuletzt von führenden Sozialdemokraten. So warnte der Vorsitzende der SPD, Kurt Schumacher, auf dem Nürnberger Parteitag 1947 in scharfem Ton gleichermaßen vor dem »alte[n] Nationalismus der Besitzbürger« und dem »Neonationalismus der Kommunisten«. Schumacher erkannte, daß der moderne Nationalismus nur eine Waffe im Kampf um die Macht im Staate sei, eine gefahrliche Waffe freilich, die allzu schnell eine Eigendynamik entwickeln könne. Für den 1895 geborenen Schumacher sprachen die Kommunisten die Sprache des Kaiserreiches, ja des Dritten Reiches. Den Nationalismus verglich er deshalb mit einer »Sprengbombe, mit der auch kommunistische Narrenhände auf die Dauer nicht ungestraft spielen könnten«91. Wo die deutsch-deutsche Wahrnehmung in den wertenden Kategorien des Nationalen erfolgte, zeigte sich schließlich die beziehungsgeschichtliche Facette des Nationalismus der Nachkriegszeit. —



V. Eine Stunde Null des Nationalismus?

Rassismus und Antisemitismus, Militarismus und Führergläubigkeit hatten 1945 ihre Salonfähigkeit weitgehend eingebüßt nicht so der Nationalismus. Allemanns beruhigende Diagnose für das erste Nachkriegs Jahrzehnt, daß »das Nationale als solches unerheblich geworden« sei, verstellt den Blick auf die Kontinuität älterer nationalistischer Denkfiguren, Deutungsmuster und Emotionen92. Die Annahme, —

Vgl.

René Schilling, Das Erbe des Heroismus. Die Erinnerung an die Kriegshelden Theodor Körner und Otto Weddigen in den beiden deutschen Staaten von 1945 bis 1990, in: Kriegskultur (wieAnm. 46), S. 94-109. Vgl. den »Ruf an die deutsche Frontgeneration« im Organ der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, der »Nationalzeitung« vom 7.12.1952. Kurt Schumacher, Grundsatzreferat auf dem Nürnberger Parteitag der SPD: »Deutschland und Europa« (29.6.1947), in: Ders., Reden Schriften Korrespondenzen 1945 1952, hrsg. von Willy Albrecht, Berlin, Bonn 1985, S. 486-517 und 513 f. Allemann, Bonn (wie Anm. 4), S. 114 f. Daß zur Konstruktion einer nationalen Identität Ausgrenzung in rassistischen Kategorien, wenn auch nicht in der Begrifflichkeit des Rassismus, weiterhin möglich war, zeigt Heide Fehrenbach, Of German Mothers and >NegermischlingskinderHochkultur< oder in der >Populärkultur< oder auch im AUtagsleben. Hier jedoch Hegt der Schwerpunkt auf dem poHtischen Diskurs, häufig auf dem Wirken poHtischer Bewegungen und Organisationen, die nach Macht streben oder Macht ausüben. Zunächst soU die Art und Weise betrachtet werden, in der sich diese Konzentration auf die Nation als kultureUe Konstruktion und symboUsche PoHtik in den einzelnen Beiträgen des Bandes niederschlägt. Sodann werden weitere Gesichtspunkte in Augenschein genommen: die Bedingungen, unter denen die Nation kultureU konstruiert wird, und die Wege, ford 1997; The Invention of Tradition, ed. by Eric Hobsbawm and Terence Ranger, 15nd ed., Cambridge 2000. Vgl. Smith, NationaHsm and Modernism (wie Anm. 2), Kapitel 9 (>Beyond modernism?From national movement to the fullyformed nation: the nation-buUding process in EuropeNegermischHngskinderNationale< AbstamVorfeld der im mungstheorien Nationalstaatsbildung, in: Nation und Literatur im Europa der Frühen Zeit, hrsg. von Klaus Graber, Tübingen 1989, S. 108-163 Geulen, Christian, Die Metamorphose der Identität: Zur »Langlebigkeit« des Nationalismus, in: Identitäten, hrsg. von Aleida Assmann und Heidrun Friese, Frankfurt a.M. 1998, S. 359-373 Geulen, Christian, Sozialdarwinismus und Naturalisierung der Nation. Deutschland und Amerika im Vergleich, Diss. Bielefeld 2002 Geyer, Michael, Der Kalte Krieg, die Deutschen und die Angst. Die westdeutsche Opposition gegen Wiederbewaffnung und Kernwaffen, in: Nachkrieg, S. 267-318 Geyer, Michael, Das Stigma der Gewalt und das Problem der nationalen Identität in Deutschland, in: Von der Aufgabe der Freiheit, S. 673-698 Geyer, Michael, The Stigma of Violence. Nationalism and War in TwentiethCentury Germany, in: German Studies Review, 15 (1992), Spec. Issue, ed. by Harald James, S. 75-110 Giesen, Bernhard, Die Intellektuellen und die Nation. Eine deutsche Achsenzeit, Frankfurt a.M. 1993 —



