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German Pages 406 [424] Year 1959
DIE K I R C H E N DER W E L T • B A N D I DIE O R T H O D O X E K I R C H E I N G R I E C H I S C H E R
SICHT
DIE K I R C H E N DER WELT
Herausgeber Dr. H A N S H E I N R I C H H A R M S Dr. H A N F R I E D K R Ü G E R D. F E R D I N A N D S I G G f Dr. G Ü N T E R W A G N E R D. Dr. H A N S - H E I N R I C H W O L F
DIE O R T H O D O X E K I R C H E IN GRIECHISCHER
SICHT
Herausgegeben von PANAGIOTIS BRATSIOTIS
2. ergänzte Auflage (i. und 2. Teil)
m EVANGELISCHES
VERLAGSWERK
STUTTGART
I S B N 3 7 7 1 5 0105 9 2. Auflage 1970 (ergänzt durch weitere Bibliographien sowie Sach- und Namenregister; 1. und 2. Teil in einem Band) Erschienen 1959 im Evangelischen Verlagswerk G m b H , Stuttgart © Alle Rechte, einschließlich dem der Obersetzung, vorbehalten Gesamtherstellung: Union Druckerei G m b H Stuttgart
I
INHALT
V O R W O R T DES V E R L A G S Z U R i. A U F L A G E
5
V O R W O R T DES H E R A U S G E B E R S Z U R 1. A U F L A G E . . . .
8
V O R B E M E R K U N G Z U R 2. A U F L A G E
12
1. T E I L Prof. Dr. Johannes N. Karmiris ABRISS DER D O G M A T I S C H E N LEHRE DER ORTHODOXEN KATHOLISCHEN KIRCHE
15
Prolegomena I. Einfache Theologie 1. Uber den Einen und Dreieinigen Gott
15 28 28
2. Die Welt
35
3. Der Mensch
40
II. Die Theologie der göttlichen Ökonomie 1. Die Person Jesu Christi 2. Das Erlösungswcrk des Erretters
53 56 62
3. Die Kirche 4. Die Sakramente
85 101
5. Die letzten Dinge
112
Prof. Dr. Vasilios Vellas DIE H E I L I G E S C H R I F T I N D E R G R I E C H I S C H ORTHODOXEN KIRCHE Bibliographie
121 140
Prof. Dr. Basil Stephanidis G R U N D Z Ü G E DER GESCHICHTE DER ORTHODOXEN KIRCHE Bibliographie
141 156
Inhalt
2 Prof. Dr. Panagiotis Trembelas
DER ORTHODOXE CHRISTLICHE GOTTESDIENST
....
157
1. Allgemeine Charakteristik
157
2. Eingehendere Charakteristik
159
Bibliographie
169
Erzbischof Prof. Dr. Hieronymos Kotsonis VERFASSUNG UND AUFBAU DER O R T H O D O X E N KIRCHE
170
Bibliographie
175
Prof. Dr. Andreas Theodorou DIE M Y S T I K IN DER O R T H O D O X E N
OSTKIRCHE
Vorwort I. Die Mystik im Neuen Testament II. Die Mystik im Neuplatonismus III. Die Mystik der griechischen Kirchenväter 1. a) Die Anthropologie der Väter als Basis ihrer Mystik
176 176 178 185 187 187
b) Die Transzendenz des göttlichen Wesens und deren Bedeutung für die Mystik der Väter 189 c) Die Vergottung des Menschen in Christo als die soteriologische Basis der Mystik der griechischen Kirchenväter 189 d) Der heilige Geist im mystischen Leben der Kirche
192
2. Der mystische Aufstieg des Menschen zu Gott
195
Bibliographie
209
Inhalt
3
2. T E I L
Erzbischof Prof. Dr Hieronymus Kotsonis DIE G R I E C H I S C H E T H E O L O G I E
213
Begrenzung des Themas
213
Vereinigung von Dynamik und Statik
214
Der wissenschaftliche Wert der griechischen Theologie
215
Die Originalität der Späteren
218
Gedankengänge der griechischen Theologie
221
Arbeiten auf den einzelnen theologischen Gebieten
228
A. Systematik 229; B . Historische Theologie 2 3 1 ; C.Exegese 234; D. Praktische Theologie 236; E. Pastoraltheologie 239 Bibliographie
242
Prof. Dr. Panagiotis Poulitsas DIE B E Z I E H U N G E N Z W I S C H E N STAAT U N D
KIRCHE
IN G R I E C H E N L A N D
244
Bibliographie
254
Prof. Dr. Panagiotis Bratsiotis DIE GEISTIGEN S T R Ö M U N G E N U N D
DIE
RELIGIÖSEN B E W E G U N G E N IN DER
ORTHODOXEN
KIRCHE GRIECHENLANDS Bibliographie
255 274
Prof. Dr. Andreas Theodorou DAS M Ö N C H T U M DER O R T H O D O X E N OSTKIRCHE Vorwort I. Geschichte des Mönchtums in der Orthodoxen Ostkirche II. Askese und mönchische Ideale III. Der Dienst des Mönchtums für Kirche und Volk Bibliographie
. 276 276 277 289 294 296
4
Inhalt
Erzbischof Prof. Dr. Hieronymus Kotsonis DIE S T E L L U N G DER LAIEN I N N E R H A L B DES KIRCHLICHEN ORGANISMUS I. Die grundlegenden kanonischen Anordnungen bezüglich der Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus 1. Die organische Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus 2. Worauf bezieht sich die Unterscheidung zwischen Klerus und Laienvolk? 3. Unterschiede innerhalb des Laienstandes II. Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus in der Praxis der Vergangenheit und Gegenwart 1. Die Stellung der Laien im Heiligungswerk der Kirche 2. Die Stellung der Laien im Lehramt der Kirche 3. Die Stellung der Laien in der Verwaltung der Kirche Bibliographie Prof. Dr. Vasilios Ch. Joannidis DIE B E Z I E H U N G E N DER O R T H O D O X E N ZU DEN ANDERSGLÄUBIGEN KIRCHEN Bibliographie
298 299 300 302 304 305 305 307 310 321
OSTKIRCHE 323 350
Prof. Dr. Nikolaus Louvaris KIRCHE UND WELT Bibliographie
351 362
Metropolit von Kozam und Servia Dionysios Psarianos DIE B Y Z A N T I N I S C H E M U S I K IN DER GRIECHISCH-ORTHODOXEN KIRCHE Nachwort Bibliographie
363 381 382
Prof. Dr. Georg A. Sotiriou DIE K U N S T IN DER GRIEÇHISCHORTHODOXEN KIRCHE A. Architektur B . Darstellende Kunst C. Skulptur D. Kleinkunst . Kirchliche Geräte, liturgische Decken und Priestergewänder Bibliographie
383 384 387 394 396 399
Nachwort des Verlages zur 1. Auflage
400
Sachregister Teil 1
401
Namenregister Teil 1
402
Sachregister Teil 2
4°4
Namenregister Teil 2
4°S
VORWORT D E S VERLAGS ZUR i. AUFLAGE
D
ie Segnungen und Verwirrungen der Neuzeit haben für die Christen in aller Welt die Möglichkeiten vervielfacht, einander zu begegnen. Sie haben aber auch - und das ist entscheidender - die ganze Christenheit im Geistigen enger aneinandergerückt. Darum empfinden wir heute stärker als frühere Zeiten die Zerrissenheit des christlichen Glaubens in der Welt in eine Vielzahl von Konfessionen als Mangel und Gefahr. Und wir hoffen intensiver auf Verständigung zwischen den Teilen der Christenheit. Solcher Verständigung soll dieses Buch gelten, in diesem Geist ist es geschrieben! Orthodoxe Theologen wollen uns ihre Kirche verständlich machen. Schon diese Absicht ist ungeachtet aller kirchlichen und theologischen Verschiedenheiten ein unsere Kirchen verbindendes Moment. Jahrhundertelang haben Orthodoxie und Protestantismus - von Außenseitern beider Kirchen abgesehen - aneinander vorbeigelebt. Heute ist das Interesse füreinander, das Bemühen um Verständigung erwacht. Daß dies nicht nur bei uns, sondern auch auf orthodoxer Seite so ist, dafür zeugt dieses Buch. Bei dieser Aktualität des ganzen Buches nimmt es wunder, daß große Teile der hier vorgelegten Aufsätze dem ersten Anscheine nach allgemeingehaltene, zeitlose Darlegungen der entsprechenden Fachgebiete sind, teils in historischer, teils in systematischer Form dargeboten; und es erstaunt, daß eine Anzahl von Fragen erörtert wird, die für unser theologisches Denken längst der Vergangenheit angehören. Wer jedoch die heutige Theologie innerhalb der orthodoxen Kirche Griechenlands kennenlernen will, darf diese Teile des Buches nicht mit geringerer Aufmerksamkeit lesen als die anderen: sie gehören offenbar notwendig zum Selbstverständnis eben dieser heutigen Theologie mit dazu. So hat zum Beispiel der Rückgriff auf die Geschichte der Kirche, besonders auf die Geschichte der Alten Kirche hier eine andere Bedeutung als etwa die historischen Einleitungen, die man bei uns der wissenschaftlichen Erörterung aktueller Fragen gerne in knapper Form voranstellt. Nach
6
Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht
Anschauung der Verfasser unserer Aufsätze sind viele Fragen, die bei uns nur mehr historische Bedeutung haben, für die orthodoxe Kirche auch in der Gegenwart noch ungetrübt lebendig. Das muß man sich besonders bei den dogmatischen Ausführungen stets vor Augen halten. In ähnlicher Weise hat es grundsätzliche Bedeutung, wenn die meisten Verfasser in ihren Aufsätzen einen systematischen Überblick über ihr Fachgebiet geben und aktuelle Problemstellungen und Anregungen nur kurz berühren. Der orthodoxe Theologe sieht eben die eine Frage, die sich in einer bestimmten Zeit mit besonderem Nachdruck stellt - für uns oft der Schlüssel zum Verständnis eines ganzen Sachgebiets - , niemals losgelöst von dem besonderen Ort, den diese Frage in dem überlieferten Gesamtsystem der Theologie einnimmt. Theologie zu treiben ist für den Orthodoxen im Ganzen eine ebenso fest geordnete Tätigkeit wie die Ikonenmalerei. Damit hängt zusammen, daß man polemische oder kritische Abgrenzungen der einzelnen Theologen gegeneinander in der heutigen Literatur der orthodoxen Theologie nur selten findet, besonders selten natürlich in einem W e r k , das bestimmt ist, die orthodoxe Theologie nach außen hin bekannt zu machen. Trotzdem gibt es lebendiges theologisches Nachdenken. Nur kommt ein Gedanke, auf den ein Theologe vielleicht besonderen Nachdruck legen möchte, oft nur in der Nuancierung eines Begriffs oder einer Benennung zum Ausdruck. Oder er schlägt sich nieder in einer Anmerkung. W e n n zum Beispiel Prof. Joh. N . Karmiris nicht wie die anderen Theologen von der „Griech. Orthodoxen Kirche" bzw. von der „Orthodoxen Ostkirche" spricht, sondern die Bezeichnung „Orthodoxe Katholische Kirche" wählt, so zeigt sich darin eine sehr bestimmte Vorstellung davon, was Orthodoxe Kirche ist (alle drei B e zeichnungen meinen die ganze Orth. Kirche, im engeren Sinne ist von der „Orth. Kirche Griechenlands" die Rede). Andrerseits darf man nicht annehmen, der orthodoxe Theologe fühle sich durch die Lehre seiner Kirche in enge Schranken gewiesen, die ihn hinderten, seine eigene Meinung offen auszusprechen. Professor Pan. Bratsiotis sagt einmal, ein Grundprinzip der orthodoxen Kirche sei die „ausgeglichene Verbindung von Autorität und Freiheit". Dasselbe gilt für die Theologie. Der orthodoxe Theologe wird nie einen Gegensatz wahrnehmen zwischen der Lehre der Kirche und seinem eigenen Nachdenken, wie auch immer das Verhältnis zwischen beiden bestimmt sein mag. Es ist hierbei interessant zu wissen, daß sich die orthodoxe Theologie vielleicht schon länger, als wir ahnen - in einer einseitig und im Stillen geführten Diskussion mit den theologischen Strömungen West- und
Vorwort des Verlags
7
Mitteleuropas befindet. Manche Aussage dieses Buches nimmt indirekt Bezug auf Urteile, die früher oder noch heute v o m Westen über die orthodoxe Kirche gefällt wurden oder werden, manche Abgrenzung eines Begriffs ist von den Äußerungen eines unserer Theologen negativ oder positiv mitbestimmt worden. Die meisten der heutigen Theologieprofessoren der Griechischen Universitäten haben sich nach Abschluß ihres eigenen Studiums kürzere oder längere Zeit an einer der U n i v e r sitäten des „Westens" - in England, Amerika und vor allem Deutschland - aufgehalten. Eine Tatsache, die weder unter- noch überschätzt w e r den darf. So muß man bei der Lektüre dieses Buches in besondererWeise auf Nuancierungen achtgeben, auf stärkere oder schwächere Betonung einer bestimmten Aussage, auf die Grenze zwischen dem, was gesagt wird und dem, was nicht zur Sprache k o m m t . Dann gibt dieses B u c h sowohl dem westlichen Beobachter, dem die orthodoxe Kirche bisher eine unbekannte und unverständliche Größe war, wie auch dem, der sie schon kennt, Einblick in die heutige theologische Situation des griechischen Teils der orthodoxen Kirche, und es gewährt darüber hinaus manchen Ausblick auf orthodoxes theologisches Denken i m Ganzen, ja a u f die „ O r t h o d o x i e " überhaupt. D i e Fülle des Materials hat es nicht zugelassen, alle Beiträge in einem B a n d zu veröffentlichen. Während der vorliegende Band vor allem B e i träge über systematische Fragen enthält, folgen in einem weiteren B a n d Beiträge über die Gestalt und Arbeitsweise der Orthodoxen
Kirche
Griechenlands, nämlich: Archimandrit Dr. Hieronymus Kotsonis, D i e griechische Theologie; Dr. Panagiotis Poulitsas, D i e Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Griechenland; Prof. Panagiotis Bratsiotis, D i e geistigen Strömungen und die religiösen Bewegungen in der Orthodoxen Kirche Griechenlands; D r . theol. Andreas Theodorou, Das M ö n c h t u m der Orthodoxen Ostkirche; Archimandrit Dr. Hieronymus Kotsonis, Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus; Prof. Dr. Vasilios Ch. Joannidis, Die Beziehungen der Orthodoxen Ostkirche zu den andersgläubigen Kirchen und ihre Stellung innerhalb der ö k u m e nischen B e w e g u n g ; Prof. Dr. Nikolaus Louvaris, Kirche und W e l t ; Dionysios Psarianos, Metropolit von Kozani und Servia, Die byzantinische Musik in der Griechisch-Orthodoxen Kirche; Prof. D r . Georg A. Sotiriou, Die Kunst in der Gricchisch-Orthodoxen Kirche. D e r Verlag ist dem deutschen Pfarrer in Athen, Herrn Gerhard Möckel, zu großem D a n k verpflichtet, weil er die Übersetzung der griechischen Beiträge organisiert und überwacht hat. Unter den Übersetzern danken wir besonders Herrn Repetent Helmut Lang für vielfache Hilfe und Anregungen.
8
V O R W O R T DES
HERAUSGEBERS
Z U R i. A U F L A G E
B
is zum Beginn des 20. Jahrhunderts war die orthodoxe Kirche der westlichen Welt fast unbekannt. Nicht nur das: sie war der Ungnade des Westens ausgesetzt, nicht nur des römisch-katholischen, sondern auch des protestantischen, der von der römisch-katholischen Kirche- trotz gescheiterter Versuche zu näherer Bekanntschaft schon im 16. Jahrhundert - eine Voreingenommenheit gegenüber der orthodoxen Kirche sozusagen geerbt hatte. Manches Beispiel dieser Unkenntnis und Voreingenommenheit in Dingen der orthodoxen Kirche und insbesondere auch der griechischen Kirche, spiegelt sich in den ungünstigen und ungerechten Urteilen so mancher römisch-katholischer Theologen, u. a. Bischof Boromelli von Cremona, K. Lübeck, J. Steifes, aber auch protestantischer Theologen, A. v. Harnack an der Spitze 1 ). Manche dieser Urteile haben inzwischen fast allgemeine Mißbilligung sowohl in der römisch-katholischen wie in der protestantischen Welt gefunden,wie dies besonders aus den Schriften des protestantischen Theologen F. Heiler2) und des römischkatholischenTheologen G. Wunderle 3 ) zu ersehen ist. Aber auch schon im vorigen Jahrhundert hat es im Westen an gerechteren Urteilen über die orthodoxe Kirche nicht ganz gefehlt, Urteile, denen eine bessere Kenntnis zugrunde lag. Als ein Beispiel sei die „Symbolik der griechischen Kirche" von W . Gass (1872) genannt. Eine wesentliche Verbesserung der Lage in dieser Hinsicht läßt sich aber doch erst seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts feststellen, die - wie schon gesagt - einer tieferen Kenntnis der Geschichte und ihrer Quellen zu verdanken ist, zu der Folgendes beigetragen hat: 1. Die Versuche älterer orthodoxer Theologen, die Geschichte und andere x
) Siehe besonders seine Dogmengeschichte II, 4, 438ff.; „Das Wesen des Chri-
stentums" und „ D e r Geist der morgenländischen Kirche im Unterschied von der abendländischen" (S. B . der Pr. A k . W . 1 9 1 3 , S. I57ff.). 2 3
) Siehe besonders „Urkirche und Ostkirche", München 1 9 3 7 .
) Siehe besonders „ Ü b e r die religiöse Bedeutung der ostkirchlichen Studien",
Würzburg 1939, S. 1 1 ff.
Vorwort des Herausgebers
9
Schätze der Orthodoxie durch Veröffentlichungen, Übersetzungen orthodoxer liturgischer Bücher oder anderer spezieller Arbeiten bekanntzumachen. 2. Die aufblühende Erforschung der griechischen Väter innerhalb der westlichen Kirchen und damit das wachsende Interesse ihrer Theologen an der Erforschung auch des Lebens, des Glaubens und des Kultus der alten und der orthodoxen Kirche. (Auf protestantischer Seite z. B . K . Holl, F. Heiler, H. Koch u. a. A u f römisch-katholischer Seite Prinz M a x von Sachsen, A . Baumstark, S. Salaville, M . Jugie, G. Hofmann u. a.) 3. Der von den letzten Päpsten und besonders von Pius X I . in ihrer Kirche gegebene kräftige Anstoß zur verständnisvollen Bekanntschaft mit den orientalischen und besonders mit der orthodoxen Kirche. Die Folgen dieses Anstoßes waren u. a. die Gründung des Orientalischen Instituts und der „Orientalia Christiana" in R o m , die Zeitschrift „Irenikon" in Belgien, die von Prof. Wunderle gegründete Reihe von Abhandlungen zum Studium der Ostkirche, die Veröffentlichung von Ubersetzungen der liturgischen Bücher der orthodoxen Kirche und zahlreiche Abhandlungen über diese Kirche. 4. A m meisten hat dann zu direkter und näherer Bekanntschaft derwestlichen Welt mit der orthodoxen Kirche, besonders der protestantischen Welt, die ökumenische Bewegung beigetragen, die zu mancherlei näherem Kontakt geführt hat. Die Kenntnis nahm immer mehr zu, verbreitete Irrtümer wurden zerstreut und Schätze dogmatischer, liturgischer und kirchenrechtlicher Uberlieferung der orthodoxen Kirche entdeckt. Arbeiten russischer Theologen im Exil in Westeuropa haben hauptsächlich dazu beigetragen, außerdem Schriften des Bulgaren St. Zankow. Nicht wenig zur Verbreitung des orthodoxen theologischen Gedankens (wenn auch manchmal mißverstanden) haben auch die Arbeiten der im westlichen Exil wirkenden russischen Philosophen, besonders N . Berdjajew geholfen. D a es sich aber hauptsächlich um Russen handelt, die sich dieserAufgabe unterzogen,versteht es sich von selbst, daß das entstandene Bild der orthodoxen Kirche russischer Fassung und Auffassung war. Das hat auch Anlaß zu Mißverständnissen gegeben und zu der Meinung, gerade diese Fassung verkörpere das östliche Frömmigkeitsideal am reinsten und innigsten 1 ). Es wurde dadurch auch schon vor dem zweiten Weltkrieg die N o t wendigkeit spürbar, einmal auch die echte griechische orthodoxe Tradition zu Worte kommen zu lassen, was z . B . i n der lobenswerten Arbeit J
) F. Heiler, „Urkirche und Ostkirche", S. 546
10
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
des amerikanischen (episcopalian) Theologen F. Gavin „Some Aspects of contemporary Greek Orthodox Thought" (London 1923) geschah. Aufs Große gesehen blieb es aber doch bei der Unkenntnis gerade dieser Kirche und ihrer theologischen und kirchlichen Bewegungen, so daß die heterodoxeWelt ein ganz mangelhaftes und einseitiges Bild vor sich hatte. Immer dringlicher wurde es also von dieser Kirche Kenntnis zu geben und zwar aus folgenden Gründen: 1. Es ist selbstverständlich, daß gerade die griechische Kirche als der direkte Erbe der Orthodoxie, zu deren Prägung, menschlich gesprochen, der griechische Geist sowohl in der alten als auch in der byzantinischen Zeit so viel beigetragen hat, der Schatzmeister kat' exochen der orthodoxen Tradition ist. Dieses gilt auch, trotz oder sogar wegen der vielen Peripetien, die es in der Geschichte der griechischen Kirche gegeben hat. 2. Die neugriechische Kirche, welche allein das Privileg hat, in ihrem Kultus die griechische Bibel in ihrer Originalsprache und ebenso die griechische Liturgie und Hymnologie und in der Wissenschaft die Quellen der ältesten griechischen Theologen zu gebrauchen, weist anerkanntermaßen eine orthodoxe theologische Bewegung auf, die Athen zu einem Zentrum orthodoxer theologischer Studien erhob,von w o aus eine beachtenswerte Strahlung auch weit über die Grenzender orthodoxen Welt hinausging. So erklärt es sich, daß an der theologischen Fakultät von Athen Studenten aus allen orthodoxen Ländern (ausgenommen Rußland) zusammenkommen und daß in Athen der 1 . Panorthodoxe theologische Kongreß unter der Leitung von Prof. H. Alivisatos im Jahre 1936 stattfand1). 3. Die autokephale Kirche Griechenlands entwickelt seit vielen Jahren eine beachtliche evangelistische, biblische, liturgische und nicht zuletzt auch soziale Bewegung, die zwar schon vor dem ersten Weltkrieg über die Grenzen Griechenlands hinaus in gewisser Weise bekannt war, aber bis zum heutigen Tage noch nicht bekannt genug ist. Ein sehr ernster Versuch, die griechische Sicht der orthodoxen Kirche bekanntzumachen, war das lobenswerte Unternehmen von Prof. F. Siegmund-Schultze im Band X der „Ekklesia", einer Sammlung von Selbstdarstellungen der verschiedenen christlichen Kirchen (Leopold Klotz Verlag, Leipzig 1939, 45. Lieferung des Gesamtwerkes). In diesem Band wurde von sechs bekannten griechischen Theologen unter dem Obertitel „Die orthodoxe Kirche auf dem Balkan und in Vorderasien" *) Proès Verbaux du I Congrès de Théologie Orthodoxe à Athènes, 2 9 / 1 1 - 6 / 1 2 1936. Athènes Pyrsos 1939. Es sei hinzugefügt, daß heutzutage an der Athener Fakultät nicht nur Serben, sondern auch Studenten aus dem Libanon, Syrien, Äthiopien und sogar aus Uganda und Korea studieren.
Vorwort des Herausgebers
n
nach einer Einleitung des Herausgebers Geschichte, Leben, Kultus, Mönchtum der orthodoxen Kirche behandelt und die Beziehungen dieser Kirche zu anderen Kirchen herausgestellt. Aber dadurch ist das Bedürfnis nach einer nicht nur etwas vollständigeren, sondern vor allem auch den heutigen theologischen und kirchlichen Verhältnissen mehr angepaßten Darstellung der griechischen Orthodoxie nicht befriedigt. Den Bemühungen, diesen Mangel zu beheben, kam sehr bereitwillig das Ev.Verlagswerk in Stuttgart entgegen, das inmitten der Kirche arbeitet, in der das Andenken an den denkwürdigen Austausch der Reformatoren und des ökumenischen Patriarchats im X V I . Jahrhundert immer lebendig geblieben ist. Für dieses Entgegenkommen fühlt sich die heutige neugriechische Theologie der Leitung des Ev. Verlagswerkes Stuttgart zu großem Dank verpflichtet. Was den Herausgeber persönlich anbelangt, so hat er - dem Wunsch des Ev. Verlagswerkes nachkommend - die Sorge der Herausgabe des griechisch-orthodoxen Bandes gerne übernommen und freut sich, die Mitarbeit verdienter griechischer Theologen dazu gewonnen zu haben. Wir alle erheben nicht den Anspruch, ein lückenloses Bild der orthodoxen Kirche Griechenlands zu geben. Nur in großen Linien kann dieses Bild hier gezeichnet werden. Inwiefern dann unser Unternehmen den Erwartungen der heterodoxen Leser entspricht, werden sie selbst zu beurteilen haben. Der Herausgeber hofft jedoch, daß trotz mancher Unvollkommenheit dieser Versuch dazu beitragen wird, die bessere Kenntnis der Orthodoxie, wie auch im besonderen der Kirche Griechenlands, zu fördern und zu weiteren, vollkommeneren Versuchen Anlaß zu geben. Athen, im Juni 1958
PANAGIOTIS BRATSIOTIS
VORBEMERKUNG
Z U R 2. A U F L A G E
Ein vermutlich wachsendes Interesse für die Orthodoxe Kirche hat es bewirkt, daß dieses Sammelwerk binnen 10 Jahren vergriffen war. Eine zweite Auflage wurde deshalb nötig. Sie wird hier unverändert, aber in einem Band zusammengefaßt, vorgelegt. Außerdem wurde das Werk durch weitere Bibliographien sowie ein Stichwort- und Namen-Register bereichert, die Fräulein Dr. theol. Nikolitsa Georgopoulou dankenswerterweise erstellt hat. Der Plan zur zweiten Auflage von „Die Orthodoxe Kirche in griechischer Sicht" stammte noch von meinem Freund Herrn Friedrich Vorwerk. Nach dessen plötzlichem Tod wird er nun von seinem Nachfolger, Herrn Pfarrer Walter Schmidt, verwirklicht. Athen, im November 1969
P . BRATSIOTIS
Em. Prof. D . Theol.
i. TEIL
PROF. D R . JOHANNES N . KARMIRIS
ABRISS DER DOGMATISCHEN LEHRE DER O R T H O D O X E N KATHOLISCHEN KIRCHE
PROLEGOMENA Bedeutung und Quellen der orthodoxen Dogmen
D
ie dogmatische Lehre der Orthodoxen Katholischen Kirche ist mit der der alten, einigen und ungeteilten Kirche identisch und büeb durch alle Jahrhunderte hindurch unversehrt und unverfälscht in der Orthodoxie erhalten1). Selbstverständlich unterzog die Orthodoxe Katholische Kirche die nach der Kirchentrennung des elften und sechzehnten Jahrhunderts erfolgten dogmatischen Entwicklungen im Römischen Katholizismus und im Protestantismus jeweils einer kritischen Betrachtung. Sie erarbeitete und entwickelte in negativer oder positiver Weise zu jener Entwicklung ihre eigenen orthodoxen Dogmen, soweit ihr das die bekannten historischen Ereignisse und Verfolgungen erlaubten. Ihr unbeugsames Festhalten an dem altüberlieferten dogmatischen Glauben erklärt sich aus der unbezweifelbaren Tatsache, daß die Orthodoxe Katholische Kirche die Fortsetzung der Alten Kirche ist, genauer gesagt, sie ist mit ihr eins und identisch. Die Alte Kirche ihrerseits ist von dem menschgewordenen Logos Gottes gegründet, von den heiligen Aposteln in der Welt befestigt und ausgebreitet, durch die Sieben Ökumenischen und die Lokalen Synoden und durch die großen Väter organisiert und mit Ruhm umgeben worden. Darum verkündet die Orthodoxe Kirche mit Recht, daß sie „die dogmatische Lehre der Apostel bis zur Gegenwart unbeschadet bewahrt hat", und ebenso die der alten Väter, besonders der nicaenischen, „deren Glaubensbekenntnis sie als väterliches Erbe unverletzt bewahrt" 2 ). 1
) Darum werden wir im folgenden bemüht sein, sie vorzugsweise auf hinrei-
chende Belege aus den Schriften der alten Kirchenväter zu basieren. 2
) Theodoret v. Cyrus, Epist. 89. M . P. G. 83 col. 1284. Heute wird auch von
Heterodoxen bekannt, daß „the Orthodox Faith, that faith to which the Orthodox Fathers bear witness and o f which the Orthodox Church is the abiding custodian, is the Christian Faith in its true and essential form, to which w e all
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Von da aus hat die orthodoxe dogmatische Lehre als Quelle und Grundlage die göttliche Offenbarung, welche in der Heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung enthalten ist, im besonderen aber durch die Sieben Ökumenischen Synoden und die durch sie bestätigten Lokalen formuliert wurde. Im einzelnen jedoch wird die Lehre durch den gemeinsamen Glauben und das Bewußtsein der Kirche getragen und durch dieses den Orthodoxen zu allen Zeiten unaufhörlich weitergegeben. Sie ist in den verschiedenen dogmatisch-symbolischen Texten und in den Schriften der heiligen Väter enthalten. Deshalb werden auch die die Lehre konstituierenden orthodoxen Dogmen als von Gott her geoffenbarte Wahrheiten bezeichnet - und darum haben sie auch göttliche, absolute, ewige und für alle Gläubigen verpflichtende Gültigkeit. Diese Wahrheiten, in der heiligen Schrift enthalten und mehr oder weniger theologisch in der heiligen Überlieferung entfaltet, wurden von alters her von der Kirche geglaubt. Teils wurden sie von ihr synodal festgelegt und formuliert, teils aber in der Praxis ohne Unterlaß gelehrt und vom allgemeinen Bewußtsein des Pleroma (des Kirchenvolkes) anerkannt. Daher können die der heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung entspringenden orthodoxen Dogmen als Kristallisation und Ausdruck des gemeinsamen Glaubens und des katholischen Bewußtseins der Gesamtheit (Pleroma) oder des Leibes der Kirche aller Jahrhunderte, das heißt, des Klerus und Laienvolkes charakterisiert werden. Die Gesamtheit wird in der Orthodoxie als der Träger und Wächter des dogmatischen Glaubens betrachtet1), wobei sie die Ökumenische Synode gleichsam als Organ und Mund und Stimme der Kirche benützt zur authentischen, feierlichen und unfehlbaren Formulierung des gemeinsamen Glaubens des kirchlichen Pleroma durch die Inspiration des Heiligen Geistes. Aus dem Gesagten folgt, daß die orthodoxen Dogmen einerseits im breiten und wirklichen Sinn des Wortes alle von Gott geoffenbarten theoretischen Glaubenswahrheiten sind. Sie werden von der Heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung gelehrt und von alters her von der lehrenden Kirche verkündet und seitens des kirchlichen Pieromas geglaubt und gelebt. Andererseits aber sind es, im engen und speziellen theologischen Sinne, die von der heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung aspire and by which we are all judged", wobei man zum ökumenischen Problem ernst Stellung nimmt „as the problem of bringing back the West to a sound mind and a healthy life, and that means Orthodoxy". (H. A. Hodges, Anglicanism and Orthodoxy. A study in dialectical Churchmanship, London 1955, S. 46/47.) Siehe die diesbezügliche Lehre der orthodoxen Patriarchen des Ostens bei Joh. Karmins, Die dogmatischen und symbolischen Dokumente der Orthodoxen Katholischen Kirche, (griech.) Athen 1953, Bd. II, S. 920.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche gelehrten Wahrheiten, welche auf den sieben Ökumenischen Synoden offiziell und feierlich festgelegt und formuliert wurden. Es versteht sich von selbst, daß diese wie jene Wahrheiten für alle Gläubigen in gleicher Weise verpflichtend sind, da sie für ihr Heil absolut notwendig sind. Demzufolge ist die Formulierung durch die Ökumenischen Synoden nicht ein wesentlicher Charakter oder ein wichtiges und unerläßliches Kennzeichen derselben, sondern etwas Äußeres, aus Geschichte und Zufall Entstandenes. Vieles kann also, wenn die Umstände es verlangen, voll ergänzt werden aus der dogmatischen Lehre der heiligen Schrift und der heiligen Uberlieferung, diesen zwei orthodoxen Glaubensquellen. Dies ist das erste, wesentliche und unerläßliche Merkmal eines jeden orthodoxen Dogmas. Vor allem für die älteste Epoche, die ersten drei Jahrhunderte, die vor Einsetzung der Ökumenischen Synoden liegen, trifft dies absolut zu. Während dieser Zeit wurden zweifellos alle geoffenbarten Glaubenswahrheiten als Dogmen bezeichnet, auch die, die sich auf das trinitarische und christologische Dogma beziehen. Sie galten also als solche bereits vor ihrer offiziellen Formulierung auf den Ökumenischen Synoden. Dies wird zum Beispiel durch den hl. Ignatius von Antiochien bestätigt, wenn er die Magnesier ermahnt: „Befleißigt euch festzustehen in den Dogmen des Herrn und der Apostel" 1 ), und ebenso durch Origenes, wenn er über „die heilbringenden Dogmen" 2 ) des Christentums spricht und erläutert: „secundum dogma nostrum, id est secundum Ecclesiae fidem" 3 ). Ferner bestätigt dies auch die hernach folgende Epoche: Die alten Ökumenischen Synoden wurden ungefähr drei Jahrhunderte, nachdem die geoffenbarten und verkündeten Dogmen ihren Anfang genommen hatten, einberufen; aber zur Formulierung der D o g men gaben vollkommen äußerliche Motive und zufällige Ereignisse Anlaß. Weiter schloß sich bis zu dem achten Jahrhundert die dogmatische Definierung durch die Ökumenischen Synoden an; aber sie umfaßte nur das trinitarische und das christologische Dogma und die aus ihnen sich ergebenden Wahrheiten. Daraus wird nur zu leicht verständlich, daß die Kirche sich nicht mit den wenigen später von den Sieben Ökumenischen Synoden formulierten dogmatischen Wahrheiten begnügen konnte, sondern daß auch alle anderen theoretischen Glaubenswahrheiten, welche von der heiligen Schrift und der heiligen Uberlieferung gelehrt und von alters her den Gläubigen seitens der Kirche zur Annahme vorgelegt wurden, stets als Dogmen unwiderlegbar inkraft waren. Hierher gehören x
) Ignatius v. Antiochien, Magn. 13, r. M. P. G. 5, col. 672. ) Origenes, De principüs IV, 1, 1. 2. Vgl. contr. Cels. III, 76. M. P. G. 1 1 , col. 344, 1020. 3 ) Origenes, De princ. I, 7, 1. Vgl. contr. Cels. II, 4. M. P. G. 1 1 , col. 171, 180. a
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
die Lehre von der Kirche, den Sakramenten, der göttlichen Gnade, der Rechtfertigung usw. Diese gelten bis heute als Dogmen, auch wenn sich kein Anlaß ergab, sie auf einer Ökumenischen Synode offiziell zu formulieren; denn die lehrende Orthodoxe Kirche, der Wächter und Interpret der göttlichen Offenbarung, formuliert den Glaubensinhalt in zweifacher Weise als Dogmen: einmal durch die dauernd an die Gläubigen gerichtete Verkündigung der göttlichen Wahrheiten, zum andern durch die feierliche synodale Proklamation eines Teiles dieser Wahrheiten. Solange letzteres nicht geschehen kann - in der Orthodoxen Ostkirche fand ja aus verschiedenen historischen, nicht organischen Gründen seit dem achten Jahrhundert keine Ökumenische Synode mehr statt - , gelten also selbstverständlich außer den auf den Synoden formulierten auch alle vom gemeinsamen Glauben und vom katholischen Bewußtsein des kirchlichen Pieromas getragenen, von der unfehlbaren Kirche autoritativ und unaufhörlich zu allen Zeiten gelehrten Heilswahrheiten in ihr als Dogmen - gleichsam in der Praxis stillschweigend zu Dogmen erhöht1). Denn in beiden Fällen interpretiert und bestimmt dieselbe unfehlbare Kirche autoritativ die Dogmen, indem sie von ihrer Unfehlbarkeit Gebrauch macht und von dem ihr innewohnenden Heiligen Geist geleitet Ayird. Darüber hinaus bewahrt sie jene unversehrt und unverändert und gibt sie ohne neuere Zusätze und unverdorben vom einen orthodoxen Geschlecht zum anderen weiter. Angesichts der hier erwähnten Unfehlbarkeit der Kirche erscheint es erforderlich, von vornherein zu erklären, daß die Kirche unfehlbar ist als ein Ganzes, als Pleroma, das aus allen orthodoxen Gläubigen, Klerikern und Laien, besteht. Als Organ ihrer Unfehlbarkeit gebraucht sie nur die Ökumenische Synode, welche allein das Recht hat, die Dogmen unfehlbar zu Demzufolge ist jede gegenteilige Ansicht zu verwerfen, welche von Theologen vertreten wird, die das in der Orthodoxie Beibehaltene nicht kennen oder mißverstehen und daher versuchen die orthodoxen Dogmen nur auf das von den alten sieben Ökum. Synoden Angeordnete zu beschränken oder Hauptdogmen und Dogmen zweiten Ranges, wesentliche und unwesentliche, große und kleine, zu unterscheiden; denn alle orthodoxen Dogmen sind als „Dogmen Gottes" ohne Unterschied gleichwertig und gleichrangig: „Denn in kleinen oder großen Dogmen zu sündigen, das ist dasselbe; durch beides wird das Gesetz Gottes annulliert" (Tarasios v. Konstantinopel, in den Akten der VII. Ök. Syn., bei J. Harduin, Acta Conciliorum IV, 60). Siehe auch die Erklärung der orthodoxen Deputation auf der II. Vollversammlung des Weltkirchenrates in Evanston 1954 in „Ekklesia" 3 1 (1954), 366. V g l . auch P. Bratsiotis, La signification du dogme dans la Théologie orthodoxe, in: 1 0 5 4 - 1 9 5 4 , L'Eglise et les Eglises. Edition de Chevetogne, tom. II (1955), S. 197-206, w o sich auch Z e u g nisse anderer orthodoxer Theologen fmden.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
formulieren, und deren höchster Leitung und Autorität alle unterstehen. Dabei sind die Patriarchen selbstwie diePäpste und die übrigen Hierarchen mit einbegriffen, wie auch die Apostel alle samt Petrus der Apostolischen Synode unterstanden. Das Ganze also, das Pleroma, oder der Leib der Kirche, gilt in der Orthodoxie als Träger der Unfehlbarkeit, während die Ökumenische Synode als Organ und gleichsam als Mund der Kirche dient. Auf der Ökumenischen Synode wird das kirchliche Pleroma durch seine Bischöfe vertreten, die unter Inspiration des Heiligen Geistes die Dogmen festlegen1). „Die Kirche ist danach unfehlbar, nicht nur, wenn sie auf Ökumenischen Synoden zusammenkommt, sondern auch unabhängig von den Synoden als Ganzes, so daß aus der Unfehlbarkeit der Kirche als eines Ganzen die Unfehlbarkeit der Ökumenischen Synoden folgt und nicht umgekehrt aus der Unfehlbarkeit der Ökumenischen Synoden die Unfehlbarkeit der Kirche". 2 ) Es ist zu bemerken, daß weder das kirchliche Pleroma, noch seine beiden großen Teile, die Kleriker und die Laien, je für sich allein, noch, was viel schlimmer wäre, eine Person, ein Bischof, Patriarch oder Papst autoritativ dogmatisieren könnten, da dies, wie wir sägten, das alleinige und ausschließliche Recht und Werk der Ökumenischen Synoden und der an ihnen teilnehmenden Bischöfe ist. Diese vertreten das Pleroma und seinen Glauben, indem sie verpflichtet sind, getreu und genau diesen gemeinsamen und katholischen Glauben, das Bewußtsein der Kirche als eines Ganzen, auszudrücken und zu interpretieren, so wie es der heiligen Schrift entspringt und sich im gesamten religiösen und besonders im gottesdienstlichen Leben des kirchlichen Pleromas und kat' exochen in der schriftlichen dogmatischen Überlieferung der Kirche ausdrückt. Auf diese Weise formulieren die Ökumenischen Synoden in dogmatischen Beschlüssen den von alters her überlieferten orthodoxen Glauben des kirchlichen Pieromas, welches seinerseits nach Empfang des Dogmatisierten diesem die Ökumenizität zuerkennt. So hängt also die Ökumenizität ab von der Übereinstimmung und Einheit des ganzen Leibes der Kirche, die sich in Einmütigkeit und Liebe gründet, von dem „consensus Ecclesiae" aller Zeiten, wobei aber diese Anerkennung nur als ein äußerliches Kennzeichen und Zeugnis, als Bezeugung der Unfehlbarkeit des synodal Dogmatisierten zu denken ist. Darin und dadurch halten wir Orthodoxen also fest an dem „Quod ubique, quod Semper, quod ab omnibus creditum est", folgend der „universalitas" x
) Folglich trifft die Behauptung W. Nieseis nicht zu, daß nämlich „die Ortho-
doxe Christenheit kein unfehlbares Lehramt kennt". Siehe „Das Evangelium und die Kirchen", Neukirchen 1935, S. 105. 2
) K. Dyououniotis, Die Lehre der Griechisch-Orthodox-Anatolischen Kirche.
In „Ekklesia" 10 (1939), 56.
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und „consensio" aller, und durch sie auch der „antiquitas", um die Worte Vincenz* von Lerin zu wiederholen 1 ). Wir müssen aber auch bemerken, daß die Entwicklung und Formulierung der Dogmen durch die Ökumenischen Synoden im Sinne einer rein äußerlichen Veränderung der Form der göttlichen Wahrheiten zu denken ist, das heißt, als einfache Vertiefung, Erläuterung und Formulierung derselben. Es wurden also durch die Ökumenischen Synoden keine neuen Dogmen geschaffen, sondern die ihrem Wesen nach unveränderlichen Dogmen neu formuliert. Die Dogmen sind nämlich die in Jesus Christus geoffenbarte göttliche Wahrheit. Diese ist eben dieselbe Offenbarung Gottes an die Menschen, welche in der Menschwerdung seines Sohnes und Logos gipfelte und vollendet wurde und seit jener Zeit stets unverändert geblieben ist. Durch die Synoden und die Väter und durch die Kirche schlechthin wird ein volleres Verständnis und ein Fortschritt der Kenntnis der Dogmen von Seiten der Gläubigen erstrebt, was ganz und gar nicht einen Fortschritt oder eine Veränderung der Dogmen selbst bedeutet; denn nicht die Wahrheit an sich, sondern die Kenntnis der Menschen von der Wahrheit schreitet voran. Folglich wechseln die entfalteten und von Synoden formulierten Dogmen nur ihre äußere Form, während sie ihrem inneren Kern, ihrem Wesen und ihrem Inhalt nach immer unverändert dieselben bleiben. So bewahrt also die Kirche als unfehlbare und als „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit" 2 ) unversehrt und unverändert den vom Herrn und den Aposteln ihr übergebenen Glaubensschatz, das „anvertraute Gut" 3 ), sie lehrt und interpretiert die göttlichen Wahrheiten - eben jenes anvertraute Gut - , inspiriert von dem ihr „innewohnenden" und sie in alle Wahrheit führenden Heiligen Geist, und sie stützt sich dabei stets auf die heilige Schrift und die heilige Überlieferung. Schrift und Tradition sind also die zwei gleichwertigen, gleichrangigen und gleichstarken Quellen für die dogmatischen Wahrheiten, womit die Identität der biblischen mit derauf der Apostolischen Tradition beruhenden kirchlichen Lehre bestätigt wird; denn das Wort Gottes wurde der Kirche zweifach überliefert: schriftlich und mündlich, als heilige Schrift und als heilige Überlieferung. „Beide haben für die Frömmigkeit denselben Wert", da „wir einen Teil der in der Kirche bewahrten Dogmen und Verkündigungen aus der Commonitorium prim. 2, M i g n e P. L . 50, 640. V g l . : „auch eine von einem Konzü formulierte Lehre ist erst dann D o g m a , w e n n sie von der ökumenischen Kirche als solches angenommen ist", denn „das entscheidende ist der consensus Ecclesiae". (Metropolit Seraphim, Die Ostkirche, Stuttgart 1950, S. 33.) 2
) I. T i m . 3, 1 5 .
3
) II. T i m . 1, 14.
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niedergeschriebenen Lehre haben, den anderen aber aus der Überlieferung der Apostel auf geheimnisvolle Weise empfangen haben", wie Basilius d. Gr. lehrte 1 ); „denn nicht alles kann aus der göttlichen Schrift genommen werden, das eine überlieferten die heiligen Apostel in Schriften, das andere aber in der Tradition". 2 ) Die apostolische Überlieferung hat folglich im Verhältnis zur heiligen Schrift nicht nur interpretierenden, sondern auch hinzufügenden und ergänzenden Charakter) 3 . Diese Auffassung verringert keineswegs die Gültigkeit und den Wert der heiligen Schrift als der ersten Quelle der christlichen Dogmen. Dies betonte die Orthodoxe Katholische Kirche von jeher und betont es stets wieder neu, indem sie die heilige Schrift als ersten schriftlichen Niederschlag der von den Aposteln kommenden Tradition annimmt. Die heilige Schrift trägt für immer das unverwischbare Siegel und Kennzeichen der göttlichen Inspiration, sie unterhegt keiner Abänderung oder Verfälschung. Die Apostel überlieferten uns später durch die Bücher des neuen Testamentes wirklich nur einen kleinen Teil der an sie ergangenen übernatürlichen Offenbarung schriftlich, während sie das Ganze derselben schon von Anfang an der Kirche mündlich überliefert hatten. Das ist die heilige Überlieferung (Tradition). Aus diesem Grunde ist die heilige Überlieferung älter und reicher als die heilige Schrift, die später den U m ständen entsprechend zusammengestellt und vollendet wurde und, wie wir sagten, nur einen kleinen Teil der Offenbarung umschließt. Sie hat folglich zu ihrer Interpretation und Ergänzung das Licht der heiligen Überlieferung und ganz besonders der von den Aposteln bis zur siebenten Ökumenischen Synode reichenden echten dogmatischen Tradition notwendig. Darum verstehen die Orthodoxen „als Quelle des göttlichen Wortes nicht jede, sondern nur die dogmatische Tradition, welche die Glaubenslehren umfaßt, die nur undeutlich in der Schrift enthalten sind und teils zur Ergänzung der Schrift, teils zur Interpretation der nur allgemein und undeutlich in ihr enthaltenen Lehren dient" 4 ). Aber es wird De Spiritu Sancto 27, 2. M. P. G. 32, col. 188. Joh. Karmiris, a. a. O. I, S. 234. ) Epiphanius, adv. haer. 61, 6. M. P. G. 41, col. 1047. Ähnlich lehrten auch Chrysostomus (zu II. Thess., hom. 4, 2. M. P. G. 62, col. 488) undMogilas (Conf. Orth. I, 4, bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, 594), ebenso die in Jerusalem im Jahre 1672 zusammengekommene lokale Synode, die die heterodoxen Lehre des Bekenntnisses des Cyrill Loukaris verwarf (Joh. Karmiris, op. cit. II, 704), mit dem Bekenntnis des Dositheos 2 (ebenda, S. 747). 3 ) Es ist bemerkenswert, daß der ergänzende Charakter der heiligen Tradition außer von den orthodoxen und den römischen Katholiken auch von einigen Protestanten und besonders von Anglikanern angenommen wird. Vgl. Joh. Karmiris, Orthodoxie und Protestantismus, (griech.) Athen 1937, S. 366f., 371 f. 4 ) Ch. Androutsos, Dogm. der Orth. Anatol. Kirche (griech.) Athen 1907, S. 7. 2
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jede dogmatische Tradition verworfen, die späteren Ursprungs ist und ihren Anfang nicht auf die Apostel zurückführen kann, bzw. die nicht echt und von den autoritativen dogmatischen Quellen der Kirche bezeugt ist 1 ). Es ist hinzuzufügen, daß der kanonische Wächter und autoritative Interpret der heiligen Schrift und der heiligen Tradition die durch den Heiligen Geist geleitete und darum unfehlbare Kirche ist durch ihre Hierarchen, die in Ökumenischen Synoden zusammenkommen, worüber wir weiter oben schon gehandelt haben - , und nicht der Patriarch des Alten oder Neuen Roms, noch einzelne Patriarchen, Hierarchen, geschweige denn einzelne Personen2). Ferner ist zu sagen, daß alle Bücher der heiligen Schrift von Gott inspiriert sind, ihre Inspiration ist jedoch als eine sinngemäße, nicht als eine wörtliche und buchstäbliche, und ganz und gar nicht als eine natürliche und moralische zu denken. Trotz aller bekannten Meinungsverschiedenheiten stellt die Orthodoxe Kirche wohl auch die sogenannten deuterokanonischen Bücher des Alten Testamentes mit den kanonischen in eine Reihe; sie hält es einfach mit der alten historischen Unterscheidung zwischen protokanonischen und deuterokanonischen. Aber diese Unterscheidung wird weit mehr als eine chronologische denn als eine wesentliche verstanden3). Schließlich sei noch gesagt, daß die Orthodoxe Kirche von alters her die Übersetzung der heiligen Schrift in die Sprachen aller orthodoxen Völker erlaubte, ebenso das freie Lesen und Auslegen derselben von jedermann, sie fordert aber, daß die Auslegung auf der Grundlage der überlieferten orthodoxen Interpretation geschehe, denn „es sind etliche Dinge" der Schrift „schwer 1
) „ A l s unerläßliches Kennzeichen der echten und unveränderten dogmatischen
Überlieferung haben wir ihr Alter zu betonen. Denn es ist offensichtlich, daß sie als Quelle der göttlichen Dogmen zurückreichen muß bis auf die Zeit, w o die christlichen Dogmen durch den Mensch gewordenen Logos Gottes geoffenbart und von Gottes Sprechern, den Aposteln, die diese direkt von ihm oder durch Offenbarung des heiligen Geistes empfangen haben, verkündet wurden. Sie ist also Apostolische Überlieferung und wird in Fortsetzung davon von den Ökumenischen und Lokalen Synoden, wie auch durch die einstimmige Lehre der frühen Väter bezeugt. So sind die Dogmen nicht Gedanken und Gebüde der Vernunft, sondern „Dogmen Gottes", d. h., göttliche Wahrheiten, die übernatürlicher Offenbarung entstammen; und darum müssen sie auf die Zeiten zurückgehen, in denen die übernatürliche Offenbarung durch den Herrn und die Apostel gegeben, erfüllt und abgeschlossen w u r d e " (Joh. Karmiris, Das neue Dogma der römischen Kirche von der leiblichen Assumptio der Gottesmutter, (griech.), in „Ekklesia" 28 (1951), 23, 24. 2
) V g l . besonders den 2. Artikel des Bekenntnisses des Dositheos, bei Joh.
miris, Die dogmatischen und symbolischen Dokumente, Bd. II, S. 747. 3
) Vgl._/o/i. Karmiris, Orthodoxie und Protestantismus (griech.), S. 1 5 6 f .
Kar-
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
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zu verstehen, welche die Ungelehrigen und Leichtfertigen ebenso wie die anderen Schriften verdrehen" 1 ). Innerhalb der verschiedenen schriftlichen Dokumente der orthodoxen Überlieferung, in denen die Dogmen enthalten sind, muß nun deutlich unterschieden werden zwischen den alten Symbolen und jenen, die man gewöhnlich die neueren Symbolischen Bücher oder Texte nennt. Einerseits also verleiht die Orthodoxe Katholische Kirche den Charakter von Symbolen nur den dogmatischen Definitionen und den auf den Glauben bezugnehmenden Beschlüssen der sieben Ökumenischen Synoden der alten einigen und ungeteilten Kirche, was besonders für das Symbol, nämlich das Nicaeno-Konstantinopolitanum, gilt. Andererseits aber erkennt sie einige der seit dem Schisma der Römischen Kirche im neunten Jahrhundert von kleineren orthodoxen Synoden und von Hierarchen herausgegebenen Glaubensbekenntnisse, Synodalakten, Enzykliken und ähnlichen Proklamationen als einfache dogmatisch-symbolische Texte an. Diese enthalten den orthodoxen Glauben ganz oder teilweise; sie tragen teils positiven, meist aber negativen Charakter in Verbindung mit einer vergleichenden oder polemischen Stellungnahme zur Lehre der heterodoxen Kirchen. So betrachtet man im altkirchlichen Sinne als Symbole nur die auf den Glauben Bezug nehmenden Beschlüsse oder Definitionen der von dem katholischen christlichen Bewußtsein anerkannten Sieben Ökumenischen Synoden, welche als die alleinigen Träger, Interpreten und Organe des Ausdruckes der Unfehlbarkeit der Kirche in Erscheinung treten. Aus diesem Grunde spricht die Kirche nur den dogmatischen Beschlüssen derselben ewige Gültigkeit, absoluten Wert, autoritativen, katholischen und verpflichtenden Charakter zu; sie betrachtet diese als die wichtigsten schriftlichen Zeugnisse der heiligen Überlieferung und als kanonische, autoritative und unverbrüchliche Richtschnur des orthodoxen Glaubens; denn durch diese spricht und lehrt die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" unfehlbar. Sie benützt also nur die ökumenischen dogmatischen Definitionen als erstrangige Hauptquelle ihrer dogmatischen Lehre, die mit der heiligen Schrift gleichwertig und gleichwürdig ist, da sie die heilige Überlieferung enthält. Unter die verpflichtenden Definitionen der Sieben Ökumenischen Synoden müssen allerdings auch die Beschlüsse des Trullanum (691/92) gerechnet werden, da sie die Fünfte und die Sechste Ökumenische Synode ergänzen; dasselbe trifft auch für die alten lokalen Synoden zu, die durch Ökumenische ratifiziert wurden. In ähnlicher Weise könnte die Orthodoxe Katholische II. Petr. 3, 16.
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Kirche den Charakter der Symbole ihrem Symbol kat' exochen, d. h. dem Nicaeno-Konstantinopolitanum1), in einem breiteren Sinne, in zweitrangiger und mißbräuchlicher Weise - wegen deren unklaren U r sprungs - auch dem in den Kirchen des Westens gebräuchlichen Apostolischen2) und Athanasianischen3) Symbol zuerkennen. Letztlich ist hierzu einerseits noch die heilige Liturgie hinzuzufügen, die in Verbindung mit dem übrigen Orthodoxen Kult ein plastischer Ausdruck des Orthodoxen dogmatischen Glaubens4) und die adaequate äußere Erscheinungsform der Orthodoxen Kirche ist, andererseits die Schriften der alten, großen Väter, die die orthodoxen Dogmen entfalten. Diese jedoch nur, soweit sie die Übereinstimmung der Väter zeigen, die natürlich im ethischen und nicht im mathematischen Sinne zu verstehen ist. Allerdings besitzt die Orthodoxe Katholische Kirche neben dem, was auf den Ökumenischen Synoden dogmatisiert wurde und den Charakter von Symbolen trägt, auch spätere (d. h. nach dem achten Jahrhundert verfaßte) einfache symbolische Texte und Bücher. Diese sind weder Symbole im eigentlichen und altchristlichen Sinne, noch symbolische Bücher im römisch-katholischen oder protestantischen Sinne, sondern einfache, unvollkommene orthodoxe dogmatisch-symbolische Schriften; sie bringen den Geist der Epoche, in der sie verfaßt wurden, zum Ausdruck und weisen die Heterodoxien der zwei großen christlichen Kirchen des Westens, der Römisch-Katholischen und der Protestantischen, zurück. Es wurde ja keiner dieser Texte von einer ökumenischen oder panorthodoxen Synode verfaßt oder rezipiert, noch entwickeln sie die ganze Orthodoxe Lehre positiv, unfehlbar und vollständig, noch geben sie auch in allem dem gemeinsamen Glauben und dem katholischen Bewußtsein der Gesamtkirche Ausdruck. Folglich kann keiner jener Texte als kanonisches Symbol oder kanonisches symbolisches Buch der Orthodoxen Kirche betrachtet werden5). Da dem so ist, geht es nicht an, Weiteres darüber siehe bei Joh. Karmiris, a. a. O. I, S. 53-99. 2
) Ebenda, S. 3 5 - 5 2 .
3
) Ebenda, S. 100-109.
*) So bemerkt F. Heiler richtig, daß „die Liturgie für die östliche Kirche in noch höherem Maße als für die lateinische das .gebetete Dogma' darstellt". (Urkirche und Ostkirche, München 1937, S. 190.) 6
) Somit haben diese orthodoxen symbolischen Texte weit mehr eine theologi-
sche, wissenschaftliche - und besonders symbolisch-historische - Bedeutung, da in ihnen die Heterodoxien der zwei großen Kirchen des Westens zurückgewiesen werden, und gegen sie die Stellung der Orthodoxen Katholischen Kirche skizziert dargelegt wird. Andererseits wird in ihnen auch der Versuch unternommen, die Orthodoxe Lehre, die nicht synodal seitens der Alten Kirche
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die in Frage stehenden Texte als erstrangige Hauptquelle der Orthodoxen dogmatischen Lehre zu benutzen, sie können nur als relative, behelfsmäßige und zweitrangige Quellen dienen, und nur, wenn und insoweit als sie mit der Lehre der heiligen Schrift und der alten, echten Orthodoxen Überlieferung übereinstimmen, wobei man im Besonderen die auf sie ausgeübten geringen heterodoxen Einflüsse beachten muß 1 ). Als solche Orthodoxe symbolische Texte haben wir die folgenden charakterisiert und in unserer oben erwähnten Sammlung veröffentlicht: I. Photius, Patriarch von Konstantinopel, Rundschreiben „An alle bischöflichen Sitze des Ostens" (866). formuliert wurde und besonders diejenigen dogmatischen Lehren, die mißverstanden oder zuerst v o n heterodoxen Theologen formuliert wurden, zu entwickeln und zu bestimmen. V o n diesem Gesichtspunkt aus sind sie als historische Dokumente in allererster Linie f ü r die orthodoxe, dann aber auch f ü r die christliche Theologie schlechthin, w i e auch f ü r die Kirche und die allgemeine christliche Dogmengeschichte unbestreitbar v o n höchstem Interesse. *) V g l . Joh. Karmins, Rede über die v o n außen kommenden Einflüsse auf die O r t h o d o x e Theologie (griech.), Athen 1938. Heterodoxe Einflüsse auf die C o n fessiones des 17. Jahrhunderts (griech.), Jerusalem 1948. Es erübrigt sich zu erwähnen, daß aus der Tatsache, daß die in Frage stehenden Texte i m genauen Sinne des W o r t e s keine symbolischen Bücher der Orthodoxen Kirche sind, w e der i m altchristlichen noch i m neueren heterodoxen (dem römisch-katholischen und dem protestantischen) Verständnis, zu folgern ist, daß sich die Beschreibung und Darstellung der Orthodoxen Katholischen Kirche und die Darlegung ihrer Lehre weiterhin nicht mehr auf diese Texte als „kanonische" (!) stützen kann und darf. U n d aus diesem Grunde verfehlten viele frühere und jetzige heterodoxe Theologen ihr Ziel, die in ihren symbolischen oder anderen ähnlichen Schriften den Versuch machten, das Bild der Orthodoxie nur an Hand der besagten orthodoxen symbolischen Bücher zu geben, indem sie aus weiter Ferne und ohne tiefe und genaue Kenntnis der Orthodoxen Kirche und Theologie kunstvoll ein blasses und vollkommen unerkennbares B ü d der Orthodoxie herausarbeiteten. Bemerkenswert ist, daß unter anderem F. Kattenbusch die orthodoxen symbolischen Texte als „kanonisch" charakterisierte (Lehrbuch der vergleichenden Confessionskunde, Freiburg i. B r . 1892, B d . I, S. 7, während derselbe Kattenbusch zuvor das W e r k v o n W . Gass, Symbolik der Griechischen Kirche, Berlin 1872, in Theol. Studien und Kritiken, 1878, S. 105, in seiner Kritik richtiger charakterisierte. A u f Kattenbuschs Ansuchen in den beiden obigen W e r k e n , doch die Symbolik der Orthodoxen Katholischen Kirche v o r allem auf ihre alten Quellen zu basieren, antwortete ihm Gass in der Zeitschrift f ü r Kirchengeschichte 3 (1879), S. 333, ebenso einseitig die gegenteilige Ansicht vertretend. D i e beiden Ansichten vereinigend stellte sich F. Loofs in seiner S y m bolik oder christliche Konfessionskunde (Tübingen und Leipzig 1902, S. 124, 127 f.) auf sicheren Grund und formulierte richtiger.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht II. Michael Cerularius Patriarch von Konstantinopel, I. Brief an Petrus von Antiochien (1054). III. Synodalakten der Synoden zu Konstantinopel von 1341 und 13 51 über den Hesychasmus. IV. Marcus Eugenicus von Ephesus, Rundschreiben an „die überall auf Erden und den Inseln sich befindenden Orthodoxen Christen" (1440/41). V. Gennadius Scholarius, Patriarch von Konstantinopel, Bekenntnis des Glaubens (1455/56). VI. Jeremias II., Patriarch von Konstantinopel, Antworten an die Württembergischen Lutherischen Theologen (1573/81). VII. Metrophanes Kritopoulos, Patriarch von Alexandria, Bekenntnis des Glaubens (1625).
VÜI. Akten der Synode von Konstantinopel von 1638. IX. Akten der Synode von Konstantinopel und Jassy von 1642. X . Petrus Mogilas, Metropolit von Kiew, Confessio Orthodoxa (1642). XI. Akten der Synode zu Konstantinopel von 1672. XII. Akten der Synode zu Jerusalem von 1672. Xin. Dositheos, Patriarch von Jerusalem, Glaubensbekenntnis (1672). X I V . Akten der Synode zu Konstantinopel von 1691. X V . Antworten der Orthodoxen Patriarchen des Ostens an die Anglikanischen Nonjurer (1716/25). X V I . Rundschreiben der Konstantinopler Synode von 1722 an die Orthodoxen Antiochener. XVII. Glaubensbekenntnis der Konstantinopler Synode von 1727. XVIII. Rundschreiben der Konstantinopler Synode von 1836 „Gegen die Protestantischen Missionare". X I X . Rundschreiben der Konstantinopler Synode von 1838 „Gegen die Lateinischen Neuerungen". X X . Antwort der Orthodoxen Patriarchen des Ostens an Papst Pius IX. (1848). X X I . Antwort der Konstantinopler Synode von 1895 an Papst Leo XIII. X X I I . Enzyklien des Patriarchats von Konstantinopel über die ökumenische Bewegung der Kirchen (1920 und 1952).
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche Mit den obigen haben wir gleichzeitig auch andere neuere dogmatischsymbolische Texte veröffentlicht, z. B. über die Aufnahme Heterodoxer 1 ) in die Orthodoxie und andere2).
Wir stützen uns dabei ganz besonders auf unsere in „Theologia" 2$ (1954), 211-243 veröffentlichte Studie: „Wie sind die zur Orthodoxie Kommenden aufzunehmen?" *) Betreffs der griechischen dogmatisch-symbolischen Bibliographie der letzten sechzig Jahre siehe P. Bratsiotis, Die griechische Ideologie des letzten Jahrzehntes, in „Theologia" 19 (1941-1948), S. 105 ff. und Joh. Karmiris, Die griechische theologische Bibliographie des letzten Jahrzehntes, in „Orthodoxia" 31, Konstantinopel 1956, S. 14$ £
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I. E I N F A C H E
THEOLOGIE
l. Über den einen und dreieinigen Gott
D
ie Orthodoxe Katholische Kirche hält unverändert an der dogmatischen Lehre der alten ungeteilten Kirche über den einen und dreieinigen Gott fest, wie sie von den zwei ersten Ökumenischen Synoden formuliert und von ihren großen Vätern interpretiert und entwickelt wurde. Von jener Zeit an wurde und wird diese Lehre von der Kirche auf mannigfaltige Weise in der Praxis und besonders durch das heilige Symbol des Nicaeno-Konstantinopolitanum und zahlreiche berühmte Hymnen des Göttlichen Kultus gelehrt; so bleibt sie mit anderen Orthodoxen Dogmen, die in ähnlicher Weise vom Kultus getragen werden, in dem kirchlichen Pleroma lebendig. Folglich glauben alle Orthodoxen aller Jahrhunderte mit den Alten Väter und besonders mit Johannes von Damaskus „an einen Gott, an einen Ursprung, den ursprungslosen, den ungeschaffenen, den ungezeugten, den unverderblichen und unsterblichen, den ewigen, den unendlichen, den unbeschreibbaren, den unbegrenzten, den unendlich mächtigen, den einfachen, den nicht zusammengesetzten, den körperlosen, den nicht flüssigen, den leidenschaftslosen, den unwandelbaren, den unveränderlichen, den unsichtbaren, die Quelle der Güte und Gerechtigkeit, das geistige Licht, den unzugänglichen: die Kraft, die mit keinem Maß erkannt, nur im eigenen Willen gemessen wird; denn alles was sie will, ist ihr möglich; die alle sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe erschafft, alle erhält und bewahrt, alle vorherweiß, alle beherrscht und anführt und regiert in einem kein Ende nehmenden, unsterblichen Königreich, die nichts gegen sich hat, alles erfüllt, in nichts enthalten ist, vielmehr alles enthält und umschließt und überragt; die makellos über allen Wesen steht und jenseits aller, und alles Wesen übertrifft, über-seiend, und über allem seiend, über-göttlich, über-gut, übererfüllt, die alle Mächte und Ordnungen bestimmt und über alle Macht und Ordnung gestellt ist, über Wesen, Leben, Vernunft und Gedanke; in sich selbst Licht, in sich selbst Güte, in sich selbst Leben, in sich selbst Wesenheit, die das Sein nicht hat von anderem, also von dem was ist, die aber Quelle ist des Seins dem Seienden, des Lebens dem Lebenden, der Vernunft dem an der Vernunft Teilhabenden, Grund alles Guten in allem, die alles vor seiner Erzeugung weiß: eine Wesenheit, eine Gottheit, eine Kraft, ein Wille, eine Energie, eine Macht, eine Gewalt, eine Herrschaft, ein Königreich, die in drei vollständigen Hypostasen erkannt wird" 1 ). Johannes v. Damaskus, Expos. Fid. Orth. I, 8. M . P. G. 94, col. 808/809.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche Natürlich ist das Wesen Gottes als unerfahrbares und unaussprechliches f ü r den physischen Menschen unverständlich, weil „dies f ü r ihn (für Gott) allein verständlich ist, die Unerfahrbarkeit und die Unverständlichkeit" 1 ). Aber nichtsdestoweniger offenbarte sich Gott selbst durch die natürliche und besonders durch die übernatürliche Offenbarung den Menschen gemäß ihrem Erkenntnisvermögen. Selbstverständlich kann ihre Erkenntnis nicht absolut, vollkommen und das Wesen erfassend sein, sondern sie ist relativ, unvollkommen und auf das, was sich u m das Wesen Gottes befindet, begrenzt, wie die Ansicht der Väter lautet, oder sie ist nur die Teil-Erkenntnis 2 ) dessen, was sich u m Gott befindet ( „ r a Ttegi Geov") und beruht auf dem Glauben. Darum sind nicht nur die von der heiligen Schrift apophatisch wiedergegebenen Attribute und Eigenschaften Gottes, sondern auch die kataphatischen w i e „ g u t " , „gerecht", „ w e i s e " usw. wohl wahr, wirklich und dem Objektiven entstammend und nicht aus unserer Subjektivität auf Gott angewendet, und trotzdem offenbaren und drücken sie nicht das Wesen und die Natur Gottes aus, sondern nur das, was sein Wesen umgibt: „nicht die Natur, sondern was u m die Natur ist, offenbart er" 3 ). Hiernach kennen wir zwar die Existenz Gottes, sein Wesen aber kennen wir nicht: „ W a s Gott also ist, ist offenbar; was er aber dem Wesen und der Natur nach ist, dies ist gänzlich unbegreiflich und unbekannt" 4 ). Darum charakterisierte auch Gregor von Nazianz Gott auf Grund von I. T i m . 6, 16 als „das höchste Licht, unzugänglich und unaussprechlich, unerfaßbar f ü r den Verstand und auch nicht aussprechbar durch das W o r t " 5 ) . Allein also von der heiligen Schrift belehrt, glauben wir „ E i n Wesen, Eine Gottheit . . . in drei vollkommenen Hypostasen . . . unvermischt und ohne Diastase getrennt" 6 ). So ist der nach dem Wesen eine Gott trinitarisch nach den Hypostasen oder Personen, nämlich Vater, Sohn und heiliger Geist, welche drei Weisen der Existenz sind, aber untrennbar miteinander verbunden und vereint in dem einen göttlichen Wesen. Solchermaßen besteht das eine göttüche Wesen in den drei gleichwürdigen und ungeteilten Hypostasen, ohne daß es sich jedoch aus ihnen ergibt, wobei wir sie nicht als Teile der Gottheit, oder als Qualitäten Ebenda, I, 4, col. 800, vgl. Gregor v. Nazianz, hom. 45, 3. M. P. G. 36, col. 625. Hom. theol. 28, 4. M. P. G. 36, col. 29; vgl. auch col. 48. 2 ) I. Kor. 13, 9. 12. s ) Johannes v. Damaskus, ebenda. 4 ) Ebenda, col. 797, vgl. Irenaeus, adv. haer. III, 24, 2 und IV, 6, 2. Migne P. G. 7, col. 967 und Basilius d. Gr. bei Joh. Karmiris, a. a. O. I, S. 329-330. 5 ) Gregor v. Nazianz, hom. 40, 5. Migne P. G. 36, col. 364. ') Johannes v. Damaskus, Expos, fid. orth. I, 8, col. 809.
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in etwas anderem betrachtet denken, aber auch nicht als Aspekte oder Ausdrucksformen des einen göttlichen Wesens, sondern jede von ihnen als eigentlich und für sich sich in dem einen und demselben göttlichen Wesen befindend, welches den drei Hypostasen gemeinsam ist. So also haben wir die „Einheit in der Dreiheit und die Dreiheit in der Einheit angebetet, die paradox erscheint in der Trennung wie auch in der Vereinigung" 1 ). Die Einheit verstehen wir einerseits hauptsächlich aus der Einigkeit und Identität des göttlichen Wesens, insofern „als bei der heiligen Trinität das Gemeinsame als das Eine wegen dem Mitewig- und Dasselbesein des Wesens betrachtet wird . . ." 2 ), andererseits aber halten wir von der Einheit und der Identität der Eigenschaften, der Energien und des Willens her daran fest, daß sowohl der Sohn wie auch der heilige Geist als den einen Ursprung und die eine Ursache den Vater haben3) - aber ohne Verschmelzung, Vermengung oder Vermischung. Daher sind die drei Personen miteinander engstens verknüpft, unvermischt in dem einen Gott vereinigt, einerseits weil sie wesensgleich (ófioovaia) sind, andererseits aber weil sie unvermischt einander umgeben (negixogovatv). Dies bedeutet, sie umgeben einander und sind so ineinander, daß sie sich nicht vermischen, sondern sich einfach einander besitzen, wie es Joh. 14, 1 1 ausdrückt: „ich im Vater und der Vater in mir" 4 ). Demnach „erkennen wir durch das Wesensgleiche (ófioovaiov) und durch das Ineinandersein die Hypostasen und durch die Identität des Willens, der Energie und der Kraft, wie auch durch die Vollmacht und die Bewegung das Unzertrennbare (ádiaígetov), und daß es der eine Gott ist; eins nämlich ist Gott, Gott(-Vater) und der Logos und sein Geist"8), indem jede Trennung oder Teilung des Wesens oder Subordination der drei Personen auf Grund von Priorität oder Rang ausgeschlossen ist. Die Trinität aber verstehen wir einerseits aus der Unterscheidung der drei Personen voneinander, und andererseits aus dem Unterschied ihrer Ausgänge. So unterscheiden sich die drei göttlichen Personen vonein*) Gregor v. Nazianz, hom. 25, 17. M. P. G. 35, col. 1221. ') Joh. v. Damaskus, a.a.O., col. 828. s ) Gregor v. Nyssa, tractatus adv. Graecos ex communibus notionibus, Migne P. G. 45, col. 180. 4 ) Nach dem Damascener sind die drei Hypostasen „voneinander durch keinen Zwischenraum getrennt und ohne Ausdehnung, indem sie einander in der Perichorese umgeben, jedoch ohne Verschmelzung oder Vermischung, sondern so, daß sie sich einander umgeben . . . frei von jeder Verschmelzung, Vermengung oder Vermischung" (a. a. O., col. 860, vgl. 829). 5 ) Ebenda, col. 825/826.
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ander, oder sind untrennbar und unscheidbar voneinander getrennt, indem eine jede die Fülle der Gottheit besitzt, aber das eine göttliche Wesen ungetrennt und ungeteilt bleibt, und dies solchermaßen, daß nach Gregor von Nazianz - „die Gottheit ungeteilt in Geteilten" (ä/uegiaroi; ev /ue/uegia¡IEVOIQ) existiert1). Und der Vater unterscheidet sich von den anderen Personen, insofern als er von Natur und ewig den Sohn zeugt wie auch den heiligen Geist ausgehen läßt (exnoQevei), der Sohn aber, insofern als er von dem Vater gezeugt wird, und der heilige Geist, insofern als er von dem Vater ausgesandt wird oder hervorgeht. Daher bestehen die hypostatischen Eigenschaften der drei Personen aus dem Ungeborensein (äyevvrjala) des Vaters und der Vaterschaft, aus dem Geborenwerden (-/¿vvrjoit;) des Sohnes und der Sohnschaft, und aus dem Ausgang (exnÖQevau;), Hervorsprießen (TtQoßoXrj) oder der Aussendung (exTiE/uipic;) des heiligen Geistes: „Zueigen ist dem Vater das Ungeborensein, dem Sohne aber das Geborenwerden und dem heiligen Geiste das Ausgeschicktwerden", so drückt es Gregor von Nazianz aus2). Der Vater also ist ungezeugt, ohne Ursache und ohne Ursprung, ist aber zugleich „der eine Ursprung, die eine Wurzel und Quelle des Sohnes und desheiligen Geistes" 3 ),und deren alleinige Ursache, als Zeuger (yevvrfraiQ) des Sohnes und Hervorbringer {nQoßoXevq) des heiligen Geistes in Ewigkeit; der Sohn aber ist erzeugt oder das vom Vater Erzeugte (yevvrjfjia), und der heilige Geist ist ausgesandt, oder das Ausgesandte, oder das vom Vater Hervorgebrachte (nQÖßXrjfia): „Er, der Erzeuger und Hervorbringer, ich aber sage leidenslos, zeitlos und nicht körperlich, von ihnen das eine das Gezeugte, das andere aber das Hervorgebrachte, oder, ich weiß nicht, wie man das nennen sollte, wenn man völlig entrückt ist von dem, was wahrgenommen wird." 4 ) Demzufolge ist der Vater unursächlich und selbstursächlich, der Sohn und der heilige Geist aber haben als Ursache den Vater, gezeugt ist der Sohn und ausgesandt der heilige Geist, aber beide sind zeitlos, unteilbar und untrennbar. Demgemäß liegt der Unterschied und die Unterscheidung der drei Hypostasen oder Personen der heiligen Trinität nur in diesen drei nicht mitteilbaren Eigenschaften begründet, das heißt in dem Ungeborensein des Vaters, in dem Geborenwerden des Sohnes und dem Ausgesandtwerden des heiligen Geistes. Diese drei Eigenschaften charakterisieren die Kappadozier als die Arten der Existenz der drei Personen und ihrer Beziehung *) Horn. 3 1 , 14. Migne P. G. 36, col. 149. Vgl. Johannes von Damaskus, a. a. O., col. 829. 2
) Gregor v. Nazianz, hom. 25, 16. Migne P. G. 35, col. 1 2 2 1 . ) Basilius d. Gr., contr. Sab. 4. Migne P. G. 31, col. 609.
3
*) Gregor v. Nazianz, hom. 29, 2. Migne P. G. 36, col. 76.
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zueinander, und nicht nur als deren OfFenbarungsweisen nach sabellianischer Auffassung; denn tatsächlich „unterscheiden sich nur in diesen drei hypostatischen Eigenschaften die heiligen drei Hypostasen voneinander nicht im Wesen, aber im Charakteristischen der Hypostase selbst, als die ungetrennt getrennten (âôiaioérojç ôiaïQov/ievaî), da selbige „nicht in ihrem Wesen bekanntgemacht sind, sondern in der Beziehung zueinander und der Existenzweise"1). Aber so besteht bei ihnen nichts früheres oder späteres, „damit nicht ein erster Gott und ein späterer Gott sei und Gott einen Zusatz bekomme" 2 ). Wir glauben also, daß der Vater und der Sohn und der heilige Geist gleichzeitig sind, und zwar der Sohn als geboren und der heilige Geist als ausgegangen aus dem Wesen des Vaters, ursprungslos, zeitlos, ungetrennt und unerfaßbar; „und daß da ein Unterschied des Geborenwerdens und des Ausgesandtwerdens besteht, das haben wir gelernt, welches aber die Weise des Unterschiedes,keineswegs"3). Aber hier ist es erforderlich, daß wir kurz die Frage des Ausgangs des heiligen Geistes berühren, über den sich bereits von dem ersten Jahrtausend an Uneinigkeit zwischen der östlichen und westlichen Christenheit erhob, insofern als die erstere das „der heilige Geist. . . der von dem V a t e r a u s g e h t " ( r o Ilvevfia
ro äyiov ...
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QEvôfJLEVOv) auf Grund des Symbols des II. Ökumenischen Konzils und der gesamten alten heiligen Überlieferung, wie auch der heiligen Schrift und besonders der klassischen Stelle Joh. 15, 26, bekannte. Die westliche Christenheit aber nahm späterhin an, daß er „ausgeht vom Vater und dem Sohn" (procedit ex Patre Filioque), was nicht schrift- und traditionsgemäß ist. In der Tat glauben die Orthodoxen des Ostens aller Jahrhunderte, daß der heilige Geist vom Vater als der Quelle und dem Ursprung der Gottheit ausgeht, indem sie auf Grund von Joh. 15,26 (in Verbindung mit Joh. 14, 26) die ewige Existenz und die Aussendung des Geistes aus demVater allein von seiner zeitlichen Offenbarwerdung, Erscheinung, von seinem Aufleuchten und seiner Ausschickung in die Welt durch den Sohn unterscheiden. Dies wird von Johannes auch angedeutet durch Gegenüberstellung der unterschiedliche Bedeutung habendenWoite „exnogeverai", was in bezug auf den Vater im Präsens steht, und „nêfixpa)", was in bezug auf den Sohn im Futur steht4). So lehren auch die alten Väter *) Johannes v. Damaskus, a. a. O., col. 824 und 837. *) Ebenda I, 8, col. 813. s ) Joh. v. Damaskus, ebenda I, 8, col. 824. Vgl. Basilius d. Gr., epist. 52, 3. Migne P. G. 32, col. 396 und Gregor v. Nazianz, hom. 25,16. Migne P. G. 35, col. 1221, hom. 31, 8. Migne P. G. 36, col. 141. *) Vgl. Cassian, Bischof v. Catania, L'enseignement de la Bible sur la procession du St. Esprit, in „Russie et Chrétienté", Paris 1950, Hefte 3 und 4, besonders S. 141 ff.
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mit Gregor dem Thaumaturgen „einen heiligen Geist, welcher aus Gott seine Existenz hat und durch (dia) den Sohn erschienen ist (das heißt den Menschen)" 1 ). Wenn also die Orthodoxen von dem Ausgang des heiligen Geistes sprechen, glauben sie diesen im Sinne seiner ewigen und unursprünglichen Existenz und Aussendung, und bekennen ihn daraufhin als allein v o m Vater her geschehend, nicht aber auch v o m Sohn (ix TOV Yiov). Wenn sie nun diesen Ausgang mit dem Gedanken an die zeitliche Aussendung, Offenbarwerdung, Aufleuchtung, Ausdruckgebung und Ausschickung des Geistes in die Welt glauben, dann bekennen sie diese als v o m (ex) Vater her durch (8td) den Sohn oder auch von beiden her geschehend; „denn er ist v o m Vater durch den Sohn über alle Schöpfung ausgegossen" 2 ). Daraus folgt, daß man „durch den Sohn" in dem Sinne versteht, daß der Geist in der Zeit durch den Sohn den Menschen geschickt, „abgesandt", „gegeben", oder auf die Menschen „ausgegossen" wird (nQO%Eexai), oder auch, daß er durch den Sohn „erschienen ist"; „aufleuchtet" und „erkannt w i r d " - so die bekannten patriotischen Begriffe, w o sich nirgends etwas dem lateinischen „Filioque" - und von dem Sohne - Entsprechendes findet, als ob er als Ursache und Ursprung seiner Hypostase und Existenz auch den Sohn habe; denn, wie wir sagten, eine solche Ursache und anfangioser Ursprung ist nur der Vater allein. Darauf basierend erhalten die Orthodoxen durch die Zurückführung des Sohnes und des Geistes auf die eine Ursache und den einen Ursprung, den Vater nämlich, die Monarchie in der trinitarischen Gottheit, während ihr durch Annahme des „Filioque"Ausganges des heiligen Geistes, so ist ihre Meinung, eine Dyarchie beigelegt wird 3 ). Die das Gegenteil besagenden Behauptungen der Lateiner mit ihrem Argument von der Wesenseinheit wurden wohlbegründet als Vermischung der drei nicht mitgeteilten hypostatischen oder persönlichen Eigenschaften der göttlichen Personen bezüglich der ihnen gemeinsamen Idiome in ihren zur Welt hin gerichteten Energien und Relationen betrachtet. Also nicht hypostatisch, sondern nur „dem Verständnis des Wesens nach" 4 ) könnte das Filioque angebracht sein, d. h. wenn man es mittels des patristischen „durch den Sohn" v o m Orthodoxen Standpunkt
*) Gregor Thaumaturgos v. Neocaesarea, expos. fid. Migne P. G. 10, col. 984. Joh. Karmins, a. a. O. I, S. 70. 2
) Cyrill v. Alexandria, D e recta fide ad reginas I, 3. Migne P. G. 76, col. 1204.
8
) V g l . das über den Theozentrismus in der Theologie von Bischof Cassian
Gesagte, a . a . O . , S. 148fr. *) Cyrill v. Alexandrien, Epist. 39 an Johannes v. Antiochien. Migne P. G . 77, col. 1 8 1 .
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aus gesehen 1 ) interpretieren würde. Dies betont auch Theodoret von Cyrus, wenn er schreibt: „ W e n n er (d. h. der heilige Geist) aus dem Sohn oder durch den Sohn zur Existenz gekommen wäre, so würden wir dies als blasphemisch und gottlos zurückweisen." 2 ) So halten wir uns an die Formulierung des Johannes von Damascus, der da sagt: des Sohnes Geist verstehen wir als v o m Vater durch den Sohn ausgehend. So geht er nicht v o m Sohne aus; denn der Vater allein ist die Ursache . . . So geht er v o m Vater aus, der Sohn vermittelt ihn und so wird er der gesamten Schöpfung z u t e i l . . . So sagen wir nicht: aus dem Sohn sei der Geist erschienen . . . er ist durch den Sohn erschienen und hat sich auf uns übertragen. W i r bekennen daher . . . daß der heilige Geist Gottes und des Vaters v o m selbigen ausgeht. Dies trifft auch beim Sohne zu, und durch diesen ist er (d. h. der heilige Geist) erschienen und der Schöpfung vermittelt worden, aber seine Existenz hat er nicht aus dem Sohn empfangen." 3 ) Cassian, ebenda, S. 125 : „l'interprétation du Filioque dans le sens de, ôià rov Yiov' de l'exégèse byzantine est la seule voie qui mène à cette fin (monarchie du Père". 2 ) Bei Cyrill v. Alexandrien, Apolog. adv. Theod. IX. M. P. G. 76, col. 432. 3 ) Johannes v. Damaskus, Expos, fid. orth., I, 8, 12. Migne P. G. 94, col. 821, 832, 833, 849; Homil. z. Gr. Sabbath 4. M. P. G. 96, col. 605. An dieser Stelle wäre noch zu bemerken, daß die morgenländische Kirche das lateinische Filioque bis zum 9. Jahrhundert nur als ein Theologumenon betrachtet und daher offiziell nicht angegriffen hatte. Ja, sie wurde darin auch noch bestärkt ; denn selbst die Kirche Roms, besonders unter Papst Leo III., hatte es bis zu jener Zeit abgelehnt. Als das Filioque jedoch auf antikanonische Art und Weise in das heilige Glaubenssymbol eingeführt wurde und Papst Nikolaus I. versuchte, das Filioque dem orthodoxen Bulgarien aufzuzwingen, und unter Druck des deutschen Kaisers, Heinrichs II., Benedikt VIII. 1014 in Rom zur Annahme des Filioque gezwungen wurde, widersetzte sich dem der gesamte Orthodoxe Osten. So gab das Filioque den letzten Anlaß zum Schisma zwischen Rom und dem orthodoxen Osten. Im Verlauf der Jahrhunderte versteifte sich nun dieses Schisma, und angefangen vom Patriarchen Photius bis auf den heutigen Tag entfaltete sich eine scharfe orthodoxe Polemik, wodurch den Lateinern die Verfälschung des Glaubensbekenntnisses vorgeworfen wird und somit auch die Abänderung und Verfälschung des grundlegendsten christlichen Dogmas über die heilige Trinität (vgl. hierzu Joh. Karmiris, The Schism of the Roman Church, Athens 1950, S. 5f.). So verwarfen die Orthodoxen das in das heilige Symbol eingefügte Filioque deswegen, weil es dem Wesen nach eine Verirrung und der Form nach antikanonisch ist; denn es ist nicht von der heiligen Schrift bezeugt, zweitens wird es, in historisch dogmatischer Hinsicht, auch nicht von der alten, echten dogmatischen Überlieferung gelehrt, da es weder im achten Artikel des auf dem II. Ökumenischen Konzil formulierten Symbols, der von dem heiligen
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2. Die Welt Es ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Kosmologie keiner großen Darlegung bedarf, weil die Orthodoxe Katholische Kirche die sich auf die Kosmologie beziehenden Dogmen der alten Kirche fortwährend beibehält und unverändert lehrt, wie es übrigens auch mehr oder weniger die heterodoxen Kirchen tun. Sie nimmt demnach die Schöpfung der Welt als Gottes Tat an, durch welche er unmittelbar und ohne irgendeinen Zwischenschöpfer die Welt frei schuf und alles Unsichtbare und Sichtbare aus dem Nichtsein in das positive Sein hervorbrachte. So schuf der trinitarische Gott aus höchster Güte in der Zeit zunächst die unsichtbare und pneumatische Welt, dann aber die sichtbare und wahrnehmbare, und zuletzt den geistig-materiellen Menschen 1 ) aus dem Nichts 2 ) und durch sein Wort allein in sechs Tagen, völlig frei und allein von seinem guten und allmächtigen Willen getrieben, zu seinem Ruhm und zur Seligkeit seiner Geschöpfe. Demzufolge wurde die Welt nicht aus ihr selbst, und bestand auch nicht von Ewigkeit, noch wurde sie aus einer Geist handelt, enthalten ist, noch von den späteren Ökumenischen Konzilien und von den großen Kirchenvätern des Ostens angenommen worden war; drittens, da es in theologischer und philosophischer Hinsicht der monarchischen Trinität einen Dualismus beilegt und somit die Monarchie ditheistisch auflöst; viertens aber, weil es nur von der westlichen, d. h. nur von einer Lokalen Kirche auf antikanonischem und gesetzeswidrigem Wege unbefugterweise eingefügt wurde, in ein Ökumenisches Symbol, das das Siegel der Unfehlbarkeit und Unveränderlichkeit trägt, da es ja die zwei ersten Ökumenischen Konzilien unter Entscheidung des heiligen Geistes unfehlbar formuliert hatten. So war es auch von den folgenden kirchlichen Konzilien unter ausdrücklichem Verbot, auch nur geringste Hinzufügungen oder Auslassungen vorzunehmen, als das kat'exochen formulierte Symbol bekräftigt worden. So bestimmte die III. Ökumenische Synode, daß es „nicht erlaubt sei, einen anderen Glauben vorzutragen, abzufassen oder zusammenzustellen, als den der heiligen Väter, die in Nicaea unter dem heiligen Geist zusammengekommen waren" (Can. VII, bei Mansi, Concil. IV, 1361 und beiJoh. Karmins, a. a. O. I, 150). Dieses Verbot wiederholten einstimmig alle darauffolgenden Synoden (vgl. Kallinikos von Kyzikos. Die I. Ökumenische Synode zu Nicaea, (griech.), Konstantinopel 1930, S. i88ff.). Obiges von der III. Ökumenischen Synode ergangene Verbot erläuterte ihr Vorsitzender, Cyrill v. Alexandrien, wenn er hinzusetzte, daß es keinesfalls erlaubt sei „ein Wort der dortigen Texte zu ändern, oder auch nur eine Silbe außer acht zu lassen" (Mansi, Concil. V, 308/309. Migne P. G. 77, col. 184). Und Basilius d. Gr. sagt: „nicht eins der dortigen Worte ist ungültig zu machen" (Migne P. G. 32, col. 529). !) So lehrt auch der Damascener, a. a. O. IV, 13. Migne P. G. 94, col. 1136. 2 ) Siehe Gregor v. Nazianz, hom. 40, 45. Migne P. G. 36, col. 424.
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praeexistenten Materie geschaffen, sondern ist das Erzeugnis des freien Willens, der Allweisheit und der Allmächtigkeit des Dreieinigen Gottes, welcher sie „ef ovx OVTOJV" ) schuf. Ebenso trat die Welt nicht auf natürliche Art aus dem Wesen Gottes hervor, noch ist sie eine geschaffene Energie Gottes, sondern sie ist das Resultat seiner ungeschaffenen Energie 2 ). Endlich wurde die Welt auch nicht aus irgendeiner Notwendigkeit heraus geschaffen, weil Gott „unser in keiner Weise bedürfend, uns zum Dienen erschuf" 3 ), sondern sie ist das Erzeugnis der Güte, Liebe und des freien Willens Gottes, ohne daß er etwas „erzwingt noch Gewalt auferlegt" 4 ). „Als nun dem allergütigsten Gott die Betrachtung seiner selbst nicht genügte, sondern es ihm im Übermaß der Güte gefiel, daß etwas werde, was seine Wohltaten in Empfang nehme und teilhabe an seiner Güte, da brachte er (seine Schöpfung) aus dem Nichtsein (ex rov fir\ ovTot;) in das Sein und schuf alles, das Unsichtbare wie auch das Sichtbare" 5 ). Gott ist also der Schöpfer der Welt - nicht dem Wesen nach und aus Zwang, sondern auf Grund seines freien Willens und seiner Energie und Güte. Die Schöpfung aber, als freie Tat Gottes, ist nicht ewig, sondern hatte einen zeithchen Anfang, und so wurde der bekannte gegenteilige origenistische Lehrsatz von der Kirche verurteilt. Die Absicht jedoch, der Plan und Ratschluß Gottes für die Welt bestanden vor der Zeit. Demzufolge verwirklichte Gott den von Ewigkeit her bestehenden „vorjTov xoa/uov" und wandelte ihn durch die in der Zeit geschehene Schöpfung um in den „aiadrjTÖv xoa/uov", wie es die heiligen Väter gelehrt haben. Frei und aus dem Nichts die Welt erschaffend, war Gott vollkommen unabhängig von den unursprünglichen und enhypostatisierten Archetypen oder Ideen, wie er auch zur Schöpfung nichts bedurfte oder notwendig hatte, weder die Materie, noch Organe oder Arbeit usw.: 1
!) II. Makk. 7, 28. 2) Nach Gregor Falamas heißt es: „dessen Energie geschaffen, er selbst aber nicht geschaffen ist; darum ist nicht Gottes Energie - fliehe diesen Gedanken! sondern das durch die Energie Bewirkte und das von ihr Erzeugte das Geschöpf" (Capita theologica, moralia et practica 73. Migne P. G. 150, col. 1172). Und an anderem Ort weist er die von den Lateinern festgehaltene Identifizierung des Wesens Gottes mit seiner Energie zurück, welche die wesentliche Relation zwischen Schöpfer und Geschöpf ist. Somit wird die Schöpfung vergottet und Gott stellt sich mit den Geschöpfen zusammen (syntaxetai tois ktismasi)", (ebenda, col. 1189). 3 ) Johannes Chrysostomus, ad eos qui scandalizati sunt, 7. Migne P. G. 52, col. 496. 4 ) Johannes Chrysostomus, de prophet. obscur. II, 3. M . P. G. 56, col. 180 und Gregor v. Nazianz, hom. 38, 9. Migne P. G. 36, col. 320. 6 ) Johannes v. Damaskus, a. a. O . II, 2. Migne P. G. 94, col. 864.
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„Denn unbedürftig ist Gott, aber die menschlichen Künste bedürfen einander . . . Der Schöpfer des Alls jedoch bedarf weder der Werkzeuge noch der Materie, und was den anderen Künstlern zu eigen ist, nämlich Materie, Werkzeuge, freilich auch Zeit, Arbeit, Wissenschaft und Sorgfalt, dies ist in allem für Gott der Wille." 1 ) Darum schafft Gott „denkend und der Gedanke (eworj/ia) war Werk, vom Logos erfüllt, durch den heiligen Geist vollendet" 2 ), oder: „Der Vater schafft durch den Logos und im heiligen Geiste alles" 3 ). Daher ist es der Vater, „von welchem alle Dinge sind" (1. Kor. 8, 6; Rom. 1 1 , 36), der Sohn, „durch welchen alle Dinge sind" (öio$ r d navra; Joh. 1,3; 1. Kor. 8, 6; Kol. 1, 16; Hebr. 1, 2), und der heilige Geist, in welchem alle Dinge wurden (Gen. 1, 2)4). Es muß hinzugesetzt werden, daß „alles was Gott tat, sehr gut war" 5 ), und folglich das Böse in der Welt nicht aus dem guten Gott hervorgegangen, noch etwas in die Welt eingepflanztes ist; „denn nichts Böses ist durch Gott geworden" 8 ). Aber die Welt wurde nicht als absolut, selbständig und unabhängig geschaffen, sondern nur in relativer Selbständigkeit, welche ohne Mitwirkung und ohne die Vorsehung Gottes nicht zur Erhaltung und Entfaltung ihres Wesens ausreicht. So überließ der allgütige Gott die von ihm geschaffene Welt nicht ihrem Schicksal, sondern sorgte für sie weiterhin durch seine Vorsehung, sie erhaltend, regierend und dem letztlichen Ziel zuführend. Darum „bekennen wir Gott" nicht nur als den Schöpfer, sondern „wissen, daß alles durch die Vorsehung verwaltet wird, aber von ihm allein" 7 ). „Nicht nur brachte er (Gott) die Schöpfung hervor, sondern, nachdem er sie hervorgebracht hat, konstituiert er sie auch . . . und das Sichtbare schlechthin, wie auch das Unsichtbare erfreut sich seiner Vorsehung; und wenn es von jener Energie verlassen wird, dann vergeht es, zerrinnt und verdirbt 8 )." Die Erhaltung und Regierung, die sich auf die ganze Welt und auf alle jeweils nach ihrer Art geschaffenen Wesen erstreckt, wird durch Mitwirkung der göttlichen Kraft und Vorsehung zusammen mit den physischen und pneumatischen Kräften, wie 1
) Theodoret v. Cyrus, Graec. affect. curatio 4, Migne P. G. 83, col. 961.
2
) Gregor v. Nazianz, hom. 38, 9. M . P. G. 36, 320 und Johannes v. Damaskus, a. a. O. II, Migne P. G. 94, col. 865. 3 ) Athanasius d. Gr., epist. ad Serapionem I, 28. Migne P. G. 26, col. 596. 4
) d. 5 ) 8 ) 7 )
Vgl. Origenes, contr. Celsum 6, 60. Migne P. G. 1 1 , col. 1389 und Basilius Gr., de Spiritu sancto 16, 38. Migne P. G. 32, col. 136. Gen. 1, 3 1 . Theophilus v. Antiochien, ad Autolyc. II, 17. Migne P. G. 6, col. 1080. Ebenda, III, 9. Migne P. G. 6, col. 1 1 3 3 .
®) Johannes Chyrsostomus, A d Paralyticum, hom. 12, 4. Migne P. G. 48, col. Cio.
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auch der Weltordnung, bewirkt. In der Welt existiert nichts Zufälliges oder Unvorhergesehenes: „Sage nicht, daß dies zufällig geschehen, und daß es von selbst begegnet sei. Nichts Ungeordnetes, nichts Unbestimmtes, nichts ungeplant Geschehenes, auch nicht so, daß es sich in den Wesen zufällig zugetragen habe, oder eine schlechte Schickung oder böse Stunde sei: roh sind diese Stimmen. . . bei Gott gibt es nichts Unvorherbedachtes, nichts oberflächlich Geplantes: alles beobachtet das schlaflose Auge, es ist allen zugegen und vermittelt jedem das Heil." 1 ) Während die götthche Vorsehung in der vom Menschen erstrebten Ausführung des Guten mitwirkt, versagt sie jedoch umgekehrt ihre Mitwirkung in der von ihm in freier Entscheidung erstrebten Ausführung des Schlechten, „7iaQa%a>Q£i de TOJ avre^ovaiqj"2). So „glauben wir, daß alles Seiende, das Sichtbare und das Unsichtbare von der Vorsehung Gottes regiert wird, daß Gott das Böse aber als Böses wohl vorhersieht und zuläßt, aber nicht der ist, der es vorherbestimmt (ngovorjTtfs), da er nicht dessen Schöpfer ist; wir glauben aber, daß es, einmal geschehen, dann von der äußersten Güte zu etwas Brauchbarem hingeleitet wird; die Güte zwar bewirkt es nicht, aber beeinflußt es zum Besseren, soweit es ihr möglich ist" 3 ). Als erste aller Geschöpfe wurden aus dem Nichts von Gott die Engel geschaffen, „denn durch ihn ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Obrigkeiten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen" 4 ). Der Name „Engel" erläutert nicht sein Wesen, sondern seine Eigenschaft und seinen Dienst, damit er den Menschen den Willen Gottes verkünde. Nach dem Damascener ist Engel „ein geistiges Wesen, immer in Bewegung, frei, unkörperlich, ein Wesen, das Gott dient und gnadenhalber in der Natur das Unsterbliche empfangen hat" 5 ). Nach dem Pseudo-Areopagiten aber sind die Engel „rein von aller Verderbnis, von Tod, Materie, Geburt und was sonst dem Veränderlichen !) Basilius d. Gr., hom. ad psalm. X X X I I , 3. Migne P. G. 29, col. 329 und hom. 7 ad Hexahemeron 5. Migne P. G. 29, col. 160, vgl. auch Chrysostomus, D e fato et Providentia. Migne P. G. 50, col. 749 sq., Theodoret v. Cyrus, De Providentia, Migne P. G. 83, col. 556 sq. 2
) Johannes v. Damaskus, a. a. O. II, 29. Migne P. G. 94, col. 964 sq., daselbst
wird ausführlicher über die Providentia Dei gehandelt. 3
) Dositheos v.Jerusalem, confessio fidei 5, bei J . Karmins, a. a. O .II, S. 749 u. „ D i e
Confessio des Orthodoxen Glaubens des Patriarchen Dositheos von Jerusalem" (griech.), Athen 1949, S. 48/49. 4
) Kol. 1, 16. Gregor v. Nazianz, hom. 38, 9. Migne P. G. 36, col. 320.
5
) a. a. O . II, 3. Migne P. G. 94, col. 865.
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unterworfen ist - als unkörperlich und nicht aus Materie bestehend" 1 ). Also sind die Engel unkörperlich, „gleichsam wie Geist und Feuer materielos sind", darüber hinaus aber „sind sie nicht zu beschreiben und zu bestimmen . . . und befinden sich sofort allerorten, schnell von Natur . . ." 2 ) Als vernünftig und frei sind die Engel auch wandelbar, sie können im Guten verbleiben und fortschreiten, aber sie können sich auch dem Schlechteren zuwenden. Die guten Engel sind schwer beweglich in Richtung auf das Schlechte, aber dennoch nicht völlig unbeweglich, nichtsdestoweniger haben sie sich durch die göttliche Gnade fest im Guten verankert. Mit anderen Worten, die „Engel haben zwar in freier Entscheidung die Selbständigkeit, fallen aber nie aus dem Umhülltsein mit dem wirklich Guten heraus" 3 ). Von den guten Engeln unterschieden sich die Dämonen, welche, obschon sie von Gott das Gute geschaffen und mit den guten Engeln derselben Natur teilhaftig waren, sich aus Hochmut gegen Gott erhoben und fielen und böse wurden, indem sie willentlich ihre Freiheit mißbrauchten; denn ihre Natur war, da sie ja geschaffen waren, für Wechsel und Veränderung empfänglich, „zumal sie außerhalb des Wesens Gottes sind und ohne Körperlichkeit bestehen"4). Nach ihrem Fall verankerten sie sich jedoch fest in dem Bösen und zeigten keine Buße. Sie sind zur ewigen Verdammnis bestimmt; ihr Regiment aber wird mit der zweiten Parusie des Herrn aufgelöst werden. „Nach dem Fall haben sie keine Möglichkeit zur Buße, gleichwie die Menschen sie nach dem Tod auch nicht haben" 5 ) die Dämonen tun nach dem Fall keine Buße, auch sündigen die Engel jetzt nicht, sondern beide haben das Unveränderliche." 6 ) Die Lobpreisung Gottes und der Dienst unter ihm in der Regierung der Welt, wie auch die Ausführung des göttlichen Willens schlechthin ist die Aufgabe der guten Engel, andererseits aber ist es ihr Beruf den Menschen beizustehen und von Gott als „dienende Geister zum Dienst für die zukünftigen Erben des Heils" 7 ) gebraucht zu werden. Daher ist „dies der Dienst der Engel: Gott zu dienen zu unserem Heil" 8 ). Der schlechten De divinis nominibus 4 , 1 . Migne P. G. 3, col. 693; vgl. Gregor v. Nazianz, hom. theol. 28, 3 1 . Migne P. G. 36, col. 72. 2 ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. II, 3. Migne P. G. 94, col. 865-872. 3 ) Basilius d. Gr., De Spiritu Sancto 16, 18. Migne P. G. 32, col. 137. 4 ) Athanasius d. Gr., epist. ad Serapionen! I, 26. Migne P. G. 26, col. 592, vgl. contr. Arianos I, 51. Migne P. G. 25, col. 1 1 7 . 5 ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. II, 4. Migne P. G. 94, col. 877. 6 ) Johannes v. Damaskus, contr. Manichaeos 75. Migne P. G. 94, col. 1573. 7 ) Hebr. 1, 14. 8 ) Johannes Chrysostomus, A d Hebr., hom. 3, 2. Migne P. G. 63, col. 30.
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Engel Beruf aber ist es, dem heiligen Willen Gottes und dem Heilswerk f ü r die Menschen zu widerstreben und entgegenzuwirken, indem sie die Menschen in der Sünde verstricken; sie sind aber nicht in der Lage, die vernünftigen und freien Menschen zwingen zu können. So wurde der Satan letztlich der Feind der Heilsratschlüsse und Energien Gottes, der Feind des Menschengeschlechtes und schlechthin der Träger und A n führer des Bösen in der Welt. Darum steht auch geschrieben: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre." 1 ) Letztlich sei bemerkt, daß nach der Lehre der siebenten Ökumenischen Synode 2 ) die Orthodoxen den Engeln nur Ehre zollen und sie anrufen, ihnen aber nicht die nur Gott gebührende Anbetung darbringen, was bereits von dem Apostel Paulus 3 ) und der lokalen Synode von Laodicaea (360)4) verurteilt wurde. 3. Der Mensch Nachdem Gott die geistige und die materielle Welt geschaffen hatte, bildete er letztens „aus dem Nichtsein in das Sein" 5 ) den aus Geist und Materie „zusammengesetzten" 6 ) und „gemischten" Menschen, ihn „aus zwei Substanzen konstituierend"'). Er gehört der Seele oder seinem Geiste nach der geistigen, dem Leibe nach aber der materiellen Welt an, er ist also einem Ring zu vergleichen, welcher diese zwei vorher geschaffenen Welten verbindet und, nach Gregor dem Theologen, zur Verbindung zwischen „der unsichtbaren und der sichtbaren Natur" wird 8 ), oder nach Chrysostomus „eine enge Verbindung beider Schöpfungen ist" 9 ). So ließ Gott, „von der präexistenten Materie den Leib nehmend, ihm aber seinen Odem einhauchend - was der Vernunft ja bekannt ist - , mit geistiger Seele und mit dem Ebenbild Gottes begabt, gleichsam einen zweiten Kosmos entstehen, w o sich der kleine im großen befindet. So ließ er den Menschen auf Erden erstehen, gleichsam als einen Engel, einen Anbeter, der eine gemischte Substanz besitzt; er Heß einen Wächter f ü r die sichtbare Schöpfung erstehen, einen Mysten des Geistigen, einen ^ I - J o h . 3, 8. *) beiJoh. Karmiris, a. a. 0 . 1 , 2 0 4 . J . Harduin, Acta Conciliarum IV, 456 und 265. 3 ) Kol. 2, 18, vgl. Offb. 19, 10 und 22, 9. 4 ) Joh. Karmiris, a. a. O. I, 215. 6 ) Basilius d. Gr., in martyrem Julittam 6. Migne P. G. 31, col. 253. 8 ) Basilius d. Gr., comm. in Is. 1, 13 und Psalm. 32, 6. Migne P. G. 30, col. 140 und 29, col. 337. 7 ) Johannes Chrysostomus, in Gen., hom. 14, 5. Migne P. G. 53, col. 117. 8 ) Gregor v. Nazianz, Or. 38, 11. Migne P. G. 36, col. 317 sq., 632. ®) Johannes Chrysostomus, In incerta A. T. 2,' 5. Migne P. G. 56, col. 182.
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König setzte er somit über die irdischen Dinge, der von oben her gebietet" 1 ). So ist der aus geistiger Seele und materiellem Leib Zusammengesetzte das einzige in der Welt existierende, geistig-materielle und seelisch-leibliche Wesen, in welchem nach dem freien schöpferischen Ratschluß Gottes eine vollkommene und arteigene Verbindung von Geist und Materie zustande gekommen ist. Und diese Verbindung ist die Krone der Schöpfung aller sichtbaren Wesen, und aus diesen hebt sich die Erhabenheit des Menschen hervor, der sich durch sein Wesen und durch seine Natur von allen anderen Geschöpfen unterscheidet und nur ein wenig niedriger ist als die Engel, wie es der Psalmist ausdrückt2); denn zu Anfang lebte er „als Engel auf Erden"3). Diese unvergleichliche Erhabenheit und Würde des Menschen ergibt sich daraus, daß er „nach dem Bilde und nach Ähnlichkeit" mit Gott geschaffen wurde4). Und das „nach dem Bilde" offenbart das Geistige und das Freisein5), das „nach Ähnlichkeit" aber die zu erstrebende AhnlichGregor v. Nazianz, a)
Orat. 38, n . M i g n e P. G . 36, col. 3 i 7 f . und 632.
Psalm. 8, 6, vgl. Basilius d. Gr., in Psalm. 48, 8. M i g n e P. G . 29, col. 449; vgl.
auch: in Is. 2, 83. M i g n e P. G . 30, col. 253f. 3) 4) 5)
Johannes Chrysostomus, in Gen. hom. 15, 4. M i g n e P. G . 53, col. I24f. Gen. 1, 26. Hinzuzusetzen ist, daß einige Väter mit dem „nach dem B i l d e " zugleich auch
die v o n uns in der ursprünglichen Gerechtigkeit wiedergegebene und als Ergebnis des „nach dem Bilde" zu betrachtende (vgl. auch M. Schmaus, Katholische D o g m a t i k , München 1954 6 , vol. II, S. 125 ff.) Herrschaft der Erstgeschaffenen über die Schöpfung erwähnen. So schreibt z. B . Basilius d. Gr., daß Gott „uns das ,nach dem Bilde' z u m Beherrschen dessen g a b , was i m Wasser und auf dem Lande ist" (in Is. 2, 83. M i g n e 30, col. 256, v g l . col. I 7 f . und hom. in psalm. 48, 8. M i g n e P. G. 29, col. 449). V g l . Gregor Palamas, Capita physica, theologica, moralia et practica 62. M i g n e P. G . 150, col. 1165. A b e r die wenigsten ziehen dabei auch die Liebe in Betracht. So ist besonders P. Bratsiotis zu erwähenn; andere Theologen ziehen auch Unsterblichkeit, Güte und Menschenliebe mit in Betracht. Ü b e r dies alles siehe P. Bratsiotis, Gen. 1, 26 in der orthodoxen Theologie (griech.), in „ O r t h o d o x i a " X X V I I (1952), SS. 359-372, deutsch in „Evangelische T h e o l o g i e " 1951-52, Heft 7 und 8. Z u dieser Frage beschränken w i r uns hier nur auf die Bemerkung, daß die erwähnten w i e auch andere, und dabei besonders ethische Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen der geistigen und ethischen Natur und ganz allgemein der Persönlichkeit des Menschen angehören, w o z u gerade das „nach dem B i l d e " in Beziehung steht; denn die Persönlichkeit ist ja Ausdruck und Ergebnis des Intellektes des M e n schen und seiner Selbständigkeit, die beide in ihrem Streben zu Gott gerichtet sind, und dies hat auch des Menschen Anpassung an das Gesetz Gottes zur Folge. Letzten Endes ist diese anthropomorphe Anschauung entschieden zu verwerfen, „ w e n n sie sagen, der Leib sei ,nach dem B ü d e ' ; aber w i e sollte das Sichtbare
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
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keit in der Tugend" 1 ) in Verbindung, Beziehung und Hinwendung des Menschen zu Gott. Daraus ergibt sich, daß „das ,nach dem Bilde' uns in aller Ursprünglichkeit gegeben ist und wir es bis zum Ende behalten. Das ,nach Ähnlichkeit' jedoch können wir in eigener Wahl erwerben . . . es ist das letzte Ziel meiner Werke und meines Mühens um das Gute; und so wird es mir durch tugendhaften Wandel im Verlaufe meines Lebens zuteil. . . durch mein eigenes Bemühen. . . um dadurch Rechtschaffenheit zu erlangen". So ist also das ,nach nach Ähnlichkeit' „der Potenz nach das ,nach dem Bilde' selbst, der Wirkung nach jedoch die Aneignung der Tugend und der Tat nach das Vollbringen des Guten und somit das durch sehr guten Lebenswandel in das ,nach Ähnlichkeit Gottes' Hineinwachsen" 2 ). So „rührt das ,nach dem Bilde' vom Willen des Schaffenden her, das ,nach Ähnlichkeit' jedoch, vom Bemühen und der Tugend des Geschaffenen" 3 ); denn „das eine haben wir von der Schöpfung, das andere aber müssen wir aus eigenem Antriebe erreichen" 4 ). So sei auch bemerkt, daß das durch den Sündenfall verdunkelte ,nach dem Bilde' der Heiland im alten Glänze wieder erstehen ließ, und er bewirkte zugleich, daß auch das für das zerstoßene Gefäß „hinsichtlich des ,nach Ähnlichkeit'" Unmögliche wieder möglich wurde; denn Er ist das wahre „Bild Gottes, des Unsichtbaren" 5 ), und Er gewährt denen, die an Ihn glauben, die Fähigkeit „seinem Bild gleichgestalt"6) zu werden und Gott aus Gnaden durch ein „das ganze Leben andauerndes tugendhaftes Leben" ähnlich zu werden. So „wurde in den früheren Zeiten gesagt, daß der Mensch zwar nach dem Bilde Gottes geschaffen sei, daß es sich aber nicht zeige; denn auch der Logos war noch unsichtbar, nach dessen Bild der Mensch geschaffen ist; darum legte er auch die Ähnlichkeit leicht ab. Als aber der Logos Gottes Fleisch wurde, bestätigte er beides; das ,nach dem Bilde' zeigte er in Wahrheit, indem er geworden war, was ja sein Bild war, und die wirkliche Ähnlichkeit stellte er her, indem er den Menschen zugleich dem unsichtbaren Gott ähnlich machte" 7 ). Aus dem obigen geht hervor, daß das, was die Natur des Menschen ausmacht, die Vernunft ist, dem Unsichtbaren ähnlich sein? das Leibliche dem Nicht-Leiblichen? wie das, was Gefühl besitzt, dem Unverständlichen?" (Epiphanius, adv. haer. 70, 5. Migne P. G. 42, col. 345). x
) Johannes v. Damaskus, a. a. O. II, 12. Migne P. G. 94, col. 920. ) Basilius d. Gr., De hominis structura I, 20. Migne P. G. 30, col. 29f., 32.
2 3
) Metrophanes
4
Kritopoulos,
) Gregor v. Nyssa,
6
) Kol. 1, 15. II. Kor. 4, 5.
6
) Rom. 8, 29.
7
Confessio II, bei Joh. Karmiris,
a. a. O . II, 514.
in Verba, faciamus hominem, etc. Migne P. G. 44, col. 273.
) Irenaeus, adv. haer. V , 16, 2. Migne P. G. 7, col. 1 1 6 7 .
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die Freiheit und die Möglichkeit, Gott, der Tugend und der Güte ähnlich zu werden, wobei die göttliche Gnade Beistand leistet. Als Ausdruck, Kundmachung, Schmuck und Ergebnis des „nach dem Bilde" bestand die sogenannte ursprüngliche Gerechtigkeit (Justitia originalis) des Menschen, welche seine Herrschaft über das Lebendige und die ganze Schöpfung, die Möglichkeit zu Unsterblichkeit und Sündlosigkeit, die Redlichkeit und Unschuld oder „das Unversehrte und Unverletzte" 1 ), die Leidenslosigkeit, die Unvergänglichkeit und das Fehlen von Kummer und Leid, die wahre Gotteserkenntnis und „ C o n templation" wie auch die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott und den Besitz vieler anderer Erkenntnisse umfaßte2). Auf solche Weise bildete Gott den Menschen: „unschuldig, rechtschaffen, tugendhaft, schmerzlos, sorgenfrei, mit jeder Tugend geschmückt und mit allem Guten prunkend . . . irdisch und himmlisch, zeitlich und unsterblich, sichtbar und ideal, inmitten seiner Größe und Demut, ebenderselbe Geist und Fleisch... und schließlich in der Neigung zu Gott wird er vergottet, vergottet aber schaut er (die Herrlichkeit Gottes) unter Teilnahme an dem göttlichen Glanz, aber nicht als in das göttliche Wesen verwandelt. Gott aber schuf ihn von Natur aus sündlos und mit freiem Willen 3 ); sündlos, sage ich nicht in dem Sinne, daß er nicht für die Sünde empfänglich wäre, sondern daß es ihm von Natur aus nicht zu eigen sei zu sündigen, vielmehr aber in seiner Wahl liegt, obgleich es in seiner Macht steht, im Guten zu verbleiben und durch Mitwirkung der göttlichen Gnade voranzuschreiten, wie es auch an ihm liegt, sich vom Guten zum Schlechten hinzuwenden, was Gott auf Grund der Freiheit zuläßt"4). Desgleichen bildete Gott den Menschen, indem „er ihm seine göttliche Gnade übermittelte und durch sie den Menschen in Gemeinschaft mit sich brachte" 5 ). So verblieb der !) Basilius d. Gr., in Is. 7, 202. Migne P. G. 30, col. 465. 2
) Vgl-Johannes v. Damaskus, a. a. O. II, 1 1 . 1 2 . 30. Migne P. G. 94, col. 9 1 2 sq.,
920 sq., 976 sq., 1108. 3 ) Athanasius d. Gr. lehrt, daß im Prinzip Gott den Menschen so schuf: „ v o n Natur aus sündlos und mit freiem Willen begabt . . . zur Unsterblichkeit und zum Bilde seiner eigenen Ewigkeit" (contr. Apollin. 1, 15. M . P. G. 26, col. 1120), vorher aber auch Theophilus v. Antiochien, in A d Autolyc. II, 2 7 (M. P. G. 6, col. 1096): „Gott schuf den Menschen ,£Äev&£Qo v xal
aireSovaiov'".
4
) Joh. v. Damaskus, a. a. O . II, 12. M . P. G. 94, col. 9 2 1 . 924. Diese Stelle stützt
sich auf Gregor v. Nazianz, Or. 38, n . M . P. G . 36, col. 321/4. Z u den übertriebenen Ausdrücken dieser patristischen und späterer orthodoxer Texte, die den Menschen vor dem Fall betreffen, vgl. Ch. Androutsos, Symbolik 2 (griech.), Athen 1930, S. 165/7. 6
) Joh. v. Damaskus, a. a. O. II, 30. M . P. G. 94, col. 976.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Mensch in der Harmonie mit Gott, mit sich selbst und mit der Schöpfung. Aus dem Gesagten kann der Schluß gezogen werden, daß bei dem Stammvater harmonisch verbunden und nicht voneinander getrennt oder identisch miteinander hier das göttliche Ebenbild und da die ursprüngliche Gerechtigkeit existierten. Während wir aber auf diese Weise zwischen dem adamitischen göttlichen Bild und der ursprünglichen Gerechtigkeit einen Unterschied machen, akzeptieren wir trotzdem eine zwischen ihnen bestehende organische Verbindung, indem wir die ursprüngliche Gerechtigkeit ganz natürlich aus dem göttlichen Bilde hervorquellen, entspringen und hervorsprießen sehen, als ihren Schmuck und allerdings nur relativ vollkommen und für weitere Entwicklung und weiteren Fortschritt empfänglich. So war auch allgemein des Menschen Zustand vor dem Fall nicht absolut vollkommen und unempfänglich für Fortschritt und Entwicklung, das heißt, die besagte Vollkommenheit des Menschen war keine absolute, sondern eine relative. Sie war somit empfänglich für weitere Entwicklung und für Fortschritt unter Zusammenwirken der göttlichen Gnade mit des Menschen physischen Kräften des Geistes und der Freiheit zur Vollendung und Umwandlung des „nach dem Bilde" in das „nach Ähnlichkeit". Es ist Tatsache, daß die ersten Menschen nicht ethisch vollkommen waren, denn dies hätte den Mangel an freiem Willen mit sich gebracht, und ihre Taten würden keinen ethischen Wert haben; sie waren aber auch von Natur aus nicht unvollkommen, weil in solchem Falle Gott die Ursache ihres Falles gewesen wäre. „Wenn die einen schlecht, die anderen aber gut geschaffen worden wären, so würden weder jene als Gute zu loben sein, da sie als solche zugerüstet worden waren, noch könnte man die andern tadeln, da sie so geschaffen sind. Aber . . . sie sind alle von derselben Natur, befähigt das Gute zu besitzen und zu tun, oder zu verwerfen und nicht zu tun" 1 ). Nach Basilius dem Großen mußte und konnte darum der Mensch frei entwickelt und auf ethische Weise vollkommen gemacht und so „in den Rang der Engel durch Vervollkommnung . . ." erhöht werden. „Der vollendete Mensch wird in den Rang der Engel eingeführt" 2 ) und gelangt „in eine Höhe, keine erdichtete, sondern eine wahre, durch Gottes Kraft groß gemacht, durch Gottes Weisheit erhellt, mit ewigem Leben und allem Guten erfreut"3). Alle geistigen und ethischen Eigenschaften und Qualitäten des menschlichen Zustandes vor dem Fall sind also weder im „übernatürlichen" und so völlig vollendeten ZuIrenaeus, adv. haer. IV, 37, 2 und 6. Migne P. G. 7, col. 1100, 1103. *) Basilius d. Gr., hom. in Hexahem. 9, 6. Migne P. G. 29, col. 205. 8 ) Basilius 11. Gr., hom. de humilitate 20. Migne P. G. 31, col. 525.
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stand zu verstehen, wie es die römisch-katholische Kirche tut1), noch in gänzlich „natürlichem" und somit vollkommenem Zustand, wie es die Protestanten in entgegengesetzter Weise auffassen2), sondern sie befanden sich in einer Entwicklung und Bewegung zur Vollendung h'n. Der Mensch wurde frei geschaffen, um sich zu entwickeln und ethisch vollkommen zu werden, empfing aber auch die Fähigkeit der Unsterblichkeit, um also unsterblich und unvergänglich zu werden, wobei sich versteht, daß dies mit dem Willen Gottes geschieht, oder „daß der Herr durch seine Kraft ihm, dem Sterblichen, Unsterblichkeit und ihm, dem Vergänglichen, Unvergänglichkeit verleihen kann . . ., denn das Sterbliche wird vom Leben verschlungen"3). Gerade in dieser Sache, nämlich der Erlangung der oben geschilderten Vollkommenheit, Unsterblichkeit, Ähnlichkeit und Vergottung sind besonders die griechischen Väter zu beachten, die die göttliche Gnade harmonisch mit der menschlichen Freiheit verbinden, ohne deren Mitwirkung die ethische Vervollkommnung und die Errettung des Menschen unmöglich ist. So lehrte bezeichnenderweise bereits Irenaeus, daß die ersten Menschen im Paradies kleine Kinder waren und ihren W e g zur Vervollkommnung beschreiten mußten, „indem der Geist der Ernährer und Vermehrer ist, und der Mensch langsam Fortschritte macht und sich demVollkommenen nähert, das heißt, daß er sich dem Ungeschaffenen nähert . . ., so muß der Mensch zuerst werden, und geworden, muß er wachsen, wachsend, muß er reifen, herangereift, muß er sich vermehren, vermehrt, muß er stark werden, erstarkt, muß er zu Ruhm gelangen, und im Ruhme stehend, muß er seinen Gebieter sehen"4). An anderer Stelle hinwiederum betont Irenaeus, daß die ersten Menschen nur durch den heiligen Geist geistig und vollkommen würden - „secundum participationem Spiritus"5). In ähnlicher Weise lehrt der heilige Chrysosto') Siehe M. Schmaus, a. a. O . , S. 358fr. V g l . W. Niesei, a. a. O . , S. 4 l f f . Vgl. W. Walther, Lehrbuch der Symbolik, Leipzig-Erlangen 1924, S. 311 ff. 3 ) V g l . Irenaeus, adv. haer. IV, 38, 3, V , 13, 3. Migne P. G . 7, col. 1107. 1158/9. Theophilus v. Antiochia, ad Autolyc. II, 24, 27. Migne P. G . 6, col. 1089, 1093/6. Tatian, ad Graecos 13. Migne P. G. 6, col. 833. 4) Irenaeus, adv. haer. IV, 38, 3. Migne P. G. 7, col. 1108. 5) Ebenda, V 6, 1, col. 1137. Irenaeus setzt hinzu, daß, w i e der Herr als Kind geboren wurde, hernach heranwuchs, Fortschritte machte, reif und vollkommen wurde, so auch der erste Mensch als Kind geschaffen wurde, daß er geistig und ethisch heranwachse, Fortschritte mache, reif und vollkommen werde. V g l . ebenda, IV, 38, 3, col. 1108: „ D u r c h diese Ordnung und durch solche Stadien und solchen Wandel entwickelt sich der geborene und geschaffene Mensch nach dem Bilde und nach Ähnlichkeit des ungeborenen Gottes, indem der Vater 2)
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mus, daß sie auch „die von oben kommende Zuneigung . . . und Gunst, die ihnen der Gebieter erzeigte" 1 ), notwendig hatten, insofern „ w i r ohne Mitwirkung und Hilfe Gottes das Gute unmöglich wollen oder vollbringen können" 2 ). Infolgedessen bedurften die ersten Menschen der göttlichen Gnade als vereinigendem Band zwischen dem unendlichen Gott und dem endlichen Menschen, auf daß dieser durch gute Anwendung seiner Freiheit und geistige Bemühung das „nach dem Bilde" entfalten und in das „nach Ähnlichkeit" umwandeln könne, wenn er „gewohnheitsgemäß mit Gott vereint, die Stetigkeit im Guten unumstößlich empfangen würde" 3 ). Aber der Mensch hatte v o m Schöpfer zugleich „den freien Trieb" empfangen, „welcher zur vernünftigen Natur gehört . . ., von Natur aus braucht er Freiheit und kann sich beidem zuneigen: der W a h l des Guten und des Schlechteren" 4 ). Demzufolge lag bereits in der Freiheit des ersten Menschen die Möglichkeit zur Sünde. Aus dem guten Gebrauch der Freiheit konnte die ethische Entfaltung hervorgehen, und ebenso die Vervollkommnung und Umwandlung des ,nach dem Bilde' in das ,nach Ähnlichkeit'. Dazu mußte die göttliche Gnade mithelfen, durch die „die natürliche Vergänglichkeit abgeschwächt würde, und er unvergänglich bliebe", unsterblich und der Sünde verschlossen5). Umgekehrt resultiert aus der schlechten Anwendung der Freiheit durch die Sünde das Herausfallen des Menschen aus der göttlichen Gnade und aus der ursprünglichen Gerechtigkeit. Die Erbsünde war die aus der Eigenliebe und dem Stolz 6 ) herrührende freie Übertretung des ethischen Gesetzes, welches in Gestalt des Gebotes Gottes den ersten Menschen gegeben war. Aus Neid und durch Einfluß des Teufels 7 ) segnet und befiehlt, der Sohn handelt und schafft, der Geist aber ernährt und aufwachsen läßt, und der Mensch langsam Fortschritte macht und z u m V o l l kommenen gelangt . . ., denn v o l l k o m m e n ist der Ungeborene, ist G o t t . " Johannes Chrystostomus, in Gen. hom. 16,5,6. M i g n e P . G. 53, col. 1 3 1 , 1 3 2 , 1 3 3 . 2) 3)
Johannes v. Damaskus, a. a. O . II, 29 und 30. M i g n e P. G . 94, col. 968/9. Ebenda, II, 30, col. 977.
4)
Basilius d. Gr., Deus non est causa mali 6. M i g n e P. G . 31, col. 344. Contr.
Eunomium 3, 2. M i g n e P. G . 29, col. 660. 5)
Athanasius d. Gr., O r . de inc. Verbi 4. M i g n e P. G . 25, col. 104.
8)
N a c h Johannes Chrysostomus ist der Stolz „die W u r z e l und Quelle und Mutter
der Sünde", durch welche auch „der Erstgeschaffene aus dem Stand der G l ü c k seligkeit herausfiel", und der Teufel „ v o n jener H ö h e der W ü r d e herabfiel" (in Joan., hom. 9, 2. M i g n e P. G . 59, col. 72). ' ) V g l J ohannes v. Damaskus, a. a. O . , col. 980 und weiter unten I V , 22, col. 1197, w o er hinzusetzt, daß des göttlichen „Gebotes Übertretung Sünde ist, diese aber entsteht durch des Teufels A n g r i f f und unsere unerzwungene und freiwillige Annahme derselben".
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„befiel also Sünde und Übertretung" die ersten Menschen beim Übertreten des Gebotes Gottes, weil sie danach strebten, Gott gleich zu sein durch Loslösung von ihm und Erwerb göttlichen Wissens, göttlicher Seligkeit und Vollkommenheit durch eigene Mittel 1 ). So aber „brachte der erste Mensch den Tod für die ganze Welt" 2 ). Während es also die Bestimmung des unentfalteten und noch unentwickelten Menschen gewesen wäre, sich allmählich unter „der Zuneigung von oben" zu entwickeln, zu vervollkommnen und Gott ähnlich zu werden, verfehlte er nun durch den Ungehorsam diese seine Bestimmung und sündigte also, indem er von dem zur Vervollkommnung und Vergottung führenden Weg abglitt, aus seinem Urständ herausfiel und der Macht der Sünde, des Verderbens und des Todes verfiel. Dies vollbrachte der vom Teufel (und selbstverständlich nicht vom gütigen Gott) hinabgezogene erste Mensch ausschließlich aus eigener Verantwortung. Die vom Teufel ausgedachte und gestellte Falle entzündete nämlich im Menschen „die Begierde, Gott ähnlich zu werden" 3 ), und so sündigte er. Folglich heißt es: „Ursprung und Wurzel der Sünde sind wir (ro eq•)' rjfilv) und die Freiheit" 4 ). „Suche also nicht das Böse außerhalb, stelle es dir nicht in einer eigenen Hypostase vor, auch nicht als ursprüngliche Natur des Übels . . . halte auch nicht Gott für die Ursache der Existenz des Bösen . . ., sondern: jeder soll sich selbst als den Urheber der Sünde, die in ihm ist, erkennen!" 5 ) „Denn er selbst ist für sich zur Ursache aller Übel geworden" 6 ). Als Folgen der Erbsünde ergaben sich die Verderbtheit und Verdunklung des göttlichen Bildes im Menschen - das bedeutet aber noch nicht seine völlige Auslöschung und Zerstörung und so auch der Verlust aller das göttliche Bild schmückender Gaben der ursprünglichen Gerechtigkeit und der Verlust des „nach Ähnlichkeit", der Abbruch der inneren und direkten Gemeinschaft des Gefallenen mit Gott 7 ) und das Herausx
) V g l .Johannes Chrysostomus, in Gen., hom. 17, 1 und 16, 4. Migne P. G. 53,
col. 1 3 5 u. 130, in Matth., hom. 65, 6. Migne P. G. 58, col. 626. 2 ) Kyrill V.Jerusalem, catech. 1 3 , 2. Migne P. G. 33, col. 7 7 3 . 3
) Basilius d. Gr., Deus non est causa mali 8. Migne P. G . 3 1 , col. 348.
4
) Ebenda, 3, col. 332, vgl. col. 345.
5
) Ebenda, 5, col. 3 4 1 hom. in Hexahem. 2, 5. Migne P. G. 29, col. 3 7 - 4 0 .
6
) Johannes Chrysostomus, in Gen., hom. 15, 4. Migne P. G. 53, col. 1 2 5 . ) Auch Johannes v. Damaskus sagt (a. a. O., IV, 4. Migne P. G. 94, col. 1 1 0 8 ) :
7
„Durch die Übertretung des Gebotes haben wir die Z ü g e des göttlichen Bildes verdunkelt und verwischt, ins Böse geraten, wurden w i r der göttlichen G e meinschaft bar, und aus dem Leben herausgeraten, verfielen w i r dem tödlichen Verderben". U n d nach Gregor Palamas (Cap. phys. theol. etc. 39. Migne P. G . 150, col. 1 1 4 8 ) heißt es: „ N a c h jener Übertretung in der Ursünde durch das
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fallen aus der Gnade des „nach dem Bilde Gottes" Geschaffenen, die geistige und leibliche Verderbnis und Schwachheit der menschlichen Natur, und endlich auch der Tod, der natürliche, der geistige und der ewige, welcher von Gott zugelassen wurde, auf daß das Böse nicht unsterblich würde, das hinwiederum nicht von ihm geschaffen wurde. Nach Athanasius dem Großen also „wurde der Mensch, obgleich als vollkommen geschaffen, durch die Übertretung mangelhaft und durch die Sünde sterblich . . . Da nun der Mensch sündigte und fiel, war auf Grund seines Falles alles in Unordnung gebracht: der Tod trat in Kraft von Adam bis Moses, die Erde ist aus den Fugen geraten, der Hades öffnete sich, das Paradies wurde verschlossen, der Himmel war erzürnt, und, als letztes, verdarb der Mensch und wurde bar jeden Besitzes, und auf uns stürzte sich der Teufel" 1 ). Von nun an irrt der gefallene und verwundete Mensch umher, im Zwiespalt mit Gott wegen der Sünde, im Zwiespalt auch mit sich selbst, auf Grund der in ihm selbst entstandenen Antithese zwischen Geistigkeit und Sensibilität, zwischen seelischen und leiblichen Mächten und Schöpfungen, wie es im siebenten Kapital des Römerbriefes vom Apostel Paulus beschrieben wird, und schließlich steht er im Zwiespalt mit der gesamten Schöpfung, die durch den Menschen der Eitelkeit unterworfen wurde. Es ist aber besonders zu bemerken, daß der Geist und die Entscheidungsfreiheit des gefallenen Menschen, die durch die Sünde geschwächt wurden, ihn doch nicht so völlig verließen, daß er außerstande wäre, das Gute zu tun und sein ethisches Leben zu entfalten, in welchem Sinne es weiter unten Dositheos von Jerusalem erläutert. Wie bekannt, stellte die Orthodoxe Katholische Kirche im siebzehnten Jahrhundert diese altüberlieferte Lehre der calvinistischen Lehre der Confessio des Cyrill Loukaris2) entgegen, welche durch die Synoden von Konstantinopel (1638)3), von Konstantinopel-Jassy (1642)4) und von Jerusalem (1672)5) verurteilt wurde, wie auch durch die Orthodoxen Holz im Paradies erlitten wir vor dem leiblichen Tod den Tod der Seele, welcher ihre Trennung von Gott ist; das ,in Ähnlichkeit-Sein' mit dem Göttlichen verloren wir, verloren haben wir jedoch nicht das ,nach dem Bilde'. Vgl. W. Zenkowsky, Das Böse im Menschen, in der Ausgabe des Weltkirchenrates: Kirche, Staat und Mensch, Genf 1937, S. 359. *) Athanasius d. Gr., contr. Arianos, II, 66. Migne P. G. 26, col. 288. Horn, zu „Omnia mihi tradita sunt" 2. Migne P. G. 25, col. 209. 2 ) Cap. 14, bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, S. 567, vgl. Calvin, Instit. II, 3, Iff. Conf. Belg. 24, Conf. Gallic. 22. s ) Joh. Karmiris, ebenda, S. 573. 4 ) Ebenda, S. 580. 6 ) Ebenda, S. 713 ff.
