Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen: Untersuchung der aus der Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit resultierenden Konflikte [1 ed.] 9783428514007, 9783428114009

Der Autor behandelt die hochaktuelle Problematik der kohärenten Entscheidungsfindung internationaler Gerichte, wie sie e

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German Pages 400 Year 2004

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Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen: Untersuchung der aus der Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit resultierenden Konflikte [1 ed.]
 9783428514007, 9783428114009

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Band 147

Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen Untersuchung der aus der Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit resultierenden Konflikte

Von

Jasper Finke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JASPER FINKE

Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von J o s t D e l b r ü c k, R a i n e r H o f m a n n und A n d r e a s Z i m m e r m a n n Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

147

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Rudolf Bernhardt Heidelberg

Eibe H. Riedel Universität Mannheim

Christine Chinkin London School of Economics

Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg

James Crawford University of Cambridge

Bruno Simma Universität München

Lori F. Damrosch Columbia University, New York

Daniel Thürer Universität Zürich

Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva

Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin

Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen Untersuchung der aus der Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit resultierenden Konflikte

Von

Jasper Finke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bonn Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 3-428-11400-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Februar 2003 fertiggestellt und im Sommersemester 2003 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Veröffentlichungen und Rechtsprechung ab April 2003 konnten nicht mehr berücksichtigt werden. Ausgenommen hiervon sind der Aussetzungsbeschluss des ISGH in der MOX Plant-Streitigkeit und die Entscheidung des OSPARSchiedsgerichts in der Hauptsache. Ich bin vielen Menschen zu Dank verpflichtet, da es mir ohne ihre Unterstützung nicht gelungen wäre, diese Arbeit abzuschließen. Dies gilt in erster Linie für meinen Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jost Delbrück, dessen kontinuierliche und vorbehaltlose Förderung ich immer sehr geschätzt habe, aber auch für Herrn Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann, dem ich nicht nur für die Erstellung des Zweitgutachtens in Rekordzeit dankbar bin, sondern auch für seine ständige Gesprächs- und Hilfsbereitschaft, die mich mindestens einmal davor bewahrt hat, die Dissertation abzubrechen. Ich habe aber nicht nur die Gesprächs- und Hilfsbereitschaft von Prof. Dr. Jost Delbrück und Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann arg strapaziert, sondern auch die von Prof. Dr. Andreas Zimmermann und Dr. Ursula Heinz sowie aller anderen, die mit mir zusammen am Walther-Schücking-Institut gearbeitet haben. Aus der nicht enden wollenden Dankesliste möchte ich schließlich noch Herrn Prof. Dr. Christian Tietje hervorheben, dem ich nicht nur die Anregung zu diesem Thema verdanke, sondern auch viele wichtige Denkanstöße. Dies gilt auch für Dr. Jan Neumann, den ich ebenso wie Herrn Prof. Dr. Christian Tietje jederzeit mit wichtigen und auch unwichtigen Fragen traktieren durfte. Besonders dankbar bin ich meiner Freundin Franziska Exeler für die Geduld und den Zuspruch, den ich von ihr erhielt, wenn ich zweifelte. Dies gilt in gleicher Weise für meine Eltern, Barbara und Dr. Michael Finke, deren liebevoller Unterstützung ich mir immer sicher sein konnte. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Schließlich möchte ich mich bei der Deutschen Forschungsgesellschaft bedanken, durch deren großzügige finanzielle Förderung die Veröffentlichung dieser Arbeit ermöglicht wurde. Berlin, im Januar 2004

Jasper Finke

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

1. Teil Gründe und Beispiele paralleler Zuständigkeiten völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

20

A. Zunehmende Regelungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit im internationalen Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Obligatorische Gerichtsbarkeit nach Teil XV SRÜ. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Foren zur Streitbeilegung im Rahmen des SRÜ. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . 2. Streitbeilegung nach Teil XI Abschnitt 5 SRÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit im internationalen Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das WTO-Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Panel-Verfahren im GATT 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reform durch das DSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. NAFTA-Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streitbeilegung nach Kapitel 20 NAFTA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitbeilegung nach Kapitel 19 NAFTA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit zum Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der UN-Menschenrechtsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das interamerikanische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Struktur der Völkerrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interdependenz von freiem Welthandel und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . 1. Umweltschutz im Rahmen der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Committee on Trade and Environment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umweltrelevante Normen in Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 29 33 35 37 39 40 40 40 44 47 51 51 54 56 57 61 63 67 69 72 76 76 78

8

Inhaltsverzeichnis aa) GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. XX GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. III GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) TBT-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) SPS-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) TRIPS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handelsbeschränkungen in multilateralen Umweltübereinkommen . . . a) Biodiversitätskonvention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Cartagena-Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kyoto-Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78 79 81 84 85 87 90 90 94 97 101

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Divergierende Auslegung derselben Rechtsnorm in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Divergierende Auslegungen des test of control in der Rechtsprechung des IGH und ICTY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der test of control in der Rechtsprechung des IGH im Nicaragua-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der test of control in der Rechtsprechung des ICTY . . . . . . . . . . . . aa) Prosecutor v. Rajic´ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prosecutor v. Tadic – Trial Chamber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prosecutor v. Tadic – Berufungskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. SBT-Schiedsgericht und ISGH MOX Plant-Entscheidung. . . . . . . . . . . . II. Divergierende Auslegung unterschiedlicher, aber inhaltsgleicher Rechtsnormen in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren – die Loizidou-Entscheidung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Divergierende Auslegungen derselben Rechtsnormen in im Zusammenhang stehenden Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung des Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention . . . . . 2. Divergierende Auslegungen derselben Rechtsnormen in im Zusammenhang stehenden Verfahren im Rahmen der SRÜ-Gerichtsbarkeit . IV. Parallele Verfahren aufgrund parallel anwendbarer Übereinkommen desselben Sachbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Southern Bluefin Tuna-Fall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die MOX Plant-Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parallele Verfahren im Rahmen der WTO- und NAFTA-Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parallele Verfahren im Verhältnis von WTO- und NAFTA-Art.1903-Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallele Verfahren im Verhältnis von WTO- und NAFTA-Kapitel20-Streitbeilegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Helms-Burton-Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Parallele Zuständigkeiten von EGMR und UN-Menschenrechtsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 104 105 106 109 109 112 114 117

118 121 121 123 124 124 129 134 134 137 139 142

Inhaltsverzeichnis a) Rogl gegen Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pauger gegen Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Parallele Verfahren aufgrund parallel anwendbarer Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schwertfisch-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parallele Verfahren wegen handelsrelevanter Umweltschutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 143 144 146 147 150

E. Konfliktpotential aufgrund paralleler Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 151 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

2. Teil Zuständigkeitskonflikte A. Zuständigkeitskonkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Parallele Anwendbarkeit von Verträgen in Bezug auf denselben Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragskonkurrenz und Vertragskollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lex posterior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lex specialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Harmonisierende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschluss von inter-se Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parallele Anwendbarkeit von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragskonflikte zwischen WTO-Rechtsordnung und multilateralen Umweltübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Harmonisierende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Institutionelle Möglichkeiten der Harmonisierung. . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausnahmegenehmigungen, Auslegungserklärungen und Vertragsänderungen durch die WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Harmonisierung im Rahmen der WTO-Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Öffnungsklausel“: Artikel 3 Abs. 2 DSU . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Relevanter Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Reichweite des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK . . . . . . . b) Materiellrechtliche Harmonisierungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Risikobeurteilung nach dem Cartagena-Protokoll und dem SPS-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Harmonisierungsfähigkeit von Cartagena-Protokoll und SPSÜbereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ansatz für die harmonisierende Auslegung . . . . . . . . . . . .

157 157 158 158 166 167 169 171 173 176 177 179 179 179 180 181 183 184 185 192 192 195 196

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Inhaltsverzeichnis (2) Harmonisierungsfähigkeit bezüglich der Durchführung einer Risikobeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Harmonisierungsfähigkeit bezüglich der Zulässigkeit des Vorsorgeprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorrangregelungen des allgemeinen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit in WTO-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materiellrechtliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lex posterior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lex specialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abschluss von inter-se Vereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Parallele Anwendbarkeit im Verhältnis von SRÜ und regionalen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Parallele Anwendbarkeit von Übereinkommen zum Schutze der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Parallele Anwendbarkeit der WTO-Übereinkommen und NAFTA . . . . . .

B. Inhaltliche Parallelität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhaltliche Parallelität von GATT und SRÜ im Schwertfisch-Fall . . . . . . . 1. Kooperationsobliegenheit nach Art. XX GATT. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thunfischstreitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Garnelenstreitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der Kooperationsverpflichtung nach dem GATT und SRÜ. . . . . a) Inhalt der Kooperationsobliegenheit nach Art. XX GATT. . . . . . . . b) Inhalt der Kooperationsverpflichtungen des SRÜ . . . . . . . . . . . . . . . c) Relevanz der inhaltlichen Unterschiede für die Entscheidung des Schwertfisch-Falles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Harmonisierung der Kooperationsvoraussetzungen nach GATT und SRÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhaltliche Parallelität von handelsrechtlich relevanten Umweltübereinkommen und WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen. . . . . . . I. Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP IPbürg und Vorbehalte gegenüber der Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 23 DSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Art. 2005 NAFTA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Identität der Streitgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit des Art. 2005 NAFTA in WTO-Verfahren. . . . . . . . . . . 3. Verhältnis von Art. 2005 Abs. 4 und Art. 2005 Abs. 1 und 2 NAFTA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. SRÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsgehalt der Art. 281 und 282 SRÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidung des Schiedsgerichts im SBT-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198 199 201 201 210 211 215 216 220 224 224 227 228 229 230 234 238 238 242 244 246 248 249 249 252 255 259 261 263 265 267 268 269

Inhaltsverzeichnis

11

3. Kritik an der Entscheidung des SBT-Schiedsgerichts und Rechtsprechung des ISGH in der MOX Plant-Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 VI. Bestehende Konkurrenzsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 D. Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze – rechtsmissbräuchlicher Antrag auf Einsetzung eines WTO-Panels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 E. Formen von Zuständigkeitskonflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zuständigkeitskonflikte im internationalen Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . 1. Gründe für die Entstehung von Zuständigkeitskonflikten . . . . . . . . . . . 2. Differenzierung zwischen doppelter Rechtshängigkeit und konnexen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übertragbarkeit der Differenzierung auf das Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . 1. Doppelte Rechtshängigkeit im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konnexe Verfahren im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendung auf die bestehenden Konkurrenzsituationen . . . . . . . . . . . . 4. Institutionelle Voraussetzungen für das Bestehen von Zuständigkeitskonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 281 281 282 286 286 288 293 294 296

F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

3. Teil Auslegungskonflikte

301

A. Institutionelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 B. Auslegungskonflikte und natürliche Fragmentierung des Völkerrechts . . 304 C. Auslegungskonflikte und Rechtsentwicklung im Völkerrecht. . . . . . . . . . . . 307 D. Auslegungskonflikte und die „Richtigkeit“ von Entscheidungen. . . . . . . . . 313

4. Teil Lösungsansätze A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kooperationsfähigkeit internationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Zwischengerichtliche“ Kooperationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründungsansätze für eine zwischenstaatliche Kooperationspflicht 2. Begründungsansatz für eine Kooperationspflicht zwischen internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kooperationspflicht zwischen internationalen Gerichten jenseits vertraglicher Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

316 318 318 320 322 323 326 330

12

Inhaltsverzeichnis

B. Zuständigkeitskonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Doppelte Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forum specialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forum non conveniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Res judicata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lis pendens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konnexe Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333 334 335 336 341 342 348

C. Auslegungskonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hierarchisierung des internationalen „Gerichtssystems“. . . . . . . . . . . . . . . . 1. IGH als Revisionsinstanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorabentscheidungsverfahren durch den IGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gutachtenanfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stare decisis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355 355 356 360 363 365

D. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398

Abkürzungsverzeichnis AGMR AJICL AJIL Am. U. Int’l. L. Rev. AVR AWZ BVerfG Canadian Y.B. Intern’l L. Case W. Res. J. Int’l L. CCSBT CDM CJTL CMLR Col. J. Int’l. Env. L. & P. Cornell J.I.L. CTE CUSTA DSB DSU EA EFP EGMR EJIL EKMR ELR EMIT EMRK EPIL EuG EuGH EuGRZ EuGVÜ EuZW

Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte African Journal of International and Comparative Law American Journal of International Law American University International Law Review Archiv des Völkerrechts Ausschließliche Wirtschaftszone Bundesverfassungsgericht Canadian Yearbook of International Law Case Western Reserve Journal of International Law Convention on the Conservation of Southern Bluefin Tuna Clean Development Mechanism Columbia Journal of Transnational Law Common Market Law Review Colorado Journal of International Environmental Law and Policy Cornell Journal of International Law Committee on Trade and Environment Canada – United States Free Trade Agreement Dispute Settlement Body Dispute Settlement Understanding Europa Archiv Experimental Fishing Program Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Journal of International Law Europäische Kommission für Menschenrechte European Law Review Group on Environmental Measures and International Trade Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law Europäisches Gericht 1. Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechtezeitschrift Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

14 FP FS GATT Geo. Wash. Int’l. L. Rev. Georgia J. Int’l & Comp. L.

Abkürzungsverzeichnis

Fakultativprotokoll Festschrift General Agreement on Tariffs and Trade George Washington International Law Review Georgia Journal of International and Comparative Law GIELR Georgetown International Environmental Law Review GVO Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen GYIL German Yearbook of International Law HdBStR Handbuch des Staatsrechts HRLJ Human Rights Law Journal HRQ Human Rights Quarterly IAKMR Inter-Amerikanische Konvention für Menschenrechte IAMRK Inter-Amerikanische Menschenrechtskonvention ICLQ International Comparative Law Quarterly IGH Internationaler Gerichtshof ILC International Law Commission ILM International Legal Materials ILR International Law Reports Ind. J. Gl. L. Studies Indiana Journal of Global Legal Studies IndJIL Indian Journal of International Law Int’l. J. Marine & Coastal L. International Journal of Marine and Coastal Law IPbürg Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts IPwirt Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ISGH Internationaler Seegerichtshof IStGH Internationaler Strafgerichtshof IZV Internationales Zivilverfahrensrecht JAIL Japanese Annual of International Law J. Int’l W. L. P Journal of International Wildlife Law and Policy J. Transnational L. & P Journal of Transnational Law and Policy JuS Juristische Schulung JWT Journal of World Trade JZ Juristenzeitung LJIL Leiden Journal of International Law L. P. Int’l B. Law and Policy in International Business Max Planck UNYB Max Planck Yearbook of United Nations Law Michigan J. I. L. Michigan Journal of International Law

Abkürzungsverzeichnis Minn. J. Gl. T. MRM NAFTA NILR NJW Nordic JIL Nortwestern J. Int’l L B. NYIL N.Y.U. J. Int’l L. P. OAS ODIL RdC RIAA RIW SAYIL SBT SPS SRÜ Standford J. Intern’l. L. StIGH TAC TBT T. Int’l L. J. TRIPS UN VfGH VirgJIL VRÜ VSK Washington Lee L. R. WTO YIEL ZaöRV ZLR ZUR

15

Minnesota Journal of Global Trade Menschenrechtsmagazin North American Free Trade Agreement Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenzeitschrift Nordic Journal of International Law Northwestern Journal of International Law and Business Netherland Yearbook of Internatinal Law New York University Journal International Law and Politics Organisation of American States Ocean Development and International Law Recueil de Cours Reports of International Arbitral Awards Recht der Internationalen Wirtschaft South African Yearbook of Internationl Law Southern Bluefin Tuna Sanitary and Phytosanitary Measures Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen Standford Journal of International Law Ständiger Internationaler Gerichtshof total allowable catch Technical Bariers to Trade Texas International Law Journal Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights United Nations Verfassungsgerichtshof Virginia Journal of International Law Verfassung und Recht in Übersee Vertragsstaatenkonferenz Washington and Lee Law Review World Trade Organization Yearbook of International Environmental Law Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für Umweltrecht

Einleitung Auch wenn Staaten als Konsequenz aus dem Gewaltverbot zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten gem. Art. 2 Abs. 3 UN-Charta verpflichtet sind, so bleiben sie bezüglich der Wahl des Streitbeilegungsmittels, wie sie exemplarisch in Art. 33 Abs. 1 UN-Charta aufgeführt werden, frei. Dementsprechend sind die Staaten nicht gezwungen, sich auf juristische Streitbeilegungsverfahren einzulassen. Eine solche Verpflichtung besteht nur, wenn die Staaten ihre Wahlfreiheit zugunsten eines Gerichts- oder Schiedsverfahrens eingeschränkt haben. Beispiele für eine solche freiwillige Verpflichtung sind einerseits die nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut abgegebenen Unterwerfungserklärungen unter die Gerichtsbarkeit des IGH und andererseits die Anerkennung obligatorisch zuständiger und verbindlich entscheidender Streitbeilegungsverfahren durch die Ratifikation eines Vertrages. Von beiden Einschränkungen ist seit Mitte der 90er Jahre zunehmend Gebrauch gemacht worden. So sind die Staaten zum einen vermehrt bereit, sich der Jurisdiktion des IGH zu unterwerfen. Zum anderen sehen wichtige völkerrechtliche Verträge, wie das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ)1 und das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO),2 obligatorisch zuständige, verbindlich entscheidende Streitbeilegungsverfahren vor. Mit dieser Entwicklung geht auch die Errichtung immer neuer internationaler Gerichte mit sachlich und/oder räumlich beschränkten Zuständigkeiten einher, so dass man versucht ist, von einem sich entwickelnden internationalen Gerichtssystem zu sprechen. Allerdings kann das Nebeneinander internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren nicht in dem Sinne als System bezeichnet werden, als dass damit ein gewisses Maß an Organisationsstruktur verbunden wird. Weder besteht eine allgemeine Zuständigkeitsordnung noch eine über die Streitbeilegungsorgane eines Übereinkommens oder einer Vertragsordnung hinausgehende Hierarchisierung. Ausgehend von diesen Beobachtungen soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht werden, welche Konsequenzen und Konflikte sich aus der Zunahme und damit einhergehend der Parallelität internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Verfahren ergeben. 1

United Nations Convention on the Law of the Sea, 10.12.1982, ILM 21 (1982), S. 1261 ff. 2 Agreement Establishing the World Trade Organization, 15.4.1994, ILM 33 (1994), S. 1144 ff.

18

Einleitung

Auch wenn sich bereits der StIGH in den Fällen German Interests in Polish Upper Silesia,3 Chorzów Factory,4 Electricity Company of Sofia and Bulgaria5 und The Mavrommatis Palestine Concessions6 mit unterschiedlichen Aspekten dieser Problematik auseinander setzen musste, so hat die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen sowie die Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit dazu geführt, dass sich sowohl die Völkerrechtspraxis als auch die Völkerrechtswissenschaft seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts verstärkt mit diesem Themenkomplex befasst hat bzw. befassen musste. So sind die Entscheidungen des EGMR im LoizidouFall7 und des ICTY im Tadic-Fall8 Ausgangspunkt für eine noch andauernde Diskussion darüber, ob aufgrund der zunehmenden Zahl verbindlich entscheidender Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren die Gefahr einer Fragmentierung der Völkerrechtsordnung wegen divergierender Auslegungen derselben Rechtsnormen droht. Im Gegensatz dazu stellt sich aufgrund des Schwertfisch-Falls,9 des Southern Bluefin Tuna-Falls10 und der MOX Plant-Streitigkeit11 die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Existenz paralleler Streitbeilegungsvorschriften in unterschiedlichen Übereinkommen und daraus möglicherweise resultie3 Case concerning Certain German interests in Polish Upper Silesia (Germany v. Poland), PCIJ, Ser. A, No. 6, 25.8.1925, S. 18 ff. 4 Case Concerning the Factory at Chorzów (Germany v. Poland), Jurisdiction, PCIJ Ser. A, No. 9, 26.7.1926, S. 25 ff. 5 The Electricity Company of Sofia and Bulgaria (Belgium v. Bulgaria), Preliminary Objections, PCIJ, Ser. A/B, No. 77, 4.4.1939, S. 64 (76 f.). 6 The Mavrommatis Palestine Concessions (Greece v. UK), PCIJ, Ser. A. No. 2, 30.8.1924, S. 31 ff. 7 Eur. Court H.R., Loizidou v. Turkey (preliminary objections), Appl. No. 15318/ 89, 23.3.1995, auszugsweise abgedruckt in ILR 103 (1996), S. 622 ff. 8 Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic, IT-94-1, 15.7.1999, ILM 38 (1999), S. 1518 ff. 9 Während die EG die Streitigkeit im Rahmen der WTO beilegen wollte – Chile – Measures Affecting the Transit and Importation of Swordfish, Request for Consultations by the European Communities, WT/DS193/1, 26.4.2000 – erhob Chile wegen desselben strittigen Lebenssachverhalts Klage vor dem ISGH; Case Concerning the Conservation and Sustainable Exploitation of Swordfishstocks in the SouthEastern Pacific Ocean (Chile v. European Community), ITLOS order 2000/3, 20.12. 2000, para. 3, abrufbar unter www.itlos.org. 10 Southern Bluefin Tune Case (Australia and New Zealand v. Japan), Request for Provisional Measures, 27.9.1999, ILM 38 (1999), S. 1624 ff. (im Folgenden SBT-ISGH); Southern Bluefin Tune Case (Australia and New Zealand v. Japan), Award on Jurisdiction and Admissibility, 4.8.2000, ILM 39 (2000), S. 1359 ff. (Entscheidung des Schiedsgerichts in der Hauptsache; im Folgenden SBT-Schiedsgericht). 11 The MOX Plant Case (Ireland v. UK), Request for Provisional Measures, 3.12.2001, ILM 41 (2002), S. 405 ff.

Einleitung

19

render paralleler Streitbeilegungsverfahren ergeben, die sich auf denselben strittigen Lebenssachverhalt beziehen. Auch wenn das Phänomen paralleler Zuständigkeiten bereits in der Völkerrechtsliteratur diskutiert worden ist, so sind Gegenstand dieser Diskussion nur einzelne Aspekte und Fallkonstellationen. Das Ziel dieser Arbeit besteht deshalb darin, diese einzelnen Aspekte zusammenzutragen, das zu Grunde liegende Konfliktpotential zu untersuchen und zu kategorisieren sowie mögliche Lösungsansätze aufzuzeigen, um so einen umfassenden Beitrag für die weitere Diskussion zu liefern. Um dieses Ziel zu erreichen, soll im ersten Teil der Arbeit zunächst der Frage nachgegangen werden, ob und welche Konflikte sich aus dem Phänomen der parallelen Zuständigkeiten ergeben. Dafür wird zunächst dargestellt, welche Entwicklungen im Völkerrecht für die zunehmende Existenz paralleler Zuständigkeiten ursächlich sind. Mit Hilfe des zur Verfügung stehenden Fallmaterials sowie in der Literatur theoretisch erörterter Konstellationen schließt sich daran eine grundsätzliche Kategorisierung der verschiedenen Konstellationen an sowie eine Untersuchung über das den Konstellationen zu Grunde liegenden Konfliktpotential. Im zweiten und dritten Teil der Arbeit werden dann die näheren Voraussetzungen für das Vorliegen von Konflikten aufgrund der Existenz von parallelen Zuständigkeiten untersucht. Darauf aufbauend werden im vierten Teil der Arbeit mögliche Lösungsansätze für die aufgezeigten Konfliktsituationen vorgestellt. Aufgrund der Fülle möglicher und tatsächlicher Konstellationen paralleler Zuständigkeiten ist allerdings auch eine Einschränkung des Untersuchungsgegenstandes notwendig. Erstens werden parallele Zuständigkeiten zwischen zwischenstaatliche Streitbeilegungsverfahren auf der einen und Streitbeilegungsverfahren für Private und Staaten (sog. Mixed Tribunals) auf der anderen Seite und daraus resultierende Konflikte von der folgenden Untersuchung nicht erfasst. Zweitens wird auch das bislang ungeklärte Verhältnis von Streitbeilegungsverfahren und Überwachungsverfahren, welche die Einhaltung der Vertragsverpflichtungen zum Beispiel in Form von Berichtspflichten o. Ä. überprüfen sollen, im Folgenden nicht erörtert werden.12 Und drittens bezieht sich die Untersuchung lediglich auf Situationen, in denen eines der involvierten Streitbeilegungsmechanismen ein internationales Gericht, Tribunal oder gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren ist. Die Parallelität von diplomatischen Streitbeilegungsmechanismen ist nicht Gegenstand der Untersuchung.

12 Zu dem ungeklärten Verhältnis von Vorschriften über die Streitbeilegung und Überwachungsmechanismen im Umweltvölkerrecht siehe Bothe, Enforcement Mechanisms, in: Wolfrum (ed.), Enforcing Environmental Standards, S. 13 (29 ff.).

1. Teil

Gründe und Beispiele paralleler Zuständigkeiten völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen Die Tatsache, dass sich die Völkerrechtsspraxis und -literatur in den letzten Jahren vermehrt mit Problemen, die aus der parallelen Anwendbarkeit von Streitbeilegungsmechanismen resultieren, auseinandersetzen musste, hat ihre Ursache primär in der seit Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen sowie der Aufwertung und Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit. Aber auch die Ordnungsstruktur des Völkerrechts als dezentrale Rechtsordnung und die damit einhergehende materiellrechtliche Dezentralisation, d.h. die Schaffung spezieller, auf einzelne Sachbereiche beschränkter Übereinkommen, ist zusammen mit den genannten Entwicklungen ein wesentlicher Faktor für die Entstehung paralleler Zuständigkeiten.

A. Zunehmende Regelungsdichte Es ist allgemein bekannt, dass die Zahl der bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen in den vergangenen Jahrzehnten ein kaum noch überschaubares Ausmaß angenommen hat.1 Auch wenn es für diese Entwicklung die vielfältigsten Gründe gibt, so dürfte doch der der Internationalisierung und die damit einhergehende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen der entscheidende sein. Dem Begriff der Internationalisierung sei hier ein weites Verständnis zu Grunde gelegt, d.h. unter Internationalisierung wird die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung der Staaten im Wege zwischenstaatlicher Kooperation verstanden, die auf der Erkenntnis beruht, dass die Staaten die ihnen zugewiesenen Aufgaben nicht mehr alleine erfüllen können.2 Dieser Prozess hat mittlerweile fast alle Sachbereiche staat1 Dahm/Delbrück/Wolfrum, I/3, S. 681. Während im Zeitraum von 1920 bis 1946 4.834 Verträge durch das Völkerbundsekretariat registriert wurden, so betrug die Zahl der bei den Vereinten Nationen bis Ende 1998 registrierten Verträgen über 40.000; zu diesen Zahlen vgl. Knapp/Martens, in: Simma (ed.), vol. II Art. 102, para. 2; Aust, Modern Treaty Law, S. 275. 2 Delbrück, Ind. J. Gl. L. Studies 1 (1993), S. 9 (11); zur damit einhergehenden Internationalisierung von Staatszielbestimmungen siehe Hobe, Der offene Ver-

A. Zunehmende Regelungsdichte

21

lichen Handelns erfasst. Dementsprechend sind den staatlichen Handlungsspielräumen durch die von ihnen freiwillig eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen Grenzen in Form einzuhaltender Mindeststandards gesetzt. Dies betrifft nicht nur die klassischen Bereiche des Völkerrechts, wie etwa die zwischenstaatliche Gewaltanwendung auf der einen und die Pflege zwischenstaatlicher Beziehungen in Form des Diplomaten- und Konsularrechts auf der anderen Seite, sondern auch Fragen des Menschenrechtsschutzes, des Wirtschaftsrechts, der Nutzung staatsfreier Räume sowie seit den 70er Jahren des Umweltrechts und seit neuestem auch des internationalen Strafrechts. Insbesondere das internationale Wirtschaftsrecht und das internationale Seerecht sowie der internationale Menschenrechtsschutz zeichnen sich durch ein nebeneinander von globalen und regionalen Übereinkommen und Institutionen aus. So ist das heutige internationale Wirtschaftsrecht durch die Existenz der WTO geprägt, welche durch In-Kraft-Treten des WTOÜbereinkommens am 1. Januar 1995 geschaffen wurden, sowie die darin inkorporierten multilateralen und plurilateralen Handelsübereinkommen.3 Daneben bestehen zahlreiche Freihandelszonen, die auf denselben handelsrechtlichen Grundsätzen basieren; zu nennen sind hier nur die supranationalen Europäischen Gemeinschaften (EG),4 das Nordamerikanische Freihandelsübereinkommen (NAFTA),5 die lateinamerikanische Wirtschaftszone Mercado Común des Sur (MERCOSUR)6 sowie die im asiatischen Raum bestehende Association of Southeast Asian Nations (ASEAN).7 fassungsstaat, S. 415 ff.; Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 252 ff. 3 Die multilateralen und plurilateralen Handelsübereinkommen sind in Annex 1 bis 4 des WTO-Übereinkommens aufgeführt; für eine Auflistung siehe auch Senti, WTO, Rn. 271. 4 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 25.3.1957, BGBl. II, 1957, S. 766 ff., zuletzt geändert durch den Vertrag von Amsterdam, 2.10.1997, BGBl. II, 1998, S. 387 ff., berichtigte Fassung BGBl. II, 1999, S. 416; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 18.4.1951, BGBl. II, 1952, S. 447 ff., der allerdings am 23.7.2002 ausgelaufen und nicht verlängert worden ist; Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, 25.3.1957, BGBl. II, 1957, S. 1014 ff., zuletzt geändert durch den Vertrag von Amsterdam, 2.10.1997, BGBl. II, 1998, S. 387 ff. Der EG kommt insoweit eine besondere Position zu, als dass sie im Völkerrecht nicht mehr den Status einer klassischen internationalen Organisation einnimmt. Vielmehr tritt sie in dem Umfang an die Stelle ihrer Mitgliedstaaten, wie ihr von diesen ausschließliche Kompetenzen übertragen wurden. So ist sie u. a. selbst Mitglied der WTO, und ihr kommt in Bereichen der ausschließlichen Kompetenzwahrnehmung im Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten dieselbe Stellung zu wie anderen WTO-Mitgliedstaaten. 5 North American Free Trade Agreement, 8.–17.12.1992, ILM 32 (1993), S. 605 ff.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Eine noch sehr viel stärker ausgeprägte Parallelität von globalen und regionalen Übereinkommen und Institutionen besteht im Bereich des internationalen Seerechts. Mit dem In-Kraft-Treten des während der dritten Seerechtskonferenz ausgearbeiteten SRÜ am 28. Juli 1994 wurde ein als „Verfassung der Meere“8 bezeichnetes Regime geschaffen, welches erstmalig alle Rechts- und Nutzungsverhältnisse für alle Seegebiete der Erde regelt.9 Allerdings enthält es in entscheidenden Sachbereichen wie dem Umweltund Ressourcenschutz nur grundsätzliche, prinzipienartig ausgestaltete Vorschriften. Das SRÜ ist demnach zumindest in diesem Bereich lediglich eine Rahmenkonvention, deren Normen durch weitergehende Übereinkommen konkretisiert werden müssen. So enthält Art. 118 SRÜ die an die Vertragsstaaten gerichtete Verpflichtung, bei der Erhaltung und der Bewirtschaftung der Meeresressourcen auf Hoher See entweder unmittelbar oder mittelbar im Rahmen geeigneter subregionaler oder regionaler Fischereiorganisationen zusammenzuarbeiten.10 Dieselbe Verpflichtung trifft die Vertragsstaaten auch in Bezug auf weitwandernde Fischarten nach Annex I, die sowohl in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) als auch in den angrenzenden Gebieten der Hohen See vorkommen (Art. 63 Abs. 2 SRÜ). Außerdem sind die Küsten- und Fischereistaaten zum Schutze weitwandernder Fischarten gem. Art. 64 SRÜ verpflichtet, in den Regionen, in denen bisher keine Fischereiorganisationen bestehen, bei deren Errichtung zusammenzuarbeiten und sich an ihrer Arbeit zu beteiligen. Das SRÜ selbst fordert als Rahmenkonvention also zum Abschluss und der Errichtung regionaler Übereinkommen und Institutionen auf. Darüber hinaus bestehen bereits zahlreiche Übereinkommen und Institutionen, die einzelne Nutzungsaspekte im Bereich des internationalen Seerechts, wie etwa den Arten- und oder Umweltschutz sowie Fischereifragen, regeln.11 Im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes zeigt sich ein ähnliches Bild. Auf globaler Ebene bestehen zahlreiche Übereinkommen 6

Treaty establishing a common market between the Argentine Republic, the Federation Republic of Brazil, the Republic of Paraguay and the Eastern Republic of Uruguay, 26.3.1991, ILM 30 (1991), S. 1041 ff.; zu den verfolgten Zielen und der erreichten Wirtschaftsintegration siehe Wehner, Der Mercosur, S. 61 ff. 7 Association of Southeast Asian Nations, 8.9.1967, ILM 6 (1967), S. 1233 ff. 8 Oxman, Law of the Sea, in: Joyner (ed.), The UN and International Law, S. 309 (332). 9 Heitmüller, Durchsetzung von Umweltrecht, S. 18. 10 Überblick über die wichtigsten regionalen Fischereiorganisationen und ihre Arbeit bei Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 65 ff. 11 Eine Zusammenstellung der regionalen Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt findet sich bei Dzidzornu, ODIL 33 (2002), S. 261 (264) und Churchill/ Lowe, Law of the Sea, S. 333 ff.; für eine Auflistung regionaler Fischereiübereinkommen und Institutionen siehe Juda, ODIL 33 (2002), S. 109 (124).

A. Zunehmende Regelungsdichte

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zum Schutz der Menschenrechte, zu denen u. a. der Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbürg) inklusive des ersten und zweiten Fakultativprotokolls (FP 1 und 2 zum IPbürg),12 der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte,13 die Anti-Folterkonvention14 sowie das Übereinkommen zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung aus rassischen Gründen15 gehören. Parallel dazu existiert das auf der Charta der Organization of American States (OAS)16 und der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK)17 basierende interamerikanische System zum Schutz der Menschenrechte, welches durch das Zusatzprotokoll zur AMRK bezüglich des Schutzes wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte,18 das Zusatzprotokoll zur Abschaffung der Todesstrafe,19 das inter-amerikanische Anti-Folter Übereinkommen20 sowie das Übereinkommen zur Verhütung und Bestrafung von Gewalt gegen Frauen21 und das Übereinkommen über das zwangsweise Verschwindenlassen von Personen22 ergänzt wird. Auch im europäischen Raum bestehen die unterschiedlichsten Instrumentarien zum Schutze der Menschenrechte – unter ihnen die zahlreichen Übereinkommen des Europarates, von denen insbesondere die Europäische Menschenrechtskonven12 International Covenant on Civil and Political Rights, 19.12.1966, UNTS 999, S. 171 ff.; Optional Protocol on the International Covenant on Civil and Political Rights, 19.12.1966, UNTS 999, S. 302 ff.; Second Optional Protocol on the International Covenant on Civil and Political Rights, Aiming at the Abolition of the Death Penalty, 15.12.1989, abgedruckt im Annex zu GA Res. 128, 44 th Sess., UN/Doc. A/44/49, vol. I, S. 206 ff. 13 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 19.12.1966, UNTS 992, S. 3 ff. 14 Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, 10.12.1984, UNTS 1465, S. 85 ff. 15 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, 7.3.1966, UNTS 660, S. 195 ff. 16 Charter of the Organization of American States, 30.4.1948, UNTS 119, S. 3 ff.; Protocol of the Amendment to the Charter of the Organization of American States, 27.2.1967, UNTS 721, S. 324 ff.; Protocol of the Amendment to the Charter of the Organization of American States, 26.2.1986, ILM 25 (1986), S. 529 ff. 17 American Convention on Human Rights, 22.11.1969, ILM 9 (1970), S. 99 ff. 18 Additional Protocol to the American Convention on Human Rights in the Area of Economic, Social and Cultural Rights, 14.11.1984, ILM 28 (1989), S. 156 ff. Das Zusatzprotokoll ist allerdings bis heute nicht in Kraft getreten; vgl. Davidson, Inter-American Human Rights System, S. 61. 19 Protocol to the American Convention on Human Rights to Abolish the Death Penalty, 8.6.1990, ILM 29 (1990), S. 1447 ff. 20 Inter-American Convention to Prevent and Punish Torture, 9.12.1985, ILM 25 (1986), S. 519 ff. 21 Inter-American Convention on the Prevention, Punishment, and Eradication of Violence Against Women, 9.6.1994, ILM 33 (1994), S. 1534 ff. 22 Inter-American Convention on the Forced Disappearance of Persons, 9.6.1994, ILM 33 (1994), S. 1529 ff.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

tion (EMRK)23 hervorzuheben ist. Daneben wird im Rahmen der EG ein gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz gewährleistet, der allerdings erst durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) entwickelt werden musste und inhaltlich im Wesentlichen auf den Verbürgungen der EMRK basiert.24 Durch die Verabschiedung der Europäischen Grundrechtecharta25 werden darüber hinaus weitergehende Bemühungen zur Stärkung des Grundrechtsschutzes im Rahmen der EG erkennbar. Konsequenz dieser Rechtsentwicklung ist das parallele Bestehen regionaler und globaler Übereinkommen desselben Sachbereichs, das notwendigerweise auch zu einer Parallelität der in den Übereinkommen vorgesehenen Streitbeilegungsvorschriften führt. Solange die gerichtliche oder gerichtsähnlich ausgestaltete Streitbeilegung im Völkerrecht wenig entwickelt war und die Staaten bestehende Streitigkeiten in aller Regel durch diplomatische Verhandlungen lösten, ergaben sich aus der parallelen Existenz der Übereinkommen nur selten Probleme in Bezug auf die Parallelität der darin enthaltenen Streitbeilegungsvorschriften. Dies hat sich aber mit der Stärkung insbesondere der obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit geändert.

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit I. Einleitung Die internationale Gerichtsbarkeit26 hat sich seit der Entstehung des klassischen Völkerrechts und des modernen Staates mit dem Westfälischen Frie23 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 4.11.1950, BGBl. II, 1952, S. 685 ff. zuletzt geändert durch das 11. Protokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus, 11.5.1994, BGBl. II, 1995, S. 579 ff., das am 1.1.1998 nach Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten des Europarates in Kraft getreten ist. 24 Auszüge der die Gemeinschaftsgrundrechte entwickelnden Rechtsprechung des EuGH finden sich bei Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 792 ff. 25 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 7.12.2000, ABl. Nr. C 364, S. 1 ff.; zur Grundrechtecharta siehe statt vieler Hilf, EuR/Beiheft 3, 2002, S. 13 (17 ff.). 26 Grundsätzlich wird im Völkerrecht zwischen internationalen Gerichten und Schiedsgerichten und damit zwischen internationaler Gerichts- und Schiedsgerichtsbarkeit differenziert. Dementsprechend hat es in der Vergangenheit auch verschiedene Ansätze gegeben, anhand unterschiedlichster Kriterien eine eindeutige Abgrenzung zwischen diesen beiden Formen der rechtlichen Streitbeilegung vorzunehmen. Allerdings fanden diese keine Entsprechung in der völkerrechtlichen Praxis; vgl. dazu Gray/Kingsburry, Inter-State Arbitration, in: Janis (ed.), International Courts, S. 55 (56 ff.). Grundsätzlich unterscheiden sich die Verfahren lediglich dadurch, dass der Schiedsgerichtsbarkeit ein höheres Maß an Flexibilität in Verfahrensfragen

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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den dramatisch verändert. Nachdem sich die nun souveränen Staaten zunächst prinzipiell weigerten, ihre Souveränität durch die Unterwerfung unter jegliche Form verbindlicher Streitbeilegung durch Dritte einzuschränken, setzte sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst im damaligen Schrifttum die Erkenntnis durch, dass es zur Schaffung von Frieden und der Vermeidung militärischer Gewalt durchaus hilfreich sein kann, zwischenstaatliche Streitigkeiten im Wege von Schiedsverfahren beizulegen. Praktische Umsetzung fand diese Idee im sog. Jay Treaty vom 19. November 1794,27 von dem allgemein angenommen wird, dass er den Beginn der internationalen Gerichtsbarkeit markiert.28 In dem Vertrag einigten sich Großbritannien und die USA darauf, aus dem Unabhängigkeitskrieg resultierende Streitigkeiten, aufgrund derer erneute militärische Auseinandersetzungen drohten, im Rahmen von drei Schiedskommissionen beizulegen.29 Auch wenn dieser erste Versuch internationaler Schiedsgerichtsbarkeit nur partiell erfolgreich war, so ist er doch Ausgangspunkt für zahlreiche zwischenstaatliche Schiedsvereinbarungen des 19. Jahrhunderts. Der mit dieser Entwicklung verbundene Erfolg ist mit ursächlich für die Verabschiedung der Haager Abkommen zur friedlichen Streitbeilegung von 1899 und 1907:30 den ersten multilateralen Übereinkommen, in denen der friedlichen Streitbeilegung Priorität gegenüber der Anwendung von militärischer Gewalt zur Lösung zwischenstaatlicher Streitigkeiten eingeräumt wird.31 Der bereits damals geäußerte nachgesagt wird und dass den Streitparteien im Rahmen eines Schiedsverfahrens ein sehr viel größerer Einfluss auf die Besetzung der Richterbank eingeräumt wird; vgl. Tomuschat in: Simma (ed.), vol. I, Art. 33, para. 31. Aber auch diese Differenzierungskriterien verlieren an Aussagekraft. So haben die Staaten einerseits auch im Rahmen internationaler Gerichtsverfahren die Möglichkeit, durch die Benennung von ad hoc Richtern Einfluss auf die Besetzung der Richterbank zu nehmen; für IGH-Verfahren siehe Art. 31 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes (IGH-Statut), 26.6.1945, UNCIO 15 (1945), S. 335 ff. Andererseits werden Schiedsverfahren zunehmend institutionalisiert; vgl. Peters, Cooperation in International Dispute Settlement, in: Delbrück (ed.), Cooperation and State Sovereignty, S. 107 (118). Dementsprechend sollen beide Formen der rechtlichen Streitbeilegung zusammen unter dem Begriff der internationalen Gerichtsbarkeit behandelt werden, wie auch gerichtsähnlich oder quasi-gerichtlich ausgestaltete Verfahren. 27 Siehe dazu Schlochauer, EPIL III, S. 4 ff. 28 Oellers-Frahm, VRÜ 34 (2001), S. 456 (458); Schlochauer, EPIL I, S. 215 (218). 29 Für Details siehe Pinto, Prospects of Interternational Arbitration, in: Soons (ed.), International Arbitration, S. 63 (66 ff.). 30 Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle, 29.7.1899, RGBl. 1901, S. 393 ff. (I. Haager Abkommen); Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle, 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 5 ff. (II. Haager Abkommen). 31 Siehe Art. 1 des II. Haager Abkommens, der fast wortwörtlich dem Art. 1 des I. Haager Abkommens entspricht: „Um in den Beziehungen zwischen den Staaten

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Vorschlag, einen internationalen Gerichtshof zu schaffen, der für alle zwischenstaatlichen Streitigkeiten zuständig sein sollte, scheiterte allerdings an der ablehnenden Haltung der beteiligten Staaten.32 Dieses Vorhaben, das zugleich Ausdruck einer weiteren Entwicklungsstufe der internationalen Gerichtsbarkeit ist, konnte erst nach dem Ersten Weltkrieg mit der Ausarbeitung des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes (StIGH) umgesetzt werden.33 Der Grund für die Schaffung eines verbindlich entscheidenden Gerichts beruhte auf der durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs verstärkten Erkenntnis, dass das Ziel einer dauerhaften Friedenssicherung nicht nur durch institutionalisierte Formen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, wie dem Völkerbund, und sich ad hoc konstituierender Schiedsgerichte zu erreichen war, sondern dass es dafür der Schaffung eines permanenten Gerichtshofes bedurfte. Allerdings waren die Staaten nicht bereit, ihre Souveränität soweit einzuschränken, dass sie die Zuständigkeit des StIGH bereits durch Ratifikation des Statuts akzeptiert hätten. Vielmehr war dafür, wie beim IGH heutzutage auch, eine zusätzliche Anerkennung der Zuständigkeit, entweder konkret für die jeweilige Streitigkeit oder abstrakt in Form einer allgemeinen Unterwerfungserklärung, notwendig (Art. 36 StIGH-Statut). Besieht man sich die Funktion, die der StIGH und die zahlreichen Schiedsgerichte in der Zeit vom sog. Jay Treaty bis zum Versailler Vertrag erfüllten, so lag diese primär in der Beilegung von Streitigkeiten, die Resultat vorheriger militärischer Auseinandersetzungen waren.34 Von einer grundsätzlichen Akzeptanz der internationalen Gerichtsbarkeit als einem Instrument zur Klärung allgemeiner Rechtsfragen kann mithin nicht gesprochen werden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war eine dementsprechende Entwicklung zunächst nicht absehbar. Zwar wurde mit dem in der UNdie Anrufung der Gewalt soweit wie möglich zu verhüten, erklären sich die Vertragsmächte einverstanden, alle ihre Bemühungen aufwenden zu wollen, um die friedliche Erledigung der internationalen Streitigkeiten zu sichern.“ 32 Tomuschat, EPIL II, S. 1108. Allerdings war der Vorschlag Grundlage für die Errichtung des ersten völkerrechtlichen Gerichts: dem 1908 gegründeten und bis 1918 tätigen Central American Court of Justice, der für alle völkerrechtlichen Streitigkeiten zwischen den fünf zentralamerikanischen Republiken Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua zuständig war; siehe dazu Hill, EPIL I, S. 551 ff. 33 Statute of the Permanent Court of International Justice, as Amended in Accordance with the Protocol, 14.9.1929, PCIJ Ser. D, No. 1, S. 12 ff. 34 Oellers-Frahm, VRÜ 34 (2001), S. 456 (458). So musste sich auch der StIGH im Laufe seines Bestehens vornehmlich mit Streitigkeiten auseinandersetzen, die aus der Beendigung des Ersten Weltkrieges resultierten; vgl. Bernhardt, EA 28 (1973/I), S. 363. Eine ebensolche Funktion kam auch den durch den Versailler Vertrag errichteten Schiedsgerichten zu, die der Beilegung von Streitigkeiten über die Umsetzung des Vertrages zwischen den ehemaligen Kriegsparteien dienten.

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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Charta verankerten Gewaltverbot und der Errichtung des IGH als dem Hauptrechtsprechungsorgan der UN eine dafür wesentliche Voraussetzung geschaffen. Aber erst in den letzten zwanzig Jahren konnte aufgrund des gewandelten Souveränitätsverständnisses auf der einen und der zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen auf der anderen Seite eine allgemeine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit beobachtet werden, die nicht mehr lediglich dem ausschließlichen Zweck diente, den Ausbruch erneuter militärischer Auseinandersetzungen aufgrund vorangegangener zu vermeiden. Zwar ist die Wahrung des Friedens ohne Frage immer noch das übergeordnete Ziel der internationalen Gerichtsbarkeit. Dieser Zweck wird heutzutage aber bereits dadurch erfüllt, dass Staaten dazu übergehen, auch allgemeine Rechtsfragen im Rahmen gerichtlicher oder gerichtsähnlicher Verfahren beizulegen und nicht nur solche, deren Bestehen mit größter Wahrscheinlichkeit zu einem erstmaligen oder erneuten Ausbruch militärischer Gewalt führt. Anzeichen für eine solche Entwicklung können insbesondere anhand der Schaffung neuer Gerichte oder gerichtsähnlich ausgestalteter, institutionalisierter Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten beobachtet werden.35 Im Gegensatz zum IGH ist deren Zuständigkeit aber in aller Regel auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des sie konstituierenden Vertrages bzw. der sie konstituierenden Vertragsordnung beschränkt. Ursache dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass die Staaten auch heutzutage trotz der zunehmenden Akzeptanz des IGH nicht bereit sind, dessen Zuständigkeit im Wege einer vorbehaltlosen Unterwerfungserklärung gem. Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut für alle zwischen ihnen entstehenden Streitigkeiten anzunehmen.36 Hingegen ist der Wille der Staaten, verbindliche Formen der Streit35 Die Schaffung von Gerichten mit sachlich und bzw. oder regional begrenztem Aufgabenbereich galt als eine der Möglichkeiten, die in den 60er und 70er Jahren bestehende Krise der internationalen Gerichtsbarkeit zu überwinden; vgl. zur Diskussion Bernhardt, EA 28 (1973/I), S. 363 (366 ff.); Golsong, Judicial Bodies with Limited Jurisdiction, in: Mosler/Bernhardt (eds.), Judicial Dispute Settlement, S. 99 ff. Einen Überblick über die damals bestehenden Gerichte mit regional und/ oder sachlich begrenzter Jurisdiktion unter Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit gibt Tomuschat, Courts with Regionally Restricted and/or Specialized Jurisdiction, in: Mosler/Bernhardt (eds.), Judicial Dispute Settlement, S. 285 ff. 36 Zwar ist seit Mitte der 80er Jahre eine steigende Anzahl von Unterwerfungserklärungen gem. Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut zu beobachten. Eine genauere Untersuchung zeigt aber, dass diese Entwicklung hauptsächlich zwei Staatengruppen betrifft. Zum einen scheint sich die grundsätzliche Skepsis der afrikanischen Staaten gegenüber dem IGH zu relativieren, da zumindest einige von ihnen Unterwerfungserklärungen abgegeben haben (zu diesen gehören die Elfenbeinküste (21.8.2001), Guinea (4.12.1998), Guinea-Bissau (7.8.1989), Kamerun (3.2.1994), Kongo (8.2.1989), Lesotho (6.9.2000), Madagaskar (2.7.1992), Nigeria (30.4.1998), Senegal (2.12.1985) sowie Surinam (31.8.1987)). Und zum anderen haben seit 1990 auch einige Staaten des

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

beilegung bezüglich eines konkreten Übereinkommens zu akzeptieren, wesentlich ausgeprägter. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Zum einen ist es einfacher, sich regional und/oder zwischen einer begrenzten Anzahl von Vertragsstaaten auf verbindliche Formen der Streitbeilegung zu einigen. Zum anderen bestehen im Rahmen eines Gerichts wie dem IGH, der für alle zwischenstaatlichen Streitigkeiten zuständig ist, einige Unsicherheitsfaktoren, welche die Staaten durch die Errichtung regional und/oder sachlich begrenzter Gerichte oder gerichtsähnlicher Institutionen meinen ausschließen zu können. So lässt sich mit Hilfe der regionalen Begrenzung vermeiden, dass auf der Richterbank unterschiedliche Rechtskulturen vertreten sind, deren Vertreter nicht immer zu einem überzeugenden gemeinsamen Richterspruch gelangen.37 Außerdem kann durch eine sachliche Begrenzung der Zuständigkeit ausgeschlossen werden, dass Normen des Völkergewohnheitsrechts, deren Existenz, Inhalt und Reichweite qua Natur der Sache und aufgrund des permanenten Wandels des Völkerrechts nur schwer zu bestimmen sind und die damit einen erheblichen Rechtsunsicherheitsfaktor darstellen, Gegenstand des durchsetzbaren Rechts sind.38 Außerdem scheinen die Staaehemaligen Ostblocks die Zuständigkeit des IGH anerkannt (Bulgarien (24.6.1992), Estland (21.10.1991), Georgien (20.6.1995), Jugoslawien (26.4.1999), Polen (25.3.1996) sowie Ungarn (22.10.1992)). Nicht in diese beiden Staatengruppen fallen die Erklärungen von Griechenland (10.1.1995), Paraguay (25.9.1996), Spanien (29.10.1990) und Zypern (29.4.1988). Allerdings enthalten eine Vielzahl dieser Erklärungen recht weitgehende Vorbehalte, so dass zwar von einer stärkeren, aber nicht von einer umfassenden Akzeptanz des IGH gesprochen werden kann, zumal einige wichtige Staaten sich der Zuständigkeit nicht allgemein unterworfen haben, wie etwa die USA, Frankreich, Italien, Deutschland, Russland und China sowie eine Vielzahl südamerikanischer Staaten. Für einen Überblick über die bestehenden Unterwerfungserklärungen nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut sowie ihren Wortlaut vgl. die Angaben unter www.icj-cij.org/icjwww/ibasicdocuments/ibasictext/ibasicdeclarations. htm; siehe auch Oellers-Frahm, VRÜ 34 (2001), S. 456 (462). 37 Bernhardt, EA 28 (1973/I), S. 363 (366). 38 So ist die Beschränkung der Jurisdiktion der SRÜ-Gerichte auf das Übereinkommen selbst gem. Art. 287 Abs. 1 SRÜ einer der wesentlichen Gründe, warum sich die Staaten auf ein solch weitgehendes System obligatorischer Gerichtsbarkeit einigen konnten; Jaenicke, ZaöRV 43 (1983), S. 813 (816). Dass Fragen des Völkergewohnheitsrechts dennoch auch bei Gerichten oder gerichtsähnlichen Streitbeilegungsinstitutionen mit sachlich begrenztem Jurisdiktionsbereich Gegenstand der Entscheidung werden können, hängt damit zusammen, dass deren Klärung u. U. eine notwendige Voraussetzung für die Entscheidung in der Sache ist. Eine solche Situation stellte sich z. B. für der EGMR in den Fällen Al-Adsani v. UK, 21.11.2001, Appl. No. 35763/95; Fogarty v. UK, 21.11.2001, Appl No. 37112/97 und McElhinney v. Irland, 21.11.2001, Appl. No 31253/96 (die Urteile sind im HRLJ 2002 auf den Seiten 39 ff., 50 ff. und 57 ff. abgedruckt sowie in deutscher Übersetzung in der EuGRZ 29 (2002), S. 403 ff., 411 ff. und 415 ff.). In allen drei Fällen musste sich der Gerichtshof mit der Reichweite der gewohnheitsrechtlich anerkannten Immunität von Staaten vor nationalen Gerichten auseinandersetzen, um überhaupt in

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ten aufgrund der zunehmenden Spezialisierung des Völkerrechts der Ansicht zu sein, dass auf Seiten der Richter fundierte Kenntnisse in dem jeweiligen Rechtsgebiet notwendig sind.39 Die Errichtung neuer Gerichte war aber auch durch den Wandel des Völkerrechts notwendig geworden. Aus der Abkehr von einem rein staatenorientierten Völkerrecht und der sich abzeichnenden Entwicklung hin zu einer kommunitären Rechtsordnung40 folgte die Notwendigkeit, auch den „neuen“ Akteuren des Völkerrechts – vornehmlich Individuen und internationalen Organisationen – die Durchsetzung ihrer völkerrechtlichen Rechte zu ermöglichen41 bzw. im Fall der Individuen die Einhaltung ihrer grundlegenden Pflichten zu überwachen.42

II. Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit im internationalen Seerecht Bereits vor In-Kraft-Treten des SRÜ und dem in ihm enthaltenen System obligatorischer Gerichtsbarkeit am 16. Nov. 1994 hat es in keinem Sachbereich des Völkerrechts eine so umfassende Tradition gerichtlicher Streitbeilegung gegeben wie in dem des internationalen Seerechts.43 Neben einer Vielzahl von Schiedsentscheidungen hat der IGH in mindestens 13 Verfahren die Möglichkeit gehabt, wichtige Fragen des internationalen Seerechts und auch des allgemeinen Völkerrechts zu entscheiden.44 Die erste Kodifider Sache, d.h. über die geltend gemachte Verletzung von Art. 6 EMRK, entscheiden zu können; vgl. Maierhöfer, EuGRZ 29 (2002), S. 391. 39 Lauterpacht, International Justice, S. 17. 40 Für die mit diesem Begriff verbundenen Entwicklungen des Völkerrechts vgl. Nettesheim, JZ 2002, S. 569 (571 ff.). 41 Dementsprechend wurden im Bereich des Menschenrechtsschutzes sowohl auf regionaler wie auch auf globaler Ebene zahlreiche Gerichte oder gerichtsähnlich ausgestaltete Verfahren geschaffen, mit deren Hilfe der Einzelne Menschenrechtsverletzungen auch seines Staates geltend machen kann; vgl. dazu im Einzelnen unten 1. Teil B. IV. 42 Dieser Punkt bezieht sich auf die im Grunde völlig neue Entwicklung der internationalen Strafverfolgung, die, von den Straftribunalen nach dem Zweiten Weltkrieg einmal abgesehen, mit der Errichtung der Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda durch den Sicherheitsrat begann und in der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat; zur Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit siehe Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 20 ff. 43 Boyle, Law of the Sea Dispute Settlement, in: Koufa (ed.), International Justice, S. 295 (311). 44 Corfu Channel Case (UK v. Albania), 9.4.1949, ICJ Rep. 1949, S. 3 ff.; Fisheries Case (UK v. Norway), 18.12.1951, ICJ Rep. 1951, S. 116 ff.; North Sea Continental Shelf Case (Denmark v. Germany), 8.3.1967, ICJ Rep. 1967, S. 3 ff.; Fisheries Jurisdiction Case (UK and Germany v. Iceland), 25.7.1974, ICJ Rep. 1974, S. 3 ff., 175 ff.; Case Concerning the Continental Shelf (Tunesia v. Libyan Arab

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

kation des internationalen Seerechts in Form der vier Genfer Seerechtskonventionen45 hatte allerdings keinen Einfluss auf eine Fortentwicklung der gerichtlichen Streitbeilegung in diesem Sachbereich. Da Fragen der Streitbeilegung während der Verhandlungen als nicht so essentiell für den zukünftigen Erfolg der Übereinkommen angesehen wurden, konnte man sich schlussendlich außer für das Fischereiabkommen, das seine eigenen Streitbeilegungsvorschriften enthält, nur auf eine „Zusatzprotokolllösung“ einigen, d.h. Fragen der Streitbeilegung wurden in ein zusätzlich zu ratifizierendes Protokoll über die verbindliche Beilegung von Streitigkeiten46 ausgelagert.47 Danach hatten deren Vertragsstaaten das Recht, Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Seerechtskonventionen einseitig, d.h. ohne Zustimmung der anderen Streitpartei, der Gerichtsbarkeit des IGH zu unterwerfen, sofern sich die Parteien nicht auf die Errichtung eines Schiedsgerichts oder ein Vergleichsverfahren geeinigt hatten. Auch wenn diese Praxis gegenüber der im IGH-Statut zum Ausdruck kommenden den Vorteil hatte, dass es nach Ratifikation des Zusatzprotokolls nicht noch einer weiteren Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichtshofs bedurfte, so ist dennoch keine Streitigkeit bekannt, die aufgrund des Zusatzprotokolls Jamahiriya), 24.2.1982, ICJ Rep. 1982, S. 16 ff.; Case Concerning Delimination of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine (Canada v. USA), 20.1.1982, ICJ Rep. 1982, S. 246 ff.; Case Concerning the Continental Shelf (Libyan Arab Jamahiriya v. Malta), 3.6.1985, ICJ Rep. 1985, S. 12 ff.; Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras), 11.9.1992, ICJ Rep. 1992, S. 350 ff.; Case Concerning Maritime Delimination in the Area Greenland and Jan Mayen (Denmark v. Norway), 14.6.1993, ICJ Rep. 1993, S. 37 ff.; Case Concerning East Timor (Portugal v. Australia), 30.6.1995, ICJ Rep. 1995, S. 89 ff.; Case Concerning the Maritime Delimination Between Guinea-Bissau and Senegal (Guinea-Bissau v. Senegal), 8.11.1995, ICJ Rep. 1995, S. 422 ff.; Case Concerning Maritime Delimination and Territorial Questions Between Qatar and Bahrain – Merits (Qatar v. Bahrain), 16.3.2001 abrufbar unter www.icj-cij.org; Case Concerning the Land and Maritime Boundary Between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria), 22.10.2002 ebenfalls abrufbar unter www.icj-cij.org; z.Zt anhängig aber noch nicht entschieden ist Territorial and Maritime Dispute (Nicaragua v. Colombia); für den Stand des Verfahrens siehe ebenfalls www.icj-cij.org. Bereits Oda, RdC 244 (1993), S. 9 (S. 127 ff.) hat darauf hingewiesen, dass die Entscheidungen des IGH im Bereich des internationalen Seerechts einen wesentlichen Beitrag bezüglich der Entwicklung dieses Rechtsgebietes geleistet haben. 45 Convention on the Territorial Sea and Contigous Zone, 29.4.1958, UNTS 516, S. 205 ff.; Convention on the High Seas, 29.4.1958, UNTS 450, S. 82 ff.; Convention on Fishing and Conservation of Living Resources of the High Seas, UNTS 559, 29.4.1958, S. 285 ff.; Convention on the Continental Shelf, 29.4.1958, UNTS 499, S. 311 ff. 46 Optional Protocol of Signature Concerning the Compulsory Settlement of Disputes, 29.4.1958, UNTS 450, S. 169 ff. 47 Boyle, Law of the Sea Dispute Settlement, in: Koufa (ed.), International Justice, S. 295 (309).

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dem IGH unterbreitet worden ist.48 Grund hierfür ist zum einen die mangelnde Akzeptanz der Seerechtskonventionen als solcher und zum anderen die geringe Zahl an Ratifikationen, die das Streitbeilegungsprotokoll erfahren hat – bis 1994 waren es lediglich 34. Aufgrund der schlechten Erfahrung mit den Streitbeilegungsvorschriften der Genfer Seerechtskonventionen waren die mit der Schaffung eines umfassenden Streitbeilegungssystems verbundenen Probleme zentrales Thema während der achtjährigen Verhandlungsphase, die der Verabschiedung des SRÜ voranging.49 Die überaus wichtige Stellung dieser Problematik kommt u. a. auch darin zum Ausdruck, dass sich im SRÜ mehr als 100 der 450 Artikel des Übereinkommens und seiner 11 Annexe mit Fragen der Streitbeilegung beschäftigen. Dass diesen eine solche Aufmerksamkeit zu Teil wurde, ist mit Sicherheit auch Verdienst von Hamilton Shirley Amerasinghe, dem Präsidenten der Seerechtskonferenz. Er unterstrich immer wieder, dass entgegen der Vertragspraxis, die dem materiellrechtlichen Teil in aller Regel eine wesentlich wichtigere Rolle zumisst als dem prozessualen, letzterer insbesondere dann entscheidend für das zukünftige Funktionieren des gesamten Vertrages sei, wenn es sich wie beim SRÜ um ein package deal handelt50 – ein Übereinkommen also, das aufgrund seiner vielfältigen Kompromisslösungen ein fragiles Gleichgewicht der Interessen der Verhandlungspartner darstellt.51 Das SRÜ, das in seinem Umfang und seiner Reichweite zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung beispiellos in der Geschichte des Völkerrechts war,52 regelt als „Verfassung der Meere“ alle Nutzungsaspekte des internationalen Seerechts, zumindest in Form von prinzipienartigen Rahmenvorschriften. Dementsprechend schwierig war es auch während der Verhandlungen, sich auf einheitliche Streitbeilegungsvorschriften für die Vielzahl unterschiedlicher Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung des SRÜ ergeben können, zu einigen. Die gefundene Lösung differenziert grundsätzlich zwischen Streitigkeiten, die sich aus der Nutzung des Tiefseebodens insbesondere in Form des Tiefseebergbaus ergeben, und allgemeinen Streitigkeiten, die aus 48 Boyle, Law of the Sea Dispute Settlement, in: Koufa (ed.), International Justice, S. 295 (310). 49 Zu den unterschiedlichen Lösungsvorschlägen im Rahmen der Verhandlungen siehe Adede, Settlement of Disputes under UNCLOS, S. 13 ff. 50 Ausführlich zum Charakter des SRÜ als package deal siehe Caminos/Molitor, AJIL 79 (1985), S. 871 (873 ff.). 51 Siehe dazu Sohn, Settlement of Disputes Provisions of UNCLOS, in: Nordquist/Moore (eds.), Entry into Force of UNCLOS, S. 265 (265 f.); Nordquist, UNCLOS Commentary, vol. V, S. 10; Mensah, Dispute Settlement, in: Vidas/Østreng (eds.), Order for the Oceans, S. 81 (81 f.). 52 Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 95 f. m. w. N.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

der Auslegung und Anwendung des Übereinkommens resultieren. Während für erstere besondere Regelungen in Abschnitt 5 des XI. Teiles des SRÜ (Art. 186 ff. SRÜ) geschaffen wurden, ist die Beilegung letzterer Gegenstand des XV. Teils in den Art. 279 ff. SRÜ. Auch wenn zentrale Norm der allgemeinen Streitbeilegungsvorschriften Art. 286 SRÜ ist, wonach – vorbehaltlich des 3. Abschnitts – Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ auf Antrag einer Partei dem nach dem 2. Abschnitt zuständigen Gericht oder Gerichtshof unterbreitet werden können, so besteht diese Möglichkeit der verbindlichen Streitbeilegung nur, wenn die Streitigkeit nicht nach Abschnitt 1 des XV. Teils beigelegt werden konnte. Dieser enthält mit Art. 279 SRÜ als der einleitenden Norm eine Wiederholung der in Art. 2 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 1 UN-Charta enthaltenen Verpflichtung, alle Streitigkeiten friedlich zu lösen. Darauf aufbauend haben alle Vertragsstaaten gem. Art. 280 SRÜ das Recht, jederzeit zu vereinbaren, eine zwischen ihnen entstandene Streitigkeit durch friedliche Mittel eigener Wahl beizulegen, d.h. die Streitparteien sind gerade nicht zwingend an die obligatorisch zuständige, und verbindlich entscheidende SRÜ-Gerichtsbarkeit des 2. Abschnitts gem. Art. 286 ff. SRÜ gebunden, sondern können auch unverbindliche Formen der Streitbeilegung als geeignetes Mittel vereinbaren.53 Diese Freiheit bezüglich der Wahl des geeigneten Mittels wird aber durch Art. 281 SRÜ wieder dahingehend eingeschränkt, dass den Streitparteien, die eine Vereinbarung im Sinne des Art. 280 SRÜ getroffen haben, trotz dieser Vereinbarung die Möglichkeit eröffnet wird, die Streitigkeit einem der SRÜGerichte nach dem 2. Abschnitt zu unterbreiten, wenn eine Beilegung der Streitigkeit durch das gewählte Mittel nicht erreicht werden konnte.54 Dies gilt nur dann nicht, wenn die Vereinbarung im Sinne des Art. 280 SRÜ weitere Verfahren zwischen den Streitparteien, und damit auch die SRÜVerfahren, ausschließt. Eine besondere Regelung bezüglich des Vorrangs unverbindlicher Streitbeilegung findet sich in Art. 284 SRÜ, der die Voraussetzungen des freiwilligen Vergleichsverfahrens enthält, das, wie auch andere Formen der unverbindlichen Streitbeilegung nach Art. 281 Abs. 1 SRÜ, an die Stelle verbindlicher Streitbeilegung nach dem 2. Abschnitt treten kann. Allerdings sind die Staaten nicht verpflichtet, sich auf ein von der gegnerischen Partei gemachtes Angebot, die Streitigkeit im Rahmen eines Vergleichsverfahrens beizulegen, einzulassen.55

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Wasum, ISGH, S. 32 ff.; Heitmüller, Durchsetzung von Umweltrecht, S. 23 f. Mensah, Max Planck UNYB 2 (1998), S. 307 (310) „However, where the parties were unable to agree on a settlement of the dispute by means of any procedures referred to in Section 1 of the Part XV, they are obliged to submit the dispute to an appropriate judicial procedure for binding decision.“ 55 Zum Vergleichsverfahren siehe Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 111 ff. 54

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Regeln Art. 281 und Art. 284 SRÜ die Grenzen, in denen Vertragsstaaten durch die Wahl unverbindlicher Streitbeilegungsmittel von dem System obligatorischer und verbindlich entscheidender SRÜ-Gerichtsbarkeit nach dem 2. Abschnitt abweichen können, so bestimmt Art. 282 SRÜ dessen Verhältnis zu anderen verbindlich entscheidenden Verfahren. Demnach finden diese anstelle der SRÜ-Gerichtsbarkeit Anwendung, wenn die Parteien dies im Rahmen einer allgemeinen, regionalen oder bilateralen Übereinkunft oder auf sonstige Weise vereinbart haben. Grund für diese Regelung ist, dass diejenigen Möglichkeiten der verbindlichen Streitbeilegung, die bereits vor In-Kraft-Treten des SRÜ bestanden, durch die im 2. Abschnitt vorgesehenen Verfahren nicht verdrängt werden sollte.56 Durch die in Abschnitt 1 des XV. Teils des SRÜ enthaltenen Regelungen kommen zwei Grundprinzipien des SRÜ-Streitbeilegungssystems zum Ausdruck: Zum einen wird den Vertragsstaaten bei der Beilegung ihrer Streitigkeiten ein Höchstmaß an Flexibilität gewährt, damit sie ggf. das für die konkrete Streitigkeit geeignete Verfahren selbst bestimmen können. Zum anderen kann von dem System obligatorischer SRÜ-Gerichtsbarkeit nur dann abgewichen werden, wenn dies zwischen den Streitparteien vereinbart worden ist. Denn die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte ist im Falle einer Vereinbarung im Sinne des Art. 280 SRÜ nur dann ausgeschlossen, wenn die Streitigkeit entweder im Rahmen des gewählten Verfahrens beigelegt werden konnte oder aber wenn die Vereinbarung weitere Verfahren ausschließt. Und auch der Vorrang eines Vergleichsverfahrens nach Art. 284 SRÜ kann nur dann begründet werden, wenn die Streitparteien sich auf das Verfahren im Allgemeinen und seine konkrete Ausgestaltung im Besonderen geeinigt haben. Denn gem. Art. 284 Abs. 3 SRÜ gilt das Verfahren als beendet, wenn die gegnerische Partei einer Vergleichsaufforderung nicht nachkommt oder aber sich die Parteien nicht über das Verfahren einigen können. Ziel des SRÜ-Streitbeilegungssystems ist es mithin sicherzustellen, dass Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Übereinkommens beigelegt werden; wie und mit Hilfe welcher Mechanismen dies geschieht, ist dabei sekundär. 1. Obligatorische Gerichtsbarkeit nach Teil XV SRÜ Auch wenn die Vertragsstaaten die Freiheit haben, SRÜ-Streitigkeiten im Rahmen selbst gewählter, nicht notwendigerweise verbindlich entscheidender Verfahren beizulegen, so sind die Vorschriften des SRÜ über die obligatorische Gerichtsbarkeit dennoch das Kernstück des SRÜ-Streitbeilegungssystems.57 Denn die Möglichkeit, eine Streitigkeit einseitig der Gerichtsbar56

Nordquist, UNCLOS Commentary, vol. V, Art. 282, S. 25 f.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

keit eines der im SRÜ dafür vorgesehenen Gerichte zu unterwerfen, ist z. Zt. des Vertragsabschlusses insofern ein Novum in der völkerrechtlichen Streitbeilegung gewesen, als dass es neben der Ratifikation des Übereinkommens nicht noch einer gesonderten Unterwerfung unter die SRÜGerichtsbarkeit oder der Ratifikation eines Zusatzprotokolls bedurfte.58 Die Gründe der Vertragsstaaten ein solch umfassendes System obligatorischer Streitbeilegung zu akzeptieren, sind vielschichtig und ihrer Konzeption nach unterschiedlich. Dennoch haben die folgenden Aspekte die Schaffung dieses Systems begünstigt. Zum einen bezieht sich die obligatorische Zuständigkeit gem. Art. 287 SRÜ nur auf den Vertragstext des SRÜ selbst,59 so dass Gegenstand der jeweiligen Verfahren nur die Auslegung geschriebenen Rechts ist. Damit entfällt einer der Hauptgründe gegen die obligatorische Zuständigkeit verbindlich entscheidender Streitbeilegungsorgane – die Unsicherheit bezüglich des Inhalts und des Umfangs ungeschriebenen Völkergewohnheitsrechts.60 Zum anderen gesteht das SRÜ den Küstenstaaten weitgehende Rechte im Bereich des Küstenmeeres und der AWZ zu, und die Nutzung des Meeresbodens wird durch die neu geschaffene Internationale Meeresbodenbehörde reguliert und damit auch internationalisiert. Eine solche Erweiterung der Rechtspositionen, insbesondere die der Küstenstaaten, war für die übrigen Staaten nur akzeptabel, wenn im Falle einer Streitigkeit die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des Verhaltens bestehen würde, um Missbrauchsmöglichkeiten in der Wahrnehmung dieser Rechte zu vermeiden.61 Darüber hinaus enthält das SRÜ einige wichtige Ausnahmen bzw. Ausnahmemöglichkeiten von der obligatorischen Zuständigkeit des SRÜ-Streitbeilegungsverfahrens.62 Zwar ist dies im Hinblick auf 57 Boyle, ICLQ 46 (1997), S. 37 (38 f.); kritisch zur Konzeption der SRÜ Streitbeilegung allerdings Oda, ICLQ 44 (1995), S. 863 (864 ff.). 58 Zwar sehen heutzutage einige internationale Übereinkommen die Anerkennung obligatorischer oder quasi-obligatorischer Gerichtsbarkeit vor – dazu gehören u. a. die EMRK sowie aufgrund des umgekehrten Konsensprinzips auch die WTO-Streitbeilegungsverfahren. Diese Übereinkommen oder Reformen früherer Übereinkommen sind aber erst nach der Verabschiedung des SRÜ ausgearbeitet worden und in Kraft getreten; zur obligatorischen quasi-Gerichtsbarkeit im Rahmen der WTO siehe unten 1. Teil B. III. 1.; bezüglich der Gerichtsbarkeit des EGMR nach In-Kraft-Treten des 11. Protokolls am 1.1.1998 siehe ebenfalls unten 1. Teil B. IV. 1. 59 Die einzige Ausnahme besteht in der Regelung des Art. 287 Abs. 2 SRÜ, wonach sich die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte auch auf Übereinkommen erstreckt, die mit den Zielen des SRÜ im Zusammenhang stehen. Einschränkende Voraussetzung ist aber, dass diese Übereinkommen eine solche Zuständigkeitsbegründung ausdrücklich vorsehen. 60 Jaenicke, ZaöRV 43 (1983), S. 813 (816). 61 Jaenicke, ZaöRV 43 (1983), S. 813 (816). 62 Art. 297 SRÜ enthält Fälle, in denen die obligatorische Zuständigkeit automatisch eingeschränkt wird, während Art. 298 SRÜ Fälle fakultativer Ausschlussmöglichkeiten aufzählt, in denen die Vertragsstaaten durch schriftliche Erklärung die

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die Schaffung eines wirklich umfassenden Streitbeilegungssystems zu kritisieren.63 Dennoch muss diese Einschränkung der obligatorischen Zuständigkeit als ein Teil des Kompromisses akzeptiert werden, der die Errichtung des jetzt existierenden Systems erst möglich gemacht hat.64 a) Foren zur Streitbeilegung im Rahmen des SRÜ Auch wenn sich die Staaten während der Verhandlungen relativ frühzeitig auf ein umfassendes Streitbeilegungssystem einigen konnten und im Prinzip keine Einwände mehr gegen obligatorisch zuständige, verbindlich entscheidende Streitbeilegungsorgane existierten,65 so bestanden dennoch erhebliche Differenzen über die Frage, welches das geeignete Forum für diese Aufgabe sei.66 So lehnte die Sowjetunion und mit ihr die übrigen Staaten des ehemaligen Ostblocks jede Form gerichtlicher Streitbeilegung ab, waren aber bereit, Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ ad hoc zu konstituierenden Schiedsgerichten zu unterbreiten.67 Gegenüber dem IGH als Streitbeilegungsforum des SRÜ existierte eine breite Opposition bestehend aus vielen Entwicklungsländern und einigen westlichen Staaten, die sich aber für die Errichtung eines speziellen Gerichtshofs einsetzten.68 Wiederum andere Staaten vertraten die Ansicht, dass es für eine solche Bandbreite von möglichen Streitigkeiten, wie sie bei der Auslegung des SRÜ entstehen können, und aufgrund ihres unterschiedlichen Charakters kein einheitliches Forum zur Streitbeilegung geben könne.69 Der als Mountreaux-Formel bekannte Kompromiss versuchte, allen Staaten und Vorschlägen dadurch gerecht zu werden, dass er ein Höchstmaß an Flexibilität bei der Wahl des geeigneten Forums ermögobligatorische Zuständigkeit des SRÜ-Streitbeilegungssystems einschränken können; vgl. dazu Boyle, ICLQ 46 (1997), S. 37 (41 ff.); Heitmüller, Durchsetzung von Umweltrecht, S. 27 ff.; zu Art. 298 SRÜ siehe auch Wasum, ISGH, S. 200 ff. 63 Vgl. zu dieser Kritik Oda, ICLQ 44 (1995), S. 863 (863 f.). 64 Charney, AJIL 90 (1996), S. 69 (73). 65 Jaenicke, ZaöRV 43 (1983), S. 813; Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 98. 66 Boyle, ICLQ 47 (1997), S. 37 (40 f.); Adede, Dispute Settlement Under UNCLOS, S. 242; Heitmüller, Durchsetzung von Umweltrecht, S. 25 f. 67 Boyle, ICLQ 47 (1997), S. 37 (40); Heitmüller, Durchsetzung von Umweltrecht, S. 25. 68 Charney, AJIL 90 (1996), S. 69 (71). Die Position der Entwicklungsländer entsprach dem damals grundsätzlich bestehenden Misstrauen dieser Staaten gegenüber dem IGH, welches u. a. durch die Entscheidung des IGH im Fall South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase, 18.7.1966, ICJ Rep. 1966, S. 3 ff. begründet wurde; siehe Lauterpacht, International Justice, S. 19. 69 Boyle, ICLQ 47 (1997), S. 37 (40).

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

lichte. Die Umsetzung des Kompromisses findet sich in Art. 287 SRÜ, der es den Vertragsstaaten überlässt, ob sie die Streitigkeit vor dem IGH beilegen, dem neu zu errichtenden internationalen Seegerichtshof (ISGH), einem nach Annex VII gebildeten Schiedsgericht oder einem nach Annex VIII gebildeten besonderen Schiedsgericht, welches lediglich für die dort aufgeführten Streitigkeiten zuständig ist. Dabei steht es den Vertragsstaaten frei, zu jedem Zeitpunkt durch schriftliche Erklärung ihre Präferenz für eines oder mehrere der genannten Foren zum Ausdruck zu bringen.70 Das Prinzip der freien Wahl des geeigneten Forums wird aus Gründen der Effektivität allerdings für die Fälle eingeschränkt, in denen die Streitparteien entweder unterschiedliche oder gar keine Präferenzerklärungen abgegeben haben und sich nicht auf die Wahl eines gemeinsamen Forums einigen können. Um zu vermeiden, dass es aufgrund mangelnder Einigung der Streitparteien bezüglich eines gemeinsamen Forums zu der Situation kommt, dass letztlich überhaupt kein Forum zuständig ist, wird durch Art. 287 Abs. 3 und 5 SRÜ ein in Übereinstimmung nach Annex VII errichtetes Schiedsgericht als das zuständige Streitbeilegungsforum bestimmt.71 Ebenfalls aus Gründen der Effektivität kann es auch im Falle des Erlasses einstweiliger Maßnahmen gem. Art. 290 Abs. 1 SRÜ zu einer Durchbrechung des Prinzips der Wahlfreiheit des Streitbeilegungsforums kommen. Voraussetzung für den Erlass einstweiliger Maßnahmen ist zum einen die prima facie festzustellende Zuständigkeit des SRÜ-Gerichts im Hauptsacheverfahren und zum anderen eine Situation, die es erforderlich macht, dass die Rechte der Streitparteien bis zum Hauptsacheverfahren gesichert werden müssen, oder aufgrund derer schwere Schäden für die Meeresumwelt drohen. Für den Erlass einstweiliger Maßnahmen ist grundsätzlich das jeweilige Gericht im Hauptsachverfahren zuständig, d.h. es besteht eine grundsätzliche Kontinuität zwischen dem in der Hauptsache gewählten Forum und dem zuständigen Gericht für den Erlass einstweiliger Maßnahmen. Dies Kontinuität wird nur in dem Falle unterbrochen, in denen die Streitparteien oder Art. 287 Abs. 3 und 4 SRÜ für die Hauptsache ein sich ad hoc zu konstituierendes Schiedsgericht als zuständiges Streitbeilegungsforum bestimmen, dessen Zusammensetzung qua Natur der Sache einige Zeit in Anspruch nimmt. Beantragen eine oder beide Streitparteien vor der Bil70

Zwar ist von dieser Möglichkeit bisher nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht worden. Die Untersuchung von Treves, N.Y.U.J. Intern’l L. & Pol 31 (1999), S. 809 (816) hat aber gezeigt, dass eine solche Erklärung ein wichtiges Instrument ist, um einen möglichst großen Einfluss auf die Wahl des geeigneten Forums zu haben. 71 Richter Shearer, SBT-ISGH, Seperate Opinion Judge Shearer, ILM 38 (1999), S. 1624 (1649) hat dies passender weise damit umschrieben, dass das Schiedsverfahren nach Annex VII den Sinn und Zweck einer default procedure erfülle.

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dung des Schiedsgerichts den Erlass einstweiliger Maßnahmen, so ist dafür ein von den Streitparteien zu bestimmendes Gericht zuständig. Können sich die Parteien innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen nach dem Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht auf ein gemeinsames Gericht einigen, so bestimmt Art. 290 Abs. 5 SRÜ den ISGH als zuständiges Forum.72 Damit wird die Situation ausgeschlossen, dass ein rechtzeitiger Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen Verzögerungen bei der Zusammensetzung und Bildung des Schiedsgerichts unmöglich gemacht wird. b) Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte ratione materiae Die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte ratione materiae bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 288 Abs. 1 SRÜ lediglich auf Streitigkeiten, die sich aus der Auslegung und Anwendung des SRÜ selbst ergeben. Das bedeutet zwar nicht, dass im Rahmen eines SRÜ-Verfahrens nicht auch allgemeine völkerrechtliche Fragen geklärt werden müssen und dürfen. Diese Kompetenz bezieht sich aber nicht auf die Zuständigkeit ratione materiae und damit auf das durchsetzbare Recht, sondern auf Fragen des anwendbaren Rechts, dessen Regelung Gegenstand des Art. 293 SRÜ ist. Dementsprechend können vor den SRÜ-Gerichten nur diejenigen Verfahren anhängig gemacht werden, in denen eine Verletzung des SRÜ geltend gemacht wird. Eine Ausnahme von diesem Prinzip der beschränkten Jurisdiktion enthält Art. 288 Abs. 2 SRÜ für Streitigkeiten, die dem ISGH, dem IGH oder den Schiedsgerichten durch ein mit den Zielen des SRÜ zusammenhängendes internationales Übereinkommen übertragen worden sind und dessen Anwendung oder Auslegung betreffen. Von dieser Inkorporationsmöglichkeit des Streitbeilegungssystems des SRÜ ist aber bisher nur im Rahmen des Fish Stocks Agreement73 Gebrauch gemacht worden.74 72 Treves, ZaöRV 55 (1995), S. 421 (430 f.). Zu dieser Situation kam es sowohl im SBT-Fall – SBT-ISGH, ILM 38 (1999), S. 1624 ff.; SBT-Schiedsgericht, ILM 39 (2000), S. 1359 ff. – als auch in der MOX Plant-Streitigkeit – ISGH, MOX Plant, ILM 41 (2002), S. 405 ff., MOX Plant-Schiedsgericht, die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus; Informationen zum Stand des Verfahrens sind auf der Homepage des Permanent Court of Arbitration abrufbar unter www.pca-acp.org – in denen für das Hauptsacheverfahren ein Schiedsgericht in Übereinstimmung mit Annex VII errichtet wurde, während der ISGH über den Erlass einstweiliger Maßnahmen zu entscheiden hatte und damit auch über das Bestehen der prima facie Zuständigkeit des Schiedsgerichts. Zu den Differenzen zwischen ISGH und dem SBT-Schiedsgericht bezüglich der Auslegung von Art. 281 und 282 SRÜ siehe unten 2. Teil C. V. 73 Agreement on the Implementation of Provisions of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982 Relating to the Conservation and Management of Straddling Fish Stocks and Highly Migratory Fish Stocks, ILM 34 (1995), S. 1542 ff.

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Die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte rationae materiae wird allerdings durch die in Teil XV Abschnitt 3 SRÜ enthaltenen fakultativen und zwingenden Jurisdiktionsbeschränkungen zum Teil erheblich eingeschränkt. Dies ist zwar im Hinblick auf die Schaffung eines umfassenden obligatorischen Streitbeilegungssystems zu kritisieren, als Bestandteil der in vielen Bereichen des SRÜ zum Ausdruck kommenden Kompromisslösung zwischen Küsten- und Nichtküstenstaaten, die eine Balance zwischen deren unterschiedlichen Interessen zu erreichen sucht, aber als notwendig hinzunehmen.75 Die zwingenden Jurisdiktionsbeschränkungen beziehen sich primär auf Streitigkeiten bezüglich der Ausübung souveräner Rechte von Küstenstaaten und der Inanspruchnahme von auf Hoher See garantierten Freiheiten durch Nichtküstenstaaten im Bereich der AWZ; d.h. sie beziehen sich auf Bereiche, in denen die Rechte und Pflichten beider Seiten in einem äußerst komplizierten System zusammengeführt werden.76 Geht es also um die Ausübung souveräner Rechte im Rahmen der AWZ, so findet das System obligatorischer Gerichtsbarkeit nach Teil XV Abschnitt 2 SRÜ grundsätzlich keine Anwendung, es sei denn, dass eine der in Art. 297 SRÜ enthaltenen Ausnahmen eingreift, der für bestimmte Streitigkeiten die Anwendung des Abschnitts 2 anordnet.77 Dennoch können Küstenstaaten auch in Fällen, in denen eine der zwingenden Jurisdiktionsbeschränkungen einschlägig ist, sich dem SRÜ-Streitbeilegungssystem u. U. nicht vollständig entziehen. So ordnet Art. 297 Abs. 3 lit. b) SRÜ für die dort aufgeführten Fälle an, dass die Streitigkeit zwar nicht der Jurisdiktion eines der SRÜ-Gerichte unterfällt, dass aber für den Fall, dass eine Beilegung der Streitigkeit nach Teil XV, Abschnitt 1 SRÜ nicht möglich ist, diese einem in Anlage V Abschnitt 2 vorgesehenen zwingenden Vergleichsverfahren unterworfen werden kann. Die in Art. 298 SRÜ enthaltenen fakultativen Jurisdiktionsbeschränkungen geben den Vertragsstaaten die Möglichkeit, die obligatorische Gerichtsbarkeit für die Fälle auszuschließen, die sich auf die Abgrenzung von Meeresgebieten, historischen Buchten und historischen Titeln beziehen sowie militärische Handlungen bzw. Vollstreckungshandlungen in Ausübung 74 Gem. Art. 30 Abs. 1 Fish Stocks Agreement gelten die Bestimmungen des Teils XV SRÜ für alle Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten über die Auslegung und Anwendung des Fish Stocks Agreement und zwar unabhängig davon, ob sie Vertragsstaaten des SRÜ sind oder nicht; Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 147 ff. 75 Boyle, ICLQ 46 (1997), S. 37 (38). 76 Siehe Boyle, Law of the Sea Dispute Settlement, in: Koufa (ed.), International Justice, S. 295 (325). 77 Ausführlich dazu Heitmüller, Durchsetzung von Umweltrecht S. 148 ff. m. w. N.

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souveräner Rechte und Hoheitsbefugnisse oder aber Streitigkeiten betreffen, in denen der UN-Sicherheitsrat seine ihm von der UN-Charta übertragenen Rechte wahrnimmt.78 2. Streitbeilegung nach Teil XI Abschnitt 5 SRÜ Mit Art. 186 SRÜ wird eine besondere Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten geschaffen, die für den Fall, dass die Streitigkeit in ihren Jurisdiktionsbereich fällt, anstelle des allgemeinen Systems obligatorischer Gerichtsbarkeit nach Teil XV zuständig ist. Die Errichtung dieser Kammer war wegen der speziellen Struktur der Rechtsstreitigkeiten, die sich aus der Ausgestaltung des Meeresbodenregimes ergeben, notwendig geworden. Als Beteiligte kommen nämlich nicht nur Staaten in Betracht, sondern auch die Meeresbodenbehörde und ihre Organe, juristische und natürliche Personen sowie internationale Organisationen, denen das allgemeine, auf Streitigkeiten zwischen Staaten begrenzte Rechtsschutzsystem nach Teil XV SRÜ nicht offen steht.79 Die Zuständigkeit der Meeresbodenkammer wird aber nicht grundsätzlich für alle Streitigkeiten, die aus der Auslegung und Anwendung des Teils XI SRÜ resultieren können, begründet, sondern ist auf die in Art. 187 SRÜ positiv aufgelisteten Fälle beschränkt, die sich in sechs unterschiedliche Kategorien untergliedern lassen und an denen unterschiedliche Parteien teilnehmen können.80 Daneben enthält Teil XI Abschnitt 5 des SRÜ, wie auch Teil XV, mit Art. 189 SRÜ eine Regelung, welche die Zuständigkeit der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten ratione materiae beschränkt. So darf die Kammer unter keinen Umständen das Ermessen der Meeresbodenbehörde durch ihr eigenes ersetzen, was aber nicht die Überprüfbarkeit im Hinblick auf grobe Ermessensfehler ausschließen kann.81 Darüber hinaus darf sie sich weder dazu äußern, ob eine Durchführungsbestimmung der Behörde mit dem SRÜ vereinbar ist, noch eine solche für ungültig erklären. Eine solche Überprüfbarkeit, die an ein Normenkontrollverfahren im nationalen Recht erinnert, kann die Kammer nur in Form von Gutachten durchführen, um deren Erstellung sie gem. Art. 191 SRÜ durch Antrag der Versammlung oder des Rates ersucht worden ist.82

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Vgl. Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 116 f. Seeberg-Elverfeldt, Streitbeilegung im Tiefseebergbaurecht, S. 14 f.; Treves, ZaöRV 55 (1995), S. 421 (428). 80 Siehe dazu Wasum, ISGH, S. 240 ff. 81 Marquardt, Streitbeilegungssystem im Rahmen des Tiefseebergbauregimes, S. 163. 82 Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 130. 79

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III. Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit im internationalen Wirtschaftsrecht Wie im internationalen Seerecht, so existieren auch im internationalen Wirtschaftsrecht eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge und Übereinkommen, welche für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung derselben unter den unterschiedlichsten Voraussetzungen verschiedene Formen verbindlicher oder quasi-verbindlicher Streitbeilegungsverfahren vorsehen. Von herausragender Bedeutung für die Fortentwicklung der internationalen Streitbeilegung in diesem Bereich des Völkerrechts ist aber die im Rahmen der Uruguay-Runde erfolgte Reform des GATT-Streitbeilegungsverfahrens. Parallel dazu existieren gerichtliche oder gerichtsähnliche Streitbeilegungsverfahren in regionalen Freihandelszonen, wie etwa im Bereich des NAFTA.83 1. Das WTO-Streitbeilegungsverfahren Mit der Errichtung der WTO sind auch die Vorschriften des Dispute Settlment Understanding (DSU) in Kraft getreten. Das darauf basierende Streitbeilegungssystem hat sich seitdem zu einem der effektivsten und auch wichtigsten quasigerichtlich ausgestalteten Streitbeilegungsinstitutionen entwickelt.84 Innerhalb von fast acht Jahren haben die WTO-Mitgliedstaaten bereits 279 Mal die Einsetzung eines WTO-Panels beantragt.85 Um aber die Reichweite der Reform verstehen zu können, soll zunächst auf das Streitbeilegungsverfahren des GATT 47 eingegangen werden, welches trotz aller Veränderungen im Rahmen des heutigen WTO-Verfahrens dessen Grundlage geblieben ist.86 a) Panel-Verfahren im GATT 47 Das Panelverfahren im GATT 47 spielte trotz der starken Betonung der Verhandlung als dem wesentlichen Element des Streitbeilegungsprozesses eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des GATT von einem vorläufigen Übereinkommen hin zu einem institutionellen Rahmen für die Liberalisie83 Der EuGH und das EuG erster Instanz sollen nicht Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sein, da sie aufgrund der besonderen Stellung der EG als Mitglied der WTO im Verhältnis zu dessen Streitbeilegungsinstitutionen eher als „innerstaatliche Gerichte“ eines Mitgliedstaates charakterisiert werden können. 84 Merrils, International Dispute Settlement, S. 197. 85 Stand 15.1.2003; eine Übersicht der entschiedenen und noch anhängigen Verfahren ist abrufbar unter www.wto.org. 86 Hudec, Minn. J. Gl. T. 8 (1999), S. 1 (3).

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rung des Welthandels.87 Es gliederte sich in vier Verfahrensabschnitte: von der Einsetzung des Panels durch den GATT-Rat über das eigentliche Panelverfahren und die anschließende Annahme des Panel-Berichts zur ggf. notwendigen Durchsetzung der vom GATT-Rat angenommenen Empfehlungen.88 Von diesen Verfahrensabschnitten war zumindest in späterer GATTPraxis nur das Panelverfahren quasigerichtlich ausgestaltet, während sowohl die Einsetzung des Panels, als auch die Annahme des Panel-Berichts Gegenstand diplomatischer Verhandlungen waren, deren Scheitern Grund für die häufige Nichtannahme von Panel-Berichten war.89 Dem ersten Verfahrensabschnitt, der Einsetzung des Panels durch den GATT-Rat, war eine Konsultationsphase vorgeschaltet, um die Streitigkeit im Konsenswege beizulegen.90 Konnte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden, so hatten die Vertragsstaaten gem. Art. XXIII GATT 47 die Möglichkeit, beim GATT-Rat die Einsetzung eines Panels zu beantragen, wenn Zugeständnisse oder sonstige Vorteile, die sich unmittelbar oder mittelbar für sie aus dem GATT 47 ergeben, zunichte gemacht oder geschmälert wurden oder wenn die Erreichung eines der Ziele des GATT 47 erstens dadurch behindert wurde, dass eine Vertragspartei ihre Verpflichtungen aus dem GATT 47 nicht erfüllt oder, zweitens, dass eine Vertragspartei eine bestimmte Maßnahme trifft und zwar unabhängig davon, ob diese gegen das GATT verstößt oder nicht oder, drittens, dass eine andere Sachlage gegeben ist (Art. XXIII GATT 47). Entscheidende Voraussetzung ist damit nicht eine nachgewiesene, sondern lediglich eine behauptete Schädigung durch die angegriffene Maßnahme der anderen Partei.91 Diese Schädigung kann entweder auf der GATT-Widrigkeit der Maßnahme beruhen; sie kann aber auch dann geltend gemacht werden, wenn die Maßnahme an sich keine Verletzung des GATT 47 darstellt (sog. non-violation complaints).92 Diese Differenzierung zwischen Vertragsverletzung und Benachteiligung ohne Vertragsverletzung ist im Rahmen der Beweislast von entscheidender Bedeutung. Im ersteren Falle besteht eine widerlegbare Vermutung, dass die Verletzung einer GATT-Verpflichtung zumindest zu einer Schmälerung der 87

So wurde das GATT-Panelverfahren insgesamt weit über 100 Mal in Anspruch genommen. Es wurde damit in seiner über 40 jährigen Bestehenszeit häufiger genutzt als alle anderen Streitbeilegungsverfahren in multilateralen Verträgen; vgl. Petersmann, CMLR 28 (1991), S. 69 (69 f.); Brand, JWT 24/3 (1990), S. 5: „Dispute resolution is in many ways the heart of the GATT system.“ 88 Ausführliche Darstellung des GATT 47-Streitbeilegungsverfahrens bei Letzel, Streitbeilegung, S. 130 ff.; Petersmann, WTO Dispute Settlement, S. 66. 89 Letzel, Streitbeilegung, S. 194 und 199; Benedek, Rechtsordnung, S. 363 ff. 90 Benedek, Rechtsordnung, S. 311. 91 Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 143. 92 Zu den non-violation complaints siehe Petersmann, WTO Dispute Settlement, S. 150 ff.

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aus dem GATT 47 resultierenden Vorteile führt.93 Im Falle eines sog. nonviolation complaints obliegt es wiederum der die Einsetzung des Panels beantragenden Partei nachzuweisen, dass auch eine GATT-konforme Maßnahme zu einer Schädigung führt.94 Es sei darauf hingewiesen, dass Art. XXIII GATT 47 den Vertragsstaaten korrekterweise kein Recht auf Einsetzung eines Panels vermittelt.95 Denn ihnen stand die Streiterledigung im Rahmen des GATT 47 selbst zu, und das GATT-Panelverfahren hat sich erst im Laufe der Jahre als ständige Vertragspraxis herausgebildet. Zunächst wurden Streitigkeiten in Arbeitsgruppen, die aus GATT-Mitgliedern bestanden, behandelt und ab 1952 in einer für alle Streitigkeiten zuständigen Arbeitsgruppe, dem sog. panel on complaints.96 Erst später und parallel zu der existierenden Arbeitsgruppe bildete sich die Praxis heraus, die jeweilige Streitigkeit im Rahmen einer Sachverständigengruppe, dem panel of experts, beizulegen.97 Die Entwicklungen des Panelverfahrens wurden dann 1979 im Anhang zu der Vereinbarung über Notifizierung, Konsultationen, Streitbeilegung und Überwachung98 verbindlich festgehalten (sog. 1979 Understanding).99 Dementsprechend handelt es sich bei dem „Recht auf Einsetzung eines Panels“ lediglich um eine de facto anerkannte Praxis, der sich, auch wenn es teilweise zu erheblichen Verzögerungen bei der Einsetzung kam, kein GATT-Vertragsstaat auf Dauer hat entziehen können.100

93 Diese Regel geht auf den Panel Report, Uruguayan Recourse to Article XXIII, BISD 11S/56 und 11S/94, 1962, zurück und ist seitdem ständige GATT-Praxis, die mit Art. 3.8 DSU auch Eingang in die WTO Streitbeilegungspraxis gefunden hat; zur Beweislastverteilung im GATT 1947 siehe Castel, ICLQ 38 (1989), S. 834 (836); Meng, ZaöRV 41 (1981), S. 69 (81). 94 Vermulst/Driessen, JWT 29/3 (1995), S. 131 (137). 95 Zum „Recht auf ein Panel“ nach dem GATT 47 siehe Benedek, Rechtsordnung, S. 316 f.; Petersmann, The World Economy 11 (1988), S. 55 (72) spricht dementsprechend lediglich von einer de facto anerkannten Praxis. 96 Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 143. 97 Bei den Mitgliedern eines Panels handelte es sich um unabhängige Fachleute, während sich eine Arbeitsgruppe, die aus 15 bis 20 Mitgliedern bestand, aus den Repräsentanten von GATT-Vertragsstaaten zusammensetzte; zum Arbeitsgruppenverfahren siehe Meng, ZaöRV 41 (1981), S. 69 (78 f.). 98 Understanding Regarding Notification, Consultation, Dispute Settlement and Survelliance of 28.11.1979, Agreed Description of Customary Practice of the GATT in the Field of Dispute Settlement (Article XXII:2), BISD 31S/9. 99 Siehe dazu Hudec, Enforcing International Trade Law, S. 11 ff. 100 Benedek, Rechtsordnung, S. 316; Petersmann, The World Economy 11 (1988), S. 55 (72); Castel, ICLQ 38 (1989), S. 834 (836) bezeichnet die Einsetzung eines Panels auf einseitigen Antrag eines Vertragstaates als „standard practice of the GATT“.

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Im Rahmen des zweiten Verfahrensabschnitts bedurfte es zunächst der Festlegung des Mandats für das jeweilige Panel in Form sog. terms of references, die im Laufe der Streitbeilegungspraxis im Rahmen des GATT 47 ebenso standardisiert wurden wie der Ablauf des Verfahrens an sich.101 Eine erste verbindliche Festlegung des Verfahrens findet sich in Art. 6 des Anhangs zum 1979 Understanding, der eine Beschreibung der gewohnheitsrechtlich anerkannten Elemente enthält, die durch die Arbeiten der Rechtsabteilung des Sekretariats im Jahre 1985 und die 1989 ausgearbeiteten Regeln über die Verbesserung der GATT-Streitbeilegungsregeln und -verfahren weiterentwickelt und modifiziert wurden.102 Aufgabe des Panels war es zunächst, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. Erst wenn die darauf abzielenden Konsultationen mit den Parteien nicht erfolgreich waren, verfasste das Panel einen Bericht, der die Empfehlungen des Panels hinsichtlich einer Lösung des Konflikts enthielt. Allerdings handelte sich bei diesem Bericht nicht um eine rechtsverbindliche Entscheidung, sondern vielmehr um ein Rechtsgutachten, das erst und nur im Falle der Annahme durch den GATTRat verbindlich wurde.103 Für eine Annahme des Berichts war aber der Konsens der GATT-Vertragsstaaten im GATT-Rat notwendig; d.h. ein PanelBericht wurde nur dann angenommen, wenn keiner der Vertragsstaaten widersprach. Zwar konnte die Annahme eines zunächst abgelehnten Panel-Berichts durch Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden, allerdings wurde von dieser Möglichkeit während der gesamten Bestehenszeit des GATT 47 kein Gebrauch gemacht.104 Damit war insbesondere die im Verfahren unterlegene Partei in der Lage, die Annahme eines Panel- Berichts entweder zu verzögern oder dauerhaft zu blockieren.

101 Die terms of references bestimmten die Aufgabe der Panel, die darin bestand, die ihm unterbreitete Angelegenheit zu untersuchen und die Feststellungen zu treffen, die die GATT-Vertragsstaaten darin unterstützen, die in Art. XXIII Abs. 2 GATT vorgesehenen Empfehlungen und Entscheidungen zu treffen. Diese Formulierung ist als standard terms of references in Art. 11 DSU übernommen worden. 102 Siehe dazu Petersmann, GYIL 32 (1989), S. 280 (299 ff.). 103 Diese Bindungswirkung bezog sich grundsätzlich nur auf die Streitparteien. Allerdings waren die rechtlichen Schlussfolgerungen des Panels über den konkreten Streitfall hinaus von Bedeutung für zukünftige Interpretationen des GATT; Petersmann, The World Economy, S. 55 (66); zur Frage der Bindungswirkung an frühere Entscheidungen siehe unten 4. Teil C. II. 104 Hauptgrund war die verbreitete Ansicht, dass die Beibehaltung des Konsensprinzips eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren des GATT 47-Streitbeilegungsverfahrens sei; vgl. Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 147; Hudec, Enforcing International Trade Law, S. 47. Darüber hinaus konnte nur im Falle eines Konsenses sichergestellt werden, dass sich die unterlegene Streitpartei an den im Panel-Bericht enthaltenen Empfehlungen orientieren würde; Petersmann, GYIL 32 (1989), S. 280 (305).

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Kam es trotz der Blockademöglichkeit zur Annahme des Panel-Berichts, so konnte der GATT-Rat für den Fall, dass eine der Parteien die im PanelBericht enthaltenen Empfehlungen nicht umsetzte, die andere Partei autorisieren, die Erfüllung von Zugeständnissen und GATT-Verpflichtungen gegenüber der säumigen Partei auszusetzen. Allerdings konnte eine solche Entscheidung, wie auch die Annahme des Panel-Berichts, nur im Konsenswege erfolgen, so dass die unterlegene Partei auch im Fall eines angenommenen Berichts immer noch die Möglichkeit hatte, die Aussetzung von Zugeständnissen zu verhindern.105 Dementsprechend lag der Schwerpunkt bei der Durchsetzung von Panel-Berichten auf einem Überwachungs- und Kontrollmechanismus, in dessen Rahmen die betroffene Partei regelmäßig schriftliche Berichte über Fortschritte bei der Umsetzung der im Bericht enthaltenen Empfehlungen machen musste, die anschließend im GATT-Rat diskutiert wurden.106 Dadurch entstand ein erheblicher Druck auf den betroffenen Vertragsstaat, so dass auch dieses System, allerdings mit zum Teil beträchtlichen Verzögerungen, in aller Regel zur Umsetzung der Empfehlungen führte.107 b) Reform durch das DSU Die Reform des Streitbeilegungsverfahrens, die eines der wichtigsten Ziele der Uruguay Runde war,108 hat zu einer erheblichen Verrechtlichung des Streitbeilegungssystems geführt.109 Entsprechend dem single under105 Tatsächlich ist es in der Zeit des Bestehens des GATT 47 nur einmal, und zwar 1952, zu der Situation gekommen, dass der GATT-Rat die Aussetzung von Zugeständnissen autorisiert hat; vgl. Planck, J. Int. Arb. 4 (1987), S. 53 (92). 106 Siehe zu diesem Kontroll- und Überwachungsmechanismus Benedek, Rechtsordnung, S. 294 ff.; Jäger, Streitbeilegung und Überwachung, S. 85 ff. 107 Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 148. 108 Kohona, JWT 28/2 (1994), S. 23 (24). 109 Dass es zu einer so weitreichenden Verrechtlichung des Streitbeilegungsverfahrens kommen würde, war während der Verhandlungen nicht absehbar. Zwar hatten die USA insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sowie aufgrund der Tatsache, dass ein diplomatisch geprägtes Streitbeilegungsverfahren Staaten mit größerer Verhandlungsmacht bevorzugt, eine gerichtsähnliche Ausgestaltung des Streitbeilegungssystems gefordert, das u. a. das Recht auf Einsetzung eines Panels sowie die Rechtsverbindlichkeit der Panel-Berichte als wesentliche Merkmale enthalten sollte. Allerdings stand insbesondere die EG diesem Ansatz kritisch gegenüber. Sie vertrat vielmehr einen pragmatisch geprägten Standpunkt, der den Vertragsstaaten sowohl bei der Annahme der Berichte als auch bei deren Durchsetzung sehr viel mehr Verhandlungsspielraum zubilligte. Die jetzige Form des DSU ist zwar ein Kompromiss, sie berücksichtigt die Position der USA aber in einem wesentlich stärkeren Ausmaß als die der EG, die während der Verhandlungen zugunsten einer gerichtsähnlichen Ausgestaltung eingelenkt hatte; siehe dazu Mora, CJTL 31 (1993), S. 103 (128 ff.); Stoll, ZaöRV (1994), S. 241 (268 f.); Davey,

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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taking approach bezieht sich das DSU nicht mehr allein auf das GATT, sondern es enthält grundsätzliche Regelungen über die Streitbeilegung bezüglich aller unter das WTO-Übereinkommen fallenden multilateralen Handelsübereinkommen.110 Die Aufgaben, die im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens des GATT 47 vom GATT-Rat erfüllt wurden, werden nun vom Allgemeinen Rat, der als Dispute Settlement Body (DSB) zusammentritt, wahrgenommen. Dementsprechend kommt nun dem DSB gem. Art. 2 Abs. 1 DSU die Befugnis zu, Panel einzusetzen, deren Berichte anzunehmen, die Umsetzung von Entscheidungen und Empfehlungen zu überwachen sowie die Aussetzung von Zugeständnissen und sonstigen Verpflichtungen zu genehmigen. Allerdings ist der Einfluss der einzelnen WTO-Mitglieder im DSB durch die Einführung des „umgekehrten Konsensprinzips“, das eines der herausragendsten Ergebnisse der Reformbemühungen ist,111 zugunsten der Panel-Entscheidungen erheblich eingeschränkt worden. Die Umkehrung des Konsensprinzips besagt, dass die Einsetzung eines Panels und die Annahme der Berichte sowie die Durchsetzung der darin enthaltenen Empfehlungen nun nicht mehr durch positiven Konsens der Mitgliedstaaten erfolgt, sondern vielmehr nur dann verhindert werden kann, wenn bezüglich der Nichteinsetzung des Panels, der Nichtannahme eines PanelBerichts oder der Nichtdurchführung bestimmter Maßnahmen zur Durchsetzung von Panel-Empfehlungen Konsens besteht.112 Dies hat zur Folge, dass im Gegensatz zum GATT 47 keiner der Verfahrensabschnitte mehr einseitig durch den jeweils betroffenen Staat blockiert werden kann,113 was insbesondere für die Annahme der Panel-Berichte von besonderer Bedeutung ist. Denn eine Verhinderung der Annahme des Berichts dürfte in Zukunft faktisch nur durch die Zustimmung der im Verfahren obsiegenden Partei möglich sein. Der dadurch geschaffene Automatismus führt zu einer Quasi-Verbindlichkeit der Panel-Entscheidungen und damit zu einer gerichtsähnlichen Ausgestaltung des gesamten Streitbeilegungsverfahrens und nicht nur des WTO/GATT World Trading System in: Pescatore/Davey/Lowenfeld (eds.), WTO/ GATT Dispute Settlement, vol. I, part. 1, S. 75 f. 110 Collier/Lowe, International Dispute Settlement, S. 100; Kohona, JWT 28/2 (1994), S. 23 (25 f.). Damit wird im Gegensatz zur früheren GATT 47-Praxis sichergestellt, dass grundsätzlich alle Aspekte einer Streitigkeit, auch wenn sie verschiedene multilaterale Handelsübereinkommen betreffen, vor einem Panel verhandelt werden. Die Gefahr des forum shopping ist damit erheblich reduziert worden; vgl. Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 151 f.; Vermulst/Driessen, JWT 29/3 (1995), S. 131 (138). 111 „The Uruguay Round Negotiating Group on Dispute Settlement . . . achieved an historically unprecedented agreement on a new worldwide dispute settlement mechanism with compulsory jurisdiction leading to legally binding decision . . .“ Petersmann, WTO Dispute Settlement, S. XIV. 112 Stoll, ZaöRV 54 (1994), S. 241 (271). 113 Letzel, Streitbeilegung, S. 230 f.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

zweiten Verfahrensabschnitts.114 Auch im Bereich der Durchsetzung der Panel-Entscheidungen hat die Reform zu einer wesentlichen Stärkung der Position der obsiegenden Partei geführt. Wie auch im GATT 47 sieht das DSU zunächst eine Überwachung der Umsetzung der Panel-Empfehlungen vor. Werden diese nicht fristgerecht umgesetzt besteht sodann die Möglichkeit, dass die Parteien einvernehmlich eine Entschädigung für die nicht fristgerechte Umsetzung vereinbaren. Erst auf der dritten Stufe hat der obsiegende Staat dann das Recht, eine Aussetzung der Zugeständnisse oder sonstiger Verpflichtungen gegenüber der gegnerischen Partei zu beantragen. Die Entscheidung darüber fällt im DSB, wobei auch hier wieder das umgekehrte Konsensprinzip greift; d.h. die Aussetzung von Handelsvorteilen zur Durchsetzung der Panelempfehlungen kann nur dann abgewendet werden, wenn dahingehend Konsens zwischen allen WTO-Mitgliedstaaten herrscht. Dementsprechend kommt dieser Form der Durchsetzung neben der im GATT 47 einzig erfolgsversprechenden Überwachung eine zunehmend wichtige Bedeutung zu.115 Wesentliche Neuerung neben der Einführung des „umgekehrten Konsensprinzips“ ist darüber hinaus die Errichtung einer Revisionsinstanz in Form des Appellate Body, der zur Klärung von umstrittenen Rechtsfragen und Auslegungen von den Streitparteien nach Ablauf des Panelverfahrens angerufen werden kann.116 Durch die Revisionsmöglichkeit soll sowohl die Rechtssicherheit als auch die Vorhersehbarkeit späterer Entscheidungen sichergestellt werden.117 Darüber hinaus enthält das DSU mit Art. 23 eine Vorschrift, die dem WTO-Streitbeilegungssystem Vorrang vor anderen Verfahren bezüglich der 114 Zur Rechtsnatur des WTO-Streitbeilegungsverfahrens siehe Mora, CJTL 31 (1993), S. 103 (159 ff.) sowie Letztel, Streitbeilegung, S. 346 ff., der die Mindestkriterien eines internationalen Gerichts zumindest im Hinblick auf den Appellate Body als erfüllt ansieht; zu diesen Kriterien siehe Mosler/Oellers-Frahm in: Simma (ed.), vol. II, Art. 92, para. 57 ff.; Tomuschat, Courts with Regionally Restricted and/or Specialized Jurisdiction, in: Mosler/Bernhardt (eds.), Judicial Settlement of International Disputes, S. 285 (290 ff.); Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (531), spricht hingegen von Streitbeilegungsorganen der WTO, da es sich formal gesehen weder bei den Paneln noch beim Appellate Body um ein internationales Gericht handelt. Funktional erfülle es hingegen die Aufgaben eines „Welthandelsgerichts“, Neumann, Koordination und Kooperation, S. 515; so auch Weiler, JWT 35/2 (2001), S. 191 (204). 115 Mora, CJTL 31 (1993), S. 103 (156). 116 Da der Appellate Body nicht das gesamte Verfahren neu aufrollt, sondern nur die Auslegungen der Panel überprüft, handelt es sich nicht, wie teilweise in der Literatur behauptet, um eine Berufungs- sondern um eine Revisionsinstanz. Allgemein zum Appellate Body als Revisionsinstanz siehe Pescatore, Dispute Settlement, in: Pescatore/Davey/Lowenfeld (eds.), WTO/GATT Dispute Settlement, vol. I, part 2, S. 39 ff. 117 Kohona, JWT 28/2 (1994), S. 23 (40).

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Beilegung von WTO-Streitigkeiten einräumt. Diese Vorschrift war wegen der zunehmenden Bilateralisierung der Streitbeilegung außerhalb des institutionellen Rahmens des GATT 47, wie sie auch im U.S.-amerikanischen Section 301 Trade Act vorgesehen war, notwendig geworden.118 Schließlich soll noch auf die Möglichkeit der Einleitung eines für die Streitparteien verbindlich entscheidenden Schiedsverfahrens in Übereinstimmung Art. 25 DSU hingewiesen werden, die allerdings nur im Fall der einvernehmlichen Einigung der Streitparteien über ein solches Verfahrens besteht. c) Zuständigkeit ratione materiae Art. 1 Abs. 1 des DSU begründet die Zuständigkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung aller in Anhang 1 des DSU genannten Übereinkommen, was nach Anhang 1 A des DSU das WTO-Übereinkommen sowie alle multilateralen Handelsübereinkommen (Anhang 1 B) und die in Anhang 1 C aufgeführten plurilateralen Handelsübereinkommen mit einbezieht. Damit dürfte an sich die Frage der Zuständigkeit der WTO-Panel und des Appellate Body ratione materiae im Sinne eines beschränkten Jurisdiktionsbereichs, der sich lediglich auf die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung bezieht, geklärt sein. Allerdings sind aus Gründen der Effektivität des Verfahrens Überlegungen angestellt worden, welche die Ausweitung der Zuständigkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane zum Ziel haben. So ist entgegen dem insoweit eindeutigen Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 DSU unter Verweis auf Art. 11 DSU vorgebracht worden, dass sich die Zuständigkeit der Panel und des Appellate Body auch auf Fragen des allgemeinen Völkerrechts erstrecke, wenn diese im Zusammenhang mit einer Streitigkeit nach Art. 1 Abs. 1 DSU relevant werden.119 Aufgrund des Wortlauts von Art. 11 DSU müsse dieser als eine implied powers clause aufgefasst werden, der es den Paneln ermögliche, alle Aspekte einer Streitigkeit zu entscheiden – und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Verletzung von Vorschriften der WTO-Rechtsordnung handle oder um allgemeines Völkerrecht.120 Ein solches Verständnis sei notwendig, um nicht wesentliche Rechtsfragen einer Streitigkeit unentschieden zu lassen. Eine weite Interpretation der Zuständigkeit der WTOStreitbeilegungsorgane ergebe sich aber nicht nur aus der faktischen Notwendigkeit, sondern auch aus der Tatsache, dass es sich bei der WTORechtsordnung nicht um ein self-contained regime handle, sondern um 118 119 120

Lörcher, Internationale Streiterledigung, S. 152. Schoenbaum, ICLQ 47 (1998), S. 647 (652). Schoenbaum, ICLQ 47 (1998), S. 647 (652).

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

einen Teil der Völkerrechtsordnung. Auch die Rechtsprechung im Rahmen der Bananenstreitigkeit rechtfertige ein solches Verständnis, da der Appellate Body in diesem Zusammenhang die Rechte und Pflichten der Streitparteien aus dem Lomé-Übereinkommen untersuchte,121 mithin ein Übereinkommen des allgemeinen Völkerrechts auslegte und dessen Inhalt zum Gegenstand des Verfahrens machte.122 Die praktische Relevanz dieser Ansicht lässt sich am Helms-BurtonAct123 verdeutlichen, der sowohl wirtschaftliche als auch diplomatische Sanktionen gegen Personen und Unternehmen vorsieht, die mit Kuba Handel betreiben. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Helms-Burton-Acts umfasst nicht nur die Reichweite des Art. XXI GATT über Ausnahmen zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit,124 sondern auch Probleme des allgemeinen Völkerrechts, wie etwa die Kompetenz der USA bezüglich extraterritorialer Rechtsetzung, der Zulässigkeit zur Ausübung wirtschaftlichen Zwangs und Fragen der Nichteinmischung.125 Würde der HelmsBurton-Act nun Gegenstand eines Panel-Verfahrens nach dem DSU werden, so könnte nicht nur der Verstoß gegen WTO-Recht, sondern auch der gegen allgemeines Völkerrecht geltend gemacht werden.126 Konsequent zu Ende gedacht müsste der DSB dann aber nicht nur für die Durchsetzung von allgemeinem Völkerrecht zuständig sein, sondern grundsätzlich für WTO-fremdes Recht, wenn dieses im Zusammenhang mit einer WTO-Streitigkeit relevant wird. Dies hätte zur Folge, dass bei einer Streitigkeit, welche nicht nur in den Anwendungsbereich der Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung fällt, sondern auch Bezüge zu anderen Übereinkommen hat, die WTO-Streitbeilegungsorgane für alle Aspekte des gesam121

Appellate Body Report, European Communities – Regime for the Importation, Sale, and Distribuation of Bananas, WT/DS27/AB/R, 9.9.1997, para. 167. 122 Schoenbaum, ICLQ 47 (1998), S. 647 (653). 123 The Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act, Publ. L. No. 104–114, 1110 Stat. 785, 12.3.1996, abgedruckt in ILM 35 (1996), 357 ff.; siehe dazu Lowenfeld, AJIL 90 (1996), S. 419 (420 ff.). 124 Vgl. zu Artikel XXI GATT allgemein Hahn, Einseitige Aussetzung von GATT-Verpflichtungen, S. 284–373; in Bezug auf den Helms-Burton Act siehe auch Swaak-Goldman, LJIL 9 (1996), S. 361 ff. sowie Kuilwijk, JWT 31 (1997), S. 49 ff. 125 Zu dieser Problematik siehe Lowe, ICLQ 46 (1997), S. 378 ff.; Clagett, AJIL 90 (1996), S. 434 ff.; speziell zum Problem der Extraterritorialität Mani, IndJIL 38 (1998), S. 59 ff. 126 Wegen Fragen der Vereinbarkeit des Helms-Buron-Acts mit der WTO-Rechtsordnung beantragte die EG nach erfolglosen Verhandlungen mit den USA am 8.10.1996 die Einsetzung eines Panels (WT/DS38/2). Allerdings wurde die Arbeit des Panels aufgrund einer „außergerichtlichen“ Einigung durch Ersuchen der EG vom 21.4.1997 suspendiert (WT/DS38/5) und am 22.4.1998 gem. Art. 12 Abs. 12 DSU endgültig eingestellt (WT/DS38/6).

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ten strittigen Sachverhalts zuständig sind, ohne zu berücksichtigen, dass die entsprechenden Übereinkommen eigene Formen der Streitbeilegung vorsehen. Da fast jede Streitigkeit in irgendeiner Form auch handelsrechtliche Relevanz hat, würde ein solch weites Verständnis der Zuständigkeit letztlich dazu führen, dass die WTO-Streitbeilegungsorgane sich zu einem allgemeinen, verbindlich entscheidenden völkerrechtlichen „Gericht“ entwickeln, welches dann neben dem IGH steht – allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass sich die Staaten der Zuständigkeit nicht gesondert unterwerfen müssen, sondern dieser qua Beitritt zur WTO unterliegen. Dieses Verständnis ist aber mit dem Sinn und Zweck der WTO-Streitbeilegung nicht vereinbar, auch wenn es durchaus wünschenswert ist, dass wesentliche Rechtsfragen einer Streitigkeit nicht unentschieden bleiben. Neben dieser teleologischen Überlegung spricht schon der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 DSU gegen eine solche Zuständigkeitserweiterung. Denn der Ansatz, wonach ein Panel oder der Appellate Body auch allgemeines Völkerrecht durchsetzen kann, lässt unberücksichtigt, dass es sich bei den Paneln und dem Appellate Body um Streitbeilegungsorgane mit beschränkter Jurisdiktion handelt, so dass der DSB gerade keine Zuständigkeit besitzt, allgemeines oder sonstiges Völkerrecht durchzusetzen.127 Die Tatsache, dass das Streitbeilegungssystem der WTO nur ein begrenztes Mandat besitzt, ergibt sich aber nicht nur aus Art. 1 Abs. 1 DSU, sondern auch aus Art. 7 DSU, der das Mandat eines Panels festlegt. In Abs. 1 heißt es: Sie prüfen im Lichte der einschlägigen Bestimmungen in (Bezeichnung des/der unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen/s, auf das/die sich die Streitparteien beziehen) . . .

Daraus ergibt sich, dass sich das Mandat und damit die Zuständigkeit eines Panels auf die in Anhang 1 des DSU aufgelisteten Übereinkommen 127

Marceau, JWT 33 (1999), S. 87 (109 ff.), die aber auch die Anwendbarkeit des allgemeinen Völkerrechts aufgrund der Rechtsprechung des Appellate Body in European Communities – Measures Affecting the Importation of Certain Poultry Products, WT/DS62/AB/R, 13.7.1998 ablehnt. Die Frage der Anwendbarkeit vertragsfremden Rechts ist allerdings strikt von der des durchsetzbaren zu trennen. Mit „durchsetzbarem Recht“ sollen diejenigen Rechtsnormen beschrieben werden, deren Verletzung im Rahmen des jeweiligen Verfahrens gerügt werden können – mithin die, die in den Zuständigkeitsbereich ratione materiae des jeweiligen Gerichts fallen. Dementsprechend kann aus der materiellen Jurisdiktionsbeschränkung, welche sich nur auf das durchsetzbare Recht bezieht, noch nicht gefolgert werden, dass der Appellate Body nicht befugt ist, WTO-fremdes Recht in einem Verfahren, das die Auslegung und Anwendbarkeit eines Abkommens nach Anhang 1 des DSU zum Gegenstand hat, z. B. zur Auslegung heranzuziehen; vgl. dazu Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (559 ff.); zum Problem des in WTO-Verfahren anwendbaren Rechts siehe auch unten 2. Teil A. II. 2. a) bb) (2) (b) sowie 2. Teil A. II. 3. a).

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

beschränkt. Auch Abs. 2, wonach die Panel sich auf die „einschlägigen Bestimmungen aller unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen“ stützen, macht dies deutlich. Darüber hinaus lässt die Ansicht, die Artikel 11 DSU als eine implied powers clause verstehen will, den Wortlaut der Vorschrift unberücksichtigt. In Satz 1 wird nämlich ebenfalls auf die unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen Bezug genommen, so dass sich die in Satz 2 enthaltene Verpflichtung zur „objektiven Beurteilung“ der vor dem Panel liegenden Angelegenheit nur auf die in Anhang 1 des DSU erwähnten Übereinkommen beziehen kann. Außerdem ist die Tatsache, dass es sich bei der WTO-Rechtsordnung nicht um ein self-contained regime handelt, zwar durch die Rechtsprechung des Appellate Body mehrmals bestätigt worden.128 Allerdings bezog sich diese Feststellung nicht auf die Zuständigkeit eines WTO-Panels, sondern auf das materielle Recht und dabei insbesondere darauf, inwieweit WTOfremdes Recht bei der Auslegung von WTO-Normen berücksichtigt werden kann bzw. muss. Insoweit ist die Aussage des Appellate Body vielmehr als Korrektur der früheren Rechtsprechung zu verstehen, nach der WTO-fremdes Recht im Rahmen der Streitbeilegung nicht berücksichtigt werden muss.129 Auch die Behauptung, dass die Interpretation des Art. 11 DSU als implied powers clause durch die Rechtsprechung im Bananenstreit gestützt wird, ist nicht zutreffend. Denn der Appellate Body hat lediglich Normen eines Abkommens – des Lomé-Übereinkommens – interpretiert, auf das in einem waiver nach Art. IX WTO-Übereinkommen Bezug genommen wird, um die Reichweite und den Sinn und Zweck des waivers zu erklären.130 128 Bereits in United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/AB/R, 20.5.1996, para. III B 1 macht der Appellate Body deutlich, dass WTO-Recht nicht unabhängig vom allgemeinen Völkerrecht ist. Diese Haltung ist in der weiteren Rechtsprechung des Appellate Body bestätigt worden; vgl. United States – Import Prohibition on Certain Shrimp and Shrimp Products, WT/ DS58/AB/R, 12.10.1998, para. 168, ILM 34 (1999), S. 118 (169), in der der Appellate Body Art. 5 der Konvention über biologische Vielfalt und Prinzip 12 der RioErklärung heranzieht, um den Vorrang der Kooperation vor unilateralen Maßnahmen und damit eine Kooperationsobliegenheit im Rahmen der Einleitung des Artikel XX GATT bei unilateralen Handelsbeschränkungen zu etablieren; zur Problematik unilateraler, zum Schutz extraterritorialer Umweltgüter erlassender Handelsbeschränkungen siehe 2. Teil B. I. 1. 129 Bezüglich der Auslegungsrelevanz des CITES für Artikel XX GATT hatte das Panel im Verfahren United States – Restrictions on Import of Tuna, GATT Doc. DS29/R, 16.6.1994, ILM 33 (1994), S. 839 (892) nämlich folgendes festgestellt: „. . . the agreement cited by the parties were bilateral or plurilateral agreements that were not concluded among the contracting parties to the General Agreement, and that they did not apply to the interpretation of the General Agreement . . .“ 130 Marceau, JWT 33 (1999), S. 87 (113).

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Since the GATT contracting parties incorporated a reference to the Lomé Convention into the Lomé waiver, the meaning of the Lomé Convention became a GATT/WTO issue, at least to that extend. Thus, we have no other alternative but to examine the provisions of the Lomé Convention ourselves in so far as it is necessary to interpret the Lomé waiver.131

Die Ausführungen des Appellate Body unterstützen vielmehr die Ansicht, dass die Jurisdiktion des WTO-Streitbeilegungssystem ratione materiae beschränkt ist, da das Lomé-Übereinkommen lediglich für die Auslegung des WTO-Rechts relevant war. 2. NAFTA-Streitbeilegung Das System der Streitbeilegung im Rahmen des NAFTA ist durch verschiedene, sich teilweise nur auf einzelne Sachbereiche beziehende Regelungen geprägt, deren Inhalt und Verfahren mitunter erheblich voneinander abweichen. So enthält Kapitel 19 NAFTA besondere Voraussetzungen für Streitigkeiten im Bereich der staatlichen Subventionen und Ausgleichszölle, während Kapitel 11 ein neuartiges System verbindlicher Schiedsgerichtsbarkeit für das Gebiet des Investitionsschutzes schafft.132 Des Weiteren enthalten sowohl das umweltrechtliche Nebenübereinkommen (NAAEC) als auch das arbeitsrechtliche (NAALC) für die entsprechenden Sachbereiche besondere Streitbeilegungsmechanismen, die eine Kombination von Konsultationen und Schiedsverfahren vorsehen.133 Das mit Institutional Arrangements and Dispute Settlement Procedures überschriebene Kapitel 20 ist der übergeordnete Streitbeilegungsmechanismus des NAFTA und behandelt im Wesentlichen Anwendungs- und Auslegungsschwierigkeiten des NAFTA Vertrages selbst. Allerdings enthalten einige Vorschriften des NAFTA davon abweichende Sonderregelungen und Modifikationen.134 a) Streitbeilegung nach Kapitel 20 NAFTA Das zwischenstaatliche Streitbeilegungsverfahren nach Kapitel 20 NAFTA basiert im Wesentlichen auf den Regelungen über Streitbeilegung im kana131

EC – Bananas, WT/DS27/AB/R, para. 167. Zu dem Kapitel-11-Streitbeilegungsverfahren siehe Müller, Lösung von Streitigkeiten in der NAFTA, S. 79 ff. 133 Vgl. dazu Abbott, Regional Integration, S. 109 ff. 134 Sonderregelungen sind in Art. 513 NAFTA für zollrechtlichen Streitigkeiten, Art. 723 NAFTA für Streitigkeiten im Bereich sanitärer und phytosanitärer Maßnahmen und Art. 914 NAFTA für Streitigkeiten über normierte Industriestandards enthalten. In diesen Fällen werden Expertenkomitees gebildet, die das generelle, in Kapitel 20 NAFTA geregelte Vermittlungsverfahren ergänzen oder verdrängen. 132

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dischen U.S.-amerikanischen Freihandelsabkommen (CUSTA)135 und enthält bis zur Klärung der Streitigkeit drei unterschiedliche Verfahrensabschnitte. Wie auch im Rahmen des DSU müssen die Staaten zunächst versuchen, die Streitigkeit durch Konsultationen beizulegen. Falls die Staaten dabei nicht zu einer gütlichen Einigung gelangen, tritt die Kommission des NAFTA136 zusammen, die sich aus Regierungsvertretern der drei Vertragsstaaten zusammensetzt – in aller Regel die Handels- oder Wirtschaftsminister oder deren Vertreter. Der Kommission obliegt die Aufgabe der Vermittlung in der Streitigkeit zwischen den beiden Vertragsstaaten. Dabei handelt es sich jedoch aufgrund der Zusammensetzung der Kommission und ihres Charakters als politisches Organ eher um eine Instanz zur allgemeinen Problemlösung als um eine zur unabhängigen Beilegung von Streitigkeiten.137 Eine solche sieht das Streitbeilegungssystem nach Kapitel 20 NAFTA erst in der dritten Verfahrensstufe vor: Kann auch die Kommission die Streitigkeit zwischen den Vertragsstaaten nicht schlichten, so hat jede Partei das Recht, die Einsetzung eines Schiedsgerichts zu verlangen.138 135 Canada – United States: Free Trade Agreement, 2.1.1998, ILM 27 (1988), S. 281 ff. 136 Die Free Trade Commission ist neben dem Sekretariat als zentrales Organisationselement des NAFTA anzusehen und wird von daher auch mit dem Ministerrat der EU vergleichen. Allerdings besitzt die Kommission im Gegensatz zum Ministerrat nicht so weitgehende Kompetenzen. Zwar ist sie befugt, Verordnungen aufgrund des NAFTA zu erlassen und die genaue Anwendung und Interpretation dieser Verordnungen festzulegen. Allerdings müssen diese überwiegend einstimmig ergehen. Darüber hinaus hat die Kommission keinen eigenständigen Sitz, sondern die Vertragsstaaten des NAFTA sind verpflichtet, nationale Kontaktbüros aufzubauen, von denen aus die Kommunikation zwischen den Staaten organisiert wird, vgl. Lavon, Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen, S. 54; Müller, Lösung von Streitigkeiten in der NAFTA, S. 59 ff. 137 Hieraus ergibt sich ein erster Unterschied zwischen den Regelungen zur Streitbeilegung im Rahmen des NAFTA und der WTO. Denn im DSU ist eine zwischen Verhandlung und unabhängiger Streitbeilegung eingeschobene politische Instanz nicht vorgesehen; Kerr, JWT 35 (2001), S. 1169 (1173). 138 Die Auswahl der Schiedsrichter orientiert sich an zwei Grundsätzen: die Garantie der gleichen Repräsentation beider Parteien auf der einen und die Vermeidung von Entscheidungen aufgrund parteigebundener Interessen der Schiedsrichter auf der anderen Seite. Für Details des Auswahlverfahrens vgl. Müller, Lösung von Streitigkeiten in der NAFTA, S. 64 ff. Das Verfahren selbst ist in folgende Schritte unterteilt: Nach dem gegenseitigen Austausch der Schriftsätze und Anhörung der Parteien durch das Schiedsgericht erstellt das Gericht einen ersten schriftlichen Bericht, der bereits Empfehlungen und Vorschläge zur Beilegung der Streitigkeit enthalten muss. Nachdem den Parteien die Möglichkeit gegeben wurde, diesen vorläufigen Bericht innerhalb einer Frist von 14 Tagen zu prüfen und zu kommentieren, kann das Schiedsgericht diese Kommentare innerhalb von 30 Tagen nach Ausgabe des ersten Berichts in seinem Abschlussbericht berücksichtigen, vgl. Art 2016 NAFTA; zum Verfahrensablauf siehe auch Abbott, Regional Integration, S. 100 f.

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Wichtige Unterschiede zu den Entscheidungen der WTO-Panel und des Appellate Body ist zum einen, dass für die Parteien gem. Art. 2017 Abs. 4 NAFTA die Möglichkeit besteht, die Veröffentlichung des endgültigen Schiedsberichts zu verhindern, wenn dies von beiden Seiten gewünscht wird, und zum anderen, dass die Berichte der Schiedsgerichte für die Parteien nicht rechtsverbindlich sind.139 Vielmehr sind diese im Anschluss an den endgültigen Bericht nur verpflichtet, miteinander Verhandlungen zu führen, die zu einer beiderseitig zufriedenstellenden Lösung führen. Auch wenn Art. 2018 NAFTA vorsieht, dass die Parteien sich bei den Verhandlungen und damit auch bei der Frage, was eine beiderseitig zufriedenstellende Lösung ist, in aller Regel an die Entscheidungen und Empfehlungen des Schiedsgerichts halten müssen, so sind doch letztlich die Verhandlungen über die Umsetzung der entscheidende Faktor in der Streitbeilegung.140 In der Praxis führt dies dazu, dass der Bericht lediglich Ausgangspunkt für erneute Verhandlungen ist und damit nicht die Funktion erfüllt, eine Streitigkeit tatsächlich zu beenden. Vielmehr handelt es sich bei dem Bericht um eine Form der Entscheidungshilfe im Rahmen des bilateralen Verhandlungsprozesses. Diese Entscheidungshilfe erfährt allerdings durch die Regelung des Art. 2019 NAFTA eine erhebliche Stärkung. Kommt es innerhalb von 30 Tagen nach dem endgültigen Bericht des Schiedsgerichts nicht zu einer dem Bericht entsprechenden Einigung zwischen den Parteien, so hat die klagende Partei die Möglichkeit, wirtschaftliche Garantien, die durch das NAFTA gewährt werden, gegenüber der nicht einlenkenden beklagten Partei auszusetzen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die endgültige Beilegung einer Streitigkeit nicht so sehr das Ergebnis einer auf juristischen Argumentationen aufbauenden Entscheidung, sondern bilateraler Verhandlungen zwischen den Streitparteien ist.141 Dies führt dazu, dass die Streitbeilegung nach Kapitel 20 NAFTA im Gegensatz zum WTO-Verfahren sehr viel stärker von politischen Faktoren und Machtverhältnissen abhängig ist und dass für die stärkere Partei sehr viel größere Möglichkeiten bestehen, das Resultat des Streitbeilegungsverfahrens im Sinne einer für sie positiven Regelung zu beeinflussen. Damit ist die Implementierung von Schiedsberichten im Rahmen des NAFTA im Gegensatz zur WTO ein poli-

139 Auch wenn formal gesehen die Berichte der WTO-Panel und des Appellate Body erst aufgrund der Annahme durch den DSB rechtsverbindlich werden, kann dennoch in der Sache von einer Rechtsverbindlichkeit gesprochen werden, da die Annahme aufgrund des umgekehrten Konsensprinzips einem Quasi-Automatismus unterworfen ist; siehe oben 1. Teil B. III. 1. 140 Loungnarath/Stehly, JWT 34 (2000), S. 39 (45). 141 Damit ist das Streitbeilegungsverfahren nach dem NAFTA sehr viel offener für politischen Einfluss als die des CUSTA, welches im Wesentlichen als Vorlage für die jetzigen NAFTA-Regelungen diente; Kerr, JWT 35 (2001), S. 1169 (1174).

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

tischer Prozess, der aufgrund seiner mangelnden Transparenz für die letztendlich betroffenen Unternehmen sehr viel größere Risiken birgt.142 b) Streitbeilegung nach Kapitel 19 NAFTA Kapitel 19 NAFTA enthält für den Bereich der Ausgleichszölle und staatlicher Subventionen bzw. Beihilfen ein eigenes Streitbeilegungssystem in Form bi-nationaler ad hoc Schiedsgerichte, welches, wie auch Kapitel 20 NAFTA, auf den Regelungen des CUSTA basiert. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein einheitliches System, sondern es ist zwischen zwei verschiedenen Streitbeilegungsmechanismen zu differenzieren, die sich sowohl in Bezug auf die Prüfungskompetenz als auch in Bezug auf die klageberechtigten Parteien voneinander unterscheiden. So sieht Art. 1904 NAFTA nach dem Scheitern von Konsultationen die Einrichtung von ad hoc Schiedsgerichten vor, welche die endgültigen administrativen Entscheidungen der Vertragsstaaten im Bereich der Ausgleichszölle und der staatlichen Beihilfen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen können. Allerdings bezieht sich diese Kompetenz nicht auf eine Überprüfung der administrativen Entscheidungen anhand der NAFTA-Vorschriften. Sondern im Hinblick auf das materielle Recht sind die Schiedsgerichte vielmehr an den gleichen Überprüfungsstandard und das gleiche Recht gebunden wie die jeweils zuständigen nationalen Gerichte. Das bedeutet, dass bei der Überprüfung von endgültigen Verwaltungsentscheidungen durch ein binationales Schiedsgericht nationales Recht zu Grunde gelegt wird. Damit haben die nationalen Gerichte bei Streitigkeiten über die Rechtsmäßigkeit behördlicher Entscheidungen im Bereich von Ausgleichszöllen und staatlichen Beihilfen ihre Kompetenz in letzter Instanz den Schiedsgerichten des NAFTA übertragen.143 Darüber hinaus sind im Rahmen von schiedsgerichtlichen Verfahren nach Art. 1904 NAFTA nicht nur die Vertragsstaaten berechtigt, die Einsetzung eines bi-nationalen Schiedsgerichts zu beantragen, sondern auch natürliche und juristische Privatpersonen. Allerdings ist dieses Antragsrecht nur indirekt ausgestaltet, da die Kompetenz zur tatsächlichen Einleitung eines Verfahrens bei den NAFTA-Vertragsstaaten liegt. Privatpersonen haben jedoch die Möglichkeit, ihr Initiativrecht in Form eines einklagbaren Anspruchs gegenüber ihren Regierungen notfalls vor den nationalen Verwaltungsgerichten durchzusetzen. Eine Einschränkung dieses Anspruchs besteht jedoch dahingehend, dass er nur interessierten Privatpersonen zugestanden wird. 142

Kerr, JWT 35 (2001), S. 1169 (1174). Müller, Lösung von Streitigkeiten in der NAFTA, S. 30; Kerr, JWT 35 (2001), S. 1169 (1176). 143

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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Ein Interesse besteht grundsätzlich dann, wenn Privatpersonen von der verwaltungsrechtlichen Entscheidung im Bereich der Ausgleichszölle und der staatlichen Beihilfen unmittelbar betroffen sind. Die weiteren Voraussetzungen der „Betroffenheit“ richten sich nach dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten. Während der Streitbeilegungsmechanismus nach Art. 1904 NAFTA eine internationale Instanz zur Überprüfung von behördlichen Entscheidungen eines Vertragsstaates anhand dessen nationalem Recht schafft, bezieht sich das Streitbeilegungsverfahren nach Art. 1903 NAFTA auf eine Überprüfung von Anti-Dumping und Subventionsregelungen anhand der NAFTA- und auch GATT-Vorschriften. Allerdings ist die Prüfungskompetenz auf etwaige, von den Vertragsstaaten vorgenommene Änderungen der nationalen Regelungen über Ausgleichszölle und staatliche Beihilfen beschränkt, d.h. bestehende gesetzliche Regelungen können nicht Gegenstand eines Verfahrens nach Art. 1904 NAFTA sein.144 Dies ist die logische Konsequenz aus der Tatsache, dass die Vertragsstaaten aufgrund des NAFTA nicht verpflichtet sind, bestehende Regelungen im Bereich der Ausgleichszölle und der staatlichen Beihilfen zu ändern.145 Lediglich von den Vertragsstaaten vorgenommene Änderungen dieser Regelungen müssen gem. Art. 1904 Abs. 2 lit. d) NAFTA sowohl den Vorschriften des GATT im Bereich der Ausgleichszölle und der staatlichen Beihilfen als auch dem Sinn und Zweck des NAFTA und den Regelungen des Kapitel 19 NAFTA entsprechen. Deshalb besitzt ein nach Art. 1903 NAFTA eingesetztes Schiedsgericht die Kompetenz, die Unvereinbarkeit einer Änderung bestehender Regelungen im Bereich der Ausgleichszölle und der staatlichen Beihilfen mit den entsprechenden Vorschriften des GATT sowie dem Sinn und Zweck des NAFTA festzustellen. Allerdings führt die Entscheidung eines bi-nationalen Schiedsgerichts, wie auch im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens nach Kapitel 20 NAFTA, noch nicht zu einer endgültigen Beilegung der Streitigkeit. Auch wenn es die Änderungen nationaler Regelungen über Ausgleichszölle und staatliche Subventionen wegen eines Verstoßes gegen den Sinn und Zweck des NAFTA oder das GATT ablehnt, so hat diese Entscheidung lediglich deklaratorische Wirkung; d.h. sie ist für die Parteien nicht rechtsverbindlich. Denn es obliegt nun den Streitparteien, den Streit im Rahmen der unverzüglich aufzunehmenden Konsultationen beizulegen. Dabei wird die Entscheidung des Schiedsgerichts zwar regelmäßig Ausgangspunkt der Verhandlungen sein. Allerdings ergibt sich aus Art. 1904 Abs. 3 lit. b) NAFTA, dass die Parteien an die Vorschläge und Empfehlungen nicht ge144 145

Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1045). Kerr, JWT 35 (2001), S. 1169 (1176).

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

bunden sind. Somit bleibt es ihnen überlassen, die Streitigkeit auch durch eine von der Entscheidung des Schiedsgerichts abweichende Lösung beizulegen.

