Die Messopfertheologie Martin Luthers: Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption [1 ed.] 3161478339, 9783161585494, 9783161478338

Im Phänomen des Meßopfers liegt der Nerv eines Zeitalters offen, da es sich dabei um ein religiöses Ritual von großer Be

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German Pages [797] Year 2003

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhalt
Einleitung
Erster Teil Voraussetzungen der Messopfertheologie Martin Luthers
§ 1 Vorüberlegungen zum Messopfergedanken
1 Das Opfer als Ritual
1.1 Das Ritual als Vermittlung von Alltag und Besonderem
1.2 Die Opferhandlung als Vermittlung von heilig und profan
1.3 Die Reinheit als Teilnahmevoraussetzung für die Opferhandlung
1.4 Der Opferaktant als stellvertretender Repräsentant der Gemeinschaft
2 Die Messe als Opfer und das Kreuzesopfer
2.1 Das Verhältnis von Identität und Differenz als Grundbestimmung des Messopfers
2.1.1 Das ἐφάπαξ des Kreuzesopfers
2.1.2 Das Messopfer als Sühn- und Dankopfer
2.1.2.1 Das Messopfer als Sühnopfer
2.1.2.2 Das Messopfer als Lob- und Dankopfer
2.2 Die Kategorien Zeit und Bild als Artikulationshorizont des Messopfers
2.2.1 Das Messopfer als Gedächtnis des Kreuzesopfers
2.2.2 Das Messopfer als Repräsentation des Kreuzesopfers
Zusammenfassung des ersten Paragraphen
§ 2 Liturgiegeschichtliche Konkretionen des Messopfergedankens
1 Eucharistische Aktualpräsenz des Kreuzesopfers in Modellen der Alten Kirche
1.1 „memores offerimus“: Das Gedächtnis des Kreuzesopfers als eine Darbringung an Gott
1.1.1 Vom Gemeinschaftsmahl zur Messe
1.1.2 „memores“: Die Messe als Memorialhandlung der Gemeinde
1.1.3 „offerimus“: Die Memorialhandlung als eine Darbringung an Gott
1.2 Die Einsetzungsworte als Konsekration für die Gemeinde
1.2.1 Die verba institutionis als Bestandteil der Messe
1.2.2 Die Wandlungsepiklese als Indikator des Gotteshandelns
1.3 Der Canon actionis
2 Somatische Realpräsenz Christi in Modellen des Mittelalters
2.1 Die Ablösung vom platonischen Bilddenken als ontologische Voraussetzung
2.1.1 Die Neukonstruktion des Zusammenhanges von Urbild und Abbild
2.1.2 Die Folgen für das Messopferkonzept
2.2 Das Neuverständnis des Messkanons
2.2.1 Die somatische Realpräsenz Christi
2.2.2 Das Messopfer als Opfer von Leib und Blut Christi
2.2.2.1 Die Trennung von Präfation und Kanon
2.2.2.2 Die Opfergabe
2.2.2.3 Der Opferaktant
2.2.3 Das Messopfer als Sühnopfer
2.3 Elemente spätmittelalterlicher Messfrömmigkeit
2.3.1 Die Allegorisierung der Messe
2.3.1.1 Allegorische und symbolische Deutung
2.3.1.2 Die ontologische Grundverbindung: Gedächtnis und Abbild
2.3.2 Die Quantifizierung der Messe: Die Messfrüchte
2.3.2.1 Die theologische Reflexion
2.3.2.2 Die Früchte der Messe
2.3.3 Die Individualisierung der Messe: Privat- und Votivmessen
2.3.3.1 Die Privatmesse
2.3.3.2 Die Votivmesse
2.3.3.3 Die missae pro defunctis
2.3.4 Die Visualisierung der Messe: Die Elevation
3 Die Messauslegung ‚Messe singen oder lesen‘
3.1 Die Messe als Opfer
3.1.1 Das Messopfer innerhalb der Unterscheidung heilig – profan
3.1.2 Das Messopfer innerhalb der Unterscheidung rein – unrein
3.1.3 Messopfer und Gottesbild
3.2 Die Subjekte der Messhandlung
3.2.1 Der Priester als Opferaktant
3.2.1.1 Die Anforderungen an den Priester
3.2.1.2 Die Sonderstellung des Priesters
3.2.1.3 Der Einfluss der priesterlichen Moralität auf die Messfrucht
3.2.2 Die Aktivität der Gemeinde im Opfer
3.3 Die Opfergaben in der Messe
3.3.1 Brot und Wein als Opfergabe
3.3.1.1 Voraussetzungen des Opfers
3.3.1.2 Geistliche und materielle Opfergabe
3.3.2 Leib und Blut Christi als Opfergabe
3.3.2.1 Die unscharfe Abgrenzung der Opfermaterie
3.3.2.2 Sakramentsmaterie und Communio-Charakter
3.3.3 Die Gebete als Opfergaben
3.3.3.1 Das allgemeine Gebet für Kirche und Obrigkeit
3.3.3.2 Die namentliche Fürbitte für einzelne Begünstigte
Zusammenfassung des zweiten Paragraphen
Zweiter Teil Genese und Gestalt der Messopfertheologie Martin Luthers
§ 3 Messe und Opfer in der frühen Sakramentstheologie der Vorlesungen
1 Der Sakramentsbegriff in der Randbemerkung zu Augustin
2 Die erste Psalmenvorlesung (1513–1515) – Sakrament, Messe und Opfer im Kontext einer Neubestimmung des Glaubensbegriffes
2.1 Die erste Psalmenvorlesung als Kontinuität und Aufbruch
2.2 Das Verständnis von Kreuzesopfer, Sakrament und Opfer der Gläubigen
2.2.1 Leiden und Kreuzestod Christi
2.2.2 Sakrament und Gedächtnis
2.2.3 Das Lobopfer als Eingeständnis menschlicher Verlorenheit
2.2.4 Christus als der einzige Opferaltar
3 Die Römerbriefvorlesung (1515/16) – Sakrament, Messe und Opfer im Kontext einer Neubestimmung des Gerechtigkeitsbegriffes
3.1 Die Externität der Iustitia Dei als theologisches Grundmodell
3.1.1 Das Verhältnis von Christi Gerechtigkeit und Christi Kreuzestod
3.1.2 Das Verhältnis von Christi Gerechtigkeit und Wort Christi
3.2 Die Messe im Rahmen der Sakramentstheologie
3.2.1 Der Kreuzestod als Sakrament (Röm 4,25 und 5,10)
3.2.2 Die Sakralisierung der Profanität im Namen der Freiheit des Glaubens (Röm 14,1)
3.2.3 Die Kritik an der Vorbereitung im Namen der radikalen Sünde (Röm 4,7)
3.2.4 Der Neue Bund als Sündenvergebung im Glauben
3.2.5 Priestertum und Opfer
4 Die Hebräerbriefvorlesung (1517/18) – Sakrament, Messe und Opfer im Kontext einer Neubestimmung des Sakramentsbegriffs
4.1 Das Sakrament als Ort des Glaubens: das Scholion Hebr 5,1
4.1.1 Das Verständnis von Reinheit und Heiligkeit als Christusteilhabe
4.1.2 Die Bestimmung des Sakraments nach der Logik des auf die Christusgerechtigkeit gerichteten Glaubens
4.1.2.1 Die personale Dimension des Glaubens gegen das Ex-opere-operato
4.1.2.2 Die externe Dimension der Gerechtigkeit gegen die vorfindliche Sakramentsvorbereitung
4.2 Die Messe als Testament Christi
4.2.1 Der Testamentsbegriff als Signatur der Zuordnung von Altem und Neuem Testament
4.2.2 Der Testamentsbegriff als Interpretament des Altarsakraments bei Johannes Chrysostomus und Gabriel Biel
4.2.2.1 Testamentum und Altarsakrament in Predigten des Johannes Chrysostomus
4.2.2.2 Testamentum und Altarsakrament bei Gabriel Biel
4.2.2 Luthers Verwendung des Testamentsbegriffs
4.2.2.1 Das Testament als persönlich tröstende Zusage
4.2.2.2 Das Testament als Interpretament der Einsetzungsworte
4.3 Die Messe als Opfer
4.3.1 Das tägliche Opfer als Gedächtnis des Kreuzesgeschehens
4.3.2 Das tägliche Opfer als geistliches Selbstopfer der Kirche
Zusammenfassung des dritten Paragraphen
§ 4 Messopfertheologische Elemente in Schriften der Jahre 1518 bis 1520
1 Der ‚Sermo De digna praeparatione‘ (1518)
2 Fides et Communio – Der Gemeinschaftscharakter der Messe im Abendmahlssermon (1519)
2.1 Duktus und Aufbau
2.2 Der theologische Ort der Schrift
2.2.1 Der Sermon als Vertreter vorreformatorischer Theologie (Oswald Bayer)
2.2.2 Der Sermon als Zeugnis reformatorischer Theologie (Ursula Stock)
2.2.2.1 Der Zusammenhang Zeichen – Bedeutung
2.2.2.2 Glaube und Gemeinschaft als Ausgangspunkt der Messkritik
2.3 Die Bedeutung der Schrift für die Messtheologie
2.3.1 Die Messkritik innerhalb der Gesamtkonzeption
2.3.2 Der Zusammenhang zwischen Soteriologie und Gemeinschaft
2.3.3 Die Kritik am ‚Ex-opere-operato‘ im Horizont des Verhältnisses von Wort und Zeichen
2.3.3.1 Die Vorstellung eines Messwertes als Folge des Ex-opere-operato
2.3.3.2 Die Kritik am Ex-opere-operato im Namen der Handlungsrichtung der Messe
2.3.4 Der Zusammenhang Gemeinschaft – Glaube – Christus
3 Der Sermon von den guten Werken (1520)
3.1 Die Grundbestimmung der Soteriologie: Glaube und Werke
3.2 Die Grundbestimmung der Messe: Das dritte Gebot
3.2.1 Das messtheologische Grundmodell: Einsetzungsworte und Testamentsbild
3.2.2 Predigt und Gebet als Werke des dritten Gebots
Zusammenfassung des vierten Paragraphen
§ 5 Die Entfaltung der Messopfertheologie in den Messschriften der Jahre 1520 bis 1522
1 Sola gratia – Das Grundkonzept im ‚Sermon von dem Neuen Testament‘ (1520)
1.1 Duktus und Aufbau
1.2 Das Hauptstück der Messe: Die Einsetzungsworte
1.2.1 Die Grundkategorie des Verheißungswortes
1.2.2 Die Einsetzungsworte als Verheißungswort
1.2.2.1 Fassung und Stellung der Einsetzungsworte
1.2.2.2 Die Diskussion um die Einordnung
1.3 Das Basisinterpretament der Einsetzungsworte: Die Testamentsvorstellung
1.3.1 Die Ausdifferenzierung nach innen (konstruktiver Aspekt)
1.3.1.1 Die Präzisierung des Testamentsbegriffes
1.3.1.2 Der Tod Christi
1.3.1.3 Testamentsbild und Realpräsenz
1.3.2 Die Aktualisierung nach außen: Kritik an den Missbräuchen (destruktiver Aspekt)
1.3.2.1 Theologie des Wortes und Communio-Dimension des Sakramentes als Argumentationsbasis
1.3.2.2 Die Überbewertung des Zeichens
1.4 Der „fast ergist“ Missbrauch: Die Messe als Opfer
1.4.1 Die sozialethische Bestimmung des Opferbegriffes als Folge des Testamentskonzeptes
1.4.1.1 Die Grundstruktur des sozialethisch verstandenen Messopfers
1.4.1.2 Der Ort des sozialethischen Opfers in der Messe
1.4.2 Die Kritik am sakramentalen Opferbegriff als Folge des sozialethischen Opferbegriffes
1.4.2.1 Sozialethisches Opfer und Dankopfer
1.4.2.2 Das sozialethische Opfer als Aktivität des äußeren Menschen
1.4.3 Die geistliche Bestimmung des Opferbegriffes als Folge des Testamentskonzeptes
1.4.3.1 Das geistliche Opfer als Aktivität der Gläubigen: Der Mensch als Aktant und Gabe vor Gott
1.4.3.2 Das geistliche Opfer als Aktivität Christi: Christus als Opferaktant, der Mensch als Gabe und Gott als Adressat
1.4.3.3 Das geistliche Opfer als Konsequenz der Sakramentstheologie
1.4.3.4 Das geistliche Opfer als aktive Passivität des inneren Menschen
2 Fides et promissio – Die sakramentstheologische Einbindung im Messkapitel von ‚De captivitate Babylonica‘ (1520)
2.1 Literarkritischer Vergleich
2.2 Das Sakrament als fides und promissio
2.2.1 Das Wort: Verheißung und Glaube
2.2.2 Das Zeichen: Leib und Blut Christi
2.3 Das messtheologische Grundkonzept
2.3.1 Die Einsetzungsworte
2.3.2 Die Messe als Testament
2.3.3 Das Zeichen
2.3.4 Verheißungsglaube und Messmissstände
2.4 Die Messe als Opfer
2.4.1 Testamentskonzept statt Opfer
2.4.2 Die Elevation
2.4.3 Das Verhältnis von Dank und Opfer
2.4.4 Das geistliche Opfer
2.5 Ratschläge für die Messpraxis
3 Solus Christus – Die christologische Argumentationslinie in ‚De abroganda missa privata‘ und ‚Vom Missbrauch der Messe‘ (1521)
3.1 Duktus und Aufbau
3.2 Das Mahl Jesu als christologisches Paradigma der Messe
3.2.1 Einsetzungssituation und Kreuzesopfer
3.2.2 Mahlcharakter und Testamentskonzept als sakramentstheologische Konsequenzen der Christologie Luthers
3.2.2.1 Die Gottheit Christi
3.2.2.2 Das Wort als Paradigma der Einheit von Sohn und Vater
3.2.2.3 Das Kreuzesopfer als Tat Gottes im Kontext des gesamten Christusgeschehens
3.2.3 Die ontische Differenz zwischen Bild und Wort als Kritik an der Repräsentationsvorstellung
3.2.3.1 Die christologische Bestimmung des Gedächtnisses
3.2.3.2 Die christologische Bestimmung der Bildvorstellung
3.2.4 Die Gegenwart des Erhöhten im Wort als Kritik an der Gegenwart des Kreuzesopfers in der Messe
3.2.4.1 Erhöhter und leiblicher Christus
3.2.4.2 Die Einsetzung als Exempel der Alltäglichkeit
3.2.4.3 Die ekklesiologischen Folgen einer Konzentration auf den Erhöhten
3.3 Die christologische Reformulierung des Messopfergedankens
3.3.1 Das opfertheologische Grundmodell: Doppelbesetzung der Opferrollen
3.3.1.1 Christus als Gabe und Aktant, die Gläubigen als Gabe und Nutznießer
3.3.1.2 Das Opfer als Vermittlung
3.3.1.3 Der a posteriori-Charakter menschlichen Opferhandelns
3.3.2 Das Opfer der Gläubigen im Licht des Priestertums Christi