Abriß der dogmatischen Lehre dir orthodoxen katholischen Kirche
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Confessiones des Petrus Mogilas 1 ), des Dositheos 2 ) und durch die ältere des Kritopoulos 3 ). V o n diesen führen wir als Beispiel die Lehre des Patriarchen Dositheos an: „Daß der Mensch von Natur aus sich um das Gute bemühen kann, deutet auch der Herr an, wenn er sagt, daß die Heiden die heben, die sie heben; und am klarsten wird von Paulus ausdrücklich gelehrt, daß die Heiden, obgleich sie das Gesetz nicht haben, doch von Natur des Gesetzes W e r k tun. Daraus geht auch klar hervor, daß unmöglich, was der Mensch Gutes tut, Sünde sei; denn das Gute kann unmöglich schlecht sein. Das Gute freilich, von Natur allein geworden und seelisch zugelassen, treibt denjenigen nicht geistig an und dient demjenigen nicht einfach zum Heil, der keinen Glauben h a t . . ., es gereicht aber auch nicht zur Verurteilung; denn das Gute an sich kann ja nicht zur Ursache des Bösen werden. In den Wiedergeborenen aber macht es, von und durch die Gnade bewirkt, den Menschen, der sich bemüht, vollk o m m e n und des Heils würdig" 4 ). Die Ursünde mit allen ihren Folgen und Strafen überträgt sich erblich a u f jedes von den ersten Menschen abstammende menschliche Geschlecht; denn „durch eines Menschen Ungehorsam sind viele Sünder geworden" und „durch eines Sünde ist die Verdammnis über alle Menschen gekomm e n " , also „durch einen Menschen ist die Sünde in die W e l t gekommen und der T o d durch die Sünde, und also der T o d zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben" 5 ), darum „sterben sie alle in A d a m " 6 ) . Aber nicht nur die „für die Seele ein fremdes Ereignis" 7 ) bildende Ursünde, sondern auch ihre Folgen samt allen Strafen übertragen sich erblich auf alle Nachkommen. So entsprang der Zustand der Sünde aus dem einen geschichtlichen Geschehnis der ersten Sünde des Stammvaters, welche sich mit allen ihren Folgen auf alle seine A b k o m men übertrug. Daher „gelangte durch die Übertretung Adams die Sünde zu allen Menschen" 8 ). D a sie beim Stammvater Eintritt fand, wurden
2
3
Ebenda, S. 604, 605, 607. ) Ebenda, S. 756/7.
) Ebenda, S. 521 ff., 526 fr., 531fr.
4
) Ebenda, S. 756/7. ) Rom. 5, 12. 18. 19. ®) I. Kor. 1 5 , 22 „das erste (Rom. 5, 12) ergänzt sich durch das zweite (I. Kor. 1 2 , 22), besonders aber durch das ,in Adam', was zwar in Rom. 5, 1 2 fehlt, aber in der Tiefe des Gedankens mitenthalten ist". P. Bratsiotis, Der Mensch im Neuen Testament, in „Epist. Epeteris der Theol. Fakultät der Universität Athen 1 9 5 4 - 5 5 " (griech.), S. 92, Anm. 1. 7) Athanasius d. Gr., or. contr. Graec. 34. Migne P. G. 25, col. 68. 6
8)
Athanasius d. Gr., contr. Arianos I, 5 1 . Migne P. G. 26, col. 1 1 7 .
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
folglich alle von ihm Abstammenden und seiner Natur teilhaftigen Menschen mitsündig, die „vom Anfang der Schöpfung an einander folgten und geboren wurden" 1 ). Im ersten Menschen sind „die Bedingungen der Nachfolge des ganzen Geschlechtes"2) im Prinzip mitenthalten. Daraus geht hervor, daß das zu Adam Gesagte auch allen gilt, die aus ihm geworden sind. Gott beschloß den Tod über ihn mit den Worten: „Erde bist du, und zu Erde sollst du werden". Alle aber, die aus ihm geworden sind, haben neben ihm Anteil am Leiden, so daß „kein von Makel reiner Mensch, und sei es auch nur einen Tag lang nach seiner Geburt, zu finden ist" 3 ). Daher sollte, gemäß der zumeist von den griechischen Vätern vertretenen Anschauung, die erbliche Übertragung der Ursünde von der Einheit der gesamten menschlichen Natur und der Wesenseinheit aller Menschen her verstanden werden. So macht Cyrill von Alexandrien folgende Bemerkung: „Wahrlich, durch den Ungehorsam des einen, das heißt. Adam, ist die (menschliche) Natur krank geworden, und deshalb wurden viele zu Sündern; nicht weil sie mit Adam übertreten haben, denn sie existierten ja noch nicht, sondern weil sie seine Natur haben, die Natur dessen, der tinter das Gesetz der Sünde f i e l . . . Die menschliche Natur erkrankte in Adam durch Ungehorsam an Verderbtheit, und sonach brachte sie das Leiden"4). Und Anastasius Synaiticus schreibt: „Es ist notwendig zu prüfen, wie der Vorvater die ihm der Übertretung halber auferlegte Strafe auf uns gebracht hat. Er hörte das „Erde bist du, und zu Erde sollst du werden", da wurde aus dem Unvergänglichen der Vergängliche, er geriet in die Bande des Todes. Da er nun, dem Tode verfallen, Kinder zeugte, sind die aus ihm als aus einem Vergänglichen Gewordenen vergänglich, und so sind auch wir vergänglich. Darum sind wir in Adam des Fluches Erben geworden . . . , weil er als Sterblicher die Sünde auf den aus ihm stammenden Samen übertrug; denn sterblich sind wir geworden durch einen Sterblichen . . . Ist also nicht die schlechthinnige und allgemeinste Strafe der Übertretung in Adam Vergänglichkeit und Tod?" 6 ) 1
) Ebenda, col. 6 1 .
2
) Ebenda, II, 48. Migne P. G. 26, col. 249.
3
) Basilius d. Gr., reg. asc. 4, 1. Migne P. G . 3 1 , col. 1348 in psalm. hom. 32, 4.
Migne P. G. 29, col. 332. 4
) Cyrill v. Alexandrien, in Rom. 5, 18. Migne P. G. 74, col. 789. A u f diese Stelle
wendet er folgenden Vergleich an: „Denn wegen der Ähnlichkeit mit A d a m befällt der T o d jedes aus ihm kommende Geschlecht, gleichwie eine Pflanze, die Schaden in der Wurzel erlitt, zwangsweise die von ihr hervorgebrachten Schosse vertrocknen läßt" (ebenda, col. 785). 6
) Anastasius Synaiticus, Quest. et respons. 143. Migne P. G . 89, col. 796.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen
Kirche
Ji
Hier fügt Chrysostomus noch hinzu: „Was ist nun das .Sünder (wurden viele)'? Mir scheint, es sind die der Züchtigung Verpflichteten und zum Tode Verurteilten" 1 ), da ja „als jener fiel, auch diejenigen, die nicht vom Baume aßen, durch ihn alle sterblich wurden" 2 ). Daher verstehen die Väter des Ostens den Tod als die notwendige Folge der Sünde und des Falles der ersten Menschen, deren Nachkommen alle ihm unterworfen wurden. Der Tod ging folglich nicht aus dem guten Gott hervor, wie verschiedene westliche Theologen meinen 3 ), da „Gott den Tod nicht geschaffen hat" 4 ). Sonach übertragen sich die Krankheit zur Sünde und der sündige Zustand der der göttlichen Gnade entzogenen und dem Tode unterworfenen menschlichen Natur erblich auf alle Abkömmlinge des Stammvaters, indem ihnen der Makel und alle Folgen und Früchte der Ursünde übermittelt wurden 5 ). Aus diesem Grunde führte bereits die Urkirche die Kindertaufe ein, um gerade von diesem Makel der Vorfahren Befreiung zu erlangen, und dies auch für die Kinder, die von persönlichen Sünden noch nicht befleckt sind6). Außer dem übernatürlich empfangenen und geborenen gottmenschlichen Herrn, der somit allein der Ursünde nicht teilhaftig war, erben dieselbe alle Menschen ohne Ausnahme durch die natürliche Empfängnis und Geburt. Unter ihnen befindet sich auch die auf natürliche Weise empfangene und geborene Theotokos (Gottesmutter). So wird seitens der Orthodoxen Katholischen Kirche das neue lateinische Dogma von der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter verworfen, da es sich weder auf die heilige Schrift noch auf die heilige Überlieferung stützt. Daraus ergibt sich weiter, daß die griechischen Väter das Problem der Erblichkeit der Sünde, des durch sie schuldig gewordenen Adam, wie auch der Bestrafung des gesamten Menschengeschlechts durch die göttliche Gerechtigkeit nicht wie die westlichen Väter vom juristischen Standpunkt aus sahen. Deswegen fehlen bei ihnen auch die im Westen 1
) Johannes
Chrysostomus,
2
) Ebenda, col. 474/5.
3
) V g l . Theophilus
4
) Weisheit Sal. 1, 13.
5
) Dositheos
in Rom., hom. 10. Migne P. G. 60, col. 477.
v. Antiochien,
v. Jerusalem
ad. Autolyc. II, 26. Migne P. G. 6, col. 1092/6.
schreibt (Conf. 6 bei Karmiris,
a. a. O . II, S. 750):
„Früchte und Bürde nennen wir . . . was die göttliche Gerechtigkeit dem Menschen als Strafe für die Übertretung gab, als da sind der Schweiß der Mühsale, Betrübnisse, körperliche Gebrechen, Gebären mit Schmerzen und das Leben unter Mühsalen in der Fremde und als letztes den körperlichen T o d . . . Eine Bürde ist die unseren Gliedern innewohnende Neigung zum Sündigen." 6
) V g l . Can. 1 1 0 (121) der Syn. v. Carth., rezip. v. d. V/VI. Ök. Syn. bei Joh.
Karmiris,
a. a. O . I, S. 218, 193.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
ausgebildeten juristischen Begriffe, welche dort zur Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury führten. Allgemein gesagt, distanzieren sich von den dogmatischen Voraussetzungen der Orthodoxie die gegenteiligen Lehren des römischen Katholizismus und des Protestantismus über die Erbsünde, den Zustand des Menschen vor und nach dem Fall und seine Schuld und Freiheit, über die göttliche Gnade, die Erlösung, die Kirche usw. Diese entfalteten sich im Westen durch die dem orthodox-östlichem Denken in manchem fremden Lehren des Augustin, des Pelagius, der Scholastiker und der Reformatoren. Darum führen uns die dogmatischen Voraussetzungen der Orthodoxie zur Darstellung der Dogmen innerhalb der Formen und Grenzen des dogmatischen Denkens und der Theolgoie der griechischen Kirchenväter. Wir werden darum im folgenden weiterhin versuchen, ihnen zu folgen.
II. D I E DER
THEOLOGIE
GÖTTLICHEN
ÖKONOMIE
D
ie ökonomische Theologie handelt von der göttlichen Ökonomie gegenüber dem Menschen, die den Ratschluß und Plan Gottes umfaßt, um aus unaussprechlicher Menschenhebe den gefallenen Menschen von der Sünde, dem Verderben und dem Tod durch die Inkarnation des Heilandes und sein gesamtes Erlösungswerk zu erretten. So sagt Basilius der Große: „Die Ökonomie Gottes und unseres Heilandes gegenüber dem Menschen ist die Wiederberufung aus dem Falle und der wieder eröffnete Zugang zur Vertrautheit mit Gott nach der durch den Ungehorsam verursachten Entfremdung" 1 ), und nach Chrysostomus „gedachte" Gott „dieser Ökonomie, welche durch die Gnade geschieht" 2 ). Zur Wiederberufung aus dem Falle also und zur Rettung des sündigen und gefallenen Menschengeschlechtes, wie auch zu dessen Zurückversetzung in den Zustand vor dem Fall und zur Wiederherstellung seiner Vertrautheit mit Gott sandte dieser aus höchster Erlöserliebe und unsagbarer Menschenfreundlichkeit seinen eingeborenen Sohn und Logos in die Welt, damit durch ihn „der Sünde Tyrannei gebrochen, die Feste des Teufels gesprengt, der Todesnerv zerschnitten werde, damit sich des Himmels Tore wieder öffnen, der Fluch verschwinde und des Vorvaters Verurteilung aufgehoben werde" 3 ). Es wurde also der Erlöser gesandt, er verließ die Himmel und kam, als die Zeit erfüllt war, auf Erden hernieder. Gott, der Vollkommene, „erschien im Fleisch" und wurde zugleich vollkommener Mensch, indem er unverändert die volle und vollständige menschliche Natur aus dem heiligen Geist und der Jungfrau Maria annahm, und somit zum „Mittler wurde zwischen Gott und den Menschen, er, der einzige Menschenfreund" 4 ). Auf diese Weise ging der ewige Gott selbst als Mensch in die Geschichte der Menschheit ein, damit „das Menschengeschlecht wiederhergestellt werde, und nach dem ersten ein zweiter Anfang aller Dinge" 5 ) geschehe. Von da aus läßt sich nun die Weltgeschichte in die Geschichte vor und nach der Geburt Christi einteilen. Wie der erste Adam das gesamte Menschengeschlecht in die Sünde, in das Verderben und den Tod hinabzog, und somit kraft der Basilius d. Gr., de Spiritu Sancto 1 5 , 35. Migne P. G. 32, col. 128. 2
) Johannes Chrysostomus, in Ephes. hom. 1, 4. Migne P. G. 62, col. 16. Ähnlich
in Rom. hom. 7, 1, w o er hinzusetzt, daß „die Rettung aus Gnade" notwendig war (Migne P. G. 60, col. 441). 3
) Johannes Chrysostomus, ad eos qui scandal. sunt 8. Migne P. G. 52, col. 498.
4
) Johannes v. Damaskus, a. a. O . III, 1. Migne P. G. 94, col. 984.
6
) Cyrill v. Alexandrien, adv. Nest, blasph. I, 1. Migne P. G. 76, col. 17.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Einheit der menschlichen Natur Ursache und Urheber der allgemeinen Sündigkeit des ganzen Menschengeschlechtes wurde, so heilte der fleischgewordene Logos als der zweite Adam das Verderben, indem er die ganze menschliche Natur annahm und mit der göttlichen vereinigte, denn „das nicht Angenommene wäre unheilbar" 2 ). Er bildete sie neu, heiligte sie, und erlöste sie von der Sünde, v o m Verderben und vom Tode, indem er „Ursache zur ewigen Rettung" (Hebr. 5, 9) des gesamten Menschengeschlechts wurde, und zwar eben kraft der Einheit der menschlichen Natur. Nach Athanasius dem Großen bekleidete sich der allein unwandelbare und unveränderliche Logos Gottes auf Ratschluß des Vaters mit der wandelbaren und geschaffenen menschlichen Natur, welche von dem ersten Menschen durch die Übertretung getötet war, damit er sie belebe, neu schaffe und durch sein eigenes Blut erneuere, sie als „Schöpfer erneuernd in sich selbst vergotte", und die sterblichen Menschen „zu unsterblichen mache und in das ewige Himmelreich führe" 3 ). Der Plan der Rettung in Christo aber „ist bereits, bevor wir (geboren) wurden, vorbereitet worden, ja, sicher schon vor der Entstehung der W e l t " , da ja „der Gott aller, der uns durch seinen eigenen Logos erschuf und das Unsere über uns wußte . . . die Ökonomie unserer Rettung vorbereitete, damit wir, wenn wir - von der Schlange betrogen - fielen, doch nicht gänzlich Tote blieben, sondern in dem Logos die Erlösung und Rettung hätten und wiederauferstehen und unsterblich bleiben würden" 4 ). So „wissen wir, daß wir v o m Tode zum Leben hinübergeschritten sind" 5 ), insofern als „der Logos Fleisch wurde . . ., damit er durch den Tod die Macht nehme dem, der des Todes Gewalt hatte" 8 ), und wir in das Königreich des Gottessohnes versetzt würden, „an welchem wir die Erlösung durch sein Blut haben, die Vergebung der Sünden" 7 ). Wahrlich „paradox und über Verstand und Vernunft ist die Art und Weise der Ökonomie im Fleisch; dieses große und wahrhaft Ehrfurcht gebietende Mysterium" 8 ). 2
) Gregor v. Nazianz, epist. 101 (ad Cledon.). Migne P. G. 37, col. 181. Vgl. auch Leontius v. Byzanz (Or. II, adv. Incorrupt., Migne P. G. 86/1, col. 1325): und Cyrill v. Alexandrien (adv. Nestorium I, 1. Migne P. G. 76, col. 20). 3 ) Athanasius d. Gr., contr. Arianos II, 65. Migne P. G. 26, col. 285 und I, 48, col. 112, vgl. col. 296. 4 ) Athanasius d. Gr., ebenda, II, 75. Migne P. G. 26, col. 305. 6) I. Joh. 3, 14. 6 ) Joh. 1, 14, Hebr. 2, 14 in Verbindung mit zahlreichen Hymnen des Orthodoxen Kultes. 7) Kol. I, 13 f. So auch Chrysastomus, in Rom., hom. 10. Migne P. G. 60, col. 477. 8 ) Cyrill v. Alexandrien, contra Julianum 8. Migne P. G. 76, col. 929.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
Es ist hinzuzusetzen, daß die Rettung der Menschen selbstverständlich das Werk des dreieinigen Gottes ist, weil da, w o eine Person der heiligen Trinität wirkt, zugleich auch die ganze heilige Trinität mitwirkt - „denn unlösbar ist sie (die eine Person) mit ihr (der Trinität) verbunden" 1 ). - Im spezielleren Sinne aber ist es besonders das Werk des Mensch gewordenen Gottessohnes, zugleich aber auch das der Liebe und des Wohlgefallens des Gott-Vaters und das der Gnade und Energie des heiligen Geistes, insofern als „Vater, Sohn und heiliger Geist sich die Ökonomie untereinander teilen" 2 ). Beachtenswert ist ebenfalls, daß die göttliche Ökonomie einerseits in objektiver Sicht als Erlösung 3 ) verstanden werden muß, die vom Erlöser für das ganze Menschengeschlecht ein für alle Mal vollzogen wurde. Sie besteht in der Befreiung des Menschen von Sünde, Schuld, Verderben und Tod und in der Zurückversetzung in seinen ursprünglichen Zustand. Andererseits aber ist die göttliche Ökonomie in subjektiver Sicht als Erlösung oder Rechtfertigung zu verstehen, welche nichts anderes als die persönliche Aneignung der objektiven Erlösung ist, die jeder einzelne jederzeit durch den heiligen Geist in der Kirche zu vollziehen hat. So aber sind in der göttlichen Ökonomie zugleich auch die Christologie und die Soteriologie mit einbegriffen, wie ja auch bei den alten griechischen Vätern die Soteriologie im wesentlichen Christologie war. Aus diesem Grunde befaßten sie sich in ganz besonderem Maße mit der Person des Erretters, indem sie zugleich auch die soteriologischen Fragen mit seltener theologischer Krfat und großem Scharfsinn behandelten. Darum untersuchen wir hier ebenfalls beide zusammen, indem wir zum Schluß einiges über die Eschatologie beifügen. Wir handeln also erstens von der Person des gottmenschlichen Erlösers, zweitens von seinem Erlösungswerk, drittens von der Kirche als dem Gefäß des Heils und dem Haushalter der göttlichen Gnade, in welcher sich die Aneignung des Heils vollzieht, viertens von den Sakramenten als den Vermittlern der rechtfertigenden göttlichen Gnade und des Heils, und fünftens von den letzten Dingen und der Vollendung der Erlösung schlechthin. Chrysostomus, in Rom., hom. 13, 8. Migne P. G. 60, col. 519. 2
) Chrysostomus, in Pentecost., hom. 1, 2. Migne P. G. 50, col. 456.
3
) So auch Gregor v. Nazianz, Or. 30, 20. Migne P. G . 36, col. 1 3 2 : „Die Er-
lösung, die uns, die von der Sünde Behafteten, befreit, indem er sich selbst als Lösegeld für uns gab, als Sühneopfer für die Ökumene".
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht l. Die Person Jesu Christi
Nach dem Evangelisten Johannes „wurde der Logos Fleisch" 1 ). Und der Damascener sagt: „Der göttliche Logos, der dem Leib der heiligen Jungfrau innewohnt, ist, in seiner eigenen Hypostase unbeschreibbar, nun beseeltes Fleisch mit vernünftiger und verständiger Seele aus dem reinen Blute der immer-währenden Jungfrau, er brachte den Anfang einer neuen menschlichen Masse nicht durch Samen, sondern durch einen Schöpfungsakt, durch den heiligen Geist; der Logos selbst ist zur Hypostase im Fleisch geworden" 2 ). So „nimmt" der Gott-Logos „das eigene Bild wieder auf und trägt das Fleisch für das Fleisch, vermischt sich der vernünftigen Seele um meiner Seele willen, durch Gleiches das Gleiche reinigend" 3 ). Was die Art und Weise der „unaussprechlichen und unbegreiflichen Vereinigung" 4 ) der zwei Naturen anbelangt, ist zu bemerken, daß der Herr, der Natur nach vollkommener Gott, der Natur nach vollkommener Mensch geworden ist. Er verwandelte seine Gottheit nicht in die Natur, sondern „ . . . vereinigte sich hypostatisch mit dem Fleische, unvermischt, unverändert und untrennbar, er verwandelte die Natur seiner Gottheit nicht in die Substanz des Fleisches, noch die Substanz seines Fleisches in die Natur seiner Gottheit, noch schuf er aus seiner göttlichen Natur und der menschlichen, die er annahm, eine zusammengesetzte Natur" 5 ). Diese Lehre von den zwei Naturen in Christo, welche sich auf die heilige Schrift und die apostolische Oberlieferung stützt, übernahm die Kirche und hielt sie schon am Anfang den alten Häresien entgegen, die die eine oder andere Natur ganz oder teilweise verneinten. So hob sie das eine Mal die Gottheit des Herrn hervor, nämlich gegen die ebionitischen, monarchianischen und arianischen Häretiker, das andere Mal seine Menschheit, nämlich gegen die doketischen, arianischen und apollinaristischen Häretiker. Später formulierte sie in den alten Ökumenischen Synoden gegen die nestorianischen, monophysitischen, monotheletischen und anderen Häretiker, die sich in der Frage der Art und Weise der Vereinigung der zwei Naturen irrten, die orthodoxe Lehre von der hypostatischen Einheit der zwei Naturen. So lehrte die Kirche, daß sich die beiden Naturen in unbegreiflicher und unbeschreibbarer Weise hypostatisch, das heißt in der Hypostase oder Person des Gott-Logos, vereinigten. Dieser hat bei seiner Inkarnation ') Joh. i , 14. a ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. III, 2. Migne P. G. 94, col. 988. s ) Gregor v. Nazianz, Or. 38, 13. Migne P. G. 36, col. 325. 4 ) Johannes Chrysostomus, in Joh. hom. 1 1 , 2. Migne P. G. 59, col. 79. s ) Johannes v. Damaskus, ebenda, col. 988.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
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die menschliche Natur nicht im Gesamten, „nicht die als Spezies verstandene Natur - er nahm ja nicht alle Hypostasen an - , sondern in einem Individuum angenommen. Die menschliche Natur bestand nicht vorher für sich selbst und bestand nicht vorher schon als Individuum und wurde dann von ihm angenommen, sondern hatte ihren Anfang in seiner Hypostase; denn diese Hypostase des Gott-Logos wurde zur Hypostase des Fleisches", oder, „der Logos Gottes selbst wurde zur Hypostase des Fleisches"1). Mit anderen Worten ausgedrückt, das Person-machende Prinzip in Christus war der Gott-Logos selbst, dessen Hypostase auch zur Hypostase der angenommenen menschlichen Natur wurde. So hatte die menschliche Natur, die für sich allein nicht Person und dennoch vollständig ist, im Sinne der Väter die Person des Gott-Logos zur Person2). Die angenommene individúale menschliche Natur war eine wahre und vollkommene, „aus vernünftiger Seele und aus Leib" 3 ) bestehend, sie existierte aber nicht vorher schon für sich allein in einem Individuum außerhalb der einen Person Christi, noch war sie vorher gebildet worden, sondern sie begann zu existieren mit dem Augenblick der göttlichen Inkarnation „aus dem heiligen Geist und der Jungfrau Maria", und zwar in der Einheit der Person oder in der Hypostase des Gott-Logos. So hatte sie also nie eine andere Hypostase als allein die des Sohnes Gottes. „Denn Leib und Seele hatten bei ihm ihre Existenz von Anfang an in der Hypostase des Logos" 4 ). Also waren von der ersten Grundlegung und von der Empfängnis der menschlichen Natur durch das schöpferische Wirken des heiligen Geistes in der Theotokos an die beiden Naturen zugleich und für immer in Christus vereint. „Zugleich und für immer" bestehen „die Einheit und das Vereinte" 5 ), insofern als „der Logos dem ihm aus dem Geist geschaffenen Tempel entsprechend der ersten Formung einwohnt; er wartete nicht auf die Vollendung des Tempels, sondern, gleich zu Beginn der unaussprechlichen Ökonomie in der Werkstatt der Natur verknüpft, umgab er sich mit dem ganzen Haus; so ist also nicht der Leib geworden, - so daß er selbst von außen her hereingekommen wäre,sondern er schuf ihn selbst um sich herum, und trug ihn wie eine Statue {ayaXfiarocpoQEi), das Unsere" 6 ). W i r wiederholen, daß in der Person oder Hypostase des Logos Gottes sich die göttliche und menschliche Natur durch die Empfängnis solcherEbenda, III, 11, col. 1024. ) Vgl. Ch. Androutsos, Dogmatik (griech.), S. 177. 3 ) Definition der IV. Ök. Syn., bei Joh. Karmins, a. a. O. I, S. 165. 4) Johannes v. Damaskus, ebenda, III, 27, col. 1097. 6) Leontius v. Byzanz, Capit. 30, contr. Severum 9. Migne P. G. 86, col. 1904. 8) Leontius v. Byzanz, Or. II, adv. Incorrupt. Migne P. G. 86/1, col. 1352/3. 2
5«
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
maßen vereinten, daß Jesus Christus einer ist und also eine Person „in zwei Naturen", in der göttlichen und der menschlichen, nicht aber „aus zwei Naturen". Nach dem Damascener und anderen Vätern ist die Vereinigung der zwei Naturen in dem Gottmenschen keine personale, relative oder rangmäßige, auch keine der Identität des Willens, der gleichen Ehre, der Gleichnamigkeit oder des Beliebens (so die Dyophysiten), noch eine Vereinigung zu einer Masse, Zusammensetzung, Vermischung, Verschmelzung oder Vermengung durch Veränderung, U m wandlung oder Abänderung (so die Monophysiten), sondern sie ist derart, daß die Hypostasen unverändert, unvermischt, unverwandelt, ungeteilt, unzertrennt und untrennbar bleiben 1 ). Daher lehrte die IV. Ökumenische Synode, es sei „zu bekennen der eine und derselbe Christus, der Sohn, der Herr, der Eingeborene, der erkannt wird in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt (gegen den Monophysitismus), ungeteilt, unzertrennt (gegen den Nestorianismus), wobei der Unterschied der Naturen keinesfalls zugunsten der Vereinigung aufgehoben wird, sondern vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen erhalten bleibt und sich in eine Person und eine Hypostase vereint" 2 ). Die Vereinigung der zwei Nattiren in Christo war also „hypostatisch", ihr Ergebnis aber „ist weder, daß die Vereinten einander ganz und gar identisch, noch daß sie gänzlich zweierlei sind", sondern es ist, ganz im Gegenteil, „die Identität in der Hypostase, das Anders-sein in der Natur" 3 ). In Übereinstimmung mit der obigen Definition der vierten Ökumenischen Synode blieben die zwei Naturen nach der Vereinigung unverändert und unvermischt, oder „in ihrer eigenen Bestimmung und Art und Weise" 4 ), indem sie nämlich ihre physische Unterschiedlichkeit und ihr Anders-sein nicht ablegten. Nur die menschliche Natur wurde kraft ihrer hypostatischen Vereinigung mit der göttlichen erhöht, vollendet und vergottet. Aber diese Vergottung ist als ihre Erhöhung auf Grund der Aufnahme und Vereinigung mit der göttlichen Natur zu verstehen. ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. III, 3. Migne P. G. 94, col. 993. ) Joh. Karmiris, a. a. O. I, S. 165. Cyrill v. Alexandrien schreibt (De Incarn. Domini 31. Migne P. G. 75, col. 1472): „Denn wir verteilen die Ökonomie nicht auf zwei Personen, noch verkünden wir und erheben zum Dogma zwei Söhne anstatt des Eingeborenen, sondern wir sagen, daß es zwei Naturen sind..." ®) Leontius v. Byzanz, Solutio argumentorum Severi. Migne P. G. 86/11, col. 1 2
1941. 4
) 4. Definition der IV. Ök. Syn., bei Karmiris, a.a. O.I, S. 188. Vgl. Theodoret v. Cyrus, Graec. affect. curatio, 6. Migne P. G. 83, col. 985: „Denn die Vereinigung vermischt nicht die Naturen . . . sondern eine ist für sich unversehrt geblieben".
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche Es ist hinzuzusetzen, daß die hypostatische Vereinigung der zwei Naturen in Christo die Vernunft und alles Verstehen überschreitet, das heißt, sie ist nicht zu ermessen, unaussprechbar, unbeschreibbar und geheimnisvoll, auf jeden Fall jedoch bleibt sie - „durch eine außerordentliche Empfängnis unvermischt und unzertrennbar" vollzogen - für immer in alle Ewigkeit unzertrennbar und unauflösbar, indem die menschliche Natur in Ewigkeit „untrennbar" mit der göttlichen vereint bleiben wird. Deshalb ist der Gottmensch „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit" 1 ), er wird wiederkommen „zu richten die Lebendigen und die T o t e n " , und weil „er ewiglich bleibt, hat er unvergänglich das Priestert u m . . . und er lebt immerdar, u m Fürbitte zu tun für diejenigen, die durch ihn zu Gott k o m m e n " 2 ) . Auch nach seinem „Es ist vollbracht" blieb die hypostatische Vereinigung i m T o d e noch unauflösbar, wie wir an anderem Ort dargestellt haben 3 ); denn das Person-machende Prinzip in Christus ist, wie wir bereits gesagt haben, der Gott-Logos, der sich seit der Inkarnation mit Seele und Leib zu einer „unauflöslichen Verschmelz u n g " (Athanasius d. Gr.) vereinigt hat und nach Johannes von Damaskus zu einer untrennbaren und „unzerreißbaren Vereinigung" 4 ) geworden ist. D a aber in Jesus Christus zwei Naturen sind, die göttliche und die menschliche, befinden sich in ihm also auch zwei physische, jeweils selbständige, Willen, der göttliche und der menschliche, zwei physische Energien, die göttliche und die menschliche, und zwei physische Entscheidungsfreiheiten, die göttliche und die menschliche, wie auch Weisheit und göttliches und menschliches Wissen. Weil er wesensgleich mit dem GottVater ist, wollte und wirkte er frei (avre^ovaitog) als Gott. Insofern als er aber wesensgleich mit uns Menschen ist, wollte und wirkte er selbst als Mensch, indem er aber das Wollen „ u n d Wirken nicht getrennt besaß, sondern vereint; denn er will und wirkt in jeder der beiden Gestalten, jeweils in Gemeinschaft mit der anderen" 5 ). So verstehen wir also die zwei Willen nicht als gegensätzlich, einander widerstrebend oder rivalisierend, sondern wir verstehen sie als in der eigenen Art und Weise harmonisch mit der anderen ein und dasselbe wollend, und zumal den unvollkommenen und schw .teilen menschlichen Willen als den, der sich dem vollkommenen und unbegrenzt starken göttlichen Willen fügt und unterordnet, wenn sich also beide Willen und Energien „vereint" !) Hebr. 13, 8. ) Hebr. 7, 24/5. 3 ) Joh. Karmiris, Christi Abstieg in den Hades. Athen 1939, S. 75f. (griech.). 4 ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. III, 7-9. Migne P. G. 94, col. 1008. 5 ) Ebenda III, 13 f., col. 1033 fr. a
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
bewegten und „miteinander zur Errettung des Menschengeschlechtes vereinten"1), gleichsam als wenn sie vereint wären in einen Willen, allerdings nur im ethischen Sinne. Mit anderen Worten, die zwei Naturen handeln und wirken in ethischer Einheit harmonisch zusammen, wie z. B. bei der Vergebung der Sünden, beim Vollzug der Wunder usw., nicht aber in physischer Einheit, wie die Severianer und die Monotheleten in ihrem Dogma bekannten. So war einer und derselbe der Wollende und der Vollbringende, das Göttliche und das Menschliche in seiner jeweiligen Gestalt in Gemeinschaft mit dem anderen. Und ganz allgemein: „weil ja eine ist die Hypostase Christi, und einer Christus war, einer der Wollende in beiden Naturen, als Gott Wohlgefallen habend und als Mensch gehorsam geworden"2). In dieser Weise gilt, was die Väter der VI. Ökumenischen Synode gesagt haben: „In allen Beziehungen das ,unvermischt' und .ungeteilt' haltend, verkünden wir in kurzer Rede das Ganze, daß einer von der heiligen Trinität auch nach der Fleischwerdung, unser Herr Jesus Christus, unser wahrer Gott ist. Indem wir das glauben, bekennen wir seine zwei Naturen, die durch seine eine Hypostase hindurchscheinen . . ., wobei der physische Unterschied in ihr bekannt ist, während jede der beiden Naturen in Gemeinschaft mit der anderen dasselbe will und wirkt: demgemäß glauben wir auch, daß sich zwei physische Willen und Energien unteilbar, unwandelbar, unzertrennlich und unvermischt in ihm befinden, die sich zur Errettung des Menschengeschlechtes einander vereinigen", insofern als auch nach der Vereinigung „sein menschlicher Wille von Gott her nicht aufgehoben wurde, sondern bewahrt worden ist" 3 ). Hiernach ist der Gottmensch, unser Erlöser, auf Grund seiner Geburt aus dem Vater vollkommener Gott, indem er alles besitzt, was der Vater hat, außer dem „Ungeborensein", und gleichzeitig ist er auf Grund der Geburt von der Jungfrau vollkommener Mensch, indem er alles, was der Mensch hat, besitzt - außer der Sünde. Er ist der wahre Sohn Gottes, nicht in einem bildlichen, übertragenen Sinn, sondern imwirklichen und metaphysischen, wesensgleich mit dem Vater; er bleibt nach der Menschwerdung der ewige Logos, wahrer Gott aus wahrem Gott, zugleich aber wahrer Mensch, wesensgleich mit uns. Aus der hypostatischen Vereinigung der zwei Naturen in Christo ergeben sich folgende dogmatischen Konsequenzen: die Perichorese der zwei 1
) Definition der VI. Ök. Syn., bei Joh. Karmiris, a. a. O. I, 188.
2
) Johannes v. Damskus, D e duo voluntatibus, 27. Migne P. G. 95, col. 160. Z u r
diesbezüglichen Lehre des Damasceners siehe K. Dyovouniotis, Johannes von Damaskus (griech.), Athen 1903, S. I04f. 3
) Bei Joh. Karmiris, a. a. O. I, 188.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
61
Naturen ineinander, in dem Sinne allerdings, daß „vor allem aus der göttlichen Natur die Perichorese entstanden ist, denn diese breitet sich über alles aus, wie sie will, und umgibt alles, indem sie selbst jedoch von nichts umgeben wird" 1 ); sodann die Kommunikation der Idiome und Namen auf Grund der Vereinigung überhaupt, die Aneignung und Vergottung der angenommenen menschlichen Natur, die jedoch in ihrer eigenen Bestimmung und Begründung erhalten bleibt2); ferner die natürliche Sohnschaft Jesu Christi auch als Menschen; die eine Verehrung oder Anbetung desselben auch in seiner menschlichen Natur; seine Sündlosigkeit; seine Zunahme an menschlicher Erkenntnis und Kraft und schließlich die Bezeichnung seiner heiligen Mutter als wirklicher Theotokos und Gottesmutter3). Aus diesem letzten kann ferner der Schluß gezogen werden, daß die Theotokos immerwährende Jungfrau und immerwährendes Kind ist, das heißt Jungfrau vor, in und nach der Geburt, indem sie ohne Schaden zu nehmen und auf unbeschreibliche und unerklärliche Weise Christus geboren hat4). Daher wird sie von den Orthodoxen als die Begnadete besungen, ehrenvoller, herrlicher und heiliger als irgendjemand sonst; denn man legt ihr, über die bei der Verkündigung der heilige Geist gekommen ist, relative Sündlosigkeit aus göttlicher Gnade bei (da ja nur der Herr allein der Natur nach absolut sündlos ist) und bezeichnet sie als allen Heiligen vorangestellte Fürsprecherin vor Gott5). Die im kirchlichen Kult und in der Volksfrömmigkeit vollJohannes v. Damaskus, a. a. O., col. 1 0 1 2 , vgl. contr. Jacobitas 52, ebenda, col. 1461. 2
) Joh. Karmiris, ebenda.
3
) Siehe die Beschlüsse der III. und V . Ök. Syn., bei Joh.
S. 45, 46, 49, 134, 149 und 1 7 5 . 4 ) Ebenda, S. 174. Vgl. Sophronius v. Jerusalem,
Karmiris, a. a. O . I,
Epist. synod., Migne P. G. 87,
col. 3 1 7 2 und Joh. v. Damaskus, a. a. O . IV, 14. Migne P. G. 94, col. 1 1 6 1 und 95, 96
) Es ist zu bemerken, daß die seitens der Bischöfe von R o m im Verlauf des
letzten Jahrhunderts verkündeten mariologischen Dogmen über die unbefleckte Empfängnis und die leibliche Aufnahme der Theotokos in den Himmel, wie auch andere mariologische Theologoumena der Lateiner (siehe M.
Schmaus,
Kath. Dogmatik, München 1955, Bd. V , S. 181 f. J . Neuner und H. Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden 4 , Regensburg 1 9 5 1 , N r . 3 2 5 - 3 3 4 ) von der Orthodoxen Katholischen Kirche nicht angenommen wurden, da sie sich nicht auf die heilige Schrift und die echte heilige Überlieferung stützen. V g l . Joh. Karmiris, Das neue Dogma der Römischen Kirche (griech.), in „Ekklesia" 28 (1951), S. 21 ff., wie auch entsprechende Artikel von Metropolit
Irenaeos
von
Samos, H. Alivisatos und P. Bratsiotis in „Ekklesia" 2 7 (1950), S. 369fr. und Ch. Androutsos, Dogmatik, S. 1 5 1 und Symbolik 2 , S. 201 ff. Demzufolge entbehren
62
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
zogene Erhöhung der Theotokos übte jedoch auf die Orthodoxe Dogmatil nicht den Einfluß aus, den sie aufdieRömisch-Katholische ausübte1). 2. Das Erlösungswerk
des Erretters
Der Erretter erlöste die Menschheit von Sünde, Verderben und Tod und hat „uns von der Obrigkeit der Finsternis errettet und versetzt in sein Reich, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden"2). Er erlöste das Menschengeschlecht durch die Annahme und Vergottung der menschlichen Natur, durch seine göttliche Lehre und sein unnachahmbares Beispiel und vor allem durch seinen Kreuzestod und durch seine Auferstehung, das heißt durch sein ganzes Erscheinen auf Erden und sein rettendes Wirken. Darin ist selbstverständlich auch die von ihm ausgehende Errichtung der Kirche als Gefäß und Heilsanstalt miteinbegriiFen, in welcher jeder Mensch in aller Freiheit durch die Sakramente und den in Liebe gewirkten Glauben sich das Heil subjektiv zu eigen machen kann - unter der stets starken „Gunst" und „Bundesgenossenschaft"3) der göttlichen Gnade, die das Heilswerk bei jedem Menschen beginnt und vollbringt. Diese Lehre ist auch im Symbol des Nicaeno-Konstantinopolitanum enthalten. Entgegen der juristischen Auffassung des Heilsprozesses seitens der westlichen Christenheit, wie sie ganz besonders in der bekannten Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury und anderer westlicher Theologen bis zum heutigen Tag ihren Ausdruck fand, ist im orthodoxen Osten von alters her, bereits von Behauptungen einiger westlicher Theologen, die das Gegenteil darlegen, der Genauigkeit, wie K. Algermissen, a. a. O-, S. 523 und andere. Im Gegensatz dazu bemerkt P. Bratsiotis zu recht („Ekklesia" 27 (1950), S. 398/9): „Zwischen diesen zwei schärfsten und unversöhnlichen Gegensätze über die Person der Gottesmutter (das heißt des römischen Katholizismus und des Protestantismus) beschreitet die Orthodoxe Kirche den mittleren und geraden Weg, zwischen dem päpstlichen steil nach oben und dem protestantischen nach unten führenden Weg, wenn sie mit der ungeteilten Kirche der ersten acht Jahrhunderte der Gottesmutter die höchste und vorzüglichste Ehre unter den Heiligen Gottes zollt..." 1 ) Heiler bemerkte zu recht (a. a. O., S. 206), daß „die panegyrische Verherrlichung der Gottesmutter in Predigten und Hymnen eine geringe Rückwirkung auf die dogmatische Theologie gehabt hat. Im Unterschied von der abendländischen Dogmatik hat die Orthodoxe Kirche gegenüber der Gestalt der Gottesmutter eine ehrfürchtige Zurückhaltung gezeigt . . . und das Mariageheimnis . . . meist der betenden Frömmigkeit überlassen." 2
) Kol. 1 , 1 3 . 1 4 . ) Joh. Chrysostomus, in Gen., hom. 16, 5, 6 und 58, 5. M. P. G. 53, col. 131, 132, 133, 228 und tom. 54, col. 513. Catech. 1, 4. M. P. G. 49, col. 228.
3
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
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Irenaeus, Athanasius d. Gr. und anderen, die auf den Aposteln und zumal auf Paulus basierende mystische Heilsauffassung vorgezogen und entwickelt worden. Diese fand bereits sehr früh in den Kult und die Volksfrömmigkeit Eingang und wurde vom Volk im Verlauf der Jahrhunderte zutiefst gelebt und in erhabene kirchliche Hymnen umgesetzt, die besonders im Festzyklus der Osterzeit gesungen werden. Darum wird von den Orthodoxen dieses Fest immer als „Fest der Feste und Feier der Feiern" begangen und erlebt. Dem orthodoxen Glauben nach beginnt also das Heil mit der Inkarnation unseres Erlösers und der Annahme und Vereinigung der menschlichen Natur mit der göttlichen und gipfelt in dem versöhnenden Kreuzestod und der Auferstehung von den Toten: „Darum die Einwohnung Christi im Fleisch, die Regeln des Lebenswandels nach dem Evangelium, das Leiden, das Kreuz, das Grab, die Auferstehung, damit der Mensch, der gerettet wird, durch Nachahmung Christi jene alte Kindschaft wieder erhalte 1 )." Allgemein hoben die griechischen Väter und Theologen vier Hauptstadien des Erlösungswirkens des Erretters hervor, im Gegensatz zu den westlichen, die einseitig den Kreuzestod des Herrn betonten. Es handelt sich dabei um die folgenden: a) die Menschwerdung, in welcher er schon mit der Verkündigung die ganze menschliche Natur annahm und sie mit der götthchen vereinigend erneuerte, heiligte, unsterblich machte und „kraft" derselben vergottete, indem er ihr göttliches Leben gab, und so den Anfang der Erlösung bewerkstelligte; b) seine göttliche Lehre und ethische Gesetzgebung, durch die er sich als der Prophet, als der Lehrer und als der höchste ethische Gesetzgeber an den verirrten menschlichen Geist wandte und ihn durch seine göttliche Lehre und ethische Gesetzgebung erleuchtete; c) der Kreuzestod, durch welchen er als Hohepriester sich selbst Gott dem Vater als Versöhnungsopfer darbrachte, um den Menschen von der Sünde abzuwenden und zu dem heiligen Gott hinzuwenden; d) die Auferstehung, durch welche er als allmächtiger König von den Toten auferstand, „im Tod den Tod zertretend", den Menschen vom Tode in das Leben mit-auferweckte und aufstieg gen Himmel, wo er sitzt zur Rechten des Vaters, und darüber hinaus als Besiegelung seiner Erlösung und deren Verewigung seineKirche gründete, die er selbst unsichtbar regiert. Zusammenfassend sei gesagt, daß der Erretter durch „seine Geburt, das heißt durch seine Inkarnation, durch seine Taufe, sein Leiden und seine Auferstehung die Natur des Vorvaters von der Sünde, von Tod und Verderben befreite, und daß er Anfang der Auferstehung geworden ist und sich selbst zum W e g gemacht ) Basilius d. Gr., De Spiritu Sancto, 15, 35. Migne P. G. 32, col. 128.
1
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Die orthodoxe
Kirche
in griechischer
Sicht
hat, zum Typus und zum Vorbild, auf daß auch wir, seinen Spuren folgend, das werden, was er von Natur ist, nämlich Söhne und Erben Gottes, und so seine Miterben" 1 ). „Nachdem er uns das Bessere gegeben hatte, und wir es nicht bewahrt hatten, empfängt er nun das Schlimmere, das heißt unsere Natur, damit er durch und in sich selbst das ,nach dem Bilde' und das ,nach Ähnlichkeit' erneuere; aber auch damit er uns den tugendhaften Lebenswandel lehre, den wir durch ihn leicht beschreiten können. Damit er uns durch Lebensgemeinschaft vom Verderben befreie, ist er selbst zum Anfang unserer Auferstehung geworden; damit er das unbrauchbar gemachte und zerstoßene Gefäß erneuere und es von der Tyrannei des Teufels erlöst werde, indem er uns zur Gotteserkenntnis beruft, und damit er uns kraftvoll mache und erziehe, durch Geduld und Demut den Tyrannen niederzuringen2)." Es ist noch hinzuzufügen, daß der Erretter mit seiner Menschwerdung das Erlösungswerk begann, während in seiner bis zum Kreuz andauernden Lehrtätigkeit sein Prophetenamt, im Versöhnungsopfer am Kreuz sein Hohepriesteramt und in seiner Auferstehung, Himmelfahrt, im „Sitzen zur Rechten des Vaters" und in der Errichtung der Kirche sein Königsamt in Erscheinung tritt. Erstens: in der göttlichen Inkarnation beginnt das große Mysterium der Rettung. Denn in ihr reinigte der Erretter als „der Erstling der Menschheit" 3 ), als der, der die ganze menschliche Natur, „den Anfang unseres Plasmas"4) annahm, eben diese, er erneuerte sie, bildete sie aufs neue, erhöhte, heiligte und vergottete sie, indem er sie mit der göttlichen Natur in Gemeinschaft brachte. So vollzog sich in der gottmenschlichen Person des Herrn die hypostatische und ewige Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur, welche die Grundlage und den Anlaß zur Rettung und Vergottung des gesamten Menschengeschlechtes ist, das als eine organische Ganzheit verstanden werden muß. Sie ist dies auch zur Umwandlung des gesamten Kosmos. So sagt Athanasius d. Gr.: „als erste vor den anderen wurde errettet und befreit" die von dem menschgewordenen Gott-Logos angenommene menschliche Natur, die „zum Leibe dieses Logos geworden" 5 ) war, danach wurden auch wir mit ihr „durch die Fleischesverwandtschaft befreit"6), und „gerettet als eines Leibes mit jenem" 7 ) und erlangen somit „zu einem Leibe durch die 1
) Johannes
2) 3
) Cyrill
v. Alexandrien,
4
) Johannes
5
v. Damaskus,
a. a. O . IV, 13. Migne P. G. 94, col. 1137.
Ebenda IV, 4, col. 1108.
) Athanasius
v. Damaskus,
in Joan. 16, 6-7. Migne P. G. 74, col. 432. a. a. O . III, 2. Migne P. G. 94, col. 985.
d. Gr., contra Arianos II, 61. Migne P. G. 26, col. 277.
8)
Ebenda, 69, col. 293.
7)
Ebenda, col. 277.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
65
Ähnlichkeit des Fleisches in ihm zusammengefügt und verbunden" 1 ) Unvergänglichkeit, Unsterblichkeit und Vergottung 2 ). So also wurde im „neuen Adam" auch das im „alten Adam" verdunkelte und verzerrte Bild Gottes wiederhergestellt und erneuert. Demnach wurde Gott Mensch, indem er die Natur des Menschen annahm, mit sich vereinte und vergottete, und so trat sie in ewige Gemeinschaft mit Gott, da im Gottmenschen Jesus die Gemeinschaft zwischen dem gefallenen, sündhaften Menschen und dem heiligen Gott hergestellt worden ist. Es liegt auf der Hand, daß die orthodoxe Soteriologie ihrem Wesen nach Christologie ist, und als solche behandelten sie die alten Väter auch, wie wir bereits sagten. Nach ihrer Lehre nun erreichte es der Gottmensch, in der von ihm angenommenen menschlichen Natur, als neuer geistlicher Adam und als Haupt der ganzen geretteten Menschheit, die als ein lebender Organismus anzusehen ist, „das abgeglittene Menschengeschlecht neu wiederherzustellen und in den alten Zustand wiederaufzunehmen" 3 ). Insofern „stellte er geheimnisvoll und unaussprechbar die ganze menschliche Natur in sich wieder her, „antiquam plasmationem in se recapitulans"4) und wurde gleichen Leibes mit ihr, da er ja „die ganze Natur in sich hatte, um sie durch die Umbildung ganz im alten Zustand wiederherzustellen"5). Er hat uns alle ja „in seinem eigenen Fleisch getragen, denn in ihm waren wir alle" 6 ); „denn als Ganzen nahm der Ganze mich an und vereinte sich als Ganzer mit dem Ganzen, auf daß er dem Ganzen Rettung bringe; denn das, was nicht angenommen ist, ist unheilbar"7). So wurde also in Christo Jesu alle menschliche Natur mitauferweckt, mitemporgehoben und nahm mit den Platz zur Rechten des Vaters ein, wie auch von Eph. 2, 6 bestätigt wird: „samt ihm hat er uns auferweckt und samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt in Christo Jesu", da ja „unsere ganze Natur in der Hypostase Christi" enthalten war 8 ). Dies belegten die griechischen Väter durch die mystische Einheit der menschlichen Natur. Sie nahmen an, daß „die Natur eine ist, und diese mit sich selbst vereinigt eine unzerschneidbare Einheit bildet, die sich durch keinen Zusatz verEbenda, col. 305. ) Ebenda, col. 293. 3 ) Cyrill v. Alexandrien, in Joan. 9. Migne P. G. 74, col. 273. 4 ) Irenaeus, adv. haer. III, 18, 7. Migne P. G. 7, col. 938. ') Cyrill v. Alexandrien, in Joan. 5, 2. Migne P. G. 73, col. 753. *) Cyrill v. Alexandrien, in Joan. 16, 6-7. Migne P. G. 74, col. 432. 7 ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. III, 6. Migne P. G. 94, col. 1005, vgl. Gregor v. Nazianz, epist. 101 ad Cledon. Migne P. G. 37, col. 181/4. 8 ) Johannes v. Damaskus, a.a.O., col. 1008. 2
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
mehrt, und auch durch keine Weglassung sich verringert, denn was eins ist, das ist sie, wenn sie auch in der Mehrheit in Erscheinung tritt, sie bleibt ungespalten, beständig und vollständig, ungetrennt für diejenigen, die jeweils als einzelne an ihr teilhaben . . . Einer ist der Mensch, wenn es besonders gesagt werden muß, und wenn er sich auch in der Natur als Vielheit zeigt. . . Wie es ja viele Goldmünzen gibt, aber nur ein Gold, so zeigen sich auch in der Natur viele Menschen als jeweils einzelne, wie zum Beispiel Petrus, Jakobus und Johannes, und doch ist in ihnen nur ein Mensch" 1 ). In ähnlicher Weise drückt es Gregor von Nazianz aus, wenn er sagt: der Herr wurde Mensch, „auf daß er durch sich den Menschen heilige, indem er gleichsam Sauerteig für die ganze Masse wurde und das verurteilte Ganze von der Verdammung erlöste und mit sich vereinte" 2 ). „Der Sohn Gottes aber wurde Mensch, damit er dem Menschen wieder das verleihe, wofür er ihn geschaffen hat, . . . denn nachdem er uns an seinem eigenen Bild und seinem eigenen Geist teilgegeben hatte, wir dieselben aber nicht bewahrt hatten, nimmt er selbst an unserer armen und schwachen Natur Anteil, damit er uns rein und unsterblich mache und wieder als Teilhaber seiner Gottheit einsetze."3) Demnach ist in der menschlichen Natur Jesu Christi die ganze Menschheit als ein einheitlicher Organismus enthalten, wiederhergestellt, erlöst und wieder mit der Gottheit vereint; Ergebnis davon aber ist die Verherrlichung und Vergottung der erretteten Menschen, die „der göttlichen Natur teilhaftig sind" 4 ). Es versteht sich von selbst, daß diese Vergottung nur in ethischem und nicht in realem oder auf Pantheismus hintendiereadem Sinne gedacht werden muß, da ja die menschliche Natur gewissermaßen aus Gnade vergottet wird, indem sie von der göttlichen durchdrungen wird - so ungefähr wie Eisen vom Feuer durchdrungen wird - , jedoch ohne daß die menschliche Natur verdrängt und in die göttliche umgekehrt wird. Der Damascener charakterisiert den Menschen „als durch den göttlichen Glanz vergottet, aber nicht als in das göttliche Wesen umgesetzt" 5 ). Die Menschheit wurde also kraft ihrer Gemeinschaft und Vereinigung mit der Gottheit vergottet, denn „der Logos Gottes, Mensch geworden, vergottete sie, nicht der Natur, sondern der Qualität nach, ihr ununterbrochen den Charakter seines eigenen Geistes aufprägend, so wie er Wasser wirkungsvoll in die Qualität des Weines umsetzt. . . denn deshalb wird er auch in Wahrheit Mensch, daß er uns Gregor v. Nyssa, Quod non sint tres Dii. Migne P. G . 45, col. 120, 132. ) Gregor v. Nazianz, Or. 30, 2 1 . Migne P. G. 36, col. 1 3 2 .
2 3
) Johannes v. Damaskus, a. a. O. IV, 4. 13, col. 1108, 1 1 3 7 .
4
) II. Petr. 1, 4.
6
) A . a. O. II, 12. Migne P. G. 94, col. 921
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche aus Gnade zu Göttern einsetze . . , " 1 ) Ahnlich lehrte auch Athanasius d. Gr.: „der Logos ward Fleisch, damit er den Menschen fähig mache, die Gottheit zu empfangen,... denn er ist Mensch geworden, damit wir vergottet w e r d e n , . . . denn er wurde Mensch, damit er uns in sich vergotte... W i r werden also zu einem heiligen und der göttlichen Natur teilhaftigen Geschlecht. . . Denn wie der Herr den Leib anzog und Mensch wurde, so werden wir Menschen von dem Logos vergottet, weil wir durch sein Fleisch angenommen sind, und erben also ewiges Leben" 2 ). Ahnlich lehren auch Gregor von Nazianz 3 ), Johannes von Damaskus 4 ) und andere 5 ). Auf Grund der mystischen Einheit der gesamten menschlichen Maximus Confessor, Ad Thalassium quaest. 40 und 54. Migne P. G. 90, col. 400/1 und 520. 2 ) Athanasius d. Gr., Or. de Incarnatione Verbi 54. Migne P. G. 25, col. 192. Contr. Arianos I, 38. 39, II, 47. 70, III, 34. Migne P. G. 26, col. 92/3, 248, 296, 397. Ad Adelphium 4, ebenda, col. 1077. Wie bekannt, kommt Athanasius d. Gr. in seinen verschiedenen Schriften des öfteren auf den von ihm geschätzten Gedanken der Vergottung zurück, wobei wir uns hier nur darauf beschränken, die Stellen bei Migne anzugeben: P. G. 25, col. 192, 448 und P. G. 26, col. 92, 93, 100, 105, 273, 277, 296, 361, 364, 393, 436, 588, 613, 784, 1077, 1088 u. a. Wir sagen ganz allgemein mit P. Dimitropoulos: „Unsere Vergottung in Christus geschieht durch die Teilnahme an der Gottheit des Logos" (P. G. 26, 1060), oder, durch Teilhabe am heiligen Geist werden wir mit der Gottheit vereinigt (373), oder auch anders, „durch Teilnahme am Logos durch den Geist haben wir diese Gnade vom Vater" (29) und „durch die Gemeinschaft mit dem Geist werden wir Teilhaber der göttlichen Natur" (588, 1077). Demzufolge, „wenn wir auch für Götter gehalten werden, so nicht von Natur, sondern durch die Teilhabe an dem Sohn" (613). Vgl. Die Anthropologie des Athanasius d. Gr. (griech.), Athen 1954, S. 121/2. Vgl. K. Bornhäuser, Die Vergottungslehre des Athanasius und Johannes Damascenus, Gütersloh 1903. L. Baur, Untersuchungen über die Vergöttlichungslehre in der Theologie der griechischen Väter, in Theol. Quartalschr. 98 (1916), S. ioiff. M. Lot-Borodine, La doctrine de la déification dans l'Eglise greque jusqu'au XI siècle, in der Revue de l'histoire des religions 1932/3. Jw/. Gross, La divinisation du chrétien d'après les Pères grecs, Paris 1938. M. G. Congar, La déification dans la tradition spirituelle de l'Orient, in Vie spirituelle 43, S. 91 ff. 3 ) Gregor v. Nazianz, epist. 101 ad Cledonium. Migne P. G. 37, col. 180. 4 ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. II, 12 und III, 18. 20. Migne P. G. 94, col. 921 und 1072. 6 ) Vgl. C. Kern, „Homotheos" et ses synonymes dans la littérature Byzantine, in: 1054-1954: L'Eglise et les Eglises. Editions de Chevetogne, tom. II, S. 15fr. Trotz allem glauben wir jedoch, daß dieses soteriologische Element der Vergottung nicht einseitig überbetont werden darf, wie es heterodoxe Theologen tun, z. B. auch F. Heiler a. a. O., S. 201/2, der schreibt, daß zumal bei den
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Natur ergibt sich nun einerseits in dem zweiten Adam der mystische Leib, dessen Glieder alle diejenigen sind, die sich als Gläubige das Heil subjektiv aneignen, andererseits aber geht die Vergottung der menschlichen Natur Christi „dynamisch" auf den ganzen Leib und auf alle seine Glieder über, wodurch also der ganze mystische Leib Christi mitvergottet wird. Auf Grund davon wurde die vom fleischgewordenen GottLogos angenommene menschliche Natur vergottet, sie nimmt an dem göttlichen Leben teil. Nun also vergottet, wird sie den Gläubigen durch das Sakrament der göttlichen Eucharistie vermittelt, und so bewirkt sie durch die göttliche Gnade die relative Vergottung auch derer, die dieses Sakrament würdig genießen, ihre Teilhabe am göttlichen Leben, da jene eben durch die Teilnahme am Göttlichen vergottet werden 1 ). So heißt es nach Gregor von Nyssa zu Recht: „Allen, die durch die Ökonomie der Gnade gläubig geworden sind, streut er sich selbst ein durch das Fleisch, das für sie die Beschaffenheit von Wein und Brot hat, wenn er sich nun mit den Leibern der Gläubigen vermischt, damit durch die Vereinigung mit dem Unsterblichen auch der Mensch an der Unvergänglichkeit teilbekomme" 2 ), ethisch vergottet durch die Teilhabe am göttlichen Leib und Blut. Folglich ist die hypostatische Vereinigung der menschlichen Natur Christi mit der göttlichen und die Vergottung jener, die als lebenspendend eingesetzt ist für die, die daran teilnehmen, der Grund der Vereinigung und Vergottung des Menschen in der göttlichen Eucharistie. Aber andererseits nimmt Christus auch, nach Gal. 4, 19 allgemein in den Gläubigen Gestalt an, „er wird gebildet aber durch den Geist, der uns durch sich bei Gott vertritt" und den Würdigen „mit sich Anteil an der göttlichen Natur" 3 ) verleiht. „Also ist die Vergottung nicht eine Tat unserer Kraft. Wir haben ihre Kraft nicht von Natur, sondern allein durch die götthche K r a f t . . . aus Gnade sind wir vergottet worden." 4 ) So wurde die gesamte, durch die göttliche Inkarnation angenommene, Orientalen „die Vergottung das eigentliche Ziel der Menschwerdung und des Opfertodes Christi ist". Die griechischen Väter übersahen in keiner Weise die anderen gleichfalls wichtigen Phasen der Erlösungstätigkeit des Retters. Vgl. Cyrill v. Alexandrien, in Joan. 10, 2. Migne P. G. 74, col. 341 und nach C. Kern, a. a. O., S. 26: „si la divinisation n'est pas une identification avec Dieu, elle n'est pas non plus, une hyperbole rhétorique du langage des Pères ; c'est la participation à la vie divine, d'après laquelle dans la communion eucharistique, nous acquérons Dieu et devenons la même chair que Lui; en communiant, nous entrons dans les deux, car le pain eucharistique y demeure". 2 ) Gregor v. Nyssa, or. catech. 37. Migne P. G. 45, col. 97. 3 ) Cyrill v. Alexandrien, De Trinitate 7. Migne P. G. 75, col. 1089. 4 ) Maximus Con/essor, A d Marinos. Migne P. G. 91, col. 33.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen
katholischen
Kirche
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verdorbene und veraltete menschliche Natur neu geschaffen, wieder erneuert, gereinigt, unsterblich gemacht, erlöst und vergottet, das durch die Sünde „des Erstlings unseres Geschlechtes"1) verdunkelte göttliche Bild wurde in seinem anfänglichen Glanz wiederhergestellt. Irenaus lehrt, daß der Gott-Logos Fleisch wurde „in compendio nobis salutem praestans, ut quod perdideramus in Adam, id est secundum imaginem et similitudinem esse Dei, hoc in Christo Jesu reciperemus" 2 ), weswegen der Logos „factus est quod sumus nos, ut nos perficeret esse quod est ipse . . . ut et homo ficeret particips Dei" 3 ). Aus dem Gesagten folgt, daß besonders die Alexandriner, aber auch die anderen östlichen Väter, sich nicht nur auf die negative Aufhebung der Sünde und ihrer Schuldhaftigkeit und auf die Versöhnung des Geschöpfes mit dem Schöpfer beschränken, wie es im Westen geschah, sondern darüber hinaus besonders den positiven Aspekt des Heils betonen, welchen sie als die Rekapitulation der menschlichen Natur verstehen, gleichsam durch ihre Neuschöpfung, Unsterblichmachung und Vergottung, ja, sie sehen sie schlechthin als die Rekapitulation und Wiederherstellung der Menschheit in dem mystischen Leibe Christi an. In dem zweiten Adam, dem „neuen Menschen", erhielt die menschliche Natur zurück, was sie im ersten verloren hatte, nämlich das „nach dem Bilde" und „nach Ähnlichkeit" 4 ). Den gottmenschlichen Erlöser endlich betrachten sie als das gottmenschliche Haupt des einen lebendigen Organismus der gesamten Menschheit, von welchem das göttliche Leben auf alle Christen, als seine Glieder, ausgeschüttet wird. Dieselbigen bleiben und leben, den Reben gleich, in Christus als dem wahren Weinstock, dessen Weingärtner - nach dem bekannten johanneischen Gleichnis5) - Gott der Vater ist. Zweitens: Kraft des prophetischen Amtes offenbarte und lehrte der Herr als der höchste, absolute, einzige und ewige Lehrer und Wegweiser der Menschheit6) durch Wort und Tat die höchste religiöse und ethische Wahrheit. Diese übte auf den gefallenen Menschen einen in Wahrheit erlösenden Einfluß aus; „denn es war notwendig, daß er erzogen und den Weg der Tugend gelehrt werde, der ihn dem Verderben entzog und
*) Johannes Chrysostomus,
in Gen. hom. 9, 2. Migne P. G. 53, col. 77.
2
) Irenaeus, adv. haer. III, 18, 1. Migne P. G. 7, col. 932.
3
) Ebenda, V , praef. IV, 28, 1. Migne P. G. 7, col. 1120, 1062.
4
) Cyrill f . Alexandrien,
in Joan. 16, 6 - 7 . Migne P. G. 74, col. 432.
5
) Joh. 15, i f f .
9
) Matth. 2 3 , 8. 1 0 ; 16, 1 4 ; 2 1 , 1 1 ; Mark. 1, 2 1 / 2 2 ; Joh. 3, 2 ; 6, 1 4 ; 7, 40; 13,
1 3 ; vgl. Deut. 18, 18.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
zum ewigen Leben geleitete''. Die Notwendigkeit dessen wird verständlich, wenn man einerseits in Betracht zieht, daß durch die Sünde der Verstand des Menschen verdunkelt und geschwächt wurde, und er darum religiöser und ethischer Unwissenheit, Irrtum und Sünde verfiel; und andererseits, wenn man bedenkt, daß der zum Heil des Menschen unerläßliche Glaube „aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes" 2 ) kommt, das heißt durch das Lehren. Daher mußte der Mensch, um gerettet zu werden, zu allem anderen auch vom Irrtum befreit und von der Verfinsterung der Sünde erlöst werden, was durch die wahre Gotteserkenntnis, durch die religiöse und ethische Belehrung und Gesetzgebung des Erlösers geschieht, also eben durch die Lehre der „Wahrheit", die ihm allein Befreiung bringen, das heißt, ihn erlösen und retten konnte. So lehrte der Herr selber3), welcher in absolutem Sinne „die Wahrheit" selbst war 4 ), die einzige Quelle aller Weisheit und wahrer Lehre, das „Licht der Welt" 5 ). Nach Athanasius d. Gr. lehrte der Herr, damit er „alle vom Gottesirrtum und vom Verderben befreie und selbst aller Herr und König werde" 6 ), nach Chrysostomus, „damit er uns rette, uns vom Irrtum befreie und in den Genuß des Königreiches bringe" 7 ). Genau dies tat der Herr, als der göttliche Lehrer kat'exochen durch sein prophetisches Amt. Durch die Lehre der Wahrheit befreite und erlöste er die Menschheit vom Irrtum; denn die Wahrheit, die der Herr verkündete, erweckt das Gewissen des der Sünde dienenden Menschen, sie macht ihm die Notwendigkeit seiner Erlösung bewußt und befreit ihn vom Irrtum und von der Knechtschaft der Sünde. Durch seine Lehre erleuchtete der Erretter den Verstand der Menschen durch das Licht der göttlichen Wahrheit und hauchte der Menschheit derf neuen Geist der wahren Erkenntnis und Wahrheit ein, indem er selbst zum besten und
Johannes v. Damaskus, a. a. O., III, i. Migne P. G. 94, col. 981. 2
) Rom. 10, 17.
3
) Joh. 8, 32.
4
) Joh. 14, 6.
6
) Joh. 8, 12.
6
) Athanasius d. Gr., contr. Arianos II, 14. Migne P. G. 26, col. 1 8 1 .
7
) Johannes Chrysostomus, in Gen., hom. 3, 4, P. G. 53, col. 36. Aber Clemens v.
Rom hatte bereits gelehrt, daß Gott durch den Herrn „uns berufen hat von der Finsternis zum Licht, von der Unkenntnis zur Erkenntnis der Herrlichkeit seines Namens . . . aufschließend die Augen unseres Herzens, daß wir erkennen den einzigen Höchsten in der Höhe" (I. Kor. 59, 2 - 3 ) . W i e bekannt, wurde dieser Gesichtspunkt von den großen alexandrinischen Theologen Clemens und Origenes besonders betont, deren Übertreibungen jedoch von der späteren patristischen Theologie aus gutem Grunde gemieden wurden.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
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unübertrefflichen Vorbild der Tugend, der Heiligkeit und des Gehorsams gegen den göttlichen Willen, zum Beispiel und zum Muster der Nachahmung wurde. Darum sagte er von sich selbst: „Ich bin der W e g und die Wahrheit und das Leben; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben" 1 ), und seine Hörer nannten ihn im allgemeinen „Lehrer" 2 ). So sagt Basilius d. Gr.: „Jedes Wort und jede Handlung unseres Erretters Jesus Christus ist ein Kanon der Frömmigkeit und der Tugend" 3 ), „aber das neue und verjüngte Lied der Lehre des Herrn erneuert unsere Jugend gleich der eines Adlers, wenn auch der äußere Mensch verdirbt, so werden wir trotzdem Tag für Tag erneuert." 4 ) Während also die Ursünde den gefallenen Menschen seine Bestimmung, das heißt seine ethische Vollkommenheit und Vergottung nicht erreichen ließ, führte und brachte der Erretter ihn durch seine dogmatische und ethische Lehre und durch sein Beispiel gebendes Leben wieder zu seiner alten Bestimmung zurück, brachte ihn wieder auf den W e g der ethischen Vervollkommnung, der Vergottung und des Heils, den er verlassen hatte und von dem er abgeirrt war, und erhob ihn wieder zur Gottesähnlichkeit, das „nach dem Bilde" erneuernd 5 ). Drittens: Die Rettung des Menschengeschlechtes bewirkte der Erretter im wesentlichen durch sein Opfer am Kreuz, welches das wahre Versöhnungsopfer war, dargebracht auf Grund seiner unsagbaren Liebe zum himmlischen Vater für den sündigen Menschen, durch welches er ihn mittels seines eigenen Blutes mit Gott-Vater versöhnte und beide eins machte 6 ). Zweifellos sind der Tod und die Auferstehung der Höhepunkt und die Vollendung seines Erlösungswerkes, das ja, wie wir sahen, mit der göttlichen Inkarnation begann; denn Auferstehung und T o d sind untrennbar mit der Inkarnation verbunden. Diese Überzeugung der Orthodoxen macht unter anderem die exponierte Stellung deutlich, die das Kreuz und das ständige Kreuzschlagen in ihrem liturgischen und privaten Leben in Verbindung mit der Auferstehung und mit der tiefen Lebensart des orthodoxen Pleroma innehat. Die gegenteilige Auffassung einiger heterodoxer Theologen 7 ), daß die Bedeutung des Kreuzestodes
2
Joh. 14, 6 ; 8, 1 2 . ) Matth. 8, 19; 12, 38; 19, 16; 22, 16; 24, 36; 23, 8; 26, 18. Mark. 4, 38; 5, 35;
9, 1 7 . 1 8 ; 10, 3 5 ; 1 2 , 1 9 . 3 2 ; 13, 1 ; 14, 14. L u k . 3, 12; 7, 4 1 ; 9, 3 8 ; 1 0 , 2 5 ; n . 4 5 !
Joh. 1, 3 9 ; 3, 2 ; 8, 4 ; 11, 2 8 ; 1 3 , 1 3 ; 20, 1 6 . ) Basilius d. Gr., Regula ascetica 1, 1. Migne P. G. 31, col. 1325. 4 ) Basilius d. Gr., hom. in psalm. 32, 2. Migne P. G. 29, col. 328. 5 ) Vgl. auch Joh. v. Damaskus a. a. O. IV, 4. Migne P. G. 94, col. 1108. 6 ) Rom. 5, 10. Eph. 2, I 4 f . 7 ) K. Algermissen (Konfessionskunde, Hannover 1939, S. 521) sagt: „Mag auch 1 2 , 1 3 ; 19, 3 9 ; 20, 3 9 ; 2 1 , 7.
3
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
bei den Orthodoxen nicht so hoch gewertet werde, muß daher als unbegründet und aus Unwissenheit hervorgegangen abgewiesen werden. In der Tat, dem orthodoxen Glauben nach ist der Erretter der wahre und einzige Hohepriester des Neuen Testamentes. Er brachte als der eine und alleinige Mittler zwischen Gott und Mensch, der zugleich Opfernder und Opfer geworden ist, sich selbst ein für allemal als wahres Versöhnungsopfer dar. Er hat „sich selbst Gott dargegeben als Gabe und Opfer für uns" 1 ), als der Unschuldige und Sündlose, als das „unschuldige und unbefleckte L a m m Gottes, welches der W e l t Sünde trägt" 2 ) und dessen Blut „uns von aller Sünde reinigt" 3 ). So wusch der Retter alle Sünden von uns ab und versöhnte uns mit Gott, stiftete Frieden und vereinte das Zerrissene durch die endliche und unablässig wirkende Erlösungskraft, die seinem blutigen Opfer innewohnt, indem er selbst „die Versöhnung wurde für unsere Sünden . . . und die der ganzen W e l t " 4 ) . Mit anderen W o r t e n , „uns, die wir tot waren infolge unserer Übertretungen, hat er mit sich lebendig gemacht, nachdem er uns alle Übertretungen vergeben hatte, und ausgetilgt die Handschrift, so wider uns war, die durch Satzungen entstand und uns entgegen war, und er hat sie aus dem Mittel getan und ans Kreuz geheftet", so stellte er uns dar „heilig, unsträflich und ohne Tadel vor ihm selbst" 5 ). So ist nach dem Apostel Paulus 6 ) die Hauptquelle der Sündenvergebung und Errettimg der Menschen der sozusagen stellvertretende Kreuzestod des Erretters, von welchem die Vergebung der Sünden k o m m t , die göttliche Gnade und die Versöhnung der M e n schen mit Gott 7 ), denn „Gott war in Christo und versöhnte die W e l t mit ihm selber und rechnete ihnen die Sünden nicht zu" 8 ). Dies gelang, weil hier wiederum eine durch die Art des griechischen Denkens bewirkte Akzentverschiebung vorliegen, so wird dadurch die Bedeutung des Opfertodes Christi in der Orthodoxen Kirche nicht beeinträchtigt." Eph. 5, 2. ! ) Joh. i, 29. I. Petr. i, 19. 3) I. Joh. 1, 7f. Hebr. 9, 11 f. Vgl. Basilius d. Gr., hom. in psalm. 28, 5 und 48, 4. Migne P. G. 29, col. 296. 440/1. in Is. I, 24. Migne P. G. 30, col. 165. 4) I. Joh. 2, 2; 4, 10. 6) Kol. 1, 22; 2, 13/4. •) Wir übergehen andere damit zusammenhängende Stellen aus den anderen Büchern des Neuen Testamentes, wie: Matth. 16, 21; 20, 28. Mark. 8, 31; 9, 12. Luk. 22, 15. Joh. 10, 10-18. I. Joh. 1, 7. Off. 12, Ii. Act. 8, 32Í. I. Petr. 1, 19; 2, 24 etc. 7) „In dem ersten Adam haben wir (gegen Gott) gefehlt, sein Gebot nicht befolgend, in dem zweiten Adam wurden wir jedoch wieder versöhnt, gehorsam geworden bis zum T o d " (Irenaeus, adv. haer. Migne P. G. 7, col. 1168). «) II. Kor. 5, 19.
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katholischen
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Gott die Sünden der Menschen gleichsam auf den gerechten und sündlosen Jesus übertrug, dessen Gerechtigkeit aber auf die sündigen Menschen; „denn er hat den, der vonkeiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt" 1 ), da „er unsere Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz" 2 ) und sie abwusch und vergab „in seinem Blut" 3 ), „auf daß wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben" 4 ). Aus dem Gesagten geht klar hervor, daß der Kreuzestod Christi das von ihm aus unendlicher Liebe zu Gott stellvertretend „für alle" Menschen5) dargebrachte Versöhnungsopfer ist, aus dem das Heil aller entsprungen ist; denn durch das höchste und einzige Opfer von Golgatha „kaufte uns los", bzw. „erlöste" uns') der Erretter, der sein Leben, bzw. sein Blut, als „Lösegeld" 7 ) darbrachte, wobei er selbst als „Gerechter für die Ungerechten"8) starb. Frucht seines Opfers aber ist die „Erlösung" 9 ), welche von den Menschen Sünde und Schuld hinwegnimmt, deren Folge hinwiederum ist die „Versöhnung", die „Wiederversöhnung", der Friedensschluß derselben mit Gott und ihre Kindesannahme10). Das aus unaussprechlicher Liebe kommende Erlösungsopfer des Erlösers wurde „ein für allemal" dargebracht, da es einersseits ein absolut vollkommenes Opfer ist 11 ), welches dauernde Gütligkeit hat 12 ), und andererseits unbegrenzte und allgemeine versöhnende Kraft besitzt, die sich auf alle Menschen, alle Zeiten und alle Orte erstreckt13). Durch das eine vollkommene Opfer von Golgatha, welches die unvollkommenen und unfrucht*) II. Kor. 5, 2 1 ; vgl. Origenes,
in Joan. 28, 14. Migne P. G. 14, col. 7 2 0 / 7 2 1 ;
vgl. col. 946, 950 und Migne P. G. 12, col. 756/757. 2 ) I. Petr. 2, 24. 3
) Rom. 3, 25.
4
) I. Petr. 2 , 2 4 ; Basilius d. Gr., Epist. 261, 3. Migne P. G. 32, col. 972: „Die Sünde wurde durch die Gerechtigkeit in Christus Jesus vernichtet." Chrysostomus, in Rom., hom. 10, 1. M . P. G. 60, col. 4 7 5 : „Christus ist denen, die aus ihm sind, zum Vermittler der Gerechtigkeit geworden, die er durch das Kreuz uns allen verlieh." Vgl. ebenda hom. 1, 65. Migne P. G. 60, col. 555. 6
) I. Kor. 5, 15. I. Tim. 2, 6.
•) Gal. 3, 1 3 ; 4, 5. Tit. 2, 14. I. Petr. 1, 18. ') Matth. 20, 28. Mark. 10, 45. I. Tim. 2, 6. Rom. 3, 2 5 ; 5, 9. Eph. I, 7. Hebr. 9, 12. I. Petr. 1, 19. 8
) I. Petr. 3, 18.
9
) I. Joh. 2, 2 ; 4, 10. Hebr. 2, 17. Rom. 3, 25.
10
) Rom. 5, 1 0 - 1 1 . II. Kor. 5, 19. Kol. 1, 20. Eph. 2, 14/7.
u
) Hebr. 7, 27/28; 10, 10. 12 ) Hebr. 10, 12. 14. 13
) I. Joh. 2, 2. Kol. 1, 20. II. Kor. 5, 15. I. Tim. 2, 6.
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baren Opfer des Alten Bundes aufgehoben hat, wurde die Gemeinschaft der Gnade zwischen Schöpfer und Geschöpf wiederhergestellt. V o n nun an gilt: „das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden" 1 ). „Gott durch die Sünde entfremdet, sind wir nun wieder zu vertrautem Verhältnis mit ihm berufen, die wir durch das Blut des eingeborenen Sohnes von der ehrlosen Knechtschaft befreit sind" 2 ); und „ w i e wir durch ihn geworden sind, so geschah auch in ihm die Erlösung aller von den Sünden." Der durch die Sünde überkommene Fluch wurde „wegen des bei uns für uns geschehenen Fluches" 3 ) aufgehoben. Wahrhaftig, der Erlöser erduldete freiwillig den Versöhnungstod, „ u m an unserer statt unsern Gehorsam zu erfüllen", er „nahm die Strafe auf sich, und, mit seinem Leibe für alle leidend, verlieh er allen das Heil" und „Gnade und Wahrheit" - nach Joh. i , 17 4 ). Hierzu ist noch zu bemerken, daß ja vor allem der Hebräerbrief den Opfercharakter des Kreuzestodes zum Ausdruck bringt und darüber hinaus von dem Erlöser aussagt, daß er „immerdar im Himmel für uns bittet" 5 ), und durch dieses sein Eintreten den Gerechtfertigten die heilbringenden Früchte des Opfers von Golgatha zueignet, welches seine Kirche andererseits auch auf Erden als „einen vernünftigen und unblutigen Kult" 6 ) ununterbrochen darbringt7). *) II. Kor. j , 1 7 ; vgl. Basilius d. Gr., de Spiritu Sancto 31-32. Migne P. G. 32, col. 124/125. In Is. 1, 26. Migne P. G. 30, col. 169. 2 ) Basilius d. Gr,, Or. de eucharistia. Migne P. G. 31, col. 224. 3 ) Athanasius d. Gr., contr. Arianos I, 49. III, 33. Migne P. G. 26, col. 1 1 3 , 396 und Eusebius v. Caesarea, demonstr. evang. 10, 1. Migne P. G. 22, col. 724. 4 ) Athanasius d. Gr., contr. Arianos I, 60. Migne P. G. 26, col. 137/140 fragm. diff., col. 1241. An dieser Stelle ist zu beachten, daß von der Soteriologie der griech. Väter und Theologen, wie auch von ihrer Lehre über Glauben und gute Werke her die bekannte Behauptung einiger heterodoxer Theologen als unbegründet zu tadeln ist, nach der „the idea of Christ's death bringing the forgiveness of sin has no stress among the Greeks. They failed to appropriate the Pauline idea of justification. Thus they overlooked the causal connection between the regeneration of the heart and the good works that are to follow". (J. Neve, A history of Christian Thought, Phüadelphia, Bd. I. 1946, S. 166.) Dagegen bestätigen wir, daß die Soteriologie der östlichen Theologie im gesamten ganzheitlich ist und in jedem Falle vollständiger als die den Kreuzestod und die Rechtfertigung einseitig heraushebende Theologie der westlichen Kirchen. 6 ) Hebr. 7, 25; vgl. 9, 24. Rom. 8, 34. I. Joh. 2, 1. 8 ) Liturgie des Chrysostomus, bei Joh. Karmiris, a. a. O. I., S. 260. 7 ) Vgl. auch Athanasius d. Gr., contr. Arianos, II, 7. Migne P. G. 26, col. 1 6 1 . De incarn. epiph. Verbi Dei 22. Migne P. G. 26, col. 1024.
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Schließlich muß noch hinzugefügt werden, daß das gesamte Heilswerk des Erlösers am Kreuz für die Welt ein Geheimnis ist, das den Glauben des Menschen an das „Wort von der Versöhnung" 1 ) und vom Heil verlangt. So heißt es denn - im Gegensatz zu der einseitigen Interpretation des Kreuzestodes des Erretters, die die westliche Theologie vorträgt, - in der östlichen Theologie: „Nicht einen Grund, sondern viele könnte man finden, wenn man sie suchen wollte. Erstens nämlich, so lehrt der Logos, daß er über Tote und Lebendige herrsche; zweitens aber, daß er unsere Sünden abwische, für uns verwundet und zum Fluch geworden; drittens, daß er als das Schlachtopfer Gottes, als das große Opfer für die ganze Welt dem Gott des Alls dargebracht werde; viertens, daß er selbst die Zerstörung der auf unsagbare Weise umherirrenden und dämonischen Energie vollende; ferner fünftens, daß er den ihm Bekannten und den Jüngern die Hoffnung auf das Leben bei Gott nach dem Tode darstelle, nicht in Worten, in Reden und mit der Stimme, sondern in den Werken selbst, indem er ihnen die mit Worten gegebene Verheißung vor Augen führt, und sie dadurch zuversichtlich mache und bereiter, allen Griechen und Barbaren zusammen den mit ihm begonnenen frommen Lebenswandel zu verkündigen" 2 ). Viertens: Das Erlösungswerk vervollständigte und vollendete der Erretter durch die Wirkungsweisen seines königlichen Amtes, durch den Abstieg in die Hölle, durch die Auferstehung von den Toten, durch die Himmelfahrt, durch das Sitzen zur Rechten des Vaters und durch die Errichtung seiner Kirche zur Verewigung und Aneignung des Heils von Seiten der Menschen unter Mitwirkung des zu Pfingsten gesandten und in der Kirche gegenwärtig bleibenden heiligen Geistes. Als ihr Haupt und einziger Regent und Begründer fährt der Herr fort, sie unsichtbar zu regieren, in dem er die Welt jetzt und erst recht im Jüngsten Gericht als König und Herr regiert und richtet, da er „alle Macht im Himmel und auf Erden" 3 ) hat und „das Haupt aller Fürstentümer und Obrigkeiten" 4 ) ist; denn „darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters" 5 ). Da wir an anderem Ort über den Abstieg Christi II. Kor. 5, 19. 2
) Eusebius v. Caesarea, Demonstr. evang. 4, 12. Migne P. G. 22, col. 284.
3
) Matth. 28, 18.
4
) Kol. 2, 10.
6
) Phil. 2, 9 - 1 1 .
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
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in die Hölle1) besonders handeln und weiter unten über die Kirche und die eschatologischen Wirkungsweisen des Herrn als König zu handeln beabsichtigen, begrenzen wir uns hier auf einen kurzen Zusatz über die unzerreißbare und organische Verbindung, die zwischen dem Kreuzestod und der Auferstehung des Herrn besteht. Zweifellos wird diese immer und überall von den Orthodoxen als Gipfelpunkt und Vollendung alles des Guten, das die Erlösung durch die Inkarnation, die Lehre und das Kreuzesopfer des Erlösers bringt, und als Krönung und Besiegelung seiner ganzen Heilstätigkeit auf Erden in besonderer Weise betont und gelebt. Demnach betrachten die Orthodoxen die Auferstehung als die Hauptgarantie des Heils, als den festen Sieg und die Zerstörung der Macht der Sünde, des Verderbens und des Todes 2 ), aber auch als das Unterpfand und den Beginn der Auferstehung und Unsterblichkeit aller Menschen und schlechthin als den Anfang des ewigen Lebens und der Seligkeit. Da aber nun nach dem Apostel Paulus „Christus von den Toten auferstanden, und der Erstling geworden ist unter denen, die da schlafen", so „werden in Christus alle lebendig gemacht" 3 ). So ist also die Auferstehung Grund und Grundlage des gesamten Christentums 4 ), denn durch sie wurden Sünde, Tod und Hölle überwunden und für die Menschen der Weg zum ewigen Leben wieder eröffnet. So brachte der Erretter durch seine Auferstehung die zuvor Entschlafenen wieder zum Leben und verlieh allen Menschen wieder die Unsterblichkeit und Unverderblichkeit des ersten Menschen, indem der Tod besiegt und die Vergänglichkeit der menschlichen Natur „auf Grund der Auferstehungsgnade" aufgehoben wurde. Die „Unsterblichkeit erreichte alle . . . und wir alle sterben fernerhin nicht mehr in Adam, sondern werden alle in Christus lebendig gemacht" 5 ). Der Damascener drückt es folgendermaßen aus: der auferstandene „Herr schenkte durch seinen eigenen Leib auch dem unsrigen die Auferstehung und die ihr Siehe Joh. Karmiris, Der Abstieg des Herrn in den Hades (griech.), Athen 1939. ) Nach Basilius d. Gr., „wurde der T o d im Fleisch, der durch A d a m auf uns
2
übertragen worden war, von der Gottheit zertreten" (durch das Leiden und Auferstehen Christi), (Epist. 261, 3. Migne P. G. 32, col. 972); vgl. Cyrill Alexandrien, 3
) I. Kor. 15, 20f.
4
) I. Kor. 15, 14 f.
6
) Athanasius
v.
Or. II, D e recte Fide 3 1 . Migne P. G. 76, col. 1376.
d. Gr., Or. de Incarnatione Verbi 9. Migne P. G. 25, col. 1 1 2 ;
contra Arianos, Or. I, 59. Migne P. G. 26, col. 136, 192; vgl. auch Or. II, 6 1 . 69. 74, col. 277, 293, 305. V g l . Troparion, der Vesper des 8. Tones: „Durch sie (die Auferstehung) erneuertest du des Menschen verdorbene Natur und zeigtest uns den Aufstieg in die Himmel" (Paraklitiki, S. 146, venetianische Ausgabe 1752).
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folgende Unvergänglichkeit, indem er selbst für uns zum Erstling der Auferstehung, der Unvergänglichkeit und der Leidenslosigkeit geworden ist" 1 ). So wurde also in dem auferstandenen und verherrlichten Leib des Herrn die leibliche Natur des Menschen zugleich mitauferweckt, neu geschaffen, unvergänglich gemacht und verherrlicht, „da ja unsere ganze Natur in der Hypostase Christi" enthalten war 2 ), ebenso auch alle mit dem gefallenen Menschen seufzende und sich sehnende Kreatur, „denn auch die Kreatur wird frei werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes" 3 ). Es steht somit fest, daß mit dem auferstandenen „Erstgeborenen der Toten" 4 ) auch jedes Glied seines mystischen Leibes lebendig gemacht wurde und mitauferstand und verherrlicht wurde. In die Auferstehung ist auch die ganze Menschheit dynamisch miteinbegriffen, indem die allgemeine Auferstehung von den Toten, die Wiedergeburt und Umwandlung der ganzen Welt voranschreitet. So sagt Gregor von Nyssa: „Durch die Auferstehung brachte er in sich alles Vorhandene zum Mitauferstehen, da er ja denen, die in Finsternis und Todesschatten liegen, Leben, Auferstehung, Aufgang und Tag geworden ist5); und um es mit den Osterhymnen der Orthodoxen Katholischen Kirche zu sagen: „vom Tode schritt Christus, unser Gott, zum Leben, von der Erde zum Himmel", „im Tode den Tod zertretend", „das Sterbliche im Leiden mit dem Schmuck der Unverderblichkeit" 6 ) bekleidend. Zusammenfassend sagen wir daher mit Epiphanius, der menschgewordene Erretter allein erlöste die Welt durch sein ganzes erlösendes Wirken, derweilen „keiner der von Adam abstammenden Menschen das Heil erwirken konnte", denn „der Herr, in das Fleisch gekommen, nahm an unser Fleisch, der GottLogos ist uns ähnlich geworden, auf daß er uns in seiner Gottheit Rettung bringe und in seiner Menschheit für uns Menschen leide, durch Leiden das Leiden aufhebend und durch den eigenen Tod den Tod tötend" 7 ). Bei ihm allein also ist Rettung zu finden, denn „in keinem an1
) Johannes v. Damaskus, a. a. O. III, 28. Migne P. G. 94, col. 1100. ) Ebenda, III, 6, col. 1008. 3 ) Rom. 8, 21/2. *) Kol. 1, 18. 5 ) Gregor v. Nyssa, in Christi Resurrectione, Or. I. Migne P. G. 46, col. 601. •) Pentekostarion, herausgeg. von Barthol. Kutlumusianos, Athen 1933, S. 1, 2, 4. Vgl. Athanasius d. Gr., De Incarnatione Verbi. Migne P. G. 25, col. 1 1 2 : Indem durch Tod und Auferstehung „der unvergängliche Gottessohn sich durch die Ähnlichkeit mit allen vereint, bekleidete er folglich auch alle durch die Verheißung der Auferstehung mit Unvergänglichkeit". 7 ) Epiphanius, Ancoratus 93. Migne P. G. 43, col. 185. a
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht
dern ist Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden" 1 ). Die von dem Erlöser objektiv und als geschichtliches Ereignis vollbrachte Erlösung muß zu einer subjektiven und persönlichen werden. Sie muß von jedem einzelnen Menschen, „der mit Furcht und Zittern schafft, daß er selig wird" 2 ), durch die lebenschaffende Heilstätigkeit des in ihm wohnenden heiligen Geistes angeeignet und ihm zu eigen werden. Folglich darf diese subjektive Aneignung der Erlösung nicht als eine gänzlich äußere, mechanische und magische verstanden werden, sondern sie ist im Gegenteil das Ergebnis zweier Faktoren: eines göttlichen und eines menschlichen, das heißt, einerseits der Gnade des heiligen Geistes und andererseits der freien „Mitwirkung" 3 ) des Menschen, wobei diese selbstverständlich immer unter der Leitung und Führung jener steht. So bewirkt der allgütige Gott durch seine Gnade die Berufung, die Erleuchtung, die Buße und Umkehr des Sünders, und danach seine Rechtfertigung, Wiedergeburt und Heiligung in der Kirche. Dies alles geschieht auf Grund und in Kraft des Erlösungswerkes des Retters umsonst. Andererseits jedoch wirkt der freie Mensch nach Annahme der ihm dargebotenen Gnade auf freier Basis am Werk seiner eigenen Errettung mit, nämlich durch rechten Glauben und gute Werke, wie es ausgedrückt ist durch das Wort „der Glaube, der durch die Liebe tätig ist"4). So wird jedes mechanische oder magische Moment im Verständnis der Rechtfertigung und des Heils vermieden, und ebenso die Extreme, in die einerseits Pelagius, andererseits Augustinus bezüglich der voneinander abhängigen Lehrsätze über die Erbsünde, ihre Folgen und vor allem über den Tod und die Erlösung verfielen. In Wirklichkeit schließen die beiden Faktoren einander nicht aus, sondern wirken vielmehr harmonisch und vereint zusammen im Werk der subjektiven Aneignung der Erlösung von Seiten jedes einzelnen Menschen. Zur Vervollständigung desselben sind beide Faktoren absolut notwendig. „Gottes ist das Geben, dein ist das Empfangen und Erhalten" 5 ). ^ Act. 4, 12. 2
) Phil. 2, 12.
3
) Über den Sinn dieses Wortes erklärte die orthodoxe Delegation auf der
Edinburgher Konferenz „Faith and Order", daß „darum die Theologie der Väter die aktive Teilnahme des menschlichen Willens bei dem fortschreitenden Heiligungsprozeß des Menschen zum Ausdruck bringt", oder meines Erachtens vielmehr bei der gesamten Rettung des Menschen. (Vgl. K. Hodgson, Das Glaubensgespräch der Kirchen, übersetzt von E. Stählin, Zürich 1940, S. 252.)
«) Gal. 5, 6. Cyrill
V.Jerusalem,
Catech. I, 4. Migne P. G. 33, col. 376.
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Kirche
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So ist also die vom heiligen Geist gewährte göttliche Gnade zur Rettung des Menschen absolut notwendig und unerläßlich, denn niemand kann ohne sie aus eigener Kraft gerettet werden. Daher „ist es uns" - nach dem Damascener - „unmöglich, ohne seine (Gottes) Mitwirkung und Hilfe das Gute zu wollen oder zu vollbringen" 1 ); und nach Basilius dem Großen heißt es: „In der Gnade Gottes ist das Heil" 2 ), „Alles Gute, das aus der göttlichen Macht zu uns kommt, ist, meinen wir, die alles in allem wirkende Energie der Gnade" 3 ). Die göttliche Gnade ist gleichsam die bewegende Kraft, die den Menschen zum Beginn des Werkes seiner eigenen Rettung anreizt, dieses dann beharrlich vorwärtstreibt und den Geretteten bis zum Ende begleitet. Die göttliche Gnade muß also unbedingt vorausgehen, nachfolgen und mitwirken. Sie beginnt das Heilswerk jedes Menschen, indem sie ihn zum Heil beruft, erweckt und erleuchtet und ihn diesem zuführt. Nach der Zustimmung und Annahme der Berufung durch den Menschen und nach seiner Rechtfertigung folgt sie ihm, indem sie ihn begleitet, ihn stärkt und ihm beisteht bei der Entfaltung des Heiligungsprozesses, beim Verharren in demselben und beim Verbleiben im Heil bis zum Lebensende4). Dabei ist jedoch des Menschen Teilnahme und Mitarbeit am Heilswerk, wie wir bereits sagten, keine passive, so als ob er die Wirkungsweisen der göttlichen Gnade mechanisch und auf magische Weise empfinge, sondern sie ist eine aktive, sie erfaßt sein ganzes Wesen. Die Energie der göttlichen Gnade will ja den freien Willen und die Energie des Menschen nicht erzwingen und brechen, sondern beide sollen in der Weise harmonisch zusammenarbeiten, daß weder die göttliche Gnade allein ohne den freien Willen und die Mitwirkung des Menschen das Heil vollende, noch viel weniger daß dies dem menschlichen Willen allein und ohne die göttliche Gnade möglich sei. So heißt es nach dem heiligen Chrysostomus: „Beider bedürfen wir: sowohl des bei uns, wie auch des bei Gott Möglichen, wenn wir ganz sicher gerettet werden wollen" 5 ). So ist es also wahr: „wenn wir uns auch tausendfach bemühen, so vermögen wir doch nichts zu erx
) Johannes v. Damaskus, a. a. O . II, 30. Migne P. G. 94, col. 972.
2
) Basilius d. Gr., hom. in Psalm. 33, 2. Migne P. G. 29, col. 3 5 3 .
3
) Basilius d. Gr., Epist. 38, 4. Migne P. G. 32, col. 329.
4
) Es ist zu bemerken, daß die griechischen Väter und besonders die byzantinischen Theologen des Hesychasmus die göttliche Gnade nicht als Geschöpf betrachten, sondern als eine ungeschaffene und lebenspendende Energie Gottes, welche durch das Versöhnungsopfer des Erretters die an ihn Glaubenden rechtfertigt und errettet (Joh. Karmiris, a. a. O. I, S. 299ff.). 6
) Johannes Chrysostomus,
hom. in Rom. 32, 2. Migne P. G . 60, col. 6 7 7 ; vgl.
auch Migne P. G. 58, col. 742/743.
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reichen, es sei denn, daß wir Zuneigung von oben genießen; denn gleichwie wir, wenn wir von dort keine Bundeshilfe empfangen, gar nichts zu erreichen vermögen von dem, was es nötig hat, so werden wir auch, wenn wir das Unsere nicht hinzubringen, der Gunst von oben nicht gewürdigt werden können" 1 ). Es laufen und handeln und wirken also in dem Werk der Heilsaneignung jedes einzelnen Menschen die göttliche Gnade und die menschliche Freiheit harmonisch zusammen. „Denn bis zu dem Grade und bis dahin ging das aus Menschenhebe in der Offenbarung für die Menschen sich vollziehende Hinuntersteigen dessen, der durch Gnade die, die aus freier Zustimmung mit ihm hinaufsteigen, vergottet" 2 ). Aber wenn auch die Errettung als vollkommenes Werk der göttlichen Gnade zu verstehen ist, so ist sie doch nicht anders möglich, als unter der Bedingung freier Annahme durch den menschlichen Willen, welchen die griechischen Väter als den unerläßlichen Mitarbeiter der göttlichen Gnade beim persönlichen Heilswerk eines jeden Menschen verstehen3). „Gott zieht niemanden durch Zwang und Gewalt an sich, sondern, wenngleich es sein Wille ist, daß alle gerettet werden, zwingt er doch niemanden, . . . der verstockt ist und nicht will, was ich ja oft schon gesagt habe, sondern Gott ist bereit, den Menschen, der aus freien Stücken gerettet werden will, zu retten" 4 ). Die menschliche Freiheit wird also durch die Zuneigung der göttlichen Gnade zu einem notwendigen Organ für das Erfassen des Heils in Christo. Ohne diese beiden erweist sich die subjektive Aneigung der Erlösung als unmöglich. Aus dem Gesagten wird leicht verständlich, weshalb die bekannten Extreme, in die einerseits Augustin und seine Anhänger und andererseits die Pelagianer verfielen, im Orthodoxen Osten im Altertum keinen Eingang fanden, und so auch nicht die in der Neuzeit besonders von Seiten der Protestanten und Calvinisten herrührenden Lehren über das „sola gratia", über die Willensfreiheit und über die absolute Prädestination. Mit Recht erhoben sich gegen die in der Confessio des Loukaris5) Johannes Chrysostomus,
in Gen., cap. 32, hom. 58, 5. Migne P. G. 54, col. 5 1 3 ;
vgl. auch Migne P. G. 53, col. 228. 2
) Maximus
Confessor, A d Georgium de Christi mysterio. Migne P. G. 91,
col. 57. 3
) Bei Clemens
u. Alexandrien
wird in „Eclogae" 22 bereits gelehrt: „ D a die
Seele durch sich selbst bewegt wird, fordert die Gnade Gottes von ihr die B e reitwilligkeit gleichsam als Beitrag zur Errettung . . . Darum überließ Gott der Seele die Wahl, auf daß er selbst das Nötige kund tue, sie aber, da er sie erwählt hat, empfange und besäße" (Migne P. G. 9, col. 708). 4
) Johannes Chrysostomus,
in „Säule Säule" 6. Migne P. G. 51, col. 144.
' ) Confessio Lucar. 14. Bei Joh. Karmiris, a. a. O . II, 567.
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enthaltene calvinistische Lehre von der Willensfreiheit die Orthodoxen Synoden von Konstantinopel im Jahre 1638 1 ), von KonstantinopelJassy 1642 2 ) und die von Jerusalem im Jahre 1672 3 ). Desgleichen wandten sich dagegen die Confessionen des Petrus Mogilas 4 ), des Dositheos von Jerusalem5) und zuvor bereits die des Metrophanes Kritopoulos6). Alle diese entfalteten die optimistische orthodoxe Lehre vom Menschen und seiner Willensfreiheit im Gegensatz zu der pessimistischen des Calvinismus und des Protestantismus im allgemeinen. Sie erkannten also die relative Freiheit der Menschen und ihr Zusammenwirken mit der göttlichen Gnade an, denn dem, der nicht aus freien Stücken will und „sich bemüht, würde auch die von oben kommende Gnade nicht beistehen; es müssen sich beide zur Vervollkommnung der Tugend miteinander vermischen: die menschliche Bemühung und der durch Glauben bewirkte, von oben herabkommende Beistand"'), ja selbst „die Mitwirkung Gottes muß unseren Zustimmungen innewohnen" 8 ). Die Orthodoxe Kirche lehrt also nicht den Monergismus, sondern den Synergismus9), aber freilich im Sinn der Väter, nach welchem „der größere Teil, ja, wenn nicht gar alles, bei Gott steht, uns aber der kleinere überlassen ist" 10 ). Aus etwa demselben Grunde wurde die calvinistische Lehre von der absoluten Praedestination in der Confessio des Loukaris 11 ) durch die orthodoxen Confessionen des Mogilas 12 ), des Dositheos 13 ) und zuvor des Kritopoulos 14 ), wie auch durch die Synoden von Konstantinopel (1638) 15 ), von Konstantinopel*) Joh. Karmiris, a. a. O . , S. 5 7 3 .
Ebenda, II, 580. Ebenda, II, 713 fr. 4 ) Ebenda, II, S. 604, 605, 607.
2) 3)
5) 6)
Ebenda, II, S. 756/757. Ebenda, II, 522-524.
') Basilius d. Gr., Reg. ascet. 15. Migne P. G. 3 1 , col. 1377. ) Basilius d. Gr., Epist. 294. Migne P. G. 32, col. 1037. 8 ) Vgl. auch zum Synergismus des Melanchthon J. Kalogirou, Die Lehre v o n der „Mitwirkung" in der Rechtfertigung des Menschen v o m orthodoxen Standpunkt aus und die Auseinandersetzungen darüber mit den Heterodoxen (griech.),
8
Saloniki 1953, S. 76fr. 10
) Johannes Chrysostomus in Psalm. 1 1 5 , 2. Migne P. G. 55, col. 322. Kap. 3, bei Joh. Karmiris, ebenda, II, S. 565.
n)
12)
Ebenda, II, S. 606-609.
Ebenda, II, S. 748. A n anderem Ort haben wir die Beschuldigung, daß die im dritten Paragr. der Confessio des Dositheos getr. Formulierung molinistisch beeinflußt sei, als übertrieben bezeichnet. Siehe Joh. Karmiris, Die Confessio des orthodoxen Glaubens des Dositheos von Jerusalem (griech.), Athen 1949, S. 47. 14 ) Joh. Karmiris, a. a. O. II, S. 521-524. 16) Ebenda, II, S. 57313 )
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Jassy (1642)1) und von Jerusalem (1672)2) verworfen, die einstimmig eine in dem Vorherwissen Gottes begründete relative Praedestination lehren; das gemeinsame Wirken, Handeln und „Kämpfen" der göttlichen Gnade und der menschlichen Freiheit wird nicht nur berührt, sondern vorausgesetzt3). So wird also tatsächlich die absolute Praedestination von den Orthodoxen verworfen, da sie unter anderem auch mit der orthodoxen Lehre vom Vorherwissen, von der Liebe und von der Gerechtigkeit Gottes im Widerspruch steht. Femer macht sie Gott zur Ursache des Bösen und vermindert obendrein die versöhnende Macht des Opfers am Kreuz und das Erlösungswerk des Erretters. Gegen die calvinistische Lehre der Confessio des Loukaris wurde also von allen4) die orthodoxe Lehre von den zwei Faktoren entfaltet, die zu der subjektiv zu vollziehenden Aneignung der Erlösung notwendig sind, nämlich die göttliche Gnade und die menschliche Freiheit. Wenn nun sicher das Hauptgewicht auf die göttliche Gnade gelegt wird, die das Heilswerk beginnt, unterstützt und zu Ende führt, so folglich auch auf das Mitwirken des Menschen. Die göttliche Gnade macht den Anfang, indem sie den Menschen zum Heil beruft ; nachdem er es angenommen hat, handelt er mit ihr selbst auf der Kampfbahn seiner eigenen Heiligung zusammen: „Das Berufen-werden und Rein-werden, Gnade war es; das Berufene aber und rein Bekleidete als solches zu erhalten, ist Sache dessen, das berufen ist"8). In bezug auf die oben erwähnte Zusammenarbeit des göttlichen und des menschlichen Faktors und den Vorrang des göttlichen, stellt Basilius d. Gr. Gott dar, wie er vor der Tür steht, die zu der in Sünde schlummernden Seele des Menschen führt, und anklopft: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir" 6 ). Sogleich also, wenn der Mensch aus freiem Willen „die Stimme hören und die Tür öffnen" will, tritt Gott ein und beginnt das Heilswerk des Menschen; denn „wo der freie Wille bereit ist, da gibt es kein Hindernis: wenn nämlich der !) Ebenda, II, S. 578. ) Ebenda, II, S. 704 und 709 fr.
2 3
) Vgl. auch Theodoret v. Cyrus, in Rom. 8, 30. Migne P. G. 82, col. 1 4 1 . ) Confessiones: des Kritopoulos 6 ( K a r m i r i s II 5 2 6 / 7 ) , Mogilas I, 1 — 3 . II.
4
6 3 ; III, 3-4. 7 2 (Karmiris II, 5 9 3 / 5 9 4 , 6 2 1 ; 6 6 4 / 6 6 5 , 6 8 6 ) , Dositheos 9, 13 (Karmiris II,
7 5 1 , 755/756).
Vgl. auch Akten der Synoden zu Konstantinopel von
1 6 3 8 ( K a r m i u i s II, 5 7 9 ) , Konstantinopel-Jassy von 1 6 4 2 und Jerusalem von 1 6 7 2 ( K a r m i r i s II, 7 0 4 f r . ) .
( K a r m i r i s II, 5 7 8 / 5 8 0 )
*) Johannes Chrysostomus, in Matth, hom. 69, 2. Migne P. G. 58, col. 650. «) Off. 3, 20.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen
Kirche
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die Menschen Liebende ruft, und der Diener bereit ist, dann ist die Gnade überschwenglich; und wenn Bereitschaft vorhanden ist, wird es kein Hindernis geben" 1 ). Nur von dem so frei und bereitwillig reagierenden Menschen wird „der Glaube, der durch die Liebe wirkt" 2 ), gefordert. Das Heil wird folglich „durch die Gnade Christi bei Männern wie Frauen durch den echten Glauben an den Herrn" 3 ) erreicht und durch guteWerke, •welche das sittliche Leben des Gläubigen zieren sollen, der sich aus freiem Entschluß und bereitwillig dem "Willen und dem Gesetz Gottes unterordnet. So lehrt die Confessio des Dositheos wie folgt: „Wir glauben, daß niemand ohne Glauben gerettet wird; Glaube nennen wir das ganz richtige Erfassen oder auch die ganz richtige Vorstellung von Gott und dem Göttlichen in uns . . ., er wird durch die Liebe gewirkt, oder auch, was dasselbe ist, durch die göttlichen Gebote, er rechtfertigt uns von Christus her, und ohne diesen ist es nicht möglich, Gott zu gefallen" 4 ). Die Kirchenväter betonten von alters her den richtigen Glauben und die guten Werke als Bedingungen zur Rechtfertigung; „denn der Glaube ohne Werke ist tot, und so auch Werke ohne Glaube, da der wahre Glaube durch die Werke erprobt wird", wie Johannes von Damaskus sagt5). Sonach sind Glaube und Werke zwei untrennbare Bestandteile ein und derselben Sache. Darum ist es nicht erlaubt sie voneinander zu trennen, da ja das eine das andere voraussetzt und enthält. Der Glaube ist eng mit der Liebe verbunden und wirkt durch dieselbe. Deren notwendige Offenbarwerdung und deren Früchte sind die guten Werke, so daß man nicht bezweifeln kann, daß der Glaube auch ein ethisches und nicht nur ein Werk des Verstandes ist. In der Tat enthält der wahre Glaube an Christus zunächst Wahrheit, dann aber Christus-gemäßes Leben, das heißt gute Werke. Wenn diese fehlen, dann hört auch der Glaube des Christen ohne Werke auf, wahr zu sein, er wird unwahr und heuchlerisch. Notwendigerweise bestehen also beide zusammen und ergeben eine innere und organische Einheit. So steht in der Confessio des Mogilas ganz richtig, daß „die guten Werke eine Frucht sind, die vom Glauben wie von einem guten Baum erzeugt wird" 6 ). Darum anerkennt die Orthodoxe Katholische Kirche - entgegen den die Werke Basilius d. Gr., Or. in Bapt. 6. Migne P. G. 3 1 , col. 437. ) Gal. 5, 6. Vgl. auch Basilius d. Gr., Epist. 295. Migne P. G. 31, col. 1040. 3 ) Basilius d. Gr., Reg. brev. tract., 309. Migne P. G. 13, col. 1304. 2
4
) Bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, S. 7 5 1 . ) Johannes v. Damaskus, a. a. O. IV, 9. Migne P. G. 94, col. 1 1 2 1 ; vgl. auch Gregor v. Nyssa, in Eccles., hom. 8. Migne P. G. 44 col. 748. ') Bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, S. 664; vgl. auch Confessio des Dositheos 1 3 : „ W i r verstehen aber die Werke nicht als Zeugen, die unsere Berufung bestäti6
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überbetonenden Römischen Katholiken und den die Werke verwerfenden Protestanten - die Werke in ihrer organischen Einheit mit dem Glauben und als Früchte des Glaubens und des heiligen Geistes. Sie lehrt, daß diese nicht an sich und im absoluten Sinn Verdienste sind, und daß sie nicht für sich allein den Menschen rechtfertigen können, sondern nur, wenn sie mit dem Glauben vereint sind und unter der Zuneigung der göttlichen Gnade vollbracht werden. Schließlich sei noch gesagt, daß die orthodoxe Kirche auch die lateinische Lehre von dem Schatz der überschüssigen Werke der Heiligen nicht angenommen hat. Wie hieraus folgt, dürfen wir die Werke nicht als Ursache unserer Rechtfertigung verstehen, da wir ja „gerecht werden ohne Verdienst aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist" 1 ), alle Werke jedoch, „die wir vollbringen, tun wir, um unsere Schuld zu bezahlen" 2 ); und nach Luk. 17, 10: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren". So besitzen also bei Gott Glaube und Werke keinerlei loskaufende Kraft und keinerlei loskaufenden Wert. Es ist somit klar, daß die Rechtfertigung des Menschen als Vergebung der Ursünde und der persönlichen Sünden primär allein das Werk der göttlichen Gnade und nur sekundär auch das des menschlichen Glaubens ist, während die nachfolgende Rechtfertigung als fortschreitende Heiligung weit mehr das Werk des Glaubens und der guten Werke ist, die sie jedoch beide nur unter Beeinflussung durch die Gnade Gottes bewirken können. Und es ist so, wie wir gesehen haben, „das meiste, ja, beinahe alles" kommt von Gott. Allgemein können wir also sagen, daß die Rechtfertigung und Errettung des Menschen in erster Linie und im wesentlichen fast ausschließlich Wirkung und Gabe der göttlichen Gnade ist, gänzlich sekundär jedoch wird sie zu einem „kleinen", ja, vielmehr zum allerkleinsten Teil von der Verfassung und der ethischen Vorbereitung und allgemein von der freien Mitwirkung des Menschen bestimmt, die an seinem rechten Glauben und seinen guten Werken liegt. Nach dem Vorausgegangenen ist leicht zu verstehen, daß es f ü r die Orthodoxen entsprechend dem Glauben, der Vorbereitung und der Mitwirkung des Menschen bei der Entfaltung seiner Rechtfertigung und Heiligung, bei der er ja durch rechten Glauben und gute Werke mitwirkt, verschiedene Stufen der Rechtfertigung und Heiligung gibt, und dem entsprechend gen, sondern als ihre eigenen Früchte, durch welche der Glaube sich durch die Tat kund tut" (ebenda, S. 756). Rom. 3, 24. Vgl. auch Basilius d. Gr., in Psalm, hom. 1 1 4 , 5. Migne P. G. 29, col. 492. 2
) Joh. Chrysostomus, in Rom. hom. 7, 7. Migne P. G. 60, col. 450.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
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auch verschiedene Stufen der Ehre im Himmelreich, insofern als „jeder seinem Glauben nach gemessen wird" 1 ). Andererseits hat der Abfall und die Entfremdung eines Christen von dem allem gleichzeitig sein Herausfallen aus der göttlichen Gnade zur Folge; er ist fürderhin „nicht mehr in Gott, weil er den heiligen und tröstenden Geist Gottes von sich entfernt hat" 2 ). Darum: „Wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle" 3 ). Das allgemeine Ergebnis aus dem Vorangegangenen ist also folgendes: Bei den Dogmen von der Rettung in Christo, von der relativen göttlichen Prädestination, von der Rechtfertigung durch Glauben und Werke, ist die Orthodoxie weder antithetisch noch einseitig, sondern sie ist synthetisch und verbindend. Schließlich ist noch allgemein hinzuzufügen, daß alle oben dargelegten dogmatischen Lehren von dem Heil in Christo, das heißt, die Lehren von der Inkarnation, von dem Kreuzesopfer, vom Abstieg in den Hades, von der Auferstehung, von der Himmelfahrt und vom Sitzen zur Rechten des Vaters, von der göttlichen Gnade, von der Heilsaneignung usw., auch im orthodoxen Kult enthalten sind, indem sie in kirchliche Hymnen von unvergänglicher Größe umgesetzt und so die Jahrhunderte hindurch von der Gesamtheit des frommen christlichen Ostens gelebt wurden. 3 . Die
Kirche
Die Kirche ist Gefäß des Heils, Schatzmeister, Verwalter und Vermittler der rechtfertigenden und heiligenden göttlichen Gnade und alleiniger autoritativer und unfehlbarer Lehrer der geoffenbarten Wahrheit. Der Erlöser errichtete sie als eine sichtbare geistliche Anstalt, in welcher allein die subjektive Aneignung der Erlösung durch die Menschen vollzogen wird. Die Kirche (exxXrjaia), von den Vätern so genannt, „weil alle zu ihr herausgerufen ( e x x a l e i a d a i ) und in ihr zusammengeführt werden" 4 ), „ist der Leib Christi, nämlich die Fülle des, der alles in allen erfüllt" 5 ), sie ist die Gesamtheit aller derer, die an Christus als den Gott und Erretter *) Basilius d. Gr., hom. 24 contr. Sabellianos etc. 6. Migne P. G. 3 1 , col. 6 1 3 ; vgl. auch De Spiritu Sancto 9, 23. Migne P. G. 32, col. 109; vgl. Cyrill v. Jerusalem, Catech. I, 5. Migne P. G. 33, col. 377. 2 ) Athanasius d. Gr., contra Arianos III, 25. 24. Migne P. G. 26, col. 376, 373. 3 ) I. Kor. 10, 12. 4 ) Cyrill f.Jerusalem, Catech. 18, 24. Migne P. G. 33, col. 1044. Athanasius d. Gr., Quaestiones in N T . 37. Migne P. G. 28, col. 724. 6 ) Eph. i , 23.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
der W e l t in orthodoxer Weise glauben und durch denselben orthodoxen Glauben und dieselben Sakramente zu einem „ L e i b " mit dem Herrn als „ H a u p t " vereint sind 1 ); bei den Gläubigen unterscheidet man den Klerus, der durch das Sakrament der Priesterweihe geweiht ist, und das Laienvolk. D i e Gläubigen werden v o n Bischöfen regiert, die ihren Ursprung durch ununterbrochene Sukzession auf die Apostel und über sie auf Jesus Christus, den Gründer der Kirche selbst, zurückführen. Sonach bilden weder der Klerus noch das Laienvolk die Kirche allein, sondern beide miteinander, das heißt Klerus und Laienvolk zugleich, vereint in d e m einen organischen Leib unter dem Haupt Christus. Dergestalt w u r d e die Kirche, die i m Ratschluß Gottes v o r der Zeit enthalten, und in der vorchristlichen Zeit besonders in der jüdischen W e l t vorbereitet und vorhergebildet ist, in der Fülle der Zeit v o n d e m menschgewordenen Logos Gottes selbst errichtet, indem er sie durch sein eigenes Blut erworben hat 2 ). S o ist sie nicht v o n Menschen errichtet, ihr Ursprung ist himmlisch und übernatürlich und nicht irdisch und natürlich. Diese v o n G o t t erbaute, geistliche und zugleich sichtbare Anstalt, v o n den ältesten christlichen Schriftstellern „ K i r c h e Gottes" oder „ K i r c h e Christi" genannt, w i r d v o n der Hierarchie regiert. Diese ist eingesetzt und besteht kraft göttlichen und nicht kraft menschlichen Rechts oder auf Grund einer v o n ihren Gliedern getroffenen W a h l . A n der Spitze der Kirche und ihrer Hierarchie stehen die Bischöfe, die als Liturgen und „ V e r w a l t e r G o t t e s " 3 ) den lokalen Kirchen vorstehen und sie als Hirten weiden, indem sie alle kirchliche Gewalt ausüben. Ihre Vollmacht haben sie durch Sukzession v o n den Aposteln, jene aber v o n dem göttlichen Begründer der Kirche e m p fangen, welchen G o t t in die W e l t gesandt hat 4 ) als „Apostel und H o h e n priester unseres Bekenntnisses" 5 ). A u f diese Weise besitzt die Hierarchie der Orthodoxen Kirche eine ununterbrochene apostolische Sukzession, die als ein unsichtbares B a n d die unzerreißbare Fortdauer, Einheit und
*) Eph. i, 22-23. 2 ) Act. 20, 28. 3
) Tit. i, 7. *) Gal. 4, 4. 6 ) Hebr. 3 , 1 . Und Clemens f. Rom schrieb an die Korinther (42, 1 . 2 . 4): „Die Apostel haben uns das Evangelium vom Herrn Jesus Christus verkündet; Jesus, der Christus, wurde von Gott ausgeschickt; Christus also von Gott her, und die Apostel von Christus her: dies beides ist in schöner Ordnung nach dem Willen Gottes geschehen.... In Ländern und Städten predigten sie nun und setzten ihre Erstlinge nach Prüfung durch den Geist zu Bischöfen und Diakonen der zukünftigen Gläubigen ein" (Migne P. G. 1, col. 292; vgl. ebenda auch 44, 2-3, col. 297)-
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche Apostolizität der Orthodoxe^ Kirche sichert. Glieder der Kirche sind alle, die durch alle Jahrhunderte hindurch an Christus glauben und durch die Taufe in sie aufgenommen und in ihr eingebürgert sind, wobei die seit Jahrhunderten Entschlafenen den himmlischen Teil der Kirche oder die triumphierende Kirche darstellen, die Lebenden aber ihren irdischen Teil oder die kämpfende Kirche konstituieren. So lebt und existiert die eine Kirche sowohl im Himmel als auch auf Erden, indem sie auf der einen Seite eine „himmlische" 1 ) und unsichtbare, auf der anderen Seite eine irdische, sichtbare und geschichtliche Gemeinschaft ist2). Als solche umfaßt sie, wie wir schon gesagt haben, „alle in Christo Gläubigen insgesamt", alle, die der auf Erden kämpfenden Kirche anhangen, und alle, die die im Himmel triumphierende Kirche konstituieren. So ergibt sich die eine „Gemeinschaft der Heiligen", deren auf Erden befindliche Glieder hinzukommen zu „dem himmlischen Jerusalem und zu der Menge vieler tausend Engel und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind . . . und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des Neuen Testamentes, Jesus" 3 ). Ihrem Wesen nach ist die Kirche ein lebendiger gottmenschlicher Organismus, der Leib Christi, in welchem der Gottmensch Christus sich mit allen gerechtfertigten und geretteten Christen - den lebenden und den Verstorbenen - organisch vereint, ebenso wie in der Person Christi die göttliche und menschliche Natur hypostatisch vereint sind; denn schon bei der göttlichen Inkarnation wurde die ganze Menschheit als ein organisches Ganzes in der menschlichen Natur Christi miteinbeschlossen und zusammengefaßt. Auf solche Weise bildete sich sein mystischer Leib, der gottmenschliche Organismus der Kirche, dessen Haupt eben der Herr selbst ist, durch den und in dem die gefallene Menschheit wieder mit Gott vereinigt wurde. In der Kirche hat sich also das Göttliche mit dem Menschlichen zu einer mystischen und dennoch wirklichen Einheit Clemens v. Alexandrien, Paed. II, 1. Migne P. G. 8, col. 388. 2
) U n d Augustinus lehrt: „Duas vitas novit Ecclesia; quarum est una in labore,
altera in requie; una in via, altera in patria; una in opere actionis, altera in mercede contemplationis; una bona sed adhunc misera, altera melior et beata" (In evang. Ioannis, tract. C X X I V , 21). Ahnlich heißt es auch nach dem Patriarchen Dositheos:
die Kirche „enthält alle in Christo Gläubigen insgesamt",
die „jetzt in der Fremde wohnenden" und die, „die es erreicht haben, in das Vaterland zu gelangen", und so unterscheidet sie sich als die Kirche „in der Fremde" und die Kirche „im Vaterland", von denen „die eine noch kämpft und unterwegs ist, die andere aber das Siegeszeichen trägt, im Vaterland wiederhergestellt ist und den Kampfpreis empfangen hat" (Confessio 10, bei Joh. a. a. O . II, S. 751/752). 3
) Hebr. 12, 2 2 - 2 4 .
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vereinigt, zu einem mystischen und dennoch lebendigen Leib, dessen Glieder alle Christen sind, dessen Haupt aber Christus ist, „aus welchem der ganze Leib durch Gelenke und Fugen Handreichung e m p f ä n g t und zusammengehalten wird und also wächst zur göttlichen G r ö ß e " 1 ) . Der Apostel Paulus selbst gab die treffendste Charakterisierung und D e finition des Wesens der Kirche, wenn er uns in das Geheimnis der Kirche als des mystischen Leibes Christi einführt, der v o m heiligen Geist beseelt ist 2 ). Christus ist das lebenspendende „ H a u p t des Leibes der K i r c h e " 3 ) , denn Gott-Vater „hat ihn gesetzt zum Haupt über alles in der Kirche, welche da ist sein L e i b " 4 ) , durch den heiligen Geist ergibt er mit allen christlichen Gliedern seines Leibes eine innere, organische und vollkommene Einheit, einen lebendigen Leib. D i e Christen werden durch den Glauben an Christus, durch ihre Anteilhabe an der T a u f e , an der heiligen Eucharistie und an den übrigen Sakramenten dem Leibe Christi als Glieder einverleibt und „Christus eingepflanzt" 5 ), indem sie seinem Leibe aufgepfroft und eingesetzt werden w i e Z w e i g e dem B a u m des L e bens, und so an dem göttlichen Leben des Gottmenschen teilnehmen. S o ist die Kirche „ d e r L e i b " Christi, „ d i e Fülle des, der alles in allem erfüllt" 6 ), die Fortsetzung seines gottmenschlichen Lebens in den mit ihm in Gemeinschaft lebenden Gläubigen. Andererseits werden die Christen als „Gemeinschaft der Heiligen" in Christus zu einer organischen und sakramentalen Einheit zusammengeschweißt; sie haben durch die K r a f t und Einwirkung des heiligen Geistes an seinem gottmenschlichen Leben teil; Christus wohnt in ihnen, der das Lebenszentrum ist, v o n welchem die göttliche Gnade und das neue Leben herabkommen, auf alle Teile des Leibes sich verbreiten und als „pneumatische K r a f t ein jedes Glied ergreifen" 7 ) ; und „ d e r Geist, der den Gliedern beisteht, w i r k t , indem er v o m Haupte her überreichlich ausströmt und alle Glieder erfaßt" 8 ), Geistliche w i e Laien. Dies ist das Mysterium der Kirche als des Leibes Christi und des Tempels des heiligen Geistes. M a n könnte sagen, daß w i r nur i m Sakrament der göttlichen Eucharistie eine wahrnehmbare D a r stellung der mystischen Vereinigung Christi mit seinen gläubigen Gliedern haben, die an seinem Leibe in der K o m m u n i o n teilhaben. ») Kol. 2, 19. 2 ) Rom. 12, 4/5. Eph. 1, 22/23. Kol. 1, 18. 24; 2, 19. 3 ) Kol. i, 18. *) Eph. 1, 22. 6 ) Rom. 6, 5. 6 ) Eph. 1, 23. 7 ) Oekumenios, in Eph. 4, 16. Migne P. G. 118, col. 1221. 8 ) Johannes Chrysostomus, in Eph. 3, hom. 11. Migne P. G. 62, col. 84.
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Aus dem Gesagten geht hervor, daß sich ebenso w i e sich in dem gottmenschlichen Erlöser Gott und Mensch vereinten, auch alle, die an ihn glauben, in ihm zu einem Leib, das heißt zu der Kirche vereinten. Diese ist somit Christus selbst, der mit uns ist und f ü r alle Zeiten bei uns bleibt, w i e der heilige Augustinus so herrlich sagt. So betrachtet man die Kirche als Ausdehnung und Fortsetzung der göttlichen Inkarnation, indem sie das Erlösungswerk des Erretters fortsetzt und es jedem Gläubigen zu eigen macht. Faktisch fällt der A n f a n g der Existenz und des Lebens der Kirche mit der göttlichen Menschwerdung zusammen, potentiell jedoch existierte die Kirche schon v o r der Zeit in Christus, und darum w u r d e sie v o n Hermas eine „ G r e i s i n " genannt, „ w e i l sie v o n allen Dingen zuerst geschaffen worden ist" 1 ), oder, „ w e i l mit Recht gesagt wird, daß die Kirche v o r Entstehung der W e l t auserwählt worden ist" 2 ). N u r in der Kirche und durch die Kirche offenbaren sich in Heiligung und Rettung das Leben und die Gnade Gottes unter den Menschen. S o w i r d in ihr das Erlösungswerk des Erretters fortgesetzt; „denn die Kirche dient dem W i r k e n des Herrn; v o n da nahm er auch damals den Menschen an, damit er durch ihn dem Willen des Vaters diene; stets betraut der m e n schenliebende Gott Menschen mit dem Heil der Menschen, erst die Propheten, jetzt aber die Kirche" 3 ). Aus O b i g e m geht auch hervor, daß die Kirche nicht in eine unsichtbare und eine sichtbare geteilt werden darf. Es existiert eine und nur eine Kirche, die jedoch aus zwei unzerreißbar miteinander vereinten Teilen besteht: aus dem göttlichen, pneumatischen und unsichtbaren einerseits und dem menschlichen, materiellen und sichtbaren andererseits. Eben auf diese Weise vereinten sich j a in dem Gottmenschen die götdiche und die menschNatur, ohne sich zu vermischen. W i e sich in einem lebenden Organismus die Seele v o m Leib nicht trennen kann, noch das geistige v o m materiellen Element, so kann auch in der Kirche das göttliche und pneumatische Element nicht v o m menschlichen und materiellen getrennt werden. Dieses ist die äußere Erscheinungsform v o n jenem, das notwendige W e r k z e u g der Kirche f ü r ihre heilswirkende Tätigkeit unter den Menschen. D i e Kirche ist also auf der einen Seite eine göttliche, geistliche, unsichtbare und e w i g e Anstalt, auf der anderen Seite aber ist sie eine umschreibbare, erfahrbare und sichtbare Gemeinschaft v o n Menschen. D i e Kirche ist unsichtbar, weil ihr Haupt, der Herr, und der in ihr wohnende heilige Geist unsichtbar sind; und ebenso die in ihr regierende, heiligende und *) Vis. II, 4. 2 ) Bei Clemens v. Alexandrien,
Exc. ex Script. Theodoti 41. Migne P. G. 9, col.
677. 3
) Ebenda, Eclogae ex Script, prophet. 23. Migne P. G . 9, col. 708.
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rettende göttliche Gnade. Sie umfaßt auch den unsichtbaren Teil der im Himmel befindlichen Kirche, so daß sich aus beiden zugleich - aus dem im Himmel und aus dem auf Erden befindlichen Teil - der mystische Leib Christi ergibt. Demnach ist also die Kirche eine mystische Einheit auf Grund ihres einen göttlichen Hauptes und des einen heiligen Geistes, der sie in alle Wahrheit führt. Andererseits ist die Kirche als auf Erden streitende und das Heil der Menschen bewirkende zugleich auch sichtbar und beschreibbar, da sie die göttliche Gnade durch wahrnehmbare Zeichen übermittelt, und sie besitzt einen Kult und eine äußere Organisation - in der Gott und die Menschen wirken und zusammenwirken - , sie schließt Führer und Geführte, leitende Hierarchie und geleitete Gläubige, ja ohne Unterschied alle Frommen und Unfrommen, Gute und Sünder ein. Unter die Glieder der Kirche sind die Sünder mit einzurechnen, denn gerade in und durch die Kirche verwandeln sich die Menschen stufenweise von Sündern zu Guten und Heiligen. Billigerweise haben gerade die Sünder und die „sich schlecht Führenden" das in der Kirche verwaltete Heil sehr nötig. Deshalb sagt der Heiland: „Ich bin gekommen, zu rufen die Sünder zur Buße und nicht die Gerechten" 1 ). Dasselbe lehrte der Herr durch die Gleichnisse vom Unkraut 2 ), vom Netz 3 ) und von der Hochzeit des Königssohnes4). Daraus folgt, daß wir zwischen den zwei Elementen der Kirche, dem sichtbaren und dem unsichtbaren, keinen scharfen Unterschied machen und sie nicht voneinander trennen dürfen, denn beide sind zwei Aspekte ein- und derselben - sichtbaren und zugleich unsichtbaren - Kirche. So bemerkte sogar ein protestantischer Theologe ganz richtig: „Die Kirche ist nicht nur unsichtbar, sondern zugleich sichtbar, sie ist andererseits nicht nur sichtbar, sondern zugleich unsichtbar. In ihrer Unsichtbarkeit ist ihr göttlicher Charakter, in ihrer Sichtbarkeit ihr menschlicher Charakter, in der Vereinigung der beiden ihr gottmenschlicher Charakter begründet" 5 ). Die Heiligen und Luk. 5, 32. 2
) Matth. 13, 24-30, vgl. auch 3,12. 3 ) Matth. 13, 47-48. 4
) Matth. 22, 2 - 1 4 . In ähnlicher Weise versicherte er auch, daß es in der Kirche gute und schlechte Knechte (Matth. 18, 23 ff.; 25, I4f.), Schafe und Böcke gibt (Matth. 25, 32ff.). Der Apostel Paulus schreibt, daß „in einem großen Hause nicht allein goldene und silberne Gefäße sind, sondern auch hölzerne und irdene, und etliche zu Ehren, etliche aber zu Unehren" (II. Tim. 2, 20). Deshalb waren Glieder der Kirche von Jerusalem Ananias und Saphira (Act. 5, 1 ff.), ein Glied der korinthischen der von Paulus aus der Kirche ausgeschlossene Sünder (I. Kor. 5, 1 ff.). Vgl. auch die Confessio des Dositheos (Art. X I , beiJoh. Karmiris, a. a. O. II, S. 755). 6
) Oosterzee,
Christian Dogmatics. Transl. Waston-Evans. London 1881, S. 705.
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Auserwählten überall auf der Erde sind sichtbare Glieder der sichtbaren Kirche, eben darum weil sie auf der Erde leben. Sie sind nicht schon f ü r sich eine eigene unsichtbare Kirche, die von der sichtbaren zu unterscheiden wäre, sondern sie stellen einen Teil der einen unteilbaren Kirche selbst dar, aus ihr hervorgegangen, und in ihr sich entfaltend. Was nun das Werk der Kirche anbetrifft, so weisen wir darauf hin, daß die Kirche den Gläubigen das Heil in Christo mitteilt, indem sie die dreifache Erlösungstätigkeit des gottmenschlichen Erlösers, die prophetische, hohepriesterliche und königliche, ausübt, da ja der gottmenschliche Erlöser als der, der die Zeiten überdauert, mit der Kirche identisch ist. So ist sie der alleinige Träger der göttlichen Wahrheit und Gnade; sie ist das Zentrum der Erlösung und das Organ des heiligen Geistes, welcher die Erlösung jedem Gläubigen mitteilt; sie ist die Werkstatt und das Gefäß des Heils, der Verwalter und Ubermittler der rechtfertigenden und heiligenden göttlichen Gnade. Deswegen kann der Mensch nur gerettet werden durch die Kirche und in der Kirche als in dem „ K ö n i g reich" 1 ), in der „Herde" 2 ), in dem „Tempel" 3 ), in dem „Haus" 4 ), in der „Stadt" 5 ) Gottes. Und umgekehrt: „extra Ecclesiam nulla salus" 8 ), oder „extra Ecclesiam nemo salvatur" 7 ). Darum heißt es auch: „habere non potest Deum patrem, qui Ecclesiam non habet matrem" 8 ). Es kann also kein Mensch außerhalb der Kirche errettet werden, sondern nur in ihr, das heißt in der wahren Einheit mit ihrem Leib. Das Werk der Kirche besteht folglich in der Rettung der Menschen, die allein in ihr und durch x
) Matth. 13, 24ff. 3 i f f . 33. 47ÍF. Luk. 18, 29fr. etc.
2
) J o h . 10, 16.
3
) I. Kor. 3, 17. Eph. 2, 2 1 .