IV. Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit zum Schutz der Menschenrechte Heutzutage existieren im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes eine Vielzahl von internationalen Instanzen, deren Aufgabe allgemein in der Überwachung der Einhaltung der bestehenden Übereinkommen besteht.146 Zu diesen gehören vornehmlich der durch die EMRK errichtete Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der UN-Menschenrechtsausschuss, der durch den IPbürg geschaffen wurde, sowie die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IAKMR) und der auf Grundlage der AMRK ins Leben gerufene Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (AGMR). Bezüglich der zur Verfügung stehenden Verfahren ist zwischen dem Individualbeschwerdeverfahren – der aus völkerrechtlicher Sicht neuesten und wichtigsten Errungenschaft im Menschenrechtsschutz – der Staatenbeschwerde und dem Staatenberichtsverfahren147 zu unterscheiden, wobei nicht alle angeführten Überwachungsinstanzen alle Verfahrensarten vorsehen.

146 Bereits das Wort der „Überwachungsinstanz“ verdeutlicht die doppelte Funktion dieser Organe. Es geht nicht nur um die klassische Beilegung von Streitigkeiten, wie sie durch andere internationale Gerichte und gerichtsähnlich ausgestaltete Verfahren wahrgenommen wird, sondern, mehr als bei den klassischen Streitbeilegungsverfahren, auch um die Überwachung der Einhaltung der Übereinkommen. Dies wird schon dadurch deutlich, dass das Schutzsystem des IPbürg vornehmlich auf dem Instrument der Staatenberichte, die dem UN-Menschenrechtsausschuss auf Anforderung vorzulegen sind, basiert, vgl. Klein/Brinkmeier, VN 2001, S. 17 (19). Das Berichtssystem ist ein klassischer Überwachungsmechanismus im Völkerrecht und nicht so sehr einer der Streitbeilegung. Dies zeigt sich u. a. auch deutlich im Umweltvölkerrecht, das, geprägt von „weichen Durchsetzungsmechanismen“, häufig auf Staatenberichte und ähnliche Mechanismen zur Kontrolle der Umsetzung des jeweiligen Übereinkommens zurückgreift und zusätzlich Vorschriften über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten kennt, welche parallel zu dem Überwachungsund Kontrollverfahren Anwendung finden. Zu dem ungeklärten Verhältnis von Vorschriften über Streitbeilegung und Überwachungsmechanismen im Umweltvölkerrecht siehe Bothe, Enforcement Mechanisms, in: Wolfrum (ed.), Enforcing Environmental Standards, S. 13 (29 ff.). 147 Letzteres soll im Folgenden nicht weiter untersucht werden, da es kein Streitbeilegungsverfahren im eigentlichen Sinne darstellt; zur Differenzierung siehe vorherige Fußnote.

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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1. Der EGMR Die EMRK enthielt als erstes Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte nicht nur materiellrechtliche Verbürgungen, sondern schuf gleichzeitig ein Kontrollsystem, das es auch dem Einzelnen erlaubte, seine Rechte im Wege des Individualbeschwerdeverfahrens durchzusetzen. Daneben bestand für die Vertragsstaaten die Möglichkeit der Staatenbeschwerde, die allerdings rein zahlenmäßig bis heute nur eine untergeordnete Rolle spielt,148 während die Zahl der eingelegten Individualbeschwerden bis Ende Dezember 2000 die Zahl 63.000 überschritten hat149 und z. Zt. bei ca. 800 pro Monat und etwa 10.000 pro Jahr liegt.150 Insbesondere wegen des mit diesen Zahlen verbundenen enormen Arbeitsaufwandes, aber auch aus anderen Gründen,151 war seit Mitte der 80er Jahre über eine Reform des bis dahin bestehenden Systems zum Schutz der Menschenrechte diskutiert worden. Diese Reform sollte zunächst die komplexe und zuweilen undurchsichtige Struktur des Beschwerdeverfahrens betreffen, für das insgesamt drei Institutionen zuständig waren: die Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR), der EGMR und der Ministerausschuss des Europarates. Im Falle einer Beschwerde musste zunächst die Kommission über deren Zulässigkeit entscheiden, wobei dies im Falle von Individualbeschwerden nur unter der Voraussetzung möglich war, dass ihre diesbezügliche Zuständigkeit von dem jeweiligen Konventionsstaat anerkannt worden war (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EMRK a. F.). Die Zuständigkeit der Kommission war also lediglich fakultativ ausgestaltet und von der Unterwerfung der Vertragsstaaten abhängig.152 Im Rahmen der Zulässigkeit wies die Kommission gem. Art. 26 und 27 EMRK a. F. alle Beschwerden zurück, die entweder verfristet, offensichtlich unbegründet oder anonym waren, mit bereits vorher von der Kommission überprüften Gesu148 Insgesamt hat es bisher 11 Staatenbeschwerden gegeben; siehe dazu die Übersicht bei Frowein in: Frowein/Peukert, Art. 24, Rn. 2. Von diesen Verfahren ist das Verfahren Dänemark, Schweden und Norwegen v. Griechenland, BeschwerdeNr. 3321/67, 3322/67, 3344/67, auf Antrag der Parteien eingestellt worden; EuGRZ 1977, S. 146 ff. In der Beschwerde Frankreich, Norwegen, Dänemark, Schweden und den Niederlanden v. Türkei, Beschwerde-Nr. 9940-9944/82, kam es am 7. Dez. 1985 zu einer gütlichen Einigung; EuGRZ 1992, S. 466. 149 Klein/Brinkmeier, VN 2001, S. 17 (20, Fn. 7). 150 Für Zahlen aus den 90er Jahren siehe Peukert, EuGRZ 1993, 173 (174 f., 181 ff.). 151 Als weitere Gründe sind die institutionelle Komplexität, der Beitritt zahlreicher neuer Staaten durch den Zusammenbruch des Ostblocks sowie die Tatsache, dass es sich bei dem Kontrollmechanismus der EMRK nicht um ein voll ausgebildetes gerichtliches System handelt, zu nennen; siehe dazu ausführlich Schlette, ZaöRV 56 (1995), S. 905 (914 ff.). 152 Siehe statt vieler Oppermann, Europarecht, Rn. 85.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

chen übereinstimmten oder einer anderen internationalen Untersuchungskommission unterbreitet worden waren sowie den innerstaatlichen Rechtsweg nicht erschöpft hatten.153 Die Entscheidung der Kommission über eine Unzulässigkeit der Beschwerde war verbindlich und abschließend, so dass dagegen keine „Rechtsmittel“ eingelegt werden konnte. Im Falle der Zulässigkeit der Beschwerde verfasste die Kommission nach der Aufklärung des Sachverhalts einen Bericht, in dem sie darlegte, ob ihrer Ansicht nach eine Verletzung der EMRK vorlag. Erst ab diesem Zeitpunkt wurden das Ministerkomitee und der EGMR in das Verfahren mit einbezogen. Denn der Bericht der EKMR war weder verbindlich noch stellte er den Abschluss des Verfahrens dar. Er diente lediglich der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung durch das Komitee oder den Gerichtshof. Gem. Art. 31 Abs. 2 EMRK a. F. war der von der Kommission anzufertigende Bericht dem Ministerausschuss vorzulegen, der nach Art. 32 Abs. 1 EMRK a. F. innerhalb von drei Monaten mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder eine Verletzung der EMRK feststellen konnte. Damit oblag die endgültige Feststellung der Konventionsverletzung grundsätzlich einer politischen und nicht einer zumindest gerichtsähnlich ausgestalteten Institution. Allerdings hatte sich im Laufe der Zeit die Praxis herausgebildet, dass die Berichte der EKMR im Ausschuss ohne längere Diskussion einfach angenommen wurden, was letztlich zumindest in den Fällen, in denen dem Ausschuss die Kommissionsberichte vorgelegt wurden, zu einer faktischen Verbindlichkeit derselben führte.154 Daneben machte die EKMR in allen wichtigen Fällen von ihrem Recht Gebrauch, die Streitigkeit gem. Art. 48 lit. a) EMRK a. F. dem EGMR vorzulegen, so dass auch dadurch die stark kritisierte Entscheidungsbefugnis des Ministerausschusses155 zurückgedrängt wurde.156 Damit war der EGMR zumindest indirekt auch für Individualbeschwerden zuständig. Allerdings hatte der Einzelne kein Recht, den EGMR unmittelbar mit einer Beschwerde zu befassen. Diese Möglichkeit hatten neben der EKMR nur die Vertragsstaaten (Art. 48 EMRK a. F.). Aber auch die Zuständigkeit des EGMR war lediglich fakultativ ausgestaltet, so dass es, wie auch im Falle der Kommission, einer Unterwerfung unter seine Gerichtsbarkeit bedurfte, welche grundsätzlich mit Vorbehalten versehen werden konnte (Art. 46 EMRK a. F.).157 Im Gegensatz zu den Entscheidungen der EKMR bedurften die Urteile des EGMR jedoch nicht der Bestätigung durch 153 Ausführlich zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen Matscher, EuGRZ 1982, S. 489 (495 ff.); Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 25, Rn. 9 ff. 154 Tomuschat, HRLJ 1992, S. 401 (402); Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 31, Rn. 11; Oppermann, Europarecht, Rn. 86; Murswiek, JuS 1986, S. 175 (176); Matscher, EuGRZ 1982, S. 489 (522). 155 Zur Kritik siehe Trechsel, HRLJ 8 (1987), S. 11 (13); Schermers, ELR 1994, S. 367 (368). 156 Schlette, JZ 1999, S. 219 (221).

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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den Ministerausschuss. Sie waren vielmehr rechtsverbindlich, auch wenn ihnen keine kassatorische Wirkung zukam. Die Beseitigung der Konventionsverletzung war damit Aufgabe und Pflicht des die Konvention verletzenden Staates.158 Diese komplizierte Struktur und das dadurch bedingte Nebeneinander dreier Institutionen wurde durch das In-Kraft-Treten des 11. Zusatzprotokolls am 1.11.1998 grundlegend geändert.159 Diese als „revolutionär“160 bezeichnete Reform schuf ein völlig neues System im Rahmen der EMRK, welches letztlich nur die materiellrechtlichen Bestimmungen sowie die erwähnten Zulässigkeitsvoraussetzungen des Individualbeschwerdeverfahrens unberührt ließ. Hauptmerkmal der Reform war zum einen, dass die EKMR vollständig und der Ministerausschuss in Gestalt einer Entscheidungsinstanz abgeschafft wurden,161 so dass der „neue EGMR“ sowohl für das Individual- als auch für das Staatenbeschwerdeverfahren zuständig ist (Art. 19 EMRK n. F.).162 Zum anderen ist dessen Zuständigkeit nun nicht mehr fakultativ, sondern gem. Art. 33, 34 EMRK n. F. für beide Verfahrensarten obligatorisch. Damit vollzieht sich auch im Bereich der EMRK der bereits angesprochene Wandel hin zur obligatorischen Zuständigkeit internationaler Gerichte oder gerichtsähnlicher Institutionen. Mit dem Wegfall der EKMR und der Errichtung der obligatorischen Gerichtsbarkeit wird dem Einzelnen zudem gem. Art. 34 EMRK n. F. das ausdrückliche Recht zuerkannt, den EGMR selbst anzurufen.

157 Bezüglich der Zulässigkeit von Einschränkungen in den Unterwerfungserklärungen siehe Eur. Court H.R., Loizidou v. Turkey (preliminary objections), Appl. No. 15318/89, ILR 103 (1996), S. 622 ff.; ausführlich dazu unten 1. Teil D. II. sowie 3. Teil B. 158 Ress, EuGRZ 1996, S. 350. 159 Der Begriff „Zusatzprotokoll“ ist nicht ganz zutreffend. Es handelt sich vielmehr um ein Änderungsprotokoll, welches nicht ergänzend neben die alten Regelungen tritt, sondern diese vollständig ersetzt; vgl. Schlette, JZ 1999, S. 219 (222); für Veränderungen der Verfahrensstruktur durch frühere Protokolle, insbesondere durch das 9. Zusatzprotokoll, siehe Bernhardt, AJIL 89 (1995), S. 145 (147 f.). 160 Schlette, ZaöRV 56 (1995), S. 905 (906); positiv äußerte sich u. a. auch Rudolf, EuGRZ 1994, S. 53 (56, 58); kritisch hingegen Janis/Kay/Bradley, European Human Rights Law, S. 117 f.; Schermer, ELR 1994, S. 367 ff. lehnt die Reform sogar grundsätzlich ab. 161 Die Tätigkeit des Ministerausschusses bezieht sich nach Art. 46 Abs. 2 EMRK n. F. nur noch auf die Überwachung der Befolgung der Urteile – eine Aufgabe, die ihm auch im alten System gem. Art. 54 EMRK a. F. zukam. 162 Auch wenn der durch die Reform geschaffene EGMR mit seinem Vorgänger namensidentisch ist, so ist er nach allgemeiner Ansicht als neue Institution zu verstehen; vgl. nur Drzemczewski, EJIL 8 (1997), S. 59 (60).

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Auch wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen inhaltlich nicht verändert wurden, so war es doch notwendig, einen völlig neuen Verfahrensablauf zu schaffen.163 Demnach übernimmt jetzt gem. Art. 27 Abs. 1 S. 2 EMRK n. F. ein mit drei Richtern besetzter Ausschuss die Vorprüfung, welcher die Filterfunktion der früheren EKMR übernimmt. Hält des Ausschuss die Beschwerde für zulässig, so wird sie an eine aus sieben Richtern bestehende Kammer weitergeleitet, der auch der Richter des betroffenen Staates angehört. Sie kann aber auch direkt vom Berichterstatter der Ausschusses mit der Sache betraut werden, wenn er die Beschwerde für grundsätzlich zulässig und damit auch nicht für offensichtlich unbegründet hält. Die SiebenerKammer prüft, nachdem sie ggf. die Zulässigkeit der Beschwerde bejaht hat, in einem mehraktigen Verfahren, inwieweit das Verhalten des Konventionsstaates gegen die menschenrechtlichen Verbürgungen der EMRK verstößt. Kommt die Kammer zu diesem Ergebnis, so entscheidet sie durch rechtsverbindliches Urteil, dem, wie auch vor der Reform, nur feststellende und keine kassatorische Wirkung zukommt. Die Entscheidung der SiebenerKammer soll im Regelfall abschließend und endgültig sein, so dass grundsätzlich keine Möglichkeit besteht, diese Entscheidung überprüfen zu lassen. Eine Ausnahme besteht für die Fälle, in denen schwerwiegende Fragen der Auslegung und Anwendung der Konvention oder schwerwiegende Fragen von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen werden. In diesem Fall kann die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer, an die die Sache auch bereits vor Erlass einer Entscheidung durch die Siebener-Kammer unter den in Art. 30 EMRK n. F. genannten Voraussetzungen überwiesen werden kann, auch nach Erlass des Urteils von jeder Partei angerufen werden. Bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen, die in einem vorherigen Annahmeverfahren geprüft werden, kommt es zu einer nochmaligen Entscheidung in der Sache. Damit hat die Große Kammer, falls sie nach Art. 43 EMRK n. F. angerufen wird, faktisch die Funktion einer Rechtsmittelinstanz.164 Entscheidender Unterschied im Vergleich zu einem Rechtsmittel ist allerdings, dass kein neues Gericht eingeschaltet wird, sondern dass lediglich eine andere Kammer desselben Gerichts tätig wird, die darüber hinaus personell mit der alten teilidentisch ist.165 Deshalb ist die Beschwerde zur Großen Kammer gem. Art. 43 EMRK n. F. auch als „internes Rechtsmittel“ bezeichnet worden.166 163

Einen kurzen Überblick gibt Bernhardt, AJIL 89 (1995), S. 145 (151 f.). Schlette, JZ 1999, S. 219 (224). 165 Zwar bestimmt Art. 27 Abs. 3 S. 2 EMRK n. F., dass die Richter der Siebener-Kammer der Großen Kammer nicht angehören dürfen. Davon wird aber insoweit eine Ausnahme gemacht, als dass sowohl der Präsident der Kammer als auch der Richter des betroffenen Staates von diesem Verbot ausgenommen sind. 166 Wittinger, NJW 2001, S. 1238 (1241); Schlette, ZaöRV 1996, S. 905 (952 m. w. N.). 164

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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Auch wenn die Konsequenzen der Reform noch nicht im Einzelnen absehbar sind, so ist doch von entscheidender Bedeutung, dass durch die Reform die obligatorische Gerichtsbarkeit und zusätzlich dazu ein prinzipielles Vorbehaltsverbot eingeführt wurde.167 Darüber hinaus geht mit der institutionellen Straffung eine höhere Transparenz der Entscheidungen einher, welche vor der Reform insbesondere durch die nicht-öffentlichen Sitzungen der Kommission des Ministerkomitees während der Annahmeverfahren erheblich eingeschränkt war. Damit hat sich durch die Reform ein voll ausgestaltetes gerichtliches Kontrollsystem zur Überwachung der Einhaltung der EMRK herausgebildet. 2. Der UN-Menschenrechtsausschuss Während der Verhandlungen zum IPbürg konnten sich die Staaten nicht auf einen dem europäischen System ähnlichen Kontrollmechanismus einigen. Zwar wird durch den IPbürg der UN-Menschenrechtsausschuss errichtet. Allerdings wird er nur mit der Durchführung des obligatorischen Staatenberichtsverfahrens gem. Art. 40 IPbürg und des fakultativ ausgestalteten Staatenbeschwerdeverfahrens gem. Art. 41 IPbürg betraut, welches neben der Ratifikation des Paktes einer zusätzlichen Anerkennung der Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses in Form einer Unterwerfungserklärung bedarf.168 Die Zuständigkeit des Ausschusses für Individualbeschwerden ist nicht im IPbürg selbst verankert, sondern gründet auf dem zusätzlich zu ratifizierenden Fakultativprotokoll.169 Auch wenn die Individualbeschwerdeverfahren vor dem UN-Menschenrechtsausschuss und dem EGMR einige Parallelen aufweisen,170 so bestehen 167

Bernhardt, AJIL 89 (1995), S. 145 (150). Für das gem. Art. 40 IPbürg durchzuführende Staatenberichtsverfahren vgl. von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuss, S. 28 ff. 169 Das Fakultativprotokoll ist bisher von 101 Staaten ratifiziert worden (Stand 31.12.2001); vgl. Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General, Status as at 31 December 2001, UN Doc. ST/LEG/SER.E/20, vol I, S. 226. Eine Verankerung des Individualbeschwerdeverfahrens im IPbürg war damals unter keinen Umständen konsensfähig und hätte zu einem Scheitern der Verhandlungen geführt; vgl. Klein/Brinkmeier, VN 2001, S. 17 (18); zum Individualbeschwerdeverfahren vor dem Ausschuss allgemein siehe Nowak, CCPR-Commentary, S. 647 ff.; Goldrick, The Human Rights Committee, S. 120 ff.; Pappa, Das Individualbeschwerdeverfahren des Fakultativprotokolls. 170 Diese Parallelen zeigen sich vornehmlich in den Zulässigkeitsvoraussetzungen. So nimmt auch der UN-Menschenrechtsausschuss nur schriftliche Beschwerden an, die nicht anonym eingereicht wurden. Auch bedarf es der vorherigen Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs. Darüber hinaus darf die Beschwerde nicht auch vor einer anderen internationalen Untersuchungsinstanz anhängig sein; vgl. zu 168

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doch auch erhebliche Unterschiede. U. a. fällt die Entscheidung des UNMenschenrechtsausschusses immer im Plenum, welches in nicht-öffentlichen Sitzungen tagt. Darüber hinaus sind Grundlage der Entscheidung nur die übermittelten Schriftsätze, was zu einer erheblichen Einschränkung bei der Aufklärung des häufig umstrittenen Sachverhalts führt. Auch bezüglich der Entscheidungen finden sich für die Rechtspraxis gravierende Unterschiede: So teilt der Ausschuss seine Entscheidung den Parteien lediglich in Form rechtlich unverbindlicher views mit.171 Diese entsprechen zwar sowohl im Aufbau als auch vom Begründungsansatz her einem Urteil, doch weist die mangelnde Bindungswirkung und die Terminologie darauf hin, dass mit dem UN-Menschenrechtsausschuss gerade kein gerichtliches Überwachungssystem, sondern höchstens ein in Teilen quasi-gerichtlich ausgestaltetes Verfahren geschaffen werden sollte.172 Die rechtliche Unverbindlichkeit führt allerdings nicht zur rechtlichen Bedeutungslosigkeit der Entscheidungen.173 Vielmehr kommt in den Entscheidungen eine autoritative Rechtsfeststellung zum Ausdruck: Der Staat, dessen Paktverletzung durch den Ausschuss festgestellt wurde, muss die Rechtsansicht des Ausschusses nach Treu und Glauben prüfen und eine etwaige Nichtbefolgung gegenüber diesem erläutern.174 Trotz dieser Unterschiede zum System der EMRK darf die Relevanz des Individualbeschwerdeverfahrens vor dem UN-Menschenrechtsausschuss nicht negiert werden. Insbesondere wegen seiner Qualität als quasi-gerichtliches Verfahren hat es in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass sich auch auf internationaler Ebene eine effektive Rechtsschutzmöglichkeit herauszubilden beginnt.175

den Zulässigkeitsvoraussetzungen ausführlich von der Wese, Der UN-Menschenrechtsausschuss, S. 56 ff. 171 Zu der Unverbindlichkeit siehe die Nachweise bei von der Wese, Der UNMenschenrechtsausschuss, S. 52. 172 Klein/Brinkmeier, VN 2001, S. 17 (18). 173 So befolgen die EMRK Staaten die Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses in aller Regel, auch wenn sie rechtlich unverbindlich sind; vgl. die Anmerkung von Nowak zum Fall Pauger v. Austria des UN-Menschenrechtsausschusses, EuGRZ 1992, S. 346. 174 Herndl, Die „views“ des Menschenrechtsausschusses, in: Ginther/Hafner/ Lang/Neuhold/Sucharpia-Behrmann (Hrsg.), FS Zemanek, S. 203 (209), der die views auch als Sachentscheidungen bezeichnet, denen zwar keine Rechtsverbindlichkeit zukomme, aber eine große moralische Autorität. 175 Nowak, CCPR.Commentary, Preamble First OP, Rn. 2 (S. 648): . . . the individual communications procedure has developed into one of the most important procedures for the international protection of human rights.

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3. Das interamerikanische System So wie die materiellrechtlichen Verbürgungen der Menschenrechte im Rahmen des interamerikanischen Systems auf zwei Grundlagen basieren – auf der OAS-Charta zum einen und der IAMRK zum anderen, so hat auch das aus der interamerikanischen Menschenrechtskommission (IAKMR) und dem AGMR bestehende Kontrollsystem eine zweifache Grundlage. Nachdem die OAS-Charta zunächst kein spezielles Organ und keinen Ausschuss vorsah, dem die Aufgabe der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte zukommen sollte, und weitere Verhandlungen über die Errichtung eines amerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs gescheitert waren, hatten sich die politischen Rahmenbedingungen bis 1959 derart verändert, dass sich die Mitgliedstaaten während des fünften Außenministertreffens in Santiago auf die Verabschiedung einer Resolution einigen konnten, in der zum einen die Ausarbeitung einer amerikanischen Menschenrechtskonvention und einer Konvention zur Errichtung eines Gerichtshofs vereinbart wurde und zum anderen die Errichtung der IAKMR durch den ständigen Rat der OAS.176 Das von einem Spezialausschuss erarbeitete Kommissionsstatut von 1960177 enthielt jedoch noch kein Individualbeschwerdeverfahren. Vielmehr beschränkte es das Mandat der Kommission auf die allgemeine Förderung der Menschenrechte etwa in Form von allgemeinen Staatenberichten. Diese Mandatsbeschränkung wird schon durch den Einleitungssatz des die Zuständigkeiten der Kommission auflistenden Art. 9 des Statuts deutlich, der von promoting und nicht protecting human rights spricht.178 Erst mit der Änderung des Statuts auf der zweiten außerordentlichen Konferenz der OAS-Mitgliedstaaten 1965 durch Resolution XXII wur176

Resolution VIII, 2.10.1959, Fifth Meeting of the Consultation of Ministers of Foreign Affairs, OEA/Ser.F/II.5 89 (English) Rev. 2. Während der erste Teil der Resolution über die Ausarbeitung einer Menschenrechtskonvention und eines Statuts für einen Menschenrechtsgerichtshof einstimmig getroffen wurde, herrschte bezüglich der Einsetzung der IAKMR kein Konsens. Auch wenn die meisten OAS-Mitgliedstaaten dafür stimmten, so wurde dieser Resolutionsteil von Brasilien, der Dominikanischen Republik, Mexiko und Uruguay abgelehnt; vgl. zur Entstehungsgeschichte Davidson, The Inter-American System, S. 15 ff. 177 Abgedruckt in Buergenthal/Shelton, Human Rights in the Americas, S. 649 ff. 178 Die IAKMR hat allerdings trotz dieses sehr beschränkten Mandats bereits effektive Arbeit geleistet. Der primäre Grund dafür liegt in den extensiven Auslegung seiner Befugnisse, insbesondere des Art. 9 lit. b) des Kommissionsstatut; vgl. dazu Buergenthal, Inter-American Commission, in: Buergenthal/Shelton (eds.), Human Rights in the Americas, S. 49. Als Folge der extensiven Auslegung nahm die Kommission auch Individualbeschwerden an, um so die ihr nach Art. 9 lit. b) und c) des Statuts übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Allerdings hatten diese lediglich Beweisfunktion, so dass über eine Verletzung der Menschenrechte im konkreten Fall nicht entschieden wurde; vgl. dazu Davidson, The Inter-American System, S. 17. Diese

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

den die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens geschaffen.179 Dennoch war die Arbeit der IAKMR primär durch das Berichtssystem geprägt, welches es der Kommission erlaubte, öffentlichen Druck auf diejenigen Staaten auszuüben, in denen es zu eklatanten Menschenrechtsverstößen kam.180 Grundsätzliches Manko der IAKMR war bis zu diesem Zeitpunkt allerdings, dass sie nach wie vor lediglich auf einem Konferenzbeschluss des Außenministertreffens von 1959 basierte und damit jeglicher vertraglichen Grundlage entbehrte. Die Kommission hätte also auch durch Resolutionsbeschluss wieder abgeschafft werden können.181 Erst durch die Reform der OAS-Charta im Jahre 1970, aufgrund der es zu erheblichen Änderungen hinsichtlich der Verankerung des Menschenrechtsschutzes in der Charta kam, wurde die IAKMR in das institutionelle Gefüge der OAS aufgenommen, indem ihre Existenz an mehreren Stellen der Charta ausdrücklich anerkannt wurde. So wird sie in Art. 51 lit. e) der geänderten Charta als eines der Hauptorgane der OAS genannt. Mit dem In-Kraft-Treten der IAMRK am 18. Juli 1978 nahm auch ein verändertes Kontroll- und Schutzsystem seine Arbeit auf, das zum einen auf der bereits bestehenden IAKMR basierte und zum anderen auf dem neu errichteten AGMR.182 Von allgemeinem Interesse ist dabei, dass die Konvention nicht nur Vorschriften für Vertragsstaaten, sondern auch für NichtVertrags- aber OAS-Mitgliedstaaten enthält. Dieser Fall der Drittwirkung lässt sich nur mit Art. 112 der OAS-Charta erklären, wonach die Struktur, die Zuständigkeit und das Verfahren der IAKMR durch eine Amerikanische Menschenrechtskonvention festgelegt werden sollte. Dies wird als eine antizipierte Zustimmung der OAS-Mitgliedstaaten verstanden. Danach akzeptieren diese die Stellung der Kommission aufgrund der Menschenrechtskonvention, ohne diese notwendigerweise ratifiziert zu haben.183 Dennoch sind Nichtvertragsstaaten nicht demselben Verfahren unterworfen wie Vertragsstaaten, denn die IAMRK unterscheidet zwischen Konventionsstaaten und Praxis wurde bereits auf dem achten Konsultationstreffen der Außenminister durch die Mitgliedstaaten gebilligt; vgl. Kokott, Das Interamerikanische System, S. 23. 179 Res. XXII, Expanded Functions of the Inter-American Commission on Human Rights, abgedruckt in AJIL 60 (1966), S. 458–460; siehe dazu Davidson, The InterAmerican System, S. 17 ff. 180 Rensmann, VRÜ 33 (2000), S. 137 (138). 181 Kokott, Das Interamerikanische System, S. 25. 182 Das hat allerdings nicht zur Folge, dass das auf der OAS-Charta basierende Kontrollsystem bedeutungslos ist. Denn nicht alle OAS-Mitgliedstaaten haben die IAMRK ratifiziert, so dass die Existenz der IAKMR auf Grundlage der OAS-Charta von ausgesprochener Wichtigkeit ist. 183 Buergenthal, Anuario Jurídico Interamericano 1981, S. 105 (109); sich ihm anschließend Kokott, Das Interamerikanische System, S, 115; kritisch Davidson, The Inter-American System, S. 100.

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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übrigen Mitgliedstaaten der OAS. Dies kommt zum einen in der Zuständigkeit der Kommission zum Ausdruck: Während sie sich für Vertragsstaaten auf die gesamte IAMRK bezieht, gilt sie für die übrigen OAS-Staaten nur in dem früheren Umfang. Auch verfahrensmäßig ergeben sich Unterschiede zwischen Vertrags- und Nichtvertragsstaaten, die allerdings erst nach einer positiven Zulässigkeitsprüfung zum Tragen kommen.184 Das durch die IAMRK geschaffene Individual- und Staatenbeschwerdeverfahren, welches sich auf die Konventionsstaaten bezieht, ähnelt in großen Teilen dem der EMRK vor In-Kraft-Treten der 11. Zusatzprotokolls.185 Wesentliche Unterschiede sind allerdings, dass die Zuständigkeit der Kommission im Individualbeschwerdeverfahren anders als im Fall der Staatenbeschwerde obligatorisch ausgestaltet ist – gem. Art. 45 Abs. 1 IAMRK bedarf es nur im letzteren Falle einer Unterwerfungserklärung, während die Begründung der Zuständigkeit des AGMR notwendigerweise dessen Anerkennung voraussetzt.186 Darüber hinaus sind im Rahmen der Individualbeschwerde Popularklagen grundsätzlich zulässig, so dass nicht das Opfer selbst die Beschwerde einreichen muss. Es reicht vielmehr aus, wenn andere Institutionen wie lokale oder internationale Menschenrechtsorganisationen, Berufsverbände oder Gewerkschaften dies für das Opfer tun.187 Ein weiterer wichtiger Unterschied findet sich in der Rechtsnatur der Entscheidungen. Zwar ist das inter-amerikanische System vollständig gerichtlich bzw. quasi-gerichtlich ausgestaltet, da eine politische Entscheidungsinstanz, wie das Ministerkomitee des Europarates, im Rahmen der IAMRK nicht existiert. Dies führt aber dazu, dass die am Ende eines Verfahrens stehenden, rechtlich unverbindlichen Empfehlungen der IAKMR nicht durch den Beschluss eines politischen Organs Rechtsverbindlichkeit erlangen können. Eine solche Möglichkeit besteht nur dann, wenn die Kommission oder der betroffene Staat gem. Art. 51 Abs. 1 IAMRK die Angelegenheit innerhalb von drei Monaten seit der Übermittlung der Empfehlung dem AGMR vorlegt, vorausgesetzt, dass dessen Zuständigkeit anerkannt wird.188 Damit haben nur die Staaten und die Kommission, nicht aber der Einzelne das

184

Ausführlich dazu Kokott, Das Interamerikanische System, S. 77 ff. Medina, HRQ 12 (1990), S. 437 (445). 186 Für den AGMR ergibt sich dies zum einen aus Art. 51 Abs. 1 IAMRK und zum anderen aus Art. 62 IAMRK. 187 Kokott, Das Interamerikanische System, S. 56. 188 Erst 1986, d.h. knapp 8 Jahre nach In-Kraft-Treten der AMRK, hat die Kommission das erste Mal von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht; Veláquez Rodríguez Case, Inter-Am.Ct.H.R., 28.7.1988, Ser. C, No. 4, Faire Garbi and Solis Corrales Case, Inter-Am.Ct.H.R., 15.3.1989, Ser. C, No. 5 Godinez Cruz Case, InterAm.Ct.H.R., 20.6.1989, Ser. C, No. 6. 185

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Recht, eine Streitigkeit dem AGMR vorzulegen, was der Regelung des Art. 48 EMRK a. F. entspricht. Darüber hinaus sei erwähnt, dass dem Gerichtshof, anders als dem EGMR,189 auch eine weitreichende, über die IAMRK hinausgehende Beratungsfunktion zukommt, welche nicht nur von den Konventionsstaaten genutzt werden kann, sondern ausweislich des Wortlautes des Art. 64 Abs. 1 IAMRK von allen OAS-Mitgliedstaaten. Diese können den Gerichtshof entweder gem. Art. 64 Abs. 1 IAMRK um Rat über die Auslegung der IAMRK oder anderer den Schutz der Menschenrechte in den amerikanischen Staaten betreffender Verträge ersuchen oder gem. Art. 64 Abs. 2 IAMRK um die Erstellung eines Gutachtens über die Vereinbarkeit von Bestimmungen seines innerstaatlichen Rechts mit den Bestimmungen der erwähnten Übereinkommen. Von ersterer Möglichkeit hat Mexiko in einem Verfahren gegen die USA Gebrauch gemacht, in dem es dem AGMR die Frage vorlegte, inwieweit die amerikanische Praxis, ausländische Staatsangehörige im Laufe eine strafrechtlichen Verfahrens nicht über die Beistandsmöglichkeit durch das Konsulat ihre Heimatstaates zu informieren, mit den Bestimmungen der Wiener Konsularrechtskonvention vereinbar sei.190 Diese erweiterte Jurisdiktion ist im Hinblick auf die sonstige Völkerrechtspraxis eine Besonderheit, da die Zuständigkeit des sowohl sachlich als auch regional begrenzten AGMR im Falle des Art. 64 IAMRK auch auf andere als das ihn konstituierende Übereinkommen ausgedehnt wird. Eine solche Jurisdiktionserweiterung findet sich weder in der EMRK oder im Fakultativprotokoll zum IPbürg noch im SRÜ in Bezug auf die SRÜ-Gerichte oder im Rahmen des DSU in Bezug auf die WTO-Streitbeilegungsorgane.191 Nur im Rahmen eines NAFTA-Schiedsverfahrens nach Art. 1903 NAFTA kommt es zu einer vergleichbaren Jurisdiktionserweiterung, da die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Maßnahme nicht nur am Maßstab des NAFTA selbst, sondern auch anhand der relevanten Bestimmungen des GATT überprüft wird.192 189

Zwar besteht auch nach der EMRK die grundsätzliche Möglichkeit, dass der EGMR um die Erstellung eines Gutachtens über Auslegungsfragen ersucht werden kann. Diese dürfen sich gem. Art. 47 Abs. 2 EMRK n. F. nicht auf die in der EMRK geschützten Menschenrechte des 1. Teils beziehen. 190 The Right to Information on Consular Assistence in the Framework of the Guarantees of the Due Process of Law, Inter-Am. Ct.H.R, Advisory Opnion OC-16/ 99, 1.10.1999, Ser. A; allgemein zur advisory practice des IAGMR siehe Pasqualucci, Standford JIL 38 (2002), S. 241–288. 191 Zur Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte ratione materiae siehe 1. Teil B. II. 1. b); zur Zuständigkeit der WTO-Panel und des Appellate Body ratione materiae siehe oben 1. Teil B. III. 1. c). 192 Zur Zuständigkeit der NAFTA-Schiedsgerichte ratione materiae in Art. 1903Verfahren siehe oben 1. Teil B. III. 2. b).

B. Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit

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V. Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit Die ersten internationalen Strafrechtstribunale193 wurden in Gestalt der Internationalen Militärtribunale von Nürnberg und Tokio nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Grundlage des zwischen den Siegermächten abgeschlossenen Londoner Übereinkommens vom 8.8.1948 errichtet,194 das auch die wichtigsten Tatbestände des völkerrechtlichen Strafrechts aufzeichnete: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Allerdings handelt es sich bei diesen Tribunalen nicht um internationale Gerichte im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um interalliierte Gerichte, auch Besatzungsgerichte genannt, die dennoch allgemein als Vorläufer der internationalen Strafgerichtsbarkeit angesehen werden. Auch wenn es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer zügigen Ausarbeitung der Völkermordkonvention195 im Rahmen der UN kam, so war dies zunächst der einzige Meilenstein in der Fortentwicklung des Völkerstrafrechts. Insbesondere die Schaffung eines ständigen Völkerstrafgerichtshofs war in der Staatengemeinschaft nicht konsensfähig, obwohl das UNSekretariat 1949 und ein UN-Sonderausschuss 1951 und 1953 sich mit der Ausarbeitung eines dementsprechenden Statuts beschäftigten.196 Darüber hinaus entschied die ILC, die den Auftrag zur Kodifizierung der Nürnberger Prinzipien erhalten hatte, dass es vor der Erarbeitung eines Verbrechensko193 Die Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit – siehe dazu Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 27 ff.; Niehoff, Normen des Völkerstrafrechts, S. 16 ff. – setzte notwendigerweise zunächst das Bestehen völkerstrafrechtlicher Normen voraus, was angesichts der These von der Mediatisierung des Individuums durch seinen Heimatstaat in der Zeit der klassischen Völkerrechts keine Selbstverständlichkeit ist. Denn Anknüpfungspunkt jeglicher Form von Strafbarkeit ist die individuelle Schuld. Eine solche konnte auf völkerrechtlicher Ebene aber erst ab dem Zeitpunkt bestehen, in dem der Einzelne nicht nur Objekt völkerrechtlicher Normen ist, sondern zugleich deren Subjekt; vgl. Kimminich/Hobe, S. 241. Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist die Anerkennung universeller Menschenrechte im Rahmen des Völkerrechts, die nicht nur die Staaten zum Adressaten haben, sondern auch dem Einzelnen ein ihm vor völkerrechtlichen Instanzen durchsetzbares Recht vermitteln. Völkerrechtliche Strafrechtsnormen bilden nun das Gegenstück zu dieser Entwicklung: Sie vermitteln kein Recht des Einzelnen, sondern begründen für ihn völkerrechtliche Verpflichtungen. 194 Der Text des Übereinkommens ist abgedruckt in AJIL 39 (1945), Suppl., S. 257 ff. Dem Londoner-Abkommen sind in den Folgejahren insgesamt 19 Staaten beigetreten. 195 Convention on the Prevention and Punishment of Genocide, 9.12.1948, UNTS 78, S. 277 ff. 196 Siehe zur Entwicklung des internationalen Strafrechts und der internationalen Strafgerichtsbarkeit während des Kalten Kriegs Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 124 ff.; zur Errichtung eines Strafgerichtshofes unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg siehe S. 138 ff.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

dexes zu früh für die Errichtung eines solchen Gerichts sei. Erst die erschreckenden Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda zu Beginn der 90er Jahre sowie die dadurch bedingte Errichtung der internationalen ad hoc Strafgerichtshöfe zur Verfolgung von Kriegsverbrechen in diesen Gebieten durch die beiden Sicherheitsratsresolutionen 827197 und 955198 führte zu einem erneuten und letztlich erfolgreichen Versuch, einen internationalen Strafgerichtshof zu schaffen. Dieser sollte aber nicht, wie die ad hoc Strafgerichtshöfe, in seiner Zuständigkeit ratione materiae und ratione loci beschränkt sein und auch nicht auf der Basis einer Sicherheitsratsresolution errichtet werden, sondern auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages, um dadurch einen breiten Konsens der Staatengemeinschaft sicherzustellen. Auch die Arbeiten im Rahmen der ILC begünstigten diese Entwicklung.199 So konnte der Generalversammlung 1991 der erste Entwurf eines Völkerstrafgesetzbuchs unterbreitet werden200 und 1994 der erste Entwurf eines Statuts für einen Internationalen Strafgerichtshof,201 mit dessen Ausarbeitung die ILC 1992 beauftragt worden war. Diese beiden Entwürfe waren Arbeitsgrundlage der 1998 nach Rom einberufenen Staatenkonferenz, die einen endgültigen Text des Statuts des Gerichtshofes erarbeiten sollte.202 Nach langwierigen und äußerst kontroversen Diskussionen konnte dann am 17. Juli 1998 das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), das sog. Rom-Statut, verabschiedet werden203 und am 1. Juli 2002 in Kraft treten.204 Damit hat sich sowohl das materielle Völkerstrafrecht, aber auch die Völkerstrafgerichtsbarkeit in einer revolutionären, vor 10 Jahren so nicht vorstellbaren Art und Weise entwickelt, deren Konsequenzen erst dann abzusehen sein dürften, wenn der IStGH seine Arbeit aufnimmt und die ersten Fälle verhandelt werden. 197

Sec. C. Res. S/RES/827 (1993), 25.5.1993, ILM 32 (1993), S. 1203 ff. Sec. C. Res. S/RES/955 (1994), 8.11.1994, ILM 33 (1994), S. 1600 ff.; zur Arbeit der ad hoc Straftribunale siehe statt vieler Arnold, Strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 59–142. 199 Blanke/Molitor, AVR 39 (2001), S. 142 (144). 200 Draft Code of Crime against the Peace and the Security of Mankind, UN Doc. A/46/10, YBILC 1995 II-2, S. 18 ff. 201 Draft Statute for a Permanent International Criminal Court, UN Doc. A/49/ 10, S. 105. 202 Vgl. dazu statt vieler Zimmermann, ZaöRV 58 (1998), S. 47 (48 ff.). 203 Vehement abgelehnt, um nicht zu sagen aufs äußerste bekämpft wurde das Statut während der Verhandlungen von den USA, aber auch von der Volksrepublik China, Indien, Libyen, Israel und Jemen, die alle gegen die Annahme des Statuts stimmten. 204 Rome Statute of the International Criminal Court, 17.7.1998, ILM 37 (1998), S. 999 ff. 198

C. Struktur der Völkerrechtsordnung

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C. Struktur der Völkerrechtsordnung Ein weiterer Grund für die Existenz paralleler Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsmechanismen ist die heutige Organisationsstruktur des Völkerrechts als dezentralisierte Rechtsordnung. Damit wird zum einen die Tatsache umschrieben, dass dem Völkerrecht sowohl eine zentrale Rechtssetzungs- als auch eine zentrale Rechtsdurchsetzungsinstanz fremd ist.205 Aber auch die Aufgabenzuweisung der Staaten an die internationale Gemeinschaft und die damit verbundene Ordnungsstruktur internationaler Organisationen ist durch das Prinzip funktionaler Dezentralisation gekennzeichnet.206 Während man im Rahmen des Völkerbundes noch den Versuch der Zentralisation unternommen hatte, indem die Tätigkeiten der internationalen Verwaltungsunionen gem. Art. 24 Völkerbundsatzung unter die Leitung des Bundes gestellt werden sollten,207 so zeichnete sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein funktional dezentralisiertes System internationaler Organisationen ab, an dem bis zum heutigen Tag trotz aller Kritik und Reformüberlegungen, insbesondere in Bezug auf das UN-System, festgehalten wird.208 Die aus der funktionalen Dezentralisation resultierenden Probleme sind vielfältig. So werden internationalen Organisationen zwar grundsätzlich nur begrenzte Aufgaben durch die Mitgliedstaaten übertragen, dennoch kommt es aufgrund unpräziser Formulierungen in den Gründungsverträgen und der sich aufgabenerweiternd auswirkenden implied powers Lehre zu vielfältigen Überschneidungen bei den Tätigkeiten internationaler Organisationen. Dies tritt augenscheinlich im Verhältnis der UN, als einer Organisation mit umfassender Zielsetzung, zu den UN-Sonderorganisationen, deren Aufgaben auf bestimmte Sachbereiche beschränkt sind, zu Tage.209 Aber 205

Siehe statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Band I/1, S. 17 ff. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 143 ff. 207 Siehe dazu Dicke, Effizienz und Effektivität, S. 67 f. 208 Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1692. 209 So hat sich sowohl die Generalversammlung aus allgemeinen politischen Erwägungen heraus als auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes mit der Problematik der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen auseinandergesetzt. Diese Überschneidung der Tätigkeit mündete schließlich in der Frage, inwieweit die WHO als UN-Sonderorganisation mit technischer Ausrichtung befugt ist, diese politische oder zumindest politisierte Frage dem IGH in Form eines Gutachtens vorzulegen. Denn gem. Art. 10 Abs. 2 der WHO Satzung (Constitution of the World Health Organization, 22.7.1949, UNTS 14, S. 885 ff.) können nur solche Fragen vorgelegt werden, die in den der WHO durch ihre Mitgliedstaaten übertragenen Kompetenzrahmen fallen. Dass die Beantwortung der Kompetenzfrage äußerst schwierig ist, zeigen die unterschiedlichen hierzu vertretenen Standpunkte. Während ein Teil der WHO Mitgliedstaaten – darunter die USA, Großbritannien, Frankreich, Australien, Neuseeland und die Niederlande – die Gutachtenanfrage ebenso für außerhalb der Kompetenz der 206

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

auch wenn die Tätigkeiten der internationalen Organisationen funktional auf jeweils einen Sachbereich begrenzt sind, kann es zu erheblichen Überschneidungen bei der Aufgabenwahrnehmung kommen. Diese Erfahrung mussten bereits die Weltbank und der Internationale Währungsfond (IWF) während den 70er und 80er Jahren machen.210 Auch zwischen IWF und WTO kommt es, insbesondere im Bereich der Feststellung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten, zu Überscheidungen.211 Im Zusammenhang mit den sich überschneidenden Aufgabenbereichen besteht die Gefahr der ineffektiven Nutzung von Ressourcen, da es aufgrund mangelnder Absprachen nicht zu einer ausreichenden Koordination der Tätigkeiten kommt.212 In der Praxis wird diesem Problem durch den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen zwischen den jeweiligen internationalen Organisationen begegnet.213 Daneben bestehen in der Völkerrechtsliteratur Überlegungen, inwieweit es nicht einer strikteren Kompetenzabgrenzung zwischen internationalen Organisationen bedarf214 bzw. ob es nicht aufgrund der organisatorischen VerWHO liegend ansahen wie der Rechtsberater der WHO, wurde in der Literatur die Zulässigkeit der Anfrage mit dem Argument der sich letztlich kompetenzerweiternd auswirkenden implied powers Lehre begründet; siehe Tietje, AVR 33 (1995), S. 266 (268 ff.). Demgegenüber hat der IGH die Zulässigkeit aus Gründen der Spezialität, mithin unter Verweis auf das Prinzip der funktionalen Dezentralisation, abgelehnt; Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Advisory Opinion), 8.7.1996, ICJ Rep. 1996, S. 65 (78, para. 25). 210 Aufgabe des IWF ist die Sicherstellung der internationalen Währungsstabilität u. a. durch kurzfristig angelegte Unterstützungen an Staaten zur Vermeidung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten, während die Weltbank als langfristiger Kreditgeber für die Durchführung von Entwicklungsprojekten fungiert; siehe dazu Rawert, IMF, in: Wolfrum (ed.), United Nations, vol. I, S. 724 (731 f.). Da Währungsstabilität und langfristige wirtschaftliche Entwicklung sich aber einander bedingen, ist es in den 70er Jahren zu einer zunehmenden Überschneidung in der Aufgabenwahrnehmung gekommen; siehe dazu Wulf, Die Bank 1983, S. 573 (574 ff.). Aus dieser Überschneidung resultierte dann eine zunehmende Kooperation zwischen den beiden Institutionen; siehe Hino, Finanzierung und Entwicklung 1986, S. 10 (11 ff.); Vocke, Zusammenarbeit von IWF, Weltbank und Geschäftsbanken, S. 168 ff. 211 Siehe dazu Ahn, JWT 34/4 (2000), S. 1 (5 ff.); allgemein zur Überschneidung der Aufgaben von IWF und WTO Siegel, AJIL 96 (2002), S. 561 (562 ff.). 212 Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1702. 213 Grundlegend dazu Jenks, RdC 77 (1950), S. 155; zu den unterschiedlichen Kooperationsformen zwischen internationalen Organisationen allgemein siehe die kurze Zusammenfassung bei Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 810 ff. 214 Vgl. Ruffert, AVR 38 (2000), S. 129 (131 ff.), der die Entstehung eines gewohnheitsrechtlich anerkannten Störungsverbotes zwischen internationalen Organisationen postuliert; sich ihm anschließend Neumann, Koordination, S. 397 ff.; siehe auch Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 146 f., der nicht von einem Störungsverbot ausgeht, sondern davon, dass dem Prinzip der funktionalen Dezentralisation ein durch die Rechtsprechung des IGH in Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Advisory Opinion), 8.7.1996, ICJ Rep.

C. Struktur der Völkerrechtsordnung

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dichtung und der damit einhergehenden Herausbildung von Abhängigkeiten zu einer faktischen Hierarchisierung des System internationaler Organisationen kommen wird.215 Materiellrechtliche Konsequenz dieser Ordnungsstruktur ist das Bestehen zahlreicher, nicht im Zusammenhang stehender völkerrechtlicher Übereinkommen in verschiedenen Sachbereichen. Da sich diese, wie auch die Tätigkeiten internationaler Organisationen, in ihrem Anwendungsbereich nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen, kommt es häufig zu einer Überschneidung derselben. Der Konstellation des Nebeneinanders von internationalen Organisationen mit umfassender Zielsetzung einerseits und funktional begrenzten Aufgabenbereich andererseits nicht unähnlich ist die Situation, in der sich der Anwendungsbereich eines geographisch begrenzten Übereinkommens mit nahezu umfassendem Ordnungsanspruch mit dem eines nicht geographisch, dafür aber sachlich begrenzten Übereinkommens überschneidet. So nimmt das SRÜ für sich in Anspruch, alle Nutzungsund Rechtsverhältnisse für alle Seegebiete dieser Welt zu regeln. Damit bezieht es sich auch auf Fragen des seerechtlichen Handels und des freien Hafenzugangs, die darüber hinaus in den Anwendungsbereich der WTORechtsordnung fallen. Daneben kommt es auch zur Überschneidung des Anwendungsbereichs von Übereinkommen, die an sich unterschiedliche Sachbereiche regeln, wegen der Interdependenz derselben aber dennoch miteinander im Zusammenhang stehen – eine Situation, die der Überschneidung von Tätigkeiten funktional begrenzter internationaler Organisationen entspricht. Ein seit einigen Jahren vieldiskutiertes Beispiel einer solchen Konstellation ist das Nebeneinander von sich handelsbeschränkend auswirkenden multilateralen Umweltschutzübereinkommen und den den freien Welthandel garantierenden Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung,216 welches im Folgenden exemplarisch für Interdependenzen zwischen verschiedenen internationalen Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche dargestellt wird.

1996, S. 65 (78, para. 25), bestätigter normativer Ordnungsanspruch zukommt, aus dem sich eine Begrenzung der Kompetenzen internationaler Organisationen im Außenverhältnis gegenüber anderen internationalen Organisationen ergibt. 215 Ballreich, AVR 19 (1981), S. 121 (167). 216 Die völkerrechtliche Literatur zu dieser Problematik ist mittlerweile kaum noch zu überschauen; vgl. nur die Beiträge in Fijalkowski/Cameron (eds.), Trade and Environment: Bridging the Gap sowie Stöckel, Aussenwirtschaft 56 (2001), 327 ff.; Neumann, Koordination, S. 112 ff.; Cole, JWT 33/5 (1999), S. 183 ff.; Spranger, AVR 40 (2002), S. 64 ff.; Tarasofsky, YIEL 7 (1996), S. 52 ff.; Biermann, AVR 38 (2000), S. 455 ff.; Neumayer, Aussenwirtschaft, 55 (2000), S. 403 ff.; Marceau, JWT 33 (1999), S. 87 ff.; dies., JWT 35 (2001), S. 1081 ff.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

I. Interdependenz von freiem Welthandel und Umweltschutz Die Interdependenz der Themen freier Welthandel und Umweltschutz zeigt sich nicht nur in wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen, sondern auch in den jeweiligen Regelungsbereichen des Völkerrechts. Das Thema Umweltschutz ist zwar nach klassischem Verständnis nicht vom Regelungsbereich des internationalen Handelsrechts erfasst und fällt damit auch nicht in den Aufgabenbereich der WTO, aber sowohl die Berücksichtigung dieses Sachbereichs in den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung sowie die zunehmende Bedeutung dieses Thema innerhalb der letzten Jahre in der WTO selbst217 und die zunehmenden Anzahl von Verfahren vor den WTO-Streitbeilegungsorganen über die Rechtmäßigkeit umweltpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen218 verdeutlicht die mittelbare Relevanz des Umweltschutzes für das internationale Handelsrecht. Die mitunter äußerst kontrovers geführte Auseinandersetzung über die Frage, in welchem Umfang die Einführung und Aufrechterhaltung von handelsbeschränkenden Maßnahmen aus Gründen des Umweltschutzes gestattet werden soll, ist dabei aus wirtschaftstheoretischer Sicht durch zwei konträre Positionen geprägt: Verfechter eines liberalisierten Welthandels sehen in Umweltschutzmaßnahmen mit negativen handelsrechtlichen Auswirkungen eine Quelle unberechtigter und willkürlicher Handelshemmnisse, welche die aufgrund des freien Welthandels erreichten und der Allgemeinheit zu Gute kommenden Wohlfahrtsgewinne bedrohen.219 Im Gegensatz dazu wird von 217 Pfahl, Internationaler Handel und Umweltschutz, S. 75 ff.; Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 21 ff.; Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 18 ff.; Shaw/ Schwartz, JWT 36 (2002), S. 129 ff.; Biermann, JWT 35 (2001), S. 421 ff.; Petersmann, Trade and the Protection of the Environment, in: Wolfrum (ed.), Enforcing Environmental Standards, S. 165 ff.; Schlangenhof, JWT 29/6 (1995), S. 123 ff. 218 Einen vollständigen Überblick über die umweltrelevanten WTO-Verfahren gibt Neumann, Koordination, S. 164 ff. 219 Die heutigen konzeptionellen Grundlagen des freien Welthandels basieren trotz aller Kritik nach wie vor auf den Grundgedanken der von Ricardo in Anlehnung an Smith entwickelten Freihandelstheorie in der Variante der Theorie komparativer Kostenvorteile, welche durch das Heckscher-Ohlin-Modell ergänzt wird, vgl. Siebert Aussenwirtschaft, S. 66 ff.; Rose/Sauernheimer, Theorie der Aussenwirtschaft, S. 383 ff. Ausgangspunkt der Theorie ist die Annahme, dass jedes Land, das ein bestimmtes Gut zu einem relativ niedrigeren Preis herstellen kann als ein anderes, im entsprechenden Markt über einen Vorteil verfügt. Indem den einzelnen Staaten durch die Gewährung eines freien Welthandels gestattet wird, diese Vorteile bezüglich eines Marktes zu nutzen, werden die in einem Staat bestehenden Produktionsfaktoren und natürlichen Ressourcen effektiver genutzt. Die damit einhergehende Spezialisierung führt zu einer internationalen Arbeitsteilung, durch die Wohlfahrtsgewinne insgesamt erreicht werden. Auch wenn diese Wohlfahrtsgewinne nicht allen Akteuren unmittelbar zur Verfügung stehen, so wird dennoch davon aus-

C. Struktur der Völkerrechtsordnung

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ökologischer Warte aus immer wieder vor den negativen Auswirkungen eines globalisierten Welthandels auf den Schutz natürlicher Ressourcen gewarnt: Ein liberalisierter Markt bedrohe eine nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen, nicht erneuerbaren, d.h. endlichen Ressourcen. Denn der effiziente Einsatz natürlicher Ressourcen als Produktionsfaktoren im Sinne der Freihandelstheorie beziehe sich nicht auf einen schonenden Umgang mit der Ressource Umwelt, sondern auf das ökonomische Maximierungsprinzip. Dementsprechend könne eine effektive Nutzung natürlicher Ressourcen auch zu einer Übernutzung führen, wenn keine marktregulierenden Maßnahmen zur nachhaltigen Bewirtschaftung getroffen würden. Dies gelte insbesondere für die Nutzung der sog. Allgemeingüter, die nicht bestimmten Akteuren in Form von Nutzungs- oder Eigentumsrechten zugewiesen würden.220 Diese Positionen sind als Hintergrundverständnis notwendig, um die Diskussion über die Rechtmäßigkeit von Handelsbeschränkungen zum Schutze der Umwelt und anderer Allgemeingüter nachvollziehen zu können. Allerdings ist sie nicht nur durch die Auseinandersetzung von Vertretern eines liberalen Freihandels und ihren Kritikern geprägt, sondern sie hat auch eine politische Dimension, die sich entlang der Trennlinie zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern offenbart.221 gegangen, dass letztlich alle davon profitieren, da die Gewinne wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen. Daraus ergeben sich dann erweiterte Konsummöglichkeiten, die wiederum zu einer erhöhten Produktion führen, welche sich in einem System des freien Welthandels am Prinzip der effektiven Allokation der Ressourcen orientiert; für eine Zusammenfassung siehe Pfahl, Handel und Umweltschutz, S. 11 ff. Neuere Ansätze sind gegenüber diesen Annahmen durchaus kritisch. So ist die Meinung vertreten worden, dass der Freihandel lediglich den Interessen einiger transnationaler Unternehmen diene, die als einzige vom freien Austausch der Rohstoffe und Teilprodukte profitierten; vgl. Lang/Hines, New Protectionism, S. 33. 220 Deshalb ist von Vertretern der liberalen Freihandelstheorie der Vorschlag gemacht worden, sog. Verschmutzungslizenzen zu verteilen, die sich an einer sozialverträglichen Obergrenze orientieren. Unternehmen, die umweltschädlicher produzieren, müssen Lizenzen nachkaufen, so dass sich auch ihr Produkt verteuert, während diejenigen, die in ihrer Produktion umweltverträglicher arbeiten, die nicht genutzte Lizenz bzw. Anteile davon verkaufen können. So kommt es zu einer Internalisierung von Umweltkosten, die ansonsten auf die Gesellschaft abgewälzt werden; vgl. zu dazu die Nachweise bei Pfahl, Internationaler Handel und Umweltschutz, S. 16. Diesem Ansatz folgt das Kyoto-Protokoll, welches den Handel mit internationalen Emissionen vorsieht, um so effektivere Anreize für eine Reduzierung der Treibhausgase zu schaffen; siehe Graichen/Harders, ZUR 2002, S. 73 ff. 221 Biermann, JWT 35 (2001), S. 421: „Many industrialised countries want to place the environment and trade nexus on the agenda of future negotiations . . . In contrast, many governments and non-governmental organizations of developing countries object to any changes in the WTO regime in this field.“; siehe auch Pfahl, Handel und Umweltschutz, S. 64 ff.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Die wirtschaftliche Globalisierung hat weltweit zu einer erhöhten Mobilität geführt, die sich nicht nur auf die Menschen, sondern insbesondere auch auf die produzierten Waren bezieht. Entsprechend dem Ansatz der effektiven Allokation der Ressourcen wird am kostengünstigsten Standort produziert, wobei die Kosten für etwaige Umweltverschmutzung nicht in den jeweiligen Preisen berücksichtigt werden, d.h. nicht die Umweltverschmutzung ist ein Kostenfaktor, der sich im Preis niederschlägt, sondern das Einführen hoher Umweltstandards. Dementsprechend besteht in den westlichen Ländern die Sorge, dass das weltweite Freihandelssystem und mit ihm die Globalisierung nicht nur zu Wohlfahrtsgewinnen, sondern auch zu einer Verbreitung umweltschädlicher Produkte bzw. Produktionen führt,222 da diese insgesamt günstiger seien und damit Wettbewerbsvorteile gegenüber umweltfreundlichen bzw. -neutralen Produkten hätten.223 Aus diesem Grund sind Industriestaaten bemüht, die Zulassung umweltschädlicher Produkte auf ihren nationalen Märkten zu beschränken oder sogar gänzlich zu verbieten. Allerdings sind handelsbeschränkende Maßnahmen zum Schutze der Umwelt, die von den Streitbeilegungsorganen der WTO überprüft wurden, sehr häufig an den Vorschriften der WTO-Rechtsordnung gescheitert.224 Dies hat auch in der Literatur zu dem Vorwurf geführt, dass die WTO-Panel und der Appellate Body gegenüber dem Umweltschutz blind seien und für Handelsstreitigkeiten mit starken umweltrechtlichen Bezügen kein geeignetes Forum zur Streitbeilegung darstellten.225 222

In diesem Zusammenhang gehört auch das Schlagwort „Globalisierung der Umweltzerstörung“ als Folge der Globalisierung der Märkte; Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 5 f. 223 Vgl. Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 15. Die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen aufgrund eines kostengünstigen, aber umweltschädlichen Produkts – sei es aufgrund der Umweltschädlichkeit der Produktion, des Produkts selbst oder der Entsorgung – ist auch als „Umweltdumping“ bezeichnet worden. Dabei wird bereits das Unterlassen von Umweltschutzmaßnahmen als Dumping bzw. indirekte Subvention gewertet, die zur Erhebung von Ausgleichszöllen berechtige, Skordas, Umweltschutz und freier Warenverkehr, S. 201 ff. Zur Kritik vgl. Petersmann, EA 9 (1992), S. 257 (265), der erst das Abschaffen und nicht bereits das Unterlassen von Umweltschutzmaßnahmen als Subvention wertet. 224 Vgl. aus der Rechtsprechung u. a. Panel Report, United States – Prohibition of Imports of Tuna and Tuna Products from Mexico (Tuna I), GATT Doc. DS 21/R, 3.9.1991, ILM 30 (1991), S. 1598 ff.; Panel Report, United States – Restrictions on Import of Tuna (Tuna II), GATT Doc. DS 29/R, 16.6.1994, ILM 33 (1994), S. 839 ff.; Appellate Body Report, United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/AB/R, 29.4.1996; bisher wurde erst in einem Verfahren die Rechtmäßigkeit von Handelsbeschränkungen zum Schutze der Umwelt bzw. Gesundheit anerkannt, European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products (EC-Asbestos), WT/DS135/AB/R, 12.3.2001, ILM 40 (2001), S. 1193 ff. Auch die dem Verfahren zu Grunde liegende Entscheidung des Panels, EC – Asbestos, WT/DS135/R, 18.12.2000, hatte die Rechtmäßigkeit der Handelsbeschränkung gem. Art. XX GATT anerkannt.

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Auf der anderen Seite sehen die ehemaligen Länder des Ostblocks und der sog. „Dritten Welt“ die Möglichkeiten, die ihnen der freie Welthandel für ihre wirtschaftliche Entwicklung bietet, durch die Einbeziehung des Umweltschutzes in die WTO-Rechtsordnung gefährdet. Besonders umstritten ist dabei die Zulässigkeit unilateraler Handelsbeschränkungen zum Schutze extraterritorialer Umweltgüter.226 Dabei handelt es sich um einseitige Maßnahmen, die nicht auf der Umweltschädlichkeit des Produkts, sondern auf der Umweltschädlichkeit der Produktion basieren, sog. produktionsbezogene Maßnahmen.227 Aus Sicht der Entwicklungsländer führen einseitige und darüber hinaus noch produktionsbezogene Handelsbeschränkungen aus Umweltschutzgründen zu einer neuen Form des Protektionismus, da so den Industriestaaten aufgrund ihres technologischen Vorsprungs erlaubt werde, mit Hilfe des Umweltschutzes ihre Märkte gegenüber den günstigeren Produkten aus Entwicklungs- und „Schwellenländern“ abzuschotten, die nicht den westlichen Umweltstandards entsprechen.228 Die bis225

Guruswamy, Minn. J. Gl. T. 7 (1998), S. 287 (311 ff.). Dass produktionsbezogene Handelsbeschränkungen zum Schutz der Umwelt grundsätzlich ein höheres Gefahrenpotential bezüglich protektionistischen Missbrauchs darstellen als produktbezogene Maßnahmen, scheint auch ohne weitere Untersuchungen sowohl in der völkerrechtlichen Literatur als auch in den einschlägigen Entscheidungen der WTO-Streitbeilegungsorgane anerkannt zu sein. Für eine kritische Hinterfragung dieser Annahme vgl. Howse/Regan, EJIL 11 (2000), S. 249 (279 ff.). 227 Diese Problematik wird häufig unter dem Aspekt der extraterritorialen Rechtssetzung diskutiert, vgl. Altmöller, Handel und Umwelt im Recht der WTO, S. 85. Allerdings ist dies irreführend. Extraterritorial wäre eine Maßnahme nur dann, wenn sie direkte Vorschriften bezüglich des ausländischen Produktionsprozesses enthalten würde. Eine solche Wirkung kommt einer produktionsbezogenen handelsbeschränkenden Maßnahme aber nicht zu, da sie lediglich den Handel beeinträchtigt, aber nicht die Art und Weise der Herstellung verbietet. Gegenstand der Maßnahme bleibt mithin das Produkt selbst und nicht der Produktionsprozess. Allerdings können solche Handelsbeschränkungen indirekt Auswirkungen auf den Produktionsprozess haben, da Staaten sich gezwungen sehen könnten, Umweltstandards anderer Staaten einzuhalten, um den Export ihrer Waren zu sichern. Eine solche indirekte Auswirkung auf den Produktionsprozess ist aber nicht mit einer extraterritorialen Wirkung produktionsbezogener Maßnahmen gleichzusetzen; vgl. auch Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 114, Fn. 611. 228 Auseinandersetzungen über verschleierte Handelsbeschränkungen aufgrund von Maßnahmen zum Schutze der Umwelt, die ausländische Produkte stärker betreffen als einheimische, treten aber nicht nur zwischen Ländern der Dritten Welt und Industriestaaten auf, sondern auch zwischen letzteren; für Beispiele vgl. Barceló, Cornell ILJ 27 (1994), S. 755 (756 f.). Zu den Auswirkungen, die die Einführung von Umweltstandards auf den internationalen Handel insbesondere für Entwicklungs- und „Schwellenländer“ haben können, vgl. Pfahl, Handel und Umweltschutz, S. 68 ff., die exemplarisch auf die Konsequenzen verweist, die mit der Einführung des Dualen Systems in Deutschland verbunden waren. Diese Bedenken sind grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Denn entgegen aller Bekenntnisse bezüglich 226

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

herige Formen des Protektionismus würden durch einen sog. „Ökoprotektionismus“ abgelöst und durch einen „Ökoimperialismus“ ergänzt.229 Damit wird die Befürchtung dieser Staaten zum Ausdruck gebracht, dass sie sich, insbesondere für den Fall, dass einseitige produktionsbezogene Handelsbeschränkungen grundsätzlich zugelassen werden, dem faktischen Zwang ausgesetzt sehen, westliche Umweltstandards zu übernehmen, wollen sie den Zugang ihrer Produkte zu den dortigen Märkten gewährleisten. 1. Umweltschutz im Rahmen der WTO a) Committee on Trade and Environment Bereits vor der Errichtung der WTO hat sich das GATT mit dem Problem der materiellrechtlichen Vereinbarkeit von Umweltvölkerrecht und Welthandelsrecht beschäftigt. So wurde für die UN Conference on Human Environment 1972 eine erste Studie über das Spannungsverhältnis von Umweltschutz und freiem Welthandel erstellt und zum selben Zeitpunkt vom GATT-Rat eine spezielle Arbeitsgruppe zum Thema Umweltschutz und Welthandel eingerichtet – Group on Environmental Measures and International Trade (EMIT), die aber nur auf Antrag und das 1991 zum ersten Mal zusammentrat.230 Gegenstand der Beratungen war zum einen das Verhältnis der WTO-Rechtsordnung zu multilateralen Umweltübereinkommen, deren Regelungen unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf den internationalen Handel haben, Transparenzprobleme, die sich aus nationalen Umweltschutzmaßnahmen ergeben, sowie die Konsequenzen von Beschriftungsund Verpackungsvorschriften auf die Freiheit des Handels.231 Obwohl der Zusammenhang von Umweltschutz und Handel damit auch im Rahmen des GATT nicht mehr zu leugnen war, konnten sich die Staaten während der der Liberalisierung des Welthandels sind die Industriestaaten äußerst zurückhaltend, wenn es um die Öffnung heimischer Märkte gegenüber Waren aus den Entwicklungsländern geht. Eine der größten Herausforderungen für die WTO wird von daher die Entwicklung von Kriterien sein, anhand derer ein Ausgleich der jeweils berechtigten Interessen gefunden werden kann. 229 Vgl. dazu Altmöller, Handel und Umwelt im Recht der WTO, S. 363 f.; Pfahl, Internationaler Handel und Umweltschutz, S. 68 ff.; Biermann, AVR 38 (2000), S. 455 (457). 230 Tietje, EuR 35 (2000), S. 285 (286). 231 Ziel war lediglich die Bereitstellung eines Diskussionsforums, das Gelegenheit zum Meinungsaustausch bieten sollte. Dementsprechend wurden auch keine Reformvorschläge ausgearbeitet, was angesichts der im Abschlussbericht von EMIT zu Tage getretenen Position auch nicht zu erwarten war: Die Arbeitsgruppe verwies auf die strikte Trennung von Umweltschutz und Welthandel und erklärte, dass die momentanen Regelungen des GATT ausreichend seien; siehe dazu Pfahl, Handel und Umweltschutz, S. 156 f.

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multilateralen Verhandlungsrunden, die zur Errichtung der WTO führten, nicht auf eine einheitliche Position in Bezug auf den Stellenwert des Umweltschutzes in der WTO-Rechtsordnung einigen. Allerdings wurde am Ende der Uruguay-Runde durch die Ministerial Decision on Trade and Development ein der EMIT-Arbeitsgruppe entsprechendes Committee on Trade and Environment (CTE) errichtet. Ziel des CTE ist die Ausarbeitung von Empfehlungen, inwieweit Modifikationen von WTO-Vorschriften notwendig sind, um die Themen Umweltschutz und Freihandel miteinander in Einklang zu bringen. Allerdings müssen sich diese Änderungsvorschläge an den Grundprinzipien der WTO-Rechtsordnung orientieren.232 Entsprechend dieser Zielvorgabe beinhaltet das Arbeitsprogramm des CTE im Wesentlichen auch die Punkte, die bereits Gegenstand der Diskussion der EMIT-Arbeitsgruppe waren. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt ebenfalls auf dem Verhältnis von Handelsbeschränkungen multilateraler Umweltübereinkommen zum multilateralen Handelssystem. Darüber hinaus sollen aber auch die Auswirkungen der Umweltpolitik auf den Marktzugang in Bezug auf ärmere Länder untersucht werden. Dementsprechend wird im Rahmen des CTE nicht nur die Verbindung von Freihandel und Umweltschutz untersucht, sondern diese Themen werden in einen größeren Kontext gestellt, der auch den Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung umfasst, so dass auch die Interdependenzen zwischen Entwicklungspolitik und Umweltschutz mit in die Untersuchung einbezogen werden.233 Allerdings konnte das CTE seiner Aufgabe, Empfehlungen für mögliche Änderungen der WTO-Übereinkommen auszuarbeiten, bisher noch nicht nachkommen.234 Denn auch wenn es eines der aktivsten Komitees der WTO ist, so muss es sich mit den oben skizzierten konträren Positionen bezüglich des Verhältnisses von Umweltschutz und Freihandel auseinandersetzen, da die Positionen der Mitgliedstaaten im CTE von ihren jeweiligen wirtschaftlichen Grundverständnissen geprägt sind. Dies offenbart sich u. a. in der Auseinandersetzung über die Grundbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung. So bestritt die EG im CTE die Position des WTO-Sekre232 Grundsätzlich zum CTE und den einzelnen Punkten des Arbeitsprogramms siehe Petersmann, Trade and the Protection of the Environment, in: Wolfrum (ed.), Enforcing Environmental Standards, S. 165 (171 ff.); Shaw/Schwartz, JWT 36 (2002), S. 129 (130 ff.). 233 Pfahl, Handel und Umweltschutz, S. 156. 234 So enthielt der erste Bericht des CTE zur Ministerkonferenz 1996 in Singapur nur sehr wenige konkrete Vorschläge, die sich darüber hinaus nicht auf eine Änderung der Vertragstexte bezogen. Die daraus resultierende Enttäuschung führte gerade bei NGOs dazu, dass sie die Einstellung der Arbeiten des CTE forderten; vgl. Tarasofsky, Max Planck UNYB 3 (1999), S. 471 (473), der auch die Gründe für das bisherige Scheitern beschreibt, S. 484 ff.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

tariats, dass ein liberalisierter Welthandel alleinige Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung sei.235 b) Umweltrelevante Normen in Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung Auch wenn nicht alle Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung explizite Regelungen über die grundsätzliche Zulässigkeit von Handelsbeschränkungen zum Schutze der Umwelt bzw. Gesundheit enthalten, so existieren dennoch zahlreiche Normen, welche zumindest mittelbar für den Schutz der Umwelt von Bedeutung sind.236 Bereits in der Präambel des WTO-Übereinkommens bringen die Staaten ihre Erkenntnis zum Ausdruck, dass eine Erhöhung des Lebensstandards, der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleistungen nur dann möglich ist, wenn dies in den Kontext der nachhaltigen Entwicklung und des Schutzes und der Erhaltung der Umwelt gestellt wird. Auch wenn die Präambel prinzipiell keine konkreten Rechtspflichten enthält, so ist sie dennoch als Absichtserklärung für die Auslegung der einzelnen Übereinkommen relevant.237 aa) GATT Auch wenn der erst auf Rechtfertigungsebene einschlägige Art. XX GATT die zentrale Vorschrift in der Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit umweltpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen ist, so wird parallel dazu die Berücksichtigung des Umweltschutzes auf Tatbestandsebene im Rahmen des Grundsatzes der Inländergleichbehandlung gem. Art. III GATT diskutiert. Eine Handelsbeschränkung zum Schutze der Umwelt wäre dann nicht mehr prinzipiell GATT-widrig und könnte nur bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. XX GATT gerechtfertigt werden, sondern es würde zumindest in den Fällen, in denen auf Tatbestandsebene lediglich Art. III GATT einschlägig ist, von vornherein nicht zu einem Verstoß gegen die GATT-Vorschriften kommen. Dies hätte aus umweltrecht235

WT/CTE/W/83, para. 6. Für eine umfassende Darstellung der umweltrelevanten Normen im WTO Kontext vgl. statt vieler Neumann, Koordination, S. 119 ff. 237 Speziell für das WTO-Recht hat der Appellate Body in seiner Entscheidung U.S. – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 153, die Bedeutung der Präambel und den darin erwähnten Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung für die Auslegung der einzelnen Vorschriften der WTO-Übereinkommen, insbesondere Art. XX GATT, betont. Die Auslegungsrelevanz der Präambel ergibt sich auch aus ihrer ausdrücklichen Erwähnung in Art. 31 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVRK), 23.5.1969, UNTS 1155, S. 331 ff. 236

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licher Sicht den Vorteil, dass die jeweilige Maßnahme nicht die im Verhältnis zu Art. III GATT strengeren Rechtfertigungsvoraussetzungen des Art. XX GATT erfüllen müsste. (1) Art. XX GATT Gem. Art. XX lit. b) GATT sind GATT-widrige Maßnahmen gerechtfertigt, wenn sie zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen erforderlich sind.238 Diese Rechtfertigungsmöglichkeit wird durch lit. g) dahingehend erweitert, dass auch Maßnahmen zur Erhaltung erschöpflicher Naturschätze von der Rechtfertigung erfasst werden, sofern sie im Zusammenhang mit Beschränkungen der inländischen Produktion oder eines inländischen Verbrauchs angewendet werden. Auch wenn Art. XX GATT den Begriff des Umweltschutzes nicht ausdrücklich erwähnt, so wird dennoch deutlich, dass die Vorschrift eine umfassende Akzeptanz des Umweltschutzes als legitimes Schutzziel beinhaltet. Denn umweltpolitisch motivierte Handelsbeschränkungen dienen zumindest mittelbar dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie der Erhaltung erschöpflicher Naturschätze.239 Dieses Verständnis des Art. XX lit. b) und g) GATT wird durch die weite Interpretation des Begriffs erschöpfliche Naturschätze verstärkt. In der Entscheidung U.S. – Shrimp hat der Appellate Body die von Malaysia vorgebrachte Differenzierung zwischen living species and non-living natural resources für die Auslegung des Begriffes erschöpfliche Naturschätze im Sinne des Art. XX lit. g) GATT zurückgewiesen und ausgeführt, dass nach heutigem Verständnis und Vertragspraxis auch living species davon erfasst werden, auch wenn dies nicht zwangsläufig dem historischen Willen der Vertragsstaaten entspricht.240 Auch wenn damit die Einführung oder Beibehaltung umweltpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen nach dem GATT grundsätzlich gerechtfertigt werden kann, so hat sich im Laufe der WTO-Rechtsprechung ein zweistufiges Prüfungsschema herauskristallisiert, das die Zulässigkeit handelsbeschränkend wirkender Maßnahmen vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen abhängig macht. So müssen nicht nur die Merkmale der einzelnen 238 Zum Begriff der Erforderlichkeit in Art. XX lit. b) GATT siehe Marceau/ Trachtman, JWT 36 (2002), S. 811 (826 f.). 239 Epiney, DVBl 2000, S. 77 (81). 240 US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 128 f., ILM 34 (1999), S. 118 (154 f.); dazu Ahn, Michigan J.I.L. 20 (1999), S. 819 (829 f.). Die Rechtsprechung basiert auf dem Panel Report, US – Gasoline, WT/DS2//R, 20.5.1996, para. 6.35 f., in dem auch saubere Luft, welche durch rückstandsfreien Treibstoff geschützt werden sollte, als von Art. XX lit. g) GATT erfasst angesehen wurde.

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Ausnahmetatbestände – die sog. positiven Tatbestandsvoraussetzungen – des Art. XX lit. b) und g) GATT erfüllt sein, sondern auch die negativen Tatbestandsvoraussetzungen des Einleitungssatzes des Art. XX GATT. Eine an sich gerechtfertigte Handelsbeschränkung darf also nicht so angewendet werden, dass sie zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führt.241 In Bezug auf die einzelnen Ausnahmetatbestände haben sich in der Rechtsprechung unterschiedliche Prüfungsstandards herausgebildet. Im Rahmen des Art. XX lit. b) GATT wird die Rechtfertigung einer handelsbeschränkenden Maßnahme anhand einer 2-stufigen Prüfung vorgenommen. Zunächst wird überprüft, ob es sich überhaupt um eine Maßnahme zum Schutz der aufgeführten Rechtsgüter handelt.242 Im Anschluss daran wird die Maßnahme dann einer Erforderlichkeitsprüfung unterzogen. Der die Handelsbeschränkung einführende Staat muss mithin darlegen, dass keine alternativen, mit den Bestimmungen des GATT konformen Maßnahmen oder aber zumindest weniger handelsbeschränkend wirkende Maßnahmen möglich waren, die die Umweltschutz- und Gesundheitsschutzziele des Staates ebenso erreicht hätten.243 241 Die negativen Tatbestandsvoraussetzungen des Einleitungssatzes von Art. XX GATT sind vom Appellate Body zum ersten Mal in seiner Entscheidung US – Gasoline, WT/DS2/AB/R, IV, als zusätzliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzung herangezogen worden. Aus umweltrechtlicher Perspektive ist dies dahingehend kritisiert worden, dass die Zulässigkeit handelsbeschränkender Maßnahmen zum Schutze der Umwelt nun von noch einer weiteren Voraussetzung abhängig ist und somit den Anwendungsbereich des Art. XX GATT erheblich einschränkt; vgl. dazu die Ausführungen des Diskussionspapiers eines im Rahmen von UNCTAD durchgeführten Workshops, The Compatibility of recent MEAs with the WTO Rules, S. 8, abrufbar unter www.unctad.org/trade_env/docs/MEAS-WTO.pdf. 242 Nach Pfahl, Handel und Umweltschutz, S. 153, handelt es sich bei diesem Kriterium lediglich um eine Formalie. 243 Diese Voraussetzungen wurden das erste Mal im Panel Report, Thailand – Restrictions on Importation of and Internal Taxes on Cigarettes, DS/10/R, BISD 39, para. 75, aufgestellt und von der bisherigen Rechtsprechung nicht weiter konkretisiert. Für eine Kritik an der Rechtsprechung zum Kriterium der Notwendigkeit siehe Schoenbaum, AJIL 91 (1997), S. 268 (276 f.), nach dessen Ansicht die von den WTO-Paneln und dem Appellate Body vorgenommene Auslegung des Notwendigkeitskriteriums im Sinne eines least trade restrictive Tests nicht mit der grammatikalischen Auslegung des Art. XX lit. b) GATT vereinbar ist. Darüber hinaus stelle die Auslegung eine de facto Vertragserweiterung des GATT dar und schränke außerdem die Souveränität der Staaten in einem ungerechtfertigten Ausmaße ein. Die strikte Anwendung des Erforderlichkeitskriteriums ist im Übrigen die Ursache dafür, dass die Rechtfertigung der meisten Handelsbeschränkungen aus umwelt- oder gesundheitspolitischen Gründen von den WTO-Streitbeilegungsorganen abgelehnt wurde; siehe Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 61 f.

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Entsprechend dem unterschiedlichen Wortlaut verzichten die Panel und der Appellate Body im Rahmen der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes von Art. XX lit. g) GATT auf das Kriterium der Erforderlichkeit. Sie überprüfen lediglich anhand des sog. primarily aimed tests, inwieweit die Maßnahmen tatsächlich im Zusammenhang mit dem Schutz bzw. der Erhaltung erschöpflicher Naturschätze stehen. Eine Interpretation dieses Tests dahingehend, dass eine Maßnahme nur dann in erster Linie auf den Erhalt erschöpflicher Naturressourcen gerichtet ist, wenn sie auch tatsächlich erforderlich bzw. notwendig ist, haben die Streitbeilegungsorgane bisher abgelehnt.244 Allerdings lässt sich der Rechtsprechung entnehmen, dass sie das Kriterium der Geeignetheit im Rahmen des primarily aimed tests heranzieht: Sind die Streitbeilegungsorgane der Ansicht, dass eine Maßnahme das Schutzziel noch nicht einmal fördert, so schließen sie daraus, dass die Maßnahme auch nicht in erster Linie auf die Erhaltung erschöpflicher Naturschätze gerichtet ist.245 Wenn die Voraussetzungen des primarily aimed tests erfüllt sind, müssen die Maßnahmen darüber hinaus im Zusammenhang mit Beschränkungen der inländischen Produktion oder des inländischen Verbrauchs angewendet werden. (2) Art. III GATT Zwar hat sich der Schwerpunkt der Diskussion über eine angemessene Berücksichtigung des Umweltschutzes bisher auf die Auslegung und Reichweite des Art. XX GATT und damit auf die Rechtfertigungsebene konzentriert. Allerdings stellt sich das Problem im selben Maße auf der Tatbestandsebene, insbesondere im Zusammenhang mit der Auslegung des Art. III GATT. Diese Vorschrift verbietet den WTO-Mitgliedstaaten eine Schlechterstellung von ausländischen gegenüber inländischen Waren durch staatliche Maßnahmen, nachdem die Waren die Grenze überschritten haben und Teil des inländischen Warenverkehrs geworden sind.246 Das Gebot der Inländergleichbehandlung kann aber nicht nur durch inländische Abgaben beeinträchtigt werden, welche ausländische Produkte stärker als inländische belasten, sondern auch durch Vorschriften über die Behandlung von Waren im Inland. Dementsprechend werden beide Möglichkeiten durch Art. III GATT verboten, um so eine effektive Ausgestaltung des Grundsatzes sicherzustellen: Während Art. III Abs. 2 GATT den Mitgliedstaaten verbietet, 244

Appellate Body Report, US – Gasoline, WT/DS2/AB/R, III. B. Dies Schlussfolgerung ergibt sich aus den Ausführungen im Panel Report, Canada – Measures Affecting Exports of Unprocessed Herring and Salmon, 22.3. 1988, BISD 35S/98, para. 4.6 f.; siehe auch Tietje, Nichttarrifäre Handelshemmnisse, S. 317 f.; Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 137 f. 246 Jackson, World Trading System, S. 157 f. 245

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auf ausländische Waren höhere Abgaben zu erheben als auf inländische, untersagt Abs. 4 den Erlass von Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Vorschriften, welche ausländische Waren im Hinblick auf den Verkauf, das Angebot, den Einkauf, die Beförderung, die Verteilung oder Verwendung weniger günstig behandeln als inländische und damit die Wettbewerbsbedingungen zwischen inländischen und ausländischen Waren negativ beeinflussen.247 Allerdings bestehen zwischen den Abs. 2 und 4 textliche Unterschiede, die nach der Rechtsprechung des Appellate Body in EC – Asbestos auch für die Auslegung der jeweilige Absätze relevant sind.248 Im Zusammenhang mit dem Verbot, auf ausländische Waren höhere Abgaben zu erheben als auf inländische, differenziert Art. III Abs. 2 GATT zwischen zwei verschiedenen Produktklassifikationen: gleichartige und nicht gleichartige, aber substituierbare Produkte. Während die Gleichartigkeit der Produkte anhand der Kriterien der physischen Eigenschaften des Produkts, dessen vorgesehener Verwendung, Verbraucherpräferenzen und Zollklassifikationen bestimmt wird,249 ist für die Substituierbarkeit im Sinne des Abs. 2 S. 2 das Bestehen einer direkten Wettbewerbssituation erforderlich, die anhand konkreter Marktanalysen im Hinblick auf einen gemeinsamen Verbrauchszweck zu bestimmen ist. Die Differenzierung zwischen gleichartigen und substituierbaren Produkten in Art. III Abs. 2 GATT ist insbesondere hinsichtlich des anzuwendenden Prüfungsmaßstabs von Bedeutung. Denn während ein Verstoß gegen Art. III Abs. 2 S. 1 GATT bereits bei einer höheren finanziellen Belastung gleichartiger Produkte angenommen wird, so liegt ein Verstoß gegen S. 2 nur dann vor, wenn die nicht gleichartigen, aber substituierbaren Produkte zum einen finanziell höher belastet werden und zum anderen diese Belastung protektionistisch angewendet wird. Im Gegensatz zu der in Abs. 2 enthaltenen Differenzierung zwischen gleichartigen und nicht gleichartigen aber substituierbaren Produkten, verzichtet Abs. 4 auf diese Unterscheidung und enthält lediglich den Begriff der Gleichartigkeit der Produkte.250 In EC – Asbestos sah sich der Appel247

Siehe dazu Senti, WTO, Rn. 441. Appellate Body Report, EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 94 ff. 249 Diese Kriterien sind allerdings nach allgemeiner Ansicht nicht abschließend; vgl. Appellate Body Report, Japan – Taxes on Alcoholic Beverages (Japan – Alcoholic Beverages), WT/DS8/AB/R, WT/DS10/AB/R, WT/DS11/AB/R, 4.10.1996, H. 1. (a). Sie haben ihren Ursprung in den Empfehlungen einer GATT-Arbeitsgruppe über Warenbesteuerungen an den Grenzen von 1970, die davon ausgeht, dass die Produktgleichheit von Fall zu Fall anhand der Indizien Verwendung des Endprodukts, unterschiedliche Konsumgewohnheiten und Eigenschaften und Qualität der Produkte zu klären sei; vgl. GATT BISD 18 (1987), S. 101 f. 250 Zum Begriff der like products in Art. III Abs. 4 GATT vgl. Regan, JWT 36 (2002), S. 443 ff.; Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002), S. 811 (817 ff.). 248

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late Body das erste Mal gezwungen den Begriff der Gleichartigkeit in Abs. 4 näher zu bestimmen. Dabei bezog er sich zwar auch auf die oben genannten Kriterien der Produktverwendung und -qualität, das Konsumverhalten sowie die Zollklassifikationen, die für die Bestimmung der Gleichartigkeit in Abs. 2 relevant sind. Allerdings erweiterte er diese Definition dahingehend, dass entscheidendes Kriterium für die Bestimmung der Gleichartigkeit in Abs. 4 das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses sei, d.h. Gleichartigkeit ist in aller Regel dann zu bejahen, wenn die Waren austauschbar sind, weil die Konsumenten das ausländische Produkt in gleichem Maße verwenden können wie das inländische.251 Als Konsequenz unterscheiden sich die Kriterien zur Bestimmung der Gleichartigkeit der Produkte dahingehend voneinander, dass Gleichartigkeit im Sinne des Abs. 4 auch dann vorliegt, wenn es sich eigentlich um nicht gleichartige, aber substituierbare Produkte im Sinne des Abs. 2 S. 2 handelt. Als Begründung führt der Appellate Body an, dass den Vertragsstaaten ansonsten die Möglichkeit eröffnet würde, substituierbare Produkte im Sinne des Art. III Abs. 2 S. 2 GATT durch finanzielle Nachteile nach Abs. 4 schlechter zu stellen. Da aber Sinn und Zweck des Art. III Abs. 1 GATT, der zwar keine eigene Rechtspflicht, wohl aber auslegungsrelevante Kriterien für die nachfolgenden Bestimmungen des Art. III GATT enthält, die Vermeidung wettbewerbsrelevanter Benachteiligungen ist, müssen auch substituierbare Produkte von Art. III Abs. 4 GATT erfasst sein.252 Unabhängig von diesen Differenzierungen bezüglich des unterschiedlichen Inhalts der Gleichartigkeit in Art. III GATT ist das Verständnis des Begriffs für den Stellenwert des Umweltschutzes in der WTO von entscheidender Bedeutung.253 Wie schon bei der Untersuchung der Rechtfertigungsmöglichkeiten von umweltpolitisch motivierten Handelsbeschränkungen im Rahmen des Art. XX GATT, so ist auch bei Art. III GATT zwischen Handelsbeschränkungen, welche an die Umwelt- bzw. Gesundheitsgefährdung des Produkts anknüpfen, und solchen, die sich auf die Umweltschädlichkeit der Produktion beziehen, zu differenzieren. Während Umweltgefährdungen, die sich aus der physischen Beschaffenheit des Produktes selbst ergeben, Eingang in die Bestimmung der Gleichartigkeit eines Produktes gefunden haben, so ist dies für die produktionsbezogenen Handelsbeschränkungen äußerst umstritten, da diese Handelsmaßnahmen nach weit verbreiteter Ansicht in sehr viel höherem Maße zu protektionistischen Zwecken miss251

Appellate Body Report, EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 88 ff. Appellate Body Report, EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 88 ff. 253 Cottier, WTO and Environmental Law, in: Fijalkowski/Cameron (eds.), Trade and the Environment, S. 56 (59): „The interpretation of like products in Art. III GATT amounts to what perhaps is the most important key issue defining the scope of environmental policies within the present system.“ 252

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braucht werden können. Dementsprechend ist nach klassischem Verständnis die Gleichartigkeit der Produkte auch dann zu bejahen, wenn z. B. gravierende Unterschiede in den angewandten Herstellungsprozessen in Bezug auf deren Umweltverträglichkeit bestehen,254 obwohl in der völkerrechtlichen Literatur verstärkt die Forderung nach einer Einbeziehung der Umweltverträglichkeit der Herstellungsverfahren bei der Bestimmung der Gleichartigkeit erhoben wird.255 Die Rechtsprechung der WTO-Streitbeilegungsorgane hat diese Forderung bisher abgelehnt. Allerdings bleibt abzuwarten, inwieweit die Entscheidung des Appellate Body in U.S. – Shrimp, in der das berechtigte Interesse eines Staates am Schutze von extraterritorialen Umweltschutzgütern, die nicht ausschließlich seiner eigenen Jurisdiktion unterliegen, unter einschränkenden Voraussetzungen anerkannt wurde, Auswirkungen auf die Reichweite des Art. III GATT haben wird.256 Die grundsätzliche Möglichkeit für eine Einbeziehung von Umwelt- und Gesundheitsschutzaspekten bei der Bestimmung der Gleichartigkeit wurde im Verfahren EC – Asbestos geschaffen, in dem der Appellate Body zum einen betonte, dass die Kriterien zur Bestimmung der Gleichartigkeit nicht abschließend seien, und zum anderen, dass auch Gesundheitsrisiken, sofern sie Einfluss auf das Konsumverhalten haben, die ansonsten physisch bestehende Gleichartigkeit zweier Produkte entfallen lassen kann.257 Verknüpft man die Aussagen der beiden Entscheidungen so könnten in Zukunft produktionsbezogene Handelsbeschränkungen in Form von Kennzeichnungspflichten o. Ä. zumindest dann mit Art. III GATT vereinbar sein, wenn die verglichenen Produkte wegen ihres umwelt- oder gesundheitsschädlichen Herstellungsverfahrens vom Konsumenten nicht mehr als gleichartig angesehen werden und der die Handelsbeschränkung einführende Staat ein legitimes Interesse am Schutz der extraterritorialen Güter hat. bb) TBT-Übereinkommen Regelungsgegenstand des TBT-Übereinkommens, das infolge der Senkung bzw. Beseitigung von Zöllen für den internationalen Handel in Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle spielen wird, ist die Zulässigkeit nationaler technischer Vorschriften und technischer Normen258 in Bezug auf 254

Neumann, Koordination, S. 123. Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 100. 256 Zur Rechtfertigungsmöglichkeit sich extraterritorial auswirkender, einseitiger Handelsbeschränkungen nach Art. XX GATT und zur Entscheidung US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, siehe unten 2. Teil B. I. 1. 257 Appellate Body Report, EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 114. 258 Zur Begriffsbestimmung und Differenzierung zwischen technischen Vorschriften und Normen siehe Anhang 1 Nr. 1 und 2 des TBT-Übereinkommens. 255

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Waren. Das TBT-Übereinkommen enthält in Art. 2 Abs. 1 nicht nur ein dem Art. III GATT im Wesentlichen vergleichbares Diskriminierungsverbot, sondern diese Vorschrift ist als ein Beschränkungsverbot zu verstehen, da es unverhältnismäßige Beschränkungen untersagt, die sich aus dem Erlass technischer Vorschriften und Normen ergeben, und internationale Standards als Richtwerte für nationale Vorschriften vorsieht.259 So verbietet Art. 2 Abs. 2 TBT-Übereinkommen den WTO-Mitgliedstaaten, technische Vorschriften mit der Absicht oder der Wirkung auszuarbeiten, die den Handel stärker beeinträchtigen als es zur Erreichung der legitimen Schutzziele notwendig ist. Zusätzlich zur Geeignetheit muss die Maßnahme daher erforderlich sein, wobei in dem Zusammenhang auch die Gefahren berücksichtigt werden müssen, welche bei der Nichterreichung des mit der Maßnahme verfolgten Zieles eintreten würden. Zu diesen legitimen Zielen gehören neben der nationalen Sicherheit und der Verhinderung irreführender Praktiken auch der Schutz der Gesundheit und Sicherheit des Menschen sowie der Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Tieren, Pflanzen und der Umwelt. Um eine Harmonisierung der technischen Vorschriften zu forcieren, besteht eine grundsätzliche, wenn auch widerlegbare Vermutung für die Erforderlichkeit von nationalen technischen Vorschriften und Normen, wenn sie mit internationalen Standards übereinstimmen (Art. 2 Abs. 5 TBT-Übereinkommen). Da die Festlegung eines angemessenen Schutzniveaus aber grundsätzlich Sache der WTO-Mitgliedstaaten ist, dürfen auch strengere Bestimmungen erlassen werden, falls die internationalen Standards zu Erreichung des angestrebten legitimen Zieles unwirksam oder ungeeignet sind (Art. 2 Abs. 4 TBT-Übereinkommen). cc) SPS-Übereinkommen Das SPS-Übereinkommen, welches die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für den Erlass nationaler gesundheitspolizeilicher (sanitärer) und pflanzenschutzrechtlicher (phytosanitärer) Maßnahmen enthält, ist, wie auch das TBT-Übereinkommen, parallel neben dem GATT anwendbar, wobei für SPS-konforme Maßnahmen gem. Art. 2 Abs. 4 SPS-Übereinkommen eine grundsätzliche Vereinbarkeitsvermutung im Hinblick auf das GATT, insbesondere Art. XX lit. b) GATT besteht. Seiner Zielsetzung nach soll das Übereinkommen einen Ausgleich zwischen dem freien Handel mit gesundheitsrelevanten Waren einerseits und einem adäquaten, durch die Mitgliedstaaten selbst bestimmten Gesundheitsschutz andererseits schaffen. Dementsprechend liegt die Festlegung des angemessenen Gesundheitsschutzniveaus 259

Neumann, Koordination, S. 145.

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gem. Art. 5 Abs. 4 SPS-Übereinkommen prinzipiell in der Kompetenz der WTO-Mitglieder, auch wenn sich die nationalen Vorschriften an internationalen Standards orientieren sollen (Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 SPS-Übereinkommen). Grundlegende Vorschrift ist das in Art. 2 Abs. 3 SPS-Übereinkommen enthaltene Diskriminierungsverbot. Gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen dürfen mithin nicht so angewendet werden, dass sie zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung des internationalen Handels führen. Dieser Grundsatz ist gem. Art. 5 Abs. 5 SPS-Übereinkommen auch auf die Festlegung des angemessenen Schutzniveaus anwendbar. Ein Mitgliedstaat darf deshalb in vergleichbaren Situationen keine Unterschiede in dem jeweils zu Grunde gelegten Schutzniveau machen. Darüber hinaus dürfen die Maßnahmen gem. Art. 2 Abs. 2 SPSÜbereinkommen den Handel nicht mehr als notwendig beschränken.260 Um eine möglichst weitgehende Harmonisierung im Bereich der sanitären und phytosanitären Maßnahmen zu erreichen, sollen die Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen auf internationale Normen, Richtlinien und Empfehlungen stützen (Art. 3 Abs. 1 SPS-Übereinkommen).261 Entsprechen sie diesen internationalen Standards, so gilt für sie gem. Art. 3 Abs. 2 SPSÜbereinkommen die Vermutung, notwendig im Sinne des Art. 2 Abs. 1 zu sein. Allerdings hindert dies die Mitgliedstaaten gem. Art. 3 Abs. 3 SPSÜbereinkommen nicht, Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, die ein höheres Schutzniveau bewirken als die entsprechenden internationalen Normen, Richtlinien und Empfehlungen. Dieses Recht steht aber unter der einschränkenden Voraussetzung, dass die Maßnahmen auf einer Risikobeurteilung beruhen, die den in Art. 5 Abs. 2 SPS-Übereinkommen aufgestellten Voraussetzungen genügt.262 Entsprechend diesen Voraussetzungen müssen 260 Zum Erforderlichkeitskriterium im SPS-Übereinkommen siehe Marceau/ Trachtman, JWT 36 (2002), S. 811 (834 f.). 261 Bei den internationalen Standards handelt es sich um Normen, Richtlinien oder Empfehlungen der Kommission des Codex Alimentarius sowie weiterer, in Anhang A Nr. 3 lit. b) bis c) SPS-Übereinkommen aufgeführter Stellen. Allerdings ist die Legitimation dieser Standards nicht unumstritten, da sich die Kommission des Codex Alimentarius einerseits zu 50% aus Vertretern der Industrie zusammensetzt, die Entwicklungsländer andererseits kaum vertreten sind; vgl. Quintillán, JWT 33/6 (1999), S. 147 (188 f.); Lang/Hines; New Protectionism, S. 101. 262 Dass Maßnahmen zur Einführung oder Aufrechterhaltung eines höheren Schutzniveaus als in den internationalen Standards vorgesehen tatsächlich die Voraussetzungen der Risikobewertung nach Art. 5 SPS-Übereinkommen erfüllen müssen, geht aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig hervor. Denn Art. 3 SPSÜbereinkommen bestimmt, dass solche Maßnahmen zulässig sind, wenn für sie eine wissenschaftliche Begründung vorliegt oder aber das höhere Schutzniveau in Übereinstimmung mit den Voraussetzungen in Art. 5 Abs. 1 bis 8 SPS-Übereinkommen festgelegt wurde. Demnach müsste auch eine wissenschaftliche Begründung zur

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Mitgliedstaaten, die ein höheres Schutzniveau einführen, einen wissenschaftlichen Nachweis für die behaupteten Gesundheitsgefahren bzw. -risiken erbringen. Verbraucherpräferenzen oder auch eine wissenschaftliche Unsicherheit mangels zuverlässiger Daten o. Ä. sind als Rechtfertigung für die Einführung eines höheren Schutzniveaus nicht zulässig. Etwas anderes ergibt sich nur aus Art. 5 Abs. 7 SPS-Übereinkommen, wonach Mitgliedstaaten auch bei nicht ausreichendem wissenschaftlichen Beweismaterial Handelsbeschränkungen einführen dürfen – allerdings nur vorübergehend; d.h. sie unterliegen einer zeitlichen Begrenzung. Kann in diesem Zeitraum der wissenschaftliche Nachweis nicht erbracht werden, so darf die Maßnahme nicht aufrecht erhalten werden. dd) TRIPS Auch im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) sind umweltrelevante Normen enthalten. Von besonderer Relevanz für das Problem eines angemessenen Ausgleichs zwischen Umweltschutz und freiem Welthandel sind die Vorschriften über den Patentschutz (Art. 27 bis 34 TRIPS), der insbesondere im Bereich der Gentechnik Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben kann. Grundsätzlich sind diese Vorschriften im Lichte der in Teil I aufgeführten allgemeinen Bestimmungen des TRIPS zu lesen. Der allgemeine Teil enthält, wie auch die übrigen Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung, Vorschriften, welche die Grundsätze des Meistbegünstigungsprinzips (Art. 3 TRIPS) und der Inländergleichbehandlung in Form eines Diskriminierungsverbots (Art. 4 TRIPS)263 festschreiben. Daneben enthält er auch die in Art. 7 TRIPS aufgeführte Zielsetzung des Übereinkommens. Danach soll das TRIPS der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums dienen, um so zur Förderung der technischen Innovation sowie zur Weitergabe und Verbreitung von Technologien beizutragen. Dies hat aber zum beiderseitigen Vorteil von Erzeuger und Nutzer und in einer dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohl zuträglichen Art und Weise zu geschehen, so dass es zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten kommt. DementRechtfertigung von Schutzmaßnahmen ausreichend sein, die nicht notwendigerweise den Voraussetzungen des Art. 5 SPS-Übereinkommen entspricht. Allerdings hat der Appellate Body in EC – Hormones, WT/DS26/AB/R und WT/DS48/AB/R, para, 175 f. diese von der EG vorgebrachte Auslegung abgelehnt und damit aus dem „oder“ in Art. 3 Abs. 3 SPS-Übereinkommen ein „und“ gemacht, so dass für eine Schutzmaßnahme, die keinen internationalen Standards entspricht, immer eine Risikobeurteilung im Sinne des Art. 5 SPS-Übereinkommen notwendig ist. 263 Vom Meistbegünstigungsprinzip sind nach Art. 4 TRIPS-Übereinkommen Ausnahmen aufgrund des Gegenseitigkeitsprinzips aus der Berner-Übereinkunft und dem Rom-Übereinkommen zulässig.

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sprechend dient das TRIPS nicht nur dem einseitigen Schutz der Nutzungsrechte, sondern will zumindest vom Ansatz her auch die Interessen der Nutzer berücksichtigen. Diese Zielsetzung korrespondiert mit den in Art. 8 TRIPS enthaltenen Grundsätzen des Übereinkommens. Art. 8 TRIPS erlaubt den Mitgliedstaaten zwar die Abänderung oder Einführung nationaler Vorschriften, die für den Schutz der öffentlichen Gesundheit und Ernährung sowie zur Förderung des öffentlichen Interesses in den für ihre sozioökonomische und technische Entwicklung lebenswichtigen Sektoren notwendig sind. Allerdings müssen diese Maßnahmen mit dem TRIPS vereinbar sein (Art. 8 Abs. 1 TRIPS). Dies gilt auch für die Voraussetzungen des Abs. 2, wonach mit dem TRIPS vereinbare Maßnahmen dann als erforderlich anzusehen sind, wenn sie den Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums durch die Rechtsinhaber oder den Rückgriff auf Praktiken, die den Handel unangemessen beeinträchtigen oder den Technologietransfer nachteilig beeinflussen, zu verhindern suchen. Diese Grundsätze spiegeln sich in den relevanten Artikeln des TRIPS über den Patentschutz wider und sind für deren weitere Auslegung von Bedeutung.264 Grundsätzlich müssen alle Mitgliedstaaten gem. Art. 27 Abs. 1 TRIPS die Patentierbarkeit von Erfindungen auf allen Gebieten der Technik sicherstellen, ohne hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebietes der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im eigenen Land hergestellt werden, zu differenzieren. Ausnahmen von dieser Verpflichtung finden sich in den nachfolgenden Bestimmungen des Art. 27 TRIPS: Gem. Abs. 2 kann die Patentierbarkeit einer Erfindung ausgeschlossen werden, wenn dies zum Schutze der öffentlichen Ordnung bzw. der guten Sitten sowie aus Gründen des Lebens- und Gesundheitsschutzes von Menschen, Tieren und Pflanzen oder zur Vermeidung einer ernsten Schädigung der Umwelt notwendig ist.265 Abs. 3 lässt einen Ausschluss der Patentierbarkeit von diagnostischen, chirurgischen und therapeutischen Verfahren für die Behandlung von Menschen und Tieren zu sowie für Pflanzen und Tiere, mit Ausnahme von Mikroorganismen, und Verfahren für die Züchtung von Pflanzen und Tieren mit Ausnahme von nichtbiologischen und mikrobiologischen Verfahren. Allerdings sind die Staaten ver264

Panel Report, Canada – Patent Protection, WT/DS114/R, 17.3.2000, para.

7.26. 265 Art. 27 Abs. 2 TRIPS erwähnt ausdrücklich, dass die Patentierbarkeit einer Erfindung nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden darf, weil sie nach innerstaatlichem Recht verboten ist. Erst wenn die innerstaatliche Regelung die Voraussetzungen des Ab. 2 erfüllt, darf es die Patentierbarkeit ausschließen. Sowohl Japan als auch die EG haben sich auf Art. 27 Abs. 2 TRIPS berufen, um die Patentierbarkeit gentechnischer Erfindungen zu beschränken; siehe Qureshi, ICLQ 49 (2000), S. 835 (852).

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pflichtet, den Schutz von Pflanzensorten durch Patente oder sog. Systeme sui generis sicherzustellen.266 Diese Ausnahmen von der Verpflichtung zur Patentierbarkeit einer Erfindung werden ergänzt durch die Bestimmungen über die Ausnahmen von den in Art. 28 TRIPS enthaltenen Rechten, welche sich aus einem Patent ergeben. Allerdings dürfen diese Ausnahmen gem. Art. 30 TRIPS nicht unangemessen im Widerspruch zur normalen Verwertung des Patents stehen und die berechtigten Interessen des Patentinhabers nicht unangemessen beeinträchtigen, wobei auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen sind. Die Auswirkungen, welche die Rechte und Pflichten des TRIPS auf die biologische Vielfalt haben, sind z. Zt. noch nicht absehbar. Positive Auswirkungen könnte die Möglichkeit haben, traditionelle Formen der nachhaltigen Nutzung in Form von Heil- und Agrarmethoden vor sachwidriger Aneignung zu schützen, indem die Rechte am geistigen Eigentum den Hütern des traditionellen Wissens Lizenzgebühren für die Pflege und die Weitergabe ihres Wissens sichern.267 Damit im Zusammenhang steht der ökonomische Anreiz zur Offenlegung und wirtschaftlichen Nutzung dieser Rechte, was zu einer weltweiten Verbreitung führen und damit auch dem Schutze der biologischen Vielfalt dienen kann. Allerdings sind auch nachteilige Auswirkungen eines weltweiten Schutzes des geistigen Eigentums möglich, da dadurch z. B. die kostenlose Nutzung von tradierten Wirkstoffen und verändertem, gegenüber Schädlingen resistentem Saatgut verhindert sowie der Technologietransfer erschwert werden kann.268

266 Damit wird die Freiheit der Staaten, bestimmte Bereiche vom Patentschutz auszunehmen, entscheidend eingeschränkt, Wolfrum/Stoll, Zugang zu genetischen Ressourcen, S. 16. 267 Im Kontext des TRIPS führt dies insoweit zu Schwierigkeiten, als dass das Übereinkommen lediglich auf den Schutz von technologisch hochentwickelten Produkten ausgelegt ist. Dementsprechend fordert Cottier, JIEL 1 (1998), S. 555 (582), die Ausarbeitung von Vorschriften, die auch traditionelles Wissen, welches für den Erhalt biologischer bzw. genetischer Ressourcen von herausragender Bedeutung sein wird, im Rahmen des TRIPS effektiv zu schützen. Für zahlreiche Beispiele von Bio Piracy – also der Patentierung von traditionell genutzten Wirkstoffen, die der Allgemeinheit bisher zugänglich waren – siehe Spranger, AVR 40 (2002), S. 64 (68 f.). Diese Beispiele verdeutlichen auch, dass die Hüter traditionellen Wissens bisher nicht an den Gewinnen solcher Patente beteiligt werden. 268 UN Doc. UNEP/CBD/COP/3/22, paras. 31–58; siehe auch Neumann, Koordination, S. 156.

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2. Handelsbeschränkungen in multilateralen Umweltübereinkommen Die Interdependenz der Sachbereiche Umweltschutz und Handel zeigt sich aber nicht nur anhand der Tatsache, dass viele Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung umweltrelevante Vorschriften enthalten, sondern auch in der handelsrechtlichen Relevanz von multilateralen Umweltübereinkommen, die auf Handelsrestriktionen als umweltpolitische Steuerungsinstrumente zurückgreifen.269 Wie vielschichtig die handelsrechtlichen Auswirkungen multilateraler Umweltübereinkommen sein können und welch unterschiedliche Ansätze sie verfolgen, soll im Folgenden anhand der Biodiversitätskonvention und dem darauf aufbauenden Cartagena-Protokoll sowie dem Kyoto-Protokoll untersucht und dargestellt werden. a) Biodiversitätskonvention Die Biodiversitätskonvention270 verfolgt im Vergleich zu den bis 1992 bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen zum Artenschutz einen neuen Ansatz, da sie nicht auf einen gebietsbezogenen oder artenspezifischen Schutz angelegt ist, sondern weltweit Ökosysteme, Arten und deren Gene, d.h. die biologische Vielfalt insgesamt schützen und ihre Nutzung regulieren will.271 Dementsprechend ist erklärtes Ziel des Übereinkommens 269 Zu diesen multilateralen Umweltübereinkommen gehören das Montrealer Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der Ozonschicht, 16.9.1987, ILM 26 (1987), S. 1550 ff. (Montrealer-Protokoll); das Baseler Übereinkommen über die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle, 22.3.1989, ILM 28 (1989), S. 657 ff. (Baseler-Übereinkommen); die Konvention über biologische Vielfalt, 5.6.1992, ILM 31 (1992), S. 818 ff. (Biodiversitätskonvention); das darauf aufbauende Biosicherheitsprotokoll, 29.1.2000, ILM 39 (2000), S. 1027 ff. (Cartagena-Protokoll), das UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen, 9.5.1992, ILM 31 (1992), S. 849 ff. (Klimarahmenkonvention) nebst dem Kyoto-Protokoll, 11.12. 1997, ILM 37 (1998), S. 32 ff.; das Washingtoner-Artenschutzübereinkommen, 3.3.1973, ILM 11 (1973), S. 1085 ff. (CITES) und die Rotterdam-Konvention über den internationalen Handel mit bestimmten Chemikalien und Pestiziden, 10.9.1998, Doc. UNEP/FAO/PIC/CONF/5 (Rotterdamer-Konvention). Das SRÜ, obwohl von handelsrechtlicher Relevanz, fällt nicht in diese Gruppe von Umweltübereinkommen, da es nicht auf Handelsrestriktionen als umweltpolitische Steuerungselemente zurückgreift. Ein Überblick über alle handelsrechtlich relevanten Umweltübereinkommen findet sich bei Neumann, Koordination, S. 231 ff. 270 Das Übereinkommen wurde während der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im Jahre 1992 in Rio de Janeiro zur Unterzeichnung ausgelegt und trat am 29.12.1993 in Kraft. Mittlerweile haben 185 Staaten das Übereinkommen ratifiziert bzw. sind ihm beigetreten. Diese globale Geltung des Übereinkommens wird aber durch die Weigerung der USA, die Biodiversitätskonvention zu ratifizieren, beeinträchtigt. Zum aktuellen Stand der Vertragsstaaten vgl. www.bidiv.org.

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nicht nur die Erhaltung der biologischen Vielfalt, sondern auch die nachhaltige Nutzung dieser Vielfalt durch die Gewährleistung des Zugangs zu genetischen Ressourcen272 auf der einen und die angemessene Weitergabe von Technologien und finanziellen Mitteln auf der anderen Seite. Entsprechend diesen Zielen enthalten die Art. 6 bis 14 Biodiversitätskonvention Vorgaben über die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen auf nationaler Ebene,273 von denen die Art. 8 und 9 des Übereinkommens von besonderer Relevanz sind. Regelungsgegenstand dieser Vorschriften sind die Maßnahmen zur sog. In-situ-Erhaltung (Bewahrung der Arten in ihrer natürlichen Umwelt)274 und Ex-situ-Erhaltung (Bewahrung der Arten in Tierparks oder Laboren),275 wobei der Wortlaut des Art. 9 Biodiversitätskonvention deutlich macht, dass letztere Maßnahmen die In-situ-Erhaltung nur ergänzen sollen.276

271 Wolfrum/Stoll, Zugang zu genetischen Ressourcen, S. 11; Burhenne-Guilmin/ Casey-Lefkowitz, YIEL 3 (1992), S. 43. 272 Zur Differenzierung der Begrifflichkeiten „biologische“ und „genetische Ressourcen“ vgl. Wolfrum/Stoll, Zugang zu genetischen Ressourcen, S. 22 f. 273 Ursprünglich hatten die Industriestaaten versucht, die dadurch zum Ausdruck kommende Präferenz für eine nationale Prioritätensetzung durch Mechanismen auf internationale Ebene zu ersetzen, indem weltweite Listen mit Arten und Schutzgebieten festgelegt werden. Dies war von den Entwicklungsländern aber als Einmischung der Industriestaaten in ihre inneren Angelegenheiten zurückgewiesen worden, vgl. Henne, Genetische Vielfalt, S. 123. 274 Zu den Maßnahmen der In-situ-Erhaltung gehören u. a. die Errichtung von Schutz- und sonstigen Gebieten, in denen besondere Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt notwendig sind, die Förderung des Schutzes von ganzen Ökosystemen und die Bewahrung lebensfähiger Populationen, die Verhinderung und Kontrolle der Einbringung von nichtheimischen Arten, die die Lebensräume und Ökosysteme gefährden, sowie deren Beseitigung und die Wiederherstellung und Sanierung beeinträchtigter Ökosysteme. Außerdem sind die Vertragsstaaten verpflichtet, zur Intensivierung des Schutzes von Schutzgebieten die umweltverträgliche und nachhaltige Entwicklung in den angrenzenden Gebieten zu fördern, sowie Regelungen einzuführen oder beizubehalten, welche die Gefahren und Risiken kontrollieren, die sich aus der Nutzung und Freisetzung von durch Biotechnologie hervorgebrachte lebende modifizierte Organismen ergeben. Von Bedeutung für die Entwicklungsländer ist die in Art. 8 lit. m) enthaltene Kooperationsverpflichtung, wonach die Vertragsstaaten bei der Bereitstellung finanzieller und sonstiger Unterstützung für die vorgesehenen Maßnahmen zur In-situ-Erhaltung insbesondere zugunsten der Entwicklungsländer zusammenarbeiten. 275 Die Ex-situ-Maßnahmen betreffen primär die Erhaltung der Bestandteile der biologischen Vielfalt u. a. durch Maßnahmen zur Regenerierung, Förderung und Wiedereinführung gefährdeter Arten in ihren natürlichen Lebensraum sowie die Schaffung und Unterhaltung von Forschungseinrichtungen für die Ex-situ-Erhaltung vorzugsweise im Ursprungsland der genetischen Ressourcen, d.h. in den Entwicklungsländern, da diese über den größten Bestandteil dieser Ressourcen verfügen.

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Zwar enthalten diese Schutzmaßnahmen weder die Verpflichtung noch die Erlaubnis zur Einführung von Handelsrestriktionen zum Schutze der biologischen Vielfalt, eine handelsrechtliche Relevanz ergibt sich aber insbesondere aus Art. 8 lit. j) Biodiversitätskonvention. Denn die darin enthaltene Regelung verpflichtet die Vertragsstaaten nicht nur zur Beachtung, Bewahrung und Förderung traditioneller Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche, die für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt von Belang sind, sondern auch dazu, die Träger dieser Kenntnisse an ihrer Nutzung und den daraus resultierenden Vorteilen zu beteiligen. Art. 8 lit. j) Biodiversitätskonvention zielt damit auf die Anerkennung von traditionellem Wissen als geistiges Eigentum ab und wirft deshalb Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem in Art. 4 TRIPS enthaltenen Meistbegünstigungsprinzip auf.277 Neben den Vorschriften über die Maßnahmen zum Schutze der biologischen Vielfalt wird auch das in Art. 1 des Übereinkommens erwähnte Ziel der gerechten Aufteilung der sich aus der Nutzung der Ressourcen ergebenen Vorteile in den Art. 15 bis 21 Biodiversitätskonvention weiter konkretisiert. Der Zugang zu genetischen Ressourcen wird gem. Art. 15 Abs. 1 Biodiversitätskonvention durch innerstaatliche Rechtsvorschriften gewährleistet und unterliegt damit der Befugnis der jeweiligen Staaten. Dies entspricht dem in Art. 3 enthaltenen Grundsatz, dass natürliche und damit auch die genetischen Ressourcen nicht Bestandteil des common heritage of mankind sind, sondern Bestandteil der staatlichen Souveränität, so dass den Vertragsstaaten das aus der Souveränität abgeleitete Recht zukommt, ihre eigenen Ressourcen gemäß ihrer eigenen Umweltpolitik zu nutzen.278 Allerdings wird dieser Grundsatz dahingehend eingeschränkt, dass die Staaten sich bemühen müssen, Voraussetzungen zu schaffen, um den Zugang zu genetischen Ressourcen für eine umweltverträgliche Nutzung durch andere Vertragsparteien zu erleichtern. Der Zusammenhang zwischen Biodiversitätskonvention und TRIPS wird insbesondere in den Vorschriften über den Technologietransfer deutlich. Art. 16 Abs. 1 Biodiversitätskonvention enthält eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, Technologien, die für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt von Belang sind, oder die genetische Ressourcen nutzen, ohne der Umwelt erhebliche Schäden zuzufügen, an andere Ver276 Dies ist in Anbetracht der bisherigen Erhaltungsmaßnahmen im Bereich der genetischen Ressourcen für die Landwirtschaft eine eindeutige Veränderung der Prioritäten; Henne, Genetische Vielfalt, S. 122. 277 Neumann, Koordination, S. 248. 278 Henne, Genetische Vielfalt, S. 140 ff.

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tragsparteien weiterzugeben und den Zugang dazu zu gewährleisten bzw. zu erleichtern. Diese allgemeine Verpflichtung wird in Bezug auf die Entwicklungsländer gem. Art 16 Abs. 2 S. 1 Biodiversitätskonvention dahingehend konkretisiert, dass die Weitergabe von und der Zugang zu diesen Technologien unter ausgewogenen und möglichst günstigen Bedingungen zu gewährleisten ist. Allerdings darf dies nicht zu einer vollkommenen Negierung der Rechte des geistigen Eigentums führen, da nach Abs. 2 S. 2 Technologien, die Gegenstand von Patenten oder anderen Rechten des geistigen Eigentums sind, nur in der Form weitergegeben werden dürfen, dass ein angemessener und wirkungsvoller Schutz der Rechte des geistigen Eigentums garantiert und die Weitergabe mit diesen vereinbar ist. Insbesondere dafür dürfte es notwendig sein, die im Übereinkommen vorgesehenen Finanzierungsmechanismen in Anspruch zu nehmen, auf die in Abs. 2 S. 2 auch verwiesen wird. Die Verpflichtung aus Art. 16 Abs. 2 Biodiversitätskonvention muss wiederum mit den Absätzen 3, 4 und 5 in Einklang stehen. Nach Abs. 3 sind die Vertragsstaaten verpflichtet, denjenigen Staaten, welche ihre natürlichen Ressourcen zur Verfügung stellen, Zugang zu Technologien oder die Weitergabe von Technologien zu gewähren. Obwohl davon ausdrücklich auch patent- oder anderweitig geschützte Technologien erfasst werden, macht der Wortlaut dennoch deutlich, dass es sich nicht um eine einseitige und bedingungslose Verpflichtung der Industriestaaten zugunsten der Entwicklungsländer handelt, da der Technologietransfer nur unter einvernehmlich festgelegten Bedingungen erfolgt.279 Art. 16 Abs. 4 Biodiversitätskonvention verpflichtet vornehmlich die Industriestaaten, nationale Vorschriften zu erlassen, welche auch die Privatwirtschaft verpflichten, die Weitergabe, den Zugang und die gemeinsame Entwicklung von Biotechnologie zu erleichtern, wobei auch die Verpflichtungen der Abs. 1 bis 3 des Art. 16 Biodiversitätskonvention zu beachten sind, d.h. auch der angemessene Schutz von Rechten des geistigen Eigentums. Von besonderer Relevanz im Verhältnis TRIPS und Biodiversitätskonvention ist Art. 16 Abs. 5 Biodiversitätskonvention. Danach sind die Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit verpflichtet, um sicherzustellen, dass die Gewährleistung der Rechte des geistigen Eigentums die Ziele des Übereinkommens unterstützt und ihnen nicht zuwiderläuft. Wegen der Interpretationsmöglichkeit, dass diese Formulierung den Schutz des geistigen Eigentums den Konventionszielen unterordnet und damit einschränkt, ist dieser Passus Gegenstand heftiger Kontroversen gewesen.280 Allerdings erscheint der Wortlaut zu vage, um 279 Siehe dazu Kellersmann, Verantwortlichkeit von Industriestaaten und Entwicklungsländern, S. 236 ff. 280 Goldman, L. P. Int’l B. 25 (1994), S. 695 (712); Boyle, Biological Diversity, in: Bowman/Redgwell (eds.), International Law and Biological Diversity, S. 33 (46); Chandler, Col. J. Int’l. Env. L. & P. 4 (1992), S. 141 (163).

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einen grundsätzlichen Vorrang zu begründen. Vielmehr soll dadurch lediglich eine missbräuchliche Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums in dem Sinne verhindert werden, dass sie nicht das in Abs. 3 vorausgesetzte beiderseitige Einvernehmen bezüglich der Bedingungen des Technologietransfers unmöglich macht.281 Damit wird auch der Zusammenhang zu Art. 8 Abs. 2 TRIPS deutlich, der die Notwendigkeit anerkennt, den Mißbrauch von geistigen Eigentumsrechten zu Lasten des Technologietransfers zu verhindern. b) Cartagena-Protokoll Grundlage für die Verhandlungen des Cartagena-Protokolls ist Art. 19 Abs. 3 Biodiversitätskonvention, der die Notwendigkeit betont, Verfahren im Bereich der sicheren Weitergabe, Handhabung und Verwendung von gentechnisch modifizierten Organismen, die sich nachteilig auf die biologische Vielfalt auswirken können, zu entwickeln. Die handelsrechtlichen Implikationen des Protokolls lassen sich bereits daran erkennen, dass sich der Verhandlungsprozess wegen Auseinandersetzungen über die Vereinbarkeit von Protokoll und WTO-Rechtsordnung in die Länge zog.282 Das Cartagena-Protokoll stellt einen rechtlichen Regelungsrahmen für die sichere Weitergabe, Handhabung und Verwendung von durch Biotechnologie hervorgebrachten lebenden gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) im internationalen Handelsgeschehen dar und konkretisiert die Handlungsspielräume der Staaten im umstrittenen Spannungsfeld zwischen internationalem Umweltrecht einerseits und dem internationalen Freihandelsregime andererseits.283 Es soll damit einen Beitrag leisten, den Verlust biologischer Vielfalt einzudämmen, der nicht nur aus der Verschlechterung natürlicher Lebensräume resultiert, sondern auch aus der Einbringung nichtheimischer Arten in bestehende Ökosysteme. Dieses Problem wird durch die beabsichtigte oder unbeabsichtigte Freisetzung von Pflanzen und Tieren mit gentechnisch verändertem Erbgut erheblich verschärft, da die Veränderung zur Folge haben kann, dass Lebewesen oder Pflanzen ihre natürlichen Feinde verlieren, sich also uneingeschränkt ausbreiten können und damit andere Lebewesen aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängen. Aber 281

Neumann, Koordination, S. 249. Obwohl man versucht hat, das Problem der Vereinbarkeit durch die Formulierung der Präambel zu lösen, hat sich die Diskussion über die materiellrechtliche Vereinbarkeit auch nach Abschluss des Protokolls in der Völkerrechtsliteratur fortgesetzt, siehe dazu unten 2. Teil A. II. 2. b) bb) (1). Zur Entstehungsgeschichte des Cartagena-Protokolls vgl. Buck, ZUR 2000, S. 319 (320 f.); Steinmann/Strack, NuR 2000, S. 367 (367 f.); Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (332 ff.). 283 Buck, ZUR 5 (2000), S. 319. 282

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nicht nur der angemessene Schutz vor Risiken für die biologische Vielfalt gehört zur Zielsetzung des Protokolls, sondern auch der Schutz der menschlichen Gesundheit vor Risiken, die sich aus dem Umgang mit und der Freisetzung von lebenden GVOs ergeben können.284 Auf welche GVOs sich das Cartagena-Protokoll erstrecken sollte, war während der Verhandlungen heftig umstritten.285 Die Überwachung des Handels mit zur Freisetzung bestimmten GVOs wurde zwar grundsätzlich von allen Staaten unterstützt. Uneinigkeit herrschte allerdings darüber, ob das Cartagena-Protokoll auch den Handel mit GVOs erfassen sollte, die zur unmittelbaren Verwendung in der Nahrungs- und Futtermittelindustrie oder der Weiterverarbeitung bestimmt sind. Dabei handelt es sich hauptsächlich um international gehandelte Agrarsamengüter (z. B. für Mais, Soja, Weizen, Tomaten und Kartoffeln), die mit Abstand den größten Anteil des grenzüberschreitenden Handels mit lebenden GVOs ausmachen.286 Das im Cartagena-Protokoll enthaltene Resultat stellt dabei einen Kompromiss dar. Grundsätzlich werden von der im Protokoll enthaltenen Definition alle Organismen erfasst, die durch Verwendung moderner biotechnologischer Verfahren eine neue Kombination genetischen Erbmaterials besitzen und die Fähigkeit haben, ihre Erbinformationen zu vervielfältigen oder zu übertragen. Damit fallen nicht nur zur Freisetzung bestimmte GVOs, sondern auch die zur Verwendung bestimmten in den Anwendungsbereich des Protokolls. Allerdings werden letztere vom zentralen Überwachungsinstrument – dem Verfahren der vorherigen informierten Zustimmung (Advanced Informed Agreement – AIA) – nur bedingt erfasst. Denn dieses findet lediglich auf lebende GVOs, die zur Freisetzung im Importstaat bestimmt sind, uneingeschränkt Anwendung. Für lebende, zur Verwendung als Nahrungsmittel, Futtermittel oder zur Weiterverarbeitung bestimmte GVOs wird gem. Art. 11 in Verbindung mit Anhang II und III des Protokolls ein vereinfachtes Verfahren eingeführt. Da diese den weitaus größten Anteil grenzüberschreitender GVOs darstellen, ist der Anwendungsbereich des Verfahrens der vor284 Allerdings sind insbesondere die Risiken für die menschliche Gesundheit, die sich aus dem Verzehr von GVO-haltigen Produkten ergeben, bis heute ungeklärt und unter Wissenschaftlern umstritten; siehe Nachweise bei Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (344). 285 Steinmann/Strack, NuR 2000, S. 367 (368). 286 Daraus erklärt sich auch die handelsrechtliche Relevanz des Cartagena-Protokolls. Der Konflikt zwischen den USA und der EG wegen GVO-haltigen Produkten überschreitet mittlerweile die Milliardengrenze; Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (328). In den USA sind bereits 30 verschiedene Sorten von gentechnisch verändertem Saatgut zugelassen worden. Dementsprechend sind in den USA 47% der geernteten Sojabohnen und 37% des geernteten Mais GVO-haltig, so dass fast alle verarbeiteten Lebensmittel in irgendeiner Form GVOs enthalten, vgl. Schoenbaum, ICLQ 49 (2000), S. 856 (856).

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herigen informierten Zustimmung nach dem bisherigen biotechnologischen Stand eher begrenzt. Unabhängig davon sind folgende Voraussetzungen im Rahmen des AIAVerfahrens zu erfüllen, bevor eine grenzüberschreitende Verbringung von lebenden GVOs zulässig ist. Zum einen muss der zuständigen Behörde des Importstaates gem. Art. 8 Cartagena-Protokoll die grenzüberschreitende Verbringung lebender GVOs vom Exportstaat schriftlich angezeigt werden.287 Zum anderen muss die Behörde des Importstaats innerhalb von 90 Tagen den Eingang der Notifikation bestätigen und angeben, ob diese den Mindestanforderungen des Anhangs I des Protokolls genügt. Darüber hinaus ist der Importstaat verpflichtet, innerhalb von 270 Tagen eine auf einer Risikoabschätzung basierende Entscheidung über die Zulässigkeit des Imports zu treffen. Risikoabschätzungen haben gem. Art. 15 Abs. 1 des Protokolls auf einer wissenschaftlich anerkannten Grundlage zu erfolgen und müssen darauf abzielen, die möglichen nachteiligen Auswirkungen der GVOs in Bezug auf die biologische Vielfalt sowie Risiken für die menschliche Gesundheit zu identifizieren.288 In diesem Zusammenhang betont das Protokoll in Art. 10 Abs. 6 ausdrücklich, dass auch vorsorgliches Handeln des Importstaates erlaubt ist, d.h. ein Importverbot ist im Gegensatz zum TBTÜbereinkommen nicht deshalb unzulässig, weil keine wissenschaftliche Sicherheit in Bezug auf die Risiken eines GVOs für die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit besteht, sondern lediglich eine wissenschaftliche Wahrscheinlichkeit. Für lebende zur Verwendung bestimmte GVOs gilt ein vereinfachtes Überwachungsverfahren. Haben Vertragstaaten für ihren Hoheitsbereich die Vermarktung eines GVO zugelassen und eignet sich dieser zur grenzüberschreitenden Verbringung, so ist diese Entscheidung innerhalb von 15 Tagen dem Biosafety Clearing House mitzuteilen. Staaten, die kein Zugang zum Biosafety Clearing House haben, sind direkt zu unterrichten. In Bezug auf die Zulässigkeit von Importen geht das Cartagena-Protokoll davon aus, dass die dementsprechenden Entscheidungen auf Grundlage der nationalen Rechtsordnungen ergehen, die gem. Art. 11 Abs. 4 des Protokolls mit dessen Zielsetzung vereinbar sein müssen. Dies bedeutet, dass auch in diesem Fall vorsorgliches Handeln der Vertragsstaaten zulässig ist, wenn lediglich 287

Diese Notifikation muss mindestens die im Anhang I des Protokolls ausgeführten Informationen enthalten. Dazu gehören die Angaben zu dem beabsichtigten Transport, eine möglichst genaue Angabe zu dem lebenden GVO selbst sowie Hinweise über empfohlene Maßnahmen zum sicheren Umgang. 288 Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Importes enthält das Protokoll sowohl in methodischer wie auch verfahrensmäßiger Hinsicht weitere Voraussetzungen. Erstere finden sich in Anhang II Nr. 8 des Protokolls und letztere in Anhang III.

C. Struktur der Völkerrechtsordnung

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eine wissenschaftliche Wahrscheinlichkeit in Bezug auf die vom GVO zu erwartenden Risiken für die biologische Vielfalt oder die menschliche Gesundheit besteht. Damit haben im Ergebnis die Vertragsstaaten trotz des Cartagena-Protokolls es weitgehend selbst in der Hand, mit welcher Intensität und auf Grundlage welcher Risikophilosophie sie den grenzüberschreitenden Transport lebender GVOs zur unmittelbaren Verwendung kontrollieren wollen.289 Für das während der Verhandlungen umstrittene Thema der Kennzeichnungspflicht wurde eine differenzierte Regelung gefunden. Gem. Art. 18 Abs. 2 lit. a) des Protokolls müssen Transporte, die lebende GVOs zur unmittelbaren Verwendung enthalten, in den Begleitdokumenten als „möglicherweise GVO-haltig“ bezeichnet werden, während alle übrigen Transporte eindeutig als gentechnisch verändert ausgewiesen sein müssen. Das ist gem. Art. 18 Abs. 2 lit. b) und c) des Protokolls insbesondere für lebende GVOs relevant, die zur Freisetzung und solche die zur Verwendung in geschlossenen Systemen bestimmt sind. Vor allem die erlaubten, wenn auch nicht gebotenen Importrestriktionen in Bezug auf lebende GVOs sowie die im Protokoll enthaltenen Kennzeichnungspflichten, die sich wegen des Kaufverhaltens der Konsumenten handelshemmend auswirken können, verdeutlichen die handelsrechtliche Relevanz des Cartagena-Protokolls. c) Kyoto-Protokoll Auch wenn der Zusammenhang zwischen einer erhöhten Konzentration von Treibhausgasen und dem sich abzeichnenden Klimawandel in Form einer grundsätzlichen Erderwärmung wissenschaftlich bisher nicht lückenlos nachgewiesen werden konnte, so besteht angesichts der durch diese Veränderungen drohenden Konsequenzen290 dennoch ein grundsätzlicher Konsens über die Notwendigkeit eines effektiven Klimaschutzes. Erstes Resultat dieser Erkenntnis war die Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention während des Rio-Gipfels 1993. Auch wenn der Beitrag dieses Übereinkommens für die Entwicklung eines völkerrechtlichen Klimaschutzes nicht zu leugnen ist,291 so hat doch insbesondere die Ausgestaltung des Übereinkommens als Rahmenkonvention und der damit verbundene vage Wortlaut der 289

Buck, ZUR 5 (2000), S. 319 (324). Vergleiche dazu den 3. Sachstandsbericht des 1988 gegründeten Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (International Panel on Climate Change – IPCC), IPCC, Climate Change 2001, The Sientific Basis, S. 4; eine Zusammenfassung des Berichts ist auf der Homepage des IPCC unter www.ipcc.ch/ pub/reports.htm abrufbar. 290

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1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Verpflichtungen dazu geführt, dass die Vertragsstaaten die in dem Übereinkommen enthaltenen Vorgaben zur Emissionsreduktion nicht ernstgenommen haben.292 Dementsprechend haben auch nur wenige Staaten die Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 2 Klimarahmenkonvention erfüllt, wonach die Treibhausgasemissionen bis zum Jahre 2000 auf das Niveau von 1990 zurückzuführen sind.293 Unter dem Eindruck, dass die Regelungen der Klimarahmenkonvention für einen effektiven Klimaschutz nicht ausreichend sind, beschlossen die Vertragsstaaten auf Drängen der sog. Green Group294 und der EU sowie gegen den Widerstand der Umbrella Group auf der 1. Vertragsstaatenkonferenz (VSK) 1995 in Berlin die Ausarbeitung einer Vereinbarung, welche quantifizierbare Zielvorgaben für die Treibhausgasreduktion von Industriestaaten und Maßnahmen zur Umsetzung dieser Verpflichtung vorsehen sollte. Resultat dieses sog. Berlin-Mandats war ein Protokollentwurf, welcher der 3. VSK 1997 in Kyoto vorgelegt wurde. Aufgrund der vielen Divergenzen zwischen den Vertragsstaaten konnte eine Annahme des Kyoto-Protokolls aber nur dadurch erreicht werde, dass wesentliche Umsetzungsfragen nicht geregelt wurden, so dass auch das Protokoll eher den Charakter eines Rahmenübereinkommens aufweist.295 Da sich die Vertragsstaaten während der daraufhin einsetzenden Bemühungen um einen Kompromiss bezüglich der Ausgestaltung der Umsetzungsverpflichtungen ebenfalls nicht einigen konnte, war der Erfolg des Protokolls äußerst fraglich. Mit einer der umstrittensten Punkte im Rahmen dieser Verhandlungen war, inwieweit eine CO2 Einbindung durch Senken, d.h. durch Wälder und Böden, sowohl im Rahmen der Bemessung der Reduktionsverpflichtungen als auch bei der Berechnung der Reduktionsmengen zu berücksichtigen seien. Auch das Verhalten der USA, die ihren Rückzug von der weiteren Beteiligung am Kyoto-Protokoll bekannt gaben, hätte das Projekt beinahe vollständig zum Scheitern gebracht.296 Eine Einigung und damit auch eine Konkre291

Dies gilt insbesondere für die Schaffung von festen Institutionen, in deren Rahmen es möglich war, konkretere Vorschriften auszuarbeiten. Zu den einzelnen Institutionen der Konvention siehe Verheyen, Beitrag des Völkerrechts zum Klimaschutz, in: Koch/Caspar (Hrsg.), Klimaschutz im Recht, S. 29 (48 f.). 292 Sach/Reese, ZUR 2002, S. 65 (67). 293 Zu diesen Staaten gehören neben Deutschland, Luxemburg, Schweden und dem Vereinigten Königreich auch die Schweiz sowie die EU-Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit. Demgegenüber haben fast alle Vertreter der sog. Umbrella Group (USA, Japan, Russland, Kanada, Australien, Neuseeland, Island und Norwegen) dieses Ziel nicht erreicht. 294 Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von 72 Entwicklungsländern unter dem Vorsitz von Indien. 295 Sach/Reese, ZUR 2002, S. 65 (67). 296 Der Grund dafür liegt in den für das In-Kraft-Treten notwendigen Voraussetzungen gem. Art. 25 Abs. 1 des Kyoto-Protokolls: Zum einen bedarf es der Ratifikation durch mindestens 55 Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention und zum

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tisierung der noch offenen Umsetzungsfragen konnte erst auf der 7. VSK in Marrakesch durch weitreichende Zugeständnisse an die bis dahin noch zögernden Staaten der Umbrella Group, insbesondere Japan und Russland, erreicht werden. Inhaltlich basieren die Regelungen des Kyoto-Protokolls auf den Vorgaben der UN-Klimarahmenkonvention und konkretisieren dessen materiellrechtliche Vorgaben und Zielsetzung hinsichtlich einer Stabilisierung des Treibhausgasgehalts in der Erdatmosphäre auf einem Niveau, „auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“ (Art. 2 Klimarahmenkonvention). Um dieses Ziel zu erreichen, werden die in Anhang I zur Klimarahmenkonvention aufgeführten Industriestaaten verpflichtet, den Ausstoß der in Anhang A des Kyoto-Protokolls aufgeführten Treibhausgase im Zeitraum 2008 bis 2012 im Vergleich zu dem Niveau der Treibhausgasemissionen von 1990 um fünf Prozent zu verringern. Für die davon betroffenen Staaten gelten die in Anhang B des Protokolls vereinbarten Emissionsmengen, wobei sie diese gem. Art. 4 Abs. 1 Kyoto-Protokoll auch gemeinsam erfüllen dürfen, d.h. es wird für eine Staatengruppe eine Gesamtreduktionsmenge errechnet, die dann innerhalb der Gruppe auch abweichend von den im Protokoll vorgegebenen Mengen aufgeteilt werden kann.297 Als Bestandteil des Kompromisses zwischen den verschiedenen Verhandlungsgruppen ist den Vertragsstaaten des Kyoto-Protokolls nun auch gestattet, Kohlenstoffsenken im Bereich der Forst- und Landwirtschaft als Klimaschutzmaßnahmen anzurechnen, um so die jeweiligen Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen.298 anderen müssen auf diese mindesten 55% aller Treibhausgasemissionen aus den in Anlage I des Protokolls aufgeführten Industrienationen entfallen. In Anbetracht der Tatsache, dass allein 36% dieser Emissionen auf die USA entfallen, war es nach der Bekanntgabe, dass diese das Protokoll nicht ratifizieren würden, absolut notwendig, mit den übrigen Staaten der Umbrella Group einen Kompromiss zu finden, um so ein In-Kraft-Treten des Protokolls überhaupt theoretisch zu ermöglichen. 297 Diese Regelung geht auf die Initiative der EG zurück, die von dieser Möglichkeit der internen Umverteilung auch Gebrauch machen will. Nach dem Ratsbeschluss Nr. 9702/98, 16.6.1998 ergeben sich für die Mitgliedstaaten folgende Verpflichtungen: Reduktionsziele für Luxemburg: –28%, Deutschland und Dänemark: –21%, Österreich: –13%, Vereinigtes Königreich: –12,5%, Belgien: –7,5%, Italien: –6,5% und Niederlande: –6%. Demgegenüber müssen Frankreich und Finnland ihre Emissionen lediglich konstant halten, während Schweden eine Erhöhung von 4%, Irland von 13%, Spanien von 15%, Griechenland von 25% und Portugal von 27% zugestanden wird. Die Abweichung zu den Reduktionsverpflichtungen aus Anlage B des Kyoto-Protokolls ist offensichtlich (alle EG Mitgliedstaaten jeweils: –8%). Allerdings stimmt die EG Verteilung mit der vorgeschriebenen Gesamtreduktionsmenge von –8% überein. 298 Dies führt dazu, dass einige großflächige Staaten, wie etwa Russland, Kanada und Australien, etwa 3% der Gesamtemissionen durch die Anrechnung von Kohlenstoffsenken einsparen können, was angesichts einer Reduktionsverpflichtung von

100 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Um die Reduktion der Treibhausgasemissionen zu erreichen, sieht Art. 2 des Kyoto-Protokolls vor, dass die Industriestaaten die nationalen Maßnahmen ergreifen, die sie für am geeignetsten halten. Die Art und Weise, wie das Reduktionsziel erreicht wird, bleibt somit Sache der Vertragsstaaten. Daneben sieht das Protokoll die Einführung sog. flexibler Mechanismen vor, die es den Industriestaaten ermöglichen, zumindest einen Teil ihrer Reduktionsverpflichtung durch emissionssenkende Maßnahmen in Entwicklungsländern oder anderen Industriestaaten zu erfüllen oder durch den Ankauf von handelbaren Emissionsreduktionseinheiten.299 Zu diesen Mechanismen gehören gemeinsam durchgeführte Projekte gem. Art. 6 (Joint Implementation – JI), Mechanismen für umweltverträgliche Entwicklung gem. Art. 12 (Clean development Mechanism – CDM) und der Handel mit Emissionsrechten zwischen Industriestaaten.300 Dabei sind die ersten beiden Formen der flexiblen Mechanismen projektabhängig, d.h. sie beziehen sich auf konkrete Vorhaben zur Emissionsminderung,301 während der Emissionshandel projektunabhängig ist. Im Rahmen des im Kyoto-Protokoll vorgesehenen Emissionshandels können die Industriestaaten vier Formen von Emissionsrechten untereinander frei handeln: Teile ihrer nationalen Emissionskontingente, Emissionsgutschriften aufgrund von Kohlenstoffsenken, aufgrund von IJ Projekten erlangte Emissionsreduktionseinheiten und Emissionsgutschriften aus CDMs. Allerdings sind sie verpflichtet, eine bestimmte Menge der Emissionsrechte zurückzuhalten, damit es nicht zu einem ungedeckten Verkauf dieser Rechte kommt und der jeweilige Staat danach seine Mitgliedschaft am Kyoto5,2% als sehr hoch erscheint. Allerdings beziehen sich diese Zahlen auf das Niveau von 1990, so dass sich die Reduktionsverpflichtung aufgrund der Emissionssteigerung in den letzten 10 Jahren erheblich erhöht, vgl. dazu und zu den Einzelheiten der Anrechenbarkeit von Kohlenstoffsenken Sach/Reese, ZUR 2002, S. 65 (69 f.). 299 Allerdings hängt die Möglichkeit, die flexiblen Mechanismen zur Erfüllung der Reduktionsverpflichtungen zu nutzen, von der Einhaltung diverser Voraussetzungen ab, zu denen u. a. die fristgerechte Erfüllung der Berichtsverpflichtungen gehört. Dementsprechend kann denjenigen Vertragsstaaten, die ihren Berichterstattungsverpflichtungen nicht nachkommen, die Teilnahme an den flexiblen Mechanismen untersagt werden. Diese Möglichkeit ist nur ein Teil des für umweltvölkerrechtliche Übereinkommen äußerst stark ausgeprägten Systems der Erfüllungskontrolle im Kyoto-Protokoll, vgl. dazu Oberthür/Marr, ZUR 2002, S. 81 (82 ff.). 300 Ausführlich zu den flexiblen Mechanismen Graichen/Harders, ZUR 2002, S. 73 (74 ff.). 301 Insbesondere die CDMs haben eine Doppelfunktion: Sie sollen nicht nur den Industriestaaten die Möglichkeit geben, ihre Reduktionsverpflichtungen durch Maßnahmen im Ausland zu erfüllen, indem ihnen die eingesparten Emissionen gutgeschrieben werden (sog. certified emission reductions – CERs), sondern sie sollen die Entwicklungsländer auch mit Finanzmitteln und sauberen Technologien ausstatten, vgl. Neumann, Koordination, S. 244.