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Tacke, Charlotte,

vom

16.

zum

Symbole in Deutschland

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Ziemann, Benjamin,

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Autorinnen und Autoren

John f. BreuiUy, Ph.D., geb. 1946, Professor of Modern History, University of Birmingham, Head of the Department of Modern History; 1999-2002 Chair of German History Society; 2001/02 FeUow am WissenschaftskoUeg zu BerHn. Er arbeitet an einer vergleichenden Kulturgeschichte der Städte Hamburg, Lyon und Manchester im 19. Jahrhundert sowie an einer Studie zum Thema »Modernisierungstheorie und deutsche Geschichte«. Veröffentlichungen: Joachim Friedrich Martens (1806-1877) und die deutsche Arbeiterbewegung, Göttingen 1984; NationaHsm and the State (1985), 2. Aufl., Chicago 1995; Labour and HberaUsm in nineteenth-century Europe: essays in comparative history, Manchester 1992; (Hg.), The state of Germany: The national Idea in the Making, Unmaking and Remaking of a modern Nation-State, London 1992; (Hg.), The era of the Reform League: EngHsh Labour and radical poHtics 1857-1872, documents selected by Gustav Mayer, Mannheim 1995; The Formatiof the First German Nation-State 1800-1871, London 1996; NationaHsmus und moderner Staat: Deutschland und Europa, Köln 1999, (Hg.), Nineteenthcentury Germany: poHtics, culture, and society 1780-1918, London 2001; Austria, Prussia and the making of modern Germany 1806-1871, London 2002. on

Dr. phil, geb. 1963, Studium der Geschichtswissenschaft und Romanistik in Bielefeld, Poitiers und Baltimore; seit 1997 Historiker am Müitärgeschichtlichen Forschungsamt (Potsdam), Projekdeiter »Krieg und GeseUschaft 1939-1945« (Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9) und Redakteur der MüitärgeschichtHchen Zeitschrift; Lehraufträge an der Universität Potsdam und der Freien Universität BerHn. Veröffentlichungen: Der Aufstieg des deutschen NationaHsmus (1770-1840), Frankfurt a.M., New York 1998; Arbeiten in den Bereichen Sozial- und MentaHtätsgeschichte des deutschen Bürgertoms, NationaHsmus- und LiberaHsmusforschung; Müitärgeschichte des 19. und 20. Jh.; zuletzt: Arbeit am Mythos Soldatengenerationen der Wehrmacht im Urteü der west- und ostdeutschen NachkriegsgeseUschaft, in: Nachkrieg in Deutschland, hrsg. von Klaus Naumann, Hamburg 2001; »Kameradenpost bricht auch nie ab ...« Ein Kriegsende auf Raten im Spiegel der Briefe deutscher Ostheimkehrer 1946-1951, in: MGZ, 60(2001) 1; Von Opfern, Helden und Verbrechern Anmerkungen zur Bedeutung des Zweiten Weltkriegs in den Erinnerungskultoren der Deutschen 1945-1955, in: Kriegsende 1945 in Deutschland, hrsg. von Jörg Hülmann und John Zimmermann, München 2002; Zwischen Selbstverteidigung und Friedenskampf. Zur Wirkungs-

Jörg Echternkamp,

-



292

Autorinnen und Autoren

geschichte des Ersten Weltkriegs 1945-1960, in: Erster Weltkrieg Zweiter Weltkrieg: ein Vergleich, hrsg. von Bruno Thoß und Hans-Erich Volkmann, Paderborn -

2002.