4
) I. Tim. 3 , 1 5 . Hebr. 3, 6. Auch die Urchristen nannten das Haus des Herrn
„die Kirche des lebendigen Gottes, das Haus des Herrn aus lebendigen Steinen erbaut" (Orígenes, in Psalm. 26. Migne P. G. 12, col. 1280). 6
) Hebr. 12, 22/23. Auch Orígenes schreibt: „Die Stadt ist die Kirche Gottes"
(in Jerem. hom. 9. Migne P. G . 13, col. 349); anderswo wird sie von ihm der „Schlüssel" genannt, mit dem die Menschen in das Reich Gottes gelangen (in Dan. 20. Migne P. G. 10, col. 656). •) Cyprian, De unit. Eccl. 6. Epist. 73, 2 1 . Migne P. L. 3, col. 1 1 2 2 ; Migne P. G . 4, col. 502. ') Orígenes, in Jesu Nave, hom. 3, 5. Migne P. G. 12, col. 842. Basilius d. Gr., schreibt: „Diejenigen, die hier in das Haus des Herrn, welches die Kirche des lebendigen Gottes ist, gepflanzt sind, werden dort in den Höfen Gottes erblühen" (in Psalm 2 8 , 3 . Migne P. G. 29, col. 288). „Es ist nicht möglich aufzublühen und Früchte anzusetzen, es sei denn, daß es in den Höfen des Herrn geschieht" (in Is. 1, 28. Migne P. G. 30, col. 173). 8
) Cyprian, De unit. Eccl. 6. Migne P. L. 4, col. 502.
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sie verwirklicht wird, denn ihres Begründers „Wille ist die Errettung der Menschen, und dieser Wille wird Kirche genannt" 1 ). So also gab der göttliche Begründer, der „ f ü r uns Menschen und unser Heil aus den Himmeln herabgekommen und Fleisch und Mensch geworden ist" 2 ), der Kirche die Aufgabe; sein Erlösungswerk fortzusetzen. Er rüstete sie hierzu mit Vollmacht und mit allen Mitteln aus, die zur Fortsetzung seines dreifachen Amtes, des prophetischen, hohepriesterlichen und königlichen, notwendig sind. Durch dieses dreifache Amt hat er selbst das Heilswerk der Menschen objektiv vollbracht, die Kirche jedoch läßt sie subjektiv und persönlich am Heil teilnehmen. Der Apostel Paulus schreibt, daß es Zweck und Amt der Kirche ist, „daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werk des Dienstes, dadurch der Leib Christi erbaut werde" 3 ). Demnach ist also die Kirche das gottgegebene Organ zur Errettung der Menschen und zur Aufrichtung des Gottesreiches auf Erden, denn eben in der Kirche und allein durch die Kirche werden das Heil der Menschen und das Königreich Gottes in dieser Welt verwirklicht. Da die Kirche jedoch, wie gesagt, alleiniger Träger der göttlichen Gnade und der Wahrheit und Gefäß des Heils ist, folgt daraus, daß sie zugleich auch die alleinige rettende und unfehlbare Lehrerin der göttlichen Wahrheit ist. Sie besitzt göttliche und absolute Autorität in Glaubens- und Heilsfragen. Sie allein ist in ihrem Wesen unveränderlich, in Ewigkeit unzerstörbar und „unvergänglich", sie, die selbst die Pforten der Hölle nicht überwinden können4). Der ewige Gott-Logos selbst lebt, lehrt, rettet und wirkt ja in Zeit und Raum fortgesetzt durch die Kirche und in der Kirche, er, der bei ihr ist „alle Tage bis an der Welt Ende" 5 ), und der vom Vater gesandte „Geist der Wahrheit" lebt und wohnt ja ganz ähnlich in der Kirche, „auf daß er ewiglich bei uns sei"6). Es muß zunächst besonders hervorgehoben werden, daß die Kirche als Ganzes unfehlbar ist, da ja Christus, „die Wahrheit" 7 ) selbst, ihr Haupt und der heilige Geist, der „Geist der Wahrheit" 8 ), der sie in alle Wahrheit führt und geleitet, ihre Seele ist. Nach dem Apostel Paulus ist die Kirche „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit" 9 ), der unfehlbare Träger und ') Clemens v. Alexandrien, Paed. I, 6. Migne P. G. 8, col. 2 8 1 . ) Symbol von Nicaea, bei Joh. Karmiris, a. a. O. I, S. 1 2 7 - 1 3 3 .
2 3 4
) Eph. 4, 12. ) Matth. 16, 18.
5
) Matth. 28, 20.
6
)Joh. 14, 16/17.
') Joh. 14, 6. 8 ) Joh. 14, 1 7 ; 1 5 , 26; 16, 13. 9
) I. Tim. 3, 15.
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Lehrer der christlichen Wahrheit, die sie unversehrt und unverfälscht bewahrt hat und besitzt. D a w i r schon am A n f a n g die Bedeutung der Unfehlbarkeit der Kirche v o m orthodoxen Standpunkt aus definiert haben 1 ), wiederholen w i e hier nur, daß das allgemeine Bewußtsein des Pieromas der Kirche in Glaubensfragen unfehlbar ist. Gemeint ist das Bewußtsein des Klerus und des Laienvolkes i m Ganzen, denn Geistliche und Laien, Befehlende und Gehorchende, Herren und Knechte, Männer und Frauen sind Glieder des Leibes Christi und ergeben zusammen das P l e r o m i , das Ganze, den Leib der Kirche, welcher in der Orthodoxie allein als unfehlbar gedacht wird. S o erklärten die orthodoxen Patriarchen des Ostens in ihrer A n t w o r t an Papst Pius I X . i m Jahre 1848 mit Recht, daß „ b e i uns weder Patriarchen noch Synoden jemals Neues einführen konnten, denn der Beschützer der Religion ist der Leib der Kirche, das heißt das V o l k selbst, welches seinen Glauben auf e w i g unverändert und d e m seiner Väter gleich behalten w i l l " 2 ) . Freilich versteht sich, daß das orthodoxe V o l k w o h l Wächter und Beschützer seiner Orthodoxie und seines Glaubens ist, aber ihn nicht gültig und autoritativ formulieren kann, was ja ausschließliches Recht und alleiniges W e r k der Ö k u m e n i schen Synoden ist, die v o n dem heiligen Geist zur unfehlbaren Formulierung und Verkündung der D o g m e n inspiriert und geleitet werden. D a es sich so verhält, handelte die O r t h o d o x e Kirche recht, w e n n sie das D o g m a des Vaticanums v o n dem Papst als dem unfehlbaren Haupt der Kirche verwarf. Weiter nun bekennen w i r auf Grund des heiligen Symbols, daß die Kirche „eine heilige, katholische und apostolische" ist. D i e Kirche ist also erstens eine, denn sie besitzt nur ein Haupt und einen Geist, der sie beseelt, und einen Leib Christi und einen Glauben und eine T a u f e und einen Ursprung und ein Ziel, „denn w i r sind durch einen Geist alle zu einem Leibe getauft" (I. K o r . 1 2 , 13) 3 ). D a somit die Kirche der Leib Christi ist, denn „er ist das Haupt des Leibes, nämlich der K i r c h e " ') Vgl. S. 5ff. Die Confessio des Dositheos lehrt: „daß die Katholische Kirche, die niemals aus sich selber lehrte oder lehrt, sondern aus dem Geist Gottes (der ein bis in Ewigkeit unaufhörlich und im Uberfluß reicher Lehrer ist), je sündige oder gänzlich täusche oder getäuscht werde, ist unmöglich, sie ist vielmehr ebenso wie die heilige Schrift unfehlbar und hat wie sie ewige Geltung" (bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, S. 747). 2 ) Bei Mansi, Concil. 40, 407, Joh. Karmiris, a. a. O. II, S. 920. 3 ) I. Kor. 1 2 , 1 3 . Nach Ignatius heißt es: „Eine ist die Kirche, welche die Apostel überall im Blute Christi errichteten . . . denn eines ist das Fleisch des Herrn Jesu und eines sein Blut. . . eine ist aber auch die Predigt, und einer der Glaube und eine die Taufe" (Philad., interpol. 4. Migne P. G. 5, col. 821, 824).
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(Kol. i, 18), und da Christus einer ist, „gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit" (Hebr. 13, 8), und da er nur einen Leib haben kann, so folgt, daß seine wahre Kirche auch nur eine sein kann und ihrem Wesen nach durch alle Jahrhunderte und Völker hindurch bis an das Ende der Zeit unverändert bleibt. Das Zentrum der Einheit der Kirche ist also der eine Christus, die die Einheit verwirklichende Kraft jedoch der eine heilige Geist. Ja, der tiefere Grund der Einheit der Kirche ist die Einheit des dreieinigen Gottes selbst. In seinem hohepriesterlichen Gebet hat der Herr für die Einheit der Kirche gebetet, indem er sie zur Einheit des Vaters und des Sohnes hinaufführte (Joh. 17, 20-23). Andererseits schaut der Apostel Paulus die Einheit der Kirche auch in der Gemeinschaft des einen Leibes und Blutes des Erretters, „denn ein Brot ist's, so sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig sind" (I. Kor. 10, 16-17). Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Einheit der Kirche einerseits eine organische ist, insofern als von Christus als dem Haupt „der ganze Leib (der Kirche) zusammengefügt ist und ein Glied am andern hanget durch alle Gelenke, dadurch eins dem andern Handreichung tut, nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seinem Maße, und macht, daß der Leib wächst zu seiner selbst Besserung; und das alles in der Liebe" (Eph. 4, 16), und insofern als „der ganze Leib durch Gelenke und Fugen Handreichung empfängt und zusammengehalten wird und also wächst zur göttlichen Größe" (Kol. 2, 19). Andererseits aber ist die Einheit eine innere und nicht eine äußere oder mechanische. Sie wird gestärkt von der Gnade des heiligen Geistes und von der Kraft der wechselseitigen lebendigen Liebe der mit dem einen Leib Christi vereinten und verbundenen Glieder, der einzelnen Christen. Aber diese innere Einheit der Kirche tritt auch äußerlich in Erscheinung, nämlich als Einheit im Glauben, in der Verwaltung und im Kult, sie ist eine dogmatische, liturgische und verwaltungsmäßige Einheit. Diese Einheit wird weder durch häretische oder schismatische Trennung von der Kirche, noch durch nebensächliche rituelle Unterschiede, noch durch äußerliche Organisationsformen, geringfügige Verwaltungsunterschiede oder Separierung der lokalen autokephalen Orthodoxen Kirche beeinträchtigt, denn es verbinden die Kirchen unzerreißbar die brüderliche Liebe, das gemeinsame Gebet, der Kult und die Einheit im dogmatischen Glauben, und so in der Überlieferung und im orthodoxen Geist1). Es ist selbstverständlich, daß x
) Vgl. auch F. Heiler, a. a. O., S. 546f.: „Ihre Einheit ist nicht w i e die der
abendländisch lateinischen Kirche eine Uniformität der theologischen Lehre, der zentralistischen Organisation und der liturgischen Sprache, sondern eine religiös-dogmatische und kanonistisch-liturgische Einheit in einer großen Mannigfaltigkeit der volkstümlichen Charaktere . . . " Es ist hier jedoch zu bemerken,
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die Kirche eben darum, weil sie die eine und alleinige, vom Herrn gegründete wahre Kirche ist, die unversehrt und unbefleckt die ganze geoffenbarte Wahrheit besitzt, von altersher von ihrem gesunden Leib diejenigen, die im Glauben mit ihr nicht übereinstimmen, als Häretiker und diejenigen, die im Kirchenregiment mit ihr nicht übereinstimmten, als Schismatiker1) abschnitt und anathemathisierte. Sie duldete jedoch unwesentliche Unterschiede im Ritus, die das Wesen des dogmatischen Glaubens nicht betreffen, und ebenso andere Veränderungen und örtliche Gebräuche2). Endlich steht die eine Kirche als der gottmenschliche Organismus, der Christus zum Haupt hat, über und außerhalb von Ort und Zeit. Sie umfaßt alle ihre lebenden Glieder - das ist ihr auf Erden kämpfender Teil - und alle von dieser Welt zu irgendeiner Zeit abgeschiedenen - das ist ihr in den Himmeln triumphierender Teil - , denn diese wie jene sind Glieder des einen Leibes Christi. Zweitens ist die Kirche heilig. Sie ist es einmal für sich selbst, oder ontologisch, da sie wegen ihres göttlichen Ursprungs ein heiliger Leib ist. Sie hat Christus als Haupt und den heiligen Geist als Seele und ist so mit dem allheiligen Gott vereint. Daher „hat Christus die Kirche geliebt und hat sich selbst für sie gegeben, auf daß er sie heiligte, und hat sie daß das hernach über die angebliche „Mannigfaltigkeit der theologischen D o k trinen" Geschriebene nicht richtig ist, w i e schon weiter oben entfaltet wurde. 2)
D e r sechste C a n o n der II. Ökumenischen Synode bestimmt: „ A l s Häretiker
bezeichnen w i r diejenigen, die v o n alters her v o n der Kirche verstoßen und danach v o n uns anathematisiert w o r d e n sind, außerdem diejenigen, welche den echten Glauben sich anmaßen zu bekennen und sich obendrein v o n unseren kanonischen Bischöfen abspalten und sich gegen sie versammeln" (Mansi, C o n cil. 3, 561.70/1. Karmiris, a. a. O . I, 136). Basilius d. Gr. schreibt in seinem Brief an Amphilochius: „ D i e Alten bezeichneten als Häresien diejenigen, die sich völlig losgerissen haben und dem Glauben f r e m d g e w o r d e n sind; als Schismen aber diejenigen, die aus irgendwelchen kirchlichen Gründen und noch heübaren Differenzen sich untereinander entzweiten, (jiagaavvaymyai)
und als
Nebenversammlungen
Zusammenkünfte unter ungehorsamen Presbytern und B i -
schöfen v o n törichtem V o l k veranstalteten" (Epist. 188. M i g n e P. G . 32, col. 665. Joh. Karmiris, a. a. O . I, 232). 2)
Dies findet seine Bestätigung durch den v o m Patriarchen Photius v o n K o n -
stantinopel formulierten Grundsatz: „ W e r richtig zu urteilen w e i ß , darf w e d e r diejenigen, welche die Überlieferungen halten, verurteilen, noch diejenigen, w e l c h e diese nicht annehmen, insofern als weder V e r w e r f u n g des dogmatischen Glaubens vorliegt, noch A b f a l l v o n gemeinsam gefaßten und allgemein gültigen Beschlüssen, indem Sitten und Vorschriften bei den einen so und bei den anderen anders bewahrt w e r d e n . " J. Balettas, Briefe des Patriarchen Photius v o n K o n stantinopel (griech.), L o n d o n 1864, S. 156).
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gereinigt durch das Wasserbad im Wort, auf daß er sie sich selbst darstellte als eine Kirche, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas, sondern daß sie heilig sei und unsträflich" (Eph. 5, 25-27). Darum heiligte der allein heilige Herr seine Kirche, die nun an seinem göttlichen Leben teilnimmt. Sodann ist die Kirche auch im ethischen Sinne heilig, da sie aus Gliedern besteht, die heilig sind, da sie durch die rechtfertigende und heiligende Gnade Gottes geheiligt wurden und in der heiligen Taufe Christus angezogen haben. Die Kirche hat ferner als Werk und Ziel „die Zurichtung der Heiligen", die „Erbauung des Leibes Christi" (Eph. 4, 12), die Zurückführung aller Menschen zur Heiligkeit und zur ursprünglichen Gerechtigkeit überhaupt, und schließlich ihre und der ganzen Welt Umwandlung. Hierzu gebraucht sie heilige Mittel, wie die göttliche Lehre, die göttliche Gnade und die heiligen Sakramente. Durch dies alles wirkt der in ihr wohnende heilige Geist. Durch diese Mittel werden die Menschen in der Kirche geheiligt, sie werden „Heilige" (Rom. 1, 7; I. Kor. 1,2; Eph. 4, 1 2 ; I. Tim. 5, 10; Hebr. 3, 1), „Tempel Gottes" und „Tempel des heiligen Geistes" (I. Kor. 3, 1 6 - 1 7 ; 6, 19; II. Kor. 6, 16) 1 ). Die Kirche ist also die „Vereinigung der Heiligen, die Versammlung der Frommen" 2 ). Daraus folgt jedoch nicht, daß die Kirche nur heilige Glieder umfaßt, - sie wird bis zum Jüngsten Gericht auch Sünder in sich bergen3) - , noch daß deren Mitvorhandensein, bzw. ihre empirische Realität ihre essentielle Heiligkeit beeinträchtigen. Drittens ist die Kirche katholisch. Zunächst weil sie ohne Einschränkung von Raum und Zeit über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin Verbreitung und Anhänger gefunden hat, und weil sie daraufhinzielt, ohne Ausnahme alle Menschen in ihren Schoß zu bergen, zu vereinigen und „alle Dinge, beides, das im Himmel und auf Erden ist" (Eph. 1, 10) in Christus zusammenzufassen. So sagt Cyrill von Jerusalem: „Katholisch wird sie genannt, da sie über die ganze Welt hin verbreitet ist, . . . da sie sich überall auf dem Erdkreis befindet von dem einen Ende der Erde bis zu dem anderen, . . . da die überall verstreuten Kirchen eine Einheit sind; sie ergeben alle zusammen durch die Verbindung mit dem allheiligen Ignatius v. Antiochien nennt die Christen „Gottträger", „Christusträger" und „Heiligträger" (Ephes. 9, 2 ; 15, 3. Migne P. G. 5, col. 652, 657). 2 ) Ignatius v. Antiochien, Trall. 3. Migne P. G. 5, col. 780. 3
) „ W o Unkraut ist, ist auch der Weizen notwendig dabei; denn aus dem Ver-
gleich der beiden wird der Weizen in seinem Wesen erkannt, und ebenso das Unkraut; wenn aber das eine nicht besteht, kann auch das andere nicht in seinem Wesen erkannt werden" (Justin, Dubiae Respons. X X I I . in Bibl. d. gr. Ki. Väter, vol. 4, 83).
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Geist die eine katholische Kirche" 1 ). Es ist zu beachten, daß dieses Attribut der Kirche beigegeben wurde, weil sie im Gegensatz zu den lokalen Kirchen von altersher universal ist. Es findet sich schon in den alten Taufsymbolen 2 ), bei Ignatius von Antiochien („wo Christus Jesus ist, da ist auch die katholische Kirche" 3 ), im Martyrium Polycarps („im Gedenken . . . an die über den ganzen Erdkreis verbreitete katholische Kirche" 4 ) - unter anderen. Zweitens wird die Kirche katholisch genannt im Sinne von „orthodox", das heißt im Gegensatz zu den verschiedenen häretischen und schismatischen Kirchen 5 ), denn sie führt fort und erhält, „was immer und überall von allen geglaubt wurde" 6 ), sie lehrt „katholisch und unablässig alle Dogmen, die zu des Menschen Kenntnis gelangen sollen" 7 ). Also wird die Kirche auch in diesem Sinne katholisch genannt, weil sie ein und dieselbe ist, immer1, überall und in ununterbrochener Fortdauer ; sie lehrt und bekennt ein und dieselbe orthodoxe Glaubenslehre in gleichbleibender Gestalt und hat im wesentlichen ein und denselben Ritus und ein und dieselbe Verwaltung. Drittens bedeutet die Katholizität jedoch auch die Einheit, Ganzheit und Wesensgleichheit der Kirche und des Leibes Christi, das heißt, der Fülle des, der alles in allen erfüllt (Eph. i , 23). Dies erklärt sich aus der organischen Einheit aller lebenden und verstorbenen Gläubigen, die ja im Leibe Christi leiblich zu einer einzigen Ganzheit vereint sind, in der der Herr „alles in allen" ist. So betrachtete schon das Urchristentum die Glieder der Katholischen Kirche als Glieder Christi, als eine mit Gott vereinigte „unbefleckte Einheit" 8 ). Diese Einheit und Ganzheit jedoch lebt in der „Gemeinschaft der Heiligen" und umfaßt und vereint alle lebenden und abgeschiedenen Glieder des einen mystischen Leibes Christi. Daraus geht hervor, daß die Katholizität nicht nur ein quantitatives, sondern zugleich ein qualitatives Kennzeichen der Kirche ist; man darf sie nicht nur im eigentlichen Sinne Cyrill V.Jerusalem, Catech. 18, 23. MigneP. G. 33, col. 1044; vgl. auch Irenaeus, adv. haer. I, 10, 1 : „ Ü b e r den ganzen Erdkreis bis an die Enden der Erde verstreut" (Migne P. G . 7, col. 549) und Athanasius d. Gr., Interpr. ex V . T . (Migne P. G. 28, col. 724): „Sie ist katholisch, weil sie als über die ganze W e l t verbreitet existiert." 2
) Siehe Joh. Karmiris, a. a. O. I, S. 44 f.
3
) Ignatius v. Antiochien, Smyrn. 8. Migne P. G. 5, col. 7 1 3 . 4 ) Migne P. G. 5, col. 1036; vgl. auch die Praef., ebenda, col. 1029: „ . . . und allen Niederlassungen der heiligen und katholischen Kirche an jedem O r t " . 6
) V g l . auch Cyrill
v. Jerusalem,
Catech. 18, 26, 27. Migne P. G. 33, col. 1048.
6
) Vincenz v. Lerin, Commonit. prim. 2. Migne P. L. 50, col. 640.
7
) Cyrill
8
v. Jerusalem,
Catech. 18, 23. Migne P. G. 33, col. 1044.
) Ignatius, Ephes. 4. Migne P. G. 5, col. 648, 736.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
des Wortes und räumlich verstehen, sondern muß sie metaphorisch, theologisch und metaphysisch verstehen. Letztens ist die Kirche auch apostolisch zu nennen, weil sie vom Herrn als dem ersten und größten „Apostel" (Gal. 4, 4; Hebr. 3, 1) gegründet wurde, und ganz besonders, weil sie erbaut ist „auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist" (Eph. 2, 20), also, weil sie ihren Anfang auf die Apostel zurückführt, deren Lehre sie samt den übrigen Überlieferungen und Anordnungen unverändert hält. In der Tat bewahrte die Orthodoxe Kirche die Lehre der Apostel unversehrt und unverfälscht und lehrt sie unverändert und ohne Neuerungen hinzuzufügen, denn sie hat „zwölf Grundsteine und auf ihnen die Namen der Zwölf Apostel des Lammes" (OfFbg. 2 1 , 14). Sie weicht nie von der Lehre ab, wie sie sie von den Aposteln empfangen hat, selbst „wenn ein Engel vom Himmel etwas anderes verkünden würde" (Gal. 1 , 8). Sie besitzt dieselbe Organisation und Verwaltung und ganz allgemein dieselben inneren und äußeren Kennzeichen wie die Apostolische Kirche, mit Bischöfen, „welche der heilige Geist gesetzt hat, zu weiden dieKirche Gottes" (Act. 20, 28), mit Presbytern und Diakonen „samt der ganzen Kirche" (Act. 15, 22). So tritt also die Apostolizität der Orthodoxen Kirche an ihrem apostolischen Ursprung und ihrer apostolischen Herkunft, an ihrer apostolischen Lehre und an ihrer ununterbrochenen apostolischen Sukzession in Erscheinung. Demnach übertragen sich die Gaben der göttlichen Gnade und Wahrheit, die übrigens nicht nur auf einen, sondern auf alle in demselben Glauben und derselben Liebe vereinten Apostel ausgegossen wurden, fortgesetzt und unaufhörlich auf deren Nachfolger, die Bischöfe. Dies geschieht durch die ununterbrochene apostolische Sukzession - die Kette der fortdauernden Sukzession und der Gnade brach niemals ab - , die die orthodoxen Bischöfe und die in Wahrheit die Urkirche fortsetzende Orthodoxe Kirche des Ostens ununterbrochen mit den Aposteln verbindet. Sie ist darum im vollsten Sinne des Wortes apostolisch. Betreffs des Hauptes und der Verfassung schließlich beschränken wir uns auf die Bemerkung, daß die Orthodoxe Katholische Kirche als alleiniges Haupt der Kirche unsern Herrn Jesus Christus anerkennt, und daß sie seit alter Zeit, besonders aber von dem Patriarchen von Konstantinopel Photius an und bis auf den heutigen Tag die lateinischen Theorien und Ansprüche bezüglich des monarchischen Jurisdiktionsprimats, der absolutistischen Machtbefugnisse und der Infallibilität des Bischofs von Rom beharrlich zurückweist 1 ); denn Christus selbst „ist das Haupt des Leibes So lehrt die Confessio der Synode von Konstantinopel ( 1 7 2 7 ) : „ I n dieser Apostolischen Kirche ist kein anderes Haupt anzuerkennen als unser Herr Jesus
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
99
der Kirche; er ist der Anfang und der Erstgeborene von den Toten, auf daß er in allen Dingen den Vorrang habe" (Kol. 1, 18) 1 ). W i e nun jeder Leib nur ein Haupt haben kann, so hat auch der eine Leib der Kirche nur ein Haupt, nämlich den Herrn; er kann nicht auch noch ein anderes Haupt haben. Die Orthodoxe Kirche bewahrt in der Verwaltung der Teilkirchen Christus allein, der der Kirche für alles vom Vater gegeben ist. Ihn nennt der selige Apostel ihren Grund, wenn er sagt: „einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus, und dieser ist das Haupt der Kirche". Es ist nicht so, daß der Papst von Rom die heilige und katholische Kirche als ihr Haupt führt, sondern er unterliegt den Synoden als Glied der Kirche und als einer, der sündigen kann - nicht nur als einfacher Mensch, sondern auch wenn er ex cathedra lehrt. Was das Rechte und die Wahrheit angeht, wird er gerichtet und zur Rede gestellt und korrigiert und unterliegt, wenn er fehlen sollte, der Kirchenzucht der heiligen Synode, weil er Glied und nicht Haupt der heiligen katholischen Kirche ist." (Mansi, Concil. 37, 901/903. Joh. Karmiris, a. a. O. II, 867.) Ähnlich lehrt auch ein Jahrhundert früher die Confessio des Metrophanes Kritopoulos: „Man konnte niemals in der Katholischen Kirche hören, daß ein sterblicher und tausend Sünden schuldiger Mensch Haupt der Kirche genannt w ü r d e . . . , denn die Kirche bedarf eines unsterblichen Hauptes, das - am höchsten Orte sitzend und fürwahr vergottet - alles beaufsichtigen und zum Besseren hinwenden kann. Dieses Haupt der Katholischen Kirche ist der Herr Jesus Christus, der das Haupt aller ist, durch welche der ganze Leib zusammengefügt ist; da dieses Haupt für immer lebt, lebt mit ihm auch die Kirche, die von diesem unsterblichen und vergotteten Haupt gelenkt und geleitet wird." (Joh. Karmiris, a. a. O. II, 560.) Wir halten es für überflüssig, hier die unzähligen ähnlichen Zeugnisse beizufügen, aus denen sonnenklar hervorgeht, daß die Orthodoxe Katholische Kirche über einen einfachen Ehrenprimat in dem wahren altchristlichen Sinne hinaus den später im Westen zusammengeschmiedeten päpstlichen Iurisdiktionsprimat nicht annimmt, der ja endgültig auf dem vatikanischen Konzil entwickelt wurde und in der päpstlichen Unfehlbarkeit seine Vollendung fand. Von daher sind die gegenteiligen Behauptungen römischkatholischer und einiger anderer heterodoxer Theologen, wie Fr. Heiler (a. a. O., S. 220 ff.) und anderer, als gänzlich unbegründet und ungenau zu tadeln. Uber den orthodoxen Standpunkt siehe ferner Chrysostomus Papadopoulos, Der Primat des Bischofs von R o m (griech.), Athen 1930 und Philaret Vaphidis, Der Primat des römischen Papstes (griech.), Saloniki 1929. *) Als Haupt der Kirche bezeichneten den Herrn schon die Alexandriner Clemens, Paed. II, 8 (Migne P. G. 8, col. 485) und Strom. III, 17 (ebenda 1208), und Origenes, Eclogae in Deut. 16 (Migne P. G. 17, col. 28): „Christus ist der wahre .Ecclesiastes', das Haupt der Kirche"; und Contra Celsum VI, 79 (Migne P. G. 1 1 , col. 1417): „Christus ist das Haupt der Kirche, so daß also Christus und die Kirche ein Leib sind." Darüber hinaus heißt es bei Clemens: „Der Herr selbst weidet uns in Ewigkeit" (Paed. I, 4. Migne P. G. 8, col. 261).
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
wie ihrer Ganzheit die alte synodale Verfassung, welche ja im orthodoxen christlichen Osten von alters her angewandt wurde und der Kirche reiche Früchte brachte - und auch in Zukunft bringen kann. Die höchste Verwaltungsbehörde der gesamten Orthodoxen Katholischen Kirche ist also die Ökumenische Synode, das heißt die Gesamtheit der Bischöfe als Nachfolger der Apostel, deren Einheit die Einheit der Personen der heiligen Trinität widerspiegelt, die höchsten Verwaltungsbehörden ihrer autokephalen Teilkirchen jedoch sind die periodisch zusammentretenden Synoden der jeweiligen Hierarchie. Diese werden durch die nur aus wenigen Mitgliedern bestehenden Ständigen Synoden vertreten. Ebenfalls bilden die höchste Verwaltungsbehörde der örtlichen Eparchialkirchen die Bischöfe, denen die Presbyter und Diakonen unterstehen1). Die drei Ränge des Priesterstandes, der des Bischofs, der des Priesters und der des Diakons, werden in der Kirche durch das Sakrament der Priesterweihe konstituiert. So werden also alle Liturgen der Kirche in ihr durch die Handauflegung des Bischofs und die Anrufung des heiligen Geistes geweiht und somit durch die göttliche Gnade befähigt, ihren dreifachen Dienst der Lehre, des Priesteramtes und der Seelsorge auszuüben, der in dem dreifachen Amt des Herrn wurzelt. Schon die ersten Christen glaubten, und so die gesamte orthodoxe Welt bis auf den heutigen Tag, daß „unter den Menschen das Priestertum das höchste aller Güter ist" 2 ), und daß es ohne die Geistlichen „keine Kirche gibt" 3 ). Als unmittelbare Nachfolger der Apostel, der unmittelbaren Nachfolger des Herrn, besitzen nun die Bischöfe die gesamte kirchliche Vollmacht und üben sie kraft göttlichen Rechts und kraft des göttlichen Begründers der Kirche rechtmäßig aus. Jeder Bischof übt in seiner eigenen bischöflichen Diözese die höchste kirchliche Vollmacht aus, die ihrerseits ihren Ursprung in dem dreifachen Amt des Herrn hat und sich auf die Verkündigung des Wortes Gottes, auf den Vollzug der Sakramente und auf das Hirtenamt gegenüber der Herde bezieht; „der Bischof ist der höchste 1 ) Es versteht sich, daß die Kirche, obgleich sich in ihr Hirten und Herde, Klerus und Laienvolk unterscheiden, trotzdem ein Leib ist, der Leib Christi, wie wir anfangs gesehen haben, und wie es Gregor v. Nazianz in bester Weise ausdrückt: „Denn in Christo sind wir alle ein Leib, obgleich wir einzeln Christo angehören und einander Glieder sind; eines führt und hat den Vorsitz, das andere wird geführt und geleitet; und doch tun beide nicht dasselbe, da das Führen und Geführtwerden nicht dasselbe sind; und beides wird eins, wird zu einem Christus, von demselben Geist zusammengefügt und zusammengesetzt" (Or. 32, 1 1 . Migne P. G. 36, col. 185). 2
) Ignatius, Smyrn. 9. Migne P. G. 5, col. 855. ) Ignatius, Trall. 3. Migne P. G. 5, col. 780.
3
Abriß der dogmatischen Lehre
der orthodoxen
katholischen
Kirche
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Träger der kirchlichen Gewalt. . ., er vertritt den vom Herrn durch die Apostel eingesetzten höchsten Rang der Priesterwürde, er ist der höchste Hirte einer jeden Teilkirche, dessen geistlicher Vollmacht sich Klerus und Laienvolk unterordnen" 1 ). Deshalb heißt es auch: „ W o der Bischof sich zeigt, da sei auch die Gemeinde, wie da, wo Jesus Christus ist, auch die Katholische Kirche ist. Es ist nicht recht, ohne den Bischof zu taufen oder das Liebesmahl zu halten . . . Schön ist es, von Gott und dem Bischof zu wissen . . ." 2 ). Alle Bischöfe ohne Ausnahme, einschließlich der Patriarchen (=Bischöfe) stehen zueinander in gleichem Verhältnis. Das gilt auch für den Ökumenischen Patriarchen, der einfach ehrenhalber primus inter pares ist. So ist also die Orthodoxe Katholische Kirche allgemein gesprochen eine hierarchische Kirche, insofern als sie, im weiten Sinne des Wortes, eine hervorgehobene Stellung der Hierarchie kennt, besonders der Bischöfe gegenüber den Laien. Trotzdem ist sie jedoch keine hierokratische Kirche. Deswegen räumt sie auch den Laien die ihnen zukommenden Rechte im Lehramt, in der Verwaltung, im Kult und, allgemein gesagt, im gesamten kirchlichen Leben ein. Auch der Apostel Petrus charakterisiert sie ja als das „auserwälilte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk des Eigentums . . . " (I. Petr. 2, 9). Klerus und Laienvolk zusammen sind ja eine Gemeinschaft des Lebens und des Kultes - der eine mystische Leib Christi.
4. Die
Sakramente
Die den Gläubigen in und von der Kirche gewährte rechtfertigende und heiligende göttliche Gnade wird ihnen durch die heiligen Sakramente vermittelt. Diese sind von Gott vorgeschriebene Verrichtungen und vermitteln auf geheimnisvolle Weise durch wahrnehmbare Zeichen die unsichtbare göttliche Gnade. Daher werden die Sakramente bei würdi) Ch. Androutsos, Dogmatik (griech.), S. 287.
x
) Ignatius, Smyrn. 8 - 9 . Migne P. G. 5, col. 7 1 3 . W a s den Bischofsrang anbelangt,
2
so hält die Orthodoxe Katholische Kirche in der Tat durch alle Jahrhunderte hindurch an der Lehre des heiligen Ignatius fest, welche der Patriarch Dositheos wiederholt, wenn er sagt: „So ist das Bischofsamt in der Kirche notwendig, so daß ohne dasselbe weder die Kirche noch irgendein Christ da sein kann oder überhaupt genannt werden könnte ; denn als apostolischer Nachfolger . . . ist er eine lebende Ikone Gottes auf Erden . . . So meinen wir also, daß er in der Kirche notwendig ist wie die Atmung für den Menschen und die Sonne für die W e l t . . . W a s Gott in der himmlischen Kirche der Erstgeborenen und was die Sonne in der W e l t ist, das ist ein jeder Hierarch in seiner Teilkirche." (Conf. 10. a. a. O. II, 752/753-)
Karmiris,
102
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
gern Empfang zu Werkzeugen und Mitteln, die die rettende göttliche Gnade übertragen; anders ausgedrückt, werden sie „für die Eingeweihten zu wirksamen Werkzeugen der Gnade" 1 ). Sie machen die Gläubigen zu Teilnehmern am Erlösungswerk des Erretters und vereinen sie mit Gott; sie sind also keine bloßen Zeichen der Verheißungen Gottes. Durch die Sakramente wirkt die heilsame Kraft Gottes auf die Menschen ein, und auf diese Weise vervollständigt sich durch sie in Gnade und Kraft des heiligen Geistes die Heiligung der Gläubigen. Aus diesem Grunde haben die Sakramente im orthodoxen Bewußtsein eine solch hohe Stellung, daß auch „die Kirche selbst durch die Sakramente gekennzeichnet wird, wie sie Leib Christi ist und aus einzelnen Gliedern besteht" 2 ). Es gibt sieben Sakramente, nämlich Taufe, Chrisma, göttliche Eucharistie, Buße, Priesterweihe, Ehe und Ölung. Von diesen sind drei unwiederholbar 3 ): die Taufe, das Chrisma und die Priesterweihe; die übrigen vier sind wiederholbar. Jedes Sakrament vermittelt eine besondere göttliche Gnade: die Taufe und die Salbung die der Wiedergeburt und Rechtfertigung ; die göttliche Eucharistie die der geistlichen Nahrung und der Heiligung; die Sakramente der Buße und der Ölung die der Gesundung von Leib und Seele, die Priesterweihe und die Ehe die Befähigung zu besonderen Pflichten. Die Vollkommenheit und Ganzheit der Sakramente ist von ihrer göttlichen Verordnung und Einsetzung durch den Herrn abhängig, welcher ) Dositheos, Conf. 15, bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, 758.
1
) Nikolaus Cabasilas, Liturgiae Expositio 3 7 - 3 8 . Migne P. G. 150, col. 4 5 2 - 4 5 3 :
2
„ D i e Kirche wird durch die Sakramente gekennzeichnet nicht wie in Symbolen, sondern auf solche Weise, wie im Herzen die Glieder, in der Wurzel die Zweige und, wie der Herr sagte, wie am Weinstock die Reben; denn es besteht hier nicht nur eine Gemeinsamkeit des Namens oder eine Analogie der Ähnlichkeit, sondern Gleichheit der Sache. Denn die Sakramente sind ja Leib und Blut Christi . . . Die Gläubigen leben bereits durch dieses Blut das Leben in Christo, sie sind wahrlich von eben jenem Haupt abhängig, und dieser Leib hält sie umfaßt. Darum ist es nicht unbillig, daß hier die Kirche durch die Sakramente gekennzeichnet wird." 3
) Es ist hier zu bemerken, daß die Orthodoxe Katholische Kirche die lateinische
Lehre von dem unzerstörbarem Charakter (charakter indelebilis) dieser Sakramente nicht angenommen hat (siehe K. Dyovouniotis, Die Sakramente der Orthodoxen Ostkirche (griech.), Athen 1 9 1 3 , S. 2 4 - 3 0 . Ch. Androutsos, a. a. O., S. 3 1 4 / 1 5 ) ; es wird jedoch festgehalten an dem, was von frühen östlichen Vätern allgemein über das „unzerstörbare, unverlöschbare und unantastbare Siegel" gelehrt wurde (vgl. Cyrill v. Jerusalem,
Praecatech. 16, 17.. Migne P. G . 33,
col. 3 6 5 ; Basilius d. Gr., in bapt. sanct. 5. Migne.P. G. 3 1 , col. 433).
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
103
auch ihr unsichtbarer Liturg ist, „der f ü r uns zelebriert" 1 ), außerdem von ihrem kanonischen und zweckentsprechenden Vollzug durch den kanonisch dazu eingesetzten Geistlichen. Sie wirken ex opere operato und ex opere operantis, denn sie sind keinesfalls v o m Glauben und der ethischen Beschaffenheit dessen, der vollzieht, oder dessen, der empfängt, abhängig, und jede magische und mechanische Wirkungsweise und Übertragung ist ausgeschlossen. So ist also der die Sakramente vollziehende Liturg einfach das Werkzeug des Herrn, der sie unsichtbar bewirkt, ihren Vollzug unsichtbar leitet und vollführt (so wird z. B . in der göttlichen Liturgie zu Gott gebetet: „mache dieses Brot u s w . " , denn „ d u bist es, der darbringt und dargebracht wird" 2 ). A u f der anderen Seite hängt nicht der Vollzug der Sakramente, sondern nur ihre Wirkung und ihr Einfluß auf den, der dieselben empfängt, von dessen Glauben und Gebetsvorbereitung ab, die nur Mittel zur Aufnahme und Annahme sind; denn ohne sie „ißt und trinkt derjenige sich selbst zum Gericht, welcher unwürdig ißt und trinkt" (I. Kor. 1 1 , 29). So bestehen und wirken die Sakramente also unabhängig v o m Glauben dessen, der sie empfängt, und dies trifft f ü r sie nicht nur während des Empfangs zu, sondern auch f ü r die Zeit davor und danach (z. B . bei der göttlichen Eucharistie). Ferner anerkennt die Orthodoxe Katholische Kirche - streng genommen keine außerhalb von ihr vollzogenen Sakramente, denn sie glaubt, daß die göttliche Gnade außerhalb der wahren Kirche nicht wirksam ist; nur in Ausnahmefällen kann sie der Ökonomie halber und aus Nachgiebigkeit die Sakramente Heterodoxer, die zu ihr kommen, anerkennen 3 ). Die Orthodoxe Kirche anerkennt die genannten sieben Sakramente, die von alters her im orthodoxen Osten bekannt waren, geglaubt und vollzogen wurden und beständig von der liturgischen Praxis getragen werden. Die Lehre von den Sakramenten wurde jedoch weder niedergeschrieben, da sie als Geheimlehre betrachtet wurde, noch sah sich die Kirche je veranlaßt, ihre Siebenzahl offiziell festzusetzen, da diese von niemandem 1
) Joh. Chrysostomus, in I. Kor. hom. 8, 1 : „Gott ist gewohnt auch durch U n -
würdige zu wirken . . . Dem Dargebrachten fügt der Mensch nichts hinzu, sondern das Ganze ist das W e r k der Kraft Gottes, und jener ist es, der für uns zelebriert (o fjvoraycoyâyv)"
(Migne P. G. 61, col. 69), während im Gegenteil
„der Priester" einfach „seine Zunge leiht und seine Hand zur Verfügung stellt", (in Joan., hom. 86, 4. Migne P. G. 59, col. 472.) Vgl. auch Gregor v.
Nazianz,
Or. 40, 26 in Bapt. sanct. Migne P. G. 36, col. 396. Jeremias II., Responsio I ad Lutheranos, bei Joh. Karmiris, a. a. O., I, 391 ff. 2 3
) Die Chrysostomusliturgie, bei Joh. Karmiris, a. a. O., I, 255, 260. ) Siehe Joh. Karmiris, W i e sind die zur Orthodoxie kommenden Heterodoxen
aufzunehmen? (griech.), Athen 1954.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
bezweifelt wurde. Sie wird im Gegenteil hinreichend bezeugt sowohl von den älteren orthodoxen Kirchenvätern, als auch selbst von den Nestorianern und Monophysiten, die sich im 5. Jahrhundert vom Leib der alten Katholischen Kirche getrennt und die Sakramente damals von ihr übernommen hatten. Sie waren dem Osten und dem Westen gemeinsam, und so erhoben sich zur Zeit des Schismas keine Zweifel bezüglich ihrer Anzahl, bzw. der Vermehrung oder Verminderung derselben in der östlichen oder in der westlichen Kirche 1 ). In der heiligen Taufe nun, diesem Bad der Wiedergeburt und Erneuerung durch den heiligen Geist, ziehen die Gläubigen Christus an, sie legen den alten, der Sünde verhafteten Menschen ab und treten wie durch eine Tür in die Kirche als das Königtum der Gnade ein. Sie empfangen die Wiedergeburt, Wiedererneuerung, Neuschöpfung und Neugründung ihrer Natur und die Neubildung des göttlichen Bildes in ihnen, sie werden also Glieder des mystischen Leibes Christi, Kinder Gottes nach der Gnade und Teilhaber der göttlichen Natur durch die Teilhabe am heiligen Geist. Nach Chrysostomus „haben wir durch die Taufe Vergebung der Sünden, Heiligung, Teilnahme am heiligen Geist, Kindschaft und ewiges Leben empfangen" 2 ), und nach Basilius d. Gr. ist die Taufe „der Gefangenen Lösegeld, der Schulden Vergebung, der Sünde Tod, der Seele Wiedergeburt, ein lichtes Kleid, ein unangetastetes Siegel, ein Wagen, der zum Himmel führt, des Königreiches Vermittler und der Kindschaft Charisma" 3 ). Durch dieses Sakrament werden die gläubigen Menschen von der Erbsünde und von allen willentlich begangenen Sünden (die der mündigen, erwachsenen Menschen) rein, indem zusammen mit der Strafverschuldung der Leib der Sünde selbst, außer der concupiscentia, ausgerissen und ausgetilgt wird. So werden sie mit Gott versöhnt, gerechtfertigt und gnadenhalber der Gotteskindschaft gewürdigt, wenn sie als Glieder und Bürger der Kirche eingetragen werden. Wir betonen noch einmal, daß durch die Taufe die volle, vollkommene und vollständige Vergebung, die Entwurzelung und Tilgung der Ursünde und der anderen, persönlichen Sünden und die ontologische Zerstörung des Leibes der Sünde selbst und also auch der Ursache des Todes geschieht, denn „durch die Sünde ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen" (Rom. 5, 12). So heißt es bei dem Patriarchen Dositheos: „Man darf nicht sagen, daß durch die Taufe die irgendwie vor ihr begangenen Sünden nicht getilgt würden, sondern bestehen blieben, aber nicht mehr *) Vgl. Joh. Karmiris, Orthodoxie und Protestantismus (griech.), S. 148 ff. 2
) Johannes Chrysostomus, in Act., hom. 14, 3. Migne P. G. 60, col. 285.
3
) Basilius J. Gr., Hom. 13, 5. Migne P. G. 31, col. 433.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
105
mächtig seien . . . Man muß vielmehr sagen, daß jede vor der Taufe vorhandene oder geschehene Sünde verschwindet und als nicht vorhanden oder geschehen gezählt wird" 1 ). Folglich „befreit uns" die Taufe „von allem Makel, so daß wir Gottes heiliger Tempel und durch Teilhabe am heiligen Geist auch Teilhaber an seiner göttlichen Natur werden" 2 ). Zum Wesen des Sakraments der Taufe gehört notwendigerweise das von einem Bischof oder Presbyter zu vollziehende dreimalige Untertauchen des Täuflings im geheiligten Wasser (soweit es sich um die normale Taufe handelt und nicht um eine Nottaufe oder die Taufe eines Bettlägrigen). Das geschieht mit den Worten: „Getauft wird der Knecht Gottes (Namensnennung) auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes"3). Nur die Nottaufe kann auch von einem Diakon oder getauften Laien beiderlei Geschlechts vollzogen werden. Das Sakrament der Taufe ist aus dogmatischen Gründen unwiederholbar: wie man im physischen Leben nur einmal geboren werden kann, so kann man auch im geistlichen Leben nur einmal wiedergeboren werden; oder: „Wie Christus kein zweites Mal gekreuzigt werden kann, so kann man auch kein (zweites Mal) getauft werden" 4 ). Deshalb wiesen wir anderswo 5 ) auf die größtmögliche Einschränkung der Aufnahme durch Taufe von Heterodoxen hin, die zur Orthodoxie kommen; denn aus konfessionalistischem Eifer und ohne Kenntnis der Sachlage besteht die Gefahr, daß jemand der Wiedertaufe verfällt und so das zentrale christliche Dogma „ich bekenne eine Taufe" 6 ) verletzt. Mit dem Chrisma empfangen die Getauften die Gaben des heiligen Geistes und seine Kraft, die das mit der Taufe begonnene neue geistliche Leben stärkt und in ihnen entfaltet. So „wird durch das sichtbare Myron der Körper gesalbt, durch den heiligen und lebenspendenden Geist aber Conf. 16, bei Joh. Karmiris, a. a. O., II, 760. ) Cyrill v. Alexandrien, in Luc. 22. Migne P. G. 72, col. 904. 3 ) Nur diese kanonische Taufformel kennt bereits die alte Kirche, wie ihre Synoden und Väter bezeugen; wir beschränken uns hier auf Basilius d. Gr., der folgendes schreibt: „Durch dreimaliges Untertauchen und unter dreimaliger Epiklese ist das große Sakrament der Taufe zu vollziehen, damit sowohl des Todes Gestalt dargestellt werde als auch die Täuflinge durch die Lehre der Gotteserkenntnis zur Erleuchtung der Seelen gelangen" (De Spiritu Sancto 15, 35. Migne P. G. 32, col. 129). 4 ) Joh. Chrysostomus, in Hebr., hom. 9, 3. Migne P. G. 63, col. 79. Joh. v. Damaskus, a. a. O., IV, 9. Migne P. G. 94, col. 1 1 1 7 . 6 ) Joh. Karmiris, W i e sind Heterodoxe, die zur Orthodoxie kommen, aufzunehmen? S. 3off. 6 ) Joh. Karmiris, a. a. O., I, 134. 2
ioö
Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht
die Seele geheiligt", da die Salbung „der heilige Geist selbst ist. . . die Gabe Christi und des heiligen Geistes, welche durch die Gegenwart seiner Gottheit wirksam wird" 1 ). Während also die Taufe sozusagen die neue, geistliche Natur in Christo vermittelt, wird diese durch das Chrisma weiterentwickelt und vervollkommnet und bildet Christus in dem Neugetauften. Es ist die Bestätigung und Vollendung der Taufe. Aus diesem Grunde wird das Chrisma mit der Taufe zusammen vollzogen. Die Orthodoxen erteilen es denen, „die vom Taufstein (xoXvjxßrjTQa) mit dem heiligen Wasser zurückkehren" 2 ), sogleich anschließend. Aus demselben Grund wird übrigens auch die Taufe in frühem Alter erteilt. Der Bischof oder Presbyter salbt die verschiedenen Glieder des Leibes der Neugetauften kreuzförmig mit dem aus vierzig verschiedenen wohlriechenden Holzarten zubereiteten heiligen Myron und spricht dazu: „Das Siegel der Gabe des heiligen Geistes, Amen." Das Chrisma, einmal kanonisch vollzogen und empfangen, ist unwiederholbar; die Salbung derer, die aus den Häresien zur Orthodoxie kommen, bedeutet keine Wiederholung des Sakraments der Myron-Salbung, sondern ist eben der erste Vollzug desselben an ihnen, da es bei den Häretikern kein wahres Priestertum, kein echtes Chrisma und also auch keine wirkliche Übermittlung der Gaben des heiligen Geistes gibt. So wurden auch in der Urkirche „die von jeder Häresie Herbeikommenden gesalbt, da sie ja das heilige Chrisma noch nicht hatten" 3 ). In der göttlichen Eucharistie erhalten die Gläubigen Anteil an dem wahren Leibe und Blute Christi. Sie werden mit ihm mystisch und in einem Leibe vereint, werden „gleichen Leibes" und „gleichen Blutes" mit ihm, „Christusträger" und „Gottesträger", wie die frühchristlichen Ausdrücke dafür lauten. Nach Cyrill von Jerusalem nämlich heißt es: „Wenn wir Leib und Blut Christi kommunizieren, werden wir mit ihm gleichen Leibes und Blutes und Christusträger, indem sein Leib und sein Blut sich auf unsere Glieder verteilen, und so „werden wir", nach dem seligen Petrus, „Teilhaber der göttlichen Natur" 4 ). Das von den Gläubigen genossene Fleisch des Herrn, welches durch die hypostatische Vereinigung vergottet und lebendig gemacht wurde, macht eben diese lebendig und vergottet sie gnadenhalber. Sie verHeren jedoch ihre natürliche BeschafCyrill
v. Jerusalem, Catech. 3, 1. M i g n e P . G. 33, col. 1089. V.Jerusalem, Catech. 3, 1. M i g n e P . G. 33, col. 1089; vgl. auch Can. 48 der Syn. v. Laodic., b e i J o h . Karmiris, a. a. O., I, 2 1 5 : „ D i e Erleuchteten sind nach der Taufe mit dem himmlischen Chrisma zu salben, sie sind Teilhaber des Königreiches Christi". 2
) Cyrill
3
) Didymus
4
) Cyrill
v. Alexandrien,
v.Jerusalem,
D e Trinitate II, 15. Migne P. G . 39, col. 720.
Catech. 4, 3. M i g n e P . G. 33, col. 1100.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
107
fenheit nicht, wenn nun göttliches Leben in sie eingeschüttet und eingegossen wird. Diese Vereinigung der Gläubigen mit Christus in einem Leibe bewirkt die Vergebung der Sünden, und ebenso Unsterblichkeit und ewiges Leben. Wie das gemeint ist, macht ein Gebet aus der Liturgie der Vorgeweihten Gaben deutlich: „Empfangend diese heiligen göttlichen Gaben und durch sie zum Leben gelangend, mögen wir eins werden mit Christus selbst, unserem wahren Gott,. . . auf daß wir ein Tempel werden des allheiligen und anzubetenden Geistes, wenn in uns wohnt und wandelt der Logos, erlöst von aller teuflischen List in Tat und Wort und Gedanke, und erlangen die uns verheißenen Güter" 1 ). Und nach der heiligen Liturgie des Chrysostomus genießen wir Leib und Blut Christi in der göttlichen Eucharistie „zur Vergebung der Sünden, zur Verzeihung der Übertretungen, zur Reinigung der Seele, zur Gemeinschaft des heiligen Geistes, zum Verlangen nach Dir, zur Erfüllung und Erbschaft des Reiches Gottes"2). Die Seele der Kommunikanten wird gereinigt, geheiligt, geistlich genährt und mystisch unsterblich gemacht, der Leib aber empfängt zusammen mit der Seele den Samen der Unvergänglichkeit, der Auferstehung, der Unsterblichkeit und des ewigen Lebens. Ebenso werden die Kommunikanten, die nun mit „Christus gleichen Leibes und Blutes" geworden sind3), Glieder seines mystischen Leibes, welcher ist die Kirche; sie werden mit ihm und untereinander verknüpft und vereint4). Von da aus strömt ihnen göttliches Leben zu und erlangen sie die Vergottung. Nach Maximus dem Bekenner „macht" Christus „sich zur Übermittlung göttlichen Lebens, indem er sich selbst zur Nahrung gibt.. . und sich den Essenden in seiner göttlichen Beschaffenheit zur Vergottung einschüttet"5); und nach Johannes von Damaskus „haben die Menschen, die den heiligen Leib Christi empfangen und sein heiliges Blut trinken, teil und Anteil an der götthchen Natur" 8 ). Demnach werden nun die in der göttlichen Eucharistie mit dem Gottmenschen in einem Leibe vereinten Menschen zu ihrer Vergottung in göttliche Beschaffenheit umgewandelt7). Die Orthodoxe Katholische Kirche glaubt an die Realpräsenz Christi in der götthchen Eucharistie als Folge der Umwandlung der Elemente von Brot und Wein in seinen Leib und J . Goar, Euchologium sive rituale Graecorum2, Venetiis 1730, S. 167. ) Joh. Karmiris, a. a. O., I, 260, 261, 263. 3 ) Cyrill V.Jerusalem, Catech. 4, 1. Migne P. G. 33, col. 1097. 4 ) Vgl. auch Joh. Chrysostemus, in I. Kor., hom. 1 , 4 6 . Migne P. G. 61, col. 200. 5 ) Maximus Confessor, Or. Dom. brev. exp., Migne P. G. 90, col. 877. ') Joh. v. Damaskus, de Imag. Or. III, 26. Migne P. G. 94, col. 1348. 7 ) Siehe oben S. 68 und Gregor v. Nyssa, Or. Catech. 37. Migne P. G. 45, col. 2
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in sein Blut 1 ), und zwar so, daß er in diesem Sakrament hypostatisch und substantiell zugegen ist. Hier bleibt die Orthodoxe Kirche bei der altchristlichen Lehre, ohne ihr Neuerungen hinzugefügt zu haben. Diese Lehre ist einerseits von der VII. Ökumenischen Synode formuliert worden: „Der Herr, die Apostel und die Väter haben das vom Priester dargebrachte unblutige Opfer durchaus nicht bildlich verstanden, sondern als Leib und Blut selber . . . besonders jedoch nach der Konsekration werden sie (die Gaben) als Leib und Blut Christi bezeichnet, sind es und werden als solche geglaubt" 2 ). Andererseits formuliert der Damascener folgendermaßen: „Brot und Wein verwandeln sich in den Leib und das Blut Gottes: wenn du aber nach der Art und Weise fragst, wie das geschieht, so laß dir daran genügen zu hören, daß es durch den heiligen Geist geschieht. . . die Art und Weise aber ist unerforschbar . . . Brot und Wein sind nicht Form des Leibes und des Blutes Christi - das sei ferne - sondern des Herrn vergotteter Leib selbst. . . Das Brot, der Wein und das Wasser der Prothesis werden durch die Epiklese und durch das Hinzutreten des heiligen Geistes auf übernatürliche Weise in den Leib und das Blut Christi verwandelt; sie sind nicht zweierlei, sondern ein und dasselbe . . . MeTaÄrjxpit; heißt es (dieses Sakrament), da wir dadurch die Gottheit Jesu empfangen; Koivwvia wird es jedoch genannt, und ist es wahrhaftig, da wir dadurch mit Christus in Gemeinschaft treten, an seinem Fleisch und an seiner Gottheit Anteil haben und somit dadurch auch untereinander Gemeinschaft haben und miteinander vereint sind. Wenn wir nämlich alle von dem einen Brot empfangen, dann werden wir der eine Leib und das eine Blut Christi und Glieder untereinander, gleichen Leibes mit Christus" 3 ). Es ist hinzuzufügen, daß die Orthodoxe Vgl. auch Joh.Chrysostomus, deprodit.Judae.hom. 1,6. M i g n e G . P . 4 9 , col. 380. 2
) J. Harduin, Acta Conciliorum IV, 369, 372, vgl. auch Theodor v. Mopsvestia,
zu Matth. 26, 26: „ E r sagte nicht: Das ist das Symbol meines Leibes und meines Blutes, sondern ,dies ist mein Leib und mein Blut'; er lehrte uns, daß wir nicht auf die Natur des Vorhandenen sehen sollen, sondern daß diese durch die vollzogene Eucharistie in Fleisch und Blut verwandelt w i r d " (MigneP. G. 66, col. 713). Siehe auch Cyrill u. Alexandrien, in Matth. 26, 27. Migne P. G . 72, col. 452. 3
) Joh. v. Damaskus, a. a. O., IV, 13. M i g n e P . G. 94, col. 1 1 4 5 ff. Es versteht sich
von selbst, daß in der oben dargelegten orthodoxen Wandlungslehre die lateinische Theorie von der Substanzveränderung (transsubstantiatio) keinen Platz finden kann. V o n dieser Lehre wurde nur der terminus technicus „transsubstantiatio" gleich „metousiosis" von einigen nachbyzantinischen Theologen eingeführt, dabei ist er aber nur im patristischen Sinn der „metabole" zu verstehen. Siehe Joh. Karmiris, Heterodoxe Einflüsse auf die Confessiones des 17. Jahrhunderts (griech.), S. 5 6 - 6 1 . Daher „konnte und kann die lateinische scholastische Theorie von der Substanzveränderung von der orthodoxen Theologie und
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Kirche an die ständige und volle Gegenwart des Herrn glaubt, und zwar in jedem Partikel beider Gestalten und an jedem Ort, w o die Eucharistie zelebriert wird. Das Sakrament der Eucharistie wird von einem Bischof oder Presbyter mit gesäuertem (nicht ungesäuertem) Brot und mit Wein vollzogen, der mit Wasser gemischt ist. Die Wandlung geschieht nicht durch die Einsetzungsworte des Heilandes, sondern durch die Anrufung des heiligen Geistes: „Sende deinen heiligen Geist auf uns und diese Gaben hier hernieder, mache dieses Brot zum kostbaren Leibe deines Christus und mache, was in diesem Kelche ist, zum kostbaren Blut deines Christus, verwandle es durch deinen heiligen Geist" 1 ). Dieses Sakrament ist ebenso heilsnotwendig wie das der Taufe, und darum kommunizieren auf Grund von Matth. 26, 27 nach vorangegangener Gebetsvorbereitung „alle" Orthodoxen, Geistliche wie Laien, unter beiderlei Gestalt. In Ubereinstimmung mit Joh. 6, 53/4 kommunizieren sogar die Kinder sofort nach der Taufe 2 ). Außerdem ist die göttliche Eucharistie nicht nur ein Sakrament, sondern zugleich auch ein Opfer, und zwar einerseits ein Dank-, Bitt- und Lobopfer, andererseits jedoch ein Versöhnungsopfer, Gott unblutig dargebracht „ f ü r alles" 3 ): für die gesamte Welt und die ganze Kirche, „für die Ökumene, für die heilige, katholische und apostolische Kirche 4 ) . . . für alle orthodoxen Christen, die lebenden und die in der Hoffnung der Auferstehung zum ewigen Leben entschlafenen, welchselbiges Opfer nicht aufhören wird bis zum Jüngsten Gericht" 5 ). Freilich versteht es sich, daß durch dieses Opfer nichts Neues zu dem Kreuzesopfer hinzugefügt wird, dessen heilsame Früchte alle Kommunikanten empfangen und sich zu eigen machen. Kirche nicht angenommen werden, die im Sakrament eine metaphysische, oder vielmehr eine nicht erklärbare Umwandlung sieht, und somit jener lateinischen, physischen und logischen Interpretation widerspricht" (ebenda S. 59). Die gegenteilige Behauptung von W. Niesei (a. a. O. S. 126) ist unrichtig. ') Chrysostomusliturgie, bei Joh.
Karmiris,
a. a. O., I, 260/61. V o n uns und
wahrscheinlich auch von anderen jüngeren orthodoxen Theologen werden mit Recht die Einsetzungsworte und die Epiklese zu einem einzigen und untrennbaren Ganzen vereinigt. 2
) Vgl. auch Joh. Karmiris, Die Confessio mit den Antworten des Metrophanes
Kritopoulos an Thomas Goad und seine dogmatische Lehre (griech.), S. 77. 3
) Chrysostomusliturgie: „Das Deinige von dem Deinigen bringen wir Dir,
in allem und durch alles dar". Bei Joh. Karmiris, a. a. O., I, 260. 4
) Ebenda, S. 262. Allgemein wird in der orthodoxen Liturgie oft über die
göttliche Eucharistie als das unblutige Opfer, als die Opferstätte, etc. gesprochen. V g l . ebenda, S. 247, 2 5 1 , 254, 255, 258, 259, 260, 261, 262. 5
) Mogilas,
S. 261.
Confessio I, 107. Ebenda, II, 639. Chrysostomusliturgie, ebenda, I,
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Ebenso findet keine wirkliche Wiederholung des Kreuzestodes des Erlösers statt, der selbst in der Eucharistie auf geheimnisvolle Weise „darbringt und dargebracht wird und die daran teilnehmen, heiligt" 1 ) als Opferpriester und Opfer zugleich, der ihnen die heilsamen Früchte seines Kreuzesopfers vermittelt. In der Buße wird denen, die aufrichtig büßen und ihre Sünden vor einem Bischof oder Priester bekennen, die Vergebung aller nach der Taufe begangenen Sünden von Gott gewährt, wobei man die Buße übrigens auch als zweite Taufe bezeichnet. Athanasius d. Gr. sagt: „Die rechte Buße hebt alle Sünden auf" 2 ). Es ist dabei Gott selbst, der die Vergebung der Sünden gewährt, der das Sakrament vollziehende Geistliche ist nur das Werkzeug, das die Vergebung verkündet. Auf jeden Fall ist es „notwendig, denen die Sünden zu bekennen, welchen die Ökonomie der Sakramente Gottes anvertraut ist" 3 ). Die auf wahre und aufrichtige Buße und Beichte hin gewährte Verzeihung und Vergebung der Sünden ist vollständig und vollkommen; sie bedarf keiner Ergänzung; die vom Priester dem Beichtenden auferlegten Bußübungen sind jedoch bloß heilsame Heilmittel zur Versicherung der erlangten ethischen Genesung und Heilung und zur Entwurzelung der Leidenschaften. Sie sind ein therapeutisches, pädagogisches und korrigierendes Mittel, denen, die Buße tun, zur Besserung und Bestärkung in der Tugend, den anderen zum Exempel. Sie besitzen jedoch keinen Straf-, Sühn- oder Satisfaktionscharakter. Von da aus verwirft die Orthodoxe Kirche die gegenteiligen lateinischen Lehren über die Bußübungen und die Unterscheidung der Strafen in ewige und zeitliche, über die Ablässe, den Schatz der Verdienste Christi und der Heiligen und über das Fegefeuer. Wie wir bereits sagten, wird ja in der Beichte denen, die aufrichtig und von ganzem Herzen bereuen, vollständige und vollkommene Sündenvergebung gewährt. So ist es klar, daß die auferlegten Bußübungen (ennifiia), die ohnedies weder ein wesentlicher Teil des Sakramentes noch dessen Ergänzung sind, einfache therapeutische Heilmittel sind, die der jeweiligen Krankheit entsprechen. Sie werden nicht immer jedem Beichtenden auferlegt, sondern nur denen, bei denen es der geistliche Vater für richtig hält. So können die oben aufgeführten voneinander abhängigen lateinischen Neuerungen im orthodoxen dogmatischen System keinen Platz finden. In der Priesterweihe werden die Liturgen der Kirche durch Handauflegung des Bischofs und durch Anrufung des heiligen Geistes geweiht. Chrysostomusliturgie, ebenda, I, 255, 264. 2
) Athanasius d. Gr., Fragm. in Matth. Migne P. G. 27, col. 1388.
3
) Basilius d. Gr., Reg. brev. tract. 288. Migne P. G. 3 1 , col. 1284.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen
katholischen
Kirche
i n
Das durch die Cheirotonie sich ergebende System einer dreistufigen Hierarchie aus Bischof, Presbyter und Diakon ist deutlich im Neuen Testament und in der heiligen Überlieferung bezeugt. In der Orthodoxen Kirche pflanzt sich die Hierarchie kanonisch unaufhörlich weiter fort, ihren Anfang führt sie durch ununterbrochene Sukzession auf die Apostel selbst zurück. Das Sakrament der Priesterweihe hat in der Orthodoxen Kirche große Bedeutung, eben weil sie hierarchisch ist und die ununterbrochene apostolische Sukzession besitzt, und so ist zu Recht niemand in ihr befugt, ohne Priesterweihe priesterliche und seelsorgerliche Pflichten auszuüben1). Obgleich die Orthodoxe Kirche die außerhalb von ihr vollzogenen Sakramente und daher auch die Priesterweihe heterodoxer Geistlicher im Prinzip nicht anerkennt, kann sie darum der Ökonomie halber die Cheirotonie eines zu ihr kommenden Geistlichen anerkennen, wenn er aus einer heterodoxen Kirche kommt, die die apostolische Sukzession und allgemein die orthodoxe Ekklesiologie besitzt und die Priesterweihe als Sakrament anerkennt und kanonisch vollzieht. Da die Priesterweihe als ein Sakrament ebenfalls unwiederholbar ist, wird die Handauflegung weder bei den orthodoxen Geistlichen wiederholt, die in Häresie gefallen oder ins Schisma übergegangen waren und bußfertig zur Orthodoxie zurückkehren, noch bei denen, die von der Kirche kanonisch abgesetzt worden waren und deren Absetzimg durch ein späteres Synodalurteil oder einen Synodalbeschluß aufgehoben wird 2 ). In dem Sakrament der Ehe wird durch Übermittlung der göttlichen Gnade die aus freiem Entschluß zustandekommende Vereinigung der Gatten geheiligt, damit die Ehe ihr Ziel erreiche. Z u m Vollzug dieses Sakramentes ist unbedingt sowohl die beiderseitige und freiwillige Zustimmung der sich Bindenden (die übrigens beide orthodoxe Christen sein müssen), als auch der Segen des Bischofs oder Presbyters, der die göttliche Gnade übermittelt, erforderlich. Die Ehe ist unauflöslich; Scheidung kann jedoch gewährt werden, aber nur im Falle der Hurerei, 1
) So erklärte auch die orthodoxe Delegation auf der zweiten Vollversammlung
des Weltkirchenrates in Evanston im Jahr 1954 ganz richtig: „Das Pfingstgeheimnis wird in der Kirche allein durch das apostolische Priestertum fortgesetzt; die von den Aposteln herkommende bischöfliche Sukzession ist im Leben der Kirche eine geschichtliche Wirklichkeit und eine der Voraussetzungen ihrer durch Jahrhunderte gehenden Einheit; die Einheit der Kirche wird durch die Einheit des Episkopates . . . und durch die Einheit des Glaubens erhalten" (in „Ekklesia" 3 1 (1954), S. 366). 2
) Vgl. Canon. Apost. 68 und Canon. 48 (57) der Syn. v. Carth., bei Joh.
Karmiris,
a. a. O., I, 2 1 0 und 2 1 7 .
112
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
des Todes eines der beiden Gatten, oder aus sekundären, später hinzugekommenen Gründen. Nach Auflösung der Ehe kann aus Nachgiebigkeit eine zweite und dritte Ehe erlaubt werden, auf keinen Fall jedoch eine vierte. Verboten ist eine Ehe zwischen Personen, die in einem bestimmten Grade blutsverwandt, verschwägert oder durch Patenschaft verbunden sind. Mischehen zwischen Orthodoxen und Heterodoxen sind geduldet unter der Bedingung, daß sie orthodox geschlossen und die Kinder im orthodoxen Glauben aufgezogen werden. In dem Sakrament der Ölung schließlich flehen wir um die göttliche Gnade zur Heilung von körperlichen und seelischen Krankheiten. Dieses Sakrament ist von einem bis zu sieben Priestern durch kreuzweises Bestreichen verschiedener Glieder des Leibes mit geheiligtem Ol bei leicht oder schwer Erkrankten zu vollziehen. Es bezweckt v o r allem die Heilung von körperlichen Krankheiten, in zweiter Linie aber auch die Vergebung der Sünden und besonders derer, welche mit der Krankheit in Verbindung stehen oder wegen der Krankheit nicht gebeichtet werden können. Daraus geht hervor, daß die Ölung in der Orthodoxen Katholischen Kirche allen Getauften, den Großen und den Kleinen, den Kranken und den Gesunden, gewährt und in Dringlichkeitsfällen wiederholt werden kann. Folglich wird es im Gegensatz zur RömischKatholischen Kirche, in welcher dieses Sakrament entgegen Jak. 5, 14 von Lombardus „extrema unetio" genannt und in eine solche abgeändert wurde, in der Orthodoxen „Gebetsölung und nicht letzte Ölung genannt; denn wir warten nicht, bis der Kranke im Sterben liegt, u m dann zur Ölung zu schreiten, sondern wir machen von diesem Sakrament Gebrauch, wenn f ü r seine Gesundheit noch gute Hoffnung besteht. W i r bitten Gott dabei, daß er ihn heile und ihn möglichst schnell von der Krankheit befreie. Daher ist es erlaubt, von diesem Sakrament nicht nur einmal im Leben, sondern viele Male Gebrauch zu machen, gleichwie wir Heilmittel so oft anwenden, wie wir krank sind" 1 ).
5. Die letzten Dinge Im natürlichen Tode verdirbt, verwest und zersetzt sich des Menschen aus Materie bestehender, irdischer, vergänglicher und sterblicher Leib in das, woraus er zusammengesetzt war, während die nicht aus Materie bestehende, geistige, unvergängliche und unsterbliche Seele in dem ersten besonderen Gericht gerichtet wird und hernach im Hadei in den Z w i schenzustand kommt. Der Zwischenzustand dauert bis zur zweiten Paru*) Metrophanes Kritopoulos, Conf. 13, bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, 544/45-
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
113
sie und zur allgemeinen Auferstehung, bei welcher die Seelen mit den nun auferstehenden Leibern wiedervereinigt werden. Mit diesem Ereignis wird zugleich das Weltgericht und das Ende der Welt eintreten, dem ewiges Leben und ewige Strafe folgen. Zunächst bedeutet der Tod, welcher die Strafe und zugleich die Folge der Ursünde und somit ein allgemeines Phänomen ist, nicht die Vernichtung des Menschen, sondern ein Mittel zur Veränderung seines Zustandes. Durch den Tod wird der ethischen Entfaltung des Menschen ein Ende gesetzt, indem jede weitere Entwicklung ausgeschlossen wird und die Vergeltung ihren Anfang nimmt. Es ist zu vermerken, daß der Mensch „im Ungehorsam gegen Gott sich selbst zur Ursache des Todes" 1 ) und „der Vergänglichkeit im Tode" 2 ) wurde. Demzufolge „hat Gott den Tod nicht geschaffen" 3 ), sondern „gewährte ihn dem Menschen als große Wohltat", damit „er (der Mensch) nicht ewiglich der Sünde verhaftet bleibe" 4 ). Sodann werden die eben Verstorbenen von Gott bezüglich des Glaubens, der Aneignung der Erlösung und des sittlichen Lebens vorläufig in einem Vorgericht gerichtet (Sir. 1 1 , 26; Luk. 23, 43; 16, 1 9 - 3 1 ; Hebr. 9, 27). Auf Grund dessen gelangen die von den Leibern getrennten Seelen der Guten sogleich zu Ruhe und Freude, die der Sünder jedoch zu Qual und Schmerz in dem sogenannten Zwischenzustand5). Aber in diesem Zustand sehen, fühlen und schmecken die Seelen nur im voraus etwas von der zukünftigen Fülle und Vollendung der Belohnung oder der Verurteilung, der Seligkeit oder des Elends, die über sie bestimmt sind für das Leben, das nach dem Weltgericht kommen wird. Sie genießen jetzt nur im voraus eine relative Seligkeit oder ein relatives Elend und eine relative Betrübnis, da sie ja die Fülle und Vollendung derselben erst im Jüngsten Gericht und im darauffolgenden ewigen Leben empfangen werden. Dasselbe gilt natürlich ganz besonders für die Seelen der Gerechten und Heiligen, welche, nach Gregor von Nazianz6), nur „in ihrer Vorstellung die ihnen bestimmte Seligkeit gewinnen". Und Chrysostomus sagt, die Gerechten des Alten Testaments und selbst der Apostel Paulus, die ja schon „vor so langer Zeit überwunden haben, haben es doch noch nicht geschmeckt, sondern warten noch . . . bis du es vollenden wirst, um !) Theophilus v. Antiochien, ad Autol. II, 27. Migne P. G. 6, col. 1096. 2
) Athanasius d. Gr., de Incarn. Verbi 5. Migne P. G. 25, col. 105.
3
) Basilius d. Gr., Quod Deus non est Auetor Malorum 7. Migne P. G. 31, col. 345.
4
) Theophilus v. Antiochien, ebenda, II, 26. Migne P. G. 6, col. 1092/93.
6
) Vgl. K. Dyovouniotis, Der Zwischenzustand der Seelen (griech.), Athen 1904,
S. 17fr. Joh. Karmiris, Christi Abstieg in den Hades (griech.), S. 96 ff. •) Or. 7 in Caesar. 21. (Migne P. G. 35, col. 781-84.)
ii4
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
dann den Lohn empfangen zu können" 1 ). „Solange also Christus, der Retter aller, noch nicht vom Himmel herabgestiegen ist, ist weder die Auferstehung geschehen, noch hat jene die Belohnung ihrer Werke erreicht" 2 ). Es versteht sich von selbst, daß die Belohnungen und Strafen für die Seelen im Hades nicht materieller und organischer Natur sind, sondern über unser Vorstellungsvermögen hinausgehen und der Natur der Seelen entsprechen3). W i e in diesem Leben verschiedene Stufen der Rechtfertigung und der Heiligung zu unterscheiden sind, so gibt es im Zwischenzustand in gleicher Weise verschiedene Stufen der Seligkeit und des Elends. Sie entsprechen dem sittlichen Zustand, in dem sich die Menschen im Augenblick ihres Todes befinden; denn dieser Zustand begleitet sie, wie es in OfFbg. 14, 13 heißt4). Außerdem behalten die Seelen im Zwischenzustand einerseits ihr volles Selbstbewußtsein, andererseits „besitzen sie" jedoch „die Unwandelbarkeit" 6 ), da ja nur das zeitliche Leben ein Leben der Buße und der Gnade ist, während es nach dem Tode für die Menschen keine Buße mehr gibt: „keine Umkehr und keine Buße mehr" 6 ). So ist „diese Zeit dieZeit derBuße und jene die des Gerichts" 7 ). 1
) Joh.Chrysostomus, in Hebr. hom. 28,1. MigneP. G. 63, col. 192, vgl. auch das der Konsekration der heiligen Gaben folgende Gebet in der Chrysostomusliturgie: „Wieder bringen wir Dir dar diese geistige Anbetung (Xargeia) f ü r die im Glauben ruhenden Vorväter, Väter, Patriarchen, Propheten, Prediger, Evangelisten, Märtyrer, Bekenner, Asketen und für jeden gerechten Geist, der im Glauben Vollendung erlangt hat"; so auch in anderen östlichen Liturgien bei F. E. Brightman, Eastern Liturgies, Oxford 1896, S. 377/78, 21/22, 56/57, 92/93, 128/29, 169» 275 f. 2 ) Cyrill v. Alexandrien, Adv. Anthropomorph. 16. Migne P. G. 76, col. 1104. 3 ) Vgl. auch Gregor v. Nyssa, Or. Catech. 40. Migne P. G. 45, col. 104. 4 ) Basilius d.Gr. schreibt: „ So werden die einen mit höheren Ehren und die anderen mit niedrigeren geehrt, denn ein Stern unterscheidet sich an Glanz vom anderen; und da es beim Vater viele Wohnungen gibt, sind die einen in der Ruhe im besseren Zustand und höheren und die anderen im niedrigeren" (in Is. 247. Migne P. G. 30, col. 556). 6 ) Joh. v. Damaskus, contra Manich. 75. 37. Migne P. G. 94, col. 1544, 1573. •) Joh. v. Damaskus, a. a. O., II, 4, contra Manich. 75. Migne P. G. 94, col. 877, 1573. Vgl .Joh. Chrysostomus, inTheod. 1 , 9 . MigneP. G. 47, col. 287: „ N u r dann darf die Hoffnung, die von der Buße kommt, aufgegeben werden, wenn wir im Hades sind"; denn, „solange wir in diesem gegenwärtigen Leben stehen, können wir, in dem wir uns ändern, der Strafe entgehen" (in Ps. 9,4. MigneP. G. 55, col. 127), während wir, wenn wir von hier „hinweggerafft sind, nichts mehr vollbringen, und wenn wir es tausendmal wollten" (in Gal. 6, 3. Migne P. G. 61, col. 677). ') Joh. Chrysostomus, de paenit. hom. 9. Migne P. G. 49, col. 346.
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Kirche
115
Auf Grund ihres Selbstbewußtseins besteht jedoch eine Beziehung zwischen den im Zwischenzustand befindlichen Seelen der Verstorbenen und denen der auf Erden Lebenden, also zwischen den Gliedern der triumphierenden und denen der kämpfenden Kirche. Das zwischen ihnen bestehende Band wird nie durch den Tod zerrissen, da ja alle Glieder zusammen der mystische Leib Christi sind. Die Heiligen bitten und treten vor Gott für ihre auf Erden lebenden Brüder ein und also allgemein für die kämpfende Kirche, wobei allerdings das Vermittlungswerk des einen und alleinigen Mittlers durch ihre tatkräftige Fürsprache in keiner Weise verletzt wird 1 ). Die auf Erden Lebenden andererseits ersuchen sie um ihre Fürbitte vor Gott und weihen ihrem Namen Feste und Kirchen, sie erweisen ihnen Ehre, sie ehren sie und verehren sie relativ, aber beten sie nicht an, und sie verehren ihre Ikonen und Reliquien2). So ist diese Ehre also von der Gott allein gebührenden Anbetung zu unterscheiden, „der wahren Anbetung unseres Glaubens, die allein der göttlichen Natur gebührt". Außerdem gilt sie nicht den Ikonen selbst für sich allein, „nicht der Materie, sondern dem Dargestellten", da „die Verehrung der Ikone auf das Urbild übergeht" 3 ). Aber auch über den Dargestellten hinaus „werden durch die Ikonen und die Heiligen Gott Huldigung und Ehre dargebracht" 4 ). Hier gilt im allgemeinen das orthodoxe Prinzip: „niemanden darf man wie Gott verehren, außer allein den, der von Z u r vollständigen Darstellung der zusammenhängenden orthodoxen Lehre siehe bei Metrophanes Kritopoulos, Conf. 1 5 - 1 7 ; Respons. 1 1 ad Goad., bei Joh. Karmiris,
die Confessio des M . Kritopoulos mit den Antworten an Goad
(griech.), S. 86/9. 2
) Die VII. Ök. Syn. lehrt: „ W i r wurden gelehrt, vornehmlich die Theotokos
als rechtmäßig und wahrhaftig zu ehren und zu verherrlichen, denn sie ist höher als alle himmlischen Mächte, dann auch die Heiligen und Engelmächte, und die seligen und allgerühmten Apostel und die berühmten Propheten und die im Kampfe für Christus siegreichen Märtyrer und die heiligen, Gott tragenden Lehrer, und alle heiligen Männer. Weiter wurden wir gelehrt, sie um ihre Fürbitte anzugehen, da sie uns den König aller geneigt machen können, so wir seine Gebote halten und ein tugendhaftes Leben führen wollen; außerdem küssen wir das Zeichen des kostbaren und lebensspendenden Kreuzes, die heiligen Reliquien und die heiligen und ehrwürdigen Ikonen anerkennen wir, was nach der alten Überlieferung der heiligen Katholischen Kirche Gottes so geschieht" (_/. Harduin, Acta Concil. IV, 265). 3
) Definition der VII. Ök. Syn., bei J. Harduin, ebenda, IV, 456 und Joh.
a. a. O., I, 204, Joh. v. Damaskus,
imag. I, 16. 2 1 . Migne P. G. 94, col. 1 2 1 5 , 1252. 4
) Joh. v. Damaskus,
Karmiris,
a. a. O., IV, 16. Migne P. G. 94, col. 1 1 7 2 . De
De imag. III, 26. Migne P. G. 94, col. 1345, 1348.
n6
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Natur Gott ist, allen anderen ist eine bloße Schuldigkeit wegen des Herrn zu erweisen" 1 ). Außerdem stehen die Lebenden und allgemein die kämpfende Kirche mit den im Hades befindlichen Seelen der Sünder in ständiger Verbindung, wenn f ü r diese Liturgien gehalten, Fürbitten, Gebete, Almosen, humane und andere gottgefällige Werke verrichtet und besonders Gedächtnisfeiern abgehalten werden. Für all dies zeugen die liturgischen Texte der alten Katholischen Kirche und die Schriften ihrer Väter 2 ). Durch das von der Kirche dargebrachte unblutige Opfer, durch Gebete und Gedächtnisfeiern wird nur denen, die für das Heil bereit waren und „mit einem frommen Ende und in Buße entschliefen" 3 ), oder, „die in der Hoffnung der Auferstehung des ewigen Lebens entschlafen sind" 4 ), von Gott „ L o h n " und „ G e w i n n " gewährt oder auch „Erholung und Erfrischung denen, so sich in Trübsal befinden" 5 ) - aber in unbestimmter Zeit. Dies wird jedoch nur auf Grund der Güte, des Erbarmens und der Gnade Gottes gewährt, und nicht auf Grund der reinigenden Strafen, die Satisfaktionscharakter der göttlichen Gerechtigkeit tragen, wenn sie von den Seelen im Fegefeuer, wie die Lateiner meinen, abgebüßt werden 6 ). x
) Ebenda, III, 40, col. 1356. Darüber hinaus dürfen die Ikonen und Reliquien selbstverständlich nicht mit der Inkarnation des Gott-Logos, noch die heiligen Ikonen mit den sieben Sakramenten in Beziehung gebracht werden. 2 ) Johannes Chrysostomus versichert, daß die Darbringung der göttlichen Eucharistie für die Entschlafenen „von den Aposteln gesetzlich bestimmt wurde" (Horn. 3, 4 in Philip. Migne P. G. 62, col. 204, vgl. auch Migne 61, col. 361), dasselbe wiederholt auch der Ps.-Damascener, De his qui in fide dormierunt, daß nämlich die für sie stattfindenden Liturgien und guten Werke ihnen von Nutzen seien. Migne P. G. 95, col. 252. 3 ) Syn. v. Konstantinopel 1638, bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, 574. 4 ) Conf. Mogila I, 107. Ebenda, S. 639. 5 ) Syn. von Konstantinopel 1642. Ebenda, S. 580. Es ist offensichtlich, daß die Orthodoxen deren Kraft mehr negativ bestimmen. Sie vermeiden es, die Art und Weise und das Wesen des gewährten „Nutzens" näher zu bestimmen. •) Die Orthodoxe Kirche verwirft, „daß sie durch reinigende Strafen und durch das Fegefeuer gereinigt werden", sie verwirft auch „das strafende und reinigende Feuer, das die körperlose Seele erfaßt", wie es ja die Römische Kirche lehrt (Conf. Dosith. 18, bei Joh. Karmiris, a. a. O. II, 765; vgl. auch Conf. Mogil. I, 66, ebenda, S. 623). Ebenfalls nimmt sie auch nicht an, „daß die vom Tode überraschten wirklich und vollkommen Bußfertigen, die aber keine würdigen Früchte der Buße hervorbringen konnten, bestraft werden", wie es nach der lateinischen Satisfaktionslehre heißt; sie nimmt also die Basis, die deren Dogma vom Fegefeuer zu eigen ist, nicht an, da diejenigen, welche auf solche Weise Buße tun „mit Christus vereint dahinscheiden, von dem sie gerechtfertigt, ge-
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Das Heil wird auch nicht wie bei den Lateinern auf Grund von Strafenerlaß und Ablaßbriefen gewährt, die dort vermöge des Uberschusses an Verdiensten der Heiligen erteilt werden. Alle oben aufgeführten heterodoxen Lehren kennt die Orthodoxe Katholische Kirche nicht, noch nimmt sie diese an 1 ). Deshalb beschränken sich die Orthodoxen von altersher mit Chrysostomus darauf zu glauben, daß die Gedächtnisfeiern den Verstorbenen „viel Gewinn und viel Nutzen" verschaffen2), oder mit Epiphanius, daß „das für sie verrichtete Gebet nützlich ist" 3 ), und mit Cyrill von Jerusalem „glauben wir, daß den Seelen die Fürbitte, die für sie angesichts des heiligen und ehrfürchtigsten Opfers getan wird, von größtem Nutzen sein wird" 4 ). Aber sie wird nur dargebracht „für diejenigen, die der heiligen Gebete würdig sind . . . die in menschlicher Schwachheit Makel" tragen, wie der Pseudo-Areopagite sagt5). Weiter lehrt die Orthodoxe Kirche die zweite Parusie des Herrn, der alle aus diesem Aon Entschlafenen auferweckt, um das Weltgericht zu halten, das die letzte Handlung in seinem königlichen Amt sein wird. Die Zeit seiner zweiten Parusie ist allen unbekannt; nur einige Vorzeichen derselben sind im 24. Kap. des Matthäus-Evangeliums erwähnt. Mit der zweiten Parusie wird die allgemeine Auferstehung aller Toten, „der Gerechten und Ungerechten" (Act. 24, 15) erfolgen, und zwar die Auferstehung des Leibes6), der nun mit der Seele vereinigt wird. Dann werden Leib und Seele - denn durch beide hat der Mensch Gutes oder Böses getan - ihren Lohn und ihre Strafen empfangen. Es ist wirklich so: „Wir erwarten die Auferstehung der Leiber; denn dies macht auch das Wort selbst klar: Auferstehen ist nämlich ein Wiedererstehen; denn der Leib ist das Vergängliche, Verweste und zu Erde Gewordene . . . Deshalb wird also das Wiedererstehen des Leibes mit Recht Auferstehung genannt; heiligt und verherrlicht werden, und mit den Seligen jubeln", weil ihnen „durch Buße Vergebung und durch Vergebung Reinigung" gewährt wurde, und folglich f ü r sie fürderhin kein „ R a u m f ü r Strafe und Strafnotwendigkeit" übrig bleibt (Dositheos, ebenda, S. 766). 1
) Über die damit zusammenhängenden Unterschiede zwischen Orthodoxen
und Lateinern siehe Joh. Karmiris, Eine gebotene Korrektur - die dogmatische Lehre von den letzten Dingen des Patriarchen Dositheos von Jerusalem, Jerusalem 1945, S. ioff. (griech.). 2
) Joh. Chrysostomus, in Philip, hom. 3, 4. M i g n e P. G . 62, col. 203.
3
) Epiphanius, Panarium 75, 8. M i g n e P. G . 42, col. 5 1 3 .
4
) Cyrill v. Jerusalem, Catech. 5, 9. M i g n e P. G . 33, col. 1 1 1 6 .
6
) Dionysius Areopag., Hierarch. eccl. 7, 6 - 7 . M i g n e P. G . 3, col. 5 6 1 .
•) R o m . 8, 1 1 : „ D e r Christum von den Toten auferweckt hat, und eure sterblichen Leiber lebendig machen w i r d . . . "
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
denn für die unsterbliche Seele gibt es ja keine Auferstehung, sondern nur Rückkehr in den Leib" 1 ). Ebenso wird auch die Verwandlung der Lebenden erfolgen. Ihre Leiber werden vergeistigt, unvergänglich und unsterblich gemacht, so daß sie denen der Auferstandenen gleich werden und mit dem begonnenen neuen Leben und dem geistigen Zustand jedes einzelnen übereinstimmen. Gemeinsam werden alle Leiber, die der einen und die der anderen, „ähnlich dem Leibe der Herrlichkeit" (Phil. 3, 21), dem Leibe des auferstandenen Herrn. Cyrill v o n Jerusalem sagt : „Dieser Leib wird a u f e r w e c k t . . . mit Unvergänglichkeit bekleidet wird er u m g e w a n d e l t . . . (und) bleibt e w i g . . ., denn er wird etwas Geistliches, etwas Wunderbares, und was wir auch sagen, bleibt unzulänglich" 2 ). Allgemein werden die Geretteten „ d e m Bilde seines Sohnes gleich" (Rom. 8, 29) sein, „welcher das Bild des unsichtbaren Gottes ist" (Kol. 1, 15 ; II. Kor. 4, 4). So lehrt auch die heilige Überlieferung die zur Zeit der Auferstehung stattfindende Neubildung und dann herrschende Leidenslosigkeit, Unwandelbarkeit, Unvergänglichkeit, Unsterblichkeit und Herrlichkeit des Menschen, die Umgestaltung seines Leibes v o n einem psychischen in einen pneumatischen 3 ) und die Wiedererlangung der alten Schönheit des Bildes Gottes 4 ). „ S o werden w i r also auferstehen, indem die Seelen sich vereinigen mit den unvergänglich gewordenen Leibern, die das Vergängliche abgelegt haben, und werden v o r den furchtbaren Richterstuhl Christi geführt werden 5 )." J) Theodoret v. Cyrus, Haeretic. fabul. comp. 5,19. M i g n e P. G. 83, col. 512. Siehe auchJoh. v. Damaskus, a. a. O . IV, 27. M i g n e P. G. 94, col. 1209: „ W e n n wir A u f erstehung sagen, meinen wir die Auferstehung der Leiber; denn Auferstehung ist das zweite Erstehen des Gefallenen; wie sollten aber die Seelen auferstehen, die ja unsterblich sind?" 2) Cyrill, v. Jerusalem, Catech. 18, 18. Migne P. G. 33, col. 1040. 3) Basilius d. Gr., De Spiritu Sancto 28,69. Migne P. G. 32, col. 197 : „ W i r hoffen im heiligen Geist durch den Glauben an Christus mit ihm auferweckt zu werden und hoffen mit ihm bei den Himmlischen zu sitzen, wenn unser demütiger Leib von einem psychischen in einen pneumatischen umgestaltet w i r d . " 4) Gregor v. Nyssa, D e anima et resurrectione. Migne P. G. 46, col. 156/157 : „ A u f erstehung ist nichts anderes, als die Wiederherstellung des Urzustandes unserer Natur . . . zufolge der wiederkehrenden Gnade . . . indem (der Leib) mit U n vergänglichkeit und den übrigen gottähnlichen Kennzeichen geschmückt w i r d . " V g l . auch Cyrill v. Alexandrien, D e incarn. Domini 28. Migne P. G. 75, col. 1468. Hippolyt, D e resurrectione. Migne P. G. 10, col. 861 : „Sie werden in der Auferstehung . . . in der Unvergänglichkeit, in der Unsterblichkeit und Unveränderlichkeit sein." Methodius, D e resurrectione. Migne P. G. 18, col. 272, 285. Sympos., ebenda, col. 181. 5)
Joh. v. Damaskus, a. a. O . IV, 27. Migne P. G. 94, col. 1228; vgl. auch col. 1100, 1221, 1224.
Abriß der dogmatischen Lehre der orthodoxen katholischen Kirche
119
Da wird das Weltgericht über alle Menschen erfolgen, bei welchem nach den Werken des in der Liebe wirkenden Glaubens geurteilt wird. Die Entscheidung des Richters wird für die Gerechten ewiges Leben sein, für die Sünder aber ewige Bestrafung. Dabei sind jedoch wie beim Zwischenzustand verschiedene Abstufungen zu unterscheiden1). So Chrysostomus: die Sünder „werden gerecht bestraft, und jene (die Gerechten) werden aus Gnade gekrönt; und haben sie auch tausendfältig Werke getan, so ist es doch der Schmuck der Gnade, ihnen für so Weniges und Einfaches einen solchen Himmel, ein solches Reich und solche Ehre zu geben . . ., und das wird keineswegs das Ende des Guten sein" 2 ). Beide Zustände, der der Gerechten und der der Sünder sind als überwahmehmbar und geistig zu charakterisieren. Ihre Ewigkeit wird entgegen den origenistischen Lehren von der „zeitlichen Bestrafung der Dämonen und der unfrommen Menschen" und von der „Apokatastasis" aller, die von der V . Ökumenischen Synode verurteilt wurde 3 ), einstimmig von der heiligen Schrift und von der heiligen Überlieferung gelehrt. Als Letztes wird das Ende der gegenwärtigen Welt eintreten, das heißt durch Umwandlung ihrer Gestalt und ihres Zustandes und ganz allgemein durch ihre Verschönerung und Metamorphosis wird sich ihre „Wiedergeburt" (nahyyeveoia) und Erneuerung vollziehen, so, wie es heißt „wir warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde" (II. Petr. 3, 13), und dies erwarten wir von dem, der da sagt: „Siehe, ich mache alles neu" (Offbg. 21, 5). Und Chrysostomus: Die Welt „wird zum Besseren umgestaltet werden . . . Alles, was der Vergänglichkeit angehört, wird aus dem Wege geräumt werden, und überall wird unvergängliche Pracht walten" 4 ). So wird eine neue verherrlichte Welt aufsteigen, in welcher die durch die Ursünde durch und durch erschütterte und verkehrte Weltordnung und Harmonie wiederhergestellt werden wird. Und die der Eitelkeit unterworfene Schöpfung, die „ohne ihren Willen, sondern um des willen, der sie unterworfen hat", von da an bis jetzt mitseufzt und mitleidet, „wird frei werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes" (Rom. 8, 19-21). Dann wird der Herr das ihm auferlegte Werk zu Ende führen. „Danach V g l . auch Basilius d. Gr., Reg. brev. tract. 267. Migne P. G . 3 1 , col. 1265. 2
) Joh. Chrysostomus,
in Matth, hom. 79, 2. Migne P. G. 58 col. 720; vgl. auch
Migne P. G. 47, col. 295. 3
) Bei Joh. Karmiris, a. a. O. I, 1 7 9 ; vgl. auch Basilius d. Gr., ebenda und H o m .
ad aegrotum. ebenda col. 1 7 1 3 und Reg. fus. tract. ebenda, col. 892. 4
) Joh. Chrysostomus, in Theod. 1, 10. Migne P. G. 47, col. 291.
120
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
das Ende, wenn er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt. . . Wenn aber alles ihm Untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst Untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei alles in allen" (I. Kor. 15, 24-28).
PROF. D R . VASILIOS VELLAS
DIE HEILIGE SCHRIFT IN DER G R I E C H I S C H - O R T H O D O X E N KIRCHE*)
I nter dem Namen „Bibel" oder „heilige Schrift" versteht die Griechisch-Orthodoxe Kirche jene heiligen Bücher, welche den Kanon des Alten und Neuen Testamentes bilden. Hinsichtlich des Umfangs des Kanons des Neuen Testaments erhoben sich in der Orthodoxen Kirche, außer bei sehr wenigen Häresien der nachapostolischen Zeit, keinerlei Zweifel darüber, daß er die bekannten 27 Bücher enthält, das heißt die vier Evangelien, die Apostelgeschichte, die 14 Briefe des Apostels Paulus, die sieben sog. Katholischen Briefe und die Offenbarung des Johannes. Hinsichtlich des Umfangs des Kanons des Alten Testaments war jedoch die Meinung der früheren Kirchenväter schwankend: die einen folgten dem jüdischen und somit dem engeren Kanon, andere nahmen den erweiterten Kanon mit den sogenannten „Anaginoskomena" oder „deuterokanischen" Büchern an (Tobias, Judith, die drei Makkabäer, III. Esra, die Weisheit Salomos, die Weisheit des Sir ach, das Gebet Manasses, Baruch, der Brief des Jeremias, Stücke aus Esther und Daniel), und wieder andere anerkannten außer dem jüdischen Kanon nur einige Anaginoskomena1). Offiziell jedoch gibt es in der Orthodoxen Kirche zu dieser Frage keinerlei ausgesprochen synodalen Beschluß von allgemeiner Gültigkeit. So bestätigte besonders die als Trullanum bezeichnete Ökumenische Synode (691) durch den II. und XXXII. Kanon die „Apostolischen Canones" und die Kanones der dritten Synode von Karthago (397), die genügend Bücher der Anaginoskomena erwähnen. Diese Entscheidung konnte * ) Die hier synoptisch ausgeführten Darlegungen geben Lehren und Meinungen wieder, die von griechisch-orthodoxen Theologen entwickelt sind, darum w e r den die Zitate nur orthodoxen griechischen Werken entnommen, und somit ist auch die beigefügte Bibliographie im ganzen Griechisch-Orthodox. 1
) Hierzu siehe P. Bratsiotis, Einleitung in das Alte Testament (griech.) 1 9 3 7 .
Desgleichen seine kurze Einleitung in das Alte Testament (griech.) 1 9 5 5 .
122
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
jedoch dem orthodoxen Bewußtsein nicht aufgezwungen werden, da diese Synode sich nicht speziell mit dem Kanon der heiligen Schrift beschäftigte, sondern die oben erwähnten Kanones nur insgesamt billigte, ohne jedoch eine Wertabstufung für die einzelnen Bücher festzulegen. Darum fanden auch die Schwankungen über die Wertung der Anaginoskomena in der Orthodoxen Kirche kein Ende. Von den späteren Lokalen Synoden, die im 17. Jahrhundert stattfanden, nahm die im Jahre 1672 in Jerusalem einberufene Synode in der dritten Frage den breiteren Kanon des Alten Testaments an, der auch die Anaginoskomena im Gegensatz zu der im Jahre 1629 veröffentlichten Confessio des Cyrill Lukaris als echte Teile der heiligen Schrift 1 ) enthält; denn letztere anerkennt nur den hebräischen Kanon als kanonische Texte des Alten Testaments. Aber die kurz vor der Jerusalemer im selben Jahre, das heißt 1672, in Konstantinopel zusammengetretene Synode antwortete wie folgt: „Wenn auch viele Bücher des Alten Testamentes bei der Aufzählung der Hagiographen nicht erfaßt sind, so sind diese doch nicht als heidnische und profane Bücher zu verabscheuen, sondern als gut und tugendhaft zu begrüßen und dürfen auf keinen Fall verworfen werden" 2 ). Trotz der Entscheidung der Synode von Jerusalem blieb diese Schwankung nicht nur in der orthodoxen griechischen Theologie bestehen, sondern auch in der russischen3). Allgemein kann man jedoch sagen, daß im Bewußtsein der orthodoxen Theologie heute die Ansicht vorherrscht, daß diese als Anaginoskomena bezeichneten Bücher mit den übrigen Büchern des Kanons des Alten Testamentes gleichwertig sind4). Einige dieser Bücher sind heute auch im offiziellen Kult der Griechisch-Orthodoxen Kirche im Gebrauch. *) „ W i r halten mit den anderen echten Büchern der göttlichen Schrift auch diese für echte Teüe der Schrift; denn die tradierende Katholische Kirche überlieferte unzweifelhaft die göttlichen und heiligen Evangelien und die anderen Bücher als wahre Teüe der Schrift und so auch diese als echte Teile der Schrift, und eine Verneinung derselben bedeutet Übertretung. Wenn es aber manchmal so scheint, daß nicht immer jedes von allen in der Aufzählung miteinbegriffen ist, so werden nichtsdestoweniger auch diese von Synoden und so vielen sehr alten und angesehenen Theologen der Katholischen Kirche der ganzen Schrift mitzugezählt. So halten auch wir sie für kanonische Bücher und bekennen, daß sie zur heiligen Schrift gehören" (Joh. Karmiris, Die dogmatischen und symbolischen Dokumente der Orthodoxen Katholischen Kirche, (griech.) 1953, S. 769 bis 770). 2
) Joh. Karmiris, a. a. O., S. 693.
3
) V g l . P. Bratsiotis, a. a. O., S. 518/519.
*) V g l . P. Bratsiotis, a. a. O.
Die heilige Schrift in der griechisch-orthodoxen Kirche
123
II Die Orthodoxe Kirche betrachtet die heilige Schrift als von Gott inspiriert und die göttliche Offenbarung enthaltend. So sind die heilige Schrift und die heilige Überlieferung, gemäß der Lehre der Orthodoxen Kirche, die Quellen des christlichen Glaubens. Die heilige Schrift betrachtet die Orthodoxe Kirche recht und billig als die erste und wichtigere Quelle des christlichen Glaubens, da sie sie als von Gott inspiriert ansieht, indem sie die übernatürliche Offenbarung Gottes und seines Willens enthält, der im Alten Testament von Gott durch die Propheten und andere Männer, im Neuen Testament aber von dem fleischgewordenen Logos Gottes, Jesus Christus, zum Heil der Menschen verwirklicht wurde. Das W o r t „Offenbarung" gebraucht die Orthodoxe Kirche und Theologie für gewöhnlich als terminus technicus für die heilige Schrift und versteht unter ihr die Bekanntmachung höchster religiöser und ethischer Wahrheiten, die von Gott an die Menschen gerichtet sind; denn der menschliche Geist allein konnte nicht erfassen, was zur „Wahrheit und zum Leben" (Joh. 14, 6) führt. Diese religiösen und ethischen W a h r heiten empfingen ihre Vollendung in der Person des Sohnes und Logos Gottes, welcher als Selbstoffenbarung Gottes „die Wahrheit" (Joh. 14,6) ist. Aber das W o r t „Offenbarung" wird zweifellos auch in einem breiteren Sinn gebraucht, da es jede Handlung und Wirkungsweise Gottes, ja, jede Weise kund gibt, durch die Gott sich selbst und seinen Willen dem Menschen offenbart. Die in diesem breiteren Sinne verstandene Offenbarung unterscheidet sich in „natürliche" und „übernatürliche". Nach der ersteren offenbart sich Gott als allmächtiger, gütiger, allweiser, usw. in der Natur und im geistigen Wesen des Menschen schlechthin, da dieser nach dem Bilde und der Ähnlichkeit mit Gott geschaffen ist. Uber diese natürliche Offenbarung spricht die heilige Schrift (Ps. 8; 19; 104. Apg. 14, 16/17; 17, 26; Rom. 1, i 8 f f ) , und so vertreten sie auch die jüngeren orthodoxen Theologen 1 ). Die übernatürliche Offenbarung kann und muß - und dies geschieht seitens vieler neuerer Theologen — in zweierlei Weisen eingeteilt werden: in die „äußere" und die „innere". Nach der äußeren Offenbarung nimmt der Mensch Gott als den wahr, der außerhalb von sich selbst handelt. Er sieht z. B. Gott unter verschiedenerlei Gestalt und Ausdrucks weise 2 ) oder hört seine Stimme 3 ). *) V g l . Z. Rosis, Das System der D o g m . der Orthod. Kathol. Kirche, (griech.) Athen 1903, S. 447. Chr. Androutsos, Die D o g m . der Orthod. Ostkirche, (griech.) Athen 1907, S. 34. P. Bratsiotis, D i e Bibel in orthod. Sicht, (griech.) 1952 2)
V g l . Gen. 32, 34fr. Exod. 19, 9ff.; 17, 7. Matth. 3, 16. Luk. 1, i i f f .
3)
Gen. 3, 8. Exod. 33, 11. Matth. 3, 17. Joh. 12, 29. A p g . 2, i f f .
124
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Der inneren Offenbarung gemäß kommt der Mensch mit Gott in der pneumatischen Sphäre in Berührung, er fühlt in sich selbst den sich offenbarenden Gott, der in ihm selbst auf seinen Geist wirkt. Diese Offenbarung und dieses Einwirken Gottes geschieht auf verschiedenerlei Weise: durch Visionen oder Träume 1 ), oder auf andere unerforschliche Weise, die unsere Erfahrung übersteigt, und durch die er dem Menschen die Visio Dei zuteil werden läßt, wie sich dies besonders mit den klassischen Propheten des Alten Testaments zugetragen hat. Diese Einteilung der übernatürlichen Offenbarung in eine äußere und innere treffen viele unserer Theologen, und sie ist im Grnude auch richtig2). Auf Grund des oben Gesagten enthält die heilige Schrift die übernatürliche Offenbarung, die sich aus ihren beiden Ausdrucksweisen - der äußeren und der inneren - ergibt und in der Person Jesu Christi ihren Gipfelpunkt hat, welcher die volle und letztliche Offenbarung ist. Wie von orthodoxen Theologen mit Recht betont wird, ist das Hauptkennzeichen dieser übernatürlichen Offenbarung das Schöpferische, das Neue, das sich in der pneumatischen, in der religiösen, das heißt in der ethischen Sphäre zuträgt. Dies Neue ist nicht nur für die Person neu, der die Offenbarung zuteil wird, „nicht nur für ein menschliches Individuum, dem es bisher nicht kundgetan war, sondern es betrifft das gesamte Menschengeschlecht, dem sie zum ersten Mal geoffenbart worden ist; so wird diese Offenbarung einem Einzelnen anfangs zuteil, auf daß sie hernach durch ihn der ganzen Menschheit vermittelt wird" 3 ). Genau dies Neue, das durch die Offenbarung Gegebene - und nicht das mittels des menschlichen Geistes Erdachte - macht den Inhalt der Offenbarung im engeren und eigentlichen Sinn des Wortes „Offenbarung" aus. III Während in der heiligen Schrift über den Sinn der Offenbarung keine wesentlichen Meinungsverschiedenheiten zutage treten, wurden jedoch unter den orthodoxen Theologen - zumindest was den Sinn der göttlichen Inspiration und deren Beziehung zur Offenbarung anbelangt - verschiedene Ansichten geäußert, und es wurde von ihnen im vergangenen JahrGen. 1 5 , 1. 1 2 ; 37, 5. Jes. 6, iff. A m . 7, i f f . A p g . 9, 10; 9, 12. 10, 3 ; 10, 1 0 ; 1 1 , 5 ; 22, 7. II. Kor. 2. usw. 2
) V g l . Lykourgos Logothetis, „Hieromnemon", 1859, S. 280. Z. Rosis, a. a. O.,
S. 453. Evatig. Antoniadis, Über das Problem der Theopneustie der heiligen Schrift, (griech.) Athen 1938, S. 3 1 . 3
) Z. Rosis, a. a. O., S. 447/448. Siehe auch Evang. Antoniadis, a. a. O., S. 34,
P. Bratsiotis, Die Autorität der Bibel in orthodoxer Sicht, 1952.
Die heilige Schrift in der griechisch-orthodoxen
Kirche
125
hundert wie auch in jüngster Zeit1) dieses Problem untersucht, ohne daß die Orthodoxe Kirche offiziell darüber eine Entscheidung getroffen hat. Von den orthodoxen Theologen identifizieren die einen die göttliche Inspiration mit der Offenbarung (K. Kontogonis, N. Papadopoulos) oder spezieller mit der inneren Offenbarung (Evang. Antoniadis), und die anderen, sich nur wenig von den ersteren unterscheidend, betrachten die Offenbarung als eine höhere Art der göttlichen Inspiration (Konstantinos Oekonomos), und andere hinwiederum trennen beide, indem sie die göttliche Inspiration als Leitung (eniaraaia) oder Inspirierung {e/uTivsvaig) zur richtigen Niederschrift der Offenbarung betrachten (Lykourgos, Trembelas). Die Identifizierung der göttlichen Inspiration mit der Offenbarung wird darum nicht von allen angenommen, da in solchem Falle einerseits die Zuverlässigkeit des richtigen und vollen Verständnisses desjenigen, der die Offenbarung empfangen hat, Mängel aufweisen würde und andererseits auch die richtige Niederschrift des Geoffenbarten in Frage stünde. Wenn wir die Natur der Offenbarung in Betracht ziehen, beobachten wir, daß sie etwas von außen her Kommendes ist, was aus dem Überwahrnehmbaren zum Menschen gelangt und dadurch die Verbreitung des Geoffenbarten unter dem Menschengeschlecht bezweckt. Aber hierzu sind noch andere Faktoren erforderlich. Der erste ist der Mensch: die Offenbarung ergeht nicht an einen beliebigen Menschen, sondern an dafür besonders vorbereitete, an seelisch zur Aufnahme und Assimilation höherer geistlicher Güter fähige. Wie man aber auch diese Vorbereitung als vollkommen betrachtet, so kann doch das Vergängliche, das Menschliche, nicht völlig als das Ewige, als das, was aus dem Überwahrnehmbaren kommt, verstanden werden. Auch hier ist das Überwahrnehmbare nur durch das Uberwahrnehmbare zu verstehen, und es bedarf einer Stärkung der seelischen Kräfte des Menschen, das heißt er bedarf einer inneren Erleuchtung. Genau hier setzt der Gedanke der göttlichen Inspiration ein, welche den persönlichen Charakter des Menschen nicht aufhebt, sondern eine Bestärkung ist, eine innere Erleuchtung des Menschen zum Vgl. Eulogios
Kourilas,
Die Frage der Theopneustie der heiligen Schriften
in der Orthodoxen Ostkirche (griech.), Thessaloniki 1933. D. Balanos,
Die
neuere orthodoxe Theologie in Beziehung zur patristischen Theologie und den
neueren Auffassungen
Antoniadis,
und Methoden
(griech.), Athen 1937.
Evang.
Die orthodoxen exegetischen Prinzipien und Methoden des N . T .
und ihre Voraussetzungen (griech.), Athen 1937 und Z u m Problem der Theopneustie der heiligen Schrift, Athen 1938. V. Vellas, Bibelkritik und kirchliche Autorität (griech.), Athen 1937. P. Trembelas, Schrift (griech.), Athen 1938.
Die Theopneustie der heiligen
126
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
richtigen Verständnis des Geoffenbarten einerseits, und zu dessen getreuer und richtiger Weitergabe und Niederschrift andererseits, wenn die göttliche Inspiration bei der Abfassung der Bücher die beaufsichtigende Rolle übernimmt. So sagt Origenes (contr. Cels. 7, M. P. G. i r , 1425) ganz treffend: „Die Propheten Judäas, derart vom göttlichen Geist erleuchtet, daß sie gut prophezeiten, kamen in den Genuß des für sie Besseren; und was ihre Seele anbelangt, wenn ich es so sagen darf, so wurden sie durch Berührung des angerufenen heiligen Geistes scharfsinniger im Geist und glänzender in der Seele." Und weiter unten sagt er: „Die menschliche Natur ist unzureichend, aufweiche Weise auch immer sie Gott sucht, um ihn ungehindert zu finden, wenn ihr vom Gesuchten keine Hilfe entgegenkommt" (M.P. G. 1 1 , 1481). So ist das rechte Verständnis und die richtige Weitergabe der Offenbarung gesichert. Hiernach setzt die göttliche Inspiration dem Geoffenbarten nichts Neues hinzu und ist auch kein bleibender, sondern nur ein momentaner Zustand. Die göttliche Inspiration hebt den Willen, die Überlegung und das Bewußtsein des Menschen nicht auf, denn sie versetzt ihn nicht in Ekstase. Das mantische und ekstatische Element ist bei der göttlichen Inspiration ausgeschlossen. Dies geht auch aus dem Unterschied der Darstellung, der Worte und des Stiles hervor, aber auch aus der Art und Weise der Ausarbeitung des von Gott Geoffenbarten: anders ist die intellektuelle Kraft eines Jesaja, Jeremia oder Paulus, welche die Gedanken des Geoffenbarten verarbeitet und entwickelt haben, und anders ist die eines Obadja oder Matthäus usw. So bemerkt Theophylakt (11. Jahrh.) ganz treffend: „Der Geist gab es jedem Propheten ein, diese aber erzählten das, was der Geist gab, so wie ein jeder es vermochte" (M. P. G. 126, 569). Diese Ansicht hinderte die Orthodoxe Kirche und Theologie, die Verbalinspiration der heiligen Schrift zu vertreten, die die Persönlichkeit des Verfassers ausschaltete, so wie sie Justin 1 ) und Athenagoras2) darstellten, und wie die protestantischen Theologen des 17. Jahrhunderts annahmen. So wurde die Annahme einer derartigen Inspiration auch von neueren orthodoxen Theologen in jüngster Zeit lebhaft zurückgewiesen3). Zieht man Obiges in Betracht, so muß man notwendigerweise annehmen, daß die Offenbarung und die mit ihr verbundene göttliche Inspiration sich ausschließlich nur auf die dogmatischen und ethischen Wahrheiten erstrecken kann, die somit volle Autorität besitzen, und sich nicht auf
!) Apologie I, 3 1 . M . P. G . 6, 385. Or. contr. Graec. 8. M . P. G. 6, 2 5 7 . 2 3
) Legatio pro Christianis 9, 2. M . P. G. 6, 908.
) V g l . Z. Rosis, a. a. O., S. 470. Chr. Androutsos, a. a. O., S. 4. D . Balanos,
a. a. O., Evang. Antoniadis, a. a. O., S. 176. P. Trembelas, a. a. O., S. 54, usw.
Die heilige Schrift in der griechisch-orthodoxen
Kirche
127
historische, psysische usw. Fragen und Erkenntnisse des täglichen Lebens bezogen, die die Verfasser mittels ihrer eigenen geistigen Kräfte erlangen konnten. In der heiligen Schrift machen wir folglich einen Unterschied zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, zwischen Ewigem und Zeitlichem, zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Element. Das Neue Testament selbst enthält bereits diesen Unterschied. Selbst der Apostel Paulus unterscheidet oftmals zwischen den göttlichen, vom Herrn überlieferten Geboten und den von ihm selbst eingesetzten (Rom. 3, 6. 19. I. Kor. 7, 10. 12. 25. 40. I. Thess. 4, 15. Gal. 3, 15 usw.). Sehr treffend sagt Johannes Chrysostomus: „Wieder spricht er (Paulus) menschlich, und nicht immer kommt er in den Genuß der Gnade, sondern auch er darf von sich selbst etwas hinzufügen" 1 ). Und anderswo sagt er: „Siehe, nicht alles geschieht durch Gnade, sondern Gott gewährt ihnen, auch durch eigene Weisheit vieles menschlich anzuordnen" 2 ). Eine solche Unterscheidung des göttlichen und menschlichen Elementes in der heiligen Schrift und die Begrenzung der Offenbarung auf die nur religiösen und ethischen Wahrheiten wird heute von der Mehrheit der neueren orthodoxen Theologen 3 ) angenommen, während andere Offenbarung und Inspiration auf die gesamte heilige Schrift beziehen4). Diese beiden Konzeptionen korrespondierten miteinander. Die erstere, die bei historischen Ereignissen vorliegt, nimmt entweder „eine Aufsicht des heiligen Geistes in dem Sinne an, daß durch sie unmöglich etwas Objektives zu den geoffenbarten religiösen und ethischen Wahrheiten hinzugefügt werden kann", oder daß sie die göttliche Inspiration nicht in den äußeren historischen Ereignissen sieht, welche ein jeder aus eigener Erfahrung erlangen könnte, sondern in dem in ihnen und durch sie sich zeigenden Finger der göttlichen Vorsehung 5 ). Die zweite jedoch nimmt zumindest in Beziehung auf das Physiognomische und die äußeren Horn. X L I X , in Acta. M . P. G. 60, 337. ) Horn. X X I , in Acta. M . P. G. 60, 164. Und Pseudoathanasius (M. P. G. 28, 1152) entgegnet auf die Frage des Anomoeus: „Die Propheten vermögen doch wohl nichts ohne Gott?" „Nicht immer; es geschieht auch, daß sie von sich aus reden . . . die heilige Schrift belehrt uns, daß auch die Apostel von sich aus redeten." 3 ) Vgl. Alex. Lykourgos, a. a. O. D. Kyriakos, Worte eines Gläubigen (griech.), Athen 1907, S. 19. Z. Rosis, a. a. O., S. 470. Cr. Papamichail, Apologetik (griech.), Athen 1928, S. 145, 1 5 1 . K. Dyovouniotis, Nützliche Antwort (griech.), Athen 1908, S. 16. D. Balanos, a. a. O. V. Vellas, a. a. O. usw. 4 ) Vgl. Chr. Androutsos, a. a. O., S. 5. P. Trembellas, a. a. O., S. 67/68. 2
6
) Vgl. V. Antoniadis, Enchiridion der heiligen Hermeneutik (griech.), Konstantinopel 1921 und Evang. Antoniadis, a. a. O., S. 180.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht
geschichtlichen Ereignisse - an, daß die Schrift „die Tatsachen in Gestalt und Sprache mit den Ideen und dem Verständnis der Menschen darstellt, an die sie geschrieben wurde" 1 ). Und tatsächlich können die großen Ereignisse der Heilsgeschichte, die in der Offenbarung Gottes grundlegende Bedeutung haben, wie z. B. das geschichtliche Ereignis der Inkarnation des Logos Gottes, die Auferstehung des Herrn usw., der autoritativen Gültigkeit nicht entblößt werden, so daß sie außerhalb des Inspirationsgedankens bleiben. Es ist noch zu bemerken, daß zu den oben dargestellten Fragen keinerlei offizielle Entscheidung unserer Kirche vorliegt. Nach einhelliger Meinung der Orthodoxen Theologie schreitet die Offenbarung nach der göttlichen Ökonomie in ihren dogmatischen und ethischen Lehren aus pädagogischen Gründen noch stufenweise und progressiv von den unvollkommeneren Formen zu den vollkommeneren voran, bis sie in der Offenbarung in Christo endet, in der vollkommensten, außer der wir keine andere annehmen2). Sehr treffend wird dieses Prinzip vom Apostel Paulus formuliert, wenn er sagt: „Und ich, liebe Brüder, konnte nicht mit euch reden als mit Geistlichen, sondern als mit Fleischlichen, wie mit jungen Kindern in Christo. Milch habe ich euch zu trinken gegeben und nicht Speise; denn ihr konntet noch nicht" (I. Kor. 3, 1—2, vgl. 13, ir). Und derselbe Apostel definiert diese progressive Entfaltung der Offenbarung folgendermaßen: „Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum" (Gal. 3, 24). Dasselbe tut aber auch der Herr selbst kund, wenn er sagt: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen" (Matth. 5, 17). Dieser Fortschritt bewegt sich jedoch nicht von der Lüge zur Wahrheit, sondern vom Unvollkommeneren zum Vollkommeneren. Derselbe Geist redet, und derselbe Gott offenbart sich stufenweise. Hiernach müssen wir in der heiligen Schrift der Entfaltung der geoffenbarten Lehren so lange nachforschen, bis wir zu ihrer vollkommenen Form gelangen, die wiederum in eben derselben heiligen Schrift gegeben ist. Desgleichen haben wir in den religiösen und ethischen Lehren das Ewige, das Absolute, was Autorität besitzt, vom Zeitlichen und zeitlich Begrenzten zu unterscheiden, wie es uns der Herr selbst lehrt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist... ich aber sage euch" (Matth. 5, 21). Man soll aber nicht denken, daß somit das Alte Testament für immer unbrauchbar sei, da wir in ihm viele Lehren a. a. O., S. i n , siehe auch P.
Chr. Androutsos,
V g l . Z. Rosis, a. a. O . , S. 4 7 1 . D. Batanos, a. a. O . , S. 123. Evang.
a. a. O., S. 41/42. P. Trembelas, a. a. O . , S. 45f.
Trembelas,
a. a. O., S. 70.
x) 2)
Antoniadis,
Die heilige Schrift in der griechisch-orthodoxen
Kirche
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so vollkommen entwickelt vorfinden, wie sie das Neue Testament auch nicht besser darbieten kann. Durch das oben Gesagte läßt sich nun auch die Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament definieren. Als Quellen der göttlichen Offenbarung haben für die Orthodoxe Kirche beide Testamente dieselbe Autorität und sie ergeben ein geschlossenes Ganzes. Gott selbst spricht in beiden Testamenten und derselbe Geist inspiriert die Verfasser. Aber noch etwas Wesentlicheres verbindet die beiden Testamente: Beide enthalten das Erlösungswirken Gottes, welches, in der Geschichte des israelitischen Volkes geoffenbart, sich in der Person Jesu Christi vollendet. Darum ist das, was beide Testamente engstens miteinander verbindet, die Person des Messias Jesus Christus. In der gesamten Entwicklung hat das Alte Testament einen propädeutischen Charakter, wie der Apostel Paulus treffend bemerkt: „Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum" (Gal. 3, 24). Aus Obigem geht hervor, daß die ganze Offenbarung sich zu Jesus Christus wie zu einem einzigen Zentrum hinneigt, so daß man die Offenbarung als eine „christozentrische" bezeichnen kann. Da dem so ist, strebt die Orthodoxe Kirche und ihre Theologie danach, die ganze Offenbarung im Lichte des fleischgewordenen Logos Gottes zu verstehen, welcher mit der Fülle des Lichtes der Offenbarung die ganze vorherig geschehene Offenbarung erleuchtet. W e n n man nicht den fleischgewordenen Logos Gottes zum Ausgangspunkt nimmt, ist auch der Logos Gottes in der heiligen Schrift nicht zu verstehen. Die ganze Offenbarung, die ganze Schrift ist Verkündigung, ist Evangelium v o m fleischgewordenen Logos Gottes. Ziel aber der ganzen Offenbarung ist das Heil der Menschen, wie es auch der Evangelist Johannes bestätigt: „Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habet in seinem Namen" (Joh. 20, 31). Sonach betrachten unsere Kirche und ihre Theologie die Geschichte des Alten und des Neuen Testamentes wegen ihres soteriologischen Zieles als Heilsgeschichte, und mittels dieses Prismas wollen sie auch die Geschichte und die in ihr kundgetane Offenbarung verstehen.
IV Der wissenschaftlichen Interpretation der heiligen Schrift legt die orthodoxe Theologie die in der Urschrift erhaltenen Texte zu Grunde, das heißt den hebräischen Text des Alten Testaments parallel zu dem der L X X und den griechischen für das Neue Testament. Im kirchlichen Gebrauch werden in der Griechisch-Orthodoxen Kirche die Perikopen des Neuen
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Testamentes aus dem griechischen Urtext gelesen - während die anderen Orthodoxen Kirchen im liturgischen Gebrauch die heilige Schrift jeweils in ihrer eigenen Volkssprache lesen. Die Perikopen des Alten Testamentes werden jedoch von ältester Zeit her bis auf den heutigen Tag in der griechischen Übersetzung der LXX gelesen. Diese Übersetzung hat die Orthodoxe Kirche niemals für göttlich inspiriert oder unfehlbar erklärt, sondern sie nahm diese nur unter dem Gesichtspunkt an, daß sie als Text für den kirchlichen Gebrauch zur Lesung der jeweiligen Perikopen dienen sollen. Diese Texte erlitten jedoch im Laufe der Zeit in mancherlei Hinsicht Entstellungen und Umänderungen - sei es wegen häufiger Abschrift, wegen Seh- oder Hörfehlern, oder mitunter auch durch eine absichtliche Veränderung. Deswegen erweist sich die kritische Textbearbeitung zur Wiederherstellung der urprünglichen Form als unbedingt notwendig. Mit solch einer kritischen Textbearbeitung steht die Orthodoxe Kirche in keinerlei Widerspruch, da sie niemals die Verbalinspiration angenommen, noch irgendeine Handschrift oder eine Handschriftenkategorie als autoritativen Text erklärt hat 1 ). Wie absolut und frei die Alte Kirche solche Arbeit gestattete, bezeugt augenfällig das dokumentäre Werk des Orígenes, die berühmte Hexapla, und darüber hinaus auch die Arbeiten des Hesychius und des Lucianus. So zeigen auch heutigentags die im Rahmen der Orthodoxen Theologie veröffentlichten Kommentare zur heiligen Schrift freie Textkritik. Aber die Orthodoxe Kirche nahm auch nicht offiziell Stellung zu der an der Bibel geübten philologischen und historischen Kritik, die im Altertum, aber auch in der Neuzeit die vitalen Probleme des Ursprungs, der Einzigkeit, der Echtheit und des historischen Wertes der heiligen Bücher und ihre Beziehung zur außerbiblischen Welt berührte; sie erlaubte jedoch im Altertum wie in der Neuzeit die Anwendung der philologischen und historischen Kritik und die Prüfung der durch sie berührten Fragen seitens orthodoxer Theologen. Die Diskussionen in der Alten Kirche über die Kanonizität dieses c-der jenes Buches, über die Verfasser bestimmter Bücher, und über den späteren Zusatz bestimmter Teile zu den heiligen Texten zeigen, daß solche Fragen, die zur Kritik führen, nicht verheimlicht wurden. Aber auch in neuerer Zeit wird in speziellen Monographien und Kommentaren zu Büchern der heiligen Schrift die philologische und historische Kritik angewandt, und es werden alle auftauchenden Fragen genau geprüft, ohne daß die Orthodoxe Kirche daran denkt, dazu eine Stellung einzunehmen, die für immer eine wissenx
) Vgl. V. Vellas, Bibelkritik und kirchliche Autorität (griech.), 1936.
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schaftliche Untersuchung ausschließen würde. Eine solche Arbeit kann auch auf keinerlei Weise mit den Prinzipien der Orthodoxen Kirche in Widerspruch geraten, wenn die philologische und historische Kritik streng wissenschaftlich vonstatten geht und nicht in eine phantastische Superkritik abgleitet und die heilige Oberlieferung somit völlig außer acht läßt. Von der Tatsache ausgehend, daß die Offenbarung an die Menschen in der Zeit erging und durch sie weitergegeben und in menschlicher Sprache und Schrift niedergeschrieben wurde, kann die orthodoxe Theologie die philologischen und historischen Methoden zur Erforschung des Ursprungs, der Echtheit eines jeden Buches und des historischen Milieus, in welchem es abgefaßt wurde, anwenden, ohne daß die Autorität irgendeine Verminderung erleidet. An dieser Stelle möge es mir erlaubt sein, Obiges etwas breiter zu erläutern. Wenn die Kritik bestätigt, daß diese oder jene Teile, größere oder kleinere, spätere Zusätze sind, so berührt dies noch nicht die kirchliche Autorität, die das Buch in den Kanon aufgenommen hat und es als von Gott inspiriert betrachtet; denn wir haben die Bücher in der Form als inspiriert zu betrachten, unter welcher sie die von Gott inspirierten Verfasser aus ihren Händen gaben. Uber Textzusätze diskutierte man auch in der Alten Kirche, wie z. B . über die Erzählung von der Susanna, von dem ehebrecherischen Weibe usw. (vgl. M. P. G. 1 1 , 41-48). Zusätze anerkennt auch die vom Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel genehmigte Ausgabe des Neuen Testamentes1), wie auch viele neuere Theologen bei uns, z. B. N. Damalas2), E. Zolotas 3 ), K. Dyovouniotis 4 ) usw. V o m wissenschaftlichen Standpunkt aus haben die Zusätze einen ganz anderen Wert, ja, einige sind sogar äußerst wertvoll; aber vom Standpunkt der religiösen Gültigkeit aus kann ihnen, soweit sie mit dem Buch, in dem sie sich befinden und mit dem Geist der heiligen Schrift nicht im Widerspruch stehen, analoge kirchliche Gültigkeit zuerkannt werden. Aber auch die etwaige Unterscheidung von zwei oder mehreren bekannten oder unbekannten Verfassern in ein und demselben Buch sehe ich vom orthodoxen Standpunkt aus noch nicht als mit dem Gedanken der göttlichen Inspiration oder mit der kirchlichen Autorität im Widerspruch Das Neue Testament, mit Genehmigung der Großkirche Christi, Konstantinopel 1904. 2
) N. Damalas, Interpretation des Neuen Testamentes (griech.), Band I, Athen
1876, S. 183 f. 3
) Emm. Zolotas, Kommentar zum Johannesevangelium (griech.), Athen 1906,
S. 303 f., 308. 4
) K. Dyovouniotis, Einleitung in die heiligen Schriften (griech.), Athen 1903,
S. 16.
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stehend. Das Anonyme darf uns nicht beunruhigen. Im Kanon der heiligen Schrift besitzen wir Bücher, deren Verfasser uns unbekannt sind, wie z. B . bei den Büchern der Richter, des Samuel, der Könige, bei vielen Psalmen usw., und dennoch betrachten wir sie als inspiriert und kanonisch. Die Unterscheidung mehrerer Verfasser steht auch mit der Überlieferung nicht im Widerspruch, die das Buch nur unter einem Namen führt. Die Uberlieferung hält unmittelbar an den Wahrheiten fest, insofern das Buch des Verfassers, auf den die Überlieferung verweist, die Basis und den Hauptteil desselben ausmacht, mit dem vielleicht zufällig ein anderes zusammengehangen hat, dessen Verfasser möglicherweise anfangs auch bekannt gewesen war. Und wenn die Kritik zum Ergebnis käme, daß ein Buch der heiligen Schrift nicht von dem Verfasser geschrieben wurde, dessen Namen es trägt, so kann auch dies vom orthodoxen Standpunkt aus angenommen werden, und es genügt, wenn man versteht, daß die Ablehnung des Verfassers eines Buches nicht zugleich die Verneinung seiner Inspiration und Kanonizität bedeutet, die durch andere Bezeugungen garantiert sind und den in dem Buch geofFenbarten religiösen Wahrheiten entspringen. Dies bestätigt auch Theodoret, wenn er von der „pneumatischen Gnade" 1 ) der Bibel spricht, die von Amphilochius als „echte Gnade" bezeichnet wird 2 ). Sehr richtig trennte Theodoret von Cyrus die Frage des Verfassers von der der Kanonizität des Buches, als er gegen die Arianer polemisierte, die fälschlicherweise die Frage des Verfassers des Hebräerbriefes mit dessen Kanonizität verbanden3). Ja, Gregor d. Gr. betrachtet es als vollkommen überflüssig (valde supervacue), nach dem Verfasser der Bücher zu fragen, wenn wir gläubig annehmen, daß der heilige Geist der Verfasser ist; und es erscheint ihm lächerlich, wenn wir die Frage stellen, „mittels wessen Feder" die Worte geprägt wurden, da wir ja den heiligen Geist als Verfasser anerkennen4). Dieselbe Meinung teilen mit !) M . P. G . 82, 676. ' ) M . P. G . 3 7 . 1 5 9 7 3
) M . P. G . 82, 676.
4
) M . P. L. 7 5 , 5 1 7 : „ S e d quis haec scripserit, valde supervacue quaeritur, c u m
tarnen auctor libri Spiritus sanctus, fideliter credatur. Ipse igitur haec scripsit, qui scribenta dictavit. Ipse scripsit, qui et in illius opere inspirator exstitit, et per scribentis v o c e m imitanda ad nos ejus facta transmisit. Si magni cujusdam viri susceptis epistolis legeremus verba, sed quo calamo fuissent scripta quaereremus,
ridiculum
profecto
esset epistolarum
auctorem
scire
sensumque
cognoscere, sed quali calamo earum verba impresse fuerint indagare. C u m ergo rem cognoscimus, quia scriptorem quaerimus, quid aliud agimus nisi legentes litteras, de calamo percontamur?"
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Kirche
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Theodoret unter anderen neueren Theologen bei uns auch N . Damalas 1 ) und Z . Rosis 2 ). Auf dieser Grundlage war es auch in der Alten Kirche möglich, zu bezweifeln, daß der Hebräerbrief vom Apostel Paulus abgefaßt worden sei, wobei aber die Inspiration und Kanonizität des Buches nicht in Frage gestellt wurde 3 ). Gemäß des von der Kirche festgesetzten Kanons des Alten und Neuen Testamentes wurde nur die Kanonizität der Bücher festgelegt, die mit dem damals gebräuchlichen Titel bezeichnet sind, ohne daß jedoch die dies bestimmende Kirche den Verfasser einer Prüfung unterzog. In der Einübung in die Bibelkritik hat der orthodoxe Theologe freilich auch eine entsprechende Tradition und soll sie bei der Arbeit als bestes Hilfsmittel benutzen. Er soll jedoch die Superkritik vermeiden, deren Übertreibungen die Ausübung nüchterner und wirklicher wissenschaftlicher Kritik hindern würden. Rechte Kritik kann für die Bestimmung des Verfassers von größter Wichtigkeit sein. Die in der heiligen Schrift enthaltene Offenbarung brachte die orthodoxe Theologie von alters her auch mit der außerbiblischen geistigen Welt in Beziehung, nicht um sie dadurch zu vervollkommnen, sondern um zu zeigen, daß Gott auch in der heidnischen Welt „sich nicht unbezeugt gelassen hat" (Apg. 14, 17), sondern Samen der Offenbarung auch in diese Welt gelegt hat. Justin's Theorie vom „Logos spermatikos" ist bekannt. Diese Sachlage kann die Lösung des Problems nicht herbeiführen, welches ja die historisch-religionskundliche Forschung unserer Tage - nämlich die Beziehung der Offenbarung zu den außerbiblischen Quellen - aufgeworfen hat. Für uns Christen ist Gott immer der Gott der Liebe, der als solcher nicht existieren könnte, wenn er nicht auch die heidnische Welt in seine Vorsehung mit einbezogen hätte; dies lehrt auch das Neue Testament (Apg. 14, 1 7 ; 15, 1 7 ; 17, 2öf.; Rom. 1, 2 1 ; 2, 14). So können wir auch v o m orthodoxen Standpunkt aus den Zusammenhang der in der Schrift enthaltenen Lehren mit den außerbiblischen nachweisen und dies auch festlegen, ohne dadurch die Autorität der Schrift herabzusetzen. Und so sind wir in der Lage „die an die Menschheit auf natürliche und übernatürliche Weise, indirekt und direkt ergangene göttliche Offenbarung als ein Ganzes zu verstehen, und so können wir von den Plänen der göttlichen Vorsehung zum Heil der Menschheit ein schöneres, weiteres und tieferes ») N. Damalas, a. a. O., S. 468. 2
) Z. Rosis, a. a. O., S. 468fr.