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Regime aufkündigt. Auch wenn Art. 17 Kyoto-Protokoll lediglich den zwischenstaatlichen Handel mit Emissionsrechten regelt, so bleibt davon deren Recht unberührt, auch Privatpersonen am Handel mit diesen Rechten zu beteiligen. Dies führt faktisch dazu, dass für die emittierenden Unternehmen in den nach dem Protokoll einzurichtenden Emissionshandelsregistern des jeweiligen Staates Unterkonten eingerichtet werden.302 Aufgrund der wirtschaftlichen Anreize, der hohen Flexibilität und der theoretischen Effizienz des Emissionshandels wird in der völkerrechtlichen Literatur davon ausgegangen, dass dieser ein zentrales Element zur Einhaltung der Emissionsgrenzen neben den klassischen Kontroll- und Streitbeilegungsmechanismen werden wird.303 Im Hinblick auf die Handelbarkeit von Emissionsrechten ist das KyotoProtokoll ein Novum in der völkerrechtlichen Umweltpolitik, da es von den bisherigen Ansätzen multilateraler Umweltübereinkommen, die vornehmlich auf Handelsrestriktionen zur Erreichung des Umweltschutzzieles zurückgreifen, abweicht und den in der Umweltökonomie favorisierten ökonomischen Ansatz verfolgt. Allerdings schließt das Kyoto-Protokoll den Erlass nationaler Handelsrestriktionen nicht aus. Vielmehr erscheint es wahrscheinlich, dass die Industriestaaten solche Maßnahmen erlassen werden, um mit Hilfe von Importbeschränkungen für klimaschädliche Produkte ihre Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen.304

II. Zusammenfassung Aufgrund der funktionalen und materiellrechtlichen Dezentralisation existiert eine Vielzahl von Übereinkommen und internationalen Organisationen, deren Regelungsgegenstand und Aufgaben sich auf einen bestimmten Sachbereich beschränken. Aufgrund der bestehenden Interdependenz zwischen diesen Sachbereichen kommt es aber zu nicht unerheblichen Überschneidungen, wie sie am Beispiel von Welthandels- und Umweltrecht exempla302 Der innerstaatliche Handel mit Emissionslizenzen ist völkerrechtlich und damit für die Reduktionsverpflichtungen der Staaten nach dem Kyoto-Protokoll irrelevant. Kommt es jedoch zu einem grenzüberschreitenden Handel mit Emissionslizenzen zwischen Privaten, so muss dies auch zu einer Verschiebung der Emissionskontingente zwischen den Staaten führen, da ein solcher Vorgang unmittelbare Auswirkungen auf die Emissionen, die vom Territorium eines Staates ausgehen, zur Folge hat, für die der Staat nach dem Protokoll völkerrechtlich verantwortlich ist, Graichen/Harders, ZUR 2002, S. 73 (76). 303 Wolfrum, Völkerrechtliche Beurteilung des Handels mit Emissionsrechten, in: Rengeling (Hrsg.), Klimaschutz durch Emissionshandel, S. 189 (192, 196 ff.); Sand, Transnational Environmental Law, S. 320 f. 304 Cameron/Campbell, Boundaries of the DSU, in: dies. (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 204 (218).

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risch dargestellt worden sind. Auch wenn der Umweltschutz nicht in den unmittelbaren Regelungsbereich des Welthandelsrechts und damit des WTO-Rechts fällt, so kommt ihm doch im Rahmen der Rechtfertigung von sich handelsbeschränkend auswirkenden Umweltschutzmaßnahmen eine zunehmende Bedeutung zu. Deshalb haben sich die WTO-Panel und der Appellate Body in der Vergangenheit zunehmend mit der Auslegung umweltschutz- und gesundheitsschutzrelevanter Rechtfertigungsvorschriften des GATT, des SPS- und des TBT-Übereinkommens auseinandersetzen müssen.305 Aber nicht nur das WTO-Recht weist Bezüge zum Umwelt- und Gesundheitsschutz auf. Auch multilaterale Umweltübereinkommen haben handelsrechtliche Auswirkungen, wobei diese allerdings unterschiedliche Ansatzpunkte verfolgen: einerseits einen ordnungspolitischen in Form von Beschränkungen des Handels mit umweltgefährdenden Stoffen und andererseits den Ansatz der ökonomischen Steuerung. Ersterer liegt fast allen oben aufgeführten multilateralen Umweltübereinkommen zu Grunde. Sie enthalten entweder eine Erlaubnis oder seltener auch die Verpflichtung zur Einführung von Handelsrestriktionen – entweder in Form von Import- oder Exportbeschränkungen oder aber in Form alternativer Maßnahmen, wie etwa sich auf das Konsumverhalten möglicherweise auswirkende Kennzeichnungsverpflichtungen. Abhängig von dem mit diesen Beschränkungen verfolgten Ziel ist zwischen zwei unterschiedlichen Formen von Handelsrestriktionen zu differenzieren: Ist Sinn und Zweck der Maßnahmen die Kontrolle des Handels mit umwelt- oder gesundheitsgefährdenden Stoffen, so sind sie in aller Regel nur zwischen den Vertragsparteien anwendbar. Zielt die Handelsbeschränkung jedoch darauf ab, Nicht-Vertragsstaaten zu einem Beitritt des Übereinkommens zu bewegen, so ist sie in aller Regel auch nur gegenüber diesen anwendbar.306 Der ordnungspolitische Ansatz ist aus volkswirtschaftlicher Sicht wegen seiner ökonomischen Ineffizienz immer wieder kritisiert worden. Allerdings hat diese Kritik erst mit dem Kyoto-Protokoll Eingang in die Umweltpolitik gefunden. Denn das Protokoll versucht das Vertragsziel der Emissionsreduktion nicht durch den Einsatz von Handelsverboten oder -einschränkungen, 305 Für einen Überblick über die bisherigen Panel- und Appellate Body-Berichte, in denen Gegenstand der Auseinandersetzungen Handelsbeschränkungen zum Schutze der Umwelt waren, vgl. Neumann, Koordination, S. 164 ff.; siehe auch Cameron/Campbell, Challenging the Boundaries of the DSU, in: dies. (eds.), S. 204 (206 ff.) für eine begrenzte Auswahl der relevanten Entscheidungen. 306 The Compatibility of Recent MEAs with the WTO Rules, Discussion Paper for the Second Regional Workshop on Strengthening Research and Policy-Making Capacity on Trade and Environment in Developing Countries, S. 5 f., abrufbar unter www.unctad.org/trade_env/docs/MEAS-WTO.pdf.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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sondern primär durch die Einführung ökonomischer Instrumente in Form von handelbaren Emissionszertifikaten zu erreichen. Die ökonomische Steuerung hat zumindest der Theorie nach den Vorteil, dass das Ziel des Umweltschutzes durch geringst mögliche Kosten erreicht wird und somit gegenüber ordnungspolitischen Maßnahmen aus volkswirtschaftlicher Sicht wesentlich effizienter ist.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung Die Konsequenzen, die sich aus der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, der zunehmenden Anzahl verbindlich entscheidender, obligatorisch zuständiger Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren und der funktionalen und materiellrechtlichen Dezentralisation für die Problematik der Parallelität von Streitbeilegungsverfahren ergeben, sind äußerst vielfältig. So wurde bereits im Rahmen der in den 70er Jahren einsetzenden Diskussion über eine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit durch die Schaffung von Gerichten mit regional und bzw. oder sachlich begrenztem Jurisdiktionsbereich vor der Gefahr divergierender Auslegungen derselben Rechtsnormen in unterschiedlichen Verfahren gewarnt.307 Die dadurch zum Ausdruck kommende Befürchtung der drohenden Fragmentierung des Völkerrechts findet sich verstärkt in der neueren Völkerrechtsliteratur und -praxis. So hat Gilbert Guillaume, der Präsident des IGH, vor der UNGeneralversammlung eine Aussage des ehemaligen Präsidenten Schwebel wiederholt, in der die bereits erwähnte Sorge über eine Zersplitterung des Völkerrechts aufgrund unterschiedlicher Interpretationen derselben Rechtsnormen durch verschiedene Gerichte zum Ausdruck kommt: „. . . the proliferation of international courts gives rise to a serious risk of conflicting jurisprudence, as the same rule of law might be given different interpretations in different cases . . . A dialogue among judicial bodies is crucial. The International Court of Justice, the principle judicial organ of the United Nations, stands ready to apply itself to this end if it receives the necessary sources.“308

Diese Befürchtung ist auch der Hauptgrund für die harsche Kritik an der Errichtung des ISGH, weil durch ein weiteres permanentes Gericht neben dem IGH unnötigerweise die Gefahr divergierender Auslegungen des SRÜ verstärkt werde.309 Eine ähnliche Problematik stellt sich auch, wenn nicht 307 Golsong, Judicial Bodies with Limited Jurisdiction, in: Mosler/Bernhardt (eds.), Judicial Dispute Settlement, S. 99. 308 Ansprache des Präsidenten des IGH Guillaume vor der UN-Generalversammlung, 26.10.2000; abrufbar unter www.icj-cij.org. 309 Oda, RdC 244 (1993), S. 9 (139 ff.); ders., ICLQ 44 (1995), S. 863 (864 ff.); Guillaume, ICLQ 44 (1995), S. 848 (861 f.); dieser Einschätzung widerspricht

104 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

dieselben Rechtsnormen, sondern identische Vorschriften unterschiedlicher Verträge von internationalen Gerichten verschieden ausgelegt werden. Von der Situation divergierender Auslegungen in unterschiedlichen Verfahren zu unterscheiden sind diejenigen Fallkonstellationen, in denen es bezüglich desselben strittigen Lebenssachverhalts zu parallelen Streitbeilegungsverfahren im Rahmen parallel anwendbarer Übereinkommen kommt. Eine solche Möglichkeit besteht überall dort, wo globale und regionale Übereinkommen desselben Sachbereichs parallel zueinander existieren, wie im internationalen Wirtschaftsrecht, Seerecht und Menschenrechtsschutz. Abzugrenzen davon sind wiederum Situationen, in denen nicht die regionale und globale Parallelität von Übereinkommen Ursache paralleler Verfahren ist, sondern die materiellrechtliche Dezentralisation. Dadurch kommt es zu Fallkonstellationen, in denen eine Streitigkeit Bezüge zu unterschiedlichen, aber im Zusammenhang stehenden Sachbereichen aufweist, die in verschiedenen Übereinkommen geregelt sind. Demnach lassen sich folgende Konstellationen paralleler Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsverfahren unterscheiden: erstens, die divergierende Auslegung derselben Rechtsnorm in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren, zweitens, die divergierende Auslegung unterschiedlicher, aber inhaltlich identischer Normen in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren, drittens, die divergierende Auslegung derselben Rechtsnorm in parallelen, d.h. im Zusammenhang stehenden Verfahren, viertens, parallele Verfahren im Rahmen verschiedener Übereinkommen desselben Sachbereichs und fünftens, parallele Verfahren im Rahmen verschiedener Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche.

I. Divergierende Auslegung derselben Rechtsnorm in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren Die Diskussion über die Gefahr divergierender Auslegungen derselben Rechtsnormen in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren hat sich, wie bereits erwähnt, u. a. an der Errichtung des ISGH entzündet. Allerdings weist diese Problematik im SRÜ insofern eine Besonderheit auf, als dass für die Auslegung desselben Übereinkommens drei unterschiedliche Gerichte zuständig sind, die in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.310 Im Gegensatz dazu ist die Parallelität internationaler Gerichte Rosenne, AJIL 89 (1995), S. 806 (813 f.), der die Gefahr der Zersplitterung durch die Errichtung des ISGH lediglich für abstrakt und nicht konkret hält; für die Gründe der Errichtung und der Vorteile des ISGH gegenüber dem IGH vgl. Charney, VirgJIL 35 (1995), S. 381 (389 ff.); Boyle, ICLQ 46 (1997), S. 37 (50 f.); Lauterpacht, International Justice, S. 19 ff.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass diese, mit Ausnahme des IGH, einen sachlich beschränkten Jurisdiktionsbereich haben. Die vor den Gerichten geltend gemachten Rechtsverletzungen können damit nicht auf denselben Rechtsnormen basieren, so dass sich die Frage stellt, inwieweit es dann zu einer divergierenden Auslegung derselben Rechtsnorm kommen kann. Der Grund dafür liegt in der Differenzierung zwischen anwendbarem und durchsetzbarem Recht.311 Die Jurisdiktionsbeschränkung regionaler und bzw. oder sachlich begrenzter Gerichte bezieht sich lediglich auf das mit Hilfe der Gerichte durchsetzbare Recht, nicht aber auch auf das anwendbare Recht. So ist es u. U. notwendig, Normen des allgemeinen Völkerrechts heranzuziehen, um zu klären, ob eine Norm, auf die sich die Zuständigkeit des Gerichts bezieht, überhaupt anwendbar312 oder verletzt ist. Eine solche Situation stellte sich z. B. für der EGMR in den Fällen Al-Adsani, Fogarty und McElhinney.313 In allen drei Fällen musste sich der Gerichtshof mit der Reichweite der gewohnheitsrechtlich anerkannten Immunität von Staaten vor nationalen Gerichten auseinandersetzen, um überhaupt in der Sache, d.h. über die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Verletzung von Art. 6 EMRK, entscheiden zu können. Auch die Errichtung internationaler Gerichte und gerichtsähnlich ausgestalteter Institutionen mit sachlich begrenzter Zuständigkeit birgt mithin die grundsätzliche Gefahr divergierender Entscheidungen derselben Rechtsnormen in sich. 1. Divergierende Auslegungen des test of control in der Rechtsprechung des IGH und ICTY In der Völkerrechtsliteratur wird die Entscheidung der Berufungskammer des ICTY im Tadic-Fall314 als Realisierung der bis dahin nur theoretisch 310

Zum SRÜ-Gerichtssystem siehe oben 1. Teil B. II. 1. a). Mit dem Begriff „durchsetzbares Recht“ werden diejenigen Rechtsnormen umschrieben, deren Verletzung vor dem jeweiligen Gericht, Tribunal oder quasi-gerichtlich ausgestaltetem Streitbeilegungsverfahren geltend gemacht werden kann, mithin in die Zuständigkeit ratione materiae fallen Zur Differenzierung zwischen anwendbaren und durchsetzbarem Recht siehe Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (560); Bartels, JWT 35 (2001), S. 499 (501 ff.) sowie die Diskussion bezüglich des in WTO-Verfahren anwendbaren Rechts unten, 2. Teil A. II. 3. a). 312 Eine mangelnde Anwendbarkeit könnte sich daraus ergeben, dass die Vorschriften eines anderen Übereinkommens als lex specialis oder lex posterior vorgehen. Zur Problematik der Anwendbarkeit dieser Grundsätze im Verhältnis sich handelsbeschränkend auswirkender, multilateraler Umweltübereinkommen und WTORechtsordnung siehe unten 2. Teil A. II. 3. b). 313 Al-Adsani v. UK, No. 35763/95; Fogarty v. UK, No. 37112/97 und McElhinney v. Irland, No 31253/96 (die Urteile sind im HRLJ 2002. S. 39 ff., 50 ff. und 57 ff. abgedruckt sowie in deutscher Übersetzung in der EuGRZ 29 (2002), S. 403 ff., 411 ff. und 415 ff.). 311

106 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

für möglich gehaltenen Gefahr divergierender Auslegungen derselben Rechtsnormen verstanden. Grund dafür ist das ausdrückliche Abweichen der Kammer von der Auslegung des test of control wie sie der IGH in seinem Nicaragua-Urteil315 vorgenommen hat.316 Im Folgenden soll anhand der Entscheidung des IGH und der des ICTY aufgezeigt werden, in welcher Form die Entscheidungen voneinander abweichen und wieso es der ICTY für notwendig erachtet hat, sich mit der Rechtsprechung des IGH in Bezug auf den von ihm verwendeten test of control auseinander zu setzen. a) Der test of control in der Rechtsprechung des IGH im Nicaragua-Fall Aufgrund der U.S.-amerikanischen Beteiligung an militärischen und paramilitärischen Aktivitäten auf dem Territorium Nicaraguas von Anfang 1981 bis 1984 leitete Nicaragua ein Verfahren gegen die USA vor dem IGH ein, in dem Nicaragua u. a. die Verletzung des Art. 2 Abs. 4 UN-Charter sowie eine Verletzung des gewohnheitsrechtlich anerkannten Interventions- und Gewaltverbots geltend machte.317 Entscheidungserheblich für das Begehren Nicaraguas war letztlich die Frage, inwieweit die USA für alle Vorfälle in Nicaragua verantwortlich gemacht werden können. In der Entscheidung differenzierte der Gerichtshof zwischen zwei verschiedenen Situationen: zum einen die Verantwortlichkeit der USA für ihr eigenes Verhalten bzw. das Verhalten ihrer Staatsorgane im Zusammenhang mit den militärischen und paramilitärischen Aktivitäten auf dem Territorium Nicaraguas und zum anderen die Verantwortlichkeit der USA in Bezug auf das Verhalten und die Taten Dritter.318 Zentraler Punkt der Entscheidung waren mithin Fragen der Verantwortlichkeit von Staaten für ihre Organe im Allgemeinen und das 314

Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic, ILM 38 (1999), S. 1518 ff. Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. USA), Merits, 27.6.1986, ICJ Rep. 1986, para. 105–116. 316 Vgl. dazu Treves, Max Planck UNYB 4 (2000), S. 215 (222 ff.); Buergenthal, LJIL 14 (2001), S. 267 (273). 317 Grund für die zweifache Rechtsgrundlage des Interventions- und Gewaltverbots war die bei Klageeinreichung nicht absehbare Relevanz des sog. Vandenberg-Vorbehalts der USA in Bezug auf die Zuständigkeit des IGH. Nach dem Inhalt des Vorbehalts ist die Zuständigkeit des IGH für alle Streitigkeiten ausgeschlossen, die sich aus einem multilateralen Vertrag ergeben, es sei denn, dass alle durch die Entscheidung betroffenen Vertragspartner auch Partei in dem jeweiligen Verfahren vor dem Gerichtshof sind oder dass die USA der Gerichtsbarkeit speziell zugestimmt haben. Für den Fall, dass der Gerichtshof den Vorbehalt akzeptieren würde, wollte Nicaragua sein Vorbringen auf eine alternative Rechtsgrundlage außerhalb multilateraler Übereinkommen stützen, um so den Vorbehalt zu umgehen und eine mögliche Unzuständigkeitserklärung des IGH zu vermeiden. 318 Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 61 ff. 315

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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Problem, inwieweit sich ein Staat das Verhalten und die Handlungen von Privatpersonen als eigene zurechnen lassen und für diese die völkerrechtliche Verantwortung übernehmen muss, im Besonderen. Während die grundsätzliche Verantwortung der USA für Handlungen der eigenen Staatsorgane unproblematisch ist, handelt es sich bei der Zurechnung von Privatverhalten um einen rechtlich und faktisch umstrittenen Bereich. In Bezug auf die Zurechnung des Verhaltens von Privatpersonen differenzierte der IGH in der Nicaragua-Entscheidung zwischen zwei Kategorien: Das Verhalten von staatlichen officials der USA im Zusammenhang mit dem Konflikt und das Verhalten von Privatpersonen, die nicht im Staatsdienst der USA standen. In der letzten Kategorie wiederum untersuchte der Gerichtshof, ob zum einen die Handlungen der sog. UCLAs319 und zum anderen die der Contra-Rebellen den USA als eigene zurechenbar sind. Nicaragua hatte geltend gemacht, und dies ist vom Gerichtshof zumindest in Teilen als bewiesen anerkannt worden, dass die UCLAs für das Vermienen von nicaraguanischen Häfen verantwortlich waren, in Folge dessen es zu Sachbeschädigungen an den Schiffen, die mit den Mienen kollidiert sind, sowie zu Verletzungen und einigen Todesfällen bei den Besatzungsmitgliedern kam.320 Die Contra-Rebellen hingegen hatten nach Einschätzung des Gerichtshofs eine Vielzahl von Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung und die reguläre Armee Nicaraguas begangen.321 Die Beweisaufnahme während des Verfahrens ergab zwar, dass die USA in einem erheblichen Umfang für die Finanzierung, die logistische Unterstützung, die Ausbildung und die Lieferung von Waffen sowohl an die Contra-Rebellen322 als auch die UCLAs verantwortlich waren.323 Dennoch begründete dies nach Ansicht des Gerichtshofes nicht die zwangsläufige 319 Abkürzung für die im Verfahren und in den USA gebräuchliche Bezeichnung einer im Konflikt involvierten Gruppe von Staatsangehörigen verschiedener lateinund mittelamerikanischer Staaten, die sog. Unilaterally Controlled Latino Assets, vgl. Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 45. 320 Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 46 ff. 321 Ob die Übergriffe der Contra-Rebellen die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen, hat der IGH ausdrücklich offengelassen, da es in dem Verfahren lediglich um die Zurechenbarkeit des Verhaltens der Rebellen ging, was auch ohne eine Entscheidung in Bezug auf die angebliche Verletzungen von Vorschriften des humanitären Völkerrechts durch die Contra-Rebellen möglich war; Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 65. 322 So handelte es sich nach Zeugenaussagen bei den Contra-Rebellen um regionale Banden in der Näher der mexikanischen Grenzen, die in keinerlei Weise paramilitärisch ausgestattet waren oder über nennenswerte Geldsummen verfügten, um sich dementsprechend auszurüsten, bevor sie durch die USA in erheblichem Umfang gefördert wurden, Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 53 f. und 64. 323 Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 61 und 64 f.

108 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Schlussfolgerung, dass damit die USA nicht nur für die eigenen Unterstützungshandlungen selbst, sondern auch für das aus der Unterstützung resultierende Verhalten der UCLAs und der Contra-Rebellen verantwortlich seien. Eine Zurechnung für das Verhalten von Privatpersonen ergebe sich nur in Fällen, in denen diese wie de facto Organe des Staates handeln. „What the Court has to determine at this point is, whether the relationship between the Contras and the United States Government was so much of dependence on the one side and control of the other that it would be right to equate the Contras, for legal purposes, with an organ of the United States Government, or as acting on behalf of that Government.“324

Dies wiederum mache ein gewisses Maß an Kontrolle des Staates über die Handlungen der Privatpersonen notwendig. Was nun die Kriterien der ausreichenden Kontrollintensität angeht, so nahm der IGH Bezug auf die bereits erwähnte Differenzierung zwischen Individuen, die von den USA angestellt waren, und übrigen Privatpersonen. Während für erstere eine generelle Kontrolle bzw. Kontrollmöglichkeit, die im Falle von Staatsangestellten vermutet werde, ausreicht, so bedürfe es für die letztere Kategorie einer intensiveren Verbindung, um das Verhalten dieser Personen dem Staat als eigenes Handeln zuzurechnen. Maßgeblich sei nicht eine allgemeine, sondern eine effektive, sich auf die Anordnung und Planung einzelner Aktivitäten beziehende Kontrolle. „The Court has taken the view that the United States’ participation, even if predominant or decisive, in the financing, organizing, training, supplying . . . is still insufficient in itself, on the basis of the evidence in possession of the Court, for the purpose of attributing to the United States the acts committed by the contras in the course of their military or paramilitary operations in Nicaragua . . . For this conduct to give rise to legal responsibility of the United States, it would in principle have to be proved that the State had effective control of the military and paramilitary operations in the course of which the alleged violations were committed.“325

Wendet man die Kriterien des effective control auf das Verhältnis der USA zu den Contra-Rebellen und UCLAs an, so ergibt sich ein differenziertes Bild. Während die Kontrolle über die UCLAs sehr viel weitreichender war und sich auch auf die konkrete Planung und Durchführung von Handlungen im Einzelnen bezog,326 so konnte dies für die Contras nicht 324

Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 62. Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 64. 326 Dass der Gerichtshof von einer wesentlich umfangreicheren Einflussnahme der USA auf die UCLAs ausging, wird auch bereits dadurch deutlich, dass er ihr Verhalten zusammen mit dem von U.S. officials in dem Abschnitt über Handlungen, in denen die USA nach Ansicht des IGH auf sehr viel direktere Weise beteiligt waren, untersucht; Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 45 ff., insbesondere S. 50. 325

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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festgestellt werden. Auch wenn die Unterstützung der USA mitunter erheblich und gerade zu Beginn ihrer Existenz entscheidend war, konnte zumindest von Nicaragua nicht nachgewiesen werden, dass sich die Kontrollintensität grundsätzlich und nicht nur in Ausnahmen auch auf deren konkretes Verhalten bezog.327 Zusammenfassend lässt sich ausführen, dass nach der Rechtsprechung des IGH in der Nicaragua-Streitigkeit ein Verhalten von Privatpersonen einem Staat dann zurechenbar ist, wenn es sich um ein de facto Organ des Staates handelt. Dementsprechend muss dieser über eine ausreichende Kontrolle über das Verhalten der handelnden Person verfügen. Dieser Feststellung dient der test of control. Die für eine Zurechnung notwendige Kontrollintensität ist abhängig von dem Grad der Beziehung der fraglichen Person zum Staat. Handelt es sich um Angestellte bzw. Vertreter des Staates, so ist eine generelle Kontrolle des Verhaltens bzw. deren Möglichkeit ausreichend. Handelt es sich jedoch um Privatpersonen ohne rechtliche Verbindungen zum Staat, so muss die Kontrollintensität dergestalt ausgeprägt sein, dass eine effektive Kontrolle auch über einzelne Handlungen besteht. b) Der test of control in der Rechtsprechung des ICTY Auch wenn allgemein anerkannt und von der Berufungskammer im Anschluss an die Ausführungen der Anklage im Tadic-Verfahren ausdrücklich festgestellt worden ist, dass Gegenstand von Verfahren vor dem ICTY nicht Fragen der Staatenverantwortlichkeit und damit der Zurechenbarkeit des Verhaltens von Privatpersonen sind, sondern die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuen in einem bewaffneten Konflikt,328 so haben die vom IGH in der Nicaragua-Entscheidung entwickelten Zurechnungskriterien dennoch Eingang in die Rechtsprechung des ICTY gefunden.329 aa) Prosecutor v. Rajic´ Die erste Entscheidung des ICTY, die sich mit dem test of control des IGH beschäftigte, ist die der Trial Chamber im Verfahren Prosecutor v. Rajic. Die Kammer musste sich mit der Frage nach der für die Anklage 327

Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 62 f. Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para 101, ILM 38 (1999), S. 1518 (1538). 329 Prosecutor v. Ivica Rajic, Review of the Indictment Pursuant to Rule 61 of the Rules of Procedure and Evidence, IT-95-12, 13.9.1996, para. 24 ff., abrufbar unter www.un.org/icty; Trial Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic, IT-94-I, 7.5. 1997, para. 585 ff., ILM 36 (1997), S. 908 (927 f.); Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, ILM 38 (1999), S. 1518 ff. 328

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einschlägigen Rechtsgrundlage, d.h. den Voraussetzungen des Art. 2 und Art. 3 des ICTY-Statuts330, auseinandersetzen. Art. 3 ermächtigt den ICTY, Personen wegen der Verletzung von gewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln der Kriegsführung zu verurteilen. Zu diesen Regeln gehört nach der Rechtsprechung der Berufungskammer des ICTY der gemeinsame Art. 3 der vier Genfer Konventionen331, der sich im Gegensatz zu den übrigen Konventionsvorschriften auch auf interne bewaffnete Konflikte bezieht. Demzufolge fallen Verletzungen der übrigen Vorschriften der Genfer Konventionen, die sog. grave breaches provisions, welche nur in einem internationalen Konflikt Anwendung finden, nicht unter die gewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln der Kriegsführung. Vielmehr kann ein Verstoß gegen diese nur nach Art. 2 des ICTFY-Statuts angeklagt werden. Letztlich entscheidend für eine Anklage nach Art. 3 oder Art. 2 des Statuts und damit auch für den Umfang, in denen vermeintliche Täter zur Verantwortung gezogen werden können, ist die Frage, inwieweit es sich um einen internationalen oder internen bewaffneten Konflikt handelt. Dass die Kategorisierung des Jugoslawien-Konflikts in dieser Hinsicht Probleme aufwirft, wird anhand des der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalts deutlich.332 Rajic wurde beschuldigt den Angriff auf das Dorf Stupni Do, welches auf dem Staatsgebiet Bosnien-Herzegowinas liegt, befohlen zu haben. Der Angriff wurde vermeintlich von dem Croatian Defence Council (im Folgenden HVO) ausgeführt, der erwiesenermaßen als bewaffneter Arm der selbsternannten, auf dem Territorium Bosnien-Herzegowinas liegenden Croatian Community of Herceg-Bosna (im Folgenden HB) anzusehen ist und unter der Kontrolle von Rajic stand. Diese Tatsachen würden auf einen reinen internen Konflikt zwischen der Armee Bosnien-Herzegowinas und dem HVO hindeuten. Allerdings war nachgewiesen und von der kroatischen Regierung zugegeben worden, dass sich zum selben Zeitpunkt Einheiten der kroatischen Armee auf dem Territorium Bosnien-Herzegowinas befanden. Allein die Anwesenheit der kroatischen Truppen machte die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der HVO und der Armee Bosnien-Herzegowinas aber nicht zu einem internationalen Konflikt. Voraussetzung war vielmehr, dass diese auch an dem Konflikt beteiligt war. Erster Ansatzpunkt für Kriterien, anhand derer das notwendige Maß der Beteiligung ei330

Das Statut des ICTY ist abrufbar unter www.un.org/icty. Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field, 12.8.1949, UNTS 75, S. 31 ff.; Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded, Sick and Shipwrecked Members of Armed Forces at Sea, 12.8.1949, UNTS 75, S. 85 ff.; Geneva Convention Relative to the Treatment of Prisioners of War, 12.8.1949, UNTS 75, S. 135 ff.; Geneva Convention Relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, 12.8.1949, UNTS 75, S. 287 ff. 332 Zu den Details siehe Prosecutor v. Rajic, para. 2 und 13 ff. 331

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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ner fremden Armee bestimmt werden kann, damit die Voraussetzungen für einen internationalen Konflikt vorliegen, finden sich in der Entscheidung der Berufungskammer über die Jurisdiktion im Tadic-Fall. „To the extent that the conflicts in the former Yugoslavia had been limited to clashes between Bosnian Government forces and Bosnian Serb rebel forces in Bosnia-Herzegovina, as well as between the Croatian Government and Croatian Serb rebel forces in Krajina (Croatia), they had been internal (unless direct involvement of the Federal Republic of Yugoslavia (Serbia-Montenegro) could be proven).“333

Auch wenn es im Fall Rajic nicht um die Beteiligung der Jugoslawischen Armee ging, so hat die Berufungskammer die grundsätzliche Vergleichbarkeit der Situation angenommen und entschieden, dass es sich aufgrund der erheblichen und andauernden Beteiligung der kroatischen Armee um einen internationalen Konflikt handelt. „The evidence submitted by the Prosecutor provides reasonable grounds to believe that between 5000 to 7000 members of the Croatian Army, as well as some members of the Croatian Armed Forces (,HOS‘), were present in the territory of Bosnia and were involved, both directly and through their relations with HB and the HVO, in clashes with Bosnian Government forces in central and southern Bosnia.“334

Diese Feststellung hatte noch keinen Bezug zur Entscheidung des IGH im Nicaragua-Fall. Ein solcher Bezug wurde erst durch das Vorbringen der Anklage hergestellt, nach deren Ansicht ein Konflikt nicht nur dann als international zu klassifizieren ist, wenn es zu einer direkten Beteiligung einer ausländischen Armee auf dem Territorium eines fremden Staates kommt, sondern auch dann, wenn es sich eigentlich um einen internen Konflikt handelt, bei dem eine der Parteien aber unter der politischen und militärischen Kontrolle eines anderen Staates stehe und insoweit als de facto Organ dieses Staates anzusehen sei.335 Obwohl die Kammer bereits das Kriterium der direkten Beteiligung aufgrund der Fakten als erfüllt angenommen hatte, untersuchte sie als zusätzliches Argument die alternativen Voraussetzungen der Anklage und nahm in diesem Zusammenhang Bezug auf Art. 8 der draft articles on state responsibility des ILC und die Entscheidung des IGH. Allerdings wies sie ausdrücklich daraufhin, dass die Situationen im Prinzip nicht vergleichbar seien, und kam daher zu dem Schluss, dass eine generelle politische und militärische Kontrolle ausreichend sei, damit es sich um einen internationa333 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Interloctory Appeal on Jurisdiction, IT-94-I-AR72, 2.10.1995, para. 72, ILM 35 (1996), S. 32 (55). 334 Prosecutor v. Rajic, para. 13. 335 Prosecutor v. Rajic, para. 12 und 22.

112 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

len Konflikt handle, in dem die grave breaches provisions der Genfer Konventionen Anwendung fänden. „Specific operational control is therefore not critical to the inquiry. Rather, the Trial Chamber focuses on the general political and military control exercised by Croatia over the Bosnian Croats.“336

Nach der Entscheidung in Prosecutor v. Rajic handelt es sich bei dem test of control lediglich um ein Alternativkriterium, welches Anwendung findet, wenn eine direkte Beteiligung eines anderen Staates und seiner Streitkräfte nicht nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus sei es für die Feststellung, dass es sich um einen internationalen Konflikt handle, lediglich von Bedeutung, ob eine generelle politische und militärische Kontrolle bestehe. Dass sich diese Auslegung des test of control auch auf den Bereich der Zurechnung privater Handlungen im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit erstreckt, hat die Kammer nicht behauptet oder mit seiner Aussage impliziert, so dass darin keine Abweichung zur Nicaragua-Entscheidung des IGH zu sehen ist. bb) Prosecutor v. Tadic – Trial Chamber In der Entscheidung Prosecutor v. Tadic, der eine im Verhältnis zum Rajic-Verfahren ähnliche und nur in Einzelheiten davon abweichende Faktenlage zu Grunde lag, wurde der test of control durch die Trial Chamber erneut aufgegriffen.337 Bei der Kategorisierung der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Gebiet Bosnien-Herzegowinas zwischen der Armee Bosniens und Einheiten der Bosnian Serb forces (VRS) war zunächst unbestritten, dass es sich um einen internationalen Konflikt gehandelt hat, da die VRS in die Struktur der Yugoslav National Armee (JNA) integriert war und damit eine direkte Beteiligung Jugoslawiens an den Auseinandersetzungen nachgewiesen werden konnte.338 Diese Einschätzung gilt nach Ansicht der Trial Chamber aber nur bis Mai 1992. Denn zu diesem Zeitpunkt kam es aufgrund einer vollständigen Umstrukturierung zu einer zumindest formalen Trennung zwischen den Einheiten der JNA und der VRS. Bis zum 19. Mai hatte sich die JNA dann vollständig aus dem Territorium Bosnien-Herzegowinas zurückgezogen, so dass ab diesem Zeitpunkt nur noch Einheiten der VRS in die fraglichen Kampfhandlungen verwickelt waren.339 Letztere setzten sich 336

Prosecutor v. Rajic, para. 25. Trial Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 585 ff., ILM 36 (1997), S. 908 (927 f.). 338 Siehe Meron, AJIL 92 (1998), S. 236. 339 Trial Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 582, ILM 36 (1997), S. 908 (925). 337

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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größtenteils aus bosnischen Serben zusammen und standen nach der Trennung von der JNA zumindest formal nicht mehr unter deren Kommando. Damit konnte eine direkte Beteiligung der JNA und damit auch Jugoslawiens nicht mehr nachgewiesen werden, so dass es nach der Rechtsprechung der Trial Chamber im Rajac-Fall notwendig war, nachzuweisen, dass die VRS unter der politischen und militärischen Kontrolle der JNA standen. Nur unter dieser Voraussetzung wäre es möglich gewesen, den Konflikt als international zu klassifizieren, so dass die von Tadic nach dem 19. Mai begangenen Taten in den Anwendungsbereich des Art. 2 ICTY-Statut fallen würden. Rechtlich galt es mithin dieselbe Frage zu beurteilen wie im RajicFall – nämlich inwieweit es sich bei den Auseinandersetzungen um einen internationalen oder internen bewaffneten Konflikt handelte. Bei der Prüfung der zwischen der VRS und den JNA bestehenden Verbindung und der Frage, ob erstere von der letzteren politisch und militärisch abhängig war, hat sich die Kammer allerdings nicht den rechtlichen Ausführungen im Rajic-Fall angeschlossen, sondern es für notwendig erachtet, dass die JNA über die VRS eine effektive und nicht nur generelle Kontrolle ausübte. Dabei stützte sie sich auf die folgenden Ausführungen des IGH bezüglich der Klassifizierung des Konflikts zwischen den Contra-Rebellen und Nicaragua einerseits und den USA und Nicaragua andererseits: „The conflict between the contras’ forces and those of the Government of Nicaragua is an armed conflict which is ,not of an international character‘. The acts of the contras towards the Nicaraguan Government are therefore governed by the law applicable to conflicts of that character; whereas the actions of the United States in and against Nicaragua fall under the legal rules relating to international conflicts.“340

Dementsprechend hat die Kammer die Kriterien des effective control des IGH auf das Verhältnis von JNA und VRS übertragen und deren Vorliegen abgelehnt.341 Dabei ist auffallend, dass die Argumentationsstruktur mit der des Gerichtshofes vollkommen identisch ist: Auch wenn nachgewiesen werden konnte, dass die JNA in einem erheblichen Umfang die Einheiten der VRS sowohl logistisch als auch finanziell unterstützt hat, so sah es die Kammer als nicht erwiesen an, dass darüber hinaus eine effektive Kontrolle über die Handlungen der VRS im konkreten Fall bestand.342 Dass eine solche Kontrolle überhaupt nicht notwendig war, weil es sich bei der Führung der VRS um ehemalige Offiziere der JNA handelte, die ab dem 19. Mai 1992 nur deshalb den Einheiten der VRS und nicht denen der JNA zugewiesen wurden, weil sie nach dem Entstehen des Staates Bosnien-Herzego340

Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1996, S. 114. Trial Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 607, ILM 36 (1997), S. 908 (933). 342 Trial Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 595 ff., ILM 36 (1997), S. 908 (929 ff.). 341

114 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

wina aufgrund ihrer Abstammung dessen Staatsangehörigkeit besaßen, hat die Trial Chamber für nicht relevant erachtet.343 Konsequenterweise ist Tadic nicht wegen des Verstoßes gegen die grave breaches provisions und damit auch nicht auf der Grundlage des Art. 2 des ICTFY-Statuts verurteilt worden, sondern auf Grundlage der in Art. 3 des Statuts enthaltenen gewohnheitsrechtlich anerkannten Tatbestände, mithin wegen Verstoßes gegen den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen. cc) Prosecutor v. Tadic – Berufungskammer Da sowohl Tadic als auch die Anklage Berufung gegen die Entscheidung der Trial Chamber eingelegt hatten, musste sich die Berufungskammer erneut mit dem Fall und damit auch mit der vorgenommenen Kategorisierung des Konflikts auseinander setzen. Auch wenn die Kammer die von der Anklage vorgebrachten Berufungsgründe zurückwies,344 so kam sie dennoch auf Umwegen zu der im Ergebnis identischen Auffassung, dass es sich nicht um einen internen, sondern 343 Vgl. dazu aber das abweichende Votum von Richterin McDonald, die zwar grundsätzlich mit der Mehrheit übereinstimmt, in der Frage, ob es sich um einen internationalen Konflikt handelt und damit Art. 2 des ICTY-Statuts Anwendung findet, allerdings aus zwei Gründen von der Entscheidung der Kammer abweicht. Zum einen seien die Voraussetzungen der effektiven Kontrolle seitens der FRY und der JNA über die VRS erfüllt, da die Umstrukturierung und formale Trennung nichts an der de facto Beteiligung der JNA in dem Konflikt geändert habe, siehe Trial Chamber, Prosecutor v. Tadic, Dissenting Opinion McDonald, para. 5 ff., ILM 36 (1997), S. 908 (971 ff.). Zum anderen sei es nicht notwendig den effective control test überhaupt anzuwenden, Trial Chamber, Prosecutor v. Tadic, Dissenting Opinion McDonald, para. 16 ff., ILM 36 (1997), S. 908 (974 ff.). Die Entscheidung des IGH mache deutlich, dass grundsätzlich zwei voneinander zu differenzierende Ansätze herangezogen werden können, um das Verhalten der Contra-Rebellen zu zurechnen. Eine Zurechnung im Nicaragua-Fall wäre möglich gewesen, wenn die Abhängigkeit der Contras von den USA so umfassend gewesen wäre, dass sie im Grunde als agents oder quasi officials der USA hätten angesehen werden müssen. Unabhängig davon hätte auch eine generelle militärische und politische Kontrolle ausgereicht, um die Handlungen der Contra-Rebellen zu zurechnen. Erst als diese Abhängigkeitsform nicht nachgewiesen werden konnte, sei es zur Anwendung des effective control tests gekommen, mit dessen Hilfe untersucht werden sollte, ob nicht für einzelne konkrete Handlungen eine effektive Kontrolle bestand, so dass zumindest diese Handlungen den USA zuzurechnen gewesen seien. Diese Interpretation des Nicaragua-Urteils basiert vor allem auf den Äußerungen des IGH in Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 62. Übertrage man diese 3-stufige Prüfung auf das Verhältnis zwischen VRS einerseits und FRY und JNA andererseits, so ergebe sich aus der Faktenlage eine generelle militärische Kontrolle, die eine Anwendung des test of control nicht notwendig mache; zu dieser Auslegung des Nicaragua-Entscheidung zu Recht kritisch Charney, RdC 271 (1998), S. 101 (262); Spelliscy, CJTL 40 (2001), S. 143 (163 f.).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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einen internationalen bewaffneten Konflikt handelte. Der Umweg besteht darin, dass die Kammer zuerst die Voraussetzungen des in der NicaraguaEntscheidung aufgeführten Kriteriums der effektiven Kontrolle prüft und sie im vorliegenden Fall als nicht erfüllt ansieht, und dann in einem zweiten Schritt zu dem Schluss kommt, dass dieses Kriterium zum einen nicht überzeugend und zum anderen nicht durch die Entscheidungspraxis sowohl internationaler als auch nationaler Gerichte gedeckt sei.345 Diesen Schluss begründet das Gericht zum einen damit, dass das Kriterium der effektiven Kontrolle den logischen Grundlagen des internationalen Systems der Staatenverantwortlichkeit widerspreche.346 Zur Begründung dieser Behauptung nimmt die Kammer Bezug auf Art. 8 und 10 der draft articles on state responsibility in ihrer Fassung von 1998. Die ratio dieser Vorschriften sei, dass ein Staat seiner völkerrechtlichen Verantwortlichkeit nicht dadurch entfliehen kann, dass er sich darauf beruft, dass die fraglichen Handlungen von Privatpersonen begangen wurden, die nicht als Organe des Staates zu klassifizieren sind. Mit anderen Worten sind Staaten daran gehindert, auf der einen Seite durch die Handlungen von de facto Organen tätig zu werden und sich auf der anderen Seite von den Handlungen dieser Organe loszusagen, wenn sie internationales Recht verletzen. Allerdings erkennt auch die Berufungskammer an, dass nicht jegliche Privathandlung einem Staate zurechenbar ist. 344

Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para 69 ff., ILM 38 (1999), S. 1518 (1533 f.). Die Anklage machte zum einen geltend, dass der ausschließliche Bezug der Trial Chamber auf die Kriterien der Nicaragua-Entscheidung zur Kategorisierung des Konflikts als international oder intern, rechtsfehlerhaft sei. Zwar könne der effective control test alternativ herangezogen werden, vorrangig sei aber das Kriterium einer nachweislichen Verbindung (demonstrable link) zwischen der FRY und der VRS entscheidend dafür, ob es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt gehandelt hat oder nicht. Zum anderen müsse die Unterschiedlichkeit der Situationen berücksichtigt werden sowie die Tatsache, dass der IGH es in seinem Urteil vermieden hat, eine Kategorisierung des Konflikts vorzunehmen, und stattdessen lediglich Bezug genommen hat auf den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen, der sowohl in internationalen wie auch nationalen Konflikten Anwendung findet. Darüber hinaus würde der IGH in der Entscheidung neben dem effective control test einen sog. „agency test“ anwenden, welcher im Bereich des humanitären Rechts besser geeignet sei, um über die Anwendbarkeit der grave breaches provisions der Genfer Konventionen zu entscheiden. Damit entsprechen die von der Anklage vorgebrachten Argumente in etwa der Entscheidung in Prosecutor v. Rajic, para. 25 und dem abweichenden Votum von McDonald in der Trial Chamber; vgl. Prosecutor v. Tadic, Dissenting Opinion McDonald, para. 5 ff., ILM 36 (1997), S. 908 (971 ff.). 345 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 116 ff., ILM 38 (1999), S. 1518 (1540 ff.). 346 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 116 ff., ILM 38 (1999), S. 1518 (1540 ff.).

116 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen „The requirement of international law for the attribution to States of acts performed by private individuals is that the State exercises control over the individuals. The degree of control may, however, vary according to the factual circumstances of each case.“347

Auf Grundlage dieser Ausführungen differenziert die Kammer zwischen zwei Fallkategorien: einzelnen Privatpersonen, die aufgrund bestimmter Anweisungen eines Staates isoliert tätig werden, einerseits und organisierten, hierarchisch strukturierten Gruppen von Privatpersonen, wie etwa paramilitärische Einheiten, andererseits.348 Die Handlungen der letzten Kategorie seien aufgrund der Unterschiede zur ersteren einem Staat bereits dann zurechenbar, wenn die Gruppe unter der Gesamtkontrolle des Staates steht und zwar unabhängig davon, ob jede Handlung im Einzelnen vom Staat kontrolliert oder angeordnet werde.349 Diese Kategorisierung rechtfertigt die Kammer, indem sie diverse Entscheidungen sowohl internationaler wie auch nationaler Gerichte untersucht. Dass die Handlungen von Individuen, die in keiner hierarchisch organisierten Gruppe von Privatpersonen organisiert sind, nur dann einem Staat zugerechnet werden können, wenn dieser eine effektive Kontrolle über die Individuen ausübe, ergebe sich bereits aus der Entscheidung des IGH im Teheran Hostage-Fall350 sowie aus der Nicaragua-Entscheidung des Gerichtshofs in Bezug auf die Voraussetzungen für die Zurechnung der Handlungen der UCLAs.351 Dass im Gegensatz dazu Handlungen organisierter, strukturierter Gruppen bereits dann zurechenbar sind, wenn es an einer effektiven Kontrolle zwar mangelt, eine grundsätzliche Kontrolle über die Handlungen aber zu bejahen ist, ergebe sich u. a. aus der Entscheidung des Iran-United States Claims Tribunal im Falle Kenneth P Yeager,352 aus der Entscheidung des EGMR in Loizidu v. Turkey353 sowie aus dem Verfahren gegen Jorgic wegen Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina vor dem OLG Düsseldorf.354 Diese Entscheidungen lassen nach Ansicht der Kammer den folgenden Schluss zu: 347 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 117, ILM 38 (1999), S. 1518 (1540 f.). 348 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 120, ILM 38 (1999), S. 1518 (1541). 349 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 122, ILM 38 (1999), S. 1518 (1542). 350 United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran (USA v. Iran), 24.5.1980, ICJ Rep. 1980, 3 ff. 351 Military and Paramilitary Acticities, ICJ Rep. 1986, S. 64. 352 Kenneth P. Yeager v. Islamic Republic of Iran, Iran-United States Claims Tribunal Rep. 17 (1987), vol. IV, S. 92. 353 Eur. Court H.R., Loizidou v. Turkey (merits and justifiaction), Appl. No. 15318/89, 18.12.1996, Reports of Judgements and Decisions 26 (1996 VI), S. 2260.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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„In order to attribute the acts of a military or paramilitary group to a State, it must be proved that the State wields overall control over the group, not only by equipping and financing the group, but also by coordinating or helping in the general planning of its military activity.“355

Allerdings können sich auch bei der Zurechenbarkeit der Handlungen von militärisch oder paramilitärisch organisierten und hierarchisch strukturierten Einheiten unterschiedliche Anforderungen an die Aussagekraft der Beweise gestellt werden, die eine generelle Kontrolle des Staates über die Handlungen dieser Einheiten belegen sollen. „Of course, if, as in Nicaragua, the controlling State is not the territorial State where the armed clashes occur . . ., more extensive and compelling evidence is required to show that the State is genuinely in control. . . . Where the controlling State in question is an adjacent State with territorial ambitions on the State where the conflict is taking place, and the controlling State is attempting to achieve its territorial enlargement through the armed forces which it controls, it may be easier to establish the threshold.“356

Damit hat der ICTY zwar letztlich nicht das Ergebnis des IGH in der Nicaragua-Entscheidung in Frage gestellt. Dennoch ist die Berufungskammer von der Auslegung des Gerichtshofs explizit abgewichen und hat dessen Ausführungen als nicht überzeugend bezeichnet. Die daraus resultierende Divergenz hinsichtlich der Auslegung des tests of control ist offensichtlich. 2. SBT-Schiedsgericht und ISGH MOX Plant-Entscheidung Auch die Entscheidungen des ISGH im SBT-Fall und der MOX PlantStreitigkeit bezüglich des Erlasses einstweiliger Maßnahmen weichen in entscheidenden Punkten von der Entscheidung des SBT-Schiedsgerichts im Hauptsacheverfahren ab. Letzteres hatte Art. 281 Abs. 1 SRÜ dahingehend ausgelegt, dass dieser auch dann anwendbar sei, wenn die Streitigkeit nicht nur in den Anwendungsbereich des SRÜ, sondern auch in den eines regionalen Seerechtsübereinkommens falle, da es sich in einer solchen Situation um eine einheitliche Streitigkeit handle, so dass im Falle des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen des Art. 281 Abs. 1 SRÜ die unverbindlichen Formen der Streitbeilegung des regionalen Übereinkommens vorgehen.357 Die Streitbeilegungsvorschrift des Regionalübereinkommens sei also als 354 Dabei handelt es sich um eine unveröffentlichte Entscheidung des OLG Düsseldorf, die der Berufungskammer vorlag. 355 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 131, ILM 38 (1999), S. 1518 (1544). 356 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 139, ILM 38 (1999), S. 1518 (1545).

118 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Vereinbarung im Sinne des Art. 281 zu verstehen. Demgegenüber hatte der ISGH in dem vorherigen Verfahren über den Erlass einstweiliger Maßnahmen eine solche Auslegung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ abgelehnt.358 Auch in der der SBT-Entscheidung des Schiedsgerichts zeitlich nachfolgenden MOX Plant-Streitigkeit ist der Gerichtshof der Argumentation des Schiedsgerichts nicht gefolgt.359 Gegenstand der Entscheidung war zwar nicht die Auslegung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ, sondern die des Art. 282 SRÜ. Dennoch ging es letztlich um dieselbe grundsätzliche Auslegungsfrage: Können die Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ dahingehend ausgelegt werden, dass Streitbeilegungsvorschriften in anderen Übereinkommen des internationalen Seerechts eine Vereinbarung über die Beilegung von Streitigkeiten nach dem SRÜ darstellen, ohne dass dies in den Übereinkommen explizit erwähnt wird? Während das SBT-Schiedsgericht dies bejaht hat, ist eine solche Auslegung vom ISGH abgelehnt worden.360

II. Divergierende Auslegung unterschiedlicher, aber inhaltsgleicher Rechtsnormen in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren – die Loizidou-Entscheidung des EGMR Aufgrund der parallelen Existenz von regionalen und globalen Übereinkommen desselben Sachbereichs, besteht auch die Möglichkeit divergierender Auslegungen zwar unterschiedlicher, aber inhaltsgleicher Rechtsnormen in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren. Beispielhaft hierfür ist die Entscheidung des EGMR im Loizidou-Fall361, die, wie auch die Entscheidung des ICTY im Tadic-Fall, in der Völkerrechtsliteratur auf Kritik gestoßen ist.362 Gegenstand des Verfahrens war die Beschwerde von Frau Loizi357

SBT-Schiedsgericht, para. 62 ff., ILM 39 (2000), S. 1359 (1389 ff.). Zum Sachverhalt der Streitigkeit siehe unten 1. Teil D. IV. 2.; zu der vom Schiedsgericht vorgenommenen Auslegung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ siehe unten 2. Teil C. V. 2. 358 SBT-ISGH, para. 51, ILM 38 (1999), S. 1624 (1632). 359 ISGH, MOX Plant, para 38 ff., ILM 41 (2002), S. 405 (411 f.); siehe vor allem ISGH, MOX Plant, Seperate Opnion of Judge Treves, para. 2 ff., ILM 41 (2002), S. 430 f.; das MOX-Plant-Schiedsgericht in der Hauptsache hat sich der Rechtsauffassung des ISGH angeschlossen, vgl. The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, para. 18, abrufbar unter www.pca-acp.org. 360 Siehe dazu unten 2. Teil C. V. 3. 361 Eur. Court H.R., Loizidou v. Turkey (preliminary objections), Appl. No. 15318/89, auszugsweise abgedruckt in ILR 103 (1996), S. 622 ff. 362 Vgl. Jennings, ICLQ 45 (1996), S. 1 (5 f.): „I feel bound to say that I find this insistence on seperateness disturbing“; Treves, Max Planck UNYB 4 (2000), S. 215 (222 f.).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

119

dou, einer zypriotischen Staatsangehörigen, die im Südteil der Insel lebt, aber Eigentümerin eines Grundstücks im Norden der Insel ist. Da türkische Soldaten ihr in der Vergangenheit den Zutritt nach Nordzypern und damit auch die Ausübung ihrer Eigentumsrechte verwehrten und auch in Zukunft weiter verwehren würden,363 machte sie in dem Verfahren gegen die Türkei eine Verletzung des Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK und des Art. 8 EMRK geltend. Darüber hinaus würde ihre Festnahme durch die türkisch-zypriotische Polizei beim Versuch des Grenzübertritts nach Nordzypern ihre Rechte aus Art. 3, 5 und 8 EMRK verletzen. Weil damals das 11. Zusatzprotokoll noch nicht in Kraft getretenen war, bedurfte es gem. Art. 25 und 46 EMRK a. F. zur Begründung der Zuständigkeit der EKMR und des EGMR einer Unterwerfungserklärung. Zwar hatte die Türkei eine solche abgegeben, diese aber gleichzeitig dahingehend eingeschränkt, dass davon nur Handlungen auf türkischem Hoheitsgebiet erfasst werden. Damit sind indirekt alle Handlungen auf dem Gebiet der „Türkischen Republik Nordzypern“ nicht von der Unterwerfungserklärung erfasst. Der EGMR sah sich deshalb in dem Verfahren der Notwendigkeit ausgesetzt, zu untersuchen, ob eine territoriale Begrenzung in der Unterwerfungserklärung mit Art. 46 EMRK a. F. vereinbar ist. Im Ergebnis hat der Gerichtshof dies verneint, die einschränkende Erklärung in der Unterwerfungserklärung für ungültig erklärt und gleichzeitig entschieden, dass die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des EGMR dennoch bestehen bleibe.364 In dieser Entscheidung wurde deshalb eine Divergenz zu der Praxis des IGH gesehen, weil der im Loizidou-Fall entscheidungserhebliche Art. 46 Abs. 2 EMRK a. F. auf Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut basiert, was auch der EGMR anmerkt.365 Der IGH wiederum verfolgt grundsätzlich einen sehr extensiven Ansatz bei der Zulässigkeit von Einschränkungen im Rahmen von Unterwerfungserklärungen und hat bisher keine dieser Einschränkungen wegen Unvereinbarkeit mit dem Völkerrecht bzw. dem IGH-Statut für ungültig erklärt.366 Insbesondere in der Rechtsauffassung des EGMR, dass die Ungültigkeit der territorialen Einschränkung in der Unterwerfungserklärung der Türkei nicht die Ungültigkeit der gesamten Unterwerfungserklärung zur Folge habe, könnte ein Widerspruch zur Rechtsauffassung des 363

Zu den Fakten vgl. Loizidou v. Turkey (preliminary objections), para. 10 ff., ILR 103, S. 622 (628 f.). 364 Loizidou v. Turkey (preliminary objections), para 90 ff., ILR 103, S. 622 (649 ff.). 365 Loizidou v. Turkey, (preliminary objections), para. 83, ILR 103, S. 622 (648). 366 Case of Certain Norwegian Loans (France v. Norway), 6.7.1957, ICJ Rep. 1957, S. 17 ff.; Case Concerning the Aerial Incident of 10 August 1999 (Pakistan v. India), 21.6.2000, ICJ Rep. 2000, S. 25 ff.; Fisheries Jurisdiction Case (Spain v. Canada), 4.12.1998, ICJ Rep. 1998, S. 457 ff.

120 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

IGH gesehen werden. Dieser hat sich zwar mit dieser Problematik nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Allerdings ist sie von Hersch Lauterpacht in seinem abweichenden Votum im Norwegian Loans-Fall eingehend erörtert worden. Gegenstand der Erörterung war, welche Konsequenzen aus der Teilnichtigkeit des französischen Vorbehalts zu ziehen seien.367 „If the clause of Acceptance reserving to the declaring Government the right of unilateral determination is invalid, then there are only two alternatives open to the Court; it may either treat as invalid the particular part of the reservation or it may consider the entire Acceptance as be tained with invalidity. (There is a third possibility – which is only to be mentioned in order to be dismissed – namely, that the clause in question invalidates not the Accceptance as a whole but the particular reservation. This would mean that the entire reservation of matters of national jurisdiciton would be treated as invalid while the Declaration of Acceptance as such would be treated as fully in force).“368

Entscheidend für die sich anschließende Frage, ob die Teilungültigkeit der französischen Unterwerfungserklärung die Ungültigkeit der gesamten Erklärung nach sich ziehe, war, inwieweit zwischen dem Vorbehaltszusatz und der Unterwerfung an sich ein so wesentlicher Zusammenhang bestand, dass davon auszugehen war, dass eine Unterwerfung ohne diesen Zusatz nicht erfolgt wäre.369 Als Nachweis eines solch wesentlichen Zusammenhangs bezieht Lauterpacht sich auf die Staatenpraxis der USA, Südafrikas und Indiens, die ihre ursprünglichen Unterwerfungserklärungen dahin ergänzten, dass sie einseitig bestimmen könnten, ob eine Streitigkeit die inneren Angelegenheiten des Staates berühre.370 Dementsprechend kommt Lauterpacht zu der Schlussfolgerung: „To ignore that clause and to maintain the binding force of the Declaration as a whole would be to ignore an essential and deliberate condition of the Acceptance.“371

367 Der französische Vorbehalt schloss die Zuständigkeit des IGH für alle Streitigkeiten aus „which are essentially within the domestic jurisdiction as understood by the Government of the French Republic“; Certain Norwegian Loans, ICJ Rep. 1957, S. 21. Während sich der Gerichtshof mit der Gültigkeit dieses Vorbehalts nicht auseinandergesetzt hat, da dessen Ungültigkeit von keiner der Parteien vorgebracht worden war, hielt Lauterpacht eine Auseinandersetzung für notwendig. In seinem abweichenden Votum begründet er die Unzulässigkeit des Zusatzes „as understood by the Government of the French Republic“; Ceratin Norwegian Loans, Seperate Opinion Sir Hersch Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, S. 43 ff. 368 Ceratin Norwegian Loans, Seperate Opinion Sir Hersch Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, S. 55 f. 369 Ceratin Norwegian Loans, Seperate Opinion Sir Hersch Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, S. 56 f. 370 Ceratin Norwegian Loans, Seperate Opinion Sir Hersch Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, S. 57.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

121

Im Gegensatz dazu hat der EGMR, obwohl die Vorschrift des Art. 46 Abs. 2 EMRK a. F. auf der Regelung des IGH-Statuts basiert und letztlich mit dieser trotz vereinzelter Abweichungen im Wortlaut identisch ist, die Zulässigkeit von die Zuständigkeit einschränkenden Unterwerfungserklärungen aufgrund des mit der EMRK verfolgten Sinn und Zwecks restriktiv ausgelegt und darüber hinaus die Unterwerfungserklärung trotz der Nichtigkeit der Einschränkung als wirksam und weiterbestehend behandelt.372

III. Divergierende Auslegungen derselben Rechtsnormen in im Zusammenhang stehenden Verfahren 1. Auslegung des Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention Bisher existiert im Völkerrecht nur ein einziges Beispiel, in dem es tatsächlich zu parallelen Verfahren bezüglich der Auslegung derselben Normen in im Zusammenhang stehenden Verfahren gekommen ist. Beiden Verfahren lag die Frage zu Grunde, ob und inwieweit Art. 36 Abs. 1 lit. b) der Wiener Konvention über Konsularische Beziehungen373 nicht nur dem Staat ein Recht gibt, Kontakt zu im Ausland inhaftierten Staatsangehörigen aufzunehmen, sondern ob auch der Einzelne ein Recht darauf hat, dass sein Konsulat ohne Verzögerung von seiner Inhaftierung unterrichtet wird. Die USA hatten es in zahlreichen Fällen versäumt, ausländische Staatsangehörige auf die Möglichkeit hinzuweisen, das eigene Konsulat um Hilfe zu bitten bzw. das jeweilige Konsulat über die Inhaftierung zu informieren. In Folge dessen bat zunächst Mexiko am 9. Dez. 1997 den AGMR um die Erstellung eines Rechtsgutachtens gem. Art. 64 Abs. 1 IAMRK. Darin sollte der Gerichtshof zu der Frage Stellung nehmen, ob das Verhalten der USA eine Verletzung der Konsularrechtskonvention darstelle und ob dadurch auch die Rechte des jeweils Inhaftierten verletzt würden. Auch wenn der AGMR an sich nur für die Auslegung der IAMRK zuständig ist, so gilt dies nicht für das Verfahren nach Art. 64 Abs. 1 IAMRK, die dem Gerichtshof die ausdrückliche Kompetenz einräumt, auch zu Rechtsfragen Stellung zu nehmen, die sich aus der Auslegung anderer den „Schutz der Menschenrechte in den amerikanischen Staaten betreffender Verträge“ ergeben.374 Nimmt man an, dass Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention nicht nur eine gegenüber dem jeweiligen Vertragsstaat zu erfüllende Verpflichtung enthält, sondern auch dem Einzelnen eine eigene Rechtsposition ein371 Ceratin Norwegian Loans, Seperate Opinion Sir Hersch Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, S. 58. 372 Loizidou v. Turkey (preliminary objections), para. 85, ILR 103, S. 622 (648). 373 Vienna Convention on Consular Relations, 24.4.1963, UNTS 596, S. 261 ff. 374 Siehe dazu oben 1. Teil B. IV. 2.

122 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

räumt, so kann auch die Konsularrechtskonvention unter die Voraussetzungen des Art. 64 Abs. 1 IAMRK subsumiert werden. Noch während der AGMR mit der Erstellung des Rechtsgutachtens beschäftigt war, rief Paraguay wegen des in der Sache identischen, aber nicht einen mexikanischen, sondern einen paraguayanischen Staatsangehörigen betreffenden Verhaltens der USA den IGH an, um dessen Exekution durch den Erlass vorsorglicher Maßnahmen nach Art. 41 IGH-Statut zu verhindern.375 Allerdings zog Paraguay die Klage zurück, nachdem die USA die vom Gerichtshof angeordneten vorsorglichen Maßnahmen missachtet hatten.376 Am 2. März 1999 wurde der IGH erneut mit einem fast identischen Fall befasst, der den deutschen Staatsangehörigen La Grand betraf.377 Auch wenn sich die USA wiederholt nicht an die vom Gerichtshof erlassenen vorsorglichen Maßnahmen hielt und es zu einer Exekution kam, hielt Deutschland seine Klage vor dem IGH aufrecht und machte geltend, dass die USA dadurch, dass sie La Grand nicht auf die Möglichkeit konsularischer Hilfestellung hingewiesen hätten, dessen Rechte aus Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention verletzt hätten. Noch während die deutsche Klage vor dem IGH anhängig war, veröffentlichte der AGMR sein Rechtsgutachten. Darin stellte er fest „that Art. 36 of the Vienna Convention on Consular Relations confers rights upon the detained foreign national, among them the right to information on consular assistence, and that said rights carry with them correlative obligations for the host State.“378

Auch wenn der IGH in seinem späteren Urteil genau dieselbe Feststellung traf379 und es damit nicht zu einer divergierenden Auslegung von Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention durch den IGH und den AGMR kam, so ist doch das der Situation zu Grunde liegende Konfliktpotential schwerlich zu übersehen: Durch eine divergierende Auslegung der Konsularrechtskonvention in unterschiedlichen, aber sowohl in einem zeitlichen als auch in einem personellen Zusammenhang stehenden Verfahren hätten die USA Adressat widersprüchlicher Entscheidungen sein können, die sich zwar auf zwei verschiedene Sachverhalte bezogen hätten, denen aber letztlich dasselbe Verhalten der USA und damit auch dieselbe Rechtsfrage zu Grunde lag. 375 Case Concerning the Vienna Convention on Consular Relations (Paraguay v. USA), Request for Provisional Measures, 9.4.1998, ICJ Rep. 1998, S. 247 ff. 376 Vienna Convention on Consular Relations, ICJ Rep. 1998, S. 425 f. 377 LaGrand Case (Germany v. USA), Request for Provisional Measures, 3.3.1999, ICJ Rep. 1999, S. 7 ff. 378 Inter-Am. Ct.H.R, The Right to Information on Consular Assistence in the Framework of the Guarantees of the Due Process of Law, Advisory Opnion OC-16/ 99, Ser. A, para. 141. 379 LaGrand Case (Germany v. USA), 27.6.2001, ILM 40 (2001), S. 1069 (1089).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

123

2. Divergierende Auslegungen derselben Rechtsnormen in im Zusammenhang stehenden Verfahren im Rahmen der SRÜ-Gerichtsbarkeit Im Rahmen der SRÜ-Gerichtsbarkeit besteht die wohl einmalige Situation, dass mehrere Gerichte für die Auslegung ein und desselben Übereinkommens zuständig sind. Daraus ist die Schlussfolgerung gezogen worden, dass es in einer solchen Konstellation auch zu parallelen Verfahren kommen kann, d.h. dass wegen desselben Sachverhalts von denselben Parteien Verfahren vor verschiedenen SRÜ-Gerichten eingeleitet werden können. „What, then, is the position if one party initiates proceedings in one tribunal and the other party either argues that the proceedings should be conducted in the other tribunal, or itself initiates proceedings in that other tribunal?“380

Allerdings handelt es sich dabei um eine rein theoretische Konstellation, da sie – soviel sei vorweggenommen – dadurch verhindert wird, dass im Rahmen des SRÜ Konsens bezüglich des gewählten Verfahrens bestehen muss (Art. 287 Abs. 4 SRÜ). Kann ein solcher Konsens nicht gefunden werden, so bestimmt Art. 287 Abs. 5 SRÜ, dass die Streitigkeit nur einem Schiedsgericht nach Anlage VII SRÜ unterbreitet werden kann, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren. Daraus folgt, dass eine doppelte Befassung der SRÜ-Gerichte mit derselben Streitigkeit im Falle vollständiger Parteienidentität ausgeschlossen ist. Möglich, wenn auch unwahrscheinlich, erscheint es jedoch, dass es im Falle nur partieller Parteienidentität zu einer gleichzeitigen Befassung mehrer SRÜ-Gerichte mit demselben strittigen Sachverhalt kommt. Machen mehrere Staaten die Verletzung von Vorschriften des SRÜ wegen desselben Verhaltens eines dritten Vertragsstaates geltend und bestehen entweder unterschiedliche Präferenzerklärungen im Sinne des Art. 287 Abs. 1 SRÜ oder aber kommt es nur zwischen Staat A und B zu einer Einigung bezüglich des Verfahrens, während Staat A und C sich nicht einigen können, so besteht die Möglichkeit, dass die Streitigkeit zwischen A und B entweder dem ISGH oder dem IGH unterbreitet wird und die Streitigkeit zwischen A und C wegen desselben Verhaltens von A einem Schiedsgericht nach Anlage VII SRÜ. Eine Befassung zweier Gerichte bei vollständiger Parteienidentität bezüglich einer Streitigkeit über die Auslegung von Vorschriften des SRÜ wäre jedoch noch in einer anderen Konstellation denkbar, die aus der Doppelrolle des IGH resultiert. So kann eine Streitigkeit über die Auslegung und Anwendung des SRÜ dem IGH zum einen aufgrund einer Unterwerfungserklärung nach Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts unterbreitet werden, so dass der IGH als Gericht außerhalb der obligatorischen SRÜ-Gerichtsbarkeit tä380

Lowe, Australian Y.B. Int’l L. 20 (1999), S. 191 (196).

124 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

tig wird. Zum anderen kann die Streitigkeit auch im Rahmen der SRÜ-Gerichtsbarkeit einem der drei möglichen Foren unterbreitet werden, d.h. auch der ISGH oder ein Schiedsgericht könnten sich gezwungen sehen, sich mit demselben strittigen Lebenssachverhalt auseinanderzusetzen wie der IGH. Allerdings enthält das SRÜ auch für diese theoretischen Konstellation eine Lösung, indem Art. 282 SRÜ in einer solchen Konstellation dem IGH Verfahren gegenüber der SRÜ-Gerichtsbarkeit den Vorrang einräumt.381 Einzig und allein die Gerichtsbarkeit der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten ist von der Regelung des Art. 282 SRÜ nicht erfasst, der sich nur auf die Streitbeilegung nach Teil XV und nicht auch auf die nach Teil XI Abschnitt 5 des SRÜ bezieht. Dementsprechend wäre theoretisch eine gleichzeitige Befassung des IGH als Gericht außerhalb der SRÜ-Gerichtsbarkeit und der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten in Bezug auf denselben strittigen Lebenssachverhalt und dieselben Parteien möglich.382

IV. Parallele Verfahren aufgrund parallel anwendbarer Übereinkommen desselben Sachbereichs Insbesondere das internationale Seerecht, das internationale Wirtschaftsrecht sowie der internationale Menschenrechtsschutz zeichnen sich durch die Parallelität regionaler und globaler Übereinkommen aus. Aufgrund der Errichtung obligatorisch zuständiger und verbindlich entscheidender Streitbeilegungsverfahren im Rahmen des SRÜ und der WTO-Rechtsordnung war es von daher nur eine Frage der Zeit, bis sich die Problematik der parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen auf die darin vorgesehenen Streitbeilegungsvorschriften und -verfahren erstrecken würde. 1. Der Southern Bluefin Tuna-Fall Eine zentrale Rolle in der völkerrechtlichen Auseinandersetzung über das sich aus parallelen Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsmechanismen ergebene Konfliktpotential kommt dem SBT-Fall zwischen Australien und Neuseeland auf der einen und Japan auf der anderen Seite zu.383 Gegenstand der Streitigkeit sind Fragen der ausreichenden Kooperation zum Schutz der Thunfischbestände im pazifischen Raum – genauer gesagt 381

Nordquist, UNCLOS Commentary, vol. V, S. 26 f., para. 282.3. Treves, N.Y.U. J. Int’l L. P. 31 (1999), S. 809 (812). 383 Siehe dazu Oxman, AJIL 95 (2001), S 277 ff.; Devine, SAYIL 25 S. 97 ff.; Röben, ZaöRV 62 (2002), S. 61 ff.; Carstensen, ZaöRV 61 S. 73 ff.; Romano, ODIL 32 (2001), S. 313 ff.; Kwiatkowska, AJIL 95 S. 162 ff.; Tanaka, JAIL 44 (2001), S. 9 ff.; Schiffman, J. Int’l W. L. P. 2 S. 318 ff. 382

(2000), (2002), (2001), (1999),

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

125

der Bestände des Southern Bluefin Tuna (SBT). Bei der Spezies des SBT handelt es sich um eine weitwandernde Fischart nach Annex I des SRÜ, dessen Population sowohl die Hohe See, als auch die AWZ sowie das Küstenmeer einzelner Staaten durchschwimmt. Die umfassende Befischung der Thunfischbestände insbesondere durch Japan, Australien und Neuseeland führte im Laufe der Jahrzehnte zu einer drastischen Reduzierung der SBT-Bestände. Während sich diese in den 80er Jahren im Vergleich zu den 60ern bereits um ca. 75% verringert hatten, konnte auch die Einführung erster Erhaltungsmaßnahmen der Streitparteien ab Mitte der 80er Jahre384 die weitere Reduzierung der Bestände bis auf ein geschätztes Niveau von 7–15% im Vergleich zu 1960 nicht aufhalten. Grund dafür war, dass ab den 80er Jahren u. a. auch Taiwan, Indonesien und Korea begannen, die SBTBestände zu befischen, sich aber auf keine Begrenzung der Fangmenge einließen. Da die bisherigen Erhaltungsmaßnahmen der Streitparteien offensichtlich unzureichend waren und eine vollständige Vernichtung der SBT-Bestände drohte, kam es 1993 zwischen Australien, Japan und Neuseeland zum Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung des SBT,385 welches am 30. Mai 1994 in Kraft getreten ist und die Erhaltung sowie die optimale Nutzung der SBT-Bestände durch geeignete Erhaltungsmaßnahmen sicherstellen soll. Das Übereinkommen enthält nicht nur materiellrechtliche Regelungen, sondern schafft durch die Errichtung der Kommission zur Erhaltung des SBT gem. Art. 6 CCSBT, des Wissenschaftlichen Komitees gem. Art. 9 CCSBT und des Sekretariats gem. Art. 10 CCSBT auch eine institutionelle Struktur. Zentrales Element dieser Organisationsstruktur ist die Kommission, in der gem. Art. 7 CCSBT jeder Vertragsstaat mit einer Stimme vertreten ist und deren Beschlüsse einstimmig ergehen müssen. Die Aufgaben und Kompetenzen der Kommission bestehen hauptsächlich im Zusammentragen und Bereitstellen von wissenschaftlichen Informationen, Angaben über Fangmengen und sonstigen Daten der Vertragsstaaten, die für den Erhalt des SBT notwendig sind (Art. 8 Abs. 1 CCSBT).386 Nach Abs. 2 be384 Neuseeland, Japan und Australien hatten sich in den 80er Jahren auf eine Fangobergrenze (total allowable catch – TAC) geeinigt, welche die Fangmenge des SBT auf jährlich 38650 Tonnen beschränkte. Nachdem sich diese Grenze als nicht ausreichend erwiesen hatte, kam es zu einer weiteren Reduzierung der erlaubten Fangmengen auf 11750 Tonnen, wobei Japan als Hauptabnehmer des SBT 6065, Australien 5265 und Neuseeland lediglich 420 Tonnen zugestanden wurden; für die Fakten vgl. SBT-Schiedsgericht, para. 22, ILM 39 (2000), S. 1359 (1362). 385 Convention for the Conservation of Southern Bluefin Tuna, 10.5.1993, abrufbar unter www.ccsbt.org; in den relevanten Passagen auch abgedruckt in SBTSchiedsgericht, para. 23, ILM 39 (2000), S. 1359 (1362 ff.). Mittlerweile sind auch Taiwan, Indonesien und Südkorea dem Übereinkommen beigetreten; siehe dazu die Angaben unter www.ccsbt.org.

126 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

fasst sie sich darüber hinaus auch mit der Auslegung und Implementierung des Übereinkommens sowie den Tätigkeiten des Sekretariats und der wissenschaftlichen Kommission. Von besonderer Wichtigkeit sind die in Art. 8 Abs. 3 CCSBT enthaltenen Kompetenzen, die der Kommission in Verbindung mit Abs. 7 das Recht geben, sowohl die Fangquoten als auch sonstige zusätzlichen Maßnahmen, die für die Erhaltung und optimale Nutzung des SBT notwendig sind, für die Vertragsstaaten verbindlich festzulegen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben zieht die Kommission nach Abs. 4 alle relevanten wissenschaftlichen Beweise, die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung der SBT-Bestände sowie die Fischereiinteressen der Vertragsstaaten in Betracht. Ursprung der Streitigkeit sind die divergierenden Ansichten der Vertragsstaaten über die Höchstgrenze der Fangquoten. Nachdem die Kommission bereits 1993 diese mit einem TAC von 11750 Tonnen festgelegt hatte, versuchte Japan, gegen den Widerstand von Australien und Neuseeland sowohl die Obergrenze als auch die japanische Quote am TAC zu erhöhen. Da sich die Parteien in den Folgejahren aufgrund der nach der CCSBT notwendigen Einstimmigkeit nicht auf eine gemeinsame Höchstgrenze einigen konnten, konnte ab 1998 kein TAC und entsprechende Fangquoten durch die Kommission festgelegt werden.387 Allerdings haben sich die Vertragsstaaten zumindest faktisch an die 1994 vereinbarten Quoten gehalten. Grund für die Uneinigkeit bezüglich der zulässigen Fangquoten war die Frage, inwieweit die bisherigen Erhaltungsmaßnahmen bereits erste Wirkung gezeigt haben, wie von japanischer Seite vorgebracht, so dass eine Erhöhung des TAC ohne Gefährdung der SBT-Bestände möglich wäre. Wegen der ungenauen Faktenlage bezüglich einer möglichen Erholung, versuchte Japan deshalb im Rahmen der CCSBT die Durchführung eines Experimental Fishing Programs (EFP) durchzusetzen. Die dadurch gewonnenen Fakten sollten Auskunft über die momentane Verbreitung des SBT und die Größe der Bestände geben. Zwar konnte sich die Kommission auf einige Prinzipien und Ziele eines möglichen EFPs einigen, die Durchführung scheiterte aber an den unterschiedlichen Vorstellungen der Vertragsstaaten über die im Rahmen des Programms zulässigen Fangquoten. Als Konsequenz gab Japan 1998 bekannt, dass es sich zwar weiter an die Fangquoten im Bereich der kommerziellen SBT-Fischerei halten, aber zusätzlich ein sich über drei Jahren erstreckendes EFP durchführen werde, in dessen Rahmen 1998 1464 Tonnen SBT gefangen wurden.388 386

Diese Aufgabe korrespondiert mit der Verpflichtung der Vertragsstaaten, diese Informationen ohne Verzögerung an die Kommission zu übermitteln (Art. 5 Abs. 2 CCSBT). 387 SBT-Schiedsgericht, para. 24, ILM 39 (2000), S. 1359 (1366).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

127

Neuseeland und Australien sehen in der Durchführung eines unilateralen, nicht im Rahmen der CCSBT beschlossenen EFPs eine Verletzung der Kooperationsverpflichtungen der CCSBT und beantragten deshalb dringende Konsultationen nach Art. 16 Abs. 1 CCSBT – der Streitbeilegungsklausel des Übereinkommens.389 Darüber hinaus betonten beide Staaten, dass das japanische Verhalten ihrer Ansicht nach nicht nur gegen die Verpflichtungen aus der CCSBT verstoße, sondern auch gegen die Vorschriften des SRÜ. Im weiteren Verlauf der Streitigkeit kam es zunächst zu den beantragten Verhandlungen gem. Art. 16 Abs. 1 CCSBT, in deren Rahmen es zwar zu einer Annäherung in der Frage des TAC kam; es bestanden jedoch unüberbrückbare Differenzen in Bezug auf die konkrete Durchführung des Programms, da Neuseeland und Australien den Aussagewert der Daten, die aufgrund des japanischen Vorgehens gewonnen worden wären, bezweifelten. Nachdem sich die Parteien nicht auf einen Kompromiss über den Umfang und die Durchführung eines gemeinsamen EEPs im Rahmen der CCSBT einigen konnten, waren Australien und Neuseeland der Ansicht, dass eine Beilegung der Streitigkeit im Wege der Verhandlungen gescheitert sei. Japan widersprach dieser Auffassung und bot weitere Konsultationen zur Lösung des Konflikts an, in deren Verlauf es zu einer Auseinandersetzung über die Forderung Australiens und Neuseelands kam, dass das japanische EFP als Vorbedingung für eine Fortführung des Streitbeilegungsprozesses nach Art. 16 CCSBT ausgesetzt werden müsse. Obwohl Japan sich am 14.7.1999 bereit erklärte, die Streitigkeit im Rahmen eines Schiedsverfahrens im Einklang mit Art. 16 Abs. 2 CCSBT beizulegen, ohne allerdings die weitere Durchführung des EFPs für die Dauer des Verfahrens auszusetzen, beantragten Australien und Neuseeland, nachdem sie zuvor erneut ihren Standpunkt wiederholt hatten, dass die Streitigkeit nicht nur in den Anwendungsbereich der CCSBT, sondern auch in den des SRÜ fiele, am 15. Juli 1999 die Einsetzung eines Schiedsgerichts nach Annex VII SRÜ und machten u. a. eine Verletzung der in Art. 64, 116–119 SRÜ enthaltenen Kooperationsverpflichtungen geltend.390 Darüber hinaus 388

SBT-Schiedsgericht, para. 24 f., ILM 39 (2000), S. 1359 (1366 f.). Art. 16 CCSBT sieht im Falle einer Streitigkeit vor, dass sich die Parteien auf ein geeignetes Verfahren zur Beilegung der Streitigkeit einigen. Zu diesen möglichen Verfahren gehören die in Art. 33 Abs. 1 UN-Charta aufgezählten Streitbeilegungsmittel, d.h. Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung und Vergleich. Neben diesen diplomatischen Streitbeilegungsmitteln sieht Art. 16 Abs. 1 CCSBT auch die Anrufung des IGH oder die Errichtung eines Schiedsgerichts vor. Allerdings stehen diese Formen der Streitbeilegung unter dem Vorbehalt, dass sich die Parteien im konkreten Fall der jeweiligen Gerichtsbarkeit unterwerfen (Art. 16 Abs. 2 CCSBT). 390 SBT-Schiedsgericht, para 28 f., ILM 39 (2000), S. 1359 (1367 f.). 389

128 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

beantragten Australien und Neuseeland am 30. Juli 1999 den Erlass einstweiliger Maßnahmen mit dem Ziel, Japan die Fortführung des unilateralen EFPs für die Dauer des Schiedsverfahrens nach dem SRÜ zu untersagen.391 Da sich das Schiedsgericht zum Zeitpunkt des Antrages noch nicht konstituiert hatte, war der ISGH gem. Art. 290 Abs. 5 SRÜ für dieses Verfahren zuständig. Materiellrechtlich geht es um die Frage, inwieweit die Durchführung eines unilateralen EFPs gegen die im SRÜ enthaltenen Kooperationsverpflichtungen zum Schutze weitwandernder Fischarten verstößt, wie sie sich aus einer Zusammenschau der Art. 64 Abs. 1 SRÜ und Art. 116–119 SRÜ ergeben. Allerdings soll diese Frage nicht Schwerpunkt der weiteren Untersuchung sein. Dieser liegt vielmehr auf den prozessualen Aspekten der Streitigkeit, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Problematik der parallelen Zuständigkeiten von Streitbeilegungsverfahren stehen: Aufgrund der Parallelität von SRÜ und CCSBT kommt es auch zu einer Parallelität der in den Übereinkommen vorgesehen Verfahren zur Beilegung der Streitigkeit. Um diese Parallelität zu vermeiden, machte Japan sowohl im Verfahren über den Erlass einstweiliger Anordnungen als auch im Hauptsacheverfahren die Unzuständigkeit der SRÜ-Gerichte geltend.392 Primäres Argument Japans war, dass die Streitigkeit lediglich in den Anwendungsbereich der CCSBT und nicht in den des SRÜ falle, da allein diese und nicht das SRÜ oder Völkergewohnheitsrecht Fragen der Erhaltung und Nutzung der SBT-Bestände regele. Dies zeige nicht nur die Entstehungsgeschichte der Streitigkeit, deren Beilegung bis zum Antrag auf Errichtung eines Schiedsgerichtes nach Art. 287 i.V. m. Annex VII SRÜ und dem Erlass einstweiliger Anordnungen allein im Rahmen der CCSBT verfolgt wurde,393 sondern auch die Tatsache, dass weder Australien noch Neuseeland Klage gegen Taiwan, Indonesien und Korea wegen der Verletzung von Kooperationsverpflichtungen des SRÜ aufgrund ihres Verhaltens bei der Befischung von SBT-Beständen erhoben hätten.394 Die im Jahr 1999 beantragte Einsetzung eines SRÜ-Schiedsgerichts sei lediglich als Versuch zu sehen, den Erlass einstweiliger Maßnahmen durch den ISGH zu erreichen und den konsensualen Charakter der Streitbeilegung nach Art. 16 CCSBT zu untergraben.395 Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass das SRÜ erst 26 Monate nach In-Kraft-Treten der CCSBT für alle ihre Vertragstaaten verbindlich geworden sei. Für diese 26 Monate sei in Bezug auf die Erhaltung und Nutzung des SBT allein die CCSBT ausschlaggebend gewesen. Das In-Kraft-Treten 391 392 393 394 395

SBT-ISGH, para. 28, ILM 38 (1999), S. 1624 (1627). SBT-Schiedsgericht, para. 38, ILM 39 (2000), S. 1359 (1376). SBT-Schiedsgericht, para. 38 a), ILM 39 (2000), S. 1359 (1376). SBT-Schiedsgericht, para. 38 d), ILM 39 (2000), S. 1359 (1377). SBT-Schiedsgericht, para. 38 a), ILM 39 (2000), S. 1359 (1376).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

129

des SRÜ können die bis dahin bestehenden Vertragsbeziehungen zwischen Japan, Neuseeland und Australien in Bezug auf den SBT nicht in dem Maße verändert haben, wie dies von der Gegenseite vorgetragen werde.396 Zusätzlich berief sich Japan auf die Grundsätze lex specialis und lex posterior. Die CCSBT als das später abgeschlossene Übereinkommen, welches darüber hinaus auch die spezielleren Regelungen in Bezug auf die Nutzung und Erhaltung des SBT enthalte, müssen dem zeitlich früheren SRÜ vorgehen, so dass nicht nur die materiellrechtlichen Regelungen des SRÜ durch die CCSBT verdrängt würden, sondern auch die Vorschriften über die Streitbeilegung. Wegen der Unanwendbarkeit des SRÜ müssten sich die SRÜ-Gerichte für unzuständig erklären.397 Außerdem verwies Japan auf die Regelung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ, wonach die Vertragsstaaten des SRÜ im Falle einer Streitigkeit das Recht haben, jederzeit zu vereinbaren, die Streitigkeit durch Mittel eigener Wahl beizulegen. Als eine solche Vereinbarung müsse die Regelung des Art. 16 CCSBT verstanden werden. 2. Die MOX Plant-Streitigkeit Eine ähnliche Konstellation wie im SBT-Fall stellt sich auch in der zeitlich nachfolgenden und bis jetzt in der Hauptsache noch nicht entschiedenen MOX Plant-Streitigkeit zwischen Irland und Großbritannien.398 Ebenso wie ersterer Fall weist sie Bezüge zu verschiedenen Verträgen bzw. Vertragsordnungen auf. Für den Fall der parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen resultiert daraus auch eine Parallelität der Streitbeilegungsvorschriften. Ausgangspunkt der Streitigkeit ist die britische Genehmigung für die Inbetriebnahme einer MOX-Fabrik in Sellafield, die verbrauchte, uran- und plutoniumdioxidhaltige Nuklearbrennstäbe verwerten und daraus im Rahmen der Wiederaufarbeitung neue Brennelemente, bekannt unter der Bezeichnung mixed oxide fuel bzw. MOX, herstellen soll.399 Nach Ansicht Ir396

SBT-Schiedsgericht, para. 38 b), ILM 39 (2000), S. 1359 (1376). SBT-Schiedsgericht, para. 38 c), ILM 39 (2000), S. 1359 (1376 f.). 398 Das Schiedsgericht hat in der Hauptsache das Verfahren und damit eine endgültige Entscheidung zunächst ausgesetzt, um klären zu können, ob und inwieweit die Vorschriften, auf die sich Irland beruft, inhaltlich in den Zuständigkeitsbereich der EG fallen. Das Gericht sowie die Parteien sind sich darüber einig, dass dies die Unzuständigkeit des Gerichts zur Folge hätte, da sich Irland und Großbritannien dann nicht auf die Vorschriften des SRÜ im Verhältnis zueinander berufen können. Deshalb soll zunächst ein Verfahren der Kommission vor dem EuGH abgewartet werden, um nicht miteinander widersprechende Entscheidungen zu provozieren; vgl. vgl. The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, paras. 20, abrufbar unter www.pca-acp.org. 397

130 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

lands kommt es durch die Inbetriebnahme sowie aufgrund damit im Zusammenhang stehender Aktivitäten, wie dem internationalen Transport von nuklearem Material auf dem Seeweg und der Einleitung radioaktiver Abfälle in die Irische See, zu einer erhöhten radioaktiven Belastung derselben, die ohnehin schon eines der am meisten mit Nuklearabfällen verseuchten Meere weltweit sei.400 Zentraler Punkt der irischen Argumentation ist die Tatsache, dass sich die britische Regierung während des seit 1993 andauernden Genehmigungsverfahrens geweigert hat, relevante Informationen über die MOX-Fabrik und die aus der Inbetriebnahme folgenden Konsequenzen für die radioaktive Belastung der Irischen See und die Zunahme internationaler Nukleartransporte in diesem Bereich offenzulegen und mit der irischen Regierung zusammenzuarbeiten. So hatte Irland der britischen Regierung als Reaktion auf einen von der zukünftigen Betreiberfirma vorgelegten Umweltverträglichkeitsbericht eine detaillierte Stellungnahme übermittelt, welche sich auf die mangelnde Eignung und inhaltliche Unzulänglichkeiten des Berichts bezog. Allerdings erhielt Irland keine Antwort von Seiten Großbritanniens.401 Auch bezüglich der seit 1997 abgegebenen Stellungnahmen, welche einzelne Aspekte der Rentabilitätsprognose kritisierten, deren positives Ausfallen Voraussetzung für die Genehmigung war, kam es zu keiner Reaktion der britischen Regierung.402 Allerdings hatte diese zumindest die Teile des Plans zur Errichtung der Fabrik, welche die relevanten Daten in Bezug auf die Abfalllagerung und Abfallbeseitigung enthielten, entsprechend Art. 37 Euratom-Vertrag im August 1996 der Europäischen Kommission zur Überprüfung vorgelegt, die das Vorhaben im Februar 1997 im Hinblick auf mögliche Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen durch die geplante Abfallbeseitigung für unbedenklich erklärte.403 399 Presseerklärung des ISGH, ITLOS/Press 59, 13.11.2001, abrufbar unter www.itlos.org. 400 Die bisherige Belastung der Irischen See sei darauf zurückzuführen, dass in Sellafield/Großbritannien bereits Wiederaufarbeitungsanlagen für Nuklearbrennstäbe betrieben werden, welche für diese Belastung verantwortlich seien; vgl. die Aussagen von O’Hagan in den mündlichen Verhandlungen über den Erlass einstweiliger Anordnungen, ISGH, MOX Plant, ITLOS/PV.01/06, 19.11.2001, S. 7, abrufbar unter www.itlos.org. Die Behauptung, dass es durch eine Inbetriebnahme der MOX-Fabrik bzw. durch damit im Zusammenhang stehende Aktivitäten, wie dem Transport nuklearen Materials auf dem Seeweg, zu einer zusätzlichen radioaktiven Belastung der Irischen See kommen würde, ist von Großbritannien bestritten worden, vgl. dazu ISGH, MOX Plant, written memorial, United Kingdom, 15.11.2001, para. 96 ff., abrufbar unter www.itlos.org. 401 ISGH, MOX Plant, ITLOS/PV.01/06, mündliche Verhandlung, S. 8, abrufbar unter www.itlos.org. 402 Zu Details der Kritik vgl. ISGH, MOX Plant, ITLOS/PV.01/06, mündliche Verhandlung, S. 9, abrufbar unter www.itlos.org.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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Aufgrund der nach irischer Einschätzung mangelnden Kooperation Großbritanniens und der damit verbundenen Weigerung, relevante Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, notifizierte die irische Regierung die britische am 23. Dezember 1999 darüber, dass die endgültige Genehmigung und Inbetriebnahme der Fabrik ihrer Ansicht nach nicht mit den Verpflichtungen Großbritanniens aus Art. 123, 192 bis 194, 197, 206, 207, 211, 212 und 213 SRÜ vereinbar sei.404 Nach Ansicht Irlands verstößt das Verhalten der britischen Regierung aber nicht nur gegen das SRÜ, sondern auch gegen das OSPAR-Übereinkommen,405 welches die rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen schaffen soll, um die Meeresumwelt im Gebiet des Nord-Ost Atlantiks vor Verschmutzung aller Art zu schützen. Um die nach dem Übereinkommen notwendige Zusammenarbeit der Staaten bei Maßnahmen zur Verhütung und Beseitigung der Meeresverschmutzung sicherzustellen und die prinzipienartig gehaltenen Verpflichtungen der Vertragsstaaten zu konkretisieren, wird durch das Übereinkommen ein der CCSBT ähnlicher, institutioneller Rahmen geschaffen, der neben der Kommission auch die Errichtung eines Sekretariats vorsieht. Erstere hat die Aufgabe, mit Hilfe von Empfehlungen, die keine rechtliche Bindungswirkung für die Vertragstaaten entfalten, und rechtsverbindlichen Beschlüssen406 die Durchführung des Übereinkommens 403 ISGH, MOX Plant, written memorial, United Kingdom, 15.11.2001, para. 38, abrufbar unter www.itlos.org. 404 Für eine ausführliche Darlegung der Gründe vgl. ISGH, MOX Plant, written memorial, Ireland, 9.11.2001, para. 55 ff., abrufbar unter www.itlos.org. 405 Convention for the Protection of the Marine Environment of the North-East Atlantic, 22.9.1992, ILM 32 (1993), S. 1069 ff. Das OSPAR-Übereinkommen ersetzt sowohl die Oslo Convention for the Prevention of Marine Pollution by Dumping from Ships and Aiscraft, 15.2.1971, ILM 11 (1972), S. 262 ff., als auch die Convention for the Prevention of Marine Pollution from Land-Based Sources, 4.6.1974, ILM 13 (1974), S. 352 ff. Mit dem OSPAR-Übereinkommen werden darüber hinaus einige Verschmutzungsquellen erfasst, die in den früheren Übereinkommen nicht geregelt waren. Außerdem soll der Regelungskomplex zum Schutze der Meeresumwelt im Nord-Ost Atlantik durch das OSPAR-Übereinkommen vereinfacht werden. Des weiteren wurden gem. Art. 2 Abs. 2 OSPAR-Übereinkommen auch das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip sowie die Grundsätze der besten verfügbaren Techniken und der besten Umweltpraxis ggf. einschließlich sauberer Technologien im Übereinkommen verankert; vgl. dazu Hilf, ZaöRV 55 (1995), S. 580 (585 ff.); zum OSPAR-Übereinkommen siehe weiterhin Hey/Ijlstra/Noelkaemper, Int’l. J. Marine & Coastal L. 8 (1993), S. 1 ff.; La Fayette, Int’l. J. Marine & Coastal L. 14 (1999), S. 247 ff. 406 Grundsätzlich müssen sowohl die Empfehlungen als auch die Beschlüsse von den Vertretern der Vertragsparteien im Rahmen der Kommission einstimmig angenommen werden. Kommt die Einstimmigkeit nicht zustande, so reicht eine dreiviertel Mehrheit aus, sofern das Übereinkommen nichts anderes vorsieht, Art. 13 Abs. 1 OSPAR-Übereinkommen. Dann sind die Beschlüsse jedoch nur für die Staaten, die

132 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

zu überwachen,407 den Zustand des Meeresgebietes, die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen sowie die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen zu überprüfen und in Übereinstimmung mit den allgemeinen Verpflichtungen des Art. 2 des Übereinkommens Programme und Maßnahmen zur Verhütung und Beseitigung der Verschmutzung zu erarbeiten. In materiellrechtlicher Hinsicht sind die Vertragsstaaten gem. Art. 3 bis 5 OSPAR Übereineinkommen verpflichtet „einzeln oder gemeinsam alle nur möglichen Maßnahmen“ zu ergreifen, um erstens die Verschmutzung vom Lande aus in Übereinstimmung mit Anlage I, zweitens die Verschmutzung durch das Einbringen oder die Verbrennung von Abfällen und sonstigen Stoffen in Übereinstimmung mit Anlage II und drittens die Verschmutzung durch Offshore-Quellen in Übereinstimmung mit Anlage III zu verhüten und zu beseitigen.408 Darüber hinaus müssen die Vertragsstaaten gem. Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens gewährleisten, dass ihre zuständigen Behörden die in Abs. 2 näher bezeichneten Informationen allen natürlichen oder juristischen Personen auf Antrag, aber ohne Nachweis eines Interesses und überhöhte Kosten zur Verfügung stellen. Von dieser Verpflichtung werden alle in Schrift-, Bild-, Ton- oder EDV-Form vorliegenden Informationen über den Zustand des Meeresgebiets, über Tätigkeiten oder Maßnahmen, die diesen Zustand beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, und über Tätigkeiten oder Maßnahmen, die in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen eingeleitet wurden, erfasst. Allerdings sind die Vertragsstaaten gem. Abs. 3 des OSPAR-Übereinkommens berechtigt, nationale Regelungen beizubehalten oder zu erlassen, die das Informationsrecht aus Abs. 1 für die Fälle einschränken, in denen dieses u. a. die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden, die internationalen Beziehungen, die Landesverteidigung, die dafür gestimmt haben, verbindlich. Allerdings können auch diese Staaten die Verbindlichkeit des Beschlusses noch im nachhinein wieder aufheben, indem sie den Exekutivsekretär darüber notifizieren, dass sie nicht in der Lage sind, den Beschluss anzunehmen (Art. 13 Abs. 3 OSPAR-Übereinkommen). 407 So enthält das OSPAR-Übereinkommen ein vom Streitbeilegungsmechanismus zu unterscheidendes Überwachungsverfahren. Dieses sieht in Art. 22 OSPAR-Übereinkommen eine regelmäßige Berichterstattungspflicht der Vertragsstaaten über die von ihnen getroffenen Umsetzungsmaßnahmen vor. Gem. Art. 23 Abs. 1 des Übereinkommens entscheidet die Kommission auf Grundlage der abgegebenen und sonstiger Berichte darüber, ob die Vertragsstaaten ihre Verpflichtungen aus dem Übereinkommen eingehalten sowie den Beschlüssen und Empfehlungen der Kommission Folge geleistet haben. Fällt diese Entscheidung negativ aus, so kann die Kommission, soweit angebracht, gem. Art. 13 Abs. 2 des Übereinkommens Maßnahmen beschließen, durch welche die volle Einhaltung der Verpflichtungen gewährleistet und gefördert wird. 408 Für eine Bestimmung der Begriffe „Verschmutzung“, „vom Lande aus“, „Einbringen“, „Verbrennung“ und „Offshore-Quellen“ siehe Art. 1 OSPAR-Übereinkommen; dazu näher Hey/Ijlstra/Noelkaemper, Int’l. J. Marine & Coastal L. 8 (1993), S. 1 (18 ff.).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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öffentliche Sicherheit, bei Gericht anhängige Verfahren, Ermittlungs- oder Vorverfahren und Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie die Vertraulichkeit personenbezogener Daten beeinträchtigen bzw. verletzen würden. Gemäß Abs. 4 muss die Ablehnung der Übermittlung der beantragten Informationen aber von den zuständigen Behörden begründet werden. Da nach Ansicht Irlands die von der britischen Seite vorenthaltenen Informationen von Art. 9 Abs. 2 des OSPAR-Übereinkommens erfasst werden und keiner der Ausnahmetatbestände einschlägig ist, macht Irland neben der Verletzung der SRÜ-Vorschriften im Zusammenhang mit dem Verhalten der britischen Regierung beim Genehmigungsverfahren für die MOX-Fabrik auch eine Verletzung des Art. 9 OSPAR-Übereinkommens geltend. Dementsprechend beantragte die irische Regierung im Juli 2001 die Einsetzung eines OSPAR-Schiedsgerichts in Überstimmung mit Art. 32 OSPAR-Übereinkommen409 und erst am 25. Oktober 2001, nachdem Großbritannien am 3. Oktober 2001 die endgültige Genehmigung für die Inbetriebnahme wegen einer positiven Rentabilitätsprognose erteilt hatte, die Errichtung eines Schiedsgerichts nach Art. 287 SRÜ in Übereinstimmung mit Annex VII. Zum gleichen Zeitpunkt beantragte es auch den Erlass einstweiliger Maßnahmen mit dem Ziel, Großbritannien die Inbetriebnahme der MOX-Fabrik bis zum Abschluss des Schiedsverfahrens zu untersagen. Wie im SBT-Fall so stellt sich auch in der MOX Plant-Streitigkeit neben den aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen das Problem der Zuständigkeit des nach Art. 287 Abs. 1 lit. c) SRÜ in Übereinstimmung mit Anlage VII errichteten Schiedsgerichts. Auch wenn das Schiedsgericht selbst noch nicht über seine Zuständigkeit entschieden hat, so musste doch der ISGH im Verfahren über den Erlass vorläufiger Maßnahmen dessen Zuständigkeit gem. Art. 290 Abs. 1 i.V. m. Abs. 5 SRÜ prima facie, d.h. dem Anschein nach, feststellen. Im Gegensatz zu Japan im SBT-Fall machte Großbritannien vor dem ISGH nicht geltend, dass die Streitigkeit allein in den Anwendungsbereich des OSPAR-Übereinkommens fiele oder gegenüber dem SRÜ sowohl lex specialis als auch lex posterior sei. Allerdings berief sich die britische Regierung auf die Regelung des Art. 282 SRÜ, welche insoweit 409

Art. 32 OSPAR-Übereinkommen räumt den Vertragsstaaten das Recht ein, auch einseitig die Errichtung eines Schiedsgerichts zu beantragen, sofern die Streitigkeit nicht auf andere Weise, etwa durch Untersuchung oder Vergleich innerhalb der Kommission, beigelegt werden kann. Diese Möglichkeit ist im Vergleich zu den Streitbeilegungsvorschriften anderer Übereinkommen im Bereich des Umweltvölkerrechts insoweit eine Besonderheit, als dass letztere die Anrufung des IGH oder die Errichtung eines Schiedsgerichtes in aller Regel nur dann ermöglichen, wenn sich die Streitparteien auf ein solches Vorgehen einigen können; für den vornehmlich konsensualen Charakter der Streitbeilegung im Umweltvölkerrecht siehe Bothe, Enforcement Mechanisms, in: Wolfrum (ed.), Enforcing Environmental Standards, S. 13 (31 f.).

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Parallelen zu Art. 281 SRÜ aufweist, als dass sie für den Fall, dass die Vertragsstaaten des SRÜ, die Parteien einer Streitigkeit über die Auslegung und Anwendung des SRÜ sind, im Rahmen einer allgemeinen, regionalen oder zweiseitigen Übereinkunft oder auf andere Weise vereinbart haben, diese Streitigkeit einem Verfahren zu unterwerfen, das wie das SRÜ-Verfahren zu einer bindenden Entscheidung führt, die vorrangige Zuständigkeit dieses Verfahrens begründet. Nach Ansicht Großbritanniens handelt es sich bei Art. 32 OSPAR-Übereinkommen um eine Vereinbarung im Sinne des Art. 282 SRÜ, da die Entscheidung des OSPAR-Schiedsgerichts für die Streitparteien rechtsverbindlich ist, so dass das SRÜ-Schiedsgericht, auch wenn das SRÜ an sich auf den Fall anwendbar ist, sich zugunsten des Verfahrens im Rahmen des OSPAR-Übereinkommens für unzuständig erklären muss. Diese Argumentation stimmt insoweit mit der japanischen überein, als dass eine Streitbeilegungsvereinbarung eines regionalen Übereinkommens, welches einen identischen oder zumindest partiell identischen Regelungsgegenstand wie das SRÜ aufweist, im Falle der parallelen Anwendbarkeit Vorrang habe, so dass das SRÜ-Verfahren keine Anwendung finde.

3. Parallele Verfahren im Rahmen der WTO- und NAFTA-Streitbeilegung Im Verhältnis der Streitbeilegungsverfahren von WTO und NAFTA ergeben sich, bedingt durch die verschiedenen im NAFTA vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren, unterschiedliche Konstellationen paralleler Zuständigkeiten. Die hier aufgeführten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit; sie sollen vielmehr exemplarisch mögliche Konstellationen im Verhältnis der Streitbeilegungsverfahren beider Vertragsordnungen zueinander verdeutlichen. a) Parallele Verfahren im Verhältnis von WTO- und NAFTA-Art.-1903-Streitbeilegung Im Rahmen der NAFTA-Streitbeilegung nach Kapitel 19 steht den Vertragsstaaten nicht nur das Recht auf Errichtung bi-nationaler Schiedsgerichte nach Art. 1904 NAFTA zu, um Verwaltungsentscheidungen der innerstaatlichen Behörden im Bereich der Ausgleichszölle und der Subventionen anhand des nationalen Rechts überprüfen zu lassen.410 Sie können auch 410 Auch im Verhältnis von NAFTA 1904-Verfahren und WTO-Streitbeilegung kann es zu parallelen Verfahren kommen; für einen Überblick der bisher aufgetretenen Fallkonstellationen vgl. Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1095) sowie Marceau, JWT 31/2 (1997), S. 25 (75 ff.). Allerdings haben die bi-nationalen Schiedsgerichte nach Art. 1904 NAFTA eine andere Prüfungskompetenz als die

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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die Errichtung eines bi-nationalen Schiedsgerichts nach Art. 1903 NAFTA beantragen, welches die Änderungen nationaler Bestimmungen und Gesetze über Ausgleichszölle und Beihilfen auf ihre Vereinbarkeit mit den jeweils einschlägigen Vorschriften der WTO-Übereinkommen und dem Sinn und Zweck des NAFTA überprüft, und zwar unabhängig davon, ob die WTOVorschriften in das NAFTA integriert wurden oder nicht.411 Damit besteht im Bereich des NAFTA die besondere Situation, dass ein an sich sowohl geographisch als auch sachlich begrenzter Streitbeilegungsmechanismus nicht nur die Vereinbarkeit einer Maßnahme in Bezug auf die ihn konstituierende Vertragsordnung überprüfen kann, sondern auch in Bezug auf das materielle Recht einer anderen Vertragsordnung desselben Sachbereichs. Während diese Ausweitung der Zuständigkeit ratione materiae vor dem In-Kraft-Treten des DSU in Bezug auf das Führen paralleler Verfahren relativ unproblematisch gewesen sein dürfte, weil der unterlegene Staat die Möglichkeit hatte, die Annahme eines Panel-Berichts durch sein Veto im GATT-Rat zu verhindern,412 so hat sich das theoretische KonfliktWTO-Panel. Während letztere die Rechtmäßigkeit einer nationalen Regelung in Bezug auf die einschlägigen Vorschriften der WTO-Rechtsordnung überprüfen, ist Gegenstand der Verfahren vor bi-nationalen Schiedsgerichte die Vereinbarkeit der administrativen Entscheidung über die Einführung und Anwendung der Ausgleichszölle mit nationalem Recht; siehe dazu oben 1. Teil B. III. 2. b). Die Art. 1904 NAFTA-Schiedsgerichte erfüllen sowohl im Hinblick auf das anwendbare Recht als auch im Hinblick auf den anwendbaren Prüfungsmaßstab lediglich die Aufgaben, die auch nationale Gerichte bei der Überprüfung einer administrativen Entscheidung übernehmen würden, so dass die Vereinbarkeit einer staatlichen Rechtsgrundlage, auf der die Verwaltungsentscheidung basiert, mit den welthandelsrechtlichen Vorschriften für die Verfahren irrelevant ist. Aufgrund dieser Besonderheit in Art.1904-NAFTA-Verfahren wirft die Parallelität der Verfahren keine weiteren Probleme auf. Dies gilt zumindest solange, wie die Vertragsstaaten die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Übereinkommen im innerstaatlichen Recht verneinen; zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Übereinkommen in den USA siehe Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 274 ff. m. w. N. 411 Vgl. dazu oben 1. Teil B. III. 2. b). 412 Die Wahrscheinlichkeit, dass ein NAFTA-Vertragsstaat, der sich gegen die Änderungen nationaler Regelungen im Bereich der Ausgleichszölle und der staatlichen Subventionen wehren wollte, das Streitbeilegungssystem im Rahmen des GATT 47 vorziehen würde, war wegen des damals gültigen Konsensprinzips bei der Annahme von Panel-Berichten unwahrscheinlich. Auch wenn die Entscheidungen bi-nationaler Schiedsgerichte im Rahmen des Art. 1903 NAFTA für die Parteien unverbindlich sind, so bieten sie diesen dennoch eine wesentlich effektivere Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung als nicht angenommene Panel-Berichte. So sind die Entscheidungen der NAFTA-Schiedsgerichte Ausgangspunkt für die sich anschließenden Verhandlungen zur endgültigen Beilegung der Streitigkeit; vgl. oben 1. Teil B. III. 2. b). Bleiben die Verhandlungen erfolglos, so hat die klagende Partei gem. Art 1903 Abs. 3 lit. b) NAFTA das Recht, entweder Regelungen einzuführen, die denen der unterlegenen Partei entsprechen, oder aber als ultima ratio den Vertrag zu

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potential413 aufgrund paralleler Verfahren durch die Reform des Streitbeilegungssystems der WTO und der damit verbundenen Einführung des umgekehrten Konsensprinzips erheblich verstärkt. Beantragt nun entweder der im Rahmen der Streitbeilegung nach Art. 1903 NAFTA obsiegende Staat, da er mit dem Ergebnis der sich anschließenden Verhandlungen unzufrieden ist, oder aber der unterlegene Staat, da er die Interpretation von Rechtsnormen der WTO durch das NAFTA-Schiedsgerichts für falsch hält, die Einsetzung eines WTO-Panels, so kann dies eine faktisch rechtsverbindliche Entscheidung in derselben Sache treffen, die entweder den Entscheidungen des binationalen Schiedsgericht oder aber den Ergebnissen der sich an die Entscheidung anschließenden Verhandlungen zwischen den Parteien widerspricht. Umgekehrt wäre natürlich auch die Situation denkbar, dass ein Vertragsstaat zuerst den Streitbeilegungsprozess im Rahmen der WTO ausschöpft und im Anschluss daran entweder von ihm selbst oder aber von der unterlegenen Partei wegen vermeintlicher Vorteile des NAFTA-Streitbeilegungsverfahrens die Errichtung eines bi-nationalen Schiedsgerichts nach Art. 1903 NAFTA beantragt wird. Im Grunde würden solche Situation auf eine Art Revision der vorangegangenen Entscheidungen hinauslaufen. Darüber hinaus könnte ein NAFTA-Vertragsstaat wegen derselben Regelung gleichzeitig sowohl die Einsetzung eines WTO-Panels beantragen, als auch die Errichtung eines bi-nationalen Schiedsgerichts nach Art. 1903 NAFTA. Allerdings sind solche bisher theoretisch gebliebenen Konstellationen aufgrund der Beschränkung des Art.-1903-NAFTA-Verfahrens414 nur in Bezug auf geänderte und nicht auf bestehende nationale Bestimmungen über Ausgleichszölle und staatliche Beihilfen möglich.

kündigen. Zwar ist das Ergebnis der NAFTA-Streitbeilegung von politischen Verhandlungen geprägt. Allerdings besteht für den obsiegenden Staat keine Verpflichtung, sich auf Verhandlungsergebnisse einzulassen, die nicht mit den Entscheidungen des Schiedsgerichts übereinstimmen oder die dessen Vorschläge und Empfehlungen nicht in vollem Umfang berücksichtigen, so dass er im Rahmen der Verhandlungen ein wesentlich stärkeres Druckmittel besitzt als im Rahmen des GATT 47 im Falle nicht angenommener Panel-Berichte. Auch wenn der im Rahmen der Streitbeilegung nach Art. 1903 NAFTA unterlegene Staat im Anschluss an das Verfahren die Einsetzung eines GATT-Panels beantragt hätte und dieses zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre als das bi-nationale Schiedsgericht des NAFTA, hätte dies wegen der Möglichkeit des nun unterlegenen Staates, die Annahme des Panel-Berichts durch sein Veto zu verhindern, keine praktischen Konsequenzen gehabt. 413 Das Konfliktpotential ist insoweit als „theoretisch“ zu bezeichnen, weil bisher seit In-Kraft-Treten des NAFTA noch kein Art.-1903-NAFTA-Verfahren von den Vertragsstaaten eingeleitet worden ist. 414 Siehe dazu oben 1. Teil B. III. 2. b).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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b) Parallele Verfahren im Verhältnis von WTO- und NAFTA-Kapitel-20-Streitbeilegung Die Möglichkeit, aufgrund paralleler Zuständigkeiten parallele Verfahren zu führen, besteht aber nicht nur im Verhältnis von Art.-1903-NAFTA- und WTO-Verfahren, sondern auch im Rahmen des NAFTA-Streitbeilegungsverfahrens nach Kapitel 20, das im Falle allgemeiner Auslegungsfragen des NAFTA einschlägig ist.415 Allerdings ist diese Konstellation insoweit von der bei Art.-1903-NAFTA-Verfahren zu unterscheiden, als dass die ad hoc Schiedsgerichte nach Kapitel 20 NAFTA nicht die Kompetenz besitzen, eine Streitigkeit in Bezug auf das materielle Recht der WTO zu entscheiden, sondern nur in Bezug auf das materielle Recht des NAFTA. Auch wenn diese Jurisdiktionsbeschränkung der NAFTA-Schiedsgerichte nach Kapitel 20 nicht vollkommen unstreitig ist, so ergibt jedoch die Auslegung der relevanten Vorschriften und ein Vergleich mit den Bestimmungen des Kapitel 19 NAFTA, dass sich das durchsetzbare Recht im Rahmen von Kapitel-20-NAFTA-Verfahren grundsätzlich auf die Vorschriften des NAFTA beschränkt und nicht auch die WTO-Übereinkommen mit einbezieht. Zwar hatte Mexiko im Fall U.S. Safeguard Measures Taken on Broom Corn Brooms from Mexico neben einem Verstoß gegen die Regelungen des NAFTA auch die GATT-Widrigkeit der U.S.-amerikanischen Regelungen geltend gemacht. Allerdings basiert diese Rechtsauffassung auf einer unzutreffenden Auslegung der Art. 2005 und Art. 802.1 NAFTA, die von Mexiko als Begründung dafür angeführt wurden, dass auch die Rechte aus dem GATT durch ein Schiedsgericht nach Kapitel 20 NAFTA durchgesetzt werden können.416 Prinzipiell ist es zwar durchaus möglich, dass in Kapitel-20-NAFTA-Verfahren faktisch auch Verpflichtungen aus den WTOÜbereinkommen durchgesetzt werden, wenn diese durch Verweis in das NAFTA inkorporiert wurden.417 Rechtlich handelt es sich aufgrund der 415

Vgl. oben 1. Teil B. III. 2. a). U.S. Safeguard Measures Taken on Broom Corn Brooms from Mexico, USA97-2008-01, Final Panel Report, 30.1.1998, para. 28, abrufbar unter www.nafta-secalena.org. Das Schiedsgericht hat in seinem Abschlussbericht die Frage der Jurisdiktion nicht entschieden und die Maßnahmen der USA nur anhand des NAFTA überprüft. Zur Begründung führte es aus, dass die in Frage stehenden Verpflichtungen des GATT und NAFTA inhaltsgleich seien, so dass es letztlich nicht notwendig sei, die Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit den GATT-Vorschriften hin zu überprüfen; vgl. para. 50 des Abschlussberichts. 417 So musste sich ein nach Kapitel 18 CUSTA, dessen Regelungen mit denen des Kapitel 20 NAFTA weitgehend identisch sind, errichtetes Schiedsgericht mit der Auslegung und Reichweite des Art. XX GATT 47 auseinandersetzen, da diese Vorschrift durch die im Fall entscheidungserheblichen Art. 407 und 1207 CUSTA in den Vertragstext des CUSTA inkorporiert worden waren; siehe Canada’s Landing 416

138 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Verweisung aber immer noch um eine NAFTA-Vorschrift, deren weitere inhaltliche Ausgestaltung lediglich durch WTO-Vorschriften vorgenommen wird. Somit begründet eine Inkorporation von WTO-Vorschriften noch keine Erweiterung des durchsetzbaren Rechts.418 Auch den Regelungen des Art. 2005 NAFTA kann nicht entnommen werden, dass sie eine Erweiterung des durchsetzbaren Rechts auf Vorschriften der WTO-Übereinkommen zur Folge haben. Vielmehr regelt die Vorschrift nur das prozessuale Verhältnis von Streitbeilegungsverfahren nach Kapitel 20 NAFTA und WTO-Verfahren. Diese Auslegung des Art. 2005 NAFTA wird durch einen Vergleich mit Art. 1903 NAFTA bestätigt. Denn im Gegensatz zu Kapitel 20 NAFTA wird dort den bi-nationalen Schiedsgerichten in Verfahren nach Art. 1903 NAFTA explizit die Kompetenz eingeräumt, eine Änderung nationaler Regelungen und Gesetze im Bereich der Ausgleichszölle und staatlicher Beihilfen anhand der relevanten GATT-Vorschriften zu überprüfen. Hätten die Vertragsstaaten eine ähnliche Kompetenz der Schiedsgerichte in Verfahren nach Kapitel 20 NAFTA schaffen wollen, so muss davon ausgegangen werden, dass diese, wie auch in Art. 1903 NAFTA, explizit in den Vertragstext aufgenommen worden wäre. Auch wenn das durchsetzbare Recht in Verfahren nach Kapitel 20 NAFTA und dem DSU ein anderes ist, so basieren die beiden Vertragsordnungen jedoch auf denselben materiellrechtlichen Prinzipen. Mithin kann zwar nicht von einer Identität des durchsetzbaren Rechts im Rahmen der Streitbeilegung gesprochen werden, wohl aber von einer weitgehenden inhaltlichen Parallelität. Dass es für NAFTA-Vertragsstaaten durchaus interessant sein kann, eine Streitigkeit sowohl im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens des DSU als auch des Kapitel 20 NAFTA beizulegen, zeigt das Verhalten Kanadas in der Auseinandersetzung über Importverbote kanadischer Schweine, Kühe und Getreide, das von den U.S.-amerikanischen Bundesstaaten South Dakota und Montana aus Sicherheits- und Gesundheitsschutzgründen erlassen worden war. Kanada machte nicht nur die Verletzung verschiedener NAFTA-Vorschriften419 geltend, sondern berief sich auch auf die WTOWidrigkeit des Importverbots.420 Dementsprechend beantragte die kanadiRequirement for Pacific Coast Salmon and Herring, Final Panel Report, CDA-891807-0, 16.10.1989; abrufbar unter www.nafta-sec-alena.org. 418 Darüber hinaus handelte es sich bei dem in der Streitigkeit relevanten Art. 802.1 NAFTA schon wegen dessen Wortlauts nicht um eine Inkorporationsvorschrift; vgl. dazu die Argumentation der USA im Fall U.S. Measures on Brooms, Final Panel Report, para. 27. 419 Nach der Ansicht der kanadischen Regierung verstieß das Importverbot gegen die Art. 105, 301, 309, 712, 904, 1202, 1203, 1204 NAFTA; vgl. Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1075).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

139

sche Regierung Konsultationen sowohl nach Art. 4 Abs. 8 DSU als auch nach den Vorschriften des Kapitels 20 NAFTA, um mit den USA gleichzeitig über die vermeintliche Verletzung von Vorschriften der WTO-Übereinkommen und des NAFTA verhandeln zu können.421 Inwieweit die kanadische Regierung die Parallelität der Verfahren weiterverfolgt hätte, kann nicht mit abschließender Sicherheit gesagt werden, da sich die Parteien außerhalb der Streitbeilegungsmechanismen auf eine einvernehmliche Lösung geeinigt haben.422 Allerdings war aus kanadischen Regierungskreisen die Überlegung zu vernehmen, die an sich einheitliche Streitigkeit in verschiedene Streitigkeiten aufzuteilen und für diese die getrennte Einsetzung eines WTO-Panels und eines Schiedsgerichts nach Kapitel 20 NAFTA zu beantragen. Demnach hätte der gesundheitspolizeiliche Aspekt, welcher der Streitigkeit zu Grunde liegt, anhand der dafür einschlägigen Vorschriften des NAFTA und damit durch ein NAFTA-Schiedsgericht überprüft werden sollen, während man wegen der Verletzung des Verbots der mengenmäßigen Beschränkung von Importen gem. Art. XI GATT die Einsetzung eines WTO-Panels beantragt hätte.423 c) Helms-Burton-Act Eine weitere, von den bisherigen Konstellationen zu unterscheidende Spielart paralleler Verfahren stellt sich, wenn sowohl NAFTA- als auch Nicht-NAFTA-Vertragsstaaten die Rechtswidrigkeit einer handelsbeschränkenden Maßnahme geltend machen. Letztere haben zwar keine Möglichkeit, sich an NAFTA-Streitbeilegungsverfahren zu beteiligen, so dass sie die in Frage stehende Maßnahme bzw. Regelung nur in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit den WTO-Vorschriften im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens überprüfen lassen können. Die NAFTA-Staaten können jedoch zwischen den beiden Foren wählen. Wenn es nicht zu einer Einigung zwischen den beteiligten Staaten gekommen wäre, hätte sich eine solche Konstellation im Falle einer Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit des Helms-Burton-Acts gestellt, der sowohl wirtschaftliche als auch diplo420

Aus dem Konsultationsersuchen geht hervor, dass Kanada eine Verletzung der Art. 2, 3, 4, 5, 6, 13 und Annex B und C SPS-Übereinkommen, Art. 2, 3, 5 und 7 TBT-Übereinkommen, Art. 4 Agrarübereinkommen und Art. I, III, V, XI und XXIV Abs. 12 GATT geltend machte; United States – Certain Measures Affecting the Import of Cattle, Swine and Grain from Canada, Request for Consultations from Canada, WT/DS144/1, 29.9.1998. 421 Vgl. die Nachweise bei Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1074 f.). 422 Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1075). 423 Für diese Fakten vgl. die Nachweise bei Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1075).

140 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

matische Sanktionen gegen Personen und Unternehmen vorsieht, die mit Kuba Handel treiben.424 Während Kanada im März 1996 Konsultationen nach Kapitel 20 NAFTA beantragte und Mexiko von seinem Recht Gebrauch machte, daran teilzunehmen, beantragte die EG nach erfolglosen Verhandlungen mit den USA im Oktober 1996 die Einsetzung eines WTO-Panels, dessen Arbeit im April 1997 suspendiert wurde.425 Grund dafür war die Zusicherung von Präsident Clinton, Vorschriften des Helms-Burton-Acts gegenüber der EG außer Kraft zu setzen und eine Neufassung der Immigrationsvorschriften des Gesetzes anzustreben. Weder Mexiko noch Kanada hatten sich dem WTO-Verfahren der EG angeschlossen. Die Ursache hierfür mag u. a. darin gelegen haben, dass es für diese Staaten wegen der unterschiedlichen Bestimmungen im GATT und dem NAFTA und deren Reichweite wesentlich aussichtsreicher und einfacher war, eine Verletzung von NAFTA-Vorschriften nachzuweisen.426 Auf der Tatbestandsseite wäre es mithin nicht zu einer Erörterung paralleler Verpflichtungen nach dem GATT und dem NAFTA gekommen, so dass die Situation insoweit kein Konfliktpotential aufweist. Wären aber sowohl ein Schiedsgericht nach Kapitel 20 NAFTA als auch das WTO-Panel zu dem Schluss gekommen, dass die Regelungen des Helms-Burton-Acts gegen Vorschriften des NAFTA bzw. des GATT verstoßen, so hätte es in beiden Verfahren zu einer Entscheidung darüber kommen müssen, inwieweit der Verstoß aufgrund der jeweiligen Ausnahmevorschriften zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit hätte gerechtfertigt werden können. Eine solche Rechtfertigungsmöglichkeit von Handelsbeschränkungen aus Gründen der inneren Sicherheit findet sich sowohl in Art. XXI GATT als auch in Art. 2102 Abs. 1 lit. b) NAFTA. Aufgrund der Tatsache, dass die NAFTAVorschrift nach dem damaligen Art. XXI GATT 47, der heute weiterhin im Rahmen der WTO fortbesteht, entworfen wurde, handelt es sich letztlich um inhaltlich parallele Vorschriften.427 Art. 2102 Abs. 1 lit. b) lautet: „. . . nothing in this Agreement shall be construed: . . . (b) to prevent any Party from taking any actions that it considers necessary for the protection of its essential security interests 424

Zum Helms-Burton-Act siehe oben 1. Teil B. III. 1. c). United States – The Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act, WT/DS38/ 5, Communication from the Chairman of the Panel, 25.4.1997. Die endgültige Einstellung nach Art. 12 Abs. 12 DSU erfolgte am 25.4.1998; U.S. – Solidarity Act, WT/DS38/6, Note by the Secretariat. 426 Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1068). 427 Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1094). 425

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung (i)

141

relating to the traffic in arms, ammunition and implements of war and to such traffic and transaction in other goods, materials, services and technology undertaken directly or indirectly for the purpose of supplying a military or other security establishment,

(ii) taken in time of war or other emergency in international relations, or (iii) relating to the implementation of national policies or international agreements respecting the non-proliferation of nuclear weapons or other nuclear explosive devices; . . .“

Demgegenüber enthält der Text des Art. XXI GATT in seinen relevanten Abschnitten zwar einige textliche Abweichungen. Allerdings beziehen sich diese hauptsächlich auf die Formulierungen im Hinblick auf Maßnahmen im Zusammenhang mit der Nichtverbreitung nuklearer Waffen und Sprengstoffe. „Nothing in this Agreement shall be construed . . . (b) to prevent any Party from taking any actions which it considers necessary for the protection of its essential security interests (i)

relating to fissionable materials or the materials from which they are derived;

(ii) relating to the traffic in arms, ammunition and implements of war and to such traffic in other goods and materials as is carried directly or indirectly for the purpose of supplying a military establishment (iii) taken in time of war or other emergency in international relations, or . . .“

Die Gegenüberstellung verdeutlicht, dass es sich um inhaltlich parallele Vorschriften handelt, deren gemeinsame Entstehungsgeschichte zumindest die Vermutung nahelegt, dass sie außer bei inhaltlichen Abweichungen identisch anzuwenden und auszulegen sind. Zwar ist die Streitigkeit zwischen der EG und den USA im Rahmen der WTO und die zwischen Kanada, Mexiko und den USA im Rahmen des NAFTA wegen der Rechtmäßigkeit des Helms-Burton-Acts ohne Entscheidung eines Panels oder Schiedsgerichts beigelegt worden und es mag auch bestritten werden, dass der Helms-Burton-Act überhaupt entweder im Rahmen von Art. 2102 Abs. 1 lit. b) NAFTA oder nach Art. XXI lit. b) GATT hätte gerechtfertigt werden können, dennoch ändert dies nichts an dem prinzipiellen Konfliktpotential der Situation: Verschiedene Staaten machen wegen derselben Maßnahme im Rahmen unterschiedlicher Verträge voneinander unabhängige Verfahren anhängig, da sie entweder nicht alle Vertragsstaaten desselben Übereinkommens sind oder aber legitime Interessen bezüglich der Wahl des jeweiligen Forums haben, und die für die konkrete Streitigkeit entscheidungserheblichen Vorschriften sind inhaltlich parallel ausgestaltet, so dass zumindest eine starke Vermutung dafür spricht, dass sie auch identisch ausgelegt und angewendet werden müssen.

142 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

4. Parallele Zuständigkeiten von EGMR und UN-Menschenrechtsausschuss Auch im Bereich des Menschenrechtsschutzes kann es aufgrund des Bestehens paralleler Übereinkommen zur parallelen Zuständigkeit der jeweils für die Einhaltung der Übereinkommen zuständigen Überwachungsmechanismen kommen. Allerdings sehen die Übereinkommen mit der Individualbeschwerde, der Staatenbeschwerde und dem Staatenberichtssystem sehr unterschiedliche Überwachungsinstanzen vor. Diese sind aufgrund ihrer jeweiligen Ausgestaltung und des damit verfolgten Sinn und Zwecks so unterschiedlich, dass von einer parallelen Zuständigkeit nur gesprochen werden kann, wenn es sich um im Wesentlichen vergleichbare Verfahren handelt. Dementsprechend fürt allein die parallele Existenz von Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte nicht zwangsläufig zur Parallelität von Verfahren. So ist im Verhältniss von IPbürg und EMRK z. B. die zusätzliche Ratifikation des FP zum IPbürg Voraussetzung für parallele Verfahren im Bereich des Individualverfahrens, da erst die Ratifikation des FP die Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses zur Annahme von Individualbeschwerden bezüglich einer vermeintlichen Verletzung von im IPbürg garantierten Menschenrechten begründet.428 Da nicht alle Vertragsstaaten der EMRK auch das FP ratifiziert haben, kann also nicht von einer grundsätzlichen parallelen Zuständigkeit des EGMR und der UN-Menschenrechtsausschusses gesprochen werden, sondern nur in Fällen, in denen Staaten Vertragsstaaten sowohl der EMRK als auch des FP zum IPbürg sind.429 Zwar spricht die Tatsache, dass die Urteile des EGMR im Gegensatz zu den Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses völkerrechtlich verbindlich sind, dafür, dass das Individualbeschwerdeverfahren nach der EMRK im Vergleich zu anderen internationalen Beschwerdemöglichkeiten den effektivsten Rechtsschutz bietet.430 Allerdings hat dies in der Praxis nicht dazu geführt, dass von den parallelen Zuständigkeiten der Überwachungsinstanzen kein Gebrauch gemacht wurde. Dies könnte u. a. daran liegen, dass den Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses zwar keine völkerrechtliche Verbindlichkeit zukommt, es sich in der Praxis je428 Zum Individualbeschwerdeverfahren vor dem UN-Menschenrechtsausschuss siehe oben 1. Teil B. IV. 3. 429 Am 1.1.2001 waren alle Vertragsstaaten der EMRK auch Vertragspartei des FP zum IPbürg bis auf Albanien, Andorra, Moldawien, Slowakei, Slowenien, Schweiz, Türkei und das Vereinigte Königreich. Für eine jährliche Übersicht der Ratifikationsstände internationaler Menschenrechtsübereinkommen vgl. Marie im HRLJ, zuletzt HRLJ 22 (2001), S. 149 ff. 430 Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 27 EMRK, Rn. 19; Krüger/Nørgaard, The Right of Application, in: Macdonald/Matscher/Petzold (eds.), Protection of Human Rights, S. 657 (672).

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

143

doch um gerichtsähnliche Entscheidungen handelt, die von den Mitgliedstaaten des Europarates in aller Regel befolgt werden.431 Darüber hinaus schützen die Übereinkommen zwar prinzipiell parallele Rechtsgüter und enthalten insoweit parallele Rechte bzw. Pflichten. Dennoch können sie sich in einzelnen Bereichen in ihrer materiellrechtlichen Reichweite voneinanderunterschieden, so dass ein Verfahren vor dem UN-Menschenrechtsausschuss aussichtsreicher sein kann als vor dem EGMR.432 Dementsprechend haben sich sowohl der EGMR als auch der UN-Menschenrechtsausschuss des IPbürg mit dem Phänomen parallel anhängiger Verfahren auseinandersetzen müssen. Grundsätzlich lassen sich drei Kategorien paralleler Verfahren vor dem EGMR und UN-Menschenrechtsausschuss voneinander unterscheiden.433 Erstens könnte ein Beschwerdeführer zuerst eine Beschwerde beim EGMR anhängig machen und sich danach im Falle einer negativen Entscheidung an den UN-Menschenrechtsausschuss wenden. Die zweite mögliche Kategorie paralleler Verfahren bezieht sich auf die umgekehrte Situation: Nachdem die Streitigkeit bereits vor dem UN-Menschenrechtsausschuss verhandelt wurde, wendet sich der Beschwerdeführer an den EGMR und macht die Verletzung seiner Rechte aus der EMRK geltend. Eine dritte, bisher im Gegensatz zu den ersten beiden Konstellationen theoretisch gebliebene Möglichkeit, besteht in der gleichzeitigen Anhängigmachung der Verfahren. a) Rogl gegen Deutschland Die erste Möglichkeit paralleler Zuständigkeiten, in der der Beschwerdeführer sich zunächst erfolglos an den EGMR wendet, bevor er den UNMenschenrechtsausschuss mit der Sache befasst, stellte sich im Fall Rogl v. Deutschland.434 Der Beschwerdeführer machte mit seiner Beschwerde bei der damals zuständigen EKMR eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 8 EMRK, Art. 8 i.V. m. Art. 14 EMRK und Art. 6 EMRK geltend. Gegenstand des Verfahrens war eine Streitigkeit zwischen dem Beschwerdeführer und den deutschen Behörden über die Änderung des Nachnamens seiner Tochter. Nach der Scheidung des Beschwerdeführers von seiner damaligen 431

Nowak, CCPR-Kommentar, S. 754 ff. So Krüger/Nørgaard, The Right of Application, in: Macdonald/Matscher/ Petzold (eds.), Protection of Human Rights, S. 657 (672) für das Verhältnis von EMRK und IPbürg. 433 Van Dijk/van Hoof, European Convention on Human Rights, S. 66. 434 Eur. Com. H.R., Rogl v. Germany, Appl. No. 28319/95, 20.5.1996, abrufbar unter www.echr.coe.int/; UN-AMR, Rogl v. Germany, CCPR/C/70/D/8008/1998, 17.11.2000, abrufbar unter www.unhcr.ch/; auszugsweise abgedruckt in MRM 2001, S. 39 ff. mit Anm. Brinkmeier, S. 45 ff. 432

144 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

Ehefrau nur wenige Monate nach der Geburt der gemeinsamen Tochter blieb diese bei ihrer Mutter, der auch das Sorgerecht zugesprochen wurde, während der Beschwerdeführer lediglich ein Umgangsrecht erhielt, das er allerdings nicht aktiv ausübte. Er wünschte lediglich regelmäßig über die Entwicklung seiner Tochter informiert zu werden. Nach der erneuten Heirat der ehemaligen Ehefrau des Beschwerdeführers und der Geburt eines Sohnes aus dieser Ehe, beantragten die Mutter und der Stiefvater der Tochter deren Nachnamensänderung nach dem Namensänderungsgesetz, um die Integration in die neue Familie weiter zu fördern. Die zuständigen Behörden hatten dem Antrag der Mutter nach Anhörung aller Beteiligten stattgegeben, da das Kindeswohl aufgrund der konkreten Umstände in Gefahr sei, wenn es nicht zu einer Namensänderung käme.435 Der dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Widerspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen wie auch die anschließend dagegen gerichteten Klagen. Insbesondere lehnte der VGH Bayern die Anordnung eines erneuten psychologischen Gutachtens mit der Begründung ab, dass sich die Situation seit dem letzten Gutachten nicht verändert hätte. Die schließlich eingereichte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG wegen offensichtlicher Unbegründetheit nicht zur Entscheidung angenommen. Auch die Europäische Menschenrechtskommission hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, da weder die Entscheidungen der Fachgerichte, noch die des BVerfG sowie die Vorschriften des Namensänderungsgesetzes eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 8, Art. 8 i.V. m. Art. 14 und Art. 6 EMRK begründeten. In einer erneuten Beschwerde, diesmal vor dem UN-Menschenrechtsausschuss, rügte der Beschwerdeführer erneut die Verletzung seiner Rechte sowie vorher nicht geltend gemachte Rechte seiner Tochter in deren Namen aus Art. 14 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 und 2, Art. 23 Abs. 1 und 4 und Art. 24 Abs. 1 und 2 IPbürg. b) Pauger gegen Österreich Zu der Konstellation, dass zunächst der UN-Menschenrechtsausschuss entscheidet, bevor der Betroffene Beschwerde beim EGMR bzw. früher zunächst bei der EKMR einlegt, kam es in der Streitigkeit Pauger gegen Österreich. Der Beschwerdeführer hatte vor dem UN-Menschenrechtsausschuss eine Verletzung des Rechts auf Gleichheit gem. Art. 26 IPbürg geltend gemacht.436 Hintergrund war eine österreichische Pensionsregelung, nach der Witwen unabhängig von ihrem sonstigen Einkommen, Anspruch 435

Für weitere Einzelheiten des Sachverhalts vgl. Eur. Com. H.R., Rogl v. Germany, Appl. No. 28319/95, abrufbar unter www.echr.coe.int/. 436 UN-AMR, Dietmar Pauger v. Austria, Appl. No.. 415/1990, 26.3.1992; auszugsweise abgedruckt in EuGRZ 1992, S. 344 ff. mit Anm. Nowak.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

145

auf Pensionszahlungen haben, während Witwer nur dann eine Pension beziehen konnten, wenn sie über kein eigenes Einkommen verfügten. Aufgrund dieser Regelung wurde der Antrag von Pauger auf Pensionszahlungen nach dem Tod seiner im öffentlichen Dienst angestellten Frau zurückgewiesen. Die ursprüngliche Regelung wurde im Oktober 1985 nach einer Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, der die ursprüngliche Regelung für unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz hielt, dahingehend geändert, dass von nun an für Witwer ein sog. „Drei-Phasen-Modell“ galt, das in den ersten zwei Phasen (März 1985 bis Ende 1988 und Januar 1989 bis Ende 1994) eine geminderte Pension vorsah, während die Regelung für Witwen bestehen blieb. Die dagegen von Pauger erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom VfGH 1989 als unbegründet zurückgewiesen. Daraufhin machte der Beschwerdeführer mit seiner Individualbeschwerde zum UN-Menschenrechtsausschuss geltend, dass sowohl die ursprüngliche Regelung, nach der er im Vergleich zu Witwen in vergleichbarer Lage keinen Anspruch auf Pensionszahlungen hatte, als auch das „Drei-Phasen-Modell“, aufgrund dessen er bis Ende 1994 nur eine verringerte Pension erhalte, eine willkürliche Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern darstelle, die sich nicht auf sachlich gerechtfertigte, objektive Kriterien stützen lasse. Mit Entscheidung vom 26. März 1992 gab der Ausschuss der Beschwerde in vollem Umfang statt und sah dabei nicht nur die ursprüngliche Pensionsregelung, sondern auch das „Drei-Phasen-Modell“ als mit den Voraussetzungen des Art. 28 IPbürg unvereinbar an. Dass die Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern auf keinem sachlichen Grund basiere, sei sogar von Österreich implizit zugegeben worden, wenn es eine Angleichung der Pensionsansprüche bis 1995 beschlossen habe.437 Die nur schrittweise Aufhebung der Ungleichbehandlung durch die gestufte Angleichung der Pensionsansprüche konnte nach Ansicht des Ausschusses im Gegensatz zu der Rechtsauffassung des österreichischen VfGH nicht durch ökonomische Erwägungen gerechtfertigt werden. Auch wenn sich diese Möglichkeit aus den Vorschriften des IPwirt ergäbe, so hat der Ausschuss erneut deutlich gemacht, dass der Gleichheitssatz, wie auch alle anderen Verpflichtungen nach dem IPbürg, vom In-Kraft-Treten an uneingeschränkt durchzuführen sind. Eine zeitliche abgestufte Angleichung sei mit diesem Grundsatz nicht vereinbar.438 Im Zusammenhang mit dem dargestellten Sachverhalt machte der Beschwerdeführer Pauger auch zwei Beschwerden bei der damaligen EKMR 437

UN-AMR, Pauger v. Austria, EuGRZ 1992, S. 344 (346). Vgl. dazu auch die Anm. von Nowak zur Entscheidung des UN-AMR im Falle Pauger, EuGRZ 1992, S. 346 (346). 438

146 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

anhängig.439 Mit der ersten rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Er stützte sich dabei vornehmlich auf zwei Gründe: Zum einen seien die Verfahren in Österreich von unverhältnismäßig langer Dauer gewesen und zum zweiten hätte der VfGH in der gegen das „DreiPhasen-Modell“ eingereichten Verfassungsbeschwerde ohne Anhörung zur Sache entschieden, was mit Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbar sei. Die zweite Beschwerde basierte letztlich auf der vom UN-Menschenrechtsausschuss bestätigten Rechtsauffassung, dass das „Drei-Phasen-Model“ gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, wenn auch aufgrund eines leicht abgewandelten Sachverhalts. Denn der Beschwerdeführer hatte 1991 erneut geheiratet, so dass ihm nach dem novellierten österreichischen Pensionsgesetz ab dem Zeitpunkt der Heirat eine Abschlagszahlung der Pension seiner vorherigen, verschiedenen Frau basierend auf einem Zeitraum von 70 Monaten zustand. Diese Abschlagszahlung wurde aufgrund des „Drei-Phasen-Modells“ kalkuliert, d.h. nicht anhand der vollen monatlichen Pensionsansprüche, sondern anhand der nach dem Modell jeweils gültigen, verminderten Ansprüche. Da das „Drei-Phasen-Modell“ nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sei, behauptete der Beschwerdeführer, dass ihn die auf diesem Modell basierenden Abschlagszahlungen in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 des ersten ZP zur EMRK i.V. m. Art. 14 Abs. 1 EMRK verletze. Letztlich war auch Gegenstand dieser Beschwerde die Regelung des österreichischen Pensionsgesetzes über die nur schrittweise Angleichung der Pensionsregelungen für Witwen und Witwer, deren Rechtmäßigkeit bereits anhand des Art. 26 IPbürg durch den UN-Menschenrechtsausschuss überprüft worden war.