3.3.2.1 Das Priestertum Christi
3.3.2.2 Die Identität von Gabe und Nutznießer: Das Selbstopfer der Gläubigen
3.3.2.3 Das Predigtopfer der Amtsträger
3.3.3 Das Messopfer als Gegenüber zum Dank
3.3.3.1 Die Rezeptivbestimmung des Dankes
3.3.3.2 Die Irrelevanz der Opfergabe für die Messopferkritik
Zusammenfassung des fünften Paragraphen
§ 6 Ausblick: Die Messopfertheologie nach 1522
1 Opfer und Bitte – Luthers Kanoninterpretation in ‚Vom Greuel der Stillmesse‘ (1525)
1.1 Duktus und Aufbau
1.2 Die Verquickung von Opfer und Bitte als Verfehlung des ἐφάπαξ
1.2.1 Das vegetabile Sühnopfer als Konkurrent des Christusereignisses
1.2.2 Die Differenz zur Hamartiologie des Kanontextes
1.2.3 Das ‚Memento vivorum‘ als Verfehlung der Eigenart des Glaubens
2 Opfer und Dank – die ‚Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes Christi‘ (1530)
2.1 Das Grundmodell: Opfer als Gedächtnis und Dank
2.2 Das Dankopfer als geistliches Opfer im Glauben
2.2.1 Dankopfer und Gedächtnis
2.2.2 Dankopfer und äußeres Priestertum
2.3 Die Bedingungen einer legitimen Rede vom Messopfer
Zusammenfassung des sechsten Paragraphen
Dritter Teil Die Rezeption der Messopfertheologie Martin Luthers innerhalb und außerhalb Wittenbergs und Luthers Reaktion
§ 1 Rezeption und Reform: Die Wittenberger Ereignisse in Luthers Abwesenheit
1 Die Diskussionsphase (Oktober bis Dezember 1521)
1.1 Die Initialzündung im Augustinerkloster
1.1.1 Zwillings Predigt vom 6. Oktober 1521
1.1.2 Die Rezeption der Predigt Zwillings
1.1.3 Die Messthesen des Heinrich von Zutphen
1.1.4 Das Verhältnis der Reformer zu Luthers Messtheologie
1.2 Die Messdisputation an der Universität
1.2.1 Karlstadts Thesen ‚De Adoratione panis‘ und ‚De celebratione Missarum‘
1.2.1.1 Aufbau und Inhalt
1.2.1.2 Das Verhältnis zu Luthers Messtheologie
1.2.1.2.1 Luthers Brief vom 1. August
1.2.1.2.2 Die Thesen als Kontrapunkt zu Luthers Messtheologie
1.2.2 Melanchthons Thesen ‚De Propositione Missarum‘
1.2.2.1 Aufbau und Inhalt
1.2.2.2 Das Verhältnis zu Karlstadts Messtheologie
1.2.2.2.1 Das Verhältnis von Personalität und Struktur in der Sündenlehre
1.2.2.2.2 Reformeifer und Reformdruck
1.3 Die gescheiterten Ausgleichsversuche des Ausschusses
1.3.1 Der Ausschussbericht
1.3.2 Die abschlägige Antwort des Kurfürsten
2 Die Aktionsphase (Dezember 1521 bis März 1522)
2.1 Ausweitung und gewaltsame Eskalation
2.2 Der Zerfall des Ausschusskonsenses
2.2.1 Die Messreformer an der Universität
2.2.2 Die Reformgegner an der Stiftskirche
2.2.3 Die sechs Artikel der Bürgerschaft
2.3 Die Messreform Karlstadts
2.3.1 Der Weihnachtsgottesdienst 1521 als Fanal
2.3.2 Der Weihnachtsgottesdienst 1521 als Umsetzung der Messtheologie Luthers?
2.4 Die Institutionalisierung in der Wittenberger Ordnung
2.4.1 Der Artikel über die Messe
2.4.2 Melanchthons Thesen ‚De Missa et utraque specie‘
2.4.3 Die Eilenburger Verhandlungen
Zusammenfassung des siebten Paragraphen
§ 8 Reform und Reaktion: Luthers Präzisierung des Verhältnisses von Messtheorie und Messreform als Folge seiner Rezeption in Wittenberg
1 Die ‚Treue Vermahnung‘ auf der Wartburg: Die Messreform unter der Perspektive von Geist und Leib
1.1 Die ‚Treue Vermahnung‘ als überregional ausgerichtete Schrift
1.1.1 Anlass und Adressaten der Schrift
1.1.2 Die Bedeutung für das Verhältnis von Messtheologie und Messreform
1.2 Die ‚Treue Vermahnung‘ als Anstiftung zum geistlichen Aufruhr
1.2.1 Aufbau und Gliederungsprinzip
1.2.2 Die Vermittlung von theologischer Erkenntnis und praktischer Reform
1.3 Die ‚Treue Vermahnung‘ innerhalb der Wittenberger Reformdiskussion
1.3.1 Ihr Verhältnis zu den Reformkräften
1.3.2 Ihr Verhältnis zu den altgläubigen Argumentationen
2 Die Invocavitpredigten in Wittenberg: Die Messreform unter der Perspektive von Glaube und Liebe
2.1 Das Thema Messreform in den Predigten
2.1.1 Die soteriologische Basis der Messreform: ‚caritas fide formata‘
2.1.2 Die fundamentaltheologische Perspektive auf die Messreform: ‚non vi sed verbo‘
2.1.3 Die christologische Perspektive auf die Messreform
2.2 Die theologische Kontinuität mit der ‚Treuen Vermahnung‘
Zusammenfassung des achten Paragraphen
§ 9 Rezeption und Publikation: Rezipienten und Multiplikatoren außerhalb Wittenbergs
1 Eberlin von Günzburg
1.1 Die Fünfzehn Bundesgenossen (1521)
1.1.1 Der theologische Rahmen
1.1.2 Der siebte Bundesgenosse: Das Lob der Pfarrer von den unnützen Kosten
1.2 Von Missbrauch christlicher Freiheit (1522)
1.3 Sieben fromm aber trostlos Pfaffen klagen ihre Not (1522)
1.3.1 Der erste Teil: ‚Klag und Beschwernis der Pfaffen‘
1.3.2 Der zweite Teil: ‚Der frommen Pfaffen Trost‘
1.4 Ein kurzer schriftlicher Bericht (1523)
1.4.1 Der soteriologische und ekklesiologische Rahmen
1.4.2 Die Messe als Opfer
1.4.2.1 Kritik am vorfindlichen Messopfermodell
1.4.2.2 Fünf Merkmale der rechten Messe
1.4.2.3 Leibliches und geistliches Opfer und die Vorbereitung auf die Messe
2 Urbanus Rhegius
2.1 Der Sermon ‚Von dem hochwürdigen Sakrament des Altars‘ (1521)
2.1.1 Die sakramentstheologische Basis
2.1.2 Die Messe als Testament Christi und der bleibende Gotteszorn
2.2 Die ‚Anzeigung, dass die Römisch Bull merklichen Schaden in Gewissen mancher Menschen gebracht hab‘ (1521)
2.3 Der ‚Unterricht, wie sich ein Christenmensch halten soll, dass er die Frucht der Mess erlang‘ (1522)
3 Johannes Diepold
3.1 Die Messe im Horizont der im Glauben wahrgenommenen Verheißung
3.1.1 Das Sakrament als Testament
3.1.2 Zentralstellung der Predigt und schriftgebotener Laienkelch
3.1.3 Der würdige Empfang der Messe
3.1.4 Testamentsmetapher und seliges Sterben
3.2 Das Opfer in der Messe
3.2.1 Barmherzigkeit mit den Armen und Skepsis gegenüber Bildern
3.2.2 Das legitime Opfer: Lob und Sündenerkenntnis
4 Heinrich von Kettenbach
4.1 Der fundamentaltheologische und ekklesiologische Rahmen: Der Sermon ‚Wider die falschen Aposteln‘ (1523)
4.2 Die sakraments- und messtheologische Konkretion: ‚Ein neu Apologia und Verantwortung Martini Luthers wider der Papisten Mordgeschrei‘ (1523)
4.3 Die Zuspitzung auf die Seelenmesse: ‚Ein Gespräch mit einem frommen Altmütterlin zu Ulm‘ (1523)
4.3.1 Die Kerzenstiftung als Verfehlung des Adressaten der guten Werke
4.3.2 Die Seelenmesse als Ausdruck des Ex-opere-operato
4.3.3 Messopfer und Messwert gegen den Testamentscharakter der Messe
4.3.4 Schrift gegen Tradition
4.4 Die Zusammenfassung der Ulmer Situation in der Abschiedspredigt (1523)
5 Kaspar Güttel
5.1 Der Zusammenhang zwischen Kreuzesopfer, Glaube und Werken
5.1.1 „Dem nechsten in der lieb(e) geben“: Glaubensanaloge Zuwendung zum Nächsten statt frommer Selbstverkrümmung als ethische Voraussetzung
5.1.2 „Vonn gott nehmen im glauben“: Inkarnation und Kreuz als Spiegel der Menschenliebe Gottes
5.1.2.1 Die Inkarnation als „das gemenscht wort“
5.1.2.2 Das Kreuzesopfer als Einblick in das „go(e)tlich guet vatterlich herzce“
5.2 Die Messe als Testament Christi
5.3 Die Kritik am Fronleichnamsfest
5.3.1 Das Fronleichnamsfest als Menschenwort
5.3.1.1 Die fehlende Schriftbegründung des Festes
5.3.1.2 Die Sakramentsprozession als Missachtung der sakramentalen Handlungsstruktur
5.3.2 Das Fronleichnamsfest als Mutter sakramentaler Missstände
5.3.2.1 Die Fehlbestimmung von Gedächtnis Christi, sozialethischem Opfer, Gemeinschaft der Heiligen und Amtsverständnis
5.3.2.2 Fronleichnam und Messopfer
5.3.3 Die Austeilung als Alternative zur Sakramentsverehrung
Zusammenfassung des neunten Paragraphen
§ 10 Einzelschriften zur Messopferthematik
1 Einblick: Das Messopfer im Zentrum der Diskussion
1.1 Georg Feners ‚Sturm wider ein leymen Thurm eins römischen Predigers‘ (1521)
1.1.1 Die Wahrnehmung des Turmes: Das Ex-opere-operato als Wurzel der Messmissstände
1.1.2 Der Abbruch des Turmes: Rezeptivität der Messe und Einmaligkeit des Opfertodes Christi
1.2 Die Antwort Johannes Manbergers ‚Uff den leymen thurn Gerg feners von weil: das die mesz ein opffer sy: Antwort‘ (1521)
1.2.1 Die fundamentaltheologische Voraussetzung: Gleichordnung von Schrift und kirchlicher Autorität
1.2.2 Christologie und Ekklesiologie: Das Kreuzesopfer als Sohnesopfer an den Vater und die Delegation des Opfers an die Kirche
1.3 Stephan Agricolas „Bedenken“ über den wahren Gottesdienst (1523)
1.3.1 Die Messe in Landessprache
1.3.2 Hungrige Seele versus Messverpflichtung
1.3.3 Reform der Klöster und Messen: Bildung und Fürsorge statt Messinflation
2 Überblick: Das Messopfer als Randthema
2.1 Die Unterscheidung zwischen Schrift und Menschenwerk als gemeinsame Mitte der Rezeption
2.2 Die Berufung auf die verba gegen die zeitgenössische Sakramentswirklichkeit
2.2.1 Die Berufung auf die verba als Konkretion des sola scriptura
2.2.2 Die Berufung auf die verba als Konkretion des auf die Verheißung gerichteten Glaubens
2.3 Elemente einer Kritik am Messopferkonzept
2.3.1 Theologische Motive und Argumente
2.3.1.1 Das Wesen der Messe als Testament
2.3.1.2 Die ‚Memoria passionis‘ als Verkündigungshandlung an die Gemeinde
2.3.1.3 Die Totenfürsorge als Vertrauen auf Gottes Verheißung
2.3.2 Die Messopferkritik im Geflecht von Standespolitik, finanziellen Interessen und Kleruskritik
3 Ausblick: Das Messopfer im Zeichen von Einheit und Differenz
3.1 Das Messopfer im Zeichen einer Verständigung von altem und neuem Glauben: Die ‚Hübsch Argument, Red, Fragen und Antwort‘ (1522)
3.1.1 Duktus und Aufbau der Schrift
3.1.2 Die drei Charaktere und ihre Stellung zu Luther
3.1.3 Die Messopfertheologie der Schrift
3.1.4 Die Einbettung der Messopfertheologie in Theologie und Frömmigkeit
3.2 Das Messopfer im Zeichen innerprotestantischer Differenzen: Andreas Kellers ‚Anzeigung, was für Gotteslästerung in der Papisten Mess ist‘ (1524)
3.2.1 Das Sakrament als Werk des Menschen
3.2.1.1 Das Zeichen als Bekundung des Glaubens
3.2.1.2 Der Glaube als Voraussetzung des Sakraments
3.2.2 Die Sündenvergebung im Messopfer als Verletzung des ἐφάπαξ
3.2.2.1 Die Testamentsmetapher als Illustrat der Treue zum Gotteswort
3.2.2.2 Das ἐφάπαξ als Wurzel der Messopferkritik
3.2.3 Die Kritik am Kanontext im Namen des ἐφάπαξ
3.2.3.1 Das Opfer von Brot und Wein im Te igitur
3.2.3.2 Das Opfer von Leib und Blut Christi im Unde et memores
3.2.3.3 Die Mittlerrolle der Kirche im Supra quae
3.2.3.4 Die neuerliche Himmelfahrt Christi im Supplices
3.2.4 Die Kritik der Messwirklichkeit im Namen der verba
3.2.4.1 Allgemeines Verzehrgebot gegen stellvertretendes Priesterhandeln und geistliche Nießung
3.2.4.2 Das Predigtgedächtnis gegen Winkelmesse, Messtypen und Seelenmessen
Zusammenfassung des zehnten Paragraphen
Zusammenfassende Thesen
Bibliographische Angaben
1 Abgekürzt zitierte Titel
2 Antike und mittelalterliche Quellen und Ausgaben
3 Quellen der Reformationszeit
3.1 Ausgaben
3.2 Verzeichnis der herangezogenen Flugschriften
4 Sekundärliteratur
Personenregister
Sachregister
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Die Messopfertheologie Martin Luthers: Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption [1 ed.]
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Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe begründet von Heiko A. Oberman herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling

22

Wolfgang Simon

Die Messopfertheologie Martin Luthers Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption

Mohr Siebeck

Wolfgang Simon, geboren 1967; 1989—1996 Studium der Fächer Latein, Geschichte, Theologie und christliche Publizistik in Erlangen und Heidelberg; 1996 Examen; 1996—2000 Stipendiat der Universität Erlangen-Nürnberg und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern; seit 2 0 0 0 Vikariat; 2 0 0 1 Promotion.