3
) M . P. G. 20, 2 1 7 , 572, 584 P. L. 26, 199; vgl. N . Damalas, a. a. O., S. 476.
G. Dervos, Christliche Grammatologie, Band I, Athen 1903, S. 320. K.
Dyovou-
niotis, a. a. O., S. 92. P. Bratsiotis (in der Großen Griechischen Enzyklopädie, Band I X , S. 645) usw.
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Bild entwerfen" 1 ). Das Beispiel der Kirchenväter, die sich darum bemühten, die christliche Lehre mit der griechischen Philosophie in Verbindung zu bringen, bestätigt hinreichend das oben Gesagte. V Wie die Kirche durch den heiligen Geist entschied, welche Offenbarung die echte ist und auch die sie enthaltenden Bücher als verbindlich festlegte, so ist dieselbe Kirche auch deren autoritativer Interpret. Selbstverständlich erlaubt die Kirche jede mit den Mitteln und Methoden der Wissenschaft geschehende Untersuchung; aber sie lehrt, daß sie das autoritative Kriterium und der autoritative Interpret der Offenbarung ist. Diese Lehre entspringt der Bedeutung der Kirche als göttlicher Institution, deren Haupttätigkeit das Lehren und Interpretieren der Offenbarung ist. Sie ist aber auch ein Postulat der menschlichen Logik selbst, da die von der Wissenschaft angewandten menschlichen Methoden als Ergebnisse menschlicher Darstellungsweise Irrtümern und Fehlern unterhegen können. Wir haben also ein die göttliche Offenbarung interpretierendes autoritäres Kriterium notwendig, und diese Autorität stützt sich nicht auf menschliche Mittel. Dies Kriterium kann jedoch kein anderes als die Kirche selbst sein. Wenn wir aber von einer autoritativen Interpretation reden, meinen wir den wahren Sinn, den die Kirche durch die Synoden ja offiziell den Stellen der heiligen Schrift gegeben hat2). Diese Lehre rührt von der Gesamtlehre über die göttliche Inspiration der heiligen Schrift her. Wenn die göttliche Offenbarung zur Verbreitung und Niederschrift die Aufsicht des heiligen Geistes benötigte, ist dann nicht zu ihrer richtigen Interpretation die betreffende Aufsicht des Geistes noch weit mehr erforderlich? Dies kann jedoch nicht von einzelnen Personen zustande gebracht werden, sondern nur von der Kirche selbst, welcher der heilige Geist innewohnt. An diesem Punkte besteht ein gewichtiger Unterschied zwischen der Orthodoxen Kirche und einigen protestantischen Kreisen, die für die Schriftinterpretation eine direkte private Erleuchtung jeder einzelnen Person annehmen. Auf diese Art und Weise wird jede Autorität aufgehoben, und jeder Mensch wird zum Maß und Richter. Bei der Schriftinterpretation gehen die Orthodoxe Kirche und Theologie von dem Prinzip aus, daß die heilige Schrift ein einziges unteilbares E. Antoniadis, a. a. O., S. 198. Vgl. P. Trembelas, a. a. O . 2
) Die V . Ökumenische Synode zum Beispiel interpretierte Joh. 20, 24, die von
Karthago Rom. 5, 1 2 lind die von Sardica Joh. 10, 30.
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Ganzes ist. So wurde das Alte Testament von alters her im Licht der vollen Offenbarung in Christo interpretiert. Jede alttestamentliche Stelle, die sich auf Fragen des Glaubens und der Ethik bezieht, muß mit dem Neuen Testament in Beziehung gebracht und von ihm aus interpretiert werden, so daß wir zu den meisten Stellen des Neuen Testaments die entsprechende Wurzel im Alten Testament aufsuchen müssen. In solch enger Verkettung der zwei Testamente und im Bestreben, das Alte Testament im Lichte der Offenbarung in Christo zu verstehen, benutzte die Alte Kirche außer der „historischen Methode" (in der Schule von Antiochien) auch die allegorische und typologische Methode (in der Schule von Alexandrien). Nach der allegorischen Methode wird entweder der historische und buchstäbliche Sinn vollkommen aufgehoben, oder man findet zu diesem Sinn einen anderen abweichenden und tieferen. Nach der typologischen Methode wird der historische Sinn des Textes nicht aufgehoben, aber das im Text Zutagetretende wird als Typus von in der Zukunft hegenden Geschehnissen aufgefaßt 1 ). Eine solche typologische Interpretation wandten bereits die Verfasser des Neuen Testaments an (Matth. 12, 39; Joh. 19, 36; I. Kor. 10, 4 usw.). Natürlich kann man diese typologische Methode nur auf das Alte Testament anwenden, nicht aber auf das Neue Testament. In der Orthodoxen Theologie machen wir heute viel weniger oft Gebrauch von der allegorischen und typologischen Interpretation, indem wir mit ihr nur jene Stellen des Alten Testaments interpretieren, die vom Neuen Testament schon so verstanden wurden und insoweit sie sich offensichtlich auf die Person des Messias beziehen. Breiteste Anwendung findet jedoch die historische Methode, wie oben bereits erwähnt wurde. Uns orthodoxen Theologen ist die von den Vätern zu verschiedenen Büchern des Alten Testaments gegebene Interpretation wegen des Alters und des Wertes der Väter-Interpretation nicht gleichgültig, - aber auch nicht absolut verbindlich. Indem die Orthodoxe Kirche und ihre Theologie von dem Prinzip ausgehen, daß die Geschichte des Alten und Neuen Testamentes Heilsgeschichte ist, die in der Welt das Erlösungswirken Gottes darstellt, sucht sie die tiefere Bedeutung der sich zutragenden Geschehnisse und führt zu einer pneumatischen Interpretation; diese dringt nun in den tieferen Sinn und in den Geist des Textes ein, der den Menschen erneuert und erlöst.
So ist z. B. das hebr. Pascha als Typus des christlichen, der Durchzug durch das Rote Meer als Typus der zukünftigen Erlösung zu verstehen, das Hochheben der Hände Moses beim Kampf mit den Amalekitern (Exod. 17, 8£F.) als Typus des Kreuzes usw.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Da die Orthodoxe Kirche in der Offenbarung der heiligen Schrift den ewigen Logos Gottes sieht, der sich zum Heil der Menschen offenbart hat, verlangt sie von ihren Gläubigen die vollständige Annahme der offenbarten Wahrheiten, die sich, da sie auch die ethischen Werte umfassen, nicht nur auf die einfach theoretische Sphäre begrenzen lassen, sondern in die Tat umzusetzen sind. So ist es Pflicht und Schuldigkeit eines jeden Christen, sein praktisches Leben, das heißt sein tägliches Leben, danach einzurichten. Natürlich sieht auch die Orthodoxe Kirche in der heiligen Schrift kein vollständiges System der Ethik, das bis in die letzten Kleinigkeiten das Leben regeln würde. In der Bibel sind jedoch allgemeine Prinzipien absoluter Verbindlichkeit mit absoluter Autorität aufgezeichnet, von denen wiederum zahlreiche andere einzelne Lehren herrühren. Die heilige Schrift ist selbstverständlich ein Buch des Heils für die Menschen, aber dieses Heil tritt nicht zufällig oder auf magische Art und Weise ein, sondern durch die Vervollkommnung des Menschen. Darum ist das Christentum auch eine praktische, alle Aspekte des Menschenlebens umfassende Religion, die durch die Gebote das persönliche und soziale Leben des Menschen durchdringt. Gültigkeit und Autorität der heiligen Schrift wurden in der Orthodoxen Kirche, einige Häresien der Alten Kirche ausgenommen, nie bestritten, und auch die Dogmatik konnte und kann die heilige Schrift nie ersetzen, auf der parallel zur heiligen Oberlieferung die gesamte dogmatische Lehre der Orthodoxen Kirche basiert. VI. Da nun die heilige Schrift eine solche grundlegende Bedeutung besitzt, und ihre Gültigkeit unbegrenzt und unanfechtbar ist, wurde von der Orthodoxen Kirche weder in der ersten Zeit, noch hernach, noch in der Neuzeit das Lesen und Studieren der heiligen Schrift jemals verboten; ja, die meisten Kirchenväter empfehlen und ermahnen das gläubige Volk zum Lesen und Studieren der heiligen Schrift. So, um einige Beispiele anzuführen, sagt Justin, der Philosoph und Märtyrer: „Furchtlos gehen wir nicht nur mit ihnen (den Büchern der Propheten) um, sondern auch mit euch . . ," 1 ). Und anderswo rät er an, „mit den Propheten der heiligen Männer umzugehen" 2 ). Auch Origenes empfiehlt das Lesen der heiligen Schrift 3 ), und Johannes Chrysostomus kommt in vielen Stellen auf die Apol. i, 44. M. P. G. 6, 396. ) Contra Graecos 35. M. P. G. 6, 304. 3 ) In Gen. hom. XII, 15. M. P. G. 12, 229. 2
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Frage des häufigen Lesens der heiligen Schrift zurück: „Und dies bitte ich immer und höre nicht auf zu bitten, damit ihr nicht nur hier das Gesagte beachtet, sondern mit den heiligen Schriften euch auch zu Hause ständig beschäftigt. Dies empfehle ich unaufhörlich besonders den uns nahe Stehenden" 1 ). Und anderswo sagt er: „Seht ihr, wie gut es ist, die göttlichen Schriften mit Aufmerksamkeit und Eifer zu lesen? . . . so bitte ich nun die Lesung nicht zu vernachlässigen, sondern, wenn wir auch irgendwie die Kraft des Inhalts fühlen und doch noch nicht erkennen, so lasset uns dies beharrlich üben" 2 ). Und anderswo bemerkt derselbe Vater thesenhaft: „Das die Schriften-nicht-Kennen ist aller Übel Ursache" 3 ). Eine Ausnahme macht die in Jerusalem im Jahre 1672 zusammengetretene lokale Synode, die auf die erste Frage hin: „Soll die göttliche Schrift allgemein von allen Christen gelesen werden?" anscheinend negativ geantwortet hatte, indem sie die Lesung nur denen erlaubte, die den richtigen Sinn der heiligen Schrift herauslesen und lehren können, während die übrigen die heilige Schrift nur hören dürfen4). Aber der Entscheid dieser lokalen Synode, der einzige dieser Art in der Geschichte der Orthodoxen Kirche, wurde offensichtlich unter dem Einfluß der entsprechenden Lehre der Römisch-Katholischen Kirche in den Kriegsjahren der Gegenreformation gefällt und hat niemals auch nur die geringste Anwendung im Leben der Orthodoxen Kirche gefunden. Die Kirche hörte nie auf, das Lesen der heiligen Schrift zu erlauben und zu empfehlen und die heiligen Texte durch mancherlei Mittel zu verbreiten, wie es weiter unten aufgezeigt werden wird. Gerade auf diesem Prinzip bestehend, verbot die Orthodoxe Kirche nicht nur die Übersetzungen der heiligen Schrift in die Sprachen der Völker, zu denen sie das Christentum brachte, nicht, sondern fördert sie sogar ausdrücklich. Selbst die Übersetzung der heiligen Schrift in die neugriechische Sprache (wobei das Problem des Neuen Testaments wegen der engen Sprachverwandtschaft des Neuen Testaments mit dem Neugriechischen ganz besonderer Art ist) schließt die Griechisch-Orthodoxe Kirche nicht aus. So wurden in größter Anzahl Übersetzungen von der gesamten heiligen Schrift oder von einigen ihrer Bücher in das Neugriechische gemacht, von denen die einen im Druck veröffentlicht wurden, die anderen jedoch nicht herausgegeben wurden und als Hand*) In Lazar. orat. 3. M. P. G. 48, 991-992. ) Horn. X X X V . M. P. G. 83, 223-224. s ) Horn. IX. M. P. G. 62, 361. Siehe auch M. P. G. 51, 87C; 57, 3of. 4 ) „Nicht von allen soll sie (die heilige Schrift) gelesen werden, sondern nur von denen, die nach erforderlichem Studium in die Tiefe ihres Geistes einge2
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Schriften in verschiedenen Bibliotheken verblieben1). So entstanden selbst in neuester Zeit viele Übersetzungen undParaphrasen ins Neugriechische 2 ). In der Verfassung v o m Jahre 1952 (Art. 2) wurde die Übersetzung der heiligen Schrift im Prinzip n i c h t verboten, und es genügt, wenn sie vom Ökumenischen Patriarchat zu Konstantinopel und von der heiligen Synode der Kirche Griechenlands genehmigt ist. In der liturgischen Praxis der Orthodoxen Kirche bildet die der heiligen Schrift, das heißt die dem Alten und Neuen Testament entnommene Perikopenlesung ein charakteristisches Element des Gottesdienstes. Es werden nicht nur in der göttlichen Liturgie mindestens zwei Perikopen, das heißt eine aus den heiligen Evangelien und die andere aus den übrigen Büchern des Neuen Testaments gelesen, sondern es gibt keinen Gottesdienst und auch keine Zeremonie, w o nicht Perikopen der heiligen Schrift gelesen und Psalmen des Alten Testaments gesungen werden. Besonders umfassend jedoch ist die Perikopenlesung aus dem Alten T e stament während der Großen Fastenzeit und zumal in der Karwoche, drungen sind und wissen, a u f w e i c h e Weise die göttliche Schrift zu erforschen, zu lehren und ganz zu lesen ist. Den Ungeübten jedoch und denen, die nur nach dem Buchstaben oder auf irgendeine andere fremde Weise der F r ö m m i g keit den Inhalt der Schrift mit Gleichgültigkeit auffassen, gebietet die Katholische Kirche, der aus Erfahrung der Schaden bewußt ist, daß die Lesung nicht erlaubt ist. Daher ist es j e d e m Frommen erlaubt, den Inhalt der Schrift zu hören, damit er im Herzen an die Gerechtigkeit glaube, mit dem M u n d e aber das Heil bekenne. Aus genannten und ähnlichen Gründen ist es jedoch verboten, einige Teile, und besonders solche des A. T., zu lesen. Den Ungeübten aufzutragen, nicht die ganze heilige Schrift zu lesen, ist dasselbe, als wenn man den Säuglingen befiehlt, feste N a h r u n g nicht zu berühren" (Joh. Karmiris, Die dogmatischen und symbolischen Dokumente der Orthodoxen Katholischen Kirche (griech.), 1953, S. 768). 1 ) Z u r Aufzählung siehe P. Bratsiotis, Einl. in das A. T., 1937, S. 637fr. 2
) Von den neueren erwähne ich nur die folgenden Übersetzungen und Paraphrasen: A. Pallis, Das N e u e Testament, 1902. N. Kephalas, Der Psalter, 1908. K. Frilingos, Das H o h e Lied, 1912. G. Tsoukalas, Das Hohe Lied, 1921. K. Frilingos, Hiob, 1931. B. Antoniadis, Hiob, 1931. A. Kasdanglis, Das H o h e Lied, 1932. G. Vougiouklakis, Das Johannesevangelium, 1945. Th. Konstantinou, Die Psalmen Davids, 1947. T. Gritsopoulos, Die göttliche Rapsodie, 1950. K. Frilingos, Coheleth (Übersetzung verschiedener Abschnitte des A. T.), Band II, 1951. P. Trembelas, Das N e u e Testament mit kurzer Interpretation, 1952. A. Chastoupis, Die heilige Schrift (Übersetzung des gesamten A. T . aus d e m Hebr.), Band II, 1954. P. Trembelas, Der Psalter mit kurzer Interpretation, 1955. J.Jannopoulos, Das A. T . (Paraphrase des A. T . aus der LXX), 1955. (Alle aufgezählten Arbeiten sind griechisch abgefaßt.)
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in der ganze Bücher des Alten Testaments und ausgedehnte Perikopen des Neuen Testaments gelesen werden. Die Psalmenlesung ist für jeden Gottesdienst unerläßlich1). Diese intensive Perikopenlesung der Orthodoxen Kirche entstammt der Urkirche und ist das schönste Element der ununterbrochenen gottesdienstlichen Uberlieferung. Außerdem ist zu erwähnen, daß sich in der Hymnographie der Orthodoxen Kirche Worte der heiligen Schrift oftmals wiederholen und unter tausenderlei Formen sich die Gedanken und Szenen der heiligen Schrift widerspiegeln. Wie in der Urkirche, so wird auch heute in der Orthodoxen Kirche in der Predigt von der heihgen Schrift reichlich Gebrauch gemacht. Diese Predigt geht von einer Schriftstelle oder Perikope aus und versucht den Sinn der heiligen Texte zu interpretieren und zu lehren, oder sie zu analysieren und die Gedanken der gesamten Perikope, wie es die Kirchenväter durch exegetische Homilien taten, auf einfachste Weise darzustellen. Die Predigt ist auch heute in der Orthodoxen Kirche eines der stärksten Mittel zur Verbreitung der Lehre der heihgen Schrift. Die heilige Schrift spielt auch in der religiösen Jugenderziehung eine wichtige Rolle, indem sie von ausgebildeten Theologen in den öffentlichen Staatsschulen gelehrt wird. In den unteren Klassen wird der Stoff der heihgen Schrift in Gestalt von Erzählungen und Geschichten dargeboten; in den höheren wird jedoch die Exegese von ausgewählten Perikopen an Hand des neutestamentlichen Urtextes getrieben. Aber auch in den katechetischen Schulen, die sich bei uns im Verlauf der letzten Jahrzehnte reichlich vermehrt haben, bildet die heilige Schrift das Zentrum der religiösen Erziehung. Desgleichen bildeten sich bei uns in demselben Zeitraum „Kreise zum Studium der heiligen Schrift" von Männern und Frauen, die sich unter Leitung eines Priesters oder ausgebildeten Laien ein tieferes Studium der heihgen Schrift zum Ziel gesetzt haben. Zur Verbreitung der heihgen Schrift hatte die heilige Synode der Kirche Griechenlands bereits im Jahre 1843 die gedruckte Ausgabe des Textes der Septuaginta-Übersetzung genehmigt, die, als sie sich durchgesetzt hatte, im Jahre 1850 für die freie Verteilung an den Klerus bestimmt wurde. Vor Jahren gab das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel den Text des Neuen Testaments heraus, welchen eine eigens dafür eingesetzte Kommission überarbeitet hatte. Er war schnell vergriffen und wurde daher von der Bruderschaft „ Z o e " , die auch den Septuaginta-Text herausgegeben hat, von verschiedenen Verlagen und letztlich auch von der Apostolischen Diakonie der Kirche von Griechenland neu aufgelegt. Vgl. K. Kallinikos, Der heilige Psalter in der Praxis, 1932.
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Parallel dazu verteilt auch die seit langem arbeitende „ B i b l e S o c i e t y " die Urtexte der heiligen Schrift und eine Übersetzung der gesamten heiligen Schrift in neugriechischer Sprache, die im vergangenen
Jahrhundert
gemacht wurde. Andererseits schrieben und veröffentlichten die zwei theologischen Fakultäten Griechenlands, an denen biblische Studien durch eine große Anzahl v o n Professoren betrieben werden, genügend exegetische K o m m e n t a r e zu den Büchern der heiligen Schrift.
BIBLIOGRAPHIE D. Balanos, Ist die Theologie eine Wissenschaft? 1906. E. Kourilas, Die Frage der Theopneustic der heiligen Schriften in der Orthodoxen Ostkirche, 1933. V. Vellas, Bibelkritik und kirchliche Autorität, 1937. E. Antoniadis, Die orthodoxen exegetischen Prinzipien und Methoden zum N . T . und die theologischen Voraussetzungen, 1937. Ders., Über das Problem der Theopncustie der heiligen Schrift, 1938. P. Trembelas, Die Theopneustic der heiligen Schrift, 1938. Ders., Epistasic oder auch Theopneustic? 1938. V. Vellas, Old Testament Studies in the Modern Greek Orthodox Thcology, 1948. Ders., Die Autorität der Bibel nach der Lehre der Orthodoxen Ostkirche, 1951. P. Bratsiotis, Das Alte Testament in der Griechisch- Orthodoxen Kirche, in: Kyrios 1 (1960/61). S. 59 ff. Ders. Die Autorität der Bibel in Orthodoxer Sicht, 1952. Desgleichen findet man viel von den Themen, die im vorliegenden Aufsatz entwickelt sind, in den Einleitungen zur heiligen Schrift, Dogmatik und Symbolik, die bei uns veröffentlicht worden sind.
PROF. D R . B A S I L STEPHANIDIS
GRUNDZÜGE DER
GESCHICHTE
DER O R T H O D O X E N
KIRCHE
D
zwischen der orthodoxen Kirche des Ostens und der Kirche des Westens bestand darin, daß in der ersten viele apostolische Kirchen existierten, in der zweiten aber nur eine, die römische. Der fundamentale Charakter dieses Unterschieds zeigt sich in der Gewichtigkeit seiner Folgen. Es waren im wesentlichen diese: Die besondere Tradition, die in jeder apostolischen Kirche des Ostens vorhanden war, war stark genug und wirkte der Idee der Katholizität, die von -Rom ausging, entgegen. Deswegen erhielten sich zwischen der Orthodoxen Kirche des Ostens und der wesdichen Kirche, aber auch zwischen den apostolischen Kirchen des Orients, Verschiedenheiten im kirchlichen Leben, d. h. verschiedene kirchliche Sitten und Gewohnheiten, namentlich die Verschiedenheit der Osterfeier (Quartodecimanismus). In der kirchlichen Verfassung kamen andere Verschiedenheiten zum Ausdruck: im Westen kam die päpstliche Alleinherrschaft auf, im Orient existierten mehrere autokephale oder bloß unabhängige Kirchen. Es entwickelten sich sogar verschiedene dogmatische Ansichten. Im Orient nämlich durchdachte man das Dogma von der Trinität im Blick auf die Teilung (Einteilung) der drei Personen, im Okzident hingegen im Blick auf die Einheit des Wesens Gottes, woraus sich auch die Streitfrage des Filioque ergab. ER FUNDAMENTALE UNTERSCHIED
Der Geist des Orients strebte nach dem unabhängigen und selbständigen Denken. Deshalb ist er in wissenschaftlichen theologischen Untersuchungen vorangegangen. Die ältesten systematischen Theologen waren die Gnostiker. Ihre Lehre handelte von Gott, Schöpfung, Fall, Erlösung und Eschatologie. Sie enthielt also ein ganzes System der Dogmatik, aber diese Dogmatik hatte nur wenig Beziehung zur christlichen Lehre, denn sie vermischte heidnische, jüdische und christliche Elemente. Ihre Erlösung dachten die Gnostiker mehr physisch als ethisch und hielten sich für ,,ojxoovoioi" (wesensgleich) mit Gott. Zum ersten Mal findet sich hier im Christentum dieses einflußreiche Wort. Hauptmittel der Erlösung war nach ihrer Meinung die Gnosis, wovon ihr Name „Gnostiker"
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
herrührt. Quelle der Gnosis der Gnostiker w a r der in der griechischen Philosophie damals herrschende Dualismus. Aus radikaler Reaktion gegen die menschliche Gestalt und die menschlichen Affekte der Götter des alten Griechenlands entfernte die griechische Philosophie der hellenistischen Zeit Gott weit von der Welt und nahm ihn als unbestimmt und unbegreiflich an. So wurde eine Kluft zwischen Gott und der Materie aufgerissen, f ü r deren Ausfüllung man vermittelnde Wesen annahm. Die Neupythagoräer und die Neuplatoniker, als Heiden, hatten vermittelnde Theogonie angenommen. Philo, als Jude, Origenes und der unbekannte Schriftsteller der sogenannten Schriften des Dionysius Areopagita (Ende des 5. Jahrhunderts), als Christen, nahmen vermittelnde Angelologie an. Die Gnostiker mischten heidnische, jüdische und christliche Elemente und schwankten daher zwischen der vermittelnden Theogonie und der vermittelnden Angelologie. Der K a m p f gegen die Gnostiker erregte das Interesse an einer dogmatischen Frage, welches nämlich das Verhältnis zwischen dem historischen Jesus und Gott sei. Anfangs genügte das betreifende Bekenntnis des Apostels Petrus (Matth. 16, 16) und die Lehre des Apostels Paulus (Phil. 2, 6), die sich beide unter die f ü r die christliche Kirche grundlegende Idee zusammenfassen lassen, daß Christus in die „Sphäre Gottes" gehört. Aber wie kann man in dem einen Gott zwei Personen annehmen? Die am Ende des zweiten Jahrhunderts auftauchenden Monarchianer haben versucht, eine logische Antwort auf diese schwierige Frage zu geben. Nach ihrer Lehre muß man entweder die zwei Personen in Gott absolut identifizieren oder die zweite Person aus Gott ganz wegnehmen (Adoptianismus). Sie nahmen Gott als „ M o n a d e " an, aber statt dieses Wortes gebrauchten sie das W o r t „Monarchie". Daraus kam folgerichtig ihr N a m e Monarchianer. Die heutigen liberalen Theologen sind, wissentlich oder nicht, Anhänger der so alten Monarchianer. Im dritten Jahrhundert fanden sich zwei systematische Geister, welche den Monarchianismus ergänzten und systematisierten. Der erste war Sabellius (um 220), welcher wahrscheinlich aus Pentapolis in Libyen stammte. Er nahm in seine Lehre auch den heiligen Geist hinein und nahm die drei Personen der Trinität nur als drei verschiedene Weisen des W i r kens einer und derselben Person an. Hier findet sich wieder das W o r t ,,¿fxoovaioq" (Homousie) f ü r Gott gebraucht, daß er nämlich ein Wesen und eine Person sei. Ihm folgte Paulus von Samosata (260), ein höherer ökonomischer Beamter der Königin von Palmyra, Zenobia, und gleichzeitig Bischof von Antiochien. Man kann sagen, daß er und seine A n hänger eine ältere Antiochenische Schule bildeten. Bei allem seinem A d o p tianismus des Menschen Jesus, nahm er den Sohn und den heiligen Geist
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als unpersönliche göttliche Kräfte an, die sich sogar miteinander identifizieren konnten (vgl. Paulus 2. Kor. 3, 1 7 ; Hermas, Poimen, Parab. I X . 1). Zwischen den drei unpersönlichen Energien Gottes, welche Sabellius annahm, und den Energien zweier unpersönlicher und identifizierter Kräfte Gottes, welche Paulus von Samosata annahm, existierte, wie es scheint, kein wesentlicher Unterschied, und eine Einwirkung von Sabellius auf Paulus von Samosata ist wahrscheinlich. Für die Energie der zwei unpersönlichen und identifizierten Kräfte Gottes i m Menschen Jesus gebrauchte Paulus von Samosata die Wörter „evoixrjaig" (Einwohnung) „avvdcpeia" (Verbindung), und f ü r Jesus die Phrase „ex jiQOxonfjg rs'&eoTioieladai" (fortschreitende Vergottung). Diese Ausdrücke w u r den von den Nachfolgern als Erbschaft übernommen und haben deshalb ihre eigene Geschichte. Der Orient war in den dogmatischen Kontroversen Führer und Meister. Gegen die Gnostiker und die Monarchianer wirkte die ältere und liberale theologische Schule von Alexandrien, besonders Klemens und Origenes (3. Jahrhundert). Sie wollten der Gnosis der Gnostiker eine christliche Gnosis entgegenstellen. Sie versuchten, die christliche Lehre zu einer christlichen Gnosis zu entwickeln. U m das zu erreichen, entlehnten sie viele Elemente aus der griechischen Philosophie und entfernten sich von der kirchlichen Überlieferung, wie es auch ihre allegorische Exegese der heiligen Schrift zeigte. Die Alexandriner waren liberal, aber nicht so weit, wie die G n o stiker. Sie bekämpften eben die Gnostiker, aber trotzdem, oder besser gerade deshalb, wirkte die Gnosis auf sie ein. Der theologische Lehrer Lucian (in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in Antiochien) war anfangs ein einfacher Fortsetzer der älteren Antiochenischen Schule, das heißt der Lehre des Paulus von Samosata, und der adoptianischen Ansicht, daß die Bücher der heiligen Schrift einfache menschliche Werke seien, daß also auf sie eine wörtliche und historische Exegese anwendbar sei, die er statt der damals allgemein gebräuchlichen allegorischen Exegese anwendete. Später aber begann eben derselbe Lucian die neuere Antiochenische Schule, denn er verließ die reine und ungemischte Lehre des Paulus von Samosata. Bei allen Bemühungen der heutigen Wissenschaft u m die fast medizinisch-genaue Diagnose der erwähnten neuen Lehre von Lucian blieb uns diese doch unbekannt. Aus ihr ging der Arianismus hervor. W i e schon gesagt, legte der Okzident seiner Untersuchung der trinitarischen Lehre die Einheit Gottes zugrunde; ,,/xi« ovaia, fila VTiöoTaaiq" (eine Substanz, ein Wesen). W a r das die Einwirkung der nach R o m gekommenen Monarchianer» Jedenfalls bestand dort die Gefahr, von der Dreiheit zu einer Person zu gelangen (Monarchianismus).
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Der Orient dagegen setzte als Grundlage die persönliche Teilung Gottes: „XQEIQ v7toaräaeig" (drei Personen, drei Wesen). Hier war die Gefahr, zu drei Substanzen zu gelangen (Arianismus). Aus jener Zeit ist uns ein theologischer Kampf zwischen den Monarchianern von Libyen und dem Dionysius von Alexandrien (f 265) bekannt. Arius, der erst Schüler Lucians in Antiochien, dann aber Presbyter in Alexandrien war, wollte den erwähnten theologischen Kampf beenden. Er nahm also zwei verschiedene Söhne Gottes an, den einen als unpersönliche und ewige göttliche Kraft (Monarchianismus), den anderen als persönlichen Sohn, aber von einer anderen Substanz („xria¡ia", Geschöpf). „ K V Q I O Q exriae fie ¿QXVV oöcov avTov slg egya ainov" (Sprüche 8, 22: „Der Herr hat mich als den Anfang der Welt geschaffen"). Arius nahm keinen Adoptianismus eines Menschen (Jesus) mehr an, sondern eben die Schöpfung eines ganz besonderen Wesens. Die politischen Verwicklungen (Kampf des Licinius und Konstantin des Großen) begünstigten die Ausbreitung der Lehre des Arius, den religiösen Aufruhr, die Untätigkeit Alexanders von Alexandrien und nach einiger Zeit die einseitige Verurteilung des Arius und seiner Anhänger durch Alexander und sein Presbyterium. Hier haben wir die ersten Anfänge der neuen und konservativen theologischen Schule von Alexandrien, deren wichtigster Repräsentant Athanasius der Große wurde. Sie entfernte sich von den oben erwähnten Prinzipien der alten und liberalen Alexandrinischen Schule und nahm als Grundlage wieder die heilige Schrift und die kirchliche Überlieferung. - Die vor wenigen Jahren von dem bekannten Philologen Eduard Schwartz in syrischen Dokumenten entdeckte Synode von Antiochien (Anfang des Jahres 325, 56 Bischöfe) schritt mit Mut auf den Spuren Alexanders von Alexandrien weiter. Sie war ein wichtiger Beistand für Alexander. Aber das auf der ersten ökumenischen Synode (Nicäa, Mai-Juli 325) für den Sohn Gottes gebrauchte Wort „öfioovaio (Homousie in Beziehung auf den Vater) verursachte dort offenen oder nur mit Mühe verborgenen Verdruß, Verurteilungen der lebhafteren arianischen Bischöfe und ein Durcheinander nach der Synode. Das Bekenntnis der ersten ökumenischen Synode verfaßte Hosius von Corduba (Athanasius von Alexandrien, Historia Arianorum 42,3), mit dem Beistand des kappadozischen Klerikers Hermogenes (Basilius von Cäsarea, Episteln 81, 244, 263). Ist es wahr, daß durch dieses Bekenntnis im Orient die trinitarische Auffassung des Okzidents zur Herrschaft kam (Grundlage der Lehre die Einheit Gottes: „eine Substanz, ein Wesen")? Der Grund und der Zweck dieses Bekenntnisses war jedenfalls etwas anderes: den Arianismus leicht vernichten zu können. Die große Aufgabe, dieses Ziel ohne jene okzidentalische Phraseologie zu erreichen, blieb den nach-
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sten großen T h e o l o g e n des Orients vorbehalten. D u r c h Meletius v o n Antiochien und die vier Kappadozier, Basilius v o n Cäsarea, G r e g o r v o n Nazianz, G r e g o r v o n Nyssa und Amphilochius v o n Ikonium, k a m i m Orient die östliche Auffassung (drei Personen, drei Wesen) wieder zur Geltung. - D e r d e m Arianismus günstig gesinnte Eusebius v o n N i k o medien (später in Konstantinopel), ein V e r w a n d t e r der kaiserlichen Familie, beeinflußte die höheren D a m e n des Hofes. Konstantin der G r o ß e verließ also das W o r t „¿fioovaiog",
und die noch lebenden v o n den v e r -
urteilten Arianern durften aus der Verbannung zurückkehren. Erst die eiserne Faust v o n Theodosius d e m G r o ß e n beendete den inzwischen eingerissenen U n f u g wieder und ergänzte das W e r k der ersten ökumenischen S y n o d e durch die zweite ökumenische Synode (381). Einer der Anhänger des Bekenntnisses v o n Nicäa und ein eifriger B e k ä m p f e r des Arianismus, der B i s c h o f Apollinarius v o n Laodicea in Syrien hatte die wichtigsten Väter der Kirche als Freunde, Athanasius d. Gr., Basilius d. Gr. und andere. Als seine Irrlehren über das sogenannte christologische D o g m a
bekannt w u r d e n (362), schonte man
ihn zunächst sehr. D i e zweite ökumenische Synode erwähnte in der V e r urteilung des Apollinarismus, w i e es scheint, nicht den Apollinarius selbst, sondern nur die Apollinaristen. G r e g o r v o n Nazianz nannte den Z w i s t mit i h m ,£vyo(ia%lav
ädekcpixriv"
(Rede 22, 13 „einen brüderlichen
Hader"). Epiphanius, der ihn als einen alten M a n n kennenlernte, schrieb v o n i h m „ o aei rj/üv äyanrjToc;"
(Contra Haereses 77, 2 „ d e r v o n
uns i m m e r Gehebte"). D e n Apollinarismus bekämpfte die neue Antiochenische
Schule,
deren
hauptsächlichster Repräsentant in dieser Z e i t T h e o d o r v o n Mopsuestia war. T h e o d o r betrachtete die heilige Schrift als ein einfaches menschliches W e r k , und Heß ihre Theopneustie beiseite. Er gebrauchte statt der damals gewöhnlichen allegorischen die wörtliche Exegese. Er w u r d e so ein V o r läufer der neueren liberalen T h e o l o g e n und der neueren Kritik der heiligen Schrift. Er betrachtete das A l t e Testament als die einfache Literatur des hebräischen Volkes, die Psalmen erklärte er historisch unter B e z u g nahme auf Ereignisse der damaligen Z e i t ; das B u c h H i o b betrachtete er als ein didaktisches D r a m a und das H o h e Lied als eine H y m n e zur H o c h zeit Salomos. Er v e r w a r f die deuterokanonischen Bücher, 1. u. 2. C h r o nik, den Esra und die katholischen Briefe des N e u e n Testaments als nicht d e m K a n o n angehörende Bücher. W i e Origenes und die vier Kappadozier, so betonten auch die Antiochener und z w a r besonders T h e o d o r v o n Mopsuestia den freien W i l l e n des Menschen und den freien W i l l e n der menschlichen N a t u r in Christus. So w u r d e er der Vater des Pelagianismus (400), der lehrte, daß die Erlösung v o m W i l l e n des Menschen abhängt.
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Indem die Antiochener die Lehre des Apolünarius bekämpften, brachten sie diejenige Lehre hervor, die eigentlich den Namen des Theodor von Mopsuestia tragen müßte, in Wirklichkeit aber dessen Schüler Nestorius, dem Patriarchen von Konstantinopel, zugeschrieben wird: sie heißt Nestorianismus. Zwischen der alten Antiochenischen Schule (Monarchianismus des Paulus von Samosata) und der neuen Antiochenischen Schule (Veränderung der Lehre Lucians und später der Nestorianismus) gab es eine Fortentwicklung und Verwandtschaft. Die alte Antiochenische Schule, die nur locker zusammenhielt und monarchianisch gesinnt war, nahm im Menschen Jesus nur eine unpersönliche göttliche Kraft an, also nur eine Person, die menschliche Person. Die neue Antiochenische Schule, die enger verbunden und nicht monarchianisch gesinnt war, nahm im Menschen Jesus den persönlichen Sohn Gottes an, also folgerichtig zwei Personen. Das ist eine einfache Fortentwicklung. Die grundlegenden Termini der alten Antiochenischen Schule „evoixrjoig" (Einwohming),,,CTwra99£ia"(Verbindung),„¿>c jigoxonf/g refieonoielodai" (fortschreitende Vergottung) hatte auch die neue Antiochenische Schule. Die liberale Stellung gegenüber der heiligen Schrift war, wie wir sahen, den Adoptianisten, dem Lucian und dem Theodor von Mopsuestia, das heißt der alten und der neuen Antiochenischen Schule gemeinsam zu eigen. Der Nestorianismus also betrachtete nicht nur die menschliche Natur Christi als besondere, bildungsfähige Person, sondern auch die Einwohnung des göttlichen Logos in ihm als graduell, wie eine graduelle Gnade und Kraft. Das Spezielle und Charakteristische des Nestorianismus war nur dies, daß er in Jesus zwei volle Naturen, die menschliche und die göttliche, und zwei Personen annahm. Dies hatte folgenden Grund: In jener Zeit betrachtete man Natur und Person als einander fest verbundene und untrennbare Größen. Darin bestand die Schwierigkeit, mit der man rang. Der Gebrauch von zwei Naturen zog den Gebrauch von zwei Personen nach sich (Nestorianismus), der Gebrauch einer Person zog den Gebrauch einer Natur nach sich (Monophysitismus). Einem von diesen beiden Extremen zu folgen waren die Theologen jener Zeit geradezu gezwungen. Man denke z. B. an Nestorius und Cyrill von Alexandrien. Als Cyrill von Alexandrien, gleichartiger Neffe und Nachfolger des Theophilus von Alexandrien, auf die dritte ökumenische Synode in Ephesus (431) kam, hatte er eine große Anzahl von ägyptischen Bischöfen, Mönchen, Bedienten und Matrosen mit kräftigen Armen mit sich. Er hatte die kleinasiatischen Bischöfe auf seiner Seite, wie auch ehemals sein Onkel Theophilus bei der Verurteilung des Johannes Chrysostomus (403). Chrysostomus und Nestorius waren beide Antiochener und
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Patriarchen von Konstantinopel, d. h. doppelte Rivalen und den Alexandrinern verhaßt. Nestorius wurde in der dritten ökumenischen Synode verurteilt, in einer abendlichen Stunde, unter dem Licht der Kerzen und den Hochrufen des Volkes von Ephesus. Als die Regierung sich dem Alexandriner Cyrill feindlich zeigte und ihn und seine gleichgesinnten Freunde ihres Einflusses beraubte, gelang es Cyrill, sich durch einen Brief den er im Stock eines Bettlers versteckt hatte, mit den Bischöfen und Mönchen in Konstantinopel in Verbindung zu setzen. Es gelang ihm sogar, seinen Arzt Johannes mit „xQvaäq evXoyiag" (goldenen Segnungen) nach Konstantinopel zu einflußreichen Männern und Damen des Hofes zu schicken (Mansi 5, 988). Die v o m Kaiser Theodosius II. eröffnete versöhnliche Politik brachte erst nach zwei Jahren (433) ein Resultat. Der Nestorianismus zog sich aus Syrien in das Innere des Landes, nach Mesopotamien und Persien, zurück. Seinen Platz nahm nun die entgegengesetzte Lehre, der Monophysitismus ein, namentlich unter den Mönchen. Die Mönche neigten zur Mystik, das heißt zu der Einung mit Gott und ihrer Vergottung. Aber wie kann man für sich eine solche Einung mit Gott undVergottung erhoffen, wenn sich die menschliche Natur in Christus nicht mit seiner göttlichen Natur vereinigte und er nicht vergottet wurde? Mystizismus also und Monophysitismus sind verwandt, und vielleicht entstand der zweite aus dem ersten. Die nach Dionysius Areopagita genannten Schriften sind zugleich mystisch und monophysitisch. Das ist nicht zufällig. Es gibt eine innere Beziehung zwischen beiden. Es ist natürlich, daß der Vorkämpfer des Monophysitismus der Mönch Eutyches war, den man als Führer der Mönche von Konstantinopel betrachtete und der Einfluß am H o f hatte. In der neuen Synode von Ephesus setzte der ausgesprochene Monophysit Dioskur, der Patriarch von Alexandrien, die Tradition seines Vorgängers Cyrill fort. Es begleiteten ihn kräftige Matrosen und Parabolanen, die Krankenpfleger und dazu Totengräber waren. Man konnte sie auch zu anderen Zwecken gut gebrauchen. In demselben Geist beteiligten sich auch ähnliche andere Gruppen an der Synode in einer Weise, daß diese sich den Namen „Latrocinium Ephesinum" (Räubersynode von Ephesus) zuzog. Schon die vier Kappadozier hatten unter dem Einfluß des Eustathius von Antiochien (325-329) in bezug auf das christologische D o g m a eine große Umwandlung vorbereitet, die dann später durch das vermittelnde Dekret der dritten ökumenischen Synode von Ephesus (431/433), durch den dogmatischen Brief des Papstes Leo I. und das Dekret der vierten ökumenischen Synode (451) vollendet wurde. Es waren diese verschiedenen Faktoren der Zeit, des Ortes und der Art und Weise nötig, damit die
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bisher miteinander so fest verbundenen und f ü r untrennbar gehaltenen Größen Natur und Person endlich getrennt werden konnten. Damit war die Schwierigkeit, die die Lösung des Problems bisher verhindert hatte, behoben. Seitdem konnte man von zwei Naturen sprechen, ohne daß man gezwungen war, auch zwei Personen anzunehmen, oder man konnte von einer Person sprechen, ohne daß man gezwungen war, nur eine Natur anzunehmen. Man sieht es im Dekret der vierten ökumenischen Synode. „"Eva xal rov avrov Xqiaröv ev Svo (pvaeaiv davyxvrcog, ärgenrcog, ädiaiQsra>g, ä%a>Qiorioi; xal eig ev nqoaoonov xal ¡xiav v7i6axaaiv, eva xal röv avrov viov xal fiovoyevfj, rov deiov Xoyov" (Einen und denselben Christus in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungeteilt, ungetrennt und in einer Person und einer Hypostase, einen und denselben Sohn und Eingeborenen, den göttlichen Logos). Die fünfte und sechste ökumenische Synode (553, 681) nahmen die Entscheidungen der vierten ökumenischen Synode an und vollendeten sie.
Schon in das zweite Jahrhundert fällt der Anfang des Auftretens von Oberhäuptern in den autokephalen Kirchen (Exarchen, Patriarchen); die ihren Einfluß über große Gebiete ausbreiten. Die ersten Exarchen waren die von Alexandrien, Antiochien, Ephesus, Cäsarea in Kappadozien und Heraklea in Thrazien. Die zweite ökumenische Synode (381) ordnete die Exarchien (2. Kanon) und schob den Bischof von Konstantinopel vor (3. Kanon), da Konstantinopel bereits die neue Hauptstadt geworden war. Der Exarch von Konstantinopel unterwarf die Exarchen von Heraklea, Ephesus und Caesarea. Diese Unterwerfung geschah nicht ohne Reaktionen. Z u solchen kam es dreimal: in der Verurteilung des Johannes Chrysostomus (403), in der Verurteilung des Nestorius (431) und im Votum des 28. Kanon der vierten ökumenischen Synode (451). Trotzdem bestätigte diese Synode die erwähnte Ausdehnung und überhaupt die herrschende Stellung des Bischofs von Konstantinopel und schob den Bischof von Jerusalem vor. Cypern wurde für kirchlich unabhängig erklärt (dritte ökumenische Synode 431), später wurden auch andere Kirchen unabhängig, unter ihnen die slavischen. IE ZERSPLITTERUNG DER VERFASSUNG.
Man muß zwischen den Patriarchaten und den unabhängigen Kirchen unterscheiden. Die Patriarchate entstanden zuerst in den Zentren (politisch und kirchlich wichtigen Städten) und erst allmählich bildeten sich dazu gehörende Provinzen, die gewöhnlich sehr groß waren, so daß die zweite ökumenische Synode (381) es für ratsam hielt, sie zu verkleinern. In den
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anderen unabhängigen Kirchen bildeten sich erst die Provinzen und dann die Zentren (Städte zweiten Ranges). In den Patriarchaten erschuf die Bedeutung der Zentren die Provinz (Autokephale Kirchen), in den anderen Kirchen erschufen die Bedürfnisse der Provinz die Zentren (Unabhängige Kirchen). Die Abhängigkeit der Provinzen von den Patriarchen war größer als die Abhängigkeit der anderen Provinzen von ihren Vorgesetzten. Nach dem Tode des Patriarchen löste sich die Synode auf (z. B . in Konstantinopel keine Bischofs wähl), nach dem Tode des Vorgesetzten der unabhängigen Kirche hingegen löste sich die Synode nicht auf. Der Vorgesetzte der unabhängigen Kirche war nur ein einfacher Präsident der Synode. Diese alten Unterschiede sind (vielleicht aus Unkenntnis oder aus Überheblichkeit) durch neuere Statuten mehr oder weniger zurückgedrängt worden. Die bischöflichen Titel im Orient und Okzident. Im Orient war der Titel der Patriarchen, inklusive des Papstes von R o m , das superlativische Adjektiv "ooMOTarog" (vir summae virtutis). In der Übersetzung von Briefen orientalischer Bischöfe an den Papst übersetzte man im Okzident den Titel „oaiditaxog" ungenau in „sanctissimus" (äyubrarog; Migne P.L. Band 50, 447. Band 5 4 , 7 2 1 und 727). Diese ungenaue Übersetzung vereinigte sich im Okzident mit dem dort üblichen päpstlichen Titel „beatissimus" („sanctissimus et beatissimus"; Migne P.L. Band 54, 606, 744,950, 976,1052). Abwandlungen der Titel erschienen auch im Orient. W i e wir in der Justinianischen Zeit f ü r den Patriarchen von Konstantinopel das erste ausdrückliche Zeugnis haben, daß er den Titel „oitcovfievixog" (ökumenischer) trug, entsprechend dem päpstlichen Titel „universalis" (Mansi 8, 1038), so übertrug man ihm auch den doppelten päpstlichen Titel „sanctissimus et beatissimus" in derselben Epoche (Novella III. caput 2. Novellae VII. XLII. L X V I I in der Adresse). Damit hörte der Titel „oauararoq" auch im Orient auf, patriarchalischer Titel zu sein und wurde durch den Titel „äytüiTaroi;" (sanctissimus) ersetzt 1 ). Der Titel „fxaxagidnarog" (beatissimus) ist vom Patriarchen von Konstantinopel aufgelassen worden (Novellae L V . LVI. L X V I I . in den Adressen. Novella LVIII im Corpus und im Epilog), er wurde von den andern Patriarchen des Orients übernommen und blieb dort bis heute. Für den Patriarchen von Konstantinopel war der Titel „äyid)Tarog" in Gebrauch gekommen, der seit dem zwölften Jahrhundert in „7iavayid>Taxoq" verwandelt wurde, und so ist er bis heute geblieben. Der Titel „dyicoraros", der anfangs Titel aller Bischöfe war, wurde für die Bischöfe, wahrscheinlich seit der Mitte des 1 1 . Jahrhunderts, durch den Titel „isgcbraros" ersetzt, aus dem später „7tavieQu>rarog" wurde und bis heute so blieb.
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Die Entfremdung des Orients und Okzidents. Der Vorkämpfer der Freiheit des Orients gegenüber der päpstlichen Alleinherrschaft war der Patriarch von Konstantinopel. Von der vierten ökumenischen Synode (451) wurde zwischen ihm und dem Papst die Ranggleichheit festgestellt (28. Kanon) und in der Zeit Justinians (6. Jahrhundert) wurden auf ihn die päpstlichen Titel („äyubrarog xai fiaxagubraToi;" und „oixov/j-evixog") übertragen. Die Trullanische Synode (691) bestätigte den erwähnten 28. Kanon der vierten ökumenischen Synode, verurteilte kirchliche Sitten des Okzidents (Kanones 13. 55. 67. 82), erwähnte keine okzidentalische lokale Synode als verbindlich (Kanon 2) und anerkannte die sogenannten 85 apostolischen Kanones, während R o m nur j o von ihnen anerkannte. Alle diese Feststellungen zeigen, wie weit die Entzweiung der beiden Kirchen vorgeschritten war. Kaiser Leo III. (732), der gewöhnlich den Beinamen Isaurier hat, trennte das südliche Italien und das orientalische Illyrikum von der okzidentalischen Kirche ab. Ebenso trennte er vom Patriarchat von Antiochien, das unter arabischer Herrschaft war, das kleinasiatische Isaurien ab. Alle diese Länder gehörten politisch zum byzantinischen Reich. Durch ihre nunmehrige kirchliche Abhängigkeit vom Patriarchen von Konstantinopel fiel das politische und das kirchliche Gebiet des byzantinischen Reiches zusammen. Dieses hatte große Bedeutung: das byzantinische Reich für die Byzantiner! Hinaus mit den fremden politischen und kirchlichen Herrschern! Es war ein Vorzeichen des großen Schismas der beiden Kirchen. Das Schisma des Orients und Okzidents. Papst Nikolaus I. „totius mundi imperatorem se fecit" (Monumenta Germ. hist. Scriptores I., 463, 34). Er fand Gelegenheit, sich in den Kampf der Konservativen und Liberalen von Konstantinopel (860) und in den ruhmsüchtigen Drang Bulgariens (866) einzumischen. Aber er begegnete in Konstantinopel Photius. Beide waren heftige Charaktere ohne Nachgiebigkeit und ohne Kompromisse. Doch dürfen sie nicht als Begründer des Schismas betrachtet werden. Sie sind vielmehr Repräsentanten zweier verschiedener und entgegengesetzter Welten. Nikolaus führte in Bulgarien die römischen kirchlichen Sitten und die Lehre des Filioque ein. Diese Lehre war bis dahin nur eine „diskutierbare Frage", ein „&eoXoyov¡nevov" zwischen den Okzidentalischen und den Orientalischen (Maximus Confessor, Epistola 20 an Papst Marinus. Migne 61). Seitdem sie aber vom Papst in einem Teile der orientalischen Kirche eingeführt worden war, hörte sie auf, eine diskutierbare Frage zu sein und erschien als kirchliches Dogma. So erhielt Photius zum ersten Mal den Anlaß, sie als Häresie zu bekämpfen. Nach der Meinung des Photius waren die römischen kirchlichen Sitten früher tragbar gewesen (Photius Apolog. Brief c. 6), seitdem sie aber vom Papst
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in einem Teile der orientalischen Kirche eingeführt w o r d e n waren, hörten sie auf, tragbar zu sein. Sie w u r d e n verwerflich und der V e r urteilung w e r t (Photius, Rundschreiben an die Patriarchate des Orients, c. 5 f.). Papst Nikolaus setzte den Patriarchen Photius ab (863), Photius setzte den Nikolaus ab (867). Später w u r d e n die beiderseitigen Bannflüche allgemein und offiziell und das Schisma der beiden Kirchen w a r endgültig (1054). Im elften Jahrhundert beschäftigte man sich mit rationalistischen und scholastischen Fragen. Initiator w a r der hervorragende Professor der Philosophie und Direktor der höheren Schule v o n Konstantinopel, Michael Psellos ( f E n d e des 11. Jahrhunderts), der manche Ähnlichkeit mit Desiderius Erasmus ("f 1536) hatte. Beide waren kurze Zeit M ö n c h e gewesen und verließen das M ö n c h t u m mit Abscheu. Beide waren hervorragende Philologen und bildeten, beeinflußt durch das Studium der alten griechischen Schriftsteller reformatorische kirchliche Ideen aus, gelangten aber nicht bis z u m Extrem. Beide waren geistvolle und anmutige Schriftsteller, lebten in Kreisen der hohen Aristokratie, und beiden gefiel der Verkehr mit schönen, adligen und gebildeten D a m e n . D e r Patriarch v o n Konstantinopel Johannes Xiphillinus, Freund und K o l l e g e des Psellos in der erwähnten Schule, beschuldigte ihn, sich v o m Geiste der Kirche entfernt zu haben. Michael Psellos rechtfertigte sich in folgender bemerkenswerter W e i s e : „ V o n den D o g m e n der Philosophen ließ ich einen Teil sofort beiseite. Manche aber, die sehr w o h l einen Einfluß auf unsere Sache haben, nahm ich zu den heiligen W o r t e n hinzu, w i e es auch G r e g o r (von Nazianz oder v o n Nyssa) und Basilius (von Caesarea), die g r o ß e n Lichter der Kirche, gemacht haben . . . Das „avkkoyi^eadai"
(nach-
denken, Syllogismen gebrauchen), Bruder, ist weder ein der Kirche fremdes Verfahren, noch eine seltsame These der Philosophierenden, sondern ein W e r k z e u g der Wahrheit für die A u f f i n d u n g einer gesuchten Sache" (Epistel an Xiphillinus; K . Satha, Mittelalterliche Bibliothek, B a n d 5, S. 447). Manche seiner eignen Schüler, oder Schüler seiner Schüler, gingen weiter als ihr Lehrer und w u r d e n v o n der Kirche v e r urteilt. Ein Schüler des spät-byzantinischen Gelehrten G e o r g Gemistos (Plethon f 1450), Marsilio Ficino in Florenz, beeinflußte Erasmus in seinen reformatorischen kirchlichen Ideen. A u f diese Tatsache hat schon mein Lehrer, der Philosoph R u d o l f Eucken in Jena ( f i 9 2 ö ) hingewiesen. Die Mystik des Orients. B e i m berühmten Philo (f u m 42 n. Chr.) erscheinen die ersten Spuren der M y s t i k des als Licht gesehenen Gottes ( Ü b e r den Rausch 11, Ü b e r die T r ä u m e I. 13 und öfter). Diese Ansätze w u r d e n v o n den Neuplatonikern (3. Jahrhundert) weiterentwickelt und beeinflußten Evagrius Pontikus ("[399, Ausgabe v o n W . Frankenberg, 1912). S y m e o n
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der Neue Theologe, der bedeutendste Mystiker der orientalischen Kirche, proklamierte das sichtbare göttliche Licht als den letzten Z w e c k der Mystik. In diesem neuen Sinn erschien es auch bei den Hesychasten des heiligen Berges Athos im 14. Jahrhundert. Mit den Fragen der Hesychasten beschäftigten sich philosophisch gebildete Männer und riefen so theologische Streitigkeiten hervor. Fünf Synoden in Konstantinopel (zwei im Jahre 1 3 4 1 , 1347, 1 3 5 1 und 1368) verurteilten die Feinde der Hesychasten. Die Gründe waren die folgenden: Die Theorie, daß nicht nur das Wesen Gottes sondern auch seine Energie unsichtbar, unnahbar und nicht mitteilbar ist, wie der erste Bekämpfer der Hesychasten, B a r laam aus Kalabrien, feststellte, machte jede Vereinigung mit Gott und jede Vergottung unmöglich und setzte der Mystik ein Ende. Außerdem waren die Feinde der Hesychasten Kenner der scholastischen Theologie des Okzidents, wurden von ihr beeinflußt und suchten durch Übersetzungen ihre Ideen zu verbreiten. Die Hesychasten und ihre Verteidiger unterstützten somit die Eigenart der griechischen Theologie gegen den Einfluß der lateinischen Kirche. Die „Antirrhetik (das ist der Widerspruch gegen Rom) und der Fall Konstantinopels. Das Charakteristische der Zeit nach dem Schisma w a r die Antirrhetik gegen die Lateiner. Den ersten Platz nimmt die originelle Schrift von Photius „ Ü b e r die Mystagogie des heiligen Geistes" ein. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts gibt es nur etwa 50 Antirrhetiker, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts aber, das heißt in den letzten Jahren des byzantinischen Reiches, gewann die Bewegving die Übermacht. Alle Theologen kämpften gegen die Lateiner. Alle wollten den Stein des Fluches mit eigener Hand gegen das Papsttum werfen. Das gab den Anlaß zu dem V o r w u r f , der so oft zu hören ist und oft wiederholt wurde, daß dies der Trauermarsch sei, der den Fall Konstantinopels begleitete. In dieser allgemeinen Symphonie ertönen überraschend die Dissonanzen einiger, die Positives über die Lateiner schrieben. W i r erwähnen den Bischof von Maroneia Nicetas (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts) und Johannes Beccos (zweite Hälfte des 1 3 . Jahrhunderts). Über Nicephorus Blemmydes streiten sich die Kirchen. Die Lateiner halten ihn f ü r ihren Gesinnungsgenossen, die Orthodoxen sehen ihn als orthodox an, andere wieder meinen, daß er über den Gegensätzen stehe und seinen eigenen W e g ging (A. Heisenberg, Ph. Meyer). In den S y noden von L y o n (1274) und Florenz (1438) waren es die byzantinischen Kaiser, die, eigentlich nur aus politischen Gründen, zur Union drängten. So blieb die Union nur auf dem Papier. Sechs Monate nach der Synode von Florenz fiel Konstantinopel (29. Mai 1453). Der Cäsaropapismus des byzantinischen Kaisers und des türkischen Sultans.
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Der Cäsaropapismus des byzantinischen Kaisers war allerdings ein Gegenwicht zur Zersplitterung der Kirche, aber er hob sie nicht auf, denn erstens war der byzantinische Cäsaropapismus jeweils von den geeigneten Personen und besonderen Umständen abhängig, zweitens waren die byzantinischen Kaiser selbst Kinder der zersplitterten Kirche und wurden von ihr beeinflußt, und drittens gab es politisch-religiöse Parteien, die die kaiserliche Omnipotenz beschränkten und von denen seit wenigen Jahren so viel die Rede ist. (Das gilt besonders von Feh. Dvornik.) Der türkische Sultan und Kalif der Mohammedaner wollte den Christen gegenüber die Stellung des byzantinischen Kaisers einnehmen und vollzog eine Art der byzantinischen „ngoßAtjoig" (Aufstellung, Designierung) des Patriarchen. Aber der religiöse Gegensatz hinderte ihn daran, zu den Andersgläubigen in engere Beziehungen zu treten. Man kann also nicht von einer Aufhebung der Zersplitterung der orthodoxen Kirche sprechen. Die Stellung des Patriarchen von Konstantinopel. Nach der Auffassung der Türken war der Patriarch von Konstantinopel nur das Oberhaupt einer religiösen Gruppe, aber nach der der Griechen war er das Oberhaupt ihrer Nation. Der Sinn aller Griechen erblickte in seiner Person den verschwundenen byzantinischen Kaiser, und der Patriarch selbst sah in seinem Mantel, wie ärmlich er auch immer war, den kaiserlichen Purpurmantel. Ganz besonders beseelte und personifizierte diese Tendenzen der großartige Patriarch Joachim III. ("("1912), wie ihn derjenige unendlich treffend charakterisierte, der ihm die Leichenrede hielt. Seit seiner Zeit tragen die Patriarchen von Konstantinopel auf der Brust den byzantinischen Doppeladler. Schon seit dem sechsten Jahrhundert bildete sich allmählich die Theorie, daß die oberste kirchliche Gewalt die fünf Patriarchen seien, das heißt die vier Patriarchen des Orients und der Papst. Diese Theorie wandte sich anfänglich gegen die Bedeutung der Bischöfe in der Gesamtheit. In der für den Papst freundlichen Synode des Jahres 869 in Konstantinopel unter dem Patriarchen Ignatius, sprachen Kaiser Basilius I. der Mazedonier, sein Stellvertreter Baanes und geistliche Mitglieder der Synode mehrmals von der Theorie der fünf Patriarchen als oberster kirchlicher Gewalt (Mansi, Band X V I , 312 A. 344 BE. 345 E. 348 CD.). Sie hofften so die Bedeutung des päpstlichen Libells zu vermindern, oder sogar zu annullieren. Seit dem Schisma und der Entfernung des Papstes beschränkte sich die Theorie der fünf Patriarchen auf die vier Patriarchen des Orients. Sie wurde nach dem Fall von Konstantinopel oftmals angewendet. Der Patriarch von Konstantinopel Maximus III. (1482) berief eine Synode, an welcher die vier Patriarchen des Orients durch ihre Stellvertreter und eine Anzahl
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v o n Metropoliten des Patriarchats v o n Konstantinopel teilnahmen. Sie verurteilte die Synode von Florenz und erließ Bestimmungen über die Rückkehr aus der lateinischen Kirche (M. Gedeon, Kanonische Bestimmungen Band II. S. 65f.). Der Patriarch v o n Konstantinopel Jeremias II. (1593) berief wieder eine Synode der vier Patriarchen, v o n denen der v o n Antiochien einen Stellvertreter schickte. A u c h eine Anzahl v o n B i schöfen nahm wieder teil. Sie erkannte das neuentstandene Patriarchat v o n Rußland an und faßte einige Beschlüsse gegen die römischen N e u e rungen (Dositheos von Jerusalem, Band der Liebe S. 538f.). Im unitarischen Briefwechsel der Anomoten v o n England (Schismatiker unter Campbell, 1718-1724), trugen die beiden Briefe der orthodoxen Kirche nur die Unterschriften der vier Patriarchen des Orients (Mansi, Band 37, 321 f.). Die Theorie der Bedeutung der Patriarchen und ihre Unterschriften machten die Synoden in mehreren Fällen überflüssig. Das Auftreten des antipäpstlichen Protestantismus i m Okzident und die Existenz einer Kirche ohne den Papst i m Orient erregten natürlicherweise das gegenseitige Interesse. Der Patriarch v o n Konstantinopel Joasaph II. schickte den Diakon Demetrius Mysos nach Deutschland, der einen Brief v o n Melanchthon zurückbrachte (1559). Z w e i Professoren v o n Tübingen führten einen Briefwechsel mit dem Patriarchen v o n Konstantinopel Jeremias II. (1573-1581) 1 ). V o n diesen ersten Beziehungen w a r man jedoch beiderseits nicht begeistert, ja, sogar enttäuscht. Die Protestanten befriedigte hingegen das mit ihrer Lehre übereinstimmende Bekenntnis, welches in G e n f unter dem N a m e n des Patriarchen v o n Konstantinopel Cyrill Loukaris (1629) erschien. A b e r die Echtheit dieses Bekenntnisses ist bis heute umstritten. Außerdem haben es mehrere Synoden des Orients verurteilt. Die Bildung der Einheimischen lag in den Händen der Kleriker und M ö n che. Diejenigen, die eine höhere Bildung erhalten wollten, konnten sie anfangs in den Bibliotheken der Klöster finden, w o sie oftmals Personen trafen, die sie anleiten konnten. Wenigstens w a r dies in den idiorrhythmischen Klöstern seit dem 17. Jahrhundert möglich, w i e Ph. Meyer bemerkte: „ D o r t sind die Mönche Persönlichkeiten, dort hat man Interesse f ü r die Wissenschaft, soweit das die allgemeinen Verhältnisse des Orients zulassen, dort treibt man vaterländische Politik, dort trifft man auf feines und würdiges Benehm e n " (Haupturkunden für die Geschichte der Athosklöster, 1894, S. 3). Die Kirche stiftete i m 18. Jahrhundert niedere und höhere Schulen, soweit es ihr möglich war. Im großen und ganzen w a r die Bildung gewöhnlich M. Crusius, Turkograecia, S. 4 i o f . , 559 (der Brief v o n Melanchthon).
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der Geschichte der orthodoxen
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nach Quantität und Qualität konservativ. Aber im selben Jahrhundert trat der christliche Orient in engere Beziehungen zu dem modernen westlichen Europa, aus dein liberale Ideen eingeführt wurden, die auch auf die Religiosität einwirkten. Die dort Studierenden führten in den Schulen des Orients die neueren physikalisch-mathematischen Disziplinen und die neuere Philosophie ein und man begann als Urheber der vernachlässigten Bildung die traditionelle Frömmigkeit anzusehen. Besondere Verdienste um die Einführung der erwälinten Disziplinen im Orient erwarb sich der Kleriker Methodius Anthrakites aus Janina, der in Italien studiert hatte. Man beschuldigte ihn im Jahre 1723 des Pantheismus und der extremen Mystik, deren Vertreter der Spanier Miguel de Molinos war. Der Kleriker Theophilus Kairis ("J" 1853) von der Insel Andros hatte in Pisa und Paris studiert und lehrte Mathematik und Physik in Smyrna, Kydoniae und Andros. Ihn beschuldigte man, Anhänger der Theophilanthropen in Paris ( 1 7 9 7 - 1 8 0 1 ) und des französischen Philosophen Auguste Comte (1778-1853) zu sein. Der Kleriker Eugenius Bulgaris ("f 1800) aus K o r f u hatte in Padua Theologie, Philosophie und Mathemathik studiert und lehrte vor allem in Janina und in der Hochschule des Berges Athos. V o n beiden Schulen wurde er vertrieben, weil er neuere Philosophie (Descartes, Locke, Leibniz und W o l f ) lehrte, seine Orthodoxie blieb aber außer Zweifel. Die Gelehrten teilten sich in jener Zeit in zwei Parteien, in die konservativen und die liberalen, die sich in W o r t und Schrift einander bekämpften. Die Kirche blieb diesem Gegensatz gegenüber längere Zeit zurückhaltend, aber es ist natürlich, daß sie scliließlich der Partei der Konservativen folgte. Der Patriarch von Konstantinopel Gregorius V . errichtete 1790 einen Rezensionsausschuß f ü r die in der Patriarchatsdruckerei zu drukkenden Bücher und verbot die von anderswo her kommenden Schriften (1820). So wollte er die geistige Bewegung unter die unmittelbare K o n trolle des Patriarchats bringen. Adamantius Korais (i" 1833), der Mentor des neuerweckten Griechenlands, nahm eine Mittelstellung zwischen den beiden Parteien ein. Er bekämpfte die Feinde des Fortschritts, aber auch diejenigen, die den Fortschritt von den Grundlagen der Vergangenheit trennten. Er wollte die ununterbrochene und physiologische Entwicklung fördern. „Ich sehe", schrieb er, „daß die Brunst der Geister nicht nur jeden Tag, sondern jeden Moment so wächst, daß ich zu fürchten begann, daß die Nation nicht mehr erleuchtet werde, sondern daß sie übermäßige Lichter erhalte . . . und die letzte Täuschung schlimmer denn die erste werde. Die Tendenz (des Fortschritts) soll nicht gedämpft werden, sondern angefacht, aber diejenigen, die sie anfachen, müssen dafür sorgen, daß die Nation sich erwärme, ohne sich zu verbrennen,
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oder, wie in dem Wunder des brennenden Busches, daß sie brenne, ohne zu verbrennen" (Briefvom 19. Juli 1818. „'Exxkrjaiaarixrj 'AArj&eia", Zeitschrift in Konstantinopel, Band IX, S. 375). Man darf sagen, daß die im 1 g. Jahrhundert gestifteten Universitäten die Ermahnungen v o n Korais
anwendeten. Ihre theologischen und anderen Fakultäten treiben einander und hemmen einander so, daß sie der besonnenen Bewegung dienen.
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PROF. DR. PANAGIOTIS TREMBELAS DER
ORTHODOXE
CHRISTLICHE
GOTTESDIENST
1. Allgemeine Charakteristik
D
er Orthodoxe Christliche Gottesdienst hat die von der Kirche der ersten Jahrhunderte auf uns gekommenen Grundprinzipien und Hauptlinien des Gottesdienstes treu bewahrt. Seine endgültige, klassische Gestaltung und Formulierung erhielt er durch die Inspiration der großen Kirchenväter des Ostens und zu deren Zeit. Also wird in ihm der Geist der tiefen und inbrünstigen Frömmigkeit und der Hingabe an Gott verkörpert, welcher jene tatsächlich den Geist in sich tragenden Männer beseelte - wie auch ihre Sehnsucht nach Wiedergeburt und Umformung des Menschen durch die Trennung von der Eitelkeit und den Lockungen der Welt und durch die Erhebung zu seinem Schöpfer und zur himmlischen Wirklichkeit. Da nun die Entwicklung seiner endgültigen Formulierung mit den trinitarischen und christologischen Auseinandersetzungen zeitlich zusammenfällt, wurde er auch durch dogmatische Formulierungen von wunderbarer und unerreichter Genauigkeit und Deutlichkeit bereichert, in den Gebeten sowohl als auch in den Hymnen, so daß der, der diesen Gottesdienst lebt und erlebt, stufenweise, gewaltlos und ganz natürlich in die von den ökumenischen Konzilien festgesetzten Dogmen eingeführt wird. Nach der Vervollständigung dieser Form im achten Jahrhundert sind auch keine wesentlichen Veränderungen in ihm festzustellen, zumindest in seinen Hauptlinien. Allerdings würde man ihn, wie Dix1) bemerkt, zu Unrecht als verknöcherten und versteinerten Gottesdienst charakterisieren, denn wenn er sich nicht mehr weiter entwickelt hat, so liegt das nach Dix einzig und allein daran, daß er auf einer Stufe der Entwicklung angelangt ist, die keine Veränderung zu seiner Vervollkommnung mehr erlaubt. Zeugnis seiner geregelten und in jeder Beziehung natürlichen Formung ist, daß er trotz der bei seiner Entwicklung zu verzeichnenden Veränderungen der gottesdienstlichen Tradition der Kirche der ersten zwei Jahrhunderte so nahe blieb, daß von der neu*) Gr. Dix, The Shape of the Liturgy, I. Aufl. 1945, S. 764.
US
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
zeitlichen liturgischen Bewegung der Benediktiner, die die Rückkehr zu dieser Tradition anstrebt, behauptet wurde, sie sei unmittelbar durch die liturgische Praxis der orthodoxen Kirche beeinflußt - oder nach anderen, daß die Benediktiner bis auf den Gottesdienst der ersten christlichen Jahrhunderte zurückgingen und so mit der Ostkirche aus derselben Quelle schöpften, das heißt aus dem der ganzen Christenheit gemeinsamen Vermächtnis 1 ). So ist im orthodoxen Gottesdienst mehr als in dem des Westens die Hervorhebung des metaphysischen Elementes der Religion bewahrt, ebenso auch die Gemeinschaft mit dem transzendentalen Gott, der auf dem H i m melsthron sitzt, von den himmlischen Heerscharen gepriesen, der sein allübersehendes und liebendes A u g e auch auf die Erde wendet und gnädig die von dort zu ihm emporgesandten gottesdienstlichen Äußerungen und Anrufungen annimmt. Zweifellos ist das ein jedem christlichen Gottesdienst gemeinsames Element. Es zeigt sich jedoch hervortretend und in klar wahrnehmbarer Weise im orthodoxen Gottesdienst, dessen Mitte immer das Mysterium ist. W i e einst Jesajas zerknirscht den Schrei ausstieß: „ W e h e mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen . . . denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, mit meinen Augen gesehen" (Jes. 6, 5), als er sich in der Ekstase dem Höchsten gegenübergestellt sah, der auf dem Ehrenthron sitzt und von den Seraphim mit verhüllten Gesichtern und Füßen unter unaufhörlichen Lobpreisungen umkreist wird - so auch der Liturg i m orthodoxen Gottesdienst. „ A n dem heiligen Opferaltar, als dem cherubischen Thron, stehend" 2 ) bekennt er zerknirscht, daß er „zu diesem göttlichen Mysterium nicht wie ein Würdiger, sondern mit dem Blick auf die Güte Gottes" kam 3 ). W i e nun Jesajas zu diesem Dienst tüchtig gemacht wurde durch die Kohle, die einer der Seraphim v o m Opferaltar nahm und damit seine Lippen berührte mit den Worten: „Siehe, hiermit sind deine Lippen gerührt, daß deine Missetat von dir genommen werde, und deine Sünde versöhnt sei" (Jes. 6, 7.), so auch im orthodoxen Gottesdienst. Zerknirscht fleht der Liturg, als ein „Unwürdiger, dem heiligen Altar gegenüberzutreten, auf dem der eingeborene Sohn, unser Herr, dem Sünder selbst zum Opfer vorgelegt ist" 4 ), daß der große ewige Hohepriester, „der auf dem Thron der Cherubim seinen Sitz hat, der Herr der Seraphim", ihn nicht verwerfe x
) Walter Birnbaum,
Die katholische liturgische Bewegung, S. 103 und Odo
Casel in RGG, Bd. III, Sp. 1700. 2
) Gebet der Liturgie der Vorgeweihten Gaben, vor dem Gebet des Herrn.
3
) Gebet der Liturgie des Jakobus bei Hammond, Liturgies Eastern and Western,
S. 25. 4 ) Ebenda.
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noch sein Angesicht von ihm wende, sondern ihn zu seinem Dienst, .tüchtig mache" 1 ). So strebt der Liturg, über die Erde erhöht zu werden und vor dem himmlischen Opferaltar niederzufallen. Gleichzeitig wird auf der anderen Seite durch Vermeidung der maßlosen Realistik und der äußerlichen Anschauung, die so weitgehend im römisch-katholischen Gottesdienst angewendet wird, auch für die Gottesdienstteilnehmer eine gewisse überirdische Atmosphäre geschaffen, in welcher das fromme Gefühl für das Mysterium unterstützt wird, die Losreißung der am Gottesdienst Teilnehmenden von den Lebenssorgen und ihre Emporhebung in eine andere, überirdische Ordnung, w o unter Symbolen und im Sakrament die Gegenwart des ewigen und unsichtbaren Gottes für die Seelen wahrnehmbar wird, die in diesem Gottesdienst aufgehen 2 ). So werden Liturg und Gottesdienstteilnehmer vor den „geistigen, himmlischen Opferaltar" gehoben 3 ), w o der ewige Hohepriester gegenwärtig ist, der „Darbringer", der „Dargebrachte" und den Gläubigen „Hingegebene" 4 ), indem er auch selbst tatsächlich das Sakrament vollzieht, er, „der in der Höhe mit dem Vater sitzt und uns hienieden unsichtbar gegenwärtig ist" und der „mit seiner mächtigen Hand" das Sakrament den Liturgen mitteilt, und durch sie „auch allem Volk" 5 ).
2. Eingehendere Charakteristik Wenn man den orthodoxen Gottesdienst näher untersucht, zeigt es sich, daß er 1. das biblische Element im Uberfluß in sich trägt. Es wird sehr häufiger Gebrauch der Psalmen Davids gemacht, die nie aufhörten, in jedem Gottesdienst eine bedeutende Stelle innezuhaben, auch, als im 5. Jahrhundert Hymnen freier Komposition in den Gottesdienst eingeführt wurden (Ephymnien, Troparien in Versen, Antiphone, Kontakien, Kanons). Den ganzen Psalter vom ersten bis zum letzten Gebet zum cherubischen Hymnus in den Liturgien des Chrysostomus und Basilius des Großen. 2
) Vgl. den cherubischen Hymnus: „Lasset uns nun alle Lebenssorgen beiseite
legen, damit wir den Herrn des Weltalls empfangen mögen, dem die Garde der Engelscharen unsichtbar dient." 3
) V g l . die Bitte vor dem Gebet des Herrn bei Hammond, a. a. O., S. 1 1 7 : „ A u f
daß unser menschenliebender Gott, nachdem er sie aufgenommen hat auf seinen heiligen, überhimmlischen und geistigen Altar . . . " 4
) Gebet zum cherubischen Hymnus bei Chrysostomus und Basilius d. Gr.
6
) Gebet v o r dem Emporheben des Brotes, vor dem Ausruf: „Das Heilige den
Heiligen!", Hammond, a. a. O., S. 1 2 1 .
iöo
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Psalm gehen die Mönche in ihren Gottesdiensten (Akoluthien) innerhalb einer Woche durch, und in jeder Woche des Großen Fastens wiederholen sie ihn zweimal. Sogar in den Städten macht sich sein Gebrauch während der Fastenperioden und besonders in der Karwoche bemerkbar. Perikopen aus der Bibel, sowohl aus dem Alten wie aus dem Neuen Testament, fehlen nicht bei den großen Abendgottesdiensten, bei allen Sakramentsordnungen, aber auch bei keinem Gottesdienst im allgemeinen. Der Orthros, die Hören, der Esperinos, die Apodeipna, das Mesonyktion bestehen zu ihrem größten Teil aus Psalmen. Auch die Gottesdienste, die einen besonderen Charakter tragen, wie die Paraklitiki („Bittkanons") sowie auch die Ordnungen der sakramentähnlichen Handlungen, wie die Wasserweihe usw., schließen Psalmen und Bibellesungen mit ein. Aber auch die Predigt bewahrte im Gottesdienst den Ort, der ihr zukommt. Sie hat ihn weder aufgesogen, noch ist sie ein in ihm vorherrschendes Element geworden, wurde jedoch immer als eins seiner unentbehrlichen Elemente betrachtet, wenn auch das Elend während der finsteren Jahre der Knechtschaft bei der göttlichen Predigt offensichtlichen Verfall mit sich brachte. An Stelle des Verfalls ist aber schon wieder intensive Pflege getreten. 2. In ihn ist das dogmatische Element reich hineinverwoben, was ihm einen deutlichen trinitarischen Charakter verleiht. Jeder Gottesdienst richtet sich an den Gott und Vater durch Jesus Christus im heiligen Geist. B e sonders der Hauptgottesdienst (Liturgia) ist eine gottesdienstliche Handlung, die sich an den einen dreieinigen Gott wendet. Er beginnt und endet mit dem Preis des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Die Ausrufe sind fast alle Lobpreisungen an die drei Personen der Gottheit. Man kann in ihm auch dreifache Wiederholungen, Hymnengesänge und Unterteilungen unterscheiden. Drei Kollektengebete nach den drei Antiphonen am Anfang, drei Siegeshymnen (Epinikii), das ist der Trisagios, der cherubische, der Epinikios; drei Hauptpunkte in der Anaphora, das ist die Proskomedie, die eigentliche Anaphora und die Kommunion. Übrigens stellt das Dankgebet der Anaphora und seine Fortsetzung, das des Epinikios - besonders in der Liturgie Basilius d. Gr. - eine ganz wunderbare Darlegung des trinitarischen und christologischen Dogmas durch biblische Ausdrücke und Stellen dar. Auch in den anderen Gottesdiensten treffen wir dogmatische und trinitarische Troparien an, die in kurzen und rhythmischen Sätzen die tiefsten Gedanken des Dogmas enthalten, die sich so dem Gedächtnis des Gottesdienstteilnehmers leicht einprägen. Das christologische Dogma beispielsweise ist sehr gut in den Theotokien des Esperinos des Samstages durch Ausdrücke wie diese formuliert: „ V o n zweifacher Natur, nicht zweifacher Substanz" - „ . . . der
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keinerlei Ä n d e r u n g e r l i t t " - „ a b e r die E i g e n s c h a f t e n beider W e s e n h e i t e n g a n z b e w a h r e n d " u s w . Ü b r i g e n s sind d e m trinitarischen D o g m a
die
s o g e n a n n t e n trinitarischen K a n o n s u n d die trinitarischen T r o p a r i e n g e w i d m e t , K o m p o s i t i o n e n , die ein ganzes B u c h f ü l l e n . E i n e S t r o p h e aus e i n e m T r o p a r i o n , das b e i m Begräbnisgottesdienst g e s u n g e n w i r d , die S t r o p h e : „ I c h bete den V a t e r an, der in zeitloser Z e u g u n g u n d zeitl o s e m F o r t g a n g z e u g t e , l o b s i n g e d e m heiligen Geist, der aus V a t e r u n d S o h n zugleich strahlt" zeigt deutlich g e n u g , w i e g e l u n g e n auch das trinitarische E l e m e n t m i t d e m K i r c h e n g e s a n g des o r t h o d o x e n G o t t e s dienstes v e r k n ü p f t ist 1 ). W i r führen aus den Trinitarischen Kanons beliebige Stellen an, z. B . aus dem Kanon i m i . T o n des Sonntags: „ D a m i t du den Menschen deine dreifach strahlende Gottheit als Einheit offenbarst, schufst du zuerst den Menschen und gestaltetest ihn nach deinem Bilde, indem du ihm Nous, Logos und Pneuma gabst" . . . „ A l s übernatürliche Einheit, unsagbar über jedes Verständnis erhaben, wird die Dreiheit von den Geistwesen gepriesen, den dreimalheiligen Stimmen, die nie verstummendes Lob rufen, mit denen i m Einklang auch von uns der dreigestaltige Herr gepriesen w i r d . " - U n d aus dem Kanon i m 2. T o n : „ D e r du die Quelle und Wurzel bist, o Vater, der Grund der im Sohn und in deinem heiligen Geist verwobenen Gottheit, laß meinem Herzen das drei Sonnen gleiche Licht hervorquellen, und schaff Licht, indem du uns an deinem göttlichen Strahlen anteilnehmen läßt" D u Gottesherrschaft, die du durch die Einheit in der Natur bestehst, ich preise dich mit gleichen Ehren in deinen drei Personen. Denn du, das Leben, bist unveränderlich einer, unser Gott, und außer dir, Herr, ist kein Heiliger." U n d von den Gebeten in der Göttlichen Liturgie eins aus der des Basilius d. G r . : „Gebieter über alles, Herr des Himmels und der Erde und aller sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung, der du sitzest auf dem Throne der Herrlichkeit und niederblickest in die Abgründe, o Anfangloser, Unsichtbarer, Unbegreiflicher, Unbeschreiblicher, Unveränderlicher, Vater unseres Herrn Jesu Christi, des großen Gottes und Heilandes, unserer Hoffnung, - der da ist ein Ebenbild deiner Güte, ein Siegel gleicher Zeichnung, der dich, den Vater, in sich zeigt, das lebendige W o r t , der wahre Gott vor Ewigkeiten, die Weisheit, das Leben, die Heiligung, die Kraft, das wahre Licht; durch welchen der heilige Geist erschienen ist: der Geist der Wahrheit, die Gnadengabe der Kindschaft, das Pfand des zukünftigen Erbes, der Erstling der ewigen Güter, die lebendigmachende Kraft, die Quelle der Heiligung; . . . denn weil durch den Menschen die Sünde und durch die Sünde der T o d in die Welt gekommen war, so geruhte dein eingeborener Sohn, der in deinem, des Gottes und Vaters Schoß ist, v o n einem Weibe, der heiligen Gottesgebärerin und Immer-Jungfrau Maria, geboren, und unter das Gesetz getan, die Sünde in seinem Fleische zu richten, damit die, so in A d a m sterben, durch denselben deinen Christus lebendig werden, . . . Er gab sich selbst als Lösegeld dem Tode, in welchem wir, die wir unter die Sünde ver-
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3. Er ist in höchstem Maße christozentrisch. Wenn wir mit der Feier des heiligen Abendmahles beginnen, beobachten wir, daß in ihr das Geschehnis des Kreuzesopfers des Herrn hervorgehoben wird, und sein ganzes Leben in seinen Hauptpunkten wieder vor Augen gestellt wird, besonders aber sein Leiden und seine Auferstehung. Die Handlung der Prothesis stellte in früherer Zeit eine Wiederholung der Geschehnisse auf Golgatha dar, daher sind auch bis heute mit ihr Bibelstellen verbunden, die sich auf das Leiden beziehen, wie: „ E r ist wie ein Schaf zur Schlachtung geführt . . . " und: „Der Kriegsknechte einer öffnete seine Seite mit einem Speer, und alsbald ging Blut und Wasser heraus." Die älteren Darstellungen, die in der Nische der Prothesis gemalt waren, waren entweder die Kreuzabnahme oder die Äußerste Erniedrigung. Später jedoch wurde die Darstellung in der Prothesis durch das Bild der Christgeburt ersetzt, und es werden beim Abstellen des Asteriskus auf dem Diskarion die Worte gesprochen: „Der Stern kam und stand oben darüber, w o das Kindlein w a r " . So wird in der Prothesis nach der späteren Symbolisierung der Herr bei seiner Geburt gezeigt; durch die mit Psalmversen verbundenen Antiphone der Liturgie erscheint er als Prophet; im kleinen Einzug wird er vor Augen gestellt, wie er in das öffentliche Leben hinaustritt; in der Lesung des Evangelienabschnittes wird er predigend gesehen. Unter dem großen Einzug versteht man, wie der Herr zum Leiden schreitet und es auf sich nimmt. Daher empfiehlt schon Theodor von Mopsuestia, nach der von Mingana veröffentlichten Handschrift der syrischen Übersetzung seiner „Mystagogischen Katechesen", daß die Gläubigen bei der Umtragung der heiligen Gaben durch die Diakone sich Christus ins Gedächtnis rufen, „der im Grab hegt und sein Leiden erduldet" 1 ). Darüber hinaus rezitiert der Priester nach einigen Codices Troparien, die sich auf das Begräbnis der Herrn beziehen. In der darauffolgenden Anaphora macht der Abschnitt, der „Anamnese" genannt wird, einen besonders hervorgehobenen Teil aus. Nach der Kommunion der Liturgen, gerade wenn die auf dem Diskarion befindkauft waren, gehalten wurden. Um mit sich selbst alles zu erfüllen, stieg er durch das Kreuz in das Totenreich und löste auf die Schmerzen des Todes. Und indem er auferstand am dritten Tag und jedem Fleisch den Weg bahnte zur Auferstehung von den Toten, weil es nicht möglich war, daß der Fürst des Lebens durch die Verwesung überwältigt werden konnte, war er der Erstling der Entschlafenen und der Erstgeborene von den Toten: Auf daß er selbst in allem der Erste sei. Er stieg auf in den Himmel, setzte sich zur Rechten Deiner Herrlichkeit in der Höhe, der auch wiederkommen wird, einem jeden zu vergelten nach seinen Werken." *) Hans Lietzmann, Die Liturgie des Theodor von Mopsuestia, S. 4.
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liehen Teile des geweihten Brotes in den Kelch geschüttet werden, wird ein Auferstehungsgebet rezitiert („Die wir die Auferstehung Christi gesehen haben"), und nach der Kommunion der Gläubigen bezieht sich der Liturg mit dem Satz: „Gott werde in die Himmel erhöht" auf die Himmelfahrt. Aber während in der Handlung des heiligen Abendmahles die Erwähnung der Hauptstationen des Lebens des Herrn mystisch geschieht und der symbolische Charakter vorherrscht, nimmt sie in den Festzyklen einen deutlicheren und anschaulicheren Charakter an. Wenn von einigen behauptet wird, daß die Ostkirche fast das ganze Gewicht ihrer Verehrung auf die Triumphfeier der Auferstehung wirft, so ist das nicht vollkommen richtig. Freilich bekommt jeder Sonntag einen freudigen Charakter, da an ihm die Tatsache der Auferstehung gefeiert und der auferstandene Herr durch Hymnen besungen wird, die auch in der Osterwoche gesungen werden, welche auch „Erneuerungswoche" genannt wird. Aber jeder Mittwoch und Freitag ist in allen Wochen des Jahres dem Gedächtnis des Leidens des Herrn am Kreuz gewidmet. Am Sonntag selbst, im Orthros, sind in den acht Tönen der Paralditiki die Kanons von Kreuz und Auferstehung enthalten, in welchen das Leiden am Kreuz und die Auferstehung ungetrennt besungen werden. In den Festzyklen von Weihnachten und Ostern wiederum bekommt das Gedächtnis der Geburt, der Beschneidung, der Taufe, des Leidens und der Auferstehung des Herrn durch den Kirchengesang einen ziemlich realistischen Charakter. Freilich geht die Ostkirche in der Realistik nicht so weit wie die Römisch-Katholische in ihrem Gottesdienst. In ihr fehlen die Plastiken, die Darstellung der Krippe, der Gebrauch eines plastischen Leibes Christi beim Epithaphios1) usw. Von der äußeren Anschaulichkeit macht die Ostkirche lieber vermittels der Hymnenliteratur, und auch da in geringerem Maße, Gebrauch. Ihre freudevollen oder traurigen Töne und die lebendigen Beschreibungen und Gemütsstimmungen machen den Gottesdienstteilnehmer fühlen, wie in diesem Augenblick Jesus geboren wird oder leidet oder aufersteht. Wenn der Gläubige beim Orthros von Weihnachten den Hymnus „Kommt her, ihr Gläubigen, wo Christus geboren wurde . . . " singen hört, wird er ganz von selbst an die Krippe versetzt. Und wenn er den hölzernen Gekreuzigten sieht und hört den Hymnus „Heute hängt er am Holz . . .", sieht er, wie sich vor seinen Augen das Drama von Golgatha entwickelt. Schließlich wird der christozentrische Charakter des orthodoxen GottesDas ist die Darstellung der Grablegung Christi, welche immer auf ein Tuch gestickt ist, das auf einer Art hoher Bahre mit einem Baldachin darüber liegt und in jeder Kirche vorhanden ist (Anm. d. Übers.).
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dienstes auch darin deutlich, daß dieser sich an den Vater durch Christus, den einzigen Hohenpriester und Opferer, wendet. D e r Liturg am O p f e r altar leiht nur seine Hand und seine Z u n g e dazu. D e r Zelebrierende ist er, der Hohepriester, der in Ewigkeit bei den Gläubigen ist, der darbringt als Priester nach der Ordnung Melchisedeks und der als O p f e r und Sühneopferung dargebracht w i r d und der als der neben d e m Vater Sitzende das dargebrachte O p f e r annimmt. 4. D e r Gottesdienst ist mystisch, indem er den Gläubigen v o n der Erde zum H i m m e l hebt. Das O p f e r , das w i r auf dem irdischen Opferaltar darbringen, bezieht sich auf den Himmel, w o „es unser menschenhebender Gott aufnimmt auf seinen heiligen, überhimmlischen und geistigen O p f e r a l t a r " 1 ) . U n d die auf Erden kämpfende Kirche, vereint mit der i m H i m m e l triumphierenden, vollzieht und ahmt nach, was die vierundzwanzig Altesten mit den vier Tieren i m H i m m e l tun, u m den, der auf dem T h r o n sitzt, zu preisen und zu verehren, nach der Beschreibung, die uns der Evangelist Johannes i m vierten und f ü n f t e n Kapitel der O f f e n barung gibt. Daher rufen die C h ö r e der Psalten 2 ), welche die Gläubigen daran erinnern, daß sie „ein mystisches Abbild der C h e r u b i m " sind, den Gläubigen zu, daß sie „alle Lebenssorge beiseitelegen m ö g e n " 3 ) , und der Liturg spricht zu ihnen die allgemeine Ermahnung: „die Herzen in die H ö h e ! " , nachdem er v o r der Anaphora heiß zu Gott gefleht hatte, daß er den dargebrachten vernünftigen und unblutigen Gottesdienst „ z u m Wohlgeruch auf seinen heiligen, geistigen Altar annehme" 4 ). S o nähern sich die Gläubigen i m Geist dem himmlischen Opferaltar, den irdischen Gedanken und Sorgen entrissen, und sie vereinigen sich mit den Engeln i m Himmel, u m mit ihnen den Trisagios, den Siegeshymnus, zu singen, w i e er bei Jesaja steht: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth . . . So bewegt sich der orthodoxe christliche Gottesdienst an zwei unterschiedlichen Orten, dem irdischen Opferaltar einerseits und dem himmlischen andererseits, das heißt, am sinnfälligen und am geistigen. Daher w u r d e auch der Kirchenraum verhältnismäßig spät durch das Ikonostasion in zwei Teile geteilt, und der „ C h o r " , der den Himmel selbst symbolisiert, umschließt den Opferaltar, auf dem „das geschlachtete L a m m " hegt ( O f f b g . 5, 6), und den Liturgen, der sich dem himmlischen Opferaltar selbst nähert, während das Ikonostasion die Gläubigen durch seine Bilder zu den unsichtbaren Wirklichkeiten der Himmelswelt emporführt. W i r behaupBitte vor dem Gebet des Herrn, Hammond, a. a. O., S. 1 1 7 . ) Das sind die Vorsänger im Gottesdienst (Anm. d. Übers.) 3 ) Cherubischer Hymnus. 4 ) Gebet der Proskomedie des Basilius d. Gr., Hammond a. a. O., S. 104 in der Fußnote. 2
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ten nicht, daß eine ähnliche Symbolik nicht auch im römisch-katholischen Gottesdienst existiert. Aber durch den vielleicht übermäßigen Gebrauch der äußeren Anschauung tendiert sie zum Konkreten, zum Greif- und Fühlbaren. Die Zeremonien des Gottesdienstes stellen das Geheimnis vor Augen, besser gesagt, sie enthüllen es, und sie projizieren es möglichst unverhüllt vor die Augen des Gottesdienstteilnehmers. I m orthodoxen Gottesdienst jedoch wird Realistik, das sinnfällige Vorführen und Ausdrücken vermieden, es herrscht die Symbolik und der Mystizismus, und die Atmosphäre des Ewigen verbreitet sich, durch deren Hauch wir der verweslichen W e l t entrissen werden und in eine geistige, überirdische W e l t eintreten, w o himmlische Ruhe herrscht. U n d wenn, mit wenigen W o r t e n , der römisch-katholische Gottesdienst die Tendenz hat, den Himmel auf die Erde herunterzuholen und das Unsichtbare sinnfällig zu machen, dann trachtet der christliche Gottesdienst des Ostens, die Menschen a u f der Erde zum Himmel zu heben, und mit Geist und Herz das unsichtbare und übersinnliche Geheimnis zu begreifen 1 ). 5. M a n stelle es sich nun nicht so vor, daß dieses mystische Element des orthodoxen Gottesdienstes auf Kosten und unter Beseitigung der Weitverbundenheit gepflegt wird. I m Gegenteil trägt der orthodoxe Gottesdienst aufs Beste auch den weltverbundenen Charakter in sich. Tatsächlich bezieht er sich auf alle Verhältnisse des menschlichen Lebens, aber auch auf die gesamte Schöpfung. Außer dem Sakrament der Ölsalbung, das gewährt wird, so oft es der Kranke verlangt, und dem der Eheschließung, welches das Band der Ehe heiligt, gibt es mannigfaltige Gebete und Gottesdienste für die verschiedenen Krankheiten, Gebete für die, die zu Schiff und auf Reisen sind, Begräbnis- und Gedenkgottesdienste, Gebete für Einweihungen, für die Saat, für Grundsteinlegungen, für Schiffsbauten, Gebete bei Einfällen von Barbaren, bei Naturkatastrophen, bei Hungersnot und Dürre, bei Erdbeben, bei Epidemien usw. Nach Bulgakoff2) ist das Charakteristikum der orthodoxen Gottesdienste ihr „Kosmismus, das heißt, daß sie den ganzen Kosmos einbeziehen. Sie zielen nicht nur a u f die menschliche Seele ab, sondern auf die gesamte Schöpfung, die mit dem Menschen zusammen seufzt und mit ihm unter die Eitelkeit und Vergänglichkeit gegeben ist. Daher segnet auch die Kirche die ganze Schöpfung. Sie segnet die Blumen, die Pflanzen, die Zweige, die zum Fest herbeigebracht werden, die Früchte und die Trauben. Sie segnet die B r o t e und das Wasser beim Epiphanienfest. D e r Sinn und Z w e c k aller dieser Zeremonien ist, daß das Gesegnete zur Neuen Kreatur, zur Meta-
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) Vgl. Evelyn Underhill in Worship 1937 2 , S. 262fr. ) L'Orthodoxie, S. 1 9 0 - 1 9 1 .
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morphose der Schöpfung, zum „Neuen Himmel" und zur „Neuen Erde" werde. 6. Den mystischen Charakter des orthodoxen Gottesdienstes verstärkt noch fühlbar, daß dieser mehr als jeder andere gemeinschaftlich geschieht, dargebracht vom ganzen mystischen Leib der Kirche. Geheime Messen, nur vom Liturgen unter Abwesenheit oder auch völliger Desinteressiertheit des Kirchenvolkes gelesen, sind in der Ostkirche völlig unbekannt. Hingegen wendet sich der Liturg an Gott im Namen der ganzen Gemeinde, weshalb auch in den Gebeten, besonders in denen der Anaphora, die Verben in der ersten Person der Mehrzahl stehen („Für dieses alles danken wir dir . . . für alles, was wir wissen und nicht wissen . . . wir danken dir auch für diese Liturgie"). Die Hymnen, die während der Anaphora vom Volke gesungen werden, sind Abschnitte aus dem Gebet der Anaphora und ihre Fortsetzung, und zwar so, daß das Volk durch sie dazwischentritt, das Gebet fortsetzt und es so mit darbringt, wodurch es gleichsam zusammen mit dem vor dem Opferaltar stehenden Priester zelebriert. Darüber hinaus stellt die durch den Ikonenschmuck geschaffene Umgebung, wie auch der Inhalt der Gebete, besonders der des heiligen Abendmahles, die auf Erden sichtbare und kämpfende Kirche vor Augen, wie sie durch den Gottesdienst innigst mit der unsichtbaren, im Himmel triumphierenden vereinigt ist. Die Darstellungen der Heiligen in der Kirchenkuppel mit dem Pantokrator1) in der Mitte sind gleichsam eine symbolische und sinnfällige Darstellung dieser Gemeinschaft. Indem wir die Augen in die Höhe richten, flehen wir im Namen der durch den Tod nicht auflösbaren Bande der Liebe zu denen im Himmel, daß sie für uns bitten, wie auch wir das unblutige Opfer für sie und alle vor uns Abgeschiedenen darbringen. Wir beten für den ganzen Leib der Kirche: für guten Bestand der heiligen Kirchen Gottes in aller Welt, für die Einigung aller, für Kranke, Kriegsgefangene, Wandernde, für alle, die auf den Bergen und in Bergwerken, in harter Knechtschaft oder in anderer Not sind. Mit wenigen Worten, die Gemeinschaft der Heiligen aus aller Welt und derer, die in jeder vergangenen Generation an den Herrn glaubten, findet ihre Manifestation und ihren Ausdruck im Gottesdienst der orthodoxen Kirche. Und um F. Gavin das Wort zu geben: „Die orthodoxe Kirche ist immer bei dem volkstümlichen und allgemeinen Charakter ihres Gottesdienstes geblieben . . . Die Liturgie des heiligen Abendmahles wird vom ganzen Leib der Kirche dargebracht. Die Teilnehmer befinden sich in enger Verbindung mit dem Mysterium. Sie D. h. „Allherrscher", in der Sakralmalerei eine bestimmte Art, Christus darzustellen (Anm. d. Übers.).
Der orthodoxe christliche Gottesdienst
beten, psalmodieren und stehen dem sehr nahe, was ihre Ehrfurcht erweckt, so daß leicht die geheimnisvolle Vereinigung mit Gott in der ganzen Familie der Gemeinschaft der Heiligen hergestellt wird. Die Liturgie des Ostens ist in der Tat vielleicht einzigartig wegen der seltenen Kombination und Abstimmung der Individualität und der Allgemeinheit, des Leichtfaßlichen und des Geheimnisvollen, des Natürlichen und des Uberweltlichen, des irdischen und des himmlischen Lebens. Als eine kleinste Einheit in der großen Folge, als ein Beter aus den unzähligen Millionen, als eine Person in der gegenwärtigen Welt, aber gefangen im himmlischen Leben, fühlt man immer das Geheimnis d r Erlösung, des Todes und der Auferstehung des ganzen Leibes der Kirche und das der Vereinigung von Zeit und Ewigkeit, des Menschlichen und Göttlichen in unaussprechlicher Vollendung in der Liturgie des heiligen Abendmahles." 1 ) 7. Der mystische Charakter des orthodoxen Gottesdienstes gipfelt in dem in ihm enthaltenen Element des Opfers. Der gesamte Gottesdienst der Ostkirche in allen seinen Formen läuft hinaus auf das Meßopfer als allerheiligstes Ziel, welches seine Vollendung ist. Man kann sich weder ein Fest noch irgend eine gottesdienstliche Handlung ohne den Vollzug dieses Sakramentes vorstellen. Indem die orthodoxe Kirche dieses vollzieht, bewahrt sie den Glauben unerschüttert, daß sie ebendasselbe Opfer wie auf Golgatha unblutig und im Mysterium darbringt; und durch die Teilnahme der Gläubigen und ihre Vereinigung mit Christus - und durch ihn auch miteinander - wird dieses auch ein Opfer des gesamten Leibes der Kirche. W i r bringen nicht nur einen Gottesdienst in der Gemeinschaft dar, sondern mit der Erinnerung an den T o d des Herrn und durch unsere Vereinigung mit dem einen Brot und dem einen Kelch bringen wir auch uns selbst als gemeinschaftliches Opfer dar, das heißt, den ganzen vereinten Leib der Kirche. Augustinus bemerkt in einer A n sprache an die Neugetauften im Hinblick auf die damals herrschende Praxis, nach welcher jeder von diesen seine eigene Prosphora (das ist Brot für das Meßopfer. Anm. d. Übers.) mitbrachte, damit er sie in der auf die Taufe folgenden Liturgie für sich selbst darbringe, unter anderem: „Ihr seid auf dem Altar; ihr seid in dem Kelch" 2 ), und meint damit, daß in der Prothesis die Prosphora, die von jedem einzelnen Täufling dargebracht wurde, und die sich nun schon auf dem Altar und im Kelch befindet, die Darbringung des eigenen Lebens und der eigenen Existenz durch jeden einzelnen symbolisiert. Das heißt, in dieser Messe
In L i t u r g y and W o r s h i p , b y W. K. Lowther, 2
) Sermo 229.
S. 124, 1 2 5 , 1 2 8 .
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
wurde nicht nur das Opfer Christi dargebracht, sondern auch das Opfer aller Teilnehmer. Aber diese Worte des Augustin stimmen überein mit dem Geist, von welchem seit Urzeiten der orthodoxe Gottesdienst des Ostens durchweht ist. Dieser Geist verkörpert sich später bei der weiteren Entwicklung der Prothesis in jener Handlung des Liturgen, bei der neben das zu weihende Brot links und rechts Teilchen für die Gottesmutter und die Neun Ordnungen, das heißt für die Propheten, Hierarchen usw., wie auch Teile für die Gestorbenen gelegt werden, also Teile, die die ganze im Himmel triumphierende Kirche vertreten - danach auch Teile für lebende Personen, Glieder der kämpfenden Kirche. In dieser Handlung sieht Symeon von Thessalonich wie in einer göttlichen Formel Jesus selbst und seine ganze Kirche, und zwar in der Mitte Christus, das wahre Licht, denn er liegt als das Brot in der Mitte. Die Mutter ist durch ihr Teil rechts, die Engel und Heiligen links, unterhalb die Gesamtheit aller, die an ihn geglaubt haben. Und dies ist das große Geheimnis: Gott unter Menschen und Gott inmitten von Göttern, die zu Göttern gemacht sind von dem, der seiner Natur nach Gott ist, da er für sie ins Fleisch kam. Und das ist das künftige Reich und die Verfassung des ewigen Lebens, das Gott unter uns gesehen und kommuniziert wird 1 ). So läuft der orthodoxe christliche Gottesdienst auf ein Hauptziel hinaus: die Gläubigen zu leiten, daß sie einmütig sich selbst mit opfern „zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei" (Rom. 12, i) in unmittelbarer Vereinigung mit Christus und durch ihn miteinander vereinigt. Durch das hingebungsvolle Teilhaben am Sakrament und durch die Kommunion mit dem göttlichen Leben Christi in seinem Leib aufgegangen, durch seine lebenspendende Gnade zu seinen Gliedern geworden, werden die vielen, die unzähligen Gläubigen der christlichen Generationen ein Leib, ein Mensch, ein Heer unter einem Führer und einem Haupt, Jesus Christus, indem sie alle wie mit einer Seele und einem Herzen mitwirken bei seinem ewigen Triumph, der eigentlich ihr eigener ist. *) Symeon v. Thessalonich, Über die Heilige Liturgie K. 94, über die in der Prothesis für die Heiligen und alle Gläubigen dargebrachten Teile.
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ERZBISCHOF PROF. D R . THEOL. HIERONYMUS KOTSONIS
VERFASSUNG UND AUFBAU ORTHODOXEN
DER
KIRCHE
D
ie Verfassung der Orthodoxen Ostkirche richtet sich nach den Bestimmungen der heiligen Schrift, der heiligen Kanones, der Kanonischen Verordnungen der Patriarchatssynoden, der kirchlichen Gesetze und sonstiger kirchlicher Verordnungen. Die offiziellste Sammlung der Verordnungen bezüglich der Verfassung der Orthodoxen Ostkirche ist die, die den Namen „Syntagma der göttlichen und heiligen Kanones" trägt. Diese Ausgabe des kanonischen Materials hat beinahe allgemeine Anerkennung gefunden. Der Aufbau der Orthodoxen Kirche stützt sich auf zwei Grundprinzipien, die ihrerseits ein Teil des Glaubens der Kirche sind. Erstens: die Kirche besteht in ihrer Gesamtheit aus zwei Teilen, der ecclesia triumphans im Himmel und der ecclesia militans auf der Erde. Zweitens: die sichtbare Kirche, die ecclesia militans auf der Erde, deren Haupt unser Herr Jesus Christus selbst ist, besteht sowohl aus der kraft göttlichen Rechtes eingesetzten Hierarchie samt dem Klerus im allgemeinen, d. h. Priestern und Diakonen, als auch aus den Laien. Diese sichtbare Kirche auf der Erde, die in Raum und Zeit in Erscheinung tritt, hat sich an die oben erwähnten Verordnungen zu halten, die man das kanonische Recht nennt. Von diesen Verordnungen haben die heilige Schrift, die Kanones der Ökumenischen Synoden und die von der sechsten Ökumenischen Synode bestätigten Kanones einiger Partikularsynoden und Väter allgemeine, ökumenische Geltung. Diesen Verordnungen gleichwertige kanonische Geltung kommt auch einer Anzahl anderer Verordnungen zu, die, obgleich von keiner Ökumenischen Synode bestätigt, doch in gewisser Weise zu dem von allen Orthodoxen Kirchen allgemein anerkannten Recht gehören, da sie von sämtlichen autokephalen Kirchen gebilligt wurden. Nur teilweise kanonische Geltung haben die Entscheidungen der Partikularsynoden, die kirchliche Angelegenheiten betreffenden bürgerlichen Gesetze der Staaten, in deren Grenzen sich autokephale Kirchen befinden,
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und alle sonstigen Verordnungen, die keine gemeinsame Anerkennung von allen autokephalen Kirchen erlangten. Die Orthodoxe Kirche besteht heute aus den vier alten Patriarchaten des Ostens: Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, und aus folgenden autokephalen Orthodoxen Kirchen: Cypern, Rußland, Griechenland, Serbien, Rumänien, Georgien, Polen, Albanien und Bulgarien. Unter dem Patriarchat von Konstantinopel stehen die selbständigen Erzbistümer Finnland, Tschechoslowakei, Estland und Lettland. An der Spitze jeder orthodoxen Teilkirche steht die heilige Synode aller ihrer Hierarchen, deren Vorsitz der jeweilige Patriarch oder Metropolit innehat. Die Bischöfe sind bezüglich ihrer sakramentalen Bedeutung und ihrer Würde einander gleich. Der Patriarch von Konstantinopel und der Bischof der kleinsten orthodoxen Eparchie sind, was ihr Priesteramt anbetrifft, einander völlig gleichgestellt. Jedoch unterscheiden sich die Bischöfe voneinander, soweit es sich um die Verwaltung, das heißt um die Ausübung bestimmter Verwaltungstätigkeiten handelt. Diese Unterscheidung richtet sich nach den Kompetenzen, die einem jeden von ihnen übertragen wurden. So haben Bischöfe, die verwaltungsmäßig wichtigere Sitze innehatten oder innehaben, Befugnisse mit größeren Kompetenzen, während solchen die verwaltungsmäßig Sitze von geringerer Bedeutung innehaben, nur Befugnisse geringerer Verwaltungskompetenz zustehen. Wenn sie jedoch zur Synode zusammentreten, sind die Bischöfe einander gleichgestellt. Der Bischof der unbedeutendsten Eparchie etwa besitzt dann dieselben Befugnisse wie der Vorsteher der Metropolie oder der Vorsitzende der Synode. Der Vorsitzende ist nur primus inter pares. Die Bischöfe und ebenso alle Geistlichen können nur auf Grund der Cheirotonie, das heißt auf Grund der Übertragung der göttlichen Gnade durch das Sakrament der Priesterweihe, in ihr Amt eingesetzt werden. Die Priesterweihe ist kanonisch gültig und legitim von einem oder mehreren kanonischen Bischöfen zu vollziehen. Die höchste Autorität hat in der orthodoxen Kirche die Ökumenische Synode, die sich aus allen ihren Bischöfen zusammensetzt. Die Bischöfe nehmen an der Ökumenischen Synode persönlich oder mittels eines Vertreters teil. Die Kompetenz der Ökumenischen Synode erstreckt sich räumlich über die gesamte Orthodoxe Kirche, materiell über alle Fragen, die Glauben, Kult, Verwaltung und das Leben der Orthodoxen Kirche im allgemeinen betreffen. Vom Gesichtspunkt der Kompetenz aus gesehen folgt unmittelbar nach der Ökumenischen Synode die Synode der Hierarchie jeder orthodoxen
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Teilkirche bzw. die Partikularsynode, wie sie früher genannt wurde. An einer solchen Synode teilzunehmen steht allen Hierarchen einer Teilkirche von Rechts wegen zu. Wie schon oben gesagt, wird das bei allen orthodoxen Kirchen geltende Recht entweder von der Ökumenischen Synode festgesetzt oder es gilt auf Grund der Übereinstimmung aller orthodoxen Teilkirchen. Es wird das „allgemein geltende exakte Recht" genannt. Die orthodoxen Teilkirchen können unter bestimmten Voraussetzungen Entscheidungen fällen, die von dem abweichen, was von den Ökumenischen Synoden festgesetzt wurde, jedoch können sie dies nur „der Ökonomie (Dispensation) halber". Andererseits können sie auch Entscheidungen fällen, die als „exaktes Recht" gelten, aber solche Entscheidungen gelten nur, insoweit sie den Entscheidungen der Ökumenischen Synoden nicht widersprechen, und sie gelten nur innerhalb des Gebietes der Jurisdiktion jener Teilkirche. Die autokephalen Teilkirchen sind voneinander völlig unabhängig. Die Hierarchie oder der Vorsitzende einer dieser Teilkirchen haben keinerlei Befugnis, sich in das innere Leben einer anderen Teilkirche einzumischen, auch da nicht, wo eine dieser Kirchen der anderen dem hierarchischen Range nach voransteht. So steht zum Beispiel unter den orthodoxen Kirchen die Kirche von Konstantinopel dem Range nach an erster Stelle. Das bedeutet jedoch in keiner Weise, daß der Vorsitzende der Kirche von Konstantinopel oder etwa die Synode der Hierarchie dieser Kirche das Recht hätten, in die inneren Angelegenheiten einer anderen orthodoxen Kirche zu intervenieren, auch dann nicht, wenn diese vom hierarchischen Gesichtspunkt aus den letzten Platz unter den orthodoxen Kirchen einnimmt. Dieselbe Selbständigkeit gilt auch für die Bischöfe untereinander. Jeder von ihnen ist in der Eparchie, deren Verwaltung ihm anvertraut ist, völlig selbständig. Kein anderer Bischof hat das Recht zur Intervention in die Verwaltung seiner Eparchie, auch dann nicht, wenn diese Eparchie von sehr geringer Bedeutung ist, während der möglicherweise intervenierende Bischof der Vorsitzende der Partikularsynode selbst ist. Diese Selbständigkeit der einzelnen orthodoxen Kirchen voneinander ergibt, zusammen mit der Unabhängigkeit und Gleichheit der Bischöfe untereinander, das charakteristische demokratische Moment der Verfassung der Orthodoxen Kirche. Das Gebiet j eder Ep archie (j edes Bistums) ist untergeteilt in kleinere Bezirke, denen einVertreter des jeweiligenBischofs,der sogenannteBischöflicheBevollmächtigte vorsteht. Der Bezirk jedes Bischöflichen Bevollmächtigten wiederum setzt sich aus den einzelnen Pfarrgemeinden zusammen,
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denen die jeweiligen Pfarrer vorstehen. D e n Pfarrern zur Seite stehen die kirchlichen Beiräte, die v o n Laien gebildet werden. D i e geistliche Leitung jeder Eparchie liegt ausschließlich in H ä n d e n des jeweiligen Bischofs, f ü r die finanzielle Verwaltung u n d f ü r andere Verwaltungsfragen ist der sogenannte Beirat der Metropolie verantwortlich, der z u m größten Teil aus Laien besteht. Analog verhält es sich bei jeder Pfarrgemeinde: die geistliche Leitung der Gemeinde hegt in H ä n d e n des jeweiligen Pfarrers, der bei einer großen Gemeinde v o n anderen Priestern unterstützt wird, f ü r die finanzielle Verwaltung u n d einige wenige andere Verwaltungsfragen aber ist der kirchliche Beirat des Pfarrers verantwortlich, der v o n Laien gebildet wird. Z u den geistlichen Angelegenheiten einer Eparchie oder Gemeinde gehören erstens das priesterliche A m t der Kirche und zweitens das Lehramt oder allgemeiner das Seelsorgeamt derselben, das Priesteramt besteht aus der Verwaltung der verschiedenen Sakramente u n d der anderen gottesdienstlichen Formen. Das Lehramt umfaßt Predigt, Unterricht, sonstige öffentliche oder private Unterweisung, überhaupt jegliche missionarische Tätigkeit, die W e i t e r g a b e des gedruckten "Wortes u n d ganz allgemein die Förderung des geistlichen Lebens der Gläubigen durch mündliche u n d schriftliche Verkündigung. D i e Geistlichen der O r t h o d o x e n Kirche können sowohl verheiratet sein als auch ehelos bleiben. Die Bischöfe werden heute ausschließlich aus d e m ehelosen Klerus gewählt. Z u anderen Zeiten jedoch w u r d e n die Bischöfe sowohl aus d e m verheirateten als aus d e m ehelosen Klerus gen o m m e n . Natürlich ist der verheiratete Klerus zahlreicher. Er hat in der Stadt wie auf d e m Land meist die Pfarrstellen inne. Daneben arbeiten auch nicht wenige Priestermönche, das heißt Priester, die aus d e m ehelosen Klerus der Klöster k o m m e n , in Pfarr- und anderen kirchlichen Stellen. W i e schon oben gesagt, gehören zu der sichtbaren Kirche auf der Erde Klerus und Laien. D i e Laien sind aber nach orthodoxer Anschauung kein passives Element in der Kirche, das nur die Dienste des Klerus anzunehmen hätte, sie sind vielmehr aktive Glieder des Leibes Christi, die, wenngleich dienenderweise, doch an der Verantwortung f ü r die Gesundheit des ganzen Leibes der Kirche teilhaben. Diese V e r a n t w o r t u n g der Laienglieder der Kirche zeigt sich einerseits an ihrer aktiven Teilnahme a m Kult, andererseits an ihrer Teilhabe a m Lehramt u n d an der V e r w a l tungstätigkeit, die Hierarchie und Klerus ausüben. Diese Teilhabe der Laienglieder a m gesamten Leben der Kirche variiert bezüglich der Art des Dienstes, sie ist in den einzelnen o r t h o d o x e n Kirchen unterschiedlich u n d war auch zu den verschiedenen Zeiten, als sie
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht 174
in Erscheinung trat, nicht immer gleich. (Vgl. dazu den besonderen Aufsatz über die Stellung der Laien in der orthodoxen Kirche.) Zur Besserung ihrer auf Abwege geratenen Glieder dienen der O r t h o doxen Kirche erstens das Sakrament der Buße, durch das sie Vergebung gewährt und gleichzeitig die Gläubigen auf den rechten W e g eines christlichen Lebens führt, und zweitens die kirchlichen Gerichte, die sich mit allen Angelegenheiten befassen, in denen die kirchliche Disziplin verletzt wurde. Die kirchlichen Gerichte sind entsprechend der Personen und Delikte, die zur Verhandlung stehen, in verschiedene Stufen juristischer Kompetenz eingeteilt. Das oberste kirchliche Gericht ist wiederum die Ökumenische Synode, der die höchste richterliche Kompetenz in der Orthodoxen Kirche zusteht. D i e kirchliche Rechtsprechung hat keine Jurisdiktionsgewalt über Laien, deren Delikte unter das allgemeine Strafrecht fallen. Ähnlich unterliegen auch Geistliche, die sich ein Delikt zu schulden k o m m e n lassen, das unter das allgemeine Strafrecht fällt, unabhängig von ihrer Verantwortlichkeit gegenüber den kirchlichen Gerichten auch der Jurisdiktion der bürgerlichen Gerichte. Wenigstens mit einigen W o r t e n muß noch ein besonderer Stand von Gliedern der Orthodoxen Kirche berührt werden: die Mönche. D i e Mönche sind in der orthodoxen Kirche ein besonderer Stand. Sie legen durch ein öffentliches Versprechen, das sie nach einer gewöhnlich dreijährigen Probezeit vor eben der Mönchsbruderschaft abgeben, in die sie eintreten, die Gelübde der Keuschheit, der Besitzlosigkeit und des G e horsams ab und weihen sich für ihr ganzes Leben dem Dienst des Klosters, in das sie eingetragen werden. Das M ö n c h t u m hat in der Orthodoxen Kirche T a g e einer ganz besonderen Blüte gesehen. Es war während ihrer langen Geschichte ein starker kulturfördernder und kirchlicher Faktor. W ä h r e n d der byzantinischen Zeit widmeten sich die M ö n c h e einerseits wohl dem Gebet und der Kontemplation, andererseits aber auch missionarischen und sozialen Aufgaben. Die meisten Klöster waren gleichzeitig auch karitative Einrichtungen, die sich der Pflege der Armen, der Alten, der Fremden, der Waisen, der Kranken usw. widmeten. Den Bemühungen einer bestimmten Anzahl von Klöstern und Mönchen ist ein großer Teil der Weitergabe des christlichen Glaubens zu danken. Das neuere M ö n c h t u m beschränkt sich hauptsächlich auf Gebet und K o n templation, es gibt jedoch auch schon Anzeichen des Wiederauflebens der alten Formen des orthodoxen Mönchtums, das sich ja der Mission und der sozialen kirchlichen Tätigkeit gewidmet hatte.
Verfassung
und Aufbau
der orthodoxen
175
Kirche
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1901.
anläßlich ihres 100jährigen Bestehens v o n
der
heiligen Synode der Kirche v o n Griechenland herausgegeben, 2 Bände, 1 9 5 6 1957Auswahl über
Drei
kurze
die
Verfassung
aus der wichtigsten
Literatur
der Griechisch-Orthodoxen
Kirche
Zusammenfassungen
E. Sehling, Kirchenrecht I. Im Anhang (Sammlung Göschen N r . 377). H. Alivisatos, Das kanonische Recht der O r t h o d o x e n Kirche, in „Ekklesia", herausgegeben v o n D . F. Siegmund-Schultze, Band: Die Griechische Kirche, 1949. K. Schwarzlose, Grundzüge des deutsch-evangelischen Kirchenrcchts und des orthodox-morgenländischen Kirchenrechts, B o n n 1924. Die
ausführlichste
Darstellung
N. Milasch, Das Kirchenrecht der Morgenländischen Kirche 2 , Mostar 1905.
D R . T H E O L . ANDREAS THEODOROU
DIE M Y S T I K IN DER O R T H O D O X E N
OSTKIRCHE
VORWORT
F
ür jeden Kenner der Theologie, der Frömmigkeit und des Geistes der Orthodoxen Ostkirche ist ihre Mystik eine feststehende Wahrheit. Sie schöpft diese aus den schriftlichen Quellen der göttlichen Offenbarung, und erhielt von ihr für ihr theologisches Denken, für all ihre Handlungen und so auch für ihr Gesamtleben und besonders für das Mönchtum das charakteristische Gepräge. In ihrer Theologie und dabei besonders in ihrer Soteriologie spielt das Element der Mystik eine ungeheuer wichtige Rolle. Sie versteht die Erlösung des Menschen als dessen Vergottung, die objektiv in der einen Person Christi Ereignis ist, indem durch die Vereinigung der menschlichen Natur mit der göttlichen erstere aus Gnade vergottet wird. In subjektiver Hinsicht jedoch werden die mit der Menschheit des Heilandes untrennbar vereinten einzelnen Gläubigen durch dieselbe mitvergottet. Andererseits lassen sich die theologische Wahrheit und die Erkenntnis dessen, was Gottes ist, nicht durch das Wort erforschen, das dazu nicht ausreicht, geschweige daß man sie dadurch fände; es müssen vielmehr die Schwingen des Glaubens sein, die Vision des Göttlichen, die in Liebe eintretende Wahrnehmung und der ekstatische Eros, die die rechte Erkenntnis der Wahrheit bewirken. Das Wort ist dem Glauben nur insoweit dienlich, als es für die logische Entfaltung und zur Befestigung des Inhaltes desselben erforderlich ist. Von alters her zeichnete der Orthodoxe Osten sich durch seinen mystischen Geist aus, denn ihm gefielen die theologischen mystischen Flüge des Geistes. Er liebte Christus, mit dem er sich wie die geistliche Braut mit ihrem himmlischen Bräutigam mystisch vereinte. Wegen dieser Liebe nahm sie freiwillig die Askese und mannigfaltige Qualen auf sich, nahm mit Geduld ihr Kreuz auf sich, auf daß sie rein werde von jeglicher fleischlichen und geistigen Befleckung und heilig und ohne Tadel vor Christus hintreten könne. Mit Leidenschaft liebte sie die Heiligkeit, die
Die Mystik in der orthodoxen Ostkirche
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ethische Vollkommenheit und den geistlichen Aufstieg - sei es an stillem Ort im einsamen Leben, oder sei es auf dem dornenreichen Weg der Gemeinschaft. Ihre Heiligen wurden mit dem göttlichen Lichtkranz der Herrlichkeit umgeben, indem sie an ihrem Leibe wie an ihrem Geiste sichtbar die Spuren der göttlichen Metamorphose zeigen. In der Hymnologie der Orthodoxen Ostkirche zeigt sich der Durst der Seele nach ihrem Ausruhen in Gott. Mit durchdringendem Schall ist ihr Sehnsuchtsruf nach ethischer Vollkommenheit zu vernehmen, nach Metamorphose, nach Vergottung. Die reine Seele befindet sich in ständigem Zwiegespräch mit Gott. Sie richtet ihr Kleid her und schmückt es, um in das festliche Brautgemach Christi einzugehen, den sie auf mystische Weise schaut und über den sie unaussprechlich frohlockt. Derselbe Durst und dieselbe Lebenskraft ist jedoch auch in ihrem Festzyklus lebendig. Zum Epiphaniasfest besingt sie mit Jubel das dreisonnige Licht der Gottheit, welches die gesamte Schöpfung durchdringt und betet es an. Zur Verklärung unseres göttlichen Heilandes gibt sie mit besonderer Innigkeit der Anbetung Ausdruck, indem sie das hehre Licht vom Berge Tabor als den Anbeginn der göttlichen Verklärung der Heiligen erkennt. Fleischlos jedoch schwebt sie in der heiligen Nacht des Großen Sabbaths über dem neuen Grabmal des Joseph von Arimathia, und schaut in ihm die geistige Metamorphose des Menschen, seine Befreiung von der Materie und die Unsterblichkeit, den sicheren Eingang des Geschöpfes in den Schoß der Ewigkeit. Und den festlichen Tag der Pfingsten versteht sie als den Anfang der Erneuerung und der im Geist geschehenden Reinigung des Gläubigen, indem er in der Gemeinschaft der Heiligen gleichen Leibes wird mit dem mystischen Leibe Christi. So liebte es auch ihre Ikonographie, ihren Gestalten diese Mvstizität zu geben. Die Gestalten ihrer abgebildeten Heiligen atmen dieses Aroma der Heiligkeit aus und tragen ganz offensichtlich die Spuren der ethischen Reinheit und Vollkommenheit, sie streben nach Befreiung von der Materie, nach Unsterblichmachung und nach dem Flug gen Himmel, der vom Göttlichen umfangen ist. Die Orthodoxe Ostkirche lebte von jeher unter dem Licht der Ewigkeit. Ihre Tendenz war nicht nur, den Rhythmus der Ewigkeit zu besitzen, sondern sie strebt auch dahin, diese Ewigkeit im gegenwärtigen irdischen Leben bereits zu verwirklichen. Durch das Prisma der Ewigkeit gesehen, hatte sie stets die Realität in der Zeit im Sinne. Ja, sie lebt dauernd im Zauber des Traumes von der Auferstehung! Wir werden die Mystik der Orthodoxen Ostkirche im Lichte der heiligen Schrift und ihrer heiligen Überlieferung in gedrängten Linien wie folgt betrachten.