V. Parallele Verfahren aufgrund parallel anwendbarer Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche Eine ähnliche Situation wie im SBT-Fall und der MOX Plant-Streitigkeit kann sich auch in Konstellationen ergeben, in denen es nicht zu einer Parallelität von Übereinkommen desselben Sachbereichs kommt, sondern zu einer Parallelität von Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche, die sich aber in ihrem materiellrechtlichen Regelungsgehalt überschneiden. Eine tatsächliche Realisierung hat diese Konstellation im Schwertfisch-Fall gefunden. Sie wird in der Völkerrechtsliteratur aber auch für das Verhältnis 439 Eur. Com. H.R., Pauger v. Austria, Appl. No. 16717/90, 20.1.1987; bestätigt durch die Entscheidung des Eur. Court H.R., Pauger v. Austria, Reports of Judgements and Decisions 38 (1997 III), 28.5.1997, S. 882 (der Bericht der Kommission ist im Annex der Entscheidung des EGMR abgedruckt) und Eur. Com. H.R., Pauger v. Austria, Appl. No. 24872/94, 9.1.1995, abrufbar unter www.echr.coe.int/.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

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von Streitbeilegungsverfahren multilateraler Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung diskutiert. 1. Der Schwertfisch-Fall Der Schwertfisch-Fall zwischen der EG und Chile prägt wie auch der SBT-Fall die momentane völkerrechtliche Diskussion über das Problem paralleler Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsverfahren.440 Gegenstand der seit mehr als 10 Jahren andauernden Streitigkeit ist die Befischung der Schwertfischbestände in den Teilen der Hohen See, die an Chiles AWZ angrenzt. Wie auch beim SBT handelt es sich bei dem Schwertfisch um eine weitwandernde Fischart (highly migratory species), die sowohl die Hohe See als auch Chiles AWZ durchschwimmt. Chile beschuldigt Schiffe der EG, auf der Hohen See Schwertfische in einem so erheblichen Ausmaße zu fangen, dass die Bestände innerhalb der chilenischen AWZ stark dezimiert seien und die Erhaltung der Art in der Region bedroht sei. Da bisherige Verhandlungen über die Etablierung eines Regimes zur Erhaltung der Schwertfischbestände zu keinem Ergebnis geführt haben, sah Chile sich veranlasst, ein Landungsverbot für auf Hoher See gefangene Schwertfische in Art. 165 seines Fischereigesetzes und die dementsprechenden Ausführungsverordnungen 430 und 598 zu übernehmen. Dieses Landungsverbot gilt sowohl für ausländische als auch für chilenische Schiffe. Die EG ist der Ansicht, dass das chilenische Landungsverbot für auf Hoher See gefangene Schwertfische gegen die in Art. V Abs. 1 bis 3 GATT garantierte Transitfreiheit und die in Art. XI Abs. 1 GATT enthaltene Exportfreiheit verstoße.441 Eine Rechtfertigung im Rahmen des Art. XX lit. b) und g) GATT komme wegen mangelnder Erforderlichkeit und der Kooperationsverweigerung Chiles zur Etablierung eines gemeinsamen Regimes zum Schutz der Schwertfischbestände nicht in Betracht. Dagegen vertritt Chile die Ansicht, dass das Landungsverbot eine notwendige Maßnahme sei, um die Fischereistaaten zu Verhandlungen über Erhaltungsmaßnahmen zu zwingen. Das unkooperative Verhalten der EG bei den bisherigen Verhandlungen stelle einen Verstoß gegen Art. 64, 116–119 SRÜ dar.442 Letztlich können die Ausführungen Chiles wohl dahingehend interpretiert werden, dass es die Einführung des Landungsverbots als Repressa440 Siehe dazu Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 ff.; Orellana, Nordic JIL 71 (2002), S. 55 ff.; Stoll/Vöneky, ZaöRV 62 (2002), S. 21 ff.; Rau, ZaöRV 62 (2002), S. 37 ff. 441 Chile – Importation of Swordfish, WT/DS193/1. 442 Case Concerning the Conservation and Sustainable Exploitation of Swordfishstocks in the South-Eastern Pacific Ocean (Chile v. European Community), ITLOS order 2000/3, 20.12.2000, para. 3, abrufbar unter www.itlos.org.

148 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

lie auf die Verletzung des Art. 64 SRÜ durch die EG begreift. Darüber hinaus bringt es Chiles Verständnis von einem mar presencial zum Ausdruck.443 Hinter diesem Konzept steht die Idee, die Regelungsbefugnis der Küstenstaaten über die 200-Seemeilen-Grenze hinaus auszudehnen, um dann in den an die AWZ angrenzenden Gebieten der Hohen See Jurisdiktion bezüglich Bewirtschaftungs- und Erhaltungsmaßnahmen von Fischressourcen ausüben zu können.444 Unabhängig von der starken seerechtlichen Prägung des Falls hat die EG am 19. April 2001 WTO-Konsultationen mit Chile zur einvernehmlichen Lösung der Streitigkeit entsprechend Art. 4 DSU und Art. XXIII GATT begehrt.445 Nachdem dieser Versuch aus Sicht der EG gescheitert war, beantragte sie am 12. Dez. 2000 die Einsetzung eines WTO-Panels gem. Art. 6 DSU und Art. XXIII GATT.446 Im Gegensatz zur EG vertrat Chile die Ansicht, dass die Streitigkeit nicht in den Kompetenzbereich der WTO und mithin auch nicht in den Zuständigkeitsbereich eine WTO-Panels falle. Da das SRÜ gegenüber dem GATT in Fragen des freien Hafenzugangs lex specialis sei, wären allein Gerichte nach dem SRÜ für die Beilegung der Streitigkeit zuständig. Nachdem Chile bereits im Sommer 2000 gem. Art. 287 Abs. 3 SRÜ die Einsetzung eines Schiedsgerichts beantragt hatte, einigten sich Chile und die EG entsprechend den Vorschriften des Abschnitts 2 über obligatorische Verfahren, die zu bindenden Entscheidungen führen (Art. 286 bis 296 SRÜ), im Dezember 2000 auf die Einsetzung einer speziellen Kammer des ISGH gem. Art. 15 Abs. 2 des Statuts des Gerichtshofs,447 die am 20. Dez. 2000 durch Beschluss des ISGH etabliert wurde.448 443 Vgl. dazu Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 36 ff.; Orrego Vicuña, ZaöRV 55 (1995), S. 520 (527 f.); Joyner/DeCola, ODIL 24 (1993), S. 99 (107 ff.). 444 Rechtfertigungsgrundlage für die Idee des mar presencial ist das besondere Interesse der Küstenstaaten an einer ausgewogenen Fischerei nicht nur in der AWZ, sondern auch in den daran angrenzenden Gebieten. Da auch das SRÜ in den Art. 63 und 64 eine Einschränkung der Freiheit der Meere enthalte, sei der Ansatz mit geltendem Völkerrecht vereinbar und berechtige die Küstenstaaten einseitige Erhaltungsmaßnahmen zu treffen, solange auf internationaler Ebene kein geeignetes Regime existiert, welches die Bewirtschaftung der Fischbestände effektiv regle; Orrego Vicuña, ZaöRV 55 (1995), S. 520 (527 f.). Diese Ansicht verkennt allerdings, dass aus der Tatsache, dass das SRÜ die Freiheit der Meere einschränkt, nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass Küstenstaaten zum Erlass einseitiger Maßnahmen gegenüber dritten Staaten jenseits der territorialen Jurisdiktionsgrenzen berechtigt sind. Rechtliche Regelungen für die Hohe See können nach geltendem Recht nur durch internationale Kooperation getroffen werden; vgl. Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 37 f. 445 Chile – Swordfish, WT/DS193/1. 446 Chile – Swordfish, WT/DS193/2, 7.11.2000.

D. Konsequenzen für die Streitbeilegung

149

In dem Verfahren beantragte Chile die Verurteilung der EG zum einen wegen eines Verstoßes gegen Art. 116–119 SRÜ, da sie den Schutz der Schwertfischbestände nicht gegenüber ihren Schiffen durchgesetzt habe. Zum anderen habe die EG, indem sie nicht mir Chile zur Sicherung der Schwertfischbestände auf Hoher See zusammengearbeitet habe, die in Art. 64 SRÜ enthaltene Kooperationsverpflichtung verletzt. Der dritte und vierte Antrag Chiles sind von besonderem Interesse für das Verhältnis zwischen Gerichten des SRÜ und WTO-Paneln. Darin verlangt Chile vom ISGH festzustellen, dass die EG durch Einleitung des WTO-Verfahrens das Recht und die Pflicht Chiles, innerstaatliche Schutzmaßnahmen für die Erhaltung der Schwertfischbestände zu erlassen, in Frage stelle und dass dieses Verhalten einen Verstoß gegen das SRÜ darstelle. Darüber hinaus verletze die Einleitung eines WTO-Verfahrens die Art. 300, 297 I lit. b) SRÜ, da die Streitigkeit über das chilenische Landungsverbot allein in den Zuständigkeitsbereich des SRÜ falle und nicht in den des Streitbeilegungsverfahrens der WTO.449 Im Gegenzug beantragte die EG festzustellen, dass Chiles unilaterale Maßnahmen zum Schutz der Schwertfische auf Hoher See gegen Art. 87, 89 und 116–119 SRÜ verstoßen. Darüber hinaus stellt sie die Vereinbarkeit des zwischen Chile, Kolumbien, Ecuador und Peru geschlossenen Galapagos-Abkommens zum Schutz der regionalen Fischbestände450 aufgrund der darin enthaltenen Bevorzugung der Küstenstaaten mit den in Art. 64, 116– 119 SRÜ enthaltenen Verpflichtungen des SRÜ in Frage. Weiterhin sollte durch den Gerichtshof festgestellt werden, dass Chile dazu verpflichtet sei, mit der EG über ein Abkommen zum Schutz der Schwertfischbestände zu verhandeln, und dass das von Chile einseitig erlassene Landungsverbot rechtsmissbräuchlich im Sinne des Art. 300 SRÜ sei. Außerdem bestritt die EG die Zuständigkeit des ISGH bezüglich Chiles vierten Antrag – die Einleitung eines WTO-Verfahrens verletze Art. 300, 297 I lit. b) SRÜ.451 Aufgrund einer Einigung zwischen Chile und der EG452 kommt es erst einmal nicht zu Verhandlungen in den Verfahren. Die vorübergehende Aus447 Das Statut findet sich in Annex VI des SRÜ, Statute of the International Tribunal for the Law of the Sea, Annex VI, ILM 21 (1982), S. 1345 ff. 448 Sustainable Exploitation of Swordfishstocks, ITLOS order 2000/3, para. 2.1.; abrufbar unter www.itlos.org. 449 Für die Anträge Chiles vgl. Sustainable Exploitation of Swordfishstocks, ITLOS order 2000/3, para. 2.3., (a)–(d), abrufbar unter www.itlos.org. 450 Framework Agreement for the Conservation of Living Marine Recources on the Highs Seas of the South Pacific, 14.8.2000, der Vertragstext ist abrufbar unter www.oceanlaw.net/texts//galapagos.htm. 451 Vgl. Sustainable Exploitation of Swordfishstocks, ITLOS order 2000/3, para. 2.3., (e)–(h), abrufbar unter www.itlos.org.

150 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

setzung der Verfahren kann aber jederzeit durch einseitigen Antrag von einer der Streitparteien rückgängig gemacht werden.453 2. Parallele Verfahren wegen handelsrelevanter Umweltschutzmaßnahmen Im Rahmen der Diskussion über das Verhältnis von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung stand bisher die Problematik des materiellrechtlichen Verhältnisses im Vordergrund, während institutionelle Aspekte dieses Konfliktfeldes kaum untersucht worden sind.454 Dass dieser erst in den letzten Jahren an Aktualität gewonnen hat, dürfte seinen Grund primär in der Attraktivität des WTO-Streitbeilegungssystem seit InKraft-Treten des DSU zusammen mit den übrigen WTO-Übereinkommen haben. Dementsprechend stellt sich im Verhältnis multilateraler Umweltübereinkommen mit handelsbeschränkender Wirkung und WTO-Rechtsordnung nicht nur das Problem der materiellrechtlichen Vereinbarkeit, sondern auch das der Parallelität der Streitbeilegungsverfahren. Faktisch liegt dem die Frage zu Grunde, inwieweit Staaten, die sich gegen solche handelsbeschränkend auswirkendenden Maßnahmen multilateraler Umweltübereinkommen zur Wehr setzen wollen, nicht nur den Streitbeilegungsmechanismus der WTO oder des multilateralen Umweltübereinkommens nutzen, sondern in Bezug auf denselben Lebenssachverhalt auf beide zurückgreifen können und dies auch tun werden. Auch wenn die Diskussion über das materiellrechtliche Verhältnis der Übereinkommen nicht ohne Auswirkung auf die Möglichkeit, parallele Verfahren einzuleiten, bleibt,455 so ist nicht jeder Aspekt des materiellrechtli452 Es wurde vereinbart, dass Chile erst einmal vier Schiffen der EG Zugang zu seinen Häfen gewährt und dass gleichzeitig ein multilaterales Abkommen zur Bewirtschaftung und Erhaltung der Schwertfischbestände ausgehandelt wird. 453 Sustainable Exploitation of Swordfishstocks, ITLOS Order, 2001/1, 15.3.2001, para. 6; abrufbar unter www.itlos.org. 454 Siehe aber Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 302 (303 ff.); Neumann, Koordination, S. 525 ff., der die Untersuchung primär auf das Verhältnis von SRÜGerichten und WTO-Streitbeilegung konzentriert, dabei aber auch Aspekte der Parallelität von Streitbeilegungsvorschriften in sich handelsbeschränkend auswirkenden multilateralen Umweltübereinkommen und der WTO-Rechtsordnung berücksichtigt; vgl. auch Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1108 ff.). 455 So haben sowohl Japan im SBT-Fall, als auch Chile im Schwertfisch-Fall die Grundsätze lex specialis und lex posterior angeführt, um den Vorrang des aus ihrer Sicht vorzugswürdigeren Übereinkommens inklusive seiner Streitbeilegungsvorschriften zu begründen; zur Auswirkung des Vertragskonkurrenz- und -kollisionsrechts auf das Problem der Parallelität von Streitbeilegungsvorschriften siehe unten 2. Teil A.

E. Konfliktpotential aufgrund paralleler Zuständigkeiten

151

chen Verhältnisses für die Untersuchung von Relevanz. Dies gilt insbesondere für die Diskussion bezüglich der Rechtmäßigkeit von handelsbeschränkend wirkenden Maßnahmen multilateraler Umweltübereinkommen gegenüber Nicht-Vertragsparteien dieser Übereinkommen.456 Denn Voraussetzung für die Existenz paralleler Zuständigkeiten ist, dass den Streitparteien sowohl der Streitbeilegungsmechanismus eines multilateralen Umweltvertrages als auch das Streitbeilegungssystem der WTO offensteht. Von daher ist zunächst Voraussetzung, dass das relevante Umweltübereinkommen überhaupt Vorschriften über die Beilegung von Streitigkeiten enthält. Ist dies der Fall, so muss des Weiteren zwischen folgenden Situationen differenziert werden: Der von der Handelsbeschränkung betroffene Staat kann entweder Vertragsstaat oder Nicht-Vertragsstaat des Umweltübereinkommens sein. Für den Fall, dass er nicht Vertragspartei des Umweltübereinkommens ist, hat er in aller Regel weder ein Interesse noch die Möglichkeit, die Streitigkeit im Rahmen des Umweltübereinkommens beizulegen, da sich die jeweiligen Streitbeilegungsvorschriften nur auf Streitigkeiten beziehen, die sich aus der Auslegung und Anwendung des Übereinkommens zwischen den Vertragsstaaten ergeben.457 Für einen Nicht-Vertragsstaat stellt sich mithin überhaupt nicht die Möglichkeit, parallele Verfahren einzuleiten. Nur wenn der betroffene Staat Vertragspartei des Umweltübereinkommens und gleichzeitig Mitglied der WTO ist, kann er entweder den Streitbeilegungsmechanismus des multilateralen Umweltübereinkommens in Anspruch nehmen oder die Einsetzung eines Panels nach dem DSU beantragen, wenn er die Maßnahme für WTO-widrig hält.

E. Konfliktpotential aufgrund paralleler Zuständigkeiten Auch wenn verschiedene Kategorien paralleler Zuständigkeiten völkerrechtlicher Verfahren aufgrund der Parallelität von Streitbeilegungsvorschriften in völkerrechtlichen Übereinkommen aufgezeigt werden konnten, ist damit noch keine Aussage über das diesen Situationen zu Grunde lie456 Siehe zur Anwendung des Cartagena-Protokolls gegenüber nicht Vertragsstaaten Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (339 ff.); zu einem möglichen Konflikt der Bestimmungen des Montrealer Protokolls gegenüber Nicht-Vertragsstaaten des Übereinkommens, die aber Mitglieder der WTO sind, vgl. Rutgeerts, JWT 33/4 (1999), S. 61 (69 ff.); Schlangenhof, JWT 29/6 (1995), S. 123 (148 ff.). 457 Vgl. Art. 20 Basler-Übereinkommen; Art. 20 Rotterdamer-Konvention; Art. 14 Klimarahmenkonvention; Art. 18 CITES; Art. 27 Biodiversitätskonvention, dessen Bestimmungen gem. Art. 32 Cartagena-Protokoll auch für Streitigkeiten der Vertragsparteien über die Auslegung und Anwendung des Protokolls anwendbar sind; Art. 14 Montrealer-Protokoll i.V. m. Art. 11 Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, 22.3.1985, ILM 26 (1987), S. 1516 ff.

152 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

gende Konfliktpotential gemacht worden. Wendet man sich dieser Frage zu, so sind zunächst die Konsequenzen zu untersuchen, die sich aus den unterschiedlichen Konstellationen ergeben. Auf der einen Seite werden in der Völkerrechtsliteratur und -praxis die Auswirkungen diskutiert, die sich aus der Zunahme internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsförmig ausgestalteter Streitbeilegungsmechanismen auf die Einheitlichkeit der Völkerrechtsordnung ergeben. Denn die Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit ist nicht nur als eine positive Entwicklung begrüßt worden. So hat insbesondere die Errichtung des ISGH auch zu deutlicher Kritik geführt: „The creation of a court of judicature in parallel with the International Court of Justice, which has been in existence for many years as the principal judicial organ of the United Nations, will prove to have been a great mistake.“458

Da es sich beim internationalen Seerecht nicht um eine spezielle, vom allgemeinen Völkerrecht losgelöste Materie handle, sondern vielmehr um einen integralen Bestandteil desselben, drohe aufgrund der Errichtung des ISGH eine divergierende Auslegung von SRÜ-Vorschriften, welche die Einheit des Völkerrechts gefährde. Dass diese Gefahr durch den ISGH drohe, wird damit begründet, dass dessen Richter im Gegensatz zu denen des IGH keine ausgewiesenen Spezialisten im Allgemeinen Völkerrecht, sondern nur um Bereich des internationalen Seerechts sein müssen. „If the development of the law of the sea were to be separated from the general rules of international law and placed under the jurisdiction of a separate judicial authority, this could lead to the destruction of the very foundation of international law.“459

Verallgemeinert gesprochen ist nach Einschätzung einiger durch die Zunahme internationaler Gerichte und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren die Einheit des Völkerrechts aufgrund divergierender Auslegungen derselben bzw. unterschiedlicher, aber inhaltsgleicher Rechtsnormen gefährdet.460 Dies ist auch Anknüpfungspunkt der Rede Guillaumes, des Präsidenten des IGH, vor der UN-Generalversammlung im Jahr 2000: 458

Oda, ICLQ 44 (1996), S. 863 (864). Oda, ICLQ 44 (1996), S. 863 (864). 460 Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, wird in der völkerrechtlichen Literatur unterschiedlich beurteilt. Charney kommt in einer umfangreichen Studie unterschiedlicher Fälle und Situationen zu dem Ergebnis, dass es zwar zu Auslegungsunterschieden kommen kann, dass diese aber keine konkrete Gefahr der Zersplitterung des Völkerrechts darstellen und gegenüber möglichen positiven Auswirkungen nicht relevant sind. Denn die Zunahme internationaler Gerichte könnte auch zu einer stärkeren Akzeptanz der verbindlichen Streitbeilegung durch die beteiligten Staaten führen; vgl. Charney, RdC 271 (1998), S. 101–382; ders., AJIL 90 (1996), S. 69 (69 ff.); Lauterpacht, International Justice, S. 19; Dupuy, N.Y.U. J. Int’l L. P. 31 459

E. Konfliktpotential aufgrund paralleler Zuständigkeiten

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„The proliferation of international courts gives rise to a serious risk of conflicting jurisprudence, as the same rule of law might be given different interpretations in different cases . . . A dialogue among judicial bodies is crucial. The International Court of Justice, the principle judicial organ of the United Nations, stands ready to apply itself to this end if it receives the necessary sources.“461

Schwerpunkt dieser „proliferation-Debatte“ ist die Einheitlichkeit der völkerrechtlichen Rechtsordnung. Auf der anderen Seite wird das Problem der parallelen Zuständigkeit internationaler Streitbeilegungsmechanismen nicht nur unter dem Gesichtpunkt der Einheitlichkeit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung diskutiert, sondern es geht auch um das Problem der Einheitlichkeit von Entscheidungen verschiedener Streitbeilegungsmechanismen in Bezug auf denselben Lebenssachverhalt. Dieses stellt sich u. a. im Schwertfisch-Fall, dem sowohl handelsrechtliche wie auch seerechtliche Aspekte zu Grunde liegen und der dementsprechend sowohl vor dem ISGH wie auch einem WTO-Panel anhängig gemacht wurde. Ähnlich gelagert ist auch der SBTFall, der zum einen im Rahmen des SRÜ zumindest partiell hätte beigelegt werden können und zum anderen im Rahmen der CCSBT. Auch die aufgeführten Konstellationen im Verhältnis von WTO- und NAFTA-Streitbeilegung sowie die im Verhältnis von UN-Menschenrechtsausschuss und EGMR beziehen sich auf parallele Zuständigkeiten von Streitbeilegungsmechanismen in Bezug auf denselben strittigen Lebenssachverhalt. In diesem Zusammenhang kann es zwar auch zu einer Gefährdung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung aufgrund divergierender Auslegungen derselben Rechtsnormen kommen. Allerdings hat die Untersuchung gezeigt, dass eine Situation, in der dieselbe Norm in im Zusammenhang stehenden Verfahren ausgelegt wird, zwar nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, wegen des prinzipiell beschränkten Jurisdiktionsbereichs internationaler Gerichte mit Ausnahme des IGH aber eher selten ist.462 In der Praxis ist es vielmehr (1999), S. 791 (795 f.); Buergenthal, LJIL 14 (2001), S. 267 (271 f.); dagegen wird gerade von ehemaligen Richtern des IGH die Zunahme internationaler Gerichte kritisch beäugt; vgl. Oda, RdC 244 (1993), S. 9 (139 ff.); ders., ICLQ 44 (1995), S. 863 (864 ff.); Guillaume, ICLQ 44 (1995), S. 648 (661 f.); Jennings, BYIL LXVIII (1997), S. 1 (60), siehe aber auch Spelliscy, CJTL 40 (2001), S. 143 ff. 461 Ansprache des Präsident des IGH vor der UN-Generalversammlung; abrufbar unter www.icj-cij.org. 462 Einzige Beispielsfälle hierfür sind die Verfahren vor dem AGMR einerseits und dem IGH andererseits wegen der Auslegung von Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention, siehe dazu oben 1. Teil D. II. 1. sowie die Möglichkeit der parallelen Verfahren im Rahmen der WTO- und Art.-1903-NAFTA-Verfahren wegen Änderungen in den nationalen Bestimmungen über Ausgleichszölle und staatliche Beihilfen, siehe dazu oben 1. Teil D. IV. 3. a). Auch im Rahmen einer zwischenstaatlichen Meeresbodenstreitigkeit, in der beide Parteien sich sowohl der Jurisdiktion des IGH unterworfen haben als auch Vertragsstaaten des SRÜ sind, kann es zu

154 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

zum Führen paralleler Verfahren aufgrund der Parallelität von globalen und regionalen Übereinkommen auf der einen und der Parallelität von Übereinkommen verschiedener Sachbereiche auf der anderen Seite gekommen. Dass damit im Zusammenhang stehende Problem liegt mithin nicht so sehr in der divergierende Auslegung derselben Normen, sondern in der parallelen Anwendung von Streitbeilegungsvorschriften und, sofern diese verpflichtend bestimmte Verfahren vorsehen, in der Parallelität von darin vorgesehenen Verfahren. Daraus kann eine Gefährdung des Entscheidungseinklanges aufgrund widersprüchlicher und unvereinbarer Entscheidungen in Bezug auf denselben strittigen Lebenssachverhalt resultieren. Entsprechend dem unterschiedlichen Konfliktpotential ist zwischen den Situationen divergierender Auslegungen derselben bzw. unterschiedlicher, aber inhaltlich identischer Norm in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren und der Gefahr miteinander unvereinbarer Entscheidungen in Bezug auf denselben Lebenssachverhalt zu trennen. Während sich im ersteren Falle die Frage stellt, inwieweit daraus Auslegungskonflikte resultieren können, gilt es im Falle paralleler Verfahren zu klären, inwieweit aus den daraus resultierenden Zuständigkeitskonkurrenzen Zuständigkeitskonflkte entstehen. Bereits Treves hat darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Problematik paralleler Zuständigkeiten strikt zwischen dem Phänomen eines conflict of jurisdiction und eines conflict of jurisprudence zu trennen ist.463 Eine ähnliche Differenzierung findet sich auch bei Stein, der zum einen von materieller und zum anderen von formaler Divergenz zwischen Urteilen des EGMR und des EuGH bezüglich des Grundrechtsschutzes spricht. Eine materielle Divergenz liegt vor, wenn der EuGH einerseits und der EGMR andererseits in verschiedenen, aber gleich gelagerten Fällen die Grundrechte der EMRK unterschiedlich auslegen. Im Gegensatz dazu ist von einer formellen Divergenz auszugehen, wenn sowohl EuGH als auch EGMR denselben Sachverhalt unter menschenrechtlichen Aspekten unterschiedlich beurteilen.464 Die Erkenntnis, dass in Situationen paralleler Zuständigkeiten zwischen Zuständigkeits- und Auslegungskonflikten zu differenzieren ist, ist erstes parallelen Verfahren bezüglich derselben Rechtsnorm zwischen denselben Streitparteien vor dem IGH als Gericht außerhalb der SRÜ-Gerichtsbarkeit und der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten des ISGH kommen. In Bezug auf das System obligatorischer SRÜ-Gerichtsbarkeit besteht diese Möglichkeit nur insoweit, dass verschiedene Staaten Klagen gegen denselben Staat wegen eines einheitlichen Lebenssachverhalts vor verschiedenen SRÜ-Gerichten anhängig machen können; vgl. dazu oben 1. Teil, D. II. 2. 463 Treves, N.Y.U. J. Int’l. L. P. 31 (1999), S. 809 (810). 464 Stein, Geltendes Recht, in: Mosler/Bernhardt/Hilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa, S. 147 (150 ff.).

F. Zusammenfassung

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Ergebnis der vorliegenden Untersuchung. Allerdings bietet diese Differenzierung lediglich eine grobe Strukturierung des Problems paralleler Zuständigkeiten. Sie klärt noch nicht die Frage, ob aus einer divergierenden Auslegung zwangsläufig ein Auslegungskonflikt und aus einem parallelen Verfahren notwendigerweise ein Zuständigkeitskonflikt entsteht.

F. Zusammenfassung Dass sich die Völkerrechtspraxis und -literatur seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts vermehrt mit der Parallelität von Streitbeilegungsmechanismen konfrontiert sieht, ist auf folgende Gründe zurückzuführen. Erstens hat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Prozess der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen eingesetzt, aufgrund dessen heutzutage fast alle Lebensbereiche von völkerrechtlichen Übereinkommen erfasst werden – und zwar sowohl auf globaler als auch auf regionaler Ebene. Zweitens ist es zu einer erheblichen Aufwertung und Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit gekommen. Maßgeblich für diese Entwicklung ist zum einen die zunehmende Akzeptanz des IGH durch Staaten des ehemaligen Ostblocks und afrikanische Staaten. Zum anderen existieren durch das In-Kraft-Treten des SRÜ und die Errichtung der WTO mit seinem reformierten Streitbeilegungsverfahren in zwei wichtigen Bereichen des Völkerrechts obligatorisch zuständige, verbindlich entscheidende Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren mit sachlich begrenzter Jurisdiktion. Drittens kommt es aufgrund der Ordnungsstruktur des Völkerrechts als dezentraler Rechtsordnung zu einer sog. materiellrechtlichen Denzentralisation. Damit wird die Parxis umschrieben für einzelne Sachbereiche spezielle Übereinkommen auszuarbeiten, die dann aufgrund der Interdependenz der in ihnen geregelten Materien parallel auf denselben Sachverhalt Anwendung finden. Dies tritt nicht nur im Verhältnis von IWF, Weltbank und WTO zu Tage, sondern wird auch an dem problematischen Verhältnis von internationalem Umweltschutz und freiem Welthandel deutlich. Die Konsequenz dieser drei Faktoren in Bezug auf die internationale Streitbeilegung ist die zunehmende Existenz paralleler Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsmechanismen. Anhand des z. Zt. verfügbaren Fallmaterials lassen sich folgenden Kategorien paralleler Zuständigkeiten bilden: erstens, divergierende Auslegungen derselben Rechtsnorm in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren, zweitens, divergierende Auslegungen unterschiedlicher, aber inhaltlich identischer Normen in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren, drittens, divergierende Auslegungen derselben Rechtsnorm in parallelen, d.h. im Zusammenhang stehenden Verfahren, viertens, parallele Verfahren im Rahmen verschiedener Übereinkommen desselben Sachbereichs und fünftens, paral-

156 1. Teil: Gründe, Beispiele völkerrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen

lele Verfahren im Rahmen verschiedener Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche. Aufgrund des unterschiedlichen Konfliktpotentials, das diesen Konstellationen zu Grunde liegt, muss prinzipiell zwischen folgenden Situationen, die aus der Existenz paralleler Zuständigkeiten resultieren können, differenziert werden: Auslegungs- und Zuständigkeitskonflikten. Mit dem Begriff „Auslegungskonflikt“ wird die Gefahr umschrieben, dass aufgrund divergierender Auslegungen derselben Vorschrift oder unterschiedlicher, aber inhaltlich identischer Vorschriften in nicht im Zusammenhang stehenden Verfahren die Einheitlichkeit der Rechtsordnung und damit auch die Legitimität des Völkerrechts bedroht wird. Demgegenüber kann es sich nur dann um Zuständigkeitskonflikte handeln, wenn es zu parallelen, d.h. im Zusammenhang stehenden Verfahren in Bezug auf denselben strittigen Lebenssachverhalt kommt. Das sich dahinter verbergende Konfliktpotential ist die Gefahr miteinander unvereinbarer Entscheidungen in derselben Sache.

2. Teil

Zuständigkeitskonflikte A. Zuständigkeitskonkurrenzen Bevor in Situationen paralleler Verfahren von der Existenz eines Zuständigkeitskonflikts gesprochen werden kann, ist zunächst das Vorliegen einer Zuständigkeitskonkurrenz festzustellen; d.h., auf denselben strittigen Sachverhalt müssen zwei Streitbeilegungsmechanismen anwendbar sein, die in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.1 Für Fälle wie den SBT-Fall, die MOX Plant-Streitigkeit, den Schwertfisch-Fall sowie parallele Verfahren im Rahmen von NAFTA und WTO und auch EMRK und IPbürg, in denen der strittige Sachverhalt Bezug zu zwei Übereinkommen aufweist, so dass er im Rahmen beider Übereinkommen nach den jeweils darin vorgesehenen Verfahren beigelegt werden kann, ist mithin Voraussetzung für eine Zuständigkeitskonkurrenz, dass beide Übereinkommen nebeneinander anwendbar sind. Dem einen Übereinkommen darf kein Vorrang vor dem anderen zukommen, da ansonsten das verdrängte Übereinkommen und damit auch dessen Streitbeilegungsvorschriften keine Anwendung findet. Es könnte also gar nicht zu parallelen Verfahren kommen. Die Frage, ob in einer konkreten Situation eine Zuständigkeitskonkurrenz existiert, steht also vielfach in unmittelbarem Zusammenhang mit der Problematik der Vertragskonkurrenz und des Vertragskonflikts.2 Dies wird nicht nur durch die Diskussion im CTE über das Verhältnis von Streitbeilegung im Rahmen der WTO und multilateralen Umweltübereinkommen deutlich,3 sondern auch 1 Die Voraussetzung, dass die Streitbeilegungsmechanismen in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen dürfen, schließt diejenigen Fälle von der Definition der Zuständigkeitskonkurrenz aus, in denen juristische Streitbeilegungsmechanismen erst nach vorherigen Konsultationen genutzt werden können, wie etwa im Rahmen der WTO-Verfahren (Art. 4 DSU), oder in denen die Überprüfbarkeit einer Entscheidung durch ein anderes Gericht möglich ist. 2 Stoll/Völeky, ZaöRV 62 (2002), S. 21 (27): „As the conflict of jurisdiction is a conflict of treaty regimes, it is, in the first instance, upon the parties to the treaties to solve the conflict“. 3 Zunächst sah die Tagesordnung des CTE eine Trennung dieser beiden Themen vor. Unter Top 1 – The Relationship Between the Provisions of the Multilateral Trading System and Trade Measures for Environmental Purposes, Including those Pursuant to Multilateral Environmental Agreements – wurde das materiellrechtliche

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

durch die von Japan im SBT-Fall verfolgte Argumentation, wonach sich der Vorrang der CCSBT aus den Grundsätzen lex posterior und lex specialis ergebe, so dass das SRÜ inklusive des darin vorgesehenen Streitbeilegungsverfahrens in seiner Anwendung durch die Vorschriften der CCSBT verdrängt werde.4

I. Parallele Anwendbarkeit von Verträgen in Bezug auf denselben Sachverhalt Der parallelen Anwendbarkeit von Übereinkommen steht für den Fall des Vertragskonflikts der Vorrang des einen oder anderen Übereinkommens entgegen. Aber auch für den Fall, dass es sich nicht um einen Konflikt handelt, besteht die Möglichkeit, dass es zwischen Vertragsstaaten eines Übereinkommens zum Abschluss einer inter-se Vereinbarungen gekommen ist, welche die Rechte und Pflichten aus dem vorherigen Übereinkommen im Verhältnis zu den am inter-se Übereinkommen beteiligten Staaten abwandelt, so dass auch in diesem Fall eine parallele Anwendbarkeit der Übereinkommen und damit die Existenz einer Zuständigkeitskonkurrenz ausgeschlossen ist. 1. Vertragskonkurrenz und Vertragskollision Vertragskonkurrenzen und Vertragskonflikte im Völkerrecht sind ein Unterfall des allgemeinen Problems der Normenkonkurrenz und des Normenkonflikts.5 Die mit diesen Begriffen bezeichneten rechtlichen Phänomene treten nicht nur im Völkerrecht auf, sondern sind Bestandteil aller rechtswissenschaftlichen Teildisziplinen, da sie ein allgemeines normtheoretisches Verhältnis behandelt, während Gegenstand des Top 5 – The Relationship Between the Dispute Settlement Mechanisms in the Multilateral Trading System and those Found in Multilateral Environmental Agreements – das institutionelle Verhältnis der Streitbeilegungsverfahren war; zur Tagesordnung siehe CTE Report 1996, 12.11. 1996, WT/CTE/1, abgedruckt in Annex III, Special Series 4 (1999), Trade and Environment, S. 98. Allerdings war in den Sitzungen des CTE, die dem ersten Bericht 1996 vorangegangen waren, bereits deutlich geworden, dass die Diskussion über die materiellrechtliche Vereinbarkeit nicht ohne Auswirkung auf das Verhältnis der Streitbeilegungsmechanismen bleiben würde. Deshalb wurden die jeweils unterschiedlichen Probleme, die sich aus der Überschneidung von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Vorschriften ergeben, in den nächsten Sitzungen des CTE im Zusammenhang erörtert; CTE Report 1996, WT/CTE/1. Für den Stand der Diskussion vgl. die jährlichen Berichte des Komitees, CTE Report 1997, WT/CTE/ 2; CTE Report 1998, WT/CTE/3; CTE Report 1999, WT/CTE/4; CTE Report 2000, WT/CTE/5. 4 SBT-Schiedsgericht, para. 38 (c), ILM 39 (1999), S. 1359 (1378 f.). 5 Mus, NILR 45 (1998), S. 208 (209).

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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und rechtsmethodisches Problem bilden.6 Dementsprechend existieren eine Vielzahl von unterschiedlichen Ansätzen zur Beschreibung dieser Phänomene und der daraus resultierenden Konsequenzen. Darüber hinaus ist bereits die Verwendung der Begrifflichkeiten nicht eindeutig. So wird im rechtsmethodischen Schrifttum teilweise ganz auf eine Differenzierung zwischen Normenkonkurrenzen und Normenkonflikten verzichtet. Larenz verwendet lediglich den Terminus der Normenkonkurrenz. Davon ausgehend unterscheidet er drei verschiedene Kategorien: Ordnen die Normen genau die gleichen Rechtsfolgen an, so ist die Normenkonkurrenz unproblematisch. Sind die Rechtsfolgen der beiden Bestimmungen verschieden, ohne sich jedoch gegenseitig auszuschließen, so ist zu untersuchen, ob beide Rechtsfolgen nebeneinander treten, oder ob die eine durch die andere verdrängt wird. Schließen sich die Rechtsfolgen gegenseitig aus, so kann nur einer der beiden Rechtssätze zur Anwendung gelangen.7 Engisch wiederum geht vom Grundsatz der Einheitlichkeit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung aus und verwendet lediglich den Begriff des Normenwiderspruchs. Ein solcher liegt vor, wenn ein Verhalten in abstracto oder concreto zugleich als geboten und nicht geboten, als verboten oder nicht verboten oder gar als geboten und verboten erscheint.8 Demgegenüber problematisiert Kelsen lediglich Fälle von Normenkonflikten. Dabei differenziert er zwischen notwendigen und möglichen, einseitigen und zweiseitigen sowie zwischen totalen und partiellen Konflikten.9 Untersucht man die Begriffsverwendung und das dahinterstehende Verständnis der Vertragskonkurrenz bzw. des Vertragskonflikts im Völkerrecht, so wird entgegen dem rechtsmethodischen Schrifttum grundsätzlich zwi6

Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 1. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 87. Die letzte Kategorie der Normenkonkurrenzen wird auch als Normwiderspruch definiert, welcher von dem Phänomen des Wertungswiderspruchs abzugrenzen ist, S. 155. 8 Engisch, Einführung, S. 209. Die Kategorie der Normenwidersprüche ist von denen der gesetzestechnischen Widersprüche abzugrenzen. Letztere bestehen lediglich in der Uneinheitlichkeit der Terminologie. Als Beispiel verweist Engisch auf den unterschiedlichen Beamtenbegriff im Strafrecht und Staatsrecht oder auf die unterschiedlichen Anforderungen an den Fahrlässigkeitsmaßstab im Strafrecht und im Zivilrecht. Die Ursache ist darin zu sehen, dass die Rechtsbegriffe erst durch den normativen und teleologischen Zusammenhang inhaltlich bestimmt werden. Man spricht auch von der „Relativität der Rechtsbegriffe“. Dieses Phänomen – auch bezeichnet als „Relativierung des Dogmas der Einheitlichkeit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung“ – betrifft aber nicht die Substanz des Rechts und ist mithin dort unproblematisch, wo tatsächlich eine unterschiedliche inhaltliche Ausgestaltung desselben Begriffs aufgrund des systematischen und teleologischen Zusammenhangs geboten ist. 9 Kelsen, Theorie der Normen, S. 99. 7

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

schen Konkurrenz und Konflikt unterschieden. Nach Klein wird als Vertragskonkurrenz „. . . das Zusammentreffen von Bestimmungen in mehreren völkerrechtlichen Verträgen bezeichnet, die ein Völkerrechtssubjekt in Bezug auf denselben Sachverhalt mit demselben anderen Völkerrechtssubjekt oder mit denselben oder auch mit verschiedenen anderen Völkerrechtssubjekten abgeschlossen hat. Das Rechtsproblem ist also dasjenige der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit verschiedener Bestimmungen auf denselben Sachverhalt in zwei oder mehreren völkerrechtlichen Verträgen.“10

Ausgehend davon hat Wilting folgende Voraussetzungen für das Vorliegen einer Vertragskonkurrenz aufgestellt: Im Falle einer Identität der Rechtsverhältnisse müssen sich zwei oder mehrere Rechtsnormen in ihrem Anwendungsbereich überschneiden, so dass sie auf ein und denselben Lebenssachverhalt anwendbar sind.11 Eine solche Konkurrenzsituation führt dann zu einem Konflikt, wenn die in den konkurrierenden Rechtsnormen angeordneten Rechtsfolgen derart miteinander unvereinbar sind, dass eine gleichzeitige Anwendung der Normen ausscheidet.12 Über die Frage, in welchen Situationen das entscheidende Kriterium der „Unvereinbarkeit der Rechtsfolgen“ erfüllt ist, besteht allerdings in der völkerrechtlichen Literatur Uneinigkeit. Ausgehend von der Arbeit von Jenks wird eine Unvereinbarkeit von Normen und damit die Existenz eines Vertragskonflikts nur für den Fall angenommen, dass sich die Rechtsfolgenanordnungen der Vorschriften per se ausschließen.13 Ein solch gegenseitiger Ausschluss liegt immer nur dann vor, wenn es sich um zwei sich gegenseitig widersprechende Verpflichtungsnormen handelt: Erst wenn Vertrag A ein bestimmtes Verhalten verbietet, während Vertrag B dasselbe Verhalten gebietet, handelt es sich um einen Vertragskonflikt. Kommt es hingegen zu der Situation, dass Vertrag A ein bestimmtes Verhalten erlaubt und Vertrag B ebendieses Verhalten untersagt, so kommt es nicht zu einem Konflikt im eigentlichen Sinne, sondern zu einer Divergenz. Diese Differenzierung rechtfertige sich deshalb, weil 10

Klein, Vertragskonkurrenz in: Wörterbuch des Völkerrechts, S. 555. Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 3 f. Die zumindest teilweise Identität der Anwendungsbereiche und die daraus resultierende Anwendbarkeit auf denselben Sachbereich ist an sich noch nicht ausreichend, eine Vertragskonkurrenz zu begründen. Denn Verträge, welche in ihren Anwendungsbereichen partiell identisch sind und sich somit auf denselben Lebenssachverhalt beziehen, müssen nicht notwendigerweise auf dieselben Vertragsparteien anwendbar sein. Ebendies setzt aber die Existenz einer Vertragskonkurrenz voraus und soll mit dem Begriff der Identität der Rechtsverhältnisse umschrieben werden. 12 Dahm/Delbrück/Wolfrum, I/3, S. 682 m. w. N. 13 Jenks, BYIL 30 (1953), S. 401 (426 f.); Sinclair, Vienna Convention, S. 97; Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1084). 11

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sich den betroffenen Staaten in der Situation, in der eine Berechtigungsnorm ein Verhalten erlaube, während eine Verpflichtungsnorm das Verhalten verbiete, immer noch die Möglichkeit böte, sich entsprechend der Anordnung der Verpflichtungsnorm vertragskonform zu verhalten, was im Falle des Aufeinandertreffens zweier Verpflichtungsnormen mit divergierenden Rechtsfolgen nicht der Fall sei.14 Zwar sieht auch Jenks, dass es im Falle divergierender Vorschriften zu mitunter erheblichen Problemen in der Rechtspraxis kommen kann, da sie, obwohl sie zu keinem Konflikt im eigentlichen Sinne führen, von dem Ziel der Einheitlichkeit der Rechtsordnung abweichen. Allerdings seien Fälle der Divergenz anders zu behandeln als die der Vertragskonflikte. Letztere könnten mit Hilfe der Hierarchie der konfligierenden Verträge zueinander sowie der Grundsätze lex specialis und lex posterior gelöst werden, während eine Vertragsdivergenz lediglich im Wege der Auslegung behoben werden könne.15 Dem Ansatz von Jenks stehen zahlreiche andere Ansätze gegenüber, deren Konsequenz im Allgemeinen ist, dass sie den Begriff des Konflikts weiter verstanden wissen wollen, so dass auch die Grundsätze zur Auflösung von Normen- bzw. Vertragskonflikten einen erweiterten Anwendungsbereich erhalten. So greift Karl auf den Ansatz von Engisch zurück und definiert Normenkonflikte im Völkerrecht als eine Situation, in der ein Verhalten entweder in abstracto oder in concreto zugleich als geboten und nicht geboten, als verboten oder nicht verboten oder aber als geboten und verboten erscheint.16 Auch die Situation, in der eine Norm etwas erlaubt, was eine zweite verbietet, kann demnach zu einem Konflikt führen und zwar dann, wenn von diesem Recht Gebrauch gemacht wird.17 Diese Konse14

Jenks, BYIL 30 (1953), S. 401 (425 f.). Jenks, BYIL 30 (1953), S. 401 (427 ff.); anders jedoch Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1086), die zumindest den Grundsatz lex specialis auf die Fälle der Divergenz anwenden will, in denen ein Vertrag ein bestimmtes Verhalten erlaubt, das ein zweiter Vertrag verbietet. Diesem Ansatz liegt das Verständnis zu Grunde, dass es sich bei dem lex specialis Prinzip im Gegensatz zu dem des les posterior lediglich um einen Auslegungsgrundsatz handelt, für dessen Anwendbarkeit kein Konflikt vorliegen muss. 16 Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 61. Allerdings hält Karl in Übereinstimmung mit Engisch die allermeisten Konflikte für Scheinkonflikte, da ein wirklicher Konflikt nur dann bestehe, wenn er nicht gelöst werden könne. Ein wahrer Konflikt bestehe mithin nur dann, wenn durch die zur Auflösung von Widersprüchen bestehenden Regeln keinen Vorrang der einen oder anderen Norm festgestellt werden kann. Ist dies möglich, so bestehe lediglich ein Scheinkonflikt; für eine Kritik an dieser Differenzierung vgl. Mus, NILR 45 (1998), S. 208 (210). 17 Demgegenüber scheint Karl in: EPIL IV, S. 935 (936) eine andere Position einzunehmen, wenn er ausführt: „Technically speaking, there is a conflict between treaties when two (or more) treaty instruments contain obligations which cannot be complied with simultaneously“. Dieses Verständnis eines Vertragskonflikts bezieht 15

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

quenz ergibt sich auch aus den Ansätzen von Wilting und Mus, die zumindest partiell auf die Konfliktdefinition von Kelsen zurückgreifen: Ein Konflikt liegt vor, wenn die Beachtung oder Anwendung der einen Norm notwendiger- oder möglicherweise zu einer Verletzung der anderen führt.18 Als Beispiel für einen einseitigen und möglichen Konflikt führt Wilting das Verhältnis von Völkerbundsatzung, welche lediglich ein bedingtes Kriegsverbot enthält, und Briand-Kellogg-Pakt an, der, bis auf den Fall der Selbstverteidigung, zwischen den Vertragsparteien ein absolutes Kriegsverbot statuiert: Der Konflikt sei einseitig weil eine Befolgung des Paktes nicht zu einer Verletzung der Völkerbundsatzung führen könne, und möglich, weil die Befolgung der Völkerbundsatzung nur in dem Fall zu einer Verletzung des Paktes führe, in der die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Satzung erfüllt sind und ein Vertragsstaat des Paktes Krieg gegen einen anderen Vertragsstaat führt, sich also auf sein „bedingtes Recht zum Krieg“ nach der Völkerbundsatzung beruft.19 Auch Klein scheint von einem weiten Verständnis des Vertragskonflikts auszugehen. Seiner Ansicht nach besteht eine „Konflikts-Vertragskonkurrenz“ dann, wenn sich im Falle einer Konkurrenz die Vertragsbestimmungen, insbesondere die Vertragsverpflichtungen, in zwei oder mehreren völkerrechtlichen Verträgen formal unauflösbar widersprechen.20 Voraussetzung eines Konflikts ist mithin der Widerspruch von Vertragsbestimmungen, wobei der Widerspruch von zwei Vertragsverpflichtungen ein besonders herauszuhebendes Beispiel darstellt. Diese unterschiedlichen Auffassungen im völkerrechtlichen Schrifttum spiegeln sich auch in der Rechtsprechung der WTO wieder. So liegt der Entscheidung EC – Bananas eine weite Konfliktdefinition zu Grunde: „. . . the notion of conflict is designed to deal with (i) clashes between obligations contained in GATT 1994 and obligations contained in agreements listed in Annex 1 A, where those obligations are mutually exclusive in the sense that a Member cannot comply with both obligations at the same time, and (ii) the situation sich nur auf miteinander unvereinbare Vertragsverpflichtungen, ohne dass dies die Situation berücksichtigen würde, dass Vertragsbestimmungen aufeinandertreffen, von denen die eine ein bestimmtes Verhalten erlaubt, während die andere dasselbe Verhalten verbietet. 18 Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 4; Mus, NILR 45 (1998), S. 208 (210). 19 Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 5 f. Demgegenüber haben Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Teil I/3, S. 681 f., diese Situation lediglich als einen Fall der Vertragskonkurrenz angesehen. Denn Verträge, die gegenüber anderen Verträgen lediglich weiterreichende Verpflichtungen enthalten, wie der Briand-Kellogg-Pakt gegenüber der Völkerbundsatzung, stehen zueinander nicht im Konflikt, sondern begründen lediglich eine Konkurrenzsituation; vgl. auch Jenks, BYIL 30 (1953), S. 401 (426). 20 Klein, Vertragskonkurrenz in: Wörterbuch des Völkerrechts, S. 555 (555).

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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where a rule in a agreement prohibits what a rule in another agreement explicitly permits.“21

Zur Verdeutlichung seiner Position verweist das Panel auf folgendes Beispiel: Während Art. XI Abs. 2 GATT lediglich unter sehr begrenzten Voraussetzungen Ausnahmen vom Verbot mengenmäßiger Beschränkungen zulässt, gibt Art. 2 des Textilabkommens den Vertragsstaaten weitergehende Rechte zur Einführung mengenmäßiger Beschränkungen.22 Zwar erkennt das Panel an, dass es im Verhältnis der beiden Vorschriften nicht notwendigerweise zu einem Konflikt kommen muss, da den Vertragsstaaten immer noch die Möglichkeit bleibt, auf die Wahrnehmung seiner weitergehenden Rechte zu verzichten. Dies führt dann aber dazu, dass die Vorschriften des Textilübereinkommens leer laufen und keine eigenständige Bedeutung haben. Dies wiederum wäre aber mit dem Sinn und Zweck der in Annex 1 A des WTO-Übereinkommens aufgeführten Handelsübereinkommen nicht vereinbar, da diese auch mit der Absicht verhandelt wurden, von den allgemeinen Vorschriften des GATT abzuweichen. Zwar bezieht sich die Konfliktdefinition des Panels nur auf die Allgemeine Auslegungsregel zu Anhang 1 A des WTO-Übereinkommens. Allerdings ist die Aussage insoweit verallgemeinerungsfähig, als diese Auslegungsregel lediglich bestimmt, dass im Falle eine Konflikts zwischen den Vorschriften des GATT 1994 und anderen Handelsübereinkommen die Vorschriften der letzteren Vorrang haben. Dass der in der Auslegungsregel enthaltene Begriff des Konflikts im WTO Kontext ein anderer ist als im Allgemeinen Völkerrecht, ist nicht ersichtlich, zumal das Verständnis des Panels dem von Czaplin´ski und Danilenko entspricht: „In our opinion, the conflicts arise at the stage of application of the agreements when the later treaty in a particular situation violates the rights of any other party to the earlier treaty, or when the provision of the later treaty seriously infringes provisions of the earlier treaty which are indispensable for the effective implementation of the object or aim of that treaty.“23

Demgegenüber haben andere Panel- und Appellate Body-Entscheidungen einen Konflikt nur für den Fall angenommen, dass es zu sich widersprechenden Vertragsverpflichtungen kommt. „In international law for a conflict to exist between two treaties, three conditions have to be satisfied. First, the treaties concerned must have the same parties. Second, the treaties must cover the same subject matter . . . Third, the provisions must conflict, in the sense that the provisions must impose mutually exclusive obligations“24 21 Panel Report, EC – Banans, WT/DS27/R, para. 7.159; zustimmend und damit bewusst von Jenks abweichend auch Falk, ZEuS 3 (2000), S. 307 (329). 22 EC – Bananas, WT/DS27/R, Fn. 728. 23 Czaplin ´ski/Danilenko, NYIL 21 (1990), S. 3 (13).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Die Rechtsprechung des IGH im Nicaragua-Fall kann hingegen als Nachweis für eine weites Verständnis der Konfliktdefinition herangezogen werden. Als Reaktion auf den Einwand der USA, dass der IGH unzuständig sei, weil Nicaragua und die USA im Rahmen des „Contandora Prozesses“ Verhandlungen über die Lösung des Konflikts führen, stellt der IGH fest, dass alle regionalen oder bilateralen Verhandlungen zur Beilegung einer Streitigkeit im Einklang mit Art. 103 UN-Charter stehen müssen: „. . . all regional, bilateral, and even multilateral, arrangements that the Parties to this case may have made, touching on the issue of settlement of disputes or the jurisdiction of the International Court of Justice, must be made always subject to the provisisons of Article 103 of the Charter . . .“25

Art. 103 der UN-Charter begründet den Vorrang derselben gegenüber anderen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Falle eines Konflikts. Zieht also der IGH diese Vorschrift im Verhältnis zu einem regionalen Verhandlungsprozess und der Zuständigkeit des Gerichtshofs heran, um zu begründen, dass ersterer nicht zur Unzuständigkeit des IGH führen kann, so liegt dieser Argumentation ein weites Verständnis des Begriffs „Konflikt“ zu Grunde, da Art. 103 UN-Charter nur im Falle eines Konflikts Anwendung findet. Zwar belegt der aufgezeigte Diskussionsstand die unterschiedlichen Standpunkte innerhalb der Völkerrechtsliteratur und -praxis, allerdings ist anzumerken, dass die Vorschrift der WVRK, die sich mit dem Verhältnis von konkurrierenden völkerrechtlichen Verträgen auseinandersetzt, mit keinem Wort den Begriff „Konflikt“ erwähnt – Art. 30 WVRK.26 Ausgangs24 Panel Report, Indonesia – Certain Measures Affecting the Automobile Industry, WT/DS54/R, WT/DS55/R, WT/DS59/R, WT/DS64/R, 2.7.1998, footnote 649; vgl. auch Panel Report, Turkey – Restriction on Imports of Textile and Clothing Products, WT/DS34/R, 31.5.1999, para. 9.92. Auch der Appellate Body Report, Guatemala – Anti Dumping Investigation Regarding Portland Cement from Mexico, WT/DS60/AB/R, 2.11.1998, para. 65, wurde dahingehend interpretiert; Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1085). Allerdings ist die Entscheidung nicht eindeutig. „A special or additional provision should only be found to prevail over a provision of the DSU in a situation where adherence to the one provision will lead to a violation of the other provision, that is, in the case of a conflict between them. An interpreter must, therefore, identify an inconsistency or a difference between a provision of the DSU and a special or additional provision of a covered agreement before concluding that the latter prevails and that the provision of the DSU does not apply.“ Somit reicht bereits ein „Unterschied“ in den konkurrierenden Vertragsvorschriften aus, der zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führt, um die Existenz eines Konflikts annehmen zu können. Dass ein „Unterschied“ nur bei widersprüchlichen Verpflichtungsnormen bestehen kann, geht daraus nicht hervor. 25 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and Against Nicaragua (Nicaragua v. USA), Jurisdiction and Admissibility of Application, 26.11.1984, ICJ Rep. 1984, S. 440.

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punkt der Regelung ist vielmehr das Vorliegen einer Vertragskonkurrenz. Erst wenn es sich um aufeinanderfolgende Verträge über denselben Gegenstand handelt, deren Regelungen miteinander unvereinbar sind, hat grundsätzlich der zuletzt abgeschlossene Vorrang vor dem früheren. Entscheidend für die gesamte Diskussion ist mithin nicht der Begriff des „Konflikts“, sondern vielmehr der der „Unvereinbarkeit“. Ausgangspunkt der Auslegung dieses Begriffs muss der mit der Vermeidung von unvereinbaren Verträgen und Vertragsbestimmungen verfolgte Sinn und Zweck sein. Dieser liegt in der Wahrung der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Dieses Problem stellt sich wegen der Dezentralisation des Völkerrechts und der daraus folgenden Abwesenheit eines koordinierenden Gesetzgebers in besonderem Maße.27 Dementsprechend kommt den Bestimmungen, welche die Einheitlichkeit und Widerspruchslosigkeit der Völkerrechtsordnung gewährleisten sollen, eine besonders wichtige und zentrale Rolle zu. Diese Funktion können sie aber nur dann erfüllen, wenn man von einem möglichst weiten Anwendungsbereich der Vorschriften ausgeht, die das Verhältnis von miteinander unvereinbaren Verträgen lösen sollen. Auch für Situationen, in denen ein Vertrag ein bestimmtes Verhalten erlaubt, während ein zweiter ebendieses Verhalten verbietet, ist es notwendig, das Verhältnis der Verträge zueinander zu klären. Denn unabhängig davon, ob man eine solche Situation als Divergenz oder Konflikt bezeichnet, gefährdet sie dennoch die Einheitlichkeit der Rechtsordnung. Ein weiteres Argument, welches diese Auslegung stützt, ist der ursprüngliche Ausgangspunkt der Diskussion: Konkurrierende Verträge oder Vertragsvorschriften ordnen unvereinbare Rechtsfolgen an. Enthält Vertrag A ein bestimmtes Recht und nimmt Staat X dieses Recht wahr, so ist die Rechtsfolge des Vertrages A: erlaubtes Verhalten. Die Rechtsfolge des Vertrages B jedoch, der ebendieses Verhalten nicht erlaubt, ist: verbotenes Verhaltens. Die Unvereinbarkeit der Rechtsfolgen besteht zwar nicht bereits abstrakt, führt aber dennoch dazu, dass es im konkreten Falle zu einer Unvereinbarkeit der Rechtsfolgen kommen kann. Dieses Ergebnis ist auch mit der These vereinbar, dass nicht jeder Unterschied in den Bestimmungen zweier konkurrierender Verträge automatisch zu einer Unvereinbarkeit führen muss.28 Denn bevor festgestellt werden 26

Dennoch ist Art. 30 WVRK als völkerrechtliche conflict clause bezeichnet worden. Allerdings ist dies ungenau. Denn lediglich der Begriff der Unvereinbarkeit in Art. 30 Abs. 3 WVRK kann dahingehend ausgelegt werden, dass für den Fall, dass Verträge oder Vertragsbestimmungen miteinander unvereinbar sind, ein Konflikt besteht; notwendig ist diese Auslegung nicht. 27 Karl in: EPIL IV, S. 935 (936).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

kann, dass zwei Verträge bzw. Vertragsvorschriften miteinander unvereinbar sind, muss zunächst der Wille der Vertragsparteien untersucht werden. Dieser kann durchaus ergeben, dass Vertragsvorschriften, auch wenn sie sich voneinander unterscheiden, parallel nebeneinander anwendbar sind, sich gewissermaßen ergänzen, d.h., das Problem der Unvereinbarkeit von Verträgen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vertragsauslegung.29 Somit kann erst mit Hilfe des Prozesses der Vertragsinterpretation letztlich festgestellt werden, ob die Vorschriften eines Vertrages tatsächlich miteinander unvereinbar sind. Im Rahmen dieses zunächst einsetzenden Auslegungsprozesses ist insbesondere der Grundsatz der harmonisierenden Auslegung zu beachten,30 auch presumption against conflict genannt: Erst wenn aufgrund des Parteiwillens oder aufgrund der Eindeutigkeit des Wortlautes eine harmonisierende Auslegung nicht möglich ist, kann tatsächlich von einer Unvereinbarkeit der Verträge gesprochen werden. a) Vertragsklauseln Bevor eine Lösung sich widersprechender Vertragsvorschriften über die in Art. 30 Abs. 3 und 4 WVRK enthaltenen Ansätze und den Grundsatz lex specialis gesucht wird, muss zunächst der in Vertragsklauseln über den Umgang mit Vertragskonkurrenzen zum Ausdruck kommende Parteiwille beachtet werden.31 Dieser Vorrang von Vertragsklauseln über das Verhältnis konkurrierender Verträge ist in Art. 30 Abs. 2 WVRK enthalten.32 Auch wenn sich in der Praxis in Bezug auf Vertragsklauseln eine Vielzahl unterschiedlicher Formulierungen findet, so kann grundsätzlich zwischen drei Kategorien von Vertragsklauseln differenziert werden: Vereinbarkeitsklauseln, Vorrangklauseln und Verpflichtungsklauseln.33 Von Verpflichtungsklauseln ist immer dann zu sprechen, wenn den Parteien im Fall einer Kol28

Vgl. dazu Sinclair, Vienna Convention, S. 97. Aufricht, CLQ 37 (1952), S. 655 (659); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Teil I/3, S. 682; vgl. auch Brownlie, Principles, S. 630, der das gesamte Problem der Unvereinbarkeit von Verträgen als Teil der Vertragsauslegung begreift. 30 Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (271). 31 Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (251 ff.); Sinclair, Vienna Convention, S. 97. 32 Sinclair, Vienna Convention, S. 97; Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 302 (314 f.). Auch wenn die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur Vertragsklauseln erfasst, durch die ein früher oder später abgeschlossener Vertrag einem anderen untergeordnet oder nicht als mit diesem unvereinbar anzusehen ist, so ist dies lediglich als eine beispielhafte Aufführung einer möglichen Form von Vertragsklauseln zu verstehen, welche den Abschluss anderer Vertragsklauseln nicht ausschließt. Der Grund dafür dürfte darin zu finden sein, dass das Thema der Vertragsklauseln erst zu einem späteren Zeitpunkt in die Beratungen der ILC über Vertragskonkurrenzen und -konflikte mit einbezogen wurde; siehe Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 65. 29

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lision mit Verpflichtungen anderer Verträge ein bestimmtes Verhalten durch die Klausel vorgeschrieben wird. Demgegenüber handelt es sich um eine Vorrangklausel, wenn ein Vertrag eine dahingehende Bestimmung enthält, dass im Falle der Vertragskonkurrenz nur einer der beiden Verträge Anwendung findet. Für das Vorliegen von Zuständigkeitskonkurrenzen sind die Vereinbarkeitsklauseln von besonderer Bedeutung, die bestimmen, dass die Verträge parallel anwendbar sind, indem von der Vereinbarkeit der vertraglichen Bestimmungen mit denen anderer Verträge auszugehen ist.34 Auch wenn Vertragsklauseln für die Lösung von Vertragskonkurrenzen wichtig sind, da sie nicht nur das Verhältnis der Verträge zueinander bestimmen, sondern auch für die Interpretation der Übereinkommen Bedeutung haben,35 ist deren Nutzung insbesondere durch eine unreflektierte, quasi-automatisierte Verwendung erheblich eingeschränkt. Auch die Verwendung in sich widersprüchlicher Vertragsklauseln, die sich aus der Kombination der verschiedenen Typen von Konkurrenzklauseln ergeben können,36 sowie sich in ihrer Anwendung gegenseitig ausschließende Bestimmungen über das Verhältnis der Übereinkommen begrenzen die Möglichkeit, mit Hilfe von Vertragsklauseln das Problem der Vertragskonkurrenz zu lösen. In solchen Situationen muss dann auf die allgemeinen völkerrechtlichen Vorschriften über das Verhältnis konkurrierender Verträge zurückgegriffen werden. b) Lex posterior Enthalten die in Konkurrenz zueinander stehenden Verträge keine Vertragsklauseln oder führt die Anwendung der bestehenden Bestimmungen 33 Die in der Literatur bestehenden Klassifizierungen sind nicht ganz einheitlich. Allerdings scheint die hier verwendete Differenzierung zwischen den aufgeführten Kategorien Konsens zu sein; zur Kategorisierung von Vertragsklauseln mit entsprechenden Nachweisen aus der Völkerrechtspraxis siehe Wilting, Vertragskonkurrenz S. 67 ff.; Czaplin´ski/Danilenko, NYIL 21 (1990), S. 3 (13 f.). 34 Zu den verschiedenen Formen von Vereinbarkeitsklauseln und ihren unterschiedlichen Formulierungen siehe Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 68 ff. 35 Dies gilt insbesondere für die Vereinbarkeitsklauseln. Da diese von einer Vereinbarkeit der Übereinkommen miteinander ausgehen, sind die Vertragsverpflichtungen des sich anpassenden Vertrages dahingehend auszulegen, dass sie mit dem Übereinkommen vereinbar sind. 36 Auch wenn das Cartagena-Protokoll keine eigene Konkurrenzbestimmung enthält, sondern die dementsprechenden Bestimmungen in die Präambel des Protokolls „verbannt“ wurden, zeigt die Diskussion bezüglich des Verhältnisses von CartagenaProtokoll und WTO-Rechtsordnung, dass auch Konkurrenzklauseln teilweise erst ausgelegt werden müssen, damit sie eine Lösung der Vertragskonkurrenz ermöglichen; zu der „Konkurrenzklausel“ des Cartagena-Protokolls siehe unten 2. Teil A. II. 2. b) bb) (1).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

nicht zu einer Auflösung des Konkurrenzverhältnisses, so finden unter der Voraussetzung, dass Verträge oder Vertragsbestimmungen miteinander unvereinbar sind, die Abs. 3 und 4 des Art. 30 WVRK Anwendung, von denen im Allgemeinen angenommen wird, dass sie den gewohnheitsrechtlich anerkannten lex posterior Grundsatz kodifizieren.37 Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 30 Abs. 3 WVRK ist neben einem Widerspruch zwischen früherem und späterem Vertrag und der Identität der Streitparteien, dass beide Verträge in Kraft und anwendbar sind; d.h., dass im Abschluss des späteren Vertrages nicht eine einvernehmliche Vertragsauflösung im Sinne des Art. 59 WVRK zu sehen ist. Dementsprechend ist die Anwendung des Art. 30 Abs. 3 WVRK subsidiär gegenüber Art. 59 WVRK. Darüber hinaus muss es sich um zeitlich aufeinanderfolgende Verträge über denselben Gegenstand handeln. Die Diskussion im Rahmen der Beratungen der ILC über das Kriterium des zeitlichen Aufeinanderfolgens hat gezeigt, dass der relevante Zeitpunkt nicht das In-KraftTreten des Vertrages für den jeweiligen Staat ist, sondern der der Vertragsannahme als Ausdruck einer „new legislative intention“.38 Das Kriterium desselben Regelungsgegenstandes bringt lediglich zum Ausdruck, dass beide Verträge sich in ihrem Anwendungsbereich in Bezug auf denselben Lebenssachverhalt überschneiden müssen. Damit kommt ihm keine eigenständige Bedeutung zu, da die Überschneidung der Anwendbarkeit bereits eine der Grundvoraussetzungen dafür ist, dass es sich um eine Situation der Vertragskonkurrenz handelt, auf deren Bestehen die Regelung des Art. 30 Abs. 3 WVRK aufbaut.39 Kommt es zu der Situation, dass ein Teil der Vertragsstaaten des früheren Vertrages auch Partei eines späteren Vertrages geworden ist, so bestimmt sich das Verhältnis der Verträge zueinander nach den Bestimmungen des Art. 30 Abs. 4 WVRK. Entsprechend dem Prinzip pacta tertiis non nocent normiert Abs. 4 lit. b), dass sich die Vertragsbeziehungen von Staaten, von denen der eine Vertragspartei beider Übereinkommen ist, während der andere nur an einen der beiden Verträge gebunden ist, nach dem Vertrag richtet, deren Partei beide Staaten sind. Handelt es sich jedoch um Staaten, die 37 Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 67; Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (256); Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 501; kritisch zu der Annahme, dass Art. 30 Abs. 3 WVRK Ausdruck des lex posterior Grundsatzes sei Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 78 f., unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift; für einen Überblick über die Entscheidungen internationaler Gerichte und Tribunale, die sich vor der Ausarbeitung der WVRK auf den Grundsatz lex posterior berufen haben vgl. Karl in: EPIL IV, S. 935 (937). 38 Siehe hierzu die Ausführungen von Sir I. Sinclair und Sir H. Waldock im Rahmen der Beratungen der ILC, Official Records, Bd. II, S. 222 und 253. 39 Vierdag, BYIL 59 (1988), S. 75 (100).

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Partei beider Übereinkommen sind, so bestimmt sich das Verhältnis der Verträge zueinander gem. Art. 30 Abs. 4 lit. a) WVRK nach den Bestimmungen des Art. 30 Abs. 3 WVRK. Damit enthält Art. 30 Abs. 4 WVRK nur insoweit eine Lösung für Vertragskonkurrenzen, als dass die Bestimmungen der Verträge sich im Verhältnis zu den jeweiligen Parteien in voneinander unabhängige, bilaterale Verpflichtungen aufspalten lassen.40 Denn nur dann besteht die Möglichkeit, dass sich die Verpflichtung eines Staates je nach Vertragspartner nach dem früheren oder späteren Vertrag richten. Ist aufgrund des Wesens des einen oder anderen Vertrages eine solche Aufspaltung nicht möglich, so bietet Art. 30 Abs. 4 WVRK keinen Ansatzpunkt, eine solche Form der Unvereinbarkeit von völkerrechtlichen Verträgen aufzulösen – auch nicht im Verhältnis derjenigen Staaten, die Parteien beider Übereinkommen sind. Letztlich steht es dann im Belieben der Staaten, die Partei beider Verträge sind, den einen oder anderen anzuwenden. Denn einen automatischen Vorrang desjenigen Vertrages, welcher aufgrund seines Wesens keine Aufspaltung in bilaterale Verpflichtungen zulässt, lässt sich aus der WVRK oder der sonstigen Völkerrechtspraxis nicht begründen.41 c) Lex specialis Sowohl in der völkerrechtlichen Literatur als auch in der Völkerrechtspraxis wird zur Lösung von Vertragskonflikten auch auf das Prinzip lex specialis derogat generali verwiesen.42 Allerdings fand es im Gegensatz zum Grundsatz lex posterior in den Beratungen der ILC zur Ausarbeitung der WVRK nur wenig Beachtung und wurde auch nicht in die Regelung des Art. 30 WVRK aufgenommen.43 Auch wenn die Rechtsgrundlage des Prin40

Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (261). Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 111. 42 Aus der völkerrechtlichen Literatur vgl. Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (256); Karl in: EPIL IV, S. 935 (937); Aufricht, CLQ 37 (1952), S 655 (697 ff.); Sinclair, Vienna Convention, S. 98; für die Rechtsprechungspraxis des StIGH bezüglich des lex specialis Grundsatzes siehe The Mavrommatis Palestine Concessions (Greece v. UK), 30.8.1924, Ser. A Nr. 2, S. 31; The Electricity Company of Sofia and Bulgaria (Belgium v. Bulgaria), Seperate Opinion of Judge Hudson and Urrutia, 4.4.1939, Ser. A/B Nr. 77, S. 103 und 125. Auch in jüngster Zeit haben sich Gerichte mit dem Grundsatz lex specialis auseinandersetzen müssen. Ohne ihn allerdings in der konkreten Situation anzuwenden, ist er dennoch als in den Beziehungen von Verträgen relevantes Prinzip anerkannt worden; vgl. SBT-Schiedsgericht, para. 52, ILM 39 (2000), S. 1359 (1387 f.): „It (the Tribunal) recognizes that there is support in international law . . . for the application of a lex specialis that governs general provsions of an antecedent treaty or statute.“ 43 Demgegenüber vertreten Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (257); Sinclair, Vienna Convention, S. 98 und im Anschluss daran auch Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), Dispute Resolution in the 41

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

zips damit nicht eindeutig geklärt ist – es könnte sich sowohl um eine Norm des Völkergewohnheitsrechts als auch um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut handeln – so besteht an seiner Rechtsverbindlichkeit dennoch kein Zweifel. Ein erstes Problem in der Anwendbarkeit stellt sich im Verhältnis zum lex posterior Grundsatz. Denn es besteht durchaus die Möglichkeit, dass eine späterer Vertrag, der mit einem früheren unvereinbar ist, im Vergleich zum früheren die generelleren Vorschriften enthält. Darüber hinaus ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, dass nicht in allen Fällen, in denen generelle und spezielle Vorschriften aufeinandertreffen, der spezielleren Vorrang eingeräumt werden soll. Vielmehr kann es sich bei der spezielleren Vorschrift auch um eine die allgemeine Regelung ergänzende Vorschrift handeln, oder aber die speziellere muss zurückstehen, da der allgemeinen aufgrund ihres Charakters als allgemeines Rechtsprinzip Vorrang zukommt.44 Dadurch tritt auch der bereits erwähnte Zusammenhang zwischen Vertragskollision bzw. -widerspruch und der Vertragsauslegung deutlich zu Tage. Denn nur der im Vertrag und den Vertragsumständen zum Ausdruck kommende Parteiwille kann letztlich klären, inwieweit die Parteien der spezielleren Regel gegenüber der allgemeinen Vorrang einräumen wollten. Damit im Zusammenhang steht auch die Frage, ob es sich in einer solchen Situation überhaupt um einen Konflikt handelt, der die Anwendung der Grundsätze lex posterior und lex specialis notwendig macht. Eine weitere Problematik in der Anwendung des lex specialis Grundsatzes besteht in der Festlegung, welche Vorschrift die speziellere ist, da dafür bisher keine allgemein gültigen Kriterien gefunden werden konnten.45 Das Verhältnis von Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung zu multilateralen Umweltübereinkommen, die handelsrechtliche Bezüge aufweisen, mag dies verdeutlichen: Während aus handelsrechtlicher Sicht die Übereinkommen der WTO die spezielleren Übereinkommen bezüglich der Garantie und der WTO, S. 302 (316, Fn. 53) die Auffassung, dass das Kriterium desselben Regelungsgegenstandes in Art. 30 Abs. 3 WVRK dahingehend zu verstehen sei, dass als Voraussetzung für die Anwendung des lex posterior Grundsatzes der gleiche Grad an Konkretheit zu fordern sei. Ebendieses Kriterium sei aber im Verhältnis einer allgemeinen zu einer speziellen Vorschrift nicht erfüllt, da letztere in Bezug auf den zu Grunde liegenden Sachverhalt konkretere Regelungen enthalte. Damit sei der Grundsatz lex specialis zumindest indirekt in Art. 30 WVRK berücksichtigt worden. Allerdings kann sich dieses Ansicht weder auf die Entstehungsgeschichte noch auf den Wortlaut der Vorschrift berufen, zumal das Kriterium desselben Regelungsgegenstandes lediglich zum Ausdruck bringt, dass beide Verträge auf denselben Lebenssachverhalt anwendbar sein müssen; siehe Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 88 f. 44 Siehe dazu Aufricht, CLQ 37 (1952), S. 655 (697). 45 Oppenheim, International Law, S. 1280: „It is, however, not always easy to determine which of the two rules is the general one and which the specific.“

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

171

Durchsetzung handelsrechtlicher Freiheiten sind, enthalten die multilateralen Übereinkommen in Bezug auf die Regelung umweltrelevanter Aspekte des Handels mit bestimmten Stoffen die spezielleren Vorschriften.46 Aus dieser Schwierigkeit die Ungeeignetheit des lex specialis Grundsatzes für die Auflösung von Vertragskonflikten bzw. -widersprüchen zu schlussfolgern, ist allerdings nicht korrekt. Vielmehr erscheint das Problem der Spezialität einer Vorschrift gegenüber einer anderen, eine Frage des Einzelfalls zu sein. Dies kann zwar auch dazu führen, dass der Grundsatz keine adäquate Lösung für das Problem bietet, was insbesondere bei Vorschriften der Fall sein dürfte, die ein und denselben Lebenssachverhalt aus unterschiedlicher Perspektive regeln wollen und damit unterschiedlichen Sachbereichen zu zuordnen sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Grundsatz in anderen Situationen nicht doch zu einer der Problematik gerecht werdenden Lösung führen kann. d) Harmonisierende Auslegung Für die Untersuchung der parallelen Anwendbarkeit von Übereinkommen und ihren Streitbeilegungsmechanismen von unmittelbarer Bedeutung ist das Prinzip der harmonisierenden Auslegung, welches zum einen im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Vertragsauslegung zu sehen ist und zum anderen mit denen über die Regelung von Vertragskonflikten bzw. -widersprüchen. Der letztere Zusammenhang wird bereits dadurch deutlich, dass die Diskussion über die harmonisierende Auslegung in dem Moment einsetzte, als das Thema der Vertragskollision Eingang in die Völkerrechtswissenschaft fand.47 Seitdem ist das Prinzip der harmonisierenden Auslegung sowohl in der Völkerrechtsliteratur als auch der Völkerrechtspraxis anerkannt, so dass von einer dementsprechenden gewohnheitsrechtlichen Auslegungspflicht gesprochen werden kann.48 Dem liegt zum einen die Erkenntnis zu Grunde, dass die Vorschriften eines Vertrages nicht isoliert in Bezug auf den Vertrag selbst, sondern unter Berücksichtigung der bestehenden Völkerrechtsordnung auszulegen sind, wie es sich auch aus Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK ergibt. Zum anderen basiert die Pflicht zur harmonisierenden Auslegung auf dem Grundsatz pacta sunt servanda. Denn sowohl vertragliche Verpflichtungen als auch aus Verträgen resultierende Rechte sind dahingehend auszulegen, dass alle Verpflichtungen eingehalten werden 46 Siehe dazu Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 223; a. A. Hohmann, RIW 46 (2000), S. 88 (96 f.). 47 Die ersten, die sich mit dem Phänomen Vertragskonkurrenzen und -konflikte auseinandersetzten, waren de Vattel und Grotius, auf die auch die Grundsätze über die Vertragsauslegung zurückgehen; Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (271). 48 Pontecorvo, ZaöRV 56 (1999), S. 709 (741); Neumann, Koordination, S. 336.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

können. Bevor es somit zur Anwendung der Regelungen zur Auflösung von Vertragskonflikten bzw. -widersprüchen kommt, muss zunächst der Versuch der harmonisierenden Auslegung der sich vermeintlich konfligierenden Vertragsbestimmungen unternommen werden.49 Wird eine solche Auslegungspraxis konsequent verfolgt, dürfte dies die meisten Fälle von Vertragskonflikten und -widersprüchen vermeiden.50 In Bezug auf die Parallelität von Streitbeilegungsmechanismen ist dies insofern von Bedeutung, als dass durch die harmonisierende Auslegung die parallele Anwendbarkeit der Übereinkommen sichergestellt wird, so dass es dementsprechend auch zu einer parallelen Anwendung der Vertragsvorschriften über die Streitbeilegung kommen kann. Allerdings kann das Prinzip der harmonisierenden Auslegung nicht jede Form eines Vertragskonflikts auflösen, da es durch den Wortlaut der Vorschrift, deren Sinn und Zweck sowie deren Systematik begrenzt ist. Entgegen dem eindeutigen Wortlaut ist eine harmonisierende Auslegung nicht möglich. Ein weiteres Problem stellt sich bei der Frage des Ansatzpunktes der harmonisierenden Auslegung. Eine solche Überlegung ist keinesfalls nebensächlich, da die harmonisierende Auslegung zwar nicht zu einer Vertragsmodifikation führen darf, aber dennoch den einen Vertrag so auslegt, dass er mit dem anderen vereinbar ist. Das hat in der Literatur zu dem nicht völlig von der Hand zu weisenden Vorwurf geführt, dass die harmonisierende Auslegung letztlich nichts anderes sei als die Begründung des Vorranges des einen Vertrages gegenüber dem anderen.51 Erstes Kriterium für die Bestimmung des Ansatzes der harmonisierenden Auslegung sind die bestehenden Vertragsklauseln: Enthält z. B. einer der beiden Verträge eine Vereinbarkeitsklausel, so hat die harmonisierende Auslegung an diesem Vertrag anzusetzen.52 Existieren keine Vertragsklauseln, enthalten beide Verträge Vereinbarkeitsklauseln oder führen die Vertragsklauseln zu keinem Ergebnis, so haben sich bisher keine allgemeinen Regeln gefunden, an welchem Vertrag die harmonisierende Auslegung anzusetzen hat.53 Einen Ausgangspunkt bietet sich jedoch mit dem Grundsatz der effektiven Vertragsauslegung. Demnach muss die harmonisierende Auslegung prinzipiell an 49

Dahm/Delbrück/Wolfrum, Teil I/3, S. 682. Vgl. Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (271), der feststellt, dass das Gebot der harmonisierenden Auslegung dazu führt, dass man „auf der Suche nach praktischen Beispielen für Konflikte . . . gar nicht so leicht fündig“ wird. 51 Rittstieg, Rheinschiffahrt im Gemeinsamen Markt, S. 21. 52 Darin zeigt sich die bereits angesprochene Doppelfunktion von Vereinbarkeitsklauseln, welche nicht nur für die Bestimmung des Vorranges, sondern auch für den Ansatzpunkt der harmonisierenden Auslegung relevant sind. 53 Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (273). 50

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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dem „harmonisierungsfähigeren“ Vertrag ansetzen. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass beiden Vorschriften möglichst umfassend anwendbar bleiben, trotz einer zunächst bestehenden Unvereinbarkeit. Der Vertrag, dessen Voraussetzungen aufgrund seiner prinzipienartigen Ausgestaltung am auslegungsfähigsten sind, ist damit grundsätzlich geeigneter Ansatzpunkt für die harmonisierende Auslegung. 2. Abschluss von inter-se Abkommen Außer in den Fällen der Vertragskonkurrenz und des Vertragskonflikts bzw. -widerspruchs kann eine parallele Anwendung von Verträgen auf denselben Sachverhalt auch aus Gründen des Art. 41 WVRK ausgeschlossen sein. Denn grundsätzlich haben die Vertragsstaaten eines multilateralen Übereinkommens unter Beachtung der prozeduralen und materiellrechtlichen Voraussetzungen des Art. 41 WVRK das Recht, durch Vereinbarungen inter-se, d.h. durch Vereinbarungen, an die nur ein Teil der Vertragsstaaten des multilateralen Vertrages gebunden ist, von dessen Vorschriften im Verhältnis zueinander abzuweichen.54 Im Unterschied zu Art. 30 Abs. 4 WVRK, der auf die Situation der Teilidentität der Vertragsparteien zwischen früherem und späterem Vertrag abstellt, regelt Art. 41 WVRK die Modifikation mehrseitiger Verträge durch einzelne Vertragsparteien dieses Übereinkommens.55 Allerdings ist auch dann von einer inter-se Vereinbarung auszugehen ist, wenn Vertragsstaaten des mehrseitigen Übereinkommens im Verhältnis zueinander die Vorschriften des Vertrages modifizieren und auch dritte Staaten, die nicht Vertragspartei des mehrseitigen Vertrages sind, dem modifizierenden Übereinkommen beitreten.56 Dementsprechend überschneiden sich die Anwendungsbereiche von Art. 41 und Art. 30 Abs. 4 WVRK, da es sich bei jeder inter-se Vereinbarung um einen späteren Vertrag handelt. Allerdings muss es sich nicht notwendigerweise bei jedem späteren Übereinkommen um eine interse Vereinbarung handeln. Maßgeblich ist der in den Übereinkommen zum Ausdruck kommende Wille der Vertragsparteien. So handelt es sich zum einen dann nicht um eine modifizierende inter-se Abweichung, wenn das Verhältnis der Übereinkommen zueinander in entsprechenden Vertragsklauseln geregelt wird. Zum anderen kann eine inter-se Vereinbarung ausgeschlossen werden, wenn es sich sowohl bei dem späteren als auch bei dem 54 Für einen Überblick über die völkerrechtliche Literatur und Rechtsprechung bezüglich der Zulässigkeit von inter-se Abweichungen vor Verabschiedung der WVRK siehe Feist, Multilaterale Verträge, S. 191 ff. 55 Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (261). 56 Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 112.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

früheren Vertrag um jeweils multilaterale Verträge handelt, die denselben Sachverhalt regeln und dabei Anspruch auf die Etablierung eines umfassenden Regimes erheben, so dass die enthaltenen Abweichungen eher mit dem Versuch einer vollständigen Revision des Übereinkommens für alle Parteien vergleichbar sind.57 Insbesondere wenn die Übereinkommen prinzipiell unterschiedlichen Sachbereichen zuzuordnen sind, deren Anwendungsbereiche sich aber wegen der Interdependenz der Sachbereiche überschneiden, müssten sich entweder aus dem Übereinkommen selbst, den Umständen des Vertragsabschlusses oder aber aus der Entstehungsgeschichte eindeutige Hinweise dafür finden, dass es sich bei dem Übereinkommen im Verhältnis zu einem multilateralen Vertrag eines anderen Sachbereichs, um eine modifizierende inter-se Abweichung handeln soll. Unabhängig davon, ob der Abschluss von solchen Vereinbarungen materiellrechtlich zulässig ist, dürfte der Umstand, ob es zu einer Notifikation der Parteien des früheren multilateralen Vertrages bezüglich der geplanten Abweichung durch die Parteien der inter-se Vereinbarung gekommen ist, ein starkes Indiz dafür sein, dass die Parteien der fraglichen Vereinbarung diese als inter-se Modifikation verstehen. Denn das Notifikationserfordernis ist gem. Art. 41 Abs. 2 WVRK prozedurale Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Abschluss von inter-se Vereinbarungen. Materiellrechtlich wird die Möglichkeit zum Abschluss von inter-se Vereinbarungen gem. Art. 41 Abs. 1 WVRK auf die Fälle beschränkt, in denen der jeweilige multilaterale Vertrag eine solche Modifikation entweder ausdrücklich zulässt, Abs. 1 lit. a), oder aber nicht verbietet, Abs. 1 lit. b). Im letzteren Fall darf eine inter-se Abweichung aber nur dann vereinbart werden, wenn es dadurch nicht zu einer Beeinträchtigung der Rechte und Pflichten der nicht an der Modifikation beteiligten Staaten des ursprünglichen Vertrages kommt. Diese Voraussetzung ist letztlich Ausdruck des Grundsatzes pacta sunt servanda. Voraussetzung für die Zulässigkeit von inter-se Modifikationen ist also, dass, wie auch im Falle des Art. 30 Abs. 4 WVRK, eine Bilateralisierung der Vertragsbeziehungen des multilateralen Vertrags möglich ist.58 Ist diese Möglichkeit aufgrund einer multi- und nicht bilateralen Erfüllungsstruktur des Vertrages nicht gegeben, so ist ein Abschluss von modifizierenden Vereinbarungen unzulässig. Kumulativ zu dieser Voraussetzung darf sich die inter-se Abweichung in den Fällen, in denen sie nicht ausdrücklich erlaubt aber auch nicht verboten ist, nicht auf 57

Vgl. dazu die Ausführungen in Research in International Law, vol. III, Law of Treaties, AJIL 29 (1935), Suppl., S. 1018 bezüglich Art. 22 (b) des Harvard Entwurfs über das Recht der Verträge von 1935, der seinen Voraussetzungen nach dem Art. 41 Abs. 1 lit. a) und b) ii) WVRK entspricht, so dass die Kommentierungen auch auf Art. 41 WVRK übertragbar sind. 58 Reuter, Introduction, S. 133; Feist, Multilaterale Verträge, S. 196.

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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solche Bestimmungen des multilateralen Vertrages beziehen, von denen abzuweichen mit dem Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar ist. Die ratio dieser Voraussetzung besteht darin, die einheitliche Anwendbarkeit von Rechtsgebieten zu gewährleisten, welche durch globale Übereinkommen in ihrer Gänze kodifiziert werden. „If some of the parties to a treaty were free at any time in the future to conclude between themselves another one which would have the effect of defeating the manifest object of the earlier one, an essential foundation of the treaty system would be left with only a precarious value. It is believed that if they were permitted to act on such a theory States would hesitate to become parties to multipartite treaties, because there would be no assurance that their purpose would not be rendered illusory by the action of some of the parties in concluding later treaties among themselves which would nullify all their efforts. The rule . . . which forbids such action enunciates a logical and necessary principle of any code of treaty law which is designed to promote the integrity and utility of the treaty system.“59

Art. 41 Abs. 1 lit. b) ii) WVRK betrifft demnach die Verträge derjenigen Rechtsgebiete, in denen das Interesse der Völkerrechtsgemeinschaft an einer einheitlichen Rechtslage die Interessen der jeweiligen Vertragsstaaten, von diesen Bestimmungen abzuweichen, übersteigt. Dies gilt insbesondere für Verträge, deren Sinn darin liegt, einen Bereich des Völkerrechts mit Anspruch auf universelle Geltung zu kodifizieren.60 Auch der konstitutionelle Charakter vieler Übereinkommen führt dazu, dass es den Vertragsstaaten untersagt sein muss, von diesem Übereinkommen abzuweichen, da das Übereinkommen ansonsten seinen Charakter verliert und den damit einhergehenden Sinn und Zweck nicht mehr erfüllen kann.61 Demnach dient die Beschränkung der Zulässigkeit von inter-se Übereinkommen durch die in Art. 41 Abs. 1 lit. b) ii) WVRK enthaltenen Voraussetzungen dem Schutz von Staatengemeinschaftsinteressen.62 In Anbetracht der Tendenz des modernen Völkerrechts, diese Gemeinschaftsinteressen gegenüber den Singularinteressen der Staaten immer stärker zu betonen, muss damit gerechnet werden, dass die Vereinbarung von inter-se Modifikationen bezüglich globaler, ein ganzes Rechtsgebiet regelnder Übereinkommen nur noch in sehr beschränktem Ausmaße zulässig sein wird.

59

Kommentierung zu Art. 22 (b) des Harvard Entwurfs über das Recht der Verträge, Research in International Law, vol. III, Law of Treaties, AJIL 29 (1935), Suppl., S. 1016. 60 Hudson, AJIL 24 (1930), S 447 (461). 61 Research in International Law, vol. III, Law of Treaties, AJIL 29 (1935), Suppl., S. 1018 f.; siehe auch Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 71. 62 Feist, Multilaterale Verträge, S. 196.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

II. Parallele Anwendbarkeit von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung Das Problem der parallelen Anwendbarkeit von multilateralen Umweltübereinkommen mit handelsrechtlicher Relevanz und Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der seit einigen Jahren andauernden Diskussion über das materiellrechtliche Verhältnis der Übereinkommen zueinander. Schwerpunkt dieser Auseinandersetzung ist vornehmlich die Vereinbarkeit des Cartagena-Protokolls mit den Vorschriften der WTO-Rechtsordnung, wobei die Frage, ob nach beiden Übereinkommen eine Risikobeurteilung als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit von Handelsrestriktionen durchzuführen ist und welchen Kriterien eine solche Risikobeurteilung genügen muss, zentrales Element der Diskussion ist.63 Da die hier einschlägigen Umweltübereinkommen ein sehr weites Spektrum an handelsrechtlich relevanten Vorschriften enthalten, bietet sich dementsprechend auch eine Vielfalt von Möglichkeiten der Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit dieser Vorschriften; im Grunde lässt sich jedes dieser Übereinkommen auf seine Vereinbarkeit mit der WTO-Rechtsordnung hin überprüfen.64 Eine solch detaillierte Untersuchung würde aber den Rahmen der 63 Zum Konkurrenz- und Konfliktverhältnis von Cartagena-Protokoll und WTORechtsordnung (insbesondere SPS-Übereinkommen) siehe Neumann, Koordination, S. 413 ff.; Buck, ZUR 2000, S. 319 (325 ff.); Adler, T. Int’l LJ 35 (2000) 173 (187 ff.); Phillips/Kerr, JWT 34/4 (2000), 63 ff.; Steinmann/Strack, NuR 2000, 367 (372 f.); Eggers/Mackenzie, JIEL 3 (2000), S. 525 (539 ff.); Schoenbaum, ICLQ 49 (2000), S. 856 (863 ff.); Stoll, YIEL 1999, S. 82 (114 ff.). 64 Zwar mehren sich in der Literatur die Stimmen, die darauf hinweisen, dass nur ein geringer Teil der zur Zeit gültigen Umweltschutzübereinkommen handelsrechtliche Implikationen und insoweit materiellrechtliche Probleme enthalten, so dass auch die Konfliktrelevanz des Verhältnisses als gering einzustufen und weitere Klärung des Verhältnisses nicht notwendig sei; Motaal, JWT 35 (2001), S. 1215. Allerdings wird dabei übersehen, dass die Relevanz der Umweltübereinkommen mit handelsrechtlichen Implikationen im Vergleich zu den existierenden Übereinkommen nicht zu unterschätzen ist, auch wenn die Zahl gemessen an der aller Umweltübereinkommen relativ gering ist. Darauf hat die Schweiz im Rahmen der Diskussion im CTE hingewiesen, WT/CTE/W/168, Clarification on the Relationship Betwenn the WTO and Multilateral Environmental Agreements, Submission by Switzerland, 19.10.2000, para. 2. Auch die EG scheint davon auszugehen, da sie immer wieder auf die Wichtigkeit, das Verhältnis zwischen Umweltübereinkommen und WTORechtsordnung zu klären, hinweist, WT/CTE/W/170, Resolving the Relationship Between WTO Rules and Multilateral Environmental Agreements, Submission by the European Communities, 19.10.2000, para. 5 ff. Darüber hinaus ist nicht abzusehen, inwieweit handelsrechtlichen Beschränkungen in Zukunft nicht eine weitaus wichtigere Rolle in diesen Übereinkommen zukommen wird, da insbesondere die in den letzten Jahren verhandelten Übereinkommen handelsrechtliche Implikationen

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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vorliegenden Arbeit sprengen. Gegenstand der folgenden Untersuchung soll von daher lediglich eine Darstellung der übergeordneten und verallgemeinerungsfähigen Aspekte der Diskussion sein, anhand derer im Einzelfall das materiellrechtliche Verhältnis und damit die Frage der parallelen Anwendbarkeit von handelsrechtlich relevanten multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung bestimmt werden kann. Dabei geht es insbesondere um die Frage, inwieweit die oben aufgeführten Grundsätze zur Lösung von Vertragskonflikten bzw. -widersprüchen des allgemeinen Völkerrechts im Verhältnis zwischen WTO und Umweltübereinkommen Anwendung finden. 1. Vertragskonflikte zwischen WTO-Rechtsordnung und multilateralen Umweltübereinkommen Entscheidend für die Bestimmung des materiellrechtlichen Verhältnisses von handelsrelevanten multilateralen Umweltübereinkommen und WTORechtsordnung ist das Vorliegen eines Vertragskonflikts. Ein solcher ergibt sich nicht bereits automatisch aus der Tatsache, dass die Vorschriften eines Umweltübereinkommens handelsrechtliche Bezüge aufweisen und dass ihre Anwendung und Umsetzung durch die Vertragsstaaten sich handelsbeschränkend auswirkt. Denn, wie bereits dargelegt, enthalten alle relevanten Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung Ausnahmetatbestände, aufgrund derer an sich WTO-widrige Handelsbeschränkungen zum Schutze der Umwelt und Gesundheit gerechtfertigt werden können.65 Erste Voraussetzung ist mithin, dass kein rechtfertigender Ausnahmetatbestand einschlägig ist. Aber auch das Vorliegen dieser Voraussetzung hat nicht notwendigerweise die Existenz eines Vertragskonflikts zur Folge, selbst wenn man, wie vorliegend, den Begriff nicht nur auf sich widersprechende Verpflichtungen, sondern auch auf die Fälle beziehen will, in denen ein Vertrag ein Verhalten ausdrücklich erlaubt, welches ein anderer ebenso ausdrücklich verbieaufweisen. Außerdem sollte der Aspekt der Rechtssicherheit für WTO-Mitglieder und den Vertragsstaaten der Umweltübereinkommen nicht unterschätzt werden, insbesondere mit Hinblick auf zukünftige Umweltschutzübereinkommen. Denn das ungeklärte Verhältnis zwischen multilateralen Umweltübereinkommen und der WTORechtsordnung hat bereits tatsächliche Auswirkungen auf die Verhandlungen neuer Umweltschutzübereinkommen gehabt und den Abschluss einiger dieser Übereinkommen erschwert; vgl. die Darstellung der EG im Rahmen des CTE, WT/CTE/ 170, para. 5. Die Auswirkungen des ungeklärten Verhältnisses traten insbesondere bei den schwierigen Verhandelungen über den Abschluss des Cartagena-Protokolls deutlich zu Tage, was letztlich in der Präambel des Protokolls seinen Ausdruck gefunden hat; vgl. Buck, ZUR 5 (2000), S. 319 (320 f.); Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (332 ff.). 65 Siehe dazu oben 1. Teil C. I. 1. b).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

tet.66 Der Grund dafür liegt in den voneinander zu unterscheidenden Verbindlichkeitsabstufungen, welche die multilateralen Umweltübereinkommen in Bezug auf die in ihnen enthaltenen, sich handelsbeschränkend auswirkenden Maßnahmen vorsehen. So ist nur ein Teil der Vorschriften multilateraler Umweltübereinkommen, die mit den Anforderungen des WTO-Rechts kollidieren können, für die Vertragsstaaten verpflichtend. Denn grundsätzlich müssen die Vertragsparteien solcher Übereinkommen nur in den wenigsten Fällen tatsächlich handelsbeschränkende Maßnahmen zur Umsetzung bzw. Erfüllung der Vertragsverpflichtungen erlassen.67 Viel häufiger enthalten die Übereinkommen eine ausdrückliche Ermächtigung bestimmte Handelsbeschränkungen oder Handelsbeschränkungen aufgrund bestimmter Voraussetzungen zu erlassen.68 Davon wiederum sind die Fälle zu unterscheiden, in denen die in den Übereinkommen nicht näher spezifizierten Maßnahmen, die zur Erreichung des Schutzzieles als notwendig erachtet werden und zu deren Erlass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, handelsrechtlich neutral formuliert sind, auch wenn sie den Erlass von Handelsbeschränkungen zur Umsetzung der Vertragsverpflichtungen in Kauf nehmen und damit tolerieren. 69 Stellt sich nun die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer nationalen Handelsbeschränkung, die in Übereinstimmung mit den Vorschriften eines multilateralen Umweltübereinkommens erlassen wird, so ist für die Frage, ob bei Unvereinbarkeit dieser Maßnahme mit den Vorschriften der WTORechtsordnung ein Konflikt vorliegt, entscheidend, welche Verpflichtungs66

Vgl. dazu oben 2. Teil A. I. 1. So enthält das Montrealer-Protokoll explizite Im- und Exportverbote, die sich aber nur auf den Handel zwischen Vertrags- und Nichtvertragsstaaten beziehen; Art. 4 Abs. 1sex., Abs. 2-2sex., Abs. 3-3ter Montrealer-Protokoll. Demgegenüber enthält das Baseler-Übereinkommen ein absolutes Handelsverbot zwischen den Vertragsparteien, Art. 4 A Baseler-Übereinkommen. 68 Dies gilt z. B. für die Vorschriften des Cartagena-Protokolls, die die Einführung von Handelsbeschränkungen nach den im Protokoll festgelegten Voraussetzungen ausdrücklich erlauben, nicht aber verpflichtend vorschreiben, Neumann, Koordination, S. 250. 69 Dies gilt u. a. für die Vorschriften der Biodiversitätskonvention, die weder Handelsbeschränkungen verpflichtend vorschreibt noch diese gebietet; vgl. dazu die Aussagen des Sekretariats der Biodiversitätskonvention im CTE, WT/CTE/W/116, 28.6.1999, para. 7; WT/CTE/W/149, 28.6.2000, para. 11. Lediglich das mit der Konvention zu erreichende Ziel der Bewahrung der biologischen Vielfalt und dementsprechende Schutzpflichten der Vertragsstaaten können eine Beschränkung des Handels erforderlich machen. Dies gilt z. B. auch für das Klimarahmenübereinkommen und das Kyoto-Protokoll, die Handelsbeschränkungen weder ausdrücklich erlauben, noch diese verpflichtend vorschreiben. Allerdings wird erwartet, dass die Staaten nationale Handelsbeschränkungen zur Umsetzung ihrer Reduktionsverpflichtungen einführen; Boisson de Chazournes, Convention on Climate Change, in: Wolfrum (ed.), Enforcing Environmental Standards, S. 285 (293). 67

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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stufe das Umweltübereinkommen in Bezug auf die Einführung einer solcher Handelsrestriktion vorsieht. Verpflichtet es zur Einführung einer solchen Maßnahme oder enthält es eine explizite dahingehende Ermächtigung, so liegt ein Konflikt vor. Handelt es sich jedoch lediglich um eine aus Sicht des Vertragsstaates notwendige Maßnahme zur Erreichung des mit dem Übereinkommen verfolgten Schutzziels, ohne dass das Übereinkommen die Einführung von Handelsrestriktionen verpflichtend vorschreibt oder ausdrücklich erlaubt, so liegt kein Konflikt vor. Diese Differenzierung rechtfertigt sich aufgrund des mit der Vermeidung und Auflösung von Vertragskonflikten verfolgten Sinns und Zwecks: die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung.70 In den Fällen, in denen ein Vertrag ein Verhalten weder erlaubt noch verbietet – also als neutral anzusehen ist – während ein anderer ein ausdrückliches Verbot enthält, ist die Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht bedroht, da es zwischen den Übereinkommen zu keiner Divergenz kommt. Vielmehr handelt es sich in diesem Fall um eine nicht nur im Völkerrecht fast alltägliche Situation: Während ein Vertrag ein Verhalten verbietet, enthält ein anderer in Bezug auf das konkrete Verhalten keine ausdrücklichen Regelungen, ist also als neutral anzusehen. 2. Harmonisierende Auslegung Enthalten das handelsrelevante Umweltübereinkommen und die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung miteinander unvereinbare, d.h. konfligierende Vorschriften, so muss zunächst, wie auch im Allgemeinen Völkerrecht, der Versuch unternommen werden, den Konflikt durch eine harmonisierende Auslegung der Vorschriften zu vermeiden. Dabei sind zwei Problemkreise voneinander zu unterscheiden: Der erste bezieht sich auf die institutionellen Möglichkeiten einer effektiven Harmonisierung, der zweite auf die Harmonisierungsfähigkeit der relevanten Vorschriften. a) Institutionelle Möglichkeiten der Harmonisierung aa) Ausnahmegenehmigungen, Auslegungserklärungen und Vertragsänderungen durch die WTO Ohne den jeweiligen Einzelfall zu beachten, könnten die Vertragsstaaten für Handelsrestriktionen, die in multilateralen Umweltübereinkommen verpflichtend oder als ausdrückliches Recht vorgesehen sind, Ausnahmegenehmigungen gem. Art. IX Abs. 3 und 4 WTO-Übereinkommen oder aber verbindliche Auslegungserklärungen nach Art. IX Abs. 2 WTO-Überein70

Siehe oben 2. Teil A. I. 1.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

kommen verabschieden.71 Auch eine Vertragsänderung, die entweder die fraglichen Umweltstandards direkt in das WTO-Recht inkorporiert oder die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Rechtfertigung umweltpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen zumindest für solche Maßnahmen erleichtert, die der Implementierung von Vertragsverpflichtungen multilateraler Umweltübereinkommen dienen, wäre ein theoretischer Lösungsansatz.72 Allerdings sind diese Vorschläge nur bedingt tauglich, das Verhältnis von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung zu regeln, da z. B. die Ausnahmeerklärungen nach dem Wortlaut des Art. IX Abs. 3 WTO-Übereinkommen nur für den Fall, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, erlassen werden können. Außerdem haben sie nur für einen begrenzten Zeitraum Gültigkeit, so dass sie nach Ablauf der Frist jedes Mal verlängert werden müssten, was angesichts der Notwendigkeit einer dreiviertel Mehrheit im Rahmen der Ministerkonferenz zu wahrscheinlich unüberwindbaren Schwierigkeiten führen würde.73 Außerdem dürften sich für die an sich vorzugswürdigen Lösungsansätze der Auslegungserklärung und insbesondere der Vertragsänderung politisch – zumindest in der näheren Zukunft – keine Mehrheiten im Rahmen der WTO finden lassen. Denn die Positionen der WTO-Mitgliedstaaten bezüglich umweltpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen sind stark zersplittert und können keinesfalls von den umstrittenen Themen der nachhaltigen Entwicklung und der Öffnung der Märkte der Industriestaaten für Produkte aus Entwicklungsländern isoliert werden.74 bb) Harmonisierung im Rahmen der WTO-Streitbeilegungsverfahren Wahrscheinlicher ist es deshalb, dass die Harmonisierung der Übereinkommen im Rahmen der Streitbeilegung erfolgt, wobei diese Aufgabe, wie auch in der Vergangenheit, faktisch den Streitbeilegungsorganen der WTO zufallen dürfte, da diese im Vergleich zu den in Streitbeilegungsvorschriften multilateraler Umweltübereinkommen vorgesehenen Verfahren obligatorisch zuständig sind und quasi-verbindliche Entscheidungen fällen. 71

Neumayer, Aussenwirtschaft 55 (2000), S. 403 (418 f.); siehe auch Biermann, AVR 38 (2000), S. 455 (480 ff.), dessen Beitrag einen ausgearbeiteten Formulierungsvorschlag für eine Auslegungserklärung enthält, S. 497 f. 72 Siehe dazu die bei Schoenbaum, AJIL 91 (1997), S. 269 (283 f.), aufgeführten Vorschläge, welche sich vornehmlich auf eine Erweiterung der Ausnahmetatbestände des Art. XX GATT beziehen. Dazu ausführlich auch Neumann, Koordination, S. 319 ff. 73 Zur Ungeeignetheit von Ausnahmeerklärungen siehe Biermann, AVR 38 (2000), S. 455 (481); Rutgeerts, JWT 33/4 (1999), S. 61 (84). 74 Zur politischen Dimension des Verhältnisses von Umwelt- und Welthandelsrecht siehe oben 1. Teil C. I.

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Allerdings setzt eine effektive Harmonisierung im Rahmen der Streitbeilegung voraus, dass bei der Auslegung und Anwendung einer Vertragsvorschrift vertragsfremdes Recht zu berücksichtigen ist. Beschränkt aber ein Vertrag oder eine Vertragsordnung das bei der Vertragsauslegung anwendbare Recht auf die Vorschriften der eigenen Ordnung, so ist eine harmonisierende Auslegung der in dem jeweiligen Verfahren durchsetzbaren Vorschriften nicht möglich. Übertragen auf die WTO bedeutet das, dass eine an den WTO-Vorschriften ansetzende Harmonisierung durch die Panel und den Appellate Body nur dann möglich ist, wenn diese bei der Auslegung von Vorschriften der WTO-Rechtsordnung vertragsfremdes Recht anwenden dürfen. Auch wenn die Frage, inwieweit WTO-fremdes Recht überhaupt im Rahmen der WTO-Streitbeilegung berücksichtigt werden darf, bisher ungeklärt ist,75 so herrscht doch Einigkeit darüber, dass es zumindest bei der Auslegung aufgrund des Art. 3 Abs. 2 DSU Anwendung findet. (1) „Öffnungsklausel“: Art. 3 Abs. 2 DSU Durch den in Art. 3 Abs. 2 DSU enthaltenen Verweis auf die herkömmlichen Regeln der Auslegung des Völkerrechts bei der Bestimmung der Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder nach den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung finden die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Auslegungsregeln Anwendung. Auch wenn das Problem, welche Auslegungsmethoden bei der Interpretation völkerrechtlicher Verträge anzuwenden sind, immer wieder Gegenstand von Diskussionen ist,76 so enthält die WVRK in den Art. 31 bis 33 grundlegende Regeln für die Vertragsauslegung. Allerdings findet die WVRK gem. Art. 1 nur auf Verträge zwischen Staaten und damit nicht auf Verträge zwischen internationalen Organisationen oder internationalen Organisationen und Staaten Anwendung.77 Darüber hinaus können die Streitbeilegungs75 Siehe zu diesem Problemkreis Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (109 ff.); dies., JWT 35 (2001), S. 1081 (1102 ff.); Bartels, JWT 35 (2001), S. 499 (501 ff.); Trachtman, Harv. Int’l L. J. 40/41 (1999/2000), S. 333 (342 ff.); Neumann, Koordination, S. 344 ff.; Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (559 ff.). 76 Für eine Übersicht der unterschiedlichen Ansätze vgl. Sinclair, Vienna Convention, S. 114 ff.; Oppenheim, International Law, vol. I/2–4, S. 1269 f. 77 Mittlerweile existiert auch eine Vertragsrechtskonvention für Verträge zwischen internationalen Organisationen und Staaten oder internationalen Organisationen, Vienna Convention on the Law of Treaties Between States and International Organisations or Between International Organisations, 21.3.1986, UN Doc. A/Conf.129/15 (WVRK II). Das Übereinkommen ist in den wesentlichen Teilen mit den Inhalten der WVRK identisch; so auch bezüglich der anzuwendenden Auslegungsregeln, siehe Art. 31 bis 33 der WVRK II. Allerdings ist die WVRK II bisher mangels aus-

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

organe der WTO auf die WVRK und die darin enthaltenen Auslegungsregeln nur dann zurückgreifen, wenn diese Ausdruck von kodifiziertem Völkergewohnheitsrecht sind. Es ist anerkannt, dass die in Art. 31 Abs. 1 sowie Art. 32 WVRK enthaltenen Auslegungsregeln der kodifizierte Ausdruck von völkergewohnheitsrechtlich anerkannter Auslegungsmethoden sind.78 Darüber hinaus hat der Appellate Body bereits in US – Gasoline die Anwendbarkeit des gesamten Art. 31 der WVRK anerkannt.79 Auch in den nachfolgenden Verfahren Japan – Alcoholic Beverages, EC – Poultry und EC – Computer Equipment hat der Appellate Body die Relevanz der in Art. 31 und 32 WVRK enthaltenen Auslegungsregeln für die Interpretation des WTO-Übereinkommens und der multilateralen sowie plurilateralen Handelsübereinkommen bestätigt.80 Dementsprechend können alle in Art. 31 und 32 WVRK kodifizierten Auslegungsregeln als Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht angesehen werden.81 Allerdings sind nicht alle darin enthaltenen gewohnheitsrechtlich anerkannten Interpretationsgrundsätze für die Frage der Auslegungsrelevanz verreichender Ratifikationen noch nicht in Kraft getreten; vgl. Multilateral Treaties Deposited with the Secretary General, Status as at 31. December 2000, vol. II, UN Doc. ST/LEG/SER.E/19, S. 277. 78 Case Concerning the Territorial Dispute (Liyan Arab Jamahiriya v. Chad), 3.2.1994, ICJ Reports 1994, S. 6, (21 f.); Maritime Delimitation and Territorial Questions Between Quatar and Bahrain (Quatar v. Bahrain), 15.2.1995, ICJ Reports 1995, S. 6 (18); Opphenheim, International Law, vol. I/2–4, S. 1271. 79 US – Gasoline, WT/DS2/AB/R, III B. 80 Appellate Body Report, Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS8/AB/ R, WT/DS10/AB/R, WT/DS11/AB/R, D; Appellate Body Report, European Communities – Measures Affecting the Importation of Certain Poultry, WT/DS69/AB/R, para. 26; Appellate Body Report, European Communities – Custom Classification of Certain Computer Equipment, WT/DS62/AB/R, WT/DS67/AB/R, WT/DS68/AB/ R, para. 84 f. Darüber hinaus hatte bereits das Panel in Tuna II für die Auslegung des GATT 47 entschieden, dass die in der WVRK enthaltenen Auslegungsmethoden die grundsätzlichen Regeln bezüglich der Interpretation von Verträgen widerspiegeln und von daher zur Auslegung des GATT 47 herangezogen werden können, Tuna II, ILM 33 (1994), S. 839 (892). 81 Shaw, International Law, S. 656; vgl. auch Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, S. 95, der feststellt, dass die in der WVRK gefundenen Ergebnisse bezüglich der einschlägigen Auslegungsregeln „sich als eine getreue Konsequenz aus den herrschenden Auffassungen über die Auslegung völkerrechtlicher Verträge darstellt“; vgl. auch Schiedsgerichtshof, Urteil über deutsche Auslandsschulden (USA, Frankreich, Großbritannien und Schweiz v. Deutschland), abgedruckt in GYIL 23 (1980), S. 414 (435), der unter Verweis auf seine Rechtsprechung im Gutachten und Urteil Griechenland gegen Deutschland, Abkommen über deutsche Auslandsschulden, feststellt, dass „die Konvention – jedenfalls im Bereich der Vertragsauslegung – nur geltendes Gewohnheitsrecht kodifiziert“.

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tragsfremden Rechts entscheidend. Eine solche Relevanz kommt lediglich späteren, auf den Vertrag bezogenen Übereinkommen gem. Art. 31 Abs. 2 lit. a) WVRK, späteren Übereinkunften zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages gem. Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVRK und den in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssätzen gem. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK zu. (2) Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK Auch wenn die Abs. 2 lit. a) und 3 lit. a) des Art. 31 WVRK die Berücksichtigung späterer Übereinkommen bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge gebieten, so müssen diese Übereinkommen zum einen von den Vertragsparteien des Übereinkommens und zum anderen in Bezug auf den Vertrag abgeschlossen worden sein. Also muss sich einerseits ein inhaltlicher Zusammenhang herstellen lassen und andererseits im Fall des Abs. 2 lit. a) auch ein zeitlicher. Damit wird die Zahl auslegungsrelevanter Übereinkommen erheblich reduziert, so dass diese Fälle keine relevante Rechtsgrundlage für die Öffnung der WTO-Rechtsordnung gegenüber vertragsfremden Recht enthalten.82 Im Gegensatz dazu wird Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK in der einschlägigen Völkerrechtsliteratur als entscheidende Norm angesehen, um die Heranziehung vertragsfremden Rechts bei der Auslegung von WTO-Vorschriften zu ermöglichen,83 auch wenn es zu der Reichweite und dem Umfang der Vorschrift bisher keine gefestigte Praxis internationaler Gerichte gibt.84 Aber zumindest der Appellate Body hat in der Entscheidung US – Shrimp 82 Eine Qualifikation von multilateralen Umweltübereinkommen als eine spätere Übereinkunft der Parteien über die Auslegung der Übereinkommens der WTORechtsordnung im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVRK ist bereits deshalb ausgeschlossen, da das WTO-Übereinkommen genaue Voraussetzungen über die Verabschiedung von allgemeinverbindlichen Auslegungserklärungen der Vertragsparteien geschaffen hat; Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen. Darüber hinaus würde ein solches Verständnis entsprechend dem Wortlaut nur spätere, d.h. nach dem 1.1.1995 in Kraft getretene Umweltübereinkommen erfassen. Auch die Tatsache, dass in aller Regel nicht alle Mitglieder der WTO Vertragsstaaten des jeweiligen Umweltübereinkommens sind, spricht gegen die Qualifikation von handelsrelevanten Umweltübereinkommen als spätere Übereinkunft der WTO-Mitgliedstaaten über die Auslegung der WTO-Rechtsordnung. 83 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (123 ff.); dies., JWT 35 (2001), 1081 (S. 1087 ff.); Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (331); Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (540), ders., Koordination, S. 357 ff., Tarasofsky, YIEL 7 (1996), S. 52 (67); Howse, Legitimacy and Treaty Interpretation, in: Weiler (ed.), EU, WTO, NAFTA, S. 35 (55); Pauwelyn, AJIL 95 (2001), 535 (574 f.); Palmeter/Mavroids, AJIL 92 (1998), S. 398 (410). 84 Lennard, JIEL 5 (2002), S. 17 (35).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

die Auslegung von WTO-Normen, wenn auch nur teilweise, anhand vertragsfremden Rechts mit Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK gerechtfertigt.85 (a) Relevanter Zeitpunkt Entsprechend der heutigen Fassung des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK müssen alle Vertragsvorschriften nicht nur im Lichte des eigenen, sondern auch im weiteren Zusammenhang des gesamten Völkerrechts interpretiert werden. Der völkerrechtliche Kontext, in dem eine Norm steht und der für diese auslegungsrelevant ist, kann sich allerdings auf unterschiedliche Zeitpunkte beziehen: den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder den Zeitpunkt der Vertragsinterpretation. In Anbetracht der Tatsache, dass völkerrechtliche Verträge über einen längeren Zeitraum in Kraft bleiben und es in diesem Zeitraum zu grundlegenden Änderungen im völkerrechtlichen Kontext der Norm kommen kann, ist die Frage des auslegungsrelevanten Zeitpunktes von durchaus praktischer Bedeutung. Für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses spricht die im Fall Island of Palmas festgestellte Interpretationsregel „that a juridicial fact must be appreciated in the light of the law contemporary with it, and not of the law at the time when a dispute in regard to it arises or falls to be settled“86

sowie das abweichende Votum von Richter Carneiro im Minquires Fall.87 Allerdings steht diese Auffassung im Gegensatz zu den Ergebnissen, wie sie sich im Laufe der Diskussion im Rahmen der ILC herauskristallisierten. Ursprünglich sollte Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK lediglich intertemporale Aspekte der Interpretation einer Vorschrift erfassen. In dem 1964 vorläufig angenommenen Entwurf der ILC sah Absatz 1 vor, dass die gewöhnliche Bedeutung einer Vorschrift im Lichte der allgemeinen Vorschriften des Völkerrechts zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu bestimmen sei.88 Allerdings wurde gegen diesen Ansatz der Einwand erhoben, dass Verträge über einen längeren Zeitraum hinweg in Kraft bleiben und dass sich das Recht in der Zwischenzeit fort- und weiterentwickeln kann, so dass sich auch die Vertragsinhalte dem gewandelten Rechtsverständnis anpassen müssen. 85

US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para 158. Island of Palmas Case (Netherlands v. USA), 4.4.1928, RIAA 2, S. 831 (845). 87 „. . . to do so would be to fall into the very error we have been warned against: an instrument must not be appraised in the light of concepts that are not contemporaneous with it.“ The Minquires and Ecrehos Case (France v. United Kingdom), Dissenting Oppinion M. Levi Carneiro, 17.11.1953, ICJ Reports 1953, S. 47 (91); siehe auch Bernahardt, ZaöRV 27 (1967), S. 491 (500). 88 Entwurf der ILC, ILC Yearbook 1966 vol. I/2, S. 183. 86

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„There is some evidence that the evolution and development of international law may exercise a decisive influence on the meaning to be given to expressions incorporated in a treaty, particularly if these expression themselves denote relative or evolving notion . . .“89

Dieses Verständnis wird durch die Rechtsprechung des IGH zum South West Africa-Fall, wo ausdrücklich festgestellt wurde, dass die Umstände zum Zeitpunkt der Interpretation und nicht des Vertragsabschlusses für die Auslegung relevant sind,90 und im Gabc´ikovo-Nagymaros-Fall bestätigt.91 Ein anderes ist auch aus dem Grunde abzulehnen, dass es letztlich über den Umweg des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK der historischen Auslegung bei der Wortlautauslegung zu einer umfassenden Geltung verhelfen würde, die dieser nicht zusteht, da sie gem. Art. 32 WVRK nur als ergänzendes Auslegungsmittel heranzuziehen ist. Dementsprechend wurde das intertemporale Element aus dem früheren Absatz 1 gestrichen und der heutigen Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK eingeführt, um so der dynamischen Auslegung völkerrechtlicher Verträge Rechnung zu tragen. (b) Reichweite des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK Im Gegensatz zu dem Problem des relevanten Zeitpunkts ist die Reichweite des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK, d.h. die Frage, in welchem Umfang vertragsfremdes Recht bei der Auslegung von Vertragsvorschriften zu berücksichtigen ist und welchen Anforderungen diese Rechtssätze hinsichtlich ihrer Bindungswirkung genügen müssen, bisher ungeklärt. Unproblematisch erscheint, dass sich der Begriff „Völkerrechtssätze“ nicht nur auf das allgemeine, damit für alle Staaten geltende Völkerrecht beschränkt, sondern alle völkerrechtlichen Normen – unabhängig davon, ob es sich um „fremdes“ Vertragsrecht oder Völkergewohnheitsrecht handelt – mit einbezieht.92 Der Appellate Body hat zwar in U.S. – Shrimp nur die allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts für auslegungsrelevant gehalten und auch nur dann, wenn dies angemessen erscheint.

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Sinclair, Vienna Convention, S. 139. „. . . an international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system, prevailing at the time of its interpretation.“ Legal Consequences for States of the Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), advisory opinion, 21.6.1971, ICJ Reports 1971, S. 31 f. 91 Case Concerning the Gabc ´ ikovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), 25.9.1997, ICJ Reports 1997, para 140. 92 Sinclair, Vienna Convention, S. 139; kritisch dazu Lennard, JIEL 5 (2002), S. 17 (36) unter Verweis auf Jacobs, ICLQ 18 (1969), S. 318 (332). 90

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

„Having said this, our task here is to interpret the language of the chapeau, seeking additional interpretative guidance, as appropriate, from the general principles of international law“.93

Dies steht aber in zweifachem Widerspruch zu dem insoweit unmissverständlichen Wortlaut des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK. Zum einen geht daraus nicht hervor, dass die Heranziehung vertragsfremden Rechts nur dann erfolgt, wenn dies angemessen ist. Vielmehr ist der Wortlaut so gefasst, dass alle anwendbaren und einschlägigen Völkerrechtssätze zur Auslegung herangezogen werden müssen.94 Zum anderen spricht Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK nicht von den „general principles of international law“, sondern – und dies wird im authentischen englischsprachigen Text besonders deutlich – von „any relevant rules of international law“.95 Damit ist erst einmal jeder Völkerrechtssatz auslegungsrelevant.96 Eingeschränkt wird dieser Grundsatz jedoch dadurch, dass die zur Auslegung heranzuziehenden Völkerrechtssätze zum einen einschlägig und zum anderen zwischen den Vertragsparteien anwendbar sein müssen, wobei insbesondere das Verständnis des zuletzt genannten Kriteriums problematisch ist. Noch im Fall US – Tuna II hat das Panel angenommen, dass WTO-fremdes Recht bei der Auslegung von WTO-Vorschriften nur dann berücksichtigt werden kann, wenn alle WTO-Mitglieder gleichzeitig Vertragspartei des zur Interpretation heranzuziehenden Vertrages sind.97 Allerdings bezog sich das Panel dabei nicht auf Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK. Es stellte lediglich fest, dass die von den Vertragsparteien angeführten Verträge bi- oder pluri93

U.S. – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 158. Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (127); von der Frage, ob vertragsfremdes Recht zur Auslegung eines Vertrages herangezogen werden muss, ist die Frage zu unterscheiden, welches Gewicht diesem Recht bei der Auslegung einzuräumen ist. 95 Eine ursprüngliche Formulierung des ILC Entwurfs enthielt diesen Zusatz. Allerdings wurde er ausdrücklich mit der Begründung gestrichen, dass alle Vorschriften, die speziell die Vertragsstaaten binden, zur Auslegung herangezogen werden sollen, vgl. ILC Yearbook 1966, vol. I/2 S. 197. 96 Siehe auch Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, S. 41: „Es ist . . . allgemein anerkannt, daß die Normen des Völkerrechts – seien es die des allgemeinen, seien es solche des regionalen Gewohnheitsrechts, seien es sonstige Völkerrechtsnormen –, die auf die Vertragsmaterie Bezug haben . . ., für die Auslegung eines Vertrages von Bedeutung sind.“ Vgl. auch Case Concerning the Swedish Motor Ships Kronprins Gustaf Adolf and Pacific (Sweden v. USA), 18.7.1932, abgedruckt in AJIL 26 (1932), S. 834 (839 f.): „. . . it may be safely assumed that, when the said treaties were concluded, both parties considered them as being agreed upon as special provisions to be enforced between them in what may be called the atmosphere and spirit of international law as recognized by both of them.“; ferner Matscher, Vertragsauslegung durch Vertragsvergleichung, in: Bernhardt/Geck/Jainicke/ Steinberger (Hrsg.), FS Mosler, S. 545 (561) sowie Bernhardt, ZaöRV 27 (1967), S. 491 (500). 97 US – Tuna II, ILM 33 (1994), S. 839 (892). 94

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lateraler Natur seien und damit weder eine spätere Übung gem. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVRK begründen noch eine spätere Übereinkunft über die Auslegung des Vertrages gem. Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVRK darstellen können.98 Zu Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK hat sich das Panel nicht geäußert. Allerdings kann man aus seinen Ausführungen schließen, dass die Entscheidung in Bezug auf lit. c) des Art. 31 Abs. 3 WVRK nicht anders gelautet hätte. Denn die Formulierung in lit. a) – „Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien“ – entspricht der von lit. c) – „Beziehung zwischen den Vertragsparteien“. Es ist unwahrscheinlich, dass das Panel hier eine unterschiedliche Auslegung vorgenommen hätte. Damit wird der Begriff „Vertragsparteien“ in Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK äußerst restriktiv ausgelegt, was aber nach dem Vertragstext auch geboten erscheint. Denn gem. Art. 31 Abs. 2 WVRK, der ebenfalls auf außerhalb des Vertrages stehende Faktoren Bezug nimmt, sind auch sich auf den Vertrag beziehende, spätere Übereinkünfte zwischen den „Vertragsparteien“ bzw. Urkunden „einer oder mehrerer Vertragsparteien“ für die Ermittlung des Zusammenhangs des Vertrages auslegungsrelevant. Allerdings müssen letztere, da sie nicht von allen Vertragsparteien abgefasst wurden, von den übrigen als eine sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft angenommen werden. Dieses Ergebnis wird auch durch die vorbereitende Arbeit der ILC gestützt. „It must be emphasized, however, that to be taken into consideration in interpreting the treaty, those rules, although not ,general‘, must be ,common‘ to the parties to the treaty.“99

Problematisch wird eine solch restriktive Interpretation bei Verträgen mit hohem oder fast universellem Ratifikationsstand. Übertragen auf die WTO und die Heranziehung von WTO-fremdem Recht zur Auslegung von WTOVorschriften hätte dies aufgrund der mittlerweile großen Zahl von Mitgliedstaaten zur Folge, dass faktisch nur sehr wenige außerhalb der WTO stehende Verträge für die Auslegung von WTO-Vorschriften relevant sein können.100 Entgegen dem Bestreben, die WTO-Rechtsordnung nicht als isoliertes Subsystem des Völkerrechts zu verstehen, sondern als Teil der Völkerrechtsordnung, hätte eine Steigerung der Mitgliedstaaten zur Folge, dass WTO-fremdes Recht bei der Auslegung von WTO-Vorschriften faktisch nicht mehr berücksichtigt werden kann. Dies widerspricht aber eindeutig dem Bestreben, zwischen WTO-Rechtsordnung und anderen internationalen Übereinkommen ein gewisses Maß an Kohärenz herzustellen. Um eine möglichst weitgehende Heranziehung von WTO-fremdem Recht bei der Auslegung von WTO-Normen zu ermöglichen, wurde vorgeschla98

US – Tuna II, ILM 33 (1994), S. 839 (892). ILC Yearbook 1966, vol. I/2, S. 197. 100 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (124). 99

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

gen, den Begriff „zwischen den Vertragsparteien“ des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK dahingehend auszulegen, dass zumindest das Recht, das die Streitparteien bindet, bei der Interpretation von WTO-Vorschriften relevant ist.101 Dies könne insbesondere mit der bipolaren Erfüllungsstruktur des WTOÜbereinkommens gerechtfertigt werden, da diese eine inter-se Auslegung zwischen den Streitparteien zulasse.102 Unabhängig davon, dass sich eine solche Interpretation mit dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK nur schwer vereinbaren lässt, ist der Begründungsansatz, die WTO-Übereinkommen wiesen eine bipolare Erfüllungsstruktur auf, die eine inter-se Auslegung rechtfertigen würde, nicht unproblematisch. Bereits für das GATT 47 ist aufgrund der Panel Entscheidung im Fall US – Tuna II festgestellt worden, dass das GATT zumindest in Teilbereichen eine multilaterale Erfüllungsstruktur aufweist.103 Außerdem kann dieser Ansatz nicht überzeugen, da es ansonsten dem Zufall überlassen bleibt, welches Recht auslegungsrelevant ist. Klagen Staat A und C gegen B wegen derselben handelsbeschränkenden Maßnahme des Staates B und sind Staat A und B im Gegensatz zu Staat C Vertragsstaaten eines für die Auslegung relevanten Vertrages, so könnten die Verpflichtungen von B gegenüber A andere sein als gegenüber C. Im Rahmen der WTO würde dies zu einer ganz erheblichen Zersplitterung der welthandelsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten führen – eine Entwicklung, die bereits in den 70er Jahren erkennbar war und die durch den Abschluss des WTO-Abkommens verhindert werden sollte. Ein anderer Ansatz, der jegliches Völkerrecht, auch wenn es nicht für alle Vertragsstaaten bindend ist, für die Auslegung einer Norm heranziehen will, stützt sich auf die unterschiedliche Verwendung des Begriffs „Vertragsparteien“.104 Während Art. 31 Abs. 2 lit. a) WVRK die Formulierung von sich auf den Vertrag beziehenden Übereinkünften, die zwischen „allen Vertragsparteien“ getroffen wurden, enthält und in lit. b) des Absatzes 2 ausgeführt wird, dass Urkunden eines oder mehrerer Vertragsstaaten, die sich auf die Auslegung beziehen, von den „anderen Vertragsparteien“ als eine solche Urkunde angenommen werden müssen, so enthält der Begriff „Vertragspartei“ in Art. 31 Abs. 3 lit. a), b) und c) WVRK weder den Zusatz „alle“ noch „die anderen“. Dort heißt es nur „Übereinkünfte zwischen den Vertragsparteien“ und „Beziehungen zwischen den Vertragsparteien“. 101

Palmeter/Mavroids, AJIL 92 (1998), S. 398 (411). Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (539); zur bilateralen Erfüllungsstruktur des GATT vgl. Hahn, S. 150 ff. 103 Kuyper, NYIL 25 (1994), 227 (239 ff.); a. A. Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (548 f.); für eine Diskussion über die Zulässigkeit von inter-se Vereinbarung zwischen WTO-Mitgliedern siehe unten 2. Teil A. II. 4. 104 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (124 ff.). 102

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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Jeder in den Beziehungen der Vertragsparteien einschlägige Völkerrechtssatz bedeute also gerade nicht, dass dieser zwischen den Vertragsstaaten rechtliche Wirkung entfalten muss, sondern dass eine rein faktische Auswirkung ausreichend sei. Übertragen auf die Problematik des anwendbaren Rechts vor den Streitbeilegungsorganen der WTO hieße das, dass auch Recht, dass nur eine der Streitparteien bindet, für die Auslegung der WTOVorschriften relevant ist, solange es tatsächliche Auswirkungen auf die Beziehungen der Streitparteien hat.105 Auch wenn sich diese Auslegung an den Unterschieden des Wortlautes orientiert und damit den Eindruck der Schlüssigkeit erweckt, so gibt sie dem Wort „allen“ eine zu hohe Bedeutung. Die Verwendung der Formulierung „zwischen den Vertragsparteien“ und „zwischen allen Vertragsparteien“ hat im Rahmen der Entstehung des Art. 31 WVRK eine durchaus wechselvolle Geschichte. So enthält der heutige Art. 31 Abs. 2 lit. a) WVRK die Formulierung „zwischen allen Vertragsparteien“, während dieser Zusatz in dem Entwurf, der im Rahmen der 18. Sitzungsperiode Gegenstand der Diskussion war, noch fehlte.106 Die Ergänzung des Wortes „alle“ und seine Neuformulierung ist auf einen Einwurf der USA zurückzuführen, die eine andere Formulierung vorschlugen, um zu verdeutlichen, dass auch einseitige Erklärungen und Übereinkommen zwischen nicht allen Vertragsparteien für den Zusammenhang relevant sind.107 Im Gegensatz zum heutigen Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVRK enthielt eine frühere Fassung über die Auslegungsrelevanz nachträglicher Übung einen Verweis darauf, dass diese nur herangezogen werden könne, wenn sie eindeutig das Verständnis aller Vertragsparteien bezüglich der Auslegung zum Ausdruck bringe.108 Im Laufe der Diskussion wurde „alle“ in Abs. 3 lit. b) gestrichen, um nicht die Anwendung nachträglicher Praxis – insbesondere die internationaler Organisationen – einzuschränken.109 105

Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (125 f.). Der Wortlaut des damaligen Art. 69 Abs. 2 des WVRK-Entwurfs lautete: „The context of the treaty, for the purpose of its interpretation, shall be understood as comprising in addition to the treaty, including its preamble and annexes, any agreement between or instrument related to the treaty and reached or drawn up in connexion with its conclusion“; ILC Yearbook, 1966, vol I/2, S. 183. 107 Für die Erklärung der USA siehe ILC Yearbook 1966, vol. II, S. 93. 108 „There shall be taken into account, together with the context: . . . (b) Any subsequent practice in the application of the treaty which clearly establishes the understanding of all the parties regarding its interpretation“; ILC Yearbook 1966, vol. I/2, S. 183. 109 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Rosenne, ILC Yearbook 1966, vol. I/2, S. 187; die schriftliche Erklärung der Niederlande, ILC Yearbook 1966, vol. II, S. 92 sowie die Bemerkungen des Special Rapporteur Sir H. Waldock, Fifth Report on the Law of Treaties, ILC Yearbook 1966, vol. II, S. 99. 106

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Die Änderung des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVRK ist aber nicht notwendigerweise für die Auslegung der lit. c) relevant. Denn bereits Bernhardt hat in seinem Kommentar des Entwurfs der ILC von 1966 darauf hingewiesen, dass zwischen Abs. 3 lit. a) und b) auf der einen und lit. c) auf der anderen Seite nur ein sehr lockerer Zusammenhang besteht.110 Dieser wird durch die Entstehungsgeschichte verdeutlicht: Nachdem sich die ILC darauf einigte, dass ein Verweis auf die Völkerrechtssätze zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu einem möglichen Ausschluss der dynamischen Interpretation führen würde, wurde die Formulierung „im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses“ gestrichen und der ehemalige Abs. 1 lit. b) an das Ende des dritten Absatzes gestellt. Aus der Diskussion der ILC ergibt sich aber kein Hinwies darauf, dass auch die übrige Bedeutung geändert werden sollte. Vielmehr wurde festgestellt, dass nicht nur die allgemeinen Regeln des Völkerrechts auslegungsrelevant sind, sondern auch diejenigen, die nur zwischen den Vertragsparteien gelten. Allerdings wurde ausdrücklich darauf verwiesen „. . . that to be taken into consideration in interpreting the treaty, those rules, although not ,general‘, must be ,common‘ to the parties to the treaty.“111

Dementsprechend ist die Auslegung des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK dahingehend, dass jegliches Völkerrecht für die Interpretation eines Vertrages relevant ist, unabhängig davon ob die Vertragsparteien des auszulegenden Vertrages daran gebunden sind, nicht widerspruchslos begründbar.112 Voraussetzung für eine Heranziehung vertragsfremden Rechts bei der Auslegung von vertraglichen Vorschriften ist vielmehr, dass es sich um das „gemeinsame“ Recht der Vertragsstaaten handelt. Dabei müssen zwar nicht alle Staaten des auszulegenden Vertrages auch Vertragsstaat des zur Interpretation heranzuziehenden Vertrages sein oder dessen Inhalt ausdrücklich zugestimmt haben. Notwendig ist lediglich, dass sie entweder die Vertragspraxis oder die dahinterstehenden Prinzipien anerkannt haben und diese tolerieren.113 In der konkreten Anwendung des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK müssen die WTO-Panel und der Appellate Body mithin klären, ob die zur Auslegung heranzuziehenden, WTO-fremden Normen die gemeinsame Rechtsauffassung der WTO-Mitgliedstaaten widerspiegeln. Diese Voraussetzung kann, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, sowohl von multilatera110

Bernhardt, ZaöRV 27 (1967), S. 491 (500). ILC Yearbook 1966, vol. I/2, S. 197. 112 Auch für Matscher, Vertragsauslegung durch Vertragsvergleichung, in: Bernhardt/Geck/Jainicke/Steinberger (Hrsg.), FS Mosler, S. 545 (561), ist notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK, dass nur die zwischen denselben Partnern in Geltung stehenden Verträge bei der Auslegung zu berücksichtigen sind. 113 Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (575 f.). 111

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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len Übereinkommen mit geringerem Ratifikationsstand als dem der Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung, als auch von bilateralen Übereinkommen und sogar von nicht verbindlichem soft law erfüllt werden. Diese Ansicht rechtfertigt auch die Auslegungspraxis des Appellate Body im Fall US – Shrimp bezüglich des Einleitungssatzes von Art. XX GATT. Dort hatte der Appellate Body die im Einleitungssatz des Art. XX GATT enthaltene Kooperationsobliegenheit mit dem grundsätzlichen Vorrang multilateraler, kooperativer Lösungsansätze begründet, wie sie von den WTO-Mitgliedstaaten selbst anerkannt wird.114 Diese Anerkennung kommt aber nicht nur in den Berichten des CTE zum Ausdruck, sondern auch in Art. 5 der Biodiversitätskonvention,115 der Rio Deklaration116 und im Bonner Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten.117 Auch wenn nicht alle WTO-Mitgliedstaaten die erwähnten Übereinkommen ratifiziert haben und obwohl die Rio Deklaration als sog. soft law agreement keine völkerrechtlich verbindlichen Rechte und Pflichten begründet, bringen sie doch zum Ausdruck, dass die Staaten vom prinzipiellen Vorrang multilateraler Lösungen ausgehen und dass auf einseitige Maßnahmen erst dann zurückgegriffen werden darf, wenn dies erforderlich ist, d.h., wenn keine gemeinsamen Lösungen gefunden werden können. Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der Relevanz von WTO-fremden Normen für die Auslegung von Vorschriften der WTO-Rechtsordnung sagen, dass diese entsprechend Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK sowohl dann zu berücksichtigen sind, wenn sie nach Abschluss der WTO-Übereinkommen 114 US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 168. Allerdings bewegt sich der Appellate Body insoweit auf dünnem Eis, als dass er keine systematische Begründung für die Heranziehung vertragsfremden Rechts bei der Auslegung des Art. XX GATT liefert, das entweder nicht alle Vertragsstaaten bindet oder sogar völkerrechtlich unverbindlich ist. 115 Art. 5 der Biodiversitätskonvention lautet: „Each contracting party shall, as far as possible and as appropriate, cooperate with other contracting parties directly or, where appropriate, through competent international organizations, in respect of areas beyond national jurisdiction and on other matters of mutual interest, for the conservation and sustainable use of biological diversity.“ 116 Rio Declaration on Environment and Development, 14.6.1992, ILM 31 (1992), S. 874 ff.; Prinzip 12 der Rio Deklaration enthält den Grundsatz, dass einseitige Maßnahmen zur Bewältigung von Umweltproblemen außerhalb des Hoheitsbereichs des Einfuhrlandes vermieden werden und dass Maßnahmen zur Bewältigung grenzüberschreitender Umweltprobleme soweit möglich auf internationalem Konsens beruhen sollen. 117 Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals, 23.6.1979, ILM 19 (1980), S. 11 ff. In der Präambel des Vertragstextes bringen die Vertragsstaaten ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass „conservation and effective management of migratory species of wild animals requires the concerted action of all States within the national boundaries of which such species spend any part of their life cycle.“

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

verabschiedet und in Kraft getreten sind, als auch dann, wenn sie Ausdruck des allgemeinen Rechtsverständnisses aller WTO-Mitgliedstaaten sind. Damit können sowohl Vorschriften des Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsprinzipien berücksichtigt werden als auch Regelungen von WTO-fremden Verträgen, selbst wenn letztere nicht alle WTO-Mitgliedstaaten völkerrechtlich binden. b) Materiellrechtliche Harmonisierungsfähigkeit Auch wenn damit im Rahmen der Streitbeilegung die institutionelle Möglichkeit zur effektiven Harmonisierung von völkerrechtlichen Verträgen mit der WTO-Rechtsordnung besteht, bedarf es darüber hinaus der Harmonisierungsfähigkeit der relevanten Vorschriften. Da der Grundsatz der harmonisierenden Auslegung nur dann eingreifen kann, wenn die miteinander in Konflikt stehenden Vorschriften dies aufgrund ihrer Interpretationsfähigkeit zulassen, muss zunächst untersucht werden, inwieweit der Wortlaut, die Systematik und der mit dem Übereinkommen jeweils verfolgte Sinn und Zweck eine Harmonisierung überhaupt möglich machen. Die Möglichkeiten und Grenzen der harmonisierenden Auslegung zwischen WTO-Rechtsordnung und multilateralen Umweltübereinkommen sollen im Folgenden beispielhaft anhand des problematischen Verhältnisses von Cartagena-Protokoll und SPS-Übereinkommen untersucht werden und zwar bezüglich der Frage, inwieweit die Rechtsmäßigkeit einer Handelsbeschränkung für GVO-haltige Produkte von der Durchführung einer Risikobeurteilung abhängt, und, falls ja, welche Voraussetzungen an eine solche Risikobeurteilung gestellt werden müssen.118 aa) Risikobeurteilung nach dem Cartagena-Protokoll und dem SPS-Übereinkommen Gemäß Art. 3 Abs. 3 SPS-Übereinkommen sind handelsbeschränkende Maßnahmen aus gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Gründen, für die es keine internationalen Standards gibt, nur dann zulässig, wenn sie auf einer Risikobeurteilung beruhen, die den in Art. 5 Abs. 2 SPS-Übereinkommen aufgestellten Voraussetzungen genügt.119 Dementspre118 Vgl. zu der Problematik der Vereinbarkeit von Cartagena-Protokoll und WTORechtsordnung ausführlich Neumann, Koordination, S. 413 ff.; Buck, ZUR 2000, 319 ff.; Adler, T. Int’l LJ 35 (2000) 173 ff.; Phillips/Kerr, JWT 34/4 (2000), S. 63 ff.; Steinmann/Strack, NuR 2000, S. 367 ff.; Eggers/Mackenzie, JIEL 3 (2000), S. 525 (540 ff.); Schoenbaum, ICLQ 49 (2000), S. 856 (863 f.); Stoll, YIEL 1999, S. 82 (114 ff.). 119 Siehe oben 1. Teil C. I. 1. b) cc).