Gedruckt mit Untersützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der V G W O R T

ISBN 3-16-147833-9 I S S N 0 9 3 7 - 5 7 4 0 (Spätmittelalter und R e f o r m a t i o n . N e u e R e i h e ) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

978-3-16-158549-4 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 © 2 0 0 3 J. C. B . M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das B u c h wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der B e m b o - A n t i q u a belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. K o c h in Tübingen gebunden.

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde unter dem Titel »Sacrificium Christi. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption der Messopfertheologie Martin Luthers« im Sommersemester 2001 von der Theologischen Fakultät der FriedrichAlexander-Universität Erlangen als Dissertation angenommen und bis auf einige Querverweise unverändert gedruckt. Die Luther-Gesellschaft erkannte ihr den Martin-Luther-Preis zu, die Universität Erlangen-Nürnberg zeichnete sie mit dem Staedtler-Preis aus. Auch wenn sie nur den Namen eines Autoren trägt, so nahmen und haben an ihr doch viele Menschen Anteil. An erster Stelle ist hier mein Doktorvater Prof. Dr. Berndt Hamm zu nennen. Er begeisterte mich als Studierenden fiir das Fach Kirchengeschichte, regte das Thema der Dissertation an und begleitete meine Arbeit über Jahre hinweg mit freundlicher Gesprächsbereitschaft und stets konstruktiver Kritik. Sein Interesse galt nicht nur der Doktorarbeit, sondern auch dem Doktoranden bis hin zu dessen unverständlich hartnäckiger Verbundenheit mit dem Geschick eines fränkischen Fußballvereins. Herrn Privatdozenten Dr. Reinhold Friedrich gilt mein Dank für sein ausführliches Zweitgutachten. Herr Dr. Hans-Joachim Köhler gewährte freundlich und überaus hilfsbereit Einblick in sein Flugschriftenprojekt. Die Mühe des Korrekturenlesens teilten sich bereitwillig Frau Kathrin Kleinlein, Frau Iris Kühmichel, Frau Herta Simon und Herr Axel Töllner. Die Universität Erlangen-Nürnberg und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern trugen mit Stipendien zur Realisation des Projektes bei, einen namhaften Druckkostenzuschuss leistete die VG Wort. Geduldig und zuverlässig halfen bei allen Problemen mit dem Computer Herr Michael Baumgart, Herr Bernd Kirchdorfer und Herr Willi Passing. Während der Vorbereitung von Rigorosum und Drucklegung begleiteten meine beiden Chefs, R e k t o r Dr. Martin Hoffmann und Pfarrer Arnulf Elhardt, die Arbeit mit Interesse und Verständnis. Danken möchte ich auch dem Herausgeberkreis für die Aufnahme der Arbeit in die R e i h e »Spätmittelalter und R e f o r m a tion«. Die Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Henning Ziebritzki sowie Frau Martina Tröger vom Verlag M o h r Siebeck gestaltete sich überaus angenehm. Daneben bin ich dankbar für manche theologische Geburtshilfe. Seit meiner Studienzeit erfuhr ich sie in Gesprächen mit Dr. R a l f Frisch, Dr. Martin Hailer, Iris Kühmichel und Axel Töllner. Sie ließen mich nicht nur die Erotik der Theologie erleben, sondern bestärkten und ermunterten mich auch in meiner eigenen Arbeit. Zu danken habe ich ferner meinem ehemaligen Religionslehrer Herrn L o thar Baumgart, dessen lebendiger Unterricht mein Interesse an theologiege-

VI

Vorwort

schichtlichen Zusammenhängen weckte und der mir großzügig seine eigene Lutherausgabe überließ, sowie meinem Konfirmator H e r r n Richard Rosenbauer. Stellvertretend für die vielen Freunde und Freundinnen in und u m Nürnberg, Erlangen, Würzburg, Heidelberg und Bad Marienberg, die nicht nur langmütig meine chronische Zeitnot ertrugen, sondern mir auch die Grenzen theologischen Arbeitens aufzeigten, möchte ich H e r r n Andreas Reißenweber (f) und meine zwei Patenkinder Samuel Vilz und Nicolas Kühmichel nennen. Andreas vergegenwärtigte das Kreuzesopfer in seinem Leben und Sterben; Samuel und Nicolas zeigen mir immer wieder, wie klein die Fülle des Lebens sein kann. W i d m e n möchte ich die Arbeit den drei Menschen, die am engsten mit ihren H ö h e n und Tiefen verbunden waren: Katja, die sich manches Mal mit meiner nur körperlichen Gegenwart begnügen musste und die ein Fenster zur Welt mit liebevoller Hartnäckigkeit offen hielt. O h n e sie hätte ich die Arbeit nicht abgeschlossen. U n d meinen Eltern, Herta und Gerhard Simon. Mit ihrer Hilfe durfte ich zu jeder Zeit rechnen. O h n e sie hätte ich die Arbeit nie begonnen. Ottensoos, im September 2002

Dr. Wolfgang Simon

Inhalt

Vorwort

V

Einleitung

1

Erster Teil

Voraussetzungen der Messopfertheologie Martin Luthers § 1 Vorüberlegungen zum Messopfergedanken

5

1 Das O p f e r als R i t u a l 1.1 Das R i t u a l als V e r m i t t l u n g v o n Alltag u n d B e s o n d e r e m 1.2 D i e O p f e r h a n d l u n g als Vermittlung v o n heilig u n d profan

9 9 10

1.3 D i e R e i n h e i t als Teilnahmevoraussetzung flir die O p f e r h a n d l u n g . . . . 1.4 D e r O p f e r a k t a n t als stellvertretender R e p r ä s e n t a n t der G e m e i n s c h a f t .

15 16

2 D i e Messe als O p f e r u n d das Kreuzesopfer 2.1 Das Verhältnis v o n Identität u n d Differenz als G r u n d b e s t i m m u n g des Messopfers

19

2.1.1 Das ecpcijia! des Kreuzesopfers 2.1.2 Das Messopfer als S ü h n - u n d Dankopfer 2.1.2.1 Das Messopfer als Sühnopfer 2.1.2.2 Das Messopfer als L o b - u n d Dankopfer 2.2 D i e K a t e g o r i e n Z e i t u n d Bild als A r t i k u l a t i o n s h o r i z o n t des Messopfers 2.2.1 Das Messopfer als Gedächtnis des Kreuzesopfers 2.2.2 Das Messopfer als Repräsentation des Kreuzesopfers

20 20 23 23 23 27 27 29

Z u s a m m e n f a s s u n g des ersten Paragraphen

40

§2

Liturgiegeschichtliche Konkretionen

41

1

Eucharistische Aktualpräsenz des Kreuzesopfers in M o d e l l e n der Alten Kirche

41

1.1 „ m e m o r e s o f f e r i m u s " : Das Gedächtnis des Kreuzesopfers als eine D a r b r i n g u n g an G o t t

42

des Messopfergedankens

Inhalt

VIII

1.1.1 V o m G e m e i n s c h a f t s m a h l zur Messe 1.1.2 „ m e m o r e s " : D i e Messe als M e m o r i a l h a n d l u n g der G e m e i n d e 1.1.3 „ o f f e r i m u s " : D i e M e m o r i a l h a n d l u n g als eine D a r b r i n g u n g an G o t t . . . 1 . 2 D i e E i n s e t z u n g s w o r t e als K o n s e k r a t i o n f ü r d i e G e m e i n d e 1.2.1 D i e verba institutionis als Bestandteil der Messe 1.2.2 D i e Wandlungsepiklese als I n d i k a t o r des G o t t e s h a n d e l n s

44 47 53 59 60 61

1.3 D e r C a n o n actionis

63

2

65

S o m a t i s c h e R e a l p r ä s e n z Christi in M o d e l l e n des Mittelalters

2 . 1 D i e A b l ö s u n g v o m p l a t o n i s c h e n B i l d d e n k e n als o n t o l o g i s c h e V o r a u s setzung

66

2.1.1 D i e N e u k o n s t r u k t i o n des Z u s a m m e n h a n g e s v o n U r b i l d u n d A b b i l d . . 2.1.2 D i e Folgen f ü r das M e s s o p f e r k o n z e p t

66 67

2.2 Das N e u v e r s t ä n d n i s des M e s s k a n o n s 2.2.1 D i e somatische R e a l p r ä s e n z Christi 2.2.2 Das M e s s o p f e r als O p f e r v o n Leib u n d Blut Christi 2.2.2.1 D i e T r e n n u n g v o n Präfation u n d K a n o n 2.2.2.2 D i e O p f e r g a b e 2.2.2.3 D e r Opferaktant 2.2.3 Das M e s s o p f e r als S ü h n o p f e r 2.3 E l e m e n t e spätmittelalterlicher Messfrömmigkeit

3

72 72 73 73 74 75 78 79

2.3.1 D i e Allegorisierung der Messe 2.3.1.1 Allegorische u n d symbolische D e u t u n g 2.3.1.2 D i e o n t o l o g i s c h e G r u n d v e r b i n d u n g : G e d ä c h t n i s u n d Abbild . . 2.3.2 D i e Q u a n t i f i z i e r u n g d e r Messe: D i e M e s s f r ü c h t e 2.3.2.1 D i e theologische R e f l e x i o n 2.3.2.2 D i e F r ü c h t e d e r Messe

85 87 88 91 92 100

2.3.3 D i e Individualisierung der Messe: Privat- u n d Votivmessen 2.3.3.1 D i e Privatmesse 2.3.3.2 D i e Votivmesse 2.3.3.3 D i e missae pro defunctis 2.3.4 D i e Visualisierung d e r Messe: D i e Elevation

107 108 114 116 124

D i e Messauslegung .Messe singen o d e r lesen'

3 . 1 D i e M e s s e als O p f e r

131 132

3.1.1 Das Messopfer i n n e r h a l b der U n t e r s c h e i d u n g heilig - profan 3.1.2 Das Messopfer i n n e r h a l b der U n t e r s c h e i d u n g rein — u n r e i n

133 137

3.1.3 M e s s o p f e r u n d Gottesbild

140

3.2 Die Subjekte der Messhandlung

142

3.2.1 D e r Priester als O p f e r a k t a n t 3.2.1.1 D i e A n f o r d e r u n g e n an d e n Priester 3.2.1.2 D i e S o n d e r s t e l l u n g des Priesters

142 142 144

3.2.1.3 D e r Einfluss d e r priesterlichen Moralität auf die M e s s f r u c h t . . . 3.2.2 D i e Aktivität der G e m e i n d e i m O p f e r

147 149

3.3 D i e O p f e r g a b e n in der Messe

151

Inhalt

3.3.1 Brot und Wein als Opfergabe 3.3.1.1 Voraussetzungen des Opfers 3.3.1.2 Geistliche und materielle Opfergabe 3.3.2 Leib und Blut Christi als Opfergabe 3.3.2.1 Die unscharfe Abgrenzung der Opfermaterie 3.3.2.2 Sakramentsmaterie und Communio-Charakter 3.3.3 Die Gebete als Opfergaben 3.3.3.1 Das allgemeine Gebet für Kirche und Obrigkeit 3.3.3.2 Die namentliche Fürbitte für einzelne Begünstigte Zusammenfassung des zweiten Paragraphen

IX

152 152 153 155 156 157 159 159 160 161

Zweiter Teil

Genese und Gestalt der Messopfertheologie Martin Luthers §3

Messe und Opfer in der frühen Sakramentstheologie der Vorlesungen

170

1

D e r Sakramentsbegriff in der R a n d b e m e r k u n g zu Augustin

170

2

D i e erste Psalmenvorlesung (1513—1515) — Sakrament, Messe u n d O p f e r im Kontext einer N e u b e s t i m m u n g des GlaubensbegrifFes 2.1 D i e erste Psalmenvorlesung als Kontinuität u n d A u f b r u c h 2.2 Das Verständnis von Kreuzesopfer, Sakrament u n d O p f e r der Gläubigen 2.2.1 Leiden und Kreuzestod Christi 2.2.2 Sakrament und Gedächtnis 2.2.3 Das Lobopfer als Eingeständnis menschlicher Verlorenheit 2.2.4 Christus als der einzige Opferaltar