I. D I E M Y S T I K I M N E U E N
TESTAMENT
A
ls Religion, die auf der Offenbarung der göttlichen Wahrheit basiert, flößt das Christentum der Seele des Menschen göttliches Leben ein. Sie erlöst ihn von der Knechtschaft der Sünde und verbindet ihn mit dem lebendigen Gott. So zeichnet sich das Christentum durch seinen mystischen Wesenskem aus, den man in der heiligen Schrift und in der heiligen Überlieferung finden kann. Im Neuen Testament wird diese Mystik in der göttlichen Gestalt des Erlösers und in den Gestalten der Apostel, besonders aber in denen des Lieblings] üngers und des himmelwärts schreitenden Paulus als Fleisch geworden geschildert. Sie trägt einen christozentrischen und pneumatozentrischen Charakter. Als Lebenskraft hat das Mystische den Heiland Christus zum Mittelpunkt, den himmlischen Bräutigam der Seele; und, vom Heiligen Geist belebt und genährt, wird das Mystische zur Vollendung geleitet. i . Durch die in den Evangelien dargestellte Person Jesu Christi empfängt die Mystik die klassische und ihr eigene Form. Gott und Mensch zeigen sich als untrennbar vereint. Die wirkliche Natur des Menschen, frei von Sünde und Leidenschaft, umfängt ihren Schöpfer. Der menschliche Wille folgt dem des göttlichen Logos und ordnet sich ihm ohne Zwang unter. In ihrer wahren Vereinigung mit Gott leuchtet die Natur des Menschen, gewinnt an Ansehen und erlangt die Vergottung. Der Mensch wird aus Gnaden Gott, ohne daß seine Natur verdrängt oder im göttlichen Wesen aufgelöst wird. Dies Leben in der Vereinigung mit dem Gott-Vater zeigt sich überreichlich im Leben des Herrn in seiner gottmenschlichen Person. Als das schuldlose Lamm Gottes wurde er von seinem Vater in die Welt gesandt, auf daß er die Sünde der Welt trage (Joh. i, 29). Seine Speise ist, daß er den Willen des Vaters tue, der ihn gesandt hat, daß er sein Werk vollende 0oh. 4, 34). Er lebt, weil der Vater lebt (Joh. 6, 57), er ist eins mit dem Vater (Joh. 10,30), er ist im Vater (Joh. 10, 29; 14,11). D a in Christus der Vater bleibt, tut er seine Werke (Joh. 14, 10). Die Herrlichkeit des Sohnes ist gleichzeitig die Herrlichkeit des Vaters (Joh. 13, 31-32), niemand erkennt den Vater, es sei denn durch den Sohn (Joh. 14, 7), und wer den Sohn gesehen hat, hat auch den Vater gesehen (Joh. 14, 9). Das ewige Leben liegt darin begründet, daß man den allein wahren Gott erkennt und den, den er gesandt hat, Jesus Christus (Joh. 17, 3). Die direkt innigste Verbindung mit dem Gott-Vater zeigt sich überreich im irdischen Leben des Gottmenschen. Das Zentrum dieses Lebens und und seine lebenspendende Kraft ist das ununterbrochene Gebet (Mark. 6, 46;
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Luk. 21, 37; 6, 12-13), und seine Wunder vollbringt der Heiland im Namen des Vaters 0oh. 11, 41-42). Im Allgemeinen und ganz besonders in den schwierigen Augenblicken seines Lebens erhebt er seine bittenden Hände zum Vater. So bittet er im Garten von Gethsemane den Vater, daß er den Kelch des Todes von ihm nehmen möge; und am Kreuz übergibt er den Geist in die Hände des Vaters (Luk. 23, 46). Des Herrn gottmenschliche Person ist zugleich aber auch die Mitte des mystischen Lebens seiner Jünger. Christus ist der mystische Weinstock, und die Jünger sind die Reben. In Christus bleibend, wird den Jüngern die Fürsorge Gottes des Vaters zuteil, und sie nehmen zu an Tugend und Vollkommenheit. Von Christus entfernt wird das geistliche Leben matt, verdorrt und verdirbt, genauso wie die Rebe, vom Weinstock getrennt, vertrocknet. In Christus haben die Jünger auf unsichtbare Weise Gemeinschaft mit dem Vater, der verherrlicht wird, wenn sie im Sohne Früchte hervorbringen (Joh. 15, x-10). Christus ist der Jünger himmlischer Bräutigam, diese aber sind die Hochzeitsleute (Mark 2, 19). Angetan mit Hochzeitskleidern (Matth. 22, 12) und die Lampen mit Öl gefüllt, wie andere kluge Jungfrauen, leben sie für den Bräutigam ihrer Seelen, mit dem sie von Freude und Stolz erfüllt das mystische Brautgemach betreten (Matth 25, 1-10). Der Heiland ist der himmlische Hirt, und die Jünger sind seine mystischen Schafe. Der gute Hirt liebt und kennt seine Schafe, und sie kennen den Hirten, sie hören seine Stimme und empfangen von ihm das ewige Leben (Joh. 10, 14. 27-28. 29). Christus ist das göttliche Brot, vom Vater gegeben, auf daß er seine Jünger mystisch ernähre 0oh. 6, 36), er ist die mystische Speise, die nicht verdirbt (Joh. 6, 27), er ist das Wasser, das die Herzen der Gläubigen unsichtbar erquickt (Joh. 4, 13-14. 38). Die Jünger gehören folglich zu Christus. Der Vater gibt sie ihm (Joh. 17, 9). Zwischen Vater, Sohn und Jüngern ist eine mystische Einheit, ein IneinanderInnewohnen, zu beobachten (Joh. 14, 20). Der Sohn bittet den Vater um die Einigkeit der Jünger in Gott; und in dieser Einheit werden die Jünger vollkommen und schauen die Herrlichkeit des Sohnes (Joh. 17, 21-24). Von den Jüngern wird der Glaube (Joh. 12, 44-46), die Reinheit des Herzens (Matth. 4, 8) und die Liebe verlangt. W e r Christus hebt, hält seine Gebote und dient ihm würdig (Joh. 12, 27), indem er vom Vater gehebt und geehrt wird. Vater und Sohn suchen das reine und liebende Herz auf und nehmen in ihm Wohnung (Joh. 14, 21. 23). In dem Sohne bleibend, freuen sich die Jünger, und diese Freude kann niemand von ihnen nehmen 0oh. 16, 22). 2. Diesem mystischen Geist begegnen wir hier und da auch beim Apostel Paulus. Durch jenes übernatürliche Ereignis, das sich vor den Toren von
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Die
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Damaskus zugetragen hatte, von Christus berufen, wurde Paulus zu Christus bekehrt, dessen ehrfürchtige Gestalt sodann zum Zentrum seiner pneumatischen Erfahrung und zu der seines Lebens wurde. Zutiefst an die göttliche Person des Heilandes glaubend, zog er sich sogleich nach der v o m Himmel gekommenen Berufung in die Wüste zurück, w o er f ü r zwei volle Jahre den geeigneten Platz fand, um im Gebet, in innerer Sammlung und durch geistige Übung seine mystischen Bande mit dem Heiland zu befestigen. Aus der Wüste kehrte dieser heilige Mann als feuriger Verkünder des Evangeliums zurück, nunmehr v o m göttlichen Eros durchglüht und mit flammendem Eifer f ü r seine neue apostolische Berufung in Christo beseelt. Das mystische Leben des Apostels Paulus in Christo, das den Stempel völliger Wiedergeburt in Christo und der Vollendung im heiligen Geist trägt, ist oft genug beschrieben worden. Die Behauptung, daß sich die Mystik des Paulus in direkter Abhängigkeit von der Mystik seiner Zeit befände, das heißt, daß sie mit dem damaligen Hellenismus und mit den griechischen und orientalischen Mysterien in Verbindung stehe, hat sich als unrichtig erwiesen. W o man jedoch eine Ähnlichkeit oder einen Einfluß derselben feststellt, da ist dieser weit mehr äußerer Natur und betrifft das äußerliche Gewand der Ideen, die der Apostel direkt durch seine denkbar engste geistige Verbindung mit dem Erlöser empfangen und durchlebt hat. Die wichtigeren mystischen Gedankengänge des Paulus sind folgende: Der erste Mensch wurde nach dem Bilde Gottes gebildet (I. K o r . n , 7). Das Leben des Erstgeschaffenen war ein Leben in Seligkeit, in Freundschaft, und es stand in engster mystischer Verbindung mit Gott, ja, es w a r geschmückt mit den hervorragendsten Gaben der göttlichen Gnade. Bei Paulus nimmt die mystische Einheit der menschlichen Natur eine ganz besondere Stellung ein: A d a m ist nicht nur der erste Mensch, sondern er ist zugleich auch der Stammvater und Vertreter der ganzen Menschheit, dessen Sündenfall zugleich das gesamte Menschengeschlecht mit in die Sünde zieht. So ist Christus, der zweite Adam, das mystische Haupt der von ihm wiedergeborenen Menschheit. Diese zwei A d a m sind somit die zwei Pole, um sich die Religionsgeschichte der Menschheit dreht. Durch das W e r k des zweiten Adam wird eine neue Schöpfung geschaffen, und es wird der Menschen Versöhnung mit Gott erwirkt (II. K o r . 5 , 1 7 - 1 9 ) , es k o m m t die Wiederherstellung der Übertretung des alten A d a m mit allen ihren Folgen zustande, das heißt die Überwindung des Todes und die Einsetzung neuen geistlichen und ewigen Lebens (I. Kor. 1 5 , 21/22). Z u dieser neuen, pneumatischen Schöpfung sind alle Gläubigen berufen, auf daß sie in sich selbst das Bild Christi bilden (Rom. 8, 29). In der
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heiligen Taufe sterben sie mit Christus und werden mit ihm begraben, und, indem sie die Sterblichkeit des alten Adam ablegen, werden sie mit Christus zu neuem Leben auferweckt (Rom. 5, 3-5), da sie Teilhaber seiner Auferstehung geworden sind. In Jesus Christus entsteht eine neue Verbindung, ein neues Leben der Gläubigen mit ihrem unsichtbaren Haupt, das heißt es entsteht sein mystischer Leib. Zwischen den Gläubigen und Christus besteht eine Identität von Gesinnung, Denkweise, Wunsch und Tat (Phil. 2,5). Christus bildet sich in ihnen stufenweise, auf daß er mit ihnen „ein Leib und ein Geist" sei (I. Kor. 12, 12-13), damit das Ganze „den einen neuen Menschen" ergebe (Eph. 2, 16). Es werden also durch die Taufe die Gläubigen mit Christus vereint, „denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" (Kol. 2, 9). Und diese Vereinigung bildet die denkbar engsten Bande, die durch die göttliche Eucharistie noch verstärkt werden. In diesem heiligen Sakrament verschmelzen die Gläubigen zu einemLeib und zu einemBrot (I. Kor. 10,17). Natürlich hat diese Vereinigung der Gläubigen mit Christus auch die Vereinigung mit Gott dem Vater und mit dem heiligen Geist zur Folge. Durch Christus werden die Gläubigen mit Gott versöhnt (Rom. 5, 10), sie werden zu Söhnen Gottes (Gal. 3, 26), zu „Erben Gottes und zu Miterben Christi" (Rom. 8, 17). Besonders werden sie jedoch durch den heiligen Geist geheiligt, durch den sie miterbaut werden im Herrn zu einer Wohnung Gottes (Eph. 2, 22). Es wohnt in ihnen, gleichsam wie im Tempel Gottes, der Geist Gottes (I. Kor. 3, 16). Fernerhin gehört ihr Leib nicht mehr ihnen, sondern, teuer erkauft, ist er ein Tempel des heiligen Geistes (I. Kor. 6,19-20). Der Geist Gottes trägt und geleitet die Gläubigen als die echten und wahren Söhne Gottes (Rom. 8, 14). Wie das mit Christus Gleichen-Leibes-Sein die sichere Bestätigung der zukünftigen Herrlichkeit im Herrn ist (Rom. 8, 18), so besitzen die im heiligen Geist Versiegelten das Angeld ihres Erbes für die Erlösung seines Eigentums, zum Lobe seiner Herrlichkeit (Eph. 1, 13-14). Das von Jesus Christus der Menschheit vermittelte neue mystische geistliche Leben hatte der selige Paulus durch reiche persönliche Erfahrung in sich selbst durchlebt. Von der Sünde erlöst und durch Glauben in Jesus Christus gerechtfertigt (Gal. 3, 26; Kol. i , 4 ; E p h . 1 , 1 5 ) erkannteer, daß er „von Jesus Christus ergriffen war" (Phil. 3, 12) und daß er von ihm wie durch eine unbesiegbare Macht im Bann gehalten wurde (II. Kor. 5, 14). Niemand und keinerlei Macht könnte ihn je von seinem Lebenszentrum, Christus, abspalten (Rom. 8, 35-39). Er vermag alles durch den, der ihn stark macht (Phil. 4, 13). Dies ist die wahre geistige Gefangenschaft im Herrn und das wahre Ihm-Anhangen, so daß in ihm weiterhin nicht das eigene Ich lebt, sondern Christus (Gal. 2, 20). Der Ausdruck
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„in Christo Jesu" oder „im Herrn", der in so deutlicher Weise die mystische Bindung des Paulus an den Heiland charakterisiert, begegnet uns in seinen Briefen an die 165 Mal. Sein mystisches Leben in Christo fördert Paulus in negativer Hinsicht durch strenge Askese, geistige Reinigung und durch Gehorsam; in positiver Hinsicht jedoch durch die himmelwärts führenden Tugenden, die da sind Glaube, Liebe und Hoffnung. Als Paulus für zwei Jahre abgeschieden in der arabischen Wüste in Askese verbracht hatte (Gal. 1, 17), hörte er auch fürderhin nicht auf, Askese und Enthaltsamkeit als das Fundament seines heiligen Lebens und seiner hohen Sendung zu betrachten. Er zeigte „das Sterben des Herrn Jesus an seinem Leib", indem er die Malzeichen des Herrn an sich trug (Gal. 6, 17). So aber, wie derjenige, der Kriegsdienste tut, läßt auch er sich nicht in die Geschäfte des gewöhnlichen Lebens verstricken (II. Tim. 2, 4), denn ein jeder Wettkämpfer ist in allen Dingen enthaltsam (I. Kor. 9,25). So läuft auch Paulus in den Kampf, aber nicht mit Ungewißheit, noch Lufthiebe führend, sondern er kasteit seinen Leib und knechtet ihn, damit er nicht etwa, nachdem er andern Herold gewesen ist, selbst verwerflich werde (I. Kor. 9, 27). Andererseits jedoch fördern auch die Tugenden sein mystisches Leben und bringen es zur Vollendung. Durch den Glauben trägt er in seinem Leben im Fleische den Sohn Gottes (Gal. 2, 20), empfängt er den heiligen Geist (Eph. 1 , 1 3 ) und übergibt er mit absolutem Vertrauen sein Leben in die Hände des lebendigen Gottes (Rom. 4, 5). Gleichzeitig ist das Herz des Apostels von der Gott gefälligen Liebe erfüllt, die sein Leben und sein Werk unaufhörlich durchströmt (I. Kor. 13). Niemand kann ihn von der Liebe Gottes trennen, keine Macht, keine Trübsal oder Angst (Rom. 8, 35). Er ist in der Liebe ein Gefangener Gottes. Aber auch die Hoffnung nährt den Apostel und bestimmt sein Werk. Auf Hoffnung hin gerettet (Rom. 8, 24) schämt er sich seines Glaubens nicht (Rom. 5, 5), indem seine Seele von nun an durch die Hoffnung und durch die Ahnung der zukünftigen Herrlichkeit erleuchtet ist. Im mystischen Leben dieses Apostels begegnet uns jedoch auch das Element der mystischen Ekstase, obgleich es kein ausschlaggebendes Merkmal seiner Mystik ist, sondern ein vollkommen zweitrangiges Phänomen. Seinen Feinden gegenüber, die seine Apostolizität verneinten, weil er den Herrn nicht gesehen, noch Visionen gehabt habe, war er gezwungen, über die mystische Versetzung seines Geistes in die Ekstase zu reden. So sprach er über seine Entrückung in den dritten Himmel, w o er Gott und dessen Herrlichkeit sah, die alle Erfahrung des physischen Menschen übersteigt (I. Kor. 2, 1-4). Nach Paulus ist jedoch für den Menschen die volle und selige Vision des Göttlichen bis zu einem gewissen Grade
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möglich, sie ist eine Wirklichkeit, die dem zukünftigen Leben angehört, welches das Reich Gottes ist. Aber hier auf Erden sehen wir Gott wie in einem Spiegel und Rätsel (II. Kor. 5, 7; I. Kor. 13, 12). Schließlich ist die Mystik auch die Vergottung des Menschen, aber nicht im Sinne einer pantheistischen Auflösung seiner Natur in Gott, sondern sie ist als eine geistliche Vervollkommnung, als Heiligung und als Teilnahme an der göttlichen Seligkeit und Herrlichkeit zu verstehen, als ethische Vereinigung zwischen Gott und Mensch. Diese Vergottung wird von Paulus an vielen Stellen gelehrt (Phil. 3,12; Gal. 4,9; Phil. 2,14.15). 3. Bei dem Jünger Johannes treffen wir dieselbe christozentrische Mystik in ganz besonderem Maße an, w o sie mit dessen mystischer Veranlagung in enger Verbindung steht. Das durch die Fleischwerdung des Gott-Logos dem Menschen überkommene Gut ist das ewige Leben, welches derjenige erlangt, der an Christus glaubt (Joh. 3, 15-16). Christus ist der mystische Weinstock, aus welchem der Gläubige, wenn er in ihn hineinwächst, die geistlichen Säfte des göttlichen Lebens schöpft und so im Herrn Früchte trägt (Joh. 15, 1-8). Der fleischgewordene Sohn Gottes ist das übernatürliche Brot, durch welches die Gläubigen auf mystische Art und Weise ernährt und im göttlichen Leben gefestigt werden (Joh. 6, 35). Durch den Heiland kommt der Mensch in einen völlig neuen geistigen Zustand, welchen der vom auferstandenen und gen Himmel gefahrenen Herrn den Jüngern gesandte heilige Geist bewirkt 0oh. 20, 22-23). U m jedoch unter die Herrschaft des Geistes zu gelangen, wird vom Menschen Glauben verlangt (Joh. 3, 36) und eine neue von oben kommende Geburt aus Wasser und Geist (Joh. 3,5). Die ganz besondere mystische Vereinigung des Herrn mit den Jüngern und seinen „Freunden" (Joh. 13,35515,14-15) vollzieht sich im Sakrament der göttlichen Eucharistie. Indem sie den Leib und das Blut des Herrn empfangen, ererben sie das ewige Leben, Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit (Joh. 6, 32-58). Obendrein vereinigen sie sich in der Liebe mit Gott dem Vater und dem heiligen Geist. Die heilige Trinität wohnt in dem Gerechten, der in Liebe wandelt (Joh. 14, 15-23). Durch dieses Innewohnen wird der Mensch zum Kinde Gottes 0oh. 1, 12), wird aus Gott geboren (Joh. 1, 13), indem er, das Saatkorn Gottes ins ich bergend, über der Sünde steht (I. Joh. 3, 9). Die Erfüllung dieser göttlichen Sohnschaft jedoch beruht darüberhinaus auf dem Leben im Reiche Gottes, w o die Gläubigen Gott ähnlich werden, indem sie ihn von Angesicht schauen (I. Joh. 3, 2). Desgleichen bringt der heilige Evangelist seine mystischen Gedanken auch in der Offenbarung zum Ausdruck, die er von Gott in mystischer Vision empfangen hat (Offbg. 1,9). Die reinen
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und bereiten Seelen, die im Kampf wider die Sünde den Sieg errungen haben, werden von dem Holz des Lebens (OfFbg. 2, 7) und von dem verborgenen Manna essen (OfFbg. 2, 17). Diejenigen, die wider das Gesetz handeln und der Lüge folgen, wird Gott verabscheuen (OfFbg. 21, 8); aber die reinen, keuschen und untadeligen liebt er (OfFbg. 14, 4-5). Diese letzteren sind die hohe Braut des geschlachteten Lammes. Sie vereinen sich mit ihm in der geistlichen Hochzeit und halten das frohe Mahl (OfFbg. 19, 7-10). Ihr Land ist der neue Himmel und die neue Erde, die heilige Stadt, das neue Jerusalem. In ihm werden die Gerechten und Heiligen in großer Freude und unendlicher Seligkeit leben. Gott wird von ihren Augen jede Träne abwischen, und dort wird weder Tod noch Trauer noch Geschrei oder Qual sein (OfFbg. 21, 1-7). Im neuen Jerusalem „wird der Thron Gottes und des Lammes sein, und seine Knechte werden ihm dienen, und sie werden sein Angesicht schauen, und sein Name wird auf ihren Stirnen sein. Und es wird keine Nacht mehr geben, und sie bedürfen nicht des Lichtes einer Lampe noch des Lichtes der Sonne; denn Gott der Herr wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen in alle Ewigkeit" (OfFbg. 22, 3-5). Dies wäre, in gedrängten Zeilen dargelegt, die Mystik im Neuen Testament, welche in Christo und im heiligen Geist ein absolut neues Leben erlangt, — und so steht sie in keinerlei Beziehung zu der außerchristlichen Mystik der Epoche des Neuen Testamentes.
II. D I E M Y S T I K I M
NEUPLATONISMUS
B
evor wir zur Mystik der griechischen Kirchenväter übergehen, halten wir es für zweckmäßig, in kurzen Zügen einiges über die Mystik im neuplatonischen philosophischen System zu sagen und dabei besonders über die Mystik Plotins, des wichtigsten Vertreters derselben, zu handeln, dessen Ideen den entsprechenden Lehren der Kirchenväter so verwandt sind. Obgleich der Neuplatonismus der Mystik des Orthodoxen Orients reichliche Nahrung gab (besonders in bezug auf die Methode des Aufstiegs des Geistes zum Göttlichen, wie wir sie vor allem bei der Mystik des Pseudo-Areopagiten finden), trennen fundamentale Unterschiede die beiden Systeme voneinander: Der Neuplatonismus ist ein reines Erzeugnis der menschlichen Lust am Philosophieren, während die christliche Mystik in der Hauptsache dem Neuen Testament entspringt und als ihre Tiefe, ihre lebenspendende Kraft und ihr Zentrum das neue geistliche Leben in der Person des fleischgewordenen Logos Gottes besitzt. So wird der Mensch von der göttlichen Gnade auf mannigfaltige Weise belebt und gereinigt, indem er auch den Leib achtet und dieser zum Teilhaber der geistlichen Güter wird.
Nach dem System Plotins teilt sich das Seiende hierarchisch in zwei verschiedene und entgegengesetzte Welten: in die geistige, ewige, unveränderliche und unvergängliche, und in die sich von der ersteren unterscheidende sensible Welt, die verdorben, veränderlich und wandelbar ist. An der Spitze alles Seienden und zumal an der Spitze jeder Wesenheit und Energie, an der Spitze des Geistes und alles Begreifens steht das Göttliche, das Gute, steht das absolute Sein 1 ). Die menschliche Seele, die sich mitten zwischen der intelhgiblen und der sensiblen Welt befindet, ist von Natur aus gut, insofern sie mit dem Göttlichen engstens verwandt ist - sie ist ein Gott „nachstehender Gott" 2 ). Im Gegensatz dazu herrscht in der sensiblen Welt das Chaos, Unordnung und Verwirrung, da ihre Grundlage die Materie ist, das „erste und an sich Böse" 3 ). Im materiellen Leib wohnend, erleidet die Seele sehr viel Böses, sehnt sich jedoch brennend nach ihrer Rückkehr zum Göttlichen, woraus sie emaniert ist. Dies erlangt die Seele durch vielerlei Reinigungen und durch Enthaltung von allen Leidenschaften, „indem sie durch Askese und durch Vorherrschaft des Wortes zur Reue kommt" 4 ). Die Seele soll sich bei 1
) ) 3 ) *) s
Enneaden I, Ebenda, IV, Ebenda I, 8, Ebenda I, 2,
7, r. 8, 5. 3. 5.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
ihrer Reinigung nicht nur darum bemühen, „außerhalb der Sünde" zu stehen, sondern auch ganz positiv darum, daß sie Gott wird. Sonach ist die Vergottung der Reinigung letztes Ziel. Unerläßliche Voraussetzung für .die selige Vision Gottes ist, daß der Geist „vollkommen göttlich und vollkommen g u t " wird 1 ). Nach Plotin ist die Gotteserkenntnis und die Erkenntnis der göttlichen Dinge und Wesen schlechthin das grundlegende Ziel des Lebens. V o n den Arten der Gnosis unterscheidet der Philosoph drei: die empfindungsmäßige, als die unvollkommenste und schwächste, die durch das Gefühls- und Vorstellungsvermögen der Seele erlangt wird, die intellektuelle, die durch das Logische und durch den Intellekt erreicht wird, und, drittens, die Gnosis aus dem Erkennen, die höher steht als die zwei ersteren, wonach der reine Verstand direkt sich selbst denkt und betrachtet und dabei zugleich alles ideelle denkt und betrachtet 2 ). Außer den obigen drei Arten der Gnosis nimmt jedoch Plotin noch eine vierte an, die noch viel wichtiger ist als die letztgenannte, und das ist die, bei der die Seele, Gott betrachtend, selbst vergottet wird. Diese Gnosis erlangt man in der mystischen Ekstase und Entfaltung. Diese Ekstase ist jener ungewöhnliche und außerordentliche Zustand, in welchem jedes menschliche Gefühl, jede Überlegung, jeder Gedanke und Wunsch, jede Bewegung und jedes Selbstbewußtsein ausgeschaltet und jedes menschliche Urteilsvermögen aufgehoben ist, indem in den bereiten Seelen eine übernatürliche Schau und Kontemplation des die Gefühle und die Vernunft übersteigenden Gottes auf direkte Weise eintritt. U n d dies geschieht, indem die Augen der Seele von dem unermeßlichen Licht Gottes erfüllt werden, und der göttliche Eros sie derart bezwingt und den von Gott erfaßten Geist mit dem Göttlichen vereint, so daß jeglicher Unterschied zwischen Gott und menschlichem Geist aufgehoben zu sein scheint, und die völlige Vereinigung beider und somit die Vergottung des Menschen eintritt 3 ). Die meisten der oben angeführten Elemente werden wir auch im mystischen System vieler Väter der Ostkirche wiederfinden, aber mit den Grundunterschieden, die, wie bereits gesagt, die zwei Systeme voneinander trennen, und zwar wegen des besonderen Inhalts, den die absolute göttliche W a h r h e i t und die neue Schöpfung in Christo diesem mystischen Leben gegeben haben. Ebenda I, 2, 6. 2
) Ebenda I V , 3, 1 8 ; 4, 2.
3
) E b e n d a I V , 4, 1 ; 8, 1 . V , 3, 5 ; 6, 8.
III. D I E M Y S T I K D E R
GRIECHISCHEN
KIRCHENVÄTER
D
ie heiligen Väter der Ostkirche empfingen die Mystik vom Neuen Testament und erlebten sie, unter dem Einfluß der Gnade stehend, sehr stark. So fand sie in ihren Schriften einen reichen Niederschlag und beeinflußte das gesamte kirchliche Bewußtsein und die Frömmigkeit durch alle Jahrhunderte hindurch. Die Mystik der griechischen Kirchenväter ist christozentrisch und pneumatozentrisch und trägt den Stempel des neuen Lebens in Christo und der geistigen Wiedergeburt. Als Ausgangspunkt hat sie die göttliche Verwandtschaft des Menschen, wodurch dieser in der Lage ist, mit Gott zu reden und sich mit ihm zu vereinigen, indem er jedoch sehr stark von der Transzendenz des göttlichen Wesens abhängig ist, die ihn auch vor allem Pantheismus bewahrt. So sieht er in dem menschgewordenen Logos Gottes den Höhepunkt der mystischen Vereinigung Gottes mit dem Menschen, seine aus Gnade geschehene Vergottung, worauf er diese unter dem Beistand der göttlichen Gnade durch reichliche Askese, durch des ganzen Leibes und Geistes Reinigung und durch die himmelwärts führenden vergottenden Tugenden herrlich wiedergibt. Auf diese Weise werden die Heiligen befähigt, durch den mystischen Flug in der auf Liebe beruhenden Ekstase Gott zu sehen und den Vorgeschmack des göttlichen Lebens des Paradieses zu empfangen. Nach obigem Schema beabsichtigen wir im folgenden kapitelweise dieses Thema darzustellen. i. a) Die Anthropologie der Väter als Basis ihrer Mystik Der Meinung der heiligen Väter des Orthodoxen Ostens nach kann sich nur das Wesen dem Göttlichen nähern und in ethischer Vollkommenheit mit ihm vereinigen, welches die Charakterzüge der Gottheit in sich trägt. Diese Möglichkeit steht auch dem Menschen offen, und dieses Ziel hatte Gott auch seiner Schöpfung gesetzt. Nach der heiligen Schrift wurde der Mensch nach dem Bilde und zur Ähnlichkeit Gottes geschaffen. Das im Menschen befindliche göttliche Bild ist der Intellekt, die Vernunft, die Willensfreiheit, das Prinzipielle und das Schöpferische seiner Seele1), *) Gregor v. Nyssa, Migne P. G. 45, 2 1 D - 2 4 A . Basilius d. Gr., MigneP, G. 31, 344B. Chrysostomus, Migne P. G. 49, 93. Theodoret v. Cyrus, Migne P. G. 80, 125 B.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
die, nach dem heiligen Gregor von Nazianz, den Odem Gottes, die göttliche Einhauchung empfängt und so den Leib trägt, erhält und belebt 1 ). Die Gottähnlichkeit jedoch betrifft hauptsächlich das Ethische, indem sie sittlichen Dynamismus und das Hinstreben zur Vervollkommnung bewirkt 2 ). So sollte der Mensch, von seiner vernünftigen Freiheit guten Gebrauch machend und von der göttlichen Gnade inspiriert und bestärkt, zur freien ethischen Konstituierung seiner Persönlichkeit kommen, zu seiner, soweit möglichen, Angleichung an seinen Schöpfer. Außerdem versetzten folgende Faktoren den ersten Menschen in die Lage, daß seine Natur sich charismatisch mit Gott vollkommen vereinigen konnte: der Schmuck der alten Natur des Stammvaters, die übernatürlichen Gnadengaben, die Güte der Gott dargebrachten und von aller Begierde und Leidenschaft gereinigten Natur, der engelgleiche Lebenswandel, die sohnhafte Offenheit und das unbefangene Gespräch mit Gott, das Gott-Nahesein, der reine Blick der Seele, wodurch der Erstgeschaffene in der Gottesschau schwelgte und die Gedanken Gottes verwirklichte, der von da herrührende Frohsinn, der Genuß und die Seligkeit, das schmerzlose, sorglose und freudevolle Leben3). Der Lebenszweck des Erstgeschaffenen war der stufenweise Aufstieg und seine Vervollkommnung, die Unsterblichmachung seiner Natur, die stetige, bei Gott herrschende Erbauung, oder, wie Gregor von Nazianz sagt, seine sich zu Gott neigende Vergottung 4 ). So basiert die gesamte Mystik der griechischen Kirchenväter auf der Anthropologie. Nach ihrer Ansicht war Adam der Typus der Vereinigung des Menschen mit Gott, er war der spezifische Myste des Göttlichen; er war der von Gott getragene und in Gott existierende Mensch. Die Tendenz und die mannigfaltige Askese der Väter ging dahin, in sich selbst das selige vor dem Sündenfall hegende Leben wiederzufinden und die Reinheit und den Glanz des Ebenbildes und die Erlangung der Gottähnlichkeit wiederherzustellen. In diesem glückseligen Zustand findet der Mensch wieder das metaphysische Zentrum seiner Existenz und entdeckt seinen wahren Lebenszweck wieder, das heißt seine unwandelbar in Gott ruhende Natur. *) Gregor u. Nazianz, Migne P. G. 37, 446/47, 452, 534. 2 ) Basilius d. Gr., Migne P. G. 32, 69B; 29, 449D; Johannes v. Damaskus, Migne P. G. 93, 321-324, 632. 3 ) Vgl. Basilius d. Gr. und Gregor v. Nazianz, Migne P. G. 31, 344 C D und Migne P. G. 36, 321-324, 632. 4 ) Migne P. G. 36, 324A.
Die Mystik in der orthodoxen Ostkirche
b) Die Transzendenz
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des göttlichen Wesens und deren Bedeutung
für die Mystik der Väter W i e bereits gesagt, spielt die A u f h e b u n g der absoluten Transzendenz des göttlichen Wesens in der Lehre der griechischen Kirchenväter v o n der Vereinigung Gottes mit dem Menschen eine ungeheure Rolle. Sie v e r stehen die göttliche Wesenheit als alles Physische überragend, sie ist infinit, und so ist sie f ü r den Verstand v o l l k o m m e n unfaßbar, geschweige denn, daß er sich mit ihr vereinigen könnte. Zwischen der göttlichen Wesenheit und allen Geschöpfen besteht mit Ausnahme der reinen pneumatischen Wesen und Naturen ein unüberbrückbarer ontologischer A b grund. Als absoluter, ungeschaffener und ewiger Geist ist Gott f ü r den natürlichen Verstand völlig unverständlich und unerreichbar 1 ). Diese T a t sache ist v o n größter Wichtigkeit, insofern als sich die Kirchenväter in ihren mystischen Anschauungen und in ihrem Leben v o r jeglicher G e fahr einer Auflösung der menschlichen Natur i m Meer des göttlichen Wesens hüten. Dieser Gefahr ist die außerchristliche Mystik o f t erlegen. D i e Vereinigung mit Gott und die Vergottung des Menschen in Gott übersteigt keinesfalls die natürliche Grenze der Schöpfung, sondern sie ist ein W e r k der Gnade Gottes, das auf der ethischen Ebene Hegt, und sie korrespondiert mit der menschlichen Natur. D i e Vereinigung Gottes mit dem Menschen vollzieht sich nicht i m göttlichen Wesen selbst, das, w i e bereits gesagt, f ü r die gesamte geschaffene Natur v o l l k o m m e n unerreichbar ist, sondern sie vollzieht sich in den ungeschaffenen göttlichen Energien, die aus dem göttlichen W e s e n hervorgehen und es nach außen hin der Natur offenbaren 2 ). D i e „übersubstantiellen Strahlen", die bis zu den Geschöpfen herabkommen, machen diese des göttlichen Lebens teilhaftig und geleiten den Menschen zur Gotteserkenntnis, indem sie gleichzeitig in die „ W o l k e der Unwissenheit" eindringen. D o r t verbirgt sich in der T i e f e der Ruhe und des Schweigens und jenseits alles Seins, das Mysterium der „ p r i m a causa", das Geheimnis des dreieinigen Gottes. c) Die Vergottung des Menschen in Christo als die soteriologische Basis der Mystik der griechischen
Kirchenväter
Weiter oben haben w i r gesagt, daß die Soteriologie der Orthodoxen Ostkirche ganz klare mystische Z ü g e trägt, indem sie die Erlösung als *) Gregor v. Nazianz, Migne P. G. 35,1164. Cyrill v. Alexandrien, Migne P. G. 75, 888B. Anastasius Synaiticus, Migne P. G. 89,77CD. Basilius d. Gr., Migne P. G. 32, 69B. Chrysostomus, Migne P. G. 53, 78 u. a. 2 ) Vgl. DionysiusPseudo-Areopagita., De div. nom., Migne P. G. 3,649B.Basilius d. Gr., Adv. Eunom., Migne P. G. 29, 681C-684 A.
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
die im fleischgewordenen Gott-Logos geschehende Vergottung des Menschen versteht. Ohne daß sie die Lehre von der Erlösung, die in dem zur Versöhnung führenden Leiden des Herrn ihr Zentrum hat, übersieht, betont die Orthodoxe Kirche die im Gottmenschen geschehene Vereinigung der Natur des göttlichen Logos mit der menschlichen, w o durch letztere vergottet wird. Dies wird von den meisten Theologen des Westens aus Unkenntnis des Geistes des Orthodoxen Ostens falsch verstanden. Das Mysterium der Menschwerdung Gottes ist in der durch die Conceptio geschehenen Eigenheit der Person Christi bereits die Erlösung an sich. Die Vereinigung der Naturen in der natürlichen Person Christi ist eine mystische, die alle Normen unseres Denkens übersteigt und dies ist nur im Glauben faßbar. Nicht minder wahr ist die reale hypostatische und physische Vereinigung (kat' hypostasin), um es mit Cyrill von Alexandrien zu sagen, welche gewisse theologische Kreise seiner Epoche so erregte. In Christus wird der Mensch von Gott erhalten und getragen. Das vernünftige Geschöpf thront im unermeßlichen und unveränderlichen Gott, indem es mit ihm unzertrennbar, ohne daß eine Vermischung eintritt, verbunden ist. Im Heiland wird der Mensch erneuert und neu gestaltet; gereinigt erscheint das von Gottes Hand ehemals herrlich geschaffene vernunftbegabte Bild, das durch die auf ihm lastende Sünde verdunkelt und in seiner ehemaligen Schönheit verunstaltet war. In der Menschheit Christi erscheint der wirkliche, nach dem Bilde und nach der Ähnlichkeit mit Gott geschaffene Mensch, und in ihm erblühen von neuem die Charakterzüge seiner göttlichen Verwandtschaft. Wie der erste Mensch durch seine stufenweise ethische und geistige Statur bis zu seiner Festigung im Guten und bis zu seinem Höhepunkt gelangen mußte, so trifft dies noch weit mehr für sein erstes Leben in der Glückseligkeit zu, und dies gewinnt der neue Adam in Christo wieder zurück. Das vernunftbegabte Geschöpf geht auf Grund der mörderischen Schlechtigkeit des alten Drachen keineswegs verloren, sondern es wird emporgezogen aus dem Abgrund der geistigen Verlorenheit, wird in den Himmel versetzt, thront bei Gott und befindet sich im „dreisonnigen" Licht der Gottheit. Ja, der Mensch wird aus Gnade Gott! In dieser mystischen Sphäre des Lebens Gottes mit dem Menschen bewegen sich die heiligen Väter der Ostkirche mit besonderer Vorliebe, indem sie immer wieder das „Gott wurde Mensch, auf daß wir Gott werden" des heiligen Athanasius 1 ) neu aufnehmen. Das unaussprechliche !) Migne P. G. 25, 192C. Vgl. Irenaeus, Adv. Haer. III, 10, 2. Migne P. G. 7, 783. Hippolyt, Migne P. G. 16,3454BC. Gregor v.Nyssa, MigneP.G. 4 5 , 1 1 5 3 B . Cyrill v. Alexandrien, Migne P. G. 74, 784 A. Gregor v. Nazianz, Migne P. G. 35, 785 B C etc.
Die Mystik in der orthodoxen Ostkirche
Mysterium der Menschwerdung Gottes liebten sie mit Leidenschaft und behüteten es wie einen Augapfel. Sie umgeben es mit dem Feuer des Eros, den sie dem Heiland entgegenbringen und welcher ihre Herzen entzündete, und sie bekämpften alle gegen die Person und Natur Christi wütenden Häresien. Die Fälschung des christologischen Dogmas löste nicht nur ihr theologisches Glaubensfundament auf, sondern es zerstörte zugleich auch ihr mystisches Leben in Christo. Wenn Christus nicht wahrer Gott und dem Vater wesensgleich wäre und nicht zugleich vollkommener Mensch, uns gleich, nur ohne Sünde, und wenn schließlich die Vereinigung in seiner Person nicht wahr wäre, sondern nur eine scheinbare und oberflächliche, dann könnte der Mensch nicht vergottet werden. „Der mit dem Geschöpf verbundene Mensch wäre nicht vergottet worden, wenn nicht der von Natur aus wahre Logos seinen Leib angelegt hätte" 2 ), schreibt der heilige Athanasius gegen Arianus. Dies ist die starke soteriologische Grundlage, auf der die in Christus verankerte Mystik der Väter des Orthodoxen Ostens basiert. Ihr mystisches Leben und die mystischen Flüge ihres Geistes verfolgen nur ein Ziel: die Vergottung ihrer Natur, die zugleich die in Christo objektiv vollzogene Vergottung der menschlichen Natur ergibt. Die in Christus objektiv vollbrachte Vergottung des Menschen überträgt sich jedoch „in Kraft" auch auf alle übrigen Menschen. Die griechischen Kirchenväter betrachten die menschliche Natur als ein geschlossenes Ganzes, als eine nicht zerteilbare Monade, die allen Teilhypostasen angehört und eine mystische Einheit ergibt 1 ). Wie im ersten Adam alle Menschen mitsündigten und die von ihm stammende Schwachheit ererbten, so wurden in der Menschheit Christi, des zweiten Adams, alle Menschen angenommen und mystisch vergottet. Und wie durch den Stammvater alle Menschen, die von ihm abstammen, in der natürlichen Geburt die Sünde und seine Sündhaftigkeit ererbten, die sie in ihrem Leben fortgesetzt durch ihre persönlichen Sünden in der Tat offenbar machen, so werden die, die in der Menschheit des Heilandes seine Gnade der Vergottung erben dürfen, dazu berufen, sich deren nun auch subjektiv würdig zu erzeigen. Dies geschieht jedoch in voller Freiheit und unter dem von oben kommenden Beistand des heiligen Geistes. Die orthodoxen Kirchenväter liebten den konträren Parallelismus sehr, der sich zwischen den beiden Adam zeigt: der eine vererbt die Sterblichkeit und den Tod,
!) Migne P. G. 26, 296 A B . 2
) Athanasius d. Gr., Migne P. G. 26, 397. Gregor v. Nyssa, Migne P. G. 45, 1 2 0 B C . Cyrill v. Alexandrien, Migne P. G. 74, 32C.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
der andere jedoch das Leben und die Unsterblichkeit 1 ). U m diese beiden Pole dreht sich ihre geistige Geschichte und ihr religiöses Leben. d) Der heilige Geist im mystischen Leben der Kirche Abgesehen von dem sehr wichtigen und grundlegenden Faktor der freien Cooperatio des Menschen in der subjektiven Aneignung der Vergottung, die ausnahmslos von allen heiligen Vätern der Ostkirche stark betont wird, so daß wir es an dieser Stelle als überflüssig erachten, weitere Belege anzuführen, nimmt das heiligende und vollendende Wirken des heiligen Geistes die erste Stelle ein. Dieses W e r k entspricht dem Wirken der dritten Person der heiligen Trinität in der natürlichen Schöpfung und bei der Erlösung, woselbst sich das Wirken aus dem Vater durch den Sohn vollzieht. Der Geist des Vaters begründet f ü r die Erlösung die neue Arche der Gnade, die heilige Kirche Christi, in welcher er die Vervollkommnung der neuen Schöpfung in Christo bewirkt, indem er den Gläubigen die Güter des Erlösungsopfers des Herrn und die der Erlösung schlechthin vermittelt. Diese vervollkommnende und heiligende Wirkungsweise des heiligen Geistes erkennen wir ganz besonders in den heiligen Sakramenten der Kirche. Diese zeigt der heilige Geist als wirksame Gnadenmittel, die da auf vielerlei Weise diejenigen, die sie würdig empfangen, geistlich ernähren und erhalten. So bewirken allgemein alle von Christus eingesetzten Sakramente, besonders jedoch zwei von ihnen, die heilige Taufe und die göttliche Eucharistie, die auch als Hauptsakramente bezeichnet werden, die Heiligung des Menschen und seine Vereinigung mit Gott. I. Die heilige Taufe. In negativer Hinsicht wird die Seele des Menschen in der Taufe von der sie verdunkelnden Sünde befreit 2 ), indem sie ja alle vorangegangenen Sünden und jeden Makel abwäscht 3 ). Sie wird von dem ewigen und verderblichen geistlichen Tod erlöst 4 ), indem sie den alten in Sünde verstrickten Menschen und die frühere Geburt in Adam ablegt 5 ). In positiver Hinsicht jedoch wird die Seele erneuert und neu gebildet, indem sie ihre ewige Existenz in Gott wiedererlangt 6 ). Durch das Bad der Wiedergeburt erglänzt der Geist des Gläubigen auf wunder1
) Irenaeus, Migne P. G. 7, 938. Methodius, Migne P. G. 18, 65 A-68 A. Cyrill v. Alexandrien, Migne P. G. 74, 276 BC. 2
) Clemens v. Alexandrien, Migne P. G. 8, 284A.
3
) Cyrill v. Alexandrien, Migne P. G. 72, 904 CD.
4
) Didymus d. Bl, Migne P. G. 39, 801. ) Migne P. G. 39, 608 AB. Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 636C.
6
•) Didymus d. Bl., Migne P. G. 39, 801 CD. Ps. Areopagita, Migne P. G. 3,48 AB.
Die Mystik in der orthodoxen Ostkirche
193
bare Weise, indem die von obenher kommende göttliche pneumatische Gnosis in ihn eindringt, die das Ziel aller Sehnsucht ist1). Nunmehr frei von der ehemaligen geistlichen Umnachtung, wird das Auge der Seele klar, und es erkennt die heilige Trinität und schaut mit Klarheit das Göttliche2). Der Mensch wird Sohn Gottes und ererbt im heiligen Geist die mystische Sohnschaft3). Als Kind des Lichtes und Sohn Gottes kommt er sodann in engste geistige Beziehung mit seinem Erlöser. Als Kleid trägt seine Seele Christus den Erretter, und das unverderbliche Gewand des heiligen Geistes, der den Menschen wiedergeboren und versiegelt hat 4 ). Er verbindet und vereint sich mit dem Herrn so eng, so daß er sich ihm angleicht und mit ihm eines Herzens und Sinnes wird 5 ). Diese mystische Einpflanzung des Gläubigen in Christo entwickelt sich bis zu dem Grade, daß er fernerhin den Namen seines Erlösers trägt, ja, daß er gleichsam Christus wird 6 ). In dieser Vereinigung wird die Seele auch als Braut Christi bezeichnet7). Durch die heilige Taufe wird der Gläubige in den Leib der Kirche aufgenommen, er wird zum geheiligten Glied Christi und hat zum unsichtbaren Haupt seinen göttlichen Erretter 8 ). Die von der Taufe herrührenden Güter werden von den Vätern sehr ausführlich beschrieben. Der Täufling vereint sich nicht nur mit Christus, sondern er wird zugleich von der ganzen Gottheit umhüllt, ja, aus Gnaden wird er Gott 9 ). Die Vergottung ist der Höhepunkt der göttlichen Herrlichkeit, und sie wird dem Menschen durch die Gnade des heiligen Geistes in der Taufe zuteil. 2. Die göttliche Eucharistie. Wie die heilige Taufe sozusagen der Eintritt des Gläubigen in das Reich der Gnade und seine Erbauung in Gott ist, so nimmt die Eucharistie diese Geburt in Empfang, bringt sie zur Entfaltung und nährt sie, indem sie das im Geist begonnene mystische Leben erhält und mit der Gottheit verbindet. In gewisser Hinsicht lebt in dem Sakrament der göttlichen Eucharistie das Mysterium der göttlichen Menschwerdung weiter fort. Das vom Geist Gottes geheiligte Brot und x
) ) 3 ) 4 )
Clemens v. Alexandrien, Migne P. G. 8, 285B. Migne P. G. 8,284 A. Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 636 C. Didymus d. Bl., Migne P. G. 39, 680 A B , 1505 C. Joh. Chrysostomus, Migne P. G. 68, 541; 61, 656. 6 ) Methodius, Migne P. G. 18, 149 C. ') Joh. Chrysostomus, Migne P. G. 68, 541. 8 ) Theodor v. Mopsvestia, Migne P. G. 68, 541BC. •) Hippolyt, Migne P. G. 10, 860AB. Clemens v. Alexandrien, Migne P. G. 8, 2 8 1 A . Gregor v. Nazianz, Migne P. G. 36,448 B. Chrysostomus, Migne P. G. 59,93. Pseudo-Areopagita, Migne P. G. 3, 424 C. 2
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
der geheiligte Wein werden in das göttliche und lebenspendende Fleisch des Heilandes umgewandelt (metatrepontai), und mit diesem Fleisch ist die göttliche Natur des Logos f ü r immer vereinigt. So wird derjenige, der das Sakrament empfängt, vollkommen von der Gottheit durchdrungen, wie z. B . auch das Feuer Eisen durchdringt. U n d Gregor von Nyssa drückt dies sehr klar aus, wenn er sagt, daß in der göttlichen Eucharistie Christus sich mit unseren Leibern so vermischt, wie er uns auch durch seine Menschwerdung unsterblich und unvergänglich macht. Er vermischt sich selbst mit unserer sterblichen menschlichen Natur, die dadurch vergottet wird. Durch die göttliche Eucharistie nimmt die ganze heilige Trinität in der Seele des Kommunikanten, der von dem gesättigt und erfüllt wird, wonach er dürstete und hungerte, unsichtbar Wohnung 1 ). Dasselbe betonend sagt auch der heilige Chrysostomus, daß Christus in der heiligen Eucharistie von uns Besitz nimmt, sich mit uns vereint und verbindet, sich mit uns verstrickt und verschmelzt, ja, daß er mit uns eins wird. Der heilige Vater beschreibt mit besonders treffenden Worten die Heilswirkungen, die uns die Kommunion des Herrnblutes zuteil werden läßt, wenn es in uns die Ebenbildlichkeit herrlich und königlich erblühen läßt: Es vertreibt die Dämonen und verleiht unserm Geist Schönheit, da es uns die Rettung bringt und uns die Himmel öffnet und das Leben der Engel schenkt; denn wir tragen den König selbst und werden von ihm umgeben 2 ). Durch die Eucharistie vollzieht sich die mystische Vereinigung des Menschen mit Christus, und es fügt sich zusammen der mystische Leib der Heiligen. U m dies näher zu erläutern, bringt der heilige Chrysostomus das Gleichnis von den Weizenkörnern und dem sich aus ihnen zusammensetzenden Brot. So ergeben die vielen K ö m e r ein Brot, und die einzelnen Körner treten nicht mehr in Erscheinung. Sie bleiben zwar dieselben, aber sie kennen nicht die Art und Weise, wie sie aneinanderhangen; auf diese Weise sind auch wir miteinander in Christus verbunden 3 ). Diese gedrängte Darstellung soll genügen, um aufzuzeigen, wie wichtig diese zwei Sakramente für des Menschen mystisches Leben und f ü r seine Vervollkommnung im Geiste sind. Migne P. G. 45, 93 ABC-97B; 44, 1248A. ) Migne P. G. 62, 586; 59, 261-262. 3 ) Migne P. G. 61, 200, vgl. Cyrill u. Alexandrien, Migne P. G. 73, 384ABC. Joh. Damascenus, Migne P. G. 94, 1149. 2
Die Mystik in der orthodoxen Ostkirche
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2. Der mystische Aufstieg des Menschen zu Gott Außer den oben beschriebenen biblischen, anthropologisch-soteriologischen Elementen der Orthodoxen Mystik, existierte im Orthodoxen Osten, oft in direkter Abhängigkeit von diesen, auch die innere, subjektive und kontemplative Mystik, die in ganz besonderer Weise das östliche Mönchtum charakterisiert. Diese mystische Strömung, die sich fast in allen geistigen mönchischen Lebensäußerungen widerspiegelt, wurde zu einer starken und lebendigen Tradition und charakterisiert sehr klar die Neigungen und Tendenzen, die die religiöse Seele des Orthodoxen Orients und in besonderem Maße die byzantinische Frömmigkeit hat. In der Wüste findet der Mensch den geeigneten Ort, u m sich spirituell zu entwickeln und gibt sich der Reinigung seines ganzen Ichs hin; mit Hilfe der Gnade bildet er in sich selbst die wahre Natur des Menschen, die er vor dem Sündenfall besessen hatte, wieder neu, wobei er auf den Flügeln des geistigen Gebetes und v o m götdichen Eros angefeuert zu den unkörperlichen Sphären des göttlichen Seins sich aufschwingt, w o er, v o m glückseligen Licht der göttlichen Herrlichkeit durchdrungen, erleuchtet und aus Gnaden vergottet wird und sich mit Gott vereinigt. In der Theologie der Orthodoxen Mystik ist f ü r gewöhnlich der göttliche Eros das treibende Element. Den Intellekt überragend, bringt er die innere Tiefe der Seele zum idealen Glänze Christi, ihrem mystischen Bräutigam, den sie leidenschaftlich ersehnt, und zu dem sie rein und ohne Makel eilt und dann ihr Hochzeitslied erschallen läßt. Weiter unten werden w i r die Hauptstadien besprechen, die der Mensch bei seinem Aufstieg zum Göttlichen zu durchwandern hat. So beginnen wir mit dem negativen W e g der Reinigung, der den glückseligen Zustand der Leidenschaftslosigkeit (apathia) zum Ziele hat. A) Der negative Weg: Reinigung, Leidenschaftslosigkeit. Daß des Menschen mystische Vereinigung in Christo fortgesetzte ethische K ä m p f e und eine sorgfältige Vorbereitung erfordert, ist nach dem Geist der Väter des Orthodoxen Ostens eine ganz selbstverständliche Angelegenheit. In seiner Soteriologie betonte der Orthodoxe Osten schon immer die aus freiem Willen v o m Menschen kommende Mitarbeit an seiner Errettung. Der Mensch, der, obgleich nun nur noch in schwachen Zügen, auch nach dem Sündenfall das in ihm befindliche göttliche Bild trägt und die Willensfreiheit besitzt, hat mit der Gnade Gottes zusammenzuarbeiten, u m die durch Christus objektiv vollzogene Rettung zu erlangen. Nach den Vätern des Orthodoxen Ostens ist der K a m p f des Gläubigen,
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
der zur Vereinigung mit Gott führt, ein zweifacher: Einerseits bedeutet er die Reinigung des Leibes und des Geistes des Menschen von allen sittlichen Befleckungen, die sein Wesen verdunkeln, und andererseits bedeutet er die Schmückung der Seele mit den himmelwärts führenden Tugenden. So hat dieser Kampf einen negativen und einen positiven Aspekt. Die Reinigung des alten Menschen, die Abtötung der fleischlichen Gesinnung, die strenge Askese zur Unterdrückung der Leidenschaften und der Sünde, dies ist der Lebensnerv und das Rückgrat des geistlichen Lebens. Es ist jedoch besonders zu betonen, daß in diesem Kampf wider das Fleisch die geistigen Väter des Ostens den Leib nicht als etwas von Natur aus Schlechtes auffaßten, wie es ja der Neuplatonismus lehrte, und ihn darum etwa verachteten und auf vielerlei Weise straften und bekämpften. So beurteilen sie auch die Materie nicht als etwas an sich Schändliches, wie es die Manichäer taten. Keines der von der göttlichen Güte und Allweisheit gebildeten Geschöpfe ist verwerflich 1 ), es sei denn die Sünde. Was jedoch die Natur des Bösen anbelangt, so ist sie keinerlei Wesenheit, die von Gott nach Art der übrigen Geschöpfe als selbständige Hypostase geschaffen worden wäre; denn w o die vernunftbegabte Schöpfung existiert, da ist das Böse nicht notwendigerweise vorhanden, sondern ausschließlich nur wegen des Mißbrauches, den die vernunftbegabten Geschöpfe mit ihrer Willensfreiheit betreiben2). Was jedoch den Leib angeht, so ist für ihn das Böse etwas von Natur aus Fremdes. Ganz im Gegenteil, er ist seiner Verfassung nach dazu bestimmt, von Natur aus das Gute zu tun; er ist die Wohnung der kostbaren Seele und das Wirkungsfeld der heiligenden und vervollkommenden Energie des heiligen Geistes3). Aber wegen des Sündenfalles und des darauffolgenden Verlusts des Gnadenstandes und der Unvergänglichkeit wurde die Sünde zu einer schmerzlichen Folgeerscheinung, die sich auch auf das leibliche Schicksal des Menschen bezog, und so wurde ihr verderbliches Wirken fürderhin offenbar. Im menschlichen Wesen befreite sich das Gesetz der Wildheit der Glieder. Die fleischliche Natur des Menschen, einem schwer zu bändigenden Tiere gleich, hörte auf, den Befehlen des Logos Gehorsam zu leisten, die mannigfaltigen schwer zu zügelnden Leidenschaften entfesselten sich innerhalb der materiellen Umgebung der Seele, und so gewann im gesamten Leben des Gesetzesübertreters die fleischliche Gesinnung den Vorrang. Parallel zu den geistigen Konse*) Joh. v. Damaskus, Migne P. G. 94, 1245 C. 2
) Gregor v. Nyssa, Migne P. G. 45, 25 A . ) Clemens v. Alexandrien, Migne P. G. 8, 1372 C - i 373 A .
3
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quenzen der Sünde war der materielle Teil des Menschen, selbstverständlich ohne zu verderben, so stark geworden, so daß er mit seinem erdrükkenden Gewicht den ihm innewohnenden Geist schwächte und mißgestaltete. Da sich dies so verhält, muß der Christ sich durch reichliche Askese und zähen Kampf von allem Fremdartigen und Verderblichen, von allem, was der früheren Reinheit seiner Natur fremd war, reinigen. Besonders soll er nach Abtötung der fleischlichen Gesinnung streben, nach Ruhe und Frieden für die Seele, nach glückseliger Leidenschaftslosigkeit. Durch die heilige Leidenschaftslosigkeit findet der Mensch seine reine Natur wieder, gleicht er sich Gott an. Und zu allererst müssen aus der Seele des Menschen, besonders aber aus der des Mönches, die acht Todsünden ausgerottet werden. Es sind dies folgende: Völlerei, Hurerei, Geiz oder Habsucht, Gram, Zorn, Trägheit, Eitelkeit und Stolz. Von diesen beziehen sich die ersten drei auf die konkupiszente Schicht der Seele des Menschen, die ihn an der Erhebung seines Geistes und an der Askese hindern 1 ). Die folgenden drei anderen, das heißt der Gram, der Zorn und die Trägheit beziehen sich auf den vehementen Teil der Seele, und sie belasten und ermüden sie2). Schlimmer jedoch als alle anderen sind die letzten zwei: die Eitelkeit und der Stolz; denn sie greifen der Seele wirkliches Wesen an, das heißt den Geist. Diese Sünden entspringen dem beschmutzten Geist, sie kommen aus dem Egoismus, das heißt aus der Unkenntnis dessen, was wahrhaft gut ist und aus der perversen Selbstsucht und ersticken die Seele: Als unvernünftige Leidenschaft widersteht die Eitelkeit jedem tugendhaften Werk, und als ganz feiner Gedanke gesellt sie sich leicht zu denen, die sich bessern wollen. Sie jagt dem Lobe der Menschen nach und führt alles zur Selbstgefälligkeit und -genugtuung; der Stolz jedoch, als eine Perversion des geistigen Ichs des Menschen, ist die Krone aller Leidenschaften und trennt unerbittlich den Menschen von Gott 3 ). Parallel hierzu ist auch die mönchische Kampfesmethode zu schildern. Dieses wird v o m Verfasser der „ K l i m a x " wunderbar beschrieben. Die Eitelkeit der weltlichen Güter verlassend, findet der Mönch in der Einsamkeit den geeigneten Ort zum erbaulichen Philosophieren. Daselbst denkt er beständig über den T o d nach. Diese Erinnerung an den T o d ist Nilus, Migne P. G. 79, 1 1 4 5 - 1 1 4 8 . Evagrius, Migne P. G. 40, 1272. ) Nilus, Migne P. G. 79,1156. Evagrius, Migne P. G. 40,1273. Maximus Confessor,
2
Migne P. G. 90, 973. 3
) Nilus, Migne P. G. 79, 1160. Evagrius, Migne P. G. 40,1273, 1276. Maximus
Confessor, Migne P. G. 90,965.
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jedoch nicht nur eine intellektuelle Beschäftigung, sie ist vielmehr das wahre Lebenszentrum des Mönches, indem „der tägliche Tod und das stündliche Seufzen" ihn zur freiwilligen Passivität der gesamten Schöpfung und auch dem eigenen Willen gegenüber führt. Das andauernde An-den-Tod-denken ist das Siegel der durch Reinigung erlangten Leidenschaftslosigkeit. Parallel dazu wird in der Seele die heilige Betrübnis geboren. Diese ist im Gegensatz zu der kränklichen und weltlichen Betrübnis eine seelische Bewegung voll großen Schmerzes über die Sündhaftigkeit der Natur, andererseits jedoch entspringt sie auch aus der unsäglich heftig drängenden Liebe zum Guten, zum göttlichen Willen. Der heilige Schmerz hat stets eine unaussprechbare Freude und ein geistiges Frohlocken im Gefolge, welches der heilige Geist in der Seele bewirkt, und wird darum auch als die „freudeschaffende Trauer" bezeichnet 1 ). Eine natürliche Folgeerscheinung des Gott gefälligen Schmerzes sind die den Mönchen so vertrauten heilsamen Tränen. Diese Tränen, die aus dem Herzen kommen und von der Gnade umgewandelt werden, sind der himmlische Tau, der die Seele benetzt und erfrischt, in dem aller Kummer zum Schweigen kommt und die Seele beruhigt und mit Süßigkeit erfüllt wird. Die Tränen, da sie wegen der Sünde aus dem Herzen kommen, brennen zunächst, dann aber werden sie zu Tränen des Erbarmens, die Freude spenden, sie werden zu Tränen der Weisheit, die ungewollt hervorbrechen und den Leib des Menschen schmücken und besänftigen, und die das Anditz des Menschen verändern2). Mit diesen Tränen müssen jedoch auch Askese und der Gehorsam des Mönches verbunden sein, die beide seiner geistigen Buße entspringen. Hinsichtlich der Askese spielen jedoch Fasten und Wachsamkeit eine ungeheuer wichtige Rolle; denn beide kommen aus bußfertigem Herzen und haben nicht einfach die Verneinung physiologischer Notwendigkeiten zum Ziel, sondern die Beherrschung und Zügelung aller Regungen der seelischen Kräfte und deren Hinwendung zum Guten 3 ). Über den Gehorsam ist zu sagen, daß er mit der Unterwürfigkeit verbunden und für alle mönchischen Orden unerläßlich ist. Des Gehorsams erstes Stadium ist die absolute Unterordnung der Novizen unter die Leitung ihrer geistlichen Väter. Diese Unterordnung ist der Eingang zum zweiten Stadium des höheren Gehorsams, wonach der Mönch seinen eigenen Willen ausschaltet und dessen Ergänzung durch den unumstößlichen göttlichen Willen erlangt4). Schließlich verbindet sich mit dem Gehorsam auch !) !) 2 ) 3 )
Migne Migne Migne Migne
P. P. P. P.
G. G. G. G.
88, 801, 809. 88, 758. 88, 869, 940. 88, 680.
Die Mystik
in der orthodoxen
Ostkirche
199
noch die zum Himmel führende Besitzlosigkeit1), die sich nicht nur auf die Entbehrung eigener materieller Güter beschränkt, sondern auch die geistige Armut umfaßt, die als völlige Leidenschaftslosigkeit zu verstehen ist. Wenn „der Geist zu dieser gelangt ist, dann scheidet er vom Hiesigen" 2 ). Sonach ist der Endpunkt der durch Askese erlangten Vervollkommnung der glückselige Zustand des Menschen in der Leidenschaftslosigkeit, wo der Mensch sich dem von Natur aus leidenschaftslosen Göttlichen angleicht. Die Leidenschaftslosigkeit jedoch ist die Vollendung der Reinigung und so das Ende des praktischen Lebens, was von den heiligen Kirchenvätern des Ostens besonders stark hervorgehoben wird. Die Leidenschaftslosigkeit (apathia) war bereits in der christlichen Gnosis der Urkirche im theologischen System der Alexandriner der ideale Zustand der Glückseligkeit eines Gnostikers, wodurch er vergottet „unbefleckt und unabhängig wird" 3 ). Die durch ununterbrochene Askese und durch vielerlei Mühsale und Qualen erlangte Leidenschaftslosigkeit ist jener göttlicher Zustand, worin die menschlichen Bedürfnisse sich auf ein Minimum beschränken. Das Leben des Gnostikers verläuft dann in Ruhe und Gleichmäßigkeit, und keinerlei Leidenschaft oder unberufene Begierde des Leibes belästigt ihn fernerhin. Durch die Leidenschaftslosigkeit gleicht sich der Gnostiker dem Lehrer an, und seine Seele wird nach Gottes Art, das heißt Gott ähnlich, er wird dem im Fleische wandelnden Gott gleich und folgt dem engelgleichen Lebenswandel 4 ). Etwa dasselbe beschreibt auch der heilige Macarius von Ägypten in seinen geistigen Homilien. Die Reinigung, der sich jeder Christ zu unterziehen hat, ist nicht nur das Fernhalten vom Bösen, sondern sie ist vielmehr eine totale Reinigung des Gewissens, sie ist die Wiederreinigung der Tiefe des Gewissens und des Geistes von den verborgensten und innersten Gedanken 5 ). Diese Reinigung, die auch die verborgensten Falten des Gewissens erfaßt, ist unbedingt notwendig, damit die vergottende Energie des heiligen Geistes zur Wirkung kommen kann. So wird die Seele, die nun nach Ablegung der Schmach und der schändlichen Gedanken rein und unbefleckt ist, einfach, und, indem sie sich ständig zu dem Bräutigam Christus hinbewegt, steht sie mit ihm in unsichtbarer und mystischer Gemeinschaft. In diesem Zustande ist die Seele die Braut des Logos, der Tempel des heiligen Geistes, die Tochter *) ) 3 ) 4 ) 6 ) 2
Migne P. G. 88, 982. Migne P. G. 88,929. Clemens v. Alexandrien, Stromat. 1 1 , 181. Clemens v. Alexandrien, Migne P. G. 9, 293 B, 5 1 7 A . Migne P. G. 34, 2 8 4 A .
200
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des Königs und sie ist Königin, indem sie mit der Gottheit, mit der Herrlichkeit des Eingeborenen, vereint ist 1 ). Schließlich führt die völlige Reinigung die Seele zur Vereinigung und Vermischung mit dem heiligen Geist. Die Seele wird sodann ganz Geist, ganz Licht, ganz Freude, sie gelangt zu unaussprechlichem Frohlocken und Frohsinn. Die Seele wird wie ein Stein, der in der Tiefe des unermeßlichen Ozeans von überall v o m Wasser umfaßt ist, von allen Seiten v o m heiligen Geist umgeben und von ihm durchdrungen 2 ). Ungefähr dasselbe beschreibt auch Maximus der Bekenner: Des Menschen Jagen nach dem Vergnügen, viele Erschütterungen, Kampf und Zerrissenheit waren von alters her, so meint der heilige Maximus, der menschlichen Natur zu eigen. Aus Gnade wurde der Mensch von Gott frei von allen Leidenschaften gebildet; er war von keinem Irrtum befangen, er war bedürfnislos und existierte unbeschwert von jedweden Nöten des täglichen Bedarfs 3 ). Das Trachten des Menschen richtete sich jedoch auf das sichtbar Wahrnehmbare und die mannigfaltigen Leidenschaften. Er strebte den Freuden und Sorgen des Lebens nach und dies alles geschah nur, weil er sich in die Netze der Sünde verstrickt hatte4). Aus diesem unnatürlichen Zustand muß der Mensch mit dem göttlichen Beistand mit aller Macht herauskommen, und dies geschieht, indem er sich auf mannigfaltige Weise reinigt. Die Abtötung jedoch, die der Gläubige sich auflegen muß, ist eine vollkommene und hat die volle Lösung von der Sünde und von der Neigung, die zur Sünde führt, zur Folge 5 ). Dieser Reinigung muß sich der ganze Mensch seiner psychologischen Konstitution gemäß unterziehen6). Der auf diese Weise von den Leidenschaften gereinigte Mensch wird bis zu dem Grade Gott, wie Gott in seiner Erniedrigung Mensch geworden ist'). Aus Obengesagtem geht klar hervor, daß unseren Vätern die Reinigung des Menschen und die Leidenschaftslosigkeit für die charismatische Erleuchtung und für die Vereinigung des gottgestalten Geistes mit Gott unbedingt erforderlich erschien. B) Der positive Weg: Vervollkommnung in den Tugenden, Ekstase, Erleuchtung, Vereinigung, Vergottung. Wie ersichtlich ist, besitzt das Werk der Reinigung einen negativen Charakter. Parallel dazu hat sich jedoch die ») Migne P. G. 34, 416CD-417A. 2 ) Migne P. G. 34, 641 AB. 3 ) Migne P. G. 90, 1392B. 4 ) Migne P. G. 90, 628 ABCD. s ) Migne P. G. 90, 612B. «) Migne P. G. 90, 1068 C, 1069 AB. ') Migne P. G. 90, 877 A.
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Seele mit den Tugenden zu schmücken. Reinigung und Vervollkommnung in den Tugenden sind auf dem geistigen Gebiet die zwei goldenen Flügel, womit der gottgestalte Geist, von Glanz und geistigem Lichte strahlend, schnell in die von der Materie freien Sphären der Gottheit getragen wird. i. Unter den verschiedenen Tugenden, die den Menschen zu Gott geleiten, heben wir an dieser Stelle zwei besonders hervor: das Gebet und die Liehe, die die mystisch vergottenden Haupttugenden sind, a) Das Gebet. Das Gebet, auf mannigfaltigste Art und Weise von den heiligen Vätern definiert 1 ), ist außer seiner vielfältigen Nützlichkeit im Kampfe gegen die Sünde das alleinige Mittel für die mystischen Flüge des Geistes in der Ekstase, die nur dann möglich sind, wenn sich der betende Geist im Zustand völliger ethischer und pneumatischer Reinheit befindet. Beim höheren geistigen Gebet sind zwei Stufen zu unterscheiden: In der ersten Stufe vollzieht sich das Gebet, frei von jeder leiblichen oder sensiblen Vorstellung, durch schlichte und reine Gedanken; in der zweiten Stufe jedoch erreicht das Gebet seinen Höhepunkt und es ist das, was von den nunmehr Vollkommenen, die von aller Leidenschaft frei sind, ohne jegliches Nachdenken verrichtet wird. Der Geist übersteigt sich selbst und findet dabei sein wirkliches Lebenszentrum und stellt in sich selbst die Gottesebenbildlichkeit wieder her. U m dies zu erlangen, ist die Reinheit des Geistes erforderlich; denn sie bewirkt das Gebet und die Kontemplation. So müssen vor allem die dinglichen Vorstellungen des Geistes und Gewissens abgelegt werden. Wie durch Mißbrauch des Natürlichen ein Werk von Sünde behaftet ist, so behaftet sie in ähnlicher Weise auch das Denken, weil sich die Gedanken aus dem mißbrauchten Denkvermögen formen. Die Gedanken werden von außen her in der Seele als Erinnerung an verschiedene äußere Dinge geboren2). Selbstverständlich ist das höhere Denken von Sünde frei, da es an sich neutral ist3), aber es kann nur zu leicht zur Leidenschaft führen, das heißt zur unvernünftigen Freundschaft oder zum unbeherrschl
) „Lichtartige Leiter, die Erde und Himmel vereinigt" (der Pseudo-Areopagit),
„der Umgang und die Vereinigung des Menschen mit G o t t " (Johannes Klimakus), „das Gespräch des Geistes mit Gott", „Aufstieg des Geistes zu Gott", „ein leidenschaftsloses Verhalten, das den Philosophen und den .pneumatischen Nous' im höchsten Eros in die geistigen Höhen entführt", sie ist „des Geistes Nahrung" (Nilus) usw. SieheMigne P. G . 88, 1 1 2 9 , 1 1 3 3 ; 79, 1168, 1 1 7 3 , 1 1 7 7 , 1189. Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 1029 A . a
) Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 1008 A B .
3
) Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 1 0 2 9 B .
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ten Haß gegen die äußeren Dinge. Der Mensch hat die Leidenschaft, die ihn am höheren Denken hindert, durch geistige Liebe und Enthaltsamkeit niederzukämpfen 1 ). Da aber die verschiedenen Vorstellungen von außen her in den Sinn kommen, sind auch die Gedanken an sich für das höhere kontemplative Gebet unfruchtbar, da sie im betenden Geist Unruhe und Verwirrung erzeugen und ihn an der geistigen Kontemplation hindern. Für den betenden Geist sind das Vorstellungs- und das Denkvermögen die Hauptversuchung; denn, nach Ansicht des heiligen Maximus, ist das Denken das Mittel, wodurch die Dämonen die intensiv Betenden bekämpfen 2 ). So hat der Geist von jeglicher äußerlichen Vorstellung und Idee unbedingt frei zu sein. Der heilige Nilus betont ausdrücklich, daß das „Gebet ein völliges Ausschalten des Denkvermögens ist" 3 ). Die Ablegung der eigenen Gedanken ist insofern unbedingt erforderlich, als das Objekt der Gebetskontemplation die Vision Gottes ist, der über aller natürlichen und geistigen Vorstellung steht. Diesen allegorischen Sinn hat auch das Ablegen der Sandalen des Moses, als er sich dem brennenden Busch nähern wollte. So verhält es sich auch mit dem Geist: Wenn er die göttliche Kontemplation beginnt, hat er Gefühl und Intellekt beiseite zu lassen4). Einer ähnlichen Reinigung hat sich der Geist im kontemplativen Gebet zu unterziehen, das heißt, er hat sich von den mannigfaltigen Gedanken zu reinigen. Dieses sind einerseits die einfachen Gedanken, die von Leidenschaft frei sein müssen, die einfachen Verstandesurteile, und andererseits die komplizierten Gedanken, die aus der Leidenschaft kommen oder die sich aus Leidenschaft und Denkvermögen ergeben 5 ). Die aus der Leidenschaft stammenden Gedanken, welche die konkupiszente und vehemente Schicht der Seele erregen und verdunkeln, schwächen in der geistigen Kontemplation den Sinn und stören die Gebets Verrichtung. Nur zu Recht hat der Mensch „seine Gedanken gewissenhaft zu überwachen, und er hat deren Ursprung zu erkennen und muß sie von sich werfen" 6 ). Für das kontemplative Gebet reicht die Reinigung des Geistes von den leidenschaftlichen Gedanken allein noch nicht aus, er muß sich vielmehr auch von den feinen Gedanken, von den einfachen Urteilen und Überlegungen reinigen. Die kontemplative Gotteserkennt1
) ) 3 ) 4 ) б ) •) а
Migne P. G. 90, 1 0 1 3 B . Nilus, Migne P. G. 79, 1 1 8 1 . Maximus Confesser, Migne P. G. 90, 1004D-1005 A. Gregor v. Nyssa, Migne P. G. 44, 376D-377A. Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 1009D. Maximus Confessor, P. G. 90, 1 0 2 1 B C , 1068 A.
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nis ist nicht nur über das Wahrnehmbare erhaben, sondern sie übersteigt auch die Vernunft. Wie die Seele durch die Reinigung vom Sensiblen die ganze Gefühlswelt abstreift, so auch hier: Der Geist legt durch die Reinigung vom Vernünftigen die Welt des Intellektes ab. Hier wird die Metaphysik metalogisch. Durch diese Reinigung wird der Geist in die völlige Leidenschaftslosigkeit, in die Ruhe und in die Gleichmäßigkeit geführt. Dies geschieht, indem er sich, wie es in der Sache Hegt, dem leidenschaftslosen Göttlichen angleicht. Durch die Gnade des vollkommenen Gebetes gelangt somit der Geist zu seiner Vollkommenheit, um sodann, wenn er sich fleischlos in die von der Materie freien und lichten Sphären des unbegrenzten Seins erhebt, in den Genuß der vergottenden Vision zu kommen. b) Die Liebe. Parallel und in Verbindung mit dem Gebet finden wir die zweite große mystische Tugend: die Liebe. Sie hat die gereinigte Seele bei ihrem mystischen Aufstieg zur Vergottung zu schmücken. Das Werk der Liebe ist neben seiner nützlichen Bedeutung auf dem negativen und praktischen Weg auch für den eigenen mystischen Weg unerläßlich. Dies betonen die Väter unermüdlich. Durch die göttliche Liebe entsteht in der Seele das Zusammentreffen und die Vereinigung aller ihrer Kräfte in ihrem Lebenszentrum, das ja die alte göttliche Schönheit wiederherstellt. In dieser Konzentration verleiht die Seele dem göttlichen Charakter, dem sie sich nun aus Gnaden angeglichen hat, Ausdruck1). Die vereinigende Liebe entreißt die Seele allem, was ihr durch die Geburt und die Vergänglichkeit anhängt, ja, sie befreit diese auch von allem geistigen Wesen und erzeugt in ihr durch erotische Vermischung mit Gott selbst ihre unbefleckte Symbiose mit dem Göttlichen2). Von der Leidenschaft der Liebe getrieben, gelangt der Geist (nous) zu Gott, indem er frei von allem Gefühl vom göttlichen und unbegrenzten Licht getragen und erleuchtet wird3) und die göttliche Unendlichkeit gewissermaßen empfindet4). Die Liebe ist die Tür, durch die der Eintretende in das Allerheiligste gelangt und die unnahbare Schönheit der heiligen und königlichen Trinität schaut5). Das vollkommenste Werk der Liebe ist die Vereinigung Gottes mit dem Menschen und der Idiomenaustausch. Und so wird Gott Mensch und der Mensch wird bis zu einem gewissen Grade, als nach Gottes Ebenbild geschaffen, Gott, ganz Gottes, *) Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 449 A. 2
) Migne P. G. 90, 514D.
3
) Migne P. G. 90, 964 A.
*) Migne P. G. 90, 964B. 6 ) Migne P. G. 90, 1037AB.
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indem er aus Gott das Gott-sein e m p f ä n g t 1 ) . D i e göttliche Liebe ist das Siegel der Vollkommenen, derjenigen, die der kontemplativen mystischen Theologie gewürdigt sind; sie ist die totale Reinheit des Geistes und die unablässig i m Menschen wirkende Wiederherstellerin der Schönheit des göttlichen Bildes 2 ). Es gibt nichts Gott ähnlicheres als die Liebe, nichts ist geheimnisvoller als sie und nichts außer ihr zur V e r gottung fähiger®). D i e Liebe ist das Ziel alles Guten, sie ist das erste und hervorragendste G u t ; denn sie verbindet Gott und Mensch und ist unzertrennlich mit dem Glauben und der H o f f n u n g verbunden, indem sie diese ergänzt und über sie hinweg sich in die E w i g k e i t des Reiches Gottes erstreckt 4 ). 2. D e r so durch das Gebet und durch die reinigende Liebe vorbereitete Geist (nous) ist nunmehr f ü r seinen in Ekstase v o r sich gehenden mystischen Flug in das Land Gottes bereit. Frei v o n der Materie, i m Gebet frei v o n Besitz geworden 5 ) und v o l l k o m m e n e Gefühlslosigkeit besitzend 6 ), taub und gleichsam ohne Sprache 7 ), gereinigt v o n allem Schmutz und v o n jedwelcher Leidenschaft frei 8 ), findet der Geist (nous) sich selbst, indem er v o n den weise machenden Strahlen und Ideen des heiligen Geistes erleuchtet wird. In diesem Zustand findet die Seele, die aus der Zersplitterung und Zerstreuung k o m m t , die Gott nachahmt und nun in die göttliche Einheit und Einfachheit miteinbezogen ist, ihre alte N a t u r wieder, und es w i r d ihr die ursprüngliche natürliche Schönheit aufs N e u e v e r liehen 9 ). W e n n aber der Geist (nous) frei v o n allem Scheinwesen und frei v o n jeder Problematik wieder zu seiner wahren N a t u r findet, g e langt er auf unbegreifliche, unsagbare, unerforschliche und unbestimmbare A r t und Weise zu G o t t . 1 0 ) 3. N a c h S y m e o n d e m N e u e n T h e o l o g e n w i r d dieser ekstatische Flug durch das göttliche Licht bewirkt, welches den Menschen erleuchtet. Das göttliche Licht erscheint in den geplagten Herzen als Sonne oder S o n nenscheibe, es trittkugelartig inErscheinung,und ist einerFlamme g l e i c h 1 1 ) . Migne P. G. 90, 1189BC. ) Migne P. G. 90, 1208. 3 ) Migne P. G. 91, 393 B. 4 ) Migne P. G.90, 1189AB. 6 ) Nilus, Migne P. G. 79, 1193. 4 ) Migne P. G. 79, 1193. ') Migne P. G. 79, 1193. 8 ) Nicetas Stethatus, Migne P. G. 120, 893. •) Migne P. G. 120. 961C. 10 ) Callistus Cataphygiotes, Migne P. G. 147, 892. ^Dionysius Zagoraeus, Symeon der Theologe(griech.), i790,TeilII,Orat. 27,8.57. 2
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Zunächst sieht m a n es nur ganz schwach, später erscheint es der suchenden Seele deutlicher, es zeigt sich häufiger und ist nun ein kugelartiges Licht, ruhig und göttlich, ungestalt und formlos 1 ). D e r Geist (nous) v e r eint sich mit diesem Licht auf übernatürliche Weise, er w i r d erleuchtet, und schließlich ist er ganz Licht. D e r Mensch w i r d v o n ihm mit Glanz umgeben, und er reflektiert dieses Licht nicht nur mit der spirituellen Schicht seiner Seele, sondern auch mit seinem Leibe. Das göttliche Licht durchdringt alle seine Glieder, und die göttliche Ausstrahlung transfiguriert auch die materielle U m h ü l l u n g der Seele 2 ). In diesem glückseligen Zustand der göttlichen Erleuchtung und Vereinigung lebt die Seele ihr wahres Leben. Sie vergißt sich selbst ganz und gar. Alle ihre physischen Kräfte, die sie mit der W e l t verbinden, k o m m e n z u m Schweigen. In dieser Stummheit gelangt die Seele außerhalb v o n R a u m und Zeit, vergißt alles Wahrnehmbare und w i r d nackt 3 ). Alle Lebensgefühle und Lebensäußerungen wandeln sich. Die Betrübnisse verschwinden, und die Freuden werden bitter. Das Zeitgefühl fehlt. D e r T a g erscheint als Nacht und die Nacht als T a g . Die Seele befindet sich außerhalb v o n allem und hat auch den T o d überwunden. Es geht eine v o l l k o m m n e V e r w a n d l u n g des Ichs v o r sich, und daraufhin dessen Inthronisierung in das nur bei Gott vorhandene wirkliche Sein. D i e Glückseligkeit, die nun f ü r die verwandelte Seele beginnt, ist unbeschreiblich: Als B r a u t , v o m göttlichen Eros entzündet und v o n göttlicher Sehnsucht entbrannt, erleuchtet und strahlt sie, w e n n sie ihren himmlischen Bräutigam, ihren göttlichen Geliebten, wiederfindet. B e i der mystischen Hochzeit mit i h m erglüht sie in unaussprechlicher Freude und erschauert v o n den feurigen Küssen in der göttlichen U m a r m u n g des Bräutigams. „ D u , mein Gott, umfasse mich noch mehr, küsse mich noch mehr, u m a r m e mich noch mehr, i m Saum deines Gewandes f ü h r e mich hinein und bedecke mich mit deinem Licht" 4 ). D i e Seele w i r d mit göttlicher und unsagbarer Freude erfüllt und e m p f ä n g t die Schönheit und den lichten Prunk des Bräutigams 5 ). 4. D e r göttlichen Erleuchtung und Vereinigung folgt die glückselige Vision, die Kontemplation des Göttlichen. N a c h Kallixt dem Kataphygier w i r d dem in die H ö h e steigenden und in die H ö h e schauenden Geist in der Vision Gott sichtbar 6 ). Diese Kontemplation ist eine direkt v o n der Seele k o m m e n d e Vision, sie ist jedoch kein intellektueller Aufstieg. D e r Intellekt vermag sie mit seinen eigenen Kräften nicht zu erfassen, *) 3 ) 6 ) •)
Ebenda 106/07. 2) Ebenda II, 19. Ebenda S. 106. 4) Ebenda. Orat. 8, S. 22. Ebenda. Orat. 7, S. 19. Migne P. G. 147, 892.
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noch kann er sie deuten: „Ich sehe geistig, wo, was oder wie, das weiß ich nicht; denn das Wie ist nicht auszudrücken" 1 ). In der glückseligen Kontemplation schaut der Geist allein, aber er deutet es nicht2). Diese direkte und mystische Schau des Göttlichen ist auch die wirkliche Theologie. Die wahre Theologie ist die einfache Schilderung des mystisch ekstatischen Erlebnisses, das aus der göttlichen Kontemplation kommt. Der Theologe besitzt das direkte pneumatische Gefühl für das Göttliche. Von der göttlichen Trinität zuerst belehrt und hernach erleuchtet, stellt er die Dogmen gottgefällig dar. Er spricht mit Gott über das, was von Gott ist3). Der sogenannten apophatischen Theologie nach ist die göttliche Kontemplation keineswegs ontologisch, da sie ihrem Wesen nach ja negativ ist. Nach Gregor von Nyssa beruht die selige Vision des Göttlichen, indem es sich dabei um die absolute Unendlichkeit der göttlichen ousia handelt „in dem dieses Nicht-Sehen" 4 ). Nach dem Pseudo-Areopagiten jedoch muß die Seele, um zur göttlichen Kontemplation zu gelangen, in die „göttliche Finsternis" eingehen, in das unnahbare Licht, in welchem Gott wohnt, der von Natur für die starke Helligkeit unsichtbar und für die Pracht des überwesentlichen Lichtscheines unzugänglich ist. Der Eingang in die göttliche Finsternis ist für den unendlichen ontologischen Abstand charakteristisch, der zwischen Gott und Mensch hegt, und er steht nur für diejenigen offen, die durch die Liebe vollkommen gereinigt sind. Die göttliche ousia ist geschwätzig, wortkarg und wordos, „da sie weder Wort noch Verständnis besitzt; denn ihr überwesentliches Sein ist allem überlegen" 5 ), und sie befindet sich „unter allem Wahrnehmbaren und Geistigen" 6 ). So ist die Erkenntnis derselben, die in der göttlichen Finsternis erlangt wird, negativ und ihr Charakteristikum ist, daß sie „dem völlig Unbekannten durch alle Unwirksamkeit der Erkenntnis bestenfalls die Vereinigung bedeutet und für den, der nichts weiß, die über den Verstand gehende Erkenntis ist" 7 ). Bei diesem negativen Charakter der göttlichen Kontemplation leuchtet einem auch die Bedeutung des „verborgen-mystischen Schweigens" und das „Verstummen" 8 ) des Geistes ein, wenn er in die göttliche Finsternis und Kontemplation eintaucht. Dieses Verstummen, die Leidenschaftslosigkeit und das aus Ehrfurcht und Anbetung entstehende Schweigen bedeutet, daß alle physischen Energien des Verstandes sich in der finstersten Nacht der x
) Symeon der Theologe a. a. 0 . 1 0 6 . s ) Ebenda II, Orat. 27, S. 57. ) Ebenda Orat. 7, S. 38. 4) Migne P. G. 44, 377A, 1264C. 6 ) Pseudo-Areopagita, Migne P. G. 3, 1000C. •) Migne P. G. 3, 1073 A. ') Migne P. G. 3, 1025 AB. e ) Migue P.G. 3, 1033C. 3
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Gefühle und des Intellektes befinden. In diesem Schweigen, in diesem Verstummen des Verstandes, wird dieser in die göttlichen Mysterien eingeführt und schaut Gott. 5. Und schließlich ist der Höhepunkt der in der Ekstase erlangten mystischen Glückseligkeit die Vergottung der Seele1). Die Vergottung geschieht nicht wesentlich, da die unendliche Transzendenz mit der göttlichen ousia gegeben ist. Und selbst die Heerscharen der geistigen Wesen können eben diese tinerfaßbare göttliche ousia nicht sehen. Was sie sehen können, ist ein Strahl und ein Abglanz der Herrlichkeit und des göttlichen Lichtes, wodurch sie auch vergottet werden 2 ). Die Vergottung der seligen Seele beruht auf der Vergottung der menschlichen Natur in der Person Christi. W i e also in Christus der Gott-Logos das wirkliche Fleisch annahm und unwandelbar in der Gottheit blieb, das angenommene Fleisch jedoch unwandelbar zu Gott gemacht hatte 3 ), so gebiert er auch die Seele geistig von neuem und, Mensch bleibend, macht er sie zu Gott. Bei der Vergottung entzieht sich die Seele nicht ihrer wirklichen Natur 4 ), sondern wird im Gefühl und in der Erkenntnis, nicht aber im Wesen, weit wahrscheinlicher jedoch in der metousia durch die Gemeinschaft mit Gott, vergottet 5 ). In Heiligkeit und Reinheit des Geistes vermischt sich die glückselige Seele mit dem von Natur aus heiligen Gott, wie Licht sich mit Licht vereint und Feuer mit Feuer, wie auch mit der Sonne zusammen der Strahl noch ein Ganzes bildet 6 ). In göttliches Licht eingetaucht, erleuchtet der Geist und ist selbst Licht, das der göttlichen Herrlichkeit gleicht. So wird er der Nous Gottes genannt. Gott geworden, ist er völlig von dieser Teilnahme am Göttlichen befangen und wird weiterhin nichts Fühlbares und Materielles mehr gewahr 7 ). So definiert Nicetas Stethatus die Vergottung folgendermaßen: „ D i e Vergottung ist im Leben gleichsam die geistige und göttliche Vgl. die Einteilung: „Mensch bin ich von Natur, Gott jedoch aus Gnaden; siehe, welche Gnade ich meine: die Vereinigung mit ihm, wahrnehmbar und geistig, wesentlich und pneumatisch" (Div. Nom. 21, bei Fr. Heiler, Urkirche und Ostkirche, München 1937, S. 402). 2 ) Symeon der Neue Theologe, a. a. O. II, Orat. 6, S. 36. 3 ) Ebenda Orat. 27, S. 108. 4 ) Siehe Anastasius Synait., „Vergottung bedeutet die Erhöhung zum Besseren, aber auf keinen Fall ein Verschwinden oder eine Verringerung der Natur . . . vergottet, das ist das zur größeren Herrlichkeit Erhöhte, aber gewißlich nicht eine Veränderimg der eigentlichen Natur" (Migne P. G. 89, 7 7 B C ) . 6
) Symeon d. N . Theologe, a. a. O. S. 108. ' ) Ebenda S. 27. ') Ebenda II, Orat. 12, S. 28.
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Hierurgie, in der das Wort der unaussprechlichen Weisheit ihren heiligen Dienst verrichtet und denen, die bereit sind, so weit als möglich sich mitteilt. Gott in seiner Güte schenkte sie von oben der vernunftbegabten Schöpfung zur Einheit des Glaubens, auf daß die Reinen und Würdigen, dem Bilde seines Sohne gleichgestalt geworden, am Göttlichen teilhaben und Gott ähnlich werden und sich in ihrem Sinnen und Trachten mit dem Göttlichen beschäftigen; denn auf diese Weise werden auf Erden die Menschen zu Göttern" 1 ). Dies ist, in allgemeinen Linien dargestellt, das Wesentliche über die Mystik in der Orthodoxen Ostkirche. Der gedrängte Raum, der für die vorliegende Studie vorgesehen war, ließ es nicht zu, eine ausführlichere Analyse der historischen Entwicklung zu geben, die zur mystischen Strömung geführt hat, auch konnten wir nicht die mannigfaltigen Weisen wiedergeben, durch die sie von ihrem Leben im göttlichen Gottesdienst des Orthodoxen Ostens Zeugnis gibt. W i r wiederholen jedoch, daß in der Ostkirche sowohl die Theologie als auch ihre Frömmigkeit christozentrisch kat' exochen sind, weil das mystische Element, das im heiligen Geiste seine Grundlage hat, in Theologie und Frömmigkeit vorherrscht. Das Streben nach Vereinigung mit Gott und die im Heiland geschehende Vergottung des Menschen sind die fundamentalen Kennzeichen der orthodoxen Mystik, und so zumal die der byzantinischen. Das Herz des orthodoxen Ostens ist vom göttlichen Eros entflammt, sieht in der Vision den Glanz des Göttlichen und lebt in der mystischen Vereinigung mit Gott. Christus ist sein himmlischer Bräutigam, und besonders im Verlauf der ehrwürdigsten Leidenswoche sieht er, zutiefst erschauernd, mitten in der Nacht den Bräutigam auf mystische Weise kommen: „Siehe der Bräutigam kommt mitten in der Nacht" . . . Selig ist der Knecht, der wachsam ist; selig die besonnene und kluge Maria, die nicht viel Aufhebens macht, sondern den Blick ihres Herzens unermüdlich und mit heißem Eros auf das Eine richtet. Die mystische Hochzeit ist schon bereit und das mystische Brautgemach steht offen. Ihre erschauernde Seele aber singt dem Bräutigam: „Dein Brautgemach sehe ich mein Heiland schon geschmückt, Kleidung aber besitz' ich nicht, um dieses zu betreten. Erleuchte mir das Gewand der Seele, Lebensspender, und errette mich!" !) Migne P. G. 120, 968 C.
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2. T E I L
E R Z B I S C H O F PROF. D R . H I E R O N Y M U S K O T S O N I S
DIE G R I E C H I S C H E
THEOLOGIE
Begrenzung des Themas
A
uf Grund des außerordentlichen Umfanges des hier zu behandelnden Stoffes müssen wir uns auf die allgemeine Richtung angebende Informationen beschränken, die dem Leser wenigstens einen gewissen Eindruck von der griechischen Theologie von ihren Anfängen bis auf den heutigen Tag vermitteln mögen; denn, genau genommen, beginnt die griechische christliche Theologie und deren Literatur bereits mit den ersten Worten des Neuen Testamentes; und von da an spannt sich ein weiter Bogen, der bis zu den jüngsten Neuerscheinungen der griechischen theologischen Wissenschaft reicht. Keine andere Kirche selbst die Römisch-Katholische nicht - ist in der Lage, auf ganze zwanzig Jahrhunderte theologischen Schaffens zurückzublicken, wobei sich lebendiges Schaffen und unbeugsame Beharrlichkeit harmonisch vereinen. Und es ist wahrhaftig keine leere Phrase, wenn der Ökumenische Patriarch Jeremias II. damals im Jahre 1576 in seiner Antwort an die Tübinger Theologen folgendes schrieb: „Außer den auf den hl. Synoden zu einem frommen Zweck im hl. Geist erprobten Theologen ist es keinem erlaubt, auch nur ein Wort der göttlich inspirierten Schrift zu besserem Verständnis oder zum Verdolmetschen eigenmächtig auszulegen, auf daß wir nicht von der rechten evangelischen Lehre und von der wahren Weisheit und Gesinnung abweichen, und uns unser Sinn, wie es Proteus tat, hier- und dorthin irren läßt. W i e nun könnte, so möchte man fragen, an ihnen eine Korrektur vorgenommen werden? Eine solche Korrektur hat mit Gottes Beistand zu geschehen, und zwar in dem Sinne, daß wir in nichts dem entgegendenken oder -handeln, was die hl. Apostel und die hl. Synoden verordnet haben. . . Diejenigen jedoch laufen Gefahr, aus Ehrgeiz Neuerungen einzuführen, die dem durch den hl. Geist Uberlieferten etwas hinzusetzen oder davon etwas wegzulassen wagen, anstatt sich mit dem von den Heiligen bereits Festgelegten zufrieden zu geben" (Urtext bei Joh. Karmiris, Die dogmatischen und symbolischen Dokumente der Orthodoxen Katholischen Kirche, Bd. I, Athen 1952, S. 431). Dieser Konservativismus wurde mancherseits als ein schwerer Nachteil betrachtet, ja, als eine Art fortschreitender Versteinerung. Aber wie es sich im Leben der Gesamtkirche bereits bewiesen hat, hat sich der angebliche Nachteil vielmehr als ein Vorteil erwiesen. Dies beweist einerseits die
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Widerstandsfähigkeit, welche die Orthodoxe Kirche durch alle Jahrhunderte hindurch gezeigt hat, wo sie unsagbarer Bedrückung ausgesetzt war. Andererseits erhellt dies aus der Tatsache, daß die uneingeschränkte Freiheit hinsichtlich der theologischen Weiterentwicklung und in anderer Weise auch im Katholizismus im Verlauf der letzten Jahrhunderte gezeigt hat, welch verhängnisvolle Folgen sich daraus ergeben können.
Vereinigung von Dynamik und Statik Andererseits hat in der Theologie das Schöpferische neben der in der Ostkirche entstandenen Väterautorität nie aufgehört zu existieren; denn vom Standpunkt des Schöpferischen aus gesehen hat eine jede Periode ihre besondere Bedeutung. Es ist selbstverständlich, daß die erste und somit älteste Periode das Schöpferische auf fast allen Gebieten der Theologie aufzuweisen hat. Aber auch in den späteren Perioden gibt es B e weise der noch vorhandenen schöpferischen Kraft, und zwar besonders in der Art und Weise der Darlegung verschiedener Fragestellungen und auch der Möglichkeiten, die sich jeweils dazu boten. So ging es in den sich unmittelbar an die erste Geschichtsperiode der Ostkirche anschließenden Streitigkeiten um die Frage der Bilder und die anderen damit zusammenhängenden Probleme im Grunde genommen um die Auswertung des hl. „Depositum" des christlichen Glaubens und Lebens, so wie es die Ostkirche von den Vätern überkommen hatte. Gleichzeitig gaben auch die durch die Völkerwanderung verursachten politischen Veränderungen (wir denken da besonders an die Slawen und auch an andere Stämme), wie auch die durch das Auftreten und die Ausbreitung des Islams hervorgerufenen Verwirrungen dazu Anlaß, schöpferisch tätig zu sein, um all die grundlegenden organisatorischen Probleme zu lösen, die schließlich auch zum Schisma zwischen Ost- und Westkirche geführt hatten. In derselben Periode zeigte sich auch ein Streben nach tieferem Verständnis und nach reicherer Vervollkommnung in der Hinwendung zum Göttlichen im Kultus der Kirche, so daß diese Periode zugleich nie wieder zu erreichende Höhepunkte offenbarte, die in den herrlichen Dichtungen ihren Niederschlag gefunden haben. In der direkt darauffolgenden Periode verursachten die Vorherrschaft des Islam, in anderer Hinsicht aber auch der von neuem sich ausbreitende Judaismus und in gewissem Maße auch die Erstarkung des Monophysitismus Fragestellungen, bei deren Beantwortung wiederum der schöpferische Geist der griechischen Theologie sich bewähren konnte. Und nicht zu vergessen ist der Druck, den Rom und die von R o m abge-
Die griechische Theologie
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splitterte Reformation auf die Orthodoxie ausübte; diese beiden Faktoren veranlaßten die griechische Theologie dazu, ihre Kraft auf neue Felder zu konzentrieren, während sie den in fast allen Teilen der damals bekannten Welt lebenden und von diesen Mächten bedrängten Kindern der Orthodoxen Kirche zu Hilfe eilen mußte und zu diesem Zwecke eine eigene Literatur zur Stärkung der Wankelmütigen zu schaffen hatte. Als letztes sei gesagt, daß der seit dem 19. Jahrhundert bestehende Kontakt mit dem Westen und den dort entstandenen mannigfaltigen philosophischen und geistigen Strömungen, wie auch die Befreiung eines Teiles des Griechentums und die Schaffung eines unabhängigen griechischen Staates es der griechischen Theologie ermöglichte, sich in einem freieren Rahmen zu entwickeln, aber auch von den neuen Verhältnissen, unter denen sie zu leben hatte, gleichzeitig beeinflußt zu werden.
Der wissenschaftliche
Wert der griechischen
Theologie
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus kann man die griechischen Theologen selbstverständlich nicht alle auf die gleiche Stufe stellen. Zum Beispiel: Die Apostolischen Väter heben sich weder durch Originalität noch durch ihren schriftstellerischen Wert hervor. Sie verfolgten vielmehr einen rein praktischen Zweck und wollten lediglich den Interessen der Kirche dienen, wenn sie jene Wahrheiten des Neuen Testamentes unterstrichen, die je nach den Umständen besonders hervorgehoben werden mußten. Als Begründer und Gestalter der christlichen Theologie als Wissenschaft kann man die Apologeten betrachten. Obgleich sie ebenfalls einen praktischen Zweck verfolgten, das heißt, die Zurückweisung der von den Heiden und Juden gegen Christen und Christentum erhobenen Anklagen und Verleumdungen, so nahmen sie doch eine nach der anderen systematisch auf und bemühten sich, sie als unbegründet zu erweisen. Darüber hinaus nahmen sie die Gelegenheit wahr und bemühten sich, die Wahrheit des Christentums und andererseits den Irrtum der heidnischen und jüdischen Religion positiv und systematisch darzulegen. Dabei schöpften die Apologeten ihre Argumente besonders aus der hl. Schrift, aber sie übersahen auch nicht die Möglichkeiten, die ihnen die Philosophie und die Geschichte boten. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus könnte man die sog. antihäretischen Schriftsteller als Fortsetzer des Werkes der Apologeten bezeichnen, denn sie wiesen die falschen Lehren der Häretiker zurück und legten gleichzeitig positiv den rechten Glauben der Kirche dar.
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Zum ersten Mal wurde die griechische Theologie systematischer entwickelt in Alexandria. Wie bekannt, war Alexandria in der Zeit der Entstehung und der weiteren Ausbreitung des Christentums ein großes heidnisches und jüdisches Bildungszentrum. Da nun die gebildeten Heiden und Juden in mündlicher und schriftlicher Auseinandersetzung die Christen und das Christentum angriffen, bemühte man sich, die einfache Katechetenschule, die in Alexandria wie auch in anderen großen Städten bestand, in eine Theologische Schule umzuwandeln. Darin sollte man das theologische und philosophische Rüstzeug erhalten, um die gegen die neue Religion erhobenen Anklagen entkräften und deren Überlegenheit den Juden und Heiden gegenüber aufzeigen zu können. Die Früchte der Umbildung der Alexandrinischen Katechetenschule in eine Theologische Schule stellten sich auch sogleich ein. Es traten Theologen von der Zugkraft eines Clemens auf, dem hernach Origenes, Dionysius von Alexandrien, Didymus der Blinde und viele andere folgten. Der Einfluß der Theologischen Schule stieg in einem solchen Maße und die Zahl der unter ihrem Einfluß stehenden Theologen wuchs derartig, daß man fernerhin vom Geist der Alexandrinischen Schule zu sprechen pflegte. Unter ihren Schülern befinden sich die bedeutendsten Vorkämpfer des Christentums und der Orthodoxie, wobei wir nur an die großen Kirchenväter wie Athanasius den Großen, Basilius den Großen, Gregor v. Nazianz, Gregor v. Nyssa usw. erinnern möchten. Man kann also ohne Übertreibung sagen, daß die Blütezeit der theologischen Wissenschaft des 4. und 5. Jahrhunderts dieser Schule zu verdanken ist. In der folgenden Zeit erhob sich gegen bestimmte Vertreter dieser Schule und gegen ihre Methode, die sich bekanntlich auf die allegorische Schriftexegese stützte, heftigster Widerstand. Dieser Widerstand richtete sich besonders gegen die Person und die Lehren des Origenes, er führte dann zu seiner Verurteilung seitens der Kirche. Als Gegenpol zu den theologischen Tendenzen der Alexandrinischen Schule kann man die sogenannte Antiochenische Schule betrachten; und zwar unterschied sich die Antiochenische Schule von der Alexandrinischen nicht nur in der Methode, sondern auch im Verständnis der Person unseres Herrn Jesus Christus. Der Höhepunkt der griechischen theologischen Wissenschaft fällt mit dem Wirken dieser beiden Theologischen Schulen zusammen. Sie erweckten den Trieb zu theologischer Forschung und förderten unter den Gebildeten das Bemühen, vom Glauben zum Erkennen zu gelangen. Ebenso nötigten auch die aus den Reihen der Juden, Heiden und ganz besonders von den Häretikern kommenden Angriffe die Christen zu ständiger Abwehr. So hatten sich die kirchlichen Schriftsteller ernstlich
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dem Kampfe zu stellen, und es galt, alles daranzuwenden, die christliche Lehre so zu formulieren, daß sie für weitere Mißverständnisse und Mißdeutungen keinen Raum mehr ließ. Als Gegengewicht zu den beiden Schulen wäre etwa die asketische Bewegung zu nennen. Bereits in neutestamentlicher Zeit ist eine auch von außerchristlichen Ideen beeinflußte Tendenz zu beobachten, welche die Bekämpfung der Materie zum Ziele hatte. Diese oftmals in Häresie endende Tendenz gestaltete sich innerhalb der Kirche allmählich zum Anachoreten- oder Asketentum. Das asketische Leben, das einige Christen zunächst in ihren Städten, hernach jedoch in der Wüste führten, erzeugte auch eine entsprechende Literatur. Von diesem asketischen Schrifttum wäre, von gewissen Uberspannungen abgesehen, zu sagen, daß sie ein Gegengewicht zu den theoretischen Tendenzen der beiden oben erwähnten Schulen bildete; denn diese Literatur beschäftigte sich fast ausschließlich mit rein praktischen Themen, besonders mit Fragen der Charakterbildung und der Selbstdisziplin. Späterhin schlug jedoch auch diese praktische Tendenz durch das Eindringen mystischer Elemente allmählich eine wesentlich theoretische Richtung ein, der es freilich darum ging, vor allem auf meditativem und nicht auf noetischem Wege Gottes Wesen zu erfassen. Wegen des in der Folge der Barbareneinfälle in größeren Maße eintretenden Bildungsniederganges wie auch wegen der sich zwischen griechischer und christlicher Erziehung auftuenden Kluft kam allmählich auch die wissenschaftlich-theologische Forschung derart zum Stillstand, daß man von der Mitte des 5. Jahrhunderts an in der griechischen Theologie kaum noch der Aktivität und der Originalität der vorangegangenen Blütezeit begegnet. Auf der anderen Seite bewirkten das Auftreten zahlreicher starker Häresien und deren anhaltende erbitterte Bekämpfung, wie auch die immer größer werdende Ausbreitung des zu einer Unterschätzung der Erkenntnis neigenden asketischen Geistes, daß man von der wissenschaftlichen Forschung abließ und sich weit mehr dem Geist der Tradition anvertraute. Ja, allmählich wurde jeglicher Forschungsdrang mit Argwohn und Feindseligkeit betrachtet. Dies heißt, wie schon gesagt, noch nicht, daß man nach der Blütezeit der griechischen theologischen Wissenschaft keine großen Theologen mehr anträfe; vielmehr besagt es nur, daß die, wenn man so sagen darf, theologische Wallung, von der man während der Blütezeit sprechen kann, unterbrochen wurde. Hernach weist wohl jedes Jahrhundert seine hervorragenden Theologen auf, doch hatten diese nicht mehr dasselbe Gewicht und dieselbe bezwingende Kraft wie die Theologen der klassischen Zeit.
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Die Originalität der Späteren Daß trotz allem auch den Späteren eine gewisse Originalität nie ganz abzusprechen ist, beruht darauf, daß sie sich genötigt sahen, neue Irrlehren zurückzuweisen und neue innerkirchliche Probleme zu behandeln. So hatte sich die griechische Theologie in den folgenden Jahrhunderten mit den Bildergegnern (Ikonomachen), den Juden, den Armeniern und dem Islam auseinanderzusetzen. Besonders waren die Beziehungen zwischen Ost- und Westkirche und die Irrlehren der letzteren Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen. Eine besondere Blüte bis zu dem Fall von Konstantinopel erlebte die theologische Literatur auf dem Gebiete der praktischen, asketischen und mystischen Theologie, w o sie sich, von den Banden der Tradition nicht so eingeengt, freier und ungebundener entwickeln konnte. Einen ähnlichen Höhepunkt erlangte die Literatur der Heiligenviten und der Martyrologien, wie auch der asketischen Katenen und Anthologien mit ausgewählten Perikopen der hl. Schrift, Väterstellen - und manchmal auch Zitaten von heidnischen Schriftstellern. Ebenso erfuhr die Rhetorik ihre besondere Blütezeit. Des weiteren ist auch das umfangreiche Gebiet des Kanonischen Rechtes nicht zu vergessen; denn ins Einzelne gehende Interpretation sowie eine Kodifizierung der auf ökumenischen Synoden abgefaßten Canones wie auch der Väter-Constitutiones, die mitderweile kanonische Geltung gewonnen hatten, wurde nachgerade unumgänglich. Zur Blüte gelangte auch die kirchliche Dichtung, die Hymnologie und die Briefliteratur, die in dieser Zeit besonders gepflegt wurde und sich auf die verschiedenen Zweige der Theologie erstreckte. Als das für die theologische Wissenschaft ärmste Jahrhundert könnte man das zehnte bezeichnen; denn in diesem Zeitabschnitt haben wir nur sehr wenige Schriftsteller, und selbst diese kann man keinesfalls mit ihren Vorgängern oder mit denen der folgenden Jahrhunderte vergleichen. Im Gegenteil dazu rief im 14. Jahrhundert eine gewaltige Bewegung in der Theologie den Streit um die Möglichkeit, durch Versenkung, durch „Ruhe" (f\avxia: daher auch der Name „Hesychasmus") zur Vereinigung mit Gott zu gelangen, hervor. Der Hesychasmus ist eine Tradition, die bis zu den großen Vätern der Goldenen Epoche zurückreicht und eine Linie bildet, die von Philotheus Synaiticus über Johannes Climacus, Macarius von Ägypten, Andreas von Kreta, Maximus Confessor, „Dionysius Areopagita", Johannes Damascenus, Symeon dem Neuen Theologen, Nicetas Stethatus und Gregorius Synaiticus bis zu Gregor Palamas führt. Letzterer gab der hesychastischen Theorie die entschei-
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dende Gestalt. Sie stellt also nichts anderes als eine Weiterentwicklung der alten mystischen Überlieferung der Vätertheologie dar. Genauer betrachtet will der durch den Hesychasmus hervorgerufene Streit nur die Tradition zur Geltung bringen und die liberalen, vom Westen kommenden Tendenzen zurückweisen. Eine besondere Pflegestätte hatte er auf dem Berge Sinai, in dem Konstantinopler Studionkloster und vor allem auf dem Berge Athos. In den folgenden Jahrhunderten beschäftigte sich die griechische Theologie nicht wenig mit der inzwischen im Westen erfolgten Reformation. Die Ostkirche sah ein, daß sie zu den durch die Reformation aufgeworfenen Fragen Stellung nehmen sollte. In wissenschaftlicher Hinsicht kommt der von Mitrophanes Kritopoulos für die Helmstedter protestantischen Theologen abgefaßten Confessio die größte Bedeutung zu; darin bemüht er sich, in „ökumenischem" Geist die Lehre der Orthodoxen Kirche darzulegen und die Protestanten für die Orthodoxie zu gewinnen. Doch indem er das Beharren auf der Tradition mit der Freiheit der großen griechischen Väter zu verbinden verstand, gelang es ihm, der Orthodoxie treu zu bleiben und sich von protestantischem wie auch katholischem Einfluß freizuhalten. Seine Darlegungen schöpfte er zwar aus der altgriechischen Theologie, besonders aus den Schriften der großen Väter, doch tat er dies sehr selbständig und mit genügender Freiheit. Vor die Notwendigkeit gestellt, den die Protestanten beschäftigenden Problemen zu begegnen, ging es ihm um die Darlegung des orthodoxen Standpunktes sowie um die Hervorhebung'der zwischen der Orthodoxen und der Protestantischen Kirche bestehenden Divergenzen. Darüber hinaus berührte er die Fragen, in denen die westlichen Kirchen auseinandergingen, Fragen, wie z. B . den Ausgang des hl. Geistes, die Sakramente, besonders die Differenzen in dem Verständnis derEucharistie usw. Viel theologische Literatur rief auch das unter dem Namen von Cyrill Loukaris in Europa erschienene Bekenntnis hervor, das im großen und ganzen calvinistisch ist. Auf diese Verwirrung hin reagierte die Orthodoxe Kirche zunächst mit der Herausgabe der Akten der im Jahre 1638 zu Konstantinopel abgehaltenen Synode, die jene Confessio als häretisch verurteilte und bestritt, daß Cyrill Loukaris ihr Verfasser sei. Z u dem gleichen Zweck veröffentlichte man die Akten der im Jahre 1642 in Konstantinopel und dann in Jassy zusammengekommenen Synoden, die die Kapitel der Confessio des Loukaris „als voll von Häresie und unserem Orthodoxen Glauben völlig fremd" verurteilten. Auf der Synode zu Jassy wurde von Petrus Mogilas eine Confessio der Orthodoxen Kirche vorgelegt, die nach einer Überarbeitung — im wesentlichen durch Meletius Syrigus — mit der Billigung des Oeku-
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menischen Patriarchen als „Das Bekenntnis des Orthodoxen Glaubens der Katholischen und Apostolischen Kirche Christi" veröffentlicht wurde. Obgleich diese Confessio lateinisch-scholastischen Vorbildern folgte, ähnelt sie diesen jedoch nur in ihrer äußeren Form; hingegen gibt sie im Kern, d. h. ihrem dogmatischen Gehalt nach, die genuin orthodoxen Standpunkte wieder. 40 Jahre nach den Synoden von Konstantinopel und Jassy hatten sich die durch die Confessio des „Cyrill Loukaris" hervorgerufenen Wirren noch immer nicht gelegt. Es trat darum im Jahre 1672 in Konstantinopel eine neue Synode zusammen und veröffentlichte einen Tomos Synodikos, in welchem „versöhnlich und schlicht" die Orthodoxe Lehre dargelegt wurde, um damit auch die letzten Zweifel an ihr zu beseitigen. Im selben Jahre berief Dositheus von Jerusalem in Jerusalem eine Synode, um auf ihr noch einmal die Confessio des „Loukaris" zu verurteilen und im Gegensatz zu diesem wie auch zu anderen derartigen protestantischen Bekenntnissen den orthodoxen Glauben und die orthodoxe Lehre darzulegen. Dies gelang auch, indem die Synodal akten veröffentlicht und die von Dositheus, dem Vorsitzenden dieser Synode, abgefaßte Confessio angenommen wurde, die eine systematische Darstellung der vollen Lehre der Orthodoxen Kirche enthält. Die im Jahre 1691 zu Konstantinopel einberufene Synode kann als Fortsetzung der Jerusalemer von 1672 gelten. Im Grunde arbeitete diese Synode nur die in der Confessio des Dositheus dargelegten Auffassungen von der göttlichen Eucharistie weiter aus; Anlaß gaben dazu die Lehren des Johannes Karyophyllis, die dem Glauben unserer Kirche in diesem Punkte eine mehr calvinistische Deutung gaben. Diese Synode rezipierte offiziell den Begriff der „Metousiosis", obgleich er in den Väterschriften nicht zu belegen und praktisch die Übersetzung des lateinischen Begriffes der Transsubstantiatio ist; man verlieh ihm jedoch einen orthodoxen Inhalt, der den von den griechischen Vätern verwendeten älteren Begriffen entsprach. Theologisch interessant sind die mit den anglikanischen Non-Jurers von 1716 bis 1723 geführten Verhandlungen, in deren Verlauf die Synode von Konstantinopel (1723) die orthodoxe Lehre positiv darlegte und die Grundlage bestimmte, auf der allein eine Vereinigung mit den Heterodoxen möglich ist und die nichts anderes sein kann als die absolute Übereinstimmung mit den von der Orthodoxen Kirche überlieferten Dogmen. Eine beachtliche theologische Bewegung verursachte auch die Ende des 16. Jahrhunderts das ganze 17. Jahrhundert hindurch bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts andauernde proselytistische Aktivität der römisch-katho-
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lischen Propaganda im orthodoxen Osten. Diese Propaganda gab den Anlaß dazu, daß 1722 und 1 7 2 7 der orthodoxe Standpunkt zu den betreffenden Fragen dogmatisch-polemisch, aber positiv, synodal-offiziell kundgetan wurde. Obschon mit der Veröffentlichung entsprechender Rundschreiben ein praktischer Z w e c k verfolgt wurde, so hat doch diese systematische Stellungnahme zu den aktuellen Fragen auch ihren wissenschaftlichen W e r t ; denn es wurde dadurch eine ganze, der Sache entsprechende theologische Literatur hervorgerufen. Aus ähnlichem Anlaß erließ die im Jahre 1838 zu Konstantinopel einberufene Synode ein weiteres Rundschreiben, das sich gegen die römischkatholischen Neuerungen wandte. Denselben Z w e c k verfolgten endlich die von den Orthodoxen Patriarchen an den Papst Pius I X . gerichtete Antwort, die Ablehnung der päpstlichen Einladung zum Vatikanischen Konzil von 1868 durch Gregor VI. und die Antwort der Konstantinopler Synode von 1895 an Papst Leo XIII. In diesen Antworten werden die Differenzen dargelegt, die die östliche Kirche v o n der westlichen trennen; es wird in ihnen aber auch die Basis angegeben, auf der eine Wiedervereinigung möglich sein könnte. Obgleich alle diese Rundschreiben zumeist praktische Ziele vor Augen haben, so hatten sie nichtsdestoweniger eine lebhafte wissenschaftliche Diskussion zur Folge und gaben Anlaß zu zahlreichen theologischwissen schaftlichen Abhandlungen.
Gedankengänge der griechischen Theologie Es ist unmöglich, alle Gedankenwege der griechischen Theologie in einem kurzen Artikel wie diesem in ihren Einzelheiten zu verfolgen. Dennoch haben wir die Grundgedanken wenigstens der führenden Gestalten unter den griechischen Theologen von den Zeiten des christlichen Altertums bis auf den heutigen Tag in Kürze zu skizzieren. Bereits unter den Apologeten war es Justin, der Philosoph und Märtyrer, der den Gedanken des „Logos spermatikos" in die griechische Theologie einführte. Nach seiner Ansicht waren schon unter den heidnischen Philosophen „Spuren" (spermata) des göttlichen Lichtes vorhanden, die sie in die Nähe der Lehre Christi brachten, wenngleich das Christentum „die allein sichere und nützliche Philosophie" ist; trotzdem befähigten die in der heidnischen Philosophie wirksamen „Spermata" des göttlichen Logos die Heiden, zumindest einen Schein der objektiven Realität wahrzunehmen. Der Apologet Athcnagoras führte den Begriff der Verbalinspiration der
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hl. Schrift ein. Obgleich dieser Begriff von der Kirche nie akzeptiert wurde, da er der Selbsttätigkeit des Propheten keinen Raum läßt, ist er dennoch ein bedeutender Beitrag für das theologische Denken. Ebenso war Athenagoras der erste kirchliche Theologe, der einen philosophischen Beweis des Monotheismus zu erbringen versuchte. Nach ihm ist Clemens von Alexandrien zu nennen, der sich als erster darum bemühte, vom Glauben zur Erkenntnis zu führen. So gelang es ihm, unter gebildeten Heiden das Interesse für die christliche Lehre zu erwecken. Jener jedoch, der im Altertum ein großer theologischer Forscher war, ist Orígenes. Ein außerordentlich schöpferischer und theologischer Geist, war er zwar ernstlich bemüht, sich nicht von der kirchlichen Überlieferung zu entfernen, gleichwohl gelang es ihm nicht, sich von dem Christentum fremden - zumal platonischen - Einflüssen freizuhalten. Zeichen der Fruchtbarkeit seines Geistes - aber auch der Einflüsse, denen er erlegen war - sind sowohl seine Gotteslehre („Theologie" im eigentlichen Sinn), als auch seine Anthropologie und Kosmologie. Orígenes dachte nämlich, da Gott gut ist, offenbart er sich in der Welt; da Gott aber gleichzeitig unveränderlich ist, folgt, daß er sich von Ewigkeit her offenbart. Aus diesem Grunde nimmt Orígenes auch eine kontinuierliche Abfolge von Zerstörung und Neuschöpfung der Welt an. Als Gottes schöpferisches Organ waltet sein Logos und Sohn, der von Orígenes dem Wesen und der Person nach als vom Vater verschieden betrachtet wurde. Den hl. Geist sah er als das kostbarste Geschöpf Christi an, auf jeden Fall ihm subordiniert, wie auch Christus dem Vater untergeordnet ist; und wie der Vater nicht als Vater ohne den Sohn zu denken ist, so kann Gott auch nicht als allmächtig gedacht werden ohne die Geschöpfe, an denen er seine Allmacht zur Geltung bringt. Orígenes dachte weiterhin, daß die geistigen Wesen im Prinzip als mit Vernunft begabt und frei, aber nicht von Natur aus als gut geschaffen wurden; sie konnten aber von sich aus gut werden, wenn sie sich ihrer Willensfreiheit bedienten. Indem sie von derselben Gebrauch machten, zeigten sie jedoch faktisch, in jeweils verschiedenem Grade, Ungehorsam und Nachlässigkeit. Zur Züchtigung der Geister ging Gott zur Schöpfung der materiellen Welt über; und dem Grad ihrer Übertretung entsprechend verlieh er ihnen einen niederen oder höheren Grad von materieller Existenz. Das Materielle ist jedoch weder ewig noch real, es ist nur eine Episode in der geistigen Entwicklung, und darum wurde das Materielle nicht um seiner selbst willen geschaffen, sondern nur als Züchtigungsmittel, wodurch man zur Läuterung gelangt. W i e die Geister schließlich wieder zu Gott zurückkehren und also auch ihre Gottesferne endet, so verhält es sich auch mit der Materie: wie sie aus dem Nichts hervorgegangen ist, so geht sie auch wieder in das
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Nichts ein, während die G e i s t e r - j a , auch diejenigen, die heute schlecht sind - nach entsprechender Erziehung - wieder zu Gott zurückkehren. Dies vollzieht sich derart, daß alles in allem wiederersteht, auf daß Gott „alles in allem" sei (Eph. 1 , 22). D a die Geister jedoch die göttliche Gabe der Willensfreiheit f ü r immer besitzen, ist es ihnen möglich, v o n neuem in Sünde zu fallen, w o r a u f h i n eine neue materielle W e l t geschaffen w e r den muß, die wiederum als O r t neuer Erziehung zu dienen hat, und danach erfolgt eine erneute Wiederbringung (Apokatastasis) der Geister zu Gott, d a r a u f k o m m t wieder eine Katastrophe des materiellen Kosmos, und so geht es weiter. Diese Darstellung der christlichen Lehre v o n Origenes führte schon zu seinen Lebzeiten zu vielen Reaktionen und Widerständen, gegen die er sich selbst zu verteidigen hatte. D a sich nun bestimmte Häretiker in ihren Lehren auf Origenes bezogen und besonders der N a m e Origenes auch in den monophysitischen Streitigkeiten des 6. Jahrhunderts eine beachtliche Rolle gespielt hatte, k a m man zu der Ansicht, daß sich in seinen Schriften das Saatkorn f ü r jede Häresie befinde; dies ist der Grund, w e s w e g e n seine Lehren schließlich i m Jahre 543 auf der Synode zu Konstantinopel v e r urteilt wurden und weshalb auf der V . Oekumenischen S y n o d e über seine Person und über seine Schriften das Anathema ausgesprochen wurde. Diese Anathematisierung w u r d e v o n der V I . und V I I . Oekumenischen Synode wiederholt. T r o t z seiner V e r d a m m u n g durch die Kirche blieb sein Einfluß auf die griechische Theologie indirekt bestehen. I h m gebührt die Ehre, zum ersten M a l die Notwendigkeit der systematischen D a r stellung der christlichen Lehre erkannt und als erster dieses wunderbare W e r k bis z u m E n d e durchgeführt zu haben. Athanasius der Große schenkte in dem folgenden Jahrhundert der griechisch-theologischen Wissenschaft besonders die Formulierung der kirchlichen Lehre v o n der zweiten Person der hl. Trinität. Ihm gelang es, daß sowohl die Lehre v o n der Wesensgleichheit des Sohnes mit d e m Vater als auch die des hl. Geistes mit den beiden ersteren angenommen wurde. Das heißt, der Geist ist dem Vater und dem Sohn „hinzuzuzählen" und in gleicher Weise zu verehren; denn er ist gleichen Wesens mit den anderen zwei Personen der hl. Trinität. So ist Athanasius der Große derjenige, welcher das D o g m a v o n der einen Gottheit in Dreiheit als erster dargelegt hat. Als rein wissenschaftlich theologische Gestalt, ihrem heutigen Sinne nach, könnte man Bischof Eusebius von Caesarea in Palästina betrachten, der ein wirklich historisches Interesse hatte, sehr fleißig ungeheures Material sammelte und wichtige historische W e r k e geschrieben hat, ohne die die heutige Kenntnis der Alten Kirchengeschichte undenkbar wäre. In theo-
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logischer Hinsicht wären Euseb's Ideen zwischen Arianismus und Orthodoxie zu stellen, was freilich nie seinen Platz gefährdete. Hinsichtlich der Lehre der Orthodoxen Kirche über die hl. Trinität spielten ebenfalls die zwei mit dem Beinamen „die Großen" geehrten Theologen, Basilius, Erzbischof von Caesarea in Kappadozien und Gregor, Patriarch von Konstantinopel, der auch Gregor von Nazianz genannt wird, eine bedeutende Rolle. Der erstere trug durch seine Studien ganz wesentlich zur Klärung der trinitätstheologischen Probleme bei und wurde deswegen zum Oekumenischen Lehrer der Kirche erklärt. Der andere bestand in Konstantinopel schwere Kämpfe für die Orthodoxie; hierdurch sowie durch seine reiche schriftstellerische Tätigkeit gelang es ihm, die Pneumatomachen niederzukämpfen und der orthodoxen kirchlichen Lehre von dem hl. Geist zum Siege zu verhelfen. Ebenfalls leistete auch der Bruder Basilius' des Großen, Gregor von Nyssa, zur Formulierung der orthodoxen Trinitätslehre einen großen Beitrag. Er wandte sich einerseits gegen die vonEunomius verbreiteten Irrlehren über den hl. Geist, andererseits gegen Apollinarius von Laodicea, der lehrte, daß der Herr nur eine Natur besitze, nämlich „die Fleisch gewordene Natur des Gott-Logos", und daß ihm eine menschliche Seele fehle, folglich auch die Willensfreiheit, die ja die Ursache der Sünde ist. So lehrte er, daß sich der Leib samt der nicht mit Vernunft begabten Seele mit der Gottheit Christi vereinigt habe. Jedoch sei an die Stelle des menschlichen der „himmlische Nous" getreten. Obgleich Gregor von Nyssa ein Verfechter des Dogmas von Nicaea gewesen war, hat er sich von platonischen und neuplatonischen Einflüssen nicht ganz freihalten können, die als eine mystische Tendenz besonders in seinen praktischen Schriften aufzufinden sind. Er hegte für Origenes eine sehr tiefe Verehrung und übernahm von ihm bestimmte Lehren, die von der Kirche hernach verurteilt wurden. Als der Vater der jüngeren kritischen Interpretation der hl. Schrift wäre Theodor von Mopsuestia zu nennen, der späterhin jedoch von der V. Ökumenischen Synode wegen seiner rationalistischen Auffassungen verurteilt wurde und wegen seiner christologischen Irrtümer auch als Vater des Nestorianismus und des Pelagianismus gilt. Johannes Chrysostomus hat auch dogmatische Arbeiten geschrieben. Doch widmete er sich vor allen Dingen der praktischen Theologie. Wie kein anderer verstand er die Nöte des menschlichen Herzens, und es gelang ihm und gelingt ihm bis heute, die Seelen der Menschen zutiefst anzurühren. Man könnte den hl. Johannes Chrysostomus, was den breiten Einfluß auf die ethische Durchbildung des christlichen Kirchenvolkes betrifft, als den wichtigsten Vater der Ostkirche betrachten.
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An dieser Stelle ist auch Epiphatiius, Bischof von Konstantia auf Cypern, zu erwähnen, der ein sehr fanatischer Traditionalist war und jegliche Abweichung von der Tradition als Todsünde betrachtete. Cyrill von Alexandrien trug in besonderem Maße zur Klärung der kirchlichen Zweinaturenlehre bei, welche hernach von der IV. Ökumenischen Synode dogmatisiert wurde. Dies steigerte sein Ansehen derartig, daß er von der V. Ökumenischen Synode als Verteidiger des rechten und unbefleckten Glaubens und von späteren Schriftstellern als das Siegel der Väter bezeichnet wurde. Theodoret von Cyrus befaßte sich mit vielen Gebieten der Theologie. Von besonderer Bedeutung ist sein Beitrag auf dem Gebiete der Exegese. Er vermied einerseits die Extreme der Alexandrinischen Schule, andererseits den Rationalismus der Exegese Theodors von Mopsuestia und zeichnete sich durch seine exegetische Exaktheit aus sowie durch sein Bemühen um die Erbauung der Gläubigen. Wie schon oben angedeutet wurde, ist der Vater der mystisch-asketischen Theologie der sich unter dem Namen des Dionysius Areopagita verbergende Schreiber. Dieser setzt als das Ziel des Menschen „die möglichste Angleichung an Gott und die Vereinigung mit Ihm", mit anderen Worten: die Vergottung. Die Schriften bzw. Apokryphen des „Dionysius Areopagita" übten auf die mystische und asketische Theologie des Ostens wie des Westens einen ungeheuer großen Einfluß aus. Der erste, welcher sich in der Theologie der scholastischen Methode bediente, war der im 6. Jahrhundert wirkende Leontius von Byzanz, einer der wichtigsten Theologen seiner Epoche. Dies liegt besonders darin begründet, daß er die aristotelische Terminologie in die Theologie und besonders in die Christologie einführte, um auf diese Weise das Dogma von Chalkedon zugunsten des volkstümlichen griechischen Verständnisses Christi abzuwandeln. Der dem 8. Jahrhundert angehörende große Vater der Orthodoxen Kirche, Johannes Damascenus, erwies der griechischen Theologie durch seine Systematisierung der bis dahin formulierten christlichen Lehre und durch den leicht faßlichen Ausdruck, den er ihr gab, Dienste von unermeßlicher Bedeutung. So erleichterte sein Werk in den folgenden Jahrhunderten als wichtigstes Mittel die Verbreitung der Lehre der Ostkirche. Sein Einfluß auf die spätere Theologie zeigt sich nicht nur im Osten, sondern auch im Westen, dort besonders bei den Theologen der Scholastik wie Petrus Lombardus und Thomas von Aquin. In dogmatischer Hinsicht Hegt der eigene Beitrag des Damaszeners in der Formulierung des kirchlichen Dogmas über die Ikonen. Die wichtigste Gestalt des 9. Jahrhunderts und zugleich die hervor-
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kirchliche
Persönlichkeit
der
Sicht
gesamten
nachpatristischen
Periode ist Photius der Große v o n Konstantinopel. Ihn zeichneten nicht nur Gelehrsamkeit und Urteilsreife, sowie unermüdliche Sorge f ü r die Verbreitung des Christentums in Bulgarien, Rußland, Assyrien, M e s o potamien und Armenien aus, sondern auch sein erfolgreicher K a m p f g e g e n die Häresien, besonders die Paulizianer, und sein Widerstand g e g e n die päpstlichen Herrschaftsansprüche über die ganze Christenheit. So ist es nicht übertrieben, w e n n w i r sagen, daß Photius die in der Kirche herrschende Freiheit rettete und folglich auch die Unabhängigkeit der theologischen Forschung sicherstellte. D e r i m 10. Jahrhundert lebende Erzbischof von Caesarea in Kappadozien, Arethas, wandte sich v o r w i e g e n d den klassischen Schriftstellern zu und machte sich u m die Erhaltung ihrer W e r k e sehr verdient. E r sammelte deren Handschriften sehr sorgfältig und ließ sie aufs neue abschreiben. A l l dies zeigt seine Verehrung für die heidnische Philosophie und Literatur. W i e Photius trug auch er maßgeblich zu der kurz darauf in B y z a n z anhebenden Wiederbelebung der griechischen Studien bei. W e n n g l e i c h die Ideen des Arethas, theologisch gesehen, keine unmittelbare Beziehung zu unserem Gegenstand zu haben scheinen, sind sie doch, allgemein betrachtet, Anzeichen einer tieferen geistigen Strömung, die n o t w e n d i g auch die theologische Forschung selbst beeinflussen mußte. Als ein bedeutender Vertreter dieser S t r ö m u n g kann der d e m n . Jahrhundert angehörende Konstantinos, als M ö n c h später Michael Psellos g e nannt, gelten, der für die klassische Weisheit und die klassische griechische Kultur v o n w a r m e r Liebe und V e r e h r u n g erfüllt war. D e m Quellenstudium und ganz besonders den Schriften Piatons hingegeben, ist er einer der wichtigsten byzantinischen Philosophen und gleichzeitig der erste g r o ß e Humanist. Psellos bemühte sich darum, den christlichen Glauben mit d e m philosophischen D e n k e n zu verbinden, ohne aber dabei den Glaubensinhalt verletzen zu wollen. Er versuchte, d e m Glauben neues Leben zu geben, w o z u er sich der W a f f e n der platonischen Philosophie in Verbindung mit den Lehren des Neuplatonismus und der östlichen Religionen bediente. Im selben Jahrhundert lebte Symeon der Neue Theologe. Einer der Hauptvertreter der byzantinischen Mystik, stand er unter d e m Einfluß der Schriften des „Dionysius A r e o p a g i t a " und der älteren asketischen Schriftsteller, w i e des Johannes Climacus, Marcus Eremita u. a. D u r c h seine mystischen Schriften w u r d e S y m e o n der N e u e T h e o l o g e z u m Vorläufer der Hesychasten des 14. Jahrhunderts. M i t seiner Liebe f ü r die Wissenschaften glich Eustathius, Erzbischof v o n Saloniki (12. Jahrhundert), Arethas v o n Caesarea und w a r gleichzeitig
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eine der bedeutendsten kirchlichen Gestalten des 12. Jahrhunderts. Ohne Extremen zu verfallen, verstand er es, den Hellenismus mit dem Christentum zu verbinden. Weit über dem Formalismus seiner Zeit stehend, vertrat er ein sehr vergeistigtes Christentum und erwies sich somit als einer der beachtenswertesten Hierarchen und Schriftsteller der nach-polemischen Epoche. Der im 15. Jahrhundert wirkende Marcus von Ephesus, Eugenicus, hebt sich neben seinen Kämpfen wider die Union mit der Westkirche durch die Unabhängigkeit seines Denkens und durch die Beharrlichkeit hervor, mit der er sich gegen eine Unterordnung der Ostkirche unter die Primatsansprüche Roms wandte. Damit wurde nicht nur, wie schon erwähnt, die Unabhängigkeit der Orthodoxen Kirche gerettet. Vielmehr blieb so auch die Freiheit für die theologische Forschung bewahrt. Sein Schüler Gennadius Scholarius setzte in Treue zu seinem Lehrer diese Linie fort. Er war der erste Patriarch nach dem Fall von Konstantinopel. Nachdem er zunächst geglaubt hatte, sich für eine Union mit Rom einsetzen zu sollen, änderte er nach dem Konzil von Florenz seine Ansicht vollständig und arbeitete gegen die erfolgte Union. Theologisch bedeutsam ist seine Lehre von der Vorsehung, wonach Gott „jedes Ereignis als gegenwärtig kennt, das sich gerade ereignet oder zukünftig auf seine Art ereignen wird". Er weiß alles im voraus und bestimmt somit alles im voraus, ohne dabei die menschliche Freiheit aufzuheben. Gennadius nahm die unmittelbare Schöpfung der Seele durch Gott an und glaubte, daß die Seelen der Guten in das ewige Leben eingehen, die Seelen derer aber, die „in Todsünden verstorben sind, im Hades von den Dämonen zerrissen werden"; die Seelen derer zwischen Gut und Böse jedoch, von denen die Schrift nichts aussagt, „werden wegen ihrer Sünden von den bösen Geistern gequält, finden schließlich bei Gott Erbarmen und steigen durch den Äther zu Gott hinan". Diese seine Anschauung ist wohl als ein gewisser Nachklang der origenistischen Ideen über die Wiederbringung der Seelen zu betrachten. „Das 17. Jahrhundert war das polemische Zeitalter der griechischen Kirche in besonderem Grade" 1 ), aber dies könnte man auch generell von der ganzen, dem Fall von Konstantinopel folgenden Periode behaupten ; denn wie wir schon gesehen haben, hatte die Orthodoxe Kirche die besonders von der Römischen, aber auch von der Protestantischen Kirche unternommenen gewaltsamen Missionsversuche abzuwehren. Doch ist es noch vielen anderen Umständen zu verdanken, daß die *) Philipp Meyer, Theologische Literatur der griechischen Kirche im sechzehnten Jahrhundert mit einer allgemeinen Einleitung, Leipzig 1899, S. 8.
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griechische Theologie in dieser Periode beachtliche Leistungen vollbrachte. Die i m 1 7 . Jahrhundert im Gebiet des unterjochten Griechentums wieder anhebende Allgemeinbildung und die Errichtung zahlreicher Schulen bewirkten, daß die zwei philosophischen Haupttendenzen, der Aristotelismus und der Piatonismus, auch wieder Anhänger fanden und jede Richtung danach strebte, im griechischen R a u m die geistige Führung zu übernehmen. Als Vertreter der aristotelischen Partei können Theophilus Corydaleus sowie Alexander Mavrokordatos und andere hervorragende Gebildete betrachtet werden. Vertreter der platonischen Richtung waren Methodios Anthrakites und Christodoulos Akarnanas, die freilich beide von der Kirche als Häretiker verurteilt worden sind. Lehrer des Christodoulos war Evgenios Voulgaris, der auf der Grundlage einer eklektischen Philosophie danach strebte, der gesamten theologischen Wissenschaft da neuen Antrieb zu geben, w o die D o g m e n schweigen und w o sich die hl. Überlieferung nicht abgegrenzt hat. E r wollte zum Beispiel die neuesten Methoden auf die kirchliche Geschichtsforschung anwenden; und trotz seiner Abhängigkeit von der hl. Überlieferung sieht man ihn hierbei ganz dem historischen Sinn folgen. Diese Haltung des Voulgaris und seiner Schüler gab schon zu seinen Lebzeiten Anlaß zu dem Verdacht, daß er unter westlichem Einfluß stünde; Athanasius von Paros nämlich betrachtete jeden, der seine Bildung im Westen erwarb, als gottlos. So kann man v o m 18. Jahrhundert an in der griechischen Theologie zwei Strömungen verfolgen: die einen genossen im Westen eine breitere B i l dung und können somit als die liberalen bezeichnet werden; die anderen beschränkten sich auf das Studium inländischer Quellen und waren daher zumeist konservativer eingestellt. In gewissem Grade bestehen diese beiden Strömungen in der griechischen Theologie bis auf den heutigen Tag. Ganz besonders in den Vordergrund traten diese beiden Strömungen jedoch - und es kam zwischen ihnen zu einem ernstlichen Zusammenstoß im vergangenen Jahrhundert, sogleich nachdem ein Teil Griechenlands von den Türken befreit worden war. Die Führer der beiden Richtungen waren Konstantinos Oikonomou und Theoklitos Pharmakidis; ersterer verkörperte die konservative Richtung und letzterer die liberale.
Arbeiten auf den einzelnen theologischen Gebieten Z u m Schluß ist noch einiges über die auf den einzelnen Gebieten hervorgetretenen Theologen und ihre Werke zu berichten.