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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chend müsste, um mit dem SPS-Übereinkommen vereinbar zu sein, auch im Cartagena-Protokoll eine auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Risikobeurteilung notwendige Voraussetzung für den Erlass handelsbeschränkender Maßnahmen sein. Bezüglich der Frage, inwieweit auch nach dem Cartagena-Protokoll eine Risikobeurteilung als Voraussetzung dafür notwendig ist, dass der Handel mit GVOs beschränkt werden darf, ist auf die im Protokoll enthaltene Differenzierung zwischen zur Freisetzung bestimmter und zur unmittelbaren Verwendung als Nahrungsmittel, Futtermittel oder zur Weiterverarbeitung bestimmter GVOs zurückzukommen.120 Für erstere gilt uneingeschränkt das AIA-Verfahren, das die Mitgliedstaaten gem. Art. 10 Abs. 1 des Protokolls bei der Entscheidung über Einfuhrbeschränkungen dazu verpflichtet, die in Art. 15 des Protokolls enthaltenen Grundsätze zu beachten. Art. 15 Cartagena-Protokoll wiederum bestimmt, dass eine Risikobeurteilung in Übereinstimmung mit den in Annex III festgelegten Verfahren und auf anerkannten wissenschaftlichen Grundlagen zu erfolgen habe. Für die wirtschaftlich wesentlich bedeutsameren GVOs, die zur unmittelbaren Verwendung in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und zur Weiterverarbeitung bestimmt sind, findet ein vereinfachtes Kontrollverfahren gem. Art. 11 Cartagena-Protokoll Anwendung. Allerdings verpflichtet allein der Wortlaut des Art. 11 des Protokolls die Vertragsparteien nicht zur Durchführung einer Risikobeurteilung als notwendige Voraussetzung für den Erlass einer Handelsbeschränkung.121 In Art. 11 Abs. 8 Cartagena-Protokoll heißt es lediglich, dass auch bei Entscheidungen über die Einfuhr von zur unmittelbaren Verwendung bestimmten GVOs vorsorgliches Handeln der Vertragsstaaten zulässig ist, wenn lediglich eine wissenschaftliche Wahrscheinlichkeit in Bezug auf die von den GVOs zu erwartenden Risiken für die biologische Vielfalt oder die menschliche Gesundheit besteht. Die Durchführung einer Risikobeurteilung ist damit nach dem Wortlaut für die Beschränkung des Handels von zur unmittelbaren Verwendung bestimmter GVOs nicht erforderlich. Neben der Frage, ob überhaupt beide Übereinkommen die Durchführung einer Risikobeurteilung voraussetzen, stellt sich das Problem, welche Maßstäbe an eine solche Risikobeurteilung zu richten sind. Grundsätzlich enthält das Cartagena-Protokoll gegenüber den Vorschriften des SPS-Übereinkommens die umfangreicheren Bestimmungen über die methodischen Voraussetzungen einer Risikobeurteilung.122 Allerdings unterscheiden sich Cartagena-Protokoll und SPS-Übereinkommen in der Frage, inwieweit eine 120

Siehe oben 1. Teil C. I. 2. b). Eggers/Mackenzie, JIEL 3 (2000), S. 525 (540); Schoenbaum, ICLQ 49 (2000), S. 856 (863 f.). 122 Buck, ZUR 2000, S. 319 (328). 121

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Risikobeurteilung auf Grundlage des Vorsorgeprinzips zulässig ist, d.h. inwieweit es den Vertragsstaaten erlaubt ist, bei wissenschaftlicher Unsicherheit oder ungenügendem Kenntnisstand vorsorgliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt zu erlassen. Dementsprechend wird in der Völkerrechtsliteratur auch von einer Unvereinbarkeit des CartagenaProtokolls mit dem SPS-Übereinkommen ausgegangen.123 Grundlage dafür sind u. a. der unklare Inhalt des Vorsorgeprinzips und die damit verfolgten Ziele.124 Das Vorsorgeprinzip resultiert aus dem Problem, dass die verfügbaren naturwissenschaftlichen Modelle aufgrund der Komplexität der ökologischen Systeme keine absolute wissenschaftliche Gewissheit über das tatsächliche Ausmaß und die zukünftig zu erwartende Entwicklung von Gefährdungen der Umwelt zulassen.125 Es greift deshalb als Ausdruck präventiven Handelns in Fällen, in denen sowohl wissenschaftliche Gewissheit über Ausmaß und Folgen einer Umweltgefährdung fehlen als auch ein internationaler Konsens über das Bestehen einer Umweltbedrohung, und trägt damit aus umweltrechtlicher Perspektive dem Konzept Nachhaltiger Entwicklung Rechnung.126 Ausgehend vom internationalen Meeresschutz entwickelt es sich allmählich zu einem allgemein anerkannten Prinzip des Umweltvölkerrechts, das u. a. im Grundsatz 15 der Rio Deklaration enthalten ist, auf den auch die Präambel und Art. 1 des Cartagena-Protokolls verweist. Dementsprechend legt Art. 10 Abs. 6 und Art. 11 Abs. 8 des Protokolls fest, dass „. . . lack of scientific certainty due to insufficient scientific information and knowledge regarding the extent of the potential adverse effects . . . shall not prevent that Party from taking a decision, as appropriate, with regard to the import of the living modified organism in question . . .“

Somit findet das Vorsorgeprinzip im Cartagena-Protokoll sowohl bezüglich des Ausmaßes (lack of scientific ceratinty regarding the extent) als auch bezügliches des Bestehens einer Gefahr überhaupt (of a potential adverse effect) Anwendung. Zwar hat der Appellate Body in EC – Hormones anerkannt, dass verantwortungsvolle Regierungen bei Gefahren für das menschliche Leben oder sonstigen nicht rückgängig zu machenden Gefahren für die menschliche Gesundheit gemeinhin aus vorsorglicher Haltung heraus handeln.127 Den123 Stoll, YIEL 1999, S. 82 (114 ff.); Phillips/Kerr, JWT 34/4 (2000), S. 63 (71 f.); Eggers/Mackenzie, JIEL 3 (2000), S. 525 (539 f.). 124 So scheinen Phillips/Kerr, JWT 34/4 (2000), S. 63 (72) davon auszugehen, dass das Vorsorgeprinzip eigentlich nur der Rechtfertigung protektionistischer Schutzmaßnahmen dient. 125 Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, S. 89 f. 126 Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, S. 83. 127 EC – Hormones, WT/DS26/AB/R, para. 123 f.

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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noch könnte auch ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Vorsorgeprinzip die speziellen Voraussetzungen im SPS-Übereinkommen nicht verdrängen. Damit ist die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips für das SPSÜbereinkommen abgelehnt worden. Allerdings hat der Appellate Body in Bezug auf den Inhalt einer notwendigen Risikobeurteilung entschieden, dass Staaten nicht auf rein naturwissenschaftlich nachweisbare Gefahren beschränkt sind. Die in Art. 5 Abs. 2 SPS-Übereinkommen enthaltenen Faktoren seien nicht abschließend, so dass auch Fragen des Risikomanagements – wie Missbrauchsrisiken oder Kontrollschwierigkeiten – im Rahmen der Risikobeurteilung relevant werden. Darüber hinaus erfasse das relevante Risiko i. S. v. Art. 5 Abs. 1 SPS-Übereinkommen nicht nur naturwissenschaftlich nachweisbare Risiken, „. . . but also risk in human societies, as they actually exist, in other words, the actual potential of adverse effects on human health in the real world where people live and work and die.“128

Obwohl die Interpretation dieser Formulierung einige Schwierigkeiten bezüglich der zu berücksichtigenden Risiken in sich zu bergen scheint, ist es doch eindeutig, dass das Vorsorgeprinzip dem SPS-Übereinkommen als Rechtfertigungsgrund für handelsbeschränkende Maßnahmen dann fremd ist, wenn lediglich die wissenschaftliche Möglichkeit einer Gesundheitsgefahr besteht und wenn selbst wissenschaftliche Mindermeinungen keinen Beweis für Gesundheitsgefahren liefern können. Dementsprechend besteht ein Unterschied zwischen SPS-Übereinkommen und Cartagena-Protokoll bei der Frage, inwieweit ein lediglich begrenzter naturwissenschaftlicher Kenntnisstand bezüglich der Gefahr von GVOs für die menschliche Gesundheit und die biologische Vielfalt und deren Ausmaß bei der Risikobeurteilung ausreichend ist. bb) Harmonisierungsfähigkeit von Cartagena-Protokoll und SPS-Übereinkommen Auch wenn aufgrund der bestehenden Unterschiede im Bereich der Risikobeurteilung von einem Konflikt zwischen Cartagena-Protokoll und SPSÜbereinkommen gesprochen werden kann, so muss zunächst versucht werden, diesen Konflikt im Rahmen der harmonisierenden Auslegung zu beseitigen, bevor Überlegungen über den ausdrücklichen oder faktischen Vorrang von Cartagena-Protokoll oder SPS-Übereinkommen angestellt werden dürfen.129 Dabei ist zum einen zu untersuchen, bei welchem Übereinkommen 128

EC – Hormones, WT/DS26/AB/R, para. 187. Demgegenüber versteht Buck, ZUR 2000, S. 319 (329), die harmonisierende Auslegung ohne weitere Begründung dahingehend, dass das Vorsorgeprinzip entge129

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

die Harmonisierung anzusetzen hat, und zum anderen, ob dieses Übereinkommen aufgrund seines Wortlautes, der Struktur und dem mit ihm verfolgten Sinn und Zweck überhaupt harmonisierungsfähig ist. (1) Ansatz für die harmonisierende Auslegung Erster Ansatzpunkt für die Frage, an welchem Übereinkommen die harmonisierende Auslegung anzusetzen hat, sind entsprechende Vertragsklauseln in den relevanten Übereinkommen. So enthält das SPS-Übereinkommen in Art. 11 Abs. 4 eine sog. Vereinbarkeitsklausel, nach der die Rechte der WTO-Mitgliedstaaten aufgrund anderer internationaler Übereinkünfte durch die Vorschriften des SPS-Übereinkommens nicht berührt werden, einschließlich des Rechts, Vermittlung oder Streitbeilegungsverfahren anderer internationaler Organisationen oder im Rahmen anderer internationaler Übereinkünfte in Anspruch zu nehmen. Demgegenüber enthält das Cartagena-Protokoll keine Vertragsklausel, welches das Verhältnis der Verträge zueinander bestimmt. Allerdings war die Aufnahme einer solchen Klausel Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen im Rahmen der Verhandlungen des Cartagena-Protokolls. So enthielt das Protokoll ursprünglich eine der Biodiversität-Konvention entsprechende Vorschrift, wonach Rechte und Pflichten anderer Übereinkommen nur bei einer ernsthaften Gefahr für die Vertragsziele beeinträchtigt werden können. Während die Verhandlungsgruppe um die USA diesen Vorbehalt vollständig tilgen wollte, sollte nach dem Willen der EG die Gleichrangigkeit von Cartagena-Protokoll und anderen internationalen Abkommen einschließlich der WTO-Übereinkommen festgestellt werden. Der während der Verhandlungen gefundene Kompromiss verdeutlicht diese beiden gegensätzgen dem Wortlaut des SPS-Übereinkommens und der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des Appellate Body in EC – Hormones in Zukunft auch bei der Risikobeurteilung nach dem SPS-Übereinkommen Berücksichtigung finden müsse, da das Protokoll sowohl in methodischer wie auch in verfahrensmäßiger Hinsicht genauere Vorschriften über die Durchführung einer Risikobeurteilung enthalte. Dies würde ebenso wie die ähnliche Ansicht von Schoenbaum, ICLQ 49 (2000), S. 856 (864), der ohne weitere Begründung annimmt, dass zumindest Art. 11 Abs. 8 CartagenaProtokoll für zur direkten Verwendung bestimmten GVOs das Vorsorgeprinzip in das SPS-Übereinkommen einführt, zu einem faktischen Vorrang des SPS-Übereinkommens führen, was mit dem Prinzip der harmonisierenden Auslegung aber nicht vereinbar ist. Darüber hinaus weist die Argumentation von Buck, der die Vorschriften des Cartagena-Protokolls für genauer hält, Ähnlichkeiten mit der Begründung des Vorrangs aufgrund des lex specialis Grundsatzes auf. Zu Recht ablehnend Neumann, Koordination, S. 436 f. Für einen Vorrang des Cartagena-Protokolls vor dem SPS-Übereinkommen aufgrund der Grundsätze lex specialis und lex posterior sprechen sich Burchardi, ZLR 2001, S. 83 (96 f.); Steinmann/Strack, NuR 2000, S. 367 (372) und Stoll, YIEL 10 (1999), S. 82 (117), aus.

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lichen Positionen, die Eingang in die Präambel des Protokolls gefunden haben: „. . . Recognizing that trade and environment agreements should be mutually supportive with a view to achieving sustainable development, Emphasizing, that this Protocol shall not be interpreted as implying a change in the rights and obligations of a Party under any existing international agreements, Understanding, that the above recital is not intended to subordinate this Protocol to other agreements, . . .“

Auch wenn es sich bei der Präambel nicht um eine Vertragsklausel handelt, so ist sie doch gem. Art. 31 Abs. 2 WVRK für den Vertragstext auslegungsrelevant. Dementsprechend muss auch der in ihr enthaltene Aussagewert bezüglich des Verhältnisses zu anderen Übereinkommen bei der Auslegung berücksichtigt werden. Problematisch an der Präambel des Cartagena-Protokolls ist allerdings, dass sie den den Verhandlungen zu Grunde liegenden Konflikt der verschiedenen Verhandlungsgruppen übernimmt, so dass sie keine eindeutige Lösung des Verhältnisses anbietet, sondern einerseits von Gleichrangigkeit und anderseits von der Nichtbeeinflussung durch andere Übereinkommen spricht, ohne aber das Protokoll anderen Verträgen unterzuordnen. Als Konsequenz aus dem gewählten Ansatz, der es allen an der Verhandlung beteiligten Positionen recht machen will, wird in der Literatur auch weitgehend davon ausgegangen, dass sich die Präambel nicht einheitlich, d.h. nicht ohne logische Brüche auslegen lasse, und mithin für die Bestimmung des Vertragsverhältnisses irrelevant sei.130 Auch wenn die Aussage der Präambel zunächst widersprüchlich erscheint, so ist die Schlussfolgerung, dass insbesondere die erste Aussage über den mutual support von Umweltrecht und Welthandel inhaltslos sei, weil sie keine Anwendung bei widersprüchlichen Rechten und Pflichten haben kann,131 irreführend. Denn der Verweis auf den mutual support muss als Implementierung des Grundsatzes der harmonisierenden Auslegung verstanden werden. Da die harmonisierende Auslegung nur bei widersprüchlichen Rechten und Pflichten Anwendung findet, ist die erste Aussage der Präambel in Konfliktfällen besonders relevant und nicht irrelevant. Versteht man also die erste Aussage als Verpflichtung der Vertragsparteien, die Rechte und Pflichten nach dem Cartagena-Protokoll mit denen der WTOÜbereinkommen harmonisierend auszulegen, so können Aussage 2 und 3 der Präambel als Aussage über den Ansatzpunkt der harmonisierenden Auslegung verstanden werden. 130

Buck, ZUR 2000, S. 319 (326); Schoenbaum, ICLQ 49 (2000), S. 856 (864); Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (335 f.); Steinmann/Strack, NuR 2000, S. 367 (372); Philips/Kerr, JWT 34/4 (2000), S. 63 (66). 131 Phillips/Kerr, JWT 34/4 (2000), S. 63 (66).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Bezieht man die Aussage der Präambel, dass Vertragsinhalte anderer Übereinkommen durch das Protokoll nicht verändert werden sollen, auf den Grundsatz des mutual support, so lässt sich dies dahingehend interpretieren, dass auslegungsfähige Vorschriften des Cartagena-Protokolls im Lichte der WTO-Vorschriften zu harmonisieren sind.132 Denn nur so lassen sich diese beiden Aussagen in Einklang miteinander bringen.133 Diesem Ergebnis der einseitigen Harmonisierungspflicht des Protokolls gegenüber den Vorschriften der WTO-Übereinkommen scheint die Aussage zu widersprechen, dass das Cartagena-Protokoll nicht gegenüber den WTO-Vorschriften als nachrangig zu beurteilen ist. Dies muss jedoch erstens dahingehend interpretiert werden, dass eine Harmonisierung des Cartagena-Protokolls ihre Grenze im jeweils eindeutigen Wortlaut der zu harmonisierenden Vorschriften hat, und zweitens, dass der Grundsatz der harmonisierenden Auslegung nicht nur einseitig am Protokoll anzusetzen hat, sondern auch bei den relevanten WTO-Vorschriften, bei denen dies nach Struktur und Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen möglich ist.134 Scheitert eine harmonisierende Auslegung des Protokolls mit den Übereinkommen der WTO und ist der mutual support aufgrund des eindeutigen Wortlauts nicht möglich, so enthält die Präambel keine eindeutige Regelung des Verhältnisses. Da das SPS-Übereinkommen eine Vereinbarkeitsklausel enthält, während das Cartagena-Protokoll zumindest in seiner Präambel Aussagen über die Auslegung des Protokolls im Verhältnis zur WTO trifft, die ebenfalls vom Grundsatz der harmonisierenden Auslegung geprägt sind, kann daraus keine allgemeine Schlussfolgerung gezogen werden, an welchen Regelungen die harmonisierende Auslegung anzusetzen hat. Ist eine allgemeine Aussage nicht möglich, kann dieses Problem nur im Einzelfall gelöst werden. Entscheidend dafür, ist die Harmonisierungsfähigkeit der jeweiligen Übereinkommen. (2) Harmonisierungsfähigkeit bezüglich der Durchführung einer Risikobeurteilung Eine harmonisierende Auslegung der Übereinkommen hinsichtlich der Durchführung einer Risikobeurteilung kann aufgrund des eindeutigen Wort132

Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (335). Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (335 f.). 134 Siehe auch Neumann, Koordination, S. 420: „Die obige Darlegung des Verhältnisses der drei Erwägungsgründe hat . . . gezeigt, dass der vorletzte Grund nur eine „direkte“ Änderung des WTO-Rechts im Sinne seiner Verdrängung durch das BSP als lex specialis oder lex posterior verbietet, dass der letzte und drittletzte Grund aber die mittelbare Beeinflussung des WTO-Rechts durch eine harmonisierende Auslegung mit dem BSP nicht nur erlauben, sondern fordern.“ 133

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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lautes des Art. 5 SPS-Übereinkommens nur am Cartagena-Protokoll ansetzen. Die relevanten Vorschriften für Entscheidungen über die Einfuhr von zur unmittelbaren Verwendung bestimmten GVOs enthalten lediglich einen Verweis auf das Vorsorgeprinzip ohne die Durchführung einer Risikobewertung anzuordnen. Allerdings müssen auch Entscheidungen nach Art. 11 des Cartagena-Protokolls mit den Zielen des Protokolls vereinbar sein. Sie müssen also gem. Art. 1 Abs. 1 des Protokolls einen adäquaten Schutz vor Gefahren für Artenvielfalt und menschliche Gesundheit darstellen. Allerdings sind bei der Frage, welcher Schutz adäquat ist, nicht nur Kriterien des Protokolls, sondern auch außerhalb des Protokolls liegende Ziele der Völkerrechtsgemeinschaft zu berücksichtigen. So betont insbesondere die Präambel die gegenseitige Unterstützung von internationalem Handel und Umweltschutz in der Erreichung nachhaltiger Entwicklung. Diese gegenseitige Unterstützung kann nur dann erreicht werden, wenn die jeweiligen Regime nicht unterschiedliche Voraussetzung an die Zulässigkeit von Handelsbeschränkungen knüpfen. Daher ist Art. 11 Abs. 4 des Protokolls dahingehend auszulegen, dass die Ziele des Übereinkommens nur dann gewahrt werden, wenn auch bei Entscheidungen über Einfuhrbeschränkungen von zur unmittelbaren Verwendung bestimmten GVOs eine mit Art 15 i.V. m. Annex III des Protokolls übereinstimmende Risikobeurteilung erfolgt ist.135 Somit ist auch nach dem Cartagena-Protokoll die Durchführung einer auf wissenschaftlich anerkannten Grundlagen basierenden Risikobeurteilung notwendige Voraussetzung für den Erlass von Einfuhrbeschränkungen, und zwar sowohl in Bezug auf zur Freisetzung als auch in Bezug auf zur unmittelbaren Verwendung bestimmter GVOs, so dass es zu keinem Widerspruch mit den Vorschriften des SPS-Übereinkommens kommt. (3) Harmonisierungsfähigkeit bezüglich der Zulässigkeit des Vorsorgeprinzips Ist eine Harmonisierung bezüglich der Durchführung einer Risikobewertung verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen, so stößt man bei den für eine solche Bewertung anzuwendenden Kriterien und Maßstäben – insbesondere hinsichtlich der Relevanz des Vorsorgeprinzips – auf scheinbar unüberbrückbare Schwierigkeiten. So lässt das SPS-Übereinkommen die Einführung dauerhafter Einfuhrbeschränkungen aufgrund des Vorsorgeprinzips, d.h. bei wissenschaftlich nicht ausreichendem Kenntnisstand über das Vorliegen und das Ausmaß von Gesundheits- oder Umweltschutzrisiken, nicht zu. Dieses Verbot ist aber nicht so kategorisch wie es zunächst den Anschein hat, da Art. 5 Abs. 7 135

Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (347 f.).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

SPS-Übereinkommen die Möglichkeit der Einführung zumindest vorübergehender Handelsbeschränkungen in Fällen bietet, in denen das wissenschaftliche Beweismaterial nicht ausreicht.136 Einfuhrbeschränkungen nach dem SPS-Übereinkommen können also doch auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips gerechtfertigt werden; allerdings müssen diese Maßnahmen in einem angemessenen Zeitraum überprüft werden und, um sie dauerhaft aufrechterhalten zu können, muss das notwendige Beweismaterial nachgeliefert werden. Demgegenüber enthält das Cartagena-Protokoll dem Wortlaut nach keine Verpflichtung zur zeitlichen Begrenzung und Überprüfung von Einfuhrbeschränkungen bestimmter GVOs, deren Risikobewertung auf dem Vorsorgeprinzip basiert. Der damit bestehende Widerspruch kann aber dahingehend harmonisiert werden, dass auch nach dem Cartagena-Protokoll eine dauerhafte Einfuhrbeschränkung in der eben beschriebenen Situation unzulässig und als ein Verstoß gegen die Verpflichtungen des Protokolls zu werten ist.137 Denn Art. 10 Abs. 6 und Art. 11 Abs. 8 Cartagena-Protokoll, die eine Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips ausdrücklich erlauben, enthalten einen wichtigen Zusatz: Bei wissenschaftlich ungenügendem Kenntnisstand dürfen Einfuhrbeschränkungen nur in dem Umfang eingeführt werden, wie dies erforderlich ist.138 Auch Art. 16 Abs. 2 Cartagena-Protokoll erlaubt Maßnahmen, die auf der Risikobewertung beruhen, nur solange sie notwendig sind. Auch wenn nicht eindeutig ist, ob und inwieweit sich das Kriterium der Erforderlichkeit oder Notwendigkeit auf einen zeitlichen Aspekt beziehen sollte, erfordert der dem mutual support zu Grunde liegende Grundsatz der harmonisierenden Auslegung ein solches Verständnis. Dementsprechend dürfen Einfuhrbeschränkungen in Bezug auf zur Verwendung bestimmter GVOs zwar vorsorglich eingeführt werden. Allerdings sind sie nur dann angemessen und notwendig im Sinne des Protokolls, wenn der aktuelle naturwissenschaftliche Kenntnisstand die Maßnahme rechtfertigt. Dies gilt auch für bereits eingeführte Einfuhrbeschränkungen, so dass das dem Vertragsstaat in Art. 12 Abs. 1 Cartagena-Protokoll eingeräumte Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Abänderung einer Maßnahme auf Null reduziert wird.139 Die in der Literatur bestehende Ansicht, dass zum einen die Vorschriften des Protokolls mit denen der WTO-Rechtsordnung unvereinbar sind und 136

Für die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 7 SPS-Übereinkommen vgl. Appellate Body Report, Japan – Measures Affecting Agricultural Products, 19.3.1999, WT/DS76/AB/R, para. 89. 137 Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (350). 138 Art. 11 Abs. 8 Cartagena Protokoll: „. . . Lack of scientific evidence . . . shall not prevent a Party from taking a decision, as appropriate . . .“. 139 Stöckl, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 327 (350).

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dass zum anderen die Präambel des Protokolls keine hinreichende Möglichkeit biete, vermeintlich bestehende Widersprüche zu lösen,140 verkennt somit die Anwendungsmöglichkeit sowie den Anwendungsvorrang des mutual support in Form der harmonisierenden Auslegung, wodurch das Problem der unterschiedlichen Berücksichtigungsmöglichkeit des Vorsorgeprinzips beim Erlass von Einfuhrbeschränkungen gelöst werden kann. 3. Vorrangregelungen des allgemeinen Völkerrechts Auch wenn sich Vertragskonflikte durch eine harmonisierende Auslegung auflösen lassen, so ist dieser Mechanismus in seiner Anwendung begrenzt, da notwendige Voraussetzung auslegungsfähige Vorschriften sind. Von daher gilt es auch im Hinblick auf die parallele Anwendbarkeit von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung zu untersuchen, inwieweit Konflikte, in denen die harmonisierende Auslegung versagt, durch die Vorrangregelungen des allgemeinen Völkerrechts, d.h. durch die Grundsätze lex specialis und lex posterior, aufgelöst werden können. Wie auch bei der Auslegungsrelevanz von WTO-fremden Verträgen für die Vorschriften der WTO-Rechtsordnung, stellt sich in diesem Zusammenhang sowohl das Problem, inwieweit die Vorrangregelungen des allgemeinen Völkerrechts in WTO-Streitbeilegungsverfahren anwendbar sind, so dass ein WTO Panel oder der Appellate Body die Unanwendbarkeit des WTO-Rechts zugunsten der Vorschriften multilateraler Umweltübereinkommen feststellen könnte, als auch das der materiellrechtlichen Geeignetheit und Einschlägigkeit der erwähnten Grundsätze. a) Anwendbarkeit in WTO-Verfahren Die Anwendbarkeit von lex specialis und lex posterior ist von dem Problem der Anwendbarkeit vertragsfremder Vorschriften bei der Auslegung einer Norm zu unterscheiden.141 Während zentrale Vorschrift in der Diskus140 Buck, ZUR 2000, S. 319 (326); Schoenbaum, ICLQ 49 (2000), S. 856 (864); Steinmann/Strack, NuR 2000, S. 367 (372); Philips/Kerr, JWT 34/4 (2000), S. 63 (66). 141 Vgl. Bartels, JWT 35 (2001), S. 499 (510 ff.), der zwischen drei verschiedenen Funktionen, die WTO-fremdes Recht im Rahmen der WTO-Rechtsordnung erfüllt, unterscheidet: Erstens kann es unter den oben dargelegten Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK zur Auslegung herangezogen werden. Zweites ist es möglich, dass es Beweisfunktionen erfüllt und drittens kann es als anwendbares Recht zur Klärung von notwendigen Vorfragen im Rahmen der juristischen Argumentation herangezogen wird. Zur Differenzierung zwischen anwendbarem Recht und Heranziehung von vertragsfremden Völkerrechtsnormen zur Auslegung eines Vertrages siehe auch Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (559 ff., 573 ff.).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

sion um die Anwendbarkeit von WTO-fremden Vorschriften für die Auslegung von WTO-Recht Art. 3 Abs. 2 DSU i.V. m. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK ist, so kann diese das vorliegende Problem nicht klären. Zwar sind sie wegen ihres völkergewohnheitsrechtlichen Charakters in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien und mithin auch zwischen den WTOMitgliedstaaten anwendbar. Allerdings beziehen sie sich nicht auf die Auslegung eines Vertrages oder einer Vertragsvorschrift, denn der Begriff „Auslegung“ erfasst lediglich den Prozess der inhaltlichen Bestimmung eines Vertrages oder einer Vertragsvorschrift. Der lex posterior und der lex specialis Grundsatz aber haben keine Auswirkungen auf den Inhalt, sondern sie regeln das Verhältnis konfligierender Verträge bzw. Vertragsvorschriften. Es geht also um den Vorrang und damit letztlich um die Anwendbarkeit eines Vertrages oder einer Vertragsvorschrift. Deshalb ist der lex specialis und der lex posterior Grundsatz nicht von Art. 3 Abs. 2 DSU i.V. m. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK erfasst.142 Gegenstand des Problems ist damit die grundsätzliche Frage der Anwendbarkeit von WTO-fremden Normen, die in engem Zusammenhang mit dem Problem des Verhältnisses von allgemeinem Völkerrecht und WTO-Vorschriften und dem Charakter der WTO-Rechtsordnung steht. So ist in der völkerrechtlichen Literatur immer wieder die These diskutiert worden, inwieweit es sich bei der WTO um ein sog. self contained regime handle,143 was dazu führe, dass WTO-Recht losgelöst von allgemeinem Völkerrecht zu betrachten sei und letzteres keinen Einfluss auf die Geltung und den Inhalt von WTO-Normen habe. Diese Ansicht kann aber spätestens seit der Entscheidung US – Gasoline nicht mehr aufrechterhalten werden. Dort stellte der Appellate Body fest

142 A. A. in Bezug auf den lex specialis Grundsatz Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1095). 143 Die Bezeichnung der WTO als self contained regime erscheint zumindest dann sachlich falsch zu sein, wenn man damit die Isolation der WTO-Rechtsordnung im Verhältnis zum allgemeinen Völkerrecht begründen will. Bisher wurde der Begriff des self contained regime lediglich für völkervertragliche Regime verwendet, die in bestimmten Sachbereichen, wie etwa bei der Reaktion auf einen Vertragsverstoß, die Anwendung allgemeiner völkerrechtlicher Regelungen durch die Exklusivität der eigenen Vorschriften direkt oder indirekt ausgeschlossen haben, so dass ein Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht nicht möglich ist. Beispielhaft sei hier auf das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen verwiesen, welches die Reaktion auf einen Vertragsverstoß auf die dafür im Übereinkommen vorgesehenen Mechanismen beschränkt; vgl. dazu Case Concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran (USA v. Iran), 24.5.1980, ICJ Rep. 1980, S. 41. Dass eine völkervertragliche Ordnung sich vollständig vom allgemeinen Völkerrecht löst und unabhängig von diesem existiert ist mit dem Begriff nicht gemeint, vgl. dazu Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (539).

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„that the WTO Agreement is not tot be read in clinical isolation from public international law.“144

Allerdings enthält diese Aussage lediglich einen generellen Hinweis auf den grundsätzlichen Öffnungswillen der WTO-Rechtsordnung und kann als Beleg dafür herangezogen werden, dass der Appellate Body die von WTO Paneln früher vertretene Rechtsauffassung, wonach WTO-fremde Verträge für die Auslegung von WTO-Vorschriften faktisch irrelevant sind,145 aufgegeben hat. Eine Lösung der Frage, welches Recht und insbesondere inwieweit WTO-fremdes Recht in WTO-Verfahren herangezogen werden kann und welche Funktion es dabei erfüllt, ist damit nicht geklärt. Das Statut des IGH enthält mit Art. 38 Abs. 1 eine explizite Vorschrift bezüglich des anwendbaren Rechts. Diese auch als allgemeine Rechtsquellen bezeichneten Rechtssätze umfassen sowohl allgemeine wie auch besondere internationale Übereinkommen, Vorschriften des Völkergewohnheitsrechts, die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie als Hilfsmittel richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler. Auch das SRÜ enthält eine Vorschrift über das vor den SRÜ-Gerichten anwendbare Recht. Gem. Art. 293 Abs. 1 SRÜ wendet ein nach dem SRÜ zuständiges Gericht neben dem SRÜ auch sonstige Regeln des Völkerrechts an, solange diese mit dem SRÜ vereinbar sind. Dem DSU ist eine solche Vorschrift über das anwendbare Recht nicht zu entnehmen. Die Konsequenzen, die aus dem Fehlen einer Vorschrift über das anwendbare Recht zu ziehen sind, sind bisher nur wenig untersucht.146 Allgemein scheint davon ausgegangen zu werden, dass in Anbetracht des Fehlens einer expliziten Regelung grundsätzlich nur Normen der WTO-Rechtsordnung in Verfahren vor den WTO-Streitbeilegungsorganen Anwendung finden. Für Ausnahmen bedürfe es einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass es aufgrund der Erweiterung des anwendbaren Rechts über die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung hinaus zu einer Ausweitung des eigentlich beschränkten Jurisdiktionsbereichs und einer inhaltlichen Veränderung von WTO-Vorschriften komme.147 Eine solche ausdrückliche Öffnungsklausel ergebe sich lediglich aus dem bereits erörterten Art. 3 Abs. 2 DSU, der die gewohnheitsrechtlichen Auslegungsregeln des allgemeinen Völkerrechts für anwendbar erklärt und so i.V. m. dem in Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK kodifizierten Auslegungsgrundsatz eine Öffnung der WTORechtsordnung gegenüber WTO-fremden Vorschriften ermöglicht.148 144

U.S. – Gasoline, WT/DS2/AB/R, III B 1. U.S. – Tuna II, ILM 33 (1994), S. 839 (892). 146 Intensiver damit auseinandergesetzt hat sich bisher nur Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (540 ff.) und Bartels, JWT 35 (2001), S. 499 (501 ff.). 147 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (109 ff.); dies., JWT 35 (2001), S. 1081 (1102 ff.). 145

204

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Allerdings muss die grundsätzliche Annahme, dass es sich bei Art. 3 Abs. 2 DSU um eine spezielle Öffnungsklausel gegenüber WTO-fremdem Recht handle, so dass jenseits dieser Öffnungsklausel die Anwendbarkeit WTO-fremden Rechts in WTO-Verfahren ausgeschlossen sei, bestritten werden. Bereits in der Streitigkeit Korea – Procurement hat das Panel festgehalten, dass diese e contrario Argumentation unzulässig ist. „We take note that Article 3.2 of the DSU requires that we seek within the context of a particular dispute to clarify the existing provisions of the WTO agreements in accordance with customary rules of interpretation of public international law. However, the relationship of the WTO Agreements to customary international law is broader than this. Customary international law applies generally to the economic relations between the WTO Members. Such international law applies to the extent that the WTO treaty agreements do not ,contract out‘ from it. To put it another way, to the extent there is no conflict or inconsistency, or an expression in an covered agreement that implies differently, we are of the view that the customary rules of international law apply to the WTO treaties and to the process of treaty formation under the WTO.“149

In Bezug auf den Sinn und Zweck der Vorschrift in Art. 3 Abs. 2 DSU führte das Panel in einer Fußnote aus: „The language of 3.2 in this regard applies to a specific problem that had arisen under the GATT to the effect that, among other things, reliance on negotiating history was being utilized in a manner arguably inconsistent with the requirements of the rules of treaty interpretation of customary international law.“150

Der Verweis in Art. 3 Abs. 2 DSU auf die gewohnheitsrechtlichen Auslegungsgrundsätze kann also nicht dahingehend verstanden werden, dass dadurch die Anwendbarkeit WTO-fremden Rechts in den Beziehungen der WTO-Mitgliedstaaten auf die völkerrechtlichen Interpretationsregeln beschränkt wird. Im Grunde hat der Verweis in Art. 3 Abs. 2 DSU lediglich deklaratorischen Charakter.151 148 Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (539): „Diese Ausrichtung der Interpretation von WTO-Recht an WTO-fremden Recht haben die WTO-Mitglieder bei der Errichtung der WTO gebilligt bzw. empfohlen. Zwar begrenzen die Art. 1, 7, 11 der WTO-Streitbeilegungsvereinbarung das in WTO-Streitbeilegungsverfahren anwendbare Recht auf WTO-Recht, Art. 3 Abs. 2 S. 2 DSU gebietet aber das Heranziehen von WTO-fremden Recht zur Auslegung von WTO-Recht, indem er die allgemeinen Auslegungsgrundsätze für relevant erklärt.“ Auch nach Trachtman, Harv. Int’l L. J. 40/41 (1999/2000), S. 333 (342), kann WTO-fremdes Recht in WTO-Verfahren nur aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 3.2 DSU herangezogen werden; ebenfalls Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (114 ff.); zur Heranziehung von WTO-fremdem Recht bei der Auslegung von WTO-Vorschriften siehe oben 2. Teil A. II. 2. a) bb) (2). 149 Panel Report, Korea – Procurement, WT/DS163/R, para 7.96. 150 Panel Report, Korea – Procurement, WT/DS163/R, Fn. 753.

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

205

Eine Beschränkung des anwendbaren Rechts wird aber nicht nur aus dem expliziten Verweis in Art. 3 Abs. 2 DSU abgeleitet. Unabhängig davon seien die WTO-Streitbeilegungsorgane daran gehindert, die Grundsätze von lex posterior und lex specialis in WTO-Verfahren anzuwenden, da sich eine Beschränkung des anwendbaren Rechts auf die Übereinkommen der WTORechtsordnung aus der beschränkten Zuständigkeit der WTO-Panel und des Appellate Body ergebe.152 Eine solche Zuständigkeitsbeschränkung auf die einschlägigen Bestimmungen der relevanten WTO-Übereinkommen wird aus dem Wortlaut des Art. 1 sowie des Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 DSU abgeleitet, die das Mandat eines Panel festlegen.153 Sie ergebe sich aber auch aus Art. 11 DSU, der die Aufgabe der Panel beschreibt. Danach sind die Panel verpflichtet, eine objektive Beurteilung der vor ihnen liegenden Angelegenheit vorzunehmen. Dazu gehört neben der objektiven Beurteilung der Sachlage eine Entscheidung über die Anwendbarkeit eines WTO-Übereinkommens sowie die Vereinbarkeit der angegriffenen Maßnahme mit den WTO-Übereinkommen. Aus dieser materiellrechtlichen Zuständigkeitsbeschränkung der WTO-Streitbeilegungsorgane resultiere zwangsläufig auch eine Beschränkung des anwendbaren Rechts, so dass eine Anwendbarkeit von WTO-fremden Recht nur im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 DSU i.V. m. dem in Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK gewohnheitsrechtlich kodifizierten Auslegungsgrundsatz möglich sei. Grundlage für dieses Verständnis ist also die Gleichsetzung von anwendbarem und durchsetzbarem Recht.154 Aber gerade diese Gleichsetzung hat keine rechtliche Grundlage: Sie berücksichtigt weder die Praxis in anderen völkerrechtlichen Verträgen über die Errichtung internationaler Gerichte noch die unterschiedliche Funktion von anwendbarem und durchsetzbarem Recht.

151 Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (542); Pescatore, Dispute Settlement, in: Pescatore/Davey/Lowenfeld (eds.), WTO/GATT Dispute Settlement, vol. I, part 2, S. 11; Ollers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (94). Dass die Einführung dennoch notwendig war, zeigt die Auslegungspraxis des GATT 47; vgl. die Ausführungen des Panels in Korea – Procurement, WT/DS163/R, Fn. 753. 152 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (109 ff.); Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (539); zur materiellrechtlichen Jurisdiktionsbeschränkung der WTO-Panel und des Appellate Body siehe oben 1. Teil B. III. 1. c). 153 Ob eine solche Zuständigkeitsbeschränkung aus Art. 7 Abs. 1 DSU abgeleitet werden kann oder ob sich daraus doch ein Verweis auf das anwendbare Recht ergibt, ist umstritten. Zumindest das Panel in Korea – Procurement hat entschieden, dass sich daraus kein Beschränkung des anwendbaren Rechts ergibt; vgl. Korea – Procurement, WT/DS163/R, Fn. 753; so im Ergebnis auch Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (561 f.); Bartels, JWT 35 (2001), S. 499 (504 f.). 154 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87 (113): „Therefore, it seems that under the DSU only provisions of the ,covered agreements‘ can be the ,applicable law‘ applied and enforced by Panels and the Appellate Body.“

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Wie bereits ausgeführt enthalten sowohl das SRÜ als auch das IGH-Statut ausdrückliche Regelungen über das in den Verfahren anwendbare Recht. Während sich Art. 38 IGH-Statut auf die klassischen völkerrechtlichen Rechtsquellen als anwendbares Recht bezieht und dementsprechend keine Einschränkung vornimmt, beschränkt das SRÜ das anwendbare Recht auf das SRÜ selbst und alle damit nicht unvereinbaren Völkerrechtssätze. Neben den Vorschriften über das in Verfahren anwendbare Recht, existieren explizite Regelungen über die Zuständigkeit der Gerichte. Während der IGH gem. Art. 36 IGH-Statut für alle ihm von den Parteien unterbreiteten Rechtssachen sowie für alle in der Charta der Vereinten Nationen oder in geltenden Verträgen und Übereinkommen besonders vorgesehenen Angelegenheiten zuständig ist, beschränkt sich die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte gem. Art. 288 Abs. 1 SRÜ auf die Auslegung und Anwendung des SRÜ selbst. Nach Art. 288 Abs. 2 SRÜ kann die Zuständigkeit auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung internationaler Übereinkommen, die im Zusammenhang mit den Zielen des SRÜ stehen, erweitert werden, wenn diese Möglichkeit vom fraglichen Übereinkommen vorgesehen wird.155 Die Zuständigkeit eines Gerichts ratione materiae indiziert gleichzeitig das in den Verfahren durchsetzbare Recht. Für die SRÜ-Gerichte hat das zur Folge, dass sich das durchsetzbare Recht gem. Art. 288 Abs. 1 SRÜ auf das SRÜ selbst beschränkt. Andere Fragen als die Vereinbarkeit einer Maßnahme oder Handlung mit dem SRÜ können von den SRÜ-Gerichten also nicht entschieden werden.156 Für den IGH kann der Zusammenhang von Zuständigkeit und durchsetzbarem Recht gegenüber dem in den Verfahren anwendbaren Recht anhand des Lockerbie Falles verdeutlichtet werden. Grundlage für die Zuständigkeit des IGH war allein das Montrealer-Übereinkommen.157 Dementsprechend konnten allein die darin enthaltenen Rechte mit Hilfe einer Klage vor dem IGH durchgesetzt werden. Diese Beschränkung der Zuständigkeit und damit des durchsetzbaren Rechts hat den IGH jedoch nicht daran gehindert, auch anderes Völkerrecht, insbesondere die von dem Vereinigten Königreich und den USA angeführte UN-Sicher155

Zur Zuständigkeit der SRÜ Gerichte ratione materiae vgl. oben 1. Teil B. II.

1. b). 156 Für die Differenzierung zwischen anwendbarem und durchsetzbarem Recht im SRÜ vgl. auch The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, para. 19, abrufbar unter www.pca-acp.org: „The Tribunal agrees . . . that there is a cardinal distinction between the scope of its jurisdiction under article 288, paragraph 1, of the Convention, on the one hand, and the laws to be applied by the Tribunal unde article 293 of the Convention, on the other hand. It also agrees that, to the extent that any aspects of Ireland’s claims arise directly under legal instruments other than the Convention, such claims may be inadmissible.“ 157 Convention for the Suppression of Unlwful Acts Against the Safety of Civil Aviation, 23.9.1971, UNTS 974, S. 177 ff.

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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heitsratsresolution 748, anzuwenden.158 Von daher ist es verfehlt, von der Zuständigkeitsbeschränkung der WTO-Streitbeilegungsorgane auf die Beschränkung des anwendbaren Rechts zu schließen. Dass das anwendbare Recht nicht mit dem durchsetzbaren identisch ist, ergibt sich auch aus den unterschiedlichen Funktionen. Während das durchsetzbare Recht diejenigen Rechtssätze beschreibt, die im Urteilstenor genannt werden und deren Verletzung bzw. Nichtverletzung Gegenstand des jeweiligen Verfahrens ist, erfüllt das anwendbare Recht andere Aufgaben. Erstens kann es als Interpretationshilfe für die Auslegung der einschlägigen Vertragsvorschriften herangezogen werden. Zweitens kann es als Beweis für Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung dienen und drittens kann es als eigenständiges Recht im Rahmen der juristischen Argumentation angewendet werden.159 Diese unterschiedlichen Funktionen des anwendbaren Rechts, lassen sich auch in der Rechtsprechung der WTO Panel und des Appellate Body nachweisen. Für die erste und zweite Fallgruppe sei erneut auf die Entscheidung des Appellate Body in der Streitigkeit US – Shrimp verwiesen, in der multilaterale Umweltübereinkommen zur Auslegung des Einleitungssatzes des Art. XX GATT herangezogen wurden.160 Außerdem bezog sich der Appellate Body auf das zwischen den USA und lateinamerikanischen Staaten geschlossene interamerikanische Übereinkommen über den Schutz und die Erhaltung von Meeresschildkröten161, um nachzuweisen, dass den USA eine andere Handlungsmöglichkeit vernünftigerweise offengestanden hätte und zumutbar gewesen wäre, so dass das in Frage stehende US-amerikanische Verhalten eine Diskriminierung darstelle.162 Darüber hinaus haben Panel und der Appellate Body WTO-fremdes Recht auch als eigenständiges Recht im Rahmen der juristischen Argumentation herangezogen. Abstrakt gesprochen tritt diese Konstellation auf, wenn für die Beantwortung von Frage 1 zuerst Frage 2 beantwortet werden muss.163 Konkret würde sich im Rahmen einer WTO-Streitigkeit diese Konstellation wie folgt darstellen: Während die Beantwortung von Frage 1 die Anwendung und Auslegung einer Vorschrift der WTO-Rechtsordnung erfasst, so kann sich Frage 2 auf Fragen des allgemeinen Völkerrechts und anderer völkerrechtlicher Verträge beziehen. Dabei sind zwei Anwendungs158 Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convnetion Arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libya v. USA), Provisional Measures, 14.4.1992, ICJ Reports 1992, S. 114. 159 Bartels, JWT 35/3 (2001), S. 499 (510 ff.). 160 US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 154 ff. 161 Inter-American Convention for the Protection and Conservation of Sea Turtles, 1.12.1996, abrufbar unter www.oceanlaw.net/texts/turtles1.htm. 162 US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 169 ff. 163 Bartels, JWT 35/3 (2001), S. 499 (511).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

bereiche zu unterscheiden. Zum einen kann es um die grundsätzliche Anwendbarkeit von WTO-Vorschriften gehen. Macht eine der Parteien die Unanwendbarkeit einer WTO-Vorschrift geltend, da diese mit einer anderen Vorschrift des Völkerrechts im Konflikt stehe (Frage 1), so kann die Anwendbarkeit der Norm mit Hilfe der allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts geklärt werden (Frage 2). Zum anderen kann WTO-fremdes Recht als eigenständiges Recht angewendet werden, wenn die Auslegung einer Vorschrift der WTO-Rechtsordnung den Sachverhalt nur unzureichend regelt, sich also Lücken ergeben, die nach Sinn und Zweck des Vertrages nicht gewollt sein können.164 Im Fall Canada – Term of Patent Protection ging es um die Frage, ob Art. 70 TRIPS auch rückwirkend angewendet werden darf. Um diese Frage zu beantworten, verwies der Appellate Body auf Art. 28 WVRK – also auf Regelungen des allgemeinen Völkerrechts. Die in Art. 28 WVRK enthaltene Vermutung gegen eine Rückwirkung von Verträgen wurde daraufhin auf die WTO-Rechtsordnung und damit auch auf Art. 70 TRIPS übertragen.165 Des Weiteren haben die Streitbeilegungsorgane auch in anderen Bereichen auf allgemeines Völkerrecht zurückgegriffen, um entweder Lücken im Vertragstext eines der WTO-Übereinkommen zu schließen oder aber um anhand dieser Regelungen Auslegungsfragen von WTO-Vorschriften zu klären.166 Damit erweist sich die Argumentation, dass das anwendbare Recht wegen der begrenzten Jurisdiktion der WTO-Streitbeilegungsorgane auf die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung begrenzt sei, als nicht stichhaltig. Diesem Verständnis liegt eine mangelnde Differenzierung zwischen anwendbarem und durchsetzbarem Recht zu Grunde, die weder in der Rechtsprechungspraxis noch in völkerrechtlichen Verträgen eine Grundlage hat. Grundsätzlich ergeben sich daher aus dem DSU keine expliziten Vorschriften, die die Anwendbarkeit WTO-fremden Rechts beschränken oder ausschließen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass einzelne Vorschriften des allgemeinen Völkerrechts keine Anwendung finden, sofern es zu einem contracting-out im Rahmen der WTO-Übereinkommen gekommen ist. Für den lex specialis und den lex posterior Grundsatz ist ein solches contracting-out aus den Art. 3 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 2 DSU abgeleitet worden, da aus diesen Vorschriften eindeutig hervorgehe, dass weder ein Panel noch der Appellate Body mit ihren Entscheidungen und Empfehlungen die Rechte und Pflichten, die sich aus den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung 164

Bartels, JWT 35/3 (2001), S. 499 (515 f.). Appellate Body Report, Canada – Term of Patent Protection, WT/DS170/ AB/R, 18.9.2000, para. 71 ff. 166 Vgl. Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (563). 165

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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ergeben, ergänzen oder schmälern darf.167 Diese Verpflichtung würde ein Panel oder der Appellate Body mit der Feststellung verletzen, dass ein multilaterales Umweltübereinkommen gegenüber den relevanten WTO-Übereinkommen entweder als lex specialis oder lex posterior vorrangig anwendbar sei, da eine solche Feststellung die Vorschriften der WTO-Übereinkommen in ihrer Anwendbarkeit verdrängen würde. Die Anwendbarkeit dieser Grundsätze könne in WTO-Verfahren nur soweit gehen, wie dies zur Konfliktvermeidung durch harmonisierende Auslegung beitrage.168 Sei eine solche Lösung des materiellrechtlichen Verhältnisses von Umweltübereinkommen und Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung nicht möglich, so seien die WTO-Streitbeilegungsorgane an einer Feststellung des Vorrangs des Umweltübereinkommens gehindert, da dies einer Veränderung der Rechte und Pflichten nach den WTO-Übereinkommen gleichkomme, was nach Art. 3 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 2 DSU ausdrücklich verboten sei.169 Letztlich seien die Formulierungen in Art. 3 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 2 DSU so zu verstehen wie die Klausel über das anwendbare Recht im SRÜ. Demnach wäre jegliches Recht vor den Streitbeilegungsorganen der WTO anwendbar, solange es dem der WTO-Übereinkommen nicht widerspricht.170 Nach diesem Verständnis enthielte das DSU eine eigene Klausel über die Anwendbarkeit von mit den WTO-Übereinkommen konfligierender Verträge, die keinen Rückgriff auf die Vorrangregelungen des allgemeinen Völkerrechts erlaubt. Allerdings erscheint diese Auslegung eher von dem Bestreben getragen zu sein, die Vorrangregelungen des allgemeinen Völkerrechts auszuschließen, als sich am Sinn und Zweck der Vorschriften zu orientieren. Weder Art. 3 Abs. 2 noch Art. 19 Abs. 2 DSU enthalten eine Aussage über das in WTO-Verfahren anwendbare Recht, die Zuständigkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane oder das Verhältnis von WTO-Übereinkommen zu anderen völkerrechtlichen Verträgen oder Vorschriften.171 Vielmehr zeigt die Formulierung, dass die Empfehlungen der Panel und des Appellate Body die Rechte und Pflichten nach den WTO-Übereinkommen weder ergänzen noch einschränken dürfen, die Grenzen auf, die die WTOStreitbeilegungsorgane bei der Auslegung von WTO-Übereinkommen beachten müssen: Die Aufgabe der WTO-Panel und des Appellate Body besteht darin, dass sie das Recht, wie es ist, bestimmen; es aber nicht neu schaffen. Die Erweiterung oder Abänderung der WTO-Verpflichtungen obliegt allein der „Legislative“, d.h. den WTO-Mitgliedstaaten, und ist an bestimmte Verfahrensvoraussetzungen gebunden. Der in Art. 3 Abs. 2 und 167 168 169 170 171

Bartels, JWT 35 (2001), S. 499 (506 f.). Marceau, JWT 35 (2001), 1081 (1103). Marceau, JWT 35 (2001), 1081 (1103). Bartels, JWT 35 (2001), S. 499 (509). Vgl. dazu Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (564 f.).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Art. 19 Abs. 2 DSU beschriebene Grundsatz ist mithin eine Kompetenzbeschränkung, die an sich für Gerichte selbstverständlich ist: Sie dürfen das Recht nur auslegen, es aber nicht verändern. Einen ähnlichen Zweck erfüllt die Formulierung in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut, wonach die Aufgabe des Gerichtshofes in der Entscheidung der ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht besteht. Dies bedeutet nicht, dass der IGH an das Völkerrecht, wie es sich 1945 darstellte, gebunden ist, sondern, wie im Fall South West Africa festgestellt, dass die Aufgabe des IGH darin besteht, das Recht, wie es ist, anzuwenden, und nicht, es zu machen.172 Dementsprechend sind auch die Streitbeilegungsorgane der WTO nicht an das Recht der WTO-Übereinkommen, wie es sich 1994 darstellte, gebunden, sondern sie legen das heute gültige Recht aus. Dies kann zumindest theoretisch auch bedeuten, dass WTO-Normen von anderen Verträgen verdrängt worden sind. Diese Feststellung verändert nicht die Rechte und Pflichten nach den WTO-Übereinkommen, sondern bestimmt lediglich, inwieweit die WTOMitgliedstaaten selbst, die Rechte und Pflichten nach dem WTO-Übereinkommen durch den Abschluss neuer Verträge verändert haben. Dementsprechend finden sich in den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung keine Vorschriften, die die Anwendbarkeit WTO-fremden Rechts beschränken oder Regelungen des allgemeinen Völkerrechts im Verhältnis der WTO-Mitgliedstaaten untereinander ausschließen. Daraus ergibt sich im Gegenschluss die Anwendbarkeit des lex specialis sowie des lex posterior Grundsatzes. Ob diese im materiellrechtlichen Verhältnis zwischen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung Anwendung finden, ist damit keine Frage des anwendbaren Rechts, sondern der materiellrechtlichen Voraussetzungen dieser Grundsätze. b) Materiellrechtliche Voraussetzungen Bei der Frage, inwieweit Vertragskonflikte zwischen WTO-Recht und multilateralen Umweltübereinkommen mit Hilfe der Grundsätze lex posterior und lex specialis gelöst werden können, sind nicht nur die materiellrechtlichen Voraussetzungen diskutiert worden, sondern es werden auch allgemeine Überlegungen angestellt, inwieweit diese Lösungsansätze überhaupt geeignet sind, die vorliegenden Vertragskonflikte aufzulösen. Dass zumindest auch einige Staaten bzw. Staatengruppen, die sowohl Mitglied der WTO als auch Vertragspartei der meisten relevanten Umweltübereinkommen sind, die Lösungsansätze des allgemeinen Völkerrechts für ungeeignet halten, ergibt sich vor allem aus den Positionen der EG und der 172 South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase, 18.7.1966, ICJ Rep. 1966, S. 48.

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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Schweiz im CTE, die während der Diskussion wiederholt den Grundsatz des mutual support von Umweltschutz und freiem Welthandel betont haben.173 Dieser spiegelt sich auch in vielen Umweltübereinkommen wieder, wie etwa in der Präambel des Cartagena-Protokolls, dessen zunächst widersprüchlich wirkende Formulierung dahingehend zu verstehen ist, dass die Vorrangregelungen von lex specialis und lex posterior im Verhältnis von Protokoll und WTO keine Anwendung finden sollen.174 Die These der Ungeeignetheit der Regelungen des allgemeinen Völkerrechts zur Auflösung von Vertragskonflikten darf aber nicht nur auf rechtspolitischen Erwägungen beruhen, sondern sie muss primär bei den materiellrechtlichen Voraussetzungen von lex specialis und lex posterior ansetzen. aa) Lex posterior Auch wenn der Anwendung des Grundsatzes lex posterior im WTORecht und seiner Berücksichtigung im Rahmen der WTO-Streitbeilegung aus institutioneller Sicht nichts entgegensteht, so scheint dieser dennoch grundsätzlich ungeeignet zu sein, Konflikte zwischen multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung, die nicht im Wege der harmonisierenden Auslegung ausgeräumt werden, aufzulösen.175 Dass allein der Zeitpunkt der Verabschiedung eines Vertrags seinen Vorrang begründen soll, stößt insbesondere dann auf Unbehagen, wenn zwei Übereinkommen an der internationalen Regimebildung beteiligt sind und sich ihre Anwendungsbereiche deshalb überschneiden, weil sie den konkreten Sachverhalt von unterschiedlichen Standpunkten aus angehen. „. . . problems that occur in such areas as trade and the environment are not the result of inadvertent overlap between treaty obligations, as if the States concerned had somehow overlooked the fact that they already dealt with the same subject 173 Von der EG im CTE vertretene Position, WT/CTE/W/168, para. 6: „In fact, there is no need for a hierarchy between trade and environmental regimes: both, while focusing on different policy areas, persue the same goal of promoting wellbeing and suistainable development. By preventing inefficient or even potentially confrontional situations and by focusing on their own competencies, the trade and environment regimes are mutually supportative.“ Siehe auch die Position der Schweiz, WT/CTE/139, para. 3: „In focusing on their own task, and competencies, the trade and environmnt regimes are mutually supportive.“ 174 Neumann, Koordination, S. 420. 175 Tarasofsky, YIEL 7 (1996), S. 52 (64); McRae, RdC 260 (1996), S. 99 (191); Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (546); Ruffert, AVR 38 (2000), S. 129 (149 ff.); a. A. Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 61; Qureshi, ICLQ 49 (2000), S. 835 (854); Schultz, World Competition, 18 (1994), S. 77 (104); Hohmann, RIW 2000, S. 88 (89); Spranger, AVR 40 (2002), S. 64 (77 f.); Steinmann/Strack, ZuR 2000, S. 367 (372).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

matter elsewhere. Rather, the conflict between international trade law and international environmental law represents fundamental differences about competing values that often mirror differences within the States themselves over the balance to be achieved between environmental regulation and economic activity. In short, the issue involved in the trade and environmental . . . debate are too fundamental to be resolved by a procedural device designed to deal with inconsistency.“176

Darüber hinaus würde die Anwendung des lex posterior Grundsatzes im Fall der WTO zu überaus absurden, an historische Zufälle anknüpfenden Ergebnissen führen.177 Nimmt man den Vertragsabschluss als maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung, welches der beiden Abkommen das frühere ist, so dürfte das GATT 47, welches gem. Art. II Abs. 4 WTO-Übereinkommen rechtlich vom GATT 94 zu unterschieden ist, im Verhältnis zu multilateralen Übereinkommen immer als der frühere Vertrag anzusehen sein, der im Falle eines Konfliktes verdrängt wird. Demgegenüber würden, abhängig vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses des multilateralen Umweltübereinkommens, die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung wie das SPS- und das TBT-Übereinkommen, aber auch das GATT 94 dem multilateralen Umweltübereinkommen zeitlich nachgehen, da es erst am 15.4.1994 zum Vertragsabschluss kam.178 Ein weiterer, eher allgemeiner Grund, der für die Nichtanwendbarkeit des lex posterior Grundsatzes spricht, hängt mit dem Charakter moderner Völkerrechtsordnungen und der in Art. 30 Abs. 2 WVRK genannten Voraussetzung der aufeinanderfolgenden Verträge zusammen. Viele multilaterale Übereinkommen stellen keine abgeschlossene Regelung dar, sondern entwickeln sich im Laufe der Zeit durch Entscheidungen ihrer Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten und ihrer Streitbeilegungsorgane weiter. Insbesondere im Umweltrecht wird die Tendenz deutlich, zunächst Rahmenvorschriften zu erlassen, welche entweder durch implementierende Verträge oder Entscheidungen der Vertragstaatenkonferenzen konkretisiert werden. So konkretisiert das Cartagena-Protokoll die in Art. 8 lit. g) Biodiversitätskonvention enthaltene Verpflichtung, Mittel zur Regelung, Bewältigung und Kontrolle der Risiken einzuführen oder beizubehalten, die mit der Nutzung und Freisetzung der durch Biotechnologie hervorgebrachten lebenden modifizierten Organismen zusammenhängen. Nimmt man nun an, dass bereits diese Regelung wie auch die des Cartagena-Protokolls im Widerspruch zu den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung stehen, so würden letztere den Bestimmungen der Biodiversitätskonvention als zeitlich spätere vorgehen, während sie als früheres Recht im Verhältnis zum Cartagena-Protokoll verdrängt werden würden. Es erscheint daher gerechtfertigt, bei sich weiter- und fortentwickelnden multilateralen 176 177 178

McRae, RdC 260 (1996), S. 99 (191). Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (546); Hilf, NVwZ 2000, S. 481. Tarasofsky, YIEL 7 (1996), S. 52 (64).

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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Übereinkommen, die Bestandteil der völkerrechtlichen Regimebildung sind, auch dann nicht von aufeinanderfolgenden Verträgen im Sinne des Art. 30 WVRK zu sprechen, wenn anhand des Vertragsabschlusses eindeutig festgestellt werden kann, welcher Vertrag der zeitlich frühere ist, sondern diese als sich entwickelnde Übereinkommen, sog. continuing treaties zu bezeichnen.179 Die daraus resultierende Nichtanwendung des lex posterior Grundsatzes wird wegen der ansonsten bestehenden Beliebigkeit der Ergebnisse dem im Regelungsgehalt der Übereinkommen zum Ausdruck kommenden Willen der Vertragsparteien viel eher gerecht. Daneben stellt sich im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 30 Abs. 3 und 4 WVRK die Frage, inwieweit überhaupt die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Da in den allermeisten Fällen nicht alle Mitgliedstaaten der WTO auch Vertragsstaaten der relevanten Umweltübereinkommen sind, bestimmt sich die Anwendbarkeit des lex posterior Grundsatzes nach Art. 30 Abs. 4 WVRK. Der frühere Vertrag – seien es nun die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung oder aber die vor 1994 abgeschlossenen multilateralen Umweltübereinkommen – muss mithin grundsätzlich eine Bilateralisierung der in ihm enthaltenen Vertragspflichten zulassen.180 Auch wenn sowohl das GATT 47 als auch die heute im Rahmen der WTO geltenden Übereinkommen auf dem Grundsatz der Reziprozität basieren,181 aufgrund dessen eine Bilateralisierung der Vertragspflichten nur konsequent erscheint, so ist die Auffassung, dass sich die Verpflichtungen aus den WTO-Übereinkommen in reziproke Erfüllungsstrukturen aufspalten lassen, dennoch mit dem heutigen Stand des Völkerrechts nicht vereinbar.182 Zum einen spricht der Verfassungscharakter des WTO-Übereinkommens gegen eine Bilateralisierungsmöglichkeit, da wesentliches Element einer Verfassung nicht der Grundsatz der Gegenseitigkeit, sondern die von der Gegenseitigkeit losgelöste, verobjektivierte Verpflichtung aller ist.183 Zum anderen stehen auch 179 Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (546); zur Ungeeignetheit der lex posterior Regel im Kontext Umweltschutz – freier Welthandel siehe auch Neumann, Koordination, S. 90. 180 Vgl. oben 2. Teil A. I. 2. 181 Überblick bei Senti, WTO, S. 200 ff. 182 Ausführlich Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 293 ff.; zur Bilateralisierungsmöglichkeit der Vertragsbeziehungen der WTO-Mitgliedstaaten siehe unten 2. Teil A. II. 4. im Rahmen der Diskussion über die Möglichkeit des Abschlusses von inter-se Vereinbarungen. 183 Zur Verfassungsfunktion internationaler Übereinkommen und damit auch der WTO-Rechtsordnung siehe Petersmann, Nortwestern J. Int’l L B. 17 (1996/97), S. 398 (405): „. . . most worldwide international agreements (such as GATT and the WTO Agreement) serve ,constitutional functions‘ by protecting freedom, non-discrimination, rule of law and judicial protection of individual rights across frontiers.“ Einen Überblick über die Verfassungsfunktion des WTO- und GATT-Rechts sowie

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

praktische Erwägungen einer Bilateralisierung der Vertragsverpflichtungen im Rahmen der WTO-Rechtsordnung entgegen. So haben auch Übereinkommen, welche lediglich den Handel zwischen zwei Staaten beschränken, wegen der Verflechtung der Weltwirtschaft Auswirkungen auf Drittstaaten.184 Auch bei den multilateralen Umweltübereinkommen scheint eine Bilateralisierung der Vertragsverpflichtungen zwar rechtssystematisch möglich, aber mit dem Sinn und Zweck der Übereinkommen unvereinbar zu sein.185 Bestimmt ein multilaterales Umweltübereinkommen, dass es zur Durchsetzung seiner Ziele notwendig ist, den Handel in einem bestimmten Umfang zu beschränken, so würde ein davon abweichendes Übereinkommen, welches ein ebensolches Verhalten verbietet, dem mit der Handelsbeschränkung verfolgten Ziel und damit dem Vertragsziel des Übereinkommens widersprechen. Eine Bilateralisierung der Vertragsverpflichtungen ist in einem solchen Fall prinzipiell unzulässig. Dies entspricht dem allgemeinen Ansatz u. a. die WTO-Rechtsordnung und die multilateralen Umweltübereinkommen als völkerrechtliche Subsysteme eines einheitlichen Systems zu verstehen, die für ihren Anwendungsbereich einen einheitlichen Ordnungsansatz verfolgen und der Umsetzung eines völkerrechtlichen Gemeinschaftsgutes dienen.186 Von diesem Standpunkt aus erscheint es als selbstverständlich, dass weder das Subsystem, das dem Gemeinschaftsgut freier Welthandel dient, noch das Subsystem, das das Gemeinschaftsgut Umwelt- und Gesundheitsschutz zum Gegenstand hat, deshalb keine Anwendung finden soll, weil die im Rahmen dieser Subsysteme bestehenden Übereinkommen zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgeschlossen wurden. die dazu in der Völkerrechtsliteratur vertretenen Ansätze gibt Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des WTO-Rechts, S. 161 ff. 184 Vereinbaren zwei Staaten ein grundsätzliches Importverbot für Lebensmittel, die z. B. gentechnisch verändertes Getreide enthalten, so werden die in den Staaten ansässigen Produzenten und Landwirte kein dementsprechendes Saatgut mehr verwenden. Dies hat für die Hersteller gentechnisch veränderten Saatgutes aus Drittländern zur Folge, dass ihnen in den Staaten die bis dahin bestehenden Absatzmärkte einbrechen. 185 Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 71; Fitzmaurice, ILC Yearbook, vol. II, S. 20 (44). 186 Für die WTO siehe Tietje, Duty to Cooperate in International Economic Law, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 45 (46 f.): „The WTO . . . is thus not only concerned with the development of individual State interests . . . but also with the development of an autonomous global public good as such.“ Auch internationale Übereinkommen zum Schutze der Umwelt dienen in dem Sinne der Umsetzung eines internationalen Gemeinschaftsguts, als dass damit diejenigen Umweltgüter beschrieben werden, an denen ein besonderes internationales Interesse besteht, da ihr Schutz nicht durch die Staaten allein bewerkstelligt werden kann. Zum unterschiedlichen Verständnis des Begriffs „internationale Gemeinschaftsgüter“ im internationalen Umweltrecht siehe Durner, Common Goods, S. 17 f.

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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bb) Lex specialis Die grundsätzlichen Bedenken gegen die Anwendbarkeit des lex posterior Grundsatzes gelten zumindest partiell auch für den Ansatz lex specialis im Verhältnis von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung. Geht man davon aus, dass beide Subsysteme dem Schutz anerkannter Gemeinschaftsgüter der Völkerrechtsordnung dienen, so erscheint es widersinnig, dass der Schutz eines der beiden Güter gegenüber dem jeweils anderen spezieller sein soll.187 Darüber hinaus existiert das grundsätzliche Problem, dass es bis heute keine allgemein anerkannten Kriterien gibt, anhand derer die Spezialität eines Übereinkommens bestimmt werden kann.188 Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, den Vertrag, welcher in Bezug auf einen Sachverhalt die detaillierteren Vorschriften enthält, als spezieller anzusehen.189 Dieser Ansatz führt aber in Zeiten von sich weiterund fortentwickelnden Übereinkommen zu fast unsinning zu nennenden Ergebnissen. Während das WTO-Recht im Verhältnis zur Biodiversitätskonvention in Bezug auf die Rechtmäßigkeit von Handelsbeschränkungen für GVO-haltige Produkte die sehr viel detaillierteren Bestimmungen enthält, dürfte sich diese Einschätzung im Verhältnis von Cartagena-Protokoll und WTO-Rechtsordnung insbesondere in Bezug auf die Art und Weise der Durchführung einer Risikobewertung wieder umkehren. Damit würde das Cartagena-Protokoll, welches lediglich Bestimmungen der Biodiversitätskonvention konkretisiert, gegenüber dem WTO-Recht die spezielleren Bestimmungen enthalten, während die Biodiversitätskonvention, die dasselbe Schutzziel zu erreichen sucht wie das Cartagena-Protokoll, im Verhältnis zum WTO-Recht das allgemeinere Übereinkommen ist. Dementsprechend kann die Detailliertheit einer Regelung kein maßgebliches Kriterium für die Bestimmung der Spezialität sein. Auch die im Rahmen des CTE geäußerte und allgemein anerkannte Aufgabenverteilung zwischen WTO und Umweltübereinkommen bietet keinen Anhaltspunkt. Zwar hat die WTO anerkannt, dass Umweltübereinkommen und nicht die WTO das geeignete Forum zur Regelung des internationalen Umweltschutzes darstellen, trotzdem bleibt die WTO primär zuständige Organisation für die Gewährleistung eines freien Welthandels.190 Demzufolge 187

Hilf, NVwZ 2000, S. 481. Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 223. 189 So Burchardi, ZLR 2001, S. 83 (96 f.) für das Verhältnis von Risikobewertung nach dem SPS-Übereinkommen und Cartagena-Protokoll. 190 CTE Report 1996, WT/CTE/1, para. 8: „MEAs based on international consensus are viewed by the international community as the best way of coordinating policy action to tackle global and transboundary problems cooperatively. The WTO has no competence in the area of environmental matters per se, but it is concerned 188

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

sind Umweltübereinkommen zwar gegenüber der WTO im Hinblick auf den Umweltschutz spezieller. Enthalten sie aber die Freiheit des Welthandels beeinträchtigende Regelungen, so können sie für diesen Bereich nicht als lex specialis angesehen werden, da dies nicht in ihren primären Aufgabenbereich fällt. Die Bestimmung der Spezialität wäre dann abhängig von der jeweiligen Position des Betrachters und seinen subjektiven Einschätzungen.191 Dass diese aber kein maßgebliches Kriterium sein können, ist selbstverständlich, da es ansonsten zu einer absoluten Beliebigkeit in der Anwendung des lex specialis Grundsatzes kommen würde. Dass die Anwendbarkeit des lex specialis Grundsatzes zur Lösung des materiellrechtlichen Verhältnisses von WTO-Recht und Umweltrecht beitragen kann, ist daher äußerst fraglich. Er ist, ebenso wie der lex posterior Grundsatz, für die Vereinbarkeit verschiedener Zielvorstellungen, die in den jeweiligen Verträgen zum Ausdruck kommen, wenig hilfreich und stellt keine adäquate, dem Parteiwillen entsprechende Lösung dar.192 4. Abschluss von inter-se Vereinbarungen Zumindest theoretisch denkbar ist auch die Einordnung von multilateralen Unweltübereinkommen, die das ausdrückliche Ziel der Regelung des internationalen Handels mit umweltgefährdenden Stoffen verfolgen, als inter-se Vereinbarungen der daran beteiligten Staaten im Verhältnis zu den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung. Das hätte im Hinblick auf den with trade measures applied pursuant to MEAs which can effect WTO Members’ rights and obligations.“ 191 Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 223; dagegen will Hohmann, RIW 2000, S. 88 (96), multilaterale Umweltübereinkommen dann als speziellere Regelung ansehen, wenn sie eine verhältnismäßige Abwägung zwischen den Freihandels- und Umweltschutzinteressen anordnen. Allerdings hilft dieser Ansatz nicht weiter, da auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit zur Bestimmung der Spezialität einer Vorschrift von den jeweils subjektiven Einschätzungen des Einzelnen abhängt. Außerdem ließe sich vortrefflich über die Grundannahme, die dem Ansatz von Hohmann zu Grunde liegt, streiten: Wenn Umweltübereinkommen mit verhältnismäßiger Abwägung vorgehen, dann bedeutet das, dass die WTO-Übereinkommen keine verhältnismäßige Abwägung zwischen Umweltschutz und Freihandel vornehmen. Die Aufrechterhaltung dieser These in Anbetracht der Entscheidung des Appellate Body in U.S. – Shrimp erscheint durchaus fraglich, vgl. dazu unten 2. Teil B. I. 1. b). Außerdem könnte allein in der Regelung des Art. XX GATT ein Ansatz zur verhältnismäßigen Abwägung von Umweltschutz und Freihandel erblickt werden. Der Standpunkt von Hohmann ist wenig praktikabel, was u. a. auch dadurch verdeutlicht wird, dass die Übereinkommen jeweils für sich in Anspruch nehmen dürften, die spezielleren Vorschriften zu enthalten; vgl. Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (481). 192 Zu Ungeeignetheit des lex specialis Ansatzes siehe auch Neumann, Koordination, S. 86 ff.

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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Untersuchungsgegenstand zur Konsequenz, dass die WTO-Übereinkommen im Falle der Anwendbarkeit des fraglichen Umweltübereinkommens im Verhältnis der Staaten, die sowohl Vertragsstaat des Umweltübereinkommens als auch Mitglieder der WTO sind, verdrängt werden. Davon wären auch die Vorschriften über die Streitbeilegung erfasst, so dass eine Parallelität der darin vorgesehenen Verfahren nicht möglich wäre. Allerdings erscheint es – wie bereits angedeutet – mehr als fraglich zu sein, ob inter-se Vereinbarungen zu den WTO-Übereinkommen überhaupt rechtlich zulässig sind.193 Erste Voraussetzung für den Abschluss von interse Übereinkommen, an denen nicht alle Vertragsparteien des früheren Übereinkommens beteiligt sind, ist gem. Art. 41 Abs. 1 lit. b) i) WVRK die Möglichkeit, die Bestimmungen des multilateralen Übereinkommens in bilaterale und damit auf dem Prinzip der Reziprozität basierende Vertragsverpflichtungen aufzuspalten.194 Aus der Tatsache, dass der Grundsatz der Gegenseitigkeit eines der wesentlichen Strukturprinzipien des GATT und der WTO insgesamt sei, ist folglich auch die Schlussfolgerung der grundsätzlichen Zulässigkeit von inter-se Vereinbarungen geschlossen worden. „. . . since most WTO rights and obligations can be reduced in theory to reciprocal rights and obligations as between two WTO members, it is difficult to see how inter-se modifications that are not prohibited by the WTO treaty itself could nevertheless prejudice ,the effective execution of the object and purpose of the treaty as a whole.“195

Allerdings scheint dieser Auffassung ein grundsätzlich falsches Verständnis der Reziprozität im WTO-Recht zu Grunde zuliegen. Auch wenn man Gegenseitigkeit als prinzipielles Leitmotiv in den internationalen Beziehungen und damit im Völkerrecht begreifen will,196 so ist doch der rechtliche Gehalt dieses Grundsatzes weniger eindeutig.197 Zieht man den Grundsatz der Reziprozität also im Rahmen juristischer Argumentation heran, so bedarf es zunächst der genauen Festlegung, welcher Aussagewert diesem im konkreten Fall zukommt. Grundsätzlich ist strikt zwischen der Reziprozität beim Aushandeln völkerrechtlicher Verträge und bei deren Durchführung zu trennen. Während 193

Siehe oben 2. Teil A. II. 3. b) aa). Feist, Multilaterale Verträge, S. 196. 195 Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (549); zumindest die Zulässigkeit von inter-se Auslegungen aufgrund der bipolaren Struktur des WTO-Rechts bejahend Neumann, Koordination, S. 377 ff.; siehe auch ders., ZaöRV 61 (2001), S. 529 (539). 196 Simma in: EPIL IV, S. 29 (29 f.). 197 Nach Simma, Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, S. 49, handelt es sich nicht um einen normativen, sondern um einen deskriptiven Begriff, der zwar vielseitig brauchbar ist, aber per se keinerlei materiellen Aussagewert aufweist. 194

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

die Verhandlungen eines Vertrages qua Natur der Sache auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhen – denn schließlich übernimmt ein Staat die Verpflichtungen nur als Äquivalent für die Vertragsverpflichtungen des anderen Teils – kann daraus noch nicht auf den reziproken Charakter des Vertrages bezüglich seiner Durchführung geschlossen werden.198 Diese Differenzierung ist für die Frage der Zulässigkeit von inter-se Vereinbarungen entscheidend, da sie von der Bilateralisierungsmöglichkeit der vertraglichen Verpflichtungen bei der Durchführung des Vertrages abhängig ist. Die Reziprozität bei der Aushandlung von Verträgen ist damit irrelevant. Entscheidend ist vielmehr, ob die WTO-Rechtsordnung auch bei der Durchführung der Übereinkommen auf diesem Grundsatz beruht. Zunächst ist festzustellen, dass eine grundsätzliche Aussage über den reziproken Charakter bei der Durchführung aller WTO-Übereinkommen nicht möglich ist.199 So dürfte das WTO-Übereinkommen als das die internationale Organisation errichtende und dessen institutionellen Grundlagen und Organisationsfragen enthaltende Übereinkommen wohl kaum auf der Basis der reziproken Durchführung basieren.200 Lediglich den multilateralen Handelsübereinkommen könnte man einen solchen Charakter zusprechen.201 Dieser Annahme widersprechen allerdings die folgenden Überlegungen: Zum einen ist nicht die Reziprozität, sondern der Grundsatz der Meistbegünstigung konstitutives Element der WTO-Rechtsordnung, der zu einer Multilateralisierung der bilateral ausgehandelten Zugeständnisse führt.202 Zum anderen zeichnet sich im Rahmen der WTO-Streitbeilegungsverfahren ein Abweichen vom Erfordernis der subjektiven Betroffenheit ab.203 Dementsprechend müssen Staaten im Verfahren nicht nachweisen, dass sie durch das vermeintlich WTO-widrige Verhalten eines anderen Vertragsstaates einen tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteil erlitten haben,204 so dass in diesem Zusammenhang von der Anerkennung einer actio popularis im Rahmen der WTO-Streitbeilegung gesprochen werden kann.205 Diese setzt aber voraus, dass allen Staaten ein Interesse an der Einhaltung der WTO-Über198

Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 290 f. Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 295. 200 Zum grundsätzlich nicht reziproken Charakter von Satzungen internationaler Organisationen siehe Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 15; Klein, Statusverträge, S. 182 ff. 201 Neumann, Koordination, S. 378. 202 Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des WTO-Rechts, S. 44; zur Bedeutung des Meistbegünstigungsprinzips siehe auch Senti, WTO, S. 159 ff. 203 Hermes, TRIPS im Gemeinschaftsrecht, S. 296. 204 Iwasawa, JIEL 5 (2002), S. 287 (287): „A WTO member can bring a complaint to the WTO, even if it has suffered no injury in a concrete and material sense.“ 205 Siehe dazu ausführlich Tietje, Nichttarifäre Handelshemmnisse, S. 163 ff. 199

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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einkommen zuerkannt wird. Logische Konsequenz daraus ist die Überwindung des Dogmas der Reziprozität bei der Durchführung der multilateralen Handelsübereinkommen. Ein weiteres Argument gegen die Zulässigkeit von inter-se Vereinbarungen zu den WTO-Übereinkommen sind die expliziten Änderungsvorschriften in Art. X WTO-Übereinkommen sowie die begrenzte Zulässigkeit von Freihandelszonen nach Art. XXIV GATT. E contrario lassen diese Bestimmungen den Schluss zu, dass eine Änderung der Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung nur nach dem darin vorgesehenen Verfahren zulässig ist und eben nicht durch inter-se Vereinbarungen. Außerdem dürfen regionale Freihandelszonen nur dann gegründet werden, wenn sie auf denselben Grundprinzipien wie die WTO-Rechtsordnung basieren und zu keiner Erschwerung des Handels für Drittstaaten führen. Auch diese Beschränkung spricht gegen die Zulässigkeit von modifizierenden, sich handelsbeschränkend auswirkenden Abkommen. Des Weiteren verstoßen inter-se Vereinbarungen, welche Handelsbeschränkungen in einem höheren Maße zulassen als die WTO-Übereinkommen, gegen die in Art. 41 Abs. 1 lit. b) ii) WVRK niedergelegte Voraussetzung, dass modifizierende Verträge sich nicht auf Vorschriften beziehen dürfen, von denen abzuweichen mit den Zielen und Zweck des ursprünglichen Übereinkommens unvereinbar ist.206 Ein Mehr an Handelsbeschränkungen bedeutet gleichzeitig eine Einschränkung des prinzipiellen Verbots der mengenmäßigen Beschränkung. Je nach Ausprägung kann dies im Widerspruch zum Meistbegünstigungsgrundsatz und dem Prinzip der Inländergleichbehandlung stehen. Diese drei Prinzipien sind jedoch die Grundpfeiler eines freien Welthandels, und gerade sie sollen durch die WTO-Rechtsordnung mit den jeweiligen Einschränkungsmöglichkeiten geschützt werden.207 Außerdem soll durch die einschränkende Voraussetzung der Zulässigkeit von inter-se Vereinbarungen in Art. 41 Abs. 1 lit. b) ii) WVRK ein prinzipielles Derogationsverbot für Verträge errichtet werden, in denen das Interesse der Völkerrechtsgemeinschaft an einer einheitlichen Rechtslage die Interessen der jeweiligen Vertragsstaaten, von diesen Bestimmungen abzuweichen, übersteigt. Dies gilt insbesondere für Verträge, deren Sinn darin liegt, einen Bereich des Völkerrechts mit Anspruch auf universelle Geltung zu kodifizieren.208 Ebendieses Ziel wurde mit der Errichtung der WTO in Bezug auf das internationale Handelsrecht verfolgt,209 so dass sich daraus 206

Siehe oben 2. Teil A. I. 2. Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des WTO-Rechts, S. 44. 208 Hudson, AJIL 24 (1930), S. 447 (461). 209 Ein Grund für das Fehlschlagen des GATT 47 war dessen einsetzende Fragmentierung; vgl. Beise, WTO, S. 57. Eine solche Rechtsentwicklung sollte durch den in der Organisationsstruktur zum Ausdruck kommenden single undertaking 207

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

konsequenterweise nur die Unzulässigkeit von inter-se Vereinbarungen ergeben kann. Konsequenz der Unzulässigkeit von modifizierenden Übereinkommen ist, dass auch dadurch nicht der Anwendungsvorrang von multilateralen Umweltübereinkommen gegenüber der WTO-Rechtsordnung begründet werden kann, so dass aufgrund der prinzipiellen parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen auch deren Streitbeilegungsvorschriften nebeneinander bestehen bleiben. Eine umweltpolitisch motivierte Handelsbeschränkung, die zur Umsetzung der mit einem Umweltübereinkommen verfolgten Ziele erlassen wird, kann damit sowohl im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens der WTO als auch nach dem im Umweltübereinkommen vorgesehenen Verfahren beigelegt werden.

III. Parallele Anwendbarkeit im Verhältnis von SRÜ und regionalen Übereinkommen Auch im Rahmen der Untersuchung, inwieweit es sich bei der MOX Plant-Streitigkeit und dem SBT-Fall um Zuständigkeitskonflikte handelt, bedarf es zunächst der Feststellung der parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen. Dass die parallele Anwendbarkeit der den Streitigkeiten zu Grunde liegenden Übereinkommen Schwierigkeiten aufwirft, mag insoweit erstaunen, als dass es sich um Übereinkommen desselben Sachbereichs handelt, so dass ein Konflikt zwischen den beiden eher unwahrscheinlich erscheint. Dennoch hat Japan im SBT-Fall argumentiert, dass die Streitigkeit allein in den Anwendungsbereich der CCSBT und nicht in den des SRÜ falle, da lediglich ersteres für die Streitigkeit entscheidungserheblich sei. Dementsprechend sei auch lediglich die Streitbeilegungsvorschrift der CCSBT einschlägig und nicht das SRÜ-Verfahren nach Teil XV SRÜ.210 Als Begründung für diese Position führt Japan aus, dass alle Mitgliedstaaten der CCSBT erst nach In-Kraft-Treten derselben auch Vertragsstaaten des SRÜ geworden seien. Das zeitlich nachfolgende In-Kraft-Treten des SRÜ im Verhältnis von Japan, Australien und Neuseeland könne aber nicht eine Intensivierung der Vertragspflichten in Bezug auf Maßnahmen zur Nutapproach vermieden werden, Jackson, World Trading System, S. 47. Auch in der Präambel des WTO-Übereinkommens kommt das Ziel der Einheitlichkeit des internationalen Handelsrechts zum Ausdruck: „to develop an integrated, more viable and durable multilateral trading system“. Dieses Ziel kann aber nur dann erreicht werden, wenn man eine Fragmentierung des WTO-Rechts in größtmöglichem Umfang vermeidet. 210 Für die Position Japans siehe SBT-Schiedsgericht, para. 38, ILM 39 (2000), S. 1359 (1376 ff.) sowie die Zusammenfassung bei Romano, ODIL 32 (2001), S. 313 (327 f.).

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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zung und Erhaltung der SBT-Bestände zur Folge haben. Diese Fragen werden alleine durch die CCSBT geregelt.211 Aber selbst wenn die Streitigkeit doch in den Anwendungsbereich des SRÜ falle, so gehe die CCSBT dem SRÜ als späteres Übereinkommen aufgrund des lex posterior Prinzips vor, da das SRÜ bereits 1982 verabschiedet worden war, während Australien, Neuseeland und Japan die CCSBT erst 1993 aushandelten.212 Darüber hinaus sei das SRÜ als ein Rahmenübereinkommen lex generali gegenüber der CCSBT, so dass letztere auch wegen des Grundsatzes lex specialis Vorrang gegenüber dem SRÜ habe.213 Allerdings ist die japanische Argumentation in Bezug auf den Vorrang der CCSBT in keiner Weise überzeugend. Der These, dass allein die CCSBT die für die Streitigkeit entscheidungserheblichen Normen enthalte und von daher nicht in den Anwendungsbereich des SRÜ falle, ist die Tatsache entgegenzuhalten, dass es im Vergleich zur CCSBT weitergehende Rechte und Pflichten enthält.214 So müssen die SRÜ Vertragsstaaten gem. Art. 117 SRÜ unabhängig vom Verhalten dritter Staaten in Bezug auf die eigenen Staatsangehörigen alle erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung der lebenden Ressourcen der Hohen See ergreifen. Darüber hinaus dürfen die Fischer anderer Staaten durch getroffene Erhaltungsmaßnahmen eines Staates und deren Anwendung weder rechtlich noch tatsächlich diskriminiert werden (Art. 119 Abs. 3 SRÜ). Solche Verpflichtungen sind in der CCSBT nicht enthalten. Konsequenterweise müssen sie dann aber im Verhältnis der CCSBT Vertragsstaaten auch dann anwendbar bleiben, wenn entweder keine Fangquoten vereinbart bzw. jegliche Form kooperativen Zusammenarbeitens im institutionellen Rahmen der CCSBT zusammengebrochen ist. Dementsprechend hat das SBT Schiedsgericht ausgeführt: „. . . it is a commonplace of international law and State practice for more than one treaty to bear upon a particular dispute. There is no reason why a given act of a State may not violate its obligations under more than one treaty. There is frequently a parallelism of treaties, both in their substantive content and in their provisions for settlement of disputes arising thereunder.“215

Eine Verdrängung des SRÜ ist aus diesen Gründen abzulehnen. Ein weiterer Grund, der für eine parallele Anwendung der Übereinkommen spricht, ist der Charakter des SRÜ als „Verfassung der Meere“.216 Das SRÜ enthält nicht nur eine lediglich formelle Kooperationsverpflichtung im Sinne eines Tätigwerdens, sondern gibt auch bestimmte materielle Voraussetzungen vor, 211 212 213 214 215 216

SBT-Schiedsgericht, para. 38 (b), ILM 39 (2000), S. 1359 (1376). SBT-Schiedsgericht, para. 38 (c), ILM 39 (2000), S. 1359 (1376 f.). SBT-Schiedsgericht, para. 38 (c), ILM 39 (2000), S. 1359 (1376 f.). SBT-Schiedsgericht, para. 52, ILM 39 (2000), S. 1359 (1388). SBT-Schiedsgericht, para. 52, ILM 39 (2000), S. 1359 (1387 f.). Röben, ZaöRV 62 (2002), S. 61 (67 f.).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

die von den Vertragsstaaten bei der Erfüllung der Kooperationsverpflichtung beachtet werden müssen, wie etwa das Verbot der Diskriminierung. Vereinbaren SRÜ-Vertragsstaaten nun, ihrer Kooperationsverpflichtung dadurch nachzukommen, dass sie die weitere Zusammenarbeit im Rahmen regionaler Übereinkommen institutionalisieren, so müssen sie dabei die vom SRÜ vorgegebenen materiellen Voraussetzungen beachten. Enthält eine solches Übereinkommen aber lediglich Regelungen über das weitere Prozedere der Kooperation, wie etwa die CCSBT, so müssen die materiellrechtlichen Voraussetzungen des SRÜ bei der Ausgestaltung der Kooperation als Maßstab dafür anwendbar bleiben, ob es im Rahmen der institutionalisierten Zusammenarbeit zu einer die Vorgaben des SRÜ einhaltenden Kooperation gekommen ist.217 Alles andere wäre mit dem Sinn und Zweck der durch das SRÜ vorgegebenen Rahmenverpflichtungen unvereinbar, welche die weitere Konkretisierung auf regionaler Ebene sichern und die Abweichung davon vermeiden sollen.218 Eine Verdrängung des SRÜ durch die CCSBT als lex posterior und lex specialis kommt auch mangels eines Vertragskonflikts zwischen den Übereinkommen nicht in Betracht.219 Ein Konflikt existiert nur dann, wenn eines der Übereinkommen ein Verhalten entweder ausdrücklich gebietet oder erlaubt, das das andere Übereinkommen verbietet.220 Zwar finden sich in Art. 117 und 119 SRÜ Verpflichtungen, die in der CCSBT nicht enthalten sind.221 Dies allein begründet aber noch keinen Konflikt, da die CCSBT weder ein Gebot noch eine ausdrückliche Erlaubnis enthält, sich entgegengesetzt zu den durch das SRÜ statuierten Pflichten zu verhalten. Eine Verdrängung des SRÜ durch die CCSBT kann also nur dann erfolgen, wenn es sich dabei um eine inter-se Vereinbarung zwischen Japan, Australien und Neuseeland handelt. Das SRÜ lässt eine solche Vereinbarung gem. Art. 311 Abs. 3 SRÜ grundsätzlich unter den Voraussetzungen zu, dass sie sich nicht 217 Oxman, AJIL 95 (2001), S. 277 (289): „Since the provisions of the LOS Convention regarding high seas fisheries rely on regional and other agreements and organizations to establish specific conservation and management measures, it appears that a significant reason for including . . . compulsory juridiction over high seas fishing was to afford states a means to ensure compliance with the Convention’s underlying conservation and management norms when the political process deadlocks.“ Zum Charakter CCSBT als die Verpflichtung des SRÜ konkretisierendes Übereinkommen im Sinne des Art. 64 SRÜ siehe die Position Neuseelands und Australiens, SBT-Schiedsgericht, para. 41 (h), ILM 39 (2000), S. 1359 (1382 f.); Tanaka, JAIL 44 (2001), S. 9 (29); Churchill/Lowe, The Law of the Sea, S. 313 f. 218 Siehe auch Romano, ODIL 32 (2001), S. 313 (335). 219 Von Neuseeland und Australien im SBT-Verfahren vertretene Position; siehe SBT Schiedsgericht, para. 41 (h) ILM 39 (2000), S. 1359 (1383). 220 Siehe dazu oben 2. Teil A. I. 1. 221 SBT-Schiedsgericht, para. 52, ILM 39 (2000), S. 1359 (1387 f.).

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

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auf eine Bestimmung des SRÜ bezieht, von der abzuweichen mit der Verwirklichung von Ziel und Zweck des Übereinkommens unvereinbar ist, und dass sie nicht die Anwendung der wesentlichen Grundsätze des SRÜ beeinträchtigt. Entscheidend dafür, ob es sich bei der CCSBT um eine inter-se Vereinbarung handelt, die diesen Voraussetzungen genügt, ist die Frage, ob die in der CCSBT nicht enthaltenen Verpflichtungen der Art. 117 und 119 SRÜ Bestimmungen darstellen, von denen abzuweichen den Sinn und Zweck des SRÜ beeinträchtigt, oder ob sie zu den Grundsätzen des SRÜ gehören. Die allgemeine Verpflichtung zur regionalen Zusammenarbeit, um die prinzipienartigen Vorgaben des SRÜ zu konkretisieren, gehört unbestreitbar zu den Grundsätzen des SRÜ.222 Es erscheint von daher auch plausibel, die näheren diesbezüglichen Vorgaben des Übereinkommens zu diesen Grundsätzen zu zählen, so dass dem SRÜ tatsächlich eine Verfassungsfunktion in dem Sinne zukommt, dass es grundsätzliche Prinzipien statuiert, von denen abzuweichen den Vertragsstaaten untersagt ist.223 Darüber hinaus ergibt sich aus der CCSBT selbst kein Hinweis darauf, dass die Vertragsstaaten diese als eine inter-se Vereinbarung verstehen wollen. Denn zum einen nehmen die Vertragsstaaten in der für die Auslegung relevanten Präambel den Abschluss des SRÜ ausdrücklich zur Kenntnis und zum anderen bestimmt Art. 4 des Übereinkommens: „Nothing in this Convention . . . shall be deemed to prejudice the positions or views of any Party with respect to its rights and obligations under treaties and other international agreements to which it is party . . .“

Aus dieser Formulierung lässt sich entnehmen, dass etwaige Pflichten der Vertragsstaaten durch die CCSBT unberührt bleiben. Das gilt genauso für das SRÜ. Damit ist auch die These, dass es sich bei der CCSBT um eine von den Verpflichtungen des SRÜ abweichende inter-se Vereinbarung handelt, nicht haltbar. Vielmehr ist das SRÜ nicht nur neben der CCSBT parallel anwendbar, sondern die Kooperation im Rahmen der CCSBT ist darüber hinaus am Maßstab der im SRÜ enthaltenen Kooperationsverpflichtungen zu messen.224 Dies gilt nicht nur im Verhältnis von SRÜ und CCSBT im SBT-Fall, sondern auch im Verhältnis von SRÜ und OSPAR-Überein222 Vgl. ISGH, MOX Plant, Seperate Opinion Judge Wolfrum, ILM 41 (2002), S. 426 (428): „The obligation to co-operate with other States whose interests may be affected is a ,Grundnorm‘ of . . . the Convention as of international customary law for the protection of the environment.“ 223 Zur Verfassungsfunktion des SRÜ im Hinblick auf nicht derogierbare Vorgaben im Bereich regionaler Kooperation sowie der damit einhergehenden Hierarchisierung des Verhältnisses von SRÜ und regionalen Übereinkommen siehe Röben, ZaöRV 62 (2002), S. 61 (68 f.) sowie Oxman, AJIL 95 (2001), S. 277 (279): „. . . the LOS Convention stands at the heart of the public order of the oceans . . .“. 224 Romano, ODIL 32 (2001), S. 313 (335).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

kommen in der MOX Plant-Streitigkeit, in der Großbritannien den Vorrang des SRÜ bezeichnenderweise schon nicht mehr geltend gemacht hat.

IV. Parallele Anwendbarkeit von Übereinkommen zum Schutze der Menschenrechte Auch wenn die diversen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte in ihrer Gesamtheit in Konkurrenz zueinander stehen, so hat diese Konkurrenz keine Auswirkungen auf die parallele Anwendbarkeit der Übereinkommen. Denn wie Wilting umfassend nachgewiesen hat enthalten einige der Übereinkommen zwar Vorschriften, die das Konkurrenzverhältnis der Übereinkommen zueinander regeln. Dabei handelt es sich jedoch grundsätzlich um sog. Vereinbarkeitsklauseln, die die parallele Anwendbarkeit der Übereinkommen sicherstellen, um so einen möglichst umfassenden Schutz des Einzelnen zu gewährleisten.225 Die Gefahr einer Kollision der Übereinkommen besteht prinzipiell nicht, da zwar einzelne in Bezug auf die jeweiligen menschenrechtlichen Verbürgungen einen weitergehenden Schutz garantieren können.226 Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Vertragskollision.227 Vielmehr verbessert es den Schutz des Einzelnen aufgrund der kumulativen Anwendung der Übereinkommen.

V. Parallele Anwendbarkeit der WTO-Übereinkommen und NAFTA Im Grunde steht einer parallelen Anwendbarkeit von NAFTA und den WTO-Übereinkommen nichts im Wege. Denn die NAFTA-Vertragsstaaten bekräftigen gem. Art. 103 Abs. 1 NAFTA die im Rahmen des GATT und anderer Übereinkommen bestehenden Rechte im Verhältnis zueinander. Allerdings ist die parallele Anwendbarkeit nur solange unproblematisch, wie es nicht zu einem Vertragskonflikt zwischen den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung und dem NAFTA kommt. Denn für einen solchen Fall postuliert Art. 103 Abs. 2 NAFTA den grundsätzlichen Vorrang vor allen anderen Übereinkommen, es sei denn, dass das NAFTA selbst eine davon abweichende Regelung enthält. Auch wenn der Wortlaut des Art. 103 225

Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 233. Vgl. dazu die Ausführungen von Wilting, Vertragskonkurrenz, S. 131 ff., in Bezug auf die unterschiedliche Gewährleistung des Rechts auf Leben, der einzelnen Aspekte der Koalitionsfreiheit, des Rechts auf Arbeit, der Freizügigkeit und des Ausweisungsschutzes von Arbeitnehmern, des Rechts auf Achtung des Familienlebens, des Rechts auf soziale Sicherheit sowie der Nicht-Diskriminierung in den diversen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte. 227 Siehe oben 2. Teil A. I. 1. 226

A. Zuständigkeitskonkurrenzen

225

Abs. 2 NAFTA an sich eindeutig ist, so bestehen bei genauerer Betrachtung zwei grundsätzliche Probleme. Zunächst stellt sich die Frage, ob sich die Vorrangregelung des Abs. 2 überhaupt auf die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung beziehen kann.228 Denn Abs. 2 muss im Zusammenhang mit Art. 103 Abs. 1 NAFTA gelesen werden, der sich seinem Wortlaut nach nur auf die bestehenden Rechte und Pflichten („existing rights and obligations“) des GATT und anderer Übereinkommen bezieht. Grundsätzlich bestehen in Bezug auf diese Formulierung zwei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten: erstens, dass sich der Verweis in Art. 103 Abs. 1 NAFTA nur auf das zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des NAFTA gültige GATT bezieht, was eine Anwendbarkeit auf das heutige GATT und die übrigen WTO-Übereinkommen ausschließen würde, da zum damaligen Zeitpunkt lediglich das vom GATT 94 rechtlich zu unterscheidende GATT 47 Gültigkeit besaß. Die zweite Interpretationsmöglichkeit ist, dass es sich bei der Formulierung „existing rights and obligations“ um einen dynamischer Verweis handelt.229 Für die letztere Auslegung sprechen insgesamt die überzeugenderen Argumente. So ist es zwar richtig, dass das GATT 47 und GATT 94 rechtlich voneinander zu trennende Übereinkommen sind. Allerdings wird durch Art. XVI Abs. 1 WTO-Übereinkommen auch eine gewisse Kontinuität zwischen WTO, GATT 94 und GATT 47 zum Ausdruck gebracht. Außerdem diente die rechtliche Trennung lediglich dem Zweck, die rechtlichen Beziehungen zwischen GATT 47 Vertragsstaaten, die nicht sofort Mitgliedstaaten der WTO werden wollten, und den neuen WTO-Mitgliedern auf Grundlage des GATT 47 zu regeln. Die rechtliche Differenzierung war also letztlich allein aus Praktikabilitätserwägungen heraus notwendig.230 Darüber hinaus würde eine andere Auslegung zu dem unlogisch anmutenden Ergebnis führen, dass die NAFTA-Vertragsstaaten, die alle Mitglieder der WTO sind, in Art. 103 Abs. 1 NAFTA zwar die Rechte und Pflichten des für sie nicht mehr verbindlichen GATT 47 im Verhältnis zueinander anerkennen, nicht aber diejenigen, die sich aus dem nun gültigen GATT 94 und den übrigen WTO-Übereinkommen für sie ergeben.231 Außerdem war den NAFTA-Vertragsstaaten bei Abschluss des Übereinkommens bereits bewusst, dass es als Ergebnis der Uruguay-Runde zu einer umfassenden Re228 Vgl. dazu Sander, Umweltschutz im Welthandel, S. 66 ff.; Abbott, North American Integration Regime, in: Weiler (ed.), S. 169 (178 ff.); Beise, WTO, S. 264. 229 Siehe zu den beiden Auslegungsmöglichkeiten Sander, Umweltschutz im Welthandel, S. 67; Abbott, North American Integration Regime, in: Weiler (ed.), S. 169 (180 f.). 230 Abbott, Regional Integration, S. 104 f., der als Rapporteur unmittelbar an der Entstehung dieser Regelung beteiligt war. 231 Sander, Umweltschutz im Welthandel, S. 69.

226

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

form des Welthandelsrechts kommen könnte. Dass Art. 103 Abs. 1 NAFTA im Sinne eines dynamischen Verweises zu verstehen ist, wird auch durch die historische Auslegung gestützt. Wie viele Normen des NAFTA basiert auch diese auf denen des CUSTA, welches in Art. 104 Abs. 1 die Anerkennung der Rechte und Pflichten aus anderen Übereinkommen „as they exist at the time of entry into force of this agreement“ zum Ausdruck bringt. Dass die NAFTA-Vertragsstaaten diese Formulierung weggelassen haben, kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass es sich bei Art. 103 Abs. 1 NAFTA um einen dynamischen Verweis handelt, der sich auch auf die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung und insbesondere auch auf das GATT 94 bezieht.232 Dies gilt dann auch für Art. 103 Abs. 2 NAFTA, der mithin für den Fall des Vertragskonfliktes die Priorität des NAFTA gegenüber den WTO-Übereinkommen anordnet. Daneben stellt sich die Frage, ob die ausdrückliche Vorrangregelung des NAFTA mit den Übereinkommen der WTO vereinbar ist. Grundsätzlich enthält das WTO-Übereinkommen selbst, aber auch das GATT 94 keine diesbezügliche Aussage. Vielmehr wird die Errichtung von Freihandelszonen sowohl im GATT als auch im GATS ausdrücklich erlaubt, wenn die dafür genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört gem. Art. XXIV Abs. 5 GATT und Art. V Abs. 1 lit. b) GATS u. a., dass Drittstaaten durch die Schaffung von Zollunionen und Freihandelszonen nicht mit neuen oder höheren Zöllen oder mit anderen Maßnahmen stärker diskriminiert werden dürfen als früher. In Art. 103 Abs. 2 NAFTA könnte ein Verstoß gegen diese Rechtmäßigkeitsvoraussetzung von Zollunionen und Freihandelszonen aber nur dann erblickt werden, wenn der Vorrang des NAFTA im Verhältnis zu den NAFTA-Vertragsstaaten im Einzelfall die Einführung weitergehender Handelsbeschränkungen erlaubt als dies nach den WTO-Übereinkommen möglich ist, und davon faktisch auch Drittstaaten betroffen wären. Daneben könnte Art. 103 Abs. 2 NAFTA gegen die Regelung verstoßen, dass Freihandelszonen mit dem Recht der WTO übereinstimmen müssen. Insbesondere wenn es zu der Situation kommen sollte, dass aufgrund einer NAFTA-Regelung weitergehende Handelsbeschränkungen möglich sind, als nach den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung, so kann dies die Ungültigkeit der Prioritätsanordnung des NAFTA auch im Verhältnis der NAFTA-Vertragsstaaten zueinander zur Folge haben. Von einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit der Regelung mit den WTO-Bestimmungen kann allerdings nicht ausgegangen werden. Vielmehr erscheint eine Einzelfallbetrachtung notwendig zu sein, in deren Zusammenhang auch die Möglichkeit der harmonisierenden Auslegung zu beachten ist. Eine solche Untersuchung würde allerdings den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. 232

Sander, Umweltschutz im Welthandel, S. 69.

B. Inhaltliche Parallelität

227

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Regelung des Art. 103 Abs. 1 NAFTA eine parallele Anwendbarkeit von WTO-Übereinkommen und NAFTA ermöglicht. Dass es im Falle eines Konfliktes einer dahingehenden Lösung bedarf, dass im Verhältnis der NAFTA-Staaten zueinander eines der beiden Übereinkommen Vorrang hat, ist selbstverständlich. Ob dies im konkreten Fall das NAFTA oder die WTO-Übereinkommen sind, kann darüber hinaus insoweit für den Fortgang der Arbeit dahinstehen, als dass dann eine Parallelität der Streitbeilegungsverfahren ohnehin ausgeschlossen ist.

B. Inhaltliche Parallelität Die Tatsache, dass zwei völkerrechtliche Verträge und damit deren Streitbeilegungsvorschriften parallel anwendbar sind, so dass daraus parallele Verfahren resultieren können, begründet lediglich eine Zuständigkeitskonkurrenz, nicht aber notwendigerweise einen Konflikt. Wie auch die Unvereinbarkeit von Rechtsfolgen Voraussetzung für die Existenz eines Vertragskonflikts ist, muss Folge der parallelen Anwendbarkeit von Streitbeilegungsvorschriften miteinander unvereinbare Entscheidungen sein. Dass Entscheidungen miteinander unvereinbar sind, setzt allerdings voraus, dass zwischen den aus der parallelen Anwendbarkeit der Streitbeilegungsvorschriften resultierenden Verfahren, wenn schon keine inhaltliche Identität, so doch zumindest inhaltliche Parallelität besteht. Behandeln beide Verfahren unterschiedliche Aspekte eines strittigen Lebenssachverhalts, ohne dass diese in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen, so können daraus keine widersprüchlichen Entscheidungen resultieren. Auch wenn in dem einen Verfahren festgestellt werden sollte, dass Staat A gegen Übereinkommen B verstoßen hat, während Ergebnis eines anderen Verfahrens nach Übereinkommen C ist, dass dasselbe Verhalten mit dem Übereinkommen vereinbar ist, so unterscheiden sich die Ergebnisse der Verfahren zwar. Allerdings muss dies keine Unvereinbarkeit zur Folge haben, solange kein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Verfahren besteht. Denn auch nicht aus jeder unterschiedlichen Rechtsfolgenanordnung im Rahmen parallel anwendbarer Übereinkommen resultiert ein Vertragskonflikt. Ein solcher tritt nur dann auf, wenn es sich um gegenseitig ausschließende Verpflichtungsnormen handelt oder aber wenn das eine Übereinkommen ein bestimmtes Verhallten ausdrücklich erlaubt, während ein zweites dieses Verhalten ebenso explizit verbietet.233 Die Tatsache aber, dass ein Übereinkommen weitergehende Verpflichtungen enthält als ein anderes, führt nicht zu einem Konflikt, sondern ist eine „völkerrechtliche Alltäglichkeit“.234 Übertragen auf das Phäno233 234

Siehe oben 2. Teil A. I. 1. SBT-Schiedsgericht, para. 52, ILM 39 (2000), S. 1359 (1388).

228

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

men paralleler Verfahren kann es zwar zu unterschiedlichen Entscheidungen darüber kommen, ob dasselbe Verhalten mit den Verpflichtungen verschiedener Übereinkommen vereinbar ist. Dieser Unterschied ist aber nur dann von Relevanz, wenn ein sachlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht. Im Rahmen paralleler Verfahren, in denen die Rechte und Pflichten von Übereinkommen desselben Sachbereichs behandelt werden, ist das Kriterium der inhaltlichen Parallelität nicht weiter problematisch, auch wenn deren Ausmaß im Einzelfall zu bestimmen ist, wie etwa im Verhältnis von Individualbeschwerden vor dem EGMR und dem UN-Menschenrechtsausschuss oder im Verhältnis von SRÜ und regionalen, die Vorgaben des SRÜ konkretisierenden Übereinkommen wie dem OSPAR-Übereinkommen und der CCSBT. Handelt es sich jedoch um eine Streitigkeit, die in den Anwendungsbereich zweier Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche fällt, so muss es nicht notwendigerweise zu einer inhaltlichen Parallelität kommen. Vielmehr bedarf es, wie der Schwertfisch-Fall zeigt, der sowohl Bezüge zum SRÜ, als auch zum GATT aufweist, einer genaueren Untersuchung, inwieweit eine inhaltliche Parallelität der Übereinkommen existiert: Denn auch wenn das SRÜ Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Nutzung der Meeresgebiete aufstellt und damit wirtschaftliche Bezüge aufweist, so sind diese nicht notwendigerweise mit den Inhalten der WTOÜbereinkommen identisch oder parallel. Darüber hinaus enthält das SRÜ im Vergleich zu den bisher erörterten multilateralen Umweltübereinkommen auch keine Tatbestände, bei deren Einschlägigkeit die Vertragsstaaten handelsrechtliche Freiheiten durch einseitige Maßnahmen einschränken können. Damit es sich also bei dem Schwertfisch-Fall um eine problematische Konstellation paralleler Verfahren handelt, muss für die Streitigkeit ein inhaltlicher Zusammenhang von GATT und SRÜ nachgewiesen werden.

I. Inhaltliche Parallelität von GATT und SRÜ im Schwertfisch-Fall Da sowohl die EG als auch Chile im Verfahren vor dem ISGH lediglich die Verletzung der in Art. 64, 116–119 SRÜ enthaltenen Kooperationsverpflichtungen durch die jeweils andere Streitpartei rügen, während Gegenstand des WTO-Verfahrens das chilenische Landungsverbot für auf Hoher See gefangenen Schwertfisch ist, kann sich eine inhaltliche Parallelität der Übereinkommen nur dann ergeben, wenn die Frage der ausreichenden Kooperation zum Schutze von Umweltgütern außerhalb des eigenen Jurisdiktionsbereiches auch im WTO-Verfahren entscheidungserheblich ist. Dies mag auf den ersten Blick zwar befremdlich anmuten, da Umweltschutzaspekte nicht primärer Regelungsgegenstand der Übreinkommen der WTO-Rechtsordnung sind. Allerdings hat die bisherige Untersuchung bereits gezeigt,

B. Inhaltliche Parallelität

229

dass das Thema Umweltschutz im Rahmen der WTO in den letzten Jahren eine herausragende Rolle gespielt hat.235 1. Kooperationsobliegenheit nach Art. XX GATT Da das Landungsverbot Chiles nur für auf Hoher See gefangenen Schwertfisch gilt, dient die handelsbeschränkende Maßnahme letztlich dem Schutz eines Umweltguts, welches auch außerhalb der eigenen Jurisdiktionsgrenzen liegt – im Sprachgebrauch der WTO auch extraterritoriales Umweltgut genannt. Dementsprechend kann sich eine inhaltliche Parallelität von SRÜ und GATT im Schwertfisch-Fall nur dann ergeben, wenn einseitige Handelsbeschränkungen zum Schutz sog. extraterritorialer Umweltgüter – auch unilaterale, produktionsbezogene Maßnahme genannt – überhaupt zulässig sind und eine ausreichende Kooperation notwendige Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist. Die prinzipielle Rechtmäßigkeit einseitig handelsbeschränkender Maßnahmen zum Schutze extraterritorialer Umweltgüter ist nicht erst seit dem Bestehen der WTO Gegenstand einer noch andauernden Diskussion in der völkerrechtlichen Literatur einerseits und staatlicher Auseinandersetzungen im Rahmen des Streitbeilegungssystems andererseits. Bereits die Panel im U.S.-amerikanisch – mexikanischen und im U.S.-amerikanisch – europäischen Thunfischstreit mussten sich vor In-Kraft-Treten des WTO-Übereinkommens und der Reform des Streitbeilegungsverfahrens mit dieser grundsätzlichen Frage auseinandersetzen.236

235

Siehe oben 1. Teil C. 1. U.S. – Tuna I, ILM 30 (1991), S. 1598 ff.; U.S. – Restrictions on Import of Tuna, ILM 33 (1994), S. 839 ff. Das zweite Verfahren U.S. – Tuna II wurde von Seiten der EG und den Niederlanden eingeleitet nachdem Mexiko aus politischen Gründen nicht auf eine Annahme des Panel-Berichts U.S. – Tuna I im GATT-Rat drängte; vgl. Strom, Canadian YBIL 33 (1995), S. 149 (161). Für eine Darstellung und Besprechung der Berichte siehe Petersmann, JWT 27/1 (1993), S. 43 (60 ff.); Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 112 ff.; Altmöller, Handel und Umwelt in der WTO, S. 223 ff. und 332 ff.; Neumann, Koordination, S. 164 ff. Da Art. XX GATT als Ausnahmetatbestand erst dann eingreift, wenn es zu einer Verletzung handelsrechtlicher Freiheiten kommt, war Gegenstand des Verfahrens nicht nur die Auslegung des Art. XX GATT, sondern auch die Frage, inwieweit es überhaupt zu einer Verletzung der Art. III und XI GATT gekommen ist. Diese Fragen sind allerdings für die vorliegende Problematik nicht von Relevanz, so dass nicht weiter auf sie eingegangen werden soll. 236

230

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

a) Thunfischstreitigkeit Grund für die Verfahren war ein von den USA verhängtes Importverbot für aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Staaten stammenden Thunfisch, das sich auch gegen Drittstaaten richtete, die den in Mexiko und Lateinamerika gefangenen Thunfisch in die USA importieren wollten. Die USA begründeten ihr Importverbot mit den von diesen Staaten bei der Befischung der Thunfischbestände im Ostpazifik verwendeten Fangmethoden. Der Einsatz sog. Beutelnetze hatte zur Folge, dass auch die über dem Thunfisch schwimmenden Delphine mitgefangen wurden und verendeten. Der mit dem Importverbot verfolgte Sinn und Zweck bestand also grundsätzlich darin, Mexiko und die anderen lateinamerikanische Staaten mit Hilfe des durch das Importverbot erzeugten wirtschaftlichen Drucks zu zwingen, den Einsatz von Beutelnetzen zu untersagen, um so den bereits reduzierten Bestand der Delphine im ostpazifischen Ozean zu schützen. Primäres Ziel war mithin der Schutz eines extraterritorialen Umweltguts, während das Importverbot lediglich der Durchsetzung dieses Zieles diente – also als Mittel zum Zweck zu klassifizieren ist. Im Verfahren U.S. – Tuna I lehnte das Panel die Rechtmäßigkeit von unilateralen, produktionsbezogenen Maßnahmen als mit dem GATT 47 unvereinbar ab. Allerdings beschränkte das Panel den zulässigen Handlungsspielraum der Staaten nicht auf den Schutz inländischer Handelsgüter. Maßstab seien vielmehr die Jurisdiktionsgrenzen. Relevante Trennlinie für die Regelungsbefugnisse eines Staates sei mithin nicht das eigene Territorium, sondern die voneinander abzugrenzenden Hoheitsbereiche.237 Entsprechend diesem Kriterium befand das Panel in U.S. – Tuna I, dass ein Staat keine Umweltstandards vorschreiben dürfe, die unzulässig in die Hoheitsgewalt eines anderen Staates hineinwirken. Der Schutz extraterritorialer Umweltgüter ist also nur unter der Voraussetzung zulässig, dass das schädigende Verhalten der Jurisdiktion des die Maßnahme erlassenden Staates unterliegt. Dies gilt zum einen für Regelungen bezüglich des eigenen Territoriums und zum anderen für Maßnahmen, die sich auf das Verhalten der eigenen Staatsangehörigen außerhalb des Staatsgebietes beziehen.238 Dementsprechend dürften die USA das Verhalten der eigenen Fischer auf Hoher See regeln, nicht aber das Verhalten fremder Fischer. Entschließt sich ein Staat zu einer Politik, die extraterritoriale Umweltgüter in einem wesentlich geringerem Umfang schützt, so ist dies von anderen Staaten grundsätzlich hinzunehmen. Denn im Fall der grundsätzlichen Zulässigkeit produktionsbezogener Maßnahmen könnte jede Vertragspartei unilateral gegen einen Handelspart237 U.S. – Tuna I, para. 5.26, ILM 30 (1991), S. 1598 (1620), in Bezug auf Art. XX lit. b) GATT und para. 5.31, S. 1621 in Bezug auf Art. XX lit. g) GATT. 238 Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 113 f.

B. Inhaltliche Parallelität

231

ner die eigene Umweltpolitik durchsetzen. Die von den USA vorgeschlagene, extensive Auslegung des Art. XX GATT würde nach Ansicht des Panels mithin dazu führen, dass andere Vertragsstaaten sich nach den internen Regelungen des jeweiligen Handelspartners richten müssten, um nicht ihre durch das GATT gewährten handelsrechtlichen Freiheiten zu gefährden. „The General Agreement would no longer constitute a multilateral framework for the trade of all contracting parties but would provide legal security only in respect of trade between a limited number of contracting parties with identical internal regulations.“239

Der Schutz extraterritorialer Rechtsgüter außerhalb des Jurisdiktionsbereichs eines Staates sei nicht mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift vereinbar, was im Übrigen auch die historische Interpretation bestätige.240 Die Ausführungen des Panels in U.S. – Tuna I bezüglich der Reichweite des zulässigen staatlichen Handlungsspielraums im Rahmen des Art. XX GATT sind vom Panel im Verfahren U.S. – Tuna II zurückgewiesen worden. Unilaterale Maßnahmen zum Schutz von extraterritorialen Umweltgütern außerhalb des eigenen Hoheitsbereiches seien weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Regelung grundsätzlich verboten.241 So beziehe sich insbesondere Art. XX lit. e) GATT auf Maßnahmen zum Schutze von Rechtsgütern, die außerhalb des Hoheitsgebietes eines Staates liegen. Allerdings kommt das Panel aufgrund einer engen Auslegung der weiteren Voraussetzungen in Art. XX lit. b) und g) GATT zu dem Ergebnis, dass solche Maßnahmen dann nicht zulässig sein können, wenn Sinn und Zweck der Regelung darin bestünde, andere Staaten zu einer Änderung ihrer umweltrechtlichen Regelungen innerhalb des eigenen Jurisdiktionsbereichs zu zwingen,242 und folgte damit zum einen der Argumentation der EG und zum anderen der des Panels in U.S. – Tuna I. Aus dem 239

U.S. – Tuna I, para. 5.27, ILM 30 (1991), S. 1598 (1620). Inwieweit die historische Interpretation, Aufschluss über die Zulässigkeit des Schutzes extraterritorialer Umweltgüter außerhalb des eigenen Jurisdiktionsbereichs geben kann, ist allerdings auch umstritten. Charnovitz, JWT 25/5 (1991), 37 (38 ff. und 53 f.) und Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 129 ff., weisen nach, dass zum einen Handelsrestriktionen zum Schutze der Umwelt und Gesundheit eine lange Tradition in der Staatenpraxis haben und zum anderen, dass diese Staatenpraxis auch Fälle produktionsbezogener Handelsbeschränkungen umfasst. Mithin war das Problem der Reichweite von Art. XX GATT bei den Verhandlungen über die Errichtung der ITO bekannt. Kritisch dazu Pfahl, Handel und Umweltschutz, S. 153; siehe auch Jackson, Washington Lee L. R. 49 (1992), S. 1227 (1240 f.), der davon ausgeht, dass das Problem umweltpolitisch motivierter, produktionsbezogener Handelsbeschränkungen zum Zeitpunkt der Entstehung des Art. XX GATT nicht bekannt war. 241 U.S. – Tuna II, para. 5.15 f., ILM 33 (1994), S. 839 (891). 242 U.S. – Tuna II, para. 5.26, ILM 33 (1994), S. 839 (894). 240

232

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

englischsprachigen Wortlaut des Art. XX lit. b) und lit. g) GATT folge, dass Maßnahmen, um die Rechtfertigungsvoraussetzungen zu erfüllen, entweder notwendig (necessary) sein oder sich auf die Erhaltung erschöpflicher Naturschätze beziehen müssten (related to). Letztere Voraussetzung sei nur dann erfüllt, wenn sich die Maßnahme primär auf die Erhaltung der Naturressourcen beziehe. Da die Erhaltung von Delphinbeständen im ostpazifischen Ozean nur dadurch erreicht werden könne, dass die vom Importverbot betroffenen Staaten die Vorschriften innerhalb ihres Jurisdiktionsbereichs änderten, sei die primäre Absicht der U.S.-amerikanischen Regelung nicht die Erhaltung der Delphinbestände, sondern die Änderung innerstaatlicher Vorschriften eines anderen Staates, so dass die Voraussetzungen des Art. XX lit. g) GATT nicht erfüllt seien.243 Als Rechtfertigung für diese Auslegung berief sich das Panel zum einen auf den Grundsatz der restriktiven Auslegung von Ausnahmevorschriften, wie sie in Bezug auf Art. XX GATT bereits in vorangegangenen Verfahren festgestellt worden war,244 und zum anderen auf den Sinn und Zweck des GATT 47. Damit stellte es sich auf einen ähnlichen Standpunkt wie auch das Panel in U.S. – Tuna I, wenn auch nicht in Bezug auf die grundsätzliche Zulässigkeit unilateraler, produktionsbezogener Maßnahmen, sondern in Bezug auf die Auslegung des Art. XX lit. g) GATT. „If however Article XX GATT were interpreted to permit contracting parties to take trade measures so as to force other contracting parties to change their policies within their jurisdiction, including their conservation policies, the balance of rights and obligations among contracting parties . . . would be seriously impaired. Under such an interpretation the General Agreement could no longer serve as a multilateral framework for trade among contracting parties.“245

Ähnlich argumentierte das Panel auch in Bezug auf die Auslegung des Art. XX lit. b) GATT, so dass es zu dem Ergebnis kam, dass das U.S.-amerikanische Importverbot nicht notwendig im Sinne des Art. XX GATT war.246 Die Auslegung des Art. XX GATT in den Entscheidungen der Panel im Fall U.S. – Tuna I und U.S. – Tuna II sind in der völkerrechtlichen Literatur auf vielfache, wenn auch an unterschiedlichen Punkten ansetzende Kritik gestoßen.247 Ohne auf alle Details der Diskussion eingehen zu können, 243

U.S. – Tuna II, para. 5.24, ILM 33 (1994), S. 839 (894). Panel Report, Canada – Administration of the Foreign Investment Review Act, 30S/140, 7.2.1984, para. 5.20; Panel Report, U.S. – Section 337 of the Tariff Act of 1930, 36S/345, 7.2.1989, para. 5.27. 245 U.S. – Tuna II, para. 5.26, ILM 33 (1994), S. 839 (894). 246 U.S. – Tuna II, para. 5.37 f., ILM 33 (1994), S. 839 (894). 247 Petersmann, JWT 27/1 (1993), S. 43 (71 f.); Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 115 ff.; Altmöller, Handel und Umwelt im Recht der WTO, S. 335 ff. 244

B. Inhaltliche Parallelität

233

soll kurz auf die wichtigsten Argumente hingewiesen werden. So sind insbesondere die Ausführungen bezüglich der grundsätzlichen Unzulässigkeit unilateraler produktionsbezogener Handelsbeschränkungen zum Schutz extraterritorialer Umweltgüter nicht durchweg konsequent.248 Die Panel entnehmen dem GATT ein Recht der Vertragsstaaten auf Nichtbeeinflussung ihrer nationalen Umweltpolitiken. Diese Argumentation ist deshalb problematisch, da sich ein solches Recht im GATT selbst nicht findet, es sich also nur aufgrund der Auslegung der fraglichen Vorschriften hätte ergeben können. Verwenden die Panel aber das vermeintliche Recht auf Nichtbeeinflussung als Argumentation für ein grundsätzliches Verbot unilateraler produktionsbezogener Maßnahmen, so setzen sie ein Recht voraus, das von ihnen eigentlich erst hätte ermittelt werden müssen.249 Auch die apodiktisch anmutende Aussage, dass eine prinzipielle Zulässigkeit unilateraler Maßnahmen das multilaterale Handelssystem erodieren könnte, entbehrt konkretisierender Untersuchungen. Denn je präziser die Voraussetzungen festgelegt werden, unter denen auch unilaterale Maßnahmen wegen der Umweltschädlichkeit der Produktion zulässig sind, umso weniger wird es tatsächlich zu einer Beeinträchtigung des Handelssystems kommen. Die alleinige Tatsache, dass eine Zunahme solcher Handelsbeschränkungen zu erwarten ist, begründet noch nicht die Annahme, dass sie das multilaterale Handelssystem zerstören werden. Darüber hinaus ist auch die Argumentation der Panel hinsichtlich Sinn und Zweck des Art. XX GATT kritisiert worden.250 Wenn Art. XX GATT die Einführung von Handelsbeschränkungen unter der Voraussetzung zulässt, dass es sich um notwendige Maßnahmen zum Schutze der Gesundheit und der Umwelt handelt, so ist dem die Wertung zu entnehmen, dass das GATT selbst dem Umwelt- und Gesundheitsschutz gegenüber dem Freihandel Vorrang einräumt. Eine Unterscheidung zwischen extraterritorialen und innerstaatlichen Umweltgütern findet sich dabei nicht. Berücksichtigt man insbesondere, dass der Umweltschutz kein an territoriale Grenzen gebundenes Gemeinschaftsgut ist, so lässt sich aus dem Sinn und Zweck des Art. XX GATT nicht ein grundsätzliches Verbot unilateraler produktionsbezogener Maßnah248 Gerade in diesem Zusammenhang gab es nicht nur negative Stimmen in der Literatur; siehe Black, L. P. Int’l B. 24 (1993), S. 123 (155); kritisch gegenüber der Zulässigkeit einseitiger Maßnahmen auch Biermann, AVR 38 (2000), S. 455 (500 f.), der vorschlägt, dass Handelsbeschränkungen zum Schutz extraterritorialer Umweltgüter nur dann zulässig und mit Art. XX GATT vereinbar sein sollen, wenn sie durch ein multilaterales Umweltübereinkommen erlaubt werden. Welche Anforderungen aber an ein solches Übereinkommen zu stellen sind, insbesondere welchen Ratifikationsstand es aufweisen muss, bleibt ungeklärt; vgl. zu dieser Problematik auch Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 120. 249 Altmöller, Handel und Umwelt im Recht der WTO, S. 336. 250 Diem, Freihandel und Umweltschutz, S 115 ff.

234

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

men herleiten.251 Das legitime Ziel der Vermeidung protektionistischer Maßnahmen unter dem Schutzmantel des Umwelt- und Gesundheitsschutzes kann durch korrigierende und einschränkende Auslegung entweder des Einleitungssatzes des Art. XX GATT oder der jeweiligen Voraussetzungen auf Tatbestandsebene erreicht werden.252 Ebendies war auch der Ansatz des Appellate Body in der sog. Garnelenstreitigkeit zwischen den USA einerseits und Malaysia, Indien, Pakistan und Thailand andererseits. b) Garnelenstreitigkeit Im Fall bezüglich des von den USA erlassenen Importverbotes für bestimmte Garnelen und daraus hergestellte Produkte sind die in den Verfahren U.S. – Tuna I und U.S. – Tuna II erörterten Rechtsfragen noch einmal aufgegriffen worden.253 Der Grund dafür, dass es erneut zu einem in der Sache ähnlichen Verfahren kam, ist wohl in der Nichtannahme der PanelBerichte zu sehen sowie in dem reformierten Streitbeilegungssystem der WTO, von dem nun eine endgültige Entscheidung und damit auch eine gewisse Rechtssicherheit erwartet werden konnte. Dem U.S.-amerikanischen Importverbot lag, ähnlich wie auch in der Thunfischstreitigkeit, die Gefährdung von Meerestieren – hier den Meeresschildkröten – durch die eingesetzten Fangmethoden zu Grunde. Um grö251

Petersmann, JWT 27/1 (1993), S. 43 (72): „. . . GATT Law must also distinguish between purely domestic environmental problems . . . and transboundary pollution of the environment of other countries or of the global commons.“ Insbesondere für zuletzt genannte Umweltprobleme müssen auch produktionsbezogene Handelsbeschränkungen möglich sein, sofern sie auf einem internationalen Konsens beruhen. 252 Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 131. 253 Panel Report, U.S. – Shrimp, WT/DS58/R, auszugsweise abgedruckt in ILM 37 (1998), S. 832 ff.; Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, WT/DS58/AB/R, auszugsweise abgedruckt in ILM 38 (1999), S. 118 ff. Mittlerweile existieren jeweils eine weitere Entscheidungen des Panels und des Appellate Body im Fall U.S. – Shrimp, da Malaysia die GATT-Widrigkeit der Umsetzung des Appellate Body-Berichts durch die USA geltend machte und von daher die Einsetzung eines Panels nach Art. 21 Abs. 5 DSU beantragte. Sowohl das Panel als auch der Appellate Body haben die Anträge Malaysias zurückgewiesen, Panel Report, United States – Import Prohibition for Certain Shrimp and Shrimp Products – Recourse to Article 21.5 by Malaysia, 15.6.2001, WT/DS58/RW; Appellate Body Report, WT/DS58/ AB/RW, 22.10.2001; siehe dazu de La Fayette, AJIL 96 (2002), S. 685 ff. Zu dem der Garnelenstreitigkeit zu Grunde liegenden Sachverhalt siehe Ginzky, ZUR 1999, S. 216 (218). Für eine ausführliche Besprechung des Urteils und dem Problem des extraterritorialen Schutzes von Umweltgütern vgl. Ahn, Michigan J.I.L. 20 (1999), S. 819 ff.; Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 111 ff.; Altmöller, Handel und Umwelt im WTO Recht, S. 332 ff.; Tietje, EuR 35 (2000), S. 285 (288 ff.), unter besonderer Berücksichtigung der Kooperationsverpflichtung beim Schutz extraterritorialer Umweltgüter.

B. Inhaltliche Parallelität

235

ßere Meerestiere und insbesondere die Meeresschildkröten beim Fang von Garnelen zu schonen, waren spezielle Fangnetze mit einem sog. Turtle Excluder Device entwickelt worden, durch die die Meeresschildkröten und andere größere Objekte während des Fangvorgangs wieder aus den Netzen geleitet werden konnten. Ein von den USA 1989 erlassenes Gesetz enthielt zum einen die Verpflichtung der amerikanischen Regierung, bi- oder multilaterale Übereinkommen zum Schutze der Meeresschildkröten auszuhandeln, und zum anderen sah es vor, dass Garnelen und Garnelenprodukte nur dann importiert werden dürfen, wenn beim Fang der Garnelen die Meeresschildkröten nicht gefährdet werden. Eine 1993 erlassene Verwaltungsvorschrift konkretisierte die Importbeschränkung dahingehend, dass eine Nichtgefährdung der Meeresschildkröten nur dann anzunehmen sei, wenn beim Fang der Garnelen Fangnetze mit dem bereits erwähnten Turtle Excluder Device verwendet werden. Die Einhaltung der Importbestimmungen wird durch entsprechende Unbedenklichkeitszertifikate der US-Behörden sichergestellt. Das auf Antrag Malaysias, Indiens, Pakistans und Thailands eingesetzte Panel entschied noch im Sinne der Antragssteller und stellte fest, dass unilaterale produktionsbezogene Handelsbeschränkungen grundsätzlich mit dem Sinn und Zweck der WTO-Rechtsordnung unvereinbar seien.254 Das Panel untersuchte nicht Art. XX lit. b) und g) GATT, sondern den Einleitungssatz des Art. XX GATT, wonach nur solche Maßnahmen von den einzelnen, näher ausgeführten Voraussetzungen erfasst werden, die nicht zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung oder zu einer verschleierten Beschränkung des Handels führen. Das Panel argumentierte, dass nicht nur die konkrete Maßnahme, sondern auch der abstrakte Maßnahmentypus eine willkürliche und ungerechtfertigte Diskriminierung darstellen könne. Dies gelte insbesondere für Maßnahmen, die darauf abzielten, dass der Exportstaat seine nationalen Vorschriften an die des Importstaates anpasst, d.h. für unilaterale, produktionsbezogene Maßnahmen.255 Würden diese grundsätzlich zugelassen werden, so könnte sich ein Exportstaat vor die Situation gestellt sehen, verschiedene, sich möglicherweise konfligierende Voraussetzungen unterschiedlicher Exportstaaten erfüllen zu müssen, um seine Waren in diese Länder exportieren zu können. Dies würde dem Grundsatz des freien Marktzugangs und der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, die durch die WTO-Rechtsordnung geschaffen werden soll, widersprechen.256 Das Panel berief sich in seiner Argumentation 254 Panel Report, U.S. – Shrimp, para. 7.44, ILM 37 (1998), S. 832 (849); kritisch dazu Howse, JWT 32/5 (1998), S. 73 (76 ff.) der von einem environmental disaster spricht. 255 Panel Report, U.S. – Shrimp, para. 7.44, ILM 37 (1998), S. 832 (849). 256 Panel Report, U.S. – Shrimp, para. 7.44, ILM 37 (1998), S. 832 (849).

236

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

ausdrücklich auf die oben aufgeführte Argumentation des Panel in U.S. – Tuna II.257 Darüber hinaus seien einer unilateralen Maßnahme grundsätzlich multilaterale Herangehensweisen vorzuziehen, wie dies auch durch das WTO-Übereinkommen selbst deutlich gemacht werde.258 Auch wenn der von den USA angerufene Appellate Body ebenfalls im Sinne der antragstellenden Staaten entschied – das Verhalten der USA war im konkreten Falle also WTO-widrig – so hat er dennoch das grundsätzliche Verbot unilateraler, produktionsbezogener Maßnahmen, wie es vom Panel angenommen wurde, nicht bestätigt. Zunächst wies der Appellate Body die Argumentation des Panels zurück, dass Maßnahmen bereits wegen ihres abstrakten Regelungstypus gegen Art. XX GATT verstoßen können. Der Wortlaut der Vorschrift und ihre Systematik ließen für eine solche Argumentation keinen Raum.259 Dementsprechend ist auf die konkrete Einzelmaßnahme und nicht den abstrakten Regelungstypus abzustellen. Ausgehend davon hat der Appellate Body entsprechend seiner früheren Praxis zuerst untersucht, inwieweit die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. XX GATT erfüllt sind, bevor er sich den Ausschlusskriterien des Einleitungssatzes zugewandt hat. Im Rahmen der Prüfung, inwieweit die Maßnahme der USA zum Schutz extraterritorialer Umweltgüter überhaupt in den Anwendungsbereich des Art. XX lit. g) GATT falle, hat der Appellate Body keine konkrete Aussage darüber gemacht, ob Art. XX GATT in seinem Anwendungsbereich räumlich oder personell beschränkt sei und ggf. in welchem Umfang. Letztlich hat er damit die Frage offen gelassen, ob alle unilateralen, produktionsbezogenen Maßnahmen zum Schutz extraterritorialer Umweltgüter in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen.260 „We do not pass upon the question of whether there is an implied jurisdictional limitation in Article XX (g), and if so, the nature or extent of that limitation. We note only that in the specific circumstances of the case before us, there is a sufficient nexus between the migratory and endangered marine populations involved and the United States for purpose of Article XX (g).“261

Allerdings scheinen zumindest die produktionsbezogenen Maßnahmen in den Anwendungsbereich des Art. XX lit. g) GATT zu fallen, deren Schutzgut einen ausreichenden Bezug zu dem die Maßnahme erlassenen Staat hat. Ungeklärt ist aber, ob dieser Bezug ein territorialer sein muss oder aber ein 257 258 259

Panel Report, U.S. – Shrimp, para. 7.46, ILM 37 (1998), S. 832 (850). Panel Report, U.S. – Shrimp, para. 7.43, ILM 37 (1998), S. 832 (848). Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 116, ILM 34 (1999), S. 118

(151). 260 261

(157).