178 179 181 182 186

D i e R ö m e r b r i e f v o r l e s u n g (1515/16) - Sakrament, Messe u n d O p f e r im Kontext einer N e u b e s t i m m u n g des Gerechtigkeitsbegriffes 3.1 D i e Externität der Iustitia Dei als theologisches G r u n d m o d e l l 3.1.1 Das Verhältnis von Christi Gerechtigkeit und Christi Kreuzestod 3.1.2 Das Verhältnis von Christi Gerechtigkeit und Wort Christi

189 189 189 193

174 174

3

3.2 D i e Messe im R a h m e n der Sakramentstheologie 3.2.1 Der Kreuzestod als Sakrament (Rom 4,25 und 5,10) 3.2.2 Die Sakralisierung der Profanität im Namen der Freiheit des Glaubens (Rom 14,1) 3.2.3 Die Kritik an der Vorbereitung im Namen der radikalen Sünde (Rom 4,7) 3.2.4 Der Neue Bund als Sündenvergebung im Glauben 3.2.5 Priestertum und Opfer 4

Die Hebräerbriefvorlesung (1517/18) — Sakrament, Messe u n d O p f e r im Kontext einer N e u b e s t i m m u n g des SakramentsbegrifFs

193 193 195 196 197 198

199

X

Inhalt

4.1 Das Sakrament als O r t des Glaubens: das Scholion H e b r 5,1 4.1.1 Das Verständnis von Reinheit und Heiligkeit als Christusteilhabe . . . . 4.1.2 Die Bestimmung des Sakraments nach der Logik des auf die Christusgerechtigkeit gerichteten Glaubens 4.1.2.1 Die personale Dimension des Glaubens gegen das Ex-opereoperato 4.1.2.2 Die externe Dimension der Gerechtigkeit gegen die vorfindliche Sakramentsvorbereitung

199 199 201 203 206

4.2 D i e Messe als Testament Christi 4.2.1 Der Testamentsbegriff als Signatur der Zuordnung von Altem und Neuem Testament 4.2.2 Der Testamentsbegriff als Interpretament des Altarsakraments bei Johannes Chrysostomus und Gabriel Biel 4.2.2.1 Testamentum und Altarsakrament in Predigten des Johannes Chrysostomus 4.2.2.2 Testamentum und Altarsakrament bei Gabriel Biel 4.2.2 Luthers Verwendung des Testamentsbegriffs 4.2.2.1 Das Testament als persönlich tröstende Zusage 4.2.2.2 Das Testament als Interpretament der Einsetzungsworte

209 210 211 211 213

4.3 D i e Messe als O p f e r 4.3.1 Das tägliche Opfer als Gedächtnis des Kreuzesgeschehens 4.3.2 Das tägliche Opfer als geistliches Selbstopfer der Kirche

215 215 217

Zusammenfassung des dritten Paragraphen

220

§4

Messopfertheologische Elemente in Schriften der Jahre 1518 bis 1520

223

1

D e r ,Sermo D e digna praeparatione'(1518)

223

Fides et C o m m u n i o — D e r Gemeinschaftscharakter der Messe i m Abendmahlssermon (1519) 2.1 D u k t u s u n d Aufbau 2.2 D e r theologische O r t der Schrift 2.2.1 Der Sermon als Vertreter vorreformatorischer Theologie (Oswald Bayer) 2.2.2 Der Sermon als Zeugnis reformatorischer Theologie (Ursula Stock) 2.2.2.1 Der Zusammenhang Zeichen - Bedeutung 2.2.2.2 Glaube und Gemeinschaft als Ausgangspunkt der Messkritik . .

208 208 209

2

2.3 D i e B e d e u t u n g der Schrift fiir die Messtheologie 2.3.1 Die Messkritik innerhalb der Gesamtkonzeption 2.3.2 Der Zusammenhang zwischen Soteriologie und Gemeinschaft 2.3.3 Die Kritik am ,Ex-opere-operato' im Horizont des Verhältnisses von Wort und Zeichen 2.3.3.1 Die Vorstellung eines Messwertes als Folge des Ex-opereoperato

227 228 232 234 239 239 241 243 243 244 248 248

Inhalt

2.3.3.2 Die Kritik am Ex-opere-operato im Namen der Handlungsrichtung der Messe 2.3.4 Der Zusammenhang Gemeinschaft — Glaube — Christus 3

D e r S e r m o n von den guten Werken (1520)

XI

251 253 254

3.1 Die Grundbestimmung der Soteriologie: Glaube und Werke

254

3.2 D i e Grundbestimmung der Messe: Das dritte G e b o t

255

3.2.1 Das messtheologische Grundmodell: Einsetzungsworte und Testamentsbild 3.2.2 Predigt und Gebet als Werke des dritten Gebots Zusammenfassung des vierten Paragraphen

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie i520

1

255 258 259

in den Messschriften der Jahre

bis 1522

262

Sola gratia — Das Grundkonzept im ,Sermon von dem N e u e n Testament' (1520)

262

1.1 Duktus und Aufbau

263

1.2 Das Hauptstück der Messe: D i e Einsetzungsworte

270

1.2.1 Die Grundkategorie des Verheißungswortes 1.2.2 Die Einsetzungsworte als Verheißungswort 1.2.2.1 Fassung und Stellung der Einsetzungsworte 1.2.2.2 Die Diskussion um die Einordnung

270 273 273 274

1.3 Das Basisinterpretament der Einsetzungsworte: D i e Testamentsvorstellung

275

1.3.1 Die Ausdifferenzierung nach innen (konstruktiver Aspekt) 1.3.1.1 Die Präzisierung des Testamentsbegriffes 1.3.1.2 Der Tod Christi 1.3.1.3 Testamentsbild und Realpräsenz 1.3.2 Die Aktualisierung nach außen: Kritik an den Missbräuchen (destruktiver Aspekt) 1.3.2.1 Theologie des Wortes und Communio-Dimension des Sakramentes als Argumentationsbasis 1.3.2.2 Die Uberbewertung des Zeichens

276 276 277 279

1.4 D e r „fast ergist" Missbrauch: D i e Messe als Opfer 1.4.1 Die sozialethische Bestimmung des Opferbegriffes als Folge des Testamentskonzeptes 1.4.1.1 Die Grundstruktur des sozialethisch verstandenen Messopfers . 1.4.1.2 Der Ort des sozialethischen Opfers in der Messe 1.4.2 Die Kritik am sakramentalen Opferbegriff als Folge des sozialethischen Opferbegriffes 1.4.2.1 Sozialethisches Opfer und Dankopfer 1.4.2.2 Das sozialethische Opfer als Aktivität des äußeren Menschen . . 1.4.3 Die geistliche Bestimmung des Opferbegriffes als Folge des Testamentskonzeptes

280 280 281 284 287 288 289 290 290 292 293

XII

Inhalt

1.4.3.1 Das geistliche Opfer als Aktivität der Gläubigen: Der Mensch als Aktant und Gabe vor Gott 1.4.3.2 Das geistliche Opfer als Aktivität Christi: Christus als Opferaktant, der Mensch als Gabe und Gott als Adressat 1.4.3.3 Das geistliche Opfer als Konsequenz der Sakramentstheologie . 1.4.3.4 Das geistliche Opfer als aktive Passivität des inneren Menschen

294 298 300 301

2

Fides et promissio — D i e sakramentstheologische E i n b i n d u n g i m Messkapitel von ,De captivitate Babylonica' (1520) 2.1 Literarkritischer Vergleich 2.2 Das Sakrament als fides u n d promissio 2.2.1 Das Wort: Verheißung und Glaube 2.2.2 Das Zeichen: Leib und Blut Christi

303 304 313 313 315

2.3 Das messtheologische G r u n d k o n z e p t 2.3.1 Die Einsetzungsworte 2.3.2 Die Messe als Testament 2.3.3 Das Zeichen 2.3.4 Verheißungsglaube und Messmissstände

317 317 319 320 321

2.4 D i e Messe als O p f e r 2.4.1 Testamentskonzept statt Opfer 2.4.2 Die Elevation 2.4.3 Das Verhältnis von Dank und Opfer 2.4.4 Das geistliche Opfer

322 322 325 325 326

2.5 Ratschläge fiir die Messpraxis

326

3

Solus Christus — Die christologische Argumentationslinie in ,De abroganda missa privata' u n d ,Vom Missbrauch der Messe' (1521) . . . . 3.1 D u k t u s u n d Aufbau 3.2 Das M a h l Jesu als christologisches Paradigma der Messe 3.2.1 Einsetzungssituation und Kreuzesopfer 3.2.2 Mahlcharakter und Testamentskonzept als sakramentstheologische Konsequenzen der Christologie Luthers 3.2.2.1 Die Gottheit Christi 3.2.2.2 Das Wort als Paradigma der Einheit von Sohn und Vater 3.2.2.3 Das Kreuzesopfer als Tat Gottes im Kontext des gesamten Christusgeschehens 3.2.3 Die ontische Differenz zwischen Bild und Wort als Kritik an der Repräsentationsvorstellung 3.2.3.1 Die christologische Bestimmung des Gedächtnisses 3.2.3.2 Die christologische Bestimmung der Bildvorstellung 3.2.4 Die Gegenwart des Erhöhten im Wort als Kritik an der Gegenwart des Kreuzesopfers in der Messe 3.2.4.1 Erhöhter und leiblicher Christus 3.2.4.2 Die Einsetzung als Exempel der Alltäglichkeit 3.2.4.3 Die ekklesiologischen Folgen einer Konzentration auf den Erhöhten

327 328 347 348 350 350 351 353 359 361 364 366 367 370 371

Inhalt

XIII

3.3 D i e christologische R e f o r m u l i e r u n g des Messopfergedankens 3.3.1 Das opfertheologische Grundmodell: Doppelbesetzung der Opferrollen 3.3.1.1 Christus als Gabe und Aktant, die Gläubigen als Gabe und Nutznießer 3.3.1.2 Das Opfer als Vermittlung 3.3.1.3 Der a posieriori-Charakter menschlichen Opferhandelns 3.3.2 Das Opfer der Gläubigen im Licht des Priestertums Christi 3.3.2.1 Das Priestertum Christi 3.3.2.2 Die Identität von Gabe und Nutznießer: Das Selbstopfer der Gläubigen 3.3.2.3 Das Predigtopfer der Amtsträger 3.3.3 Das Messopfer als Gegenüber zum Dank 3.3.3.1 Die Rezeptivbestimmung des Dankes 3.3.3.2 Die Irrelevanz der Opfergabe für die Messopferkritik

373

377 380 381 382 384

Z u s a m m e n f a s s u n g des f ü n f t e n Paragraphen

385

§6

Ausblick: Die Messopfertheologie nach 1522

390

1

O p f e r u n d Bitte — Luthers K a n o n i n t e r p r e t a t i o n in ,Vom Greuel der Stillmesse' (1525)

390

373 373 374 374 377 377

1.1 D u k t u s u n d A u f b a u

391

1.2 D i e V e r q u i c k u n g v o n O p f e r u n d Bitte als Verfehlung des ètpdjtaJ; . . . . 1.2.1 Das vegetabile Sühnopfer als Konkurrent des Christusereignisses 1.2.2 Die Differenz zur Hamartiologie des Kanontextes 1.2.3 Das .Memento vivorum' als Verfehlung der Eigenart des Glaubens . . .

396 397 399 401

2

O p f e r u n d D a n k — die , V e r m a h n u n g z u m S a k r a m e n t des Leibes u n d Blutes Christi' (1530)

406

2.1 Das G r u n d m o d e l l : O p f e r als Gedächtnis u n d D a n k 2.2 Das D a n k o p f e r als geistliches O p f e r i m G l a u b e n 2.2.1 Dankopfer und Gedächtnis 2.2.2 Dankopfer und äußeres Priestertum

409 411 411 415

2.3 D i e B e d i n g u n g e n einer legitimen R e d e v o m Messopfer

416

Z u s a m m e n f a s s u n g des sechsten Paragraphen

417

XIV

Inhalt

Dritter Teil

Die Rezeption der Messopfertheologie Martin Luthers innerhalb und außerhalb Wittenbergs und Luthers Reaktion §7

Rezeption und Reform: Die Wittenberger Ereignisse in Luthers Abwesenheit

419

D i e Diskussionsphase ( O k t o b e r bis D e z e m b e r 1521) 1 1.1 D i e Initialzündung im Augustinerkloster 1.1.1 Zwillings Predigt vom 6. Oktober 1521 1.1.2 Die Rezeption der Predigt Zwillings 1.1.3 Die Messthesen des Heinrich von Zutphen 1.1.4 Das Verhältnis der Reformer zu Luthers Messtheologie

423 425 426 428 432 439

1.2 D i e Messdisputation an der Universität 1.2.1 Karlstadts Thesen ,De Adoratione panis' und ,De celebratione Missarum' 1.2.1.1 Aufbau und Inhalt 1.2.1.2 Das Verhältnis zu Luthers Messtheologie 1.2.1.2.1 Luthers Brief vom 1. August 1.2.1.2.2 Die Thesen als Kontrapunkt zu Luthers Messtheologie 1.2.2 Melanchthons Thesen ,De Propositione Missarum' 1.2.2.1 Aufbau und Inhalt 1.2.2.2 Das Verhältnis zu Karlstadts Messtheologie 1.2.2.2.1 Das Verhältnis von Personalität und Struktur in der Sündenlehre 1.2.2.2.2 Reformeifer und Reformdruck

449 449 449 453 454 459 463 464 472 472 472

1.3 D i e gescheiterten Ausgleichsversuche des Ausschusses 1.3.1 Der Ausschussbericht 1.3.2 Die abschlägige Antwort des Kurfürsten

475 475 478

2 D i e Aktionsphase (Dezember 1521 bis März 1522) 2.1 Ausweitung u n d gewaltsame Eskalation 2.2 D e r Zerfall des Ausschusskonsenses 2.2.1 Die Messreformer an der Universität 2.2.2 Die Reformgegner an der Stiftskirche 2.2.3 Die sechs Artikel der Bürgerschaft

479 479 483 483 485 492

2.3 Die Messreform Karlstadts 2.3.1 Der Weihnachtsgottesdienst 1521 als Fanal 2.3.2 Der Weihnachtsgottesdienst 1521 als Umsetzung der Messtheologie Luthers?