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A. Systematik 1. Dogmatik. Weiter oben haben wir uns bereits mit denen beschäftigt, die sich mit dogmatischen Themen befaßt haben. Bis auf Johannes Damascenus, so könnte man sagen, haben alle, die sich zu dogmatischen Fragen geäußert haben, nur über bestimmte Themen geschrieben, d. h. sie verfaßten nur Monographien. Dies tat man auch späterhin, aber von Johannes Damascenus an ist es das Bestreben, die Lehre der Orthodoxen Kirche umfassender darzustellen. Im Mittelalter beschränkte man sich darauf, entweder diesen großen orthodoxen Dogmatiker zu imitieren oder ihn einfach abzuschreiben. Im 18. Jahrhundert treten jedoch auch Schriftsteller auf, von denen man sagen könnte, daß sie in der Systematisierung der orthodoxen Dogmatik Originelleres geleistet haben. Wir denken da an Vinzenz Damodos, der im Jahre 1730 eine auf hl. Schrift und hl. Überlieferung basierende Dogmatik verfaßte, welche auch von der hl. Synode in Konstantinopel anerkannt wurde. Ferner schrieb Evgenios Voulgaris für seine Schüler in Joannina und auf dem Athos das „Syntagma Theologiae", und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschien in Konstantinopel die „Epitome dogmaticae Theologiae" des Juristen Markus Dragoumis. Nach der Befreiung Griechenlands veröffentlichte zu Beginn dieses Jahrhunderts eine vollständige Dogmatik der damalige Professor an der Theol. Fakultät der Universität Athen, Zikos Rossis, deren erster Band unter dem Titel „System der Dogmatik der Orthodoxen Katholischen Kirche" im Jahre 1903 erschien. Ihm folgte im Jahre 1907 der nachherige Theologieprofessor Christos Androutsos mit seiner „Dogmatik der Orthodoxen Ostkirche", die 1958 ihre zweite Auflage erlebte. Im Jahre 1932 veröffentlichte Joh. Papadopoulus eine „Kurzgefaßte Dogmatik" und im Jahre 1934 erschienen zwei Arbeiten von Konstantin Kallinikos, wovon die eine „Die Glaubensgrundlagen" und die andere „Orthodoxe Christliche Katechese" betitelt ist. Letztere führen wir hier an, da diese Katechese, in drei Weltsprachen übersetzt, weite Verbreitung gefunden hat. Zum Schluß sei erwähnt, daß gerade in diesem Jahre der erste Band der auf drei Bände berechneten Dogmatik des Athener Theologieprofessors P. Trembelas erschienen ist. Auch wurde jüngst von Prof. Joh. Karmiris eine „Synopsis der Dogmatischen Theologie der Orthodoxen Katholischen Kirche" veröffentlicht. 2. Symbolik. Auf diesem Gebiete wurde als erstes umfassendes Werk die „Symbolik der Orthodoxen Ostkirche" (I. Bd., ersch. 1883, ein Anh. dazu 1893; IL Bd. 1904) vom damaligen Athener Theologieprofessor Joh. Mesoloras veröffentlicht. Ihr folgte die „Symbolik in Orthodoxer
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Sicht" von Chr. Androutsos ( 1 9 0 1 1 ; 1930 2 ). Als zu diesem Gebiete gehörig sind hier auch das von Prof. Joh. Karmiris in zwei Bänden verfaßte Sammelwerk „ D i e Dogmatischen und Symbolischen Dokumente der Orthodoxen Katholischen Kirche" (1952/53) und verschiedene andere Arbeiten desselben Autors sowie des Theologieprofessors Joh. Kalogirou (Saloniki) zu erwähnen. 3. Ethik. Systeme der christl. Ethik wurden von den Professoren P. Robotis, V. Antoniadis und Chr. Androutsos (1925) herausgegeben. 4. Apologetik. Ein anderer Z w e i g der Systematischen Theologie, die Apologetik, hat in ihrer heutigen Gestalt in der älteren griechischen Theologie selbstverständlich noch nicht existiert, nur hat es in allen Perioden unzählige apologetische Schriften gegeben. Da das Ziel der meisten Schriftsteller die Bekämpfung der Häretiker war, bildete sich eine ungeheuer reiche antihäretische Literatur heraus. Dabei brauchen wir nur an solche Namen der Alten Kirche zu erinnern wie Irenäus, Hippolyt, Epiphanius und Theodoret. Aus der byzantinischen Epoche wäre besonders die „Dogmatike Panoplia" von Euthymius Zygabenus zu erwähnen. Sie wandte sich gegen das Heidentum und mit gleicher Schärfe auch gegen die Häresien. Die antihäretische Literatur der byzantinischen Periode schließt im 14. Jahrhundert mit dem W e r k von Konstantinos Armenopoulos „ Ü b e r den Orthodoxen Glauben und über die, die im Laufe der Jahrhunderte zeitweise häretisch lehrten, oder über die Häresien". Hier findet man eine positive Darstellung des Orthodoxen Glaubens, und gleichzeitig werden die Lehren der Häretiker im einzelnen widerlegt. Hierher gehören auch die sogenannten polemischen Werke. Sie wenden sich gegen das alte Heidentum, gegen den Islam und auch gegen das Judentum. Ethisch gesehen haben aber die einen besonderen Wert, die sich in Zeiten der Vorherrschaft der Idololatrie gegen das Heidentum oder nach der türkischen Eroberung gegen den Islam richteten, wie z. B . das Buch des Samonas von Gaza, der im 1 1 . Jahrhundert in der Form eines Dialogs eine kurze Refutatio des Islams geschrieben hatte, oder auch Anastasius der Gordier, der im 17. Jahrhundert das „Enchiridion über: Was ist das Königreich Mohameths und was ist der Antichristus?" verfaßte, das auch mit „ W a s ist das Königreich Mohameths und über den Antichristus" betitelt ist. Von neueren polemischen Schriften sind besonders die gegen die Freimaurerei gerichteten zu erwähnen. Den Auftakt dazu gab einer der größten kirchlichen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Neophytos Kalyvites, während in neuester Zeit Apostolos Makrakis und P. Trembelas hervorgetreten sind. Von Apologetik im heutigen Sinn kann man eigentlich nur in unserem
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Jahrhundert reden. Als wichtige Vertreter dieser neueren Richtung wären zu nennen : Joh. Skaltsounis mit seinen zahlreichen apologetischen Schriften, Gregor Papamichail, der im Jahre 1928 das erste Heft seiner Apologetik herausgegeben hatte, und schließlich der durch viele apologetische Schriften bekanntgewordene P. Trembelas. Besonders erwähnenswert ist das im Jahre 1946 veröffentlichte „Manifest" der „Christi. Wissenschaftler-Vereinigung", das sich mit den neueren Einwänden gegen das Christentum auseinandersetzt. B . Historische Theologie 1. Allgemeine Kirchengeschichte. Auf diesem Gebiete sind in älterer und jüngerer Zeit zahllose Monographien über Einzelthemen geschrieben worden. Hier beschränken wir uns jedoch auf diejenigen Autoren, die eine allgemeine Kirchengeschichte vorgelegt haben. Außer den klassischen Kirchengeschichtsschreibern, wie Eusebius, Theodoret, Sokrates, Sozomenos u. a. ist Symeon Metaphrastes der Autor einer Kirchengeschichte. Sie erstreckt sich von 813 bis 861 und ist im 14. Jahrhundert von Konstantinos Akropolites bis zum Jahr 1323 fortgesetzt worden. Die „Politische Geschichte" (1431-1578) enthält trotz ihres irreführenden Titels auch Dinge, die die Kirchengeschichte anbelangen. Als allgemeine Kirchengeschichte kann auch die von Manuel Malaxas verfaßte und den Zeitraum von 1454 bis 1578 deckende Patriarchengeschichte gelten. Dem 16. Jahrhundert gehört das sogenannte „Historische B u c h " des Dorotheos von Monembasia an, das den Zeitraum von der Schöpfungsgeschichte bis zum Fall von Konstantinopel umfaßt. Eine allgemeine Kirchengeschichte ist auch die im 17. Jahrhundert von Dositheus von Jerusalem unter dem irreführenden Titel verfaßte „Geschichte derer, die in Jerusalem als Patriarchen wirkten". Desgleichen schrieb auch noch Melelios von Athen eine allgemeine Kirchengeschichte. Von den jüngeren Geschichtsschreibern sind besonders hervorzuheben: Anastasios Diomedes Kyriakos mit seiner dreibändigen Kirchengeschichte (1897-1898), Philaret Vaphidis, Metropolit von Didymoteichon, ebenfalls mit einer dreibändigen Kirchengeschichte und Vasilios Stephanidis mit seiner „Kirchengeschichte" (1948), die mittlerweile zum zweiten Mal aufgelegt wird. Nicht zuletzt sind auch der Erzbischof von Athen, Chrysostomos Papadopoulos zu erwähnen, der Kirchengeschichten fast aller autokephalen Kirchen geschrieben hat, und Gerasimos Konidaris, mit seiner „Kirchengeschichte Griechenlands im Abriß" und anderen Arbeiten. 2. Kirchliche Literaturgeschichte. Der Vater des anderen Zweiges der historischen Theologie, nämlich der kirchlichen Literaturgeschichte, ist Photius
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der Große, der Verfasser der „Myriobiblos" oder auch „Bibliotheca". Das Werk enthält Perikopen aus der außer- und innerkirchlichen Literatur, Werken entnommen, die er gelesen hatte und denen er eine Einleitung und eine kurze bibliographische Notiz vorausschickt. Dieses Werk ist von ungeheuer großer Bedeutung; denn in vielen Fällen wissen wir nur dank dieser Arbeit etwas über Schriften, die uns sonst unbekannt geblieben wären. Es gibt in älterer und neuerer Zeit sehr viele griechische Literaturschichtler, die sich mit Einzelthemen befaßt haben. W i r beschränken uns aber hier auf die, die eine vollständige Literaturgeschichte geschrieben haben. Einer ersten solchen systematischen Arbeit begegnen wir im 18. Jahrhundert in der „Aufzählung der gelehrten Griechen" des Dimitrios Prokopiou, die er dem Hamburger Fabricius übersandte und die dieser mit einer lateinischen Übersetzung als n . Bd. in der Reihe der „Bibliotheca graeca" veröffentlichte. Im selben Jahrhundert schrieb Georgios Zaviras die sogenannte „Polemische Bibliothek". Besondere Beachtung verdient auch die „ A p o l o g i e " des Josip Moisiodakos (Ende des 18. Jahrhunderts). Darin vermittelt er uns wertvolle Nachrichten über den Bildungsstand und über die Gelehrten seiner Zeit. Eine systematische Ubersicht über die Vertreter und die Werke der kirchlichen wie der außerkirchlichen Wissenschaft und Literatur v o m Fall Konstantinopels bis zum Jahre 1821 haben Andreas Papadopoulos Vrettos und Konstantin Sathas veranstaltet. Alle diese Werke sind auch für die kirchliche Literaturgeschichte des Mittelalters von unschätzbarem Werte. Z u den literaturgeschichtlichen Werken könnte man auch das des Patriarchen von Konstantinopel, Konstantinos I., zählen, das folgenden Titel hat: „ Ü b e r diejenigen, die nach dem Fall (d. h. Konstantinopels) durch Tugend und Bildung im Klerus besonders hervorragten". Im heutigen Stil einer Literaturgeschichte liegen uns Werke v o r wie die „Philologische und kritische Geschichte der Kirchenväter v o m ersten bis zum achten Jahrhundert" von Konstantinos Kontogonis (2 Bde., 1 8 5 1 1853), und die „Patrologie" von Anastasios Diomedes Kyriakos (1898). In diesem Jahrhundert verfaßte Georgios Dervos eine dreibändige „Christliche Literaturgeschichte" (1903-1910). Des weiteren liegen uns von D. S. Balanos eine „Patrologie" vor, welche die griechischen und lateinischen Kirchenväter und kirchlichen Schriftsteller der ersten acht Jahrhunderte behandelt, sowie sein W e r k „ D i e byzantinischen kirchlichen Schriftsteller" (von 800 n. Chr. bis zum Fall von Konstantinopel).Unter die allgemeinen patrologischen Werke wäre schließlich auch die „Philosophie der Väter und des Mittelalters" (1930) des Athener Philosophieprofessors Konstantinos Logothetis zu rechnen. Erwähnt seien auch noch
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die Professoren K. Bonis und P. Christou, denen wir bedeutende literaturgeschichtliche Arbeiten verdanken. 3. Hagiologie. Schließlich ist noch über den anderen Zweig der Kirchengeschichte, die Hagiologie, kurz zu handeln. Auf diesem Gebiet sind die Verfasser besonders von Heiligenviten so zahlreich, daß es uns hier nicht einmal möglich ist, sie alle auch nur aufzuzählen. Dies zeigen allein die kostbaren Ausgaben der Bollandisten, die schon an sich eine ganze Bibliothek füllen. So haben wir uns auch hier auf die Verfasser allgemeiner Werke zu beschränken. Eusebius von Caesarea wurde durch sein Werk über die palästinensischen Märtyrer, das die Martyrien und in gewissem Grade auch die Viten der Märtyrer der diokletianischen Verfolgung enthält, zum Vater der kirchlichen Hagiologie. Als weiteres hagiologisches Werk könnte man die zu Beginn des 5. Jahrhunderts von Palladius verfaßte „Historia Lausiaca" bezeichnen, welche Begebenheiten aus dem Leben der Asketen Ägyptens, Libyens, der Thebais, Tabennisis, Mesopotamiens, Palästinas, Syriens, Roms und der Campania mitteilt. Vom selben Verfasser haben wir auch „Die Geschichte der ägyptischen Mönche''. Zahlreiche ähnliche Werke wären hier aufzuführen, doch möchten wir nur noch die Arbeit Symeons besonders hervorheben. Auf des Kaisers Geheiß ordnete und revidierte er die älteren Martyrologien und bereitete sie für den gottesdienstlichen Gebrauch zu, weswegen sie auch „Synaxarien" (von „Synaxis" = die gottesdienstliche Versammlung) genannt werden; er erhielt deswegen den Beinamen „Metaphrastes" ( = Übersetzer). Die Zusammenstellung von Synaxarien besorgte im 14. Jahrhundert auch Konstantinos Akropolites, der darum auch „der Neue Metaphrastes" heißt. Z u Beginn des 17. Jahrhunderts veröffentlichte der berühmte Maximos Margounios einen Band mit Heiligenviten, die er in die damalige U m gangssprache übersetzt hatte. Heiligenviten gaben ferner heraus: der Kreter Agapios von Landos in seinen Büchern „Das Neue Paradies" und „Das Neue Eklogion"; Athanasios von Paros, der Herausgeber der „Synaxarien aller Sonntage und der großen Feste des Triodion und des Pentekostarion" und etwas später folgte noch das „Leimonarion" oder „Sammlung von Heiligenviten" des Makarios Notaras von Korinth. Z u m Schluß kommen wir zu Nikodimos Hagiorites. Er hat in 3 Bänden den „Neuen Synaxaristen" herausgegeben. Dieses Werk diente dem Konstantin Doukakis für seine Neuausgabe (13 Bde., 1889-1896) und auch dem Mönch Viktor Matthäus für seinen 14-bändigen Synaxaristen (1950) als Grundlage. 4. Religionsgeschichte. Auf dem Gebiet der Religionsgeschichte hegen sehr wesentliche Beiträge der Professoren N. Louvaris und L. Philippidis vor.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht C . Exegese
Auch auf dem exegetischen Gebiet sind es nicht wenige, die Bedeutendes geleistet haben. Als Vater der Exegese könnte man den Bischof von Hierapolis, den Phryger Papias, betrachten, der unter dem Titel „Exegesen der Herrenw o r t e " ein fünf bändiges W e r k geschrieben hat. W i r lassen hier die ganze ruhmvolle Reihe der bekannten großen Kirchenväter außer acht, die ja kat'exochen Exegeten der hl. Schrift waren. Über einige haben wir bereits gesprochen. Auch auf Prokopios von Gaza und auf Photius von Konstantinopel soll nicht mehr eingegangen werden. Vielmehr wenden wir uns direkt dem dem 10. Jahrhundert angehörenden Oecumenius von Trikka zu, der eine ganze Serie von exegetischen Büchern zum Neuen Testament geschrieben hat. Im n . Jahrhundert hat sich besonders der Patriarch von Konstantinopel, Johannes Xiphilittus, der Exegese gewidmet. E r verfaßte f ü r die Gläubigen eine Auslegung der Sonntagsevangelien f ü r das ganze Jahr. Desgleichen schrieb Theophylakt von Ochrida (oder von Bulgarien) unter Zugrundelegung vorangegangener Arbeiten der Kirchenväter Auslegungen der meisten Bücher der hl. Schrift, wobei er freilich manche Passagen der hl. Schrift reichlich eigenwillig behandelte. Aus dieser Epoche sei schließlich noch Euthymios Zygabenus (12. Jahrhundert) erwähnt. Für die Exegeten der Zeit nach dem Fall von Konstantinopel verweisen wir auf die Bibliographie der Arbeit von Prof. P. Bratsiotis „ D i e Offenbarung Johannis" (griechisch, Athen 1950, S. 47-50) und erwähnen hier nur das dreibändige exegetisch systematische W e r k von Meletios Syrigos „Auslegung der hl. Schrift". Es ist erstaunlich, daß v o m 18. Jahrhundert ab das Buch der Offenbarung bei den Exegeten wieder größeres Interesse erweckt hat. Es begegnen uns von da ab wiederholt Auslegungen, z. B . die des Priestermönches Cyrill Lavriotis aus Patras (nach Sathas aus Peträa), der Kommentar des Theodoret Athanasios Lavriotis aus Jannina u. a. (weiteres über sie, siehe bei P. Bratsiotis a. a. O.). V o n den exegetischen Arbeiten der Zeit nach dem Fall von Konstantinopel ist besonders beachtenswert die Edition von Theoklitos Pharmakidis: „Das Neue Testament, mit alten Kommentierungen" (7 Bde., 1842-1845), sowie das von Konstantinos Oikonomou verfaßte vierbändige W e r k „ Ü b e r die Septuaginta-Interpreten des Alten Testamentes" (1844-1849). Des weiteren schrieb Nikos Damalas ein dreibändiges exegetisches Werk zum Neuen Testament (1876-1892), dessen erster Band die Einleitung und die Bände II und III die Auslegung der Synoptiker enthalten. Nicht zu vergessen sind aus unserer Zeit die wichtigen exegetischen Arbeiten von Prof.
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Emmanuel Zolotas (zum Johannes-Evangelium und zumGalaterbrief), von N. Louvaris (Auslegung des Kolosserbriefes und eine Einleitung zu den Paulinischen Briefen), von P. Bratsiotis (Auslegung der Offenbarung, des Predigers Salomo und des Jesaja), von V. Vellas (Auslegung der Zwölf Kleinen Propheten und andere beachtenswerte exegetische Arbeiten), von V. Joannidis („Über die Mystik des Paulus", „Über die stoischen Einflüsse auf Paulus", u. a.), von L. Philippidis (Auslegung des I. Timotheusbriefes und eine umfangreiche Zeitgeschichte zum Neuen Testament, 1958), sowie die exegetischen Arbeiten von N. Siotis und von S. Agouridis. Zum Schluß sei noch das kürzlich vollendete achtbändige Werk von Prof. P. Trembelas erwähnt, welches das gesamte Neue Testament kommentiert, und, wenngleich dieses Werk keinerlei ernste wissenschaftliche Ansprüche erhebt, auch die Kommentarreihe von Joel Jannakopoulos über die gesamte Septuaginta. 1. Einleitungen. Einleitungen zur hl. Schrift schrieben in neuerer Zeit Georgias Palamas unter dem Titel „Kurzgefaßte Einleitung zur hl. Schrift zum Gebrauch für die Große Griechenschule" (Konstantinopel 1862) und Vasilios Antoniadis, Theologieprofessor zu Chalki, unter dem Titel „Enchiridion der hl. Hermeneutik" (Konstantinopel 1921). Letzterer hat auch eine Einleitung zum Alten und Neuen Testament geschrieben, die erst nach seinem Tode herausgegeben wurde (1937). In früheren Jahren hatte der damalige Athener Theologieprofessor Georgios Dervos, im ersten Teil seiner Christlichen Literaturgeschichte eine Einleitung in das Neue Testament beigefügt (1904), und späterhin veröffentlichte der nachherige Erzbischof von Athen, Chrysostomos Papadopoulos, seine „Biblische Hermeneutik" (1907). Von den jetzigen Professoren schrieb P. Bratsiotis eine „Einleitung in das Alte Testament" (1937 1 , 1956 2 ), die als Standardwerk zu bezeichnen ist. 2. Textausgaben. Textausgaben der hl. Schrift in neugriechischer Sprache sind zahlreich. Als Übersetzer sind von den Älteren Mitrophanes Kritopoulos, Franziskus Prosalentis und Liberius Koletis zu nennen und von denen, die nach der griechischen Revolution die hl. Schrift in die U m gangssprache übersetzten, Neophytos Vamvas, der Mitarbeiter an der von der Britischen Bibelgesellschaft herausgegebenen Übersetzung war. In jüngster Zeit übersetzte A. Chastoupis das gesamte Alte Testament aus dem Hebräischen (1955) und P. Trembelas das Neue Testament (1954) ins Neugriechische. 3. Textkritische Arbeiten. An textkritischen Arbeiten haben wir zunächst das klassische Werk des Origenes, das entsprechend der zum Vergleich zugrunde gelegten Übersetzungen „Hexapla", „Tetrepla", „Oktopla" oder „Enneapla" heißt. Von den jüngeren Textkritikern wäre Dimitrios
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Doukas aus Kreta (Anfang des 16. Jahrhunderts) zu erwähnen, der in Spanien an der Polyglotte der komplutensischen Bibel mitgearbeitet hat. U n d zum Schluß haben wir auch an die im 18. Jahrhundert v o m Patriarchen Chrysanthos geleistete Arbeit zu denken, der ein „in vielen fehlerhaften Teilen korrigiertes Evangelium" herausgegeben hat. Nicht zu vergessen ist auch die auf Veranlassung des Ökumenischen Patriarchen von den Professoren der Theologischen Schule in Chalki veranstaltete Ausgabe des Neuen Testamentes.
D . Praktische Theologie l. Kanonisches Recht. In der praktischen Theologie, und zumal auf dem Gebiet des Kanonischen Rechtes, ist ebenfalls viel gearbeitet worden; dies betrifft nicht nur die Sammlungen von Kanones und Verordnungen, sondern auch deren Bearbeitung und die dogmatischen Arbeiten über das Kanonische Recht. Als erste griechische „Sammlungen Iii. Kanones" könnten zunächst die sogenannten „Didache" der Z w ö l f Apostel und dann die „Didaskalia der Heiligen Apostel" gelten. Nach Hieronymus hat auch Hippolyt von Rom sehr viele kanonologische Werke geschrieben. Unter seinem Namen sind uns Kanones in arabischer und äthiopischer Übersetzung erhalten, die jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach unecht sind. Eine Kanonessammlung im heutigen Sinne Hegt zuerst bei Johannes Scholasticus (Anf. 6. Jahrhundert) vor, dessen W e r k in 60 Titel untergeteilt ist. Als Johannes Patriarch von Konstantinopel geworden war, revidierte er seine Sammlung, fügte ihr noch eine Übersicht über die „ N e a r a " des Justinian bei und erweiterte sie so auf 87 Kapitel. Als Kanonologe tat sich auch Stephanos von Ephesus hervor. E r hat eine „Kanonische Synopsis" verfaßt, welche die Kanones der Synoden enthält und die im 10. Jahrhundert von dem bereits erwähnten Symeon Metaphrastes ergänzt wurde. Der unter dem N a m e n Photius des Großen überlieferte „ N o m o k a n o n " scheint nicht von ihm zu stammen; er wurde von ihm w o h l nur ergänzt. Sicher ist jedoch, daß Photius der Große viele Synodalbeschlüsse und Kanonische Briefe herausgegeben hat. Im 16. Jahrhundert stellte Manuel Malaxos eine Kanonessammlung unter folgendem Titel zusammen: „Gesetzbuch, zusammengestellt aus verschiedenen notwendigen Kanones der göttlichen und heiligen Apostel und der heiligen Ökumenischen Synoden der Gott tragenden Väter und anderer hoch-heiliger Erzpriester und einiger kaiserlicher und anderer Gesetze, übersetzt in die allgemein verständliche Sprache von Manuel Malaxos aus Nauplia in der Peloponnes". Eine ähnliche Sammlung, mit Scholien versehen, veröffentlichte
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auch Máximos Margounios unter dem Titel „Kanones der Apostel, der Synoden und der Väter" (Anfang 16. Jahrhundert). Eine mit Scholien versehene Sammlung von Kanones gab auch Neophytos Kavsokalyvites unter dem Titel heraus „Politische Gesetze oder Erklärung der hl. Kanones der Synoden". Eine wunderbare zweibändige, im Großformat angelegte Sammlung der hl. Kanones, welche auch Synodalakten enthält, erschien im Jahre 1 7 6 1 , herausgegeben durch den Archimandriten Spyridon Melius, und der Metropolit von Kampanien, Theophilos, veröffentlichte das von ihm als „Procheiron N o m i k o n " bezeichnete W e r k , das, in 30 Bücher untergeteilt, die wichtigsten kirchlichen Verordnungen enthält. Z u m Schluß seien noch als Verfasser kommentierter Kanonessammlungen aus der Zeit vor der griechischen Revolution die Priestermönche Nikodimos Hagiorites und Agapios von Landos erwähnt, die eine nomokanonische Sammlung unter dem Titel „Steuerruder des geistigen Schiffes" herausgegeben haben, welche als halboffizielle kirchliche kanonologische Sammlung zu betrachten ist. Aus der Zeit nach der griechischen Revolution muß vor allem die Sammlung von Rallis und Potlis mit dem Titel „Syntagma der göttlichen und hl. Kanones" genannt werden, die in gewissem Sinne zur offiziellen Ausgabe nomokanonischer Texte der Orthodoxen Kirche erhoben wurde, obgleich sie nicht als solche von der Kirche in aller Form proklamiert worden ist. Ferner sind zu erwähnen die Editionen von Zacharias Mathas und Philotheos Oikotiomopoulos (Enzyklien der Hl. Synode, 1854 und 1860), von Andreas Mamoukas (1859) 2 Bände, von Petrus J. Klados (2 Bände, 1860 und 1869), von Damascenus Christopoulos (1877), von Stephanos Jannopoulos (1901) und von Archimandrit Chrysostomos Themelis, dem jetzigen Bischof von Thaumakos (2 Bände, 1955/56). Weiterhin sind Gesetzessammlungen, Sammlungen von königlichen Dekreten,von Gutachten,von ministeriellen Erlassen, Rundschreiben usw. von G. Dyovouniotis unter dem Titel „ D i e griechische Kirche" im Jahre 1902, von Dionysios Matarangas unter dem Titel „Das Staatskirchenrecht Griechenlands" (1937), und von Prof. Hamilkar Alivizatos unter dem Titel „ D i e hl. Kanones und die kirchlichen Gesetze" (1949 2 ) herausgegeben worden. Z u solchen Sammlungen sind fernerhin zu rechnen die „ N o m o l o g i a des Oekumenischen Patriarchats" von M. Theotokas (Konstantinopel 1897), die zweibändigen „Kanonischen Verordnungen" von Manuel Gedeon (Konstantinopel 1888/89), der dreibändige „Beschreibende Katalog der in den Kodizes des Patriarchatsarchivs aufbewahrten offiziellen Dokumente" des Archimandriten Kallinikos Delikanis und die „Sammlung der Patriarchatsund Synodalenzykliken, derpatriarchalenErklärungen und Enzykliken der Großen Kanzlei" herausgegeben von Joh. Stavridis (Konstantinopel 1900).
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht A n systematischen Werken über das Kanonische Recht der Orthodoxen Kirche im allgemeinen oder speziell der Kirche Griechenlands sind das von Apóstalas Christodoulou 1896 in Konstantinopel herausgegebene „Dokimion des Kirchenrechtes" zu erwähnen, ferner „Das Kirchenrecht der Orthodoxen Ostkirche" von Meletios Sakellaropoulou, dem späteren Metropoliten von Mesinia (Athen 1898), „Das System des Kirchenrechtes nach den bei uns geltenden Gesetzen" von Evangelos Philipotis (2 Bände, 1 9 1 2 und 1 9 1 5 ) und das „Enchiridion des in Griechenland geltenden Kirchenrechts" von K. Rallis, zunächst Professor an der Theologischen, dann an der Juristischen Fakultät Athen (erschienen nur der erste Teilband, Athen 1927). Z u m Schluß sind zu nennen Prof. Hamilkar Alivizatos, welcher unter dem Titel „Das Kanonische Recht der Orthodoxen Kirche" (Athen 1941) einen kurzen Auszug aus seinen Vorlesungen veröffentlicht hat (in der Reihe „ D i e Kirche und die Kirchen" auch in deutscher Ubersetzung erschienen), ferner Prof. G . Rammos mit seinen „ G r u n d lagen des griechischen Kirchenrechtes" (Athen 1947), Prof. A. Christophilopoulos, „Das griechische Kirchenrecht" (3 Hefte, Athen 1952, 1954 und 1956), sowie der Erzbischof von Athen, Dorotheos und P. Panagiotakos, denen wir ebenfalls bedeutende kanonologische Arbeiten verdanken. 2. Homiletik. Auch auf dem anderen Gebiet der Praktischen Theologie, der Homiletik, zu der man auch die allgemeine Erbauungsliteratur rechnen kann, ist das Material so reich, daß es uns hier nicht möglich wäre, auch nur die Namen der in Frage kommenden Schriftsteller aufzuzählen. Systematische Bearbeitungen der Homiletik gab es zuerst unmittelbar nach dem Fall von Konstantinopel - sehr wahrscheinlich unter westlichem Einfluß. Nach der Befreiung Griechenlands gab Neophytos Vamvas 1841 und 1856 seine „Rhetorik, zusammengestellt aus den berühmtesten der älteren und jüngeren Technographen" heraus. Auch Konstantinos Oikonotnou hat eine „Technik der Rhetorik in drei Büchern" geschrieben. V o n den Jüngeren schrieben über die Rhetorik die Universitätsprofessoren Philippos Papadopoulos, P. Trembelas und der Archimandrit Theologos Paraskevaidis. A u f dem der Rhetorik verwandten Gebiet der Pädagogik lieferten bedeutendere Beiträge die Professoren P. Trembelas, D. Moraitis und V. Exarchos. 3. Liturgik und Hymnologie. Ebenso ist auf dem Gebiete der Liturgik und Hymnologie im weiteren Sinne in älterer wie neuerer Zeit ungeheuer viel geschrieben und Material gesammelt worden. Nicht wenige haben sich auch mit Einzelthemen der Liturgik und der Hymnologie beschäftigt. Die Theologische Fakultät der Universität Athen errichtete einen ordent-
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liehen Lehrstuhl f ü r Hymnologie und Hagiologie, den zur Zeit Professor A. Phytrakis, Verfasser beachtenswerter hymnologischer und hagiographischer Studien, inne hat. Umfassende Bearbeitungen der Liturgik im heutigen Sinn sind freilich erst unter den nach der Befreiung von Griechenland entstandenen Werken griechischer Autoren zu finden. Unter diesen ist zunächst Elias Chrestophides zu nennen mit seiner „Erklärung des Tempels Gottes und was sich darin befindet", sodann Neophytos Doukas mit seinem W e r k „ Ü b e r die kirchliche Schicklichkeit und Ordnung, über die Bildung der Priester und über die Verstoßung von Pfarrern, die aus böswilliger Unwissenheit und aus Aberglauben in der Zeit der Tyrannei dem Unglauben verfallen sind". Desgleichen seien erwähnt die Professoren P. Robotis, Philippos Papadopoulos und Joh. Mesoloras. In dem W e r k „ D e r Christliche Tempel und die in ihm vollzogenen gottesdienstlichen Handlungen" des Protopresbyters Konstantinos Kallinikos werden liturgische und archäologische Themen systematisch untersucht. A u f dem verwandten Gebiet der christlichen byzantinischen Archäologie seien genannt G. Lampakis und Prof. Xygnopoulos, vor allem aber die Koryphäe der byzantinischen Archäologie, Prof. G . Sotiriou mit seiner vortrefflichen „Christlichen Archäologie" (1938); und nicht zu vergessen auch die Arbeiten von P. Trembelas und D. Moraitis. E . Pastoraltheologie W a s wir von der Liturgik und Hymnologie gesagt haben, gilt auch von der Pastoraltheologie. Auch hier sind es nicht wenige Autoren, die sich mit ihr befaßt haben. W i r greifen z. B . das Thema des Priestertums heraus (es ist ein Bogen, der sich von den klassischen Werken des hl. Joh. Chrysostomus und Gregors von Nyssa bis zu Theophan von Nicaea, Michael Meletios Chortakios u. a. spannt), oder das Thema der Beichte (z. B . denken wir an Nikodimos Hagiorites, an Nikephoros Paschaleus, an Spyridon Melias und jüngstens auch Seraphim Papakostas und den Metropoliten von Kos, Emmanuel u. a.). Gesamtdarstellungen der Pastoraltheologie gibt es jedoch erst in den letzten hundert Jahren. So veröffentlichte der Prof. Nikephoros Kalogeras i m Jahre 1883 eine „Pastoraltheologie"; ihm folgte der Metropolit von Pentapolis, Nektarios Kephalas, im Jahre 1900, und vor kurzem hat der Dekan der griechischen Theologischen Schule zum Hl. Kreuz in Boston/ Amerika, der Archimandrit Joh. Papadopoulos, ein ausführliches W e r k über die Pastoraltheologie herausgegeben. Z u m Schluß vermerken wir auch die Katechetik, worüber die Professoren
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Philippos Papadopoulos, Kl. Stratiotis und P. Trembelas (1929) umfassend geschrieben haben. 1. Asketische Literatur. Ungeheuer reich ist auch die eigentliche asketische Literatur, von der man behaupten kann, daß sie mit den ersten Jahrhunderten des Christentums ihren Anfang genommen hat und bis in unsere Zeit fortgesetzt wird. Ihre nennenswertesten Vertreter haben wir schon aufgeführt. Doch dürfen unter ihnen auch nicht Athanasius der Große, der Verfasser der Vita Antonius des Großen, und Basilius von Ancyra vergessen werden, dessen an Letoios gerichtete Homilie über die Virginitas uns erhalten ist, sowie Markus Eremita, Johannes Climacus, Johannes Damascenus, Gregor von Palamas, der der gesamten asketischen und mystischen Bewegung des Mittelalters einen ungeheuren Aufschwung gegeben hat, und Nikolaus Kabasilas, dessen grundlegendes mystischasketisches W e r k über „Das Leben in Christo" gerade in unserer Zeit große Beachtung findet und in andere Sprachen übersetzt worden ist. Aus der Zeit nach dem Fall von Konstantinopel sind zu erwähnen: Damaskinos Studites, Máximos Margounios und vor allem Nikodimos Hagiorites, dessen asketisch-literarische Tätigkeit im vorletzten und letzten Jahrhundert das Mönchtum zu neuer Blüte gebracht und geläutert hat. Welchen Einfluß er auf die Durchbildung des asketischen Lebens und schlechthin auf das religiöse Leben der Orthodoxen Kirche in jüngster Zeit ausgeübt hat, zeigt die Tatsache, daß er letztlich von der Orthodoxen Kirche heilig gesprochen wurde. Aus allerjüngster Zeit ist das von dem Mönch Theoklitos Dionysiates verfaßte Buch „Zwischen Himmel und E r d e " (1956) zu erwähnen. W i r wollen diese summarische Darstellung der griechischen Theologie nicht abschließen, ohne nicht wenigstens ein paar Worte über diejenigen gesagt zu haben, die sich im Verlauf der letzten 50 Jahre mit der Christlichen Soziallehre befaßten. 2. Christliche Soziallehre. Weil die Orthodoxe Theologie von jeher stets mit der Kirche verbunden war, die ihrem Wesen nach eine Volkskirche ist, konnte sie unmöglich den auftretenden sozialen Problemen jemals fremd gegenüberstehen und sich einer von den jeweiligen Umständen sich ergebenden sozialen Aktion verschließen. Solche Probleme waren die Gefangenenrückführung, die Obdachlosenbetreuung, die Altersfürsorge, die Linderung der Not der Fremden, Kranken, Witwen, Waisen und Bedürftigen, kurz, aller derer, „die in Betrübnis und anderen schweren Nöten sind". All das waren nicht nur Themen f ü r eine theoretische B e schäftigung seitens der griechischen Theologie, sondern sie verlangten vor allem von der Kirche praktische Abhilfe. Während der 400jährigen Fremdherrschaft stand die Kirche dem Volk in all seinen Nöten treu zur
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Seite, und späterhin sehen w i r die griechische Theologie sich mit den spezielleren sozialen Fragen theoretisch beschäftigen, während die Kirche tatkräftig eingreift, u m den sozialen N ö t e n zu begegnen. So ließ es sich die Kirche unter anderem in hohem Maße angelegen sein, die N o t der unbemittelten Familien entlassener Soldaten und der v o m letzten K r i e g schwer Betroffenen zu lindern, den Vertriebenen wieder aufzuhelfen, usw. D i e griechische Theologie bemühte sich indessen u m die Lösung der aktuellen sozialen Fragenkomplexe. Hier sind besonders die Athener Theologieprofessoren Gregorios Papamichail, Hamilkar Alivizatos, Dimitrios Balanos und Panagiotis Bratsiotis zu nennen, der, abgesehen v o n seinen entsprechenden wissenschaftlichen Arbeiten, den „Christlich-Sozialen K r e i s " gründete und leitet, aus dessen Mitte bisher direkt oder indirekt beachtliche Veröffentlichungen als Einzel- oder Gesamtdarstellungen hervorgegangen sind. W i r nennen hier n u r : „ D a s soziale Problem und das Christentum" (Athen 1 9 5 1 ) ; „ I m Dienste der L i e b e " (aus dem F ü r sorgewerk der Vereinigung „Apostel Paulus", Athen 1 9 4 7 1 , 1948 2 , 1949 3 ); K. D. Konstantinidis, „ Ü b e r die Rauschgiftsüchtigen" (Athen 1949); P. I. Bratsiotis, „ D e r christliche Sozialismus und die internationale christlich-soziale B e w e g u n g " (Athen 1933), Ders., „Humanismus und Christentum" (Athen 1955) und „ D i e Arbeit in der Sicht der D r e i Hierarchen" (Athen 1958); Archimandrit Timotheos Papoutzakis, jetzt Bischof v o n Arkadien (Kreta), „Christus und die Gesellschaft" (Athen 1956); Archimandrit Titos Matthaeakis, jetzt Metropolit v o n Maronien, „ D e r ideale T y p u s der F r a u " (Athen 1939); Dimosthenis Savramis „Christentum und öffentliche (oder soziale) Fürsorge" (Athen 1954); Andreas Phytrakis, „ D a s Christentum und die Probleme unserer Z e i t " (Athen 1 9 3 7 ) ; Nikolaus Psaroudakis, „ D i e Revolution der L i e b e " (Athen 1958), usw. Außerdem verdient Beachtung, was Nicht-Theologen, freilich v o m christlichen, v o m orthodoxen Standpunkt aus geschrieben haben. Es seien nur angeführt das „I. Dekaemeron sozialpolitischer Studien" der Hochschule f ü r Betriebswissenschaften (Athen 1954); G . D . Daskalakis, „ D e r Sinn der sozialen Freiheit" (Athen 1950); Ders., „ S i r Stafford Cripps und die christliche D e m o k r a t i e " (Athen 1 9 5 2 ) ; herausgegeben v o m „Hellenikon Phos": „Rechenschaftsbericht über die ersten f ü n f J a h r e " (Athen 1954) und „ I m Dienste unseres V o l k e s " (Athen 1 9 5 4 ) ; Joh. D. Mastrojannis, „ D i e soziale Fürsorge i m L a u f der Jahrhunderte" (2 Bände, 1 9 5 7 und 1958); Stamatias Matrojannopoulou, „ D i e Frau in ihrem R e i c h " (Athen 1952); P. Melitis ( = A . N . Tsirintanis), „ A u f daß sich der W e g ö f f n e " (Athen 1 9 5 7 ) ; Joh. Papazachariou, „ D i e Gefährdung der in H e i m e eingewiesenen Kinder, und w i e ihr i m Licht der christlichen Liebe zu
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begegnen ist" (Athen 1957); Timoti Parmerias, „Die verwaisten griechischen Kinder" (Athen 1949, in englischer Ubersetzung: "The Orphaned Greek Children", Athen 1958); Evangelos Savvopoulos, „Christentum und Arbeit" (Piräus 1958); „Aktuelle Probleme" (von Prof. A. N . Tsirintanis, anonym von der Theologen-Bruderschaft „ Z o é " herausgegeben, Athen 1948); Dimitrios Tsakonas, „Christliche Soziallehre und Griechentum" (Athen 1954); Ders., „Einführung in das Neugriechentum" (Athen 1958); A. N. Tsirintanis, "Towards a Christian Civilization" (Athen 1950); Savvas Th. Christis, „Kirche und Kommunismus" (Levkosia-Zypern 1949) u. a. Dies ist in denkbarer Kürze der Weg, den die Griechische Orthodoxe Theologie im Verlauf der Jahrhunderte genommen hat. Leider erlaubte es der uns gestellte Rahmen nicht, alles zu sagen, was zu sagen wäre. W i r haben uns jedoch redlich darum bemüht, dem Leser wenigstens einen schwachen Eindruck von der Bewegung der griechischen Theologie in Vergangenheit und Gegenwart zu vermitteln. Möge das deutlich geworden sein, daß es allezeit ihr Bestreben war, zwei im Grunde widerstreitende Prinzipien miteinander zu vereinen: nämlich die Beständigkeit der Linie und das Beharren auf der überkommenen Lehre mit schöpferischer Kraft und mit der Anpassung an die jeweils wechselnden Verhältnisse. Die Treue der griechischen Theologie in diesem Bemühen ist in Wahrheit ihre einzige Unbeugsamkeit; das zeichnet sie aus und darauf kann und muß sie stolz sein. BIBLIOGRAPHIE Hamilkar Alivizatos, Das Kanonische Recht an der Universität (in „Nationale Kapodistria Universität Athen", zum Hundertjährigen Bestehen 1 8 3 7 bis 1937. Wissenschaftliche Beiträge, S. 1-22, griech.). A. Papadopoulos, Neugriechische Philologie (1854 griech.). Manuel I. Gedeon, Erziehung und Armut bei uns in den letzten Jahrhunderten, Konstantinopel 1893 (griech.). Joseph de Kigalla, Entwurf für eine neu-griechische Philologie, Hermoupolis 1846 (griech.). Fr. Gavin, Some Aspects o f Contemporary Greek Orthodox Thought, London
1923D. Balanos, Die bei uns im ersten Jahrhundert seit der Errichtung der Universität geleisteten patrologischen Studien (in „Nationale Kapodistria U n i versität", zum Hundertjährigen Bestehen, Athen 1 8 3 7 - 1 9 3 7 , Wissenschaftliche Beiträge, S. 2 4 ^ 2 4 7 ) (griech.). Ders., Geschichte der Theologischen Fakultät, Athen 1937 (griech.). Ders., Die byzantinisch-kirchlichen Schriftsteller von 800 bis 1453, Athen 1 9 5 1 (griech.).
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Pan I. Bratsiotis, Das Alte Testament in der Griechischen Kirche vom Fall Konstantinopels bis heute, 1938 (griech.). Ders., Die Griechische Theologie in den letzten 50 Jahren, Athen 1948 (griech.). Konstantinos N. Sathas, Neugriechische Philologie, Athen 1868 (griech.). Ders., Anhang zur Neugriechischen Philologie, die Geschichte der Neugriechischen Sprache, Athen 1870 (griech.). Vasil. K. Stephanidis, Kirchengeschichte vom Anfang bis auf den heutigen Tag, Athen 1948 (griech.). D. Chrest. Serraios, Die Lehrer von Konstantinopel, Konstantinopel 1862 (griech.). Philipp Meyer, Die theologische Literatur der griechischen Kirche im sechzehnten Jahrhundert, mit allgemeiner Einleitung, Leipzig 1899. (Anmerkung des Übersetzers: Alle neugriechischen Buchtitel sind zum besseren Verständnis für den Leser verdeutscht.)
PROF. D R . PANAGIOTIS POULITSAS
DIE B E Z I E H U N G E N Z W I S C H E N S T A A T U N D KIRCHE IN G R I E C H E N L A N D ie Beziehungen zwischen Staat und Kirche wurden in Griechenland zuerst durch den königlichen Erlaß vom 23. Juli 1833 geregelt, der kurz nach der Gründung des neuen Staates herausgebracht wurde. Davon wird weiter unten noch die Rede sein. Schon vorher jedoch, also noch während des Kampfes um Unabhängigkeit und Freiheit, wollte das tiefreligiöse griechische Volk einige wesentliche Fragen bezüglich der Religionsfreiheit und der Stellung, die der Orthodoxen Ostkirche und den anderen Religionen und Konfessionen zukommen sollten, durch die vorläufigen Parlaments- und Regierungsorgane geregelt sehen. So wurde schon im ersten Jahr der griechischen Befreiung in der „Gesetzesverordnung für Ostgriechenland", die am 20. November 1821 von der in Amphissa zusammengetretenen Repräsentantenversammlung der ostgriechischen Eparchien beschlossen wurde, folgendes bestimmt (Teil I, 1. Kap., § 26): „Obgleich Griechenland alle Religionen und Sprachen genehmigt und ihre Ausübung bzw. ihren Gebrauch in keiner Weise behindert, anerkennt es dennoch nur die Orthodoxe Ostkirche Christi und die heutige Sprache als herrschende Religion und Sprache Griechenlands." Außerdem wurde bestimmt: (Teil I, 2. Kap., § 6): „Ein Grieche wird nicht wegen seiner religiösen oder politischen Gedanken straffällig. Er ist verpflichtet, alle religiösen und politischen Gedanken anderer zu tolerieren." Die vorläufige Verfassung von Epidavros vom 1. Januar 1822 bestimmte (§ 1): „Die herrschende Religion im griechischen Staat ist die der Orthodoxen Ostkirche Christi; die Regierung von Griechenland toleriert jedoch jede andere Religion, die Feiern und Riten jeder derselben können ungehindert ausgeübt werden." Dasselbe bestimmte die Proklamation der Kretischen Versammlung in Armeni vom 20. Mai 1822 (1. Art.): „Die herrschende Religion der Insel soll die der Orthodoxen Ostkirche sein, die Regierung soll jede andere Religion tolerieren." Die obengenannte Verordnung der Verfassung von Epidavros wurde in der vorläufigen Verfassung von Astros vom 23. April 1823 unverändert wiederholt (§ 1). In die bürgerliche Verfassung von Troizin vom Mai 1827 (Art. 1) wurde sie in folgender neuer Formulierung aufgenommen: „Jeder kann in Griechenland seiner Religion frei nachgehen und genießt in bezug auf ihren Kult gleichen Schutz. Die Orthodoxe Ostkirche Christi jedoch ist Staatsreligion." In der bürgerlichen Verfassung, die von
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der auf den 5. Dezember 1821 nach Argos einberufenen V. Nationalversammlung verabschiedet wurde, aber später keine Anwendung fand, wurde die obengenannte Verordnung folgendermaßen formuliert (Art. 6): „Die herrschende Religion im griechischen Staat ist die der Orthodoxen und Heiligen Ostkirche Christi; es kann sich jedoch jeder ungehindert zu seiner Religion bekennen und jede Religion, deren Riten vor aller Augen und öffentlich geschehen, hat gleichen gesetzlichen Schutz." Durch diese Verordnungen wird einerseits die Orthodoxe Ostkirche Christi als herrschende Religion in Griechenland anerkannt, andererseits die Religionsfreiheit proklamiert. Bezüglich der Kirche und besonders ihrer Verwaltung wurde von diesen ersten Verfassungen nichts festgelegt. In erster Linie wurden also die Beziehungen zwischen Kirche und Staat, wie schon gesagt, durch den unter der bayrischen Regentschaft mit dem Titel „Proklamation bezüglich der Unabhängigkeit der griechischen Kirche" herausgegebenen Königlichen Erlaß vom 23. Juli 1833 geregelt, die Jurisdiktion und Zuständigkeit der Kirche in kirchlichen Angelegenheiten geordnet und ihre Verwaltung festgelegt. Mit diesem Erlaß wurde die Autokephalie der Griechisch-Orthodoxen Kirche verkündet 1 ); er stellt ihr erstes Grundgesetz dar. Der erste Artikel dieses Erlasses bestimmte: „Die Orthodoxe Apostolische Ostkirche des Königreichs Griechenland, die im Geiste niemand als ihr Haupt anerkennt außer den Gründer des christlichen Glaubens, unseren Herrn und Heiland Jesus Christus, was die Verwaltung anbetrifft, jedoch den König von Griechenland zum Oberhaupt hat, ist autokephal und unabhängig von jeder anderen Macht; die dogmatische Einheit wird in dem, was von allen Orthodoxen Ostkirchen durchweg eingehalten wird, unverfälscht bewahrt." Artikel 2-5 bestimmen, daß die oberste kirchliche Gewalt unter königlicher Souveränität in den Händen einer ständigen Synode hegt, die den Namen einer „Heiligen Synode des Königreichs Griechenland" trägt, die aus fünf Mitgliedern besteht u. a. Artikel 6-7 bestimmen, daß zu der Synode auch ein königlicher Bevollmächtigter gehört, der vom König bestimmt wird. Er nimmt an allen Sitzungen der Synode als Beisitzer teil und repräsentiert bei ihr die Regierung; jede Tätigkeit der Synode in seiner Abwesenheit ist ungültig. Artikel 8 bestimmt, daß die Glieder der Synode einen Treueid gegenüber dem König zu schwören haben, sich zum Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Königreichs verpflichten u. a. In den Artikeln 9-18 werden die Zuständigkeit der Synode geregelt und die ' ) „Autokephalie" bedeutet die juristische Selbständigkeit einer orthodoxen Teil-Kirche. Sie ist dann „autokephal".
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sie betreffenden Angelegenheiten festgelegt. Speziell im Artikel 9 wird folgendes bestimmt: „In allen innerkirclilichen Dingen handelt die Kirche unabhängig von jeder weltlichen Gewalt; da jedoch die souveräne Oberaufsicht über alle innerhalb des Staates geschehenden Taten, Ereignisse und Beziehungen zur obersten Machtbefugnis des Staates zählt, hat die Regierung das Recht, von dem Verhandlungsgegenstande Kenntnis zu nehmen, und folglich kann eine Synodalentscheidung weder bekanntgemacht noch ausgeführt werden, bevor die Genehmigung (das „genehmigt") der Regierung ersucht wurde." Z u diesen, d. h. den inneren Ange legenheiten der Kirche, zählen - so bestimmt Artikel 10 - hauptsächlich die folgenden: a) die Lehre der Dogmen; b) die Gestalt und Ausführung des Kultus; c) die Ausübung der Amtspflichten des Klerus jeglichen Standes; d) die religiöse Unterweisung des Volkes; e) die kirchliche Subordination; f ) die Examinierung und Cheirotonie (Weihe) der Geistlichen; g) die Weihe der dem Kult dienenden Gegenstände und Gebäude; h) die Jurisdiktion in den eigentlichen kirchlichen Angelegenheiten, z.B. Fragen des Gewissens, der Ausführung religiöser oder kirchlicher Pflichten u. a. Artikel 13 bestimmt: „Alle Angelegenheiten, die sich auf die Kirche beziehen, jedoch nicht das Dogmatische betreffen, und die andererseits ohne eigentlich weltlich zu sein, in irgendeinem Verhältnis zum Staat und zum weltlichen Interesse der Bevölkerung stehen, unterhegen zwar der Zuständigkeit der Heiligen Synode; aber die Synode kann für sich allein ohne besondere Zustimmung und Mitarbeit der weltlichen Behörden nichts Diesbezügliches verordnen." V o n solchen Angelegenheiten „vermischter Art", wie sie in Artikel 14 genannt werden, sind in demselben Artikel vor allem die folgenden genannt: a) Verordnungen bezüglich der äußeren Dinge des Kultus; b) die O r d nung der Bewirtschaftung bzw. die Begrenzung mönchischer Anstalten; c) die Begrenzung bzw. die Einstellung der Prozessionen, Umzüge u. a. anläßlich kirchlicher Feste; d) die Ernennung in kirchliche Ämter und die Genehmigung der Cheirotonie von Priestern und Diakonen; e) Die A u f teilung des Gebiets der kirchlichen Behörden; f ) Verordnungen bezüglich Erziehungs-, Unterstützungs- und Bestrafungseinrichtungen für die Geistlichen; g) gesundheitsamtliche Verordnungen, soweit sie sich gleichzeitig auf kirchliche Einrichtungen beziehen; h) außerordentliche kirchliche Feste; i) Gesetze über die Eheschließung. Schließlich bestimmt Artikel 16, daß die Erzbischöfe und Bischöfe auf Vorschlag der Synode von der Regierung ernannt werden. Dieser Erlaß war das erste Grundgesetz der Kirche von Griechenland.
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Darauf stützten sich großenteils die Gesetze U und Z A vom 9. Juli 1852 wie auch spätere Grundgesetze der Kirche. In dieser Weise wurden durch jenen Erlaß vom 23. Juli 1833 die Beziehungen zwischen Staat und Kirche geregelt, die Zuständigkeit bestimmt und die Verwaltung der Kirche festgelegt. Es folgte die Staatsverfassung vom 18. März 1844, die im I. Artikel folgendes sagt: „Die herrschende Religion in Griechenland ist die der Orthodoxen Ostkirche Christi; jede andere bekannte Religion wird toleriert, die Angelegenheiten ihres Kultes können unter dem Schutz der Gesetze unbehindert ausgeübt werden. Proselytismus und jede andere Einmischung in die herrschende Religion ist verboten." Der zweite Artikel bestimmt: „Die Orthodoxe Kirche Griechenlands, die als ihr Haupt unsern Herrn Jesus Christus anerkennt, ist dogmatisch unzertrennlich mit der Großen Kirche in Konstantinopel und jeder anderen homodoxen Kirche verbunden, sie hält in gleicher Weise wie jene die heiligen, apostolischen und synodalen Kanones und die heiligen Überlieferungen, sie ist jedoch autokephal, übt unabhängig von jeder anderen Kirche ihre Souveränitätsrechte aus und wird von einer heiligen Synode von Hierarchen verwaltet." Artikel 105 bestimmt: „Durch besondere Gesetze muß so rasch als möglich Vorsorge getroffen werden für folgende Angelegenheiten: a) für die Zahl der Bischöfe des Landes; . . . für die frommen Einrichtungen und die in ihnen Dienenden oder ein Eremitenleben Führenden, b) für die kirchlichen G e b ä u d e . . . " Es wurde von einigen, auch von der Heiligen Synode, behauptet - davon wird weiter unten noch die Rede sein - , daß durch diese Verordnungen der Verfassung und besonders durch den Passus „sie (die Kirche) ist jedoch autokephal, (sie) übt unabhängig von jeder anderen Kirche ihre Souveränitätsrechte aus", darüberhinaus Souveränität, volle Autonomie und Unabhängigkeit der Kirche proklamiert und ihr das unbeschränkte Recht, sich selbst unabhängig von jeder anderen Macht zu verwalten, zuerkannt werde. So wie sich der Text verhält, bedeutet jedoch der im Griechischen in diesem Nebensatz enthaltene Ausdruck „(sie) übt ihre Souveränitätsrechte aus" vielmehr eine Intensivierung des Sinns des Hauptsatzes, in dem die Kirche als eine autokephale bestimmt wird, was sich gegen die „Große Kirche von Konstantinopel" und die anderen orthodoxen Kirchen richtet. Der Sinn ist also der: trotz der festgehaltenen dogmatischen Einheit der Kirche mit den anderen orthodoxen Kirchen ist sie autokephal und übt ihre Souveränitätsrechte - sie ist ja jenen gegenüber autokephal - unabhängig von ihnen aus. Auch in dem genannten königlichen Erlaß vom 23. Juli 1833 „Über die Unabhängigkeit
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der Griechischen Kirche" wird wörtlich gesagt: „(sie) ist autokephal und unabhängig von jeder anderen Macht", aber gerade in diesem Erlaß werden ihr verschiedene Grenzen gesetzt und die Oberaufsicht und die Teilnahme des Staates bezüglich bestimmter kirchlicher Angelegenheiten bestätigt. Das bedeutet, daß unter der Unabhängigkeit der Kirche ihre Unabhängigkeit gegenüber anderen Kirchen und Mächten zu verstehen ist, aber nicht ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Staat. Die Formulierung müßte sehr viel genauer sein, um uns davon zu überzeugen, daß in jener Verordnung ein so grundlegendes Prinzip wie das der Souveränität sanktioniert werden soll. Die gegenteilige Interpretation wird auch durch den Artikel 105 derselben Verfassung ausgeschlossen, der bestimmt, daß Vorsorge für besondere Gesetze der unter a) und b) genannten kirchlichen Angelegenheiten zu treffen ist. Dies widerspricht offensichtlich der behaupteten Souveränität der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten. Diese Ansicht wird sowohl von dem erwähnten Verfassungsausschuß als auch von der IV. Verfassungsgebenden Versammlung in Athen 19241925 einstimmig verworfen, und zwar durch eine interpretierende Erklärung, nach der die Souveränitätsrechte der Kirche nicht anders geübt werden können als innerhalb der Grenzen, die von der gesetzgeberischen Gewalt des Staates aufgestellt werden. Weiter wird gelegentlich behauptet, daß durch diese Verordnungen der Verfassung der genannte königliche Erlaß v o m 23. Juli 1833 „ Ü b e r die Unabhängigkeit der Griechischen Kirche" aufgehoben sei. Aber auch diese Meinung ist nicht richtig. Der Artikel 2 der Verfassung, der die Autokephalie der Griechischen Kirche proklamiert, wiederholt die allgemeineren Verordnungen der Artikel 1 und 2 jenes Erlasses über die Unabhängigkeit der Kirche und ihrer obersten Verwaltung. Angesichts der Tatsache, daß jener Erlaß als das erste Grundgesetz der Kirche wohl vorhanden war und in Kraft stand, aber in der Zwischenzeit so scharf als unkanonisch angegriffen worden war, geht aus der sehr allgemeinen Ausdrucksweise der Verfassung hervor, daß sie den durch jenen geschaffenen kirchlichen Status quo anerkennt. Die einzige von der Verfassung eingeführte Abänderung, daß nämlich die Kirche von einer Synode von Hierarchen verwaltet werde, während es nach Artikel 4 Absatz 1 des obengenannten Erlasses auch möglich war, daß die Beisitzer der Synode aus dem Priester- oder Mönchsstand genommen würden, stellt in Wirklichkeit keine Ausnahme dar, denn diese Verordnung wurde niemals angewandt, Außerdem spricht gegen jene Ansicht auch, daß die Verordnungen des besagten Erlasses im wesentlichen mit dem Nachdruck sämtlicher in der Zwischenzeit verabschiedeter Verfassungen bis heute in Kraft geblieben sind. Davon wird weiter unten noch die Rede sein.
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Es folgten der Synodal-Tomus vom 29. Juni 1850 und zwei Jahre später die Gesetze E und EA vom 9. Juli 1852, die sich großenteils auf den Erlaß vom 23. Juli 1833 stützen. In dem zweiten der obengenannten Gesetze unter der Ziffer EA, dem „Grundgesetz der Heiligen Synode der Kirche von Griechenland", wurde nur mit kleinen und mehr nebensächlichen Veränderungen die Festlegung und Einteilung der Aufgaben der Heiligen Synode wiederholt. Im Artikel 8 desselben Gesetzes, der bestimmt, was zu den inneren Angelegenheiten der Kirche gehört, werden genau dieselben Angelegenheiten genannt, die im Artikel 10 des Erlasses vom 23. Juli 1833 aufgeführt sind. Im Artikel 11, der die äußeren Aufgaben der Heiligen Synode bestimmt, werden vor allem die in Artikel 14, Ziffer 3,6 und 8 jenes Erlasses genannten Angelegenheiten aufgeführt. Das erste unter Ziffer E stehende Gesetz „Uber Diözesen und Bischöfe usw." bestimmt in Artikel 3, daß von der Heiligen Synode, so oft Notwendigkeit besteht, einen Bischof zu weihen, drei Geistliche auszuwählen sind, worauf der König einem von diesen seine Bestätigung erteilt. In der Staatsverfassung vom 17. November 1864 wurden die beiden ersten Artikel der Verfassung von 1844 unverändert wiederholt, mit dem einzigen Unterschied, daß im zweiten Artikel das Wort „in gleicher Weise" durch das Wort „unerschütterlich" ersetzt wurde und daß am Schluß desselben Artikels folgende Verordnung hinzugefügt wurde: „Die Geistlichen der anerkannten Religionen unterhegen derselben staatlichen Aufsicht, der auch die Geistlichen der herrschenden Religion unterhegen." Diese Artikel wurden in der Verfassung vom 1. Juni 1911 unverändert wiederholt, in der Verfassung vom 3. Juni 1927, in der sie in einen Artikel unter der Ziffer 1 zusammengezogen wurden, mit geringen, unwesentlichen, mehr den Wortlaut betreffenden Veränderungen. Die genannten Gesetze E und EA von 1852 hatten fortgesetzt Geltung bis zum 31. Dezember 1923. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie von der damaligen Revolutionsregierung in dem Gesetzeserlaß „Über das Grundgesetz der Heiligen Synode der autokephalen Kirche von Griechenland" aufgehoben. Durch diesen Erlaß wurden vor allem folgende zwei Abänderungen in den bis dahin gültigen kirchlichen Status quo neu eingeführt: erstens, das oberste Verwaltungsorgan der Kirche wurde an Stelle der nun abgeschafften, nur wenige Mitglieder zählenden ständigen Verwaltungs-Synode die Hierarchie der Kirche, die periodisch zu Synoden zusammenkommt; zweitens wurde in bezug auf den Modus der Bischofswahlen bestimmt, daß diese auf Grund einer Kandidatenliste zu vollziehen sind, die von der Hierarchie aufzustellen und vom Minister für
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kirchliche Angelegenheiten zu genehmigen ist. Aus der Kandidatenliste hatte die Hierarchie drei Kandidaten auszuwählen, die in Athen anwesenden Hierarchen bezeichneten dann definitiv einen davon (Art. 21-24). Die Bestimmung bezüglich des königlichen Bevollmächtigten blieb erhalten (Art. 4-6). Im übrigen wurde auch hier (Art. 10 und 1 1 ) die Unterscheidung der Aufgaben der Kirche in äußere und innere wiederholt. Diese Reform war nur kurze Zeit in Kraft. Sie wurde durch den Erlaß vom 26. September 1926 aufgehoben, mit dem die Einrichtung der ständigen Verwaltungssynode (Art. 1) und der Modus der Bischofswahlen durch ebendiese entsprechend den Verordnungen der Gesetze E und ZA (Art. 7) wiederum in Kraft traten. Es folgt das „Grundgesetz der autokephalen Kirche von Griechenland" Nr. 5187 vom 20. Juli 1931, das von dem Gesetz 5438 vom 29. April 1932 abgeändert und ergänzt wurde. Dieses Gesetz, das sich wiederum mit der Heiligen Synode beschäftigt, bestimmt, daß diese aus zwölf Mitgliedern bestehende Synode das ständige Verwaltungsorgan der Kirche ist, während die periodisch zusammentretende Synode der Hierarchie die oberste kirchliche Behörde darstellt (Art. 2-5). Bezüglich der Wahl der Bischöfe bzw. Metropoliten, wie sie nun genannt werden, wurde bestimmt, daß der Minister für religiöse Angelegenheiten aus drei Kandidaten die von allen Hierarchen nach dem dort bestimmten Modus aufgestellt werden, einen auswählt (Art. 10). Die Wahl des Erzbischofs geschieht von einer außerordentlich zusammengerufenen Synode der Hierarchie (Art. 12). Allerdings bestimmte das Notgesetz Ziffer 39, vom 31. August 1936 (Art. 1), daß die Wahl der Metropoliten von der Ständigen Heiligen Synode zu vollziehen sei, die in offener Wahl aus der Kandidatenliste der Hierarchen drei Kandidaten auswählt, von denen einer vom König bestätigt wird. Über die Wahl des Erzbischofs jedoch verfügte das neuere Notgesetz 1457 vom 1. November 1938, daß diese allein von der außerordentlich zusammentretenden Synode der Hierarchie zu geschehen hat. Aus dem Gesagten geht deutlich hervor, daß das leitende Prinzip der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Griechenland das Prinzip des Rechtsstaates ist. Demzufolge übt der Staat nur bezüglich der äußeren Angelegenheiten der Kirche (sacra externa) seine Aufsicht aus, er enthält sich jeder Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten (sacra interna), d. h. in die Angelegenheiten, die das Dogma, die heilige Liturgie, die Pflichten der Geistlichen, die kirchliche Subordination usw. betreffen, er gewährt andererseits der Kirche in besonderer Weise Schutz und Unterstützung. Dieses System und besonders einige bestimmte Verordnungen,
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von denen weiter unten noch die Rede sein wird, wurden von manchen Seiten, vor allem von Theologen, angegriffen, die Kirche ließ diese Verordnungen jedoch bis zum Jahr 1923 zu. Damals, d. h. während der Herrschaft der wegen der Kleinasiatischen Katastrophe ausgebrochenen Militärrevolution, verfolgte und erreichte die Kirche mit der Herausgabe des vorher erwähnten Erlasses der damaligen Revolutionsregierung v o m 31. Dezember 1923 zum ersten Mal eine Neuregelung. Durch diesen Erlaß wurde einerseits die Hierarchie der Kirche zu ihrem obersten Verwaltungsorgan gemacht, und andererseits bestimmt, daß die W a h l der Bischöfe von der Hierarchie zu vollziehen sei. Diese wählt drei Kandidaten aus, von denen dann einer von der Heiligen Synode zu bestätigen ist, statt, wie es vorher 90 Jahre lang gegolten hatte, v o m König. Diese wesentlichen Veränderungen gelten bis heute. W i e schon erwähnt, wurde und wird der genannte Erlaß v o m 23. Juli 1833 unter dem Titel „Proklamation bezüglich der Unabhängigkeit der griechischen Kirche", der ihre Autokephalität proklamiert und ihr erstes Grundgesetz darstellt, von mancher Seite, besonders von Theologen, sehr heftig angegriffen. Es wird behauptet, daß er die Heiligen Kanones verletze und die Unabhängigkeit der Kirche aufhebe. Außer der Proklamation der Unabhängigkeit der Kirche und des Königs als ihres Oberhauptes in Verwaltungsdingen werden vor allem jene Verordnungen dieses Erlasses und der erwähnten Gesetze Z und £ A von 1852 angegriffen, die sich auf die Einsetzung einer Verwaltungs-Synode, auf die Ernennung eines königlichen Bevollmächtigten bei ihr von Seiten der Regierung und auf den Modus der Bischofswahlen, d. h. auf die Ernennung derselben (nach Vorschlag der Synode) seitens der Regierung beziehen. Diese Anschuldigungen wurden schon damals von anderen Theologen und Geistlichen, besonders von Theoklitos Pharmakidis, zurückgewiesen, die ihrerseits folgendes dagegen vorbrachten: Zur ersten Anschuldigung bezüglich der ständigen Verwaltungs-Synode: Die Charakterisierung der Einsetzung der Synode als antikanonisch wäre eine Beleidigung der früheren und jetzigen Vorsitzenden und Mitglieder dieser Synode. Diese, selbst orthodoxe Geistliche, hätten es niemals übernommen, einer antikanonischen Synode vor- oder beizusitzen, deren Entscheidungen keine tatsächliche Geltung zukommt. Und warum sollte die Synode der Kirche von Griechenland antikanonisch sein, die des ökumenischen Patriarchats jedoch kanonisch; Ganz unabhängig von der theoretischen Seite der Frage ist zu sagen, daß das Fehlen einer ständigen Synode als oberster Behörde und kirchlichen Zentrums viele Schwierigkeiten mit sich bringen würde. Darum war die Festlegung einer solchen
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Synode eine Notwendigkeit, zumal die vorgeschlagene Wiederaufrichtung des altkirchlichen Verwaltungssystems praktisch ein verfehltes und unanwendbares Vorgehen gewesen wäre, da es die einheitliche Verwaltung der Kirche unmöglich gemacht hätte. Zur zweiten Anschuldigung bezüglich des königlichen Bevollmächtigten: Abgesehen davon, daß auch in Byzanz im allgemeinen entweder der Kaiser oder sein Bevollmächtigter an den Synoden teilnahm, ist diese Bestimmung für das gute Einvernehmen zwischen Staat und Kirche zweckmäßig. Die Zweckmäßigkeit, ja Notwendigkeit der Bestimmung über den königlichen Bevollmächtigten haben übrigens viele Theologen anerkannt, unter ihnen der konservativste neuere Theologe, Nikolaus Damalas, und auch die Kommission zur Gesetzesvorbereitung, die in den Jahren 1912 bis 1913 zusammentrat und aus Hierarchen und Theologen bestand. Zur dritten bezüglich des Modus der Bischofswahlen: Auch wenn die Teilnahme der Regierung an der Ernennung der Bischöfe antikanonisch wäre, so repräsentiert diese doch zumindest die Meinung des Volkes, das nach den Heiligen Kanones in früherer Zeit an der W a h l der Bischöfe Anteil hatte. Es werden auch in anderen homodoxen Ländern, z. B. in Rumänien, die Bischöfe von einer Synode gewählt, an der dort orthodoxe Parlamentsmitglieder und Senatoren teilnehmen. Zur geforderten Aufhebung der Autokephalität und zur neuerlichen Unterordnung der Kirche von Griechenland unter das Ökumenische Patriarchat sagt Pharmakidis: „ W e r dies fordert unter dem Vorwand, das Patriarchat zu schützen, tatsächlich aber, um die Bande der Kirche zum Staat zu zerreißen, der soll achtgeben, daß er nicht sowohl dem Patriarchat als auch der Kirche und dem Volk im ganzen gefährlich schadet." W e n n auch die mit den obengenannten Gesetzen durchgeführte Organisation der Kirche und die damit eingerichtete Verwaltung nicht in allem in Ubereinstimmung mit den Heiligen Kanones steht, so muß doch andererseits zugegeben werden, daß die heftigen Angriffe, die von einigen Verfechtern der völligen Unabhängigkeit der Kirche gegen die erwähnten Grundgesetze vorgebracht werden, sehr übertrieben sind. Dasselbe gilt von der Anschuldigung, daß die Kirche v o m Staat unterjocht sei. U n d ganz abgesehen davon, daß auch in Byzanz - wie oben aufgeführt wurde - die Kirche keine solch absolute Unabhängigkeit besaß, wie sie jene für richtig halten, werden von ihnen sowohl die inzwischen veränderte Sachlage als auch die heute herrschenden Auffassungen übersehen, deretwegen heute auch bei anderen orthodoxen Kirchen die Organisation und die Verwaltung nicht gänzlich mit den Heiligen Kanones in Über-
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einstimmung stehen. Bei einigen von ihnen ist die Freiheit viel mehr begrenzt als bei uns. Ganz besonders war die Errichtung einer nur wenige Mitglieder zählenden Verwaltungs-Synode eine Notwendigkeit. Das beweisen die T a t sachen ; denn die Ausübung der ganzen Verwaltung der Kirche von der Gesamtheit der Hierarchie wäre heute aus praktischen Gründen sicher nicht leicht. Aus diesem Grund bewährte sich die Einsetzung einer nur wenige Mitglieder zählenden Verwaltungs-Synode auch im Ö k u m e n i schen Patriarchat und in den Kirchen Rußlands und Bulgariens. Im Ökumenischen Patriarchat wurde neben der Heiligen Synode auch ein „Ständiger gemischter Nationalrat" ins Leben gerufen, der sich aus vier Metropoliten und acht der angesehendsten Laien zusammensetzt. Er hat sich um die finanziellen Angelegenheiten des Patriarchats und um alles, was in die Sphäre der bürgerlichen Jurisdiktion gehört, zu kümmern. In einigen anderen orthodoxen Kirchen in Rußland, Serbien, Rumänien, Bulgarien und früher auch in den Metropolien Karlowitz (Kroatien) und Hermannstadt (Siebenbürgen) sind sogenannte „Konsistorien" oder kirchliche Beiräte errichtet worden, die aus Geistlichen und Laienmitgliedern bestehen. Dadurch wurden die Rechte der Bischöfe wesentlich beschränkt. Es verdient besondere Erwähnung, daß der berühmte Gelehrte Adamantius Korais in seinen politischen Ermahnungen an die Griechen die Proklamation der Autokephalität der Griechischen Kirche und die Verwaltung derselben durch eine Synode von Priestern empfiehlt, die von Priestern und Laien zu wählen ist. Er schrieb damals: „Der Klerus des bis heute befreiten Teils von Griechenland darf nicht länger den Patriarchen von Konstantinopel als kirchliches Oberhaupt anerkennen, solange dort die Osmanen herrschen; er sollte von einer Synode von Priestern regiert werden, die in freier W a h l von Priestern und Laien gewählt wird. So machte es die alte Kirche und so macht es die russische Kirche zum Teil noch heute." Die Bestimmung über den königlichen oder Regierungs-Bevollmächtigten anerkannten, wie gesagt, viele der griechischen Theologen als zweckmäßig, unter ihnen auch Nikolaus Damalas. Er schreibt folgendes: „Der Staat, der von Gott die Vollmacht empfangen hat, das ethische Gesetz mit materieller Gewalt zur Anwendung zu bringen, hat die Pflicht, alle in ihm vorhandenen Einrichtungen zu beaufsichtigen und zu überwachen und von allem Tun und Wirken derselben Kenntnis zu n e h m e n . . . Aus diesem Grunde ist es gerechtfertigt, daß der Staat bei der Heiligen Synode einen Bevollmächtigten hat, der von allem ihrem T u n Kenntnis nimmt, in keinem Fall jedoch ist es gerechtfertigt, daß er sich in ihre
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inneren Aufgaben einmischt, indem er ihr legales Wirken in den rein geistlichen Angelegenheiten behindert." Übrigens hat auch die in den Jahren I 9 i 2 b i s i 9 i 3 zur Revision und Abfassung der kirchlichen Gesetzgebung zusammengetretene Kommission aus Hierarchen, Theologen und Juristen die Zweckmäßigkeit dieser Bestimmung anerkannt. In Rumänien nimmt an den Sitzungen der Synode der Minister für religiöse Angelegenheiten mit beratender Stimme teil. In der Metropolie Karlowitz nahm ein königlicher Bevollmächtigter an den Synodalsitzungen teil. In Serbien, Rumänien, früher auch in den Metropolien Bukowina und Dalmatien und in Montenegro mußten die Entscheidungen der Synoden in Angelegenheiten, die nicht rein geistlicher Natur waren, vor ihrer Ausführung vom König bestätigt werden. Mit den Bischofswahlen verhält es sich in den anderen orthodoxen Kirchen so: Teils nehmen Repräsentanten des Volkes daran teil, teils werden drei Kandidaten vorgeschlagen, aus denen der Fürst einen bestätigt, teils werden sie unmittelbar von ihm ernannt, und teils ist die Bestätigung des Gewählten von der Regierung erforderlich. In den letzten 15 Jahren haben sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche noch weiter entwickelt. Nach dem Notgesetz Nr. 671 vom 25. September 1943 (unter Kultusminister Prof. Louvaris) besteht die Kirche Griechenlands aus den Metropolien der autokephalen Kirche Griechenlands (34), sowie auch derjenigen des Ökumenischen Patriarchates, die sich auf griechischem Territorium befinden (32). Ihre höchste Verwaltungsbehörde ist die periodisch zusammentretende Synode aller Metropoliten, die „Heilige Synode der Hierarchie der Kirche Griechenlands". Ihre Vertretung nimmt die „Ständige Heilige Synode der Kirche Griechenlands" wahr (Sitz in Athen). Die „Ständige Synode", diejährlich'vollständig erneuert wird, besteht aus 12 Metropoliten unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Athen und ganz Griechenland. Der großen Synode aller Metropoliten ist die Wahl des Erzbischofs von Athen und ganz Griechenland vorbehalten, die „Ständige Synode" wählt die Metropoliten. Der Kommissar der Regierung wohnt den Sitzungen beider Synoden mit beratender Stimme bei. Für die Verwaltung der Kirchengemeinden und des kirchlichen Vermögens wie auch für das kirchliche Gerichtswesen besteht eine eigene staatliche Gesetzgebung. BIBLIOGRAPHIE A.
Christophilopoulos, Griechisches Kirchenrecht, B . I—III, Athen
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exxÄrjoiaorixov
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PROF. D R . PANAGIOTIS BRATSIOTIS
DIE G E I S T I G E N S T R Ö M U N G E N U N D DIE RELIGIÖSEN B E W E G U N G E N IN DER ORTHODOXEN KIRCHE GRIECHENLANDS
D
ie Orthodoxe Kirche Griechenlands führt zwar ihre Gründung hauptsächlich auf die apostolische Zeit, sogar auf den Heidenapostel Paulus, zurück, kirchenrechtlich gesehen aber ist sie im Jahre 1850 entstanden, und zwar nach der Emanzipierung von dem Ökumenischen Patriarchat, mit dem sie viele Jahrhunderte lang verbunden war. Deswegen sind die historischen und die geistigen Bindungen dieser Tochterkirche mit jener Mutterkirche, der „Großen Kirche Christi" (Megale tou Christou Ekklesia), wie man sie gewöhnlich nennt, enger und stärker als diejenigen, die diese Kirche mit den anderen griechischen Patriarchaten verbinden. Der autokephalen Kirche Griechenlands gehören beinahe 99 Prozent der ganzen Bevölkerung an. U m die geistige Führung des griechischen Volkes stritten bald nach der Befreiung von dem türkischen Joch die altgriechische, die byzantinische und die westeuropäische Kultur. Die absolute Herrschaft hat zwar keine von diesen drei Kulturen zu erringen vermocht, es stand jedoch unter dem parallelen Einfluß dieser drei großen geistigen Mächte. Auch vom Westen her fluteten verschiedenartige Strömungen über dieses Volk, nicht ausgenommen die materialistischen und die positivistischen. Aber die Orthodoxe Kirche Griechenlands ist von jedem schädlichen Einfluß jener Strömungen unversehrt geblieben, und dies sowohl wegen des traditionell konservativen Geistes, der sie wie auch das griechische Volk auszeichnet, wie auch wegen ihres tief gewurzelten Selbstbewußtseins, zusammen mit dem ökumenischen Patriarchat und den anderen griechischen Kirchen der Schatzmeister kat' exochen der Orthodoxie zu sein. Die in dieser Kirche allein herrschenden und charakteristischen geistigen Strömungen haben ihre Quellen in der alten Kirche, von der sie über die Byzantinische Kirche und später (unter dem türkischen Joch) über das Oekumenische Patriarchat in diese Kirche übergeführt worden sind. Diese Strömungen sind der Zug nach der heiligen Tradition einerseits und der asketisch-mystische Zug andererseits. Der Traditionszug bildete schon seit der Gründung der Kirche eines der Hauptkennzeichen derselben, ein Kennzeichen, das seit der Erscheinung der verschiedenen Häresien allmählich stärker akzentuiert wurde und nach dem Glauben an die Trinität und an die eine heilige, katholische
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und apostolische Kirche das stärkste Kohäsionsband der orthodoxen Welt bildet 1 ). Der Zug nach der alten heiligen Tradition, lebendig nicht nur in der Hierarchie und im Klerus, sondern auch im ganzen Pleroma der Orthodoxen Kirche, garantierte die Korrektheit und die Reinheit des Glaubens, die sogenannte Orthodoxie. Die Orthodoxe Kirche ist die Kirche der Tradition kat' exochen. Die heilige Tradition wird in dieser Kirche dynamisch und nicht statisch aufgefaßt, daher ist der übliche Vorwurf, der von den Kirchen des Westens bis zum Beginn unseres Jahrhunderts gegen die Orthodoxie erhoben wurde, ungerechtfertigt: Die Orthodoxe Kirche ermangele des Lebens, ja sogar, sie sei eine „erstarrte Mumie". Die Treue zur heiligen Tradition bedeutet in dieser Kirche nicht einfach ein Festkleben an älteren Perioden der Kirche und an einer äußeren Autorität, sondern sie stellt vielmehr ein lebendiges Band mit der Fülle der kirchlichen Erfahrung der Vergangenheit dar. Die heilige Tradition ist in der Orthodoxen Kirche, ebenso wie die heilige Schrift,Wort Gottes, wie sie es auch in der alten Kirche war. Sie gab ihr die unerschöpfliche Lebensfähigkeit dieser Kirche nicht nur während mehrerer Jahrhunderte unter der fränkischen, venezianischen und türkischen Herrschaft auf dem Balkan und auf den Inseln des östlichen Mittelmeeres, sondern auch während der Dezennien der bolschewistischen Knechtschaft. Andere wichtige - geschichtliche, nicht organische - Gründe sind es, die eine gewisse Stagnation in der ganzen Orthodoxen Kirche mit sich brachten, nicht aber das lebendige Verharren in der Tradition. Stagnierend ist die Orthodoxe Kirche in gewissem Sinne geblieben, aber nicht erstarrt. Im Gegenteil, sie hat sich als lebendig und lebendigmachend, Heilige und Märtyrer heranbildend und anfeuernd erwiesen, besonders in den Verfolgungszeiten2). Dieses Hängen an der Tradition überhaupt, weit davon entfernt, die Orthodoxe Kirche einzuschläfern, erfüllt sie mit immer neuer Kraft, bewahrt ihren Glauben vor der Ausrottung und Verfälschung, verstärkt in ihr das Sendungsbewußtsein in der Welt, und zu gleicher Zeit fördert es die moralische und soziale Befruchtung des Glaubens. Andererseits bedeutet dieses Hängen an der heiligen Tradition weder eine völlige Entfremdung von dem freiheitlichen Geist der alten Kirche, noch ein Verschmähen der alten griechischen (philosophischen und literarischen) Kultur und Tradition als Mittel zum Zwecke der Assimilierung, VerS. Procès Verbaux du 1er Congrès de Theologie orthodoxe Athènes 1939 Pyrsos S. 1 1 8 - 1 2 0 . Es sei hier bemerkt, daß außer dem Judentum auch das Griechentum an der Tradition hing (Thukydides, Isokrates, Xenophon, Plato usw.). 2
) Erzbischof Chrysostomos Papadopoulos,
chisch 1940).
Die Neumärtyrer (2. Auflage grie-
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arbeitung und Befestigung des Glaubens, der Gestaltung des Kultus und der Verwaltung der Orthodoxen Kirche. Diese griechische kulturgeschichtliche Tradition bildete eine Art von Tradition zweiten Ranges in der griechischen Kirche, die auch die Orthodoxe Kirche Griechenlands geerbt hat. Man könnte sagen, daß die Pflege dieser griechischen kulturgeschichtlichen Tradition, die in Byzanz in der Zeit der mazedonischen, komnenischen und Paläologen-Dynastien verstärkt wurde und das Erwachen des griechischen Nationalbewußtseins mit sich brachte, auch unter der türkischen Herrschaft durch die Kirche selbst fortgesetzt wurde und sehr kräftig zur Bewahrung der Sehnsucht und des Dranges nach Befreiung des unterjochten Volkes beitrug. Die Pflege dieser griechischen kulturgeschichtlichen Tradition wurde besonders seit dem 17. Jahrhundert durch die Vermehrung von griechischen Schulen von der südlichen Peloponnes an bis nach Bukarest und Jassi in Rumänien gefördert, in denen neben der Theologie und griechischen Literatur auch die platonische Philosophie gelehrt wurde (Evgenius Voulgaris u. a.). Charakteristisch für die Ehrfurcht der griechischen Kirche und des griechischen Volkes gegenüber dieser gelehrten griechischen Tradition und ebenso auch gegenüber der griechischen Bibel ist, unter anderem, auch der blutige Widerstand der S tudenten der Athener Universität gegen die Übersetzung der Evangelien ins Vulgärgriechische von A. Pallis (1900), die sie in Anbetracht der Heiligkeit des Originaltextes als unziemlich anwien. Wir kehren zur heiligen Tradition der Orthodoxen Kirche zurück und sagen, daß wir gerade dem starren Verharren bei der Orthodoxie den Schutz der autokephalen Kirche Griechenlands vor allen den verderblichen Einflüssen, die das Eindringen der westeuropäischen Kultur in das befreite Griechenland mit sich brachte3), verdanken, und besonders auch die Bewahrung der neugriechischen Theologie vor jedem schädlichen Einfluß der heterodoxen Theologien, und zwar sowohl des westlichen Liberalismus und Modernismus wie auch der westlichen Philosophie und Spekulation. In die griechische Theologie fanden sie keinen Eintritt, wie es leider (nach dem Zugeständnis russischer Theologen) in der russischen Theologie der Fall war 4 ). 3
) Zur Illustrierung sei das Beispiel von Theophil Kaïris (t 1853) erwähnt, dem gelehrten Geistlichen und Schuldirektor, der in Pisa und Paris studiert hatte und unter dem Einfluß von G. Berkeley, Aug. Comte sich vom Christentum entfernte und bald nach der griechischen Befreiung eine neue theistische Religion, von ihm „Theosebeia" (Gottesfurcht) genannt, bei seinen Zöglingen im Waisenhaus einführte. 4 ) Siehe bei G. Florowsky, Westliche Einflüsse in der russischen Theologie in Procès Verbaux du 1er Congrès de Theologie Orthodoxe (1939) S. 226-231.
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Die Ehrfurcht vor der Tradition und der Vorbehalt dem westlichen Liberalismus gegenüberhatte weder die Entwicklung der neugriechischen Theologie gehemmt noch die Entstehung von liberalen Strömungen in dieser Theologie verhindert. Von den älteren philosophischen Systemen war traditionsgemäß der Piatonismus dasjenige, das den größten Einfluß auf das neuere griechische theologische Denken ausübte, wie man besonders in der Dogmatik von Prof. Z. Rossis und sogar in den Schriften des Laien A. Makrakis (s. unten) bemerken kann. Rossis ging so weit, Plato als den griechischen Jesaja zu bezeichnen. Was aber die modernen philosophischen Systeme anbetrifft, war das neugriechische theologische Denken eklektisch, indem es regelmäßig jedes Element, das sich mit der orthodoxen Lehre nicht vertrug, vermied. Es sei bemerkt, daß nicht nur unter der türkischen Herrschaft, sondern auch nach der Befreiung die philosophische Bewegung in Griechenland von Theologen angeführt wurde (Evgenios Vulgaris, Th.Voreas, Chr. Andrutsos, N. Louvaris, Joh. Theodorakopoulos, Ev. Papanoutsos, K. Spetsieris), von denen manche in die Reihen der Philosophen ex officio übergegangen sind, ohne (wenigstens gilt das für die meisten unter ihnen) den orthodoxen Glauben zu verlassen, während die meisten von den anderen neugriechischen Philosophen dem Christentum und sogar der Orthodoxen Kirche günstig gesinnt sind (Phil. Joannou, K. Kotzias, M. Evangelidis, K . Logothetis, P. Patriarcheas, K. Dimitropoulos). Was nun den in der Orthodoxen Kirche Griechenlands herrschenden anderen Hauptzug, den asketisch-mystischen, anbelangt, kann man folgendes bemerken: Dieser Zug war schon ein Kennzeichen der alten Kirche. Er ist durch die byzantinische auf die unterjochte und später befreite griechische Kirche übertragen worden. Sein Hauptträger war das Mönchtum. In Verbindung mit der Pflege der heiligen Tradition hat er der Kirche sehr wertvolle Dienste zur Befruchtung des christlichen Lebens und Bewahrung der Reinheit von Lehre und Ethos geleistet. Man könnte geradezu sagen, daß man in der Stärke dieses Zuges in den griechischen Ländern und besonders auf dem Heiligen Berg Athos, während der byzantinischen Zeit (Lukas in Phokis, Nikon in der Peloponnes, Meletius in Böotien, Christodoulos auf Patmos usw.), den Finger der göttlichen Providenz erblicken darf, wodurch das griechische Volk für die schwersten Prüfungen, die ihm unter der Fremdherrschaft bevorstanden, vorbereitet und während dieser Sturmflut geleitet und erzogen wurde. Jener asketisch-mystische Zug wurde zwar in mancher Hinsicht - zum Teil schon bald nach der Gründung des neugriechischen Staates - durch die Auflösung von vielen Klöstern und den allmählichen Rückgang des Mönchtums eingedämmt. Genälirt von der letzten Burg der Askese, dem
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Heiligen B e r g Athos, entging er aber dem völligen Verfall, ja w u r d e erneuert und in gewissem Sinne vertieft durch die christlichen B e w e gungen v o n Makrakis und der „ Z o e " (s. unten). M i t diesem asketisch-mystischen Z u g , mit der v o n den Vorfahren ererbten starken Frömmigkeit sowie auch mit der lebendigen Tradition v o n der historischen Bedeutung der Griechischen Kirche hängt das A u f treten v o n sehr wichtigen evangelistischen E r w e c k u n g s b e w e g u n g e n in der Orthodoxen Kirche Griechenlands eng zusammen. Sie entstanden schon u m die Mitte des vorigen Jahrhunderts. *
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Z u m besseren Verständnis dieser B e w e g u n g e n ist es nötig, die allgemeine religiöse und geistige Lage des griechischen Volkes v o n der B e f r e i u n g (1829) bis heute zu betrachten. D i e antireligiösen und antispirituellen Strömungen des Materialismus und Positivismus waren nur zu bald auch in dieses Land eingedrungen und drohten, die Grundlagen nicht nur der Kirche, sondern auch des ganzen nationalen Lebens zu untergraben, u m so mehr als dieses Leben durch Jahrhunderte mit der Orthodoxen Kirche verwoben war. Das Gefährlichste war, daß der Geist des praktischen Materialismus durch das Beispiel eines Teils der geistigen Führung auch die übrigen Schichten des Volkes zu durchsetzen begonnen hatte. Das Resultat w a r die allmähliche Entfremdung v o n der Kirche, selbst bei den Kleinbürgern der Provinz. Ahnlich w i e in den westlichen Ländern dauerte diese Entfremdung v o n der Kirche dort auch noch an, als bereits in der Hauptstadt und in den größten Zentren des Landes die Wiederbelebung des religiösen Gefühls begonnen hatte, sich auszubreiten. D i e Entfremdung ging auch noch nach dem ersten Weltkrieg weiter, als unter einem größeren Teil der wirtschaftlichen W e l t und den höheren Gesellschaftsklassen eine spirituelle Neuorientierung eingesetzt hatte. W e g e n der seelischen K r a f t und Frömmigkeit des griechischen Volkes einerseits und w e g e n der 1000jährigen Verbindung des nationalen Lebens mit der Kirche andererseits hat allerdings die Entfremdung des Volkes v o n der Kirche niemals solche Dimensionen angenommen, daß die antichristlichen Gifte den Organismus des Volkes gefährden konnten. Niemals gab es eine völlige Entfremdung v o n der Kirche oder gar eine der Kirche feindlich gesinnte B e w e g u n g . Das hat die am B e g i n n kleine, sich aber ständig steigernde positive Arbeit der Kirche und eines Teiles der geistigen Führung des griechischen Volkes verhindert.
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ihr M ö n c h t u m seiner alten Tradition und seiner heutigen sozialen Sendung entsprechend zu organisieren, hat sie nichtsdestoweniger auf v e r schiedene Weise ihre pastorale Pflicht nach bestem V e r m ö g e n erfüllt. Seit 1945 hilft ihr die neugegründete „Apostoliki D i a k o n i a " , die sozusagen den „Generalstab" der Inneren Mission bildet. Außer ihrer Sorge f ü r die Leitung des Studentenheims der Theologiestudierenden und ihrer organisatorischen Arbeit auf dem Gebiete der Predigt und der Sonntagsschule besorgt sie die Herausgabe v o n verschiedenen Büchern apologetischen und erbaulichen Inhalts. Seit einem Jahr gibt sie den T e x t der griechischen Kirchenväter und kirchlichen Schriftsteller sowie letztens den neutestamentlichen T e x t der offiziellen Ausgabe des Oekumenischen Patriarchats (1903) heraus. Wichtige Dienste auf d e m Gebiete der christlichen Belehrung des griechischen Volkes hat auch die Theologische Fakultät der Athener Universität geleistet. Sie tat dies nicht nur durch die Pflege der orthodoxen Theologie, w o d u r c h sie zum wissenschaftlichen Generalstabe der Kirche, z u m Lehrer ihres Klerus und in mancher Hinsicht auch zum Leiter des religiösen Lebens des Volkes wurde, sondern auch durch die mannigfachen Beiträge ihrer Professoren zur religiösen Bildung des Volkes, w i e andererseits durch die Zurückweisung v o n naturalistischen und überhaupt antichristlichen Ideen. D u r c h diese Fakultät ist Athen zu einem Z e n t r u m f ü r orthodoxe Studien erhoben worden, das Studenten aus den meisten orthodoxen und anderen orientalischen Kirchen zu sich zieht und i m Jahre 1936 Sitz des I. Panorthodoxen Kongresses wurde. So viele Versäumnisse m a n dieser Fakultät auch anrechnen m a g , so w ü r d e man ihr Unrecht tun, wollte man ihre vielseitigen Verdienste u m die orthodoxe Kirche, die Wissenschaft und das griechische V o l k nicht anerkennen 5 ). Gute Dienste leistete der Kirche auch die i m Jahre 1942 gegründete Theologische Fakultät an der Universität in Thessaloniki. Z u erwähnen sind auch die lobenswerten B e m ü h u n g e n der zweiten K ö n i g i n v o n Griechenland, O l g a , einer v o n Geburt aus orthodoxen Prinzessin aus Rußland (f 1926) u m die christliche Ausbildung des Volkes und christliche Liebestätigkeit.
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A b e r die größten Dienste zur gründlichen christlichen Wiederbelebung und Erneuerung des christlichen Volkes haben direkt und indirekt die schon u m die Mitte des vorigen Jahrhunderts emporkommenden christ6 ) D. Balanos, Geschichte der theologischen Fakultät von Athen (Athen, 1931). P. Bratsiotis, Die griechische Theologie in den letzten 50 Jahren (Athen, 1948).
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liehen orthodoxen Bewegungen geleistet, welche zum größten Teil privater Initiative zu verdanken sind. Sie zeichnen sich im allgemeinen durch die besondere Rolle aus, die das Laienelement darin spielt6). Abgesehen von manchen kleineren Erweckungsbewegungen in Griechenland bald nach der Befreiung eines Teiles des Volkes (Christoph. Papoulakos, Kosm. Phlamiatos) war Apostolos Makrakis (f 1905) der erste sehr einflußreiche Erweckungsführer. Als autodidakter Laientheologe zeichnete er sich durch biblische und philosophische (besonders platonische) Ausbildung, Kenntnis der Kirchenväter, prophetischen Eifer, Kampffähigkeit, theokratische Ideen und große dialektische Kraft aus. Seine Persönlichkeit erinnert in gewissem Sinn an Savonarola. Geboren auf der Insel Siphnos (Kykladen), war er in Konstantinopel erzogen worden, wo er in der „Großen Nationalen Schule" (Megale tou Genous Schole) studiert und eine gute religiöse, philologische und philosophische Bildung genossen hatte. Von den griechischen Philosophen hatte ihn besonders Plato angezogen. Durch das beharrliche Lesen der Bibel, von der er viele Bücher später eigenartig erklärte, und das Studium der griechischen Kirchenväter, sowie auch durch das Nachdenken über den Zustand der griechischen Kirche und Nation, kam er zum Resultat, daß nur die christliche Wiedergeburt und Rückkehr zum Weg der ersten Christen mit der heiligen Kommunion als Zentrum des religiösen Lebens die Kirche und die griechische Nation wiederherstellen könnte. Die führende Rolle dabei schrieb er der Orthodoxie zu und meinte, daß die Gesundung der Menschheit vom griechischen Volke ihren Ausgang nehmen müsse. Dies war das Hauptthema und der Sinn seiner ganzen Tätigkeit. Schon im Jahre 1858, d. h. zwei Jahre nach dem Ende des Krimkrieges, der auch die griechische Nation erschüttert hatte, hatte er in Konstantinopel ein originelles Buch unter dem charakteristischen Titel „Offenbarung eines verborgenen Schatzes" herausgegeben. Unter diesem Schatz verstand er Christus und das Evangelium. Es folgte die Veröffentlichung anderer Bücher, in denen sich die allmählich kräftiger formulierte Gewißheit von der führenden Rolle äußerte, die ihm von der götdichen Providenz im Werk des 6 ) W i r sprechen hier nur über genuine griechische und orthodoxe Bewegungen, denen die christliche Erneuerung des Volkes zum größten T e ü zu verdanken ist. D i e nicht durchweg von ehrlichen, evangelistischen Mitteln getragenen proselytischen Bemühungen v o n Seiten mancher römisch-katholischer (unierter) und ebenso mancher denominationeller und anderer protestantischer Kreise haben nichts anderes in unserem Lande vermocht, als einige Proselyten zu gewinnen und hier und da den Frieden der griechischen Volksgemeinschaft zu stören. W i e viel fruchtbarer wären diese nicht ganz billigen Bemühungen gewesen, wenn sie in anderen, weniger christlichen Ländern getan worden wären!
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Wiederaufbaus der Welt zugewiesen worden war. Diese Gewißheit war in ihm durch eine Vision gestärkt worden. Im Jahre 1862 begab er sich nach Paris, wo er zwei Jahre lang als Hauslehrer eines griechischen Bankiers blieb. Hier benutzte er die Gelegenheit, die moderne Philosophie näher kennenzulernen. Er veröffentlichte dort auch einige philosophische Abhandlungen, in denen er die Ausschweifungen der französischen Philosophie bekämpfte und eine christliche Philosophie entgegenzustellen versuchte. Aus Paris kam er nach Athen, wo er auf dem Universitätsplatz drei Reden über die „Politika" Piatons hielt, denen eine zahlreiche Hörerschaft beiwohnte, darunter auch viele Universitätsprofessoren. Von Athen ging er nach Konstantinopel zurück, w o er ein „Memorandum über das Wesen und das fundamentale Gesetz der Kirche Christi" veröffentlichte (1864). In dieser Schrift griff er nicht nur die heterodoxen Kirchen, sondern auch die orthodoxe Geistlichkeit an und rief die Orthodoxe Kirche auf, dem Leben Christi gemäß zu leben. Das Ende der Verfolgungen und der Sieg über die heidnischen Religionen verursachten der Kirche eine fleischliche Hypertrophie, von der sie erst die Türkenherrschaft wieder befreite. Dem eisernen Zeitalter, als dessen Zeitgenosse sich Makrakis fühlte, würde die neue apostolische Zeit folgen, deren Anbruch er begrüßte. In Athen ließ sich Makrakis endgültig 1866 nieder. A m Anfang wohnte er im Kloster Kaisariani am Hymettus, wo er sein Leben mit Gebet und Fasten zubrachte. Von diesem Zufluchtsort aus machte er seine täglichen Besuche in Athen, um das Wort Gottes am Omonia-Platz zu verkündigen. Seine erste Predigt hielt er am 29. Mai 1866, d. h. am Gedächtnistag des Falls von Konstantinopel. Sein Thema war: „Wie kann das Werk der Väter von 1821 (d. h. des griechischen Befreiungs-Aufstandes) am schnellsten und am besten vollendet werden?" Seine Hörerschaft wurde mit der Zeit immer zahlreicher, und so bildete sich eine große Erweckungsbewegung um ihn herum, nicht nur in Athen, sondern auch in der Provinz, die er öfters besuchte. Schon im ersten Jahre seines Auftretens in Athen begann er eine eigene Zeitung unter dem Titel „Gerechtigkeit" herauszugeben, später die Zeitung „Das Wort" mit Artikeln religiösen und patriotischen Inhalts. In ihr erschienen auch Angriffe gegen die Verirrten, besonders gegen die Freimaurerei, wie auch gegen manche kirchliche Behörden, ja selbst gegen die Regierung. Dies hatte zur Folge, daß er wiederholt verhaftet wurde und seiner öffentlichen Wirksamkeit manche Schranken gesetzt wurden. Nach der Geburt des Kronprinzen Konstantin (1868) hielt er mehrere öffentliche Reden, in denen er den Glauben des Volkes an die göttliche
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Bewegungen
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Sendung Konstantins als Wiederhersteller des griechischen Reiches (Konstantin hieß auch der letzte byzantinische Kaiser) verstärken wollte. In diesen Reden betonte er auch die Sendung des griechischen Volkes (auf dem Grunde von Fehldeutungen der Offenbarungjohannes). Schließlich entstanden auch Spannungen mit der Hierarchie der griechischen Kirche, von der Makrakis am Anfang in seinen Erweckungsbemuhungen unterstützt worden war. Seine Vorwürfe wurden Tag für Tag heftiger: die kirchlichen Behörden seien moralisch verfallen, der Staat sittlich verdorben, der öffentliche Unterricht antichristlich usw. Besonders griff er die nationale Universität als „Verfinsterungsanstalt" (Panskotisterion, statt Panepistimion) an und erstrebte die Gründung einer „Christlichen Universität" an ihrer Stelle. Zu diesem Zwecke gründete er seine „Philosophische Schule des Logos", in der er vor zahlreicher Hörerschaft nicht nur die Heilige Schrift erklärte, sondern auch philosophische Vorlesungen hielt. Die Frucht seiner Lehrtätigkeit war eine Anzahl von Kommentaren (Psalmen, Hohes Lied und zum ganzen Neuen Testament), wie auch philosophische Handbücher (Metaphysik, Logik, Ethik) und ein eigenes Erziehungs- und Unterrichtssystem, das vor zehn Jahren in Amerika in englischer Übersetzung auf die Kosten von griechischamerikanischen Bewunderern und Anhängern erschien. Sein Bruch mit den kirchlichen Behörden wurde durch eine Anklage gegen ihn bei der Heiligen Synode wegen Ketzerei (Lehre von drei Elementen im Christen, nämlich Leib, Seele und Geist, usw.) verschärft. Auf Grund dieser von Theologieprofessoren unterstützten Anklage wurde seine Irrlehre von der Heiligen Synode verurteilt. Als Folge dieser Verurteilung, gegen die er sehr heftig protestierte, blieben ihm seine besten Schüler und Mitarbeiter, Geistliche und Laien, fern, unter ihnen der später zum Bischof von Patras geweihte Archimandrit Hierotheos Mitropoulos und der nachmalige Gründer der „Bruderschaft Zoe" (s. unten). So versuchte er sich in der Politik mit einem eigenen christlichen Programm, aber ohne Erfolg. Aber trotz dieser schwachen Seiten und trotz allen Mißerfolgs bleiben manche wichtige Ergebnisse der Erweckungsbewegung von Makrakis unangefochten. Eines davon ist die Bildung eines Mitarbeiterstabes gesegneter evangelistischer Tätigkeit, der auch nach dessen Verurteilung, abgetrennt von ihm, dem griechischen Volke wertvolle Dienste leistete. Aus ihm ging u. a. der bereits erwähnte Führer der größten und erfolgreichsten griechischen christlichen Bewegung (Zoe) hervor. Andere sind die Wiederbelebung des persönlichen Studiums der Heiligen Schrift, die häufigere Kommunion und überhaupt die Spiritualität der Kirche Griechenlands, die Entfaltung eines intensiven apostolischen Eifers, die rege
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
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Pflege der mündlichen und schriftlichen Predigt, sowie auch das Erstarken des Laienelements und Laienapostolats in der griechischen Kirche. Selbst die Übertreibungen und Mißerfolge der temperamentvollen und feurigen Persönlichkeit Makrakis' waren noch nützlich, weil sie die Fortsetzer seines evangelistischen Werkes warnten und sie vor seinen Fehlern bewahrten. Makrakis starb am 25. Dezember 1905 in Athen mitten in seiner Arbeit. Trotz seines Extremismus, seiner Verurteilung, seiner Mißerfolge genoß seine Persönlichkeit so viel Ansehen bei den kirchlichen Behörden und beim Volke, daß die Trauerfeier für ihn in der Kathedrale von Athen stattfand. Nach seinem Tode wurde seine Bewegung von den treugebliebenen Mitarbeitern fortgesetzt und blieb immer im Schöße der Kirche, wenn auch, wenigstens so lange der Meister lebte, als eine ecclesiola in Ecclesia. Im Laufe der Zeit abgeschwächt, existiert sie noch heute, wenn auch die meisten ihrer Anhänger sich anderen religiösen Bewegungen anschlössen. Von diesen soll im folgenden die Rede sein. Das erste erwähnenswerte Ergebnis der Makraki'schen Bewegung war die Gründung des religiösen Vereins „Anaplasis" (Wiederbelebung) i m Jahre 1887 durch einen alten Schüler von Makrakis, den Direktor einer Privatschule, Konstantin Dialismas, (f 1922), mit der Hilfe des Juristen Michael Galanos (f 1948) und anderer frommer Leute, Geistlicher und Laien. Das Protektorat hatte der damalige Kronprinz Konstantin und das Präsidium der hervorragende griechische Rechtslehrer Joh. Skaltsounis (•j-1905). Zweck des Vereins wat die christliche Wiederbelebung der griechischen Gesellschaft und die Stärkung der Kirche. D e m dienten die bis heute tätige gleichnamige Zeitschrift „Anaplasis", viel Publikationen und die in Athen und in der Provinz veranstalteten Predigten von Geistlichen und Laien. Aus der Anaplasis-Bewegung kamen drei andere: Die erste wurde im Jahre 1905 von einem Laien, dem Kaufmann P. Barybobiotis, gegründet und feierte im Jahre 1955 ihr fünfzigjähriges Jubiläum. Die zweite wurde von dem verheirateten Priester Vater Georg Mähris (fi943) in Piräus und die dritte von einem anderen verheirateten Priester, Vater Markos Tsaktanis (f 1924), in Athen gegründet. Vater Makris wendete sich besonders an die Jugend durch die Schaffung von Sonntagsschulen und Bibelkreisen. Aus seiner Bewegung gingen die Hauptkräfte der „Aktines" (s. unten) hervor, u. a. die Seele derselben, der Professor f ü r Handelsrecht an der Juristischen Fakultät der Athener Universität Alex. Tsirindanis. Unter der Leitung des Assistent-Bischofs von Athen, Damaskinos Kotzias, ist diese Bewegung bis heute lebendig. Gleichfalls an die Jugend wendete sich Vater Markos Tsaktanis, und zwar an die Jugend beiderlei Geschlechts. Für sie gründete er Sonntagsschulen
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und Jugendvereine und als Organ dieser Bewegung die Zeitschrift „ N e u e Schöpfung". Der Archimandrit und Universitätsprofessor Chrysostomos Papadopoulos, nachmaliger Erzbischof von Athen (f 193 8), unterstützte diese Bestrebungen. Nach dem frühzeitigen T o d von Vater Markos (1926) übernahm die Fortsetzung seines Werkes ein anderer verheirateter Priester, Vater Angelos Nissiotis, Vorsteher der Kirche „ Z o o dochos P e g e " im Zentrum von Athen. Damit wurde der Sitz der B e w e gung in diese Kirche verlegt. V o n hier dehnte Vater Angelos seinen Wirkungskreis auf Piräus und auf die um Athen verstreuten Siedlungen der Flüchtlinge aus Kleinasien aus. Ferner organisierte er seine Tätigkeit zu einer Pionierarbeit f ü r die griechische christliche Jugend (Predigt in den Fabriken, Sommerlager, evangelistische Ausflüge nach verschiedenen Teilen des Landes, usw.). Außerdem pflegte Vater Angelos in seiner Gemeinschaft auch den christlichen Gesang und hielt die Jugend zur regelmäßigen Teilnahme an den Gottesdiensten, der Beichte und der Heiligen Kommunion an. Erbauliche Schriften und eine Zeitschrift f ü r Kinder, „ D i e Kinderfreude", werden außer der bereits oben erwähnten Zeitschrift herausgegeben. In diese Bewegung gliederte sich im Jahre 1949 die von einem Universitätsprofessor von Athen ins Leben gerufene „Christliche Studentengruppe" ein, welche die christliche Wiederbelebung der Studentenschaft durch Bibelstunden, Pflege der christlichen Weltanschauung und Teilnahme an der Beichte und der Heiligen Kommunion bezweckte. Dieser Verein, der beim Paulusjubiläum von 1951 ein „ S y m p o s i o n " mit Beiträgen von griechischen und fremden Professoren aus verschiedenen Ländern und Kirchen unter dem Titel „ P a u l u s - H e l l a s - Ö k u m e n e " herausgab, arbeitet nicht nur mit der größten griechischen christlichen Studentenvereinigung zusammen, sondern auch mit dem Weltbund der christlichen Studentenvereinigungen in Genf und mit dem neugegründeten „Syndesmos der orthodoxen Jugend" (Sitz in Paris), der i m September 1956 seine erste Konferenz in Athen zusammenrief. A n kleineren Bewegungen, die der Initiative von Pfarrern ihre Entstehung verdanken, ist die schon im Jahre 1870 durch den indirekten Einfluß der Makraki'sehen Erweckung von verheirateten Priestern in Athen und Piräus geschaffene „Synaxis Presbyteron" (Presbyter-Vereinigung) zu nennen. Sie richtete die ersten Sonntagsschulen in Griechenland ein und bemühte sich durch Predigten um die religiöse und sittliche Belehrung des Volkes. Aber trotz der Unterstützung von Universitätsprofessoren und anderen hervorragenden Persönlichkeiten der Athener Gesellschaft war dieser Vereinigung keine Blüte beschieden, weil das kirchliche und überhaupt das geistige Klima jener Zeit dem nicht günstig war.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Aus unserer Zeit ist die evangelistische Jugendarbeit der Archimandriten Timotheos und Titos Mathäakis, des Stephanos Matakoulias und Kyprianos Poulakis in Athen, des Damaskenos Assimakopoulos bei den Flüchtlingen in Nea Nikäa von Piräus, des Priesters Thomas Papajannaopoulos in Patras, des Archimandriten Timotheos Papamichael in Thessaloniki u. a. anzuführen. In den kirchlichen Provinzen der Autokephalen Kirche Griechenlands entstanden unter der Leitung der jeweiligen Bischöfe religiöse Bewegungen mit eigenen kirchlichen Zeitungen. Die wichtigste derselben und vielleicht der Orthodoxen Kirche überhaupt - vom Standpunkt des Geistes, des Aushaltens und der bleibenden Ergebnisse ist und bleibt die vom Archimandriten Eusebius Mathopoulos (f 1929)7) gegründete „ZoeBewegung".
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Eusebius Mathopoulos wurde in einem Dorf in Arkadien als Sohn einer frommen Familie geboren. Er ging als Mönch in das große und historische Kloster Mega Spilaeon bei Kalavryta in der Peloponnes. Unter der geistigen Führung seines Onkels, des Archimandriten Ignatios Lambropoulos, der sich durch große Spiritualität und christliche Tugend auszeichnete, und eines Freundes, Apostolos Makrakis, empfing er seine Bildung. Vater Eusebius kam später als Diakon nach Athen und immatrikulierte sich an der philosophischen Fakultät der Universität Athen. Z u gleicher Zeit trat er in Verbindung mit Makrakis und wurde einer seiner besten Schüler und Mitarbeiter. Nach seiner Ordinierung zum Priester war er der Beichtvater des Makraki'schen Kreises. Er gehörte zu den Geistlichen, die zusammen mit ihrem Lehrer und Führer von der Heiligen Synode verurteilt worden waren und ihre Strafe drei Jahre lang in einem Kloster abbüßen mußten. Mit seinem Onkel, Vater Hierotheos Mitropoulos, später Bischof von Patras (f 1902), fand er die Gelegenheit zur intensiven Lektüre der Kirchenväter. Er bereitete sich durch Selbstprüfung und Meditation auf einen neuen geistlichen Feldzug vor, bei dem er echt evangelische und klügere Methoden als sein fanatischer Lehrer anzuwenden gedachte. Nach seiner Rückkehr aus der Verbannung erbat er zusammen mit den andern verurteilten Geistlichen die Verzeihung der Kirche. Er trennte sich von Makrakis und entfaltete in Gemeinschaft mit seinem obengenannten Onkel eine neue evangelistische Wirksamkeit. Die Predigt des Vaters Eusebius, ausgezeichnet durch biblischen und praktischen Charakter, dem Beispiel der Kirchenväter gemäß auch reich ') Eusebius Mathopoulos bei Seraph. Papakostas. English Translation, published by I. P. C. K. (London 1936).
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durch den Hinweis auf den Himmel versehen, machte auf seine Hörer einen tiefen Eindruck. Sie fesselte die Seelen von einfachen und gebildeten Leuten, zumal sie der Ausdruck und der Erguß eines heiligen, durchaus gottgeweihten Lebens war. Wiederholt hatte er seine Berufung zum Bischof abgelehnt, denn sein Ideal blieb das Bestreben, methodisch vorgehend, mit Erfolg zur geistlichen Wiederbelebung seines Volkes beizutragen. Der Verwirklichung dieses Planes sollte die im Jahre 1907 in Athen erfolgte Gründung einer monastischen Bruderschaft von Theologen unter dem Namen „ Z o e " ( = Leben) dienen. Vater Eusebius erstrebte durch diese Bruderschaft, mit der er zusammenlebte und die unter seiner spirituellen Leitung stand, die allmähliche und stille christliche Wiedergeburt dieses Volkes auf dem Grunde der Heiligen Schrift und der heiligen Tradition, im Rahmen der Kirche und mit dem Segen der offiziellen kirchlichen Behörden. Den ersten Kern dieser Bruderschaft bildeten drei junge Theologen, mit denen Vater Eusebius schon zur Zeit der Universitätsstudien zusammengelebt hatte. Es waren D. Farasoulis, der als Hauptprediger der Kathedrale von Athen im Alter von 34 Jahren starb (fi92o), D. Panajotopoulos und P. Trembelas, der jetzt Universitätsprofessor in Athen ist. Z u ihnen gesellten sich bald Ignaz und Joh. Kollipoulos. Diese eigenartige monastische Bruderschaft, deren Hauptsitz ein Haus in der Hippokratesstraße 189 in Athen ist, zählt heute 135 Mitglieder (35 Geistliche und die übrigen Laien). Alle übernehmen die Verpflichtung, sich nicht in die Verwaltung der Kirche als Bischöfe einzumischen. Außer den ordentlichen Mitgliedern leisten etwa 50 weitere Mitarbeiter, von den gleichen Prinzipien wie jene geleitet und vom selben apostolischen Eifer beseelt, ihre Hilfe. Durch die Heranbildung der Mitglieder zu christlichen Persönlichkeiten und lebendigen Gliedern der orthodoxen Kirche soll die christliche Wiedergeburt des griechischen Volkes erreicht werden. Diesem Zwecke dient die katechetische Tätigkeit, die mündliche und schriftliche Predigt, die Bibelstunde, Seelsorge, Beichte und Heilige Kommunion. Die mündliche Predigt liegt mehreren Predigern ob, die fast in allen Provinzen des Landes zu finden sind und deren Tätigkeit sich selbst bis nach Cypern erstreckt. Dort ist in den letzten 20 Jahren eine lebhafte Bewegung entstanden. Erwähnenswert ist, daß der Nachfolger des Gründers in der Führung der Bruderschaft, Vater Seraphim (t 1954), 25 Jahre lang Hauptprediger der Kathedrale in Athen war. Sein Nachfolger im Amt, Vater Christophoros, ist wiederum Mitglied der heutigen Führung der Bruderschaft. Seine Predigt wird durch den nationalen Rundfunksender über das ganze
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Land verbreitet. Mit gleichem Eifer wird von der Bruderschaft auch durch besonders geschulte gediegene Beichtväter das Sakrament der Beichte gepflegt. Neben der mündlichen Predigt wird auch aufs eifrigste für die Herausgabe von verschiedenen wissenschaftlichen und erbaulichen Schriften für jedes Alter und f ü r alle Gesellschaftsschichten gesorgt. Die Bruderschaft verfügt über eine eigene große Buchdruckerei und mehrere Buchhandlungen in Athen und in den großen Provinzstädten. Seit 1 9 1 1 ist das Hauptorgan der Bruderschaft die Wochenschrift „ Z o e " , weiche heute eine A u f l a g e von 165000 Blättern hat und im Inland, in Cypern und allen Ländern, w o Griechen sind, zirkuliert. Außerdem werden unter zahlreichen anderen Schriften zwei Kommentare zum Neuen Testament herausgegeben, ein kurzer und erbaulicher von dem Gründer der Bruderschaft, Vater Eusebius, und ein mehr wissenschaftlicher und ausführlicher mit den hauptsächlichsten Katenen von Prof. P. Trembelas (in 2 Aufl. 1956). Die größte Verbreitung hat das Hauptwerk des Vaters Eusebius „ D i e Bestimmung des Menschen" gefunden (9 Aufl. mit 65200 E x e m plaren) wie auch die Werke seines Nachfolgers Vater Seraphim, und zwar besonders „ D i e B u ß e " ( 1 1 Aufl. in 173000 Exemplaren), „Vademecum der Liturgie" (Einleitung und Übersetzung der Liturgie, 5 Aufl., 9 1 9 2 6 Exemplare) „Sittlichkeit und Gesundheit" (8 Aufl. in 99272 Exemplaren) usw. Seit 1929 hat die Bruderschaft die Aufgabe einer Bibel-Gesellschaft übernommen. Sie hat die Septuaginta (Griechisches Altes Testament) in drei Auflagen herausgegeben und den Originaltext des Neuen Testaments in 16 Auflagen. Im Jahre 1954 gab der Zoe-Verlag mit dem Segen der Heiligen Synode eine exegetische Paraphrase des Neuen Testaments von Prof. P. Trembelas in 63000 Exemplaren und eine exegetische Paraphrase des Psalters von demselben Professor in 50000 Exemplaren heraus. In den letzten Jahren veranstaltete der Zoe-Verlag Ausstellungen des christlichen Buches in Athen und anderen großen Städten, die von einem zahlreichen Publikum besucht wurden. Seit dem Jahre 1926 erfaßte die Bruderschaft Z o e mit der Genehmigung der heiligen Synode auch die Sonntagsschulen (Katechetische Schulen genannt) in ihrem Arbeitsprogramm und stellt die notwendigen Lehrkräfte und eine ganze Reihe von Hilfsbüchern zur Verfügung. Die Katecheten werden in einem eigenen Katechetenseminar ausgebildet und stehen unter erfahrenen Sonntagsschulinspektoren. Im vorigen Jahre zählte man 23 50 niedere, mitdere und höhere Sonntagsschulen, von denen viele (die meisten arbeiten in den kirchlichen Räumen) über eigene Räume und eigene Leihbibliotheken verfügen.
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Für die arbeitende Jugend gibt es eigene Sonntagsschulen. In Cypern arbeiteten bis vor einem Jahr viele Sonntagsschulen der Bruderschaft „ Z o e " . Parallel zu dieser Arbeit geht die Einrichtung von Schülergruppen mit einem eigenen kirchlichen Arbeitsprogramm. Für die Schüler der Sonntagsschulen wird außer mehreren Erzählungen und erbaulichen Büchern eine spezielle Wochenschrift mit dem Namen „Das Leben des Kindes" herausgegeben. Dazu kommt die Arbeit unter den Studenten in Athen, Thessaloniki und den großen Städten, in denen „Pädagogische Akademien" zu finden sind, in speziell dazu gegründeten Studentenvereinigungen (s. unten). Die ganze Jugendarbeit wird ergänzt durch die der Erholung dienenden Sommerlager und verschiedene Spiele und Ausflüge. Das christliche Leben kommt in der Bruderschaft „ Z o e " durch die Bibelstunde und durch die liturgische Bewegung zum Ausdruck. In Mustergottesdiensten wird außer der regelmäßigen Predigt eine Liturgie mit einer mehr aktiven Beteiligung des Volkes am Kultus an Hand der neugriechischen Übersetzung des Vademecum der Liturgie abgehalten. In diesen Gottesdiensten liest der Priester alle Gebete laut und die Kirchgänger singen und rezitieren das Credo und das Vaterunser zusammen mit den ausgebildeten Kirchensängern. Die Bibelstunde wird auf Grund eines gut ausgearbeiteten Programms in den sogenannten „Freundeskreisen" gepflegt. Aber auch die Pflege der eigentlichen Caritas und der Solidarität wird von der Bruderschaft nicht vernachlässigt, sondern von den obengenannten „Freundeskreisen" und einer eigenen großen Organisation unter dem Namen „Pronoia" (Fürsorge) ausgeübt (s. unten). Als Frucht aller dieser Bemühungen der Bruderschaft sind folgende Organisationen zu erwähnen, die ihre Gründung entweder der Initiative der Bruderschaft selbst oder der von manchen ihrer geistigen Kinder verdanken, in jedem Falle aber unter dem Schutze der Bruderschaft stehen. 1. Der Verein für Innere Mission „Apostel Paulus", im Jahre 1926 von der Bruderschaft „ Z o e " gegründet, um der Verbreitung des Evangeliums im griechischen Volk und dessen christlicher Erziehung zu dienen. Zusammen mit der Bruderschaft ist dieser Verein Eigentümer des Hauses Karytsistraße 14, in dem die meisten der unten noch zu erwähnenden Körperschaften untergebracht sind. Der Fürsorge dieses Vereins verdanken mehrere Studenten- und Studentinnenheime in Athen, Saloniki und Patras und eine Techniker-Schule in Piräus ihr Entstehen und arbeiten unter seinem Schutze. 2. Die monastische Schwesternschaft „Eusebia",
die die allgemeine Sorge für
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
die weiblichen Sonntagsschulen und die Schülerinnen-Gruppen übernommen hat und ihre erzieherische Tätigkeit auch auf die Provinz ausdehnt. 3. Die christliche Vereinigung von Schwestern und Besucherinnen unter dem Namen „Eunike" (II. Timoth. 1, 5). Sie zählt über 500 Mitglieder, welche in den größeren Hospitälern von Athen arbeiten und dort den Kranken außer den Pflegediensten auch den christlichen Trost spenden. 4. Die weihliche Vereinigung „Elpis" (Hoffnung), deren Mitglieder Volksschul- und Gymnasiallehrerinnen sind und sich der Inneren Mission widmen. 5. Die „Panhellenische Elternvereinigung für christliche Erziehung", die sich über das ganze Land verzweigt. Sie dient der christlichen Erziehung der Rinder und will überhaupt die Jugend vor verschiedenen Versuchungen und antichristlichen Einflüssen und sonstigen Gefahren schützen. Diese Aufgabe wird erfüllt durch die Einrichtung von Vorträgen und Bibelstunden für die Eltern, durch die Herausgabe und Verbreitung von geeigneten Büchern für die Kinder und die Jugend, durch die Unterstützung der Sonntagsschulen und die Einrichtung von Sommerlagern für beide Geschlechter. 6. Der Verein „Griechische Paideia", der die christliche Erziehung der griechischen Jugend in eigenen Colleges bezweckt. Die ersten solcher Colleges sind im Jahr 1957 in Athen gegründet worden. 7. Die christliche Lehrer- und Oberlehrervereinigung. Sie soll den öffentlichen Unterricht bzw. das Schulwesen mit den Prinzipien einer christlichen Erziehung durchdringen. Diese Vereinigung arbeitet in der „Fürsorge" (s. unten), in den Sonntagsschulen, Schülergruppen und Freundeskreisen, sowie auch in den Vereinen der arbeitenden Jugend, sie sorgt für die Gründung von Gemeindebibliotheken in der Provinz, für kirchliche Arbeit in den nördlichen Grenzgebieten des Landes (400 Lehrerinnen) und für die jährliche Einberufung von Lehrerkonferenzen. Ihr Organ ist eine eigene Zeitschrift unter dem Namen „Bulletin für christliche Erziehung" mit zahlreichen Abonnenten. 7. Die „Pronoia" (Fürsorge) ist eine Organisation, in der viele von den oben genannten Vereinen der Zoe-Bewegung mitarbeiten, um die christliche Liebe durch die Tat zu beweisen. Dies geschieht durch materielle und geistige Hilfe für die leidenden Mitglieder der Gesellschaft und durch den Beistand zur Lösung der verschiedenartigen Probleme der Familie, besonders der arbeitenden Frau. 8. Die Christliche Studentenvereinigung, welche in ihren männlichen und weiblichen Abteilungen über 2000 Mitglieder zählt und sich um die christliche Ausbildung sowohl ihrer Mitglieder als auch der übrigen
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Studentenschaft kümmert. Dazu richtete sie spezielle christliche V o r träge, Bibelstunden und Gottesdienste f ü r die Studierenden in den verschiedenen Hochschulen des Landes ein. Außerdem helfen die Mitglieder dieser Vereinigung in den Sonntagsschulen, Schülergruppen und Sommerlagern. Das Solidaritätsgefühl kommt in einem besonderen Z w e i g dieser Vereinigung, der „Studentenfürsorge", zum Ausdruck. Die Christliche Studentenvereinigung beteiligt sich zusammen mit der „Christlichen Studentengruppe" an der World Student Christian Federation als Corresponding Member und am neugegründeten „Syndesm o s " der orthodoxen Jugend (s. oben) und spielte die wichtigste Rolle in der Einberufung einer Konferenz in Athen im September 1956. 9. Die Christliche Vereinigung der arbeitenden Jugend. Mit Zentrum Athen hat diese Vereinigung mehrere Abteilungen in den industriellen Gebieten des Landes. Ihr Arbeitsprogramm ist die Veranstaltung von Gottesdiensten und besonderen christlichen Lehrstunden, die Einrichtung von Bibel- und Freundeskreisen und Sommerlagern, die Verbreitung von guten Büchern usw. 10. Die Christliche Wissenschaftler-Vereinigung, in der alle Wissenschaften vertreten sind. Sie bezweckt die Verbreitung, Pflege und Verteidigung der Prinzipien der christlichen Kultur. Ihr Organ ist die seit 1936 monatlich erscheinende Kulturzeitschrift „Aktines" (Strahlen), die heute in 15000 Exemplaren zirkuliert und Beiträge bekannter hiesiger und ausländischer Wissenschafder enthält. Durch gemeinverständliche Vorträge und Publikationen leistet diese Vereinigung der griechischen Gesellschaft wichtige Dienste. Außerdem gab sie Weihnachten 1946 das „Manifest der Griechischen Wissenschaftler f ü r das griechische V o l k " heraus (150000 Exemplare). Darin werden Irrtümer und Lügen der ungläubigen Wissenschaft aufgedeckt und verderbliche Theorien bekämpft, andererseits die Harmonie des Christentums mit der modernen Wissenschaft illustriert. Die englische Übersetzung dieses Manifestes fand auch im Auslande eine gute Aufnahme. Im Jahre 1950 hat diese Vereinigung ein neues Werk unter dem Titel „Towards a Christian Civilisadon" herausgegeben. Sie zeigt darin die schwachen Seiten der modernen Zivilisation und greift sie an und skizziert den Ausbau einer christlichen Kultur. - Außerdem beteiligt sich diese Vereinigung in den letzten Jahren kräftig an der christlich-sozialen Bewegung des Landes. Demselben Kreis gehören auch zwei von dem Psychiater Dr. Aristos Aspiotis gegründete Institute an, die er selbst leitet und die in enger B e ziehung miteinander stehen: 1. Das Institut für medizinische Psychologie und seelische Hygiene, gegründet
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht
i m Jahre 1951. Es gibt eine Reihe v o n Studien unter d e m Titel „ P s y c h o logie und L e b e n " . 2. Das „Zentrum
der sozialen Ausbildung
der Griechin",
gegründet i m
Jahre 1953 z u m Z w e c k der geistigen und sozialen Ausbildung und E r h ö h u n g der griechischen Frau. Ihr O r g a n ist „ D i e W e l t der Griechin", welches in 10000 Exemplaren zirkuliert. *
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V o n nennenswerten christlichen Laienbewegungen in der O r t h o d o x e n Kirche Griechenlands seien hier die bedeutendsten erwähnt: 1. Die christlich-soziale Vereinigung. Sie w u r d e i m Jahre 1932 v o n einem Universitätsprofessor der Medizinischen Fakultät (Dr. Arist.
Kousis),
einem Oberrichter (Dr. P. Poulitsas) und einem Professor der T h e o l o gischen Fakultät gegründet. Mitglieder sind bekannte Leute der Athener Gesellschaft, Vertreter der Kirche, der Wissenschaft, der A r m e e , der Industrie, des Handels usw. D i e Vereinigung w i l l zur A n w e n d u n g der sozialen Prinzipien des Evangeliums mit besonderer Rücksicht auf die ökonomische Organisierung der griechischen Gesellschaft beitragen. D e r A u f r u f , sich u m die v o n dieser Vereinigung erhobene Fahne des sozialen Christentums zu scharen, blieb nicht ohne Widerhall in den v o r w i e g e n d christlich gesinnten Kreisen des griechischen Volkes. Das erste W e r k dieser Vereinigung w a r die Gründung des „Griechischen Instituts f ü r Krebsforschung", einzig in seiner A r t i m ganzen N a h e n Orient. Ferner entstand der „ A k a d e m i s c h e soziale V e r e i n " und der „Christlich-Soziale Kreis", in dem eine Gruppe v o n T h e o l o g e n , Nationalökonomen, Soziologen und Historikern soziale Studien unter d e m Lichte des Evangeliums treibt. Ein Teil des Ergebnisses derselben ist i m Jahre 1950 in einem B u c h erschienen. In Zusammenarbeit mit der oben erwähnten „Christlichen Wissenschaftler-Vereinigung" hat der „Christlich-Soziale Kreis" die „Erste Konferenz für Griechisch-Christliche K u l t u r " vorbereitet. Sie fand v o m 16. bis 23. M a i 1956 unter d e m Ehrenpräsidium des Erzbischofs v o n A t h e n und unter dem Präsidium v o n D r . med. M . Geroulanos in der Aula der Athener Universität statt. D i e Konferenz, an der Vertreter der Kirche, der Regierung, der beiden Universitäten, der A k a d e m i e der Wissenschaften und aller Hochschulen teilnahmen, w u r d e v o m Staate finanziell unterstützt. N a c h einem gefaßten Beschluß soll diese K o n f e renz eine dauernde Institution sein und alle drei Jahre zusammentreten. Kürzlich sind die A k t e n des I. Kongresses f ü r Griechisch-Christliche Kultur in einem B a n d v o n 340 Seiten erschienen (Verlag Kleisiounis, Athen).
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Bewegungen
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Im vorigen Jahr hat die Heilige Synode der Kirche von Griechenland in Anerkennung der bisher geleisteten Arbeit dem Christlich-Sozialen Kreise ihren Segen erteilt und ihren Dank ausgesprochen. Ferner bat sie ihn, sich auch weiterhin mit den brennenden sozialen Fragen zu befassen und ihr jeweils die Ergebnisse seiner Untersuchungen vorzulegen. Das Resultat aller dieser christlich-sozialen Arbeit ist eine nicht zu unterschätzende christlich-soziale Bewegung, die sich fern von der Politik gehalten hat, obwohl sie in ihrem Schoß auch bedeutende Politiker birgt. 2. Die „Orthodoxe Christliche Ecke", gegründet in der Besatzungszeit im Jahre 1942 von einer Dame, der Chemikerin Ch. Makrykostas, Tochter eines der besten Chirurgen von Athen. Sie setzte sich die Ausübung der Liebestätigkeit und die christliche Erneuerung der Stadt Athen im Geiste der Orthodoxen Kirche zum Ziel. Bald schlössen sich dieser Bewegung Aristotelis Peppas, Generaldirektor des Finanzministeriums, mit seinen beiden Brüdern und noch andere Personen der höheren Gesellschaftsklassen an. Von der Bedeutung dieser neuen christlichen Bewegung zeugt die Tatsache, daß der Senat der Athener Universität seit 1946 dieser Bewegung jeden Sonntagnachmittag die Abhaltung von christlichen Vorträgen in dem größten Hörsaal der Juristischen Fakultät gestattet. 3. Endlich ist noch die Organisation ,,Christianikon Phos" (Christliches Licht) zu erwähnen. Sie steht unter dem Schutz König Pauls, der ihr für die Geschäftsstelle ein Haus in der Nähe des Palastes zur Verfügung gestellt hat. Das Präsidium hat der größte Chirurg von Griechenland, Prof. Dr. M. Geroulanos. In geräuschloser und methodischer Arbeit bemüht sich diese Vereinigung um das geistige und soziale Hochkommen des griechischen Volkes. Sie erstrebt die Stärkung des Solidaritätsgefühls gemäß den Prinzipien des Christentums. In Zusammenarbeit mit anderen verwandten Institutionen dehnt sich diese Bewegung immer weiter auf die Provinz aus und verspricht viel Gutes für das Wohl des griechischen Volkes. Träger von religiösen Bewegungen in der Kirche Griechenlands sind auch die vielen religiösen Zeitschriften, die von den Bischöfen und verschiedenen kleinen Laienorganisationen bzw. von einzelnen Laien in Athen und in den Provinzen gegründet worden sind.
• • • Das Ergebnis aller dieser christlichen Bewegungen in der autokephalen Kirche Griechenlands ist trotz aller eventueller Fehltritte und Unvollkommenheiten und trotz etwaiger Reaktion ihr sehr wichtiger Beitrag zur Wiederbelebung des religiösen Gefühls und der kirchlichen
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
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Frömmigkeit, zur Verstärkung des Durstes nach dem Worte Gottes und zur Verbreitung der Bibel beim griechischen Volk. So wird die Vermehrung der Zahl der zum Gottesdienst überhaupt und zur Heiligen Kommunion Kommenden erreicht und ein erhöhtes Interesse für Christentum und Kirche unter den Herankommenden, besonders in der Hauptstadt und in den größeren Städten, bewirkt, wie auch ein erhöhtes Interesse für Christentum und Kirche unter den Gebildeten und damit allgemein die allmähliche chrisdiche Wiedergeburt des griechischen Volkes. Ohne Zweifel ist das von diesen Bewegungen und der Kirche in dieser Richtung vollzogene Werk sehr groß und sehr wichtig, und die zu seiner Fortsetzung und Vervollständigung noch zu überwindenden Schwierigkeiten sind erheblich. Zwar steht ein großer Teil der Bevölkerung unter dem heilsamen Einfluß der Kirche und des Evangeliums und ist bereit, an der Förderung des evangelistischen Werkes mitzuarbeiten. Ein Teil bleibt aber auch religiös indifferent und ein großer Teil treibt mehr oder weniger Lippenkult und bietet so einen günstigen Boden für die Entwicklung antichristlicher Ideen. Andererseits ist der Teil der Bevölkerung, der von physiokratischen und antichristlichen Ideen beherrscht oder beeinflußt wird, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl kleiner als in anderen Ländern, aber jedenfalls nicht zu unterschätzen. Diese Bewegungen sind also der Kirche unentbehrlich, besonders in der Nutzbarmachung des Laienelements, die der ehrwürdigen Tradition der alten und der Orthodoxen Kirche gemäß ist. Sie entsprechen auch dem sowohl in der römisch-katholischen wie auch in der protestantischen, das heißt, der ökumenischen Kirche herrschenden neuen Klima der intensiven Verwendung des Laienelements zur effektiven Konfrontierung der der Kirche heute drohenden Gefahren und zur Reevangelisation des Volkes. Jedenfalls glauben wir, daß das oben in aller Kürze über diese Bewegungen Gesagte genügt, um den unbefangenen Leser zu überzeugen, daß der übliche Vorwurf gegen die orthodoxe Kirche, sie entbehre der Spiritualität und sei nichts anderes als eine „erstarrte Mumie", durchaus nicht berechtigt ist. BIBLIOGRAPHIE V. Stephanidis, G. Konidaris,
Kirchengeschichte (griech.), Athen 1948. Kurzgefaßte Kirchengeschichte Griechenlands (griech.), Athen
1938. P. Bratsiotis,
The Evangelistic W o r k of the Contemporary Greek Orthodox
Church (The Christ. East, Vol. i, N . Series N r . 1, 1950).
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Ders., Die griechische Theologie in den letzten 50 Jahren (griech.), Athen 1948. Chr. Papadopoulos, Kirchengeschichte Griechenlands (griech.), Athen 1950. G. Dejaifve, Le revival de l'Eglise Orthodoxe de Grece (Annee 87, Tome 77, Nr. 4, Avril 1955). J. Kotsonis, New Life in the Church of Greece (World Dominion and the World to Day, May-June 1951, P. 170 ff.). E. Timiadis, Religious Recovery in Greece (World Christian Digest, October I95I, P- 50 ff).