Vgl. auch Ahn, Michigan JIL 20 (1999), S. 819 (845). Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 133, ILM 34 (1999), S. 118

B. Inhaltliche Parallelität

237

Bezug zur Jurisdiktion des jeweiligen Staates ausreicht. Auch die Frage, wie flexibel und weit der Appellate Body das Kriterium des „sufficient nexus“ in Zukunft handhaben wird, ist noch nicht entschieden. Neben der Tatsache, dass die amerikanische Maßnahme in den Anwendungsbereich des Art. XX lit. g) GATT fällt, hat der Appellate Body entgegen der Rechtsprechung des Panels in U.S. – Tuna I auch angenommen, dass die Maßnahme die Voraussetzungen des Art. XX lit. g) GATT erfüllt. In einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Sinn und Zweck der U.S.amerikanischen Maßnahme, kam der Appellate Body zu dem Ergebnis, dass diese nicht unverhältnismäßig weit gefasst sei und sehr wohl im Zusammenhang mit dem angestrebten Schutz der Meeresschildkröten stehe.262 Bei der Prüfung des Einleitungssatzes des Art. XX GATT macht der Appellate Body deutlich, dass dieser nicht mit dem Sinn und Zweck der gesamten WTO-Rechtsordnung gleichzusetzen ist. Die ratio des Einleitungssatzes sei vielmehr, eine missbräuchliche Anwendung von Maßnahmen, deren Legitimität in den Einzeltatbeständen garantiert wird, zu vermeiden.263 Ob eine Maßnahme rechtsmissbräuchlich angewendet wurde, sei letztlich anhand einer Abwägung der sich widerstreitenden Interessen vorzunehmen,264 was in der Literatur als Implementierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Einleitung des Art. XX GATT verstanden wird.265 Im Rahmen dieser Abwägung sah es der Appellate Body als rechtsmissbräuchlich und damit willkürlich diskriminierend an, dass die amerikanische Regelung keine anderen Schutzmaßnahmen als den Einsatz von Fangnetzen mit dem Turtle Excluder Device als zulässig ansah. Es sei nicht akzeptabel, dass ein Staat mit Hilfe eines Importverbotes die exportierenden Staaten dazu zwinge, exakt dieselben Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ohne die unterschiedlichen Umstände in den anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.266 Dies beinhaltet auch andere gleichwertige Schutzmaßnahmen als den Einsatz von Turtle Excluder Devices.267 Auch wenn das U.S.-ameri262

Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 141, ILM 34 (1999), S. 118

(159). 263 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 151, ILM 34 (1999), S. 118 (162) unter Verweis auf Appellate Body Report, U.S. – Gasoline, WT/DS2/AB/R, IV. 264 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 159, ILM 34 (1999), S. 118 (165). 265 Tietje, EuR 2000, S. 285 (291); siehe auch Neumann, Koordination, S. 470 ff. 266 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 164, ILM 34 (1999), S. 118 (167). 267 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 165, ILM 34 (1999), S. 118 (167).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

kanische Importverbot damit nicht die Voraussetzungen des Art. XX GATT erfüllt, so ist dennoch deutlich geworden, dass unilaterale Maßnahmen nicht per se mit der WTO-Rechtsordnung unvereinbar sind,268 wie dies noch vom Panel in seiner Entscheidung vertreten wurde. Sie dürfen nur nicht zu einem Unilateralismus führen, der die betroffenen Staaten dazu zwingt, die nationalen Vorschriften eines Staates zu übernehmen. Darüber hinaus sind einseitige Maßnahmen erst dann zulässig, wenn der Importstaat vor Erlass der handelsbeschränkenden Maßnahmen mit den Exportstaaten erfolglos über die Einführung geeigneter Schutzmaßnahme verhandelt hat. Dieses Gebot der Kooperation269 leitet der Appellate Body zum einen aus der Eigenart extraterritorialer Umweltgüter ab und zum anderen aus der Tatsache, dass die WTO-Mitglieder selbst den Vorrang der Kooperation vor einseitigen Maßnahmen anerkannt haben, wie dies auch im Abschluss mehrerer, WTO-fremder Umweltschutzübereinkommen zum Ausdruck komme.270 Insbesondere die Tatsache, dass die USA vor Erlass des Importverbotes mit einem Teil der betroffenen Staaten erfolgreich über ein multilaterales Übereinkommen zum Schutz der Meeresschildkröten verhandelt und ähnliche ernstzunehmende Verhandlungen mit anderen Staaten nicht geführt haben, hat dazu geführt, dass der Appellate Body dieses Verhalten als rechtsmissbräuchlich und damit diskriminierend angesehen hat.271 2. Inhalt der Kooperationsverpflichtung nach dem GATT und SRÜ a) Inhalt der Kooperationsobliegenheit nach Art. XX GATT Auch wenn der Appellate Body bei einseitigen Handelsbeschränkungen zum Schutze extraterritorialer Umweltgüter den vorherigen Versuch der Zusammenarbeit als wesentliches Kriterium für die Rechtfertigungsmöglichkeit einer solchen Maßnahme versteht, so hat er in der U.S. – Shrimp Entscheidung keine weiteren Aussagen über den Umfang der notwendigen Ko268

Tietje, EuR 2000, S. 285 (292). Es ist nicht ganz korrekt von einer Kooperationspflicht zu sprechen, da es sich nicht um eine im GATT-Übereinkommen enthaltene eigenständige Verpflichtung handelt, sondern vielmehr um eine Obliegenheit als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit etwaiger unilateraler Maßnahmen zum Schutz extraterritorialer Umweltgüter, Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (537). 270 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 168, ILM 34 (1999), S. 118 (169). Den Vorrang kooperativer Lösungen hatte bereits der Panel Report, U.S. – Tuna I, para. 5.28, ILM 31 (1991), S. 1598 (1620), hervorgehoben. 271 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp, para. 166 ff., ILM 34 (1999), S. 118 (167 ff.). 269

B. Inhaltliche Parallelität

239

operation getroffen. Es wurde lediglich anhand des Verhaltens der USA gegenüber anderen Staaten, mit denen es letztlich zum Abschluss eines multilateralen Übereinkommens zum Schutzes der Meeresschildkröten kam, festgestellt, dass die USA in Bezug auf die klagenden Parteien noch nicht einmal den Versuch unternommen hatten, mit diesen vor Erlass der Handelsbeschränkung über bi- oder multilaterale Alternativen zu verhandeln. Allerdings ist diese Aussage wenig hilfreich, da sie sich lediglich darauf bezieht, dass überhaupt nicht kooperiert wurde, und keine Aussagen darüber trifft, welches Verhalten die Kooperationsobliegenheit erfüllt. Grundsätzlich wird unter Kooperation die Zusammenarbeit im Hinblick auf die Erreichung eines gemeinsamen Zieles verstanden. Es handelt sich also um ein völkerrechtliches Prinzip, dessen nähere Ausgestaltung einer weiteren Konkretisierung bedarf.272 So ist u. a. entscheidend, ob sich eine Kooperationspflicht bzw. -obliegenheit auch auf materielle Positionen bezieht und damit eine Verpflichtung der Industriestaaten zur Unterstützung in Form von Technologietransfer u. ä. nach sich zieht, wie dies insbesondere von den Staaten der Dritten Welt im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung gefordert wurde.273 Auch wenn man ein solch weitgehendes Verständnis ablehnt, kann Kooperation dennoch bloß formal als reiner Verhandlungsakt verstanden werden aber auch materiell in dem Sinne, dass es zu einer Überprüfung der Verhandlungspositionen kommt. Auch bei einem rein formalen Verständnis der Kooperation wäre zu erwägen, ob es zur Erfüllung der Kooperationsobliegenheit bzw. -verpflichtung notwendig ist, von Maximalpositionen zugunsten des Verhandlungserfolgs abzuweichen. Dies könnte sogar dahingehend verstanden werden, dass Voraussetzung für die Erfüllung des Kooperationsgebotes nicht nur die Aufnahme von Verhandlungen ist, sondern dass sogar eine Pflicht zum Abschluss bi- oder multilateraler Verträge besteht.274 Erst in den Entscheidungen U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, in der Malaysia die Implementierung der Entscheidung U.S. – Shrimp im Rahmen der Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 5 DSU wegen Unvereinbarkeit mit den Vorschriften des GATT angegriffen hat, sah sich sowohl das Panel als auch der Appellate Body mit der Notwendigkeit der Konkretisierung der Kooperationsobliegenheit konfrontiert.275 272

Vgl. statt vieler Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 223 ff. Zur neuen Weltwirtschaftsordnung und dem damit verbundenen Kooperationsverständnis siehe zusammenfassend Tomuschat in: EPIL III, S. 578 (579 ff.). 274 Siehe dazu die Ausführungen Malaysias im Panel Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, para. 3.99 ff. 275 Panel Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/RW, para. 5.43 ff.; Appellate Body Report, WT/DS58/AB/RW, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, para. 115 ff. 273

240

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Das von Malaysia vorgebrachte Argument, die Kooperationsobliegenheit des Art. XX GATT sei dahingehend zu verstehen, dass es tatsächlich zu einem Vertragsabschluss kommen müsse, wurde von den WTO-Streitbeilegungsorganen aus folgendem Grund einheitlich zurückgewiesen. „Clearly, and ,as far as possible‘, a multilateral approach is strongly preferred. Yet it is one thing to prefer a multilateral approach in the application of a measure that is provisionally justified under one of the subparagraphs of Article XX of the GATT 1994; it is another to require the conclusion of a multilateral agreement as a condition of avoiding ,arbitrary or unjustifiable discrimination‘ under the chapeau of Article XX. We see, in this case, no such requirement.“276

Darüber hinaus müssen die praktischen Folgen, die dieser Ansatz nach sich ziehen würde, berücksichtigt werden. Verlangt man den Abschluss eines Vertrages als Voraussetzung für die Erfüllung der Kooperationsobliegenheit, so hätte jeder der Vertragspartner die Möglichkeit durch eine Blockadehaltung bei den vorangehenden Verhandlungen, den Abschluss des Vertrages und damit auch eine Rechtfertigung handelsbeschränkender Maßnahmen nach Art. XX GATT zu verhindern. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Wahrnehmung von Rechten nach dem GATT nicht durch das Verhalten der Staaten selbst bestimmt wird, sondern letztlich vom Willen dritter Staaten abhängig ist.277 Dementsprechend haben Panel und Appellate Body übereinstimmend festgestellt, dass sich die Kooperationsobliegenheit auf die ernsthafte Führung von Verhandlungen mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses erstreckt und nicht auch eine Pflicht zum Abschluss eines bioder multilateralen Vertrages enthält.278 Entscheidend für die Frage, ob ein Staat mit seinem Verhalten die Voraussetzungen der Kooperationsobliegenheit erfüllt hat, ist damit letztlich der Einzelfall. Das Panel hat keine allgemeinen Aussagen über den weiteren Inhalt der Obliegenheit gemacht, sondern lediglich die einzelnen Voraussetzungen, die die USA im konkreten Fall zu erfüllen hatten, aufgezählt. „. . . we conclude that the United States had the following obligations in this case in order to avoid ,unjustifiable discrimination‘: the United States had to take the initiative of negotiations with the appellees, having already negotiated with other harvesting countries . . .; the negotiations had to be with all interested parties . . . and aimed at establishing consensual means of protection and conservation of endangered sea turtles; the United States had to make serious efforts in good faith to negotiate; and serious efforts in good faith had to take place before the enforcement of a unilaterally designed import prohibition.“279 276 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/ AB/RW, para. 124. 277 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/ AB/RW, para. 123. 278 Appellate Body Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/ AB/RW, para. 125.

B. Inhaltliche Parallelität

241

Entscheidendes Kriterium ist damit – wohl in Anlehnung an die Rechtsprechung des IGH – ob es sich bei den Kooperationsbemühungen eines Staates bezüglich des Abschlusses eines Vertrages um ernsthafte und redliche Verhandlungen gehandelt hat, die nicht lediglich in einer einmaligen Initiative bestanden, sondern Ausdruck eines andauernden Prozesses sind.280 Dass das Verhandlungsergebnis nicht dasselbe Resultat haben muss wie in Situationen mit anderen Staaten, ist selbstverständlich. Allerdings kann das Verhalten eines Staates bei Verhandlungen und Abschluss eines Vertrages durchaus als Vergleich dafür herangezogen werden, inwieweit er in der fraglichen Situation seine Kooperationsobliegenheit erfüllt hat.281 Daraus lässt sich als Voraussetzung für die Erfüllung der Kooperationsobliegenheit ableiten, dass zwischen verschiedenen Verhandlungspartnern keine substanziellen Unterschiede in den Anstrengungen, einen kooperativen Ansatz zu verwirklichen, gemacht werden dürfen, es sei denn, dass die Unterschiedlichkeit der Situationen dies rechtfertigt oder sogar verlangt. Mithin muss der eine Handelsbeschränkung einführende Staat vorher mit den fraglichen Staaten ernsthafte, redliche und im Vergleich zu ähnlichen Situationen mit anderen Staaten diskriminierungsfrei geführte Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrages aufgenommen haben, bevor sein Verhalten die Voraussetzungen des Einleitungssatzes des Art. XX GATT und dort insbesondere das Verbot der willkürlichen Diskriminierung erfüllt. Dass diese Voraussetzungen eher vage und in erheblichem Maße auslegungsbedürftig sind, hat das Panel selbst erkannt. „We are mindful of the potentially subjective nature of the notion of serious good faith efforts and of how difficult such a test may be to apply in reality.“282

Damit enthalten die von den Streitbeilegungsorganen aufgestellten Voraussetzungen lediglich Kriterien, mit denen die Art und Weise der Verhand279

Panel Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/RW, para.

5.66. 280 Für die konkreten Fakten, die dazu geführt haben, dass das Verhalten der USA diese Voraussetzungen erfüllt, vgl. Panel Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/RW, para. 5.79 ff.; Appellate Body Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/AB/RW, para. 131. 281 Dementsprechend hat das Panel in U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/RW, para. 5.69 ff., das Verhalten der USA bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrages zum Schutze der Meeresschildkröten im pazifischen Ozean mit dem bei den Verhandlungen über die Inter-amerikanische Konvention verglichen, um festzustellen, ob es sich um redliche und ernsthafte Bemühungen von Seiten der USA handelte, vgl. auch die Ausführungen des Appellate Body, für den nicht die Vergleichbarkeit des Resultats, sondern die Vergleichbarkeit der unternommenen Anstrengungen entscheidend ist, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/AB/RW, para. 122. 282 Panel Report, U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5, WT/DS58/RW, para. 5.76.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

lungsführung beurteilt wird. Eine inhaltliche Kontrolle der Verhandlungspositionen durch die WTO-Streitbeilegungsorgane erfolgt nur insoweit, als dass in Bezug auf andere, bereits abgeschlossene Übereinkommen kein wesentlicher Unterschied zwischen den Vertragsparteien gemacht werden darf, es sei denn, dass die Umstände dies erfordern bzw. rechtfertigen. b) Inhalt der Kooperationsverpflichtungen des SRÜ Art. 64 Abs. 1 S. 1 SRÜ verpflichtet sowohl die Küstenstaaten als auch die jeweils involvierten Fischereistaaten, zur Erhaltung und optimalen Nutzung weitwandernder Fischarten, die in Annex I des SRÜ aufgeführt werden, zusammenzuarbeiten.283 Diese Zusammenarbeit kann zum einen unmittelbar zwischen den Staaten in Form bi- oder multilateraler Übereinkommen geschehen oder im Rahmen geeigneter internationaler Organisationen. Satz 2 des Art. 64 Abs. 1 SRÜ enthält darüber hinaus eine Verpflichtung der betroffenen Staaten, in Regionen, in denen es keine geeignete internationale Organisation gibt, bei der Errichtung einer solchen zusammenzuarbeiten und sich an ihrer Arbeit zu beteiligen. Parallel zu dieser die Nutzung und Bewirtschaftung weitwandernder Fischarten innerhalb der AWZ betreffenden Kooperationsverpflichtung treten die Art. 116 bis 119 SRÜ, welche Vorgaben für die Kooperation in Bezug auf die Erhaltung und Bewirtschaftung der lebenden Ressourcen der Hohen See enthalten. Auch wenn Art. 116 SRÜ den Grundsatz der freien Ausübung der Fischerei auf Hoher See bekräftigt, so wird dieses Recht nicht schrankenlos gewährleistet.284 Es gilt vorbehaltlich der Verpflichtungen von Küsten- und Fischereistaaten in Art. 64 SRÜ sowie den Bestimmungen in Art. 117 bis 120 SRÜ.285 Zu diesen gehört die Verpflichtung, in Bezug auf die eigenen Staatsangehörigen alle erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung der lebenden Ressourcen der Hohen See zu ergreifen und mit den anderen Staaten zu diesem Zweck zusammenzuarbeiten (Art. 117 SRÜ). Die Staaten, die lebende Ressourcen auf Hoher See gemeinsam ausbeuten, sind darüber hinaus gem. Art. 118 SRÜ verpflichtet, Verhandlungen zur Erhaltung dieser Ressourcen aufzunehmen und ggf. bei der Errichtung subregionaler oder regionaler Fi283 Dabei handelt es sich nicht nur um einen Programmsatz, rechtliche Verpflichtung, deren Verletzung im Rahmen eines fahrens geltend gemacht werden kann; zur Rechtspflicht siehe der Hochseefischerei, S. 41 f.; Pinto, Duty of Co-operation and Riphagen, S. 131 (136 ff.). 284 Pfirter, ODIL 26 (1995), S. 127 (133). 285 Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 40.

sondern um eine SRÜ-GerichtsverZiemer, Regelung UNCLOS, in: FS

B. Inhaltliche Parallelität

243

schereiorganisationen zusammenzuarbeiten. Um eine effektive Erhaltung der lebenden Ressourcen zu gewährleisten, sind die Staaten berechtigt, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die auf Grundlage wissenschaftlicher Angaben darauf gerichtet sind, die Population der befischten Arten auf einem Stand zu halten oder zurückzuführen, der den größtmöglichen Dauerertrag unter Berücksichtigung der relevanten Umweltfaktoren sichert (Art. 119 Abs. 1 SRÜ).286 Außerdem müssen die für die Erhaltung der Fischbestände relevanten Daten wie z. B. wissenschaftliche Informationen und die statistischen Angaben über Fänge und Fischereiaufwand mitgeteilt und ausgetauscht werden (Art. 119 Abs. 2 SRÜ). Von besonderer Relevanz ist das in Art. 119 Abs. 3 SRÜ enthaltene Verbot der tatsächlichen oder rechtlichen Diskriminierung gegenüber Angehörigen anderer Staaten bei der Anwendung der Erhaltungsmaßnahmen, zu denen auch die Festlegung von Fangquoten gehört.287 Auch dieser Absatz enthält ein Element der Kooperation, da die Interessen aller Staaten, die in der Fischerei auf Hoher See involviert sind, bei der Ausarbeitung von Kooperationsvereinbarungen zu berücksichtigen sind, um einen diskriminierenden Effekt der Schutzmaßnahmen zu vermeiden.288 Auch wenn die im SRÜ enthaltenen Vorschriften über die Kooperationspflicht zum Schutze weitwandernder Fischarten im Vergleich zum GATT verständlicherweise detaillierter sind, so bezieht sich dies nur auf die materiellen Vorgaben möglicher Kooperationsvereinbarungen, aber nicht auf die Reichweite der Kooperation. Auch Art. 118 SRÜ, der in Verbindung mit den Voraussetzungen des Art. 117 und 119 SRÜ zu lesen ist, enthält lediglich eine Pflicht, Verhandlungen mit anderen Staaten aufzunehmen, d.h. es handelt sich um einen pactum negotiando.289 Diese Pflicht zur Verhandlung muss zwar, wie auch im Rahmen des Art. XX GATT, redlich geführt werden, was sich u. a. auch aus Art. 300 SRÜ ergibt. Darüber hinausgehende Verpflichtungen in Bezug auf das Ausarbeiten bi- oder multilateraler Übereinkommen ergeben sich aber nicht.290 Allerdings weisen die Kooperationsvoraussetzungen des SRÜ im Vergleich zu denen des Einleitungssatzes des Art. XX GATT einen wesent286 Siehe dazu Burke, International Law of Fischeries, S. 128; Churcill/Lowe, Law of the Sea, S. 296 ff. 287 Burke, International Law of Fisheries, S. 130 f.; kritisch Oda, AJIL 77 (1983), S. 739 (752), der die Vorschrift für überflüssig hält, da einseitige Maßnahmen auf Hoher See grundsätzlich unzulässig seien, so dass es dadurch auch nicht zu einer Diskriminierung kommen könne. 288 Nordquist, UNCLOS-Commentary, vol. III, Art. 118, para. 119.7 (f), S. 312. 289 Nordquist, UNCLOS-Commentary, vol. III, Art. 118, para. 118.7 (e), S. 302. 290 Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 42: „Damit enthält Art. 118 SRK eine Verpflichtung der Staaten, aktiv zu werden.“

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

lichen Unterschied auf. Während sich Letztere nur auf die Diskriminierungsfreiheit des Verhandlungsprozederes erstrecken und den Inhalt der Verhandlungen soweit ersichtlich unberücksichtigt lassen, ergibt sich aus dem SRÜ auch eine inhaltliche Überprüfung der in den Verhandlungen vertretenen Positionen. So kann u. a. aus Art. 119 Abs. 3 SRÜ gefolgert werden, dass Verhandlungen, in denen bei der Anwendung zwischen Angehörigen von Küsten- und Fischereistaaten differenziert wird, nicht die Kooperationsvoraussetzungen des SRÜ erfüllen. Aber auch Positionen, die gegen sonstige Grundsätze wie die primär gewährleistete Freiheit der Meere verstoßen, stellen keine ausreichende Kooperation im Sinne des SRÜ dar. c) Relevanz der inhaltlichen Unterschiede für die Entscheidung des Schwertfisch-Falles Wäre es nicht zu einer erst einmal vorübergehenden Einstellung der Verfahren gekommen, so hätte die Frage der ausreichenden Kooperation sowohl vom ISGH als auch vom WTO-Panel überprüft werden müssen. Dabei wäre der unterschiedliche Kooperationstandard des Art. XX GATT und des SRÜ von entscheidungserheblicher Relevanz gewesen. Entsprechend dem Ansatz der WTO-Streitbeilegungsorgane in der Streitigkeit U.S. – Shrimp wird das Panel bei der Frage, ob Chile in einem ausreichenden Maße mit der EG kooperiert hat, die bisherigen Verhandlungen zwischen den Streitparteien untersuchen. Chile müsste entsprechend dem in der Entscheidung U.S. – Shrimp – Recourse to Art. 21.5 angewandten Standard vorher mit der EG ernsthafte, redliche und im Vergleich zu ähnlichen Situationen mit anderen Staaten diskriminierungsfrei geführte Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrages aufgenommen haben. Nach bisherigem Verständnis bedeutet die Diskriminierungsfreiheit als Merkmal für die Kooperationsvoraussetzung nicht, dass ein Staat daran gehindert ist, in den Verhandlungen für sich im Vergleich zum Verhandlungspartner weitergehende Rechte durchzusetzen. Von Bedeutung ist lediglich, dass im Verhältnis zu anderen Staaten keine substanziellen Unterschiede in den Anstrengungen, einen kooperativen Ansatz zu verwirklichen, gemacht werden dürfen, es sei denn, dass die Unterschiedlichkeit der Situationen dies rechtfertigt oder sogar verlangt. Dies wiederum ist im Lichte der Meistbegünstigungsklausel als fundamentalem Prinzip der WTO dahingehend zu verstehen, dass man das, was man einem anderen Staat in vorherigen Verhandlungen und Übereinkommen zugestanden hat, auch anderen zugestehen muss. Bei der Berücksichtigung vorheriger Verhandlungsstandards hätte das Panel u. a. die Verhandlungen zum Galapagos-Übereinkommen, das zwischen Chile, Peru, Ecuador und Kolumbien am 14.8.2000 zum Schutze der zwi-

B. Inhaltliche Parallelität

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schen der Hohen See und ihren ausschließlichen Wirtschaftszonen hin und her wandernden Fischarten geschlossen wurde291, untersuchen müssen. Hätte Chile in den Verhandlungen mit der EG nun dieselben Positionen vertreten, wie bei der Aushandlung des Galapagos-Übereinkommens, so hätte das Panel gegen das Verhalten Chiles grundsätzlich nichts einwenden können, da Chile mit Sicherheit daran gelegen war, ein ebensolches Übereinkommen mit der EG zu schließen oder dass diese dem Übereinkommen beitritt. Denn es versucht einige der Prinzipien des Konzepts vom mar presencial umzusetzen, nach dem der Einfluss der Küstenstaaten aufgrund ihres höherrangiges Interesses gegenüber Fischereistaaten auch über die AWZ auf Gebiete der Hohes See auszudehnen sei.292 Dementsprechend bestimmt Art. 5 Abs. 2 Galapagos-Übereinkommen ausdrücklich, dass den Küstenstaaten die Befugnis zusteht, die Fischereifreiheit auf Hoher See in Bezug auf weitwandernde Fischarten, die auch die AWZ durchschwimmen, für die Fälle einschränken zu können, in denen sich die Fischereistaaten weigern, die vom Küstenstaat ursprünglich in Bezug auf seine AWZ erlassenen Erhaltungsmaßnahmen auch im Rahmen der Fischerei auf Hoher See einzuhalten. Außerdem dürfen die für die Hohe See erlassenen Erhaltungsmaßnahmen eines Staates nicht weniger strikt sein, als die für die AWZ erlassenen.293 Hinter diesem Konzept steht mithin eine Ausweitung nationaler Rechtssetzungsbefugnisse auf staatsfreie Räume.294 Untersucht man jedoch diese Verhandlungsposition Chiles in Bezug auf die Erfüllung der Kooperationsverpflichtungen nach dem SRÜ, so ergibt sich ein anderes Bild. Entscheidend für die Frage, ob Chile in einem ausreichenden Maße kooperiert hat, dürfte wiederum die Art und Weise der geführten Verhandlungen sein. Diese müssen sich an den besonderen Voraussetzungen der Art. 64, 116–119 SRÜ messen lassen sowie an dem allgemeinen, in Art. 300 SRÜ enthalten Grundsatz von Treu und Glauben. Nimmt man wiederum die Verhandlungen und den Inhalt des Galapagos-Übereinkommens als Maßstab, so wird schnell deutlich, dass entsprechende Verhandlungspositionen gegenüber der EG mit den Grundsätzen von Treu und Glauben unvereinbar sind. Denn die Konzeption des mar presencial ist mit dem im SRÜ enthaltenen Prinzip der Freiheit der Hohen See unvereinbar, da Erhaltungsmaßnahmen auf Hoher See nicht einseitig durchgesetzt, sondern nur kooperativ vereinbart werden können.295

291

Zum Regelungsinhalt siehe Orellana, Nordic JIL 71 (2002), S. 55 (64 f.). Zum Konzept des mar presensial siehe Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, 36 f.; Orrego Vicuña, ZaöRV 55 (1995), S. 520 (527); Joyner/DeCola, ODIL 24 (1993), S. 99 (107 ff.). 293 Orellana, Nordic JIL 71 (2002), S. 55 (64 f.). 294 Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 36. 292

246

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Damit wird deutlich, dass die bisherigen Kooperationsbemühungen Chiles in dem jeweiligen Verfahren durchaus unterschiedlich gewichtet werden könnten. Kommt es mithin zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens, so besteht die Möglichkeit, dass das Verhalten Chiles zwar die Kooperationsvoraussetzungen des Art. XX GATT erfüllt, aber nicht mit dem SRÜ vereinbar ist. Um aber einheitliche Kooperationsvoraussetzungen zu schaffen, erscheint es notwendig, die Kooperationsvoraussetzungen des SRÜ und der WTO miteinander zu harmonisieren, so dass auch im Rahmen der Überprüfung der Kooperationsvoraussetzungen nach Art. XX GATT die strengeren Anforderungen des SRÜ von den WTO-Streitbeilegungsorganen zu berücksichtigen sind. 3. Harmonisierung der Kooperationsvoraussetzungen nach GATT und SRÜ Ansatzpunkt für eine Harmonisierung der Kooperationsvoraussetzungen ist das von der WTO-Rechtsprechung akzeptierte Kriterium der redlichen, auf einen Vertragsabschluss zielenden Verhandlungsführung – mit anderen Worten: die Verhandlungen müssen dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechen. Dies ist dahingehend auszulegen, dass die Forderung eines Verhaltens im Rahmen von Verhandlungen, das den Grundsätzen anderweitiger vertraglicher Verpflichtungen der Streitparteien widersprechen würde, nicht die Kooperationsvoraussetzungen des Art. XX GATT erfüllen kann, da eine solches Verhalten mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar ist. Im konkreten Falle müsste das WTO-Panel im Rahmen der Frage, ob Chile seine Kooperationsobliegenheit nach Art. XX GATT erfüllt hat, untersuchen, inwieweit die von Chile in den Verhandlungen mit der EG bezogenen Verhandlungspositionen inhaltlich mit den Vorgaben des SRÜ vereinbar sind. Ist dies nicht der Fall und scheitern die Verhandlungen aus diesem Grund, so muss das Panel zu dem Ergebnis kommen, dass die Verhandlungen Chiles nicht nach Treu und Glauben geführt wurden, da Chile von der EG ein letztlich nicht zu erfüllendes Ergebnis verlangt hat. Allerdings setzt dieser von Kohärenz und Harmonisierung geprägte Ansatz voraus, dass das WTO-Panel die Kompetenz besitzt, bei der Auslegung der Kooperationsvoraussetzungen die Vorschriften des SRÜ anzuwenden. Wie im Rahmen der Harmonisierungsproblematik von multilateralen Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung aufgezeigt, besteht diese Möglichkeit nur dann, wenn es sich bei den relevanten Grundsätzen des 295 Clingan, ODIL 24 (1993), S. 93 (96); zur Unvereinbarkeit des Konzepts des mar pesencial mit dem SRÜ siehe auch Joyner/DeCola, ODIL 24 (1993), S. 99 (112 ff.).

B. Inhaltliche Parallelität

247

SRÜ um einen in den Beziehungen der WTO-Mitgliedstaaten anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssatz im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK handelt.296 Bei dem Verbot der Diskriminierung zwischen Fischerei- und Küstenstaaten müsste es sich mithin um das gemeinsame Recht der WTOMitgliedstaaten handeln. Das Verbot der Diskriminierung zwischen Küsten- und Fischereistaaten ergibt sich aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz der Freiheit der Meere, welches das Recht zur Fischerei auf Hoher See einschließt, und der Gleichheit der Staaten.297 Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Übereinkommen zur Durchführung der Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens über die Erhaltung und Bewirtschaftung von gebietsübergreifenden und weit wandernden Fischbeständen (FSA).298 Zwar kann die Fischereifreiheit für kooperationsunwillige Staaten im Rahmen des Art. 8 FSA faktisch aufgehoben werden.299 Dies bezieht sich jedoch nur auf Staaten, die sich weigern, ihrer generellen Kooperationsverpflichtung gem. Art. 8 Abs. 1 i.V. m. Abs. 3 FSA nachzukommen.300 Allerdings kann aus den Voraussetzungen des Art. 8 FSA geschlossen werden, dass eine generelle Kooperationsverpflichtung nur dann besteht, wenn die Kooperationspartner nicht auf diskriminierenden Regelungen bestehen. Denn um die Teilnahme aller Staaten an der Arbeit regionaler Fischereiorganisationen zu ermöglichen, müssen diese für den Beitritt aller Staaten mit einem echten Interesse offen sein.301 Die Beitrittsbedingungen dürfen neue Staaten nicht 296 Zur Reichweite des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK siehe oben 2. Teil A. II. 2. a) bb) (2). 297 Nordquist, UNCLOS-Commentary, vol. III, Art 119, para. 119.7 (f), S. 312. 298 Agreement for the Implementation of the Provisions of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982 Relating to the Conservation and Management of Straddling Fish Stocks and Highly Migratory Fish Stocks, ILM 34 (1995), S. 1542 ff. 299 Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 123. 300 Juda, ODIL 28 (1997), S. 147 (155). 301 Allerdings ist Streit in Zukunft vorprogrammiert. Denn was unter einem „echten Interesse“ zu verstehen ist, wurde durch das FSA nicht definiert und kann erst durch die Praxis konkretisiert werden; siehe Ziemer, Regelung der Hochseefischerei, S. 122. In Anbetracht der Tatsache, dass es bei der Frage der Gleichrangigkeit der Interessen von Küsten- und Fischereistaaten zu einem grundsätzlichen Streit gekommen ist, könnten Küstenstaaten, und damit auch Chile, versucht sein, lediglich ihre Interessen als „echt“ zu bezeichnen. Das Diskriminierungsverbot wäre dann nicht im Verhältnis von Fischereistaaten und Küstenstaaten anwendbar. Dies wäre wiederum von Relevanz für die Frage, inwieweit die Verhandlungen zwischen Chile und der EG dem Prinzip von Treu und Glauben entsprechen. Würde Chile gegenüber der EG auf einer Position beharren, die wie der Ansatz des „mar presencial“ im Galapagos Übereinkommen zwischen Fischerei- und Küstenstaaten unterscheidet, so wäre dies kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Allerdings widerspricht eine solche grundsätzliche Differenzierung dem Sinn und

248

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

ausschließen und diese gegenüber anderen Mitgliedstaaten diskriminieren. Ebendiese Voraussetzungen erfüllt das Galapagos-Übereinkommen nicht, da es den Küstenstaaten grundsätzlich mehr Rechte zuspricht als den Fischereistaaten und nur ein zeitlich begrenztes Beitrittsrecht vorsieht.302 Lässt sich die EG mithin nicht auf Verhandlungen ein, denen der Grundsatz des mar presencial zu Grunde liegt, so kann darin keine prinzipielle Kooperationsverweigerung seitens der EG gesehen werden. Dementsprechend ist es auch nicht möglich, der EG das Recht zur Fischerei auf Hoher See gem. Art. 8 Abs. 4 FSA abzusprechen, da sie sich nicht auf eine Kooperation, die auf diskriminierenden Grundsätzen beruht, einlassen muss. In Anbetracht der grundsätzlichen Bedeutung des Nichtdiskriminierungsgrundsatzes sowohl im SRÜ als auch im FSA und seines Ursprungs in der Gleichheit der Staaten sowie der Tatsache, dass die Regelungen des Art. 64, 116–119 SRÜ geltendes Gewohnheitsrecht widerspiegeln,303 sind diese als gemeinsames Recht der WTO-Mitglieder zu verstehen. Damit erfüllen die inhaltlichen Kooperationsvorgaben des SRÜ die in Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK aufgestellten Grundsätze und sind dementsprechend bei der Auslegung der Kooperationsvoraussetzungen im Rahmen des Art. XX GATT zu berücksichtigen. Ein WTO-Panel ist mithin verpflichtet bei der Frage, ob die von Chile mit der EG geführten Verhandlung dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechen, zu prüfen, inwieweit die Verhandlungen mit den Kooperationsvoraussetzungen des SRÜ vereinbar sind.304

II. Inhaltliche Parallelität von handelsrechtlich relevanten Umweltübereinkommen und WTO Auch wenn handelsrechtlich relevante multilaterale Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung verschiedenen Sachbereichen des Völkerrechts zuzuordnen sind, so ist der inhaltliche Zusammenhang zwischen den Übereinkommen, im Gegensatz zum inhaltlichen Zusammenhang zwischen Zweck des FSA, dem sich nämlich nicht entnehmen lässt, dass es zwischen Fischerei- und Küstenstaaten differenzieren will. Eine solche Auslegung des FSA wäre auch deshalb unzulässig, da es sich um ein die Vorschriften des SRÜ implementierendes Übereinkommen handelt, das eine prinzipielle Differenzierung zwischen Küsten- und Fischereistaaten verbietet. Dieses Verständnis wird durch Art. 4 FSA bestätigt, wonach die Vorschriften des FSA so auszulegen sind, dass sie nicht im Widerspruch zu denen des SRÜ stehen. 302 Stoll/Völeky, ZaöRV 62 (2002), S. 21 (25). 303 Meltzer, ODIL 25 (1994), S. 255 (327); Tomuschat, RdC 241 (1993), S. 194 (214); Jalbert, Straddling Stocks, Protection of the Environment and Drug Control, in: Wolfrum (ed.), Law of the Sea at the Crossroads, S. 411 (412); Wolfrum, Protection of the Marine Environment, in: FS Bernhardt, S. 1003 (1005). 304 Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (551 f.).

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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SRÜ und WTO-Rechtsordnung, evident, da die Umweltübereinkommen in unterschiedlicher Form auf Handelsrestriktionen zurückgreifen, um so eine effektive Durchsetzung ihrer Vertragsziele zu ermöglichen. Darüber hinaus ergibt sich der inhaltliche Zusammenhang aus der im Falle eines materiellrechtlichen Konflikts notwendigen Harmonisierung der Vertragsbestimmungen. Wie am Beispiel des materiellrechtlichen Verhältnisses von CartagenaProtokoll und WTO-Rechtsordnung aufgezeigt, bedarf es einer harmonisierenden Auslegung, um insbesondere die Bestimmungen des Protokolls mit denen der WTO-Rechtsordnung in Einklang zu bringen.305 Dementsprechend sind die Vorschriften des Cartagena-Protokolls unter Berücksichtigung des WTO-Rechts auszulegen. Auch eine Auslegung des WTO-Rechts anhand der Bestimmungen des Cartagena-Protokolls ist zumindest nicht ausgeschlossen, sofern es die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK erfüllt.306 Damit besteht im Fall einer Konkurrenz zwischen den Streitbeilegungsvorschriften handelsrechtlich relevanter multilateraler Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung aufgrund des Regelungsgehalts der Umweltübereinkommen ein inhaltlicher Zusammenhang qua Natur der Sache.

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen Wie bei der Problematik der Vertragskonkurrenz und -kollision, stellt sich auch bei Zuständigkeitskonkurrenzen und -konflikten zunächst die Frage, ob die jeweiligen Übereinkommen nicht selbst Vorschriften enthalten, die bestehende Zuständigkeitskonkurrenzen auflösen, indem sie entweder das Führen paralleler Verfahren unmöglich machen oder aber die Exklusivität eines Streitbeilegungsmechanismus statuieren, so dass die Existenz eines Zuständigkeitskonflikts ausgeschlossen ist. Damit offenbart sich erneut die Parallele zwischen Vertrags- und Zuständigkeitskonflikten.

I. Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK Paradebeispiel für eine Vorschrift, die das Führen paralleler Verfahren unmöglich macht, ist Art. 35 EMRK. Gem. Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK ist eine Beschwerde als unzulässig abzuweisen, wenn sie schon einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Vergleichsinstanz unterbreitet worden ist und keine neuen Tatsachen enthält.307 305 306

Siehe dazu oben 2. Teil A. II. 2. b). Zu den Voraussetzungen siehe oben 2. Teil A. II. 2. a) bb) (2).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Als internationale Untersuchungs- und Vergleichsinstanzen kommen vor allem die unterschiedlichen UN-Organe in Betracht, die für die verschiedenen UN-Menschenrechtsverfahren zuständig sind, und damit insbesondere der UN-Menschenrechtsausschuss.308 Aber auch das Verfahren im Rahmen der ILO ist als Untersuchungsinstanz im Sinne der Vorschrift anerkannt worden.309 Inwieweit der EuGH eine internationale Untersuchungsinstanz darstellt, ist hingegen bisher nicht entschieden worden. Der Wortlaut der Vorschrift spricht prinzipiell nicht gegen eine solche Einordnung.310 Dass die Anwendbarkeit des Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK im Verhältnis EGMR und EuGH dennoch eher unwahrscheinlich ist, liegt an den unterschiedlichen Streitgegenständen, die vor den jeweiligen Gerichten verhandelt werden.311 Darüber hinaus ist die Vorschrift nicht auf Untersuchungs- und Vergleichsinstanzen beschränkt, deren Urteile völkerrechtlich verbindliche Wirkung zukommt, da dies dem Sinn und Zweck der Regelung, die eine Mehrzahl internationaler Verfahren in derselben Sache vermeiden soll,312 widersprechen würde. Etwas anderes lässt sich auch nicht durch den Wortlaut oder die Praxis des EGMR nachweisen. Grundsätzlich ist lediglich darauf abzustellen, dass es sich um ein unabhängiges und unparteiliches Gremium handeln muss.313 Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK ist die Identität der Streitparteien. In der Streitigkeit Council of Civil Service Unions and Others v. UK entschied die EKMR noch, dass die Beschwerdeführer vor der Kommission nicht mit den Beschwerdeführern 307 Die Anwendbarkeit der Vorschrift ist nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass ein Verfahren vor einer anderen Untersuchungsinstanz ausgesetzt worden ist. Notwendig ist vielmehr die vollständige Rücknahme, damit eine Beschwerde vor dem EGMR nicht bereits wegen Unzulässigkeit nach Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK abgewiesen wird; EKMR, Calcerranda Fornielles and Cabeza Mato v. Spain, Appl. No. 17512/90, 6.7.1992. 308 Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 27, Rn. 19; van Dijk/van Hoof, European Convention on Human Rights, S. 116. 309 EKMR, Cereceda Martin and Others v. Spain, Appl. No. 16358/90, 12.10.1992, abgedruckt in HRLJ 1996, S. 130 ff. 310 van Dijk/van Hoof, European Convention on Human Rights, S. 117; a. A. allerdings ohne weitere Begründung Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 27, Rn. 20. 311 van Dijk/van Hoof, European Convention on Human Rights, S. 117. 312 EKMR, Calcarranda Fornielles and Cabeza Mato v. Spain, Appl. No. 17512/ 90. 313 Für die näheren Anforderungen an internationale Kontrollinstanzen i. S. v. Art. 31 Abs. 1 lit. b) EMRK vgl. Trinidade, HRLJ 1996, S. 164 ff., der zu dem Ergebnis kommt, dass diese Voraussetzungen u. a. von den Überwachungsinstanzen der CIS-Menschenrechtskonvention (Convention on Human Rights of the Commonwealth of Independent States) nicht erfüllt werden; ebenso Frowein, HRLJ 1996, S. 181 ff.

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

251

einer auf demselben Sachverhalt basierenden Beschwerde vor den Organen der ILO, die vom Trade Union Congress eingereicht worden war, identisch seien, da das Committee on Freedom of Association der ILO es Individuen nicht ermöglicht, eigene Beschwerden einzulegen, sondern nur für Beschwerden von Arbeiter- bzw. Angestelltenverbänden zuständig ist.314 In einem späteren Verfahren, in dem Beschwerdeführer 23 Angestellte waren, die wegen ihres Verhaltens im Werksausschuss entlassen worden waren, entschied die EKMR jedoch gegensätzlich.315 Zur gleichen Zeit war wegen desselben Verhaltens derselben Angestellten von der World Federation of Industry Workers ein Verfahren vor dem Committee on Freedom of Association angestrengt worden, dem sich die vier Gewerkschaften angeschlossen hatten, die von den Angestellten in dem Werksausschuss vertreten wurden. Auch wenn die 23 Beschwerdeführer formal gesehen nicht gleichzeitig als Beschwerdeführer in dem Verfahren vor dem Committee on Freedom of Association auftraten, war die Kommission der Ansicht, dass die Beschwerden dem Grunde nach von denselben Parteien anhängig gemacht worden waren. Entscheidend für die Auffassung der Kommission war die Tatsache, dass die vier Gewerkschaften, denen die 23 Angestellten angehörten, sich dem ILO-Verfahren angeschlossen hatten. Allerdings ist diese Differenzierung gegenüber der zuvor ergangenen Entscheidung wenig stichhaltig. Es ist daher davon auszugehen, dass die Kommission die Voraussetzungen der Identität der Streitparteien dahingehend ändern wollte, dass in Zukunft nicht eine formale, sondern eine inhaltliche Betrachtung entscheidend ist. Neben der Identität der Streitparteien bedarf es auch einer Identität des Streitgegenstandes.316 Dies wird im Vergleich zum UN-Menschenrechtsausschuss unproblematisch sein, solange aufgrund desselben Sachverhalts identische Rechtsverletzungen gerügt werden. Entscheidend für das Kriterium des identischen Sachverhalts ist ebenso wie bei der Frage nach der Identität der Streitparteien nicht ein rein formales, sondern ein materielles Verständnis, wie die Entscheidung der EKMR in der Streitigkeit Pauger v. Austria zeigt317. Auch wenn Grundlage beider Verfahren die Vereinbarkeit der verminderten Pensionszahlungen für Witwer aufgrund des österreichischen „Drei-Phasen-Modells“ mit dem Recht auf Gleichheit war, so basierten sie 314

EKMR, Council of Civil Service and Others v. UK, Appl. No. 11603/85, 20.1.1987. Die Entscheidung wurde jedoch wegen offensichtlicher Unbegründetheit für unzulässig erklärt. 315 EKMR, Cereceda Martin and Others v. Spain, Beschwerde Nr. 16385/90, HRLJ 1996, S. 130 ff., vgl. zu dem Problem der Identität der Streitparteien auch van Dijk/van Hoof, European Convention on Human Rights, S. 117 f.; Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 27, Rn. 21. 316 Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 27, Rn. 19. 317 EKMR, Pauger v. Austria, Appl. No. 24872/94.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

auf leicht abgewandelten Sachverhalten.318 Zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde beim UN-Menschenrechtsausschuss war der Beschwerdeführer noch nicht wieder verheiratet; d.h. der Sache nach ging es um die vollständige und nicht die verminderte Auszahlung der Pensionsansprüche seiner verschiedenen Frau. Der Sachverhalt, der der Beschwerde zur EKMR zu Grunde lag, hatte sich insoweit verändert, als dass der Beschwerdeführer erneut geheiratet hatte, so dass ihm nach dem novellierten österreichischen Pensionsgesetz ab dem Zeitpunkt der Heirat eine Abschlagszahlung der Pension seiner vorherigen, verschiedenen Frau zustand, deren Höhe aber ebenfalls auf der abgestuften Pensionsregelung für Witwer basierte. Bei rein formaler Betrachtungsweise könnte diese Abweichung als ausreichend betrachtet werden, um die Identität der Sachverhalte zu verneinen. Dies wäre jedoch mit dem Sinn und Zweck des Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK nicht vereinbar. Dementsprechend hat die Kommission in ihrer Entscheidung hervorgehoben, dass es sich trotz der leichten Abweichung der Sachverhalte in der Sache um einen identischen Lebenssachverhalt handle. „Nevertheless, the Commission finds that the applicant’s communication to the Human Rights Committee and his present application concern essentially the same issue, namely discrimination, both as regards his claim to a widower’s pension and as regards the application of transitory provisions to his pension right“319

Die Identität des Streitgegenstandes setzt allerdings auch die Identität der Rechtsfragen voraus. Entscheidend ist dabei aber nicht die Identität des durchsetzbaren Rechts, sondern die inhaltliche Identität der insoweit parallelen Verpflichtungen aufgrund der jeweiligen Übereinkommen, da die Regelung des Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK ansonsten wegen der unterschiedlichen Jurisdiktionen der Überwachungsinstanzen ratione materiae leer laufen würde.

II. Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP IPbürg und Vorbehalte gegenüber der Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses Auch das FP zum IPbürg enthält eine Vorschrift, die dem Problem der parallelen Zuständigkeiten von Überwachungsinstanzen im internationalen System zum Schutz der Menschenrechte begegnet. Gem. Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP wird eine Beschwerde vom UN-Menschenrechtsausschuss dann nicht geprüft, wenn dieselbe Sache bereits in einem anderen internationalen Untersuchungs- oder Streitregelungsverfahren geprüft wird. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind mit denen der EMRK im Wesentlichen identisch: 318 319

Zum Sachverhalt siehe oben 1. Teil D. IV. 4. b). EKMR, Pauger v. Austria, Appl. No. 24872/94.

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

253

Damit Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP Anwendung findet, muss es sich zum einen um eine vergleichbare internationale Untersuchungsinstanz handeln320 und zum anderen um dieselbe Sache. Dieselbe Sache definiert sich nach Ansicht des Ausschusses als „. . . the same claim concerning the same individual, submitted by him or by a third person who has standing to act on his behalf before the other international body.“321

Allerdings besteht in der Reichweite der Vorschrift im Vergleich zu Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK ein für die Praxis äußerst relevanter Unterschied.322 Während nach der EMRK Beschwerden, die bereits anderen internationalen Untersuchungsinstanzen unterbreitet worden sind, als unzulässig zurückgewiesen werden, bezieht sich Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP nur auf Streitigkeiten, die zum Zeitpunkt der Beschwerde an den UN-Menschenrechtsausschuss vor anderen Untersuchungsinstanzen geprüft werden.323 Dementsprechend handelt es sich bei der Vorschrift auch nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung im engeren Sinne, sondern um eine vorübergehende Schranke in der Zulässigkeit einer Beschwerde an den UNMenschenrechtsausschuss.324 Wird dieselbe Streitigkeit zum Zeitpunkt der Beschwerde von einer anderen Untersuchungsinstanz geprüft, so hat der Ausschuss entweder die Möglichkeit, seine Entscheidung bis zum Abschluss des anderen Verfahrens auszusetzen oder aber die Beschwerde für vorübergehend unzulässig zu erklären. Eine aus europäischer Sicht „korrigierende“ Auslegung des Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP dahingehend, dass nicht nur Beschwerden, die anderweitig geprüft werden, sondern auch solche, die bereits geprüft wurden, von der Vorschrift erfasst werden, verbietet sich aufgrund des insoweit eindeutigen Wortlauts, aber auch aufgrund der Entstehungsgeschichte.325 Ein im Rahmen der Aus320

Es muss sich erstens um zwischenstaatliche Untersuchungsinstanzen handeln und zweitens müssen diese für die Verhandlung konkreter, individueller Fälle zuständig sein; Nowak, CCPR-Commentary, Art. 5 First OP, Rn. 8 f. 321 UN-AMR, Finali v. Italy, Beschwerde Nr. 75/1980, para. 7.20. 322 Vgl. van Dijk/van Hoof, European Convention on Human Rights, S. 66. 323 Lewis-Anthony, Human Rights Complaints, in: Hannum (ed.), International Human Rights Practice, S. 41 (45). 324 Nowak, CCPR-Commentary, S. 695. 325 Der spanische Originaltext des FP kann zwar dahingehend interpretiert werden, dass von Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP auch Streitigkeiten erfasst werden, die bereits von anderen Untersuchungsinstanzen geprüft wurden. Allerdings ergibt sich nach Ansicht des UN-Menschenrechtsausschusses aus dem authentischen Vertragstext in englischer, russischer, französischer und chinesischer Sprache, dass nur Verfahren, die zum Zeitpunkt der Beschwerde gerade vor anderen Untersuchungsinstanzen verhandelt werden, in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP fallen. Die insoweit anderslautende spanische Version basiere lediglich auf einem redaktionel-

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

arbeitung des Protokolls vorgebrachter Entwurf, der sich im Wortlaut an der Vorschrift des damaligen Art. 27 Abs. 1 lit. b) EMRK orientierte, wurde nicht übernommen, da nicht der Eindruck erweckt werden sollte, dass es sich bei dem Ausschuss um ein gegenüber regionalen Überwachungsinstanzen subsidiäres Instrumentarium handle.326 Damit besteht die prinzipielle Möglichkeit, dass eine vom EGMR bereits zurückgewiesene Beschwerde erneut vom UN-Menschenrechtsausschuss in Bezug auf eine Verletzung der Rechte nach dem IPbürg geprüft wird. Dementsprechend stände Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP einer Zulässigkeit der Beschwerde in der Streitigkeit Rogl v. Deutschland nicht entgegen.327 Allerdings hat die parlamentarische Versammlung des Europarats in Resolution 635 von 1976 allen Mitgliedstaaten die Ratifikation des FP nur unter dem Vorbehalt empfohlen, dass sich der Menschenrechtsausschuss nicht mit einer Beschwerde befassen darf, die bereits vom EGMR bzw. damals auch der EKMR geprüft worden war.328 Dieser Empfehlung sind die meisten Vertragsstaaten nachgekommen.329 Dementsprechend hat auch die BRD anlässlich der Ratifikation des FP im Jahre 1993 einen Vorbehalt bezüglich der Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses abgegeben, der die Beschwerdemöglichkeit deutscher Staatsangehöriger erheblich einschränkt. Neben anderen Zuständigkeitsbeschränkungen enthält der Vorbehalt folgende Passage: „. . . the competence of the Committee shall not apply to communications (a) which have already been considered under another procedure of international investigation or settlement . . .“

Im Falle Rogl v. Germany hat sich der UN-Menschenrechtsausschuss mit den Voraussetzungen des Vorbehalts auseinandergesetzt. Von Bedeutung war insbesondere die Frage, inwieweit die Voraussetzung des „has been considered“ erfüllt ist, wenn der EGMR bzw. früher die EKMR eine Beschwerde nach summarischer Prüfung bereits wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig zurückgewiesen hat. Für den UN-Menschenrechtsausschuss war aber die Tatsache ausreichend, dass es überhaupt zu einer summarischen Überprüfung gekommen ist und die Klage nicht allein len Versehen und sei von daher nicht ausschlaggebend für die Auslegung, vgl. Report of the Human Rights Committee, GA Official Records, 33rd Sess, UN/DOC/ A/33/40, para. 584. 326 Nowak, CCPR-Commentary, S. 695 f. 327 Zum Sachverhalt siehe oben 1. Teil D. IV. 4. a). 328 Parlamentarische Versammlung des Europarates, Entschluss Nr. 635, 17.9. 1976, abgeruckt in EuGRZ 1976, S. 392. 329 Die Niederlande haben bewusst auf einen solchen Vorbehalt verzichtet; für die Gründe vgl. van Dijk/van Hoof, European Convention on Human Rights, S. 67.

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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wegen formaler Mängel zurückgewiesen wurde.330 Diese Entscheidung entspricht vorherigen Entscheidungen des Ausschusses.331 Auch das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Argument, dass die Angelegenheit schon wegen des unterschiedlichen materiellrechtlichen Schutzumfangs von EMRK und IPbürg nicht als „has been considered“ im Sinne des Vorbehalts angesehen werden könne, wurde zurückgewiesen. Der Ausschuss verwies zum einen darauf, dass keine volle Übereinstimmung des Wortlauts der gerügten Rechte erforderlich sei, und zum anderen, dass ein wesentlicher Unterschied vom Beschwerdeführer hätte nachgewiesen werden müssen. Darüber hinaus merkte der Ausschuss an, dass die Auslegung der einschlägigen Vorschriften durch die Konventionsorgane im Wesentlichen mit der Auslegung des Ausschusses in Bezug auf die entsprechenden Vorschriften des IPbürg übereinstimmen würde.332 Damit sind die Vorbehalte der EMRK-Vertragsstaaten bezüglich der Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses von diesem akzeptiert worden und stellen in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP eine wirksame Regelung zur Vermeidung paralleler Verfahren von Ausschuss und EGMR dar.

III. Art. 23 DSU Auch Art. 23 Abs. 1 DSU könnte die Funktion zukommen, das Führen von parallelen Verfahren zu verhindern, indem die Vorschrift für alle Streitigkeiten, die auch im Rahmen der WTO beigelegt werden können, die Priorität des im DSU näher konkretisierten WTO-Streitbeilegungsverfahrens begründet. Die Vorschrift verpflichtet die WTO-Mitglieder, bei ihren Bemühungen zur „Beseitigung einer Verletzung von Pflichten oder einer sonstigen Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen aus den unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen“ die im DSU festgesetzten Regeln 330 UN-AMR, Rogl v. Germany, para. 9.3, abgedruckt in MRM 2001, S. 39 (43); vgl. auch die Anm. von Brinkmeier im Anschluss, S. 45 (46). 331 Damit bestätigte der Ausschuss seine Entscheidung in der Streitigkeit A.N. v. Denmark und lehnt auch weiterhin die damals geäußerte abweichende Meinung eines seiner Mitglieder ab. Graefrath hatte damals vorgebracht, dass die Formulierung „has been considered“ im dänischen Vorbehalt nur eine Überprüfung der Entscheidungen des EGMR verhindern sollte. Zu einer Überprüfung durch den Ausschuss würde es im vorliegenden Falle aber gar nicht kommen, da es sich bei der EMRK und dem IPbürg um unterschiedliche und voneinander zu trennende Übereinkommen handle, vgl Report of the Human Rights Committee, General Assembly Official Records, 37th Sess., UN/DOC/A/37/40, 213 f. Diese Ansicht ist allerdings weder mit dem Sinn und Zweck des Vorbehalts vereinbar noch mit dem Verständnis eines einheitlichen Streitgegenstandsbegriffs des Menschenrechtsausschusses. 332 UN-AMR, Rogl v. Germany, para. 9.4, abgedruckt in MRM 2001, S. 39 (43); vgl. auch die Anm. von Brinkmeier im Anschluss, S. 45 (46).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

und Verfahren zu befolgen. Daraus ist in der Literatur die Schlussfolgerung gezogen worden: „. . . Article 23 emphasizes the legal primacy and exclusive character of the WTO dispute settlement system vis-à-vis alternative dispute settlement systems outside the WTO.“333

Der damit postulierte absolute Vorrang der WTO-Streitbeilegungsverfahren gegenüber alternativen Foren findet allerdings weder eine Stütze im Wortlaut der Vorschrift noch in ihrem Sinn und Zweck.334 Denn Ziel des Art. 23 DSU ist, wie sich aus der Überschrift ergibt, lediglich die Stärkung des multilateralen Streitbeilegungssystems der WTO gegenüber bi- und unilateralen Maßnahmen und nicht der Ausschluss und die Beeinträchtigung anderer Vertragsordnungen – zumindest nicht für den Fall, dass diese einen anderen Sachbereich als Regelungsgegenstand haben und damit grundsätzlich für die Auslegung eines anderen Vertrages zuständig sind.335 Darüber hinaus ist dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 DSU nicht zu entnehmen, dass er sich auch auf mögliche Zuständigkeitskonkurrenzen mit anderen obligatorisch zuständigen, verbindlich entscheidenden Streitbeilegungsorganen anderer Übereinkommen oder Vertragsordnungen bezieht. Auch die in Absatz 2 enthaltene Formulierung, dass die Feststellungen einer Rechtsverletzung von WTO-Vorschriften nur in Übereinstimmung mit den Vorschriften des DSU zulässig ist, kann sich nicht auf Verfahren vor alternativen Streitbeilegungsmechanismen beziehen, da diese zwar möglicherweise Aspekte desselben Lebenssachverhalts entscheiden, dies aber in Bezug auf andere Verträge oder Rechtsordnungen und insofern eine WTO-Rechtsverletzung nicht feststellen können. Daher verbietet Art. 23 DSU auch nicht die Anrufung eines Streitbeilegungsmechanismus außerhalb der WTO, solange dort WTO-fremde Aspekte eines bereits vor WTO-Streitbeilegungsorganen anhängigen Falls verhandelt werden.336 Dies gilt auch für das Verhältnis von WTO-Verfahren und ISGH. Denn die Zuständigkeit der WTO-Panel und des Appellate Body erstreckt sich nur auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des WTO-Übereinkommens sowie der multi- und plurilateralen Handelsübereinkommen, während Art. 288 SRÜ die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte nur für 333

Petersmann, CMLR 31 (1994), S. 1157 (1208); Reinisch, RIW 2002, S. 449

(455). 334 Lee/v. Lewinski, Settlement of International Disputes, in: Beier/Schricker (eds.), From GATT to TRIPS, S. 278 (303 ff.); v. Lewinski, UFITA 136 (1998), S. 103 (124); Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/ Campbell (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 302 (318 ff.); Neumann, Koordination, S. 532 ff. 335 v. Lewinski, UFITA 136 (1998), S. 103 (124); Cottier, Impact of the TRIPS Agreement on Private Practice in: Cameron/Campbell (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 111 (116). 336 Neumann, Koordination, S. 534.

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung des SRÜ begründet. Die Zuständigkeiten nach dem DSU und dem SRÜ beziehen sich mithin auf eigenständige, primär voneinander unabhängige Vertragsregime. Es wäre demnach widersinnig anzunehmen, dass Art. 23 DSU einen absoluten Vorrang des WTO-Streitbeilegungssystems vorsehe unabhängig davon, für welche Streitigkeiten das „alternative“ Forum zuständig ist. Etwas anderes ergibt sich aber im Verhältnis von WTO-Streitbeilegung und regionalen Streitbeilegungsverfahren, die für sich in Anspruch nehmen, eine Verletzung von WTO-Recht feststellen zu können. So steht den Vertragsstaaten im Rahmen der NAFTA-Streitbeilegung nach Kapitel 19 nicht nur das Recht auf Errichtung bi-nationaler Schiedsgerichte nach Art. 1904 NAFTA zu, um Verwaltungsentscheidungen der innerstaatlichen Behörden im Bereich der Ausgleichszölle und der Subventionen anhand des nationalen Rechts überprüfen zu lassen. Sie können auch die Errichtung eines binationalen Schiedsgerichts nach Art. 1903 NAFTA beantragen, welches die Änderungen nationaler Bestimmungen und Gesetze über Ausgleichszölle und Beihilfen auf ihre Vereinbarkeit mit den jeweils einschlägigen Vorschriften der WTO-Übereinkommen und dem Sinn und Zweck des NAFTA überprüft und zwar unabhängig davon, ob diese in das NAFTA integriert wurden oder nicht.337 Auch wenn somit die grundsätzliche Möglichkeit besteht, dass es aufgrund der Zuständigkeit der NAFTA-Schiedsgerichte für WTO-Streitigkeiten im Bereich der Ausgleichszölle und der staatlichen Beihilfen zu parallelen Verfahren kommt,338 die sich auf das identische Recht beziehen, wird es in Zukunft nicht zu einer Realisierung des bestehenden Konfliktpotentials kommen. Zwar findet im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens nach Art. 1903 NAFTA keine dem Art. 2005 NAFTA339 entsprechende Vorschrift Anwendung, die im Falle paralleler Zuständigkeiten von NAFTAund WTO-Streitbeilegung das Führen paralleler Verfahren grundsätzlich verhindert.340 Allerdings verstößt Art. 1903 NAFTA zumindest insoweit gegen Art. 23 DSU, wie damit die Zuständigkeit der NAFTA-Schiedsgerichte für die Beilegung von WTO-Streitigkeiten begründet wird. 337

Siehe dazu oben 1. Teil B. III. 2. b). Zu den bisher theoretisch gebliebenen Konstellationen paralleler Verfahren im Verhältnis von WTO- und Art. 1903 NAFTA-Streitbeilegung siehe oben 1. Teil D. IV. 3. a). 339 Siehe dazu unten 2. Teil C. IV. 340 In der Literatur ist angeregt worden, über ein „liberales Verständnis“ des Art. 2005 Abs. 1 NAFTA nachzudenken und die Regelung letztlich analog auch für Streitigkeiten nach Art. 1903 NAFTA anzuwenden, vgl. de Mestral, RdC 275 (1998), S. 219 (368). Allerdings ist eine solche Lesart des Art. 2005 Abs. 1 NAFTA weder mit der Systematik noch mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar. 338

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Die allgemeine in Art. 23 Abs. 1 DSU enthaltene Verpflichtung, eine Verletzung von WTO-Normen nur im Rahmen der dafür im DSU vorgesehenen Verfahren geltend zu machen, wird durch die folgenden Absätze des Art. 23 DSU weiter konkretisiert. So bestimmt Art 23 Abs. 2 lit. a) DSU, dass eine Feststellung der Verletzung von Rechten und Pflichten aus den WTO-Übereinkommen nur durch die WTO-Panel oder den Appellate Body erfolgen darf. Dies ist von der WTO-Rechtsprechung bisher dahingehend verstanden worden, dass die Feststellung einer Verletzung von WTO-Vorschriften nicht durch die WTO-Mitgliedstaaten selbst, sondern nur durch die WTO-Streitbeilegungsorgane erfolgen kann. „On this basis, we conclude as follows: (a) It is for the WTO through the DSU process – not for an individual WTO Member – to determine that a WTO inconsistency has occurred (Article 23.2(a)).“341

Allerdings erschöpft sich der Anwendungsbereich des Art. 23 DSU nicht allein in dieser Funktion. Denn der mit der Vorschrift verfolgte Zweck, der in der Stärkung des multilateralen Streitbeilegungssystems der WTO zu sehen ist, wird nicht nur in Fällen, in denen eine Feststellung der Verletzung von WTO-Vorschriften einseitig durch die Mitgliedstaaten erfolgt, torpediert, sondern auch dann, wenn die Mitgliedstaaten sich darauf einigen, Streitigkeiten über die Auslegung von WTO-Verpflichtungen in alternativen Foren beizulegen. Würde dies zugelassen werden, so hätten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Reform des Streitbeilegungsmechanismus wieder rückgängig zu machen, indem sie das Verfahren in den alternativen Foren so ausgestalten, dass sie wieder mehr Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens haben. Durch die Wiedereinführung diplomatischer Strukturmerkmale der Streitbeilegung würde die Ausgestaltung des WTO-Streitbeilegungsmechanismus als quasi-gerichtliches Verfahren zunichte gemacht werden. Damit begründet Art. 23 DSU zwar keine prinzipielle Exklusivität der WTO-Streitbeilegung gegenüber alternativen Foren. So schließt die Bestimmung insbesondere nicht die Zuständigkeit alternativer Streitbeilegungsmechanismen multilateraler Übereinkommen aus, in denen es um die Auslegung und Anwendung WTO-fremder Vorschriften geht. Jedoch enthält Art. 23 DSU einen Vorrang für die Fälle, in denen WTO-Normen mit Hilfe anderer Streitbeilegungsverfahren als denen im DSU vorgesehenen unmittelbar durchgesetzt werden sollen. Denn Sinn und Zweck der Vorschrift ist nicht nur der Ausschluss bi- und unilateraler Streitbeilegungsmaßnahmen, sondern es soll auch verhindert werden, dass WTO-Streitigkeiten 341 Panel Report, United States – Section 301–310 of the Trade Act of 1974, Report of the Panel, WT/DS152/R, 22.12.1999, para. 7.38.

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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durch regionale Gremien und deren Streitbeilegungsmechanismen beigelegt werden.342 Dementsprechend sind NAFTA-Vertragsstaaten seit dem In-Kraft-Treten des DSU daran gehindert, den Verstoß von WTO-Vorschriften im Bereich der Ausgleichszölle und staatlicher Beihilfen in einem Verfahren nach Art. 1903 NAFTA geltend zu machen, so dass die Möglichkeit paralleler Verfahren und damit die Gefahr unvereinbarer Entscheidungen im Verhältnis von Art. 1903 NAFTA- und WTO-Streitbeilegung nicht mehr besteht.343

IV. Art. 2005 NAFTA Weil den NAFTA-Vertragsstaaten die Gefahren, die sich aus parallel geführten Verfahren ergeben können, bewusst waren und weil man auch die faktische Revision der Entscheidungen des jeweils anderen Streitbeilegungsmechanismus vermeiden wollte, enthält Kapitel 20 NAFTA mit Art. 2005 eine Vorschrift, die das Verhältnis der beiden Streitbeilegungsmechanismen in dem Sinne regelt, dass ein und dieselbe Maßnahme entweder Gegenstand eines WTO-Verfahrens wird oder aber im Rahmen des Streitbeilegungsmechanismus nach Kapitel 20 NAFTA überprüft wird.344 Eine doppelte Befassung sollte also ausgeschlossen werden. Gem. Art. 2005 Abs. 1 NAFTA können die Vertragsparteien grundsätzlich frei zwischen den Streitbeilegungsmechanismen des NAFTA und der WTO wählen, so dass durch die Vorschrift kein prinzipieller Vorrang des Kapitel-20-NAFTA-Streitbeilegungsmechanismus begründet wird. Diese Wahlfreiheit wird aber durch Art. 2005 Abs. 2 NAFTA dahingehend eingeschränkt, dass eine NAFTA-Vertragspartei, bevor sie die Einsetzung eines Panel nach dem DSU beantragt, jede andere Vertragspartei von dieser Absicht in Kenntnis setzen muss. Verlangt die beklagte Partei, dass die Streitigkeit nicht im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens, sondern nach 342 Lee/v. Lewinski, Settlement of International Disputes, in: Beier/Schricker (eds.), From GATT to TRIPS, S. 278 (305); Lewinski, UFITA 138 (1998), S. 103 (122). 343 A. A. de Mestral, Rdc 275 (1998), S. 219 (338), der von der Wahlmöglichkeit zwischen den beiden Foren ausgeht. Allerdings werden die Auswirkungen des Art. 23 DSU auf das Streitbeilegungsverfahren nach Art. 1903 NAFTA nicht angesprochen. 344 Siehe Marceau, JWT 31/2 (1997), S. 25 (73 f.), de Mestral, RdC 275 (1998), S. 219 (365 ff.); Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1034 ff.). Die Frage, inwieweit Art. 2005 NAFTA auch auf das GATT 94 und damit auf das heutige WTO-Streitbeilegungsverfahren anwendbar ist, stellt sich im Gegensatz zu Art. 103 NAFTA aufgrund des in der Vorschriften expliziten Verweises auf die Nachfolgeübereinkommen zum GATT 47 nicht; Abbott, Regional Integration, S. 100.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Kapitel 20 NAFTA beigelegt wird, so müssen sich die Streitparteien auf eines der beiden Foren einigen. Erst wenn keine Einigung zustande kommt, verpflichtet Art. 2005 Abs. 2 S. 3 NAFTA die Parteien, die Streitigkeit nach Kapitel 20 NAFTA beizulegen.345 Allerdings wird die in Art. 2005 Abs. 1 und 2 NAFTA prinzipiell gewährleistete Wahlfreiheit zwischen den Streitbeilegungsmechanismen durch die Abs. 3 und 4 für bestimmte Bereiche zugunsten des Kapitel-20NAFTA-Streitbeilegungsverfahrens eingeschränkt.346 Dies gilt u. a. für Streitigkeiten, in denen die beklagte Partei ihre Maßnahmen auf Art. 104 NAFTA stützt, der entgegen den Bestimmungen der WTO-Übereinkommen einen grundsätzlichen Vorrang bestimmter, im Vertragstext aufgeführter multilateraler Umweltübereinkommen vorsieht.347 Macht der beklagte Staat mithin geltend, dass seine sich auf den Handel beschränkend auswirkenden Maßnahmen auf Grundlage dieser multilateralen Umweltübereinkommen erlassen worden sind und dass damit Art. 104 NAFTA für die Frage eines Verstoßes gegen das NAFTA entscheidungserheblich ist, so kann der beklagte Staat auf Antrag verlangen, dass die Streitigkeit nur im Rahmen des NAFTA nach Kapitel 20 beigelegt wird. Ein solcher Vorrang findet sich auch in Art. 2005 Abs. 4 NAFTA für Streitigkeiten, die sich auf Maßnahmen eines Vertragsstaates nach Kapitel 7 Abschnitt B NAFTA (Rechtmäßigkeit von gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen) oder Kapitel 9 NAFTA (technische Handelshemmnisse) beziehen. Kommt es in diesen Bereichen zur Auseinandersetzung über Maßnahmen, die zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen erlassen wurden, oder sind tatsächliche oder wissenschaftliche Fragen in Bezug auf den Umwelt- und Gesundheitsschutz Gegenstand des Verfahrens, so kann auch in diesem Fall die beklagte Partei auf Antrag verlangen, dass die Streitigkeit vor einem NAFTA-Schiedsgericht und nicht im Rahmen der WTO beigelegt wird, Art. 2005 Abs. 4 NAFTA.348 Hat der beklagte Staat in den Fällen des Abs. 3 oder 4 einen dementsprechenden Antrag gestellt und ist es dennoch bereits zur Einleitung eines Verfahrens im Rahmen der WTO gekommen, so ist der klagende Staat gem. Art. 2005 Abs. 5 NAFTA verpflichtet, die Einstellung dieses Verfahrens zu beantra345

Abbott, Regional Integration, S. 100 f. Siehe dazu Marceau, JWT 31/2 (1997), S. 25 (73 f.). 347 Damit ist Sinn und Zweck des Art 2005 Abs. 3 NAFTA nicht so sehr die Vermeidung paralleler Verfahren, sondern vielmehr soll dadurch erreicht werden, dass der Vorrang der multilateralen Umweltübereinkommen nach Art. 104 NAFTA nicht durch ein WTO-Verfahren, in dessen Rahmen dieser Vorrang keine Wirkung hätte, faktisch ausgehöhlt wird; zum Verhältnis multilateraler Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung vgl. oben 2. Teil A. II. 348 Abbott, Regional Integration, S. 100. 346

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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gen, um so den Vorrang des NAFTA-Streitbeilegungsverfahrens sicherzustellen. Trotz der relativen Klarheit des Art. 2005 NAFTA ergeben sich bei genauerer Untersuchung der Voraussetzungen dennoch einige Auslegungsschwierigkeiten, die im Folgenden erörtert werden sollen.

1. Identität der Streitgegenstände Auch wenn Art. 2005 Abs. 2 NAFTA in Verbindung mit Abs. 7 die Exklusivität des jeweils gewählten Streitbeilegungsmechanismus begründet, um so das Führen von parallelen Verfahren zu vermeiden, so gilt dies nur, wenn es sich in der Sache um im Wesentlichen entsprechende Verfahren handelt (dispute settlement proceedings on grounds that are substantially equivalent to those available to that Party under this Agreement). Welche genauen Anforderungen an diese Voraussetzung zu stellen sind, ist allerdings ungeklärt, da diese Vorschrift bisher noch nicht Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen den NAFTA-Vertragsstaaten war und somit auch keine Entscheidung eines ad hoc Schiedsgerichts über die Reichweite des Art. 2005 Abs. 2 NAFTA existiert. Grundsätzlich muss es sich entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der in der Vermeidung von parallelen Verfahren liegt, um Verfahren handeln, denen dieselbe Streitigkeit zu Grunde liegt. Notwendige Voraussetzung für die Anwendung des Art. 2005 Abs. 2 NAFTA ist also die Identität des Streitgegenstandes. Allerdings kann der Begriff eines einheitlichen Streitgegenstandes durchaus unterschiedlich verstanden werden. Ein rein formales Verständnis würde sich lediglich auf die Identität des der Streitigkeit zu Grunde liegenden Sachverhalts beziehen, während aufgrund eines materiellen Verständnisses auch eine prinzipielle Identität des für die Streitigkeit jeweils entscheidungserheblichen Rechts verlangt werden müsste. Für ein materielles Verständnis des Streitgegenstandsbegriffs spricht – wegen der Formulierung „on grounds that are substantially equivalent to those available to that Party under this Agreement“ – die englischsprachige Fassung der Vorschrift. Eine solche Auslegung hätte allerdings zur Konsequenz, dass es im Zweifelsfall erst einmal zu einer Auseinandersetzung über die Frage kommen würde, ob und inwieweit die entscheidungserheblichen Vorschriften des einschlägigen WTO-Übereinkommens und die relevanten NAFTA-Vorschriften für die Parteien im Wesentlichen identische Rechte und Pflichten enthalten. Des Weiteren könnte eine solche Feststellung eigentlich auch erst getroffen werden, wenn die Begründetheit einer Klage geprüft wird. Darüber hinaus müssten in den Verfahren die entscheidungserheblichen Vorschriften mit denen der jeweils anderen Ordnung verglichen werden, um entscheiden zu können, ob das materielle Recht im Wesentlichen identisch ist. Dies hätte zur Folge, dass WTO-Panel und der Appellate Body das

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

NAFTA auslegen müssten und die Schiedsgerichte des NAFTA die WTOÜbereinkommen. Dies wiederum birgt die Gefahr, dass es zu Konflikten zwischen den Streitbeilegungsmechanismen in Bezug auf die materiellrechtliche Reichweite der jeweiligen Verträge bzw. Vertragsbestimmungen kommt. Dies würde aber dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der gerade in der Vermeidung von Konflikten liegt, widersprechen. Ist allerdings allein ein formales Verständnis des Streitgegenstandsbegriffs ausschlaggebend, so könnte ein NAFTA-Vertragsstaat allein aufgrund der faktischen Identität des der Streitigkeit zu Grunde liegenden Sachverhalts, die Einsetzung eines WTO-Panels auch dann verhindern, wenn das einschlägige WTO-Übereinkommen dem klagenden Staat offensichtlich weitergehende Rechte gewährt. Dies hätte zur Folge, dass sich der beklagte Staat seiner weiterreichenden WTO-Verpflichtungen dadurch entziehen kann, dass er die Einsetzung eines WTO-Panels im Verhältnis zu den anderen NAFTA-Staaten durch eine Berufung auf Art. 2005 Abs. 2 NAFTA dauerhaft verhindert, weil formal betrachtet eine Identität der Streitgegenstände vorliegt. Ein solches Ergebnis kann nicht Sinn und Zweck des Art. 2005 Abs. 2 NAFTA sein, so dass für eine Identität des Streitgegenstandes auch materielle Kriterien in Bezug auf die Identität des jeweils entscheidungserheblichen Rechts notwendig sind. Dieses Ergebnis wird zumindest indirekt durch die Split-run Periodicals Streitigkeit zwischen den USA und Kanada bestätigt. Gegenstand der Streitigkeit waren kanadische Vorschriften, die diverse Importrestriktionen für aus den USA importierte Zeitschriften enthielten. So bestand ein vollständiges Importverbot für Zeitschriften mit Werbung, welche speziell auf den kanadischen Markt gerichtet, und in der Ausgabe, die im Heimatland vertrieben wurden, nicht enthalten war. Darüber hinaus wurden sog. split-run Zeitschriften, d.h. Zeitschriften, die zwar unter demselben Namen aber mit jeweils eigenständigen nationalen Ausgaben in verschiedenen Staaten erscheinen, mit einer 80%igen Verbrauchssteuer belegt, wenn mehr als 20% des redaktionellen Inhalts mit dem Inhalt von Ausgaben, die in anderen Staaten vertrieben werden, identisch war. Außerdem existierten nach kanadischen Recht für kanadische Zeitschriften wesentlich niedrigere Portosätze als für importierte Zeitschriften. Dass die USA die Einsetzung eines WTOPanels beantragten und nicht die Errichtung eines Schiedsgericht nach Kapitel 20 NAFTA hatte seinen Grund darin, dass im Rahmen der WTO die USA eine Verletzung des Gebots der Inländergleichbehandlung nach Art. III GATT und des Verbots der mengenmäßigen Beschränkung gem. Art XI GATT geltend machen konnten. Im Rahmen des NAFTA hätte Kanada sich jedoch auf eine Ausnahmevorschrift des CUSTA berufen können, die durch Verweis in das NAFTA übernommen worden war. Diese Ausnahmevorschrift bezog sich u. a. auch auf Zeitschriften und bestimmte, dass die Frei-

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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handelsprinzipien für diese nicht anwendbar sind. Mithin hätten die USA ein Verfahren nach Kapitel 20 NAFTA überhaupt nicht anstrengen müssen, da die kanadischen Regelungen mit den Vorschriften des NAFTA vereinbar waren.349 Würde Art. 2005 Abs. 2 NAFTA ein formales Verständnis des Streitgegenstandsbegriffs zu Grunde liegen, so hätte Kanada die Möglichkeit gehabt, sich auf die Identität des Sachverhalts zu berufen, auf dem die Streitigkeit basierte. Dies hätte die Anwendbarkeit des Art. 2005 Abs. 2 NAFTA zur Konsequenz gehabt, so dass die Streitigkeit, wenn es zu keiner Einigung bezüglich eines Forums gekommen wäre, letztendlich nach Kapitel 20 NAFTA hätte beigelegt werden müssen. Kanada hätte sich so seiner weiterreichenden GATT-Verpflichtungen faktisch entziehen können. Allein die Tatsache, dass Kanada überhaupt nicht versucht hat, in diese Richtung zu argumentieren, kann als zusätzliches Indiz dafür herangezogen werden, dass Art. 2005 Abs. 2 NAFTA nicht nur rein formal zu verstehen ist, sondern dass an den Streitgegenstandsbegriff auch materielle Kriterien geknüpft sind. Dementsprechend findet Art. 2005 Abs. 2 NAFTA nur dann Anwendung, wenn sowohl der zu Grunde liegende Sachverhalt, als auch das für die Streitigkeit entscheidungserhebliche Recht identisch sind. Um aber die Gefahr von Auseinandersetzungen über die Identität des Rechts im Vorfelde der Anwendung des Art. 2005 Abs. 2 NAFTA zu minimieren, kann mangelnde Identität nur dann angenommen werden, wenn es sich um einen offensichtlichen Unterschied in der materiellrechtlichen Reichweite der Vorschriften handelt, der bereits bei summarischer Prüfung erkennbar ist. Angesichts der grundsätzlichen inhaltlichen Parallelität des NAFTA und der WTO-Übereinkommen und den Regelungen in Art. 2005 Abs. 3 und 4 NAFTA, welche die in Art. 2005 Abs. 1 NAFTA enthaltene Wahlfreiheit für diejenigen Bereiche, in denen es erheblichen Unterschieden in der materiellrechtlichen Reichweite der Übereinkommen kommt, ohnehin zugunsten der Kapitel-20-NAFTA-Streitbeilegung einschränken, kann also davon ausgegangen werden, dass das Führen paralleler Verfahren durch Art. 2005 NAFTA verhindert werden kann. Letztlich entscheidend bleibt aber der Einzelfall, insbesondere wegen der Bestimmung des Streitgegenstands. 2. Anwendbarkeit des Art. 2005 NAFTA in WTO-Verfahren Für eine effektive Durchsetzung des mit Art. 2005 NAFTA verfolgten Ziels – die Vermeidung paralleler Verfahren im Verhältnis von Kapitel-20NAFTA- und WTO-Streitbeilegung – ist es notwendig, dass die in Art. 2005 NAFTA enthaltenen Regelungen auch von den WTO-Paneln berücksichtigt werden. Denn ansonsten wären die NAFTA-Vertragsstaaten zumindest nach 349

Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1077 f.).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

WTO-Recht nicht daran gehindert, ein paralleles Verfahren im Rahmen der WTO-Streitbeilegung einzuleiten, obwohl ihnen dies entweder nach Art. 2005 Abs. 2 oder nach Art. 2005 Abs. 3 und 4 NAFTA untersagt wäre. Auch hätte der beklagte Staat keine Möglichkeit, die Führung paralleler Verfahren zu verhindern.350 Einer Anwendung des Art. 2005 NAFTA können letztlich zwei Argumente entgegenstehen: Zum einen, dass sich das anwendbare Recht im Rahmen von WTO-Verfahren auf die WTO-Übereinkommen beschränkt, so dass WTO-fremde Normen nur in Fällen der ausdrücklichen Inkorporation Anwendung finden, und zum anderen, dass die Vorschriften über das WTO-Streitbeilegungsverfahren Vorrang genießen. Ein solcher Vorrang der WTO-Streitbeilegung könnte, wie auch im Verhältnis zu Art. 1903 NAFTA, nur durch Art. 23 DSU begründet werden. Allerdings verpflichtet diese Vorschrift die WTO-Mitgliedstaaten nur dann, ausschließlich das Verfahren nach dem DSU zu nutzen, wenn Gegenstand der Streitigkeiten die Auslegung und Anwendung von Vorschriften der WTO-Übereinkommen ist. Gegenüber Streitbeilegungsverfahren, in denen WTO-fremde Normen Anwendung finden, ist Art. 23 DSU jedoch nicht anwendbar.351 Wie bereits festgestellt, ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Streitbeilegungsverfahren nach Kapitel 20 und Art. 1903 NAFTA, dass sich das durchsetzbare Recht des Ersteren auf die NAFTAVorschriften beschränkt. Im Rahmen einer Kapitel-20-Streitigkeit kann mithin nicht die Verletzung von WTO-Vorschriften geltend gemacht werden.352 Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn aufgrund eines Verweises WTONormen in das NAFTA inkorporiert werden. Allerdings handelt es sich formal dann immer noch um eine NAFTA-Streitigkeit. Lediglich die inhaltliche Ausgestaltung erfolgt durch die Heranziehung von WTO-Normen. Aufgrund dieses Unterschiedes bezüglich der Ausgestaltung des durchsetzbaren Rechts begründet Art. 23 DSU anders als im Verhältnis zu den Verfahren nach Art. 1903 NAFTA gegenüber Kapitel-20-NAFTA-Verfahren keinen Vorrang der WTO-Streitbeilegung. In Bezug auf den zuerst genannten Einwand ist festzustellen, dass sich dem DSU entgegen einer weitverbreiteten Ansicht in der Literatur nicht entnehmen lässt, dass das in WTO-Verfahren anwendbare Recht auf die Vorschriften der WTO-Übereinkommen beschränkt ist.353 Macht ein 350 Dass ein WTO-Panel ein Verfahren deshalb einstellen würde, weil sich die beklagte Partei auf ihre Rechte aus Art. 2005 NAFTA beruft, hält Marceau, JWT 31/2 (1997), S. 25 (74) für äußerst zweifelhaft. Allerdings führt sie dafür keine nähere Begründung an. 351 Siehe oben 2. Teil C. III. 352 Siehe oben 1. Teil D. IV. 3. b). 353 Zur Problematik des anwendbaren Rechts in WTO-Verfahren siehe oben 2. Teil A. II. 3. a).

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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NAFTA-Vertragsstaat die Unzuständigkeit eines WTO-Panels wegen der in Art. 2005 Abs. 1 und 2 NAFTA enthaltenen Regelungen geltend, so ist es dem Panel nicht verwehrt, diesen Einwand zu prüfen und ihm ggf. stattzugeben. 3. Verhältnis von Art. 2005 Abs. 4 und Art. 2005 Abs. 1 und 2 NAFTA Die Streitigkeit zwischen Kanada und den USA wegen des für kanadische Schweine, Rinder und Getreide erlassenen Importverbots zeigt,354 dass es neben der Bestimmung des Streitgegenstandsbegriffes und der Frage der Anwendbarkeit des Art. 2005 NAFTA in WTO-Verfahren auch einer Klärung des Verhältnisses der einzelnen Absätze des Art. 2005 NAFTA bedarf. Zwar ist das Führen paralleler Konsultationen im Rahmen der WTO-Streitbeilegung und des Kapitels 20 NAFTA, wie sie von Kanada beantragt worden waren, unproblematisch und wird auch nicht durch die Regelungen des Art. 2005 NAFTA erfasst.355 Kanada hatte jedoch erwogen, die Streitigkeit in mehrere Streitigkeiten aufzuteilen und diese getrennt sowohl im Rahmen eines WTO-Panelverfahrens als auch nach Kapitel 20 NAFTA beizulegen. Demnach hätte der gesundheitspolizeiliche Aspekt, welcher der Streitigkeit zu Grunde liegt, anhand der dafür einschlägigen Vorschriften des NAFTA und damit durch ein NAFTA-Schiedsgericht überprüft werden sollen. Die Einsetzung eines WTO-Panels sollte demgegenüber zur Geltendmachung einer Verletzung des Verbots der mengenmäßigen Beschränkung von Importen gem. Art. XI GATT beantragt werden.356 Kanadas Position muss also dahingehend verstanden werden, dass dem Importverbot eigentlich zwei Maßnahmen zu Grunde lagen, von denen die eine in den Anwendungsbereich des Art 2005 Abs. 4 NAFTA fällt und die andere in den Anwendungsbereich des Art. 2005 Abs. 1 NAFTA, in dessen Rahmen Kanada dann von seiner Wahlmöglichkeit bezüglich des Streitbeilegungsforums zugunsten der WTO Gebrauch gemacht hätte. Gegenstand der Auseinandersetzung wäre mithin nicht die Frage, ob es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand im Sinne des Art. 2005 Abs. 2 NAFTA handelt, sondern, ob tatsächlich zwei rechtlich und faktisch voneinander getrennte Maßnahmen vorliegen. Rein formal betrachtet ist dies abzulehnen, da es sich bei dem 354

Siehe oben 1. Teil D. IV. 3. b). Gem. Art. 2005 Abs. 7 NAFTA finden die Regelungen des Art. 2005 erst Anwendung, wenn entweder nach dem DSU die Einsetzung eines WTO-Panels beantragt wurde oder aber im Falle eines Verfahrens nach Kapitel 20 NAFTA die NAFTA-Kommission zusammenkommt, um die Streitigkeit durch Vermittlung zu lösen. 356 Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1074 f.). 355

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Importverbot um eine einheitliche Regelung handelt. Eine rechtliche Trennung ist jedoch zumindest denkbar, wenn dieselbe Regelung sowohl gegen die SPS-Vorschriften als auch gegen die sonstigen Freihandelsgrundsätze verstoßen kann, d.h. wenn beide Regelungen nebeneinander und unabhängig voneinander anwendbar sind. Denn dann könnte ein jeweiliger Verstoß auch in verschiedenen Streitbeilegungsforen geltend gemacht werden. Während im WTO-Recht das Verhältnis von SPS-Übereinkommen und GATT noch nicht abschließend geklärt ist, wegen Art. 2 Abs. 4 SPS-Übereinkommen aber von einer Art Vorrangregelung des SPS-Übereinkommens gegenüber dem GATT gesprochen werden kann,357 enthält das NAFTA mit Art. 710 NAFTA eine eindeutige Vorrangregelung: Articles 301 (National Treatment) and 309 (Import and Export Restrictions), and the provisions of Article XX (b) of the GATT as incorporated into Article 2102 (1) (General Exceptions), do not apply to any sanitary or phytosanitary measure.

Die dadurch statuierte Verdrängung der allgemeinen Freihandelsgrundsätze bei gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen muss auch bei der Auslegung des Verhältnisses von Art. 2004 Abs. 2 und Abs. 4 NAFTA berücksichtigt werden. Kommt es also zu einem Verfahren über die Rechtmäßigkeit solcher Bestimmungen zwischen den NAFTA-Vertragsstaaten, so handelt es sich dabei rechtlich um eine Maßnahme. Für die Bestimmung des zuständigen Streitbeilegungsmechanismus ist damit die Regelung des Art. 2005 Abs. 4 NAFTA ausschlaggebend, so dass für die Anwendbarkeit des Art. 2005 Abs. 1 und 2 NAFTA kein Raum mehr bleibt. Dementsprechend hätte Kanada auch nicht zusätzlich zu der Errichtung eines ad hoc Schiedsgerichts nach Kapitel 20 NAFTA, welches allein die Rechtmäßigkeit des Importverbotes in Bezug auf Kapitel 7 Abschnitt B NAFTA überprüft hätte, die Einsetzung eines WTO-Panels wegen der angeblichen Verletzung des Verbotes der mengenmäßigen Beschränkung von Importen und dem Gebot der Inländergleichbehandlung beantragen dürfen. Wäre es dennoch zu dieser Situation gekommen, so hätten sich die USA auf ihre Rechte aus Art. 2005 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAFTA berufen können, die das WTO-Panel im Verfahren hätte berücksichtigen müssen.

357 Nach Art. 2 Abs. 4 SPS-Übereinkommen ist davon auszugehen, dass Maßnahmen, die mit dem SPS-Übereinkommen vereinbar sind, auch im Einklang mit den Vorschriften des GATT stehen. Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002), S. 811 (871), gehen korrekterweise davon aus, dass es sich dabei um eine prima facie Vermutung handelt, die aber im Einzelfall widerlegbar ist. Die Beweislast für die GATT-Widrigkeit einer mit dem SPS-Übereinkommen übereinstimmenden Maßnahme trägt damit die vorbringende Partei.

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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V. SRÜ Auch im Rahmen des SRÜ wird spätestens seit dem SBT-Fall und der MOX Plant-Streitigkeit die Frage diskutiert, ob das SRÜ im Falle der parallelen Anwendbarkeit mit anderen Übereinkommen aufgrund der in Art. 281 und 282 SRÜ enthaltenen Regelungen deren Streitbeilegungsmechanismen Priorität einräumt, und zwar unabhängig von ihrer Ausgestaltung und Reichweite. Dies hätte zur Konsequenz, dass insbesondere bei Einschlägigkeit des Art. 281 Abs. 1 SRÜ auch nicht verbindlich entscheidende Streitbeilegungsmechanismen anderer Übereinkommen Vorrang vor den obligatorisch zuständigen, verbindlich entscheidenden SRÜ-Gerichten hätten.358 Ist diese von Japan im SBT-Fall und Großbritannien in der MOX Plant-Streitigkeit vorgebrachten Argumentation richtig, so sind die SRÜGerichte im Falle der parallelen Anwendbarkeit mit anderen Übereinkommen grundsätzlich unzuständig. Damit würden auch Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ die Funktion der Vermeidung paralleler Verfahren erfüllen. Allerdings ist ein solches Verständnis der Art. 281 und 282 SRÜ umstritten. So hat der ISGH im SBT-Fall die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in der Hauptsache gem. Art. 290 Abs. 5 i.V. m. Abs. 1 SRÜ prima facie bejaht und damit eine Verdrängung der SRÜ-Gerichtsbarkeit aufgrund des Art. 281 Abs. 1 SRÜ wegen der parallelen Anwendbarkeit einer Streitbeilegungsvorschrift eines regionalen Seerechtsübereinkommens abgelehnt.359 Demgegenüber hat sich das Schiedsgericht selbst in wesentlichen Teilen der von Japan vorgebrachten Argumente angeschlossen und die Voraussetzungen des Art. 281 Abs. 1 SRÜ als erfüllt angesehen, so dass es sich für unzuständig erklären musste.360 In der zeitlich nachfolgenden Entscheidung des ISGH in der MOX Plant-Streitigkeit wiederum, in der der Gerichtshof erneut lediglich prima facie über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in der Hauptsache zu entscheiden hatte, hat dieser eine Übertragung der Argumente des Schiedsgerichtes im SBT-Fall auf Art. 282 SRÜ abgelehnt.361

358 Siehe zu dieser Auslegungsproblematik Oxman, AJIL 95 (2001), S. 277 (280 ff.); Devine, SAYIL 25 (2000), S. 97 (102 ff.); Röben, ZaöRV 62 (2002), S. 61 (66 ff.); Carstensen, ZaöRV 62 (2002), S. 73 (74 ff.); Tanaka, JAIL 44 (2001), S. 9 (24 ff.); Romano, ODIL 32 (2001), S. 313 (331 ff.); Neumann, Koordination, S. 548, 563 f.; McLaughlin, GIELR X (1997), S. 29 (71 ff.). 359 SBT-ISGH, para. 62, ILM 38 (1999), S. 1624 (1633). 360 SBT-Schiedsgericht, para. 53 ff., ILM 39 (2000), S. 1359 (1388 ff.). 361 ISGH-MOX Plant, para. 38 ff., ILM 41 (2002), S. 405 (411 ff.); dieser Auffassung hat sich auch das Schiedsgericht in der Hauptsache angeschlossen, vgl. The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, para. 18, abrufbar unter www.pca-acp.org.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Auch das Schrifttum steht der vom Schiedsgericht im SBT-Fall vorgenommenen Auslegung des Art. 281 SRÜ äußerst kritisch gegenüber.362 1. Regelungsgehalt der Art. 281 und 282 SRÜ Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ sind Ausdruck der Flexibilität des SRÜ Streitbeilegungssystems, welches seinem Zweck nach primär darauf gerichtet ist, bestehende Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten des SRÜ zu lösen. In welcher Form dies geschieht, ist dabei letztlich sekundär. Dementsprechend bekräftigt Art. 280 SRÜ das Recht aller Vertragsstaaten, jederzeit zu vereinbaren, eine zwischen ihnen entstandene Streitigkeit über die Auslegung und Anwendung des Übereinkommens durch friedliche Mittel eigener Wahl beizulegen. Allerdings unterliegt die Priorität der selbstgewählten Mittel den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 281 Abs. 1 SRÜ. Demnach findet zwar im Falle einer Vereinbarung im Sinne des Art. 280 SRÜ das SRÜ Streitbeilegungsverfahren prinzipiell keine Anwendung. Kann die Streitigkeit durch die selbstgewählten Mittel, insbesondere im Fall diplomatischer Streitbeilegungsmechanismen, aber nicht beigelegt werden, so bleibt das Recht der Vertragsstaaten, die in Teil XV des SRÜ vorgesehenen Verfahren in Anspruch zu nehmen, bestehen. Damit kann die Streitigkeit immer noch einseitig der Gerichtsbarkeit der verbindlich entscheidenden SRÜ-Gerichte unterworfen werden.363 Eine Ausnahme enthält Art. 281 Abs. 1 SRÜ nur für den Fall, dass die Vereinbarung über das von den Parteien gewählte Mittel weitere Verfahren ausschließt. Auch Art. 282 SRÜ bezeiht sich auf zwischen den Vertragsstaaten bestehende abweichende Vereinbarungen bezüglich der Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ. Haben die Parteien einer solchen Streitigkeit im Rahmen einer allgemeinen, regionalen oder zweiseitigen Übereinkunft oder auf andere Weise vereinbart, diese Streitigkeit einem anderen Verfahren zu unterwerfen, so findet dieses Verfahren vorrangig Anwendung, wenn zum einen dessen Zuständigkeit bereits durch einseitigen Antrag einer der Streitparteien begründet werden kann und wenn es zum anderen zu einer für die Parteien verbindlichen Entscheidung führt.

362

Oxman, AJIL 95 (2001), S. 277 ff.; Romano, ODIL 32 (2001), S. 313 (331 ff.); Devine, SAYIL 25 (2000), S. 96 (102 ff.); Tanaka, JAIL 44 (2001), S. 9 (26 ff.); Boyle, ICLQ 50 (2001), S. 447 (448 ff.). 363 Mensah, Max Planck UNYB 2 (1998), S. 307 (310).

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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2. Entscheidung des Schiedsgerichts im SBT-Fall In seiner Entscheidung im SBT-Fall hat das Schiedsgericht die Vorschrift des Art. 16 CCSBT im Sinne einer Vereinbarung nach Art. 281 Abs. 1 SRÜ verstanden, welche zwar nicht ausdrücklich, aber zumindest implizit das Führen weiterer Verfahren untersagt, und damit der Entscheidung des ISGH im Verfahren über einstweilige Maßnahmen widersprochen.364 Ausschlaggebender Grund für die Entscheidung dürfte der in der Literatur als single dispute theory bezeichnete Ansatz365 des Schiedsgerichts sein, wonach es sich bei der Streitigkeit im Rahmen der CCSBT und des SRÜ um dieselbe Streitigkeit handelt. „To find that, in this case, there is a dispute actually arising under UNCLOS which is distinct from the dispute that arose under the CCSBT would be artificial.“366

Da es sich in beiden Fällen um dieselbe Streitigkeit handle, müsse Art. 16 CCSBT als eine gegenüber den Vorschriften des SRÜ abweichende Bestimmung über die Beilegung dieser Streitigkeit verstanden werden. Zwar kommt durch sie kein expliziter Ausschluss des SRÜ Streitbeilegungssystems zum Ausdruck. Aber insbesondere Abs. 2 der Vorschrift, der die Parteien für den Fall, dass keine Einigung bezüglich der Anrufung des IGH oder der Errichtung eines Schiedsgerichts erreicht werden konnte, nicht von der Verpflichtung entbindet, eine Lösung der Streitigkeit mit Hilfe der in Abs. 1 vorgesehenen Mechanismen zu erreichen, sei dahingehend zu verstehen.367 Denn Sinn und Zweck dieser Verpflichtung sei nicht nur die Betonung des konsensualen Charakters der Streitbeilegung nach Art. 16 CCSBT, sondern dadurch trete auch der Wille der Vertragsstaaten zu Tage, dass entsprechende Streitigkeiten nicht in den Zuständigkeitsbereich der SRÜ-Gerichte fallen sollen, um so eine von den Vertragsparteien nicht gewollte obligatorische Streitbeilegung zu vermeiden.368 364 Dies ist an sich kein Grund zur Kritik, da der ISGH die Zuständigkeit des Gerichtes in der Hauptsache gem. Art. 290 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 1 SRÜ nur prima facie feststellt. Eine intensivere Befassung mit Zuständigkeitsproblemen im Hauptsacheverfahren kann demnach legitimerweise zu einem anderen Ergebnis führen, als im Verfahren über den Erlass einstweiliger Maßnahmen. Daran ändern auch die Ausführungen von ad hoc Richter Shearer nichts, der es in seiner separate opinion nicht bei der Aussage beließ, dass die Zuständigkeit des Schiedsgerichts dem Anschein nach zweifelsfrei bestehe, sondern darüber hinausgehend ausführte, dass die Zuständigkeit aufgrund der Ausführungen des ISGH und der in der separate opinion vorgebrachten Argumente als „clearly established“ anzusehen sei; Judge ad hoc Shearer, SBT-ISGH, Separate Opinion, ILM 38 (1999), 1624 (1647). 365 Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (558). 366 SBT-Schiedsgericht, para. 54, ILM 39 (2000), S. 1359 (1388). 367 SBT-Schiedsgericht, para. 55, ILM 39 (2000), S. 1359 (1389).

270

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Diese Auslegung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ versucht das Schiedsgericht durch weitere, übergeordnete Argumente zu stützen. So verweist es auf die zahlreichen, in Art. 297 und 298 SRÜ enthaltenen Jurisdiktionsbeschränkungen und zieht daraus den Schluss, „. . . that UNCLOS falls significantly short of establishing a true and comprehensive regime of compulsory jurisdiction entailing binding decisions.“369

Dementsprechend verstoße die vom Schiedsgericht vorgenommene Auslegung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ auch nicht gegen den Sinn und Zweck des SRÜ-Streitbeilegungssystems, wie dies von Neuseeland und Australien geltend gemacht worden war. Darüber hinaus scheint das Gericht in seiner Auslegung vom Gedanken der „ausgleichenden Gerechtigkeit“ gelenkt worden zu sein, da es darauf hinwies, dass Japan als Fischereistaat von Australien und Neuseeland zwar verklagt, aber aufgrund der Jurisdiktionsbeschränkungen des Art. 290 Abs. 3 lit. a) SRÜ nicht notwendigerweise selbst gegen Australien und Neuseeland als Küstenstaaten hätte klagen können, da diese die Möglichkeit haben, sich der Jurisdiktion der SRÜ-Gerichtsbarkeit zu entziehen. 370 Die vom Schiedsgericht vorgenommene Auslegung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ stelle daher einen gewissen Ausgleich zwischen den Verpflichtungen der Küsten- und Fischereistaaten dar. „In the Tribunal’s view, Article 281(1), when so read, provides a certain balance in the rights and obligations of coastal and non-coastal States in respect of settlement of disputes arising from events occurring within their respective Exclusive Economic Zones and on the high seas, a balance that the Tribunal must assume was deliberately established by the States Parties to UNCLOS.“371

Außerdem machte sich das Gericht die japanische Argumentation zu eigen, welche betonte, dass zahlreiche Übereinkommen, die einzelne und spezielle Aspekte der Nutzung der Hohen See regeln, keine Streitbeilegungsklauseln enthalten, die obligatorisch zuständige, verbindlich entscheidende Streitbeilegungsmechanismen vorsehen.372 Diese Klauseln müssten als Vereinbarungen im Sinne des Art. 281 Abs. 1 SRÜ angesehen werden, die eine Beilegung der Streitigkeit im Rahmen des SRÜ-Streitbeilegungssystems ausschließen. Ansonsten könnten die Aspekte der Streitigkeit, die sowohl in den Anwendungsbereich des SRÜ als auch des entsprechenden Übereinkommens fallen, entgegen dem Willen der Vertragsstaaten dieser Übereinkommen, Gegenstand verbindlicher Streitbeilegungsverfahren ohne ihre vorherige Zustimmung werden. Es könne auch nicht davon ausgegangen 368

SBT-Schiedsgericht, para. 57, ILM 39 (2000), S. 1359 (1389). SBT-Schiedsgericht, para. 62, ILM 39 (2000), S. 1359 (1390). 370 SBT-Schiedsgericht, para. 61, ILM 39 (2000), S. 1359 (1390). 371 SBT-Schiedsgericht, para. 62, ILM 39 (2000), S. 1359 (1390). 372 Zur Position Japans siehe SBT-Schiedsgericht, para 38 (h), (i), ILM 39 (2000), S. 1359 (1377 f.). 369

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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werden, dass sich dieser durch die Vereinbarung entsprechender Streitbeilegungsklauseln zum Ausdruck kommende Wille durch die Ratifikation des SRÜ geändert habe.373 Die sich aus dieser Argumentation ergebende Konsequenz ist, dass das obligatorisch zuständige und verbindlich entscheidende SRÜ-Streitbeilegungsverfahren immer dann nicht anwendbar ist, wenn die Streitigkeit gleichzeitig in den Anwendungsbereich eines parallel anwendbaren Seerechtsübereinkommens fällt. In Anbetracht der Vielzahl regionaler Seerechtsübereinkommen, die prinzipiell neben dem SRÜ anwendbar sind,374 dürfte dies dazu führen, dass das SRÜ-Streitbeilegungssystem im Bereich des internationalen Meeresumweltschutzes und in Fischereifragen nur noch in den seltensten Fällen Anwendung findet.375 Denn die Schlussfolgerungen des Schiedsgerichts in Bezug auf Art. 281 Abs. 1 SRÜ sind zumindest partiell auf Art. 282 SRÜ übertragbar. In Anlehnung an die single dispute theory müssten nämlich die SRÜ-Gerichte ihre Zuständigkeit grundsätzlich für Streitigkeiten verneinen, die nicht nur in den Anwendungsbereich des SRÜ, sondern auch in den eines sonstigen Seerechtsübereinkommens fallen, welches den Streitparteien die einseitige Einsetzung eines verbindlich entscheidenden Schiedsgerichts ermöglicht, wie Art. 32 OSPAR-Übereinkommen, oder die einseitge Anrufung des IGH. Dass Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ die grundsätzliche Möglichkeit eröffnen sollten, das SRÜ-Streitbeilegungsverfahren auszuhöhlen, schien auch dem Schiedsgericht zu weitgehend. Es hat dementsprechend für zukünftige Fälle eine Hintertür gelassen, indem es ausführt: „The Tribunal does not exclude the possibility that there might be instances in which the conduct of a State Party to UNCLOS and to a fisheries treaty implementing it would be so egregious, and risk consequences of such gravity, that a Tribunal might find that the obligations of UNCLOS provide a basis for jurisdiction, having particular regard to the provisions of Article 300 of UNCLOS.“376

373

SBT-Schiedsgerichts, para. 63, ILM 39 (2000), S. 1359 (1391). Eine Zusammenstellung der z. Zt. bestehenden regionalen Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt findet sich bei Dzidzornu, ODIL 33 (2002), S. 261 (264) sowie bei Churchill/Lowe, Law of the Sea S. 333 ff.; für eine Auflistung regionaler Fischereiübereinkommen und Institutionen siehe Juda, ODIL 33 (2002), S. 109 (124). 375 Ähnlich Röben, ZaöRV 62 (2002), S. 61 (66). 376 SBT-Schiedsgericht, para. 64, ILM 39 (2000), S. 1359 (1391). 374

272

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

3. Kritik an der Entscheidung des SBT-Schiedsgerichts und Rechtsprechung des ISGH in der MOX Plant-Streitigkeit Die Entscheidung des SBT-Schiedsgerichts ist berechtigterweise vielfach kritisiert worden.377 So wies bereits Richter Sir Kenneth Keith in seiner separate opinion zur Schiedsgerichtsentscheidung darauf hin, dass es sich bei Art. 16 CCSBT nicht um eine Vereinbarung im Sinne des Art. 281 Abs. 1 SRÜ handeln könne, da Art. 16 CCSBT die Vertragsstaaten lediglich dazu verpflichte, sich im Falle einer Streitigkeit auf eines der dort explizit genannten Mittel zur friedlichen Streitbeilegung zu einigen. Art. 16 CCSBT enthält als ein pactum de contrahendo mithin überhaupt keine Vereinbarung bezüglich konkreter Verfahren zur Streitbeilegung, sondern verpflichtet die Streitparteien lediglich Konsultationen aufzunehmen, um sich auf ein Verfahren zu einigen.378 Erst wenn eine solche Einigung zustande gekommen wäre, hätte untersucht werden können, ob diese auch als eine entsprechende Vereinbarung im Sinne des Art. 281 Abs. 1 SRÜ verstanden werden kann.379 Auch wenn man, wie das SBT-Schiedsgericht, Art. 16 CCSBT als eine Vereinbarung im Sinne des Art. 281 Abs. 1 SRÜ verstehen möchte, so muss doch bezweifelt werden, ob dadurch weitere Verfahren und damit auch die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte ausgeschlossen werden. Denn auch das Schiedsgericht hat anerkannt, dass das SRÜ gegenüber der CCSBT nicht nur parallele, sondern auch weitergehende rechtliche Verpflichtungen enthält.380 Würde man Art. 16 CCSBT dennoch als Ausschluss verstehen, so hätte dies zur Folge, dass die Vorschrift auch die Beilegung von Streitigkeiten erfasst, welche im Rahmen des Übereinkommens überhaupt nicht entstehen können, da es keine dementsprechenden Verpflichtungen enthält. Eine solche Funktion könnte Art. 16 CCSBT aber nur dann zugesprochen werden, wenn alle Streitigkeiten in Bezug auf den Schutz und die Erhaltung des SBT in den Anwendungsbereich der CCSBT fallen, die CCSBT also gegenüber dem 377 Darüber hinaus wurde des öfteren vor den negativen Auswirkungen der Entscheidungen auf die zukünftige Entwicklung der obligatorischen, verbindlich entscheidenden Streitbeilegung nicht nur im Rahmen des SRÜ, sondern im Allgemeinen gewarnt; vgl. Devine, SAYIL 25 (2000), S. 97 (104 ff.); Oxman, AJIL 95 (2001), S. 277 (295 ff.). 378 Darüber hinaus weist Oxman, AJIL 95 (2001), S. 277 (289 f.), darauf hin, dass die in der CCSBT enthaltene Streitbeilegungsklausel letztlich nur eine Wiederholung der bereits in Art. 33 UN-Charter enthaltenen Verpflichtung ist, Streitigkeiten friedlich zu lösen. Da solche Vorschriften deshalb eigentlich überflüssig sind, wurde ihre Funktion bisher darin gesehen, dass sie „largely cosmetic and superficially face saving“ seien. 379 SBT-Schiedsgericht, Separate Opnion Judge Sir Kenneth Keith, para. 8, ILM 39 (2000), S. 1395 (1396 f.); siehe auch Romano, ODIL 32 (2001), S. 313 (331); Tanaka, JAIL 44 (2001), S. 9 (26). 380 SBT-Schiedsgericht, para. 52, ILM 39 (2000), S. 1359 (1988).

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

273

SRÜ Vorrang hat. Da aber beide Übereinkommen auch nach der Entscheidung des Schiedsgerichts parallel nebeneinander anwendbar sind,381 kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Existenz der Streitbeilegungsklausel eines Übereinkommens auch den Rückgrff auf alternative Verfahren in anderen, parallel anwendbaren Übereinkommen ausschließt – zumindest dann nicht, wenn dieses Übereinkommen zum einen identische zum anderen aber auch weitergehende Rechte und Pflichten enthält. Auch die Tatsache, dass SRÜ-Vertragsstaaten nach dessen Verabschiedung das SRÜ implementierende Übereinkommen schaffen, welche in Bezug auf dieses Übereinkommen keine Möglichkeit der obligatorischen, verbindlich entscheidenden Streitbeilegung bieten, hat keinen Aussagewert über die Akzeptanz des SRÜ-Streitbeilegungsverfahren.382 In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass Art. 281 Abs. 1 SRÜ insoweit eine Ausnahmeregelung darstellt, als dass aufgrund einer Parteivereinbarung der Rückgriff auf das SRÜ-Streitbeilegungssystem ausgeschlossen werden kann.383 Zwar haben die Staaten grundsätzlich das Recht, die Streitigkeit durch Mittel eigener Wahl beizulegen. Allerdings bleibt die Möglichkeit der Anrufung eines des SRÜ-Gerichte bestehen, wenn im Rahmen der selbst gewählten Streitbeilegungsmechanismen keine Einigung gefunden wird. Die Zulässigkeit einer Vereinbarung gem. Art. 281 Abs. 1 SRÜ, welche die obligatorische Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte ausschließt, ist mithin eine Einschränkung des grundsätzlich bestehend bleibenden Rechts, auch im Falle des Art. 281 Abs. 1 SRÜ einseitig eines der SRÜ-Gerichte anzurufen bzw. deren Einsetzung zu beantragen. Es erscheint 381 Zur parallelen Anwendbarkeit von CCSBT und SRÜ siehe oben 2. Teil, A. III. 382 Boyle, ICLQ 50 (2001), S. 447 (449). 383 Devine, SAYIL 25 (2000); S. 97 (108 f.). An der Tatsache, dass es sich bei Art. 281 Abs. 1 SRÜ um eine Ausnahmevorschrift handelt, soweit das SRÜ-Streitbeilegungssystem durch Parteivereinbarung ausgeschlossen werden kann, ändern im Gegensatz zur Ansicht des Schiedsgerichtes auch die Jurisdiktionsbeschränkungen der Art. 297 und 298 SRÜ nichts. Denn diese sind letztlich Resultat des während der Verhandlungen notwendig gewordenen Kompromisses, welcher sowohl die Interessen der Küstenstaaten als auch die der Fischereistaaten berücksichtigen musste. Damit wird zwar das Streitbeilegungssystem in seiner Effektivität eingeschränkt. Daraus kann aber noch nicht der Schluss gezogen werden, dass verbindliche Streitbeilegung im SRÜ eher die Ausnahme als die Regel ist bzw. dass das SRÜ kein umfassendes Streitbeilegungssystem etablieren wollte. Außerdem sind Fragen der Jurisdiktionsbeschränkung grundsätzlich von der Frage zu trennen, inwieweit die Zuständigkeit durch Parteivereinbarung ausgeschlossen werden kann. Dieses Problem besteht allein im ersten Abschnitt des XV. Teils des SRÜ, dessen grundsätzlicher Regelungszweck darin besteht, dass Streitigkeiten, die nicht durch das selbst gewählte Streitbeilegungsmittel beigelegt werden können, einseitig einem juristischen, verbindlich entscheidenden Verfahren unterworfen werden können; vgl. Mensah, Max Planck UNYB 2 (1998), S. 307 (310).

274

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

von daher nur folgerichtig, dass man die Voraussetzung, die an eine solche Ausnahmevorschrift zu stellen sind, eng auslegt. Für den konkreten Fall des Art. 281 Abs. 1 SRÜ hieße das, dass eine Vereinbarung, welche weitere Verfahren ausschließt, dies ausdrücklich und eindeutig tun muss.384 Wesentlicher für die vorliegende Untersuchung und auch für die Übertragbarkeit der Kritik auf Art. 282 SRÜ sind aber nicht so sehr die einzelnen Argumentationsstränge des Schiedsgerichts in Bezug auf die speziellen Voraussetzungen des Art. 281 Abs. 1 SRÜ, sondern die Grundannahmen des Gerichts. Dazu gehört insbesondere die These, dass es sich bei der Auseinandersetzung im Rahmen der CCSBT und des SRÜ rechtlich um ein und dieselbe Streitigkeit handelt, sowie die Wortlautauslegung des Schiedsgerichts in Bezug auf Art. 281 Abs. 1 SRÜ, der in einem wesentlichen Punkt mit Art. 282 SRÜ identisch ist: In beiden Fällen muss es sich nämlich um Vereinbarungen handeln, welche sich auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ beziehen. Auch wenn das Schiedsgericht eine Differenzierung des strittigen Lebenssachverhalts in zwei voneinander zu unterscheidende Streitigkeiten für künstlich hält, so führt es für diese Behauptung keine weitere Begründung an. Zwar zeigen Art. 2005 NAFTA, Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK sowie Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP IPbürg, dass es sich auch dann um dieselbe Streitigkeit handeln kann, wenn zwei verschiedene Übereinkommen nebeneinander einschlägig sind.385 Allein diese Tatsache kann aber noch nicht zu dem Ergebnis führen, dass es sich im SBT-Fall um dieselbe Streitigkeit handelt. Denn dies ließe unberücksichtigt, dass die Kooperationsverpflichtungen des SRÜ gegenüber denen der CCSBT sehr viel weitergehender sind. Dieselbe Streitigkeit anzunehmen, wenn in Bezug auf denselben Lebenssachverhalt das eine Übereinkommen weitergehende Rechte enthält als das anderen, ist, zumindest ohne weitere Begründung, unvertretbar.386 Aber selbst wenn man mit dem Schiedsgericht annimmt, dass es sich um dieselbe Streitigkeit handelt, so erscheint es doch fragwürdig, ob Art. 281 Abs. 1 SRÜ in einem solchen Fall der Streitbeilegung des anderen Übereinkommens Priorität einräumt. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des ISGH über vorläufige Maßnahmen in der MOX Plant-Streitigkeit von Bedeutung, in dem sich eine mit dem SBT-Fall zumindest partiell vergleichbare Situation stellt. Irland hat nicht nur die Einsetzung eines Schiedsgerichts nach dem SRÜ, sondern auch nach Art. 32 OSPAR-Übereinkommen beantragt und darüber hinaus deutlich gemacht, dass es auch 384

Devine, SAYIL 25 (2000), S. 97 (109). A. A. Neumann, Koordination, S. 516. 386 Zu einer allgemeinen Definition des Begriffs „dieselbe Streitigkeit“ im Völkerrecht siehe unten 2. Teil D. II. 1. a). 385

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

275

eine Klage vor dem EuGH erheben würde.387 Im Anschluss an die Argumentation Japans und die Entscheidung des Schiedsgerichts im SBT-Fall machte Großbritannien daraufhin geltend, dass sowohl die Streitbeilegungsklauseln des OSPAR-Übereinkommens, als auch die des EGV bzw. des Euratom-Vertrags die Voraussetzungen des Art. 282 SRÜ erfüllen, da der materiellrechtliche Inhalt des EGV und des OSPAR-Übereinkommens mit den im vorliegenden Fall relevanten SRÜ-Normen identisch sei und beide Übereinkommen verbindliche Streitbeilegungsverfahren vorsähen.388 Dementsprechend räume Art. 282 SRÜ diesen Streitbeilegungsverfahren Priorität ein. Darüber hinaus sei zu beachten, dass die EG- und Euratom-Mitgliedstaaten gem. Art. 292 EGV und 193 Euratom-Vertrag verpflichtet sind, Streitigkeiten, die aus der Auslegung und Anwendung dieser Übereinkommen entstehen, allein dem EuGH zu unterbreiten. Allerdings lässt sowohl diese Argumentation, als auch die des Schiedsgerichts im SBT-Fall unberücksichtigt, dass sich die Vorschriften über die Streitbeilegung nur auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des jeweiligen Übereinkommens beziehen.389 So findet Art. 32 OSPAR-Übereinkommen nur auf Streitigkeiten über die Auslegung des Übereinkommens selbst Anwendung. Auch der Wortlaut des Art. 16 CCSBT sowie der des Art. 292 EGV und des Art. 193 Euratom-Vertrag sind insoweit eindeutig. Darüber hinaus sprechen auch die Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ lediglich von Streitigkeiten „über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens“. Auch wenn es sich prozessual um eine Streitigkeit handeln sollte, so beziehen sich die Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ, Art. 32 OSPAR-Übereinkommen sowie der Art. 292 EGV und der Art. 193 Euratom-Vertrag ausweislich ihres eindeutigen Wortlauts nur auf Streitigkeiten in Bezug auf das jeweilige Übereinkommen selbst. Die Problematik paralleler Verfahren im Falle parallel anwendbarer Übereinkommen wird durch Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ überhaupt nicht angesprochen. Auch wenn der ISGH dies in seiner MOX Plant-Entscheidung nicht ausdrücklich erwähnt, so hat doch Treves in seiner separate opinion darauf hingewiesen, dass Art. 282 das Führen paralleler Verfahren nur für die Fälle unterbinden will, in denen es um die Auslegung und Anwendung des SRÜ geht. Ein darüber hinausgehendes Verständnis in dem Sinne, dass die Vorschrift auch die Verfahren erfasst, in 387

Zum Sachverhalt siehe oben 1. Teil D. IV. 2. ISGH, MOX Plant, written memorial United Kingdom, para. 2 ff., abrufbar unter www.itlos.org. Irland hat allerdings bestritten, dass alle Aspekte der Streitigkeit vor dem SRÜ-Schiedsgerichts bereits vom OSPAR-Übereinkommen oder dem EGV bzw. dem Euratom Vertrag erfasst werden, ISGH, MOX Plant, para. 46, ILM 41 (2002), S. 405 (412). 389 ISGH, MOX Plant, para. 49, ILM 41 (2002), S. 405 (413); in Bezug auf Art. 16 CCSBT und Art. 281 SRÜ siehe auch Oxman, AJIL 95 (2001), S. 277 (290). 388

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

denen es um die Auslegung und Anwendung formell unterschiedlicher, aber rechtlich inhaltsgleicher Normen verschiedener Übereinkommen geht, kann weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Art. 282 SRÜ entnommen werden. „It leaves completely open the question as to whether, in a case a dispute concerning the interpretation of provisions of a treaty different from the Convention, but equivalent or similar to provisions of the Convention, has been submitted to a court or tribunal competent under the provision of such treaty, the dispute settlement bodies competent under the Convention would consider it fit to hear a dispute concerning the equivalent or similar provisions of the Convention. The existence and content of a customary law rule or of a general principle concerning the consequences of litispendence as well as considerations of economy of legal activity and of comity between courts and tribunals might be discussed in such situations.“390

Die vom Schiedsgericht im SBT-Fall vorgenommene Auslegung des Art. 281 Abs. 1 SRÜ ist mithin nicht mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn sich Art. 281 Abs. 1 SRÜ bzw. im Fall der MOX Plant-Streitigkeit Art. 282 SRÜ nicht nur auf Streitigkeiten über die Auslegung des SRÜ beziehen würden, sondern insgesamt auch auf Verfahren im Rahmen anderer Übereinkommen, die in Bezug auf den strittigen Lebenssachverhalt inhaltsgleiche Vorschriften enthalten. Damit übernehmen Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ auch nicht die Funktion, parallele Verfahren, zu denen es aufgrund der parallelen Anwendung der Übereinkommen gekommen ist, zu vermeiden. Dies bezieht sich nicht nur auf Fälle, in denen es wie im SBT-Fall und in der MOX Plant-Streitigkeit zu einer Parallelität von SRÜ und regionalen Seerechtsübereinkommen kommt, sondern auch auf diejenigen wie den Schwertfisch-Fall, in denen das SRÜ neben einem anderen globalen Übereinkommen eines anderen Sachbereichs, wie etwa den Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung, anwendbar ist.391

390 ISGH, MOX Plant, Separate Opinion Judge Treves, para. 5, ILM 41 (2002), S. 430 (430 f.). 391 Die Anwendbarkeit des Art. 282 SRÜ ist im Verhältnis ISGH und WTO-Verfahren zugunsten der letzteren prinzipiell abgelehnt worden; vgl. Neumann, Koordination, S. 563 f.; Guruswamy, MinnJGlTr 7 (1998), S. 287 (305); McLaughlin, GIELR X (1997), S. 29 (71 ff.). Der Sinn und Zweck des Art. 282 SRÜ besteht ohnehin nur darin, bestehenden Vereinbarungen zur Beilegung von Streitigkeiten, wie etwa einer Unterwerfungserklärung gem. §36 Abs. 2 IGH-Statut, die sich auch auf Seerechtsstreitigkeiten bezieht, Priorität einzuräumen, sofern diese Vereinbarungen die Möglichkeit bieten, die Streitigkeit einseitig einem Verfahren zu unterwerfen, welches zu einem verbindlichen Ergebnis führt; vgl. Treves, N.Y.U. J. Int’l L. P. 31 (1999), S. 809 (811 f.).

C. Vertragsklauseln zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen

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VI. Bestehende Konkurrenzsituationen Die vorangegangene Untersuchung von Vertragsklauseln zur Vermeidung von parallelen Verfahren hat gezeigt, dass bisher nur in sehr begrenztem Umfang von dieser Möglichkeit der Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen Gebrauch gemacht wurde. So enthält lediglich die EMRK in Art. 35 Abs. 1 lit. b) eine Vorschrift, welche das Führen von parallelen Verfahren grundsätzlich verhindert, da eine bei einer anderen Untersuchungsinstanz bereits eingeleitete Beschwerde zur Unzuständigkeit des EGMR führt. Im Rahmen des IPbürg ergibt sich dieses Ergebnis erst durch ein Zusammenspiel von Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP IPbürg, der nur das gleichzeitige Anhängigmachen einer Beschwerde zum UN-Menschenrechtssauschuss und anderen Untersuchungsinstanzen verhindert, und den von den meisten Mitgliedstaaten des Europarats abgegebenen Vorbehalten bezüglich der Zuständigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses. Im internationalen Wirtschaftsrecht verhindert zumindest Art. 2005 NAFTA, dass sich sowohl Schiedsgerichte im Rahmen der Kapitel-20-NAFTA-Streitbeilegung als auch ein WTO-Panel oder der Appellate Body mit derselben Streitigkeit befassen. Demgegenüber ist die Reichweite von Art. 23 DSU und Art. 281 Abs. 1 und 282 SRÜ beschränkt, da sie das Problem der parallelen Verfahren nur partiell zu lösen vermögen. Dementsprechend bleiben die oben aufgezeigten Konkurrenzsituationen im SBT-Fall, der MOX Plant-Streitigkeit und im Schwertfisch-Fall bestehen. Auch die parallelen Verfahren im Rahmen der WTO und des NAFTA wegen der Rechtmäßigkeit des Helms-Burton-Acts, auf die Art. 2005 NAFTA keine Anwendung findet, sowie die Parallelität im Falle der Auslegung des Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention im La Grand-Verfahren vor dem IGH und dem Gutachtenverfahren des AGMR werden nicht durch Vorschriften zur Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen erfasst. Dies gilt ebenso für die theoretisch denkbare Konstellation paralleler Verfahren im Rahmen der WTO und multilateraler Umweltübereinkommen wegen der Rechtmäßigkeit einer umweltpolitisch motivierten Handelsbeschränkung, die zur Erreichung des mit dem Umweltübereinkommen verfolgten Zwecks erlassen wurde.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

D. Auflösung von Zuständigkeitskonkurrenzen aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze – rechtsmissbräuchlicher Antrag auf Einsetzung eines WTO-Panels Die hier angesprochene Lösungsmöglichkeit von Zuständigkeitskonkurrenzen mit Hilfe allgemeiner Rechtsgrundsätzen betrifft den Sonderfall der Existenz paralleler Streitbeilegungsvorschriften in handelsrechtlich relevanten multilateralen Umweltübereinkommen und der WTO-Rechtsordnung. Im Rahmen dieser Problematik ist in der Völkerrechtsliteratur erwogen worden, ob nicht bereits die Konkurrenz der Streitbeilegungsvorschriften durch den Grundsatz des Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen werden kann.392 In diesem Zusammenhang müssen die unterschiedlichen Formen der in multilateralen Umweltübereinkommen enthaltenen Bestimmungen mit handelsrechtlichen Implikationen berücksichtigt werden. Wie im zweiten Teil der Arbeit dargelegt muss dahingehend differenziert werden, inwieweit das betreffende Umweltübereinkommen Handelsbeschränkungen verbindlich vorsieht, sie ausdrücklich erlaubt oder aber nur toleriert.393 Denn nur wenn ein Staat die Vorschriften eines von ihm ratifizierten Umweltübereinkommens, welche die Einführung von Handelsbeschränkungen z. B. in Form von Im- und Exportverboten verbindlich und präzise vorschreibt, wie etwa CITES oder das Basel-Übereinkommen,394 von den WTO-Streitbeilegungsorganen auf ihre WTO-Kompatibilität hin prüfen lassen will, kann es sich um einen Fall des Rechtsmissbrauchs handeln. Denn der die Verletzung von WTO-Vorschriften geltend machende Staat hat sich freiwillig auf diese Handelsbeschränkung eingelassen, und die Rechtsdurchsetzung im Rahmen der WTO kann kein Mittel sein, bestehende Vertragsverpflichtungen indirekt zu umgehen und so die legitimen Erwartungen der anderen Vertragsstaaten des multilateralen Umweltübereinkommens an das eigene vertragsgetreue Verhalten zu zerstören.395 Im Falle der anderen zwei Kategorien von in Umweltübereinkommen enthaltenen Handelsrestriktionen kann die Nutzung des WTO-Streitbeilegungsverfahrens nicht rechtsmissbräuchlich 392

Ohlhoff/Schloemann Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 302 (327); Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (87); Neumann, Koordination, S. 548 ff.; ablehnend Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1113 f.). 393 Siehe oben 2. Teil A. II. 1. 394 Zu den im Basel-Übereinkommen verpflichtend vorgesehenen Handelsbeschränkungen zwischen den Vertragsstaaten sowie zu den Handelsrestriktionen des CITES siehe Neumann, Koordination, S. 239 f. (Basel-Übereinkommen), S. 232 f. (CITES). 395 Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 302 (327).

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

279

sein, da in beiden Fällen für die Vertragsstaaten Raum bei der Umsetzung der jeweiligen Vorschriften besteht. Auch wenn Handelsbeschränkungen ausdrücklich erlaubt sind, so kann die nationale Umsetzung zwischen verschiedenen Staaten differenzieren, obwohl dafür keine sachliche Berechtigung besteht. Wenn ein davon betroffener Staat die Einsetzung eines WTOPanels verlangt, umso die diskriminierende Anwendung der an sich durch das Umweltübereinkommen ausdrücklich erlaubten Handelsbeschränkung anzugreifen, so stellt dies keinen Fall des Rechtsmissbrauchs dar, sondern eine legitime Wahrnehmung seiner Interessen. In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Vorschriften multilateraler Umweltübereinkommen mit handelsrechtlichen Auswirkungen die Vertragsstaaten nicht verpflichten, handelsbeschränkende Maßnahmen einzuführen, sondern lediglich den rechtlichen Rahmen vorgeben, aufgrund dessen die Vertragsstaaten berechtigt sind, solche Maßnahmen einzuführen,396 ist der Anwendungsbereich des Grundsatzes des Rechtsmissbrauchs zur Auflösung der Existenz von parallelen Streitbeilegungsvorschriften äußerst gering. Deshalb stellt es auch nur in Einzelfällen ein taugliches Mittel dar, das Konkurrenzverhältnis von Streitbeilegungsvorschriften im Rahmen von Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung zu lösen.397

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten Allein aus der Existenz paralleler Verfahren können noch keine Rückschlüsse auf das den Verfahren im konkreten Fall zu Grunde liegende Konfliktpotential gezogen werden. Dies liegt an den unterschiedlichen Fallkonstellationen, wie sie im ersten Teil der Arbeit vorgestellt worden sind.398 So ist im Fall des Helms-Burton-Acts sowohl die Einsetzung eines WTOPanels als auch die Errichtung eines NAFTA-Schiedsgerichts beantragt worden; allerdings von unterschiedlichen Staaten. Damit kann zwar von einem parallelen Verfahren, aber nicht von identischen Streitparteien gesprochen werden.399 Eine ähnliche Konstellation stellte sich in den Verfahren bezüglich der Auslegung des Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention vor dem IGH400 einerseits und dem AGMR andererseits.401 Während 396

Vgl. The Compatibility of recent MEAs with the WTO Rules, Discussion Paper for the Second Regional Workshop on Strengthening Research and PolicyMaking Capacity on Trade and Environment in Developing Countries, abrufbar unter www.unctad.org/trade_env/docs/MEAS-WTO.pdf: „A clear distinction can be seen between trade measures expressly directed by the MEA and the measures permitted to be taken in compliance with its trade porivisions by implementing parties.“ 397 Neumann, Koordination, S. 551. 398 Siehe oben 1. Teil D. 399 Siehe oben 1. Teil D. IV. 3. c).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

das Verfahren vor dem AGMR gegen die USA von Mexiko eingeleitet wurde, hatte Deutschland wegen desselben Verhaltens der USA gegenüber einem deutschen Staatsangehörigen Klage vor dem IGH erhoben. Entscheidender Unterschied zu der sich beim Helms-Buron-Act stellenden Situation ist aber, dass Gegenstand der Verfahren nicht unterschiedliche, aber inhaltsgleiche Rechtsnormen verschiedener Übereinkommen waren, sondern dieselbe Norm der Konsularrechtskonvention. Von diesen Situationen sind wiederum die Fälle zu unterscheiden, in denen dieselben Streitparteien wegen eines strittigen Lebenssachverhalts verschiedene Gerichte bzw. Streitbeilegungsmechanismen in Anspruch nehmen können. Aber auch im Rahmen der dabei möglichen Konstellationen zeigen sich einige Unterschiede: Während im SBT-Fall und der MOX Plant-Streitigkeit die Parallelität der Streitbeilegungsvorschriften und daraus resultierender Verfahren auf der parallelen Anwendbarkeit des SRÜ mit regionalen, die Rahmenvorschriften des SRÜ implementierenden Übereinkommen basiert,402 ist Ursache der parallelen Verfahren im Schwertfisch-Fall die gleichzeitige Anwendbarkeit von Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche, die aber aufgrund der Interdependenz der Sachbereiche miteinander im Zusammenhang stehen.403. Aufgrund der Unterschiedlichkeit dieser Konstellationen erscheint es zweifelhaft, sie ohne Differenzierung als Zuständigkeitskonflikte zu bezeichnen und die damit in der Literatur verbundenen Lösungsansätze holzschnittartig auf sie anzuwenden. Entscheidend ist daher das hinter dem Begriff des „Zuständigkeitskonflikts“ stehenden Verständnis. Interessanterweise wird dieser nämlich in der völkerrechtlichen Literatur verwendet, ohne dass eine Auseinandersetzung darüber stattgefunden hat, welche Kriterien vorliegen müssen, um von einem Zuständigkeitskonflikt sprechen zu können.404 In Anbetracht der Tatsache, dass Zuständigkeitskonflikte ledig400

LaGrand Case (Germany v. USA), ILM 40 (2001), S. 1069 ff. Inter-Am. Ct.H.R, Advisory Opnion OC-16/99, Ser. A, para. 141. 402 Zum Sachverhalt siehe oben 1. Teil D. IV. 1. und 2.; zur parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen siehe 2. Teil A. III. 403 Zum Sachverhalt siehe oben 1. Teil D. V. 1. und 2. Ist der inhaltliche Zusammenhang von SRÜ und GATT im Schwertfisch-Fall nicht sofort evident, so tritt er im Falle der parallelen Anwendbarkeit von multilateralen, sich handelsbeschränkend auswirkenden Umweltübereinkommen und WTO-Rechtsordnung eindeutig zu Tage; zum inhaltlichen Zusammenhang siehe oben 2. Teil B. I. und II. 404 Siehe Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 65 (70 ff.), die zwar von conflicting jurisdiction spricht, aber keine Bestimmung der Kriterien vornimmt, die eine solche begründen; vgl. auch Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1109), die einen conflict of jurisdiction bereits dann annimmt, wenn es zu parallelen Verfahren kommt, ohne aber das Kriterium des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen den Verfahren zu berücksichtigen. Treves, N.Y.U. J. Int’l L. P. 31 (1999), S. 809 (310), 401

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

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lich im Völkerrecht ein relativ neues Problem sind, dieses aber insbesondere im internationalen Zivilverfahrensrecht seit längerer Zeit diskutiert wird, soll im Folgenden zunächst das dem internationalen Zivilverfahrensrecht zu Grunde liegende Verständnis von Zuständigkeitskonflikten untersucht werden. Da das internationale Zivilverfahrensrecht seinen Ursprung jedoch in den nationalen Rechtsordnungen hat – sofern es sich nicht um internationale Übereinkommen bi- oder multilateraler Natur handelt – besteht die Gefahr, dass den verwendeten Begriffen, und damit auch dem des Zuständigkeitskonflikts, national geprägte Vorverständnisse zu Grunde liegen. Dementsprechend dient die Untersuchung des internationalen Zivilverfahrensrecht auch nicht so sehr der Definitionsfindung; vielmehr sollen dadurch Systematisierungs- und Denkansätze aufgezeigt werden, deren Übertragbarkeit auf das Völkerrecht zu überprüfen bleibt.

I. Zuständigkeitskonflikte im internationalen Zivilverfahrensrecht 1. Gründe für die Entstehung von Zuständigkeitskonflikten Damit es überhaupt zu einem Zuständigkeitskonflikt zwischen Gerichten verschiedener Staaten kommen kann, muss die grundsätzliche Möglichkeit bestehen, verschiedene Gerichte in unterschiedlichen Staaten anzurufen. Da im internationalen Zivilverfahrensrecht keine internationale Zuständigkeitsordnung in bürgerlichen Rechtssachen existiert, die eine solche Möglichkeit ähnlich wie im innerstaatlichen Recht verhindern könnte, richtet sich die Begründung der internationalen Zuständigkeit nationaler Gerichte nach innerstaatlichem Recht.405 Prinzipiell ist in allen nationalen Rechtsordnungen der Grundsatz, dass der Gerichtsstand am Wohnort des Beklagten eröffnet ist (actor sequitur forum rei), anerkannt, auch wenn er kein Völkergewohnheitsrecht darstellt.406 Würden sich die nationalen Rechtsordnungen auf diesen Gerichtsstand beschränken, so könnte es grundsätzlich nicht zu Zuständigkeitskonflikten kommen, da bereits die Möglichkeit, Gerichte in unterdifferenziert zwar zwischen Auslegungs- und Zuständigkeitskonflikten, definiert letztere aber nicht. Guruswamy, Minn. J. Gl. T. 7 (1998), S. 287 (299 ff.), geht wie selbstverständlich davon aus, dass allein die Tatsache, dass eine Streitigkeit sowohl in die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichtsbarkeit als auch in die des WTO-Streitbeilegungsverfahrens fällt, einen Zuständigkeitskonflikt begründet. Lediglich bei Neumann, Koordination, S. 516 ff., findet sich eine erste Auseinandersetzung, inwieweit es aufgrund paralleler Verfahren zu Zuständigkeitskonflikten kommt. Auch Lowe, Australian YBIL 20 (1999), S. 191 (192 ff.) nimmt eine erste Kategorisierung der Situationen vor, die aus parallelen Verfahren entstehen können. 405 Statt vieler Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 16. 406 Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 234; Geimer, IZPR, Rn. 395.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

schiedlichen Staaten anzurufen, nicht existieren würde. Allerdings kennen die verschiedenen nationalen Verfahrensordnungen weitere Anknüpfungspunkte für die Begründung der internationalen Zuständigkeit nationaler Gerichte. So kann im deutschen Recht die internationale Zuständigkeit für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis neben dem Wohnort des Beklagten auch auf dem inländischen Erfüllungsort (§ 29 ZPO), für Streitigkeiten aus unerlaubter Handlung auf dem inländischen Tatort (§ 32 ZPO) beruhen.407 Darüber hinaus finden sich in ausländischen Rechtsordnungen zuständigkeitsbegründende Anknüpfungsmomente, die das deutsche Recht nicht kennt, wie z. B. der Gerichtsstand des Zustellungsortes der Klageschrift (anglo-amerikanischer Rechtskreis) oder der Heimatgerichtsstand des Klägers (romanischer Rechtskreis).408 Werden nun die Voraussetzungen verschiedener, in den jeweiligen Verfahrensordnungen anerkannter Gerichtsstände erfüllt, so können die Streitparteien prinzipiell zwischen denen sich ihnen bietenden Foren frei wählen. Diese Wahlmöglichkeit allein begründet allerdings noch keinen Zuständigkeitskonflikt, sondern wird lediglich als Zuständigkeitskonkurrenz von Gerichten verschiedener Staaten bezeichnet. Grund für solche Zuständigkeitskonkurrenzen sind die unterschiedlichsten Anknüpfungsmomente zur Begründung der internationalen Zuständigkeit nationaler Gerichte. Die Existenz konkurrierender Gerichtsstände allein stellt noch kein Problem dar. Problematisch werden diese erst dann, wenn von ihnen gleichzeitig Gebrauch gemacht wird; wenn also bei verschiedenen Gerichten gleichzeitig im Zusammenhang stehende Verfahren eingleitet werden und beide Gerichte sich für zuständig erklären. Erst in Situationen parallel geführter Verfahren vor verschiedenen Gerichten in unterschiedlichen Staaten können Zuständigkeitskonflikte entstehen.409 2. Differenzierung zwischen doppelter Rechtshängigkeit und konnexen Verfahren Zwar existieren in Einzelfällen durchaus legitime Interessen der Parteien, Gerichte mehrerer Staaten anzurufen. Grundsätzlich bestehen aber im internationalen Zivilverfahrensrecht zurecht starke Bedenken gegen Zuständigkeitskonflikte auslösende Situationen parallel geführter Verfahren vor Gerichten in unterschiedlichen Staaten.

407 408 409

Dazu ausführlich Geimer, IZPR, Rn. 1481 ff. Für einen Überblick siehe Hau, positive Kompetenzkonflikte, S, 19 ff. Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 2.

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

283

„Parallel litigation is a savage because the commencement of a second proceeding on the same matter in a different forum almost inevitably represents some form of abuse.“410

Allerdings reicht nicht jeder Zusammenhang zwischen zwei in verschiedenen Staaten parallel geführten Verfahren aus, um Zuständigkeitskonflikte zwischen den Gerichten zu verursachen. Dementsprechend kann aus Situationen paralleler Zuständigkeiten auch nicht zwangsläufig auf die Existenz eines Zuständigkeitskonflikts geschlossen werden. Entscheidend für die Bestimmung, in welchen Situationen paralleler Verfahren es zu Zuständigkeitskonflikten kommt, ist vielmehr der mit der Vermeidung solcher Situationen verfolgte Sinn und Zweck. Grundsätzlich soll durch die Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten die Existenz divergierender Entscheidungen verhindert werden.411 Denn diese widersprechen dem Interesse am internationalen Entscheidungseinklang, und über den konkreten Rechtsstreit hinaus können sie zu einer Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten führen.412 Außerdem erschüttern divergierende Entscheidungen das Vertrauen der Bürger in die Rechtspflege und stören das Rechtsleben in den Vertragsstaaten.413 Allerdings sind nicht alle divergierenden Entscheidungen von identischer Qualität. Vielmehr muss zwischen divergierenden Entscheidungen im Urteilstenor und in den Urteilsgründen differenziert werden. Letztere führen im Gegensatz zu Ersteren nämlich nicht zu einem gegenseitigen Ausschluss der Verfahrensergebnisse, so dass eine gleichzeitige Vollstreckbarkeit der Urteile ausgeschlossen wäre. Diese Differenzierung wird auch anhand der Regelungen des ehemaligen Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens414 deutlich, das mit der Verordnung 44/2001 vom 22. Dez. 2000415 ins Gemeinschaftsrecht inkorporiert wurde.416 Von Relevanz sind insbesondere die Art. 27 und 28 der GVO im 9. Abschnitt über Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren. 410

Walker, Canadian Y.B. Intern’l L. 38 (2000), S. 155. Vgl. statt vieler Schack, IZV, Rn. 748. 412 Hau, positive Kompetenzkonflikte, S. 52 ff., der als prominentestes Beispiel den seit den 80er Jahren bestehenden europäischen – U.S.-amerikanischen Justizkonflikt nennt. 413 Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, S. 45. 414 Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen, 27.9.1968, BGBl II, 1972, S. 744 ff. 415 Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABlEG Nr. L 12, 16.1.2001 (im Folgenden GVO). Die Verordnung ist zum 1.3.2002 in Kraft getreten. 416 Zu den mit der Inkorporation einhergehenden inhaltlichen Änderungen vgl. Junker, RIW 2002, S. 569 ff. 411

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so muss gem. Art. 27 Abs. 1 GVO das zuletzt angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Steht die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts fest, ist das später angerufene Gericht gem. Abs. 2 verpflichtet, sich für unzuständig zu erklären. Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist entsprechend dem Wortlaut die Identität des Anspruchs, was zum einen die Identität des Streitgegenstandes und zum anderen die Identität der Streitparteien umschreibt.417 Als Umkehrschluss aus der Regelung des Art. 27 GVO lässt sich ableiten, dass Zuständigkeitskonflikte immer dann drohen, wenn dieselbe Streitigkeit im Sinne eines identischen Streitgegenstandes von denselben Streitparteien vor Gerichten in verschiedenen Staaten anhängig gemacht wird, d.h. in Fällen doppelter Rechtshängigkeit. Im Gegensatz zu Situationen doppelter Rechtshängigkeit regelt Art. 28 GVO die Situation konnexer Verfahren.418 Art. 28 Abs. 1 GVO ermöglicht dem später angerufenen Gericht bei im Zusammenhang stehenden Klagen, das Verfahren auszusetzen. Darüber hinaus kann das spätere Gericht das Verfahren nicht nur aussetzen, sondern sich gem. Abs. 2 auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn die Verfahren in erster Instanz 417 Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen eine vertragsautonome, im Vergleich zu den nationalen Rechtsordnungen sehr weitgehende Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung „Klagen wegen desselben Anspruchs“ vorgenommen, so dass Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 27 Abs. 1 GVO bzw. des früheren Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ nicht das den jeweiligen Verfahrensordnungen zu Grunde liegende Verständnis eines identischen Streitgegenstandes ist. So hat der EuGH entschieden, dass es sich bei einer negativen Feststellungsklage des Schuldners auf Feststellung, dass die Forderung gegen ihn nicht bestehe, und einer positiven Kaufpreisklage des Gläubigers auf Kaufpreiszahlung um denselben Anspruch handelt, da Kern beider Klagen, die Wirksamkeit des Vertrages sei; EuGH, Marciej Ratj, Slg. 1994, I-5439 (5479), abgedruckt in IPRax 1996, S. 108 ff.; dem zustimmend Schack, IPRax 1996, S. 80 (81). Das enge Streitgegenstandsverständnis des deutschen Rechts hätte hier keinen identischen Streitgegenstand angenommen. Auch bei Teilklagen, die vor Gerichten in verschiedenen Mitgliedstaaten anhängig gemacht werden, handelt es sich um denselben Anspruch im Sinne von Art. 27 Abs. 1 GVO; vgl. Schack, IZV, Rn. 762. Das weitgehende, von den nationalen Verfahrensordnungen fast losgelöste Verständnis eines identischen Streitgegenstandes ist in der Literatur allerdings auch kritisiert worden, vgl. Isenburg-Epplen, Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit, S. 258 ff. 418 Schack, IZV, Rn. 766; eingehend zum Begriff der Konnexität Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, S. 41 ff.; Hau, positive Kompetenzkonflikt, S. 6, fasst die Fälle konnexer Verfahren wie auch die Situation der doppelten Rechtshängigkeit unter dem Oberbegriff der parallelen Verfahren zusammen, aus denen sich dann entsprechend seiner Terminologie positive Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten verschiedener Staaten ergeben können.