Andreas Etges, Dr. phil., geb. 1965, hat in Bochum, Madison, Wisconsin (USA) und Bielefeld Geschichte, Germanistik und Journalistik studiert und 1998 mit einer Arbeit über deutschen und amerikanischen Wirtschaftsnationalismus in Bielefeld promoviert. Von seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Geschichte des John F. Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin ist er zur Zeit freigestellt, um als Projektleiter die vom Deutschen Historischen Museum in Berlin für den Sommer 2003 geplante Sonderausstellung zu John F. Kennedy zu betreuen. Veröffentlichungen: Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich (1815-1914), Frankfurt a.M., New York 1999; (Hg.), Nordamerika und Europa, Münster 2002; The Wound that Won't Heal: Neue Forschungen zum Vietnamkrieg und seinen Folgen, in: Neue Politische Literatur, 2002, H. 1; Die Auswirkungen des 11. Septembers auf die amerikanische Sicherheitspolitik, in: Weltlage. Der 11. September 2001, die Politik und die Kulturen, hrsg. von Felicitas von Aretin und Bernd Wannenmacher, Opladen 2002; John F. Kennedy, München 2003. Vito Francesco Gironda, geb. 1969, ist Doktorand an der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie der Universität Bielefeld. Veröffentlichungen: Nazione, nazionalismo e cittadinanza in Germania tra Otto e Novecento, Bologna 2001; mit Manfred Hettling (Hg.), Germania: Cultura del ricordo e passato nazista, Modena 2000.

Hedda Gramley, Dr.

phil., setzte nach einer Ausbildung für das Lehramt und einigen an Unterricht diversen Institutionen ihr Studium an der Universität BieleJahren feld fort. Im Anschluß an ihre Magisterarbeit, die sich mit dem Wandel einer pietistischen Siedlung in den USA im 18./19. Jahrhundert befaßte, konzentrierte sie sich auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts, v.a. auf das Phänomen des Nationalismus. Veröffentlichungen: Propheten des deutschen Nationalismus. Theologen, Historiker und Nationalökonomen 1848-1880, Frankfurt a.M., New York 2001. Sven Oliver Müller, Dr. phil., geb. 1968, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie der Universität Bielefeld; bis Herbst 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung und Bearbeiter des Bereiches »Feldpostbriefe« der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht«. Veröffentlichungen v.a. zur Geschichte des Ersten Weltkriegs und zum Nationalismus. Zuletzt: Die umstrittene nationale Gemeinschaft. Der Nationalismus als

Konfliktphänomen, in: Nation

Ethnie, hrsg.

Rasse —

-

von

Ulrike Jureit, Frankfurt

Autorinnen und Autoren

293

a.M. 2000; Who is the Enemy? The NationaHst DUemma of Inclusion and Exclusion in Britain During the First World War, in: European Review of History 9, (2002); Die Nation als Waffe und VorsteUung. NationaHsmus in Deutschland und Großbritannien im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2002 (im Druck). Ute Planert, Dr. phü., geb. 1964, wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Universität Tübingen und Projekdeiterin im Sonderforschungsbereich »Kriegserfahrungen Krieg und GeseUschaft in der Neuzeit«. Arbeiten zur Sozial- und MentaHtätsgeschichte des Bürgertums, zur völkischen Bewegung, zur NationaHsmusforschung, zu der Geschichte von Körper und SexuaHtät, zur Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie zur Wissenschaftsgeschichte. HabiHtationsprojekt zur Erfahrungsgeschichte der Revolutions- und napoleonischen Kriege im Rheinbund. Veröffentlichungen u.a.: Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurs, soziale Formation und poHtische MentaHtät, Göttingen 1998; (Hg.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und NationaHsmus in der Moderne, Frankfurt, New York 2000; Der dreifache Körper des Volkes: SexuaHtät, BiopoHtik und die Wissenschaften vom Leben, in: Geschichte und GeseUschaft, 2000, H. 4; verschiedene Aufsätze zur Erfahrungsgeschichte des napoleonischen Zeitalters. —