496 496 500

2.4 D i e Institutionalisierung in der W i t t e n b e r g e r O r d n u n g 2.4.1 Der Artikel über die Messe

503 504

Inhalt

XV

2.4.2 Melanchthons Thesen ,De Missa et utraque specie' 2.4.3 Die Eilenburger Verhandlungen

507 509

Zusammenfassung des siebten Paragraphen

§8

1

511

Reform und Reaktion: Luthers Präzisierung des Verhältnisses von Messtheorie und Messreform als Folge seiner Rezeption in Wittenberg D i e ,Treue V e r m a h n u n g ' auf der Wartburg: D i e Messreform unter der Perspektive von Geist u n d Leib

514

514

1.1 D i e ,Treue Vermahnung' als überregional ausgerichtete Schrift 1.1.1 Anlass und Adressaten der Schrift 1.1.2 Die Bedeutung für das Verhältnis von Messtheologie und Messreform

514 515

1.2 D i e ,Treue Vermahnung' als Anstiftung z u m geistlichen A u f r u h r . . . . 1.2.1 Aufbau und Gliederungsprinzip 1.2.2 Die Vermittlung von theologischer Erkenntnis und praktischer Reform

522 522 526

1.3 D i e ,Treue Vermahnung' innerhalb der W i t t e n b e r g e r R e f o r m diskussion 1.3.1 Ihr Verhältnis zu den Reformkräften 1.3.2 Ihr Verhältnis zu den altgläubigen Argumentationen

534 534 538

D i e Invocavitpredigten in Wittenberg: Die Messreform unter der Perspektive von Glaube u n d Liebe 2.1 Das T h e m a Messreform in den Predigten 2.1.1 Die soteriologische Basis der Messreform: ,Caritas fide formata' 2.1.2 Die fundamentaltheologische Perspektive auf die Messreform: ,non vi sed verbo' 2.1.3 Die christologische Perspektive auf die Messreform

520

2

540 540 540 543 545

2.2 D i e theologische Kontinuität mit der .Treuen Vermahnung'

548

Zusammenfassung des achten Paragraphen

551

§9

Rezeption und Publikation: Rezipienten Wittenbergs

und Multiplikatoren

außerhalb 553

1 Eberlin von G ü n z b u r g 1.1 D i e F ü n f z e h n Bundesgenossen (1521) 1.1.1 Der theologische Rahmen 1.1.2 Der siebte Bundesgenosse: Das Lob der Pfarrer von den unnützen Kosten

556 557 558 562

1.2 Von Missbrauch christlicher Freiheit (1522) 1.3 Sieben f r o m m aber trostlos Pfaffen klagen ihre N o t (1522)

565 570

XVI

Inhalt

1 . 3 . 1 D e r erste Teil: ,Klag und B e s c h w e r n i s der Pfaffen'

571

1 . 3 . 2 D e r zweite Teil: , D e r f r o m m e n Pfaffen Trost'

577

1.4 Ein kurzer schriftlicher Bericht (1523)

580

1 . 4 . 1 D e r soteriologische und ekklesiologische R a h m e n

581

1 . 4 . 2 D i e M e s s e als O p f e r

583

1 . 4 . 2 . 1 K r i t i k a m vorfindlichen Messopfermodell

583

1 . 4 . 2 . 2 F ü n f M e r k m a l e der rechten Messe

584

1 . 4 . 2 . 3 Leibliches und geistliches O p f e r und die Vorbereitung a u f die Messe

586

2

Urbanus Rhegius 2.1 Der Sermon ,Von dem hochwürdigen Sakrament des Altars' (1521) . .

587 588

2 . 1 . 1 D i e sakramentstheologische Basis

588

2 . 1 . 2 D i e Messe als Testament Christi u n d der bleibende G o t t e s z o r n

589

2.2 Die ,Anzeigung, dass die Römisch Bull merklichen Schaden in Gewissen mancher Menschen gebracht hab' (1521)

592

2.3 Der ,Unterricht, wie sich ein Christenmensch halten soll, dass er die Frucht der Mess erlang' (1522)

596

3 Johannes Diepold 3.1 Die Messe im Horizont der im Glauben wahrgenommenen Verheißung

599 600

3 . 1 . 1 Das Sakrament als Testament

600

3 . 1 . 2 Zentralstellung der Predigt und schriftgebotener Laienkelch

601

3 . 1 . 3 D e r würdige E m p f a n g der Messe

603

3 . 1 . 4 Testamentsmetapher und seliges S t e r b e n

605

3.2 Das Opfer in der Messe

605

3 . 2 . 1 B a r m h e r z i g k e i t mit den A r m e n und Skepsis g e g e n ü b e r B i l d e r n

606

3 . 2 . 2 Das legitime O p f e r : L o b und Sündenerkenntnis

607

4 Heinrich von Kettenbach 4.1 Der fundamentaltheologische und ekklesiologische Rahmen: Der Sermon ,Wider die falschen Aposteln' (1523) 4.2 Die sakraments- und messtheologische Konkretion: ,Ein neu Apologia und Verantwortung Martini Luthers wider der Papisten Mordgeschrei' (1523)

608 608

610

4.3 Die Zuspitzung auf die Seelenmesse: ,Ein Gespräch mit einem frommen Altmütterlin zu U l m ' (1523) 4 . 3 . 1 D i e Kerzenstiftung als Verfehlung des Adressaten der guten W e r k e

613 . . .

4 . 3 . 2 D i e Seelenmesse als Ausdruck des E x - o p e r e - o p e r a t o 4 . 3 . 3 Messopfer und Messwert gegen den Testamentscharakter der Messe 4 . 3 . 4 Schrift gegen Tradition

4.4 Die Zusammenfassung der Ulmer Situation in der Abschiedspredigt (1523)

614 615

..

615 616

617

Inhalt

Kaspar Güttel 5 5.1 Der Zusammenhang zwischen Kreuzesopfer, Glaube und Werken 5.1.1 „Dem nechsten in der lieb(e) geben": Glaubensanaloge Zuwendung zum Nächsten statt frommer Selbstverkrümmung als ethische Voraussetzung 5.1.2 „Vonn gott nehmen im glauben": Inkarnation und Kreuz als Spiegel der Menschenliebe Gottes 5.1.2.1 Die Inkarnation als „das gemenscht wort" 5.1.2.2 Das Kreuzesopfer als Einblick in das „go(e)tlich guet vatterlich herzce"

XVII 619 622

623 626 626 627

5.2 Die Messe als Testament Christi 5.3 Die Kritik am Fronleichnamsfest 5.3.1 Das Fronleichnamsfest als Menschenwort 5.3.1.1 Die fehlende Schriftbegründung des Festes 5.3.1.2 Die Sakramentsprozession als Missachtung der sakramentalen Handlungsstruktur 5.3.2 Das Fronleichnamsfest als Mutter sakramentaler Missstände 5.3.2.1 Die Fehlbestimmung von Gedächtnis Christi, sozialethischem Opfer, Gemeinschaft der Heiligen und Amtsverständnis 5.3.2.2 Fronleichnam und Messopfer 5.3.3 Die Austeilung als Alternative zur Sakramentsverehrung

639 640 642

Zusammenfassung des neunten Paragraphen

642

Einzelschriften zur Messopferthematik

646

§10 1

Einblick: Das Messopfer im Zentrum der Diskussion

1.1 Georg Feners , Sturm wider ein leymen T h u r m eins römischen Predigers' (1521) 1.1.1 Die Wahrnehmung des Turmes: Das Ex-opere-operato als Wurzel der Messmissstände 1.1.2 Der Abbruch des Turmes: Rezeptivität der Messe und Einmaligkeit des Opfertodes Christi 1.2 Die Antwort Johannes Manbergers ,Uff den leymen thurn Gerg feners von weil: das die mesz ein opffer sy: Antwort' (1521) 1.2.1 Die fundamentaltheologische Voraussetzung: Gleichordnung von Schrift und kirchlicher Autorität 1.2.2 Christologie und Ekklesiologie: Das Kreuzesopfer als Sohnesopfer an den Vater und die Delegation des Opfers an die Kirche 1.3 Stephan Agricolas „Bedenken" über den wahren Gottesdienst (1523) 1.3.1 Die Messe in Landessprache 1.3.2 Hungrige Seele versus Messverpflichtung 1.3.3 Reform der Klöster und Messen: Bildung und Fürsorge statt Messinflation

631 635 635 636 638 639

646 646 647 648 651 651 653 655 656 657 658

Inhalt

XVIII 2

Ü b e r b l i c k : D a s M e s s o p f e r als R a n d t h e m a

659

2 . 1 D i e U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n S c h r i f t u n d M e n s c h e n w e r k als gemeinsame M i t t e der R e z e p t i o n

660

2 . 2 D i e B e r u f u n g a u f die verba g e g e n die zeitgenössische S a k r a m e n t s wirklichkeit

662

2 . 2 . 1 D i e B e r u f u n g a u f die verba als K o n k r e t i o n des sola scriptura

662

2 . 2 . 2 D i e B e r u f u n g a u f die verba als K o n k r e t i o n des a u f die Verheißung g e r i c h t e t e n Glaubens

663

2.3 Elemente einer Kritik am Messopferkonzept

668

2 . 3 . 1 T h e o l o g i s c h e M o t i v e und A r g u m e n t e

668

2 . 3 . 1 . 1 Das Wesen der Messe als Testament

668

2 . 3 . 1 . 2 D i e . M e m o r i a passionis' als Verkündigungshandlung an die Gemeinde

669

2 . 3 . 1 . 3 D i e Totenfiirsorge als Vertrauen a u f Gottes Verheißung 2 . 3 . 2 D i e Messopferkritik i m Geflecht von Standespolitik,

finanziellen

670 Inter-

essen und Kleruskritik 3

Ausblick: Das Messopfer im Z e i c h e n von Einheit und Differenz

671 673

3.1 Das Messopfer i m Z e i c h e n einer Verständigung von altem und n e u e m Glauben: Die ,Hübsch Argument, R e d , Fragen und Antwort' (1522)

673

3 . 1 . 1 D u k t u s und Aufbau der Schrift

673

3 . 1 . 2 D i e drei Charaktere und ihre Stellung zu L u t h e r

675

3 . 1 . 3 D i e Messopfertheologie der Schrift

677

3 . 1 . 4 D i e E i n b e t t u n g der M e s s o p f e r t h e o l o g i e in T h e o l o g i e und F r ö m m i g keit

680

3 . 2 Das Messopfer i m Z e i c h e n innerprotestantischer Differenzen: A n d r e a s K e l l e r s , A n z e i g u n g , was f ü r G o t t e s l ä s t e r u n g i n d e r P a p i s t e n M e s s ist' ( 1 5 2 4 ) 3 . 2 . 1 Das Sakrament als W e r k des M e n s c h e n

682 683

3 . 2 . 1 . 1 Das Z e i c h e n als B e k u n d u n g des Glaubens

684

3 . 2 . 1 . 2 D e r Glaube als Voraussetzung des Sakraments

687

3 . 2 . 2 D i e Sündenvergebung i m Messopfer als Verletzung des ètpcuiai;

687

3 . 2 . 2 . 1 D i e Testamentsmetapher als Illustrai der T r e u e z u m Gotteswort .

688

3 . 2 . 2 . 2 Das ètpctJicti; als Wurzel der Messopferkritik

689

3 . 2 . 3 D i e K r i t i k am K a n o n t e x t im N a m e n des etpcutai;

691

3 . 2 . 3 . 1 Das O p f e r von B r o t und W e i n i m Te igitur

691

3 . 2 . 3 . 2 Das O p f e r von Leib und B l u t Christi i m Unde et memores

692

3 . 2 . 3 . 3 D i e Mittlerrolle der K i r c h e i m Supra quae

693

3 . 2 . 3 . 4 D i e neuerliche H i m m e l f a h r t Christi i m Supplices 3 . 2 . 4 D i e K r i t i k der Messwirklichkeit i m N a m e n der verba

693 694

3 . 2 . 4 . 1 Allgemeines Verzehrgebot gegen stellvertretendes Priesterhandeln und geistliche N i e ß u n g

694

3 . 2 . 4 . 2 Das Predigtgedächtnis gegen Winkelmesse, Messtypen und Seelenmessen Z u s a m m e n f a s s u n g des z e h n t e n P a r a g r a p h e n

696 697

Inhalt

X I X

Zusammenfassende Thesen

699

Bibliographische Angaben

713

1

Abgekürzt zitierte Titel

713

2

Antike und mittelalterliche Quellen und Ausgaben

715

3 Quellen der Reformationszeit 3.1 Ausgaben 3.2 Verzeichnis der herangezogenen Flugschriften

716 716 717

4

719

Sekundärliteratur

Personenregister

749

Sachregister

757

Einleitung Die vorliegende Untersuchung kann auf zahlreiche Arbeiten zur Messopferthematik und zu Luthers Theologie zurückgreifen. Sie unterscheidet sich indes von den bisher vorgelegten Analysen darin, dass sie neben den Voraussetzungen der Messopfertheologie Luthers auch den Zusammenhang zwischen seinem Konzept und dessen Rezeption in den Blick nimmt. Dies ist die Konsequenz aus der Einsicht, dass das Phänomen Luther nicht meteoritenartig in die Landschaft der spätmittelalterlichen Messopfertheologien einschlug. Luthers Stellung zum Messopfer ergab sich nicht nur aus den Vorentscheidungen der eigenen Theologie, sondern auch aus der vorfindlichen Messwirklichkeit und ihren theologischen Implikaten. Sie ist mithin als eine Interdependenz von Aufbruch und Kontinuität wahrzunehmen. Wer sich die Aufgabe stellt, das Profil dieses Messopfertheologen wie seiner R e zeption nachzuzeichnen, der wird daher darauf angewiesen sein, die Gemeinsamkeiten mit den zeitgenössischen Konzepten und Wahrnehmungen der Messe ebenso wie das „Systemsprengende" 1 im Blick zu behalten, will er den Wittenberger nicht in eine ihm unangemessene Zeitlosigkeit entlassen. Dies hat zwei Konsequenzen. Einmal verfolgt ein solcher Zugang keine konfessionellen Interessen. Weder kann es darum gehen, gegenwärtige Identitäten zu kultivieren, noch steht von vornherein fest, dass Luther die wahre römische Messopfertheologie missverstand 2 oder aber die Wahrheit „des" biblischen Zeugnisses wieder ans Licht brachte. Es ist daher unabweisbar, den bei aller Kontinuität zweifellos auch vorhandenen Bruch zwischen Luther und den Möglichkeiten der spätmittelalterlichen Messtheologie nicht mit der Differenz zwischen evangelisch-lutherischer und römisch-katholischer GottesdienstaufFassung zu identifizieren. Gewiss wäre der Anspruch unredlich, man könne die spätmittelalterlichen Messopferkonzepte so wahrnehmen, als hätte es Luthers Kritik daran nie gegeben. Aber ebenso folgt aus der Kritik Luthers an einem Sachverhalt ja noch nicht, dass er ihn auch historisch zutreffend erfasste.