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

285

anhängig sind,419 das zuerst angerufene Gericht für die Klagen zuständig und die Verbindung der Klagen nach seinem Recht zulässig ist. Entsprechend der Legaldefinition des Art. 28 Abs. 3 GVO ist ein Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Klagen dann anzunehmen, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung besteht, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprüchliche Entscheidungen ergehen können.420 Die in Art. 28 GVO enthaltene Konnexitätsregel wurde neben der in Art. 27 GVO normierten Rechtshängigkeitssperre für sinnvoll gehalten, weil divergierende Urteile eben nicht nur bei identischen Streitgegenständen entstehen können, sondern auch bei Verfahren, die lediglich der Sache nach zusammenhängen.421 Die drohenden Entscheidungskonflikte sind zwar im Falle der Konnexität nicht so gravierend wie in Situationen doppelter Rechtshängigkeit, da sie grundsätzlich nicht zu sich gegenseitig ausschließenden Urteilssprüchen, sondern lediglich zu widersprechenden Feststellungen im Rahmen der Urteilsbegründungen führen. Der Sinn und Zweck des Art. 28 GVO spricht aber dafür, Konnexität immer schon dann anzunehmen, wenn in Verfahren zwar über unterschiedliche Streitgegenstände verhandelt wird, aber dennoch mindestens eine gemeinsame Rechtsfrage oder eine für beide Verfahren erhebliche, streitige Tatsachenfrage zur Beurteilung steht.422 Dieses am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Ergebnis wird durch die systematische Auslegung des Begriffs „widersprüchliche Entscheidungen“, der für das Verständnis des Art. 28 Abs. 3 GVO wesentlich ist, bestätigt. Auch wenn der Begriff der sich widersprechenden Entscheidungen in der Verordnung nicht definiert wird, so ist sein Inhalt in Abgrenzung zu der in Art. 27 Nr. 3 GVO verwendeten Formulierung der unvereinbaren Entscheidung423 zu bestimmen. Die beiden Begriffe sind nicht gleichbedeutend.424 Denn eine Unvereinbarkeit der Entscheidungen im Sinne des Artikel 27 Nr. 3 GVO liegt nur dann vor, wenn sich die Rechtsfolgen gegen419 Über diese Voraussetzung hat sich der Cour de Cassation, 1re chambre civile, Société nouvelle des Papeteries de l’Aa/Machinefabriek Boa, 27.10.1992 hinweggesetzt und die Entscheidung des Cour d’appel von Douai bestätigt, welches sich zugunsten eines niederländischen Gerichts aufgrund von Konnexität mit der dort anhängigen Klage für unzuständig erklärt hat, obwohl das Verfahren in Frankreich bereits in zweiter Instanz anhängig war; siehe dazu Hackspiel, IPRax 1996, S. 214 ff. 420 Kropholler, GVO, Art. 28, Rn. 3. 421 Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, S. 45 f. 422 Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, S. 47. 423 Ausführlich zu dem Problem unvereinbarer Entscheidungen Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 21 ff.; Lenebach, Unvereinbarkeiten nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, S. 114 ff. 424 EuGH, Marciej Ratj, Slg. 1994, I-5439 (5479); Huber, JZ 1995, S. 603 (611).

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

seitig ausschließen.425 In Abgrenzung dazu hat der Gerichtshof Entscheidungen bereits dann als sich widersprechend im Sinne des Art. 28 Abs. 3 GVO angesehen, wenn sich die Entscheidungen in einzelnen Punkten widersprechen, ohne dass sich die Verfahrensergebnisse im engeren Sinne gegenseitig ausschließen und eine gleichzeitige Vollstreckbarkeit unmöglich wäre.426 Dementsprechend ist das Konnexitätserfordernis des Art. 28 GVO bereits dann erfüllt, wenn unterschiedliche Entscheidungen in Bezug auf die gemeinsamen, beiden Verfahren zu Grunde liegenden Rechts- oder Tatsachenfragen drohen.427 3. Zusammenfassung Mit der Bezeichnung Zuständigkeitskonflikte werden im internationalen Zivilverfahrensrecht sehr unterschiedliche, auch in ihrer Behandlung von einander zu differenzierende Situationen erfasst. Der Begriff Zuständigkeitskonflikte ist mithin kein feststehender; er beschreibt vielmehr schlagwortartig Situationen, in denen es aufgrund der Anrufung mehrerer Gerichte in verschiedenen Staaten zu divergierenden Entscheidungen kommen kann. Maßgeblich ist aber nicht jede Form der Divergenz, sondern es bedarf eines Zusammenhangs zwischen den jeweiligen Verfahren. Je nach Intensität dieses Zusammenhangs kann zwischen Fällen doppelter Rechtshängigkeit, d.h. den jeweils eingeleiteten Verfahren liegt eine Identität des Streitgegenstandes und der Streitparteien zu Grunde, und konnexen Verfahren, in denen der Streitgegenstand nicht identisch, eine einheitliche Entscheidung aufgrund des tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhangs aber geboten ist, differenziert werden.

II. Übertragbarkeit der Differenzierung auf das Völkerrecht Auch im Völkerrecht existieren unterschiedliche Formen paralleler Verfahren, aufgrund derer es zu divergierenden Entscheidungen kommen kann. Notwendige Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die parallelen Verfahren miteinander nicht nur in einem tatsächlichen, sondern auch in einem rechtlichen Zusammenhang stehen. Insbesondere in Situationen, in denen die Parallelität von Verfahren auf der parallelen Anwendbarkeit von unter425 EuGH, Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, I-645 (668). Ob im Rahmen des Artikel 27 Nr. 3 GVO Gegensätze im Entscheidungstenor verlangt werden, oder ob bereits sich gegenseitig ausschließende Wirkungen der Entscheidungsgründe genügen, ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht eindeutig; Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 20. 426 EuGH, Marciej Ratj, Slg. 1994, I-5439 (5479). 427 Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, S. 56.

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

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schiedlichen Übereinkommen verschiedener Sachbereiche beruht, besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, dass die Übereinkommen lediglich unterschiedliche Aspekte der Streitigkeit abdecken, die in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehen. Auch wenn es zu zwei sich scheinbar widersprechenden Entscheidungen in dem Sinne kommt, dass das Gericht den Verstoß gegen ein Übereinkommen feststellt, während ein zweites Gericht dasselbe Verhalten für vereinbar mit einem anderen Übereinkommen hält, so besitzen diese Entscheidungen lediglich einen Aussagewert darüber, ob das fragliche Verhalten gegen die aus dem jeweiligen Übereinkommen resultierenden Verpflichtungen verstößt. Besteht kein Zusammenhang zwischen den Übereinkommen, so stehen diese Entscheidungen nicht im Konflikt zueinander, da die Tatsache, dass ein und dasselbe Verhalten den Verpflichtungen eines Vertrages entspricht, während es gegen die Vorschriften eines zweiten verstößt, in Ahnlehnung an die Entscheidung des Schiedsgerichts im SBT-Fall als völkerrechtliche „Alltäglichkeit“ zu bezeichnen ist. „. . . it is a commonplace of international law and State practice for more than one treaty to bear upon a particular dispute. There is no reason why a given act of a State may not violate its obligations under more than one treaty.“428

Wie im internationalen Zivilverfahrensrecht bedarf es daher eines Zusammenhangs zwischen den parallel geführten Verfahren, damit überhaupt von sich widersprechenden bzw. divergierenden Entscheidungen gesprochen werden kann. Aber die aufgeführten Fallkonstellationen zeigen deutlich, dass der Zusammenhang unterschiedlich intensiv ausgeprägt ist. So besteht nicht in allen Fällen Parteienidentität und häufig basiert die Parallelität der Verfahren auf der parallelen Anwendbarkeit von Übereinkommen, deren Streitbeilegungsvorschriften sich lediglich auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des jeweiligen Übereinkommens beziehen. Da die Differenzierung zwischen doppelter Rechtshängigkeit und konnexen Verfahren im internationalen Zivilverfahrensrecht lediglich auf verschiedenen Formen divergierender Entscheidungen basiert, bedingt durch den unterschiedlich intensiven Zusammenhang zwischen parallel geführten Verfahren, und nicht auf spezifischen Charakteristika dieses Rechtsgebiets, kann die Differenzierung auch im Völkerrecht als hilfreicher Denk- und Systematisierungsansatz verwendet werden, um den unterschiedlichen Situationen paralleler Verfahren gerecht zu werden.429 428

SBT-Schiedsgericht, para. 52, ILM 39 (2000), S. 1359 (1387 f.). Dahingehend können auch die Ausführungen von Marceau, JWT 35 (2001), S. 1081 (1108) verstanden werden: „Overlap or conflict of jurisdiction . . . can be defined as situations where the same dispute or related aspects of the same dispute can be taken to two distinct institutions or two different adjudicating bodies.“ 429

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

1. Doppelte Rechtshängigkeit im Völkerrecht Der Begriff der doppelten Rechtshängigkeit beschreibt Situationen, in denen dieselbe Streitigkeit von denselben Streitparteien im Rahmen verschiedener Streitbeilegungsverfahren verhandelt wird, d.h. doppelte Rechtshängigkeit setzt neben der Identität der Streitparteien notwendigerweise auch eine Identität des Streitgegenstandes voraus. Damit wird das Verständnis und der Umfang des Streitgegenstandsbegriffs maßgebliches Kriterium für die Frage, in welchen Situationen es im Völkerrecht aufgrund doppelter Rechtshängigkeit zu Zuständigkeitskonflikten kommen kann. Eine Übertragung national geprägter Verständnisse verbietet sich aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstandsbegriffe der verschiedenen Rechtsordnungen von selbst.430 Entscheidend ist vielmehr die Entwicklung eines völkerrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs, um anhand dessen feststellen zu können, ob es sich bei einem strittigen Lebenssachverhalt, der vor verschiedenen Streitbeilegungsmechanismen anhängig gemacht wurde, rechtlich um dieselbe Streitigkeit handelt. Allerdings haben sich sowohl die völkerrechtliche Rechtsprechung als auch die völkerrechtliche Literatur bisher nur sporadisch mit dem Problem auseinandergesetzt, aufgrund welcher Kriterien von einer einheitlichen Streitigkeit und damit von einem identischen Streitgegenstand gesprochen werden kann.431 Ein erster und gleichzeitig umstrittener Ansatz findet sich im NicaraguaUrteil des IGH.432 Die USA machten die Unzuständigkeit des Gerichtshofs 430 Dies verdeutlicht sich schon daran, dass der deutsche Streitgegenstandsbegriff wesentlich enger gefasst ist als der vertragsautonom zu bestimmende Streitgegenstandsbegriff, der der GVO zu Grunde liegt; siehe Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, S. 91 ff.; Schack, IZV, Rn. 752; Isenburg-Eppeln, Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit, S. 258 ff. 431 Lediglich bei Neumann, Koordination, S. 516 finden sich dahingehende Ausführungen: „[Der Bergriff der parallelen Zuständigkeiten] umfasst nicht nur die Berufung mehrerer Gerichte, einen identischen Streitgegenstand, zu klären, also die Rechte und Pflichten in Bezug auf einen und denselben Lebenssachverhalt aufgrund eines bestimmten Vertrages zu bestimmen . . .“ Damit geht Neumann von einem sehr eingeschränkten Streitgegenstandsbegriff aus, so dass doppelte Rechtshängigkeiten im Völkerrecht nur dann entstehen können, wenn mehrere Gerichte für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung eines Übereinkommens zuständig sind. Aufgrund der Tatsache, dass die Zuständigkeiten internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren in aller Regel mit Ausnahme des IGH entweder regional und/oder sachlich begrenzt sind, ist die Existenz von Zuständigkeitskonflikten aufgrund doppelter Rechtshängigkeit bis auf Ausnahmesituationen nahezu ausgeschlossen. Auch Lowe, Australian YBIL 20 (1999), S. 191 (193 ff.) scheint von einem engen Streitgegenstandsbegriff auszugehen. Allerdings wird dieser Ansatz weder von Neumann noch von Lowe begründet.

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

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geltend und beriefen sich dabei u. a. auf den sog. Vandenberg-Vorbehalt, der die Zuständigkeit des IGH für alle Streitigkeiten ausschloss, die sich aus einem multilateralen Vertrag ergaben, es sei denn dass alle durch die Entscheidung betroffenen Vertragspartner auch Partei in dem jeweiligen Verfahren vor dem Gerichtshof waren oder dass die USA der Gerichtsbarkeit speziell zugestimmt haben.433 Diese Voraussetzungen waren nach Ansicht der USA nicht erfüllt, da Nicaraguas Anträge auf der Verletzung von Vertragsvorschriften multilateraler Übereinkommen basierten – u. a. der UNCharter und der OAS-Charter – und die von einem Urteil des IGH betroffenen Vertragsstaaten dieser Übereinkommen – Honduras, Costa Rica und El Salvador – nicht Partei in dem Verfahren waren.434 Im Gegensatz dazu argumentierte Nicaragua, dass der Vandenberg-Vorbehalt auf Sachverhalte wie den vorliegenden überhaupt nicht anwendbar sei und dass die USA in nicht ausreichendem Maße dargelegt hätten, in welcher Art und Weise Honduras, Costa Rica und El Salvador von einer Entscheidung des IGH betroffen seien, und drittens, dass die Aktivitäten der USA nicht nur die Vorschriften der erwähnten multilateralen Übereinkommen verletzten, sondern auch allgemeine Regeln des Völkerrechts und des Völkergewohnheitsrechts, auf die der Vandenberg-Vorbehalt keine Anwendung fände.435 Ob und inwieweit die Voraussetzung des Vandenberg-Vorbehalts erfüllt waren und welchen genauen Inhalt der eher widersprüchliche Wortlaut des Vorbehalts hat, kann für die vorliegenden Untersuchung dahinstehen. Entscheidend ist vielmehr die von Nicaragua vorgebrachte Differenzierung zwischen einer Verletzung multilateraler Übereinkommen und Vorschriften des allgemeinen Völkerrechts und Völkergewohnheitsrechts. Die Mehrheit der IGH Richter ist diesem Ansatz gefolgt, indem sie feststellten: „Principles such as those of the non-use of force, non-intervention, respect for the independence and territorial integrity of States, and the freedom of navigation, continue to be binding as part of customary international law, despite the operation of provisions of conventional law in which they have been incorporated. Therefore, since the claim before the Court in this case is not confined to violation of the multilateral conventional provisions invoked, it would not in any event be barred by the multilateral treaty reservation in the United States 1946 Declaration.“436 432

Case Concerning the Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. USA), Jurisdiction of the Court and Admissability of the Application, 26.11.1984, ICJ Rep. 1984, S. 392. 433 Military and Paramilitary Activities, Jurisdiction and Admissibility, ICJ Rep. 1984, S. 421 f. 434 Military and Paramilitary Activities, Jurisdiction and Admissibility, ICJ Rep. 1984, S. 422. 435 Military and Paramilitary Activities, Jurisdiction and Admissibility, ICJ Rep. 1984, S. 423 f.

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

Diese Aussage des Gerichts muss dahingehend interpretiert werden, dass es sich in der Sache um zwei unterschiedliche Streitgegenstände handelte, für welche der IGH aufgrund des Vandenberg-Vorbehalts nur in einem Falle zuständig war. Dieser als „salami-slicing of disputes“ bezeichnete Ansatz437 ist von anderen Mitgliedern des Gerichts heftig kritisiert worden. Bereits die USA hatten in ihrer Entgegnung auf die von Nicaragua vorgebrachte Position dargelegt, dass es sich bei den Anträgen Nicaraguas letztlich um in der Sache identische Klagen handle.438 Dies ist von Schwebel in seinem abweichenden Votum bestätigt worden. Wenn man den Vandenberg-Vorbehalt auf die Streitigkeit für anwendbar hielte, so ergäben sich für das Gericht zwei unterschiedliche Möglichkeiten: „The first would be to dismiss the case . . ., on the ground that Nicaragua’s claims are so integrally and essentially bound up with the treaty provisions on which they rely that, if those provisions cannot be pleaded, there is no case which the Court can consider. The second would be to retain the case in so far as Nicaragua can make out a case divorced from the term of those treaties, a case which is based upon customary international law.“439

Demnach ist für die Frage, ob es sich um einen identischen oder um unterschiedliche Streitgegenstände handelt, die Übereinstimmung zwischen Vertragsvorschriften und Völkergewohnheitsrecht entscheidend. Sind beide inhaltsgleich, so müssen sie als identisch angesehen werden. Nur wenn das Völkergewohnheitsrecht weitergehende Rechte und Pflichten enthält, kann von unterschiedlichen Streitgegenständen gesprochen werden, für die der Gerichtshof zumindest partiell zuständig gewesen wäre. Dieser als single dispute theory zu bezeichnende Ansatz ist auch vom Schiedsgericht in der SBT-Entscheidung verfolgt worden, wenn auch ohne Verweis auf die Rechtsprechung des IGH.440 Auch wenn formal betrachtet Gegenstand der jeweiligen Streitbeilegungsverfahren die Rechte und Pflichten verschiedener Übereinkommen sind, so handelt es sich nach Ansicht des Schiedsgerichts dennoch nicht um zwei voneinander zu trennende Strei436 Military and Paramilitary Activities, Jurisdiction and Admissibility, ICJ Rep. 1984, S. 424 f. 437 Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 535 (557). 438 Military and Paramilitary Activities, Jurisdiction and Admissibility, ICJ Rep. 1984, S. 422 f. 439 Military and Paramilitary Activities, Jurisdiction and Admissibility, Dissenting Opion Judge Schwebel, ICJ Rep. 1984, 613 f. 440 Die Tatsache, dass Schwebel zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Schiedsgerichts war und in dieser Position an der Entscheidung mitgewirkt hat, ist durchaus bemerkenswert. Dies lässt den Schluss zu, dass er auf diese Weise versucht hat, seiner abweichenden Meinung aus dem Nicaragua-Fall zum Durchbruch zu verhelfen.

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

291

tigkeiten, sondern um eine einheitliche, die in den Anwendungsbereich beider Übereinkommen fällt. „To find that, in this case, there is a dispute actually arising under UNCLOS which is distinct from the dispute that arose under the CCSBT would be artificial.“441

Dieses weitgehende Verständnis von einem einheitlichen Streitgegenstand und damit einer einheitlichen Streitigkeit wird auch durch die Staatenpraxis im Bereich des Weltwirtschaftsrechts und des internationalen Menschenrechtsschutzes gestützt. Art. 2005 NAFTA, der das Verhältnis von NAFTAund WTO-Streitbeilegungsverfahren regelt, bestimmt, dass eine Vertragspartei, bevor sie die Einsetzung eines Panels nach dem DSU beantragt, jede andere Vertragspartei von dieser Absicht in Kenntnis setzen muss. Voraussetzung ist, dass es sich in der Sache um einander im Wesentlichen entsprechende Verfahren handelt (dispute settlement proceedings on grounds that are substantially equivalent to those available to that Party under this Agreement).442 Auch hier ist es unerheblich, dass Gegenstand der jeweiligen Verfahren und damit des durchsetzbaren Rechts unterschiedliche Übereinkommen sind, die lediglich von der Intention her eine inhaltliche Parallelität aufweisen.443 Entsprechendes ergibt sich aus den Regelungen über Verfahren, die sowohl vor dem EGMR als auch vor anderen internationalen Untersuchungsinstanzen anhängig gemacht werden. Gem. Art. 35 Abs. 2 lit. b) EMRK444 sind Individualbeschwerden unzulässig, die bereits einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Vergleichsinstanz unterbreitet worden sind. Diese Regelung bezieht sich zwar primär auf das Verhältnis von Beschwerden, die sowohl vor dem EGMR als auch UN-Menschenrechtsausschuss anhängig gemacht werden, ist aber auch im Verhältnis des EGMR zu anderen, mit dem Schutz von Menschenrechten befassten, internationalen Untersuchungsinstanzen anwendbar.445 Voraussetzung ist neben der Identität des Beschwerdeführers und des Sachverhalts auch die Identität des Beschwerdegegenstandes.446 Da das durchsetzbare Recht nicht identisch ist, kann sich die Identität des Beschwerdegegenstandes nur auf die geltend441

SBT-Schiedsgericht, para. 54, ILM 39 (2000), S. 1359 (1388). Siehe oben 2. Teil C. IV. 443 Siehe oben 2. Teil C. IV. 1. 444 Siehe oben 2. Teil C. I. 445 Für die Anwendbarkeit des früheren, mit der heutigen Regelung identischen Art. 27 Abs. 1 lit. b) EMRK a. F. im Verhältnis von EGMR und IAO vgl. EKMR, Cereceda Martin and Others v. Spain, Appl. No. 16358/90, abgedruckt in HRLJ 1996, S. 130 ff. Die näheren Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Vorschrift hat Trindade, HRLJ 1996, S. 164 ff. untersucht, der zu dem Ergebnis kommt, dass es sich um ein unabhängiges und unparteiliches Gremium handeln muss, das in Bezug auf die Beschwer wirksame Abhilfe leisten kann. 446 Peukert in: Frowein/Peukert, Art. 27, Rn. 19. 442

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

gemachte Verletzung beziehen, die von den jeweils einschlägigen Übereinkommen parallel geschützt wird.447 Auch der seperate opinion von Treves bezüglich der Reichweite des Art. 282 SRÜ kann entnommen werden, dass er von einem weiten, vertrags- bzw. ordnungsübergreifenden Streitgegenstandsbegriff ausgeht. Auch wenn er Art. 282 SRÜ diese Funktion nicht zuspricht, so hält er die Anwendung des Grundsatzes litispendence, der zur Vermeidung von Situationen doppelter Rechtshängigkeit herangezogen wird,448 in der konkreten Situation für erwägenswert.449 Dies kann nichts anderes bedeuten, als dass eine Identität des Streitgegenstandes in der MOX Plant-Streitigkeit im Verhältnis von SRÜ- und OSPAR-Schiedsgericht zumindest theoretisch denkbar ist. Entgegen dem Ansatz des IGH im Nicaragua-Fall ist bei der Frage, ob ein strittiger Lebenssachverhalt, der in den Anwendungsbereich verschiedener Streitbeilegungsmechanismen fällt, als ein einheitlichen Streitgegenstand und damit auch als einheitliche Streitigkeit zu qualifizieren ist, nicht auf das unterschiedliche durchsetzbare Recht, auf das die Ansprüche gestützt werden können, abzustellen, sondern auf deren inhaltliche Parallelität. Dementsprechend ist die doppelte Rechtshängigkeit einer Streitigkeit immer schon dann anzunehmen, wenn die zu Grunde liegenden Übereinkommen inhaltlich im Wesentlichen parallele Verpflichtungen und Rechte enthalten. Weichen die Übereinkommen aber in wesentlichen Punkten voneinander ab oder garantiert das eine Übereinkommen weitergehende Rechte als das andere, so kann nicht von einer Identität des Streitgegenstandes gesprochen werden. Wendet man dieses Ergebnis auf die vorgestellte Kategorisierung der verschiedenen Formen widersprüchlicher Entscheidungen im Völkerrecht an, so ergibt sich folgende Differenzierung: Werden aufgrund desselben Lebenssachverhalts von denselben Streitparteien verschiedene Streitbeilegungsverfahren angerufen, so handelt es sich nur dann um Fälle doppelter 447 Verdeutlich wird dies durch die Entscheidung der EKMR im Falle Pauger. Der Beschwerdeführer hatte sowohl vor dem UN-Menschenrechtsausschuss als auch vor der damals zuständigen EKMR eine Verletzung des Rechts auf Gleichheit geltend gemacht; zum einen gestützt auf Art. 26 IPbürg und zum anderen auf Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Art. 14 EMRK und Art. 1 Abs. 1 des 1. Zusatzprotokolls ebenfalls i.V. m. Art. 14 EMRK. Unabhängig davon, ob die aufgeführten Vorschriften im Detail einen weitestgehend identischen Schutz des Beschwerdeführers bieten, hat die EKMR die Beschwerde aufgrund des damaligen Art. 27 Abs. 1 lit. b) EMRK zurückgewiesen, da sie denselben Beschwerdegegenstand berührt – Verletzung des Rechts auf Gleichheit; siehe EKMR, Pauger v. Austria, Appl. No. 24872/94, para. 3, abrufbar unter www.echr.coe.int/. 448 Siehe dazu unten 4. Teil B. I. 4. 449 ISGH, MOX Plant, Separate Opinion Judge Treves, para. 5, ILM 41 (2002), S. 430 (430 f.).

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

293

Rechtshängigkeit, wenn das durchsetzbare Recht und damit der materielle Jurisdiktionsbereich der involvierten Streitbeilegungsmechanismen entweder identisch ist oder aber von vornherein auf Parallelität ausgelegt ist. 2. Konnexe Verfahren im Völkerrecht Auch das Phänomen konnexer Verfahren fällt unter das Schlagwort Zuständigkeitskonflikte, setzt aber einen weniger starken Zusammenhang zwischen den Verfahren voraus. Weder eine Identität der Streitparteien, noch eine Identität des Streitgegenstandes ist notwendig. Vielmehr müssen die in den Verfahren aufgeworfenen und entscheidungserheblichen Rechtsfragen dieselben sein. Der Begriff „dieselben Rechtsfragen“ kann ähnlich wie auch der Begriff des identischen Streitgegenstandes unterschiedlich weit verstanden werden. Ein sehr eng gefasstes Verständnis würde sich auf Situationen beschränken, in denen die Identität der auszulegenden Rechtsnormen vorausgesetzt wird. So war sowohl im La Grand-Fall des IGH als auch in dem parallel geführten Verfahren vor dem AGMR die Auslegung des Art. 36 Abs. 1 lit. (b) Konsularrechtskonvention entscheidungserheblich. Im Gegensatz dazu wäre es im Schwertfisch-Fall nicht zur Auslegung „derselben Rechtsfragen“ gekommen. Denn Gegenstand des WTO-Verfahrens wäre die Rechtmäßigkeit der chilenischen Handelsbeschränkung und damit einhergehend die Erfüllung der Kooperationsobliegenheit gem. Art. XX GATT gewesen, während der ISGH über die Verletzung der Kooperationsverpflichtungen gem. Art. 64, 116–119 SRÜ zu entscheiden gehabt hätte. Allerdings greift ein solch eingeschränktes Verständnis des Begriffs „dieselben Rechtsfragen“ zu kurz und ist, wie auch das enge Verständnis des Streitgegenstandsbegriffs, abzulehnen. Denn es berücksichtigt in nicht ausreichendem Maße, dass Vorschriften unterschiedlicher Verträge entweder identisch sein können oder sich gegenseitig bedingen. Die Untersuchung des Schwertfisch-Falls hat gezeigt, dass der Einleitungssatz des Art. XX GATT unter Heranziehung der detaillierteren Vorschriften der Art. 64, 116–119 SRÜ auszulegen ist, so dass es letztlich zu einer Inhaltsgleichheit der Kooperationsvoraussetzungen kommt.450 Dementsprechend werden dieselben Rechtsfragen nicht nur dann erörtert, wenn Gegenstand der Verfahren dieselbe Rechtsnorm ist. Auch bei der Auslegung unterschiedlicher Rechtsnormen verschiedener Verträge kann es sich um dieselbe Rechtsfrage handeln, wenn deren Inhalt identisch ist oder aber die die Auslegungen in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen, sich also gegenseitig beeinflussen.

450

Siehe oben 2. Teil B. I.

294

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

3. Anwendung auf die bestehenden Konkurrenzsituationen Wendet man die Definitionen doppelter Rechtshängigkeit und konnexer Verfahren auf die bestehenden Beispielsfälle paralleler Verfahren an, die nicht durch vertragliche Vorrangregelungen wie Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK, Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP IPbürg, Art. 2005 NAFTA und in begrenzten Umfang durch Art. 23 DSU und Art. 282 SRÜ zugunsten eines Streitbeilegungsverfahrens gelöst werden können, so zeigt sich, dass es sich in den meisten Fällen paralleler Verfahren um konnexe Verfahren handelt und nicht um Situationen doppelter Rechtshängigkeit. Bei den parallel geführten Verfahren im Rahmen der WTO und des NAFTA wegen der vermeintlichen Rechtswidrigkeit des Helms-Burton-Acts sowie denen vor dem IGH und dem AGMR wegen der Auslegung des Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention handelt es sich schon deshalb nicht um Situationen doppelter Rechtshängigkeit, weil keine vollständige, sondern nur eine partielle Parteienidentität besteht – in allen Fällen wurden die USA von jeweils verschiedene Staaten verklagt. Allerdings können sie in die Kategorie der konnexen Verfahren eingeordnet werden. Dies ist für die Konstellation bezüglich der Auslegung der Konsularrechtskonvention evident, denn die den Verfahren zu Grunde liegende Rechtsfrage betrifft dieselbe Rechtsvorschrift. Demgegenüber unterscheiden sich die in den WTO- und NAFTA-Verfahren zu entscheidenden Rechtsfragen dahingehend, dass es sich um unterschiedliche Rechtsvorschriften verschiedener Übereinkommen handelt. Allerdings sind diese inhaltsgleich und darüber hinaus ist Vorbild der NAFTA-Vorschrift über die Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen aus Gründen der inneren Sicherheit Art. XXI GATT 47 gewesen. Damit ist eine einheitliche Auslegung der Vorschriften geboten, so dass die in den Verfahren zu entscheidenden Rechtsfragen auch einheitlich im Sinne der Konnexitätsdefinition sind. Auch beim SBT-Fall handelt es sich nicht um doppelte Rechtshängigkeiten. Zwar besteht grundsätzlich Parteienidentität. Allerdings enthält das SRÜ weitergehende Kooperationsverpflichtungen als die CCSBT, so dass nicht von einem einheitlichen Streitgegenstand gesprochen werden kann. Dies gilt auch für den Schwertfisch-Fall, da das in den Verfahren durchsetzbare Recht weder identisch noch inhaltsgleich ist. Falls die Verfahren nicht ausgesetzt worden wären, wäre Gegenstand des WTO-Verfahrens die Rechtmäßigkeit der einseitigen chilenischen Handelsbeschränkung gewesen, während der ISGH die Frage der ausreichenden Kooperation nach dem SRÜ zu beurteilen gehabt hätte. Allerdings besteht ein intensiver rechtlicher Zusammenhang zwischen den Verfahren, da die Entscheidung des ISGH in der Frage, ob Chile gegen die Kooperationsverpflichtungen aus dem SRÜ verstoßen hat, für die Auslegung des Einleitungssatzes des Art. XX GATT re-

E. Formen von Zuständigkeitskonflikten

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levant geworden wäre.451 Damit stehen die in den Verfahren zu entscheidenden Rechtsfragen in einem unmittelbaren Zusammenhang, der es rechtfertigt, in dieser Konstellation von einem konnexen Verfahren zu sprechen. Sollte es in der Zukunft zu parallelen Verfahren im Rahmen der WTO und multilateraler Umweltübereinkommen aufgrund der Rechtmäßigkeit einer umweltpolitisch motivierten Handelsbeschränkung kommen, die zur Erreichung des mit dem Umweltübereinkommen verfolgten Zweck erlassen wurde, so handelt es sich auch dabei um konnexe Verfahren. Zwar kann ein identischer Streitgegenstand auch dann vorliegen, wenn es sich um Vorschriften unterschiedlicher Übereinkommen handelt. Allerdings bezieht sich dies aufgrund der damit verbundenen Notwendigkeit der inhaltlichen Identität der Vorschriften lediglich auf Übereinkommen desselben Sachbereichs. Auch wenn sich WTO und handelsrechtlich relevante multilaterale Umweltübereinkommen in ihren Anwendungsbereichen überschneiden, so handelt es sich um Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche. Allerdings besteht insoweit ein Zusammenhang, als dass die hier angesprochenen Umweltübereinkommen Handelsbeschränkungen entweder verpflichtend vorschreiben, sie ausdrücklich erlauben oder aber zumindest zur Erreichung des Vertragszieles tolerieren. Materiellrechtlich besteht von daher die Notwendigkeit zur Harmonisierung der Vorschriften. Ebendies ist der Grund für den inhaltlichen Zusammenhang der Verfahren, ohne dass damit eine einheitliche Streitigkeit im Sinne eines einheitlichen Streitgegenstandsbegriffs einhergeht. Einzig und allein bei der MOX Plant-Streitigkeit könnte es sich um einen Fall doppelter Rechtshängigkeit handeln, sofern die Bestimmungen des OSPAR-Übereinkommens und des SRÜ inhaltlich identisch sind. In Anbetracht der Tatsache, dass das Verfahren im Rahmen des SRÜ in der Hauptsache aber noch nicht entschieden ist,452 lässt sich darüber noch keine endgültige Aussage treffen.

451

Siehe oben 2. Teil B. I. Das Verfahren ist durch Entscheidung des Schiedsgerichts vorläufig ausgesetzt, um eine mögliche Klage der Kommission vor dem EuGH darüber abzuwarten, inwieweit die von Irland im Verfahren geltend gemachten Rechtsvorschriften im Verhältnis der EG und den Mitgliedstaaten in die ausschließliche Zuständigkeit der EG fällt; vgl. The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, para. 28, abrufbar unter www.pca-acp.org. Für die Entscheidung des OSPARSchiedsgerichts in der Hauptsache vgl. Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention, final award, 2.7.2003, abrufbar unter www.pca-acp.org. 452

296

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

4. Institutionelle Voraussetzungen für das Bestehen von Zuständigkeitskonflikten Zuständigkeitskonflikte in Form von doppelter Rechtshängigkeit und konnexen Verfahren können nur dann bestehen, wenn es zu miteinander unvereinbaren Entscheidungen kommt. Daraus resultiert notwendigerweise die Konsequenz, dass es im Falle der Parallelität von Streitbeilegungsvorschriften in verschiedenen Übereinkommen nur dann zu einem Zuständigkeitskonflikt kommen kann, wenn darin institutionalisierte, zumindest quasi gerichtlich ausgestaltete Verfahren vorgesehen sind. Denn viele Übereinkommen enthalten lediglich eine Verpflichtung, die Streitigkeit durch die Wahl eigener Mittel friedlich beizulegen, zu denen auch die diplomatischen Formen der Streitbeilegung wie etwa die Verhandlung gehören. Letztere basieren auf einem politischen Einigungsprozess und nicht so sehr auf der Anwendung juristischer Methoden zur Bestimmung der Rechte und Pflichten aus dem Übereinkommen. Von daher handelt es sich auch nicht um einen Zuständigkeitskonflikt, wenn ein Übereinkommen die obligatorische Beilegung der Streitigkeit in einem gerichtlichen oder quasi-gerichtlich ausgestalteten Verfahren vorsieht, während das andere Übereinkommen lediglich eine Verhandlungspflicht im Falle einer Streitigkeit begründet. Denn letzteres Verfahren kennt zum einen keine förmliche Entscheidung und zum anderen widerspricht es dem Bemühen um eine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit und verbindlichen Streitbeilegung, wenn politische Verhandlungsprozesse mit gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Verfahren in dem Sinne konkurrieren, dass sie mit diesen auf eine Stufe gestellt werden.453 Dies entspricht auch der Rechtsprechung des IGH, der bisher jegliches Vorbringen gegen seine Zuständigkeit zurückgewiesen hat, welches auf der Argumentation basierte, dass die Streitigkeit bereits Gegenstand eines regionalen Verhandlungsprozesses sei.454 Die Differenzierung zwischen Streitbeilegungsvorschriften, die obligatorisch die Zuständigkeit eines zumindest quasi-gerichtlich ausgestalteten Verfahrens begründen, und Vorschriften, die die Parteien lediglich zur Aufnahme von Verhandlungen im Hinblick auf die friedliche Lösung der Streitigkeit verpflichten, ist insbesondere für die Fälle der parallelen Existenz von Streitbeilegungsvorschriften im Rahmen der WTO und handelsrechtlich relevanten multilateralen Umweltübereinkommen von Bedeutung. Denn Letztere enthalten bisher keine Bestimmungen, die die obligatorische Gerichtsbarkeit des IGH oder eines Schiedsgerichts für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Übereinkommens begründen. Deren Zu453

Zur Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit siehe oben 1. Teil B. Military and Paramilitary Activities, Jurisdiction and Admissibility, ICJ Rep. 1984, S. 440 m. w. N. aus seiner Rechtsprechung. 454

F. Zusammenfassung

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ständigkeit besteht nur dann, wenn sich die Parteien auf eine dementsprechende Unterwerfung oder Errichtung einigen können. Und auch nur dann kann im Falle der parallelen Existenz von Streitbeilegungsvorschriften im Rahmen der WTO und multilateralen Umweltübereinkommen von Zuständigkeitskonflikten gesprochen werden. Dies gilt auch für den SBT-Fall. Zwar hatte Japan seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt, die Streitigkeit einem ad hoc zu errichtenden CCSBTSchiedsgericht zu unterwerfen. Allerdings haben Australien und Neuseeland diesem Vorschlag nicht zugestimmt. Dementsprechend ist es zwar zu einer Konkurrenz der im SRÜ und der CCSBT enthaltenen Streitbeilegungsvorschriften gekommen. Daraus hätte aber kein Konflikt entstehen können, da divergierende Entscheidungen in Abwesenheit eines institutionalisierten, quasi-gerichtlich ausgestalteten Verfahrens im Rahmen der CCSBT nicht möglich gewesen wären.

F. Zusammenfassung Grundvoraussetzung für die Existenz eines Zuständigkeitskonflikts ist das Bestehen einer Zuständigkeitskonkurrenz. Eine solche besteht, wenn auf denselben strittigen Sachverhalt zwei Streitbeilegungsmechanismen anwendbar sind, die in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. In Fällen wie dem SBT- und dem Schwertfisch-Fall sowie der MOX PlantStreitigkeit, in denen der strittigen Lebenssachverhalt Bezug zu unterschiedlichen Übereinkommen hat, darf also die Anwendbarkeit eines der Übereinkommen und damit dessen Vorschriften über die Streitbeilegung nicht durch die Grundsätze der Vertragskonkurrenz und Vertragskollision ausgeschlossen sein. Insbesondere im Verhältnis von Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung und handelsrechtlich relevanten Umweltübereinkommen ist die parallele Anwendbarkeit umstritten. Das Konfliktverhältnis kann zwar zumindest theoretisch mit Hilfe der Prinzipien lex specialis und lex posterior aufgelöst werden, da die Anwendbarkeit dieser Grundsätze in WTO-Verfahren nicht, wie in der Literatur überwiegend vertreten, durch eine Beschränkung des anwendbaren Rechts ausgeschlossen ist. Allerdings hat die Untersuchung gezeigt, dass sie zur Auflösung von Konfliktsituationen im Verhältnis von WTO-Übereinkommen und internationalem Umweltrecht grundsätzlich ungeeignet sind. Für den lex posterior Grundsatz ergibt sich dies bereits daraus, dass weder die Erfüllungsstruktur der WTO-Rechtsordnung noch die der Umweltübereinkommen bipolarer Natur ist. Auch die Frage, welche Regelung lex specialis ist, kann nicht mit Bestimmtheit beantwortet werden, da diesbezüglich bisher keine allgemeinen Grundsätze entwickelt worden

298

2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

sind. Die Behauptung, dass entweder die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung oder die eines Umweltübereinkommens spezieller seien, beruht lediglich auf dem Standpunkt des Betrachters und ist damit beliebig. Allerdings kann, wie am Beispiel des Cartagena-Protokolls verdeutlicht wurde, eine parallele Anwendbarkeit der Übereinkommen auch in vermeintlich bestehenden Konfliktsituationen mit Hilfe des Grundsatzes der harmonisierenden Auslegung sichergestellt werden, so dass im Verhältnis von multilateralen Umweltübereinkommen mit handelsrechtlicher Relavanz und WTORechtsordnung grundsätzlich von einer parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen auszugehen ist. Dies gilt auch für das Verhältnis von Übereinkommen auf regioanler und globaler Ebene im Bereich des Menschenrechtsschutzes, des internationalen Seerechts und des internationalen Wirtschaftsrechts. Denn in diesen Konstellationen kommt es in den meisten Fällen ohnehin nicht zu einem Vertragskonflikt, da ein solcher nur dann vorliegt, wenn entweder zwei Verpflichtungsnormen miteinander unvereinbare Rechtsfolgen anordnen oder wenn ein Übereinkommen ein Verhalten ausdrücklich erlaubt, während ein anderes dasselbe Verhalten untersagt. Situationen, in denen ein Übereinkommen lediglich weitergehende Rechte und Pflichten enthält, fallen hingegen nicht unter die Konfliktdefinition. Der parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen steht dann nichts entgegen. Aber auch im Falle der parallelen Anwendbarkeit der Übereinkommen bedarf es einer genauen Untersuchung dahingehend, inwieweit die Verfahren in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen. Denn nur dann drohen durch die parallele Anwendbarkeit von Streitbeilegungsmechanismen divergierende Entscheidungen. Der inhaltliche Zusammenhang bedarf insbesondere dann einer intensiven Erörterung, wenn es sich um Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche handelt. So hat der Schwertfisch-Fall gezeigt, dass GATT und SRÜ nicht in einem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang stehen. Dieser kommt erst dadurch zustanden, dass erstens die Frage der ausreichenden Kooperation in beiden Verfahren entscheidungserheblich ist und dass zweitens die Erfüllung der Kooperationsobliegenheit nach Art. XX GATT gem. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVRK nur unter Berücksichtigung der detailierteren Kooperationsvorgaben des SRÜ zu bestimmen ist, so dass ein Erfüllen bzw. Nichterfüllen der Kooperationsverpflichtungen nach dem SRÜ unmittelbare Auswirkung auf die Auslegung des Art. XX GATT hat. Weitere Voraussetzung für die Existenz eines Zuständigkeitskonlikts ist, dass nicht Zuständigkeitskonkurrenzen auflösende Vertragsvorschriften bestehen. Paradebeispiel für eine solche Vorschrift ist Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK, der Beschwerden bereits deshalb für unzulässig erklärt, weil sie

F. Zusammenfassung

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schon Gegenstand eines Verfahrens vor einer anderen internationalen Untersuchungsinstanz waren. Dasselbe Resultat wird für Verfahren vor dem UNMenschenrechtsausschuss durch ein Zusammenspiel des Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP IPbürg und zusätzlich dazu abgegebener Vorbehalte mit dem Inhalt erreicht, dass die Zuständigkeit des Ausschusses nicht nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Sache zur Zeit der Beschwerdeeinreichung vor einer anderen Untersuchungsinstanz verhandelt wird (Regelunsbereich des Art. 5 Abs. 2 lit. a) FP), sondern auch dann, wenn sie schon verhandelt worden ist. Ähnlich konzipiert ist Art. 2005 NAFTA, der den NAFTA-Staaten das Führen paralleler Verfahren für die Fälle untersagt, in denen die Streitigkeit sowohl durch ein WTO-Panel als auch ein NAFTA-Schiedsgericht entschieden werden soll. Auch Art. 23 DSU kann Zuständigkeitskonkurrenzen auflösen. Allerdings gilt dies lediglich für nicht im DSU vorgesehenen Verfahren, deren Zuständigkeit ratione materiae sich auch auf WTO-Vorschriften erstreckt. Diese Konstellation findet sich aber nur im Falle von Art.-1903NAFTA-Verfahren über Änderungen nationaler Regelungen im Bereich der Ausgleichszölle und staatlicher Beihilfen. Auf Fälle wie den SchwertfischFall, in denen das parallel neben dem WTO-Verfahren geführte Verfahren nicht für die Durchsetzung von WTO-Recht zuständig ist, findet Art. 23 DSU keine Anwendung. Entgegen dem Ansatz des Schiedsgerichts im SBTFall kommt den Art. 281 Abs. 1 und Art. 282 SRÜ keine umfassende Funktion zur Vermeidung von Zuständigkeitskonkurrenzen zu. Lediglich letztere Norm erfüllt diese Aufgabe für die eingeschränkte Konstellation, dass Staaten aufgrund einer außerhalb des SRÜ zustandegekommenen Vereinbarung Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ einseitig einem verbindlich entscheidenden Verfahren unterwerfen können. Erst wenn nicht durch eines der aufgeführten Kriterien die Anwendung paralleler Streitbeilegungsmechanismen vermieden wird bzw. sich im Fall des mangelnden inhaltlichen Zusammenhangs als unproblematisch herausstellen, kann es zu einem Zuständigkeitskonflikt kommen. Bei diesem Begriff handelt es sich allerdings lediglich um Schlagwort, aus dem sich keine konkreten Schlussfolgerungen ziehen lassen. Erst die aus dem internationalen Zivilverfahrensrecht übernommene Unterscheidung zwischen Situationen doppelter Rechtshängigkeit und konnexen Verfahren, lässt eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Konstellationen und des ihnen zu Grunde liegenden Konfliktpotentials zu. Ansatzpunkt für die Differenzierung zwischen konnexen Verfahren und doppelter Rechtshängigkeit ist der zwischen den Verfahren bestehende Zusammenhang. Handelt es sich um dieselbe Streitigkeit zwischen denselben Streitparteien so spricht man von doppelter Rechtshängigkeit, während konnexe Verfahren bereits dann bestehen, wenn ein rechtlicher oder tatsächlicher Zusammenhang zwischen den Verfahren besteht, ohne dass es sich um dieselben Parteien bzw. densel-

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2. Teil: Zuständigkeitskonflikte

ben Streitgegenstand handeln muss. Entscheidend ist mithin die Definition eines völkerrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs. Entgegen Ansätzen in der Literatur kann eine einheitliche Streitigkeit im prozessualen Sinne auch dann bestehen, wenn es sich um unterschiedliche Übereinkommen handelt. Dies ergibt sich schon aus der Völkerrechtspraxis wie sie in Art. 2005 NAFTA und Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK zu Tage tritt. Einschränkende Voraussetzung ist aber, dass in beiden Verfahren inhaltlich identische Normen entscheidungserheblich sind, was in aller Regel nur bei der parallelen Anwendbarkeit von regionalen und globalen Übereinkommen desselben Sachbereichs der Fall sein dürfte. Handelt es sich um Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche, so kann zwar, wie der Schwertfisch-Fall gezeigt hat, ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Verfahren bestehen. Es handelt sich aber nicht um eine identische Streitigkeit im prozessualen Sinne. Da es nur im Falle miteinander unvereinbarer Entscheidungen zu Zuständigkeitskonflikten kommen kann, resultiert nicht aus jeder Zuständigkeitskonkurrenz ein -konflikt. Dies gilt insbesondere für die Situationen, in denen, wie im Verhältnis von WTO und multilateralen Umweltübereinkommen mit handelsrechtlicher Relevanz, nicht alle Streitbeilegungsvorschriften die einseitige Anrufung eines internationalen Gerichts, Tribunals oder gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeielgungsverfahrens ermöglichen. So sehen multilaterale Umweltübereinkommen lediglich eine Verhandlungspflicht vor, während die Zuständigkeit des IGH oder die Errichtung eines Schiedsgerichts vom Konsens der Streitparteien abhängig ist. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande und treffen juristische und diplomatische Streitbeilegungsmechanismen verschiedener Übereinkommen aufeinander, so kann es keine sich widersprechenden Entscheidungen geben: Erstens ist eine Entscheidung Kennzeichen eines instituionalisierten Verfahrens mit einem förmlichen Abschluss und zweitens wird sich der Staat, der parallel ein gerichtliches oder gerichtsähnliches Verfahren angestrengt hat, nicht auf eine Einigung im Rahmen diplomatischer Streitbeilegungsmechanismen einlassen. Voraussetzung für die Existenz eines Zuständigkeitskonflikts ist mithin, dass es sich um institutionalisierte, gerichtsähnlich ausgestaltete Verfahren mit einem förmlichen Abschluss handelt, der allerdings nicht zwingend für die Parteien verbindlich sein muss.

3. Teil

Auslegungskonflikte Die Völkerrechtsliteratur und auch -praxis hat sich aufgrund der Zunahme verbindlich entscheidender, voneinander unabhängiger internationaler Gerichte in den letzten Jahren vermehrt mit der Problematik von Auslegungskonflikten auseinandergesetzt.1 Im Mittelpunkt dieser Diskussion stand zunächst die theoretische Möglichkeit divergierender Entscheidungen,2 deren Realisierungswahrscheinlichkeit unterschiedlich eingeschätzt wurde. Allerdings verdeutlicht die von der IGH-Linie abweichende Auslegung des EGMR im Loizidou-Fall bezüglich der Gültigkeit von Einschränkungen im Rahmen von Unterwerfungserklärungen3 sowie die Tadic-Entscheidung des ICTY,4 in der sich die Berufungskammer bewusst und aus1 Charney, RdC 271 (1998), S. 101 ff.; ders., AJIL 90 (1996), S. 69 ff.; Lauterpacht, International Justice, S. 19 ff.; Dupuy, N.Y.U. J. Int’l L. P. 31 (1999), S. 791 (795 f.); Buergenthal, LJIL 14 (2001), S. 267 (271 f.); Oda, RdC 244 (1993), S. 9 (139 ff.); ders., ICLQ 44 (1995), S. 863 (864 ff.); Guillaume, ICLQ 44 (1995), S. 848 (861 f.); Jennings, BYIL LXVIII (1997), S. 1 (60); Spelliscy, CJTL 40 (2001), 143 ff.; Wolfrum, Konkurrierende Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsinstanzen, in: FS Oda, S. 651 ff.; Shahabuddeen, Consistency in Holdings, in: FS Oda, S. 633 ff.; Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (78 ff.); Treves, Max Planck UNYB 4 (2000), S. 215 (220 ff.); bereits in den 70er Jahren war vor der Gefahr divergierender Entscheidung durch die Errichtung sachlich und/ oder regional begrenzter Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren gewarnt worden; siehe Golsong, Judicial Bodies with Limited Jurisdiction, in: Mosler/Bernhardt (eds.), Judicial Dispute Settlement, S. 99. 2 So hat die umfangreiche Untersuchung von Charny, RdC 271 (1998), S. 101 (139 ff.) gezeigt, dass die Praxis internationaler Gerichte u. a. bezüglich der Interpretation von Verträgen und Vorbehalten, den Völkerrechtsquellen, der Staatenverantwortlichkeit und Abgrenzung von Seegrenzen im Wesentlichen einheitlich und uniform ist. Die Abweichungen im Rahmen der Rechtsprechung seien nicht so weitreichend, als dass sie die Einheitlichkeit und Legitimität des Völkerrechts in Frage stellen würden; S. 371. In Bezug auf die weitgehende einheitliche Auslegung im Bereich der Festlegung von Seegrenzen kritisch Wolfrum, Konkurrierende Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsinstanzen, in: FS Oda, S. 651 (652, Fn. 5), wegen des abweichenden Ansatzes des Schiedsgerichts in Territorial Souvereignty and Maritime Delimination (Eritrea v. Yemen), Award of the Arbitral Tribunal in the Second Stage (Maritime Delimination), 17.12.1999, abrufbar unter www.pcacpa.org, im Verhältnis zu der Rechtsprechung des IGH in Maritime Delimination in the Area Between Greenland and Jan Mayen (Denmark v. Norway), 14.6.1993, ICJ Rep. 1993, S. 37 ff.

302

3. Teil: Auslegungskonflikte

drücklich von der Entscheidung des IGH im Nicaragua-Fall distanziert hat, dass das Problem divergierender Entscheidungen nicht rein fiktiv ist.5 Auch wenn es sich bei diesen Konstellationen um voneinander abweichende Entscheidungen handelt, so lässt die bisherige Diskussion eine Auseinandersetzung darüber vermissen, inwieweit jede abweichende Auslegung zu einem Auslegungskonflikt führt oder ob divergierende Auslegungen nicht durch unterschiedliche Faktoren gerechtfertigt werden können bzw. ob sie nicht sogar notwendig sind. Darüber hinaus ist vorgebracht worden, dass nicht jede Form divergierender Entscheidungen per se schlecht sein müsse. Vielmehr könnten sie zum einen eine Kontrollfunktion erfüllen und zum anderen das System der internationalen Gerichtsbarkeit durch einen „Wettbewerb“ zwischen den Gerichten stärken.6 Diese These kann aber nicht ohne Einschränkung gelten.7 Denn die Einheitlichkeit der Rechtsordnung ist im Völkerrecht in Abwesenheit zentraler Institutionen wesentlich entscheidender für seine Legitimität als im nationalen Recht.8 Dass eine Auseinandersetzung über die Frage, welche Kriterien aus einer divergierenden Auslegung einen Auslegungskonflikt machen, notwendig ist, zeigt auch die Reaktion auf die Entscheidung des ISGH in der MOX PlantStreitigkeit.9 Zwar vermeidet der ISGH eine offene Kritik an der Entscheidung des Schiedsgerichts im SBT-Fall, dennoch weicht der Gerichtshof in wesentlichen Elementen von der vom Schiedsgericht vorgenommenen Auslegung ab.10 Im Gegensatz zu den Entscheidungen des ICTY und des EGMR sah sich diese Entscheidung wegen ihres abweichenden Ansatzes bisher keiner Kritik ausgesetzt, was die Vermutung nahe legt, dass allgemein davon ausgegangen wird, diese Entscheidung konstituiere keinen Auslegungskonflikt. Soll die zukünftige Diskussion bezüglich der Gefahr und der Existenz von Auslegungskonflikten nicht vom Merkmal der Beliebigkeit geprägt sein, so bedarf es allgemeiner Kriterien, anhand derer überprüft 3 Loizidou v. Turkey (preliminary objections), ILR 103 (1996), S. 622 ff.; siehe dazu oben 1. Teil D. III. 4 Appeals Chamber, Prosecutor v. Dusko Tadic, ILM 38 (1999), S. 1518 ff.; siehe dazu oben 1. Teil D. I. 1. b) aa). 5 Shahabuddeen, Consistency in Holdings, in: FS Oda, S. 633 (635); Spelliscy, CJTL 40 (2001), S. 143 (145). 6 Neumann, Koordination, S. 648 m. w. N. 7 Shahabuddeen, Consistency in Holdings, in: FS Oda, S. 633 (633): „Under what is sometimes called a horizontal arrangement, it is inevitable that there will be differences in holdings. But that does not mean that differences are diserable; it is desirable that they be kept to a minimum, at any rate with regard to basic notions.“ 8 Charney, RdC 271 (1998), S. 101 (134). 9 ISGH, MOX Plant, ILM 41 (2002), S. 405 ff. 10 Siehe dazu oben 2. Teil C. VI.

A. Institutionelle Anforderungen

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werden kann, ob eine abweichende Auslegung tatsächlich zu einem Auslegungskonflikt führt oder nicht.

A. Institutionelle Anforderungen Der Begriff „Auslegungskonflikt“ impliziert bereits, dass es sich um Entscheidungen institutionalisierter Formen der Streitbeilegung handeln muss. Die im Konflikt stehenden Auslegungen müssen also Resultat eines zumindest quasi-gerichtlichen Verfahrens sein, dessen Ausgang nicht allein auf einem diplomatischen Verhandlungsprozess beruht. Dementsprechend können Entscheidungen im Rahmen der diplomatischen Streitbeilegung, die nicht auf einem institutionalisierten Verfahren beruhen und deren Ergebnis von den Verhandlungen der Parteien abhängig ist, nicht zu einem Auslegungskonflikt führen. Voraussetzung ist vielmehr, dass es sich um eine formale Entscheidung handelt, die Resultat eines förmlichen Verfahrens ist, dessen Ergebnis auf rechtlichen Erwägungen beruht. Dass die Entscheidungen für die Parteien rechtliche Bindungswirkung entfalten müssen, ist dagegen nicht erforderlich.11 Vielmehr können auch rechtlich nicht verbindliche Entscheidungen institutionalisierter Streitbeilegungsorgane von einer solch faktischen Relevanz sein, dass sie von den Parteien als quasi-verbindlich akzeptiert werden.12 Aufgrund der ihnen zukommenden Autorität sind sie Ausdruck einer allgemeinen Rechtsauffassung, die wiederum mit anderen 11 A. A. Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (69). Allerdings ist dies insoweit inkonsequent, als dass die Untersuchung der Verfasserin dennoch auf Konstellationen basiert, in denen es um die Gefahr divergierender Auslegungen von nicht rechtsverbindlichen entscheidenden Streitbeilegungsorganen geht, wie etwa die Entscheidung des AGMR in seinem für die Parteien unverbindlichen Rechtsgutachten bezüglich der Auslegung der Konsularrechtskonvention. 12 In Bezug auf die Rechtswirkung einer advisory opinion hat der IGH stets die formale Bindungswirkung verneint. „The Court’s reply is only of an advisory character; as such it has no binding force.“ Peace Treaties, advisory opinion, ICJ Rep. 1950, S. 71; ebenso Privileges and Immunities Convention, advisory opinion, ICJ Rep. 1989, S. 189. Auch wenn ihnen keine rechtliche Bindungswirkung zukommt, so sind sie weder moralisch noch rechtlich bedeutungslos. So führt Lauterpacht in Admissibility of Hearings of Petitioners by the Committee on South West Africa (advisory opinion), 1.6.1956, ICJ Rep. 1956, S. 46, aus, dass die advisory opinion wegen der Annahme durch die Generalversammlung „law recognized by the United Nations“ geworden sei. Weitergehender Rosenne, Law and Practice, vol. III, S. 1758: „. . . the practical differences between the binding force of a judgement . . . and the autorative nature of an advisory opinion possessed of that same auctoritas, is not significant. . . . An advisory opnion states the law at large, erga omnes so to speak.“ Auch die an sich unverbindlichen Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses werden von den europäischen Staaten als quasi-verbindlich behandelt; vgl. Nowak in seiner Anmerkung zum Fall Pauger v. Autria des UN-Menschenrechtsausschusses, EuGRZ 1992, S. 346.

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3. Teil: Auslegungskonflikte

Rechtsauffassungen in Konflikt geraten kann. Dementsprechend sind auch diese Entscheidungen geeignet, die Einheitlichkeit der Völkerrechtsordnung zu gefährden.

B. Auslegungskonflikte und natürliche Fragmentierung des Völkerrechts Im Rahmen der Diskussion über die Gefahr und den Umgang mit divergierenden Entscheidungen internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren wurde vermehrt vor einer sich fragmentierenden Völkerrechtsordnung gewarnt, da unterschiedliche Auslegungen derselben oder unterschiedlicher aber inhaltsgleicher Rechtsnormen die Einheitlichkeit der Rechtsordnung gefährden könnten. Diese Einheitlichkeit gelte es durch die Vermeidung von Auslegungskonflikten zu wahren. Allerdings muss die These von der drohenden Fragmentierung einer einheitlichen Völkerrechtsordnung in Zusammenhang mit der momentanen Ordnungsstruktur des Völkerrechts gestellt werden. Auch wenn das Völkerrecht als Rechtsordnung zu bezeichnen ist,13 so ist diese aufgrund der dezentralen Struktur durch eine natürliche Fragmentierung gekennzeichnet. Folge der dezentralen Organisationsstruktur des Völkerrechts ist die Zergliederung der Aufgabenzuweisung an voneinander unabhängige internationale Organisationen, die ihren „geistigen“ Ursprung im Bruce-Bericht zur Reform des Völkerbundes hat.14 Aus dieser Aufgabenzuweisungsstruktur in Verbindung mit der zu beobachtenden Zunahme der im Völkerrecht geregelten Sachbereiche ergibt sich ein kaum noch überschaubares Netz von voneinander unabhängig agierenden internationalen Organisationen und den von ihnen ausgearbeiteten Verträgen, die wiederum im Falle mangelnder Ratifikation durch die Mitgliedstaaten nicht für alle Mitglieder verbindlich werden. Resultat dieser dezentralen Organisationsstruktur für den Bereich der Streitbeilegung ist, dass internationale Gerichte, Tribunale und quasi-gerichtlich ausgestaltete Streitbeilegungsverfahren mit Ausnahme des IGH lediglich einen beschränkten Jurisdiktionsbereich in Bezug auf die sie konstituierenden Verträge bzw. Vertragsordnungen haben15 und dass es im internationalen Gerichtssystem keine hierarchische Gliederung der Kompetenzen gibt.16 13 Zum Völkerrecht als Rechtsordnung des internationalen Systems siehe statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Bd. I/1, S. 1 ff. 14 Zur dezentralen Organisationsstruktur siehe oben 1. Teil C.; zum BruceBericht als Ursprung für die heute noch maßgebliche Konzeption internationaler Organisationen vgl. Dicke, Effizienz und Effektivität, S. 72 f. 15 Siehe dazu oben 1. Teil B. I.

B. Auslegungskonflikte und natürliche Fragmentierung des Völkerrechts

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Aufgrund der natürlichen Fragmentierung des Völkerrechts kann von einer darüber hinausgehenden Fragmentierung aufgrund divergierender Auslegungen derselben Rechtsnormen oder unterschiedlicher, inhaltlich jedoch identischer Rechtsnormen nur dann gesprochen werden, wenn es sich um Sachbereiche oder Normen handelt, die ein gewisses Maß an Geschlossenheit aufweisen.17 Ein solches Maß an Geschlossenheit eines einzelnen Sachbereichs ist im Bereich des Welthandels, genauer gesagt für die WTORechtsordnung auszumachen. Die einheitliche Anwendung und Auslegung dieser Rechtsordnung wird durch die Hierarchisierung der WTO-Streitbeilegung in Form des Appellate Body als Revisionsinstanz weitestgehend sichergestellt.18 Das bedeutet nicht, dass es in der WTO-Rechtsprechung nicht auch zu divergierenden Entscheidungen kommen kann. Allerdings resultieren daraus grundsätzlich keine Auslegungskonflikte. Dass es zu Abweichungen der von den WTO-Paneln vorgenommenen Auslegung des WTO-Rechts durch den Appellate Body kommt, ist seiner Aufgabe als Revisionsinstanz immanent. Auch eine Abweichung von Appellate Body-Entscheidungen durch eine spätere Appellate Body-Entscheidung führt nicht zu einem Auslegungskonflikt, sondern kann auch als Ausdruck einer Rechtsentwicklung verstanden werden. Diese grundsätzliche Vermutung hat ihre Rechtfertigung in der Praxis des Appellate Body, der sich zumindest de facto an frühere Entscheidungen gebunden sieht.19 Aufgrund dieser de facto Bindungswirkung wird der Appellate Body nur in Ausnahmesituationen, wozu eine Rechtsentwicklung im Rahmen des WTO-Rechts zählt, von früheren Auslegungen abweichen. Diese formale Divergenz begründet aber keinen Auslegungskonflikt. Auch das SRÜ als „Verfassung der Meere“ erfüllt das zu fordernde Maß an Einheitlichkeit. Im Gegensatz zum WTO-Streitbeilegungssystem existieren für das SRÜ aber drei voneinander unabhängige und gleichberechtigte Gerichte, die anders als die Panel und der Appellate Body in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Die Gefahr, dass voneinander abweichende Entscheidungen zu einem Auslegungskonflikt führen, ist für diesen Sachbereich mithin viel ausgeprägter als im Rahmen der WTO. 16

Siehe dazu unten 4. Teil C. I. Shahabuddeen, Consistency in Holdings, in: FS Oda, S. 633 (635); Aufgrund der dezentralen Ordnungsstruktur spricht Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (73) auch davon, dass aufgrund unterschiedlicher Auslegung völkerrechtlicher Normen nicht die Einheitlichkeit der Völkerrechtsordnung bedroht sein könne, sondern die Geschlossenheit des Systems. 18 Siehe dazu unten 4. Teil C. I. 19 Siehe dazu Bhala, J. Transnational L. & P. 9 (1999), S. 1 (16 ff.); zur Diskussion über eine rechtliche Bindungswirkung an frühere Urteile im Völkerrecht siehe unten 4. Teil C. II. 17

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3. Teil: Auslegungskonflikte

Ein solches Maß an Geschlossenheit eines Normenkomplexes wie im SRÜ und der WTO-Rechtsordnung, welches sich auch auf die Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedern bezieht, lässt sich im Allgemeinen Völkerrecht nicht grundsätzlich feststellen. Damit kann auch nicht pauschal von einer prinzipiellen Bedrohung der Einheitlichkeit der völkerrechtlichen Rechtsordnung durch unterschiedliche Auslegungen verbindlich entscheidender Streitbeilegungsorgane gesprochen werden. Eine solche Fragmentierung ist im Allgemeinen Völkerrecht nur dann möglich, wenn es sich um grundlegende, für die Staatenmehrheit bindende Völkerrechtsnormen handelt, die Voraussetzung für das Funktionieren der Völkerrechtsordnung sind. Zu diesem Normenkomplex des allgemeinen Völkerrechts gehören u. a. die im Wandel begriffenen Regelungen über die Reichweite völkerrechtlicher Immunität von Individuen und Staaten, der Inhalt des Konsular- und Diplomatenrechts, die Grundlagen des Völkervertragsrechts und der Staatenverantwortlichkeit sowie die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen universeller Normen des Völkergewohnheitsrechts, aber auch eine einheitliche Auslegung von anderen grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts, wie die Rechtfertigung der Anwendung militärischer Gewalt, die Ausübung universeller Jurisdiktion und die damit im Zusammenhang stehende Frage der Einschränkbarkeit staatlicher Souveränität.20 Die Konsequenz aus der natürlichen Fragmentierung des Völkerrechts ist, dass die divergierende Auslegung inhaltsgleicher aber in unterschiedlichem Zusammenhang stehender Normen grundsätzlich keinen Auslegungskonflikt begründet, sofern die voneinander abweichenden Auslegungen ihren Grund in den Besonderheiten des jeweils auszulegenden Übereinkommens haben.21 Dies verdeutlicht auch die Loizidou-Entscheidung des EGMR. „Such a fundamental difference in the role and purpose of the respective tribunals (the ICJ and the European Court of Human Rights), coupled with the existence of a practice of unconditional acceptance under Articles 25 and 46, 20

Shahabuddeen, Consistency in Holdings, in: FS Oda, S. 633 (635). Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (73.); siehe auch ISGH, MOX Plant, Seperate Opinion Wolfrum ILM 41 (2002), S. 426 (427): „. . . the application of the rules of the Vienna Convention on the Law of Treaties on the interpretation of international treaties may not yield the same results in respect of such provisions (similar or identical provisions in different treaties). This is due to the fact that, interpreting such provisions, the different contexts, obejectives, subsequent practice of parties and the travaux préparatoires are to be taken into account.“ Einschränkend muss allerdings hinzugefügt werden, dass im Falle der inhaltlichen Identität von Vorschriften verschiedener Übereinkommen desselben Sachbereichs eine primäre Vermutung für deren einheitliche Auslegung spricht, da der Zusammenhang in dem sie stehen und das mit ihnen verfolgte Ziel identisch sind. Demgegenüber besteht diese Vermutung bei inhaltlich ähnlichen Vorschriften verschiedener Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche wegen des jeweils anderen Kontextes und zu erreichenden Zieles nicht. 21

C. Auslegungskonflikte und Rechtsentwicklung im Völkerrecht

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provides a compelling basis for distinguishing Convention practice from that of the International Court.“22

Auch bei der Frage, ob eine ungültige Einschränkung der Zuständigkeit in der Unterwerfungserklärung die vollständige Ungültigkeit der gesamten Unterwerfungserklärung zur Folge hat, stellt der EGMR auf die Konventionspraxis ab, aus der sich im Gegensatz zu der Einschätzung Lauterpachts im Norwegian Loans Case23 ergebe, dass die Unterwerfungserklärung ohne die Einschränkung bestehen bleibe. „The subsequent reactions of various Contracting Parties to the Turkish Declarations lends convincing support to the above observations concerning Turkey’s awareness of the legal position. That she, against this background, subsequently filed declarations under both Articles 25 and 46 . . . indicates a willingness on her part to run the risk that the limitation clauses at issue would be declared invalid by the Convention institutions without affecting the validity of the declarations themselves.“24

Zwar kann zwischen der Entscheidung des EGMR und der grundsätzlichen Linie des IGH eine formale Divergenz festgestellt werden, entgegen anderslautender Ausführungen in der Literatur handelt es sich dabei aber nicht um einen die Einheitlichkeit des Völkerrechts bedrohenden Auslegungskonflikt. Vielmehr ist die abweichende Auslegung des EGMR durch die unterschiedlichen Aufgaben des EGMR und des IGH und des damit verfolgten Sinn und Zwecks sowie durch die Unterschiede in der Konventionspraxis bezüglich der Zulässigkeit von Einschränkungen in den Unterwerfungserklärungen gerechtfertigt.

C. Auslegungskonflikte und Rechtsentwicklung im Völkerrecht Divergierende Auslegungen derselben Rechtsnorm durch institutionalisierte Streitbeilegungsorgane können aber auch aus anderen Gründen gerechtfertigt oder sogar geboten sein. So kann die Divergenz in den Entscheidungen lediglich Ausdruck einer Rechtsentwicklung sein. Ein mögliches Kriterium zur Abgrenzung von Auslegungskonflikten zu Rechts22

Loizidou v. Turkey, preliminary objections, para 89, ILR 103, S. 622 (648). Lauterpacht war davon ausgegangen, dass die Ungültigkeit eines Vorbehalts in der Unterwerfungserklärung bzw. ein Teil dessen die Ungültigkeit der gesamten Erklärung zur Folge habe. Allerdings lässt sich diese Aussage nicht auf alle Konstellationen übertragen. Denn das Ergebnis, dass der fragliche Teil des Vorbehalts so wesentlich für die Entscheidung sei, dass aus seiner Ungültigkeit die Gesamtungültigkeit resultiere, basiert auf der damaligen Staatenpraxis; Ceratin Norwegian Loans, Seperate Opinion Sir Hersch Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, S. 56 ff. 24 Loizidou v. Turkey, preliminary objections, para. 95, ILR 103, S. 622 (651). 23

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3. Teil: Auslegungskonflikte

entwicklungen bezieht sich auf das zeitliche Verhältnis der widersprüchlichen Auslegungen. Liegen zwischen den Entscheidungen mehrere Jahre, in denen es zu wichtigen Rechtsentwicklungen gekommen ist, so legt dies den Schluss nahe, dass es sich bei der späteren Entscheidung, die von einer früheren abweicht, lediglich um den Ausdruck bzw. die verbindliche Feststellung einer Rechtsentwicklung und nicht um einen Auslegungskonflikt handelt. Stehen die unterschiedlichen Auslegungen allerdings in einem engen zeitlichen Zusammenhang, so kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um einen Auslegungskonflikt handelt. Entscheidend ist aber letztlich eine Betrachtung des Einzelfalls. Ebendiese Frage – kann eine divergierend Auslegung durch eine zwischenzeitlich einsetzende Rechtsentwicklung gerechtfertigt werden – ist ausschlaggebend dafür, ob es sich bei der Entscheidung der Berufungskammer des ICTY im Tadic-Fall um einen Auslegungskonflikt handelt. So hat die Kammer auf folgende Entscheidungen internationaler und nationaler Gerichte Bezug genommen, um so die abweichende Auslegung zu rechtfertigen:25 die Entscheidung des Iran-United States Claims Tribunal im Fall Kenneth P. Yeager,26 die Entscheidung des EGMR im Loizidou-Fall27 und das Urteil des OLG Düsseldorf im Jorgic-Verfahren.28 Lässt sich anhand dieser Entscheidungspraxis tatsächlich die vom ICTY behauptete Weiterentwicklung der Zurechnung dahingehend nachweisen, dass eine solche bei Handlungen organisierter, hierarchisch strukturierter Gruppen von Privatpersonen bereits bei genereller Kontrolle angenommen wird, so handelt es sich vorliegend nicht um einen Konflikt.29 Im Fall Kenneth P. Yeager v. Iran hatte das Iran-United States Claims Tribunal zu entscheiden, inwieweit dem Iran das Verhalten und die Handlungen sog. „revolutionary guards“ und „revolutionary Komithes“ zurechenbar sind. Zum fraglichen Zeitpunkt waren diese Gruppen nicht in die existierende Staatsstruktur eingebunden und konnten deshalb nicht als Organe des Iran angesehen werden. Es handelte sich um Handlungen von Pri25 Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 124 ff., ILM 38 (1999), S. 1518 (1542 ff.). 26 Yeager v. Iran, Iran-United States Tribunal Reports 17 (1987), vol. IV, S. 92. 27 Loizidou v. Turkey (merits and just satisfaction), Appl. No. 15381/89, Reports of Judgements and Decisions 26 (1996 VI), S. 2260, para. 56 f. 28 Dabei handelt es sich um eine bisher unveröffentlichte Entscheidung, die aber dem ICTY vorlag; Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 129, ILM 38 (1999), S. 1518 (1543). 29 Diesen Aspekt lässt Spelliscy, CJTL 40 (2001), 143 (167) bei der Analyse der Urteile des IGH und ICTY und ihrem Schluss, dass es sich um einen Zuständigkeitskonflikt handle, unberücksichtigt.

C. Auslegungskonflikte und Rechtsentwicklung im Völkerrecht

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vatpersonen, die allerdings Aufgaben staatlicher Behörden übernommen hatten, wie etwa die Konfiszierung von Eigentum und Verhaftungen. Dementsprechend kam das Tribunal zu dem Ergebnis: „Under international law Iran cannot, on the one hand, tolerate the exercise of governmental authority by revolutionary ,Komitehs‘ or ,Guards‘ and at the same time deny responsibility for wrongful acts committed by them.“30

Grundlage für die Zurechnung war mithin, dass die Gruppen Aufgaben staatlicher Gewalt übernommen hatten.31 Lässt ein Staat dies zu, so muss er auch die Verantwortung für das Verhalten der Privatpersonen übernehmen, unabhängig davon, ob im konkreten Fall eine effektive Kontrolle bezüglich der Handlungen der Privatpersonen besteht. Diese Situation unterscheidet sich allerdings erheblich von denen im Nicaragua- und Tadic-Fall, da weder die Contra Rebellen noch die VRS als privat organisierte Gruppen Aufgaben staatlicher Gewalt der USA bzw. der FRY übernommen haben. Dementsprechend kann der Yeager-Fall auch nicht als Grundlage für die Begründung der Berufungskammer im Tadic-Verfahren herangezogen werden. Dies gilt auch für die Entscheidung des EGMR im Loizidou-Fall. Der Gerichtshof musste sich mit der Frage auseinander setzen, inwieweit eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 des ersten Zusatzprotokolls der EMRK durch die Regierung im türkischen Teil Zyperns der Türkei zurechenbar ist.32 Eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 ZP ergibt sich zum einen aufgrund Art. 159 Abs. 1 der Verfassung der Türkischen Republik Nordzyperns, der vorsieht, dass alles unbewegliche Eigentum, welches nach der Errichtung der Republik am 13. Feb. 1975 verlassen bzw. aufgegeben wurde, in das Eigentum des Staates fällt. Zum anderen war es Zyprioten wie Frau Loizidou, die sich nach der Teilung Zyperns im südlichen Teil des Landes aufhielten, nach Errichtung der Türkischen Republik Nordzyperns nicht möglich, ihr bisher bestehendes Eigentum wegen der grundsätzlichen Einreiseverweigerung durch die nordzypriotische Regierung zu nutzen.33 Da es sich um eine Klage gegen die Türkei handelte, konnte diese aber nur dann Erfolg haben, wenn der Türkei das Verhalten der Türkischen Republik Nordzyperns zurechenbar war. Eine solche Zurechenbarkeit hat der EGMR aus zwei Gründen angenommen: Zum einen ist Ursache für den Eigentumsverlust bzw. den Kontrollverlust darüber die Invasion Nordzyperns durch türkische Truppen.34 Und 30

Yeager v. Iran, Iran-United States Tribunal Reports 17 (1987 IV), para. 45. Vgl. auch Caron, Basis of Responsibility, in: Lillich/Magraw (eds.), Iran-United States Claims Tribunal, S. 109 (137 f.). 32 Loizidou v. Turkey (merits and just satisfaction), Reports of Judgements and Decisions 26 (1996 VI), S. 2260, para. 49 ff.; zum Sachverhalt siehe oben 1. Teil, D. III. 33 Loizidou v. Turkey (merits and just satisfaction), Reports of Judgements and Decisions 26 (1996 VI), S. 2260, para. 58 ff. 31

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3. Teil: Auslegungskonflikte

zum anderen hat die Türkei durch ihre in Nordzypern stationierten Truppen die allgemeine Kontrolle im Grenzgebiet zu Südzypern, d.h. dass sie für die andauernde Zugangsverweigerung zum in Nordzypern gelegenen Eigentum verantwortlich ist.35 Gerade wegen der andauernden Präsenz der türkischen Truppen in Nordzypern und ihrer Rolle, die sie bei der Aufrechterhaltung der Konventionsverletzung spielen, hat der EGMR es nicht für notwendig erachtet, dass eine detaillierte und konkrete Kontrolle der Türkei über die Handlungen und die Politik Nordzyperns nachgewiesen werden muss. Vielmehr sei es aufgrund der Anwesenheit der türkischen Truppen offensichtlich, dass eine allgemeine effektive Kontrolle bestehe.36 Entscheidendes Element für die Zurechnung der Verletzung des Art. 1 Abs. 1 ZP ist mithin die direkte Beteiligung der türkischen Truppen bei der Entstehung und der Aufrechterhaltung der Konventionsverletzung. Dies ist auch das entscheidende Abgrenzungskriterium zu der Nicaragua-Entscheidung des IGH und dem Tadic-Fall des ICTFY. Erstens war Gegenstand der Zurechnungsfrage im Loizidou-Verfahren des EGMR nicht das Verhalten von Privatpersonen und damit die Frage, unter welchen Umständen sie als de facto Organ eines Staates anzusehen sind, und zweitens konnte weder der IGH die Beteiligung U.S.-amerikanischer Soldaten bei den Handlungen der Contra-Rebellen nachweisen, noch meinte der ICTY dies in Bezug auf eine Beteiligung jugoslawischer Soldaten bei den Handlungen der VRS tun zu können. Wäre es Nicaragua gelungen, eine solche direkte Beteiligung von U.S.Soldaten nachzuweisen, wie es im Loizidou-Fall bei der Beteiligung türkischer Truppen der Fall war, so kann davon ausgegangen werden, dass auch der IGH nach seinen im Urteil gemachten Ausführungen zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass aufgrund der allgemeinen effektiven Kontrolle den USA das Verhalten der Contra-Rebellen zu zurechnen gewesen wäre. Denn der IGH hat betont, dass eine Zurechnung auch deshalb nicht möglich sei, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass die USA für die Existenz der Contra-Rebellen verantwortlich sind. „Despite the large quantity of documentary evidence and testimony which is examined, the Court has not been able to satisfy itself that the respondent State ,created‘ the contra force in Nicaragua.“37

Diese Ausführung lässt den Rückschluss zu, dass der IGH eine Zurechnung bejaht hätte, falls den USA ein ähnliches Verhalten nachweisbar ge34

Loizidou v. Turkey (merits and just satisfaction), Reports of Judgements and Decisions 26 (1996 VI), S. 2260, para. 54. 35 Loizidou v. Turkey (merits and just satisfaction), Reports of Judgements and Decisions 26 (1996 VI), S. 2260, para. 56. 36 Loizidou v. Turkey (merits and just satisfaction), Reports of Judgements and Decisions 26 (1996 VI), S. 2260, para. 56. 37 Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep 1986, S. 61.

C. Auslegungskonflikte und Rechtsentwicklung im Völkerrecht

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wesen wäre, wie der Türkei im Liouzidou-Verfahren. Die Heranziehung der Loizidou-Entscheidung des EGMR durch die Berufungskammer des ICTY beruht damit lediglich auf der Verwendung der Worte overall effective control. Allerdings hätte von der Kammer erwartet werden können, dass sie die prinzipielle Vergleichbarkeit der Situationen untersucht, bevor sie eine Entscheidung nur wegen der Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten als Nachweis anführt. Darüber hinaus hätte von der Kammer dann immer noch nachgewiesen werden müssen, dass der IGH in einer ähnlichen Situation aufgrund seiner Kriterien anders entschieden hätte. Denn nur dann hätte es sich um eine von der IGH-Rechtsprechung abweichende Gerichtspraxis handeln können. Allerdings lassen die aufgeführten Äußerungen des IGH und die unterschiedlichen Situationen in den Verfahren den Schluss zu, dass der IGH, wie auch der EGMR, eine Zurechnung bejaht hätte. Dementsprechend handelt es sich bei der Rechtsprechung des EGMR nicht um eine vom IGH abweichende Praxis. Einzig und allein die Situation im Jorgic-Verfahren vor dem OLG Düsseldorf ist der im Tadic-Fall nicht nur vergleichbar, sondern darüber hinaus sogar identisch. Das OLG hatte entschieden, dass bosnische Serben bei ihrem Kampf gegen Sarajevo im Auftrag der FRY handelten und dass es sich deshalb um einen internationalen Konflikt handelte. Grundlage für diese Einschätzung war die Tatsache, dass es nicht nur zu einer finanziellen und materiellen Unterstützung seitens des FRY gekommen war, sondern dass darüber hinaus eine enge personelle, organisatorische und finanzielle Verflechtung zwischen der VRS und der FRY bzw. der JNA bestand. Dass diese Aussage eine Abweichung von den Zurechnungskriterien des IGH im Bereich der Staatenverantwortlichkeit bedeutet, muss allerdings bezweifelt werden. Denn es ist fraglich, ob sich das OLG der vom ICTY angenommenen Relevanz der Staatenverantwortlichkeit und des dort anzuwendenden Tests für die Bestimmung, ob es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt handelt, überhaupt bewusst war, da diese Schlussfolgerung nicht denknotwendig ist.38 Außerdem ist bereits ausgeführt worden, dass das Verhältnis der USA zu den Contra-Rebellen aufgrund der faktischen Situation ein anderes war als das zwischen FRY und JNA auf der einen und VRS auf der anderen Seite.39 Deshalb wäre es auch im Rahmen einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Nicaragua-Entscheidung möglich gewesen, das 38 Meron, AJIL 92 (1998), S. 236 (239): „. . . a quick perusal of international law literature would establish that imputibility is not a test commonly used in judging whether a foreign intervention leads to the internationalization of the conflict and the applicability of those rules of international humanitarian law that govern armed conflict of an international character.“ Siehe auch Aldrich, AJIL 90 (1996), S. 64 (66 f.), der bei seiner Begründung, dass es sich um einen internationalen Konflikt handle, die Kriterien der Staatenverantwortlichkeit und des test of control mit keinem Wort erwähnt.

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3. Teil: Auslegungskonflikte

Verhalten der VRS nach den darin aufgestellten Maßstäben der JNA zuzurechnen, da wesentlicher Grund für die Ablehnung der Zurechnung im Nicaragua-Verfahren war, dass die USA nicht für die Existenz der ContraRebellen verantwortlich waren.40 Die Heranziehung der OLG-Entscheidung als Nachweis für eine vom IGH abweichende Gerichtspraxis ist deshalb nicht gerechtfertigt. Die Untersuchung der von der Berufungskammer des ICTY angeführten Gerichtspraxis unterstützt den von ihr gezogenen Schluss nicht und kann mithin nicht als Beweis für die dort formulierten Thesen herangezogen werden. So hat es die Kammer versäumt, nachzuweisen, dass in den jeweils aufgeführten Entscheidungen andere Zurechnungsmaßstäbe verwendet wurden als vom IGH in vergleichbaren Situationen. Unabhängig davon, inwieweit sich die Zurechnungskriterien von IGH und ICTY tatsächlich in der konkreten Anwendung voneinander unterscheiden und ob der IGH in einer dem Tadic-Fall vergleichbaren Situation überhaupt den effective control test angewandt hätte, wie dies vom ICTY vermutet wird, so muss die Entscheidung der Kammer zumindest dahingehend verstanden werden. Ihr liegt die Aussage zu Grunde, dass der IGH, um privates Verhalten von Individuen, die nicht officials des Staates sind, zuzurechnen, eine effektive Kontrolle des Staates in Bezug auf das jeweilige Verhalten der Privatpersonen verlangt. Der ICTY hingegen setzt für die Zurechnung privaten Verhaltens organisierter, hierarchisch strukturierter Gruppen lediglich eine generelle Kontrolle voraus, die sich allerdings nicht bereits aus der finanziellen und materiellen Unterstützung ergibt, sondern aus der grundsätzlichen Koordination und Planungshilfe militärischer Aktivitäten. Damit handelt es sich vorliegend um einen Auslegungskonflikt, da durch die Ausführungen des ICTY der Anschein vermittelt wird, dass die Zurechnungskriterien des IGH mit denen des ICTY unvereinbar seien. Auch wenn dies in Bezug auf den konkreten Fall nicht zutreffen mag, der Konflikt mithin auch als vordergründig bezeichnet werden könnte, so muss angesichts der Präzedenzwirkung, die internationalen Gerichtsentscheidungen zukommt,41 von einem Auslegungskonflikt gesprochen werden.42 39

Dies hat letztlich auch die Berufungskammer selbst zugestanden, indem sie ausführte, dass selbst bei Zugrundelegung ihrer Kriterien und der tatsächlichen Situation im Nicaragua-Fall die notwendige Kontrollintensität hätte verneint werden können. „Of course, if, as in Nicaragua, the controlling State is not the territorial State where the armed clashes occur . . ., more extensive and compelling evidence is required to show that the States is genuinely in control . . .“ Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, para. 138, ILM 38 (1999), S. 1518 (1545). 40 Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep 1986, S. 61. 41 Ausführlich dazu unten 4. Teil C. II. 42 So auch Shahabuddeen, Consistency in Holdings, in: FS Oda, S. 633 (635); Spelliscy, CJTL 40 (2001), S. 143 (168); a. A. Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5

D. Auslegungskonflikte und die „Richtigkeit‘‘ von Entscheidungen

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D. Auslegungskonflikte und die „Richtigkeit“ von Entscheidungen Die Tatsache, dass die von der Auslegung des SBT-Schiedsgerichts abweichende Auslegung des ISGH in der MOX Plant-Streitigkeit bisher in der Diskussion über die Existenz von Auslegungskonflikten keine Erwähnung gefunden hat und auch in den Besprechungen zumindest in Bezug auf die daraus resultierende Divergenz nicht kritisiert worden ist, kann nur darauf zurückgeführt werden, dass es sich um eine „korrigierende“ Entscheidung handelt. Diese Schlussfolgerung lässt zumindest die vielfache, an unterschiedlichen Punkten ansetzende Kritik zu, die an der Entscheidung des SBT-Schiedsgerichts geäußert wurde.43 Die Problematik der korrigierenden Entscheidungen und die Frage, ob die daraus resultierende Divergenz zu einem Auslegungskonflikt führt, steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage nach der „Richtigkeit“ einer Entscheidung. Denn als „korrigierende Rechtsprechung“ kann eine Entscheidung nur dann bezeichnet werden, wenn die frühere, durch die spätere Entscheidung korrigierte Rechtsprechung falsch ist. Damit stellt sich wiederum die Frage, ob eine Entscheidung überhaupt als richtig oder falsch bezeichnet werden kann, da unterschiedliche Auslegungen derselben Norm weder ungewöhnlich noch unzulässig sind, sondern vielmehr dem Prozess der Auslegung immanent sind.44 Das Problem der „Richtigkeit“ von Entscheidungen wurde im Völkerrecht bisher primär im Rahmen der Nichtigkeit internationaler Entscheidungen und Schiedssprüche diskutiert.45 Auch wenn die Möglichkeit anerkannt ist, dass Rechtsfehler zur Nichtigkeit der Entscheidung führen können, sind daran aber derart hohe Anforderungen zu stellen, dass Staaten bisher davon abgesehen haben, die Gültigkeit einer Entscheidung eines internationalen Gerichts oder Schiedsgerichts auf Grundlage dieser Argumentation in Frage zu stellen.46 Dementsprechend können diese Kriterien nicht herangezogen werden, um das Problem der korrigierenden Auslegung als Rechtfertigung für divergierende Auslegungen zu lösen.47 (2001), S. 67 (80): „. . . the Tadic Case is not one of conflicting jurisdiction, but one of ultra vires jurisdiction.“ 43 Siehe oben 2. Teil C. IV. 3. 44 Dies verdeutlicht allein die Anzahl der abweichenden Sondervoten im Rahmen der internationalen Rechtsprechung. 45 Siehe dazu allgemein Reisman, Nullity, S. 274 ff. 46 „An error of law is difficult to establish in view of the broad scope for interpretation inherent in a tribunal’s jurisdiction . . . Theroretically, there may be cases where an essential error of law may be found, but in practice this ground of nullity has never been invoked.“; Oellers-Frahm in: EPIL III, S. 38 (39).

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3. Teil: Auslegungskonflikte

Ein möglicher Ansatz bietet aber die Position des IGH bezüglich seiner früheren Entscheidungen. Zwar hat der Gerichtshof die rechtliche Bindungswirkung prinzipiell abgelehnt, dennoch regelmäßig frühere Entscheidungen als Präzedenzfälle für die konkrete Entscheidung herangezogen. Auch wenn der Gerichtshof sich nicht rechtlich an frühere Entscheidungen gebunden sieht, so macht er es dennoch de facto, so dass er nur unter engen Voraussetzungen von früheren Entscheidungen abweicht, wie etwa im Falle einer zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung48 oder eines Rechtsfehlers.49 Auch der ICTY nimmt eine Bindungswirkung an frühere Entscheidungen an und hält ein Abweichen nur aus offensichtlichen Gründen für gerechtfertigt.50 Solch offensichtliche Gründe in Form eines offensichtlichen Rechtsfehlers müssen vorliegen, damit eine spätere abweichende Entscheidung bezüglich der Auslegung derselben Norm als korrigierend bezeichnet werden kann, so dass die auftretende Divergenz keinen Auslegungskonflikt begründet. Allerdings ist der Anwendungsbereich dieser Kategorie für eine Rechtfertigung divergierender Auslegungen äußerst begrenzt. Dies resultiert aus dem bereits erwähnten Problem, dass vielfältige Auslegungen derselben Rechtsnorm dem Prozess der Interpretation immanent sind. Entscheidend für die Problematik korrigierender Auslegungen ist letztlich, ob die frühere Entscheidung bei der von ihr vorgenommenen Auslegung wesentliche Aspekte und Grundvoraussetzungen der Vertragsauslegung, wie sie in Art. 31 und 32 WVRK kodifiziert sind, außer Acht gelassen hat. Aber auch bei einer solchen Feststellung ist Zurückhaltung geboten, da alle internationalen Gerichten für sich in Anspruch nehmen, dass die von ihnen vorgenommenen Auslegungen mit den Interpretationsgrundsätzen des Völkerrechts übereinstimmen. Insbesondere eine Nichtbeachtung des Wortlauts oder die völlige Verkennung des Sinn und Zwecks einer Vorschrift oder eines Übereinkommens kann jedoch die Abweichung von früheren Entscheidungen rechtfertigen. Vor allem das Kriterium der mangelnden Berücksichtigung des Wortlauts ist in der Konstellation des SBT-Schiedsgerichts und der Entscheidung des ISGH in der MOX Plant-Streitigkeit erfüllt. Im Rahmen der bereits erfolgten Auseinandersetzung mit den Entscheidungen konnte aufgezeigt werden, 47 Darüber hinaus wäre dann ein Auslegungskonflikt mit anderen Entscheidungen per Definition schon ausgeschlossen, da bei Vorliegen der Voraussetzungen die Entscheidung ohnehin nichtig ist, sie also auch in keinem Konflikt zu anderen Entscheidungen stehen kann. 48 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 114. 49 Fitzmaurice, Formal Sources of International Law, in: Symbolae Verzijl, S. 151 (172). 50 Prosecutor v. Alesksovski, IT-95-14/1-A, 24.3.2000, para. 107.

D. Auslegungskonflikte und die „Richtigkeit‘‘ von Entscheidungen

315

dass sowohl Art. 281 Abs. 1 als auch 282 SRÜ sich nur auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ selbst beziehen.51 Die vom Schiedsgericht vorgenommene Auslegung, dass Art. 16 CCSBT als Vereinbarung im Sinne des Art. 281 Abs. 1 SRÜ zu verstehen sei, berücksichtigt ebendies nicht. Denn diese Vorschrift bezieht sich ausweislich ihres Wortlauts nur auf Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der CCSBT und enthält damit keine Aussage über Streitigkeiten, die aus der Anwendung von SRÜ-Vorschriften resultieren. Die vom SRÜ-Schiedsgericht vorgenommene Auslegung lässt dies vollkommen unberücksichtigt, obwohl eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik aufgrund des Wortlauts absolut notwendig war. Dementsprechend ist es gerechtfertigt, die Entscheidung des ISGH in der MOX Plant-Streitigkeit gegenüber der des SBT-Schiedsgerichts als korrigierend zu bezeichnen, da sich das Schiedsgericht mit zumindest einer wesentlichen Auslegungsfrage nicht auseinandergesetzt hat – dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 281 Abs. 1 SRÜ. Eine Divergenz in den Entscheidungen internationaler Gerichte führt mithin dann nicht zu einem Auslegungskonflikt, wenn die spätere Entscheidung die frühere deshalb korrigieren darf, weil diese grundlegende Regeln der Vertragsauslegung missachtet hat. Allerdings ist bei der Anwendung des aufgestellten Kriteriums Vorsicht geboten, da ansonsten die Gefahr besteht, dass internationale Gerichte sich, indem sie Auslegungen insbesondere anderer Gerichte korrigieren, als eine Art Revisionsinstanz „aufspielen“, ohne dass ihnen diese Kompetenz in einem nicht hierarchisierten System internationaler Gerichtsbarkeit zusteht.

51

Siehe dazu oben 2. Teil C. V. 3.

4. Teil

Lösungsansätze Lösungsansätze zur Vermeidung von Zuständigkeits- und Auslegungskonflikten müssen sich grundsätzlich an den bestehenden Unterschieden der beiden Konstellationen orientieren. Mechanismen, welche die einheitliche Auslegung derselben Rechtsnorm in unterschiedlichen Verfahren gewährleisten können, sind nicht notwendigerweise geeignet, Zuständigkeitskonflikte entweder in Form doppelter Rechtshängigkeit oder konnexer Verfahren zu verhindern. Allerdings ist die Grundursache der Konflikte identisch: beide basieren auf der Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit durch die Errichtung voneinander unabhängiger Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren, deren Tätigkeiten sich aufgrund paralleler Zuständigkeiten in den verschiedensten Konstellationen überschneiden.1 Auch wenn die Parallelität bei der Aufgabenwahrnehmung grundsätzlich nichts an der Unabhängigkeit der Gerichte ändert, so ergeben sich daraus doch vielfältige Zusammenhänge in ihrer Tätigkeit, die es gerechtfertigt erscheinen lassen von einer Interdependenz im Rahmen der internationalen Gerichtsbarkeit zu sprechen. Damit wird auch das den parallelen Zuständigkeiten zu Grunde liegende Problem deutlich. Denn die Interdependenz von wahrzunehmenden Aufgaben macht eine Kooperation der beteiligten Akteure notwendig.2 Die Notwendigkeit der Kooperation aufgrund von Interdependenz verdeutlichte sich zunächst im Rahmen des Staatenvölkerrechts. So sahen sich Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verstärkt der Notwendigkeit ausgesetzt, zur Erreichung von gemeinsamen Zielen, wie der Erhaltung des internationalen Friedens, miteinander zu kooperieren. Dementsprechend wurde das Völkerrecht ab Mitte der 60er Jahre nicht mehr als Koexistenz-, sondern als Kooperationsrecht bezeichnet,3 was u. a. in der stetig zunehmenden Zahl internationaler Organisationen als institutionalisierte Foren zur Verwirklichung zwischenstaatlicher Zu1

Für die Kategorisierung von Überschneidungen siehe oben 1. Teil D. So ausdrücklich Pinto, Duty of Co-operation in: FS Riphagen, S. 131 (133): „The concept of ,co-operation‘ is derived from ,interdependences‘. . .“; siehe auch Zemanek in: EPIL II, S. 1021 (1021): „Interdependence therefore calls for cooperation . . .“ 3 Grundlegend dazu Friedmann, Changing Structure, S. 60 ff.; siehe auch Dicke, Effizienz und Effektivität, S. 324 ff. 2

4. Teil: Lösungsansätze

317

sammenarbeit seinen Ausdruck fand. Das heutzutage existierende Netz voneinander unabhängigen internationalen Organisationen4 sowie deren Organisationsstruktur lassen allerdings erkennen, dass internationale Organisationen nicht mehr nur Ausdruck zwischenstaatlicher Kooperation sind. Vielmehr ist es aufgrund der Überschneidung und der daraus resultierenden Interdependenz ihrer Tätigkeiten, bedingt durch nicht eindeutig voneinander abgrenzbare Kompetenzbereiche,5 notwendig geworden, dass auch internationale Organisationen selbst miteinander kooperieren.6 Ebendiese Entwicklung findet sich auch in der internationalen Gerichtsbarkeit. Genau wie bei den Tätigkeiten internationaler Organisationen können die Jurisdiktionsbereiche internationaler Gerichte nicht eindeutig voneinander getrennt werden. Sie stehen vielmehr in einem vielfältigen Zusammenhang, so dass es in Anbetracht der sich daraus ergebenden Interdependenz nur folgerichtig ist, auch zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren eine Kooperationsnotwendigkeit zu bejahen.

4 Auch die internationalen Organisationen, die als UN-Sonderorganisationen Teil der „UN-Familie“ sind, stehen nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zu den Vereinten Nationen, sondern sind gegenüber diesen rechtlich unabhängig; zum Statuts der Sonderorganisationen und ihrem Verhältnis zu den Vereinten Nationen siehe Seidl-Hohenveldern in: Wolfrum (ed.), United Nations: Law, Politics and Practice, vol. 2, S. 1202, Rn. 7 ff.; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 816 ff. Dass die Unabhängigkeit der Sonderorganisationen insbesondere dann zu Konflikten führt, wenn es um Aktivitäten geht, die zur gleichen Zeit Gegenstand politischer Auseinandersetzungen im Rahmen der Vereinten Nationen sind, ist nicht überraschend; zu den bisherigen Konflikten zwischen den Vereinten Nationen und den UN-Sonderorganisationen siehe Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1714. 5 Siehe statt vieler Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1714. „In practice, it is often difficult to limit competences clearly, as many issues can be subsumed under different headings and, therefore may belong to the competence of different organizations.“ 6 Die Kooperation zwischen internationalen Organisationen findet ihren Ausdruck im Abschluss zahlreicher Kooperations- und Koordinationsvereinbarungen. Diese Praxis betrifft nicht nur die UN-Sonderorganisationen und die Vereinten Nationen, sondern auch internationale Organisationen außerhalb dieser Ordnungsstruktur wie etwa die WTO. Grundlegend zur Kooperation internationaler Organisationen siehe Jenks, Co-ordination, RdC 77 (1950), S. 151 ff.; zur Interdependenz und Kooperation von WTO und IWF siehe Ahn, JWT 34/4 (2000), S. 1 (5 ff.); zu Kooperationsvereinbarungen zwischen der WTO und den Organisationen des UN-Systems siehe Schorlemer, VN 2001, S. 101 (102 ff.); für einen umfassenden Ansatz Tietje, InterAgency Co-operation, JWT 36 (2002), S. 501 (505 ff.).

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4. Teil: Lösungsansätze

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten Bevor aber der Frage nachgegangen werden kann, ob und inwieweit nicht nur eine Kooperationsnotwendigkeit zwischen internationalen Gerichten besteht, sondern darüber hinaus auch eine Kooperationspflicht, gilt es zu klären, was unter dem Begriff der Kooperation zu verstehen und ob eine solche strukturell zwischen Gerichten überhaupt möglich ist.

I. Begriffsbestimmung Der Begriff der Kooperation ist zunächst einmal wertneutral, indem er nichts anderes als eine Zusammenarbeit zur Erreichung eines bestimmten Ziels umschreibt.7 Daraus folgt, dass der Begriff der Kooperation erst durch die Festlegung des zu erreichenden Ziels seine inhaltliche Bestimmung erhält.8 Das Ziel jeglicher Kooperation in der heutigen Völkerrechtsordnung ist die Wahrung und Aufrechterhaltung des internationalen Friedens, wie es auch in der UN-Charta zum Ausdruck kommt.9 Damit verliert der Kooperationsbegriff seine Neutralität und enthält normative Vorgaben in Bezug auf das mit der Zusammenarbeit zu erreichende Ziel bzw. Werk. In Bezug auf die Tätigkeit von internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren kann das zu erreichende Kooperationsziel nur darin gefunden werden, dass gerichtliche oder quasi-gerichtliche Entscheidungen nicht Ursache für Widersprüche in der Völkerrechtsordnung sein sollen, so dass den Staaten aufgrund divergierender Entscheidungen ein rechtmäßiges Verhalten entweder unmöglich gemacht oder aber erheblich erschwert wird. Die daraus resultierenden Störungen könnten in letzter Konsequenz zum einen die Legitimität des Völkerrechts beeinträchtigen und zum anderen dazu führen, dass Staaten, nachdem in den letzten Jahren eine zunehmende Akzeptanz gerichtlicher Streitbeilegung zu beobachten war, sich wieder von der internationalen Gerichtsbarkeit abwenden 7 Dicke, Effizienz und Effektivität, S. 324: „Zusammenarbeit (ist) zu jedem denkbaren Zweck vom Angriffskrieg bis zur Errichtung einer Friedensordnung möglich.“; siehe auch Schreuer, State Sovereignty and Duty to Cooperate, in: Delbrück (ed.), Sovereignty and Cooperation S. 163 (166), der darauf hinweist, dass nicht jede Form von Kooperation wünschenswert ist, z. B. bestimmte Formen militärischer Zusammenarbeit. 8 Wolfrum in: EPIL II, S. 1242: „The significance and value of cooperation depends upon its goal.“ 9 Der Zusammenhang zwischen Kooperation und Friedenssicherung ergibt sich schon aus den meisten Gründungsverträgen internationaler Organisationen, in denen die Staaten zum Ausdruck bringen, dass sie zur Sicherung des internationalen Friedens zusammenarbeiten werden; vgl. dazu Dicke, Effizienz und Effektivität, S. 85 f. und 325.

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten

319

und erneut dazu übergehen, Streitigkeiten vornehmlich durch politische Formen der Streitbeilegung zu lösen. Dass aber institutionalisierte, verbindlich entscheidende Streitbeilegungsorgane mit ein Garant für die Wahrung und Aufrechterhaltung des Friedens sind, ist allgemein anerkannt.10 Damit steht das durch die Kooperation internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren zu erreichende Ziel der Gewährleistung einer widerspruchsfreien Völkerrechtsordnung in einem direkten Bezug zu dem allgemeinen Ziel völkerrechtlicher Kooperation: der Wahrung und Aufrechterhaltung des internationalen Friedens. Darüber hinaus ist Kooperation nur zwischen an sich unabhängigen und gleichgestellten Partnern möglich, die nicht in einem Unter- und Überordnungsverhältnis zueinander stehen.11 Auch wenn die Unabhängigkeit der Kooperationspartner damit notwendige Voraussetzung für die Zusammenarbeit ist, so wird sie doch durch den Kooperationsprozess als solchen wieder eingeschränkt, da Zusammenarbeit ein Mindestmaß an gegenseitiger Kommunikation und Berücksichtigung bei der Bewältigung der gemeinsamen Aufgaben erfordert.12 Dies verdeutlicht sich am Beispiel zwischenstaatlicher Kooperation. Das Völkerrecht basiert auf der Gleichheit und damit auch der Unabhängigkeit der Staaten. Dieser in der staatlichen Souveränität seinen Ausdruck findende Grundsatz wird aber insbesondere durch institutionalisierte Kooperation in Form der Errichtung internationaler Organisationen dahingehend eingeschränkt, dass die Unabhängigkeit der Staaten nur noch im Rahmen der durch die Organisation gewährten Freiheiten besteht. Eine weitere Präzisierung des Kooperationsbegriffs erfolgt durch die Kategorisierung verschiedener Kooperationsformen, die die unterschiedlichen Elemente der Kooperation – Arbeitsteilung zum einen und gegenseitige Kommunikation und Berücksichtigung zum anderen – aufgreift. Prinzipiell wird zwischen „negativer“ und „positiver“ Kooperation unterschieden, wobei bei „negativen“ Kooperationsformen grundsätzlich der arbeitsteilige Ansatz im Vordergrund steht, während unter „positiver“ Kooperation die eigentliche ergänzende Zusammenarbeit verstanden wird.13 Während primä10

Siehe dazu oben 1. Teil B. I. Dicke, Effizienz und Effektivität, S. 327. 12 Funkt-Rüffert, Kooperation von EuGH und BVerfG, S. 37. 13 Negative Kooperationsformen dürfen aber nicht als Ausdruck bloßer Koexistenz verstanden werden. Zwar wird mit der Koexistenz auch ein arbeitsteiliges Verhalten beschrieben. Dieses erfolgt aber vollständig unabhängig voneinander und lässt damit auch die mit der Arbeit des Kooperationspartner verfolgten Ziele unberücksichtigt. Im Gegensatz dazu werden mit dem Begriff der negativen Kooperation Formen der Arbeitsteilung umschrieben, die gerade deshalb erfolgen, weil die Aufgaben des Kooperationspartners berücksichtigt werden; siehe zu der hier verwendeten Differenzierung Schermers/Blokker, Institutional Law, §1705 ff.; Neumann, Koordination, S. 92 ff. 11

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4. Teil: Lösungsansätze

res Ziel der „negativen“ Kooperation die Vermeidung doppelter Aktivitäten ist, sie also der optimalen Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen dient, ist Gegenstand der „positiven“ Kooperation eine Harmonisierung der wahrzunehmenden Aufgaben zur Erreichung des gemeinsamen Ziels, um so die Einheit der Rechtsordnung zu bewahren.14

II. Kooperationsfähigkeit internationaler Gerichte Bevor aber „positive“ oder „negative“ Kooperationsmechanismen zwischen internationalen Gerichten untersucht und aufgezeigt werden können, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Kooperation zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren wegen der Unabhängigkeit als eines der wesentlichen, ein Gericht kennzeichnenden Merkmale überhaupt möglich ist. Denn dieses Merkmal könnte mit den Konsequenzen jeder Kooperationsform unvereinbar sein: die Einschränkung der eigenen Unabhängigkeit zugunsten der Erreichung eines übergeordneten Ziels. In diese Richtung können die Ausführungen des AGMR in seinem Gutachten zur Reichweite des Art. 36 para. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention verstanden werden. Der Gerichtshof hielt die Tatsache, dass dieselbe Rechtsnorm ebenfalls Gegenstand des zur selben Zeit anhängigen LaGrandVerfahrens war, deshalb für irrelevant, weil er eine „autonomous judicial institution“ sei.15 Noch sehr viel eindeutiger hat sich die Berufungskammer des ICTY im Tadic-Fall geäußert, die nicht lediglich ihre Unabhängigkeit betonte, sondern ausführte: „In international law, every tribunal is a self contained system (unless otherwise provided)“16

Der Begriff des self contained systems scheint auf dem des self contained regimes zu basieren, dessen Inhalt und Reichweite bis heute aber nicht eindeutig geklärt ist.17 Der IGH hat dieses Konzept im Teheran Hostage-Fall bisher nur auf die Konstellation angewendet, in denen ein völkerrechtliches Übereinkommen die Reaktionsmöglichkeiten auf einen Verstoß gegen dessen Vorschriften auf die im Übereinkommen aufgeführten Möglichkeiten begrenzt, so dass die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze, insbesondere der der Repressalie, keine Anwendung finden.18 Weiter gehender 14

Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1705. AGMR, Advisory Opinion OC-16/99, para. 85. 16 Prosecutor v. Tadic, Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2.10.1995, para. 11, ILM 36 (1996), S. 32 (39). 17 Ein Überblick über die unterschiedlichen Positionen zum self contained regime finden sich bei Garcia-Rubio, Customary Rules of State Responsibility, S. 27 ff. 15

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten

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scheint die Ansicht zu sein, die mit dem Begriff self contained regime alle völkerrechtlichen Subsysteme erfassen will, deren gesamte Regelungen gegenüber denen des allgemeinen Völkerrechts abschließend und definitiv sind.19 Der Ansatz des ICTY scheint sich zwar an dieses Verständnis anzulehnen; er geht aber insoweit darüber hinaus, als dass mit einem self contained system nicht nur die materiellrechtliche Unabhängigkeit vom allgemeinen Völkerrecht umschrieben wird, sondern vielmehr auch die institutionelle. Allerdings ist es überaus fraglich, internationale Gerichte als self contained systems im Sinne voneinander losgelöster, nicht in Zusammenhang stehender und damit kooperationsunfähiger Institutionen zu begreifen, auch wenn sie durch das Merkmal der Unabhängigkeit geprägt sind. Das ergibt sich schon aus einem Vergleich mit Staaten sowie internationalen Organisationen, die auch grundsätzlich voneinander unabhängig sind, ohne dass daraus die Konsequenz gezogen würde, dass Kooperation im Verhältnis zueinander unmöglich sei. Außerdem erscheint es widersprüchlich im Zeitalter des Kooperationsvölkerrechts, internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren, die ja erst durch die Kooperation von Staaten entstehen können, die Kooperationsfähigkeit absprechen zu wollen. Darüber hinaus sind sie zumindest teilweise in ein Geflecht von miteinander kooperierenden internationalen Organisationen eingebunden oder leiten ihre Existenz daraus ab. Und auch die bestehende Gerichtspraxis liefert einen eindeutigen Nachweis der Kooperationsfähigkeit. So hat der ISGH mit den Vereinten Nationen ein Kooperationsübereinkommen abgeschlossen,20 und im Rahmen der WTO-Rechtsprechungspraxis hat sich der Appellate Body bereits mehrfach an Nicht-WTO-Institutionen gewandt, um von ihnen wegen ihrer größeren Kompetenz spezielle Sachfragen klären zu lassen.21 Beziehen sich diese Kooperationsbeispiele auf die Zusammenar18

Teheran Hostage Case, ICJ-Reports 1980, para. 86; so auch Simma, NYIL XVI (1985), S. 111 (117): „A ,self contained regime‘ would then be a subsystem which is intended to exclude more or less totally the application of the general legal consequences of wrongful acts, in particular the application of the countermeasures normally at the disposal of an injured party.“ 19 Marschik, EJIL 9 (1998), S. 212 (232 f.): „Self contained regimes are fully autonomous legal systems. They are part of the general system and created by international law, but they explicitly exclude any application of norms that are not part of the regime.“ 20 Agreement on Cooperation and Relationship Between the United Nations and the International Tribunal for the Law of the Sea, 18.12.1998, abrufbar unter www.itlos.org; siehe auch GA Res. A/51/204, 17.12.1996, die dem ISGH Beobachterstatus während der Sitzungen der Generalversammlung einräumt, um so eine einheitliche Auslegung des SRÜ zu unterstützen; vgl. die Einleitung der Resolution: „Stressing the importance of the uniform interpretation or application of the provisions of the United Nations Convention on the Law of the Sea . . .“

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4. Teil: Lösungsansätze

beit von Gerichten und nichtgerichtlichen Institutionen, so findet sich mit dem BVerfG ein Beispiel für zwischengerichtliche Kooperation. In seinem Maastricht-Urteil hat das BVerfG betont, dass es künftig seine Gerichtsbarkeit bezüglich der Überprüfbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht anhand deutscher Grundrechte in einem Kooperationsverhältnis zum EuGH ausüben werde, und damit eine gedankliche Pioniertat vollbracht.22 An einer grundsätzlichen Kooperationsfähigkeit von Gerichten und damit auch internationalen Gerichte kann von daher kein Zweifel bestehen.

III. „Zwischengerichtliche“ Kooperationspflicht Auch wenn die Kooperationsfähigkeit zu bejahen ist, so ist damit noch nicht geklärt, ob internationale Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestaltete Streitbeilegungsverfahren zur Vermeidung von Auslegungs- und Zuständigkeitskonflikten zur Kooperation verpflichtet sind. Kooperationsverpflichtungen zwischen internationalen Gerichten finden sich zunächst in den die Gerichte konstituierenden Übereinkommen. Diese kennen durchaus Kooperationselemente enthaltende Vorschriften, welche sich ausdrücklich auf das Verhältnis zu anderen internationalen Gerichten oder Untersuchungsinstanzen beziehen. Eines dieser zugegebenermaßen sel21 In United Sates – Section 110(5) of the US Copyright Act, 15.6.2000, WT/ DS160/R, S. 245 ff., hat sich das WTO-Panel an das WIPO-Sekretariat gewandt, um von diesem Informationen über die Entstehungsgeschichte und die Entwicklung der Vertragspraxis von Art. 9 Abs. 2, Art. 11 und Art. 11bis Berner-Übereinkunft zu erhalten. Der WIPO-Generalsekretär ist diesem Gesuch hinsichtlich der Entstehungsgeschichte nachgekommen. Wegen der zu großen Materialmenge und der Tatsache, dass jede Auswahl zugleich eine ihm nicht zustehende Auslegung des Übereinkommens bedeute, hat er aber keine Aussagen über die weitere Vertragspraxis gemacht. Auch in United Sates – Section 211 Omnibus Appropriations Act, 6.8.20001, WT/DS179/AB/R, para. 189, hat sich der Appellate Body bei der Beantwortung der Frage, ob die PVÜ bestimme, wer Eigentümer einer Handelsmarke sei, auf einen Brief des WIPO-Generalsekretärs gestützt. 22 BVerfGE 89, S. 155 ff.; Ipsen, EuR 1994, S. 1 (10) hat allerdings bestritten, dass es sich dabei um eine rechtliche Normierung kooperativen Verhaltens handelt. Vielmehr sei es als eine Handlungsmaxime je nach Stimmungslage und praktischer Gelegenheit zu verstehen. Dagegen überzeugend Funk-Rüffert, Kooperation von EuGH und BVerfG, S. 39, die darauf hinweist, dass eine so verstandene Kooperation „auf ein Niveau der Beliebigkeit herabgestuft“ wird. Siehe auch Selmer, Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards, S. 32: „Wenn das BVerfG . . . im Hinblick auf den Grundrechtsschutz von einem ,Kooperationsverhältnis‘ zum EuGH spricht, so wird dadurch nicht ,lediglich eine sich praktisch ergebende Situation schlagwortartig gekennzeichnet‘. Das ,Kooperationsverhältnis‘ verkörpert vielmehr vor allem eine rechtliche Formel, mit deren Hilfe zwei miteinander nicht zu vereinbare Positionen einander so zugeordnet werden sollen, dass beide Rechtsordnungen in ihrem Geltungsanspruch keinen substantiellen Schaden erleiden.“

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten

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tenen Beispiele ist Art. 32 Abs. 7 lit. d) OSPAR-Übereinkommen.23 Die Vorschrift bezieht sich aber nur auf die Zusammenarbeit von OSPARSchiedsgerichten und findet damit im Verhältnis zu anderen Gerichten, wie etwa dem SRÜ-Schiedsgericht in der MOX Plant-Streitigkeit, keine Anwendung. Weitere Fälle „zwischengerichtlicher“ Kooperation finden sich in Art. 35 Abs. 1 lit. b) EMRK, Art. 2005 NAFTA und Art. 282 SRÜ,24 deren Regelungsgehalt als Ausdruck negativer Kooperation zu verstehen ist. Denn dass in der Sache identische Streitigkeiten nur vor einem von mehreren möglichen Foren verhandelt werden dürfen, ist klassisches Beispiel für einen arbeitsteiligen Ansatz, der gleichzeitig der Harmonisierung der Entscheidungen verschiedener Gerichte und gerichtsähnlich ausgestalteter Verfahren dient. Jenseits dieser vereinzelten Vorschriften finden sich allerdings keine Kooperationsvorschriften, die die Zusammenarbeit internationaler Gerichte regeln, so dass das Problem einer allgemeinen „zwischengerichtlichen“ Kooperationspflicht in den Vordergrund rückt, will man die aus der Notwendigkeit resultierende Prämisse kooperativen Handelns nicht der willkürlichen Disposition der beteiligten Gerichte überlassen.25 Die Statuierung einer zwischengerichtlichen Kooperationsverpflichtung setzt aber voraus, dass es sich bei der Pflicht zur Kooperation im Fall der Interdependenz um ein allgemeingültiges völkerrechtliches Prinzip im Sinne einer grundsätzlichen Ordnungsmaxime handelt, welches nicht nur internationale Gerichte, sondern auch Staaten sowie internationale Organisationen bindet. 1. Begründungsansätze für eine zwischenstaatliche Kooperationspflicht Bereits in der Charta der Vereinten Nationen wird die Frage zwischenstaatlicher Kooperation an zahlreichen Stellen erwähnt. So führt Art. 1 Abs. 3 UN-Charta die Herbeiführung internationaler Zusammenarbeit zur Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und 23 Art. 32 Abs. 7 lit. d) OSPAR-Übereinkommen: „Werden zwei oder mehr aufgrund dieses Artikels gebildete Schiedsgerichte mit Anträgen über denselben Gegenstand oder über ähnliche Gegenstände befasst, so können sie sich über die Verfahren zur Tatsachenfeststellung unterrichten und sie soweit wie möglich berücksichtigen.“ Bemerkenswert ist, dass sich diese Kooperation lediglich auf die Tatsachenfeststellung bezieht, eine Zusammenarbeit bei der rechtlichen Beurteilung der gemeinsam ermittelten Tatsachen, welche für die Vermeidung divergierender Entscheidungen von besonderer Relevanz wäre, aber unerwähnt bleibt. 24 Zum Inhalt dieser Vorschriften siehe oben 2. Teil C. 25 Für das Verhältnis von BVerfG und EuGH siehe Funk-Rüffert, Kooperation von EuGH und BVerfG, S. 39. „Kooperation darf sich nicht als im Grunde Resultat freiwilliger Selbstbeschränkung . . . erweisen“.

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4. Teil: Lösungsansätze

humanitärer Art als eines der Ziele der Vereinten Nationen auf. Auch wenn sich allein aus einer allgemeinen Zielsetzung wohl keine Verpflichtung ergeben kann,26 so wird das Ziel der Zusammenarbeit erneut in Art. 55 UNCharta aufgegriffen, der in Zusammenhang mit Art. 56 UN-Charta die Mitgliedstaaten zur umfassenden Kooperation untereinander und mit den Vereinten Nationen verpflichtet.27 Darüber hinaus erwähnen zahlreiche Resolutionen der Generalversammlung – wenn auch an sich unverbindlich, so doch von „rechtsschöpfender Kraft“ für die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht28 – die Pflicht zur zwischenstaatlichen Kooperation; so etwa die Resolution über freundschaftliche Beziehungen der Staaten29 sowie die über wirtschaftliche Rechte und Pflichten.30 Daneben ist eine Kooperations26 Ein solcher Schluss ist deshalb unzulässig, da die Zielsetzung internationaler Zusammenarbeit nicht durch eine entsprechende Verpflichtung in den in Art. 2 UNCharta aufgezählten Grundsätzen ergänzt wird, wie dies im Falle anderer Ziele der Vereinten Nationen geschieht, insbesondere in Bezug auf das Ziel der Wahrung des internationalen Friedens; vgl. Schreuer, State Sovereignty and Duty to Cooperate, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 163 (169). 27 Art. 55 UN-Charta statuiert ähnlich wie Art. 1 UN-Charta die durch die Vereinten Nationen zu fördernden Ziele – konkretisiert auf wirtschaftliche und soziale Aspekte, wie etwa die Lösung wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Probleme sowie die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Erziehung; Art. 55 lit. b) UN-Charta. Allerdings werden die Mitgliedstaaten durch Art. 56 UN-Charta verpflichtet, zur Erreichung dieser Ziele gemeinsam und einzeln mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten; Wolfrum in: Simma (ed.), vol. II, Art. 56, Rn. 3 f. Diese Verpflichtung ist insofern umfassend, als dass durch den Zusatz „und verwandter Probleme“ letztlich alle durch internationale Zusammenarbeit der Staaten lösbaren Probleme erfasst werden. Dass es sich bei der aus Art. 56 UNCharta resultierenden Kooperationspflicht nicht bloß lediglich um eine politische Absichtserklärung handelt, sondern um eine Rechtspflicht, ist zwar vielfach bestritten worden. Dies wird jedoch weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift gerecht; so bereits Tomuschat, GYIL 25 (1982), S. 85 (98 f.); siehe aber auch Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 224. 28 Grundlegend dazu die Aussage des IGH in Military and Paramilitary Activities, ICJ Rep. 1986, S. 100, wonach Generalversammlungsresolutionen „may be understood as an acceptance of the validity of the rule or set of rules declared by the resolution“; diesen Ansatz vollständig ablehnend Danilenko, Law-Making, S. 203 ff. 29 Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations, Annex zur GA-Res. 265 (XXV), 24.10.1970, UNYB 24 (1970), S. 788 ff. 30 Charter of Economic Rights and Duties of States, GA Res. 3281 (XXIX), 12.12.1974, ILM 14 (1975), S. 251 ff. Einschränkend sei zu erwähnen, dass insbesondere westliche Staaten dieser Resolution und der über freundschaftliche Beziehungen nicht zugestimmt haben, da die Entwicklungsländer durch die Verankerung der Kooperationspflicht ihre Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung bestärken wollten, in deren Rahmen Kooperation mit finanziellen und technologischen Transferpflichten gleichzusetzen ist; siehe dazu Wolfrum in: Simma (ed.), vol. II, Art. 55, Rn. 18. Allerdings zeigen die Entwicklungen seit Beginn der 90er Jahre eine deutliche Abkehr der Entwicklungsländer von der Idee einer neuen Weltwirt-

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten

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verpflichtung auch für einzelne Sachbereiche des Völkerrechts anerkannt worden, vornehmlich für staatsfreie Räume im Allgemeinen und das internationale Seerecht im Besonderen,31 den Umweltschutz,32 die zwischenstaatliche Streitbeilegung33 sowie das internationale Wirtschaftsrecht.34 Dementsprechend wird für das Staatenvölkerrecht davon ausgegangen, dass eine allgemeine Kooperationspflicht besteht,35 ohne dass damit allerdings eine konkrete Aussage über dessen Reichweite gemacht worden ist.

schaftsordnung und dem damit einhergehenden Kooperationsverständnis. So bekräftig die Resolution der Generalversammlung A/RES/S-18/3, 1.5.1990 die Verpflichtung zur zwischenstaatlichen Kooperation im Bereich des Wirtschaftsrechts, ohne dass sie in den Zusammenhang mit zu leistender Entwicklungshilfe gestellt wird; vgl. zu dieser Entwicklung ausführlich Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 225 ff.; Wolfrum in: Bernhardt (ed.), EPIL II, S. 1242 (1243 ff.). 31 Auch wenn heutzutage die Kooperationsverpflichtungen für einzelne Aspekte des Seerechts, wie etwa den Umweltschutz und die Ressourcennutzung, im SRÜ normiert sind, so handelt es sich dabei nicht um durch das Übereinkommen neu geschaffene Verpflichtungen. Vielmehr sind sie lediglich eine Kodifikation bereits bestehender, gewohnheitsrechtlich anerkannter Pflichten; Meltzer, ODIL 25 (1994), S. 255 (327); Tomuschat, RdC 241 (1993), S. 194 (214); Jalbert, Straddling Stocks, Protection of the Environment and Drug Control, in: Wolfrum (ed.), Law of the Sea at the Crossroads, S. 411 (412); Wolfrum, Protection of the Marine Environment, in: FS Bernhardt, S. 1003 (1005). 32 Zur Kooperationspflicht im Bereich des internationalen Umweltschutzes siehe statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Bd. I/1, S. 448 ff. sowie Stoll, International Environmental Law of Cooperation in: Wolfrum (ed.), Enforcing Environmental Standards, S. 39 (43 ff.). 33 Siehe dazu Peters, Cooperation in International Dispute Settlement, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 107 (112): „Therefore a general, customary law-based duty of cooperation with the view to a settlement is inherent in the generally acknowledged obligation to settle disputes peacefully.“ 34 Tietje, Duty to Cooperate in International Economic Law, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 45 (59 ff.) unter besonderer Berücksichtigung der Entscheidung des Appellate Body in U.S. – Shrimp, WT/DS58/AB/R; siehe dazu oben 2. Teil B. I. 1. b). Kritisch sei angemerkt, dass der Appellate Body lediglich den Vorrang der Kooperation vor einseitigen Maßnahmen festgestellt hat, wie er auch von den Mitgliedern der WTO selbst anerkannt wird und in WTO-fremden Übereinkommen zum Ausdruck kommt. Damit handelt es sich aber nicht um eine Kooperationsverpflichtung im eigentlichen Sinne, sondern um eine Obliegenheit, da Staaten nur als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit sich extraterritorial auswirkender Handelsbeschränkungen kooperieren müssen. 35 So ausdrücklich Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 228; Tomuschat, GYIL 25 (1982), S. 85 (98 f.); Odendahl, Recht auf Entwicklung, S. 177; kritisch zu einer allgemeinen Kooperationspflicht Kimminich/Hobe, S. 308 f., die lediglich anerkennen, dass „sich durch die Formulierung von schützenswerten Staatengemeinschaftsinteressen auch die Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit verstärkt.“.

326

4. Teil: Lösungsansätze

2. Begründungsansatz für eine Kooperationspflicht zwischen internationalen Organisationen Das Problem einer rechtlichen Verpflichtung zur Zusammenarbeit stellt sich aber nicht nur für das zwischenstaatliche Miteinander, sondern, wie bereits angedeutet, auch im Verhältnis internationaler Organisationen. Das Bedürfnis und die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit ergibt sich primär aus dem Ordnungsprinzip der funktionalen Dezentralisation, welches im Rahmen der UN-Familie darin seinen Ausdruck findet, dass neben den Vereinten Nationen als der Organisation für die politische Zusammenarbeit, zahlreiche nicht-politische, auf spezielle Sachbereiche beschränkte, „technische“ Organisationen bestehen, bekannt als die UN-Sonderorganisationen.36 Aufgrund der daraus resultierenden Notwendigkeit zur Zusammenarbeit wurde dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) die Aufgabe übertragen, die Tätigkeiten der UN-Sonderorganisationen sowohl untereinander als auch im Verhältnis zu den Vereinten Nationen zu koordinieren. Um ersteres bewerkstelligen zu können, wird dem ECOSOC gem. Art. 63 Abs. 2 UNCharta die Kompetenz übertragen, mit den Sonderorganisationen Konsultationen aufzunehmen, während die Beziehungen der jeweiligen Organisation zu den Vereinten Nationen durch den Abschluss von diesbezüglichen Abkommen geregelt werden sollen; Art. 63 Abs. 1 UN-Charta.37 Darüber hinaus finden sich in fast allen Gründungsverträgen internationaler Organisationen entsprechende Ermächtigungen zum Abschluss von Koordinationsvereinbarungen mit anderen internationalen Organisationen, deren Tätigkeit für die eigene von Relevanz ist.38 Insbesondere das System der UN-Familie 36

Einen Überblick über die UN-Sonderorganisationen gibt Meng in: Simma (ed.), vol. II, Art. 57, Rn. 52 ff.; für die unterschiedlichen Kategorisierungsmöglichkeiten internationaler Organisationen siehe Schermers/Blokker, Institutional Law, § 48 ff. Allerdings muss bei jeder Kategorisierung und insbesondere bei der zwischen „politischen“ und „technischen“ internationalen Organisationen berücksichtigt werden, dass es sich dabei nicht um ein Entweder-oder handelt, sondern um graduelle Abstufungen. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass auch die Arbeit im Rahmen technischer Organisationen sehr wohl politisiert sein kann. 37 Wesentliches Merkmal dieser Übereinkommen ist die Errichtung gemeinsamer administrativer Strukturen, die von der Gewährung eines Beobachterstatus bis hin zur Errichtung gemeinsamer Organe und Ausschüsse als ausgeprägteste Form der Kooperation reichen; vgl. Schermers/Blokker, Institutional Law, § 1705 ff. 38 Dies bezieht sich sowohl auf die Gründungsverträge der UN-Sonderorganisationen als auch auf Gründungsübereinkommen von außerhalb dieses Systems stehenden internationalen Organisationen. Als Beispiel seien die bestehenden Kooperationsvereinbarungen zwischen der WTO und dem IWF und zwischen der WTO und der Weltbank erwähnt; WTO Doc., WTO/L/195, 18.11.1996. Siehe dazu Ahn, JWT 34 (2000), S. 1 (11 ff.). Einen umfassenden Überblick über die bestehenden Koordinations- und Kooperationsvereinbarungen internationaler Organisationen mit der WTO gibt Tietje, JWT 36 (2002), S. 501 (506 ff.).

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten

327

scheint allerdings von der Grundannahme geprägt zu sein, dass sich die Kompetenzen internationaler Organisationen eindeutig voneinander abgrenzen lassen.39 Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Sachbereichen nicht möglich ist, was sich auch auf die Trennung der Kompetenzen internationaler Organisationen mit sachlich beschränkten Zuständigkeiten auswirkt. Bereits im ersten Teil der Arbeit ist die Interdependenz der Sachbereiche Handel und Umweltschutz dargestellt worden; sie gilt aber letztlich für fast jeden Sachbereich, der wirtschaftliche Bezüge aufweist.40 Konsequenz dieser durch die Globalisierung forcierten Interdependenz ist, dass sich die Aufgaben internationaler Organisationen derartig überschneiden, dass sie diese nur dann erfüllen können, wenn sie die Arbeit anderer internationaler Organisationen und die mit deren Tätigkeit verfolgte Zielsetzung berücksichtigen.41 Dieser Wandel im Verhältnis internationaler Organisationen zueinander wird auch in den Ausführungen des vom ECOSOC eingesetzten Administrative Committee on Coordination of the United Nations (ACC) deutlich: „(a) new phase in inter-agency co-operation, spurred by the imperatives of globalization, is now emerging“42 39 Diese Annahme wird durch die Ausführungen des IGH in Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Advisory Opinion), preliminary objections, ICJ Rep. 1996, S. 66, bestätigt. Dort hat der IGH ausgeführt, dass insbesondere Art. 63 UN-Charta die Funktion zukomme „to organize international cooperation in a coherent fashion by bringing the United Nations, invested with powers of general scope, into relationship with various autonomous and complementary organizations, invested with sectorial power“. 40 Ausführlich dazu Neumann, Koordination, S. 112 ff., der nicht nur die Interdependenz von internationalem Handel und Umweltschutz nachweist, sondern auch die gegenseitige Abhängigkeit von Handel und Arbeitsrechten, Handel und Menschenrechten, TRIPS und WIPO-Übereinkommen, Handel und Finanzen sowie Handel und Telekommunikation. Zur sog. linkage-Diskussion im Rahmen der WTO siehe auch die Beiträge zum Symposium: The Boundaries of the WTO, AJIL 96 (2002), S. 1 ff.; insbesondere Trachtman, AJIL 96 (2002), S. 77 ff., der darauf hinweist, dass die „trade and . . .“-Diskussion auch durch politische Aspekte geprägt ist, indem Staaten wirtschaftlichen Druck ausüben und Wirtschaftsbeschränkungen erlassen, um dadurch andere, nicht unmittelbar wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Damit kann im Grunde jeder völkerrechtliche Sachbereich in den Zusammenhang mit dem WTO-Recht gestellt werden. 41 Eingehend zum Wandel von Koordination zur Kooperation zwischen internationalen Organisationen Tietje, JWT 36 (2002), S. 501 (510 f.), der auch auf die Declaration on the Contribution of the World Trade Organization to Achieving Greater Coherence in Global Economic Policymaking verweist, in der ausgeführt wird: „The interlinkages between the different aspects of economic policy require that the international institutions with responsibilities in each of these areas follow consistent and mutually supportive policies.“, ILM 33 (1994), S. 1249. 42 Annual overview report of the Administrative Committee on Co-ordination for 1999, UN Doc. E/2000/53, 12.5.2000, S. 3.

328

4. Teil: Lösungsansätze

Auch wenn das Bestehen von Koordinations- und Kooperationsstrukturen zwischen internationalen Organisationen offensichtlich und die Zusammenarbeit zwischen ihnen damit ein anerkanntes Prinzip ist, stellt sich dennoch das Problem, inwieweit dies eine Verpflichtung zur Kooperation nach sich zieht. Denn die jeweiligen Gründungsverträge ermächtigen lediglich zum Abschluss von Kooperationsvereinbarungen, ohne dass sie von einer Pflicht zur Zusammenarbeit sprechen. Der erste Versuch zur Begründung einer allgemeinen Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen internationalen Organisationen findet sich bei Tietje.43 Ansatzpunkt ist die bereits erwähnte Überschneidung der Tätigkeiten internationaler Organisationen in wirtschaftsrelevanten Bereichen, wobei zu betonen ist, dass es sich nicht nur um eine einfache Überschneidung der Aufgabenwahrnehmung handelt, sondern auch, in Anlehnung an das Staatenvölkerrecht, um eine Überschneidung von Jurisdiktionsbereichen,44 aus der sich mögliche Jurisdiktionskonflikte in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt ergeben können.45 Diese Über43 Tietje, JWT 36 (2002), S. 501 (510 ff.); ders., Duty to Cooperate in International Economic Law, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 45 (63 f.); ablehnend Ruffert, AVR 38 (2000), S. 129 (163 f.), der meint, dass eine Kooperationsverpflichtung internationaler Organisationen den Gedanken der kohärenten institutionellen Struktur innerhalb der internationalen Gemeinschaft überdehnen würde. Dem ist zu entgegnen, dass gerade die institutionelle Struktur der internationalen Organisationen eine Kooperation notwendig macht, so dass nicht ersichtlich ist, wieso die Statuierung einer rechtsverbindlichen Kooperationspflicht, die letztlich Ausdruck einer entsprechenden Notwendigkeit ist, mit dem Gedanken der kohärenten institutionellen Struktur unvereinbar sein soll. 44 Dass internationalen Organisationen eigene, gegenüber anderen internationalen Organisationen abgrenzbare Jurisdiktionsbereiche haben begründet Tietje, JWT 36 (2002), S. 501 (511 f.), mit der Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen. „Because of their legal personlity and their powers necessary to perform their functions and duties, international organizations are entiteled to claim a protected area of jurisdiction.“ Ähnlich auch der Ansatz von Ruffert, AVR 38 (2000), S. 129 (161), der davon ausgeht, dass die Aufgabenzuweisung der Staaten an die jeweilige internationale Organisation Außenwirkung im Verhältnis zu anderen internationalen Organisationen entfaltet. Eine solche Schlussfolgerung lässt sich auch aus den Ausführungen von Blokker, Proliferation of International Organizations – Introduction, in: Schermers/Blokker (eds.), Proliferation of International Organizations, S. 1 (30) ziehen: „As for States, it is often no longer possible for international organizations to carry out their functions independently. In carrying out their tasks, international organizations should be aware of, and take into account, the tasks of organizations that are competent in a neighbouring field.“ Ein solche Verpflichtung zur Beachtung von Aufgaben und Tätigkeiten anderer internationaler Organisationen setzt notwendigerweise voraus, dass ein Zusammenhang besteht. Allerdings darf der hier verwendete Begriff der Jurisdiktion nicht im Sinne einer Staatsgebietsbezogenheit verstanden werden. Vielmehr bezieht er sich auf die von den internationalen Organisationen wahrzunehmenden Aufgabenbereiche. 45 Diese aus der Überschneidung der Jurisdiktionsbereiche resultierenden Konflikte sind von Neumann, Koordination, S. 63 ff., in Abgrenzung zu Normenkonflik-

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten

329

schneidung von Jurisdiktionsbereichen und die damit verbundene Tätigkeit internationaler Organisationen in Jurisdiktionsbereichen anderer internationaler Ordnungen kann mit dem Problem extraterritorialer Maßnahmen im Staatenvölkerrecht verglichen werden, das insbesondere im Bereich des Kartellrechts aber auch im Umweltschutzrecht auftritt.46 Auch wenn die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen nicht unumstritten ist, so werden sie von der Mehrheit unter der Voraussetzung akzeptiert, dass sich zum einen ein ausreichender Zusammenhang zwischen Adressat der Maßnahme und der eigenen Jurisdiktion herstellen lässt und dass eine Abwägung der sich widerstreitenden Interessen vorgenommen wird.47 Überträgt man diese Ansätze auf das Verhältnis internationaler Organisationen für die Fälle sich überschneidender Jurisdiktionsbereiche, so können daraus resultierende Jurisdiktionskonflikte durch die Abwägung der involvierten Interessen gelöst werden.48 Bestandteil dieses Abwägungsprozesses sind auch Aspekte der Kooperation – zumindest hat der Appellate Body dies in seiner U.S. – Shrimp Entscheidung im Hinblick auf den Schutz globaler Umweltgüter herausgestellt, indem er die Rechtmäßigkeit einseitiger Handelsbeschränkungen zum Schutze extraterritorialer Umweltgüter von der vorherigen Kooperation der Staaten zur Lösung des Problems abhängig gemacht hat.49 Kommt es mithin zu sich überschneidenden Jurisdiktionsbereichen internationaler Organisationen, so müssen diese im Hinblick auf die Lösung daraus resultierender Konflikte miteinander kooperieren.50

ten auch als Programmkonflikte bezeichnet worden, die letztlich nur dadurch gelöst werden können, dass die jeweiligen internationalen Organisationen die Arbeiten und die Zielsetzung anderer internationaler Organisationen im Rahmen der eigenen Tätigkeit berücksichtigen, S. 109. 46 Tietje, JWT 36 (2002), S. 501 (513); ders., Duty to Cooperate in International Economic Law, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 45 (63 f.). 47 Zur auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz basierenden Interessenabwägung als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für extraterritoriale Jurisdiktion im Wirtschaftsvölkerrecht siehe Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 603 ff.; zur Rechtmäßigkeit sich extraterritorial auswirkender Handelsbeschränkungen zum Schutze der Umwelt siehe oben 2. Teil B. I. 1. 48 Tietje, JWT 36 (2002), S. 501 (513). 49 U.S. – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 168 ff., ILM 34 (1999), 118 (169 f.); siehe dazu oben 2. Teil B. I. 1. b). 50 Bereits der IGH hat im Falle sich überschneidender Jurisdiktionsbereiche zwischen zwei Staaten die Pflicht postuliert, dass die daraus resultierenden Konflikte nur durch eine Abwägung der involvierten Interessen im Wege von Verhandlungen zu lösen seien; Fisheries Jurisdiction Case (UK v. Iceland), 25.7.1974, ICJ Rep. 1974, S. 1 (30 ff.). Es erscheint daher nur folgerichtig eines solche Pflicht auch für internationale Organisationen im Falle sich überschneidender Juridiktionsbereiche anzunehmen; Tietje, Duty to Cooperate in International Economic Law, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 45 (64).

330

4. Teil: Lösungsansätze

3. Kooperationspflicht zwischen internationalen Gerichten jenseits vertraglicher Bestimmungen Fasst man die Ergebnisse aus der Untersuchung über Kooperationspflichten zwischen Staaten und internationalen Organisationen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild. Auch wenn zahlreiche Übereinkommen, allen voran die UN-Charta, umfassende Kooperationsverpflichtungen statuieren, besteht allein über die Notwendigkeit zwischenstaatlicher Kooperation Einigkeit, während das Bestehen einer allgemeinen, über bestimmte Sachbereiche hinausgehenden Kooperationspflicht umstritten ist. Auch die Entscheidung des Appellate Body in U.S. – Shrimp statuiert letztlich keine allgemeine Kooperationspflicht, sondern lediglich eine Obliegenheit, wonach die Rechtmäßigkeit einseitiger Handelsbeschränkungen zum Schutze extraterritorialer Umweltgüter nur dann zulässig ist, wenn zuvor in einem ausreichenden Maße miteinander kooperiert wurde. Diese Obliegenheit kann zwar für den betroffenen Staat eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit nach sich ziehen, aus einer unzureichenden Kooperation resultiert aber noch keine selbständige Rechtsverletzung, sondern nur eine abgeleitete. Letztlich überzeugender Ansatz für die Begründung einer zwischenstaatlichen Kooperationspflicht ist die durch die Rechtsprechung des IGH gesicherte Erkenntnis, dass eine solche zumindest für die Fälle besteht, in denen es zu Konflikten aufgrund sich überschneidender Jurisdiktionsbereiche kommt. Sie hat ihren Ursprung in dem allgemeinen Grundsatz, dass Staaten im Konfliktfalle miteinander zusammenarbeiten müssen.51 Verbindet man diesen Ansatz mit der Erkenntnis, dass der Globalisierungsprozess zu einer Entterritorialisierung und damit zu einem Bedeutungsverlust der Staatsgrenzen als Jurisdiktionsgrenze geführt hat,52 so kann auch im Bereich des Schutzes globaler Gemeinschaftsgüter, die der Lösungskompetenz des einzelnen Staates entzogenen sind, von sich überschneidenden Jurisdiktionsbereichen gesprochen werden. Konsequenz dessen ist, dass eine zwischenstaatliche Kooperationspflicht nicht nur für klassische Situationen sich überschneidender Jurisdiktionsbereiche besteht, sondern auch im Bereich des Schutzes globaler Gemeinschaftsgüter. Dieser Grundsatz ist, wie Tietje überzeugend nachgewiesen hat, auch auf das Verhältnis internationaler Organisationen übertragbar. Aber auch das Verhältnis internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren ist von sich überschneidenden Jurisdiktionsbereichen gekennzeichnet. Allerdings gilt dies in den meisten Fällen nicht für das in den Verfahren durchsetzbare Recht, da die Zu51

Tietje, Duty to Cooperate in International Economic Law, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 45 (64). 52 So ausdrücklich Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der Verträge, S. 133.