Reichardt, Dr. phü., geb. 1967, Studium der Geschichtswissenschaft, PoHtologie, Psychologie und ItaUanistik an der Universität Hamburg und der Freien Universität BerHn, M.A. 1995, Promotion 2000. Stipendiat des »GraduiertenkoUegs GeseUschaftsvergleich«, des Deutschen Historischen Instituts in Rom, des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz und der FAZIT-Stiftung. Seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeit am Wissenschaftszentrum BerHn in der Arbeitsgruppe »ZivügeseUschaft: historisch-sozialwissenschaftUche Perspektiven«. VeröffentHchungen: Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im itaHenischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln, Weimar, Wien 2002; Reinheit und Gewalt, hrsg. von Sebastian Conrad, JuHa Eckert und Sven Reichardt, BerHn 2001 (= Sociologus 51, 2001, H. 1/2, Schwerpunktband). Sven

Walkenhorst, geb. 1967, Studium der Fächer Neuere und Neueste Geschichte, Öffentliches Recht und Alte Geschichte in Freiburg i. Br., Boston und Bielefeld. Peter

1992-1997 wissenschaftliche Arbeit an der Fakultät für Geschichtswissenschaften und Philosophie der Universität Bielefeld. Seit 1997 Projektleiter der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh. Arbeit an einer Dissertation zum Thema: »Nation«, »Volk«, »Rasse«. Ideologische Konstruktion und poHtische Praxis des radikalen NationaHsmus im Deutschen Kaiserreich 1890-1914. Veröffentlichungen: NationaHsmus als »poHtische ReHgion«? Zur reHgiösen Dimension nationaHstischer Ideologie im Kaiserreich, in: ReHgion im Kaiserreich. Müieus MentaHtäten Krisen, hrsg. von Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann (ReHgiöse Kulturen der Moderne, Band 2), Gütersloh 1996, S. 503-529. —

-

294

Autorinnen und Autoren

Hans-Ulrich Wehler, geb. 1931, Promotion 1960, Habilitation 1968, seit 1971 Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld, Emeritierung 1996.

Wissenschaftskolleg zu Berlin Veröffentlichungen: Sozialdemokratie und Nationalstaat 1840-1914 (1962), 2. Aufl. 1971; Bismarck und der Imperialismus (1969), 6. Aufl. 1984; Krisenherde Fellow am

...

des Kaiserreichs 1871-1918 (1970), 2. Aufl. 1979; Geschichte als Historische Sozialwissenschaft (1973), 3. Aufl. 1980; Das deutsche Kaiserreich 1871-1918 (1973), 10. Aufl. 2000; Der Aufstieg des deutschen Imperialismus 1865-1900 (1974), 2. Aufl. 1987; Modernisierungstheorie und Geschichte, 1975; Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3 Bde., 1987-1995; Politik in der Geschichte, 1997; Die Herausforderung der Kulturgeschichte, 1998; Politische Umbrüche und gesellschaftliche Kontinuität, 2000. Nationalismus: Geschichte Formen Folgen München 2001; Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhunderts: 1945-2000 Göttingen 2001. —



Beiträge zur Militärgeschichte Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Band 48 Das Internationale Krisenjahr 1956 1999. XXIX, 722 Seiten ISBN 3-486-56369-6 Band 49 Olaf Rose Carl von Clausewitz 1995. XIII, 275 Seiten ISBN 3-486-56062-X Band 50 Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit 1995. XIV, 565 Seiten ISBN 3-486-56063-8 Band 51 Volksarmee schaffen ohne Geschrei! Studien zu den Anfangen einer „verdeckten Aufrüstung" in der SBZ/DDR 1947-1952. 1994. 360 Seiten ISBN 3-486-56043-3 Band 52 -

Jürgen Angelow

Von Wien nach Königgrätz Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes 1996. 418 Seiten

ISBN 3-486-56143-X Band 53

Kriegsende 1918 Ereignis, Wirkung, Nachwirkung 1999. 432 Seiten ISBN 3-486-56443-9 Band 54 Robert Bohn Reichskommissariat Norwegen 2000. XII, 508 Seiten ISBN 3-486-56488-9 Band 55 Kriegsende 1945 in Deutschland 2002. VIII, 335 Seiten ISBN 3-486-56649-0

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