1 Vgl. zu diesem Begriff B. HAMM, Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre? In: ZThK 83 (1986), 1-38; Einheit und Vielfalt der Reformation - oder: was die Reformation zur Reformation machte, in: Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, ed. derselbe, Bernd MOELLER und Dorothea WENDEBOURG, Göttingen

1995, 5 7 - 1 2 7 , bes. 65. 2 So stellt MCCUE, Luther, 230, sich die Frage, „how it was possible for Luther to misconstrue the Roman Catholic position, and furthermore how it was possible for this misconstruing to go unnoticed by the Roman Catholics ofthat time and since."

2

Einleitung

Z u m anderen kann sich eine historische Betrachtungsweise auch nicht die Zielvorstellung eines theologischen Konsenses zu eigen m a c h e n . So dringlich u n d wünschenswert eine ökumenische Verständigung über die Messe heute auch ist: Dies berechtigt nicht dazu, Einheit u n d Differenz der Positionen im 15. u n d 16. J a h r h u n d e r t nach gegenwärtigen Interessen zu gewichten. Natürlich hängt diese G e w i c h t u n g i m m e r v o m heutigen Betrachter oder von der Betrachterin ab. W o sein oder ihr Interesse aber z u m P r o g r a m m wird, bestimmt die Lösung das Problem u n d verdrängt es damit. Gerade deshalb besteht der größte Dienst, d e n eine R e k o n s t r u k t i o n der damaligen theologischen Wirklichkeit d e m heutigen t h e o l o gischen Gespräch erweisen kann, darin, den P r o b l e m h o r i z o n t möglichst scharf zu konturieren. U n t e r diesen Prämissen will das erste Kapitel Grundstrukturen aufzeigen, die von Luther später a u f g e n o m m e n oder aber zurückgewiesen werden. Da bis hin z u m heutigen ö k u m e n i s c h e n Dialog mit e i n e m schillernden, ja äquivoken O p f e r begriff gearbeitet wird, steht eine systematische O r i e n t i e r u n g an dessen Implikaten am Anfang. So wird gewissermaßen das Instrumentarium der U n t e r s u c h u n g vorgestellt. D e r diachrone Teil dieses Kapitels geht dann drei aufeinanderfolgende Schritte. Er sucht zunächst die Eigenart der altkirchlichen Messopferkonzepte zu profilieren. Dies geschieht im Hinblick auf die Frage nach d e m Adressaten des Messgeschehens u n d kulminiert in einer E i n o r d n u n g des aus abendländischer Sicht wohl bedeutendsten eucharistischen Hochgebetes, d e m Canon actionis. In ein e m zweiten Schritt werden die unter d e m Schlagwort „somatische Realpräsenz" zusammengefassten mittelalterlichen Modelle mit ihren Folgen für das Kanonverständnis u n d die eucharistische Frömmigkeit in den Blick g e n o m m e n . D i e zeitliche Weite dieses Schrittes nötigt in diesem Abschnitt zu einer Konzentration auf die Ergebnisse der zahlreichen bisher vorgelegten U n t e r s u c h u n g e n . D a m i t ist der Vorabend der R e f o r m a t i o n erreicht. Stellvertretend für die von Luther vorgefundene Messopfertheologie soll das Konzept einer b e d e u t e n d e n Einzelquelle vorgestellt werden. H i e r sammeln sich wie in e i n e m Brennglas die unterschiedlichen christologischen, soteriologischen u n d ekklesiologischen Linien. Es entspricht der oben skizzierten Aufgabenstellung der U n t e r s u c h u n g , Luthers Konzept auch in seiner Genese nachzuzeichnen. Deshalb setzt der Lutherteil mit einem Blick auf die f r ü h e n Vorlesungen ein. N a c h einem Zwischenschritt, der die ersten Elemente einer eigenständigen Sakraments- u n d Messtheologie in den Schriften des ausgehenden ersten Jahrzehnts erhebt, wird dann die Entfaltung des Konzeptes von 1520 bis 1522 nachgezeichnet. Die M ü h e des langen A n m a r s c h weges, die eine chronologische Darstellung abverlangt, lohnt hier die Sicht auf das Eigenprofil u n d die verästelten Argumentationslinien der jeweiligen Schriften. Im dritten Kapitel steht dann die R e z e p t i o n Luthers im Z e n t r u m des Interesses. Dies ist deshalb unumgänglich, weil ein ernsthaftes historisches Interesse an der R e f o r m a t i o n sich nicht auf Luther fixieren wird, sondern einen Blick in das bunte Bilderbuch reformatorischer Ideen, Motive u n d T h e o l o g i e n riskieren will. Hier wird also zugleich die gegenwärtig virulente Fragestellung nach Einheit u n d Vielfalt des P h ä n o m e n s R e f o r m a t i o n a u f g e n o m m e n . D i e Tatsache, dass Luther selbst

Einleitung

3

auf die Rezeption seines Konzeptes in Wittenberg durch die ,Treue Vermahnung' und die ,Invocavitpredigten' erneut publizistisch reagierte, ist einerseits ein Glücksfall, erlaubt diese Rückmeldung doch ein besseres Verständnis seiner Anliegen. Andererseits fügt sich diese Chronologie nicht in den Duktus der Arbeit, die vom Spätmittelalter her auf den Wittenberger zugeht, um dann die Rezeption seines Konzeptes in den Blick zu nehmen. Deshalb kommt nach der Schilderung der Wittenberger Ereignisse während Luthers Wartburgaufenthalt noch einmal der zurückgekehrte Reformator selbst zu Wort. Dies ist unumgänglich, wenn nicht die Reaktion Luthers auf die Rezeption seiner Messtheologie vor dieser R e z e p tion behandelt werden soll. Der vielleicht angestellten Vermutung, so würde Luther selbst das letzte Wort auch gegenüber seinen Rezipienten zugestanden und damit ein theologischer Denker bzw. sein Konzept mit einem abschließend normativen Urteil verwechselt, wehrt die abschließende Ausweitung der Quellenbasis auf die Rezeption außerhalb Wittenbergs, welche die interpretative Offenheit seines Konzeptes - die nicht nur für das 16. Jahrhundert gilt! — aufzeigen soll.

Erster Teil

Voraussetzungen der Messopfertheologie Martin Luthers

§ 1 Vorüberlegungen zum Messopfergedanken Die vielschichtigen mit dem OpferbegrifF verbundenen Assoziationen setzen zunächst eine Verständigung darüber voraus, was unter dem Begriff Opfer denn zu verstehen sei, zumal eine BegrifFsverengung im heutigen Sprachgebrauch festzustellen ist. 1 Dies nötigt dazu, einige Grundstrukturen des Opfers zu erheben. An dieser Stelle kann nicht die verzweigte Diskussionslage erweitert oder auch nur ausfuhrlich referiert werden. 2 Vielmehr soll ein kurzer Blick auf einige Basiselemente der Opfervorstellung 3 die mitgesetzte Logik dieses Begriffes verdeutlichen und für seine Verwendung in den Quellen sensibilisieren. Eine exemplarisch herausgegriffene Definition dieses komplexen Begriffes zeigt drei gleichwohl zusammenhängende unterschiedliche Bedeutungen:

1 Vgl. dazu W. OVERDICK: Was fällt Ihnen bei dem Wort .Opfer' ein? In: Mitt.A.d.diak.-mission. Werk 16 (1979), 24-30. Zumeist wird die ethische Konnotation des Begriffes genannt, es geht um eine Selbstaufgabe bzw. einen Verzicht auf einen niedrigeren Wert zu Gunsten eines höheren Wertes. 2 Ich verweise hier auf den von Richard SCHENK herausgegebenen Sammelband ,Zur Theorie des Opfers. Ein interdisziplinäres Gespräch', Stuttgart 1995. Vgl. B.JANOWSKIS Besprechung in T h L Z 124 (1999), Sp.494f. 3 Die R e d e von „der" Opfervorstellung versteht sich zunächst rein heuristisch. Insofern weist sie Defizienzen auf, als die Erhebung allgemein-religiöser Opfermechanismen die Gefahr einer entstellenden Abstraktion von den jeweiligen Kontexten birgt und zu Fehlabstraktionen neigt. Vgl. dazu G. AHN, Art. .Religion' 513 und B. MAIER, Art. .Reinheit', 474, die zu Recht auf die unhintergehbare Spezifik und Eigenbegrifflichkeit der Religionen und Kulturräume hinweisen. Es ist also nicht beabsichtigt, die Vorstellung zu nähren, die unterschiedlichen Religionen seien Konkretionen einer übergeordneten Einheit. Vielmehr kommt es auf die praktische Wahrnehmung von Ubereinstimmungen an. Somit versteht sich dieser Paragraph auch nicht als Option fiir die Opferrekonstruktion Walter BURKERTS. Gerade im Interesse einer historischen Fragestellung scheint dieser Verzicht sinnvoll, denn „der reflexive U m g a n g mit dem Opfer [trägt] eine moderne Fragestellung an das antike Opferritual [heran]." W. STEGEMANN, Tod Jesu, 125. Zu Burkerts bedeutendem Beitrag zur Opferdiskussion vgl. neben dem Standardwerk , H o m o necans' die Festschrift .Ansichten griechischer Rituale. Geburtstags-Symposion fiir Walter Burkert. Castelen bei Basel 15. bis 18.März 1996', ed. F.GRAF, Stuttgart, Leipzig 1998.

6

Erster Teil:

Voraussetzungen

1. durch persönlichen Verzicht möglich gemachte Aufwendung für andere: er hat für die Erziehung seiner Kinder große O. gebracht, keine O. gescheut, sinnv.: Aufopferung, Hingabe, Verzicht. Beitrag, Kollekte. 2. einer Gottheit dargebrachte Gabe: die Götter durch O. versöhnen, sinnv.: Opfergabe, Opfergeld. Zus.: Dank-, Menschen-, M e ß - , Sühneopfer. 3. jmd., der durch Krieg oder Unfall ums Leben kommt oder Schaden erleidet: Die Überschwemmung forderte O. Zus.:Verkehrsopfer. 4 Das alle drei Konnotationen verbindende Moment liegt also in der Trennung von etwas, das für den Gebenden eine positive Bedeutung besitzt. 5 Im Unterschied zur 4 Vgl. Duden .Bedeutungswörterbuch', 4 7 5 , zitiert n a c h j . REHM, Abendmahl, 195. Die E i n fügung von Absätzen zwischen den arabischen Ziffern stammt von mir. 5 Vgl. H. SEIWERT, Art. .Opfer', 2 6 9 . Er definiert das Opfer als eine „religiöse Handlung, die in der rituellen Entäußerung eines materiellen Objekts besteht." Im Deutschen kann unter Opfer sowohl die Handlung als auch die Gabe verstanden werden. Ich verwende den B e g r i f f zur K e n n zeichnung einer Handlung. Dabei folge ich nicht der geläufigen religionswissenschaftlichen Terminologie, welche den Opferbegriff denjenigen Darbringungen (oblations, offerings) vorbehält, bei denen die Gabe zerstört wird, denn die Quellen verwenden allzu oft Darbringung und Opfer als Synonyme. Das zeigt bereits ein Blick auf die wirkmächtige Definition des Aquinaten in S T h 2, 2 q.85 a.3 ( „ U t r u m oblatio sacrificii sit specialis actus virtutis"). Die Opfer werden hier als Gottesverehrung und als Darbringung bestimmt: „sunt tarnen quidam actus, qui non habent ex alio laudem, nisi quia fiunt propter reverentiam divinam: et isti actus proprie sacrificia dicuntur, et pertinent at virtutem religionis [...] sacrificia proprie dicuntur, quando circa re D e o oblatas aliquid fit; sicut quod animalia occidebantur, et comburebantur: quod panis frangitur, et comeditur, et b e n e dicitur: et hoc ipsum nomen sonat, nam sacrificium dicitur ex hoc, quod h o m o facit aliquid sacrum: oblatio autem directe dicitur, c u m D e o aliquid offertur, etiamsi nihil circa ipsum fiat; sicut dicuntur offerri denarii, vel panes in altari, circa quos nihil fit: unde o m n e sacrificium est oblatio, sed non convertitu [ . . . ] . " D e r Trennungsakt selbst kann dann unterschiedlich ausgestaltet werden. Insbesondere bei Sühnopfern vollzieht er sich häufig als gewaltsame Zerstörung der Opfergabe. Dieser Zusammenhang zwischen Gewalt und Opfer kann dann nicht nur als Leitperspektive auf das Opfer gewählt, sondern auch zu einer Kulturtheorie ausgebaut werden. So erblickt R e n é GIRARD, Das Heilige und die Gewalt, Frankfurt a . M . 1992, 3 1 4 , im Sühnopfer das „Fundament j e d e r kulturellen O r d nung". In Aufnahme und Umbildung von FREUDS Gedanken zur Entstehung von R e l i g i o n entwickelt er dann sein Opferkonzept: Die anthropologische Basakatsache des Wunsches impliziert ein O b j e k t , das seinerseits wiederum Ziel verschiedener wünschender Subjekte sein kann, w o durch eine Konkurrenzsituation entsteht. Das Subjekt strebt daher nach der Ausschaltung der Mitwünschenden. Diese Konstellation lässt Wunsch, Konkurrenz und Gewalt als gleichursprünglich erscheinen. Insofern diese Trias nun die Ordnung als Garant menschlicher Sozialität in existenzieller Weise bedroht, gefährdet sie die Möglichkeit menschlichen Zusammenlebens überhaupt. Eine erste Annäherung an eine Lösung besteht dann in der Frage, auf welche Weise sich die Gewalt denn ausbreite. Girards Antwort lautet: Durch die Nachahmung eines Vorbilds ( „ M i m e sis"). Diese Antwort eröffnet zugleich auch einen Lösungsweg, denn wie die einer Gesellschaft innewohnende Gewalt erlernt wurde, so kann sie auch durch einen ungeheuerlichen, gewaltigen „Ursprungsmord" gebunden werden. Das Opfer ist nun nichts anderes als die kultische Inszenierung dieses Mordes zum Zwecke der Ausschaltung einer innergesellschaftlichen Gewalt. D i e so erzielte Bindung besitzt freilich nur begrenzte Wirksamkeit, so dass das Opfer stetig zu wiederholen und gegebenenfalls neu zu plausibilisieren ist. Eben darin liegt aber zugleich die Schwierigkeit, dass das Opfer sich so in den Gewaltzusammenhang einschmiegen kann, dass seine anti-destruktive Intention in bloße Gewalt umschlägt. Vgl. zur Kritik dieses Konzeptes GUTMANN, Gewalt, 84— 93. Die Opferbestimmung R e n é Girards lässt sich mithin als Teilmoment der hier vorausgesetzten Arbeitsdefinition verstehen. Vgl. dazu Gutmann, Gewalt, 9 1 f f und derselbe, Symbol, 116f.