D R . THEOL. A N D R E A S T H E O D O R O U
DAS M Ö N C H T U M DER ORTHODOXEN OSTKIRCHE
Vorwort
D
as M ö n c h t u m bildete in der Orthodoxen Ostkirche von jeher eine geistige und geistliche Bewegung von größter Bedeutung, und das nicht nur für die Frömmigkeit der breiten Masse des Kirchenvolkes, mit der es stets aufs engste verbunden war. Vielmehr war es durch die Jahrhunderte hindurch auch von unabsehbarem Einfluß sowohl auf die Kirche selbst wie auch auf die wechselvolle Geschichte und das Leben der orthodoxen Völker. Aus den Idealen des christlichen Glaubens gespeist, war es ein edler und blühender Sproß der Kirche. U n d in seinem Schatten sollte die Mutter Kirche die Beharrlichkeit finden zu leben und zu kämpfen. V o m Geist der christlichen sittlichen Vollkommenheit entzündet, strebte das M ö n c h tum danach, dem „engelgleichen" Leben auf Erden eine Heimstatt zu bereiten. So machte es die Einsiedeleien zu Stätten der Heiligung, zu Arenen geistlichen Kämpfens und Ringens, zu Tempeln der Tugend und der mystischen Kontemplation. Viele Kritiker des Mönchtums haben ihm jeden Nutzen und Einfluß auf die Gesellschaft absprechen wollen. D o c h sehr zu Unrecht. Denn von jeher wußte es mit der „ T h e o r i e " des klösterlichen Lebens und der Askese eine ganz eminent „soziale" Verantwortung und Wirksamkeit zu verbinden. Die mönchischen Ideale waren die leuchtenden Leitbilder des ganzen Kirchenvolkes. Die Gestalten der Eremiten erschütterten die Seele des Volkes aufs tiefste, riefen seine Bewunderung hervor und bestärkten es in seinem Heiligungsstreben. Die Klöster und Einsiedeleien waren Häfen des Friedens. Dorthin nahmen die Christen aus den Stürmen der W e l t ihre Zuflucht. D o r t erhofften sie sich seelische Erleichterung und Stärkung für ihren Lebenskampfund ihren Glauben. I m M ö n c h tum fand die Kirche einen wertvollen Mitarbeiter bei der Verfolgung ihrer Ziele und einen starken Rückhalt bei der Fülle der unvorhergesehenen Wendungen, die ihre Geschichte genommen hat. Aus dem M ö n c h tum gingen hervorragende Kirchenführer hervor. Das M ö n c h t u m war es auch, das der Kirche beisprang, sooft die Grundlagen des Glaubens bedroht wurden, und das mit ihr zusammen ihre Feinde bekämpfte. Ferner ist dem Mönchtum die Förderung der theologischen Wissen-
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Das Mönchtum der orthodoxen Ostkirche
Schäften und der christlichen Kunst zu danken, wie es schließlich auch der Hort der nationalen Hoffnungen war, sooft sich die orthodoxen Länder in der Knechtschaft fremder und nichtchristlicher Völker befanden. In dem engen Rahmen, der dieser Arbeit gesteckt ist, werden wir nicht mehr als eine grobe Skizze der Entstehung und der Entwicklung des Mönchtums geben können. Dazu sollen in möglichster Kürze die m ö n chischen Ideale beschrieben und soll erwähnt werden, was das Mönchtum an Segen f ü r Kirche und V o l k bedeutet hat.
I Geschichte des Mönchtums in der Orthodoxen
Ostkirche
1 . Die Ostkirche kann als Heimat des Mönchtums betrachtet werden. U m die Mitte des dritten Jahrhunderts n. C h r . tritt es zum ersten Mal in Erscheinung. U n d zwar ist seine W i e g e Ägypten. Jedoch waren die Grundtendenzen des Mönchtums w i e die Enthaltsamkeit, die Ehelosigkeit, die Selbstverleugnung und die sittliche Strenge auch schon unter den ersten Christen wirksam, die in einer heidnischen U m g e b u n g lebten. Diese ersten christlichen Asketen 1 ), die erfüllt sind v o m christlichen Ideal, leben zwar i m Schoß der christlichen Gemeinde. D o c h v o n der heidnischen U m w e l t wissen sie sich durch die christliche Enthaltsamkeit scharf geschieden. Besonders w u r d e diese Enthaltsamkeit v o n bestimmten Christen als ernste Forderung erhoben und übernommen, als u m die Mitte des zweiten Jahrhunderts ein erster schwerer sittlicher Verfall in den christlichen Gemeinden einsetzte. Seit der Zeit der Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Decius (250 n. Chr.) verlassen die Asketen die menschliche Gemeinschaft und ziehen sich in wüste, unbewohnte Gegenden zurück. Hier sind sie unabgelenkt und fern von den Versuchungen der „ W e l t " und rüsten sie sich in strengster Askese und i m K a m p f gegen das „Fleisch" und seine Gesinnung. Ziel und höchstes Ideal ihrer Askese ist die „Leidenschaftslosigkeit" (Apathie), d. h. die Ertötung der fleischlichen Lüste und G e danken, und die geistliche Vollkommenheit. J
) Hauptvertreter dieser asketischen Frömmigkeit ist wohl Orígenes (185-254), der zugleich großer Asket und Theologe war und als Bindeglied zwischen dem alten Askctentum und dem werdenden Mönchtum, als „Vorläufer des Mönchtums", angesehen werden kann ( W . Völker, Das Vollkommenheitsideal des Orígenes, Tübingen 1 9 3 1 , S. 180, 60).
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Dies, daß die Asketen die Städte verlassen und in der Einsamkeit leben, ist die erste Gestalt des eigentlichen Mönchtums. Sie ist bekannt als Anachoretentum. Ein erstes Beispiel eines christlichen Anachoreten haben wir in Paulus von Theben in Ägypten. Doch als der eigentliche Vater des Anachoretentums wird Antonius der Große in Mittelägypten angesehen (um 285). Antonius lebte zurückgezogen in einer Höhle in angespannter Askese und stand bald im Ruf eines großen Heiligen und Asketen, so daß ganze Scharen von Eremiten und Mönchen ihn aufsuchten und sich in seiner Umgebung niederließen. Man nennt eine solche Mönchsniederlassung „Laura". Hier haben wir die erste mönchische Gemeinschaft in der Wüste, die einem einheitlichen geistlichen Vater und Inspirator, dem heiligen Antonius, unterstand. Das Ende der Christenverfolgungen unter Konstantin dem Großen (306 bis 337) und die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion unter seinen Nachfolgern hatte zur Kehrseite ein gewisses Absinken des sittlichen Niveaus der Kirche. Das ist auch für die Entwicklung des Mönchtums von großer Bedeutung. Denn alle die, die sich mit diesen neuen Verhältnissen nicht abfinden konnten, verließen die Welt und wurden Mönche. Auf diese Weise nahm die Zahl der Mönche und Mönchssiedlungen sprunghaft zu. Zweien von diesen kommt besondere Bedeutung zu. Die eine lag auf dem Berg von Nitria. Als ihr Gründer gilt Ammonios (gest. vor 356). Die andere wurde von Makarius dem Großen (gest. um 390) gegründet und lag in der sketischen Wüste. In diesen Lauren unterstanden die Mönche einer einheitlichen Leitung und waren zur Befolgung allgemeiner Regeln verpflichtet. Jedoch bewohnte jeder Mönch seine eigene Zelle und bestimmte und regelte seine Askese in völliger Freiheit. 2. Einen bedeutsamen Schritt vorwärts in der Entwicklung des Mönchtums bedeutete das sogenannte „Coenobium" (d. h. das geregelte Zusammenleben der Mönche in einem Kloster). Als Vater des Coenobiums wird gewöhnlich die zweite große mönchische Erscheinung nach Antonius, nämlich Pachomius, angesehen. Von dem sehr strengen Asketen Palameon im asketischen Leben unterwiesen, gründete er etwa um 320 das erste Kloster im eigentlichen Sinne in Tabennisi am Ostufer des Nil. Später gründete er noch ein zweites in Pabau nach dem Vorbild des ersten, das auch der Sitz der Verwaltung aller Pachomius unterstehender Klöster wurde. Pachomius zeichneten nicht nur eine tiefe Frömmigkeit und ein hochgespanntes mönchisches Ideal aus, sondern auch ungewöhnliche organisatorische Gaben. Er sammelte und organisierte das Mönchtum zu einer wirklichen Gemeinschaft. Sicher war das mönchische Ideal im Coenobium grundsätzlich das gleiche wie in den Lauren. Doch waren
Das Mönchtum der orthodoxen Ostkirche
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die Anforderungen etwas ermäßigt, insofern in dem Coenobium des Pachomius neben den strengen Asketen auch die „Kleinen" lebten, die nicht die gleiche Höhe asketischen Lebens zu erreichen und nicht die gleiche Strenge durchzuhalten vermochten2). Pachomius verfaßte auch die erste Mönchsregel3), auf deren Grundlage das Leben seiner Klöster geregelt wurde. Danach schuldeten die Mönche ihren Äbten absoluten Gehorsam, versammelten sich zu gemeinsamen Gebet jeden Morgen und Abend, arbeiteten gemeinsam und teilten Einnahmen und Ausgaben. Außerdem hatten sie ihre Mahlzeiten gemeinsam und trugen eine einheitliche Kleidung. Jeden Samstag und Sonntag wurde in den Klöstern das Heilige Abendmahl gefeiert. Die Mönche waren besitzlos. Jeglicher eigene Besitz wurde der Klostergemeinschaft zugeführt. Und besondere Vorsteher teilten den Mönchen mit, was sie nötig hatten. Freilich gab es noch keine Mönchsgelübde. Folglich waren die Mönche nicht verpflichtet, auf Lebenszeit in diesem Stande zu verbleiben. - Pachomius schuf und organisierte das coenobitische Mönchtum mehr auf Grund seiner Erfahrung und aus mehr praktischen Motiven. Doch eine Theorie des Mönchtums hat er nicht geliefert. Dies sollte erst durch Basilius den Großen (gest. 379) geschehen, der auch als der eigentliche Gründer des griechischen christlichen Mönchtums gelten kann. Das mönchische Leben lernte Basilius der Große in Syrien und Palästina kennen. Doch setzte er sich von Anfang an für die coenobitische Form ein. Sein Beitrag zur Hebung des Mönchswesens ist unschätzbar. Hier ist vor allem seine Mönchsregel zu nennen (und zwar die „ausführlichen Regeln" und die „kurzen Regeln"). Bedeutsam waren auch die harmonische Verbindung von Frömmigkeit und wissenschaftlicher Bildung, die im basilianischen Mönchtum angestrebt wurde, ferner die Betätigung der Nächstenliebe, die er von seinen Mönchen forderte, sowie schließlich die Tatsache, daß er als erster Klöster in der Nähe der Städte baute. Durch seine Vielseitigkeit erwies sich dieser heilige Mönchsvater tatsächlich als der größte Theoretiker und Gesetzgeber des Mönchtums innerhalb der Orthodoxen Ostkirche bis zum heutigen Tag. Die Theorie Basilius' des Großen über das Mönchstum ist von zwei großen, grundlegenden Prinzipien bestimmt: Einerseits ist es das zu erstrebende Ziel des mönchischen Lebens, daß der Mönch in der vollkommenen Apathie Gott ähnlich werde. Andererseits ist die Liebe zu Gott und dem Nächsten gefordert, welche auch die Seele des mönchischen Zusammenlebens im Kloster ist. Basilius der Große beobachtete, a s
) Vgl. Historia Lausiaca, herausg. Butler, S. 92 f. ) Pachomii Regula monastica, herausg. B. Albers, 1923.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
liehen Gaben) unfruchtbar bleiben, während die Gebote Christi in der klösterlichen Gemeinschaft leichter zu erfüllen sind, weil hier die einzelnen Glieder in geistlichem Austausch stehen. Das Coenobium muß in sich die erste Gemeinde der Gläubigen wiederherstellen, welche „ein Herz und eine Seele waren; und auch nicht einer sagte, daß etwas von seinem Besitz sein eigen sei, sondern alles war ihnen gemeinsam" (Apostelgesch. 4,23). Die klösterliche Gemeinschaft muß ein Bild des mystischen Leibes Christi sein, in welchem infolge der gegenseitigen Abhängigkeit der Glieder die Vielzahl der einzelnen Teilhaber der Gemeinschaft durch die Liebe zu einer geistigen Einheit geführt wird. Im Sinne dieser Prinzipien Basilius' regelte sich stets das Leben der klösterlichen Gemeinschaften bis in die kleinsten Einzelheiten. In ihnen lebten die Mönche streng unter einem Dach, hatten sie den gleichen Tisch, den gleichen Abt, teilten sie die gleiche Arbeit und fanden sie sich zu gemeinsamem Gebet zusammen. Ebenso erhielt auch das geistlich-asketische Leben der Mönche in dem Coenobium eine einheitliche Form. Das Ideal des Anachoretentums sah Basilius als schwer erreichbar an, seine Ubersteigerung hat er oft verurteilt4). Die Askese hat danach zur Erhöhung und Veredelung der Natur und nicht zu ihrer Zerstörung zu führen. Mit anderen Worten: die Ausgeglichenheit, die Symmetrie ist das wahre Ziel der Askese5). Hingegen schaden die Übertreibungen nur der Seele, sofern sie ihr nicht die Freiheit lassen, sich in die obere Welt zu erheben6). Außerdem erblickte 4 ) Solche Übersteigerungen, aus enthusiastischen Tendenzen herrührend, wies die Bewegung um Eustathius von Sebaste auf. Dieser hatte das Mönchtum aus Ägypten in die nordöstlichen Provinzen von Kleinasien eingeführt. Diese B e wegung verurteilte die Ehe und den Fleischgenuß und wollte allen Christen, besonders aber den Klerikern das mönchische Leben zur Auflage machen. Sie verwarfen die von verheirateten Priestern gespendeten Sakramente, lehnten die kirchlichen Versammlungen zu Ehren der Märtyrer ab und sahen sich selbst als die wahren Märtyrer an, die ein lebenslängliches Martyrium auf sich genommen hatten. Sie wurden von der Synode von Gangra (343) verurteilt. - Ähnliches gilt von den Messalianern (um 350). Diese trennten sich zwar nicht von der Kirche. Doch schätzten sie deren Zeremonien und Sakramente gering. Ihr Hauptcharakteristikum ist, daß sie in anhaltendem Gebet lebten. Daher rührt auch ihr Name! Weiterhin glaubten sie, in unmittelbarer Verbindung mit Gott zu stehen und die Fähigkeit zur Prophetie zu besitzen. Sie verwarfen die Arbeit und zogen umher, indem sie sich erbettelten und beschafften, was sie zum Leben brauchten. Sie wurden von der II. Ökumenischen Synode von Ephesus verurteilt. 6
) „ D i e beste Bedingung und Richtschnur der Mäßigung sei diese: weder auf Weichlichkeit noch auf übermäßige Strapazen zu sehen, sondern beidesmal die Maßlosigkeit zu vermeiden" (3. asketische Rede; Migne P. G. 3 1 , S. 976).
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daß bei einem asketischen Leben in der Einsiedelei die Charismen (geistBasilius in der Übersteigerung auch niedere Motive wie zänkische Ruhmsucht und Selbstgefälligkeit 7 ). - Dies alles vor Augen, gab er der Askese der coenobitischen Mönche durch seine Regel eine einheitliche Form. Freilich trug er darin auch den Ausnahmen Rechnung. Man konnte sich nämlich, wenn man wollte, auch strengerer Übungen unterziehen, als vorgeschrieben waren. Jedoch war dies dem Vorsteher mitzuteilen. Und erst nach dessen Erlaubnis konnte diese überpflichtmäßige Askese beginnen8). - Wir sehen, das basilianische Mönchtum weist kaum noch eine Gemeinsamkeit mit dem Anachoretentum auf. Im Vergleich mit dem pachomianischen Coenobium aber zeichnet es sich durch strengere Uniformität und durch ein wesentlich stärkeres Einwirken der Äbte und Vorsteher auf das Leben der Mönche aus. Dies wird auch durch die berühmte Anordnung des Basilius bezeugt, nach der die Mönche verpflichtet sind, alles, auch die geheimsten Herzensregungen, dem Vorsteher zu beichten9). 3. Von Ägypten aus griff das Mönchtum rasch auch auf die Sinaihalbinsel über. Hier standen bald bedeutende Klöster in hoher Blüte, aus denen so große Mönchsgestalten wie Nilus Sinaites und Johannes Climacus hervorgingen. Ein weiteres, gleichfalls hochbedeutendes Zentrum des Mönchtums im Orient war Palästina, als dessen Vertreter nur Euthymius (gest. 473), Sabbas (gest. 532) und Theodosius (gest. 529) genannt seien. Die Zahl der palästinischen Klöster und Lauren belief sich auf etwa hundert, deren Mönche lebhaften Anteil nahmen an den großen theologischen Auseinandersetzungen jener Jahrhunderte (Origenistischer, Christologischer und Bilderstreit). Andere Mönchszentren waren Kappadokien, Syrien, Kleinasien, Zypern und Konstantinopel. Eine besondere Ausgestaltung erfuhr das coenobitische Mönchtum durch die im 5. Jahrhundert auftretenden Akoimeten 10 ). Deren Führer, Alexander, hatte in Syrien und Mesopotamien als Einsiedler gelebt. Danach gründete er (zwischen 420 und 430) das Kloster der Akoimeten auf der kleinasiatischen Seite der Bosporuseinfahrt. Später (463) rief der Römer Studios in Konstantinopel ein Akoimetenkloster ins Leben, das seinen Namen trug. Die Akoimeten (d. h. die Schlaflosen) wurden so genannt wegen der Art ihrer Anbetung, die keine Unterbrechung kannte und bei 6
) A . a. O . S. 876-877. ) „ K u r z e Regeln", Frage 1 3 8 ; Migne P. G . 3 1 , S. 1 1 7 3 . s ) Ebenda, Frage 96; Migne P. G. 3 1 , S. 1 1 4 9 . 7
9
) „Ausführliche R e g e l n " , Frage 26; M i g n e P. G . 3 1 , S. 985-986. ) J . Pargoire, Acémétes, in Dictionnaire d'archeologie chretienne et de liturgie, Paris 1907, I, 3 0 7 - 3 2 1 . 10
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
der sich die einzelnen Mönche jeweils ablösten. - Eine andere Form des Mönchtums bilden die Styliten, so genannt, weil sie lange Jahre auf Säulen ausharrten zur symbolischen Darstellung dessen, daß sie von der Erde zum Himmel strebten. Bedeutender Stylit (d. h. also „Säulenheiliger") war Symeon Stylites (gest. 460), der über dreißig Jahre auf einer Säule nahe bei Antiochien lebte. Von dort aus wirkte er als Seelsorger und Beichtiger und gewann Tausende Ungläubiger für Christus. Auch übte Symeon einen großen Einfluß auf die theologischen Auseinandersetzungen aus, besonders anläßlich der Oekumenischen Synoden vonEphesus (431) und Chalkedon (451) 1 1 ). 4. Nach der Eroberung Palästinas durch die Araber verlagerte sich das Zentrum des griechischen Mönchtums nach Olympos in Bithynien und nach Konstantinopel. Besonders in Konstantinopel nahm das Mönchswesen nach der Verurteilung der Bilderstürmer einen ungeheuren Aufschwung. Viele, darunter auch Angehörige der höheren Gesellschaft, traten in die Klöster ein. Die Mönche wandten sich der Pflege der Wissenschaft zu. Hervorragende Kirchenführer gingen aus den Mönchsorden hervor. Mönche nahmen auch an den praktischen kirchlichen Fragen Anteil und traten mit Mut und Selbstaufopferung für ihre Ansichten ein. Das Volk von Byzanz schaute mit unbegrenzter Bewunderung und voll Vertrauen zu den Mönchen auf. Es sah sie als Heilige an, im Besitz besonderer Geistesgaben, die in der Lage waren, vor Gott für das Volk einzutreten. In Konstantinopel genoß großes Ansehen der für die Entwicklung des Mönchtums bedeutsame Abt des Studion-Klosters, Theodor Studites (789). Theodor führte in seinem Kloster das Studium der Philosophie und der Schriften der Kirchenväter ein. Diese Schulung sollte die Mönche in die Lage versetzen, dem Geschwätz der Irrlehrer wirksam zu begegnen 12 ). Unter Zugrundelegung der asketischen Schriften Basilius' des Großen verfaßte er seine eigenen Mönchsordnungen. Der Unterschied besteht darin, daß die Regeln des Basilius mehr allgemein gehalten waren, während diejenigen Theodors sich auch mit den Einzelheiten des mönchischen Lebens beschäftigten und klare Bestimmungen etwa über die Nahrung und Kleidung, über das Gebet, die Arbeit, den Schlaf u. a. m. enthielten. Theodor verstärkte noch die Uniformierung des coenobitischen Lebens und bestimmte noch mehr Personen zur Beaufsichtigung der Mönche. Das Prinzip der Besitzlosigkeit bzw. des Gemeineigentums wurde sogar auch auf die Kleidung u
) Vgl. Theodoret,
Historia religiosa (Mönchsgeschichte) Kap. 26;
Euagrius,
Kirchengeschichte I, 1 3 ; VI, 23. 12
) Theodori Studitae Vita (Leben Theodor St.s) 29; Migne P. G. 99, S. 2 7 3 .
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ausgedehnt. Jeder M ö n c h lieferte des Abends sein G e w a n d in der Kleidera u f b e w a h r u n g ab, der er den folgenden M o r g e n das nächste' beste wieder entnahm. Die mönchischen Ü b u n g e n bestanden in Gebet, Ü b u n g der Selbstdisziplin und in Arbeit. Gemeinsam fand man sich zum Mitternachts-(Lychnikon), zum Morgengebet (Orthros), zu den Hören (neun, z w ö l f und drei U h r nachmittags), zum Abend- (Hesperinos) und N a c h t gebet (Apodeipnon) zusammen. Ebenso übte man sich in der Selbstbeherrschung und fastete gemeinsam, je nach der körperlichen Verfassung der einzelnen Mönche. Durch solche und andere Anordnungen erreichte Theodor Studites eine Reformation des Mönchswesens auf der Grundlage seiner Regel, welche, vorzüglich durchdacht und Übersteigerungen vermeidend, viele andere Mönchsordnungen übertraf und reiche Früchte trug. 5. Als der byzantinische Feldherr Nikephoros Phokas u m die Mitte des xo. Jahrhunderts die Araber besiegte und Kreta befreite und darüberhinaus das Ägäische Meer v o r ihren Pirateneinfällen sicherte, w u r d e der B e r g Athos zum wichtigsten Zentrum der griechisch-christlichen Kultur. A u c h schon v o r dieser Zeit gab es ein M ö n c h t u m auf dem Athos. Freilich waren es nur Einsiedler, die in Hütten (Kellien) lebten und einem Führer unterstanden, „ P r o t o s " ( = Erster) genannt; auch kamen sie zu bestimmten Zusammenkünften zusammen. Das heißt also: die G r u n d elemente einer Organisation waren vorhanden. I m Jahre 963 nun g r ü n dete der M ö n c h Athanasius aus dem bithynischen O l y m p o s auf dem Athos eine Laura, die er jedoch nach sieben Jahren in ein C o e n o b i u m umwandelte. Das Beispiel des Athanasius fand Nachahmer, und es entstanden weitere Klöster auf dem heiligen B e r g . Seine Mönchsregeln stellte Athanasius auf der Grundlage derjenigen T h e o d o r Studites' zusammen, welche alsbald auch die Basis bildeten, auf der auch die anderen Athosklöster reguliert wurden. I m Verlauf des 14. Jahrhunderts w u r d e auf dem Athos das sogenannte „idiorrythmische" System eingeführt, demgemäß die Mönche in bestimmten Klöstern hinsichtlich der Ernährung, des Schlafes und der W o h n u n g völlige Freiheit hatten und außerdem das Recht zu persönlichem Eigentum besaßen. D i e auf dem heiligen B e r g gegründeten Klöster bildeten zusammen so etwas w i e eine föderale Republik. D e r Verwaltungsrat des heiligen Berges, i m Prinzip autonom, w u r d e später der Jurisdiktion der Patriarchen v o n Konstantinopel unterstellt. U n t e r den verschiedenen Regierungen und Dynastien, die i m b y zantinischen Reich aufeinander folgten (Komnenen, Palaeologen), und sogar noch unter der Türkenherrschaft, blieb die Freiheit der M ö n c h e v o m heiligen B e r g Athos stets unangetastet. D e r Athos w u r d e zum wichtigsten Mönchszentrum der Orthodoxie. V o n den großen geist-
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liehen Gestalten unter den Athosmönchen seien nur S y m e o n der N e u e T h e o l o g e (gest. 1 0 2 2 , nach anderen 1 0 4 1 ) , Johannes Kabasilas, Gregorius Palamas (um 1 3 5 0 ) und aus neuer Zeit N i k o d e m u s Hagiorites (gest. 1809) genannt. A u f d e m Athos fanden die Wissenschaften und die christliche Kunst eine besondere Pflegestätte. B e r ü h m t ist v o r allem die Ikonenmalerei der Hagioriten (d. h. M ö n c h e v o m heiligen B e r g ) , die etwas v o n deren mystischer Heiligkeit zu atmen scheint. D o c h i m allgemeinen suchte man hier die christliche o r t h o d o x e Überlieferung unverfälscht zu bewahren. 6. Parallel mit dieser E n t w i c k l u n g des Athosmönchtums
entstanden
andere Mönchszentren, v o n denen v o r allem diejenigen Griechenlands und der Inseln der E r w ä h n u n g w e r t sind. Z u nennen ist liier zunächst das Kloster des heiligen Johannes des
Theologen
in Patmos, das 1088 v o n dem heiligen Christodoulos, ehemals A b t der Laura auf d e m B e r g e Latron in Kleinasien, gegründet w u r d e . D i e A n griffe der seldschukischen T ü r k e n auf Kleinasien z w a n g e n den heiligen Christodoulos, die Leitung der Laura aufzugeben. M i t einigen seiner M ö n c h e siedelte er nach Patmos über und gründete dort das erwähnte Kloster. D i e Mönchsregeln des heiligen Christodoulos basierten auf denen Basilius' des Großen. Liturgisch hielt er sich jedoch an das Ritual der Laura des heiligen Sabba in Jerusalem. - E t w a zur gleichen Z e i t w u r d e auf Z y p e r n das berühmte Kloster der Panhagia (d. h. der Mutter Maria) v o n K y k k o s gegründet, und z w a r v o n einem M ö n c h Jesaja. In die gleiche Zeit fällt in Griechenland selbst die G r ü n d u n g des historischen Klosters der heiligen Laura auf der Peloponnes. Das ebenso b e rühmte Kloster M e g a Spilaeon ist noch älter. Eine Reihe hervorragender Vertreter des M ö n c h t u m s begegnen uns in dieser Zeit, welche w e g e n ihrer reichen missionarischen Tätigkeit w i e auch w e g e n ihres Beitrags zur E n t w i c k l u n g des mönchischen Ideals und zur G r ü n d u n g v o n Klöstern in Griechenland in bleibendem Gedächtnis geblieben sind. U n t e r diesen ist als erster der heilige Lukas zu nennen 1 3 ). Dieser w a r in seiner Jugend nach Jerusalem zur A n b e t u n g an den heiligen Stätten g e pilgert. E r w a r dann M ö n c h in Athen, wahrscheinlich i m Kloster v o n Kaesariani. Anschließend f ü h r t e er etwa zehn Jahre lang ein asketisches Leben unter Anleitung eines Styliten in der N ä h e v o n Patras, w o r a u f eine Z e i t der Zurückgezogenheit in der E i n ö d e nahe Levadhia in B ö o t i e n folgte. Hier errichtete er eine K i r c h e zu E h r e n der heiligen Barbara. Schließlich gründete er m i t Unterstützung der Kaiser v o n Konstantinopel 13
) Chrysost. Papadopoulos, Der Heilige Lukas der „ N e u e " (griech.), Athen
1935-
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jenes herrliche Kloster, das seinen N a m e n trägt, das Kloster Hosios Lukas, das bis heute erhalten ist. Eine andere große Mönchspersönlichkeit nach dem heiligen Lukas ist der heilige Nikon1*) mit dem Beinamen ,,Metanoeite" ( „ T u t B u ß e ! " ) , der anfänglich z w ö l f Jahre lang als M ö n c h in einem Kloster in Pontus lebte, das er aber dann verließ, u m sich der Missionstätigkeit zu widmen. U n d zwar schloß er sich dem byzantinischen Feldherrn Nikephoros Phokas an, den er auf dessen kretischem Feldzug begleitete. N a c h der Befreiung Kretas wirkte er mit rühmlichem Eifer f ü r die Wiederbelebung und Kräftigung des religiösen und nationalen Bewußtseins der Kreter. Nach Griechenland zurückgekehrt, bereiste er viele Städte und k a m so auch nach Lakedaemonien (Sparta), das damals in hoher Blüte stand, und machte es zum Z e n t r u m seines missionarischen Wirkens. N a c h seinem T o d e (998) w u r d e bei seinem Grab ein Kloster gegründet, das lange Zeit bestand und das ein geistiges Zentrum Griechenlands und speziell Lakedaemoniens war. Als dritter R e f o r m e r des griechischen Mönchtums ist der heilige Meletios zu nennen 1 5 ). Im Jahre 1033 in einem D o r f Kappadokiens geboren, trat er, fünfzehnjährig, in das Kloster des Heiligen Chrysostomos in K o n stantinopel ein und wurde dort nach drei Jahren Mönch. Später kam er bei einem Besuch Griechenlands nach Theben und ließ sich dort bei der Kirche des heiligen Georg nieder, u m sich einer strengen Askese zu widmen. Sein R u f breitete sich schnell aus. U n d es kamen viele zu ihm, die sein Beispiel nachahmen wollten. Dies führte zur Gründung eines K l o sters neben der Georgskirche. Rasch nahm die Zahl der Mönche zu. U n d so mußten weitere Klöster gegründet werden. D i e Mönchsgemeinschaft des heiligen Meletios rief allgemeine B e w u n d e r u n g hervor. U m dem R u h m zu entfliehen, den er bei den Menschen fand, zog sich der heilige Meletios i m Jahre 1082 in ein unzugängliches Gebiet des Kithaerongebirges zurück, w o er sich bei einer Kapelle zu Ehren des Heilandes niederließ. Als ihm jedoch auch dorthin viele Mönche folgten, übernahm er auf ihr Drängen hin die Leitung des Bergklosters des Symboulos, das er durch den Anbau neuer Zellen vergrößerte und coenobitisch organisierte. Gleichzeitig gründete er 24 „Paralaurien" (d. h. einem Kloster lose angegliederte Lauren), in denen jeweils acht bis z w ö l f Mönche lebten. Außerdem schuf er abgelegene Zellen f ü r Einsiedler. So entstand in die-
14
) Mel. Galanopoulos, Leben, Wandel, Ikonographie, W u n d e r und Singgottesdienst unsres heiligen und gottbegnadeten Vaters N i k o n „Metanoeite" (griech.), Athen 1 9 3 3 . 15
) Chrysostomos Papadopoulos, Der Heilige Meletios der „ N e u e " , Athen 1938.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
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sem Gebirge eine große und vielgestaltige mönchische Gemeinschaft unter dem heiligen Meletios als ihrem gemeinsamen geistlichen Leiter. Viele Menschen suchten ihn dort auf. U n d er entfaltete eine reiche seelsorgerliche und karitative Tätigkeit, was ihm Kaiser Alexios I. K o m nenos durch Gewährung von Privilegien und Geldmitteln für sein Kloster ermöglichte. 7. W i e schon erwähnt, blieb der heilige Berg Athos auch in jenen dunklen Jahrhunderten der Knechtschaft nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken (1453) das Zentrum des griechischen Mönchtums. Daneben gab es aber auch blühende Klöster beispielsweise in Palästina, in Patmos, auf der Sinaihalbinsel, vor allem jedoch im eigentlichen Griechenland. Hier sind zu nennen die Klöster auf der Peloponnes (Mega Spilaeon, Heilige Laura), in Epirus (Kloster des Propheten Elias u. a.), in Thessalien (Meteorenklöster) und in Makedonien u. a. m. Diese Blüte des Mönchtums während der Türkenherrschaft ist vor allem der tiefen Liebe und Verehrung zuzuschreiben, welche die unterjochten orthodoxen Völker den Mönchen entgegenbrachten. In dieser Zeit strömten die Massen der unterdrückten Griechen in den Klöstern zusammen und erfuhren dort Stärkung und Hilfe. U n d Mönche bereisten Städte und Dörfer, w o sie das Volk unterrichteten und ihm die Beichte abnahmen. Außerdem wurden in den Klöstern Hohe Schulen ins Leben gerufen (so im 17. Jahrhundert die „Patmias" und im 18. Jahrhundert die „Athonias"), die sich um die Sammlung und Erhaltung von Handschriftenkodices und anderer geistiger Schätze bemühten. Doch traten Mönche auch mit eigenen wissenschaftlichen Leistungen hervor. In den Frauenklöstern wurden in dieser Zeit Werkstätten für arme Frauen unterhalten, so in dem Kloster des heiligen Andreas in Athen, einer Gründung der heiligen Philothea (gest. 1589). Aus der großen und allgemeinen Verehrung der Griechen für die Klöster und die Mönche erklärt es sich auch, daß den Klöstern großzügige Stiftungen gemacht wurden und sie auf diese Weise einen außerordentlichen Reichtum ansammelten. 8. Nach der Befreiung Griechenlands v o m Türkenjoch erlebte das Mönchtum einen allmählichen Verfall. Viele Gründe sind hier in A n schlag zu bringen. So war der neuzeitliche Geist dem Mönchtum nicht günstig. Viele gebildete Griechen, an der Spitze der Lehrer der Nation, Adamantios Korais, begegneten ihm mit Ablehnung oder gar Feindschaft. Die mönchische Askese, für die früher die Christenheit so viel Bewunderung aufgebracht hatte, fand seitens des modernen Geistes erheblich weniger an Wertschätzung. Nunmehr zog man das tätige Leben in der Gemeinschaft bei weitem der mönchischen Beschaulichkeit vor. Z u alle dem griff der Staat mit drastischen Maßnahmen zu Lasten der
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Klöster ein. Mehr als 400 Klöster, die freilich nur noch schwach besetzt waren, wurden aufgelöst und ihr Besitz vom Staat eingezogen (Königliche Verordnung vom 25. September 1833), um verschiedenen anderen Zwecken zugeführt zu werden. Ebenso wurden durch einen Erlaß vom 25. Februar 1834 sämtliche Frauenklöster aufgelöst, wovon nur drei Klöster ausgenommen wurden. - Etwa hundert Jahre später, nämlich 1922, machte die Vertreibung der Griechen aus Kleinasien auch dem dortigen Mönchtum ein Ende. Heute bestehen in Griechenland noch etwa 200 Klöster mit zusammen ungefähr 12000 Mönchen. Die Hochburg des griechischen Mönchtums ist bis heute der Athos gebheben. Außer den hier in Klöstern und Sketen wohnenden Mönchen gibt es andere, die zu zweit oder dritt in Kellien („Kellioten") bzw. ganz allein (Eremiten) in der Zurückgezogenheit leben. Die Kirchen der Klöster sind zumeist im byzantinischen Stil erbaut. Auch viele ihrer Ikonen sind byzantinisch. Sechsmal am Tage kommen die Mönche zu gemeinsamem Gebet zusammen. Die Einkünfte der Klöster entstammen einerseits der Bewirtschaftung des ihnen verbliebenen Grundbesitzes, andererseits den Geldspenden der Besucher wie auch der Arbeit der Mönche. Diese besteht in Handarbeit, zumeist in der Anfertigung heiliger Ikonen. Die Klöster auf dem heiligen Berg sind zum Teil coenobitisch, zum Teil idiorrhythmisch organisiert, wobei die einen von Äbten in Verbindung mit einem Rat von Mönchen geleitet werden, während die anderen der Leitung zweier Epitropoi (Bevollmächtigter) und eines Oikonomos (Wirtschafters) unterstehen. Auch verfügen die Athosklöster über Krankenhäuser und Herbergen. Denn die Gastfreundschaft wird auf dem heiligen Berg in hohen Ehren gehalten. Ein glückverheißendes Zeichen ist, daß sowohl die Kirche Griechenlands als auch der griechische Staat sehr wohl die große Bedeutung des Athos für die geistige und religiöse Erneuerung des Landes erkannt haben. So werden mannigfache Anstrengungen gemacht, um die wertvollen geistigen Schätze des Athos zu erhalten und die Mönche in den vielfältigen Schwierigkeiten zu unterstützen, die sich der Erfüllung ihrer Aufgabe in den Weg stellen. Speziell werden seitens der Kirche Griechenlands energische Anstrengungen gemacht, das Mönchswesen des Landes neu zu organisieren. Zwar soll die von den Vätern überkommene Auffassung des Orthodoxen Ostens über Wesen und Aufgabe des Mönchtums auch weiterhin die Grundlage sein; wir haben uns diese Grundideen bereits zu vergegenwärtigen gesucht. Doch soll ebensosehr auch der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung getragen werden. Das Bestreben ist des-
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halb, daß das im Prinzip kontemplativ-beschauliche Mönchtum auch in stärkerem Maße eine gesellschaftliche und soziale Aufgabe übernimmt. Auf Grund dieser Perspektiven und Pläne für eine Neuorganisation des Mönchtums in Griechenland besteht die begründete Hoffnung, daß das orthodoxe Mönchtum bald wieder seine wichtige Stellung und Funktion in Kirche und Volk einnehmen wird, zum Segen beider. 9. Außer im byzantinischen Reich erlebte das Mönchtum auch in anderen orthodoxen Ländern des Ostens eine große Blüte. Zu nennen ist vor allem die im 1 1 . Jahrhundert gegründete Laure Petscharskaya in Kiew in Rußland. Hier fand das alte strenge Asketentum Ägyptens eine neue bedeutende Heimstatt. Der Vater des russischen Mönchtums, Antonius, lebte als Einsiedler in einer Höhle, die er nach dem Vorbild der altchristlichen Katakomben unter der Erde angelegt hatte. Dieser strenge asketische Geist lebte im russischen Mönchtum fort bis in unsre Tage. Aber auch die byzantinischen Styliten fanden in Rußland ihre Nachahmer in den Heiligen Niketas und Kyrill, die auch als Prediger des Evangeliums bekannt sind. Trotz des asketischen und kontemplativen Charakters, der das russische Mönchtum in besonderem Maße kennzeichnete, war es auch in gesellschaftlicher Hinsicht von hervorragender Bedeutung. Denn vor allem im Mittelalter trugen die Mönche in Rußland wesentlich zum Fortschritt der Kultur und zur Pflege der Wissenschaften bei. Die Unterrichtung des Volkes ruhte fast ausschließlich in ihren Händen. Weiterhin mühten sie sich um die Bekehrung der vielen heidnischen Völkerschaften innerhalb und außerhalb der Grenzen des riesigen russischen Reiches. Außerdem widmeten sich die Klöster der Pflege der Kranken und Armen. Und bis in neuere Zeit zeichnete das russische Mönchtum das Bestreben aus, auch die in der Welt lebenden Christen an ihren reichen pneumatischen Erfahrungen teilhaben zu lassen. So ließen vor allem die „Starzen" (d. h. Alten), die in der Nähe ihrer Klöster sich der Askese hingaben, den Gläubigen freigebig ihren Rat, ihren Trost und ihre Hilfe angedeihen 16 ). Das 19. Jahrhundert hat viele solcher Starzen gekannt. Von herausragender Bedeutung waren der heilige Seraphim von Sarow sowie die geistlichen Väter Leonid, Makarijiz und Ambrosij vom Kloster Optjina Pustjin. Leider hat die russische Revolution von 1917 und die seitdem bestehende kommunistische Herrschaft einen schweren Rückschlag auch für das russische Mönchtum mit sich gebracht. 16 ) B. Tschetwerikojf, Das russische Starzentum, in „ D i e Ostkirche", Sonderheft der „ U n a Sancta" 1927, S. 63 fr.
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II Askese und mönchische Ideale
Das fundamentale Ziel und Ideal des orthodoxen Mönchtums war in allen Phasen seiner langen Geschichte unverändert stets ein und dasselbe: die Leidenschaftslosigkeit (Apathie), zu der man durch die Askese zu gelangen strebte, das Ahnlichwerden mit Gott und die Vergöttlichung der menschlichen Natur. U m dieses Ideal ging es in allem Mühen und harten Ringen jener ehrwürdigen Einsiedler. Die Mönche suchten die Einsamkeit der Wüste auf, um dort den geeigneten Boden für ihre Askese und Meditation zu fmden. Fern von den Versuchungen der Welt und dem lärmenden Getöse der Städte führten die Mönche einen ununterbrochenen erbitterten Kampf mit dem Satan und unterzogen sich strengster Askese, um der Leidenschaften Herr zu werden und Leib und Seele von bösen Begierden und sündigen Gedanken zu reinigen. Die eremitische Askese im orthodoxen Osten hat ganz den Charakter der Entsagung. Das entspricht unmittelbar dem Ziel, das sie verfolgt: der Reinigung und durch sie der Erlangung der Apathie. Alle die verschiedenartigen Erprobungen des asketischen Lebens, seien sie nun den Mönchen auferlegt oder freiwillig von ihnen übernommen, tragen entschieden diesen negativen Charakter, d. h., sie dienen der Uberwindung aller natürlichen Begierden und der Entsagung auch der geringsten Genüsse und Freuden, sogar der Grundbedürfnisse wie Speise und Trank, Ruhe und Schlaf. Der Leib hat dem Diktat des Geistes zu folgen. Dies erfordert seine völlige Abtötung. Die Mönche waren überzeugt, daß der Leib auf Kosten der Seele lebe, deren höhere Regungen und Kräfte in der Versklavung unter das Sinnen des Fleisches erschlafften und völliger Lethargie verfielen. Die Leidenschaften aber sind Schandmale der Sünde. Eigentlich dürfte es sie gar nicht geben. Sie sind ein Unvermögen, das nur der gefallenen Natur eignet. Die Forderungen und Bedürfnisse dieser triebhaften und von Leidenschaften erfüllten Natur sind entschieden und kategorisch zu verneinen. Das geschieht im einzelnen durch Fasten und Enthaltsamkeit, durch Schlaflosigkeit, Arbeit in der Nacht, indem man alle möglichen Anstrengungen auf sich nimmt, sich schärfster Sonnenhitze und den Stichen von Mücken und anderen Insekten aussetzt usw. All das wird gewöhnlich bis zur äußersten Grenze des für einen Menschen Ertragbaren getrieben. Ziel dieser Askese und der mannigfachen freiwilligen Entbehrungen ist freilich nicht die Vernichtung des Körpers, der für die Mönche von Natur aus, sofem er von Gott geschaffen ist
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und teilhat an der Erlösung in Christus, ein wertvolles Gut ist. Vielmehr geht es u m seine Unterwerfung unter die Botmäßigkeit des Geistes, dem er als willfähriges Instrument zu dienen hat. Mit anderen W o r t e n , es geht in der Askese darum, das Kreuz Christi auf sich zu nehmen. U n d dies geschieht durch die Absage an die Herrschaft der Sinne, Triebe und Gelüste. Es geht u m die A b t ö t u n g der nicht auf Gott gerichteten Begierden und u m die Reinigung des ganzen Menschen von allem Schmutz und Unrat der verschiedenartigen fleischlichen, die Seele befleckenden Affekte. Also nicht der T o d des Leibes ist der Sinn des Askese, sondern seine Transfiguration, seine Verklärung z u m „engelgleichen" Sein. Die Mönchsväter des Ostens gaben dem K a m p f gegen die Sünde noch eine konkretere Gestalt. Sie sprechen von acht Todsünden oder „Geistern der Bosheit" 1 7 ) oder „Gedanken" 1 8 ), die der M ö n c h unablässig zu bekämpfen und aus seiner Seele auszurotten hat. Diese sind: die Gefräßigkeit, die Unzucht, die Geldgier, die Trauer, der Z o r n , Trägheit, die R u h m sucht und der Hochmut. Darunter sind die ersten drei Begierden, die den Menschen abführen v o n der geistlichen Anspannung und Askese. U n d zwar ist es die Gefräßigkeit (Gastrimargia), die den Verstand verfinstert und weitere schändliche leidenschaftliche Begierden hervorruft 1 9 ). D i e Unzucht (Porneia) aber, aus der Gefräßigkeit genährt, ist der Hang zu fleischlichen Genüssen und Freuden 20 ). Die Geldgier schließlich als die krankhafte Sucht nach Geld und materiellen Gütern gefährdet die Berufung des Mönches selbst 21 ). Die folgenden drei Sünden, Trauer, Z o r n und Trägheit, sind Gemütsbewegungen, die die Seele beschweren und erschlaffen lassen. U n d zwar wird die Seele so oft v o n der Traurigkeit (Lype) beherrscht, w i e die fleischlichen Begierden des Mönches nicht befriedigt werden. Der Z o r n aber ist ein Aufruhr des Gemüts und eine blinde Raserei, welche die Seele vertiert und verwildert und sie zu kurzschlüssigen, zufälligen Reaktionen treibt 22 ). U n d die Trägheit (Akedie) schließlich ist die allgemeine Erschlaffung des Geistes i m K a m p f gegen die Versuchungen; sie ist voller Unbeständigkeit und macht die Seele einer W o l k e gleich, die der W i n d hierhin und dorthin trägt 23 ). Die furchtbarsten von allen Sünden aber sind die beiden letzten, nämlich die Ruhmsucht (Kenodoxie) und der Hochmut (Hyperephanie); diese ") Nilus, Migne P. G. 79, ii45f. ls)
Euagrius Ponticus, Migne P. G. 40, 1271/78.
19)
Nilus, Migne P. G. 79, 1145-48.
20)
Euagrius, Migne P. G. 40, 1272. sl) Nilus, Migne P. G. 79, 1153. 2a) Nilus a. a. O . 1156; Euagrius a. a. O . 1273. 2S) Nilus a. a. O . ; Euagrius a. a. O . ; Maximus, Confessor, Migne P. G . 90, S. 973.
Das Mönchtum der orthodoxen Ostkirche
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greifen tatsächlich die Substanz der Seele, den Geist, an. Sie haben ihre Wurzel im Egoismus, einer Verkennung des wahrhaft Guten und einem fehlgeleiteten Triebe, und ersticken die Seele. U n d zwar läßt die R u h m sucht, dies unsinnige Motiv, das so leicht jedem guten und tugendhaften W e r k anhaftet und das vor allem f ü r die eine ständige Gefahr ist, die alle Anforderungen scheinbar mühelos bewältigen, dem Applaus der Menschen nachjagen und alles nur zu eigenem Gefallen und zu eigener B e friedigung tun 24 ). Der Hochmut aber ist eine Pervertierung des geistigen Ich des Menschen, der Gipfel aller verderblichen Leidenschaften, und scheidet den Menschen definitiv von Gott 2 5 ). Gegen diese Affekte hat der Mönch einen unerbittlichen und unablässigen K a m p f zu führen so lange, bis er sie aus seiner Seele verbannt hat. Bleiben sie aber in ihm wirksam, so können sie zu seinem ewigen geistigen T o d führen. Deshalb auch heißen sie Todsünden. In der gleichen Linie bewegt sich auch der heilige Johannes Climacus, der in seiner Paradiesesleiter eine wunderbare Beschreibung des mönchischen Ideals und des Weges gibt, auf dem es zu erreichen ist. Nach ihm findet der Mönch, der die Welt verläßt und sich in die Wüste zurückzieht, dort den geeigneten Ort zur Sammlung und Askese und damit zur Erlangung seines Heils. Die Wüste, das ist stets die Vorstellung gewesen, ist der Ort des Todes. Dies Gedenken an den T o d ist nicht nur eine rein gedankliche Beschäftigung, sondern eine starke und lebenslängliche Erfahrung des Mönches. Es ist ein „tägliches Sterben und allstündliches Todesseufzen" und führt den Mönch zur freiwilligen Preisgabe der ganzen Schöpfung und des eigenen Willens. Das ständige Gedächtnis des Todes ist das Siegel der Läuterung und der Leidenschaftslosigkeit 26 ). - Gleichzeitig damit entsteht in der Seele des Mönches die heilige Trauer. Diese hat nichts gemein mit der leidenschaftlichen, weltlichen Trauer. Vielmehr ist es der Schmerz der Seele über die Sündigkeit der Natur wie auch über die wahnwitzige Auflehnung gegen das so heiß ersehnte Gut, den göttlichen Willen. Die heilige Trauer wird stets von unaussprechlicher Freude und geistlichem Jubel begleitet, die der Heilige Geist in der Seele wirkt. Deshalb heißt sie auch die „frohmachende Trauer" 2 7 ). Natürlicher Ausfluß dieser Trauer um Gottes willen sind auch die „heilsamen T r ä nen", die den Mönchen stets so teuer waren. Diese Tränen entströmen einem von der Gnade umgewandelten Herzen und sind der himmlische 24
) Nilus, Migne P. G. 79, 1160/61; Euagrius, Migne P. G. 40, S. 1273. ) Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 965; Nilus a. a. O. 1 1 6 1 - 1 1 6 7 . 2e ) Johannes Climacus, Migne P. P. 88, S. 793-797. 27 ) Johannes Climacus, a. a. O. S. 801 und 809. 25
2Ç2
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Regen, der die Seele netzt und tränkt und unter dem alles Leid verstummt, während Milde und Erleichterung das Herz erfüllt. Sind diese Tränen anfänglich brennend heiß, weil sie ja aus dem Bewußtsein der Sünde heraus entspringen, so verwandeln sie sich in der Folge in Tränen des Erbarmens, in frohmachende Tränen, welche von selbst und ungezwungen hervorbrechen und das Antlitz des Mönches aufheitern und verschönern 28 ). - Doch muß alle dem die Askese und die Gehorsamsübung des Mönches zur Seite treten, als Frucht seiner geistigen Umkehr, seiner Reue. Von größter Bedeutung sind bei der Askese das Fasten und die Schlaflosigkeit, beide Ausfluß eines reuigen Herzens. Und zwar geht es bei ihnen nicht bloß um die Entsagung physischer Bedürfnisse, sondern viel umfassender um die Unterwerfung und Zügelung aller Seelenregungen und -kräfte und, mit Hilfe der Askese, um ihre Hinlenkung auf das Gute 29 ). - Was aber den Gehorsam anbelangt, der in allen Mönchsorden und -regeln ein so unentbehrliches Element darstellt, so besteht er zunächst in der absoluten und undiskutierten Unterwerfung der Novizen unter die Leitung und Weisung ihrer geistlichen Väter. Dies bildet die Eingangspforte zu einer zweiten, höheren Stufe des Gehorsams. Auf dieser Stufe entsagt der Mönch allem Eigenwillen und erlangt dessen Einung mit dem unwandelbaren Willen Gottes30). Schließlich hat sich dem Gehorsam auch die zum Himmel strebende Armut zu verbinden 31 ), worunter nicht nur die Entsagung eigener irdischer Güter, sondern auch die geistige Armut oder die vollkommene Apathie zu verstehen ist, „der folgend die Vernunft allem Hiesigen absagt" 32 ). Die Vollendung des mönchischen Ringens besteht schließlich in der sittlichen Vollkommenheit des Mönches, durch die er mit Gott vereint wird. Außer den oben erwähnten Tugenden gilt als große Tugend der Glaube als das Fundament aller anderen Tugenden. Mannigfaltig sind die Definitionen des Glaubens. Er wird charakterisiert als freiwillige Annahme, als fromme Einwilligung, als Zuversicht auf das, was man hofft (Hebr. n , i) 3 3 ), als Mutter aller Tugenden, als geistig-geistliche Aura, die den Menschen in diesem Leben umgibt, schließlich als Fundament der Liebe 34 ) und als Summe aller Güter 36 ). 28
) ) 30 ) 31 ) 32 ) 33 ) 31 ) 35 ) 29
Ebenda, S. 785. Ebenda, S. 869 und 940. Ebenda, S. 680. Ebenda, S. 928. Ebenda, S. 929. Clemens Alexandrinus, Stromata; Migne P. G. 8, S. 940. Ebenda, S. 965-968. Cyrill v. Alexandrien, Comment. in Lucam; Migne P. G. 72, S. 832.
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Dem Glauben aber muß auch die große Mönchstugend, nämlich die Demut, einhergehen. Diese ist nach dem heiligen Maximus dem Bekenner „anhaltendes Gebet unter Tränen und Leid. Denn sie ruft stets Gott um Hilfe an und läßt nicht zu, daß man sich wie ein Tor der eigenen Macht und Weisheit rühmt, noch, daß man sich irgendwie über andere erhebt. Das sind vielmehr verderbliche Auswüchse, wie sie der Hochmut gebiert" 36 ). Ist die Demut aber dergestalt, so verbindet sie sich schier selbstverständlich der Reue und der seligen Trauer. „Denn die Seele ist zerknirscht und zerreibt sich in tätiger, lebhafter Reue. Darauf aber wird sie mit Gott vereint und, wenn ich so sagen darf, vermengt durch das Wasser ungeheuchelter Trauer. Indem sie sodann ein Feuer des Herrn entfacht, wird die ungesäuerte und bescheidene selige Demut darin zu einem festen Brot gebacken . . . Die Reue steigt empor; die Trauer klopft am Himmel an; doch die heilige Demut schließt ihn auf" 3 7 ). Als die Seele der mönchischen Askese aber gilt das Gebet. In seiner vollkommeneren Form erhebt sich das Gebet über die konkreten Gebetsanlässe38) und die bestimmten Gedanken39). Nun läßt die Vernunft den ganzen Kosmos der Empfindungen, Wünsche, Urteile und Gedanken hinter sich und wird zur vollen Leidenschaftslosigkeit und zu vollkommenem Frieden geführt, indem sie nur noch die reinen Ideen und Gedanken des Unsichtbaren festhält und, soweit dies überhaupt möglich ist, dem leidenschaftslosen Göttlichen ähnlich wird. Hier bringt die Gnade des vollkommenen Gebetes die Vernunft zu ihrer Vollendung, so daß sie, mehr und mehr frei von den irdischen, fleischlichen Fesseln, zur seligen Schau des Göttlichen gelangen kann. Endlich bildet den Abschluß des sittlichen Vollkommenheitsstrebens die Liebe. Durch sie wird der Mönch zur Gemeinschaft und Einung mit Gott geführt und lebt er mystisch in Ihm40), erfüllt vom göttlichen, grenzenlosen Licht und von der Empfindung der göttlichen Unendlichkeit 41 ). Vollkommenster Ausdruck der Liebe ist die Einung Gottes mit dem Menschen und der Austausch ihrer Eigenschaften (Antidosis ton idiomaton) auf Grund der Willensidentität beider. Gott wird Mensch. Der Mensch aber, nach dem Bilde Gottes geschaffen, wird, soweit es Gott ihm gewährt, ganz Gott zu eigen und erlangt von Gott das Gott3e
) Migne P. G. 90, 1044. ") Johannes Climacus, Migne P. G. 88, 989. 993. 38 ) Nilus, De oratione; Migne P. G. 79, n 8 r . 39 ) Maximus Confessor, Migne P. G. 90, 1021. 1068 40 ) Ebenda, S. 514. 41 ) Ebenda, S. 964.
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Sicht
sein 4 2 ). Demnach empfängt also der Mönch, der tugendhaft lebt, durch sein Läuterungsstreben und sein Ringen um die Leidenschaftslosigkeit, vor allen Dingen aber durch die selige Liebe, die sittliche (d. h. nicht magisch-naturhafte) Vergottung seiner Natur. Diese aber ist das höchste Ideal nicht nur des Mönchtums, sondern auch der Frömmigkeit insgemein der ganzen Orthodoxen Ostkirche.
III Der Dienst des Mönchtums für Kirche und Volk Trotz der Tatsache, daß das Mönchtum i m orthodoxen Osten in allen Phasen seiner Geschichte einen vorwiegend kontemplativen Charakter behielt und ihm sein Heiligungs- und Vollkommenheitsstreben sowie seine mystisch-visionäre Kraft allezeit das Gepräge gaben, wußte es damit jedoch stets ein in mehrfacher Hinsicht segensreiches W i r k e n für Kirche und V o l k zu verbinden. W i r haben bereits an anderer Stelle gesagt, daß das M ö n c h t u m schon v o m Beginn seines Erscheinens an die Herzen der Christen aufs tiefste beeindruckte und bewegte. Diese erblickten in den Mönchen die V o r bilder der sittlichen Vollkommenheit und sahen sie als Heilige an, die sie mit Bewunderung und Vertrauen umgaben. Die Zellen der Mönche wurden stets von vielen Menschen aufgesucht. Die einen kamen, u m den Predigten der Mönche zu lauschen. Die anderen, u m sich deren Rat und Beistand für die Widrigkeiten des Lebens zu erbitten. Wieder andere erhofften sich von ihrer Wunderkraft die Heilung von Krankheiten. U n d auch viele Ungläubige fanden unter dem überwältigenden Eindruck des Ethos und der Heiligkeit des großen Asketen den W e g zum christlichen Glauben. Aber auch seitens der offiziellen Kirche wurde dem M ö n c h t u m schon recht früh Achtung und Bewunderung zuteil. So wurde es von berühmten Vätern und Lehrern der Kirche als höchste Philosophie, als engelgleiches und apostolisches Leben gefeiert 4 3 ). U n d Theodor von Studion pries es als coenobitisches Paradies und als Mysterium 4 4 ). Die Kirche war schon früh bestrebt, sich die ungeheure Macht und W i r k u n g des M ö n c h tums nutzbar zu machen. O b w o h l die ersten Anachoreten sich der E i n und Unterordnung in den heiligen Klerus leidenschaftlich widersetzten, 42
) Ebenda, S. 1189.
) Gregor von Nyssa, Katechetische Rede 1 8 ; Migne P. G. 45, 56.
43
" ) Migne P. G. 99, 937. 1524.
Das Mönchtum
der orthodoxen
Ostkirche
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kam es doch bald zur Annäherung zwischen Klerus und Mönchtum, indem nämlich auch Kleriker in die Klöster eintraten oder Mönche zu Priestern geweiht wurden. Zudem bestimmte Basilius der Große als erster, daß diejenigen, die Mönch zu werden wünschten, ein förmliches Gelübde der Ehelosigkeit abzulegen hätten, und zwar vor den „Vorstehern der Kirchen". Diese sollten auch eine besondere Liturgie zelebrieren, in der die künftigen Mönche Gott übergeben und geweiht werden45). Auf diese Weise hörten die Mönche auf, Laien zu sein. Hinfort nahmen sie eine Mittelstellung zwischen Volk und Klerus ein, wobei sie jedoch fraglos eher zum Klerus gehörten. Vor allem seit es Brauch wurde, daß alle Bischöfe unverheiratet sein müssen, rekrutierte sich der hohe Klerus vorwiegend aus dem Mönchsstand. Und in der Tat gingen aus den Klöstern Bischöfe hervor, die der Kirche wahrlich zu höchstem Ruhm gereichten. Aber auch seit die Mönche Priesterweihen empfingen, dienten sie der Kirche auch und vorwiegend als Beichtväter, die das Kirchenvolk mit ihrer Frömmigkeit und Heiligkeit nährten und erzogen. Zugleich aber waren die Klöster auch Pflegestätten der Wissenschaft, insbesondere der Theologie. Vor allem die byzantinischen Mönche zeichneten sich als Verfasser theologischer Werke aus. Es genügt hier, die Namen des Johannes Climacus, des Maximus Confessor, des Theodor Studites, Johannes von Damaskus, Symeons des Neuen Theologen und der Hesychasten vom heiligen Berg Athos zu nennen. Das Studionkloster in Konstantinopel und die zahlreichen Athosklöster waren in der Tat theologische Bildungsstätten und Zentren der christlichen Kunst von unvergleichlichem Rang. Dort wurden ganz unschätzbar wertvolle Handschriften und andere Kostbarkeiten gehütet. Und auch die Schätze der klassisch-griechischen Bildung und Weisheit wurden hier vor dem Untergang bewahrt. Außerdem haben wir bereits erwähnt, daß, sooft die Grundlagen des Glaubens bedroht waren, gebildete Mönche die Abgeschiedenheit ihrer Klöster verließen und mit Mut und Unerschrockenheit und unter Aufopferung ihres Lebens für die Verteidigung der von den Vätern überkommenen Überlieferung kämpften. Besonders in den trinitarischen und christologischen Auseinandersetzungen wie auch später im Bilderstreit standen zahlreiche hervorragende Vertreter des Mönchtums in vorderster Front und hielten mit ihrem mutigen Zeugnis auch nicht vor Kaisern zurück, selbst wenn sie für ihren Glauben mit Verbannung und Tod bestraft wurden. Nicht gering war auch der Dienst, den das Mönchtum im orthodoxen Osten dem Volke leistete. Dieses ehrenvolle Erbe traten in erster Linie " ) „ K u r z e R e g e l n " , Frage 1 5 ; M i g n e P. G . 3 1 , S. 1 0 9 1 .
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
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die Athosmönche an, als 1453 Konstantinopel unter das Joch der türkischen Eroberer kam. In den folgenden Jahren der Knechtschaft wurde der Athos auch zum Hort der nationalen Hoffnungen des unterjochten Volkes. Doch der Dienst des Mönchtums für das Volk war noch umfassender. Trotz aller gegen es geführten Schläge hörte das Mönchtum nicht auf, ein unerschütterlicher Hort und Schild der religiösen und ethischen Werte der Orthodoxie zu sein, sich der Nöte und Sorgen des unterdrückten Volkes anzunehmen und ihm Rat und Hilfe zuteilwerden zu lassen. Doch erwiesen sich die Klöster nicht nur als Zuflucht für die unterdrückten und verfolgten Gläubigen, sondern auch als Stätten, da die Schätze der Kultur der Vorfahren bewahrt wurden und die Fackel des Glaubens und der nationalen Ideale nicht zum Verlöschen gebracht werden konnte. Die Mönche, die stets das Schicksal der Kirche und des Volkes zu ihrem eigenen gemacht hatten, stellten sich dem geknechteten Vaterland als Hilfe und Beistand zur Verfügung und setzten sich rastlos für die Bewahrung nicht nur der väterlichen Religion und Sitte, sondern auch des nationalen Bewußtseins bei ihren versklavten Brüdern ein. Es steht außer Frage, daß die nationale Wiedergeburt der Hellenen in großem Maße der rastlosen Arbeit der Mönche zu verdanken ist. *
*
•
Soviel sei in Kürze und in großen Zügen über das Mönchtum der Orthodoxen Ostkirche gesagt. Gewiß darf nicht verschwiegen werden, daß im östlichen Mönchtum wie in jeder anderen geistigen Bewegung durch die Jahrhunderte hindurch zahlreiche Entartungen und Übersteigerungen zu beobachten sind, denen dann auch verantwortungsvolle Hierarchen und Kirchenväter mit Schärfe entgegengetreten sind. Ebenso ist unumwunden festzustellen, daß sich das Mönchswesen im orthodoxen Osten heute, aus historischen Gründen wie auch anderen Ursachen, im Zustande des Verfalls befindet. Dessen ungeachtet bildet es nach wie vor ein wertvolles Kapital in den Händen der Kirche. Und wenn es nur recht gefördert und in der angemessenen Weise verwendet wird, so kann es der Kirche wie dem Volk noch reiche Früchte bringen.
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ERZBISCHOF PROF. D R . THEOL. HIERONYMUS KOTSONIS
DIE S T E L L U N G DER L A I E N I N N E R H A L B DES K I R C H L I C H E N O R G A N I S M U S (Nach dem kanonischen Recht der Orthodoxen Ostkirche) *)
ach orthodoxer Lehre besteht die Kirche, deren Haupt Christus selbst ist, „aus allen, die getauft sind und in Verbindung miteinander arbeiten und eifern für die Verwirklichung des Ziels, dessentwegen die Kirche gestiftet wurde" 1 ). Folglich sind die Glieder der Kirche vor Gott gleich, sie sind heilig (Eph. 4, 12), sie sind das „königliche Priestertum" (I. Petr. 2, 9), denn der Herr „hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater" (Offb. 1, 6). Daraus folgt, daß die Unterteilung der Glieder der Kirche in zwei Stände, in Geistliche und Laien, keine substantielle, sondern eine funktionelle ist, wie sie sich bei jedem lebenden Organismus ereignet. Diese Unterscheidung aber bestimmte der Heilige Geist selbst (Eph. 4, 1 1 - 1 2 ) . Während nun diese Unterscheidung und das Ziel der Gesamtheit der Kirche eindeutig gesetzt ist, ist das Verhältnis der beiden Stände der Glieder der Kirche zueinander, vor allem die Stellung der Laien in ihr, noch nicht ausreichend festgelegt. Aus diesem Grund entstanden früher, aber auch in neuerer Zeit, und zwar in der Orthodoxie auch, bestimmte Probleme, die eine reichhaltige Literatur über dieses Thema hervorbrachten2). *) Abkürzungen. Die vollen Titel der unten vermerkten, wie auch der in den Anmerkungen erwähnten Quellen sind aus dem bibliographischen Katalog zu ersehen. KA IIA FIE PII
= Gedeon, Kavovixai AiazâS-Eiç etc. = K. Rallis, üoivixov Alxaiov etc. = K. Delikanis, Tleoiynacpixàç xarâXoyoç, etc. = EvvTayfia iegcöv Kavovoiv etc. von Rallis und Potlis.
N. M. Milasch-M. Apostolopoulos, To'ExxXrjOiaOTixàv Alxaiov 1 fjç'Oçdoôô$ov 'AvaroXixfji; ' ExxXrjaiaç, Athen, 1906, S. 299. 2 ) W i r verweisen von der orthodoxen bzw. von der griechischen Seite auf folgende W e r k e : K. I. Dyovouniotis in „' ExxXrjola" 8 (1930) „Ol Aa'Cxol èv T f j 'OQ&OÔÔI; 'ExxÀrjoiç", S. 385-386 und 401-404, P. Bratsiotis in ,,'AvénXaaiq" 1953, „Baaü.eiov iendrev/xa" 4 9 - 5 1 und „ Il Xaïxij leQancxrcoW ebd. 1 1 7 - 1 2 0 , „Ileoi ro ßaotltiov leQdrev/ta" in „rQrjyàgioç IlaXafiâç" 38 (1955) Heft 440-441 a, b S. 5 - 1 5 , P. Trempelas in der Zeitschrift „'Exxlrjata" 9 (1931) S. 20-22, 33-36, 49-50 und ders. „Ol latxoi èv r f j ixxÄrjola, Athen,
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus
299
Die vorliegende Untersuchung wird versuchen, während sie den Leser bezüglich der anderen Seiten des Themas auf die Spezialforschungen hinweist, nur zweierlei in größtmöglicher Kürze darzustellen: Erstens die grundlegenden kanonischen Anordnungen der Orthodoxen Ostkirche, durch die die Stellung des Laienelements im kirchlichen Organismus theoretisch bestimmt wird, und zweitens den tatsächlich vorhandenen Zustand in der Vergangenheit und in der Gegenwart.
I. Kapitel DIE GRUNDLEGENDEN KANONISCHEN ANORDNUNGEN BZGL. DER STELLUNG DER LAIEN INNERHALB DES KIRCHLICHEN ORGANISMUS Es ist notwendig, daß wir zur Bestimmung der Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus der Orthodoxen Ostkirche im allgemeinen die grundlegenden gesetzlichen Verordnungen derselben durchgehen. Der Nomokanon des „Photios" hat den Laien einen besonderen Abschnitt gewidmet, den 13. Titel, der 41 Kapitel enthält3). Von diesen beschäftigen sich nur sieben mit der Stellung der Laien in der Kirche im allgemeinen. Die übrigen 34 behandeln Fragen der kirchlichen Disziplin (des kirchlichen Strafrechts) und der Ehe. Außerdem finden sichjedoch verstreut in die übrigen Titel des Nomokanon, wenn es hoch kommt, etwa 20 Kapitel, die sich mit der Stellung der Laien in der Kirche beschäftigen. 1957, V. Joannidis, „To egyov xat j; deaiQ TCÖV XaixCov iv rfj'Exxkrjaia", in „IJdvraivoQ" Bd. 11, A p r i l 1955, Georgius, ehem. Metropolit von Nevrokopiou, „To ßaaü.Eiov ieodrEv/xa xai fj ä?.i]0rjq arjßaaia avTov" in ,,/^oryyooto; IIA^AFIÄG" 37 (1954) A. 2 1 4 - 2 2 4 und 297-307 und „'OQOÖÖO^OI; Xoicniavixr} 'ETaioela", „Tä öixauopara TOJV iaixöjv e'ig rijv 'OoOodo^ov ' ExxArjoiav", in Kvorjia" 1954, 279-280 und 290-291, N. Afanassieff, „The Ministry o f the Laity in the Church" in „Ecumenical Review", Vol. X (1958) S. 255-263,
ders. „Das allgemeine Priestertum in der Orthodoxen Kirche", in „Eine heilige Kirche", XII (1935), Hieronymus Kotsonis, ,,'H Oeatg TOJV Xa'Cxwv elg TOV exxXrjaiaanxov ooyavia/iov" ,,'H DEAN; TÖJV "AA'ixüjv EVROG
in ,,'Axrlveq" TOV
IXXXRJOIAOTIXOV
X I X (1956), S. 103-199, ders. ogyavia/xov", Athen, 1956.
In I'LL I, 274-333. Auch die sogenannten „Constitutiones apostolorum" widmen das ganze erste Kapitel den Laien, aber es geht dort lediglich um ethische Ermahnungen an dieselben. (Herausgegeben von F. X. Funk, 1905, torn. I, S. 3-29-) 3)
300
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Die Landes-Teil-Synoden, ebenso die oekumenischen, haben sich niemals systematisch mit dem Problem der Stellung der Laien in der Kirche beschäftigt. Es tragen jedoch etwas mehr als 70 der von ihnen edierten heiligen Kanones zu diesem Thema etwas bei. Diesen heiligen Kanones müssen noch, wenn es hoch kommt, zehn hinzugefügt werden, die aus in kanonischer Geltung stehenden Schriften der Väter oder anderer Kirchenmänner stammen und in die offizielle Sammlung der heiligen Kanones der Orthodoxen Kirche Aufnahme fanden. Der Inhalt der oben erwähnten Teile des „photianischen" Nomokanons und der heiligen Kanones der Teil- und oekumenischen Synoden und der Väter bezieht sich auf die Stellung, die die Laien in der Kirche haben, und besonders auf die Rechte und Pflichten, die für sie bestimmt sind, sei es bezüglich des inneren Lebens, sei es bezüglich der äußeren Wirkung der Kirche. 1. Die organische Stellung der Laien des kirchlichen
innerhalb
Organismus
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus wird hauptsächlich durch den Unterschied in bezug auf die Stellung des Klerus
und
besonders der Bischöfe innerhalb des Klerus definiert4). Dieser Unterschied tritt im Kult sehr stark zutage. Zunächst einmal ist die Verwaltung der Sakramente der Kirche und des Kultes im allgemeinen dem Klerus anvertraut, einiges davon, wie das Sakrament der heiligen Buße und das Sakrament der Priesterweihe, ebenso die Weihe des heiligen Öls, sogar nur den Bischöfen. Aber auch die Abteilung eines Ortes im Kultraum, den nur die Geistlichen betreten dürfen 5 ), unterstreicht den Unterschied zwischen Klerus und Laien. Auch das bestehende Verbot, daß die Laien die praesanktifizierten (vorgeheiligten) heiligen Elemente, in „ A n wesenheit eines Bischofs, Priesters oder Diakons" nicht mit ihrer eigenen Hand berühren sollen6), zeigt in ähnlicher Weise deutlich den Geist, der in den Kanones herrscht, soweit es sich um die Bestimmung der Stellung der Laien in bezug auf die Geistlichen handelt. Sicher, auch die Laien gehören zum „königlichen Priestertum" (I. Petr. 2, 9), und in weiterem Sinne sind sie „Priester und Könige" (Offb. I, 6), aber dies bedeutet nicht. 4
) Vgl. MUasch-Apostolopoulos, a. a. O. 307-317. Einen Kanon, der die Mitwirkung am Kult, an der Verwaltung, an der Formulierung des Dogmas und an der Mission auf den Klerus allein beschränkt, gibt es in der Orthodoxen Kirche nicht. 5 ) Kanon LXIX der 6. Oek. Synode (P77 II, 466) und Kanon X I X der Synode in Laodic. (PII III, 188). «) Kanon LVIII der 6. Oek. Synode ( P i 7 II, 437).
Die Stellung der Laien
innerhalb
des kirchlichen
Organismus
301
daß zwischen ihnen und den Geistlichen keinerlei Unterschied bestünde 7 ). Eine Differenz besteht, und sie fällt ja auch an dem den Geistlichen eigenen Gewand auf, das den Laien zu tragen verboten ist 8 ). Ja, noch mehr, vom Gesichtspunkt des Ranges gesehen, wird den Geistlichen, und zwar auch den niederen, ein höherer Platz zugewiesen als dem Laienvolk 9 ). Die Berechtigung dieser Unterscheidung hegt daran, daß die Mitglieder des Klerus „zum Priester geweiht werden, die vom Volk aber ferne des Priestertums sind" 1 0 ). Folglich wird durch das Sakrament der Priesterweihe eine deutliche Unterscheidung zwischen den Gliedern der Kirche aufgerichtet, die den Geistlichen einen höheren, den Laien einen niedereren Platz zuweist. Noch betonter wird der Unterschied zwischen Laien und Geistlichen durch die Art unterstrichen, in der die Stellung des Bischofs in der Kirche von den Heiligen Kanones hervorgehoben wird 1 1 ). Die privilegierte Stellung des Bischofs gegenüber dem übrigen Klerus, vielmehr noch aber gegenüber den Laien, wurde auch von den politischen Gesetzen der byzantinischen Kaiser 12 ) und der neueren freien Staaten geschützt 13 ). Aber diese herausgehobene Stellung, die dem Bischof durch die oben erwähnten Kanones gegeben wird, darf nicht dahin mißverstanden wer7
) Vgl. Constitutiones
apostolorum
VIII, 15 (F. X. Funk,
1905, 562): „ A b e r keines-
wegs ist jeder, der glaubt, schon Priester geworden oder hat schon hierarchische W ü r d e erlangt." Ü b e r die priesterliche Vollmacht im ganzen siehe: Eutaxias, EQevvai TOV 8
II Eni leQaTixfji;
iüovoiag,
Athen, 1872, wie auch G. Konidaris,
7iQÖq Xvaiv TÜIV Tinoßkrj/xara>v
ÄGXTXOV
XGIOTIAVIOßOV,
r(hv nrjyOJV TOV exxA.
Joh. Neai
TioXiTEvpaTOQ
A t h e n 1 9 5 6 , S . 290 ( 7 4 ) f .
) Vgl. Kanon X X V I I der 6. Oek. Synode ( P / 7 II, 364) und X I I der Synode in
Gangra ( P / 7 III, 108) und Art. 57 des Gesetzes 671/1943. 9
) So bestimmt der Kanon X V I der Synode in Karchedon ( P / 7 III, 342), vgl.
auch Zonaras (a. a. O . S. 343) und Balsamon (ebd. 345). 10 n
) a . a . O . 343 und 345.
) Vgl. den K a n o n X X X I X sanct. apostolorum ( P / 7 II, 54). Siehe auch „ C o n -
stitutiones apostolorum" II, 14, 12 (Funk, a. a. O . 55). Vgl. auch ebenda II, 26, 4, 33. 3 - 3 4 . 6 (Funk, Nevrokopiou,
a. a. O . 117-119). Vgl. auch Georgius,
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v.
TOV Aaov,
Athen, 1951 und Sanct. apostolorum X X X I ( P / 7 II, 39), VIII der 4. Oek. Synode ( P / 7 II, 234), X X X I der 6. Oek. Synode ( P / 7 II, 371), X I I , XIII, X I V und X V der 1./2. ( P / 7 I I , 687-693), 4. und 5. v o n Antiochia ( P / 7 I I I , 132-136) u n d X u n d X I der in Carthagena ( P / 7 III, 318, 320). Vgl. auch LVIII n o v . Just, und besonders LXVV. 12
) Vgl. n o v . Just. L X V I I . Darüber siehe: Hamilcar
Alivisatos,
gebung des Kaisers Justinian I., Berlin 1913, S. 54-55. 13
) Vgl. A r t . 24 § 1 des Gesetzes N r . 2200/1940.
Die kirchl. Gesetz-
302
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
den, daß in der Kirche in irgendeiner Weise eine willkürliche Macht bestehe, die tun und entscheiden könne, was ihr gefalle 1 4 ). Auch der Bischof ist verpflichtet, in Übereinstimmung mit den im Corpus der Kirche herrschenden Gesetzen zu handeln und zu wirken. Daraus folgt, daß die Laien dem Bischof und dem übrigen Klerus gehorchen müssen, Bischof und Klerus im allgemeinen aber müssen sich nach der im ganzen kirchlichen Organismus herrschenden Ordnung richten 15 ). 2. Worauf bezieht sich die Unterscheidung zwischen Klerus und Laienvolk? Es wird nun nötig, daran zu erinnern, daß die Differenz zwischen Klerus und Laien sich nicht auf die Machtbefugnis, sondern auf die Stufe des Dienens bezieht. Denn der Klerus hat die Weihen nicht empfangen, u m sich der Herde zu „bemächtigen" und sie zu „unterjochen", sondern u m ihr zu dienen 16 ). Von da her muß der Geistliche alle ihm zur Verfügung stehende Zeit und alle seine geistigen und körperlichen Kräfte dem ihm auferlegten Dienst widmen. Deshalb müssen auch alle Verbote bezüglich Einmischung der Priester in Dinge, die ihrem hohen Dienst fremd sind, von diesem Gesichtswinkel aus untersucht werden. In bestimmter Weise hat doch die einem Geistlichen anvertraute Herde das uneingeschränkte Anrecht sowohl auf die Zeit ihres Hirten als auch auf sein ganzes Leben. Aus diesem Grund ist es zu allem anderen den Geistlichen verboten, politische oder militärische Ränge anzunehmen oder sich in weltliche Angelegenheiten einzumischen 17 ), denn dies würde unvermeidlicherweise ihre Zeit und Kräfte ) Kanones, die eine mögliche Willkür des Bischofs begrenzen, haben wir in Kanon Vder i. Oek. Synode (P/7 II, 124-125) XIV der Synode in Sardika (P77III, 267), XI (ebd. 320), C X X X I I (ebd. 603), CXXXIII (ebd. 604-608) der Synode Carthagena. l ä ) Vgl. auch Kanon LVIII der Synode in Laodicaea (P77 III, 224). 16 ) Matth. 20, 25-28, Mark. 10, 42-44. In richtiger Weise unterstreicht G. Konidaris (Neai eQevvai, usw. a. a. O. S. 290 (74) Anm. 1), daß der Gebrauch des Wortes „¿¡¡ovaia" (=Machtbefugnis, aber auch Bemächtigung) hier nicht sehr zutreffend ist. Siehe auch Joh. 13, 4-15 und Luk. 12, 42-44. " ) Vgl. Kanon L X X I und LXXIII sanet. apostolorum (P/7 II, 104,107), III und VII der 4. Oek. Synode (P/7 II, 220-22r, 232), X der 7. Oek. Synode (P/7 II, 587-588), XI der 1./2. (P77 II, 686) und XVI der Synode in Carthagena (P77III, 342). Vgl. aus dem Nomokanon des „Photius" Tit. VIII, Kap. XIII und die Anmerkungen der Patriarchen von Konstantinopel, Lukas (r 156-1169) und Michael III. (1169-1177) (in P/7 III, 345-349). Vgl. auch P. Pouütsas, ZxioK rioXneiaz xai' ExxXtjaiag, löia ini ¿xXuyfjg imaxonov, Bd. I, Athen 1946, 14
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus
303
verschlingen. Pflicht und Aufgabe des Geistlichen gegenüber den Laien ist, daß er ohne Einschränkung für sie sorge: „Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe" (Joh. 10, 12). W i e stark das Verantwortungsgefühl sein soll, das die Bischöfe gegenüber der ihnen anvertrauten Herde haben sollen, erhellt aus den Strafen, die Bischöfen und Geistlichen hei Vernachlässigung dieser ihrer Pflichten auferlegt werden. So verhängt der L I X . apostolische Kanon über einen Bischof, der den ihm untergebenen Geistlichen nicht „das Gebührende gewährt", den Bann, im Falle der Unbußfertigkeit die Degradierung. Die auferlegte Strafe ist darum hart, weil ein solcher Bischof „als einer, der seinen Bruder umgebracht hat" zu betrachten ist 18 ). Der Bann wird auch über einen Bischof oder Priester oder Diakon verhängt, der es aus Geringschätzung versäumen wollte, die pastoralen Pflichten in dem Bistum oder der Pfarrei zu übernehmen, für die er gewählt wurde 1 9 ). Wenn es sich aus irgendeinem Umstand zeigen sollte, daß die Geistlichen einer Gegend „nicht die Zuchtmeister des in etwa unbotmäßigen Volkes wurden", so ist festgelegt, daß die gesamte Priesterschaft dej ungehorsamen Gegend mit dem Bann belegt wird 20 ). Ähnlich bedeutet auch die christliche Verkündigung und die auf welchem W e g auch immer geschehende kirchliche Lehre keine Machtbefugnis des Klerus gegenüber den Laien, sondern ein Dienst desselben an ihnen* 1 ) und sogar das Recht der Laien vom Klerus geistlich „ernährt" zu werden. Nach den heiligen Kanones sind die Seelen der Laien dem Bischof anvertraut, der einmal über ihre Seelen Rechenschaft ablegen wird 2 2 ). Daß dies aber Pflicht und nicht Vorrecht des Klerus gegenüber dem Laienvolk und umgekehrt Recht der Laien gegenüber dem Klerus und besonders 5. 306-307, dort auch reiche Hinweise, siehe auch H. Kotsonis, 'II Wfjipog TWV xArjpcxojv, Athen 1954, S. 4, dort bibliographische Angaben. 18 ) P/7 II, 76. Vgl. auch Constitutiones apostolorum II, 21, 7-9 (Funk a.a.O. 81). 19 ) Kanon X X X V I sanet. apostolorum (P/7II, 48). Vgl. auch die Kanones XVII und XVIII der Synode in Antiochia (PI7 III, 158, 159) und XVII der 6. Oek. Synode (PIT II, 343). 20) a. a. O. (PH II, 48). Siehe auch Kanon XVIII der Synode in Antiochia (P/7 III, 159) und LVII der 6. Oek. Synode (P/7 II, 388). Vgl. auch XVIII der Synode in Ancyra (P77 III, 58). 21 ) Vgl. „Constitutiones apostolorum" II, 26, 4 (Funk, a. a. O. 106): „Der Bischof, er ist Diener des Worts." 22 ) Kanon X X X I X sanet. apostolorum (P/7 II, 54). Vgl. auch Constitutiones apostolorum II, 20, 2-11 (Funk, a. a. O. S. 73, 77, 6-14) und Kanon XIX der 6. Oek. Synode (P/7 II, 346-347), II der 7. Oek. Synode (P/7 II, 560-561). Siehe auch Kanon LVIII sanetorum apostolorum (P/7 II, 75) und die Interpretation Balsamons in Kanon CXXI der Synode in Carthagena (P/7 II, 582).
304
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
gegenüber dem Bischof ist, wird aus den Strafen deutlich, die die Heiligen Kanones über Bischöfe und Priester verhängen, wenn diese ihre Pflicht vernachlässigen. Die Fürsorge des Bischofs und im weiteren Sinne des Klerus, die sich in der Lehre äußert, ist nicht nur gegenüber den Gläubigen gerechtfertigt, die den rechten Glauben haben und ein gutes Leben führen, und vielleicht denen gegenüber, die „in den einen oder anderen Fehler verfallen sind" 23 ), sondern auch gegenüber den im Umkreis des Bistums lebenden Häretikern 24 ). Durch das oben Gesagte wird die Stellung der Geistlichen als Diener der Laien noch mehr unterstrichen. Es ist damit bewiesen, daß die Auffassung nicht richtig ist, die Geistlichen seien etwa durch besondere „Vorrechte" ausgerüstet. 3. Unterschiede innerhalb des Laienstandes W i r nehmen jedoch auch innerhalb des Laienstandes Unterschiede wahr. Sie beziehen sich einerseits auf die Frauen, andererseits auf die byzantinischen Kaiser. Was die Frauen anbelangt, so beobachten wir, daß diese, wenngleich sie in älterer Zeit an den Bischofs wählen teilnehmen 25 ), doch bestimmten, von ihrem Geschlecht bedingten notwendigen Beschränkungen in bezug auf ihre Teilnahme am Leben der Kirche unterworfen werden. W i e aus der Novelle X V I I des Kaisers Leo des Weisen hervorgeht, war die Geringschätzung, die einige gegenüber den Frauen hegten, so groß, daß sie unter Verkennung „der großen Gefahr und des großen Schadens, der durch das Unfromme und Schädliche an dieser Frömmigkeit angerichtet wird", dabei verharrten, den sterbenden Wöchnerinnen die Taufe oder den todkranken und „in absede" befindlichen Frauen die Kommunion zu verweigern, eine Sache, die, wie die Verordnung richtig bemerkt, sogar noch jenen zugestanden wurde, die „infolge des Übermaßes von Freveltaten lange Jahre der lebenspendenen Kommunion entbehrt hatten". Auch ist es nach dem kanonischen Recht der orthodoxen „Constitutiones apostolorum" II, 40,1. (Funk a. a. O. S. 129). Kanon CXXIII der Synode in Carthagena ( P / 7 III, 585-586). Vgl. auch Kanon X X V der 4. Oek. Synode ( P / 7 II, 273), XVI der 1./2. (ebd. 696-697), X I der Synode in Sardica ( P / 7 III, 259), CXXI der Synode in Carthagena (ebd. 580-581). Siehe auch Kanon L X X X I derselben Synode. Vgl. auch Stephan Zankow, The Eastern Orthodox Church, London 1929, S. 82-83, was K. Dyovouniotis a. a. O. 402 widerlegt. 26) Vgl. P. Trempelas, 'HOV/J/IETOXV *OV foiov êv r f j ÈxXoyfj rwv imaxôiicov, Sonderdruck aus der 'EnerrjQtç Tfjç: 8eoA. Sxo^-fjç t o v IIav\jiiov 'Adrjvcüv 1954-1955, Athen 1955, S. 5-6. 23 ) 24 )
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus
3 05
Kirche verboten, Frauen zu Priestern oder Bischöfen zu weihen; sie können lediglich die Diakonissenweihe empfangen, die jedoch jetzt außer Gebrauch gekommen ist 26 ). Umgekehrt steht der Kaiser in der Kirche auf einer höheren Stufe als das einfache Laienvolk. So ist es dem Kaiser erlaubt, den Altarraum zu betreten, „so oft es ihm gefällt, dem Schöpfer Geschenke darzubringen, gemäß einer sehr alten Überlieferung" 2 7 ). Dies bedeutet sicherlich nicht, daß der Kaiser nicht Laie sei, denn beide Interpreten der Kanones erwähnen, daß der Kaiser unter die Laien gerechnet wird 2 8 ). Das Vorrecht des Kaisers bestand aber, nach der weiter gefaßten Auslegung des Balsamon, nicht nur daraus, „so oft es ihm gefällt, dem Schöpfer Geschenke darzubringen", sondern auch „zur Anbetung allein" zu erscheinen. Denn „die orthodoxen Kaiser, die Gesalbten des Herrn, welche, durch Epiklese der heiligen Trinität, Patriarchen einsetzen, gehen ungehindert in den heiligen Opferraum hinein, und sie räuchern und sie besiegeln mit den drei Kerzen wie die Erzpriester". Dennoch bleibt es trotz der Ausnahmestellung des Bischofs und des Kaisers in der Kirche und trotz dem niedrigeren Platz, der der Frau im Vergleich zum Manne zukommt, dabei, daß es zwei unterschiedene Stände in der Kirche gibt, den des Klerus und den der Laien, aber in ungeschiedener Einheit des einen Leibes, der Kirche. Diese Unterscheidung, aber auch diese Einheit, zeigen sich deutlich im praktischen Leben der Kirche, also bei ihrem Heiligungswerk, bei ihrem Lehramt und bei ihrer Verwaltungstätigkeit. II. Kapitel DIE S T E L L U N G DER LAIEN I N N E R H A L B DES K I R C H L I C H E N O R G A N I S M U S IN D E R P R A X I S DER VERGANGENHEIT UND GEGENWART 1. Die Stellung der Laien im Heiligungswerk der Kirche Im Heiligungswerk der Kirche zeigt sich sowohl die Unterscheidung der Gläubigen in zwei getrennte Stände als auch die Einheit dieser zwei ) Vgl. Kanon IV der Synode in Chalcedon (P/7 II, 254), XIV der 6. Oek. Synode (P/7 II, 337). Siehe auch Kanon X I X der 1. Oek. Synode (P/7 II, 158), Kanon XI der Synode in Laodicaea (P/7 III, 181). Für die historische Entwicklung der Diakonissen siehe Evang. Theodorou, 'H „xetQOTovla" rj „%ei.Qodeoia" TWV Siaxoviaawv, Athen 1954, S. 17-37. " ) Kanon LXIX der 6. Oek. Synode (P/7 II, 466). i e ) P / 7 II, a.a.O. 2a
306
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Stände in dem einen Leib der Kirche. U n d die Differenz bezieht sich, wie oben erwähnt wurde, nicht auf den Grad der Machtbefugnis, sondern des Dienens. Der Dienende im Kult ist vor allem der Geistliche. Der Geistliche betet nicht als Repräsentant des Laienvolkes oder anstelle desselben, sondern er vollzieht den Sakramentsdienst u m den göttlichen Kult und betet mit dem Laienvolk und seinetwegen. In diesem Sinne sind die GeistÜchen jedwelchen Grades „Diakone". Es ist sehr charakteristisch, daß der heilige Johannes Chrysostomus auch selbst die Bischöfe Diakone nennt 29 ). Nicht als solche, „die übers Volk herrschen" (I. Petr. 5, 3), sondern als „Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse" (I. Kor. 4, 1) sind sie diejenigen, denen die Verwaltung der Geheimnisse Gottes anvertraut ist 30 ). Daneben zeigt sich im Kult auch die Einheit des Leibes der Kirche, denn den Laien wird hier nicht nur gedient, sondern sie dienen auch selbst durch ihre Mitwirkung bei der Ausübung des göttlichen Kultes 3 1 ). U n d das war besonders in früherer Zeit so, als bekanntlich die Teilnahme der Laien am Gottesdienst noch weit aktiver war. Was f ü r die Verwaltung der heiligen Sakramente gilt, das gilt auch allgemein für den öffentlichen Kult, nämlich daß die Ausschließlichkeit des Dienens, die dem Klerus im Kult zukommt, betont in Erscheinung tritt. Im Notfalle jedoch ist auch eine stärkere Teilnahme der Laien am Gottesdienst erlaubt. So ist es z. B . im Notfalle den Laien erlaubt, die K o m m u nion zu erteilen 32 ) und die Taufe zu vollziehen 33 ). Dies jedoch nur, soweit es sich um die Austeilung der Sakramente handelt, denn was ihren Vollzug anbelangt, so ist die Gegenwart und aktive Teilnahme des Pleroma (d. h. der Fülle) der Kirche unerläßlich3*). 29
Migne P.G. 62, 138. ) Es gibt heilige Kanones und kanonische Verordnungen der Kirche, die die Verwaltung der Sakramente von Laien ausdrücklich verbieten. Vgl. Kanon LVIII der 6. Oek. Synode (PJ7 II, 437). 31 ) Vgl. P. Trempelas, 'H QUjfiawxaBoXixr] XeiTovgytxr] xtvjjaiç xal rj noaQir rrjç 'AvaroXrjç, Athen 1949. 32 ) Vgl. Hier. Kotsonis, Mio. lôiâÇovoa neQÎnrmaiç Olxovo/xlaç: 'H 6. EvyaQiazia, fiercupeQofiévr] vtzô yvvaixojv fiij Xßiariavmv, in „BeoXoyia" XXVII (1956) S. 5x3-532 und in Sonderdruck. 33 ) Über die von Laien vollzogenen Taufen siehe Milasch-Apostolopoulos, 791792 und A. P. Christophilopoulos, 'EXXrjVixov ' ExxXrjaiaarixov Aixaiov, Bd. II (1954), S. 15. 34 ) Viele ältere Zeugnisse dafür siehe bei Paul Dabin, La sacerdoce Royal des Fidèles dans la Tradition ancienne et moderne, 1950. 30
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus
307
Endlich ist bei der Priesterweihe die Anwesenheit der Laien und ihr Gebet f ü r den, der geweiht wird, unabdingbar 3 5 ). Außer der oben aufgezeigten Teilnahme am Kultischen w a r jedoch in älterer Zeit einer bestimmten Kategorie v o n Laien, den Confessoren des christlichen Glaubens, v o n der Kirche noch ein anderes Recht der Teilnahme am Heiligungswerk der Kirche zugestanden worden. Es w a r das Vorrecht der Confessoren, schweren Sündern die V e r g e b u n g auszusprechen. Dieses Recht w u r d e ihnen jedoch v o n den Synoden nicht zuerkannt. 2. Die Stellung der Laien im Lehramt der Kirche D i e Unterscheidung zwischen Klerus und Laien, aber auch die gleichzeitige Einheit der beiden Stände, tritt ebenso bei der Ausübung des Lehramts der Kirche in Erscheinung. W i r sahen schon oben die besondere Verantwortung, die dem Klerus mit dem „Dienst am W o r t " z u k o m m t ( A p g . 6, 4) 3 6 ). Diese Verantwortung jedoch und überhaupt das Lehramt der Kirche stellen keine ausschließliche Pflicht des Klerus dar, noch kann die Mission der Laien einzig auf das paradigmatische Bekenntnis des Glaubens beschränkt werden. Das Lehramt der Laien ist notwendig und in vielem unersetzlich, es ist Ergänzung des Lehramts des Klerus. Zunächst ist, was die Formulierung der kirchlichen Lehre betrifft, die Laienseite noch immer v o n Bedeutung. Sicher ist eine Beschränkung ihrer Teilnahme an der Formulierung der kirchlichen Lehre wahrzunehmen, w e n n w i r das heute Geltende mit den früheren Zeiten v e r gleichen. A b e r auch an diesem Punkt hat die Einflußnahme der Laien nicht gänzlich aufgehört, soweit nämlich die einheimischen theologischen Schulen, die zum größten Teil aus Laien bestehen, w i e auch einzelne Laientheologen, v o m Klerus aufgefordert oder v o n sich aus, ihre M e i nungen zu irgendwelchen Problemen in der Heiligen Synode vortragen können. Diese Meinungen können, obgleich sie keinen verpflichtenden Charakter haben, die Synode bei der Abfassung ihrer Entscheidungen stark beeinflussen 37 ). In früherer Zeit w a r die Teilnahme des Laienelements der Kirche an der Bestimmung ihrer Lehre noch größer. W i r denken dabei natürlich nicht an das lebendige Interesse der großen Masse der Laien an den dogmati35
) Siehe Nov. Justiniani VI, I und C X X I I I , 2 und Milasch-Apostolopoulos a. a. O. 307. Über die Teilnahme der Laien bei der Ordnung der Bischofsweihe siehe bei P. Trempelas, Zv/xfiETOxtf usw., S. 25-27. 36 ) Siehe P. Trempelas in ExxXr/aia" a.a.O. S. 21. 37 ) Dies geschah z. B., als es um die Geltung der anglikanischen Priesterweihe ging, um den Massonismus u. a.
308
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
sehen Themen. Aber es ist heute bekannt, daß die Oekumenischen Synoden, die das autoritativste Organ zur Bestimmung der Lehrinhalte der Kirche darstellen, vom Kaiser und vom Senat {Zvy>iXr]XOQ), also von Laien einberufen wurden3S). Viele Laien nahmen auch an den Oekumenischen Synoden teil, Theologen, Pliilosophen und ganz allgemein jeder, der der in Frage stehenden Themen kundig war und durch seine Einladung den an der Synode teilnehmenden Hierarchen zur Klärung derselben verhelfen konnte 39 ). Nicht nur an oekumenischen, sondern auch an Teilsynoden, die sich mit dogmatischen Fragen beschäftigten, nahmen Laien teil 40 ). Diese Praxis der Teilnahme von Laien an Synoden, in denen dogmatische Fragen erörtert wurden, ist auch bei den Einigungsgesprächen mit anderen Kirchen festzustellen, die ja zum großen Teil dogmatischen Charakter trugen 41 ). Die Teilnahme der Laien an der Bestimmung der dogmatischen Lehre der Kirche wurde auch nach der Eroberung Konstantinopels fortgesetzt, ja es kam sogar vor, daß Laien die synodalen Entscheidungen mitunterzeichneten, was vorher nicht geschehen war 42 ). Schließlich ist der Punkt, an dem die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus unverändert bleibt, der Anteil, den sie an der 38
) Vgl. K. M. Rallis, 'EyxzioiÖtov 'ExxX. Aixaiov I (1927), S. 46, Hamilcar
Alivisatos, Die kirchliche Gesetzgebung usw., S. 65-66, V. Stephanidis,'
Exxlr)-
ataarixr) 'Iarogia, Athen 1948, S. 276-277, G. Th. Rammos, Zroiyeia 'EXArjvixov 'ExxX-qaiaaxixov Aixaiov, Athen 1947, S. 42, A.P. Christophilopoulos, a. a. O., Bd. II (1954), S. 72f. Bibliographie darüber siehe bei Aek.
Christophilo-
poulos, 'H Xvyxkriroc, elg To Bv^avrivov Kgarog, Athen 1949 ('EJIETr/gig rov 'Agxeiov rf/t; 'Iaroolaq TOV 'Ekhrjvixov Aixaiov TRJQ 'Axaörj/tiaq 'AQrjvtbv Bd. 2). 107, Anm. i . D a z u füge man bei: Milasch-Apostolopoulos, a.a.O. 409f., und Francis Duomik, Emperors, Popes and General Councils, an Offprint from Dumbarton Oaks Papers V I (1951), besonders S. 8-9 und 1 2 - 1 3 , w o der Verfasser bemerkt, daß auch Athanasius der Große, der Hauptgegner kaiserlicher Kirchenpolitik, das Recht der Einberufung einer Synode Konstantin dem Großen nicht verweigerte.
) Milasch-Apostolopoulos, a.a.O. 410. Vgl.auch Aek. Christophilopoulos, a. a. O.
39
1 0 7 - 1 1 0 und die reichen Hinweise dort. 40
) Vgl. P f i V , 83, 85 und Miklositsch-Müller, I, 203. Vgl. auch eine andere Synode über diese Frage, ebd. 249-250, 2 9 1 , 4 0 7 . Speziell über die Zuständigkeit des Senats bezügl. Prüfung wegen Häresie angeklagter Geistlicher, siehe das unten über Teilnahme der Laien an Synodalgerichten Gesagte. 41 ) Vgl. V. Stephanidis, a. a. O. S. 3 1 5 - 3 1 6 und 349-364, dort auch die grundlegende Bibliographie über dieses Thema. 42
) Vgl. Delikanis,
IIE
III, 31. Unterschriften siehe dort S. 32. Vgl. auch M. I.
Gedeon, KA II, 339 und Ders. 'Iorogla TWV TOV Xptarov jiEvr/rojv, Athen 1939, S. 94, 95-96, den Text der Entscheidung siehe bei Gedeon KA I, 99-105.
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus
309
Bestätigung der Oekumenizität der Synoden haben und hatten. Insofern nämlich, als das gemeinsame Bewußtsein des Pleroma der Orthodoxen Kirche ihrer Lehre gemäß das letzte Kriterium der Oekumenizität der großen Synoden ist 43 ), wird deutlich, daß die einfachen Gläubigen niemals übergangen werden können. Ihre Übergehung an diesem Punkt würde allein schon eine Verletzung der orthodoxen Lehre von der Kirche und eine grundlegende Änderung ihres Charakters bedeuten. Denn - so bemerkt der hervorragendste der neueren Kanonisten der Orthodoxen Kirche, Milasch, richtig: „ N u r die gemeinsame Tätigkeit der Hierarchie und der Laien in genau bestimmten Grenzen stimmt mit dem Geist der Orthodox-Morgenländischen Kirche überein" 44 ). In der Weitergabe der Kirchlichen Lehre hat sich umgekehrt der Anteil der Laien im Vergleich zur entfernteren Vergangenheit weiter ausgedehnt. Während es nämlich früher den Laien verboten w a r „öffentlich . . . das W o r t zu nehmen und zu lehren" 4 5 ) hat die Beweglichkeit der Verwaltung der Orthodoxen Kirche f ü r die Teilnahme des Laienelements an der Lehr- und Verkündigungstätigkeit in der Praxis niemals Schwierigkeiten gemacht. Im Gegenteil, auf Grund des Kanon X V des heiligen Paulus, der in der sogenannten Synopse der Heiligen Kanones mitgeteilt wird 4 6 ), und auf Grund der Scholie des Interpreten der Kanones, gemäß der es auch denen, welchen es von ihnen (d. h. den Bischöfen) erlaubt worden ist, gewährt wurde, das Volk des Herrn zu lehren", ist es heute in der ganzen Orthodoxen Kirche ohne Ausnahme erlaubt, daß die Laien in den Kirchen predigen 47 ) und in den Sonntagsschulen, in den Priesterseminaren, in den theologischen Schulen, in christlichen Versammlungen 43
) Siehe Confessio Dosithei, Fin. 12, Ausg. Kimmel, 444t,
Ausg. I. Karmiris II,
7 5 5 ; siehe auch P. Trempelas, a. a. O. S. 140ff. und A. P. a. a. O., Bd. III (1956), S. 30. Ähnlich Fr. Heiler,
Christophilopoulos,
Urkirche und Ostkirche,
S. 2 1 8 - 2 1 9 , dort a u f S . 1 4 3 - 1 5 0 die diesbezügl. Biographie. 44
) Milasch-Apostolopoulos, a. a. O. 309.
" ) Kanon L X I V der 6. Oek. Synode (PIJ 46
II, 453-454).
) „ W e r untadelig lehren kann, der soll lehren, auch wenn er Laie ist" ( P I I I V ,
400). V g l . auch aus den Constitutiones apostolorum VIII, 32, 1 7 (Funk, a. a. O . S. t 7 i ) : „Einer der lehrt, wenn er auch ein Laie ist, aber erfahren im W o r t und würdig in der Art, der soll (ungehindert) lehren. Denn es sollen alle über Gott unterwiesen sein." 4
' ) Siehe Enzykl. der Heiligen Synode Griechenlands vom 5. 4. 1861 in:
Svvodixai'
Eyxvxhol,
AI
S. 1 7 1 : Anderen Geistlichen und gelehrten Laien, deren
Frömmigkeit und Bildung bekannt ist, mögt Ihr es erlauben, wenn sie vor der heiligen Handlung Euch gebeten haben, ihnen Erlaubnis zu erteilen". V g l .
auch A. P. Christophilopoulos,'EXXijv. 'ExxX. Aheaiov II, (1954) S. 170.
3io
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
usw. lehren 48 ). Daß aber diese Praxis der Kirche nicht neu ist, sondern schon früher angewandt wurde - die Laien konnten nur nicht in den Kirchen predigen - , das läßt sich aus dem Vorhandensein der kirchlichen Titel des „AidäoxaXoq rov EvayyeXiov"49) und des „Meyag PTITCOQ" beweisen, die hauptsächlich an Laien vergeben wurden 60 ). Insbesondere verdient Erwähnung, daß die Weitergabe der kirchlichen Lehre außer der Verkündigung von der Kanzel, wie früher, so ebenso heute, auch Frauen anvertraut wird. So also verhalten sich die Dinge, was die öffentliche Weitergabe der christlichen Lehre betrifft. Soweit es jedoch um die persönliche Unterweisung geht, gilt für die Eltern und Paten und jeden Gläubigen „wenn ein Verständiger persönlich in einer dogmatischen Angelegenheit oder aus einem anderen heilsnotwendigen Grund gefragt wird, so wird er sich nicht abhalten lassen, zur Antwort zu geben, was ihm gut dünkt" 5 1 ). 3. Die Stellung der Laien in der Verwaltung der Kirche Dasselbe Phänomen, die Unterscheidung zwischen Klerus und Laien einerseits und die Einheit der beiden andererseits, läßt sich nun auch bei dem Verwaltungsaufbau der Kirche und bei ihrer Leitung und Verwaltung im allgemeinen beobachten. Dieses Phänomen zeigt sich bei allen Funktionen der Verwaltung der Kirche, besonders bei der Wahl der Hirten, bei der Zusammensetzung der heiligen Synoden und der von diesen abhängigen Beiräten und Ausschüssen, bei der kirchlichen Rechtsprechung und schließlich bei der Ausarbeitung der kirchlichen Gesetzgebung. Die Stellung zunächst, die das Pleroma der Kirche bis zum 5. Jahrhundert bei der Wahl und Weihe ihrer Hirten, also bei dem neuralgischen Punkt der kirchlichen Verwaltung, einnahm, ist jetzt bekannt 52 ). Die Bischöfe wurden, wie der heilige Märtyrer Cyprian sich ausdrückt, „plebis suffragio" gewählt 53 ), was auch aus der Ordnung der Bischofsweihe Siehe Milasch-Apostolopoulos, a. a. O. 306-307. *») Siehe P n V, 532, 534. 53860 ) Milasch-Apostolopoulos, a. a. O. 344f. und auch L. A. von Maurer, Das griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher und privatrechtlicher Beziehung, Heidelberg 1835, I 390. 61 ) Balsatnon, a. a. O. S. 455-456. Vgl. auch Milasch-Apostolopoulos, a. a. O. 623. 62 ) Darüber siehe P. Poulitsas, a. a. Q. 274-275. Reiche Bibliographie siehe ebd. in Anm. 2-3, S. 290-291. Dazu nehme man die sehr systematische Untersuchung von Prof. P. Trempelas, 'Havfifieroxrj rov Xaov usw. S. I2ff. 63 ) Vgl. Epistolae, LV, 8 (Ausg. Härtel, II, 629-630), LVII, 5,6 (ebd. 672,673), LXVII, 4, 5, (ebd. 738-739)48 )
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus
311
hervorgeht 54 ). Diese Stellung der Laien geriet, was die Wahl der Bischöfe betrifft, vielleicht wegen aufgetretener Unbesonnenheiten schon früh ins Wanken. Schon die Synode von Laodicaea, die zwischen 340 und 370 tagte, bestimmte, „es sei der Menge nicht zu erlauben, die Wahlen für die durchzuführen, die im Heiligtum sitzen sollen" 55 ). Es ist natürlich wahr, daß diese Anordnung der Synode in Laodicaea nicht den gänzlichen Ausschluß der Laien von der Wahl ihrer Hirten bedeutete, sie kennzeichnet jedoch den Beginn der Einschränkung ihrer diesbezüglichen Rechte, besonders im Osten56). Diese Einschränkung nahm im Laufe der Zeit immer mehr zu. Trotzdem hielt sich eine schattenhafte Erinnerung an diese Rechte noch bis in die Zeit von der Eroberung Konstantinopels57). In späterer Zeit ist die Teilnahme der Laien einerseits eine mittelbare, d u r c h
die jeweiligen Herrscher, andererseits eine unmittelbare. Diese zeigt sich hauptsächlich in der Unterbreitung der „allgemeinen (schriftlichen) Eingaben" „der bischöflichen Hierarchie und des übrigen christlichen Pleroma", oder „des anwesenden . . . örtlichen vornehmen Klerus und der Laien von Stand" 58 ). Diese Eingaben übten sicher einen Einfluß auf die Wahl der eigenen Hirten aus, sie sind jedoch der Wahl nicht gleichwertig, denn es gab auch Fälle, in denen die Eingaben abgewiesen wurden 59 ). Die Unterbreitung von Eingaben bezüglich der Bischofswahlen wurde in manchen Gegenden und zu verschiedenen Zeiten, auch nach der Eroberung Konstantinopels, fortgesetzt. In anderen Gegenden wiederum wurde selbst die unmittelbare, viel öfter jedoch die mittelbare Teilnahme der Laien an der Wahl der Erzpriester und Patriarchen fortgesetzt60). Was nun die mittelbare Teilnahme der Laien an den Bischofswahlen 64
) Darüber siehe P. Trempelas, a.a.O. S. 2 5 - 2 7 .
« ) Kanon XIII (PII III, 183). " ) Siehe P. Poulitas, a. a. O . Anm. 4 und S. 288-293. 57
) V g l . Nicephorus Callistas, Historia X I V , 39 (Migne P. G., 146, 1196), und
Dositheus von Jerusalem, liegt
rwv
Papadopoulos Kerameus, 'AváÁenra
év 'legocroAvpois naTQiagxevaávrcov 'legoaoAvpnixijs
ZraxvoXoyíag
bei
I, 2 3 1 f.
Siehe auch V. Grumel, vol. I, fase. II, 1947, S. 72. 68
) Derartige Eingaben siehe bei Miklositsch-Müller, I, 535 v o m Jahr 1370, II, 28
v o m Jahr 1 3 8 1 , II, 65 v o m Jahr 1384, K. Delikanis, III, 673 v o m Jahr 1401, [II, 6 7 5 - 6 7 6 vom selben Jahr, III, 384 vom Jahr 1 7 0 9 - 1 7 1 0 , III, 481 v o m Jahr 1786, III 576 vom Jahr 1840 usw. 69
) V g l . Miklositsch-Müller, II, 275 und 345 und M. Gedeon, KA II, 63-64.
eo
) V g l . bei K. Delikanis, TIE III, 852-855, tomus synodalis des Jahres 1 7 1 9 . V g l .
auch ebd. 800-801 des Jahres 1695 für die Wahl des Achris. Siehe auch ebd. 747, 748, 852-853.
312
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
durch die jeweiligen Herrscher betrifft, so muß zuerst die Teilnahme der Kaiser erwähnt werden, denen offiziell zuerkannt war, auch ohne die Stimme der Bischöfe „Patriarchen und Bischöfe zu bestimmen" 61 ). Außer den Kaisern nahmen an den Wahlen der Bischöfe auch die „Standespersonen" teil. Diese Standespersonen tragen nach der Eroberung von Konstantinopel mehr oder weniger den Charakter der Stellvertretung 62 ) oder sind Repräsentanten der verschiedenen Stände, die bei der Wahl des Patriarchen von Konstantinopel das Laienvolk aller Eparchien des Oekumenischen Thrones vertreten 63 ). Der Grund der Teilnahme der Standespersonen und der Laienvertreter bei den Wahlen der Hierarchen und Patriarchen wechselte mit den Zeiten; beginnend bei einfacher Zustimmung reichte er bis zu wirkungsvoller und verantwortlicher Teilnahme 64 ). Es ist verständlich, daß gelegentlich Proteste von Seiten der Laien laut wurden 65 ), wenn die Wirksamkeit der Standespersonen nicht den Gegebenheiten im Volk entsprach, wenn ihre Einmischung willkürlich oder intrigant war, oder wenn irgendwelche Mißbräuche in bezug auf die Wahl beachtet wurden 66 ) . Als mittelbare Teilnahme der Laien an der Wahl ihrer Hirten könnte auch die in Zusammenarbeit mit ihnen entstandene Ausarbeitung der Wahlordnungen betrachtet werden, auf Grund derer die Bischöfe und Patriarchen gewählt wurden 67 ). Aber auch auf andere Weise erreichten es die Laien, Einfluß auf die Wahl ihrer Bischöfe auszuüben, nämlich durch die Weigerung, Personen als Bischöfe anzuerkennen, die ihnen nicht genehm waren. Aus der Tatsache, daß man heilige Kanones schaffen mußte, die sich gegen die Geistlichen jener Städte wandten, deren Einwohner Hirten nicht annahmen, die ihnen offensichtlich ohne ihre Einwilligung bestimmt worden waren, ist zu schließen, daß dieses Phänomen nicht selten war 68 ). Heute findet sich die direkte Wahl durch die Laien in keiner orthodoxen Kirche 81 )
P / 7 VI, 344. Bezügl. dieses Themas begnügen wir uns damit, den Leser auf
P. Poulitsas hinzuweisen. 82 ) Vgl. M. Gedeon, 'larooia . . . nevrjrojv, 146. 63)
Vgl. ebenda 244 und 159.
Vgl. M. Gedeon, KA I, 120. °5) Vgl. M. Gedeon, 'Iarogia . . . Tievtfrcuv, a. a. O. 125-126, 128-129, 243-
64 )
Vgl. ebenda 162-167. " ) Ebenda, S. 93, 147-148. Vgl. auch den obenerwähnten tomus des Jahres 1831 über die Wahl der serbischen Erzpriester, bei Deükanis, aa. O. III, 746. •8) Vgl. Kanon X X X V I Sanct. apostolorum (Pi7 II, 48). Siehe auch P. Trem65 )
pelas, 'H avjijitToyr] a. a. O. S. 17 und Gedeon KA, I, 73-76.
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen
Organismus
313
mehr. Denn dort, wo an der Teilnahme der Laien bis heute festgehalten wird, ist sie nur eine mittelbare, d. h. sie geschieht durch deren Repräsentanten. Aber auch diese Repräsentanten der Laien werden nur in den autokephalen Kirchen Cyperns, Albaniens und des Erzbistums Tschechoslowakei direkt vom Volk mit der einzigen Bestimmung gewählt, an den Wahlversammlungen für den Erzbischof oder einen Bischof teilzunehmen 69 ). In den übrigen orthodoxen Kirchen, in denen an der Teilnahme des Laienelements bei der Wahl der Bischöfe festgehalten wird, geschieht dies durch Repräsentanten des Laienvolkes, die an der Wahlversammlung ex officio teilnehmen. So wurde im Oekumenischen Patriarchat Konstantinopel der Patriarch bis 1922 auf Grund der allgemeinen Ordnung von 1862 von der heiligen Synode aus drei Kandidaten ausgewählt, die ihrerseits in geheimer Abstimmung von der Wahlversammlung gewählt wurden. Diese Wahlversammlung bestand aus den Gliedern der heiligen Synode, aus den in Konstantinopel gerade anwesenden Metropoliten, unter denen unter allen Umständen der von Heraklea sein mußte, und aus 69 Laienvertretern ex officio 70 ). Heute wird der Patriarch von Konstantinopel nurmehr von der heiligen Synode des Patriarchats gewählt. Ebenso wählt den serbischen Patriarchen eine Versammlung, an der außer den Geistlichen 9 Laienmitglieder ex officio teilnehmen71). Ähnlich wird der Patriarch von Rumänien seit 1872 von einer Versammlung gewählt, die aus 35 Geistlichen und mehr als 300 Abgeordneten und Senatoren besteht72). Das Haupt der bulgarischen Kirche wurde bis 1951 in gleicher Weise gewählt von einer Versammlung, die sich zur Hälfte aus Laien zusammensetzt73). Heute wird das Haupt der Bulgarischen Kirche durch die Generalsynode gewählt, die sich im allgemeinen zusammensetzt aus den 1 1 Diözesanbischöfen, 7 Vertretern der einzelnen Diözesen (3 Geistliche und 4 Laien) und je einem Vertreter der Klöster, des Volksrates der „vaterländischen Front", • 9 ) Für die Kirche Cyperns siehe P. Trempelas, und Milasch-Apostolopoulos,
'H avfifieroxrj
a. a. O . S. 24
a. a. O. 514, 430. Für die Albanische Kirche und
das Erzbistum Tschechoslowakei siehe P. Trempelas ebenda. 70
) Siehe Punkt 1 - 3 des 3. Kap. der Fevixoi
TäTtQovo/iiarijs'OQdodö^ov und Fevixoi
Kavoviofiot
M&V Tioayfidrojv,
Kavovicifioi
TOV XQIOTOV' ExxXrjolaq, negl öievOerrjoecos
rwv
bei Spiridon
Antiochos,
Athen. 1901, S. 63-64,
exxXrjaiaarixcöv
xai
idvi-
Konstantinopel, Druckerei des Patriarchats, 1862, S. 19-20.
71
) Milasch-Apostolopoulos,
a. a. O. 467-468.
72
) P. Poulitsas, a. a. O. 204, A n m . 5 und 308, A n m . 3, und
Milasch-Apostolo-
poulos, a. a. O. 469. 73
) P. Poulitsas, a. a. O. 308, A n m . 4 (S. 309-310) und
a. a. O. 468-469.
Milasch-Apostolopoulos,
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
3H
des Außenministeriums, der Akademie der Wissenschaften, des Obersten Staatlichen Gerichtshofes, des Bundes der Priestervereinigungen, des Verbandes der übrigen Kirchenbeamten und der Theologischen Institute, die von den Rektoren der Geistlichen Akademien und Seminare ernannt werden 74 ). Die Metropoliten von Karlowitz und Hermannstadt werden je von einer Versammlung gewählt, in der die Anzahl der Laien doppelt so groß ist wie die der Priester 75 ). Auch in den übrigen orthodoxen Kirchen, also in Alexandrien, Antiochien und Rußland werden die Oberhäupter von einer Versammlung gewählt, die sich aus Bischöfen, Klerikern und Laien zusammensetzt 76 ). Nur in Griechenland ist der Anteil der Laien eng begrenzt, und zwar nicht nur, soweit es sich um die Wahl des Erzbischofs und der übrigen Hierarchen handelt, sondern auch selbst bei den Wahlen der Pfarrer und der Beiräte der Kirchengemeinden. Während nämlich nach dem Gesetz 3596 von 1 9 1 0 die Wahl der Pfarrer - in Übereinstimmung mit der gesetzten Ordnung und ebenso die der kirchlichen Beiräte von den Gemeindegliedern durchgeführt wurde, werden heute auf Grund des Artikels 49 des Gesetzes 2200/1940 die Pfarrer von den Metropoliten bestimmt, die kirchlichen Beiräte auf Grund des Artikels 13 desselben Gesetzes von den Metropoliten und der politischen Obrigkeit eingesetzt. Das Recht der direkten Wahl ihrer Pfarrer hatten die Laien früher auch in Bulgarien 77 ), der Verfasser weiß jedoch nicht, ob dies noch heute so gehalten wird. Das, was in allen orthodoxen Kirchen unangetastet erhalten blieb, ist die unerläßliche Anwesenheit der Laien bei der Weihe eines Bischofs oder eines anderen Geistlichen und die Approbation des Geweihten 78 ). Diese Approbation ist so wesentlich, daß nach den Novellen Justinians Nr. V I und C X X I I I die Weihe unterbrochen wird, falls sich ein Widersprach zeigt79), und eine Untersuchung des vorgebrachten Einwands innerhalb einer festgesetzten Frist, und zwar vor dem Volk, durchgeführt werden muß 80 ). Die Unterscheidung zwischen Klerus und Laienvolk und die Einheit dieser zwei Teile des Leibes der Kirche zeigt sich auch bei der Teilnahme der Laien an den Synoden. Vgl. Dokumente zur Ordnung der Kirche (als Manuskript gedruckt) Juli 1951 (Ausgabe des kirchlichen Außenamtes der EKiD) S. 86.
74 ) 76
) Milasch-Apostolopoulos, a. a. O . S. 466-467.
,6
) P. Trempelas, a. a. O. S. 24-25. Siehe auch Dokumente usw. S. 17.
") P. Poulitsas, a. a. O . 308, A n m . 4 (auf S. 309-310). 78 )
Kanon VII Theophili Alexandriae (P/7 IV, 347).
79 )
V g l . Pn
80 )
Kanon I der Synode in Carthagena (Pi7 III, 425).
I, 46-48.
Die Stellung der Laien innerhalb des kirchlichen Organismus
315
Wie oben erwähnt wurde, setzten sich die Synoden seit alter Zeit aus Geisdichen und Laien zusammen. Von ihnen hatten nur die Bischöfe und deren Vertreter Stimme, die anderen waren zwar ohne Stimme, aber durch ihre Meinungsäußerung mit dabei 81 ). Nur bei den Sitzungen der um den Patriarchen von Konstantinopel gescharten Synode hatten die teilnehmenden Laien in vielen Fällen das Recht, mit Stimme teilzunehmen und die von ihr ausgegebenen, vom Patriarchen und den Synodalbischöfen unterschriebenenPatriarchatsschreibenmitzuunterzeichnen82). Die Teilnahme der Laien an den Synoden läßt sich auch bis in die apostolischen Anfänge zurückverfolgen. Schon am sogenannten Apostelkonzil nahmen die Apostel und Presbyter teil „mit der ganzen Kirche" (Apg. 15, 22-23), also einschließlich ihrer Laienglieder. Später ist für die in Nordafrika wegen der „lapsi" (d. h. in der Verfolgung Abgefallenen) zusammengekommenen Synoden die Anwesenheit von Laien ausdrücklich bezeugt83). Ebenso sind Laien bei der Synode von Elvira (303) anwesend. Auch an der ersten Oekumenischen Synode in Niceaea nahmen viele Laien teil84). Was nun die Kirche von Griechenland betrifft, so ist die Teilnahme der Laien an ihren Synoden heute auf die Anwesenheit des königlichen Prokurators bei den Sitzungen der heiligen Synode und bei den Tagungen der Hierarchie beschränkt, die jedoch nicht unerläßlich ist. Seine Meinung hat andererseits keine entscheidende Bedeutung, sie findet auch keinen Platz in den eigentlichen Protokollen der Synode, sondern nur, auf seine ausdrückliche Bitte hin, „in einem besonderen Protokoll, das von dem Vorsitzenden der Synode und ihm unterschrieben wird" 8 5 ). Was aber die anderen orthodoxen Kirchen angeht, so ist dort die direkte Teilnahme der Laien an den Synoden auf den Anteil, den sie an den Wahlversammlungen zur Wahl ihrer Hirten haben, beschränkt. Die Teilnahme der Laien an den Synoden steht in bestimmter Beziehung zu ihrer Teilnahme ex officio an den Beiräten und Ausschüssen, die entweder 81
) Milasch-Apostolopoulos, a. a. O . S. 3 1 2 . ) M. Gedeon, 'Ioroçia . . . J I £ V Î } T C D V S. 9 7 u n d A. Paulo/, T o m u s des Schreibens der Bischöfe an den Kaiser M a n u e l , in Byzantinische J a h r b ü c h e r , St. Petersb u r g , II ( 1 8 9 5 ) , S. 3 9 1 . S3 ) V g l . Epistolae C y p r i a n i LII; X I V , 1, 2 u n d 4; X X X I V , 4, 1; X X X I I ; X X I X , 2, 2 ; X V I I , 3, 2 ; X V I , 4, 2 ; X V I I , 1, 2 ; X I X , 2, 2 ; X X X , 5, 3 ; X X X I , 6, 2 ; LIX, 15, 2 ; L X I V , 1, 1. 84 ) Eusebu, In v i t a m Constantini III, 8. Sozomenus, Historia ecclesiastica I, 1 7 . Ü b e r die T e i l n a h m e der Laien an den alten S y n o d e n i m allgemeinen siehe YvesJ. M. Congar, Jalon p o u r u n e théologie d u laicat, Paris 1 9 5 3 , S. 3 3 3 - 3 4 0 . 86 ) Gesetz 6 7 1 / 1 9 4 3 A r t . 11 Abs. 2 , 3 u n d 4 . 82
316
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
die Vorsitzenden der Synode oder die Metropoliten umgeben. Solcherart ist die Teilnahme v o n Laien an den Beiräten der Eparchien, an der Organisation der Verwaltung kirchlicher Güter (Ooyaviafioz Aia'/sigioeco? 'Exxk. Ilsgiovaiag), am Verwaltungsrat der „Apostolischen Diakonie" und an der Verwaltung verschiedener pädagogischer und humanitärer kirchlicher Einrichtungen, w o ihre Stimme auch mitentscheidet. Ja, selbst in den Verwaltungsrat der Versicherungskasse des Klerus v o n Griechenland (Taßeiov 'AarpaXiasojQ KXrjqov 'ED.ädoq) sind, der Form nach ein U n i k u m , zwei Laien als Mitglieder eingesetzt. Eine gewisse Teilnahme der Laien an der Verwaltung der Eparchien gestattet die in Kraft stehende Verfassungsurkunde der Kirche von Griechenland und andere entsprechende Gesetze über kirchliche Organisationen durch die Erlaubnis, daß in einige der Stellungen ihrer Kanzleien auch Laien eingesetzt werden können. In ähnlicher Weise nehmen die Laien jedenfalls, soviel in Griechenland gilt, durch die Teilnahme an den Kirchlichen Beiräten Anteil an den kirchlichen Angelegenheiten der Gemeinden. Die Zuständigkeit dieser Kirchlichen Beiräte ist natürlich hauptsächlich auf die Verwaltung der Güter und des Einkommens der Kirchengemeinden beschränkt, daneben können die Kirchlichen Beiräte das kirchliche Leben der Pfarrgemeinde j edoch auch allgemeiner beeinflussen, und zwar durch das ihnen zustehende Recht, über bestimmte Summen des kirchlichen Einkommens „ f ü r kirchliche und humanitäre Z w e c k e , für kirchliche Einrichtungen und deren Erhaltung" zu verfügen. Im Patriarchat von Konstantinopel hatten die Laien bis 1922 weiterreichende Kompetenzen als Mitglieder von Ausschüssen und Beiräten, die mit der Tätigkeit der heiligen Synode verknüpft waren. A u f Grund der Rechte und Vorrechte, die ihnen v o n Seiten der osmanischen Obrigkeit zuerkannt worden waren 8 6 ), nahmen die Laien wirksam an der kirchlichen V e r 86) Über die Vorrechte und Rechte der Orthodoxen in der Türkei siehe: K. Amantou, OL ngovofiiaxoi ONta/xoi rov MovaovX/iavioßov VJZEQ TVJV XQIaxiavcov, in „'EXXrjvixa" 1936, S. 104-166, Chrysostomos Papadopoulos 'H Bio ig rrjg ExxXrjtjlaq xal rov EXXtjvixov "EOvovg ev rä> Tovgxixw Kndrei, Athen 1935. Von älteren Werken siehe M. Gedeon, AI v xai Tomxwv Uvvóócov xai rwv xard fiÉQoç áyícov ITarÉQOJv, herausg. von G. A. Rallis und M. Potlis, torn. I-VI, Athen 1852-1859. 16. Tomus des Schreibens der damaligen Bischöfe an den Kaiser Manuel, herausg. von A. Paulo/ in Byzantinische Jahrbücher, St. Petersburg II (1895), S. 391-39317. Photii sapientissimi et sanctissimi Patriarchae Constantinopolis Epistolae, herausg. von I. Balettas, London 1864.
PROF. D R . VASILIOS C H . JOANNIDIS
DIE BEZIEHUNGEN DER O R T H O D O X E N O S T K I R C H E ZU DEN ANDERSGLÄUBIGEN KIRCHEN und ihre Stellung innerhalb der ökumenischen Bewegung i . Zur Zeit der einen alten und ungetrennten Kirche der neun ersten Jahrhunderte gab es viele Kirchen. Sie waren getrennt und unterschieden sich voneinander örtlich, geographisch, nach der staatlichen Zugehörigkeit, nach Sprache und Sitten und nach den ihnen eigentümlichen historischen und gesellschaftlichen Umständen, genau wie heute. Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Bild der Kirchen in der Oekumene der Gegenwart und denen von damals: Im Gegensatz zu heute hatten damals alle Kirchen auf der Welt enge Verbindungen miteinander und arbeiteten zusammen. Sie berieten und halfen einander und hatten vor allem denselben Glauben, denselben Gottesdienst, dieselbe hierarchische Verwaltung und ein tiefes Bewußtsein davon, daß sie zu ein und derselben Kirche gehörten, nämlich zu der oekumenischen Kirche Jesu Christi1). Obwohl die Kirche damals in der ganzen Welt verstreut war, sagt Irenäus von ihr, sie bewahre denselben Glauben, als ob sie in ein und demselben Hause wohne, da sie denselben Glauben und ein und dasselbe Herz habe. Wir bringen diesen ganzen Abschnitt, der die Einheit im Glauben und Leben der einen ungetrennten alten Kirche wunderbar beschreibt: „Diese Verkündigung und diesen Glauben, die die Kirche empfangen hat - wie wir vorher sagten - , bewahrt sie sorgfältig, als ob sie ein Haus bewohne, obwohl sie doch in der ganzen Welt verstreut ist. Und dementsprechend glaubt sie auch, da sie ja eine Seele und ein Herz hat, und übereinstimmend damit predigt, lehrt und überliefert sie wie mit einem Mund. Zwar sind die Sprachen der Welt ungleich, aber die Kraft der Uberlieferung ist ein und dieselbe. Und weder die in Germanien gegründeten Kirchen haben den Glauben und die Überlieferung anders empfangen, noch die bei den Iberern oder Kelten oder im Osten oder Ägypten, Libyen oder die im Zentrum der Welt. Denn wie die Der heute so gebräuchliche Begriff,,oekumenisch" (oekumenische Bewegung, oekumenischer Rat, oekumenische Kirche) ist schon sehr früh im Altertum anzutreffen, und zwar in den Apostolischen Konstitutionen, Buch 7, 30, w o w i r lesen: „ A m Auferstehungstag des Herrn, den wir Herrentag nennen, kommt unablässig zusammen und dankt Gott . . ., damit euer Opfer untadelig sei und Gott w o h l dargebracht, der von seiner oekumenischen w i r d an jedem O r t das Opfer dargebracht'. . . "
Kirche gesagt hat: ,Mir
324
Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht
Sonne, das Geschöpf Gottes, in der ganzen W e l t ein und dieselbe ist, so scheint auch die Predigt der Wahrheit überall und erleuchtet alle Menschen, die zur Erkenntnis der Wahrheit kommen wollen." 2 ) Die großen kirchlichen Zentren und Metropole übten ihren Einfluß aus und gewährten den benachbarten kleineren Metropolen jede Unterstützung. Alle hatten Gemeinschaft miteinander und tauschten ihre Ansichten über verschiedene allgmeine und spezielle Fragen durch Briefe, Enzykliken und Festgrüße aus. Mitunter war es möglich, daß eine Abkühlung und Unterbrechung der freundschaftlichen Beziehungen eintrat, aber das dauerte für gewöhnlich nicht lange und zerrüttete nicht die Einheit der oekumenischen Kirche in Glauben, Gottesdienst und Disziplin. Dieser Zustand gewann ein anderes Aussehen und die Einheit wurde zerstört, wenn durch eine Kirche oder durch eine Gruppe von Gläubigen die Wahrheit des Evangeliums entstellt und eine häretische Lehre verbreitet wurde. Das geschah z. B. bei den Häresien der Judaisten, Gnostiker und Montanisten und vor allem bei Arianer.n und Monophysiten im 4. und 5. Jahrhundert. Die alte Kirche bekämpfte diese Häresien durch ihre großen Väter und Lehrer oder durch die sogenannten örtlichen Synoden oder, wenn die Gefahr sehr groß war, durch die sogenannten oekumenischen Konzile. Die von den oekumenischen Konzilen unter der Eingebung des Heiligen Geistes getroffenen Entscheidungen, Definitionen oder Kanones waren für alle Gläubigen verpflichtend. W e n n sie aber nicht gehorchten und sich nicht fügten, wurden sie v o m Leib der Kirche abgehauen und ihre Kirchen wurden nicht anerkannt. Viele dieser Häretiker kehrten mit der Zeit wieder zurück, besannen sich anders, warfen ihre verwirrten Lehren ab und wurden wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen. Das geschah ebenso wie mit allen Häresien des Altertums auch mit den Schismen. Die einzige Ausnahme bildet der Monophysitismus, der - vor allem aus historischen Gründen - bis heute fortbesteht. Die Anhänger des Nestorius bildeten im Osten kleine getrennte Kirchen, die im 7. Jahrhundert von den Mohammedanern unterworfen wurden, die ihnen aus politischen Gründen keine Verbindung zu Byzanz erlaubten. Diese Isolierung führte zur Verewigung ihres getrennten und häretischen Lebens. Es erwies sich daher als unmöglich, sie zu überzeugen oder sie durch Verhandlungen zur orthodoxen Lehre und in den Schoß der einen und oekumenischen Kirche zurückzuführen. Die aus dem Monophysitismus hervorgegangenen kleinen Kirchen sind folgende: die nestorianischen Gemeinden in Indien und Persien (ungefähr 100000), die monophysitische Kirche der Armenier (ungefähr
2)
Irenaus "E).eyx°?
yevôoovéftov
rvcâaecuç,
M i g n e P . G . , B d . 7, 552.