A. Kooperation zwischen internationalen Gerichten

331

ständigkeitsbereiche internationaler Gerichte außer im Falle des IGH auf einen bestimmten Sachbereich begrenzt sind.53 Diese funktionale Beschränkung ist aber, wie auch im Verhältnis internationaler Organisationen, ungeeignet, eine eindeutige Abgrenzung der Jurisdiktionsbereiche jenseits des durchsetzbaren Rechts zu begründen. Einer der Gründe dafür ist die Tatsache, dass Streitigkeiten Bezüge zu mehreren Verträgen aufweisen können, deren Regelungsgehalte in einem inhaltlichen Zusammenhang zueinander stehen. So verdeutlicht insbesondere der Schwertfisch-Fall das Phänomen sich überschneidender Jurisdiktionsbereiche in Bezug auf denselben Sachverhalt und den daraus resultierenden inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Verfahren.54 Ein weiterer Grund für die Überschneidung der Jurisdiktionsbereiche liegt darin begründet, dass zwar das durchsetzbare, nicht aber das anwendbare Recht beschränkt wird.55 Da es durchaus notwendig sein kann, entweder Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts oder aber auch Vorschriften anderer Übereinkommen für die Auslegung des eigenen Rechts heranzuziehen, führt die Nichtbeschränkung des anwendbaren Rechts zu einer Jurisdiktionsüberschneidung. Unabhängig davon, ob es im konkreten Fall aufgrund paralleler Zuständigkeiten zu einem Auslegungs- oder Zuständigkeitskonflikt zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen oder gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren kommt, basieren beide Konfliktmöglichkeiten auf der Überschneidung der Jurisdiktionsbereiche. Eine solche Überschneidung macht eine zwischengerichtliche Kooperation nicht nur notwendig, sondern in Anlehnung an den Grundsatz, dass Konflikte aufgrund sich überschneidender Jurisdiktionsbereiche durch eine Zusammenarbeit der involvierten Parteien zu lösen sind, besteht zumindest im Falle eines Konfliktes auch eine rechtliche Pflicht zur Zusammenarbeit.56 Daran kann auch der Ein53

Siehe oben 1. Teil B. Siehe oben 2. Teil B. I. 55 Für die SRÜ-Gerichte ergibt sich dies aus der expliziten Anordnung des Art. 293 SRÜ, während das DSU keine Aussage über das anwendbare Recht trifft. Da es aber auch keinen expliziten oder impliziten Ausschluss enthält, ist davon auszugehen, dass grundsätzlich jegliches Recht in den WTO-Verfahren anwendbar ist; ausführliche dazu oben 2. Teil A. II. 3 a). Der EGMR wiederum scheint wie selbstverständlich von der Anwendbarkeit EMRK-fremden Rechts auszugehen, da er sich z. B. im Fall Al Adsani mit der Immunität von Staaten auseinandergesetzt hat, deren Reichweite für die Frage, ob das Verhalten Großbritanniens die EMRK verletzte, entscheidungserheblich war; siehe oben, 1. Teil, Anm. in Fn. 49. 56 Diese Ansicht wird dem Grunde nach durch die Entscheidung des MOX-Plant Schiedsgerichts in der Hauptsache bestätigt, auch wenn das Gericht nicht so weit ging, explizit von einer zwischen gerichtlichen Kooperationspflicht zu sprechen. „In the circumstances, and bearing in mind considerations of mutual respect an comity which should prevail between judicial institutions both of which may be called upon to determine the rights and obligations between two States, the Tribunal consi54

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4. Teil: Lösungsansätze

wand der Unabhängigkeit internationaler Gerichte und ihr Charakter als autonomous judicial institutions nichts ändern. Denn dieser Grundsatz muss aufgrund von Ordnungsgesichtspunkten dahingehend begrenzt sein, dass dadurch nicht Störungen im System der internationalen Gerichtsbarkeit hervorgerufen werden. Statuiert man eine Kooperationspflicht internationaler Gerichte aufgrund der Überschneidung von Jurisdiktionsbereichen und daraus resultierender Konflikte, so muss auch über die Konsequenz einer Verletzung dieser Pflicht nachgedacht werden. Im Verhältnis der Staaten zueinander zeigt sich, dass eine Verletzung der Kooperationspflicht zunehmend im Rahmen gerichtlicher Verfahren geltend gemacht wird. So beschuldigten sich die EG und Chile im Schwertfisch-Fall gegenseitig, nicht in ausreichendem Maße miteinander kooperiert zu haben.57 Denselben Vorwurf erhoben Neuseeland und Australien gegenüber Japan im SBT-Fall58 und auch Irland beschuldigt Großbritannien in der MOX Plant-Streitigkeit, die Kooperationsverpflichtungen aus dem SRÜ verletzt zu haben.59 Auch wenn aus unterschiedlichen Gründen bisher keiner der Staaten wegen eines Verstoßes gegen seine Kooperationsverpflichtungen verurteilt wurde,60 zeigt doch zumindest die Entders that it would be inappropriate for it to proceed further with hearing the Parties on the merits of the dispute in the absence of a resolution of the problems referred to;“ The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, para. 28, abrufbar unter www.pca-acp.org. Die zu lösenden Probleme derentwegen das Schiedsgericht das Verfahren ausgesetzt hat, betreffen Fragen der Kompetenzverteilung zwischen der EG und den Mitgliedstaaten hinsichtlichtlich des SRÜ. „The Tribunal notes that the European Communities has indicated . . . that it is examining the question whether to institute proceedings unter article 226 of the European Community Treaty. In the circumstances, there is a real possibility that the European Court of Justice may be seised of the question whether the provisions of the Convention on which Ireland relies are matters in realtion to which competences has been transferred to the European Community and, indeed, whether the exclusive jurisdiction of the European Court of Jusitce, with regard to Ireland and the United Kngdom as Member States of the European Community, extends to the interpretation and application of the Convention as such and in its entirety;“ vgl. The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, para. 21, abrufbar unter www.pcaacp.org. 57 Case Concerning the Conservation of Swordfishstocks, ITLOS order 2000/3, para. 2, abrufbar unter www.itlos.org. 58 Für die Anträge Australiens und Neuseelands siehe SBT-ISGH, para. 28, ILM 38 (1999), S. 1624 (1627). 59 ISGH, MOX Plant, para. 26, ILM 41 (2002), S. 405 (408 ff.). 60 Während der Schwertfisch-Fall vorübergehend von den Parteien ausgesetzt wurde, hat sich das SBT-Schiedsgericht für unzuständig erklärt. Demgegenüber hat das SRÜ-Schiedsgericht in der MOX Plant-Streitigkeit bisher noch keine Entscheidung getroffen.

B. Zuständigkeitskonflikte

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scheidung des Appellate Body in U.S. – Shrimp, dass eine mangelnde Kooperation gerichtlich festgestellt werden kann und für die Frage der Rechtmäßigkeit eines Verhaltens durchaus von Bedeutung ist.61 Übertragen auf die Frage, welche Konsequenz aus einer Verletzung der „zwischengerichtlichen“ Kooperationspflicht resultiert, lässt sich daraus nur die Konsequenz ziehen, dass sich das jeweilige Gericht im Falle der Missachtung dieser Pflicht rechtswidrig verhalten hat. Will man eine zwischengerichtliche Kooperationsverpflichtung ernst nehmen, so kann dies nur zur Folge haben, dass eine Entscheidung, die auf Verletzung der Kooperationspflicht beruht, rechtswidrig und damit ungültig ist. Auch wenn die Existenz einer grundsätzlichen Kooperationsverpflichtung zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren nachgewiesen werden konnte, ist diese ihrem Inhalt nach unbestimmt und kann erst durch weitere Konkretisierung derart hinreichend ausgefüllt werden, dass daraus Lösungsansätze für bestehende Zuständigkeits- und auch Auslegungskonflikte gefolgert werden können. Nur so kann das bekannte Phänomen vermieden werden, dass es zu einer „Lücke“ zwischen allgemeiner Kooperationsverpflichtung und diese Verpflichtung konkretisierenden Bestimmungen kommt.62 Eine solche Lücke hätte nämlich zur Folge, dass die allgemeine Kooperationsverpflichtung nur wenig zur konkreten Lösung von Auslegungs- und Zuständigkeitskonflikten beitragen könnte.

B. Zuständigkeitskonflikte Lösungsansätze für bestehende Zuständigkeitskonflikte, welche die allgemeine Kooperationspflicht zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren hinreichend konkretisieren können, müssen die unterschiedlichen Formen von Zuständigkeitskonflikten berücksichtigen. Während doppelte Rechtshängigkeit nur im Falle der vollständigen Identität der Streitparteien und des Streitgegenstandes besteht, liegen konnexe Verfahren bereits dann vor, wenn sich ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Verfahren ergibt, so dass die Entscheidung des einen Gerichts für die des anderen von Relevanz ist, auch ohne dass die Streitparteien und die Streitgegenstände miteinander vollständig übereinstimmen.63 Dementsprechend scheint es im Falle doppelter Rechtshängigkeit sinnvoll, dass die Streitigkeit, auch wenn sie in den An61

U.S. – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 166 ff., ILM 34 (1999), S. 118 (167 ff.). 62 Siehe dazu Schreuer, State Sovereignty and Duty to Cooperate, in: Delbrück (ed.), Cooperation and Sovereignty, S. 161 (164).

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4. Teil: Lösungsansätze

wendungsbereich zweier Übereinkommen fällt, nur einmal entschieden wird, da ansonsten miteinander unvereinbare Entscheidungen drohen. Demgegenüber müssen im Falle konnexer Verfahren Mechanismen entwickelt werden, die eine Berücksichtigung der Entscheidung des anderen Gerichts ermöglichen, ohne dass das eine Verfahren durch das andere verdrängt wird.64

I. Doppelte Rechtshängigkeit Da das Problem der Zuständigkeitskonflikte zumindest im Fall der Anwendbarkeit zweier Übereinkommen auf den strittigen Lebenssachverhalt und den darin vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren deutliche Parallelen zur Problematik der Vertragskollision aufweist, ist zu erwägen, inwieweit die zur Auflösung von Vertragskonflikten vorgesehen Lösungsansätze des allgemeinen Völkerrechts, insbesondere der Grundsatz lex specialis, auf Situationen doppelter Rechtshängigkeit im Sinne eines forum specialis übertragbar sind. Darüber hinaus bieten aber auch die Grundsätze des internationalen Zivilverfahrensrechts zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten – res judicata, lis pendens und forum non conveniens65 – Ansatzpunkte für die Vermeidung doppelter Rechtshängigkeiten im Völkerrecht.

63

Zur Differenzierung zwischen doppelter Rechtshängigkeit und konnexen Verfahren siehe oben 2. Teil E. II. 1. und 2. 64 Gerade im System verbindlicher Streitbeilegung im Völkerrecht, in dem Gerichte grundsätzlich einen beschränkten Jurisdiktionsbereich haben, wäre eine Verdrängung des Verfahrens schon deshalb unzulässig, da ansonsten Rechtsfragen des strittigen Lebenssachverhaltes, die nur im Rahmen des einen Verfahrens berücksichtigt werden können, unentschieden blieben. Verdeutlichen lässt sich dies am Schwertfisch-Fall. Wollte man entweder dem ISGH oder dem WTO-Panel ausschließliche Zuständigkeit zusprechen, so könnte entweder ein Verstoß gegen die Vorschriften des GATT oder die Kooperationsverpflichtungen des SRÜ nicht mehr festgestellt werden, da das mit den Verfahren durchsetzbare Recht auf die jeweiligen Übereinkommen beschränkt ist; vgl. im Ergebnis auch Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (552 f.), der ebenfalls eine ausschließliche Zuständigkeit des WTO-Panels und des ISGH für den Schwertfisch-Fall abgelehnt hat. 65 Während res judicata und lis pendens ihren Ursprung in der kontinental-europäischen Rechtstradition haben, stützt sich das anglo-amerikanische Rechtssystem auf den Grundsatz forum non conveniens, der eine wesentlich flexiblere Handhabung bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts im Falle von Zuständigkeitskonflikten erlaubt; ILA Report 2000, International Civil and Commercial Litigation, S. 137 (142 ff.).

B. Zuständigkeitskonflikte

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1. Forum specialis Forum specialis ist lediglich Ausdruck für die Anwendbarkeit des lex specialis Grundsatzes auf Vorschriften, welche die Zuständigkeit von internationalen Gerichten begründen und aus deren paralleler Anwendbarkeit Zuständigkeitskonflikte in Form doppelter Rechtshängigkeit resultieren können.66 Allerdings ist überaus fraglich, ob dieser Grundsatz zur Auflösung von Situationen doppelter Rechtshängigkeit herangezogen werden kann. Dies ergibt sich bereits aus der parallelen Anwendbarkeit der die Zuständigkeit der jeweiligen Gerichte begründenden Übereinkommen. Denn erst wenn eine solche Parallelität festgestellt wird, können überhaupt Zuständigkeitskonkurrenzen und daraus Zuständigkeitskonflikte entstehen.67 Die parallele Anwendbarkeit der Übereinkommen bedeutet aber auch, dass diese in keinem Verhältnis der Spezialität zueinander stehen, so dass sich dann die Frage stellt, wieso die Streitbeilegungsverfahren dies tun sollten. Ist hingegen der lex specialis Grundsatz bereits auf materiellrechtlicher Ebene anwendbar und begründet damit den Vorrang des einen Übereinkommens gegenüber dem jeweils anderen, so werden von diesem Vorrang auch die Vorschriften über die Streitbeilegung erfasst. Parallele Verfahren und eine daraus resultierende doppelte Rechtshängigkeit sind dann überhaupt nicht mehr möglich. Darüber hinaus ergeben sich bei der Feststellung der Spezialität von Verfahren dieselben Probleme wie bei der Bestimmung der materiellrechtlichen Spezialität. Bisher existieren keine einheitlichen Kriterien, die für eine solche Bestimmung herangezogen werden können,68 so dass die Behauptung, ein Gericht sei forum specialis, letztlich Ausdruck von Beliebigkeit ist. Mithin ist der Grundsatz lex specialis im Sinne eines forum specialis im Falle doppelter Rechtshängigkeit nicht anwendbar.69 66 Auch wenn der lex specialis Grundsatz bisher nur im Verhältnis konfligierender materieller Rechtsnormen Anwendung gefunden hat, steht einer Übertragbarkeit auf das Verhältnis von Vorschriften, die die Zuständigkeit miteinander im Konflikt stehender Streitbeilegungsverfahren begründen, prinzipiell nichts entgegen, da er grundsätzlich auf jeglichen Normenkonflikt Anwendung findet; siehe dazu Marceau, JWT 35 (2002), S. 1081 (1110); Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), S. 302 (325); McLaughlin, GIELR X (1997), S. 29 (72); Neumann, Koordination, S. 539 f. 67 Siehe dazu oben 2. Teil A. I. 68 Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 223. 69 Für die Anwendbarkeit Marceau, JWT 35 (2002), S. 1081 (1110), allerdings ohne weitere Begründung. Ebenfalls kritisch Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), S. 302 (325), die sich aber lediglich auf das Verhältnis von Streitbeilegungsverfahren multilateraler Umweltübereinkommen und WTO-Streitbeilegung beziehen. Allerdings handelt es sich dabei schon nicht um Zuständigkeitskonflikte, sondern vielmehr um konnexe Verfahren, für de-

336

4. Teil: Lösungsansätze

2. Forum non conveniens Der aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammende Grundsatz des forum non conveniens70 erlaubt es einem Gericht, seine Zuständigkeit zu verneinen, wenn ein alternatives Forum existiert, dessen Zuständigkeit erstens unzweifelhaft feststeht, das dem Kläger zweitens einen im Ergebnis äquivalenten Rechtsschutz ermöglicht und das drittens im Verhältnis zum Erstgericht geeigneter ist, so dass das Erstgericht letztlich seine eigene Ungeeignetheit und daraus folgend seine Unzuständigkeit feststellen muss.71 Entscheidungserhebliche Kriterien für die Bestimmung der Gerichtsbarkeit sind damit letztlich die auslegungsbedürftigen Kriterien der „größeren Sachnähe“, der fairness und der reasonableness.72 In der völkerrechtlichen Literatur ist auf den Grundsatz forum non conveniens bisher im Verhältnis von SRÜ-Gerichten und WTO-Paneln für Situationen paralleler Verfahren, wie etwa im Schwertfisch-Fall, zurückgegriffen worden.73 Allerdings ist zum einen die Geltung dieses Grundsatzes74 und zum anderen dessen Geeignetheit zur Lösung von Zuständigkeitskonflikten im Völkerrecht sowohl für das konkrete Beispiel als auch in genereller Hinsicht äußerst fraglich.75

ren Lösung die mit der Anwendbarkeit des forum specialis einhergehende Vorrang des einen Verfahrens ohnehin ungeeignet ist. Weniger eindeutig Neumann, Kooperation, S. 540 f., der den Grundsatz dann anwenden will, wenn ein Verfahren gegenüber dem anderen Vorrang beansprucht. Dem ist zu entgegnen, dass in einer solchen Situation überhaupt keine Zuständigkeitskonflikte entstehen können, da es bereits durch den Vorrang des einen Verfahrens nicht zur Situation paralleler Verfahren kommen kann. Außerdem schließt die den Vorrang des einen Verfahrens begründende Vorschrift, wie auch im Falle einer materiellrechtlichen Kollision, eine Anwendbarkeit des lex specialis Grundsatzes aus, da dieser nur dann eingreift, wenn die Verträge selbst keine oder miteinander unvereinbare Vorschriften über das Verhältnis zu anderen Verträgen enthalten. 70 Für einen Überblick über die Entwicklung der Doktrin in Schottland, England und den USA siehe Zhenjie, NILR 2001, S. 144 (145 ff.). 71 Facwett, Introduction, in: ders. (ed.), Declining Jurisdiction in Private International Law, S. 10 ff.; Erwand, Forum Non Conveniens, S. 40 f.; siehe auch ILA Report 2002, International Civil and Commercial Litigation, S. 137 (143 f.). 72 American Law Institute, Third Restatement, Vol. I, § 403; zu den der Doktrin zu Grunde liegenden Erwägungen siehe Fawcett, Oxford J. Legal Studies 9 (1989), S. 205 ff. 73 Guruswamy, Minn. J. Gl. T. 7 (1998), S. 287 (309 ff.); in der Sache wohl auch McLaughlin, GIELR X (1997), S. 29 (69 ff.), der zwar nicht von forum non conveniens spricht, die WTO-Panel aber in Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit von Handelsbeschränkungen zum Schutze der Meeresumwelt Gegenstand des Verfahrens ist, für grundsätzlich ungeeignet hält. 74 Siehe Neumann, Koordination, S. 553.

B. Zuständigkeitskonflikte

337

Seine Geltung wird mit seinem Charakter als allgemeines Rechtsprinzip begründet, dessen Übertragbarkeit auf das Völkerrecht sich aus seiner grundsätzlichen Geeignetheit zur Auflösung paralleler Verfahren und damit einhergehender Zuständigkeitskonflikte ergebe.76 Auch wenn die dieser Argumentation zu Grunde liegende Annahme richtig ist, dass internationale Gerichte in Fällen, in denen keine völkerrechtlichen Vorschriften für die Lösung eines Problems bestehen, diese Lücke durch die Heranziehung entsprechender Grundsätze des innerstaatlichen und damit auch des internationalen Zivilverfahrensrechts schließen können,77 kann dies doch nur gelten, wenn eine Vergleichbarkeit der jeweiligen Situationen besteht, auf die die Norm in den Rechtsordnungen anwendbar ist bzw. sein soll.78 Existieren gravierende strukturelle Unterschiede, muss eine Übertragbarkeit ausscheiden. Der im innerstaatlichen Recht entwickelte Grundsatz forum non conveniens hat seine eigentliche Grundlage in der angemessenen Berücksichtigung der Parteiinteressen.79 So kann die Klageerhebung im Inland insbe75 Siehe Lowe, Australian Y.B. Intern’l. L. 20 (1999), S. 191 (200 ff.). Hinzu kommt, dass die Doktrin forum non conveniens auch im Internationalen Zivilverfahrensrecht umstritten ist, da sich keine einheitliche Praxis bei ihrer Anwendung feststellen lässt und die Gefahr besteht, dass nationale Gerichte das ihnen eingeräumte Ermessen zugunsten ihrer eigenen Staatsbürger missbrauchen. Dass diese Gefahr durchaus real ist, zeigt der Bhopal-Fall, in dem die Abweisung der Klage auf Grundlage der forum non conveniens Doktrin wohl gerade aus dem Grund erfolgte, weil es sich um ausländische Kläger gegen ein U.S.-amerikanisches Unternehmen handelte. Denn in Anbetracht der Schwierigkeiten, denen sich die Kläger bei einer Klage in ihrem Heimatstaat Indien ausgesetzt sahen, scheint die Schlussfolgerung des U.S.-Gerichts, dass es als Forum nicht geeignet sei, keine andere Interpretation zuzulassen; vgl. Prince, ICLQ 47 (1998), S. 573 (574): „Indeed, the US approach openly discriminates in favor of local litigants, placing unfair obstacles in the way of foreign plaintiffs wishing to sue US companies in the United States“. Darüber hinaus führen die äußerst auslegungsbedürftigen Kriterien zur Feststellung der Geeignetheit des gewählten Forums zu einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit; Schack, Germany, in: Fawcett (ed.), Declining Jurisdiction in Private International Law, S. 189 (194); für weitere Gründe, die die Anwendung der Doktrin auch im internationalen Zivilverfahrensrecht für ungeeignet erscheinen lassen, siehe Zhenjie, NILR 2001, S. 144 (152 ff.); allgemein zur englischen und U.S.-amerikanische Ausprägung der Doktrin vgl. auch Dorsel, Forum Non Conveniens, S. 122 ff. 76 Gruswamy, Minn. J. Gl. T. 7 (1998), S. 287 (308). 77 Grundlegend zur Analogiefähigkeit von Regeln des Privatrechts für das Völkerrecht Lauterpacht, Private Law Sources and Analogies of International Law, S. 71 ff. 78 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 278. 79 So hat der U.S. Supreme Court in Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 US (1981), S. 235 die in Gulf Oil Corp. v. Gilbert, 330 US (1974), S. 501 festgelegten Kriterien zur Bestimmung des geeigneten Forums auch auf internationale Sachverhalte übertragen, so dass die Interessen der Parteien neben Faktoren des öffentlichen In-

338

4. Teil: Lösungsansätze

sondere für einen ausländischen Beklagten unzumutbar sein und damit seine Interessen verletzen, wenn z. B. durch die Wahl des Forums Beweismaterial herangeschafft werden muss oder die Befragung von Zeugen mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist. Dagegen stehen aber auch die Interessen der klagenden Partei. So kann das ausländische Gericht gegenüber dem innerstaatlichen dann nicht als geeigneter angesehen werden, wenn Zweifel an der ausreichenden Berücksichtigung der Rechtsschutzinteressen des Klägers im ausländischen Verfahren bestehen. Diese Feststellung kann auf spezifischen Hindernissen im Verfahren vor dem ausländischen Gericht wie etwa der Verjährung beruhen, aber auch auf Zweifeln an dessen Unparteilichkeit o. Ä. Eine solche Berücksichtigung der Parteiinteressen scheint aber auf völkerrechtlicher Ebene überhaupt nicht notwendig und darüber hinaus auch gar nicht möglich zu sein.80 Dies begründet sich aus den Unterschieden zwischen internationaler und nationaler Gerichtsbarkeit. Während die nationale Gerichtsbarkeit in dem Sinne uneingeschränkt ist, dass Individuen ihr automatisch unterworfen sind, so gilt dies für Staaten nur dann, wenn sie die Gerichtsbarkeit des jeweiligen Gerichts freiwillig akzeptiert haben. Kommt es also zu einer Parallelität von Verfahren, so kann aus dieser Tatsache zumindest abstrakt der Konsens der Streitparteien gefolgert werden, dass das Forum für diese Art von Streitigkeit geeignet ist. Ansonsten hätten die Parteien nicht ihre Zustimmung zur teresses letztlich entscheidend sind. Allerdings ist nach der Entscheidung des U.S. Supreme Court den Interessen eines inländischen Klägers grundsätzlich mehr Gewicht beizumessen als denen eines ausländischen, da im ersteren Falle eine Vermutung dahingehend besteht, dass das gewählte Forum geeignet sei; Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 US (1981), S. 235 (255 f.); zu der Rechtsentwicklung in den USA siehe Dorsel, Forum Non Conveniens, S. 47 ff. Im australischen Recht hat sich der Inhalt der forum non conveniens Doktrin durch die Rechtsprechung des Autralian High Courts hingegen in Richtung eines „clearly inappropriate forum“ Tests entwickelt. Danach ist das gewählte Forum des Klägers nur in den weinigsten Fällen als unzureichend anzusehen. Insbesondere kann die Ungeeignetheit nicht mehr darauf gestützt werden, dass es ein schlicht geeigneteres Forum im Ausland gibt oder dass der Wohnort des Beklagten sich dort befindet; siehe Voth v. Manildra Flour Mills Pty Ltd., CLR 171 (1990), S. 538. Ein wesentlicher Unterschied zu den USA besteht des Weiteren darin, dass die Geeignetheit des Forum nicht von der Frage abhängt, ob es sich um einen inländischen oder ausländischen Kläger handelt; Prince, ICLQ 47 (1998), S. 573 (574). Auch in England enthält die forum non conveniens Doktrin wesentliche Elemente einer Interessenabwägung der involvierten Parteien. So hat das House of Lords hat in der Entscheidung Spiliada Maritime Corp. v. Cansulex Ltd., (1987), S. 460 ff. die Kriterien für die Bestimmung des geeigneten Forums dahingehend festgelegt, dass zum einen die Frage nach dem natürlichen Forum ausschlaggebend sei und zum anderen die Vorteile des Klägers bei seiner Wahl des Forums Berücksichtigung finden müssten; siehe dazu Fawcett, Introduction, in: ders. (ed.), Declining Jurisdiction in Private International Law, S. 1 (11 f.). 80 Siehe Lowe, Australian Y.B. Int’l. L. 20 (1999), S. 191 (200 f.).

B. Zuständigkeitskonflikte

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Begründung der Zuständigkeit gegeben. Dementsprechend erscheint auch die These, dass ein WTO-Panel gegenüber den SRÜ-Gerichten im Falle von handelsrelevanten Seestreitigkeiten zum Schutze der Meeresumwelt grundsätzlich ungeeignet sei, wenig überzeugend.81 Denn beide Parteien haben durch die Anerkennung der Zuständigkeit der WTO-Panel für handelsrechtliche Streitigkeiten zum Ausdruck gebracht, dass diese Form der Streitbeilegung in Bezug auf die Durchsetzung der Rechte und Pflichten in den WTO-Übereinkommen geeignet ist. Dasselbe gilt auch für die Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte für die Frage, ob eine bestimmte Maßnahme zum Schutze der Meeresumwelt mit dem SRÜ vereinbar ist. Wollte man die Ungeeignetheit der WTO-Panel damit begründen, dass diese Umweltschutzaspekte in zu geringem Umfang berücksichtigen,82 so kann dieser Einwand in abgewandelter Form auch die SRÜ-Gerichte treffen, da Fragen des freien Welthandels grundsätzlich nicht im Rahmen eines SRÜ-Verfahrens erörtert werden. Dementsprechend beruht die bessere Geeignetheit der SRÜ-Gerichte lediglich auf dem jeweiligen subjektiven Standpunkt des Betrachters. Auch unabhängig vom konkreten Beispiel der SRÜ-Gerichte und WTOPanel ergeben sich in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Staaten der Gerichtsbarkeit freiwillig unterwerfen, keine geeignete Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der Ungeeignetheit eines Forums.83 Selbst wenn man die Parteiinteressen unberücksichtigt lässt und wie im internationalen Zivilverfahrensrecht auf öffentliche Interessen bzw. im Völkerrecht die Interessen der internationalen Gemeinschaft zurückgreift, ergeben sich aus diesem Perspektivwechsel keine anderen Konsequenzen bezüglich der Geeignetheit der Doktrin. Werden Kriterien, wie die freundschaftlichen Bezie-

81

A. A. Guruswamy, Minn. J. Gl. T. 7 (1998), S. 297 (311 ff.). So ausdrücklich Guruswamy, Minn. J. Gl. T. 7 (1998), S. 297 (311): „. . . GATT Panels are less fair than UNCLOS Tribunals because they are precluded from taking notice of international environmental laws, even though these laws constitute an important segment of international law.“ Diese Aussage lässt aber erstens die Differenzierung zwischen anwendbarem und durchsetzbarem Recht unberücksichtigt und zweitens die Tatsache, dass die Anwendbarkeit WTO-fremden Rechts in WTO-Verfahren keineswegs ausgeschlossen ist; siehe dazu oben 2. Teil B. II. 2. a) bb) (2) und 3. a). Darüber hinaus ist der jüngsten Rechtsprechungspraxis insbesondere des Appellate Body die Tendenz zu entnehmen, Umweltschutzaspekte bei der Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen in wesentlich stärkerem Umfang zu berücksichtigen als dies bei den Paneln des GATT 1947 der Fall war; siehe dazu die umfassende Untersuchung der WTO-Rechtsprechungspraxis bei Neumann, Koordination, S. 164 ff. 83 Natürlich können Staaten in einem konkreten Fall bestimmte Interesse haben, welches von zwei Gerichten den Fall verhandeln soll. Diese Interessen beziehen sich aber dann auf spezielle Aspekte des Sachverhalts und auf prozesstaktische Gründe. Ihre Nichtbeachtung würde aber nicht zu einem „ungerechten“ Nachteil führen. 82

340

4. Teil: Lösungsansätze

hungen zwischen Staaten, bei der Bestimmung des geeigneten Forums in nationalen Verfahren mit internationalen Bezügen berücksichtigt,84 so kann insbesondere dieser Gesichtspunkt offensichtlich bei zwischenstaatlichen Streitigkeiten und der Frage des geeigneten Forums keine Rolle spielen. Und Überlegungen über die größere Sachnähe der Streitigkeit zu dem einen oder anderen Übereinkommen, welches für die Streitigkeit entscheidungserheblich ist, würde zu keinem befriedigenden Ergebnis führen, da deren Bestimmung auf der subjektiven Einschätzung der Parteien beruhen würde.85 Dies zeigt sich bereits im SBT-Fall, in dem Japan letztlich die größere Sachnähe der CCSBT als Kriterium dafür heranzog, dass die Streitigkeit auch allein in deren Rahmen beigelegt werden sollte.86 Bereits die Tatsache, dass zwei Übereinkommen nebeneinander einschlägig sind und auch unterschiedliche Aspekte eines strittigen Sachverhalts regeln können, erstickt Überlegungen, welches der Übereinkommen die größere Sachnähe aufweist, im Keim, will man ein Mindestmaß an Rechtssicherheit gewährleisten. Dies gilt erst recht für Streitigkeiten, die Bezüge zu unterschiedlichen Sachbereichen aufweisen. Darüber hinaus müssen auch Zweifel an der Geeignetheit der Doktrin in Bezug auf die Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten an sich geäußert werden. Kommt es zu parallelen Verfahren zwischen denselben Streitparteien über denselben Streitgegenstand und hält sich ein Gericht für das geeignete Forum, so hat dies keine Bindungswirkung für andere mit der Streitigkeit befasste Gerichte, die sich ebenfalls für geeignet halten können. In einer solchen Konstellation kann der Grundsatz forum non conveniens keinen Lösungsansatz für die Auflösung von Zuständigkeitskonflikten bieten. 84

Siehe dazu Fawcett, Oxford J. Legal Studies 8 (1989), S. 205 (212). A.A. für das Verhältnis von Streitbeilegungsvorschriften in multilateralen Umweltübereinkommen und der WTO-Rechtsordnung Ohlhoff/Schloemann, Rational Allocation of Disputes, in: Cameron/Campbell (eds.), Dispute Resolution in the WTO, S. 302 (323 ff.). Kommt es zu Streitigkeiten, in denen sowohl ein Verstoß gegen die Vorschriften eines multilateralen Umweltübereinkommens, welches die Einführung von Handelsbeschränkungen nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt, als auch ein Verstoß gegen die WTO-Übereinkommen geltend gemacht wird, so müssten die Parteien unter Abwägung ihrer Interessen den Charakter der Streitigkeit und damit die größere Sachnähe bestimmen. „In this case, the parties may well consider its international trade law aspect as anciallary.“; S. 325. Auf Grundlage welcher Kriterien diese Aussage getroffen wird, ist nicht ersichtlich. Außerdem können aus dem ersten Bericht des CTE 1996 völlig andere Schlussfolgerungen gezogen werden; CTE Report 1996, WT/CTE/1, para. 8: „The WTO has no competence in the area of environmental matters per se, but it is concernded with trade measures applied pursuant to MEAs which can effect WTO Members’ rights and obligations.“ Damit wird auch die Beliebigkeit und damit die Ungeeignetheit des Ansatzes der größeren Sachnähe deutlich. 86 Zur japanischen Argumentation bezüglich des Vorrangs der CCSBT siehe oben 1. Teil D. IV. 1. und 2. Teil C. V. 2. 85

B. Zuständigkeitskonflikte

341

Wegen der Unterschiede zwischen völkerrechtlicher und nationaler Gerichtsbarkeit sowie der mit der Anwendung der Doktrin verbundenen Rechtsunsicherheiten und ihrer grundsätzlichen Ungeeignetheit zur Auflösung von Zuständigkeitskonflikten ist eine Übertragung des forum non conveniens Grundsatzes auf das Völkerrecht abzulehnen. 3. Res judicata Ist eine Streitigkeit zwischen denselben Streitparteien bereits von einem internationalen Gericht entschieden worden, so ist es den Parteien nicht gestattet, dieselbe Streitigkeit erneut demselben oder einem anderen Gericht, Tribunal oder gerichtsähnlich ausgestaltetem Streitbeilegungsverfahren zu unterbreiten.87 Dieser als res judicata bekannte Grundsatz hat seinen Ursprung darin, dass Urteile internationaler Gerichte grundsätzlich endgültig und ohne Revisionsmöglichkeit sind.88 Auch wenn seine Geltung für Verfahren vor dem IGH aus einer Zusammenschau der Art. 59, 60 und 61 IGH-Statut gefolgert wird,89 so gilt er unabhängig davon auch in Verfahren vor anderen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren, deren Statut oder Verfahrensordnung seine Anwendung weder explizit noch implizit anordnen.90 Bereits im Chorzów Factory87

Collier/Lowe, Settlement of Disputes, S. 177; Lowe, AJICL 8 (1996), S. 38 f. Von diesem Grundsatz bestehen einige Ausnahmen, so etwa wenn eine Überprüfungsmöglichkeit vertraglich zugelassen wird, wie im Rahmen der WTO-Verfahren; siehe oben 1. Teil B. III. 1. b). Darüber hinaus ergeben sich drei weitere Situationen, in denen der Grundsatz res judicata auch ohne ausdrückliche Anordnung durchbrochen wird: im Falle eines Fehlers, in Situationen, in denen eine der Parteien eine Auslegung der ursprünglichen Entscheidung durch das Gericht verlangt oder im Falle des Auftretens neuer Tatsachen. Alle diese drei Möglichkeiten der „Berichtigung“ einer Entscheidung sind nur im Falle des Vorliegens einschränkender Voraussetzungen gegeben. So muss eine neue Tatsache einerseits entscheidungserheblich sein und andererseits ist sie nur dann „neu“, wenn sie zum Zeitpunkt des Urteils weder bekannt war noch der Partei bekannt sein musste. Zu den Ausnahmen vom res judicata Grundsatzes siehe Bowett, AJICL 8 (1996), S. 577 (579 ff.); zur Möglichkeit der Überprüfung von IGH-Urteilen durch den IGH selbst und den entsprechenden im Statut enthaltenen Voraussetzungen siehe Rosenne, Law and Practice, vol. III, S. 1669 ff. 89 Rosenne, Law and Practice, vol. III, S. 1655 f. 90 So enthält das DSU keine Aussage zur materiellen Rechtskrafterstreckung bereits angenommener Panel-Berichte. Dennoch ist anerkannt, dass Streitigkeiten, die bereits Gegenstand eines Panel Verfahrens waren, nicht erneut durch ein anderes Panel überprüft werden können, sofern es sich um denselben Streitgegenstand und dieselben Parteien handelt; Panel Report, India – Measures Affecting the Automotive Sector, WT/DS146, WT/DS175/R, 21.12.2001, para. 7.62–7.66; siehe auch Nichols, VirgJIL 36 (1996), S. 379 (433 f.) und Letzel, WTO-Streitbeilegung, S. 313 f., die die Geltung des Prinzips aber fälschlicherweise mit seiner de facto Anerkennung im 88

342

4. Teil: Lösungsansätze

Fall hat Richter Anzilotti in seiner abweichenden Meinung die Geltung des res judicata Prinzips mit seinem Charakter als allgemeiner Rechtsgrundsatz begründet.91 Auch haben zahlreiche Schiedsgerichte seine Anwendbarkeit im Völkerrecht bejaht,92 so dass er heutzutage als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut in allen internationalen Verfahren gilt.93 Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist neben der Identität der Parteien die Identität des Streitgegenstandes.94 Für den Fall, dass eine Streitigkeit bereits entschieden wurde, kann der Grundsatz res judicata damit die Existenz von Zuständigkeitskonflikten in Form doppelter Rechtshängigkeiten wirksam vermeiden. 4. Lis pendens Auch wenn der Grundsatz res judicata grundsätzlich geeignet ist, Zuständigkeitskonflikte zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren zu vermeiden, so gilt dies doch nur für den Fall, dass dieselbe Streitigkeit bereits durch ein Gericht entschieden wurde, nicht aber, wenn dieselbe Streitigkeit vor zwei Gerichten anhängig ist, ohne dass es bisher in einem der Verfahren zu einer Entscheidung gekommen ist. Eine solche Konstellation hätte sich in der MOX Plant-Streitigkeit stellen können, in der die Einsetzung eines SRÜ-Schiedsgerichts noch vor der Entscheidung des OSPAR-Schiedsgerichts beantragt wurde.95 Für die Anwendung des Grundsatzes res judicata bleibt jedoch Raum, da WTO-Recht begründen und nicht mit seinem Charakter als allgemeiner Rechtsgrundsatz. 91 Chorzów Factory Case (interpretation), Dissenting Opinion Judge Anzilotti, PCIJ Ser. A, No. 13, S. 23 ff. 92 Siehe dazu die Nachweise des Schiedsgerichts im Trail Smelter Case (United States v. Canada), 15.4.1941, RIAA, vol. III, S. 1905 (1951 ff.), das den Grundsatz ebenfalls für anwendbar erklärt hat; vgl. auch die bei Lowe, AJICl 8 (1996), S. 38 (39 f.), aufgeführten Schiedssprüche. 93 Collier/Lowe, Settlement of Disputes, S. 261 f. 94 Da die Identität des Streitgegenstandes auch bei inhaltsgleichen Normen verschiedener Übereinkommen vorliegen kann, findet der Grundsatz res judicata auch im Verhältnis von Verfahren im Rahmen unterschiedlicher Übereinkommen Anwendung, auch wenn deren durchsetzbares Recht nicht dasselbe, sondern lediglich inhaltlich identisch ist; a. A. Neumann, Koordination, S. 639 f., der die Anwendbarkeit aufgrund eines zu engen Verständnisses des Begriffs einheitlicher Streitgegenstand verneint. Zur Problematik des Streitgegenstandsbegriffs im Völkerrecht siehe oben 2. Teil F. II. 1. 95 Einschränkend sei erwähnt, dass die Identität des Streitgegenstandes in den beiden Verfahren letztlich noch nicht eindeutig geklärt ist, so dass nicht abschließend feststeht, ob es in der MOX Plant-Streitigkeit überhaupt zu einem Zuständigkeitskonflikt kommt.

B. Zuständigkeitskonflikte

343

die Entscheidung des OSPAR-Schiedsgerichts noch vor der eigentlichen Aufnahme des Verfahrens vor dem SRÜ-Schiedsgericht erging.96 Andernfalls hätte sich ein Zuständigkeitskonflikt – unter der Voraussetzung, dass man eine (zumindest partielle) Identität der Streitgegenstände bejaht – zwischen SRÜ- und OSPAR-Schiedsgericht nicht durch die Anwendung dieses Grundsatzes vermeiden lassen können. Einen Lösungsansatz für die Fälle, in denen res judicata aufgrund der zeitlichen Parallelität der Fälle nicht anwendbar ist, bietet aber der aus dem internationalen Zivilverfahrensrecht bekannte Grundsatz lis pendens, dessen Grundaussage darin besteht, dass sich im Falle paralleler Verfahren über denselben Streitgegenstand das Gericht, bei dem die Klage später eingegangen ist, für unzuständig erklären muss, wenn das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit in dem Verfahren bejaht.97 Allerdings finden sich in der völkerrechtlichen Rechtsprechung bisher nur wenige Fälle, in denen sich internationale Gerichte mit diesem Prinzip und seiner Geltung auseinandergesetzt haben. Eine erste Erwähnung findet der lis pendens Grundsatz in der Entscheidung des StIGH im Fall Polish Upper Silesia.98 In dem Verfahren musste sich der Gerichtshof mit dem Einwand Polens auseinandersetzen, dass das Verfahren solange auszusetzen sei, bis der nach dem deutschpolnischen Abkommen über Oberschlesien99 zuständige und auf Grundlage des Versailler Friedensvertrages errichtete Deutsch-Polnische Gemischte Schiedsgerichtshof über eine bei ihm eingereichte Klage der Oberschlesischen Stickstoffwerke bezüglich desselben Sachverhalts entschieden hatte. Der StIGH hat dies zwar u. a. als lis pendens Einwand gewertet, die Frage nach seiner Geltung im Rahmen völkerrechtlicher Verfahren letztlich aber unentschieden gelassen, da seiner Ansicht nach schon die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Grundsatzes nicht vorlagen.100 Soweit der Gerichtshof dieses Ergebnis auf eine mangelnde Identität der Parteien gestützt hat sowie auf die Tatsache, dass Gegenstand des Verfahrens vor dem Deutsch96 Die Entscheidung des OSPAR-Schiedsgerichts liegt bereits vor, während das Schiedsgericht in der MOX Plant-Streitigkeit über die Zulässigkeit der Klage noch nicht entschieden und das Verfahren zunächst ausgesetzt hat, um eine für die Zulässigkeit relevante Entscheidung der Kommission und möglicherweise des EuGH abzuwarten; siehe dazu die Informationen auf der Internetseite des Permanent Court of Arbitration, pending and recent judgements, insbesondere The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits and Request for Further Provisional Measures, 24.6.2003, paras. 20, abrufbar unter www.pcacpa.org/RPC. 97 Lowe, Australian Y.B. Int’l. L. 20 (1999), S. 191 (202). 98 Polish Upper Silesia, PCIJ, Ser. A, No. 6, S. 18 ff. 99 Deutsch-polnisches Abkommen über Oberschlesien, 15.5.1922, RGBl II, 1922, S. 238 ff. 100 Polish Upper Silesia, PCIJ, Ser. A, No. 6, S. 20.

344

4. Teil: Lösungsansätze

Polnischen Gemischten Schiedsgerichtshof eine Schadensersatzforderung war, während die Aufgabe des Gerichtshofs im konkreten Fall darin bestand, ein deklaratorisches Urteil über eine mögliche Verletzung des Genfer Vertrages zu fällen, kann diesem Ergebnis zugestimmt werden, da in der Konstellation die wesentlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer doppelten Rechtshängigkeit nicht vorlagen. Demgegenüber ist die Begründung, dass es sich bei StIGH und dem Deutsch-Polnischen Gemischten Schiedsgerichtshof um Gerichte unterschiedlichen Charakters handle, zwischen denen der Grundsatz lis pendens keine Anwendung finde, weniger überzeugend, zumal der Gerichtshof den vermeintlich unterschiedlichen Charakter nicht weiter erläutert hat.101 Bezieht sich die Aussage auf die Tatsache, dass vor dem Deutsch-Polnischen Gemischten Schiedsgerichtshof auch Privatpersonen Klagen einreichen können, so würde damit nichts anderes zum Ausdruck gebracht werden, als dass keine Parteienidentität in den Verfahren herrscht und damit auch keine Situation doppelter Rechtshängigkeit besteht. Sollen damit aber prinzipielle Unterschiede zwischen Gerichtshof und dem Deutsch-Polnischen Gemischten Schiedsgerichtshof betont werden, so stellt sich die Frage, worin diese bestehen. Denn sowohl die Zuständigkeit des StIGH als auch die Errichtung des Tribunals beruhen auf völkerrechtlichem Vertrag und wenden in den in Frage stehenden Verfahren Vorschriften desselben völkerrechtlichen Vertrages – dem bereits erwähnten deutsch-polnischen Abkommen über Oberschlesien – an, so dass es sich in beiden Fällen um internationale Gerichte handelt, in deren Rahmen die Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrages geltend gemacht werden kann. Dass diese Gerichte unterschiedlichen Charakters sind, so dass der Grundsatz lis pendens allein deswegen keine Geltung beanspruchen kann, erscheint deshalb wenig schlüssig, es sei denn, dass damit die fehlende Identität der Parteien gemeint ist. Auch wenn der StIGH letztlich nur das Vorliegen der Voraussetzungen von lis pendens verneint und sich zur grundsätzlichen Geltung im Völkerrecht nicht geäußert hat, kann seinen Ausführungen diesbezüglich dennoch eine, wenn auch eher negative Tendenz, entnommen werden. Denn der StIGH hat in seiner Entscheidung betont, dass bereits die Anwendbarkeit im Internationalen Zivilverfahrensrecht jenseits völkervertraglicher Regelungen nicht gesichert sei.102 Es erscheint von daher unwahrscheinlich, dass er eine dementsprechende Geltung im Völkerrecht angenommen hätte, sofern es nicht vertragliche Vorschriften gegeben hätte. Demgegenüber könnte der Charzów Factory-Fall103 des StIGH in eine andere Richtung deuten. Der Entscheidung liegt zwar prinzipiell dieselbe 101 102

Polish Upper Silesia, PCIJ, Ser. A, No. 6, S. 20. Polish Upper Silesia, PCIJ, Ser. A, No. 6, S. 20.

B. Zuständigkeitskonflikte

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Konstellation zu Grunde wie im Fall Polish Upper Silesia. Allerdings hat Deutschland nicht nur eine deklaratorische Entscheidung über die Verletzung von Vorschriften des Genfer-Vertrages verlangt, sondern auch Wiedergutmachung für den entstandenen Schaden. Dementsprechend ist es durchaus überlegenswert, inwieweit es sich vorliegend faktisch nicht doch um dieselben Parteien handelt, da Deutschland lediglich einen Anspruch für einen eigenen Staatsangehörigen geltend machte. Dementsprechend sah sich der Gerichtshof nicht in der Lage, die Begründung aus dem Fall Polish Upper Silesia zu übernehmen.104 Vielmehr untersuchte er, ob aufgrund der veränderten Konstellation nicht in diesem Fall die bereits beim DeutschPolnischen Gemischten Schiedsgerichtshof anhängige Klage gegenüber dem StIGH-Verfahren zumindest bis zur Entscheidung des Schiedsgerichtshofes eine Sperrwirkung entfaltet. Auch wenn der Gerichtshof dies letztlich aus dem Grunde abgelehnt hat, dass sich die Jurisdiktion des StIGH und die des Tribunals auf unterschiedliche Vorschriften und daraus resultierende Ansprüche des Genfer Vertrages beziehen,105 so dass vorliegend nicht von einer Identität der Streitgegenstände gesprochen werden könne, hat er die grundsätzliche Möglichkeit, dass die Anhängigkeit einer früheren Klage vor einem anderen Gericht die eigene Zuständigkeit für den Fall der Identität der Streitgegenstände und der Streitparteien sperren könnte, nicht bestritten. Allerdings muss einschränkend erwähnt werden, dass er die Anwendbarkeit des lis pendens Grundsatzes auch nicht ausdrücklich bejaht hat. Dementsprechend kann auch der Entscheidung des StIGH im Charzów Factory-Fall keine eindeutige Aussage über die Geltung von lis pendens im Völkerrecht entnommen werden. Nach dieser Entscheidung finden sich erst wieder bei Richter Treves in seiner seperate opinion im Verfahren über den Erlass vorläufiger Maßnahmen in der MOX Plant Streitigkeit Ausführungen zu lis pendens. „It (Art. 282) leaves completely open the question as to whether, in a case a dispute concerning the interpretation of provisions of a treaty different from the Convention, but equivalent or similar to provisions of the Convention, has been submitted to a court or tribunal competent under the provision of such treaty, the dispute settlement bodies competent under the Convention would consider it fit to hear a dispute concerning the equivalent or similar provisions of the Convention. The existence and content of a customary law rule or of a general principle concerning the consequences of litispendence . . . between courts and tribunals might be discussed in such situation.“106

103

Charzów Factory (Juridiction), PCIJ, Ser. A, No. 8, S. 25 ff. Charzów Factory (Juridiction), PCIJ, Ser. A, No. 8, S. 26 f. 105 Charzów Factory (Juridiction), PCIJ, Ser. A, No. 8, S. 2. 106 ISGH, MOX Plant, Separate Opinion Judge Treves, para. 5, ILM 41 (2002), S. 430. 104

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4. Teil: Lösungsansätze

Allerdings machen auch diese Ausführungen deutlich, dass die Geltung dieses Grundsatzes im Völkerrecht bisher ungeklärt ist. Selbst wenn einige Staaten lis pendens im innerstaatlichen Recht anerkennen und es auch Eingang in internationale Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Urteilen gefunden hat, so kann allein daraus erstens keine völkergewohnheitsrechtliche Geltung gefolgert werden, und zweitens wird damit keine Aussage über eine mögliche Übertragbarkeit einer solchen Regelung auf das Verhältnis von vor völkerrechtlichen Gerichten anhängig gemachten Klagen getroffen. Letzteres ist aber aus zwei Gründen eindeutig zu bejahen: Zum einen bietet lis pendens im Falle eines Zuständigkeitskonflikts eine eindeutige Möglichkeit, miteinander unvereinbare Urteile zu vermeiden, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig ausschließen. Es dient damit im Gegensatz zu der äußerst ungenauen Doktrin forum non conveniens der Rechtssicherheit.107 Zum anderen, ebenfalls in der Abgrenzung zu forum non conveniens, hat der Ursprung von lis pendens seine Gründe nicht in den Besonderheiten nationaler Gerichtssysteme,108 sondern gilt als ein Prinzip „guter Ordnung“ in jeglichem Gerichtssystem, sei es auch noch so rudimentär angelegt wie das internationale. „These are doctrines (lis pendens, abuse of process and res judicata) that do not derive their persuasive force from the (municipal) litigation context within each they operate. Their rationale is independent of the convenience and interests of the litigating parties. Rather, it proceeds from requirements of good order that are applicable to each and every judicial system“109

Auch wenn damit der Anwendbarkeit von lis pendens im Völkerrecht keine grundsätzlichen Bedenken entgegenstehen,110 kann dies noch nicht 107

Schack, Germany, in: Fawcett (ed.), Declining Jurisdiction, S. 189 (194). Für die mangelnde Eignung von forum non conveniens aus ebendiesem Grund siehe oben 4. Teil B. I. 2. 109 Lowe, Australian Y.B. Intern’l. L. 90 (1999), S. 191 (202). 110 A. A. Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (77 f.), die die Anwendbarkeit gerade deshalb für fraglich hält, weil internationale Gerichte in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen und von den Staaten für jeweils spezielle Zwecke errichtet werden. Daraus leitet sie in Anlehnung an die Rechtsprechung des StIGH im Fall Polish Upper Silesia, PCIJ, Ser. A, No. 6, S. 20 den unterschiedlichen Charakter internationaler Gerichte her, aufgrund dessen lis pendens im Völkerrecht unanwendbar ist. Dem ist entgegen zuhalten, dass gerade die fehlende Hierarchisierung des internationalen Gerichtssystems die Notwendigkeit begründet, dass internationale Gerichte die Verfahren vor jeweils anderen Gerichten beachten. Gerade eine Nichtbeachtung könnte zu einer de facto Hierarchisierung führen. Außerdem ist es wenig überzeugend, den unterschiedlichen Charakter internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren damit zu begründen, dass sie in Bezug auf eine bestimmtes Übereinkommen oder Vertragsordnung errichtet werden und nur dessen Recht durchsetzen können. Ein unterschiedlicher Charakter scheint vielmehr dann vorzuliegen, wenn die 108

B. Zuständigkeitskonflikte

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eine rechtliche Pflicht zur Beachtung zwischen internationalen Gerichten begründen. Eine Verbindlichkeit von lis pendens kann nur aus der Tatsache hergeleitet werden, dass internationale Gerichte in keinem hierarchischen Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander stehen. Würden internationale Gerichte von daher den Einwand lis pendens unberücksichtigt lassen, so könnte dies zu einer faktischen Herausbildung eines hierarchischen Systems führen. Gegen ein Anwendung dieses Grundsatzes spricht auch nicht die Unabhängigkeit internationaler Gerichte, die ohnehin durch die grundsätzlich bestehende „zwischengerichtliche“ Kooperationspflicht eingeschränkt ist.111 Dementsprechend kann lis pendens als Konkretisierung dieser Pflicht zur Zusammenarbeit in Form negativer Kooperation verstanden werden. Darüber hinaus ist lis pendens gerade in der etwas älteren Völkerrechtsliteratur als Beispiel für im Völkerrecht anerkannte allgemeine Rechtsgrundsätze angeführt worden: „. . . which in virtue of their own cogency are basic to legal systems generally, and hence part of the ius gentium strictly speaking . . .“112

Dies erscheint insoweit konsequent, als dass auch der res judicata Grundsatz, also die Erstreckung der Rechtskraft auf ein identisches Verfahren, als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt ist und lis pendens letztlich als Vorwegnahme des Einwandes der Rechtskraft verstanden werden kann.113 Die aus der Anwendung resultierende Konsequenz ist, dass internationale Gerichte sich im Falle einer bereits bei einem anderen internationalen Gericht anhängigen Klage für unzuständig erklären müssen, wenn es sich um identische Streitparteien und einen identischen Streitgegenstand handelt.114 Problematisch sind allerdings die Fälle, in denen die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts nicht eindeutig feststeht. Würde das Gericht sich in einem solchen Fall für unzuständig erklären, so könnte es zu der im internationalen Zivilverfahrensrecht als negativer Kompetenzkonflikt bezeichneten Situation kommen, dass beide Gerichte sich für unzuständig erklären.115 Dass es eine solche Situation nicht nur zu vermeiden gilt, son-

Gerichte unterschiedliche Aufgaben erfüllen; z. B. internationale Straftribunale und der ICC im Verhältnis zum IGH. Dass in einem solchen Verhältnis lis pendens keine Anwendung findet, ist im Grunde selbstverständlich, ergibt sich aber auch aus der mangelnden Identität der Parteien. 111 Siehe dazu oben 4. Teil A. III. 3. 112 O’Connell, vol. I, 1. Aufl., S. 13. 113 So Hau, positive Kompetenzkonflikte, S. 62, für das internationale Zivilverfahrensrecht. 114 Lowe, Australian Y.B. Intern’l. L. 20 (1999), S. 191 (203). 115 Zum Phänomen negativer Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilverfahrensrecht siehe statt vieler Schack, IZV, Rn. 395 ff.; Geimer, IZPR, Rn. 1024 ff.

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4. Teil: Lösungsansätze

dern dass sie darüber hinaus mit der Funktion eines Gerichts nicht vereinbar ist, hat bereits der StIGH im Charzów Factory-Fall festgestellt. „. . . the Court, when it has to define its jurisdiction in relation to that of another tribunal, cannot allow its own jurisdicition to give way unless confronted with a clause which it considers sufficiently clear to prevent the possibilty of a negative conflict of jurisdiction involving the danger of a denial of justice“116

Allerdings ist die vom Gerichtshof aus dieser Feststellung gezogene Konsequenz – er hat seine Zuständigkeit bejaht – nicht überzeugend. Vielmehr erscheint es in Anlehnung an die Praxis im Internationalen Zivilverfahrensrecht117 vorzugswürdig, das Verfahren bis zur Entscheidung des ersten Gerichts über seine eigene Zuständigkeit auszusetzen.118

II. Konnexe Verfahren Die Problematik der konnexen Verfahren im Völkerrecht ist aufgrund der unterschiedlichen Fallkonstellationen äußerst komplex. Dies hat seine Ursache darin, dass Konnexität letztlich nur den Umstand beschreibt, dass parallel geführte Verfahren auch dann miteinander im Zusammenhang stehen können, wenn den Streitigkeiten kein identischer Streitgegenstand zu Grunde liegt, ohne dass damit eine Aussage über das Ausmaß des Zusammenhangs getroffen wird.119 Somit kann die Konnexität der Verfahren auf verschiedenen Umständen beruhen. Im Schwertfisch-Fall etwa bestand in beiden Verfahren Parteienidentität. Da es sich aber um parallel auf denselben strittigen Sachverhalt anwendbare Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche handelt, kann nicht von einer Identität des Streitgegenstandes ausgegangen werden. Allerdings besteht aufgrund der Interdependenz der Übereinkommen dennoch ein Zusammenhang zwischen den Verfahren in der Form, dass die Entscheidung über eine ausreichende Kooperation nach dem SRÜ für die Auslegung der Kooperationsobliegenheit nach Art. XX GATT von entscheidender Bedeutung ist.120 Die Konnexität beruht also auf der mittelbaren Vertragsverschränkung der beiden Übereinkommen hinsichtlich des strittigen Sachverhalts. 116

Charzów Factory (juridiction), PCIJ, Ser. A, No. 8, S. 30. Diese Praxis ist zugegebenermaßen nicht einheitlich; sie gilt aber gem. Art. 27 GVO für den europäischen Raum und in einigen kontinental europäischen Rechtsordnungen. Auch in Deutschland könnte eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts bezüglich seiner Zuständigkeit mit einer analogen Anwendung des § 148 ZPO begründet werden; siehe dazu Schack, IZV, Rn. 764. 118 So auch Lowe, Australian Y.B. Intern’l. L. 20 (1999), S. 191 (203). 119 Siehe dazu oben 2. Teil E. II. 2. 120 Zur inhaltlichen Parallelität siehe 2. Teil B. I. 117

B. Zuständigkeitskonflikte

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Umgekehrt kann der Zusammenhang der Verfahren auch darauf beruhen, dass in parallelen Verfahren identische Normen entscheidungserheblich sind, ohne dass dies für die Streitparteien gilt. So mussten sowohl der IGH im La Grand-Fall als auch der AGMR in einem Gutachtenverfahren darüber entscheiden, inwieweit das U.S.-amerikanische Verhalten Art. 36 Abs. 1 lit. (b) Konsularrechtskonvention verletzt, wobei beiden Verfahren letztlich identische Sachverhalte zu Grunde lagen.121 Darüber hinaus zeigt die Auseinandersetzung um den Helms-BurtonAct,122 dass die beiden aufgeführten Konstellationen auch zusammentreffen können. Sowohl die EG, als auch Kanada und Mexiko waren von der Rechtswidrigkeit der Maßnahme überzeugt. Während die EG nur die Einsetzung eines WTO-Panels als Forum zur Beilegung der Streitigkeit beantragen konnte, eröffnete sich für Kanada und Mexiko die Möglichkeit, zwischen NAFTA und WTO zu wählen. Beide Staaten haben sich für erstere Möglichkeit entschieden, da NAFTA ihnen weitergehende Rechte einräumt als die Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung dies tun.123 Dementsprechend beantragte Kanada bereits im März 1996 Konsultationen mit den USA, denen sich Mexiko anschloss, während die EG nach erfolglosen Verhandlungen im Oktober 1996 die Einsetzung eines WTO-Panels verlangte. Auch wenn NAFTA partiell weitergehende Rechte für Kanada und Mexiko garantiert, so hätte sich in beiden Verfahren dennoch die Frage gestellt, ob der Helms-Burton-Act durch die jeweiligen Ausnahmevorschriften zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit hätte gerechtfertigt werden können. Da die diesbezüglichen Vorschriften im GATT und NAFTA im Grunde wortgleich sind, hätte eine Fortsetzung der Verfahren letztlich dazu geführt, dass zwar zu unterschiedlichen Übereinkommen gehörende, aber inhaltsgleiche Normen in den jeweiligen Verfahren entscheidungserheblich geworden wären,124 so dass auch in dieser Konstellation von einer Konnexität der Verfahren gesprochen werden kann. Bisher finden sich in der völkerrechtlichen Literatur kaum Ansätze zur Lösung der den konnexen Verfahren zu Grunde liegenden Problematik. Lediglich Neumann hat verschiedene Möglichkeiten angesprochen, die sich jedoch auf die Vermeidung paralleler Verfahren allgemein und nicht so sehr auf das Phänomen konnexer Verfahren beziehen. Zu diesen Lösungsansätzen gehört u. a. die Etablierung des IGH als neutrale Instanz entweder in Form einer Revisionsinstanz oder in Form eines Vorlageverfahrens.125 Ins121

1. Teil D. II. 1. 1. Teil D. IV. 3. c). 123 Gantz, Am. U. Int’l L. Rev. 14 (1999), S. 1025 (1068). 124 Zur Identität der Rechtfertigungsvoraussetzungen nach Art. XXI lit. b) GATT und Art. 2102 Abs. 1 lit. b) NAFTA siehe oben 1. Teil D. IV. 3. c). 122

350

4. Teil: Lösungsansätze

besondere für Streitfälle wie den Schwertfisch-Fall, die in den Anwendungsbereich verschiedener Übereinkommen unterschiedlicher Sachbereiche fallen und in denen aufgrund der Interdependenz der Sachbereiche das Recht des einen Übereinkommens für die Auslegung der Vorschriften des anderen Übereinkommens relevant ist, hat er sich für eine Vorlagepflicht ausgesprochen. Das Streitbeilegungsorgan, welches vertragsfremdes Recht zur Auslegung der eigenen Vertragsordnung heranziehen muss, habe bei Auslegungsfragen bezüglich des ordnungsfremden Rechts kompetente Organe der betroffenen Vertragsordnung anzurufen.126 Übertragen auf den SchwertfischFall würde das bedeuten, dass ein WTO-Panel verpflichtet wäre, die Rechtsauffassung des ISGH einzuholen. Auch wenn solche Strukturen positiver Kooperation die von Guillaume in seiner Ansprache vor der Generalversammlung gestellte Forderung nach einem Dialog zwischen internationalen Gerichten127 realisieren würde, so stellt sich zumindest im Falle konnexer Verfahren die Frage der Notwendigkeit solcher Strukturen. Denn grundsätzlich kann hier nach dem Vorbild des Internationalen Zivilverfahrensrechts durch eine Aussetzung des jeweils betroffenen Verfahrens die Existenz divergierender Entscheidungen vermieden werden. Auch eine Zusammenlegung der Verfahren ist zumindest theoretisch möglich. So sieht Art. 28 Abs. 1 GVO vor, dass im Falle konnexer Verfahren das später angerufene Gericht das Verfahren bis zum Abschluss des damit im Zusammenhang stehenden Verfahrens vor einem Gericht in einem anderen EGMitgliedstaat aussetzen kann. Nach Abs. 2 kann das Gericht die Klage auch unter der Voraussetzung abweisen, dass eine Zusammenlegung der Prozesse bei dem Gericht, wo die erste Klage anhängig gemacht wurde, möglich ist. Auch wenn diese Ansätze zumindest partiell auf das Völkerrecht übertragbar sind, weisen die dort auftretenden Konstellationen zahlreiche Besonderheiten auf, die eine genaue Prüfung dahingehend erforderlich machen, ob eine Aussetzung oder eine Klageabweisung nach Zusammenlegung der Prozesse überhaupt möglich ist. Die Zusammenlegung konnexer Verfahren ist zumindest aus der WTOStreitbeilegung bekannt. Sie bezieht sich dort gem. Art. 9 Abs. 1 DSU aber nur auf solche Situationen, in denen mehr als ein WTO-Mitglied die Einsetzung eines WTO-Panels wegen derselben Angelegenheit verlangt.128 Auch 125

Neumann, Koordination, S. 575 ff. Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (567). 127 Ansprache des Präsident des IGH vor der UN-Generalversammlung, 26.10.2000; abrufbar unter www.icj-cij.org. 128 Nach dem Wortlaut der Vorschrift können mehrere Verfahren gegen einen Mitgliedstaat wegen derselben Angelegenheit zusammengelegt werden. Eine Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht. Allerdings müssen wichtige Gründe für eine Nichtzusammenlegung sprechen, da gem. Art. 9 Abs. 1 S. 2 DSU „nach Möglich126

B. Zuständigkeitskonflikte

351

der IGH hat miteinander im Zusammenhang stehende Verfahren, wie etwa im North Sea Continental Shelf Case,129 zusammengelegt, wobei die Verfahren zwar rechtlich voneinander getrennt blieben, tatsächlich aber zusammen verhandelt wurden.130 Allerdings zeigen diese Beispiele, dass es sich dabei um Verfahren vor demselben Gericht bzw. gerichtähnlich ausgestaltetem Streitbeilegungsverfahren handelt. Grundsätzlich könnte zwar für Situationen, in denen es zu konnexen Verfahren vor Streitbeilegungsinstitutionen verschiedener Übereinkommen oder völkerrechtlicher Ordnungen desselben Sachbereichs kommt, auch über die Möglichkeit einer vertragsübergreifenden Zusammenlegung der Verfahren nachgedacht werden. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass die einzelnen Ordnungen sowohl prozessuale, als auch materiellrechtliche Besonderheiten aufweisen, scheint eine solche Zusammenlegung nicht sachgemäß, so dass die Überlegung ein theoretisches Konstrukt bleibt. Dies verdeutlichen die Verfahren wegen der Rechtmäßigkeit des Helms-Burton-Acts. Auch wenn die Ausnahmetatbestände aus Gründen der inneren Sicherheit identisch sind, so beinhaltet das NAFTA für Kanada und Mexiko weitergehende Rechte, die in einem WTO-Verfahren nicht hätten geltend gemacht werden können. Im Falle einer Zusammenlegung der Verfahren, was wegen der Nichtmitgliedschaft der EG im NAFTA ohnehin nur auf WTO-Ebene möglich wäre, könnten Mexiko und Kanada diese Rechte nicht durchsetzen. Eine vertrags- und bzw. oder ordnungsübergreifende Zusammenlegung wäre unter den gegeben Umstände überhaupt nicht möglich. Auch für Fälle wie den Schwertfisch-Fall, in denen es zu konnexen Verfahren vor Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren kommt, deren Jurisdiktion sich auf Übereinkommen und Vertragsordnungen verschiedener Sachbereiche bezieht, kann eine Zusammenlegung nicht erfolgen, da ansonsten wegen der jeweiligen Jurisdiktionsbeschränkungen nur ein Teil der Streitigkeit rechtlich beurteilt werden könnte. Ist eine Zusammenlegung der Verfahren nicht möglich, so kann der Gefahr divergierender Entscheidungen aufgrund konnexer Verfahren durch eine Aussetzung eines der Verfahren begegnet werden. So wäre das das Verfahren aussetzende Gericht in der Lage, die vorgenommene Auslegung des anderen Gerichts bei der eigenen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Das Problem, welches Gericht sein Verfahren für die Dauer des anderen auszusetzen hat bzw. aussetzen kann, wird im Internationalen Zivilverfahrensrecht mit Hilfe des Prioritätsprinzips gelöst. Mithin führt das zuerst keit . . . immer ein einziges Panel zur Prüfung solcher Beschwerden eingesetzt werden“ soll. 129 North Sea Continental Shelf Cases (Germany v. Denmark, Germany v. Netherlands), 20.2.1969, ICJ Rep. 1969, S. 1 ff. 130 Jaenicke in: EPIL III, S. 657 (658).

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4. Teil: Lösungsansätze

angerufene Gericht das Verfahren ohne Einschränkung durch, während das später angerufene zu entscheiden hat, ob es das bei ihm anhängige Verfahren aussetzt oder nicht.131 Im Völkerrecht scheint diese eindeutige Lösung allerdings nicht immer sachgerecht zu sein. Dies hängt mit den unterschiedlichen Fallkonstellationen zusammen, deren Konnexität als ein- und zweiseitig umschrieben werden kann. Einseitige Konnexität beschreibt die Situation, dass die Ergebnisse der parallel geführten Verfahren sich nicht gegenseitig bedingen, sondern dass nur eine einseitige Abhängigkeit besteht. Zu einer solch einseitigen Konnexität wäre es im Fall des Weiterführens des Schwertfisch-Falls gekommen. Wie dargelegt, ist die Auslegung des SRÜ für die Auslegung der Kooperationsobliegenheit des Einleitungssatzes von Art. XX GATT relevant. Eine umgekehrte Relevanz ist aufgrund der Tatsache, dass das SRÜ weitergehende und detailliertere Kooperationsanforderungen stellt, nicht ersichtlich. Aufgrund der einseitigen Abhängigkeit der Verfahren voneinander, würde in einer solchen Konstellation nur die Aussetzung des WTO-Verfahrens sinnvoll sein. Der Ansatz der Priorität, wie er im internationalen Zivilverfahrensrecht verfolgt wird, ist hier nicht sachdienlich. Demgegenüber kann auf ihn immer dann zurückgegriffen werden, wenn es sich um eine zweiseitige Konnexität handelt, wie in der Fallkonstellation des Helms Burton Acts oder aber auch der Auslegung von Art. 36 Abs. 1 lit. b) Konsularrechtskonvention. Denn in diesen Fällen besteht keine einseitige Relevanz der Auslegung. Vielmehr können divergierende Entscheidungen nur dadurch vermieden werden, dass die späteren Verfahren bis zur Entscheidung des zuerst anhängig gemachten Verfahrens ausgesetzt werden, um dann die Ergebnisse dieser Entscheidung zu berücksichtigen.132 Für das Verfahren der EG gegen die USA wegen des vermeintlichen Verstoßes des Helms-Burton-Acts gegen WTO-Recht und die Frage der Rechtfertigung nach Art. XXI GATT, hätte sich das WTO-Panel, da es sich um das später anhängig gemachte Verfahren handelte, mithin mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob es das eigene Verfahren bis zur Entscheidung des NAFTA-Schiedsgerichts in dem parallel geführten Verfahren aussetzt. Die sich dabei stellenden Schwierigkeiten sind vornehmlich prozessualer Natur. 131

Für die in Art. 28 GVO enthaltene Prioritätsregel siehe Lüpfert, Konnexität, S. 134 ff. 132 Dass sich der IGH im La Grand-Verfahren nicht mit dieser Frage auseinandersetzen musste, lag daran, dass das zuerst anhängig gemachte Verfahren vor dem AGMR zum Zeitpunkt der Entscheidung des IGH bereits abgeschlossen war. Zur der sich daran anschließenden Problematik, inwieweit eine Verpflichtung der Gerichte, Tribunal und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren existiert, die Entscheidungen anderer Gerichte zu berücksichtigen und das damit zusammenhängende Problem der Bindungswirkung an frühere Entscheidungen siehe unten 4. Teil C. II.

B. Zuständigkeitskonflikte

353

Zum einen ist der Zeitrahmen, in dem die WTO-Verfahren durchzuführen sind, enger gesteckt und weniger flexibel als im Rahmen der NAFTA-Streitbeilegung. Zum anderen handelt es sich beim NAFTA-Verfahren noch sehr viel eher als bei der WTO-Streitbeilegung um eine Zwischenstufe im Streitbeilegungsprozess, die die Streitigkeit noch nicht zu einem Abschluss bringt.133 Zwar muss auch ein Bericht eines WTO-Panels oder des Appellate Body formal durch den DSB angenommen werden. Aufgrund der Einführung des umgekehrten Konsensprinzips geschieht dies jedoch quasiautomatisch. Demgegenüber ist ein Bericht eines NAFTA-Schiedsgerichts lediglich Ausgangspunkt für erneute Verhandlungen der Streitparteien. Dementsprechend ist es nicht notwendig, dass die endgültige Beilegung der Streitigkeit die im Schiedsbericht enthaltenen Vorschläge berücksichtigt.134 Bezüglich des engen Zeitrahmens lässt sich allerdings einwenden, dass Art. 12 Abs. 6 DSU lediglich ausführt, dass ein Panel-Verfahren von der Einsetzung des Panels und der Festlegung seines Mandats bis zur Zustellung des Schlussberichtes 6 Monate nicht überschreiten soll. Dies lässt zumindest die Interpretation zu, dass in zwingenden Fällen eine Verlängerung der Frist möglich ist und somit ein gewisses Maß an zeitlicher Flexibilität gewährleistet wird. In Bezug auf die unterschiedlichen Charakteristika der Verfahren und die Frage, ob eine Aussetzung des einen Verfahrens bis zur Erledigung des anderen möglich ist, kann hier aber keine abschließende Antwort gefunden werden. Es erscheint jedoch schwierig, ein gerichtsförmig ausgestaltetes Verfahren zugunsten eines Verfahrens, das in einem sehr viel größeren Ausmaß von diplomatischen Elementen der Streitbeilegung geprägt ist, auszusetzen. Denn die Letztentscheidung über die Auslegung des NAFTA liegt in sehr viel höherem Maße bei den Streitparteien und damit letztlich bei den Vertragsstaaten als im Rahmen der WTO. Unabhängig von diesen Erwägungen stellt sich, wie auch im Rahmen der Lösungsansätze für die Vermeidung doppelter Rechtshängigkeiten, das Problem, ob ein internationales Gericht zur Aussetzung im Falle der Konnexität in Abwesendheit diesbezüglicher Verfahrensvorschriften verpflichtet werden kann. Im Gegensatz zu den Regelungen res judicata und lis pendens fehlt bisher jegliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik sowohl in der Völkerrechtsliteratur als auch in der internationalen Gerichtspraxis. So ist der StIGH weder im Fall Polish Upper Silesia noch im Charzów Factory-Fall auf diese Möglichkeit eingegangen, obwohl zumindest im letzteren Fall auch ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Verfahren 133

Loungnarath/Stehly, JWT 34 (2000), S. 39 (45). Dies ergibt sich bereits daraus, dass für die politisch stärkere Partei sehr viel mehr Möglichkeiten bestehen, das Resultat des Streitbeilegungsverfahrens im Sinne einer für sie positiven Regelung zu beeinflussen; siehe Kerr, JWT 35 (2001), S. 1169 (1174) mit Nachweisen aus der Praxis. 134

354

4. Teil: Lösungsansätze

zweifelsohne existierte. Daraus aber den Rückschluss zu ziehen, dass Gerichte grundsätzlich nicht zur Aussetzung verpflichtet sind, ist zu weitgehend, weil die sich im Verfahren stellende Situation zum einen nicht in Bezug auf den Problemkomplex konnexe Verfahren erörtert wurde und zum anderen weil sich das Völkerrecht und damit auch die internationale Gerichtsbarkeit strukturell entscheidend verändert hat. Eine der wesentlichen Veränderungen ist der Wandel des Völkerrechts vom Recht der Koexistenz hin zur Kooperation und die damit einhergehende Herausbildung einer allgemeinen Kooperationsverpflichtung zumindest im Falle von Jurisdiktionskonflikten, die sowohl im zwischenstaatlichen Miteinander, aber auch im Verhältnis internationaler Organisationen und darüber hinaus zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren Anwendung findet.135 Entscheidendes Element der zwischengerichtlichen Kooperationsverpflichtung ist die Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Gerichte, um dadurch Konflikte zu vermeiden. Die im Falle konnexer Verfahren bestehende Schwierigkeit ist nun, dass die Entscheidung, die es zu berücksichtigen gilt, noch nicht existiert, obwohl das entsprechende Verfahren bereits anhängig ist. Nimmt man die zwischengerichtliche Kooperation als ein wesentliches Merkmal zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten ernst, so muss aus der Verpflichtung zur Zusammenarbeit auch die Verpflichtung abgeleitet werden, eine solche überhaupt erst möglich zu machen. Bei konnexen Verfahren bedeutet dies, dass im Falle der einseitigen Konnexität Gerichte das bei ihnen anhängige Verfahren aussetzen müssen, wenn die Entscheidung des parallelen Verfahrens für sie entscheidungserheblich ist, während im Falle der zweiseitigen Konnexität eine Aussetzung nach Maßgabe des Prioritätsgrundsatzes erfolgen muss, sofern eine Aussetzung nach den gegebenen Umständen des Einzelfalls sowohl möglich als auch den Parteien zumutbar ist.136 135

Siehe dazu oben 4. Teil III. 3. Soweit ersichtlich ist das MOX-Plant-Schiedsgericht das erste Gericht, dass von einer Aussetzung Gebrauch gemacht hat, um eine andere, für den weiteren Verlauf des Verfahrens wesentliche Entscheidung des EuGH über innergemeinschaftliche Kompetenzen bezüglich des SRÜ im Verhltnis zwischen EG und seinen Mitgliedstaaten abzuwarten. Diese Frage konnte vom Schiedsgericht nicht selbst beantwortet werden, da sie in den auschließlichen Zuständigkeitsbereich des EuGH fällt; vgl. The MOX Plant Case, Order No. 3 – Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Merits, and Request for Further Provisional Measures, paras. 20, abrufbar unter www.pca-acp.org. Hätte das Schiedsgericht ohne Aussetzung entschieden, so hätte dies möglicherweise sich widersprechende Entscheidungen zur Folge gehabt. Die Entschedung ist mithin ein erster Schritt hin zur Anerkennung einer Aussetzungsverpflichtung bei konnexen Verfahren. Da es sich um eine einseitige Konnexität handelt – die Entscheidung des Schiedsgerichts ist von der des EuGH abhängig, nicht aber die des EuGH von der des Schiedsgerichts, ist das Prioritätsprinzip nicht anwendbar. Bemerkenswert ist im Übrigen, dass das Schiedsgericht ausgesetzt hat, 136

C. Auslegungskonflikte

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C. Auslegungskonflikte Ausgangspunkt für mögliche Lösungsansätze zur Vermeidung von Auslegungskonflikten sind die bereits erwähnten strukturellen Gegebenheiten der heutigen Völkerrechtsordnung. Zwar handelt es sich beim Völkerrecht um eine einheitliche Rechtsordnung; diese ist aber geprägt durch die Existenz voneinander unabhängiger, wenn auch nicht losgelöster Subsysteme, die eigene Rechtsordnungen innerhalb der Gesamtrechtsordnung bilden. Darüber hinaus bedingt die funktionale Dezentralisation eine natürliche Fragmentierung, so dass von Auslegungskonflikten aufgrund der divergierenden Auslegung derselben oder inhaltsgleicher Normen nur dann gesprochen werden kann, wenn diese einem bestimmten Sachbereich zugeordnet werden können, welcher ein gewisses Maß an Geschlossenheit aufweist.137 Diese Voraussetzungen werden von einigen völkerrechtliche Subsystemen wie z. B. der WTO-Rechtsordnung und dem SRÜ als Verfassung der Meere erfüllt.138 Daneben können Auslegungskonflikte im Allgemeinen Völkerrecht nur dann auftreten, wenn es sich um grundlegende, für die Staatenmehrheit bindende Völkerrechtsnormen handelt, die Voraussetzung für das Funktionieren der Völkerrechtsordnung sind.139 Nur vor diesem Hintergrund können sinnvolle Überlegungen über mögliche Ansätze zur Vermeidung von Auslegungskonflikten gemacht werden.

I. Hierarchisierung des internationalen „Gerichtssystems“ Eine grundsätzliche Möglichkeit zur Lösung von Auslegungskonflikten besteht in der Hierarchisierung des internationalen Gerichtssystems, so dass Entscheidungen internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren durch eine übergeordnete Instanz auf Rechtsfehler hin überprüft werden können. Dieser Ansatz entspräche dem von vielen nationalen Rechtsordnungen, die mit Hilfe der Hierarchisierung ihres Gerichtssystems in Form von Berufungs- und Revisionsmöglichkeiten eine weitgehende Einheitlichkeit bei der Auslegung des innerstaatlichen Rechts garantieren können.140 Aber auch im Europarecht findet sich mit dem obwohl ein Verfahren vor dem EuGH noch gar nicht eingeleitet, sondern nur angekündigt wurde. 137 Aufgrund der dezentralen Ordnungsstruktur spricht Oeller-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (73) auch davon, dass aufgrund unterschiedlicher Auslegungen völkerrechtlicher Normen nicht die Einheitlichkeit der Völkerrechtsordnung bedroht sein könnte, sondern die Übereinstimmung und Geschlossenheit des Systems. 138 Siehe oben 3. Teil B. 139 Shahabuddeen, Consistency in Holdings, in: FS Oda, S. 633 (635).

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4. Teil: Lösungsansätze

Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 234 EGV und der damit korrespondierenden Verpflichtung nationaler Gerichte, Fragen der Vereinbarkeit nationaler Regelungen mit dem EG-Recht dem EuGH vorzulegen, ein effektiver Mechanismus, um die Einheitlichkeit des EG-Rechts zu gewährleisten.141 1. IGH als Revisionsinstanz? Eine Minimierung der Gefahr von Auslegungskonflikten könnte dadurch erreicht werden, dass dem IGH die Kompetenz eingeräumt wird, als allgemeine Revisionsinstanz142 im internationalen Gerichtssystem zu fungieren.143 Dass der Gerichtshof das einzige internationale Gericht ist, dass sich für eine solche Aufgabe anböte, liegt zum einen in seiner hohen Reputation begründet und zum anderen darin, dass seine Zuständigkeit nicht wie die anderer Gerichte auf einen bestimmten Sachbereich und bzw. oder regional beschränkt ist, sondern grundsätzlich umfassend besteht.144 Um dem IGH die Funktion einer umfassenden Revisionsinstanz zu übertragen, bedarf es allerdings umfassender Vertragsänderungen. Das IGH-Statut sieht nämlich eine solche Funktion des Gerichtshofs grundsätzlich nicht vor.145 Auch wäre denkbar, eine Überprüfungsmöglichkeit von Urteilen 140 Ansprache des Präsident des IGH, Gilbert Guillaume, vor der UN-Generalversammlung, 26.10.2000, abrufbar unter www.icj-cij.org. 141 Siehe statt vieler Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 520. 142 Der Begriff der Revisionsinstanz wird hier untechnisch im Sinne einer Instanz zur Überprüfung von Urteilen allgemein verstanden. Ob und inwieweit es sich tatsächlich nur um eine Revisionsinstanz im eigentliche Sinne handeln sollte, die eine vorherige Entscheidung nur auf Rechts- und Verfahrensfehler hin überprüfen kann, oder aber um eine Berufungsinstanz, in der die gesamte Streitigkeit neu verhandelt wird, soll im Folgenden nicht weiter erörtert werden. 143 Auch wenn der Sinn und Zweck einer Revisionsinstanz vornehmlich darin gesehen wird, durch eine Überprüfung einer Entscheidung bezüglich möglicher Rechts- und Verfahrensfehler ein höheres Maß an Rechtssicherheit in Bezug auf den konkreten Fall zu realisieren, so ist doch unbestritten, dass durch eine ständige Revisionsinstanz auch eine kohärente Auslegung des gesamten Rechts gewährleistet werden kann; vgl. Lauterpacht, Administration of International Justice, S. 112. „The case for an integrated system of administering international justice is a strong one, not least in in terms of the consistent development of the law.“ 144 Lauterpacht, Administration of International Justice, S. 112; ähnlich auch Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (92). 145 Lediglich Art. 87 Abs. 1 der VerfO des IGH lässt erkennen, dass der IGH auch als Revisionsinstanz tätig werden kann. Die Vorschrift lautet: „When in accordance with a treaty or convention in force a contentious case is brought before the Court concerning a matter which has been the subject of proceedings before some other international body, the provisions of the Statute and of the Rules governing contentious cases shall apply.“ Voraussetzung ist aber, dass ihm diese Funktion durch ein Übereinkommen übertragen wird. Beispielhaft sei hier auf die Kompetenz

C. Auslegungskonflikte

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durch den IGH in die Streitbeilegungsvorschriften bestehender und zukünftiger Übereinkommen aufzunehmen.146 Dies setzt aber zumindest für die WTO nicht nur eine Vertragsergänzung, sondern auch eine Vertragsänderung voraus, da Art. 23 DSU die Exklusivität der WTO-Streitbeilegungsorgane bezüglich Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung statuiert.147 Darüber hinaus dürfte es politisch nicht durchsetzbar sein, den IGH mit dieser Aufgabe zu betrauen. Dies verdeutlicht sich exemplarisch an der Entstehungsgeschichte des SRÜ-Streitbeilegungssystems, bei dessen Ausgestaltung sowohl von einer alleinigen Zuständigkeit des IGH, als auch von einer Hierarchisierung der bestehenden Wahlmöglichkeiten bewusst abgesehen wurde.148 Damit scheint es zumindest in näherer Zukunft nicht praktikabel zu sein, die Existenz von Auslegungskonflikten, welche die Einheitlichkeit und Widerspruchslosigkeit des Völkerrechts in Frage stellen, durch die Errichtung einer gemeinsamen Revisionsinstanz zu vermeiden. Darüber hinaus erscheint eine solche Überlegung in gewissem Sinne systemfremd zu sein. Auch wenn die Existenz von Revisionsinstanzen dem internationalen Gerichtssystem nicht fremd ist, so beziehen sie sich entweder auf bestimmte, vertraglich vorgesehene Situationen oder aber auf Streides IGH verwiesen, Urteile des UN- und ILO-Verwaltungsgerichts, welche für Streitigkeiten zwischen den internationalen Organisation und ihren Angestellten zuständig sind, im Wege eines Gutachtenverfahrens zu überprüfen; Art. 11 des Statuts des UN-Verwaltungsgericht und Art. XII des Statuts des ILO-Verwaltungsgerichts. Diese Kompetenz besteht aber nicht uneingeschränkt. So kann eine Entscheidung des UNVerwaltungsgerichts nur für den Fall überprüft werden, dass geltend gemacht wird, das Gericht habe seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht oder verneint, eine Vorschrift der UN-Charta falsch angewendet, einen Verfahrensfehler begangen, seine Entscheidung auf Gründe gestützt, die von keiner der Streitparteien vorgebracht worden sind, oder ohne rechtfertigende Begründung von vorherigen Entscheidungen abgewichen ist; zur Revisionsmöglichkeit von Entscheidungen internationaler Verwaltungsgerichte durch den IGH siehe Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte, S. 249 ff.; zur Praxis des IGH bezüglich der Revision von Schiedsgerichtsentscheidungen siehe Reisman, RdC 258 (1996), S. 9 (221 ff.). Allerdings ist all diesen Revisionsmöglichkeiten in Übereinstimmung mit Art. 87 Abs. 1 VerfO des IGH gemeinsam, dass sie auf einem internationalen Übereinkommen und damit auf dem Willen der Vertragsstaaten beruhen. Eine allgemeine Revisionszuständigkeit des IGH, durch die die Einheitlichkeit von Auslegungen gewährleistet werden könnte, besteht mithin nicht. 146 Diese Überlegung entspricht der Praxis nach dem Ersten Weltkrieg, Entscheidungen Gemischter Schiedsgerichte durch den StIGH überprüfen zu lassen; siehe dazu Abi-Saab, N.Y.U.J. Intern’l L. & Pol 31 (1999), S. 919 (924) sowie Lauterpacht, Administration of International Justice, S. 104 jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechungspraxis des StIGH. 147 Zur Reichweite des Art. 23 DSU siehe oben 2. Teil C. III. 148 Siehe oben 1. Teil B. II. 1. a).

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4. Teil: Lösungsansätze

tigkeiten im Rahmen völkerrechtlicher Subsysteme, die im Vergleich zum allgemeinen Völkerrecht ein sehr viel höheres Maß an Homogenität aufweisen. Letzteres gilt z. B. für Verfahren vor dem EGMR, dem ICTFY und demnächst dem ICC, wobei Merkmal dieser Verfahren ist, dass es sich weitestgehend nicht im zwischenstaatliche Streitigkeiten handelt.149 Eine der wenigen zwischenstaatlichen ständigen Revisionsinstanzen ist der Appellate Body im Rahmen der WTO-Streitbeilegung,150 dessen primäre Aufgabe nicht nur im Schutz der Mitgliedstaaten vor eklatanten Fehlentscheidungen besteht, sondern auch in der Gewährleistung von Transparenz, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit durch die einheitliche Auslegungen des WTORechts.151 Besieht man sich die z. Zt. existierende institutionalisierte völkerrechtliche „Revisionspraxis“, so zeigt sich, dass eine umfassende Überprüfungsmöglichkeit in aller Regel nur für die Fälle besteht, in denen die Jurisdiktion spezieller Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren auf bestimmte Sachbereiche oder Übereinkommen beschränkt ist. Diese Dezentralisation von Revisionsmöglichkeiten entspricht dem Prinzip der funktionalen Dezentralisation als Merkmal der Aufgabenzuweisung im internationalen System. Dem IGH eine allgemeine Revisionszuständigkeit einzuräumen, erscheint von daher in Anbetracht der Praxis weder notwendig, noch mit dem jetzigen System der internationalen Gerichtsbarkeit vereinbar. Eine andere Möglichkeit, die sowohl das Argument der Systemfremdheit als auch das der mangelnden Notwendigkeit entkräften könnte, bestände darin, die Revisionszuständigkeit des IGH auf Rechtsfragen des allgemeinen Völkerrechts zu beschränken. Denn Auslegungskonflikte können im Völkerrecht aufgrund der mit der funktionalen Dezentralisation einhergehenden natürlichen Fragmentierung nur in Bezug auf Rechtsnormen eines Subsystems bestehen oder aber in Bezug auf grundlegende Normen des allgemeinen Völkerrechts. Erstere Möglichkeit wird durch die Errichtung von Überprüfungsinstanzen im Rahmen des jeweiligen Subsystems vermieden. Eine Instanz, die die einheitliche Auslegung des allgemeinen Völkerrechts garantiert, existiert hingegen nicht. Von 149 Während Gegenstand der Verfahren vor dem ICTY und dem ICC nur die individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit eines Individuums sein kann, besteht sowohl im Rahmen des EGMR als auch des interamerikanischen Gerichtssystems zum Schutz der Menschenrechte auch die grundsätzliche Möglichkeit der Staatenbeschwerde, wobei diese im Rahmen der EMRK nur eine untergeordnete Rolle spielt; siehe dazu oben 1. Teil B. IV. 1. Allerdings handelt es sich bei diesen Beispielen nicht um Revisionsinstanzen im eigentlichen Sinne, da die Entscheidungen nicht durch andere, sondern durch dieselben Gerichte überprüft werden, wobei zumindest im Falle des EGMR auch eine partielle Identität der Richterbank besteht; vgl. ebenfalls oben 1. Teil B. IV. 1. 150 Zum Appellate Body als Revisionsinstanz siehe Letzel, WTO Streitbeilegung, S. 315 ff. 151 Kohona, JWT 28/2 (1994), S. 23 (40).

C. Auslegungskonflikte

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daher wäre es sinnvoll, eine Überprüfungskompetenz des IGH, die umfassend besteht und ihm nicht nur vereinzelt durch einige Übereinkommen übertragen wird, nur auf Normen des allgemeinen Völkerrechts zu begrenzen, deren einheitliche Auslegung qua Natur der Sache nicht durch die Errichtung von Revisionsinstanzen im Rahmen internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren mit beschränktem Jurisdiktionsbereich sichergestellt werden kann, sondern gerade durch die Existenz dieser Gerichte bedroht ist. Allerdings erscheint auch dieser Lösungsvorschlag in absehbarer Zeit nicht realisierbar. Darüber hinaus ist er aber auch für das zu erreichende Ziel der einheitlichen Auslegung grundlegender Normen des allgemeinen Völkerrechts überhaupt nicht notwendig. Denn mit der Überprüfung von bereits ergangenen Entscheidungen werden grundsätzlich zwei Ziele verfolgt: Zum einen soll festgestellt werden, inwieweit das Urteil in Bezug auf den konkreten Sachverhalt und das Verfahren fehlerhaft ist. Zum anderen wird so die einheitliche Auslegung des Rechts gewährleistet. Dies gilt zumindest dann, wenn es sich um ein in Bezug auf bestimmte Rechtsfragen oder Sachbereiche einheitliches Überprüfungssystem handelt. Letzteres Ziel kann aber auch dadurch erreicht werden, dass Fragen über die Auslegung des allgemeinen Völkerrechts im Wege eine Vorlageverfahrens an den IGH gerichtet werden, ohne dass es zu einer Überprüfung der gesamten Entscheidung kommt. Dieser Lösungsansatz hat den Vorteil, dass die Einheitlichkeit der Streitbeilegung im Rahmen völkerrechtlicher Subsysteme gewährleistet bleibt, während gleichzeitig die kohärente Auslegung des allgemeinen Völkerrechts durch den IGH ermöglicht werden würde. Denn auch eine begrenzte Revisionszuständigkeit des IGH für Fragen des allgemeinen Völkerrechts hätte u. U. zur Folge, dass sich der IGH bei extensiver Auslegung seiner Kompetenz aufgrund der Interdependenz von Normen des allgemeinen Völkerrechts und Vorschriften des jeweils einschlägigen Subsystems zu einer umfassenden Überprüfung der bereits ergangenen Entscheidung berechtigt sieht. Dabei hätte der IGH eigentlich nur die Auslegung des allgemeinen Völkerrechts im konkreten Fall zu überprüfen, während die Auswirkungen dieser Auslegung auf den konkreten Sachverhalt durch die Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren des jeweils betroffenen Subsystems zu bestimmen wäre. Diese Aufgabenverteilung könnte bereits durch ein Vorlageverfahren gewährleistet werden, welches darüber hinaus die Zuständigkeiten und Kompetenzen der Gerichte spezieller Subsysteme sehr viel weniger beeinträchtigen würde.152

152 So auch Neumann, Koordination, S. 583, der die Eignung des IGH als Revisionsinstanz unter der speziellen Fragestellung untersucht, inwieweit dadurch verhindert werden kann, dass Gerichte eines Subsystems den Vorrang dieses Systems

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4. Teil: Lösungsansätze

Auch wenn im nationalen Recht die einheitliche Auslegung von Normen in verschiedenen Verfahren durch die Errichtung von Berufungs- und Revisionsinstanzen sichergestellt wird, so ist festzuhalten, dass die Übertragung dieses Lösungsansatzes auf das Völkerrecht nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt und seinen besonderen Strukturen nicht gerecht wird. 2. Vorabentscheidungsverfahren durch den IGH Die Idee, dass der IGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens die einheitliche Anwendung und Auslegung von völkerrechtlichen Normen gewährleisten soll, ist keineswegs neu. Bereits 1905 wurden erste dahingehende Überlegungen geäußert, die sowohl in den 20er, als auch in den 60er, 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erneut aufgegriffen wurden.153 Grund für diese Überlegungen war aber nicht die Gefahr divergierender Auslegungen völkerrechtlicher Vorschriften aufgrund der stetigen Zunahme internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren, sondern durch die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens sollte eine divergierende Auslegung des Völkerrechts durch innerstaatliche Gerichte verhindert werden.154 Die Verknüpfung dieses Ansatzes mit der vermeintlich drohenden Fragmentierung des Völkerrechts aufgrund einer Vielzahl internationaler, voneinander unabhängiger und in keinem Zusammenhang stehender Gerichte erfolgte erst in den 90er Jahren155 und kann nur als Reaktion auf die Errichtung des ISGH, des reformierten WTO-Streitbeilegungsverfahrens und der Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda verstanden werden. Zwar könnte die Existenz von divergierenden Auslegungen und daraus resultierende Konflikte durch ein dem heutigen Art. 234 EGV entsprechendes Verfahren gelöst werden, indem der IGH ersucht wird, ein Gutachten über die vorgelegten Auslegungsfragen zu erstellen. Allerdings stellen sich

im Verhältnis zu konfligierenden, ebenfalls im Rahmen der Streitigkeit anwendbaren Subsystemen feststellen kann. 153 Einen Überblick über die unterschiedlichen Ansätze und ihren historischen Kontext gibt Treves, Max Planck UNYB 4 (2000), S. 215 (217 ff.). 154 Lauterpacht, BYIL 10 (1929), S. 65 (94 f.); Jenks, Prospects of International Adjudication, S. 160 f. 155 Vgl. die Reden der IGH Präsidenten Guillaume und Schwebel vor der Generalversammlung vom 26.10.2000 und vom 26.10.1999, abrufbar unter www.icjcij.org, sowie Guillaume, ICLQ 44 (1996), S. 848 (862), der dort explizit vorschlägt, zur Vermeidung von Auslegungskonflikten zwischen internationalen Gerichten ein Vorabentscheidungsverfahren nach dem Vorbild des Art. 234 EGV einzuführen.

C. Auslegungskonflikte

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in diesem Zusammenhang einige Schwierigkeiten, deren Gesamtheit die Geeignetheit eines solchen Verfahrens zweifelhaft erscheinen lässt. Auch wenn weder das IGH-Statut, noch die UN-Charta oder Übereinkommen oder Verfahrensvorschriften sonstiger Gerichte z. Zt. die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens vorsehen – und zwar weder in Bezug auf das innerhalb der Ordnung bestehende System verbindlicher Streitbeilegung noch ordnungsübergreifend in Bezug auf den IGH als Adressat der Vorlageersuchen – so besteht gem. Art. 96 UN-Charta zumindest eine indirekte Möglichkeit, den IGH um die Erstellung eines Rechtsgutachtens über eine strittige Auslegungsfrage im Rahmen eines bestehenden Verfahrens zu ersuchen.156 Nach Art. 96 Abs. 1 UN-Charta können sowohl die Generalversammlung als auch der UN-Sicherheitsrat über jede Rechtsfrage ein Gutachten beim IGH einfordern. Diese Kompetenz wird durch Abs. 2 auch auf andere Organe der Vereinten Nationen und deren Sonderorganisationen erstreckt, sofern sie zur Einholung des Rechtsgutachtens durch die Generalversammlung ermächtigt werden und es sich um Rechtsfragen handelt, die sich in ihrem Tätigkeitsbereich stellen. Möchte ein internationales Gericht eine strittige Auslegung durch den IGH in Form eines Rechtsgutachtens klären lassen, so macht das Prozedere der indirekten Vorabentscheidung eine vorherige Befassung und Weiterleitung des Gesuchs durch die Generalversammlung oder den Sicherheitsrat notwendig. Darüber hinaus wird die Kompetenz zur Einholung von IGH-Gutachten durch Art. 96 UNCharta auf die Organe der Vereinten Nationen oder ihrer Sonderorganisationen beschränkt. Der ISGH und die Streitbeilegungsorgane der WTO können somit z. B. keine indirekte Gutachtenanfrage an den IGH stellen, da sie sich nicht direkt an die Generalversammlung oder eine Organ der UN-Sonderorganisationen wenden können. Dieses Problem könnte aber dadurch überwunden werden, dass die Vorabentscheidungsersuchen von Gerichten, die nicht in den institutionellen Rahmen der UN-Familie aufgenommen sind, durch zu errichtende Ausschüsse in diesen Organisationen an die Generalversammlung weitergeleitet werden.157 Damit würde die Entscheidung, ob und inwieweit ein Vorabentscheidungsersuchen an den IGH weitergeleitet wird, aber nicht nur von der Generalversammlung abhängen, sondern 156

Siehe dazu insbesondere die Vorschläge von Schwebel in seiner Rede vor der Generalversammlung vom 26.10.1999, abrufbar unter www.icj-cij.org sowie die Ausführungen von Abi-Saab, N.Y.U.J. Intern’l L. & Pol 31 (1999), S. 919 (927 f.). 157 So die Idee von Schwebel, in seiner Rede vor der Generalversammlung vom 26.10.1999, abrufbar unter www.icj-cij.org: „There is room for the argument that even international tribunals that are not United Nations organs, such as the International Tribunal for the Law of the Sea, or the International Criminal Court when established, might, if they so decide, request the General Assembly – perhaps through the medium of a special committee established for the purpose – to request advisory opinions of the Court.“

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4. Teil: Lösungsansätze

darüber hinaus auch noch von einem weiteren, nichtgerichtlichen und damit letztlich politischen Ausschuss. Dies ist berechtigterweise einer der Hauptkritikpunkte an einem System der indirekten Vorabentscheidung. Denn Gegenstand eines solchen Verfahrens sind juristische Fragen, deren Beantwortung für die Einheitlichkeit der Rechtsordnung von erheblicher Bedeutung sein können. Es erscheint daher äußerst bedenklich, dass die Letztentscheidung über die Weiterleitung einer solchen Frage bei nichtgerichtlichen, politischen Organen und Ausschüssen liegen soll.158 Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit die Befassung des IGH mit einem vor einem anderen Gericht anhängigen Verfahren die Zustimmung der Streitparteien voraussetzt.159 Denn diese ist letztlich Grundvoraussetzung für jegliche Zuständigkeit internationaler Gerichte. Des Weiteren müssen auch die prinzipiellen Einwände, die gegen den IGH als eine allgemeine Revisionsinstanz sprechen, berücksichtigt werden.160 Die einheitliche Auslegung von Vorschriften völkerrechtlicher Subsystem mit einem eigenen System verbindlicher Streitbeilegung kann nicht Aufgabe des IGH sein. Auch ist die gesamte Völkerrechtsordnung geprägt vom Grundsatz der funktionalen Dezentralisation, so dass keine grundsätzliche Hierarchisierung zwischen internationalen Organisationen oder völkerrechtlichen Normen mit Ausnahme von ius cogens Normen besteht. Aber eine ebensolche Hierarchisierung in Bezug auf das internationale Gerichtssystem würde die Konsequenz sein, wenn der IGH als Garant der Einheitlichkeit der Rechtsordnung strittige Rechtsfragen in letzter Instanz zu entscheiden hätte. Denn auch wenn Gutachten des Gerichtshofes grundsätzlich unverbindlich sind,161 dürften sie zumindest eine faktische Bindung des „vorlegenden“ Gerichts an die im Gutachten gemachten Rechtsausführungen bewirken. Zwar handelt es sich beim IGH gem. Art. 92 UN-Charta um das Hauptrechtsprechungsorgan und es ist auch richtig, dass fast alle innerstaatlichen Rechtssysteme ein hierarchisch gegliedertes Gerichtssystem kennen. Aus dieser Tatsache aber die Konsequenz abzuleiten, dass es auch im Völkerrecht aufgrund seiner Entwicklung und der zunehmenden Konstitutionalisierung einer Hierarchisierung bedarf, so dass dem IGH die Position eines „supreme court of the international community“ zukommt,162 erscheint jedoch zweifelhaft.163 Die Übertragung von aus dem innerstaatlichen Recht bekannten Lösungsansätzen auf das 158

Treves, Max Planck UNYB 4 (2000), S. 215 (226); Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (93). 159 Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (95). 160 Siehe dazu oben 4. Teil C. I. 1. 161 Eine Ausnahme von der Unverbindlichkeit ergibt sich nur dann, wenn die Rechtsbindung an das Gutachten in einem Übereinkommen – z. B. im Gründungsvertrag einer der UN-Sonderorganisationen – ausdrücklich angeordnet wird; vgl. Mosler/Oellers-Frahm in: Simma (ed.), vol. II, Art. 96, Rn. 35; Rosenne, Law and Practice, vol. I, S. 452.

C. Auslegungskonflikte

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Völkerrecht kann nicht einfach mit der Ähnlichkeit der Konstellationen begründet werden. Vielmehr müssen die strukturellen Unterschiede der Systeme berücksichtigt werden. Auch wenn der IGH im Verhältnis zu anderen Gerichten eine besondere Stellung hat, da es das einzig Gericht mit umfassender Jurisdiktion ist, so ist es letztlich eines von vielen internationalen Gerichten. Konsequenz dieser Überlegungen ist, dass die Einheitlichkeit der Rechtsordnung durch den IGH nur dort gewährleistet werden muss, wo diese Aufgabe nicht durch andere Gerichte gewährleistet werden kann: im Bereich der grundlegenden Regeln des allgemeinen Völkerrechts. In Anbetracht der Tatsache, dass gewichtige Argumente gegen ein indirektes System der Vorabentscheidung durch den IGH in Form von Gutachten sprechen und eine direkte Vorlage an den IGH ohne umfassende Rechtsänderungen nicht möglich ist, müssen alternative Lösungswege erwogen werden, um die einheitliche Auslegung von Normen des allgemeinen Völkerrechts zu gewährleisten.

II. Gutachtenanfrage Im Zuammenhang mit der Problematik paralleler Zuständigkeiten ist von Neumann eine Pflicht zur Einholung von Gutachten durch internationale Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestaltete Streitbeilegungsverfahren statuiert worden, um so eine kohärente Auslegung auch dann gewährleisten zu können, wenn im Rahmen eines Verfahrens auslegungsbedürftige Normen eines anderen Übereinkommens oder einer anderen Vertragsordnung entscheidungserheblich sind.164 Grundsätzlich eröffnet sowohl die Verfahrensordnung des IGH, als auch die des ISGH sowie das DSU die Möglichkeit, in einem Verfahren internationale Organisationen um technische oder rechtliche Auskünfte, Informationen und Stellungnahmen zu bitten.165 Damit könnten diese Verfahren auch zur Vermeidung von Ausle162 So Jennings, AJIL 89 (1995), S. 493 (504); ähnlich auch Abi-Saab, N.Y.U. J. Int’l L. P., 31 (1999), S. 919 (929), der zwar einerseits betont, dass internationale Gerichte in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, andererseits aber die Herausbildung eines internationalen Gerichtssystems fordert, in dem dem IGH die Rolle eines primus inter pares zufallen müsse. Auch wenn dies zu keiner rechtlichen Hierarchisierung führt, so doch zumindest zu einer faktischen. 163 Kritisch auch Wolfrum, Konkurrierende Zuständigkeiten internationaler Streitbeilegungsinstanzen, in: FS Oda, S. 651 (660 f.). 164 Neumann, Koordination, S. 605 ff. Die der Untersuchung zu Grunde liegende Konstellation ist insofern von der eines Auslegungskonflikts zu unterscheiden, als dass es nicht notwendigerweise um die Auslegung identischer bzw. unterschiedlicher, aber inhaltlich übereinstimmender Normen geht, sondern um prozessuale Möglichkeiten der materiellrechtlichen Harmonisierung miteinander konkurrierender Vertragsordnungen.

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4. Teil: Lösungsansätze

gungskonflikten herangezogen werden, indem ein Gericht bei Zweifeln über den genauen Inhalt eines Urteils eines anderen Gerichts, mit dem es sich aufgrund der Vergleichbarkeit der Situationen auseinandersetzen muss, dieses per Gutachtenanfrage um eine erklärende Stellungnahme bittet. So hätte sich die Berufugskammer des ICTY im Tadic-Fall mit dem Ersuchen um eine Stellungnahme an den IGH wenden können, um so die Frage klären zu lassen, ob erstens der test of control nach der Nicaragua-Rechtsprechung entscheidend für die Qualifizierung eines Konflikts als national oder international sei und zweitens ob der IGH eine effektive Kontrolle auch dann zur Voraussetzung für die Zurechnung gemacht hätte, wenn, wie im TadicFall, der Staat für die Existenz paramilitärischer Einheiten auf dem Gebiet eines anderen Staates verantwortlich ist, da die Truppen des Staates und die Paramilitärs früher eine Einheit darstellten und lediglich aus formalen Gründen getrennt wurden. Dieser theoretische Lösungsansatz zur Vermeidung von Auslegungskonflikten stößt in seiner praktischen Umsetzung allerdings auf Schwierigkeiten, aufgrund derer Gutachtenanfragen, auch wenn ihre Einholung als eine aus der allgemeinen zwischengerichtlichen Kooperationspflicht abgeleitete Rechtspflicht verstanden wird, nur bedingt geeignet sind, Auslegungskonflikte zu vermeiden und aufzulösen. Dies hängt damit zusammen, dass nicht alle juristischen Streitbeilegungsverfahren als ständige Gerichte ausgestaltet sind. Dies gilt vornehmlich für die sich ad hoc konstituierenden Schiedsgerichte z. B. im Rahmen des NAFTA und des SRÜ, aber auch für die WTO-Panel, deren Zusammensetzung gem. Art. 8 Abs. 6 DSU durch das WTO-Sekretariat erfolgt. Eine Gutachtenanfrage bezüglich der von ihnen vorgenommenen Auslegung ist damit nicht möglich. Im Falle der WTO könnte die Anfrage allerdings auch an den Appellate Body als das „Ständige Berufungsgremium“ der WTO (Art. 17 Abs. 1 S. 1 DSU) gerichtet werden. Allerdings ist dessen Kompetenz zur Stellungsnahme zumindest für die Fälle zu bezweifeln, in denen Gegenstand der Anfrage Panel-Berichten des GATT 47 sind oder aber Panel-Berichte, die nicht vor dem Appellate Body angegriffen wurden. Denn dessen Stellungsnahme und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit dem Panel-Bericht birgt die Gefahr einer indirekten Revision in sich. Auch der Faktor Zeit kann es einem Gericht unmöglich machen, sich mit einer Stellungnahme an ein anderes Gericht zu wenden. So ergehen Entscheidungen in Verfahren über den Erlass einstweiliger Maßnahmen innerhalb kürzster Zeit, so dass Anfragen an andere Gerichte innerhalb eines solchen Zeitrahmens nicht möglich sind. 165 Vgl. Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut i.V. m. Art. 69 Verfahrensordnung, Art. 13 DSU, Art. 84 ISGH-Verfahrensordnung.

C. Auslegungskonflikte

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Auch wenn die Verpflichtung zur Einholung von Stellungnahmen für die Fälle sinnvoll ist, in denen dadurch die prozessualen Möglichkeiten zur materiellrechtlichen Koordination von verschiedenen Übereinkommen und Vertragsordnungen ermöglicht wird,166 so können sie, konsequent angewandt, die Existenz von Auslegungskonflikten zwar in einigen Fällen, aber nicht grundsätzlich vermeiden.

III. Stare decisis Die einheitliche Auslegung völkerrechtlicher Normen kann auch dadurch gewährleistet werden, dass Entscheidungen internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren als Präzedenzfälle für spätere Verfahren eine rechtliche Bindungswirkung entfalten, so dass in der Sache identische oder ähnliche Streitigkeiten auch einheitlich entschieden und völkerrechtliche Normen einheitlich ausgelegt werden.167 Die Bindungswirkung an vorangegangene Entscheidungen wird als stare decisis bezeichnet und hat ihren Ursprung in der angloamerikanischen Rechtstradition, während sie den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fremd ist.168 Auch im Völkerrecht ist sie bisher grundsätzlich nicht anerkannt,169 obwohl die Gründe für die Ablehnung – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – eher auf einem über die Jahrzehnte wiederholtem Dogma beruhen dürften, als auf konkreten Vorschriften. So hat u. a. auch der Appellate Body der WTO die Geltung des stare decisis Grundsatzes prinzipiell abgelehnt, ohne dass Vorschriften des DSU dies explizit vorsähen.170 Dass die Annahme einer rechtlichen Bindungswirkung an frühere Entscheidungen auch im Völkerrecht nicht unbekannt ist, zeigt hingegen 166 Siehe dazu Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 529 (567 ff.); ders., Koordination, S. 605 ff. 167 Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (76). 168 Die Ablehnung dieses Grundsatzes führt allerdings nicht dazu, dass innerstaatliche Gerichte kontinentaleuropäischer Staaten die Präzedenzwirkung von früheren Entscheidungen grundsätzlich ablehnen. Vielmehr beziehen auch sie sich auf bereits ergangene Urteile, was unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und damit einhergehend der Rechtssicherheit auch notwendig ist. Deshalb ist es gerechtfertigt auch in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen von der de facto Anerkennung des Grundsatzes stare decisis zu sprechen. Zur Präzedenzwirkung bereits ergangener Entscheidungen in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen siehe schon Lauterpacht, BYIL XII (1931), S. 31 (52 ff.); ein Überblick findet sich auch bei Bhala, Am. U. Int’l. L. Rev. 14 (1998), S. 845 (907 ff.), der sich exemplarisch auf das französische Rechtssystem bezieht. 169 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 105; ders., Consistency in Holdings by International Tribunals, in: FS Oda, S. 633 (635); Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (76 f.); Rosenne, Law and Practice, vol. III, S. 1651 in Bezug auf die Bindungswirkung von Urteilen des IGH.

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4. Teil: Lösungsansätze

die Rechtsprechung des ICTY, der in der Entscheidung Prosecutor v. Aleksovski ausführte „. . . a proper construction of the Statute requieres that the ratio decidendi of its decisions is binding on Trial Chambers . . .“171

Auch wenn allgemein angenommen wird, dass der Grundsatzes stare decisis im Völkerrecht unanwendbar ist, so ist doch in der Rechtsprechung des IGH und des StIGH, in der der WTO-Panel und des Appellate Body sowie in der des EGMR und des UN-Menschenrechtsausschusses die Praxis zu beobachten, dass diese Gerichte häufig auf eigene und auch auf Entscheidungen anderer Gerichte, Tribunal und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren zurückgreifen. Durch diesen Verweis wird in einem nicht unerheblichen Umfang case law geschaffen, auf welches sich der Rechtsanwender berufen kann und das für die Vorhersehbarkeit und damit die Rechtssicherheit einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag leistet. Die Relevanz früherer Entscheidungen beschreibt Fitzmaurice wie folgt: „When he (an advocate) cites an arbitral or judicial decision . . . he cites it as something which the tribunal cannot ignore, which it is bound to take into consideration and (by implication) which it ought to follow unless the decision can be shown to have been clearly wrong, or distinguishable from the extant case, or in some way legally or factually inapplicable.“172

Die tatsächliche Präzedenzwirkung von Entscheidungen internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren ist heutzutage dementsprechend allgemein anerkannt.173 Darüber 170 „. . . panel reports are an important part of the GATT acquis. They are often considered by subsequent panels. They create legitimate expectations among WTO Members, and, therefore, should be taken into account where they are relevant to any dispute. However, they are not binding, except with respect to resolving a particular dispute between the parties to that dispute.“ Appellate Body Report, Japan – Alcoholic Beverages, WT/DS8/AB/R, para. E. Dieser Position hat sich das Schrifttum zum Großteil angeschlossen, wobei zwar betont wird, dass die WTO-Streitbeilegungsorgane frühere Entscheidungen heranziehen sollten und dies auch tun, dass eine rechtliche Bindungswirkung aber nicht besteht. Auch in diesem Fall ließe sich von einer de facto aber nicht von einer de jure Anerkennung des Grundsatzes stare decisis sprechen; vgl. Pescatore, Dispute Settlement, in: Pescatore/Davey/Lowenfeld (eds.), Handbook of WTO/GATT Dispute Settlement, vol. II, S. 32; Davey, WTO/ GATT World Trading System in: Pescatore/Davey/Lowenfeld (eds.), Handbook of WTO/GATT Dispute Settlement, vol. I, S. 13, 20; Jackson, World Trading System, S. 126; Palmeter/Mavroidis, AJIL 92 (1998), S. 392 (400 ff.); kritisch zur Ablehnung des stare decisis Grundsatzes im WTO-Recht Bhala in einer dreiteiligen Aufsatzreiche, Am. U. Int’l. L. Rev. 14 (1999), S. 847 ff.; J. Transnational L. & P. 9 (1999), S. 1 ff.; Geo. Wash. Int’l. L. Rev. 33 (2001), S. 873 ff. 171 Prosecutir v. Alesksovski, IT-95-14/1-A, 24.3.2000, para. 113. 172 Fitzmaurice, Formal Sources of International Law, in: Symbolae Verzijl, S. 151 (172).

C. Auslegungskonflikte

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hinaus wird auch ohne eine formale Bindungswirkung davon ausgegangen, dass Entscheidungen, und insbesondere die des IGH, highly persuasive seien, so dass sie in aller Regel sowohl vom Gerichtshof selbst als auch von anderen Gerichten, wie etwa dem Appellate Body der WTO, befolgt werden.174 Eine Rechtsgrundlage für diese Praxis findet sich in Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut – einmal davon abgesehen, dass das Heranziehen früherer Entscheidungen als Richtlinie ein vollkommen natürlicher Prozess in der Rechtsprechung ist.175 Gem. Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut stellen Entscheidungen internationaler Gerichte eine, wenn auch nach dem Wortlaut subsidiäre176 Völkerrechtsquelle dar, so dass frühere Entscheidungen eines Gerichts in einem Verfahren nicht nur berücksichtigt werden können, sondern vielmehr berücksichtigt werden müssen.177 Nimmt man aber an, dass Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut zumindest den IGH verpflichtet, bei der Entscheidung anhängiger Streitigkeiten frühere Gerichtsentscheidungen mit als Grundlage heranzuziehen, so stellt sich die Frage, wieso diese Verpflichtung letztlich nicht zu einer rechtlichen Verbindlichkeit früherer Entscheidungen im Sinne des stare decisis Grundsatzes führen kann.178 Die 173 Vgl. dazu statt vieler Fitzmaurice, Law and Procedure, vol. II, S. 583 f.; Jennings, RdC 121 (1967), S. 323 (340 ff.). Dies entspricht auch der Rechtsprechungspraxis des IGH, der in Land and Maritime Boundary Between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria), preliminary objections, 11.6.1998, ICJ Reports 1998, S. 292, ausführte: „The real question is whether, in the case, there is cause not to follow the reasoning and conclusion of earlier cases.“ 174 Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (77); Charney, RdC 271 (1998), S. 101 (347); Shahabuddeen, Consistency in Holdings in: FS Oda, S. 633 (635), der betont, dass von einem ständigen internationalen Gericht erwartet werden kann, dass es seinen früheren Entscheidungen folgt. 175 Siehe Hudson, The Permanent Court of International Justice, S. 627: „Any Tribunal which seeks to administer justice in an impersonal manner will be disposed to rely upon precedents where they exist.“; vgl. auch McNair, Development of International Justice, S. 13 f. 176 Rosenne, Law and Practice, vol. III, S. 1610, geht soweit, dass er insbesondere die Entscheidungen des IGH nicht mehr als subsidiäre Rechtsquelle verstanden wissen will: „. . . for those who practice international law, judicial deisions, and especially of the International Court, cannot be relegated to any subsidiary position . . .“; ebenso Hambro, Current Legal Problems 7 (1954), S. 212 (218, Fn. 26): „The term ,subsidiary means‘ is, of course, highly unsatisfactory and ought not to be used.“. 177 Siehe dazu die Ausführungen des Richters Read in seinem abweichenden Votum im Anglo-Iranian Oil Company Case (UK v. Iran), preliminary objections, 22.7.1952, ICJ Rep. 1952, S. 143: „Article 38 of the Statute is mandatory, and not discretionary. It requires the Court to apply judicial decisions as a subsidiry means for the determination of the law.“ 178 Ablehnend Shahabudden, Precedent in the World Court, S. 98, der die Ausführungen von Read dahingehend interpretiert, dass er damit keine Aussage über die rechtliche Verbindlichkeit früherer Entscheidungen treffe: „Nothing in the require-

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4. Teil: Lösungsansätze

Antwort auf diese Frage wird teilweise in dem in Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut enthaltenen Verweis auf Art. 59 IGH-Statut gesehen, wonach einer Entscheidung des IGH nur eine inter partes Bindungswirkung zukommt. „The combinded result of these provisions is that the Court could not, even if it would, decide a case in a certain way solely because a previous case has been decided that way.“179

Allerdings ist der Sinn und Zweck des Verweises in Art. 38 Abs. 1 lit. d) auf Art. 59 IGH-Statut alles andere als eindeutig. Zum einen bezieht sich der Wortlaut von Art. 59 IGH-Statut nur auf Entscheidungen des Gerichtshofs selbst, während Art. 38 Abs. 1 lit. d) des Statuts von Entscheidungen internationaler Gerichte im Allgemeinen spricht. Würde man den Verweis wörtlich nehmen, so hätte dies das erstaunlich anmutende Ergebnis zur Folge, dass der IGH Entscheidungen anderer Gerichte ohne Einschränkungen berücksichtigen müsste, während die Heranziehung der eigenen Urteile nur unter den Voraussetzungen des Art. 59 IGH-Statut möglich wäre.180 Gälte also das Verbot des stare decisis aufgrund der Zusammenschau dieser beiden Vorschriften des IGH-Statuts, so müsste konsequenterweise argumentiert werden, dass stare decisis im Verhältnis zu den Entscheidungen des IGH keine Anwendung findet, während eine solche Aussage über die Anwendbarkeit des Grundsatzes im Verhältnis zu Entscheidungen anderer internationaler Gerichte nicht getroffen werden könnte. Dementsprechend könnte stare decisis in Bezug auf die Entscheidungen anderer internationaler Gerichte gelten, nicht aber in Bezug auf die eigenen Entscheidungen des Gerichtshofs. Dass dieses Ergebnis absurd wäre, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Darüber hinaus zeigt die Entstehungsgeschichte des Art. 59 IGH-Statut und des in Art. 38 Abs. 1 lit. d) enthaltenen Verweises auf diese Vorschrift, dass erstere überhaupt keine Aussage über die Bindungswirkung und die Zulässigkeit der Heranziehung von Präzedenzfällen und damit auch nichts über die Anwendbarkeit des Grundsatzes stare decisis trifft.181 Grundlage des heutigen IGH-Statuts ist das des StIGH, das vom Committee of Jurists ment (Art. 38 paragraph 1 (d) ICJ-Statute), or in what he said, suggests that such decisions are to apply with the force of binding precedent.“ Siehe auch Fitzmaurice, Law and Procedure, vol. II, S. 584: „It is not to believed that Judge Read was here intending to go as so far as to suggest that the Court was bound by precedent in the sense that it must actually decide the pending case in accordance with any applicable precedent not distinguishable on valid grounds.“ 179 Fitzmaurice, Law and Procedure, vol. II, S. 584; siehe auch Rosenne, Law and Practice, vol. III, S. 1628. 180 So schon Lauterpacht, BYIL XII (1931), S. 31 (57) für die wortgleichen Vorschriften des StIGH-Statuts.

C. Auslegungskonflikte

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des Völkerbundes ausgearbeitet und dann vom Rat des Völkerbundes überarbeitet wurde, bevor es der Generalversammlung vorgelegt wurde. Der erste Entwurf des Status enthielt keine dem Art. 59 StIGH-Statut entsprechende Vorschrift; vielmehr wurde diese erst durch den Rat eingefügt und zwar im Hinblick auf die in Art. 60 und 61 des Entwurfs enthaltenen Voraussetzungen bezüglich des Interventionsrechts von nicht an einer Streitigkeit unmittelbar beteiligten Staaten.182 Für den Fall, dass Gegenstand einer Streitigkeit ein multilateraler Vertrag war, stand den Staaten, die zwar nicht unmittelbar an der Streitigkeit beteiligt, gleichwohl aber Vertragsstaat des in Frage stehenden Übereinkommens waren, ein Interventionsrecht zu. Diejenige Staaten, die von diesem Recht Gebrauch machten, waren dann aber auch an die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung des multilateralen Vertrages gebunden. Im Zusammenhang damit steht Art. 62 StIGH-Statut, wonach Staaten auch dann, wenn sie lediglich ein rechtliches Interesse an der Entscheidung des Gerichtshofs hatten, die Intervention beantragen konnten. Allerdings war dieses Interventionsrecht nicht quasi-automatisch ausgestaltet, wie im Falle des Art. 63 des Statuts, sondern die Entscheidung über die Zulässigkeit der beantragten Intervention lag beim Gerichtshof. Der Grund für dieses Interventionsrecht lag und liegt nach wie vor darin, dass Entscheidungen des StIGH und heute des IGH verallgemeinerungsfähige Aussagen enthalten, die auch die Rechtspositionen anderer Staaten betreffen, so dass diesen die Möglichkeit eröffnet werden sollte, durch die Intervention und damit verbunden das Vorbringen der eigenen Rechtsauffassung die Entscheidung des Gerichtshofes zu beeinflussen.183 Aus dem Bericht des Rates des Völkerbundes geht hervor, dass Sinn und Zweck des Art. 59 StIGH-Statuts die ausdrückliche Feststellung dessen war, was indirekt auch durch Art. 62 und 63 des Statuts zum Ausdruck kam: Staaten, die nicht interveniert haben, waren an die Entscheidung des Gerichtshofes nicht gebunden.184 Dieses Verständnis wird auch durch einen Vergleich mit 181 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 99 ff.; Hambro, Curren Legal Problems 7 (1954), S. 212 (218); siehe auch Hudson, The Permanent Court of International Justice, S. 627. „. . . Articles 38 and 59 taken together do not exclude the Courts’s adoption of the principle of stare decisis with respect to its own jurisprudence . . .“. Allerdings weist er ebenfalls daraufhin, dass sie den Grundsatz auch nicht zwingend vorschreiben. 182 Lauterpacht, BYIL XII (1931), S. 31 (58). 183 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 58. 184 „. . . if a state has not intervened in the case the interpretation cannot be enforced against it. No possible disadvantage could ensue from stating directly what Article 61 indirectly admits. The addition of an Article drawn up as follows can thus be proposed to the Assembly: the decision of the Court has no binding force except between the parties and in respect of that particular case.“, Documents Concerning the Action taken by the Council under Article 14 of the Covenant, S. 50 zitiert nach Lauterpacht, BYIL XII (1931), S. 31 (58).

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4. Teil: Lösungsansätze

Art. 84 der ersten Haager Konvention von 1907 deutlich, der zunächst feststellt, dass Schiedssprüche nur für die Parteien verbindlich sind, sodann von diesem Grundsatz für den Fall eine Ausnahme macht, dass ein Staat von seinem Interventionsrecht entsprechend des heutigen Art. 63 IGH-Statuts Gebrauch gemacht hat.185 In Anbetracht der Tatsache, dass die heutigen Vorschriften des IGH-Statuts denen des StIGH entsprechen, ist deren Auslegung auch auf die heute geltenden Normen übertragbar, d.h. auf das Verhältnis der Art. 59, 62 und 63 IGH-Statut zueinander. Dies gilt insbesondere für die Aussage, dass Art. 59 IGH-Statut aus einer übermäßigen Vorsicht heraus in das StIGHStatut eingefügt wurde, um eindeutig festzustellen, dass Staaten, die nicht interveniert haben, an die Entscheidung auch nicht gebunden sind.186 Eine Aussage über die Bindungswirkung von Präzedenzfällen sollte dadurch nicht geschaffen werden. Auch sei darauf hingewiesen, dass die Frage der rechtlichen Bindungswirkung an frühere Entscheidungen nicht eine Bindungswirkung im Sinne des Art. 59 IGH-Statut nach sich ziehen muss. „A judicial decision binds the parties in the sense that it constitutes an authorative definition of their legal relations on the particular matter in dispute by the application of the law to the facts of the specific case; general international law, on which the precedential effect of a judicial decision is excerted, applies to all States, but it does not, by itself, operate to impose on them a judicial definition of their relations on any particular matter . . . The destinction is between the juridicial force of a decision, which is confined to the parties to the case, and its general jurisprudential effect on international law, which is of wider import.“187

Diesem Ansatz entspricht auch die Differenzierung zwischen der Bindungswirkung des Urteilstenors – dem dispositif, der sich nur auf die Streitparteien des jeweiligen Falls bezieht, und der Urteilsbegründung – der ratio decidendi, die auch Bindungswirkung über den Tenor hinaus entfalten kann.188 Die Annahme einer über die konkrete Streitigkeit hinausgehenden Bindungswirkung der Urteilsbegründung zieht auch nicht notwendigerweise die Konsequenz nach sich, dass eine Streitigkeit zwischen den Staaten A 185

Siehe McNair, Development of International Justice, S. 13. Jennings, RdC 121 (1967), S. 323 (341). 187 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 100. 188 Diese Auslegung des heutigen Art. 59-IGH Statut schlägt Jennings in seinem abweichenden Votum im Case Concerning the Continental Shelf (Libyan Arab Jamahiriya/Malta), Application by Italy for Permission to Intervene, 21.3.1984, ICJ Reports 1984, 157 vor: „Alternatively, Article 59 may be considered as applying, as it clearly does also, more particularly to the dispositif of a judgement; and it is true that the particular rights and obligtions created by the dispositif are adressed, and only adressed, to the parties of the case, and in respect only of that case.“ 186

C. Auslegungskonflikte

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und B, die dem Sachverhalt nach mit einer bereits entschiedenen Streitigkeit zwischen den Staaten C und D identisch ist, durch die bereits ergangene Entscheidung mitentschieden ist. Denn zum einen besteht durchaus die Möglichkeit, dass die frühere Entscheidung fehlerhaft ist, und zum anderen, dass die in dem Urteil gemachten Rechtsausführungen entweder aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht anwendbar sind, weil sie z. B. in einem unmittelbaren, davon nicht loslösbaren Zusammenhang mit der speziellen Faktenlage der konkreten Streitigkeit stehen.189 Wenn Art. 59 IGH-Statut aber nicht den Sinn und Zweck verfolgt, die rechtliche Bindungswirkung von Präzedenzfällen auszuschließen,190 so kann auch der Verweis in Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut auf ebendiese Vorschrift nicht zu einem entsprechenden Resultat führen. Auch dieser Verweis erscheint aus übermäßiger Vorsicht heraus geschaffen worden zu sein. Die einzige konsequente, nicht in sich logisch brüchige Auslegung besteht darin, dass durch den Verweis lediglich verdeutlicht werden sollte, dass die Heranziehung früherer Entscheidung als Rechtsquelle von ihrer Bindungswirkung in Bezug auf die Parteien und die damit verbundene Feststellung ihres Rechtsverhältnisses zu unterscheiden ist.191 Auch wenn sich die Annahme, dass die Nichtanwendbarkeit des Grundsatzes stare decisis allgemein auf der Zusammenschau der Art. 38 Abs. 1 lit. d) und Art. 59 IGH-Statut basiert, als nicht stichhaltig erwiesen hat, so bedeutet dies im Umkehrschluss noch nicht, dass stare decisis automatisch Geltung beanspruchen kann. Vielmehr kann sich die Nichtanwendbarkeit des Grundsatzes aus der Struktur der „internationalen Gerichtsbarkeit“ ergeben192 sowie aus der Tatsache, dass sie ihren Ursprung in der anglo-amerikanischen Rechtstradition und damit zusammenhängender Besonderheiten hat, die eine Übertragung auf das Völkerrecht ausschließen.193 Zwar ist es richtig, dass primäre Aufgabe internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Verfahren die Entscheidung einer konkreten Streitigkeit zwischen den Parteien ist. Dies schließt aber nicht aus, dass sie in einem zunehmend verrechtlichten Völkerrechtssystem darüber hinaus auch „Ordnungsaufgaben“ wahrnehmen, indem sie mit der Entscheidung 189 Zum Grundsatz des distinguishing und Gründen für ein Abweichen von früheren Entscheidungen ausführlich Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 110 ff.; siehe auch die im 3. Teil unter B.–C. gemachten Ausführungen über die „Rechtfertigungsmöglichkeiten“ divergierender Entscheidungen, deren Vorliegen die Existenz eines Auslegungskonflikts ausschließt. 190 McNair, Devlopment of International Justice, S. 13; Lauterpacht, BYIL XII (1931), S. 31 (59), Hudson, Permanent Court of International Justice, S. 627. 191 Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 101. 192 Oellers-Frahm, Max Plank UNYB 5 (2001), S. 67 (76). 193 So Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 105.

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4. Teil: Lösungsansätze

einer konkreten Streitigkeit den Umfang des geltenden Rechts festlegen und dies auch weiterentwickeln.194 Dadurch tragen sie, und insbesondere der IGH, in erheblicher Weise zu der eingangs erwähnten Verrechtlichung bei. Dass ein solcher Prozess möglichst einheitlich verlaufen sollte, erscheint einleuchtend. Ebendiese Aufgabe müssen internationale Gerichte auch ohne ein institutionalisiertes Gerichtssystem mit formalen Strukturen, wie es in den meisten innerstaatlichen Rechtsordnungen bekannt ist, bewerkstelligen. Im heutigen Völkerrechtssystem erscheint es auch unangebracht, die Geltung des Grundsatzes stare decisis mit dem Argument abzulehnen, dass Streitigkeiten letztlich bilateraler Struktur seien und dass dieser Struktur eine rechtliche Bindungswirkung an Präzedenzfälle fremd ist. Zunächst ist festzuhalten, dass jedes Gerichtsverfahren, ob im Völker- oder im innerstaatlichen Recht, eine „bilaterale Struktur“ aufweist, indem es das Rechtsverhältnis zwischen den Streitparteien bestimmt. Aber natürlich kann ein solches Urteil verallgemeinerungsfähige Aussagen enthalten, die auf andere Fälle übertragbar sind. Dies gilt im innerstaatlichen Recht wie auch im internationalen.195 Diesbezüglich hat Rosenne ausgeführt: „. . . the unforeseeen expansion in the employment of the multilateral treaty . . . and the ever increasing complexity and multilateralization of international relations in general, must give rise to doubts whether a dispute settlement mechanism based on the single assumption that disputs exist only between two parties is adequate or even appropriate for modern needs.“196

Darüber hinaus bestätigt die Praxis des IGH und anderer Gerichte, dass sie den stare decisis Grundsatz de facto anerkennen, da sie frühere Entscheidungen grundsätzlich berücksichtigen und nur unter den Voraussetzungen, dass Rechtsentwicklungen eine andere Entscheidung notwendig machen oder rechtfertigen oder dass die frühere Entscheidungen auf Besonderheiten der konkreten Streitigkeit beruhte, von diesen abweichen. Wenn aber eine de facto Anerkennung mit dem völkerrechtlichen System gerichtlicher 194 Siehe statt vieler Hambro, Current Legal Affairs 7 (1954), S. 212 (218): „. . . the reasoning of the judgements of the International Court and its predecessor do create law and are in themselves a source of law for the future. It follows from the Practice of the Court that it wants, and always has wanted, to build up a consistent body of rules, and by seeking to do so it has contributed not only to the clarification but also to the development of public international law.“ 195 Ob und inwieweit die getroffenen Aussagen einer Entscheidung verallgemeinerungsfähig sind und ihren Grund nicht in den speziellen Umständen der Streitigkeit haben, so dass die ratio dicidendi letztlich nicht vom dispositif zu trennen ist, mag zwar im Einzelnen schwierig sein; dies kann aber nicht dazu führen, dass Entscheidungen internationaler Gerichte grundsätzlich eine solche Funktion abgesprochen werden kann. Zur Problematik des distinguishing, d.h. der Differenzierung zwischen einer Präzedenzentscheidung und dem aktuellen Fall siehe Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 110 ff. 196 Rosenne, Law and Practice, vol. III, S. 1654.

C. Auslegungskonflikte

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Streitbeilegung vereinbar ist, so steht einer de jure Anerkennung in Abwesenheit von spezifischen Vorschriften, die dies untersagen würden, kein prinzipieller Einwand entgegen. Vielmehr könnte die de jure Anerkennung durch die grundsätzlich bestehende Kooperationsverpflichtung internationaler Gerichte gestützt werden.197 Dadurch sind internationale Gerichte rechtlich verpflichtet, die Tätigkeit anderer Gerichte und deren Entscheidungen zu berücksichtigen. Somit sind sie auch rechtlich verpflichtet, die Aussagen in ihren Entscheidungen zu beachten. Die Anerkennung einer rechtlichen Bindungswirkung früherer Präzedenzentscheidungen bzw. einer Bindungswirkung an die verallgemeinerungsfähige, nicht an das dispositif geknüpfte ratio decidendi einer Entscheidung ist damit begründbar, auch wenn sie bisher nicht anerkannt ist. Gegen diese Annahme spricht auch nicht die Formulierung in Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut, wonach Entscheidungen internationaler Gerichte lediglich subsidiäre Rechtsquellen sind. Denn grundsätzlich ist eine Entscheidung lediglich Ausdruck geltenden Rechts, d.h. sie basiert auf der Anwendung der anderen, in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut aufgeführten Rechtsquellen – auf der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, Normen des Völkergewohnheitsrechts oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Dementsprechend ist die Heranziehung einer früheren Entscheidung immer auch eine indirekte Heranziehung der primären Rechtsquellen. Basiert nun aber das frühere Urteil nicht auf den im späteren Verfahren entscheidungserheblichen Rechtsquellen kann es auch keine Präzedenzwirkung entfalten. Somit kommt durch die Berufung auf einen Präzedenzfall auch immer die Heranziehung der „primären“ Rechtsquellen zum Ausdruck. In Anbetracht der Tatsache, dass andere Mechanismen zur Wahrung der einheitlichen Auslegung insbesondere des allgemeinen Völkerrechts nicht zu Verfügung stehen bzw. in näherer Zukunft nicht realisierbar erscheinen,198 ist die zukünftige Anerkennung einer rechtlichen Bindung an Präzedenzentscheidungen die einzige Möglichkeit, die Gefahr divergierender Auslegungen in unterschiedlichen Verfahren auf ein Minimum zu reduzieren. Der Vorteil gegenüber der bestehenden de facto Befolgung dieses Grundsatzes liegt darin, dass Entscheidungen internationaler Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestalteter Streitbeilegungsverfahren, die bestehende Präzedenzfälle negieren und keine Rechtfertigung für ein Abweichen vorbringen, rechtsfehlerhaft sind.

197 Zur Kooperationspflicht zwischen internationalen Gerichten, Tribunalen und gerichtsähnlich ausgestalteten Streitbeilegungsverfahren siehe oben 4. Teil. A. 198 Siehe dazu oben 4. Teil. C. I.

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4. Teil: Lösungsansätze

D. Zusammenfassung und Ausblick Ansatzpunkt für die Auflösung von Zuständigkeits- und Auslegungskonflikten ist die Statuierung einer zwischengerichtlichen Kooperationspflicht, deren Geltung sich aus der allgemeinen Pflicht zur Zusammenarbeit im Falle sich überschneidender Jurisdiktionsbereiche ergibt. Allerdings kann diese prinzipienartig ausgestaltete Verpflichtung nur dann Lösungsmöglichkeiten für die jeweiligen Konfliktsituationen bieten, wenn sie sich weiter konkretsieren lässt. Für Zuständigkeitskonlikte sind die Grundsätze res judicata und lis pendens im Falle doppelter Rechtshängigkeit Ausdruck zwischengerichtlicher Kooperation. Dies gilt auch für die Aussetzungsverpflichtung in Situationen konnexer Verfahren, da nur dadurch divergierende Entscheidungen bezüglich der für beide Verfahren relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen vermeiden werden können. Die Abwendung von Auslegungskonflikten hingegen kann nur dadurch effektiv erreicht werden, dass in Zukunft eine rechtliche Bindungswirkung von Präzedenzentscheidungen anerkannt wird. Dadurch wird letztlich die Berücksichtigung der Tätigkeit anderer Gerichte zum Ausdruck gebracht, so dass sich der Grundsatz stare decisis ebenfalls aus dem Kooperationsgedanken ableiten lässt. Dass weder die Vorschriften des IGH-Statuts oder andere Bestimmungen noch die Besonderheiten der völkerrechtlichen Streitbeilegung der Anerkennung dieses Grundsatzes entgegen stehen, ist im Rahmen der Untersuchung nachgewiesen worden. Inwieweit internationale Gerichte, Tribunale und gerichtsähnlich ausgestaltete Verfahren in Zukunft allerdings von den aufgezeigten Möglichkeiten Gebrauch machen werden, bleibt abzuwarten. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit der Aussetzung im Falle konnexer Verfahren, da diese bisher weder in der Literatur noch in der Völkerrechtspraxis erörtert wurden, obwohl aufgezeigt werden konnte, dass es sich bei den meisten Zuständigkeitskonflikten nicht um Fälle doppelter Rechtshängigkeit handelt, sondern um konnexe Verfahren. Ein erster diesbezüglicher Ansatzpunkt zeigt sich jedoch in der Entscheidung des Schiedsgerichts in der MOX Plant-Streitigkeit über die vorübergehende Aussetzung des Verfahrens, um eine Entscheidung der Kommission und möglicherweise des EuGH abzuwarten.

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Stichwortverzeichnis Amerikanisches Menschenrechtsschutzsystem 63 ff. Auslegungskonflikte 151 ff., 301 ff.

– WTO/Umweltübereinkommen 179 ff. Helms-Burton-Act 139 ff., 294, 349 ff.

Dezentralisation 69 ff. Divergierende Auslegungen 104 ff., 304 ff. Doppelte Rechtshängigkeit – im internationalen Zivilverfahrensrecht 282 ff. – im Völkerrecht 288 ff., 334 ff. DSU – Art. 3 II 181 ff. – Art. 23 255 ff.

IGH – Gutachtenanfrage 363 ff. – La Grand-Fall 121 ff., 293, 348 f. – Nicaragua-Fall 106 ff., 307 ff. – Revisionsinstanz 356 ff. – Vorabentscheidungsverfahren 360 ff. Internationale Gerichtsbarkeit – Hierarchisierung 355 ff. – Stärkung 24 ff. Inter-se Vereinbarungen – allgemein 173 ff. – WTO-Recht 216 ff. IPbürg, Art. 5 II a) FP zum 252 ff.

EGMR 57 ff. EMRK, Art. 35 I b) 249 ff. EuGVÜ, siehe GVO

Garnelenstreitigkeit (U.S. – Shrimp) 234 ff., 238 ff. GATT – Art. III 81 ff. – Art. XX 79 ff., 229 ff, 238 ff. GVO – Gentechnisch veränderte Organismen 94 ff. – Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung 283 ff.

Konnexe Verfahren – internationales Zivilverfahrensrecht 282 ff. – Völkerrecht 293 ff., 348 ff. Konsularrechtskonvention, Art. 36 I b) 121 ff., 293 f., 348 f. Kooperationsobliegenheit, Art. XX GATT 229 ff., 238 ff. Kooperationspflicht – Inhalt 318 ff. – zwischen internationalen Organisationen 326 ff. – zwischengerichtliche 330 ff. – zwischenstaatliche 242 ff., 323 ff.

Handel/Umweltschutz, Interdependenz 72 ff. Harmonisierende Auslegung – Allgemein 171 ff.

Lex posterior – allgemein 167 ff. – im Verhältnis Handel/Umwelt 201 ff., 211 ff.

Forum non conveniens 336 ff. Forum specialis 335 f.

Stichwortverzeichnis Lex specialis – allgemein 169 ff. – im Verhältnis Handel/Umwelt 201 ff., 215 ff. Lis pendens 342 ff. Loizidou-Fall 118 ff., 304 ff., 309 f. MEA, siehe multilaterale Umweltübereinkommen MOX Plant-Streitigkeit 129 ff., 272 ff., 295, 313 ff. NAFTA-Streitbeilegung – Art. 1903 134 ff. – Art. 2005 259 ff. – Kapitel 20 137 ff. Nicaragua-Fall, siehe IGH Pauger gegen Österreich 144 ff., 251 f. Rajic|’-Fall 109 ff. Rechtsmissbrauch 278 f. Risikobeurteilung 192 ff., 198 f. Rogl gegen Deutschland 143 f., 254 f. Schwertfisch-Fall 147 ff., 244 ff., 293 f., 348 ff. Southern Bluefin Tuna-Fall 124 ff., 220 ff., 269 ff., 294 f., 313 ff. SRÜ, siehe auch SRÜ-Gerichtsbarkeit – Art. 281, 282 268 f. – Gerichtsbarkeit, Foren 29 ff. – Kooperationsverpflichtungen 242 ff. SRÜ-Gerichtsbarkeit – parallele Verfahren iRd SRÜ 123 f. – Zuständigkeit ratione materiae 37 ff. Stare decisis 365 ff. Strafgerichtsbarkeit, internationale 67 ff. Streitgegenstand, völkerrechtlicher – allgemein 288 ff. – Art. 35 I b) EMRK 251 f. – Art. 2005 NAFTA 261 ff.

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Tadic-Fall 112 ff., 307 ff. Test of control 106 ff. Thunfischstreitigkeit (Tuna I und II) 230 ff. Umweltübereinkommen, multilaterale – Biodiversitätskonvention 90 ff. – Cartagena-Protokoll 94 ff. – Kyoto-Protokoll 97 ff. – Parallele Anwendbarkeit mit WTORecht 176 ff. UN-Menschenrechtsausschuss 61 ff. Vertragsklauseln – zur Vermeidung von Vertragskonflikten 166 f. – zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten 249 ff. Vertragskollision 158 ff. Vertragskonkurrenz 158 ff. Vorabentscheidungsverfahren, siehe IGH Vorsorgeprinzip 193 ff., 199 ff. WTO – CTE 76 ff. – GATT 78 ff., 229 ff, 238 ff. – SPS-Übereinkommen 85 ff., 192 ff., – Streitbeilegung 40 ff., siehe auch WTO-Verfahren – TBT-Übereinkommen 84 f. – TRIPS 87 ff. – Umweltschutz 76 ff. WTO-Verfahren – anwendbares Recht 201 ff. – Auslegungsrelevanz WTO-fremden Rechts 181 ff. – Zuständigkeit ratione materiae 47 ff. WVRK, Art. 31 III c) 183 ff. Zuständigkeitskonflikt 157 ff., 333 ff. Zuständigkeitskonkurrenz 157 ff.