§ J Vorüberlegungen zum

Messopfergedanken

7

dritten Bedeutung verbinden die erste und zweite Bedeutung diese Trennung mit der Vorstellung eines Sinns dieser Gabe in Gestalt eines Nutzens und damit auch Nutznießers. 6 Mit der Gabe geht also zumeist ein Motiv einher. 7 Dieses kann einmal aufseiten des Empfängers liegen, dann drückt die Einforderung einer Gabe die Abhängigkeit des Spenders aus.8 Es handelt sich also um eine Art Tribut. Gibt hingegen der Spender von sich aus, so kann sich dies antizipativ oder retrospektiv b e gründen. Ersteres ist der Fall, wenn ein vorausliegender oder abzusehender Eingriffin die Sphäre des Ubergeordneten Sanktionen befurchten lässt. Dann wird ein mit dem Spender identifikabler Teil geopfert, um nicht das Ganze zu verlieren. Mit dieser Kompensationsvorstellung verwandt ist die Logik der Äquivalenz (do ut desPrinzip). 9 Hier verbindet sich die Gabe an die Gottheit bzw. den Höhergestellten 10 mit der Erwartung, eine entsprechende Handlung zu provozieren, die entweder

6 Diese Besonderheit der dritten Bedeutung kommt in anderen Sprachen deutlicher als im Deutschen zum Ausdruck, vgl. etwa die Differenz zwischen sacrißce und victim im Englischen. Sie könnte zugleich Indiz dafür sein, weshalb etwa ein Verkehrstoter als Opfer bezeichnet wird: Durch die Qualifikation als Opfer wird die Trennung mit zunächst nicht erkennbarem, nur terminologisch gegenwärtigem Nutzen und damit auch Sinn verbunden, wodurch ihre Bedrohlichkeit gesenkt wird. Dieser Einbezug in die Opfervorstellung lässt sich nun wirklichkeitsaffirmativ wie —kritisch verstehen. Affirmativ wirkt er, wenn durch die Attribuierung eines Sinnes der Trennungsverlust nivelliert wird, kritisch hingegen, wenn die mit der Opfervorstellung an den Sachverhalt herangetragene Frage nach dem Begünstigten den Trennungsverlust verschärft. D e r „ B e günstigte" des Verkehrstoten etwa wäre dann ein hohe Mobilität gewährleistendes Verkehrssystem, dessen Akzeptanz auf der Bereitschaft, derartige individuelle Restrisiken auf sich zu n e h men, beruht. Indem die durch die Opfervorstellung evozierte Frage nach dem Nutzen an den Sachverhalt Verkehr herangetragen wird, entsteht also zugleich ein Plausibilisierungsdruck auf das bestehende Verkehrssystem. Im religionswissenschaftlichen Sprachgebrauch wird nur die religiöse Konnotation des Begriffes festgehalten, vgl. SEIWERT, Opfer, 2 6 9 . Zur Problematik von passivem Opferbegriff und Selbstzurechnung vgl. SCHENK, Einleitung, 3f.

Vgl. H . ZINSER, Art. ,Gabe', 4 5 4 - 4 5 6 . Eine subtile Spielart dieser Version ist die Gabe des Höhergestellten an den Subalternen, welche durch die F o r m der Übergabe die Hierarchie perpetuiert, wie dies etwa in Dienstbotengeschenken zum Ausdruck kommt, vgl. ZINSER, Art. ,Gabe', 4 5 5 . 7 8

9 Vgl. B . LANG, Spiel, 2 3 3 . Er sieht diese Logik in den Opfertheologien der unterschiedlichsten Kulturkreise und R e l i g i o n e n ausgeprägt und nennt als Beleg Homer, Ilias 1, 37—43 (Übs. R o l a n d HAMPE): „Höre mich, Herr, [...] Wenn ich dir j e überdacht einen reizenden Tempel, oder wenn ich dir j e die fetten Schenkel von Stieren oder Ziegen verbrannt, so erfülle mir dieses Verlangen: R ä c h e an den Danaern nun meine Tränen mit deinen Geschossen!" Deutlich wird hier zugleich das Bewusstsein der Inadäquanz dieser Logik zur Kennzeichnung der Gottesbeziehung. D e r Beter hat j a gewiss geopfert, formuliert hier aber zurückhaltend konditional. 1 0 Das Phänomen einer Opfergabe setzt offensichtlich die Gültigkeit menschlicher Ö k o n o m i e auch für das Gottesverhältnis voraus. Das verbindet die Opferthematik mit der Problematik einer analogia entis. Vgl. H.ZINSER, Art. ,Gabe', 4 5 4 : „ D e n Gaben an Götter oder auch unpersönliche Mächte [...] scheinen die gleichen gedanklichen Vorstellungen, sozialen und psychischen Erfahrungen zu Grunde zu liegen wie den Gaben an M e n s c h e n . " Schon E . B . TYLOR, Primitive culture, 2, 4 6 1 , wies 1871 daraufhin, dass im Opfer die Gottheit wie ein Mensch behandelt werde. Vgl. dazu H . M . GUTMANN, Symbole 9 8 f . In diesem Zusammenhang ist bereits an die Oblationsgesten in den Kanongebeten zu erinnern. D e r Priester verbeugt sich wie im Alltag vor einer höhergestellten Persönlichkeit oder er legt seine Hände auf die Gaben, nach J . A . JUNGMANN, Missarum Sollemnia (im Folgenden: M S ) 2, 2 2 7 , ein „natürlicher" Oblationsritus.

8

Erster Teil:

Voraussetzungen

Gutes zu- oder Schlechtes abwendet.11 Auf subtile Weise wird mit dem Prinzip der Wechselseitigkeit also zugleich Egalität insinuiert.12 Neben diesen stets jenseits des Gabenaktes liegenden Motivationen ist auch mit der bloßen und spontanen Freude am Geben selbst als Begründung zu rechnen, wie sie bei einer retrospektiv ausgerichteten Motivation gegeben ist. Kennzeichen dieses Typus ist die Anonymität der Gabe, die eine entsprechende Rückvergütung ausschließt. Damit stellt sich die religiös konnotierte Opfervorstellung dar als ein Modell der Gotteskommunikation, welches vor allem die anabatische Bewegung vom Menschen zur Gottheit zu beschreiben vermag, ohne allerdings die als Reaktion oder Initiative erfassbare katabatische Aktivität der Gottheit aus dem Blick zu verlieren. Etymologisch leitet sich das Nomen Opfer von dem Verb op(p)heron, einer auf das lateinische operari (= arbeiten, werktätig sein) zurückgehenden Bildung des 6. Jahrhunderts her. 13 Dieses Tätigsein kann sich dann (wie in der zweiten Bedeutung) mit der Sphäre des Heiligen bzw. der Religion 1 4 verbinden.15 Damit verlässt es den Bereich des Privaten und kennzeichnet die Handlung einer Gruppe, deren regelmäßige Wiederholung sie als Ritual 16 ausweisen. Dieses Ritual gewinnt sein syntaktisches Profil durch die j e unterschiedliche Besetzung der Größen Aktant, Gabe, Adressat und Begünstigter.17 Unter diesen vier Aspekten soll der Sachverhalt jeweils entfaltet werden. 11 Das gilt auch für die R e d e vom Opfer als Geschenk an die Gottheit. Zwar ist hier im Unterschied zu einem Handelsgeschäft eine soziale Beziehung und keine vertragliche Grundlage die Regel, doch lässt die Tatsache, dass sich hier eine Erwartungshaltung mit der Gabe verbindet, das Geschenkopfer nur als eine subtilere Spielart der alltäglichen ökonomischen Regeln verstehen. Vgl. die Schilderung des LAKTANZ, Über den Zorn Gottes, 8, 2 (SC 289, 116): „Si enim deus nihil cuiquam boni tribuit, si colentis obsequio nullam gratiam refert, quid tarn uanum, tarn stultum quam templa aedificare, sacrificia facere, dona conferre, rem familiarem minuere ut nihil adsequamur?" 1 2 Vgl. F. WAGNER, Revolutionierung, 255, der die symmetrische Reziprozität von Geben und Empfangen der Hierarchie von Gottheit und Mensch gegenüberstellt. 1 3 Vgl. H. SEIWERT, Art. ,Opfer', 270. 1 4 Vgl. C. COLPE, Art. ,Opfer', 879f. Schon hier zeigt sich der enge Zusammenhang des O p ferbegriffes mit der Vorstellung einer menschlichen Aktivität gegenüber Gott. Dies lässt erahnen, dass eine die Extrinsizität des Heils betonende Theologie zu solch einem Opferbegriff in Spannung treten wird. 1 5 In diesem Sinne findet der Begriff auch Verwendung in der Alten Kirche, etwa bei TERTULLIAN, wo er die christliche Mildtätigkeit bezeichnet, zugleich aber der Grundbegriff des opus bonum im Hintergrund steht, vgl. J. A. JUNGMANN, M S 2, 3, Anm. 7. 1 6 Die Begriffe Kult, Ritus und Ritual begegnen j e nach zu Grunde liegendem religionswissenschaftlichem Konzept in unterschiedlicher Definition. Ich lege hier die Arbeitsdefinition B. LÄNGS, Art. ,Kult', 475, zu Grunde. Sie verzichtet zwar auf eine ausdifferenzierende Einordnung in ein System, hat auf Grund dieser Formalbestimmung aber den Vorteil allgemeiner Verständlichkeit und Anwendbarkeit. Demnach bezeichnet Kult das gesamte rituelle Leben einer R e ligion, Ritual einen aus einem bestimmten Anlass vollzogenen Handlungskomplex und Ritus den kleinsten Baustein eines Rituals. Eine Ubersicht über die massenmediale Dimension des Rituals bietet G. THOMAS, Medien, 141—352, zu den Parallelen zwischen Abendmahl und Fernsehen 344—

349. 17 Diese Quadriga stellte bereits AUGUSTIN zusammen. In ,De trinitate' 4, 14, 19 (PL 42, 901) unterscheidet er zwischen dem Empfänger („wem"), dem Opferaktanten („von wem"), der M a terie („was") und dem Begünstigten („für wen"): „Ut quoniam quatuor considerantur in omni sa-

§ i

Vorüberlegungen zum

Messopfergedanken

1 Das Opfer als í. Í

9

Ritual

Das Ritual als Vermittlung von Alltag und

Besonderem

Zu dieser schon etymologisch gegebenen Allgemeinbestimmung des Opfers als religiöse Aktivität tritt zunächst das Element Gewohnheit. 1 8 Sowohl die Opferhandlung selbst (essen, geben, tauschen 19 ) als auch die Opfergabe (Tier, Feldfrucht, Brot, Geld 2 0 ) repräsentieren elementar den gewohnten Alltag der Teilnehmer. Insbesondere ihre Wiederholbarkeit macht die Opferhandlung dann auch selbst zu einem Moment des Alltags. 21 Zugleich kann in dieser rituellen Handlung 2 2 der Alltag aber transzendiert werden, indem er ins Spiel aufgehoben wird. So wird eine Entlastung der Opfernden erreicht. Ein in der literalen Wirklichkeit ortloser U m bau der grundsätzlichen Lebens- und Abhängigkeitsverhältnisse wird im Spiel antizipiert (kritisch gelesen) oder kompensiert (affirmativ gelesen). 23 Insofern es nur symbolisch fassbaren Zusammenhängen einen Darstellungsraum bietet, erzielt das Opfer auch einen Sprachgewinn. 2 4 Diese Aufhebung des Alltäglichen legt es nun auf das Besondere an, welches dem Alltag gerade entzogen ist. Die Besonderheit kann dabei negativ oder positiv