Die
Beziehungen
der orthodoxen
Ostkirche
zu den andersgläubigen
Kirchen
325
2,5 Millionen, von denen der größte Teil sich in der Sowjetunion befindet), die syrischen Jakobiten (ungefähr 80000), die Thomaschristen in Indien (ungefähr 300000), die Kopten in Ägypten (ungefähr 800000) und die Äthiopische Kirche von Abessinien (ungefähr 3,5 Millionen). Seit neuerer Zeit bestehen zufriedenstellende und verheißungsvolle Beziehungen zwischen den kleinen aber alten monophysitischen Kirchen und der orthodoxen Ostkirche. Es besteht auch die große Hoffnung, daß sie zu der orthodoxen Lehre kommen, da die dogmatischen Unterschiede, die sie von der orthodoxen Ostkirche trennen, ganz gering sind und sie von allen anderen Kirchen der Orthodoxie am nächsten stehen. Die Einheit der alten und oekumenischen Kirche im Glauben, im Gottesdienst und in der kirchlichen Ordnung wurde zuerst durch das traurige Schisma zwischen der östlichen und der westlichen Kirche im 9. Jahrhundert unter dem heiligen Photios zerrissen und endgültig unter dem Patriarchen Michael Kerullarios (1054) und dann noch durch die A b spaltung der protestantischen Kirchen von der römisch-katholischen Kirche im 16. Jahrhundert auf Grund der durch Luther, Zwingli und Calvin in der Kirche unternommenen Reformation. Dementsprechend zeigt sich das Christentum heute in drei voneinander geschiedenen und in Lehre und kirchlicher Ordnung auseinandergehenden Kirchen: der orthodoxen Ostkirche (die ungefähr 200 Millionen Gläubige umfaßt), der römisch-katholischen Kirche (die ungefähr 330 Millionen Gläubige umfaßt) und den protestantischen Kirchen (die ungefähr 250 Millionen Anhänger zählen). Im folgenden werden wir zuerst die Beziehungen unserer Kirche, d. h. der orthodoxen Ostkirche zur römisch-katholischen Kirche und darauf die zu den protestantischen Kirchen darstellen. 2. W i r können hier nur wenig und kurz über die Gründe des Schismas reden, das zwischen dem Osten und dem Westen im 9. Jahrhundert und endgültig im 11. Jahrhundert eintrat. Durch dieses Schisma wurde die Einheit der alten oekumenischen Kirche zum großen Schaden für die Mission und das W e r k des Christentums in der Welt zerrissen. Man pflegt zu sagen, daß die östliche Kirche ihre Beziehungen zur westlichen Kirche im 9. Jahrhundert abbrach und das Schisma 1054 formell vollzog. Aber diese Chronologie ist mehr ein symbolischer als ein tatsächlicher Beginn des Schismas zwischen den beiden Kirchen.Wenn wir v o m Zerbrechen oder v o m Abbruch des gemeinsamen Lebens einer Einheit reden, dann geschieht ein solcher Abbruch niemals an einem bestimmten Zeitpunkt des geschichtlichen Lebens. Das Leben kann nicht unmittelbar in zwei voneinander verschiedene Abschnitte geteilt werden. Das Schisma zwischen Osten und Westen entwickelte sich schon viel früher als zur
Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Zeit des heiligen Photios und des Kerullarios, weil viele Dinge zusammenkamen, die für die Einheit der Bruderkirchen ungünstig waren, die der heilige Gregor, der Theologe, als die „zwei Sonnen des Menschengeschlechtes"3) bezeichnete. Im Jahre 1054 wurde das Schisma nur endgültig und offiziell Wirklichkeit. Die Ursachen, die den endgültigen Abbruch der Beziehungen bzw. das Schisma der westlichen von der östlichen Kirche hervorriefen, sind zahlreich4). Man kann sagen, daß schon seit der Verlegung der Hauptstadt des römischen Kaiserreiches und des alten Rom nach Byzanz unter Konstantin dem Großen, zwei verschiedene kirchliche Welten aus politischen, sprachlichen, stammesmäßigen, gesellschaftlichen und historischen Gründen sich zu bilden begannen. Der Osten unterschied sich vom W e sten, und sie begegneten sich nur in wenigen gewichtigen Dingen ihres Lebens. Im Osten gab es eine blühende griechische Zivilisation und eine Blüte der kirchlichen und weltlichen Kultur, während der Westen vom Osten als ungebildet angesehen wurde und es auch tatsächlich war. Auch das, was die beiden kirchlichen Welten interessierte, war verschieden. Der Westen war praktisch und neigte zu einer juristischen Ansicht der Erlösung durch Christus. Der Osten dagegen war theoretisch und mystisch veranlagt, durch Schau und Gebet strebte er nach der Einigung mit Gott, der Vergottung des Menschen. Daher beschäftigte man sich im Westen viel mit dem Pelagianismus, einer häretischen Lehre im Bereich des praktischen Christentums, während man im Osten hohe dogmatische 3
) Gregor von Nazianz,
Historische Epen, Migne P. G . 37, 1068: Die Natur
hat nicht zwei Sonnen gegeben, aber zwei Rom, die Leuchten des ganzen Weltkreises, die alte und die neue Herrschaft. 4
) Der bekannte und bedeutende römische Schriftsteller Ives Congar behauptet
in einem Artikel unter dem Titel „ N e u f cent ans après", der in dem W e r k „L'Eglise et les Eglises 1 0 5 4 - 1 9 5 4 " 2 Bände, Collection Irenikon enthalten ist (S. 83-85), daß man nicht die westliche, sondern die orthodoxe Kirche als schismatisch charaktersieren muß, weil sie sich vom Haupt, nämlich vom römischen Stuhl getrennt hat. Diese Ansicht entspricht den ekklesiologischen Ideen und den Absolutheitstendenzen der römischen Katholiken. W i r meinen, daß die römisch-katholische Kirche schismatisch ist, weil sie sich v o m Glauben und Leben der einen, alten und oekumenischen Kirche durch ihre neuen und unbegründeten Lehren entfernt und getrennt hat, während die orthodoxe Ostkirche ununterbrochen und unverändert den Glauben und die Überlieferung der einen und oekumenischen Kirche fortsetzt, wie es auch Congar selbst mit der ihn auszeichnenden Lauterkeit auf S. 43 schreibt: „Elle n'intervient pas (la coupure) en Orient où, à tant d'égards, les choses chrétiennes sont encore aujourd'hui ce qu'elles y étaient- et ce qu'elles étaient chez-nous avant la fin du X I e siècle."
Die Beziehungen der orthodoxen Ostkirche zu den andersgläubigen Kirchen
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Fragen erforschte. Im Osten allein versammelten sich auch die ersten sieben oekumenischen Konzile, die sich mit den verschiedenen christologischen und anderen Häresien befaßten6). Deswegen nahm der Westen eine vorsichtige und argwöhnische Stellung gegenüber dem Osten ein, in der Meinung, daß er zu Disputationen und Häresien neige6). Schließlich waren die religiös-kulturellen Unterschiede von Natur aus so tief, daß die beiden Kirchen sogar die grundlegenden Glaubensartikel, in denen sie übereinstimmten, anders empfanden, auslegten, formulierten, aussprachen und nach ihnen lebten. Das Schisma des Westens von der orthodoxen Ostkirche war verhängnisvoll, da es auf keiner Seite große Einsicht, lautere Liebe oder ein starkes Interesse für die Bewahrung der Einheit im Glauben und Leben der oekumenischen Kirche offenbarte. Darüber hinaus machten verschiedene historisch-politische Gründe sowie egoistische, ehrgeizige und absolutistische Bestrebungen das Schisma der beiden Kirchen unvermeidlich. Es wurde 1054 förmlich und endgültig infolge der unvernünftigen und herausfordernden Haltung der westlichen Delegation unter Kardinal Humbert gegenüber dem Patriarchen Michael Kerullarios vollzogen. Die Beziehungen unserer Kirche zur westlichen Kirche hörten nach jenem traurigen Ereignis nicht gänzlich auf. Es gab von beiden Seiten zahlreiche Bemühungen, zu seiner Aufhebung und zur Wiedervereinigung der beiden Kirchen zu kommen. Die bedeutendsten davon bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken waren die unter Johannes V. Palaiologos unternommenen, der im Jahre 1369 persönlich an der Spitze einer Delegation nach Rom ging und die ernsten Bemühungen unter Johannes VII. Palaiologos auf der Synode von Ferrara-Florenz (1438-1439). Aber alle diese Einigungsbestrebungen führten zu keinem Ergebnis, weil bei ihnen die reine Sehnsucht nach der Einigung fehlte, wie auch eine starke Persönlichkeit, die die verstandesmäßigen und seelischen Hemmungen hätte überwinden können. Ganz im Gegenteil, bis zur Eroberung von Konstantinopel herrschten der Geist der Zweckmäßigkeit, des Vorteils, des Egoismus, der Herrschsucht und auch politische Antriebe bei diesen Verhandlungen. So oft sie auf die Initiative der byzantinischen Kaiser hin geschahen, hatten sie politische Gründe, nämlich die Erlangung von 5
) Siehe dazu Bardy „ L e sens de l'unité dans l'Eglise et les controverses du V e
siècle". In L'Année theolog. 9 (1948), S. 1 5 6 - 1 7 4 . •) Papst Johannes VIII. schrieb z. B . an den König von Bulgarien: „Sage uns, mein Sohn, ob die Griechen ohne die eine oder andere Häresie sind ! U n d wenn Ihr nicht gefunden habt, daß sie von jeder Häresie frei sind, dann müßt Ihr ihre Betrügereien und ihre Gemeinschaft fliehen, damit Ihr nicht auch dem Irrtum verfallt, wie ihm jene schon verfallen sind." Migne P. L. 126, 758.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht
Hilfeleistungen aus dem Westen zur Abwehr der mohammedanischen Gefahr. Die aber, die von Rom aus unternommen wurden, beabsichtigten die Unterjochung der östlichen Kirche durch die Anerkennung der auf göttlichem Recht bestehenden Oberherrschaft des Papstes über alle Kirchen und die Anerkennung seiner plenitudo potestatis durch alle Gläubigen. Dieselbe Politik der Unterjochung der Ostkirche wurde von der römischkatholischen Kirche auch nach der Eroberung Konstantinopels fortgesetzt bis fast in unsere Zeit, allerdings nicht mehr durch das Mittel der Verhandlungen, sondern durch Proselytismus. Während der Jahrhunderte der Knechtschaft unter dem abscheulichen Joch der Türken - zu deren endgültiger Machtergreifung die Kreuzzüge zur Befreiung der Heiligen Stätten stark mitgewirkt hatten, die in der Eroberung Konstantinopels durch die Franken gipfelten - gab es keine offiziellen Verhandlungen über die Einigung der beiden Kirchen. Denn die erobernden Mohammedaner erlaubten keinen Verkehr der unterjochten Christen mit den Christen des Westens, da sie von dort Beistand und Stärkung der Unterjochten zum Aufstand gegen ihre Tyrannen befürchteten. Trotz der schwierigen politischen Lage der Christen des Ostens verzichtete der Westen nicht auf seine Absicht, die orthodoxe Ostkirche zu vergewaltigen. Es waren ja auch schon im Verlauf der Kreuzzüge und durch die Eroberungen der Venetianer und Genuesen in vielen Gegenden des Ostens römisch-katholische Gemeinden gegründet worden, die eine starke Bekehrungstätigkeit unter der orthodoxen Bevölkerung ausübten, wie z. B. auf den Inseln der Ägäis, auf der Peloponnes, auf den jonischen Inseln, in Albanien und anderswo. Der Proselytismus wurde besonders durch den starken Jesuitenorden ausgeübt; der 1540 durch Ignatius von Loyola gegründet worden war, ferner durch die Gründung des Collegiums des heiligen Athanasios in Rom 1581 unter Gregor XIII. In ihm wurden junge Griechen erzogen und ausgebildet, die dazu bestimmt waren, in ihrem eigenen Vaterland für die Bekehrung zum römischen Katholizismus zu arbeiten. Schließlich diente der Bekehrungsarbeit noch die Gründung der „Congregatio de propaganda fidei" im Vatikan unter Papst Gregor X V . Ihr Zweck war die Zurüstung und Aussendung römisch-katholischer Missionare zur Verbreitung der Bildung und des rechten Glaubens unter den ungebildeten schismatischen Orthodoxen des Ostens. Diese Missionare gründeten Schulen und Klöster in rein orthodoxen Gebieten des Ostens, gaben eine Anzahl Bücher heraus und versuchten durch verschiedene ungesetzliche Mittel, besonders durch materielle Hilfe, die Orthodoxen zum römisch-katholischen Bekenntnis zu bekehren. Als jedoch die römischen Katholiken merkten, daß die Früchte
Die Beziehungen
der orthodoxen
Ostkirche zu den andersgläubigen Kirchen
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dieser proselytistischen Tätigkeit sehr dürftig waren, nahmen sie ihre Zuflucht zu einem anderen, zwar hinterlistigen aber wirksamen Mittel zur Gewinnung besonders jener Orthodoxen, die sich innerhalb der Reichweite der römischen Macht befanden, also in Österreich, Ungarn und Polen. Dieses furchtbare Mittel war die Union. Die römischen Katholiken verlangten von den Orthodoxen, die zum Papsttum hinneigten, nicht die Annahme der gesamten Lehre der römischen Kirche, sondern nur die Anerkennung des Primats des Papstes. Im übrigen erlaubten sie ihnen die Feier der „göttlichen Liturgie" in der griechischen Sprache, die Bewahrung ihrer kirchlichen Einrichtungen, der gewohnten Kleidung ihrer Kleriker und aller anderen religiösen Sitten. Durch die Union wurden viele Proselyten gemacht, besonders in Ungarn, Polen, Rumänien. In diesen Ländern wurden viele unionistische Kirchengemeinden gegründet, einige sogar auch in Griechenland. Unter diesen Umständen ist es überflüssig zu bemerken, daß die Beziehungen der orthodoxen Ostkirche zur römisch-katholischen Kirche nicht so freundlich waren, wie sie hätten sein sollen, und daß seit der Zeit der Eroberung Konstantinopels kein Versuch einer Annäherung der beiden Kirchen unternommen wurde. In neuerer Zeit strebte die römisch -katholische Kirche danach, sich durch verschiedene Enzykliken des Bischofs von Rom der orthodoxen Ostkirche zu nähern. In diesen Enzykliken wurde die Notwendigkeit des Anschlusses der Orthodoxen an die römisch-katholische Mutterkirche sowie die Annahme des Papstprimats und aller Anschauungen und Ansprüche der römisch-katholischen Kirche betont. Auf diese Enzykliken antwortete das oekumenische Patriarchat. Es widerlegte die darin enthaltenen Ansichten und beharrte darauf, daß die Einigung der beiden Kirchen nur zu verwirklichen sei durch die Rückkehr der römischkatholischen Kirche zum Glauben und der Oberlieferung der einigen oekumenischen Kirche vor dem Schisma, nachdem sie alle Neuerungen und verkehrten Lehren abgelegt habe7). Solche Enzykliken des römischen ' ) Den Text der Antwort der orthodoxen Patriarchen des Ostens an Papst Pius I X . bei Joh. Karmiris,
„Die dogmatischen und symbolischen Dokumente
der orthodox-katholischen Kirche", Bd. 2, S. 905-925 (griech.). A u f die Enzyklika „Praeclara gratulationis" von Papst Leo XIII. antwortete 1895 die heilige Synöde von Konstantinopel (siehe a. a. O . S. 932-945). A u f die Enzyklika Papst Pius X I . „ L u x veritatis" wie auch auf die übrigen päpstlichen Enzykliken antworteten ausführlich auch verschiedene orthodoxe Theologen, von denen wir die Abhandlung
des Erzbischofs von
Athen Chrysostomos
(Papadopoulos)
erwähnen „Das dritte oekumenische Konzil und der Primat des Bischofs von Rom. Antwort auf die Enzyklika Pius X I . „ L u x veritatis"." 1 9 3 2 (griech.).
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Pontifex an die östlich-orthodoxen Völker sind die von Papst Pius IX. erlassenen „Litterae ad orientales" von 1848, die von Papst Leo XIII. 1894 erlassene „Praeclara gratulationis", die Enzyklika „Rerum Orientalis" von Papst Pius XI. (1928) und die Enzyklika desselben Papstes „Lux veritatis", die am 25. Dezember 1931 aus Anlaß des Jubiläums des 3. oekumenischen Konzils in Ephesus (431) erlassen wurde. Trotz dieser Enzykliken und der Antworten der Orthodoxen beharrten die beiden Kirchen auf ihren Standpunkten und es wurde kein Schritt getan, um die Unterschiede zu verringern oder aufzuheben oder um die heißersehnte Einigung der beiden alten Bruderkirchen zu erreichen. In unserer Zeit wurden erfreulicherweise freundschaftlichere Beziehungen zwischen ihnen geschaffen8). Die römisch-katholische Kirche übt keine proselytistische Tätigkeit mehr unter Orthodoxen aus. Die höchsten offiziellen Stellen der beiden Kirchen (das oekumenische Patriarchat und der Vatikan) haben begonnen, bei verschiedenen Gelegenheiten miteinander zu verkehren. Die Theologen der beiden Kirchen begegnen sich auf verschiedenen Zusammenkünften - besonders in Paris durch das russische Institut und das Zentrum „Istina", in Belgien durch das Zentrum Chevetogne sowie auch anderswo - und diskutieren in brüderlichem Geiste die Unterschiede zwischen ihren Kirchen und die Möglichkeiten ihrer Einigung. Zahlreiche Stipendien wurden von römisch-katholischen Fakultäten an orthodoxe Theologen verliehen (z. B . von Saint Sulpice und den Universitäten von Lille und Straßburg). Ebenso studieren auch römisch-katholische Theologen an unserer Theologischen Fakultät der Universität von Athen. Alle diese Dinge werden sicherlich die Mißdeutungen, den Haß und die Kälte der Vergangenheit beseitigen und das notwendige Klima der Liebe und der seelischen Annäherung schaffen, durch die die gegenseitige Verständigung, die Aufhebung der dogmatischen Unterschiede und die Einigung leichter wird. Wir müssen zuerst einander lauter und rein lieben als einzelne und als Kirchen, so wird dann sicher auch eine Ubereinstimmung in den dogmatischen Fragen folgen. Es ist unmöglich sich vorzustellen, daß die, die ein Herz haben so wie die ersten Gläubigen ein Herz und eine Seele waren (Apg. 4, 32) nicht auch dieselben Gedanken und denselben Sinn haben sollen. 3. Auf Grund der Entscheidungen des Vatikanischen Konzils von 1870 über die Unfehlbarkeit des Papstes trennten sich viele von der römischen Kirche und bildeten die Kirche der sogenannten Altkatholiken. Die Be-
8 ) Siehe meinen Artikel „L'union de l'Eglise Orthodoxe et de l'Eglise Catholique Romaine" in „L'Eglise et les Eglises 1 0 5 4 - 1 9 5 4 " , Collection Irenikon, Bd. 2, 381-388.
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der orthodoxen Ostkirche zu den andersgläubigen Kirchen
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Ziehungen der orthodoxen Ostkirche zu den Altkatholiken sind sehr freundschaftlich, da kein wesentlicher Unterschied die beiden Kirchen trennt. Das haben die Verhandlungen über die Vereinigung und die Sakramentsgemeinschaft bewiesen, und vor allem die Diskussionen, die 1931 in Bonn zwischen Orthodoxen und Altkatholiken stattgefunden haben. Diese Diskussionen blieben jedoch in der Schwebe und endeten nicht in endgültigen und offiziellen Entscheidungen von Seiten der an der Einigung interessierten Kirchen. Das ist auf die Vorbehalte der Orthodoxen zurückzuführen, die den Verdacht hegten, daß die Altkatholiken noch immer unter dem Einfluß der römischen Katholiken stehen. Man fürchtete aber auch protestantische Einflüsse, die sich in dem Eifer zeigten, mit dem die Altkatholiken die Sakramentsgemeinschaft mit den Anglikanern annahmen. Jedenfalls steht die altkatholische Kirche der orthodoxen Kirche nach ihrem Glauben und Leben am nächsten und ihre Leiter müssen bald die Gespräche zur Einigung wieder aufnehmen. 4. Die Beziehungen der orthodoxen Ostkirche zu den protestantischen Kirchen, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind, haben verschiedene Stadien durchlaufen, bis sie in der neueren Zeit und innerhalb der oekumenischen Bewegung sehr freundschaftlich w u r den. Trotzdem ist noch kein Schritt zur Annäherung auf dem Gebiet der Lehre, des Gottesdienstes und der Liturgie, der kirchlichen Ordnung und Verwaltung und der Ekklesiologie geschehen. Die Führer der Reformation, Luther, Calvin und Zwingli und ihre übrigen Mitarbeiter verwarfen auf Grund ihres Gegensatzes zur römischen Kirche und in ihrem scharfen Kampf gegen die Mißbräuche und Irrtümer dieser Kirche grundlegende Wahrheiten des Glaubens, des liturgischen Lebens und der kirchlichen Ordnung. Überzeugt davon, daß viele Neuerungen der römischen Kirche sich auf die Tradition gründeten, verwarfen sie sowohl die Tradition als die zweite Quelle der christlichen Religion neben der Heiligen Schrift, wie auch die Bedeutung der guten Werke für das Heil der Menschen, indem sie als grundlegendes Kennzeichen ihres Glaubens die Rettung des Menschen allein durch den Glauben (sola fide) ansahen. Die Verwerfung der heiligen Tradition und jeder kirchlichen Autorität führte dazu, daß sie einem starken Subjektivismus verfielen, der ihnen die Zerspaltung in viele und schwer voneinander zu unterscheidende Kirchen einbrachte. Die orthodoxe Ostkirche hatte zu verschiedenen Zeiten Gespräche mit Lutheranern und Anglikanern, die die größten Kirchen innerhalb des Protestantismus bilden. Während der Zeit, als die Protestanten gegen die römische Kirche kämpften, war der orthodoxe Osten gänzlich unbekannt und kämpfte unter dem Joch der osmanischen Herrschaft. W e n n er im Westen be-
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
kannt gewesen wäre und wenn die protestantischen Führer von Anfang an mit ihm Verbindung gehabt hätten, wären sie vielleicht vor den E x tremen, in die sie gefallen sind, bewahrt worden. Viele von ihnen wußten aber nicht einmal, daß es christliche Gemeinden in den Ländern des osmanischen Reiches gab. Als Melanchthon durch einen in Wittenberg weilenden Griechen, den Diakon Demetrios Mysos, 1559 erfuhr, daß sich blühende christliche Gemeinden der Orthodoxen unter dem türkischen Joch erhalten hätten, drückte er in einem Brief an den Patriarchen Joasaph sein Erstaunen darüber aus: „Wunderbarerweise erhält Gott eine nicht kleine Kirche in Thrakien, Asien und Griechenland, wie er vor alters die drei Männer im chaldäischen Feuer erhielt. Deshalb danken wir dem wahren Gott, dem Vater Jesu Christi, daß er durch seine starke Hand unter einer solchen Zahl gottloser und gottverhaßter Feinde sich eine Herde erhält, die seinen Sohn Jesus Christus recht ehrt und anruft" 9 ). U n d W . Gass schreibt in seiner „Symbolik der Griechischen Kirche" (Berlin 1872, S. 42), daß „der Zustand der Griechischen Kirche unter türkischer Herrschaft so gut als unbekannt w a r " . Diese Unkenntnis der orthodoxen Kirche des Ostens trug sicher nicht wenig dazu bei, daß sich die Protestanten nicht an diese Kirche wandten, die ihnen den W e g hätte zeigen können, der zum Glauben und Leben der einen, alten und ungetrennten oekumenischen Kirche führt. Infolgedessen beschrieben die Protestanten, die sich mit der orthodoxen Ostkirche befaßten, diese unter dem Einfluß römisch-katholischer Verfälschungen und sehr ungünstiger Gerüchte. Sie stellten sie nämlich entweder der römischen Kirche absolut gleich, was auch heute noch viele Protestanten tun, oder sahen sie als etwas Statisches an, voll von götzendienerischem Aberglauben und weit entfernt v o m unverfälschten Glauben und Leben der ursprünglichen christlichen Kirche. Trotzdem hatten viele bedeutende Schriftsteller und Führer der Reformation, besonders soweit ihnen die alte und klassische griechische Kultur bekannt war, eine Vorstellung von den griechischen Vätern und auch von der griechischen Kirche. Sie zitierten auch häufig die Lehre dieser Kirche bei ihren Zusammenstößen mit den römischen Anschauungen, besonders in der Frage des Papstprimates. Luther selbst betonte nachdrücklich gegenüber römischen Katholiken, die die Ostkirche als häretisch denunzierten, daß keine Kirche soviel ausgezeichnete Schriftsteller her9 ) C. G. Bretschneider, „Corpus Reformatorum", Bd. IX, S. 922 (1842). - Bei Joh. Karmiris, „Orthodoxie und Protestantismus" (griech.) Bd. I, S . 2 1 , werden auch andere Beispiele der Unkenntnis der orthodoxen Kirche bei den Protestanten angeführt.
Die Beziehungen
der orthodoxen Ostkirche zu den andersgläubigen Kirchen
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vorgebracht habe wie die griechisch-orthodoxe Kirche 10 ). Als den ersten bedeutenden Kontakt zwischen der orthodoxen Ostkirche und den Protestanten kann man den Briefwechsel zwischen dem hervorragenden Patriarchen von Konstantinopel Jeremias II. Tranos und den Theologen des Herzogtums Württemberg, und zwar der Theologischen Fakultät von Tübingen ansehen. In diesem Briefwechsel wurden von beiden Seiten die Lehren über die grundlegenden Gegenstände des Glaubens entwickelt und die Punkte aufgezeigt, in denen man übereinstimmte, bzw. die, in denen man verschiedener Meinung war. Die Punkte, in denen große Meinungsverschiedenheiten festgestellt wurden, waren hauptsächlich die Lehre über die heilige Tradition, über die göttliche Vorherbestimmung, über die Rechtfertigung, die Sakramente, die oekumenischen Konzile, die Ikonen, die Anrufung der Heiligen, die heiligen Reliquien und über die Kirche. In diesen Punkten bestehen bis heute die Unterschiede zwischen Orthodoxie und Protestantismus, und um sie drehen sich auch meist die Diskussionen auf den Sitzungen des Weltrates der Kirchen. Die beiden Kirchen verharrten unbeweglich auf ihren Standpunkten, und der einzige Gewinn dieses Kontaktes war das gegenseitige Kennenlernen. Der Verkehr zwischen orthodoxen und protestantischen Kreisen wurde auch später durch die Bemühungen des Patriarchen von Konstantinopel Cyrill Loukaris und des Patriarchen von Alexandrien Metrophanes Kritopoulos fortgesetzt. Aber auch durch sie wurde die Frage der Annäherung der beiden Kirchen nicht wesentlich vorangetrieben, wenngleich mehr Licht über die Natur, den Glauben und das Leben einer jeden von ihnen verbreitet wurde. Es sei jedoch bemerkt, daß der Wunsch der Protestanten nach Annäherung an die Orthodoxie nicht in jeder Hinsicht ehrlich war, da sie auch die Verbreitung ihrer protestantischen Ideen unter den Orthodoxen und ihre Bekehrung beabsichtigten. Da sie aber mit Gesprächen und Briefwechsel bei der Bekehrung der Orthodoxen zum Protestantismus keinen Erfolg hatten, versuchten sie es später durch Entsendung von Missionaren in die Länder des orthodoxen Ostens, durch Gründung von Schulen, durch Verteilung von Büchern protestantischen Inhaltes und auch durch Geldmittel. Aber auch durch diese unerlaubten Mittel errangen sie unter den orthodoxen Völkerschaften, die unter den Türken schwer litten, keine bedeutenden Gewinne, denn die meisten orthodoxen Christen blieben unerschütterlich beim Glauben
10 ) Siehe M.Luther, Werke, Weimarer Ausgabe Bd. VIII, S. 272 (1884): „In universa ecclesia nulla pars dederit plures excellentiores scriptores quam graeca." (Kein Teil der gesamten Kirche hat mehr hervorragende Schriftsteller hervorgebracht als die griechische Kirche.)
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Die orthodoxe Kirche in griechischer
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und bei der Uberlieferung der Väter. Die orthodoxen Kleriker verteidigten sich mutig gegen die Bekehrungsarbeit der Protestanten und machten durch Predigten und Schriften auf die Irrtümer ihrer Lehre aufmerksam und zeigten, daß hinter ihrer Tätigkeit in den Gebieten der orthodoxen Ostkirche Bekehrungsabsichten standen. 5. Die Beziehungen der orthodoxen Kirche zur anglikanischen Kirche hatten von ihrem Beginn an bis heute viele verschiedenartige Gestalten, aber in unserer Zeit sind die freundschaftlichen Bande zwischen diesen beiden Kirchen enger geworden. Sie begannen hauptsächlich seit der Lambethkonferenz von 1888, die sich als erste mit den Beziehungen zur orthodoxen Kirche beschäftigte. Diese Lambethkonferenzen werden von 1867 an bis heute alle 10 Jahre einberufen. A n ihnen nehmen Bischöfe des anglikanischen Bekenntnisses aus allen Teilen der W e l t teil. Der Lambethpalace ist der Sitz des Erzbischofs von Canterbury, der von den anglikanischen Bischöfen als primus inter pares angesehen wird. Die Entscheidungen dieser Konferenzen haben jedoch keinen bindenden, sondern nur einen moralisch verpflichtenden Charakter für die anglikanischen Kirchen. Die orthodoxe und die anglikanische Kirche führen ihre Verwandtschaft auf Theodor von Tarsos, Erzbischof von Canterbury von 669 bis 690 zurück, der zur Verbreitung des Christentums auf den britischen Inseln viel beitrug. Der Patriarch von Alexandria Metrophanes Kritopoulos und der Patriarch von Konstantinopel Cyrill Loukaris arbeiteten tatkräftig daran, die Beziehungen der beiden Kirchen enger zu gestalten. Die Verhandlungen zwischen dem Patriarchen von Jerusalem Chrysanthos und den Bischöfen der Nonjuroren von 1716 bis 1725 bildeten eine Episode ohne große Bedeutung. Denn den Orthodoxen wurde später klar, daß diese Bischöfe (die der britischen Krone den Gehorsamseid verweigert hatten), gar keine Verbindung mit der offiziellen anglikanischen Kirche hatten und eine unbedeutende Minorität bildeten. Die anglikanische Kirche gründete 1840 den Bischofssitz von Gibraltar, dessen Bischöfe alle anglikanischen Kirchen des Mittelmeergebietes unter ihrer Zuständigkeit hatten. Deshalb war es für sie auch leicht, Beziehungen und Verbindungen mit den orthodoxen Kirchen in diesem Gebiet zu unterhalten. Gleichermaßen wurden Besuche orthodoxer Hierarchen in England zum Anlaß für Besprechungen über die Beziehungen beider Kirchen. So besuchte 1869 der Erzbischof von Syros, Lykourgos Alexandros, England aus Anlaß der Einweihung einer orthodoxen Kirche in Liverpool und besprach mit anglikanischen Theologen die Unterschiede und Übereinstimmungen der beiden Kirchen in Glauben und Leben. Dr. Greighton, der spätere Bischof von London, war 1896 bei der Krönung Nikolaus II. als Abgesandter der Königin Viktoria anwesend. Auch Dr.
Die Beziehungen der orthodoxen Ostkirche zu den andersgläubigen Kirchen 335
Maclagan ging 1897 nach Rußland. Während dieser Besuche wurden Fragen besprochen, die die Beziehungen und die Lehre der beiden Kirchen betrafen. Nach dem Ende des ersten Weltkrieges ging der Erzbischof von Athen, Meletios Metaxakis, 1918 nach England und den Vereinigten Staaten zu einem Besuch der dortigen orthodoxen Gemeinden. Bei dieser Gelegenheit sprach er mit anglikanischen Klerikern und Theologen über die Annäherung beider Kirchen. Nach dem ersten Weltkrieg hatte das oekumenische Patriarchat keine guten Beziehungen zur türkischen Regierung, und die anglikanische Kirche unter der Führung des Erzbischofs von Canterbury R. Davidson kam in jenen schwierigen Augenblicken dem Patriarchat von Konstantinopel zu Hilfe. Zum Ausdruck der Dankbarkeit von Seiten des oekumenischen Patriarchats ging der damalige Verweser des oekumenischen Thrones, der Metropolit Dorotheos von Prusa, zu einem Besuch nach England. Eine bedeutende Gelegenheit zur Begegnung von orthodoxen und anglikanischen Klerikern bildete die Feier der 1600jährigen Wiederkehr des ersten oekumenischen Konzils von Nicäa im Jahre 325, die 1925 in London stattfand. Zwei Patriarchen, Photios von Alexandrien und Damianos von Jerusalem, waren, in Begleitung von zahlreichen Prälaten und Klerikern bei den verschiedenen Feiern in London anwesend. Während der Feier in der Westminster Abbey wurde von ihnen das nikänische Symbol in griechischer Sprache rezitiert. Im Januar 1920 gab das Patriarchat von Konstantinopel jene berühmte Enzyklika heraus, in der es alle christlichen Kirchen in der Welt ohne Ausnahme einlud, nach dem Beispiel des damals gebildeten Völkerbundes ebenfalls eine Gemeinschaft der Kirchen zum Zweck der Zusammenarbeit der verschiedenen Kirchen in praktischen Fragen und Fragen des allgemeinen Interesses zu gründen. Diese Einrichtung sollte ferner dazu dienen, die Art und Weise der Annäherung der Kirchen und der Aufhebung der zwischen ihnen bestehenden dogmatischen und anderen Unterschiede zu diskutieren. Mit dem Verweser des oekumenischen Thrones, Dorotheos von Prusa, war ein Ausschuß nach London gegangen, bestehend aus dem Metropoliten von Didymoteichos Philaret, dem Professor der Theologischen Schule von Chalki Komnenos und zwei anderen Klerikern, der mit den Anglikanern in einem freundschaftlichen Geiste gegenseitigen Verständnisses die Unterschiede und die Ähnlichkeiten in der Lehre der beiden Kirchen besprach. Während der Lambethkonferenz, die für Ende 1930 einberufen war, befand sich in London eine große orthodoxe Delegation unter dem Vorsitz des damaligen Patriarchen von Alexandria, Meletios Metaxakis, bestehend aus Prälaten und Theologen, die das oekumenische Patriarchat, die Kirchen von Griechenland, Jerusalem, Antiochia, Rumänien, Serbien,
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Cypern, Bulgarien und Polen vertraten. Damals wurden mehrtägige Diskussionen zwischen den orthodoxen und anglikanischen Vertretern über die Unterschiede und Ähnlichkeiten in der Lehre der beiden Kirchen geführt 11 ). Ebenso wurde auch mit gemeinsamer Einwilligung eine gemischte dogmatische Kommission aus Orthodoxen und Anglikanern gebildet, um die Verhandlungen fortzusetzen und eine gemeinsame Verlautbarung über die Punkte, in denen die beiden Kirchen übereinstimmen oder auseinandergehen, vorzubereiten. Tatsächlich beriet diese Kommission aus Anglikanern und Orthodoxen unter dem abwechselnden Vorsitz des Erzbischofs von Thyatra, Germianos, und des Bischofs von Gloucester, Dr. Headlam, vom 15. bis 20. Oktober 1931 und besprach die Fragen der Heiligen Schrift, der heiligen Tradition, der heiligen Sakramente. Sie gab auch eine gemeinsame Verlautbarung heraus, in der die Lehre der beiden Kirchen in diesen Punkten zusammen mit den Unterschieden und Ubereinstimmungen dargelegt wird. Während dieser offiziellen oder inoffiziellen Begegnungen und Besprechungen zwischen den Vertretern der beiden Kirchen herrschte stets gegenseitiges Verständnis und eine lautere Sehnsucht nach Annäherung der Kirchen. Die anglikanische Kirche bewies besonders von Seiten der Oxford-Bewegung 12 ) eine starke Neigung für die Rückkehr zu der Überlieferung und Lehre der griechischen Väter und der einen, alten und ungeteilten Kirche. Diese Neigung zeigte sich einerseits in der Abwehr jeden Einflusses von Seiten der römischen Kirche, andererseits als Kampf gegen die Herrschaft der extrem protestantischen Tendenzen innerhalb der anglikanischen Kirche (Modernisten, Evangelikaie usw.). Andererseits erkennen die Anglikaner, daß die orthodoxe Ostkirche den Glauben, die Lehre und die Überlieferung der einen, alten, ungeteilten Kirche unverändert besitzt und fortsetzt, und daß folglich die Neigung, die die anglikanische Kirche für eine Annäherung und Gemeinschaft mit der orthodoxen Ostkirche zeigt, gut erklärbar ist. Von anglikanischer Seite wurden auch noch andere Bemühungen in dieser Richtung unternommen. Schon 1864 wurde die „Anglican ans Eastern Churches Association" gegründet, die verschiedene Phasen durchlaufen hat und heute noch besteht. Ihr Zweck ist die Förderung des gegenseitigen Kennenlernens, der Annäherung und der Einigung der beiden Kirchen. Die Gesellschaft sorgt für die Verwirklichung ihrer Ziele durch
11) 12 )
Siehe „ T h e Lambeth Conference 1930", London, S. 138fr.
Siehe meine Studie ,,!>'" O x f o r d - B e w e g u n g " in der Zeitschrift „Gregorios Pah-' ..." '« • Mr,v-,.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
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Eines der viel umstrittenen Probleme der byzantinischen Musik ist dies, ob und w i e die byzantinischen Melodien harmonisiert werden können. D i e gewichtigeren dazu geäußerten Ansichten stimmen darüber überein, daß sie sich weder harmonisieren lassen (wie z. B . der Gregorianische Gesang), noch ist es möglich, nach der Harmonik der europäischen M u sik die byzantinischen Melodien zu harmonisieren, ohne daß sie dabei in ihrem Wesen und Charakter zerstört werden. N u r die allerwenigsten v o n ihnen, und dabei besonders die des sogenannten enharmonischen Genre bieten sich zur Harmonisierung an, und dies auch nur, w e n n sie mit viel Vorsicht und mit Verständnis des Geistes der byzantinischen Psalmodie geschieht. D i e byzantinische Musik benutzt ein eigenes Schreibsystem, d. h. eine eigene „ N o t a t i o n " oder „Parasemantik". Diese Schrift befand sich zwar bis auf den heutigen T a g in kontinuierlicher Entwicklung, hat aber ihre Einheit v o n der ersten bis zur letzten F o r m beibehalten. D i e Parasemantik der byzantinischen Musik ist i m wesentlichen eine stenographische D a r stellung der Melodie, deren aufeinanderfolgende Entwicklungsstadien nichts anderes zeigen, als gerade dies Bestreben, ältere stenographische T y p e n zu analysieren und zu interpretieren. D i e Parasemantik der byzantinischen Musik ist jedoch nicht deswegen griechisch, weil sie v o m g e schichtlichen Gesichtspunkt aus den Griechen angehört, w i e dies aus den Bezeichnungen ihrer Charaktere deutlich hervortritt ( „ o x e i a " , „bareia", „ i s o n " , o l i g o n " , „apostrophos" usw.), sondern auch, weil sie physisch und phthongologisch - w i e gerade auch durch Benutzung des griechischen Alphabets - der A r t und Weise des griechischen Vertonens und Singens entspricht. Es ist eine feststehende Tatsache, daß aus klima-
Die byzantinische Musik in der griechisch-orthodoxen
Kirche
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tologischen und anderen Gründen jedes Volk auf eigene Art und Weise den Mund öffnet, Töne bildet und singt. Das in der byzantinischen Psalmodie vorherrschende sogenannte „ Yphos" findet gerade im richtigen griechischen Vortrag und Gesang in der Kirche seinen Ausdruck. Die byzantinische Parasemantik ist ein weise durchgearbeitetes System der Musikschrift in seiner mit Vollendung entwickelten Form, indem es deutlich das ausdrückt, was es gerade ausdrücken will und was der Musikart entspricht, die es schreiben will. Freilich kann dieses System nicht das ausdrücken, was den großen instrumentalen Kompositionen der europäischen Musikschrift entspräche, d. h. sie bietet dem Auge kein direktes fertiges optisches Schema, das besonders für die Komposition und für den inneren Zusammenhang einer vielteiligen Partitur unbedingt notwendig ist. Die byzantinische Psalmodie hat dies jedoch nicht nötig, da sie ja weder polyphone gemischte Chöre noch Orchesterinstrumente benutzt, wenn sie „maßvoll" und „ohne unordentlichen Lärm" dem Herrn singt. Über die Technik der byzantinischen Parasemantik wäre im allgemeinen zu sagen, daß die „Charaktere" (vgl. die Notenzeichen in der europäischen Notenschrift) nicht jeden bestimmten Ton bezeichnen, sondern jedesmal auch einen anderen, der mit dem vorangegangenen verbunden ist; d. h. die Charaktere der byzantinischen Parasemantik bezeichnen musikalische Abstände und nicht Töne, wie z. B. die Stimmgleichheit, ihren Auf- oder Abstieg; sie bezeichnen das „anhaltend", d.h. gemäß der Abstände der zweiten, oder das „hyperbatisch", d. h. gemäß der Abstände der dritten, vierten, fünften usw. Die den Schlüsseln der europäischen Notenschrift entsprechenden Zeichen sind die „Martyrien", und diejenigen, die eine Veränderung anzeigen (Viertelton, Auslassungszeichen, Auflösungszeichen), sind die „Phthorai". Durch entsprechende Setzung dieser Zeichen werden die dem Genre, dem Kirchenton und dem System gemäßen Umwandlungen bezeichnet, d. h. die Metatropien und Metatonien. Die Zeiteinteilung wird durch „zeitliche Hypostasen" bezeichnet; die Qualität der Melodie wird jedoch durch Charaktere bezeichnet, welche deswegen auch Qualitätscharaktere oder „zeitlose Hypostasen" genannt werden. Die Entwicklungsgeschichte der byzantinischen Parasemantik wird allgemein in drei Perioden eingeteilt: die erste vom 9. bis 12. Jahrhundert, welche die sogenannte ältere byzantinische Parasemantik umfaßt; die zweite vom 12. bis 15. Jahrhundert, die sogenannte mittlere Periode, und die dritte vom 15. bis 19. Jahrhundert, die als Neuzeit bezeichnet wird. Z u diesen Perioden fügt man als vierte die von 1814 bis heute hinzu, die durch die heutige Schrift gekennzeichnet ist, in welche die alten Kirchenweisen umgeschrieben wurden. Auch diese Schrift bezeichnet
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
man als byzantinische, was nicht chronologisch aufzufassen ist, sondern nur als die letzte Form der alten byzantinischen Parasemantik. Das Problem der byzantinischen Parasemantik steht mit dem der Interpretation der alten Codices und dem der Umschreibung der byzantinischen Melodien des 9. Jahrhunderts und der folgenden Jahrhunderte in die heutige lineare oder sogenannte europäische Notenschrift in engster Verbindung. Dieses Thema beschäftigt zwar weit mehr die Musikwissenschaft, aber es ist auch f ü r die Geschichte und die Tradition der byzantinischen Musik von größter Bedeutung: wenn die heute vorliegenden Umschriften richtig sind, dann ist die byzantinische Musik verlorengegangen! 1 9 3 1 wurde in Kopenhagen eine Konferenz über die byzantinische Musik abgehalten, an der die berühmten Wissenschaftler Carsten H e e g , H. J. W . Tillyard und E g o n Wellesz teilgenommen hatten, die unter anderem mit ihren Berichten bestätigten, daß „die Forschungen zur Hebung der Schätze der Vergangenheit eine Verstärkung des Interesses und der Pflege der Kirchenmusik in den Ländern der orthodoxen Kirchen bewirken". V o n da an wurde wichtige Arbeit geleistet: ungefähr auf 30 Bände belaufen sich die von der „ U n i o n Académique Internationale" in Kopenhagen herausgegebenen „Monumenta Musicae Byzantinae", die sich in den Serien der „Principale, Subsidia, Transcripta" und „Lectionaria" befinden. Es hat sich indessen auch bedeutendes wissenschaftliches Material über die byzantinische Musik und ihre verwandten Gebieten angesammelt, d. h. über ihre Geschichte, Manuskriptenüberlieferung, Palaeographie usw. Die wissenschaftüchen Prinzipien, auf denen die ganze ungeheuer mühsame und mit großem A u f w a n d durchgeführte Arbeit der Forscher in Europa beruht, sind bekannt. Dank ausreichend zur V e r fügung stehender materieller Mittel konnten auf Grund ihrer Ergebnisse prachtvolle typographische und photographische Ausgaben hergestellt werden, die täglich weiteren Kreisen bekannt werden; aber leider verursachen sie zugleich mit ihrem Nutzen auch wissenschaftliche Vorurteile gegen die in unserer Kirche überlieferte Psalmodie. Allgemein wird heute von den europäischen Musikwissenschaftlern in ihren Arbeiten über die byzantinische Musik der wichtigste Faktor der in der orthodoxen Kirche lebendig wirkenden byzantinischen psalmodischen Überlieferung falsch gesehen. Die Tatsache, daß sie in ihren Werken die byzantinische Psalmodie als einen „ v o n den Vätern überlieferten" Gesang charakterisieren, berechtigt uns noch mehr, an der Richtigkeit ihrer Ergebnisse zu zweifeln und unwandelbar bei der Überzeugung zu verharren, daß die von den europäischen Musikwissenschafdern befolgte Methode hinsichtlich der Interpretation und Umschrift der byzantinischen Musikcodices
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nicht richtig ist. Da aber auch sie dem zustimmen, daß die byzantinische Parasemantik auch in ihrer höher entwickelten Form für den Sänger nur ein „der Erinnerung nachhelfender Wegweiser" ist, d. h., daß sie mittels ihrer verschiedenen Entwicklungsformen bis auf den heutigen Tag stenographisch und symbolisch bleibt, ist es also richtig, daß wir wissenschaftlich der rezessiven vergleichenden Arbeitsweise folgen, um so zur Erforschung und Interpretation der alten Codices hinzuführen. Wir sind gewiß, daß wir durch Befolgung dieser Methode, durch systematische Sammlung und durch systematisches Studium des in den orthodoxen Kirchen befindlichen psalmodischen Materials, zu positiveren Ergebnissen gelangen werden, die mit der geschichtlichen Wahrheit und mit der ununterbrochenen Uberlieferung des Glaubens und Gottesdienstes der orthodoxen Kirche im Einklang stehen. III Die byzantinische Musik „ist nicht nur ein gemeinsames Gut aller Kirchen griechischer Sprache, sondern auch der Orthodoxen arabischer Sprache von Syrien und Palästina und aller orthodoxen Balkanvölker, und so besonders der Bulgaren und Rumänen und zum großen Teil auch der Serben" (Pan. Bratsiotis); ihre Spuren sind ebenfalls in der Psalmodie der russischen und der finnischen Kirche zu finden. Die Konstantinopler Patriarchatskirche war als die Großkirche stets die Wiege der byzantinischen Musik und das Gefäß, in dem durch eine Reihe großer Meister und Protopsalten als den Trägern des Geistes der orthodoxen byzantinischen psalmodischen Überlieferung der byzantinische Kirchengesang bewahrt wurde. Das besagte „Yphos" der Psalmodie der Großkirche Christi beruhte in den orthodoxen Kirchen griechischer und arabischer Sprache stets auf dem psalmodischen Kanon. Von den die Kunst und Wissenschaft hebenden Patriarchen wurden in Konstantinopel nach der Eroberung wiederholt Schulen für byzantinische Musik gegründet, wo nur die besten Lehrer (besonders auch in der „Großen Nationalen Schule" des Patriarchats und in der „Theologischen Schule" von Chalki) lehrten. Diese musikalische Bewegung löste im Zentrum der Orthodoxie immer eine von Liebe und Enthusiasmus für die byzantinische Musik erfüllte Atmosphäre aus; und nicht nur dies, sie pflegte auch den guten Geschmack und das Musikverständnis der orthodoxen Griechen, so daß fast alle Gläubigen von der Mutterbrust an die byzantinischen Gesänge kannten, so daß sie die Namen der Protopsalten kannten und wußten, welchem die Kompositionen angehörten. Gleichfalls entfaltete sich, nachdem in Bukarest die ersten Buchausgaben
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
byzantinischer Musik erschienen waren, v o m Jahre 1825 an bis zum B e ginn dieses Jahrhunderts in Konstantinopel eine große Ausgabenaktivität. Diese Ausgaben sind sehr behebt, zumal die älteren und diejenigen, die das Siegel des Patriarchen tragen. Dieser Stand der Musik im oekumenischen Patriarchat trifft auch f ü r die übrigen Patriarchate des Ostens und f ü r die autokephale Kirche Zyperns zu, w o die Psalmodie und ihre Schrift - und zwar in einer weit strenger gehaltenen Form - byzantinisch ist. In dem Orthodoxen Patriarchat arabischer Sprache, in Antiochien, wird die Psalmodie sowohl in griechisch wie auch in arabisch durchgeführt, indem jeweils einer der Chöre in einer anderen Sprache singt. D i e byzantinische Musik ist allgemein auch die Musik des Gottesdienstes der Kirche Griechenlands. Seit der Befreiung und der Errichtung des Königreiches wurde von Seiten des Staates und der Kirche ein nicht zu unterschätzendes Interesse f ü r die Erhaltung der durch die Väter überlieferten byzantinischen Musik gezeigt. Bereits im Jahre 1837 wurde in Athen auf Befehl des Königs Otto zur Entfaltung und Verbreitung der Musikkenntnisse unter dem Volk und zur Vervollkommnung der Psalmodie die „Gesangsschule" gegründet, „die zur ethischen Veredelung des Menschen und zur Verschönerung des Lebens wesentlich mitwirkt". Durch diesen Erlaß wurde die Kanzlei für Volkserziehung mit der Gründung einer nationalen Gesellschaft f ü r Musik beauftragt: „zur Verbreitung von Musikkenntnissen im Landesinnern und somit zur Verbesserung des der Frömmigkeit so förderlichen kirchlichen Gesanges", und dabei ist unter dem W o r t „Gesang" stets die byzantinische Psalmodie zu verstehen. Im Jahre 1904 wurde im Odeon Athinon unter Aufsicht der heiligen Synode der Kirche Griechenlands die Schule f ü r byzantinische Musik errichtet; den Unterricht übernahm der zu diesem Z w e c k v o m ökumenischen Patriarchat nach Athen gesandte Konstantin Psachos. Z w e c k der Schule war und bleibt „der Unterricht in der traditionsgemäßen kirchlichen byzantinischen Musik zur vollkommenen Ausbildung der Hieropsalten". Konstantin Psachos entwickelte von 1904 bis zu seinem Tode (1949) in Athen in der griechischen kirchlichen und auch nationalen Musik eine beachtliche Lehr- und schriftstellerische Tätigkeit. Eine ganze Epoche der byzantinischen Musik ist in ihrer Chronik durch die eminente Künstlerpersönlichkeit des „ H y m n o d e n " Johannes Sakellarides bestimmt, welcher sich in Athen über 60 Jahre als Musiker und Protopsaltes auszeichnete. E r schuf eine eigene auf der Tradition basierende Schule der Psalmodie und stand unter seinen Zeitgenossen ohne seinesgleichen da. Johannes Sakellarides, mit einer ausgezeichneten Stimme be-
Die byzantinische Musik in der griechisch-orthodoxen
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gabt und ständig mit der Musik und der Wissenschaft beschäftigt, lehrte an den Unterrichtsstätten und sang in den großen Kirchen Athens, und gab gleichzeitig eine Unmenge von Büchern über die kirchliche byzantinische Musik in byzantinischer und europäischer Notenschrift heraus. Sein Beitrag zur Förderung der byzantinischen Psalmodie war, mit Ausnahme von einigen extremen Dingen, sehr umfangreich, und der Wert seines Werkes wird sowohl von seinen Bewunderern als auch von seinen Gegnern anerkannt. Schließlich wurde zur Förderung wissenschaftlicher Studien und Forschungen über die Probleme der heiligen Psalmodie an der theologischen Fakultät der Universität Athen sogar ein eigener Lehrstuhl für byzantinische Musik errichtet, wofür ständiges lebendiges und aufrichtiges Interesse einer der Schüler des Johannes Sakellarides, Professor Panagiotis Bratsiotis, Mitglied der Akademie von Athen, zeigt. Die Frage des Einflusses neuer Ideen und modernisierender Neigungen auf die byzantinische Musik wird in Griechenland und anderswo ständig neu aufgeworfen, und es sind darüber verschiedenerlei Meinungen zu hören; aber das orthodoxe Volk bleibt in der Liebe zu der durch die Väter überlieferten Psalmodie beständig, die ja auf dieses einen sehr großen pädagogischen und charakterbildenden Einfluß ausübt. Indem die leitende Kirche dies weiß und die byzantinische Musik als einen von den Vorvätern stammenden Schatz betrachtet, hat sie sich stets allen Versuchen, die die Einführung vierstimmiger Chöre in der Kirche zum Ziele hatten - wenn auch nicht immer mit absolutem Erfolg - widersetzt. Nach der kleinasiatischen Katastrophe und der Ansiedlung der Flüchtlingsmassen in Griechenland war eine Verstärkung des Interesses für die byzantinische Psalmodie zu beobachten, das jedoch weit mehr ein praktisches Interesse war und im Gegensatz zu der in vorangegangenen Jahren vorhanden gewesenen Musikbewegung, als in Athen noch das ausgezeichnete periodisch erscheinende Werk, die „Phorminx", herausgegeben wurde (1901-1912), nicht immer vom richtigen Verständnis der gottesdienstlichen Musik getragen war. Die byzantinische Musik ist allgemein in den griechischen Kolonien in Europa und in Amerika im Gebrauch; im Abend- und Morgengottesdienst folgt man den einfachen und ungekünstelten byzantinischen Melodien, in der göttlichen Liturgie (Messe) gebraucht man jedoch den harmonisierten byzantinischen Gesang oder eine freie Komposition, die auf der byzantinischen psalmodischen Überlieferung basiert. Ein erster Versuch in dieser Richtung wurde im Jahr 1844 von Joh. Ch. N. Chabiaras und B. Radhartinger in der Wiener griechischen St. Georgskirche mit der Einführung der europäischen Tetraphonie („mit freier Klavierbegleitung") gemacht.
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W i e bekannt, gehören der orthodoxen Kirche die Mehrzahl der Balkanvölker und weiter nördlich die Russen und Finnen an, bei denen gleichfalls die byzantinische Musik, mehr oder weniger, üblich ist. W i r kennen die Zeit und die Art und Weise, wie das Christentum den N o r d - und Südslaven gebracht worden ist. Es war nur zu natürlich, daß mit dem Glauben das in der Blüte seiner Kultur und auf dem Höhepunkt seiner staatlichen Macht stehende byzantinische Imperium seinen nördlichen Nachbarn in geringerem Maße auch die Grundelemente seiner Kultur brachte. So ist es auch ganz klar, daß die neu gegründeten Kirchen mit der Gottesdienstordnung zugleich auch die Musik der Kirche empfingen, die diese geboren hatte. Diese Musik wurde im Laufe der Zeit von der jeweils volkseigenen aufgesogen und entwickelte sich somit zusammen mit der diesen Völkern eigenen nationalen Musik. So können wir als erstes von der Bulgarischen Orthodoxen Kirche sagen, daß in ihr dieselbe Musik gepflegt wird wie in der Griechenlands. Es wird in allen Stadt- und Landkirchen einstimmig die byzantinische Musik gesungen, und nur mit geringer Ausnahme singt man vierstimmig - und dann meist russische Kompositionen. Der byzantinische Gesang wird in Bulgarien auch „Anatolikon" genannt, und bis zur Errichtung des bulgarischen Exarchates (1870) wurden die kirchlichen Hymnen nicht nur in byzantinischer Musik sondern auch in griechischer Sprache gesungen. V o n da an begann man die kirchlichen Hymnen in die bulgarische Sprache zu übersetzen, indem man sie der überlieferten byzantinischen Melodie anglich. Zentrum dieser Veränderung war das alte, aus dem 9. Jahrhundert stammende Kloster Rila. In den russischen Kirchenmusikausgaben begegnet man zur Charakterisierung einiger musikalischer Hymnen der Phrase „bulgarische Weise", wobei klar auf der Hand hegt, daß es sich hier um eine byzantinische Weise handelt, welche die Russen durch die Bulgaren empfangen haben. Trotz der Tatsache, daß die Orthodoxe Kirche Serbiens nach der Lage des Landes so eng mit Westeuropa benachbart ist und daher neben anderem sowohl hinsichtlich der Musik als auch des Kirchengesanges stärkere Einflüsse von dort angenommen hat, ist in ihr die Tradition der byzantinischen Psalmodie lebendig und auf dem Höchststand gebheben, vgl. die Reihenfolge der acht Kirchentöne und ihre Zählung v o m ersten bis zum achten, die Unterscheidung und Unterordnung der Hymnen nach byzantinischer liturgischer Ordnung, und überhaupt die Beibehaltung des griechischen liturgischen Bekenntnisses. W e n n wir also ein liturgisches oder die Musik betreffendes Buch der Serbischen Orthodoxen Kirche in die Hand nehmen, so führt es uns auch in den Bereich des byzantinischen
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Gottesdienstes und der byzantinischen Psalmodie. Einige von den acht Kirchentönen, wie der erste, dritte, vierte und der „schwere" haben ihre charakteristischen Kennzeichen vollkommen beibehalten und geben dem Gehör genau dasselbe, was wir in der traditionsgemäßen griechischbyzantinischen Psalmodie finden. Unter den serbischen Musikern jüngster Zeit bemühte sich besonders Stephan Mokranjac (1856-1914) um die orthodoxe kirchliche Psalmodie. V o n 1890 bis 1 9 1 0 arbeitete er rastlos an der Niederschrift der von den alten und besten Sängern gesungenen Kirchenliedern, die nach seinem Tode in einem umfangreichen Band unter dem Titel „Allgemeine Psalmodie" herausgegeben wurde. Das Vorwort dieses Buches, verfaßt von dem Musikexperten K . Manoilovitsch, vermittelt uns brauchbare Nachrichten über den Kirchengesang der Orthodoxen Kirche von Serbien. Von den heutigen serbischen Musikspezialisten, die sich eingehend mit den Problemen der Musikgeschichte der Serbischen Orthodoxen Kirche beschäftigen, ist besonders der an einer amerikanischen Universität arbeitende Stojan V . Lazarevic zu nennen. M i t hoher Achtung und mit besonderer Sorgfalt wird die byzantinische Musik von Kirche und Staat auch in Rumänien gepflegt. Die engen B e ziehungen zwischen Griechen und Rumänen, die bis zum letzten Krieg andauerten, bewirkten in Rumänien stets eine griechische Atmosphäre und prägten dem Volk den Charakter lebendigen Griechentums auf. Die griechischen Gemeinden Rumäniens erfreuten sich einer großen Blüte und die Lehrer und Volkserwecker an den Fürstenhöfen und in den Schulen der griechischen Gemeinden waren Griechen. In Verbindung mit der byzantinischen Musik ist besonders die Tatsache bemerkenswert, daß die ersten Buchausgaben byzantinischer Musik auf Betreiben des griechischen Lehrers f ü r byzantinische Musik Petros Emmanuel des Ephesers 1820 in Bukarest mit byzantinischer Parasemantik zustandekamen, und daß der nationale Musiker der Rumänen, Anton Pann, griechischer Abstammung war. Die heutige staatliche Kirchengesetzgebung sieht auch Sängerschulen (hieratische Schulen) vor, in denen an erster Stelle byzantinische Kirchenmusik zu lehren ist, und diese Vorlesung ist f ü r höhere Lehranstalten von Universitätscharakter obligatorisch. Die Studenten haben sich auch einer Prüfung in byzantinischer Musik zu unterziehen. In Rumänien sind bereits fünf Sängerschulen und zwei Schulen f ü r Theologie eröffnet worden. Die orthodoxe Kirche Rumäniens wendet in ihrer Sorge um Verbreitung der byzantinischen Psalmodie unter dem Volk große Sorgfalt auf, „auf daß der aus der Tradition kommende Charakter der Gesänge unverändert beibehalten werde". Dies betrifft besonders den Gottesdienst und die katechetische Arbeit unter dem Volk, die durch geeignete Ausgaben des Bukarester „Insti-
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
tului Biblic si Misiune Ortodoxa" gefördert wird. Laut Bescliluß der heiligen Synode sind die Priester verpflichtet, das Volk die Gesänge der heiligen gottesdienstlichen Handlungen - und so besonders die der göttlichen Liturgie - zu lehren. Der Kreis der Gesänge der Katechese setzt sich aus den rein kirchlich-byzantinischen Gesängen und den zu den verschiedenen Anlässen des christlichen Lebens zu singenden Weisen zusammen, wie z. B . zur Hochzeit, zur Taufe, zum Begräbnis usw. Die im Gebrauch der Sänger befindlichen Musikbücher sind in Rumänien in byzantinischer und zugleich in europäischer Parasemantik gedruckt. Die byzantinische Musikschrift dieser Bücher hat jedoch eine einfachere Form (betreffs der „Orthographie") als die der späteren Ausgaben von Konstantinopel und Griechenland. Weniger als über den bulgarischen, serbischen und rumänischen Kirchengesang können wir über den russischen mit Klarheit in Erfahrung bringen. Seine Geschichte ist in den meisten Punkten dunkel und verworren; wir können sie jedoch generell in die f ü n f folgenden Perioden einteilen: 1 . v o m Ende des 10. bis zum 16. Jahrhundert: dies ist die Epoche der Assimilation und U m f o r m u n g , der langsamen und stufenweisen Entwicklung des von Byzanz nach Rußland gekommenen Kirchengesangs. 2. V o m 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts: diese Periode ist durch den Einfluß der polnischen Musik charakterisiert. 3. V o n der Mitte des 18. Jahrhunderts bis ungefähr zur Mitte des 19. Jahrhunderts: dies ist in Rußland die Periode, in welcher die italienische Musik vorherrschte. 4. Ungefähr von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dauerte die Epoche der Vorherrschaft der deutschen Musik in Rußland an. 5. Hernach folgte in der russisch-orthodoxen Kirche bis zur Revolution (1917) eine Zeit, in welcher der Kirchengesang, frei von fremden Einflüssen, wieder zu dem Geist der alten nationalen russischen Kompositionen der ersten Periode zurückkehrte. Freilich ist dies nur ein sehr allgemeiner Überblick, mit dem wir die Entfaltung des Kirchengesanges Rußlands verfolgen können. Hinsichtlich der Notenschrift ist bekannt, daß sie in ein wenig abgeänderter Weise die altbyzantinische war (9. bis 12. Jahrhundert). Die in dieser Schrift abgefaßten Musikmanuskripte sind jedoch noch nicht hinreichend erforscht, so daß die Klangart dieser von Byzanz übernommenen Melodien noch unbekannt ist. Eins jedoch ist sicher: Die kirchlichen Hymnen wurden nach dem System und nach der Reihenfolge der acht Kirchentöne mit den griechischen Begriffen zu deren Unterscheidung als „Idiomela" und „Prosomoia" übernommen. Die übernommenen griechischen Kirchenmelodien, die heute noch lebendig sind, tragen, selbstverständlich in Überarbeitung, bis zum heutigen Tag in begrenzter Anzahl noch den
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Charakter des „Melos hellenikon" und haben mehr oder weniger noch ihren offensichtlich griechisch-byzantinischen Charakter beibehalten. Als Letztes haben wir noch etwas über die byzantinische Musik der Orthodoxen Kirche Finnlands hinzuzufügen, die, wenn sie auch unter dem Einfluß und in der Abhängigkeit vom russischen Kirchengesang steht, nicht minder schwache Spuren aufweist, die noch einen entfernten Widerhall des byzantinischen Ursprungs einiger ihrer Melodien darstellen. Durch Beibehaltung des Konstantinopler Typikons bleibt in der Orthodoxen Kirche Finnlands auch die psalmodische Überlieferung im Gottesdienst unverändert erhalten, und dies zeigt sich in ihrem psaltischen und hymnologischen Bekenntnis und durch die von eins bis acht gezählten Kirchentöne. In den musikalischen Sammelbänden begegnen uns oft Ausdrücke wie „griechische Weise" (Kreikkalainen sävelmä) oder „alte klösterliche Weise" (Vanha Inostarisävelmä). Diese Ausdrücke zeigen uns ganz klare Spuren ihrer byzantinischen Herkunft und tragen den Charakter des Altertums. W i e es sich aus seiner geographischen Lage und seinen Lebensbedingungen ergibt, steht Finnland in täglicher nationaler Gefährdung, und die dortige Orthodoxe Kirche ist einerseits von der unter besonderen B e dingungen lebenden großen homodoxen Russischen Kirche und andererseits von den Protestanten eingeschnürt, weswegen sie gezwungen ist, den Homodoxen gegenüber einen stark nationalen Charakter zu zeigen und den Heterodoxen gegenüber einen betont bekennenden Standpunkt zu behaupten. Daraus folgt, daß die Finnische Orthodoxe Kirche aus innerem Zwang danach strebt, der Mutterkirche nahe zu sein und zur ständigen Erneuerung des Gottesdienstes und zu ihrer Lebenserhaltung aus den Quellen zu schöpfen. So sucht sie auch jede Möglichkeit, mit der Orthodoxen Kirche Griechenlands und mit anderen leitenden Stellen in Kontakt zu bleiben, wie z. B . letzdich mit den in Europa arbeitenden Spezialisten für byzantinische Musik, wobei sie für ihren Zweck orthodoxe byzantinische Elemente zu finden hofft. Der finnisch-orthodoxe Kirchengesang ist vierstimmig harmonisiert, seltener dreistimmig oder auch zweistimmig, und nur sehr wenige Melodien sind in den kirchlichen Musikbüchern, selbstverständlich immer in europäischer Parasemantik, für einstimmigen Gesang gedruckt. Zuletzt sei noch bemerkt, daß der Hymnus „Dem Herrn undErzbischof. . . " rezitativ (resitatiivina) in griechischer Sprache gesungen wird. Nachwort Die vorliegende kleine Studie stellt nicht im entferntesten den Anspruch auf Vollständigkeit. Die Probleme der byzantinischen Musik sind zahlreich und groß. In unserer Arbeit war es auch nicht möglich, zu
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
irgendwelchen Lösungen zu kommen; denn sie will und kann nur in Kürze gewisse Informationen geben. Im ersten Teil war es uns nicht möglich, eine Geschichte der byzantinischen Musik zu schreiben, im zweiten Teil konnten wir ebenfalls keine vollständige Darstellung ihres theoretischen Systems geben, und im dritten Teil war es ebenfalls nicht im Sinn dieser Studie, durch Beispiele und Belege aus den musikalischen Texten mittels einer Analyse und eines Vergleiches das Gesagte wissenschaftlich zu unterbauen. Eine solche systematische und nicht im voraus hinsichtlich des Umfanges begrenzte Studie wird, wie es unsere Hoffnung ist, in Zukunft an das Licht der Öffentlichkeit gelangen, da sich bei uns überreichliches Material zur Bearbeitung angehäuft hat. Aber, wie auch diese Studie nun ist, so denken wir doch, daß sie nicht gänzlich unbrauchbar erscheint, daß sie ein allgemeineres Bild und eine allgemeinere Kenntnis der byzantinischen Musik vermittelt und den Gelehrten Anlaß gibt, gelehrter zu werden. BIBLIOGRAPHIE Aus der zu diesem Thema benutzten reichen Bibliographie vermerken wir hier nur die wichtigeren ausländischen Werke: L. A. Bourgault-Ducoudray, Conference sur la modalité dans la Musique Grecque. Paris 1879. Ders., Etudes sur la musique ecclesiastique Grecque. Paris 1887. Ders., Mélodies populaires de Grèce et d'Orient. Paris 1897. J. V. Gardner, Probleme der Erforschung des liturgischen Gesanges der russischen Kirche. In: Die Welt der Slaven (Viertel-Jahrsschrift für Slavistik). Wiesbaden 1956, Jahrgang I, Heft 3, S. 334-344. Monumenta MusicaeByzantinae(Union Académique Internationale). Im letzten Band (Egon Wellesz, The Akathistos Hymn. Kopenhagen 1957) befindet sich ein vollkommenes Verzeichnis der seit 1935 erschienen Veröffentlichungen. S. P. Orlov, La Musique religieuse en Russie. Irenikon, Band VIII (1931), PP- 439-456. A. Raes, Introductio in Liturgiam Orientalem. Romae 1947. J . B. Rebours, Traité de psaltique Théorie et pratique du chant dans l'Eglise Grecque. Paris 1906. Th. Reinach, La Musique Grecque. Paris 1926 (Collection Payot). H. Riemann, Kurzgefaßte Musikgeschichte (griech. Übers, von G. K. Sklavos), Athen 1933. Tardo Lorenzo Jeromonaco, L'antica melurgia Bizantina. Grottaferrata 1938. E. Wellesz, A history of Byzantine Music and Hymnography. Oxford 1949 (am Ende des Buches eine vollständige Bibliographie).
PROF. DR. GEORG A . SOTIRIOU DIE K U N S T IN
DER
GRIECHISCH-ORTHODOXEN
KIRCHE
Die Griechisch-Orthodoxe Kirche, die in Byzanz ihren Mittelpunkt hat, blieb auch nach dem Schisma in der Kunst fortgesetzt den alten Überlieferungen treu, während die lateinische Kirche ihren eigenen W e g gingDie byzantinische Kunst ist aus der altchristlichen hervorgegangen. Sie gestaltete sich vor allem im 9. Jahrhundert unter den Mazedoniern zu jener einzigartigen Blüte, die sowohl die Kraft der Orthodoxen Kirche als die Größe des Hofes von Byzanz verkörperte und entwickelte sich bis zum Ende des byzantinischen Kaiserreichs (1453) fortgesetzt weiter. V o m 1 1 . Jahrhundert an breitete sie sich über die slawischen Länder des Balkans und Rußlands aus, im 12. Jahrhundert warf sie ihre Strahlen bis in den Osten (Georgien, Kaukasus) und Westen (Italien, Sizilien) und beeinflußte die Kunst dieser Länder. Während der Zeit der Türkenherrschaft (1453-1830) bewahrte die Griechisch-Orthodoxe Kirche, die der Mittelpunkt der nationalen Kräfte war, die Kunst der Vergangenheit, sie erhielt die überlieferten Formen lebendig, weshalb die kirchliche Kunst der Türkenzeit als nachbyzantinisch zu charakterisieren ist. Seit der Befreiung Griechenlands (1830) hat die kirchliche Kunst trotz einiger Abweichungen im Gesamten die nachbyzantinische Überlieferung nicht abgebrochen. Quellen. Nach neueren Forschungen betrachtet man als die Quellen der altchristlichen und byzantinischen Kunst, aus denen sie ihre wesentlichsten Grundformen schöpfte, einerseits den Hellenismus, dessen Kunst ihre letzte Blüte an den drei wichtigsten Stätten hellenistischer Kultur, in Alexandrien, Antiochien und Ephesus, hatte, andererseits den Orient (von Syrien und Palästina bis Kappadozien und Mesopotamien). Von ihm kamen wichtige Anregungen für die Gestaltung der christlichen Architektur, der monumentalen Malerei und der ornamentalen Skulptur. Jede dieser beiden Uberheferungen - die hellenistische und die orientalische Kunst - hatten einen eigenen, selbständigen, in vielem sogar gegensätzlichen Charakter, umgeformt und miteinander verschmolzen jedoch schufen sie eine neue, einheitliche Kunst, die den neuen Erfordernissen entsprach und von den neuen Idealen des Christentums beseelt war.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
A. Architektur In der Architektur herrschte bis zum 5. und 6. Jahrhundert der Typus der Basilika, die nach der herrschenden Meinung aus der basilica forensis der hellenistischen Agora hervorging und in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des neuen Kultes gestaltet worden war. Die christlichen Basiliken hatten sehr große Ausmaße, sie waren längliche, holzgedeckte Bauwerke, die durch Säulenreihen in drei oder mehr Schiffe geteilt wurden, deren mittleres breiter war und die Seitenschiffe an Höhe überragte. Die Seitenschiffe trugen oft Galerien. Außer dem einfachen Typus fanden die Basiiiken mit Querschiff große Verbreitung, bei denen der östliche Teil der Basilika in vielerlei Spielarten nach der Breite hin erweitert war. Die Querschiffe gingen oft über die Längsseiten des Gebäudes hinaus und gaben so der Basilika die Gestalt eines Kreuzes. Der Altarraum endigte nach Osten hin in einer breiten Apsis, die das „obere Jerusalem" symbolisierte, während die Basilika selbst durch ihre langen Säulenreihen den „ W e g " darstellte, „der nach Jerusalem führt". Vom Kirchenschiff war der Altarraum durch niedere Schranken getrennt. Der Thron des Bischofs befand sich östlich des Altars, zu beiden Seiten desselben die Sitze der Priester. Im Westen befanden sich der Narthex für die Katechumenen und das große Atrium mit seinen Säulenhallen. Die dem Kult dienenden Nebengebäude wie Martyrien, Baptisterien, Sakristeien, Lehrräume und Kapellen lagen an den Längsseiten des Gebäudes, mit der Basilika baulich verbunden. Martyrien und Baptisterien waren oft selbständige große Rundbauten, kreisförmig oder polygonal, und nach hellenistischen Vorbildern, N y m phäen und Mausoleen, mit Gewölben bedeckt (so Hagios Georgios in Saloniki). Durch Nachahmung dieser Bauform entstanden auch Kirchen als Zentralbauten (die Kirche des Sergius Bacchus in Konstantinopel). Einen ausgesprochen christlichen Charakter erhielten die Martyrien durch das Kreuzschema. Erweiterte kreuzförmige Martyrien nahmen die Gestalt und die Ausmaße riesiger Kreuzbasiliken mit Säulenreihen an (u. a. die Kirchen des heiligen Johannes des Theologen in Ephesus und der heiligen Apostel in Konstantinopel). Von altchristlichen Basiliken sind das Katholikon des Studionklosters in Konstantinopel, die Acheiropoietos und die wiederaufgebaute Kirche des heiligen Deinetrios in Saloniki erhalten (Abb. 1). Auf die Grundmauern und Ruinen einer großen Anzahl Basiliken stößt man jedoch in allen Ländern, über die sich die byzantinische Herrschaft erstreckt hatte. Viele wurden, besonders auf dem griechischen Festland und auf den Inseln, durch Ausgrabungen ausfindig gemacht.
Abb. 1
Das Innere der Basilika des hl. Demetrius in Saloniki vor dem Brand im Jahre 1917 (5. Jahrh., renoviert im 7. Jahrh.).
Abb. 2
Die Hagia Sophia in Konstantinopel
(6.
Jahrk).
Abb. 3
Die Kirche der hl. Theodore in Athen (byzantinisch,
12.
Jahrb.).
Abb. 4
Die Kirche Johannes des Theologen byzantinisch, 16. Jahrh.).
Abb.
Christus als Pantokrator in der Kuppel der Kirchc des Klosters Attika (Anfang des 12. Jahrh.), nebenstehend.
5
in Palaeochoraj Aegina
(nach-
Daphni
Abb. 6
Ausschmückung (16. Jcthrh.).
der Kuppel des Katholiken
des Klosters
Dccheiarion
Abb. 7
Die Platytera (die ihre Arme ausbreitende Gottesmutter) in der Apsis einer nachbyzantinischen Kirche auf Cypern (16. Jalirh.).
Abb. 8
Prophetenszenen von der Kuppel des Brunnenhauses des Klosters Megali Lavra auf dem Athos. (Elisa in Jericho, Himmelfahrt Elias, Untergang der Ägypter im roten Meer), nächste Seite.
Die Kunst in der griechisch-orthodoxen
Kirche
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Für die Architektur der justinianischen Zeit ist die Ersetzung der holzgedeckten Bauten durch solche mit Gewölben charakteristisch. Ein neuer Typus wurde durch die Kombination der Basilika mit den kuppeltragenden Zentralkirchen, also durch die Kuppelbasilika, geschaffen. In der Mitte des Hauptschiffs der Basilika stehen vier starke Pfeiler, die, durch Bögen miteinander verbunden, die halbkugelförmige Kuppel tragen. Zwischen den Pfeilern und westlich derselben ziehen sich die Säulenreihen hin. Dieses System fand seine Vollendung in wunderbarer Einheit in der berühmten Kirche der Hagia Sophia von Konstantinopel, die wegen des harmonischen Baues des Innenraums, wegen der großartigen Weite unter der riesigen Kuppel und der Leichtigkeit des Gewölbes als einer der schönsten Innenräume der Welt angesehen wird, der unter einer einfachen äußeren Hülle seine großartige Gestaltung verbirgt (Abb. 2). Später, v o m 9. Jahrhundert an, kristallisierte sich aus der Kombination mittlerer Typen ein neuer Stil für die griechisch-orthodoxe Kirche heraus, die sogenannte Kreuzkuppelkirche, die im folgenden zum klassischen Typus der griechisch-orthodoxen Kirche wurde und über alle Länder des orthodoxen Ostens Verbreitung fand (Abb. 3). Die im Grundriß quadratische oder leicht längliche Kreuzkuppelkirche hat als Besonderheit die Anordnung der Deckengewölbe zu einem Kreuz. Dort, w o sich die A r m e desselben kreuzen, erhebt sich auf einem kreisförmigen oder polygonalen Tympanon die Kuppel. Die niedrigeren Räume in den Ecken tragen Halbkugeln oder Kuppeln. Die von Bögen getragenen Deckengewölbe ruhen auf vier dünnen Pfeilern oder zylindrischen Säulen in der Art, daß fast der ganze Innenraum frei und einheitlich bleibt. Auch der Altarraum stellte eine einheitliche Fortsetzung des Hauptschiffes dar. Seine Decke ist der östliche Teil des Kreuzgewölbes. Das erste Beispiel einer Kreuzkuppelkirche ist die „Neue Kirche" in K o n stantinopel, von Basilius I. dem Mazedonier als Palastkirche erbaut. Partriarch Photius sagt in der Rede, die er bei der Einweihung der Neuen Kirche hielt, „daß die Decke, die erfüllt ist von f ü n f Halbkugeln . . . in Schönheit wie von Sternen glänzt. . . " Und er hebt das Einzigartige des Inneren der Kirche heraus, wenn er hinzufügt: „ W e r die Kirche betreten hat so wie den Himmel, ohne daß sich ihm von irgendwoher etwas in den W e g stellt, und angestrahlt wird durch die vielgestalte und überall erscheinende Schönheit wie von Sternen, der wird durch und durch von Schrecken gepackt." Die Kreuzkuppelkirche erhielt von Anfang an eine andere symbolische Bedeutung als die Basilika. Sie symbolysiert das All; die Gewölbe sind alle-
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gorisch der Himmel, die Gläubigen stehen auf dem Fußboden als auf der Erde, die Apsis des Altarraums ist der Punkt, w o Himmel und Erde sich vereinigen. Dieser Symbolik wurde die Ausstattung der Gewölbe und Wände durch Fresken und Mosaiks angepaßt. Weitere Änderungen der Anordnung der Kirche und ihrer Nebengebäude kamen von der Entwicklung des Kultes her. Nach der Ausgestaltung der Liturgie durch stille Gebete und der Einführung des „Großen Einzugs" wurde das Templum, das den Altarraum einzäunt, erhöht, der Altarraum selbst in drei Teile geteilt, in den eigentlichen Altarraum, die Prothesis links und das Diakonikon rechts, die je in einer Konche endigen. Der Narthex und das Atrium, die f ü r die Katechumenen bestimmt waren, wurden abgeschafft, als die Kindertaufe allgemein üblich geworden war. In vielen Kirchen wurden die Narthices, äußeren Narthices und Säulenhallen als Vorhallen beibehalten, besonders bei den Katholika der Klöster (wo sie bei Zeremonien benützt wurden, die nicht streng liturgischen Charakter trugen). Auch außen weisen die byzantinischen Kreuzkuppelkirchen gegenüber den älteren bedeutende Unterschiede auf. Kunstvolles Mauerwerk aus gleichgeschichteten Steinen und gebrannten Ziegeln und reiche Ziegelornamentik schmückt, jeweils nach Ort und Epoche verschieden, die Wände, die Apsiden, die Kuppeln, die zwei- und dreiteiligen Fenster. Die hohen, eleganten Kuppeln und der häufige Niveauwechsel des Kirchendaches, den die Hervorhebung des Kreuzes plastisch beherrscht, geben der byzantinischen Kirche im Gegensatz zu dem einfachen und schwerfälligen Äußeren der älteren Kirchen ihre Grazie und malerische Wirkung. Die Zeiten der komnenischen und palaeologischen Dynastien können als die Entwicklungsstadien der byzantinischen Kreuzkuppelkirche wahrgenommen werden. Im I i . und 12. Jahrhundert lassen sich zwei Schulen deutlich voneinander unterscheiden: die von Konstantinopel und die von Griechenland; während der Zeit der Palaeologen (im 1 3 . und 14. Jahrhundert) entwickeln sich auch in kleineren Gegenden wie Mazedonien, Epirus, Mistras, charakteristische Besonderheiten, die hauptsächlich an den Größenverhältnissen, an der Art der Mauerschichtung, an der Form der Kuppeln und Fenster und am Ziegelschmuck zu beobachten sind. Veränderungen. Die Verbreitung der Kreuzkuppelkirche über alle Länder des orthodoxen Ostens trug dazu bei, daß sehr viele örtliche Veränderungen des Typus auftraten, deren wichtigste die folgenden sind: die Kreuzkuppelkirche mit seitlichen Chören (Konchen) dominierte auf dem
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Athos (Kloster Megali Lavra, Iviron usw.) und übteEinfluß auf Rumänien aus. Die fünfschiffige Kreuzkuppelkirche tauchte in Konstantinopel auf (Lips-Kloster) und herrschte bei den großen Kirchen in Rußland (Hagia Sophia in Kiew) vor. Der zweisäulige Typus ist f ü r die Kirchen Griechenlands charakteristisch, der einschiffige mit Kuppel dominiert auf den Inseln, wie Zypern, Kreta usw. Als eine Vereinfachung der Kreuzkuppelkirche kann die kreuzgedeckte betrachtet werden, bei der die Kuppel weggelassen wird und nur die zwei gegen- und übereinanderstehenden Gewölbe des Kreuzes übrigbleiben. Sie dominierte v o m 13. Jahrhundert an hauptsächlich in Epirus, Thessalien und später auch im übrigen Griechenland. Außer den allgemeinüblichen Kreuzkuppelkirchen wurden auch Kirchen des sogenannten ohtagonalen Typus gebaut, sehr bedeutende architektonische Bauwerke, bei denen die große Kuppel auf acht mit der Außenwand verbundenen Pfeilern ruht. Die besten Zeugnisse dafür sind die Klöster Hosius Lukas in Phokis und Daphni in Attika. In begrenzten Landstrichen hielt sich auch, verkleinert und vielen Wandlungen unterworfen, die Basilika. Nachbyzantinische Architektur. Der Kreuzkuppeltypus fand zusammen mit seinen Veränderungen während der ganzen Dauer der Türkenzeit fortlaufend Anwendung, wobei in zunehmendem Maße die einzelnen Formen und ebenso das Mauerwerk sehr vereinfacht wurden. Die kunstvollen Ausschmückungen fehlten, der Gebrauch von gebrannten Ziegeln hörte auf (Abb. 4). Für kleine Kirchen kam nun noch der einfachste Typus in Gebrauch, die einschiffige gewölbte oder holzgedeckte Basilika. Nach der Befreiung Griechenlands (1830) baute man die orthodoxen Kirchen sehr großartig. Man folgte mit einer gewissen Freiheit und Vermischung der T y p e n der Überlieferung der Vergangenheit. B. Darstellende Kunst Von der ältesten Zeit an fand die darstellende Kunst als Bildersprache Gebrauch zur Schilderung der Geschehnisse des Evangeliums, zur Erzählung der heiligen Texte, aber auch, u m den von der Liturgie symbolisierten Grunddogmen des Christentums Ausdruck zu verleihen. So wurde die Hagiographie unter dem Einfluß der Worte der großen Väter, eines Basilius des Großen und eines Gregor von Nyssa, ausgestaltet und unter die Autorität der Kirche selbst gestellt. Sie folgt einem geheiligten
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Kanon, der die subjektive Freiheit bei der W a h l der Themen, bei der Ikonographie und selbst bei der Stilform ausschließt. Parallel der Bemalung der Kirchen durch Fresken fand das Mosaik weitgehende Verwendung als „die Malerei der Ewigkeit". In häufigen G e brauch kamen in den Kirchen auch die tragbaren Ikonen auf einem Brett, die die göttlichen Personen, die Märtyrer des Glaubens oder Szenen aus dem christologischen und dem mariologischen Festzyklus darstellten, während die in Gebrauch befindlichen liturgischen Bücher, besonders die Evangelien und Psalterien, mit den ihrer Kunst halber berühmten Miniaturen bemalt wurden, die manchmal buchstabengetreu dem T e x t folgen. In den Basiliken dieser Zeit hat die Bemalung theologischen und historischen Charakter. In der Apsis des Altarraums werden in Übereinstimmung mit deren allegorischer Bedeutung als „oberes Jerusalem" Themen abgebildet, deren Hauptgedanke der Thriumph der Religion Christi über die Oekumene und seine Erhöhung in Herrlichkeit als Himmelskönig im Paradies ist. Die Themen des Thriumphes sind inspiriert von der A p o kalypse oder von den Gesichten der Propheten und der Apostel, die die göttliche Natur Christi offenbaren (Verklärung, Himmelfahrt). A n den Wänden der alten Basiliken des 4. und 5. Jahrhunderts wird ein historischer Zyklus mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament dargestellt. B e i m ältesten historischen Zyklus gibt es zwei Richtungen. Die eine, rein historische hat die Belehrung derer im Auge, die die Schrift nicht lesen können, wie die Väter, Gregor von Nyssa, Nilus u. a., erwähnen. Hiernach werden die historischen Szenen in fortlaufender Folge entsprechend der Reihenfolge des Textes entfaltet. Die andere hat eine theologische Färbung, die von jener bei den Vätern (Cyrill v. Alexandrien) dominierenden Auffassung herkommt, nach der das Neue Testament im Alten vorgebildet ist. In diesem Fall geschieht die Auswahl der Szenen so, daß sich die alttestamentlichen und die neutestamentlichen entsprechen. Mit der Zeit wurden die Themen aus dem Alten Testament von dem Zyklus der Evangelienszenen zurückgedrängt, der u m Themen der Leidensgeschichte und des Kindesalters Christi bereichert wurde. In einigen Fällen hat auch die Differenzierung der Evangelienszenen in drei Teilzyklen Kindesalter, Wunder, Leidensgeschichte - theologische Bedeutung, indem durch sie entweder ein Zeugnis f ü r die Gottheit oder f ü r die göttliche Kraft Christi abgelegt wird. Schließlich nehmen Darstellungen von Märtyrern und Heiligen wie auch Porträts von Kaisern, Bischöfen, Gönnern und Stiftern einen großen Platz in den christlichen Basiliken ein. Auch historische Ereignisse und
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Zeremonien, die in irgendeiner Beziehung zu den Kirchen standen, w u r d e n abgebildet, woraus deutlich wird, daß es in der altschristlichen Zeit keinen strengen K a n o n bezüglich des Systems der B e m a l u n g der Kirchen und der A u s w a h l der T h e m e n gab. Byzantinische
Epoche. Das Ende des Bilderstreits durch die W i e d e r a u f -
richtung der Bilder (842), deren Verehrung und A n b e t u n g die 7. Ö e k u menische Synode (787) festlegte, die definitive Festlegung des D o g m a s durch die Entscheidungen dieser Synode und die allmähliche Festlegung des Festkalenders führten zu einem besonderen ikonographischen Z y k l u s , der z w a r die ältere Ikonographie fortsetzte, sich jedoch sowohl bezüglich der A n o r d n u n g der Szenen in den verschiedenen Teilen der Kirche als auch bezüglich des dem Bildschmuck beigelegten Sinnes v o n jenen unterschied. D e n wiederaufgerichteten Bildern w u r d e nämlich theologischer Inhalt in neuer T i e f e beigelegt. So w u r d e das B i l d Christi mit d e m D o g m a des „ h o m o o u s i o n " (der Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn) verbunden und als Ausdruck und sichtbarer Beweis des D o g m a s der S y n o den v o n Nicaea, Ephesus und Chalcedon betrachtet. Das B i l d der T h e o t o k o s (Gottesmutter) b e k a m außer d e m älteren d o g matischen Sinn, nach d e m es die Erlösung durch die Inkarnation darstellte, nun auch den Sinn der Mittlerin zwischen Gott und Menschen, den die H y m n e n d i c h t u n g
z u m Ausdruck bringt. V o n den Bildern
der
Heiligen galt, daß sie an dem Archetypus teilhaben, dessen S y m b o l und A b b i l d sie sind, die Evangelienszenen w u r d e n mit den Ereignissen der Ö k o n o m i e der Inkarnation und Theophanie verbunden, neue K o m p o s i tionen kamen dazu, die das, was die göttliche Liturgie ausführt, abbilden oder symbolisieren. D i e B e m a l u n g der Kirchen umfaßt also drei Z y k l e n : den dogmatischen, den liturgischen und den historischen oder Festkalender-Zyklus. Jedem v o n ihnen stehen nun nach der hierarchischen O r d n u n g und i m Z u s a m menhang mit der Symbolik der Kirchenteile ganz bestimmte Plätze in der Kirche zu. So beherrscht eine großartige Einheit v o n Gedanken den Gesamtraum einer orthodoxen Kirche. 1. Der dogmatische Zyklus.
D e n heiligsten Teil der Kirche, den höchsten
Punkt der Kuppel, hat die gigantische Gestalt Christi als dreieiniger Gott, als Pantokrator und als Weltenrichter inne, der aus der H ö h e des H i m mels „ w i e aus einem Fenster, könnte einer sagen, auf diese W e l t hersieht" (Photius 891) ( A b b . 5). U m g e b e n v o n der Iris und v o n Engeln oder Propheten als den Trabanten des Himmelkönigs sitzt er auf d e m T h r o n . In den Ecknischen unter der Kuppel sind i m allgemeinen die
vier
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Evangelisten, manchmal auch mit ihren Symbolen, gemalt, so als wären sie die vier Stützen des Thrones (Abb. 6). Der zweite Punkt des dogmatischen Zyklus ist die Apsis, d. h. die Konche des Altarraums, die die Decke der Kirche mit dem Fußboden, symbolisch den Himmel mit der Erde vereint. Sie gehört der Theotokos, als der „Brücke, die die von der Erde zum Himmel hinbringt", als der Mittlerin, die vor dem Pantokrator der Kuppel f ü r die Gläubigen bittet. Sie ist flankiert von Engeln (Abb. 7). Nach Photius ist „die Apsis des Heiligtums von der Gestalt der Jungfrau überstrahlt, die die unbefleckten Hände über uns ausbreitet und bei dem König unser Heil bewirkt." Der dritte Punkt des dogmatischen Zyklus ist der Eingang, d. h. das T o r , das v o m Narthex ins Hauptschiff führt. Über dem T o r ist Christus als Heiland abgebildet, ein aufgeschlagenes Evangelium haltend, auf dem die Worte stehen: „Ich bin die T ü r , w e r durch mich eingeht, der wird gerettet werden." 2. Der liturgische Zyklus. Der liturgische Zyklus wird im Altarraum entfaltet. E r bezieht sich einerseits auf dessen Symbolik als himmlische Opferstätte und andererseits auf die göttliche Liturgie, von der er inspiriert ist. A n das Gewölbe des Altarraums wurde ursprünglich die apokalyptische Darstellung der Zubereitung des Throns (der Thron, darauf das Evangelium, darüber eine Taube) als Nachahmung des himmlischen Altares gemalt. Später, v o m 1 1 . Jahrhundert an, wird Pfingsten mit dem Thron in der Mitte hier dargestellt in der allegorischen Bedeutung der Gnade des Heiligen Geistes, die auf den heiligen Gaben und auf dem Offizianten ruht, was mit den stillen Gebeten übereinstimmt (Kloster Hosios Lukas, Theoskepastou-Kirche in Trapezunt), häufiger über die Himmelfahrt, die die Herrlichkeit Christi im Himmelreich verdeutlicht. Den R a u m unterhalb der Platytera (der die Hände ausbreitenden Theotokos) nimmt, im allgemeinen in zwei Reihen, die göttliche Liturgie ein, also Christus als Hohepriester, der die Heiligen Gaben (Brot und Wein) mit den dabeistehenden Worten „Nehmet, esset. . . " , „Trinket alle daraus. . . " an die Apostel austeilt. Unterhalb der göttlichen Liturgie werden die Hierarchen abgebildet, und vor allem ihre Repräsentanten Basilius der Große und Chrysostomus, die Schriftrollen in der Hand halten, auf denen liturgische Gebete stehen. Die Prothesis links v o m Altar, in der der Anfang der heiligen Handlung des Sakraments der göttlichen Eucharistie vollzogen wird, ist mit den Bildern der an dem heiligen Sakrament teilhabenden Diakone und vor
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allem des ersten Märtyrers Stephanus bemalt, später mit der Äußersten Erniedrigung (Christus als Leichnam mit den Leidenssymbolen aufrecht auf dem Grab), die die der Prothesis gegebene Bedeutung als Grab Christi verdeutlicht. Im Diakonikon sind Darstellungen der Propheten und Heiligen angebracht, besonders des Melchisedek (des Hohepriesters in Ewigkeit). Schließlich werden oben noch zu beiden Seiten des Hauptaltarraumes die Erzengel (Michael und Gabriel), die Wächter der Opferstätte, abgebildet. 3. Der Festkalenderzyklus. A u f die Gewölbe und Tympana des Hauptschiffs und des Narthex, die große abgegrenzte Flächen bilden, wurden die Szenen der Hauptgeschehnisse des Lebens Christi verteilt, die jährlich in der Kirche gefeiert werden. Dieser Festkreis bildete sich erst im Laufe der Zeit heraus. Nach dem Bilderstreit wurden zunächst nur die Bilder der heiligen Personen wieder aufgestellt, wie wir aus der Beschreibung der „Neuen Kirche" durch Photius erfahren. Z u Beginn des 1 1 . Jahrhunderts ist der Festzyklus noch sehr begrenzt (vier unbewegliche Feste in der Kirche, vier bewegliche im Narthex). Im Laufe des 1 1 . Jahrhunderts kommen von den beweglichen Festen die Kreuzigung und die Auferstehung in die Kirche herein, v o m Ende des 1 1 . Jahrhunderts an wird das Entschlafen der Gottesmutter mit dazugesetzt, womit sich der Festkalenderzyklus auf sieben Bilder vermehrt. Hauptsächlich v o m 12. Jahrhundert an kristallisiert sich der Kanon der zwölf Hauptfeste, das Dodekaorton, heraus. Es sind: die Verkündigung, die Geburt Christi, die Darstellung im Tempel (Mariä Lichtmeß), die Taufe, die Verklärung, die Auferstehung des Lazarus, der Einzug in Jerusalem, die Kreuzigung, die Auferstehung Christi, die Himmelfahrt, Pfingsten und das Entschlafen der Theotokos. Davon gehören das erste und das letzte zu dem Zyklus der unbeweglichen Feste der Gottesmutter, die vier folgenden zum Zyklus der ähnlicherweise unbeweglichen Herrnfeste und die übrigen zum Leidens- und Auferstehungszyklus (bewegliche Feste). Die Westwand des Kirchenraumes über der Türe oder den Narthex nimmt gewöhnlich die großartige Szene des Weltgerichts ein, während die unteren Teile der Wände der ganzen Kirche mit ganzfigurigen Darstellungen bemalt werden: Märtyrer, Selige, Heilige, Hierarchen. Diese Hauptthemen der drei Zyklen werden im Laufe der Zeit durch neue Szenen bereichert. Im dogmatischen Zyklus kommt die heilige Trinität in verschiedenen Darstellungsweisen dazu. Der liturgische Zyklus vermehrt sich im Altarraum. V o m 12. Jahrhundert an wird zu der heiligen Liturgie im unteren
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Teil der Apsis das Thema des Lammes hinzugefügt, das heißt Christus als ein ausgestreckter Leichnam. Dieses Thema wird später in die Zerteilung des Leibes Christi verwandelt, das heißt in die Abbildung des vom Priester vollzogenen Opfers des Lamms auf dem heiligen Altar mit der Darstellung Christi als eines Säuglings auf dem Hostienteller. Im 14. Jahrhundert nimmt manchmal der prachtvolle Aufzug der im Himmel gefeierten Göttlichen Liturgie die Wände des Altarraums ein, wobei die Gaben von Engeln, die von Diakonen umgeben sind, ausgeteilt werden, wie bei den berühmten Fresken der Perivleptos-Kirche in Mistras. Ebenso wird vom 14. Jahrhundert an in das innere Tympanon des Tors des Narthex der „Anapesson" gesetzt, eine Darstellung Christi als eines schlafenden Kindes nach dem Wort 1. Mose 49, 9: „Er ist niedergekniet („ävaneawv") und hat sich gelagert wie ein Löwe, wer will sich wider ihn auflehnen?" Beim Festkalenderzyklus vermehren sich die Szenen aus der Leidensgeschichte. Vom 14. Jahrhundert an besonders werden die Wunder Christi, ein Zyklus aus dem Lehen der Theotokos, die 24 Oiken des Akathistos-Hymnus und später die Laudes, die großen Ereignisse der Kirche (wie die Erhöhung des Heiligen Kreuzes, die Oekumenischen Synoden usw.) hinzugefügt. In Kirchen, die bestimmten Heiligen geweiht sind, werden einzelne Szenen aus dem Leben, den Wundern, den Martyrien derselben dargestellt. Während der Zeit der Türkenherrschaft wurde dieser ikonographische Kanon festgehalten, nur mit dem Unterschied, daß neue Szenen in verkleinerten Ausmaßen dazugesetzt wurden. Ikonographie. Die Ikonographie, das heißt die Darstellungsweise jedes Evangelienthemas, gestaltete sich schon im 5. Jahrhundert in der Weise aus, daß ikonographische Typen entstanden. Diese wurden zu Vorbildern, deren Nachahmung besonders geachtet ist, also zumAusgangspunkt der Überlieferung. Die überlieferten ikonographischen Typen wurden jahrhundertelang fortgeführt und wiederholt, ohne daß die Entwicklung aufhörte. Kleine Teiländerungen schaffen neue Grundlagen der Tradition, sie bestimmen die Schulen und Epochen. Quelle der Inspiration ist vor allem das Evangelium, dann die Apokryphen, die Hymnen und die Worte der Väter. Schon von der Herkunft und ersten Ausgestaltung der Themen her sind Abb. 9 Nachbyzantinische Ikone der Gottesmutter aus dem Byzantinischen Museum in Athen (17. Jahrh.), nebenstehend.
Museum
Athen.
Abb. 11
Panhagiarion (Hostienteller) des Klosters (14. Jährh.).
Xeropotaimu/Athos
Abb. 12
Ausschnitt aus dem Mosaikfußboden der Doumantios-Basilika NikopolislEpirus (5. Jahrb.).
Abb. JJ
Ausschnitt aus dem Epitaph des Byzantinischen (14. Jahrh.).
in
Museums Athen
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zwei Traditionen zu unterscheiden: die eine, syrisch-palästinensische, schöpft aus den Apokryphen und bleibt bei dem Buchstaben der E r zählung stehen, die andere, heUenistisch-konstantinopolitanische, dringt in den Geist der Sache ein und ist von der byzantinischen Feierlichkeit beeinflußt. Die östliche erzählt realistisch mit lebendigen Gesten. Die Ikonographie der Hauptstadt unterscheidet sich durch ihren Idealismus und die Vornehmheit der zurückhaltenden Bewegungen. Nach dem Bilderstreit und besonders v o m n . Jahrhundert an nähern sich die beiden Traditionen einander an und beeinflussen sich gegenseitig in vielen Punkten. Die mittelbyzantinische Ikonographie des n . und 12. Jahrhunderts charakterisieren große Einfachheit, Begrenzung auf die unbedingt erforderlichen Personen, rhythmische, typisierte Bewegungen und spärliche Landschaftselemente. In der palaeologischen Zeit des 13. und 14. Jahrhunderts wird die Ikonographie reicher. Die Personen vermehren sich, lebendige, spontane Bewegungen und Gefühlsausdruck beleben die Personen, die Szenen werden vor einem Hintergrund aus Landschaft und Gebäudeteilen entwickelt (Abb. 8). In der nachbyzantinischen Ikonographie unterscheidet man die mönchische, die bei den alten orientalischen Traditionen verharrt und die sogenannte kretische, die der byzantinischen Tradition der letzten Epoche folgt, aber strenger, hieratischer und mystischer gehalten ist. Ein Teil der kretischen Maler des 17. und 18. Jahrhunderts, die auf den ionischen Inseln arbeiteten, entfernte sich von der byzantinischen Tradition und gründete eine neue v o m Westen beeinflußte Ikonographie. Der Stil. Der Stil der monumentalen Malerei der orthodoxen Kirche zeichnet in Übereinstimmung mit ihrem geistlichen und liturgischen Inhalt ein transzendentaler Charakter aus. Durch die Kunstformen der Komposition, der großzügigen Flächengestaltung, der symmetrischen und rhythmischen Anordnung, der Personen, der dekorativen Wirkving von Licht und Farbe und des fiktiven Raumes wird die Charakterisierung der geistigen Hypostase der heiligen Personen und der theologischen Tiefe der Evangelienszenen erstrebt. Die Gestaltungselemente der menschlichen Darstellungen sind Erbe aus dem Schatz der griechischen Kunst, sie wurden jedoch verwandelt, u m ihren körperlichen Charakter zu verlieren. Die Gestalten behielten nur den Schein körperlicher Plastik, der Leib verschwand unter dem Gewand. Die Genauigkeit der Zeichnuhg führte zur Einfachheit. Das Organische der Stellungen und Bewegungen wurde besiegt v o m Rhythmischen und Feierlichen. Der lebendig charaktersierte Ausdruck der Gesichter spiegelt
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nicht persönliche Gefühle wider, sondern tiefen, überirdischen Ernst. Die Szenen wurden nach einem strengen rhythmischen System konstruiert, der Goldgrund versetzte die Personen in eine Umgebung von Glanz und Ewigkeit. Die Mosaiks der Hagia Sophia und des Choraklosters in Konstantinopel, der Klöster Daphni in Attika und Hosius Lukas in Phokis sind die repräsentativsten Zeugnisse der großen religiösen Kunst von Byzanz. Die Hauptstilelemente wurden fast bis zur nationalen Befreiung (1821) in der griechisch-orthodoxen Malerei, besonders in der Malerei der Klöster Griechenlands, bewahrt. Nur die Schule der jonischen Inseln wurde vom 17. Jahrhundert an in ihrem Stil vom Westen beeinflußt. Die heutigen Tendenzen der Hagiographie bestreben die Wiederanknüpfung an die byzantinische Überlieferung. Ikonen (Brettikonen). Die Ikonen sind ein fester Bestandteil der orthodoxen Kirche und Frömmigkeit, seit der Bildersturm im Jahre 842 mit ihrer Wiederherstellung endete, welches Ereignis man bis heute mit dem Fest der „Orthodoxie" feiert. Auf den (Brett-)Ikonen findet man vor allem die göttlichen Personen und die Gestalten der Heiligen abgebildet, aber auch alle jene dogmatischen und Evangelienszenen, die in der Monumentalmalerei dargestellt sind (Abb. 9). Sie haben ihren Platz entweder an den Ikonostasen und auf besonderen Proskynetarien, oder sie werden an die Wände der Kirchen gehängt. Die Kunstform, der man folgt, ist die bei der Malerei erwähnte. Es läßt sich jedoch ein besonderer Stil der Ikonenmalerei erkennen, den die Zartheit der Ausführung, die wunderbare, ausdrucksvolle, ja heilige Kraft der Gesichter und besonders der Augen charaktersiert. Er spiegelt die geistige Tiefe wider und hebt den Betrachter zu dem heiligen Urtypus empor. Eine besonders erlesene Art derselben sind die Mosaikikonen (aus kleinen Mosaiksteinchen). Muster von ihnen sind vom 12. Jahrhundert an erhalten, besonders aber aus der Palaeologenzeit. C. Skulptur Unter dem Einfluß der Antike machte die alte Kirche trotz der negativen Wirkung, die vom jüdischen Bilderverbot ausging, einen wenn auch begrenzten Gebrauch von Statuen in Rundplastik, und zwar besonders an den Zentren des Hellenismus wie Byzanz, Kleinasien, Alexandrien. Als Platz für Statuen wurden offensichtlich die Konchen und Bögen an der Außen- und Innenseite einiger Basiliken benützt. Derartige Statuen befanden sich an den Kirchen Konstantinopels, z. B. Johannes
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der Täufer an der heiligen Theodorenkirche, Apostel Andreas und andere. Statuen Christi als des Guten Hirten wurden vor allem auf Gräber gesetzt. Schon vorher und auch viel reicher entfaltete sich die plastische Flächenkunst aus Reliefs, anfangs besonders an Sarkophagen, später in Reliefbildern Christi, der Erzengel, der Heiligen und ganz besonders der Theotokos (Abb. 10). Außerordentlich fruchtbar erwies sich die Kleinplastik aus Elfenbein, Metall und Holz mit Darstellungen der heiligen Personen und der Evangelienszenen. Besonders stilvolle Arbeit zeigen die Elfenbeinreliefs. Diptychen oder Triptychen kleinster Ausmaße, die noch heute in reichem Maße in den Kirchenschätzen und Museen aufbewahrt werden. Nach dem Bilderstreit verschwanden Statuen in Rundplastik aus der orthodoxen Kirche, Reliefikonen hielten sich bis zum 14. Jahrhundert. Besonderen Glanz gab den altchristlichen Kirchen der Reichtum der marmornen Ornamentreliefs hervorragendster künstlerischer Verarbeitung an Kapitellen, Architraven, Bogenfassaden, Gesimsen, Brüstungen, Türrahmen, Altarschranken, Kanzeln usw. Die Motive der Ornamente stammen sowohl aus der orientalischen Kunst mit ihrem Flechtwerk jeder Art, mit geometrischen, Pflanzen- und Tiermustern, als auch aus der griechischen Ornamentik mit Blattwellen, Anthemen, Akanthen, Pflanzenranken und besonders Weinreben mit Trauben, die ja auch symbolische Bedeutung haben. Vor allem das Symbol des Kreuzes und das Monogramm Christi in einem allegorischen Kranz herrschen in vielen Gestaltungen überall vor. Die griechischen Motive nehmen eine neue, lebendig ornamentale Gestalt an, sie verHeren ihre plastisch-organische Formung und werden mit dem Bohrer in Bohrtechnik gearbeitet. Neue Kapitellformen mit hohen verzierten Imposten entstehen. Vom 9. Jahrhundert an werden die Marmorreliefs in den Kreuzkuppelkirchen in der Hauptsache auf die hohen Altarschranken und die Türrahmen beschränkt. Der dichte, sehr zarte Dekor wird reich an arabisierenden Mustern. Während der Palaeologenzeit verkümmert die Reliefkunst. In der Zeit der Türkenherrschaft lebt der Reliefdekor in der Holzschnitzerei wieder auf. Ikonostasen, Kanzeln, Bischofsthrone, Proskynetarien werden alle mit oft vergoldeten Schnitzereien aus Zypressenholz versehen. Die sehr hohen Ikonostasen mit ihrer schönen Anordnung und ihrem reichen Dekor aus in sich verschlungenen Zweigen, wilden Rosen, Tieren und Vögeln aller Art, besonders Weinreben mit Trauben, in erhabener Relief- oder vertiefter Bohrtechnik gearbeitet, sind nun der Hauptschmuck der Kirchen.
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Mosaikfußböden. Bei den Fußböden der alten Kirchen wurde, entsprechend der Bedeckung mit großen Marmorplatten, weitgehender Gebrauch von Mosaik aus farbigen Marmorsteinchen gemacht. Sie trugen außer reichem Schmuck aus geometrischen und Pflanzenmustern und gedrängtem Flechtwerk auch allegorischen Schmuck, Tiere, Personen und symbolische christliche Themen (der gute Hirte, Orpheus, Niken mit Kränzen, Fischzugsszenen, die sich auf den mystischen Fischzug beziehen, Elefanten und Rehe, die aus einer Quelle trinken, Pfauen mit Weintrauben im Schnabel, die die göttliche Eucharistie symbolisieren und vor allem den Altarraum schmücken), schließlich auch Darstellungen von Märtyrern. In den älteren Kirchen des 4. Jahrhunderts sind die Mosaiks teppichartig als einzelne „separate" Teppiche angeordnet. Im 5. und 6. Jahrhundert herrschen große einheitliche Kompositionen vor, die die ganze Kirche unter Bezugnahme auf die Teilung der Basilika in Altarraum, Schiff und Narthex einnehmen. Ein hohes dekoratives Gefühl, Reichtum verschiedenartiger Themen und Schönheit der Farben sind bezeichnend f ü r die Mosaikfußböden der Blütezeit im 5. und 6. Jahrhundert, so z. B . in den Basiliken von Nikopolis, im thessalischen Theben, Hypselometopon auf Lesbos und in vielen anderen (Abb. 12). V o m Ende des 6. Jahrhunderts an läßt die Lebendigkeit der Ornamentik nach, v o m 7. Jahrhundert an verschwinden die Mosaikfußböden fast ganz. In der byzantinischen Zeit wurde Gebrauch von der „Marmorauslegung" durch bunte Marmorstückchen gemacht, die in kleinen geometrischen Mustern angeordnet werden. Die schönsten sind in Kirchen des 1 1 . und 12. Jahrhunderts zu sehen (Katholikon des Klosters Hosios Lukas in Phokis). D.
Kleinkunst.
Kirchliche Geräte, liturgische Decken und Priestergewänder 1. Die kirchlichen und liturgischen Geräte (wie Abendmahlskelche, Kreuze, Kreuzschreine, Teller, Reliquienschreine), die aus wertvollem Metall hergestellt und mit Darstellungen von Heiligen und Evangelienszenen geschmückt wurden, sind ihrer schönen Verarbeitung, ihrer Form und ihrer künstlerischen Ausführung wegen ansehnliche Kunstwerke (Abb. 1 1 ) . Ihre größte Blütezeit erreichte die Kleinkunst im 1 1 . und 12. Jahrhundert. Die Kirchengeräte dieser Zeit, ausgezeichnete Werke der Goldschmiedekunst, erfreuten sich eines großen Rufes, sie wurden den Fürsten des Westens und Rußlands v o m byzantinischen H o f als Geschenke überreicht.
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Die wertvollsten von ihnen waren aus Gold, mit emaillierten Darstellungen von Heiligen, deren Form die Zartheit von Miniaturen und die Farbe und Leuchtkraft von Edelsteinen hatte. Die ihrer Kunst halber berühmten emaillierten byzantinischen Arbeiten, Ikone, Kreuze, Kreuzschreine des u . und 1 2 . Jahrhunderts übten auch auf die Kunst anderer Länder, wie Rußlands, Georgiens, Italiens und des Rheinlands ihre Wirkung aus. Viele Zeugnisse byzantinischer Emaille aus Konstantinopel sind in den Museen und Kirchen des Westens erhalten. Sie wurden dorthin nach der Plünderung Konstantinopels bei der fränkischen Eroberung gebracht. Die hervorragendsten von ihnen sind das Kreuz der Kathedrale von Cosenza, die Reliquienschreine von L i m burg und Gran und die Ikonen des Pala d'oro des heiligen Markus v o m 12. Jahrhundert, die aus der Kirche der heiligen Apostel in Konstantinopel geraubt worden sind. Im 14. Jahrhundert hört die Emaillekunst auf. In der Zeit der Türkenherrschaft wurden die Kirchengeräte aus Silber und Holz mit Reliefdarstellungen hergestellt. Nennenswert sind die holzgeschnitzten Kreuze des 16. bis 18. Jahrhunderts mit äußerst feinen Reliefs des Dodekaorton und der Leidensgeschichte, einfach oder überzogen mit reichsten und feinsten vergoldeten Filigranverzierungen von höchster Kunst. 2. Liturgische Decken und Priestergewänder. Die liturgischen Decken und Priestergewänder, die goldgestickte Hagiographien und Szenen tragen, sind Handarbeit von wesentlicher künstlerischer Bedeutung. Die ältesten bis heute erhaltenen stammen aus der Palaeologenzeit, die früheren kennen wir nur aus Quellen. Die liturgischen Decken f ü r den heiligen Altar und die heiligen Gaben (den heiligen Kelch und den Teller) tragen Darstellungen, die sich auf die symbolische oder liturgische Bedeutung des heiligen Altars oder der heiligen Geräte beziehen. So sind auf der Endytes (einem kostbaren Tuch, das auf der schmucklosen Syndotes, dem Altartisch, hegt) in den vier Ecken die vier Evangelisten dargestellt, auf dem kürzeren Eileton, das während des Vollzugs der göttlichen Liturgie zusammengefaltet über der Endytes hegt, sind das Kreuz oder der Leichnam Christi inmitten von fächertragenden Engeln abgebildet, dazu die Aufschrift: „Heilig, heilig." In der nachbyzantinischen Zeit wurde der bis heute festgehaltene Gebrauch des Antimensiunis statt des Eileton eingeführt, das aufgedruckte Darstellungen mit Beziehungen zum Opfer des Lammes trägt. A u f den kleinen Decken f ü r Kelch und Teller werden die beiden Szenen der Kommunion der Apostel aus Christi Hand abgebildet, auf der größeren, dem sogenannten Aer, mit der beide zugedeckt werden, wird Christus als Leichnam im Grab dargestellt.
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Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht
Während der Palaeologenzeit wurde der große Aer noch verlängert, prächtiger geschmückt und mit den Gaben beim großen Einzug i m Prunk mit herumgetragen. V o m 1 5 . Jahrhundert an wird er in das historische Epitaphion verwandelt und trägt nun die Aufschriften: „der Begrabene", „Leichenklage". E r wird bei der Karfreitagszeremonie benützt. Ein Muster eines Aer, zusammen mit den zwei Szenen der K o m munion, wird im Byzantinischen Museum in Athen aufbewahrt, ein hervorragendes W e r k der Goldstickerei aus der Palaeologenzeit, aus Saloniki stammend (Abb. 13). Goldgestickte Epitaphien des 15. und 16. Jahrhunderts sind auf dem Athos und in anderen Klöstern Griechenlands, Serbiens, und Rumäniens vielfach erhalten. Priestergewänder. Die Gewänder des orthodoxen Klerus (Oraria, Epitrachilia, Epigonatia, Bischofsgewänder usw.) werden in gleicher Weise mit goldgestickten Darstellungen der heiligen Personen und der Evangelienszenen geschmückt. V o n hervorragender künsderischer Qualität und technischer Ausführung der Stickerei sind die aus der Palaeologenzeit, besonders jene zwei berühmten Gewänder, das des Photius i m Moskauer Museum (Anfang des 15. Jahrhunderts) und der sogenannte „ D a l matinische" Karls des Großen im Vatikanischen Museum, beides Arbeiten aus Konstantinopel. Im 16. und 1 7 . Jahrhundert sind goldgestickte Gewänder und Decken, besonders Oraria und Epitrachilia in reichem Maße vorhanden, mit der Zeit jedoch fällt ihr Wert, bis dann die handgemachten Goldstickereien durch maschinell hergestellte ersetzt werden.
Die Kunst in der griechisch-orthodoxen Kirche
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BIBLIOGRAPHIE Allgemeinere ausländische Werke sind: O. Wulff, Altchristliche und byzantinische Kunst, Berlin 1 9 1 3 . Ch. Diehl, Manuel d'art byzantin, Paris 1925. O. Dalton, Byzantine A r t and Archaeology, O x f o r d 1 9 1 1 . L. Brehier, L'art chrétien, son développement iconographique des origines à nos jours, Paris 1 9 1 8 . Von griechischer Seite sind allgemeine Werke: G. Sotiriou, Xoiariavixf) xai ßv'Qavnvr} ' Ao%aioXoyia, Athen 1942. Ders., 'H ré^vr] xarà rfjv ènoy^v rwv Toimv 'IeoaQX'JiV, Athen 1949. Ders., 'H réxvrj xai oi IlaréQeç rfjç ' Exx\r\alaç, Athen 1 9 3 1 . Ders., Ol elxovoygatpixoi xvxXoi rov ßv^avrivov vaov, Athen 1950. Ders., Tà Xeirovgyixà afiffia rfjç êXXrjvixfjç 00OoôàÇov 'ExxXrpLaç, Athen 1 9 5 3 , u. a. Eine Bibliographie über die M e n g e der Untersuchungen über die einzelnen Z w e i g e der Kunst bringen verschiedene byzantinologische Zeitschriften : Byzantinische Zeitschrift, Byzantion, Byzantinisch-Neugriechische Jahrbücher u. a., w i e auch IIgaxrixà rfjç XouiTiavixfjç ' Aq yaioXoy ixfj ç iraïQEÎaç, f j 'EneTTjgtç rfjç 'Eraweiaç ßv^avrivmv onovôcov, rà tlgaxrixà rœv avyxgorov/iévaiv AieQvwv Svvaôglcov BvÇavriv&v Snovômv, und die speziell theologischen Zeitschriften, besonders die „ ' E x x X r j a l a " .
N A C H W O R T DES VERLAGES Z U R i. A U F L A G E Der Herausgeber dieses Werkes hat im zweiten Teil vor allem eine Anzahl von Monographien über Teilgebiete aus dem Leben der Orthodoxen Kirche in Griechenland vereinigt. Dies geschah in der Absicht, nicht nur ein allgemeines, sondern - mindestens teilweise - auch ein im einzelnen lebendiges Bild der Orthodoxen Kirche in Griechenland zu vermitteln. Wir glauben, daß das Werk so am ehesten fähig sein wird, seinen in den Vorworten des ersten Bandes genannten Zweck zu erfüllen: zur besseren Verständigung der Kirchen beizutragen. Naturgemäß war es nicht möglich, über alle Lebensbereiche der Orthodoxen Kirche in Griechenland in derselben Ausführlichkeit zu berichten. Soweit möglich, wurden jedoch Überschneidungen und Lücken vermieden. Manche Fragen, die als Titel fehlen, sind in den Monographien miterwähnt, so etwa die Stellung der Bischöfe und Priester, über die sich in dem Aufsatz über die Stellung der Laien in der Kirche das Wesentliche finden läßt. Die Aufsätze sind von namhaften Fachleuten der jeweiligen Sachgebiete verfaßt und geben auch einen guten Einblick in den derzeitigen Stand der Forschung in den einzelnen Sachgebieten. Darum wurden den meisten Aufsätzen auch Literaturangaben hinzugefügt, obwohl dem Weiterforschenden die neugriechische Spezialliteratur nur unter Schwierigkeiten zugänglich sein wird. Die griechischen Eigennamen älterer Zeit wurden in der gebräuchlichsten - meist lateinischen - Schreibweise dargeboten, die Eigennamen neuerer Zeit in Lautumschrift. Das vorhegende Werk wurde unter Leitung von Pfarrer Gerhard Möckel, Athen, von den Herren Martin Jordan, Helmut Lang, Adolf-Martin Ritter, Günther Seidemann und Gottfried Walter übersetzt. Der Verlag ist den Autoren, Herrn Pfarrer Möckel und allen Übersetzern zu großem Dank ve.pflichtet.
SACHREGISTER (Teil i)
Abendmahl 162 Abstieg Christi 75 f. Akoluthien der Mönche 160 Alexandriner 6 1 , 143 Altes Testament 1 3 5 Anaginoskomena 1 2 1 f. Anaphora 160 Anthropologie 187t. Antiochenische Schule 14s ff. Antirrhetik 1 5 2 Apollinarismus 145 Apophatische Theologie 206 f. Apostolische Sukzession 86 Apostolische Überlieferung 2 1 f. Arianismus 143 Askese 198
Glaube 83t. Gläubige 87 Gnade 46, 79 f. Gnostiker 1 4 1 f. Golgatha 73 Gott 1 3 3 , 158 - dreieiniger 28f. - Logos 56f. - Schöpfer 36t. Gottähnlichkeit 188 Gottesdienst 1 5 7 ff. Gottheit 28 Göttliche Lehre 63 Göttliche Vorsehung 3 8 Göttlicher Eros 195 Göttliches Licht 204 f. Göttliches Wesen 189
Auferstehung 63, 7 1 , 76, 163
Heilige Liturgie 24 Heilige Schrift 2 1 f. Heiliger Geist 32, 192 Heiligung 1 8 1 Hierarchie 86f., 1 7 2 Homoousion 30 Hymnologie 1 7 7 Hypostase 32, 57 Hypostatische Vereinigung 57f.
Bibel 1 2 1 ff. - ihre Stellung in der Orthodoxen Kirche 1 3 6 ff. - kirchlicher G e brauch 129 - Kritik der Bibel i 3 o f . ihre Kanonizität 1 3 2 t . - Übersetzungen — Ausgaben I39f.
Bild Gottes 42 f. Bischöfe 149, 1 7 1 Bistum 1 7 2 f. Buße 1 1 0 Cäsaropapismus 1 5 2 t . Chrisma 105 f. Christus 1 7 9
Ikonen 166 Ikonographie 1 7 7 Inkarnation 63 f. Inspiration 124 ff.
Dämonen 39t.
Jesus Christus 56 f.
E h e i n f. Einheit Gottes 30 Engel 38f. Erlösung 55, 78 f. Erlösungswerk 62 f. Erretter 62 f. Eucharistie iofif., 183, 1 9 3 t . Exarche 148 f.
Kanonen 1 7 0 L Kappadozier 1 4 7 f . Klerus 86 Kirche 55, 85t. - Einheit der Kirche 93 - himmlische 87 - ihr A u f b a u 170t. - i h r e Autorität 134, 1 7 1 - irdische 87 - Haupt der Kirche 98 - Heiligkeit der Kirche 95 - Katholizität 96 - W e r k der Kirche 91 - Wesen 88f. Kirchliche Gerichte 174 Königliches A m t Christi 75 f. Kontemplation 205 f. Kosmologie 3 5 f. Kreuz 7 1 f. Kreuzestod 63
Festzyklus der Orthodoxen Kirche 1 7 7 Filioque 33 Freiheit 80 f. - des Menschen 48 Gebet 201 ff. Gemeinschaft der Heiligen 166
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Sachregister
Laien 172 f. Lehramt 173 Leib Christi 87 Letzte Dinge H 2 f . Liebe 203 f. Liturgie-Gebrauch der Heiligen Schrift I38f. Mensch 40 f. Menschwerdung 63 - Christi 54 Monarchianer 142 Mönche 174 Monophysitismus 58, 147 Monotheleten 60 Mystik 151L, I76ff. - im N T 178fr. - im Neuplatonismus i 8 j f f . - der Griech. Kirchenväter 187t. Mystische Ekstase 182L, 186 Mystischer Leib 87t., 166 N a t u r 65 f. Naturen Christi 56t. Nestorianismus 58, 146 Neuplatonismus 185 f. Nous-Geist 204 Offenbarung 123 ff. - Gottes 20 Ö k o n o m i e Gottes 53 f. Ökumenische Synode 171 f. - erste 144 - z w e i t e 145, 1 4 8 - d r i t t e 147L - v i e r t e 148, - fünfte und sechste 148 Ölung 112 Opfer 167L Orient 141 ff. O r t h o d o x e dogmatische Lehre 16 O r t h o d o x e D o g m e n i 6 f . - ihre Formulierung 18, 20 Orthodoxe Kirche 15 Orthos 163 Patriarch von Konstantinopel 153 Patriarchaten 148 f. Perichorese 60 f. Praedestination 81 f.
Predigt 160 Priester 173 Priesterweihe 110 Prophetisches A m t 69 Protestantismus und Orient 154t. Prothesis 162 Rechtfertigung 84 Reinigung des alten Menschen 196 fr. Sakramente i o i f . Schisma i s o f . Schöpfung 35 t. - des Menschen 40f. Scholastik 151 Sechste Oekumenische Synode 60 Seele H 2 f . Severianer 60 Sterblichkeit des Menschen 48 Sünde 49 Symbol, Nicaeno-Konstantinopolitanum 23 f. Symbolische Texte 24 f. Symbolik der Liturgie 165 Synode 171 f. Taufe 104, 192 f. Theotokos 57, 61 T o d 113 f. Trinität 28 f. Trinitarischer Kanon 161 Troparia 161 Unfehlbarkeit der Kirche 18 f. Ursünde j o f . Verfassung der orthodoxen Kirche 170 fr. Vergottung 43, 66f., 183, 189t. Vergottung der Seele 207 Vollkommenheit Christi 60 W e r k e 83 f. Zweite Parusie H 7 f .
NAMEN-REGISTER (Teil 1)
Algermissen, K. 71 Alivisatos, H. 95 Anastasius Synaiticus 50, 189, 207 Androutsos, Chr. 21, 57,101,102,123,128
Anselm von Canterbury 62 Antoniadis, B. 124fr. A p o l l i n a r i s 145 Arius 144fr.
Namen-Register Athanasius der Große 43, 54,64, 7 4 , 7 6 , 7 7 , 83, 1 1 0 , 1 1 3 , 144, 190, 1 9 1 Augustinus 87 Balanos, D . I 2 6 f f . , 140 Basilius der Große 2 1 , 4of., 72t., 76, 79, 8 3 - 8 5 . 95» I 0 2 . 104, 105, 1 1 0 , 1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 8 , 1 1 9 , 187, 188 Bornhäuser 67 Brightman, F . E . 1 1 4 B u l g a k o f f 165 Cabasilas Nikolaus 1 0 2 Cassian, Bischof v o n Catania 32, 34 Chastoupis, A . 138 Christophilopoulos, A . i o o f . Chrysostomus 187, 193 Clemens von R o m 86 Crusus, M . 1 5 4 Cyprian 91 Cyrill v o n Alexandria 3 3 - 3 5 , 65, 68, 69, 76, 86, 105, 108, 1 1 4 , 1 1 8 , 146, 190, 1 9 2 - 1 9 4 , 196, 199 Cyrill v o n Jerusalem 74, 78, 85, 97, 102, 106, 107, 1 1 7 , 1 1 8 Dabin, P. 100 Damalas, N . 1 3 1 , 1 3 3 Delikanis, K . 105 Devros, G . 133 Didymus von Alexandrien 106 Dimitropoulos, P. 67 Dionysius Areop. 1 1 7 Dionysius Pseudo - Areopagita 189, 193, 2 0 1 , 206 Dionysius Zagoraeus 204 D i x , Gr. 1 5 7 Dositheos v o n Jerusalem 38, 87, 90, 93, 102, 1 1 9 Dyovouniotis, K . 19, 92, 102, 1 1 3 , 1 2 7 , 131 Epiphanius 2 1 , 77, 1 1 7 Erasmus Desiderius 1 5 1 Eugenius Bulgaris 155 Eusebius von Caesarea 75 Eustathius von Antiochien 1 4 7 Evagrius Ponticus 84, 197 Gavin, F. 166 Geden, M . 109fr. Gregor von Nazianz 29f., 35, 40, ¡ 4 ! . , 66, 103, 188, 189, 190 Gregor von N y s s a 6 6 , 77, 83, 8 8 , 1 0 7 , 1 1 4 , 1 1 8 , 187, 196, 202 Gregor Thamaturgos von Neocaesarea 3 3
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Gregorius V . , Patriarch von Konstantinopel 1 5 5 Gritsopoulos, T . 138 Goar, J. 107 Gross, Jul. 67 Harduin, J . 18, 108, 1 1 5 Heiler, F. 24, 94, 103, 207 Hippolyt 1 1 8 , 190 Ignatius von Antiochien 1 7 , 96, 100, 1 0 1 Irenaeus 42, 69, 72, 192 Jannopoulos, J. 138 Joannidis, V . 93 Johannes Chrysostomus 36f., 40t., 5 3 f . , 70, 79, 80, 8 1 , 82, 84, 88, 103, 104, 105, 107, 108, 1 1 4 , 1 1 6 , 1 1 7 , 1 1 9 , 1 2 7 , 1 3 7 Johannes Klimakus 85, 87, I97f., 201 Johannes von Damaskus 28, 29f., 4 2 f . , Söf., 70, 77, 1 0 7 , 108, 1 1 4 , 1 1 5 , 1x8, 194, 196 Justin 133 Kallinikos, K . 1 3 9 Karmiris, J o h . 15 f., 138 Kern, C . 67, 68 Klemens von Alexandrien 86, 89, 92, 143 Konidaris, G . 95 Konstantinou, Th. 138 Korais, A . 155 Kotsonis, H. 92f., I 7 0 f f . Kritopoulos Metrophanes 1 1 2 Leondius von Byzanz 57, 58 Lietzmann, H. 162 Logothetis Lykourgos 1 2 4 Lot-Borodine, M . 67 Lucian 143 Macarius von Ägypten 199 Maximus Confessor 67, 68, 80, 85, 87, 107, 1 1 8 , 192, 193, 197, 2 0 1 - 2 0 3 Milasch-Apostolopoulos 92 ff. Mogilas 109 Nicephorus Blemmydes 1 5 2 Nicephorus Callistus 105 Nicetas Stathatus 204 Niesei, W . 19, 109 Nilus 84f., 202, 204 Oekumenios 88 Origenes 1 7 , 37, 9 1 , 99, 126, 136, 143 Oosterzee 90
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Namen-Register
Pallis, A. 138 Papadopoulos, Chr. 78, 79, 99 Papamichael, Gr. 127 Paulus 179 fr. Paulus von Samosata 142 Phot jus: Patriarch von Konstantinopel 2$i., i5of. Plotin 185 f. Poulitsas, P. 96, I04f., I07f. Psellos, M. 151 Rallis, K. M. 102 Rosis, Z. 123, 127fr.
Taraios von Konstantinopel 18 Theodor von Mopsuestia 108, 145 f., 193 Theodoret von Cyrus 15, 58, 76, 82, 132, 187 Theodorou, A. 176fr. Theodorou, E. 99 Theophilus von Antiochien 37, 43, 1 1 3 Tpempelas, P. 92, 98, 101, 103, 104, 107, I25f., I57f. Tschetwerikoff, B. 82 Vaphidis Philaret 99 Vellas, V. 121 f. Vincenz von Lerin 20, 97
Sabelius I42f. Sophronius von Jerusalem 61 Stephanidis, V. 102, 141 f. Symeon von Thessaloniki 168
Zankow, St. 98 Zolotas, Emm. 131
SACHREGISTER (Teil 2) Akoimeten 281 f. Alexandrinische Schule 216 Altkatholiken 3 30 f. Andiochenische Schule 216 Anglikanismus und Orthodoxie 334fr. Apologetik 23of. Apostoliki Diakonia 260 Apostolische Väter 296 f. Apsis 390 Architektur 384 fr. Askese 359fr. Asketik-Mystik 258f. Asketische Literatur 240 Asketisches Leben 217 Athos 258f.
Dogmatik 229 Dogmatiker 229 Dogmatischer Zyklus 389 Eremitische Askese 289 fr. Eroberung von Konstantinopel 3 27 f. Ethik 231 Exegese 234 fr. Festkalenderzyklus 391 f. Finnlands orth. Kirche 381 Frauen - ihre Stellung in der Kirche 3 04 f. Frömmigkeit 352fr. Griechische Theologie 213 fr.
Basiliken 384 Bischof 303 f. Bulgarische orth. Kirche 378 Byzantinische Epoche 389 Byzantinische Kunst 383 Byzantinische Musik 363 fr. - ihr technischer Aufbau 366t.
Hagia Sophia 385 Hagiologie 233 Hesychasmus 218 Hymnologie 238f.
Christentum 351 ff. Christliche Soziallehre 240fr. Coenobium 278 ff. Confessio von Petrus Mogilas 2i9f.
Kanonisches Recht 236fr. Kirche 298 Kirche und Welt 351 ff. Kirchengeschichte 231 Kirchliche Geräte 3 96 f. Klerus 300ff. Klöster 276
Darstellende Kunst 387fr.
Dodekaorton 391fr.
Ikonen 394 Ikonographie 3 92 f.
Sachregister Konservatismus der griech. Theologie 2I3f. Kreuzkuppelkirche 385 Kunst 383 fr. Laien - ihre Teilnahme an der kirchlichen Gesetzgebung 320L - ihre Stellung in der Kirche 298 ff. - ihre Stellung in der Verwaltung der Kirche 310 ff. Laienbewegungen 272 f. Lehramt der Laien 307 fr. Liturgik 238f. Liturgische Decken 397f. Liturgischer Zyklus 390 Makrakische Bewegung 264 Mönchtum 276fr., 354 - sein Dienst 294 fr. Mystik 359 fr. Nachbyzantinische Architektur 387 Oekumene 323 ff. Oekumenische Bewegung und orthodoxe Kirche 339fr. Osten und Westen 326fr.
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Pastoraltheologie 239 Priestergewänder 398 Protestantismus und Orthodoxie 332f. Religion - ihre Bestimmung 144, 351 Religionsgeschichte 233 Ritualismus 3 56 f. Römisch-katholische Propaganda 22of. Rumänische orthodoxe Kirche 171 ff., 3 79 ffRussische orthodoxe Kirche I72f., 380fr. Schisma 325f. Serbische orthodoxe Kirche 378 fr. Siebte Oekumenische Synode 389 Skulptur 394f. Staat und Kirche in Griechenland 244 fr. Symbolik 229 £. Theologische Fakultät in Athen 260 Tradition 255 fr. Unterjochung der Ostkirche 328 Weltkirche 354t. Zoe 267 fr.
NAMEN-REGISTER (Teil 2) Alexander Mavrokordatos 228 Antonius der Große 278 Arethas 226 Arseniew Atha 355 Athanasius der Große - seine Lehre 223 Athanasius von Paros 228 Athenagoras der Apologet 221 f. Balanos, D. 260 Basilius der Große 279 - seine Lehre 224 Benz, E. 354, 360 Bratsiotis, P. 255t., 352, 359 Bretschneider, C. G. 332 Bulgakoff352 Clemens von Alexandrien 222 Cyrill Loukaris 219 Cyrill von Alexandrien 225 Damalas, N. 253 Dionysius Areopagita - seine Lehre 225
Eusebius von Caesarea 223 Eustathius 226 f. Evgenius Voulgaris 228 Florowsky, G. 257 Gass, W . 332 Gennadius Scholarius 227 Gouillou, M. J. 340 Gregor von Nyssa - seine Lehre 224 Heiler, Fr. 356 Irenäus 324 Jeremias II. 213 Joakim II., Patriarch von Konstantinopel 340 Joannidis V. 323 fr. Johannes Chry sostomus - seine Lehre 224 f. Johannes Damascenus - seine Lehre 225 Justin 221
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Namen-Register
Karmiris, J o h . 329, 332, 338, 339 Korais, A . 253 Kotsonis, H . 213 ff. Leontius v o n B y z a n z - seine Lehre 225 Louvaris, N . 351 ff. Luther, M . 333 Makrakis, A . 261 ff. Marcus v o n Ephesus 227 Mathopoulos, E . 266 Methodios Anthrakides 228 Nissiotis, A . 265 O i k o n o m o u Konstantinos 228 Orígenes - seine Lehre 222 f. Pachomius 278 Papst Johannes VIII. 327 Photius der Große 226
Poulitsas, P. 244 fr. Psachos, K . 367 Psarianos, D . 363 ff. Psellos, M . - seine Lehre 226 Sakellarides, J . 3 76 f. Seeberg, E . 357 Sotiriou, C . ^ 3 f f . Studites T h e o d o r 282 S y m e o n der neue T h e o l o g e 226 T h e o d o r v o n Mopsuestia 224 Theodoret v o n C y r u s - seine Lehre 225 Theodorou, A . 2 7 6 f f . Theodorou, E . 358 Theoklitos Pharmakides 228 Theophilus Corydaleus 228 Tsaktanis, M . 2Ö4f. T y c i a k 355 Z a n c o w 352, 360, 361