crificio; cui ofFeratur; a quo offeratur, quid offeratur, pro quibus offeratur; idem ipse unus verusque Mediator, per sacrificium pacis reconcilians nos D e o , unum c u m illo maneret cui offerebat, unum in se faceret pro quibus offerebat, unus ipse esset qui offerebat, et quod offerebat." Auch wenn diese vierstellige Relation nicht beanspruchen kann, allen erfindlichen Opferkonzepten zu Grunde zu liegen, besitzt sie doch einen hohen heuristischen Wert insbesondere für das christliche Verständnis des Opfers, zumal sie weite Verbreitung fand, wie die Aufnahme bei THOMAS oder G a briel BIEL zeigt. 1 8 Vgl. ritus = Brauch, Sitte. 1 9 Die Opferhandlung wurde, etwa von M . HORKHEIMER/Th.W. ADORNO, auch zur Gänze durch die Tauschvorstellung interpretiert. Vgl. dieselben, Dialektik der Aufklärung, 197: „Ist der Tausch die Säkularisierung des Opfers, so erscheint dieses selber schon wie das magische Schema rationalen Tausches, eine Veranstaltung der Menschen, die Götter zu beherrschen, die gestürzt werden gerade durch das System der ihnen wiederfahrenden E h r u n g . " 2 0 D e r Zusammenhang zwischen Ö k o n o m i e und Opfer tritt in den Texten immer wieder hervor. Dies führt G. LANCZKOWSKI, Art. ,Geld', 2 7 6 , zu der These, dass sich die Entstehung des G e l des eben aus der Opferpraxis erklärt. 2 1 Das gilt auch für die Sprache des Ritus. Sie besitzt eine besondere Beharrungskraft und passt sich veränderten sachlichen Bezugssystemen langsamer an als die Alltagssprache. Hansjosef GOERTZ, Begriffe der Liturgie, 3 0 7 , spricht deshalb vom „Konservativismus der Sprache der Liturgie". D i e Notwendigkeit, den Ritus akribisch einzuhalten, zeigt sich auch in den um keinen Preis zu ändernden Messworten. Vgl. dazu die unten behandelte Nürnberger Messauslegung ( = N M A ) , a.a.O., 106, 1 5 - 1 8 und S. KARANT-NUNN, R e f o r m a t i o n , 131. 2 2 Das Ritual impliziert zunächst die M o m e n t e der Formalisierung, der Kollektivierung und der Institutionalisierung zu einer wiederholbaren Handlung, vgl. E . MUIR, Ritual, 3. B e i der Ausdifferenzierung dieser M o m e n t e unterscheiden sich dann die jeweiligen T h e o r i e n . Seine Unverzichtbarkeit für das Phänomen der R e l i g i o n verdeutlicht die Extremposition E . DÜRKHEIMS, Formes élémentaires, 60, der den Ritus und nicht die Gottheit zum Wesensmerkmal der R e l i g i o n erhebt. Vgl. zur Kritik J . HELLE, Religionssoziologie, 28. 2 3 DÜRKHEIM unterscheidet zwischen einer schöpferisch-revolutionären und einer kultischkonservativen Dimension des Kultes, vgl. B . LANG, Kult, 4 8 5 f . 24

Vgl. J . TRACK, Opfer, 142.

10

Erster Teil:

Voraussetzungen

besetzt sein, entsprechend wächst der Opferhandlung dann eine apotropäische oder aber eine petitive Funktion zu. Thematisch sind sämtliche Lebensvollzüge des Menschen vertreten, sein Verhältnis zur Natur ebenso wie individuelle und soziale Dimensionen seiner Existenz. Im Vollzug des Opfers werden dann Handlungen und Gabe verknüpft, das Alltägliche erhält die Dimension des Besonderen und das Besondere wird so in den Alltag hineingeholt. 2 5

1.2

Die Opferhandlung als Vermittlung von heilig und profan

Diese Bestimmung des Opfers als Mittler der Spannung zwischen Alltäglichem und Besonderem führt dann zu seiner Einordnung in den übergeordneten Dual heilig - profan. 2 6 Der Begriff heilig17 oszilliert dabei zwischen einer individuellpsychischen und einer sozial-normierenden Dimension. Damit ist das jeweilige Sakralitätskonzept Teil der Diskussion über die Interdependenz von Individuum und Gesellschaft. Näherhin zeigt sich eine systematische Verwandtschaft der B e ziehung von Alltag und Besonderem beim Opfer und dem übergeordneten Z u sammenhang heilig — profan in der steten Abgrenzung und zugleich Bezogenheit der jeweiligen Größen aufeinander. Dies verleiht dem Heiligen die Autorität einer Außenperspektive, welche auch der Legitimation von Normen dient. 2 8 Entsprechend setzt der Zugang zum Heiligen dann die Bestätigung der Normerfullung voraus. Emile DÜRKHEIM29 identifizierte aus soziologischer Perspektive das Heilige mit dem Kollektiv und das Profane mit dem Individuum. 30 Das Ritual dient dann 2 5 Hieraus ließe sich schon eine gerade opfermechanistisch motivierte Kritik der Transsubstantiationsvorstellung ableiten: Wenn es Implikat des Opfers ist, eine Spannung zwischen Alltag und Besonderem zu konstruieren, dann zerstört die Wandlung des Alltags in das Besondere hinein gerade eine ureigene Absicht des Opfers. 2 6 So hat das dem lateinischen sanctus zu Grunde liegende Verb sancire j a auch die Bedeutung „begrenzen". Vgl. dazu: H. G. KIPPENBERG, Art. .Heilig und profan', 432—436. Entsprechend leitet sich das lateinische sacrificium von sacrum facere = „einen Gegenstand in den Bereich des Heiligen überfuhren" her. Vgl. H. SEIWERT, Opfer, 270. DÜRKHEIM sah das gemeinsame Merkmal aller religiösen Systeme in der Klassifikation nach Sakralität und Profanität, vgl. zur Kritik an seinem K o n zept der Sakralität: E.MUIR, Ritual, 3 u n d j . HELLE, Religionssoziologie, 8 f und 29. 2 7 Vgl. den religionsgeschichtlichen Aufriss bei A. ANGENENDT, Heilige und Reliquien, 9—32, v.a. llfT. 2 8 Vgl. J . HELLE, Religionssoziologie, 45: „Entscheidend ist [...], daß nur wenige Erwählte, also Magier, Priester oder Heilige, Zugang haben, während die große Mehrzahl der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Das Tabu stellt so betrachtet den Ausgangspunkt für die Errichtung sozialer N o r men dar, die durch Bezug auf das Heilige als legitimiert gelten und für die Einteilung der Gesellschaft in unterschiedliche soziale Gruppierungen entscheidend sind." 2 9 Vgl. die Zusammenfassung seiner Position bei J . HELLE, Religionssoziologie, 33: „Zum Menschsein gehört die Einbettung in eine Gesellschaft, die Gesellschaft ist der O r t des Heiligen, keine Gesellschaft ohne Religion, und Soziologie als Lehre von der Gesellschaft ist immer auch Lehre von den Bedingungen der Entstehung und Erhaltung einer bestimmten Religion als M e r k mal dieser oder j e n e r Kultur." 3 0 ,De la définition des phénomènes religieux' (1899); ,Les formes élémentaires de la vie religieuse' (1912, deutsch 1981). In letzterem Werk heißt es (560): „So kann man die überragende R o l l e des Kults in allen Religionen erklären, welche es auch seien. Die Gesellschaft kann ihren Einfluß nicht fühlbar machen, außer sie ist in Aktion, und dies ist sie nur, wenn die Individuen, die

§ 1 Vorüberlegungen

zum

Messopfergedanken

11

der Selbstvergewisserung des Kollektivs. Gerade für das Abendmahl ist diese Perspektive ertragreich, vollzieht sich hier doch in vielschichtiger Weise die Einbindung der Personalität in eine Gemeinschaft, die sich einer normativen Vergangenheit erinnert. 31 Die Distanz der Religion und ihrer Konkretion, dem Kult, zu rationalen Plausibilitäten kann dabei unterschiedlich bestimmt werden: Der Kult kann einmal als ein Machtinstrument wahrgenommen werden. Dies gilt etwa flir die Kultkritik Maurice BLOCHS,32 welche die herrschaftsstabilisierenden Momente von Kult und Religion vor Augen fuhrt: Durch seinen Verzicht auf konkrete Inhaltlichkeit zu Gunsten einer formalen Routinisierung entwerte der Kult die konkret mitteilende Sprache. Er bestreite die geschichtliche Zeit, indem er auf eine ewige, unveränderliche Welt rekurriere. Er minimiere Tragweite und Bedeutung menschlichen Handelns, indem er transzendente Kräfte adressiere und reduziere die Bedeutung des menschlichen Wissens, indem er ein besonderes rituelles Wissen postuliere. 33 Zunächst ist die Sensibilität dieser Kultkritik für den Zusammenhang zwischen Religion bzw. Opfervollzug und gesellschaftlicher Machtverteilung wahrzunehmen. In der Tat zementiert der Kult dann bestehende Hierarchien und Herrschaftsverhältnisse, wenn die Superioren der im Kult transportierten Welt näher stehen als die Inferioren. 34 Zugleich ist dieser Betrachtungsweise aber auch eine Reduktion anzulasten. 35 Sie nimmt allein den wirklichkeitssie bilden, versammelt sind und gemeinsam handeln." Z u r Sozialität schreibt D ü r k h e i m : „ D e n n eine Gesellschaft besteht nicht einfach aus der Masse von Individuen, aus denen sie sich zusammensetzt, aus dem B o d e n , den sie besetzen, aus den Dingen, deren sie sich bedienen, aus den B e wegungen, die sie ausfuhren, sondern vor allem aus der Idee, die sie sich von sich selbst macht. [...] Es ist keinesfalls zutreffend, daß das kollektive Ideal, das die R e l i g i o n ausdrückt, durch irgendeine innewohnende Kraft des Individuums entsteht, vielmehr lernt das Individuum eher in der Schule des kollektiven Lebens zu idealisieren." a.a.O., 5 6 6 , zitiert nach J . HELLE, Religionssoziologie, 3 3 . — Freilich scheint hier zugleich die mit dieser Identifikation verbundene Problematik einer durchgängig normativen Wertung der Gemeinschaft auf. D e n n das R i t u a l wird vor allem in seinem M e h r w e r t gegenüber der Isolation des Einzelnen wahrgenommen. D i e Bedrohung der Individualität durch eine Sanktifikation der Gesellschaft bzw. des „Volkes" k o m m t dabei zu kurz. Überdies gibt es Kulte und Rituale, die nicht nur Solidarität und Gemeinschaft kultivieren, sondern gerade dem Einzelnen gelten, der aus seiner sozialen Verstrickung herausgelöst werden soll, vgl. dazu B.LANG, A r t . ,Kult',

484.

Das Opferritual kann dabei sowohl als Unifizierung von Differenzen als auch als deren Stärkung aufgefasst werden. J.BOSSY, mass, 2 9 f , hebt im Anschluss an M a x WEBER vor allem die vereinheitlichende W i r k u n g hervor. GIRARD weist daraufhin, dass die Schuldigen im Opfer zumeist einer Gruppe zugehören, welche die soziale Differenzierung einer Gesellschaft nivellierend b e droht. 3 2 Symbols, Song, D a n c e and Features o f Articulation, in: A E S 15 (1974), 55—81. Vgl. dazu auch G. MENSCHING, R e l i g i o n , 2 1 5 , der das mit dem Opfer verbundene Priestertum als „wesensnotwendig konservativ" betrachtet. Z u r Kritik daran vgl. W. KLEIN, Art. .Priester/Priestertum', 381. 3 3 Vgl. dazu ausführlicher B . LANG, Art. ,Kult', 4 8 5 . 3 4 So konnte etwa über das tertium des Begriffes „ L e i b " , der j a auch die christlichen G e m e i n schaften im Sinne eines corpus Christianum bezeichnete, der heilige Leib in der Eucharistie die S o zialität abbilden. Im spätmittelalterlichen England etwa konnte die O s t e r k o m m u n i o n als „asserting one's rights" bezeichnet werden, der Sakramentsempfang bekräftigte hier die Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Vgl. dazu E . M u r n , Ritual, 161f. 31

35

Bereits bei E . DÜRKHEIM findet sich die Einsicht, dass der Kult nicht nur ein falsches Bild der

12

Erster Teil: Voraussetzungen

affirmativen Aspekt des Rituals wahr, seine aktiv konstruierende Dimension, welche durch die Unterscheidung von gesellschaftlicher Wirklichkeit und kultischer Wahrheit und Werthaftigkeit im Kult eine kritische Instanz zu etablieren vermag, wird indes nicht berücksichtigt. 36 So müssen R i t e n nicht nur formal oder mitteilungslos bleiben, sondern können in der ihnen eigenen Ausdruckskraft allgemeinsprachlich artikulierte Inhalte ergänzen, vertiefen und sichern. Die R ü c k b i n d u n g der geschichtlichen Zeit an die im Ritus adressierte Ewigkeit kann diagnostische Funktionen übernehmen und die Einübung der Erkenntnis, dass menschliches Handeln u n d Wissen eine Grenze hat, eine von terroristischen Allmachtsphantasien entlastete Aktivität gerade freisetzen. Aus theologischer Perspektive ist hier zudem eine funktionalisierende Integration der Religion in den Bereich des Politischen zu konstatieren. 37 Damit steht erneut weniger das R e c h t einer Betrachtungsweise als ihre Grenze zur Diskussion. W i e bei ähnlichen, sich wohl letztlich dem Hegeischen Gedanken einer „Aufhebung der Religion" verdankenden funktionalisierenden Zugangsweisen, versucht man auch hier, religiöse Phänomene von außerhalb der Religion liegenden sozialen, mentalen oder psychologischen Zusammenhängen her zu erhellen. Die Religion verliert ihre Eigenständigkeit und wird zur bloßen Explikation des (sozialen) Ich. Diese Perspektive genießt seit dem aufgeklärten Verlust einer unmittelbaren religiösen Evidenz große Plausibilität. Ist der Erkenntnisrahmen nämlich erst einmal definitorisch mit den Grenzen der bloßen Vernunft identifiziert, 38 so erscheinenjenseits dieses Rahmens liegende Sinnkomplexe zunächst als unverständlich, ja bedrohlich. Ein Plausibilitätsgewinn (und damit eine Vergewisserung der Allgemeingültigkeit eigener Verstehensvoraussetzungen!) wird dann nur dadurch erzielt, dass diese externen Sinnkomplexe in den vordefinierten Verstehensrahmen eingezeichnet werden. So wird die Religion zu einer Vorstufe des erst an sie herangetragenen Plausibilitätsmusters, dessen allgegenwärtige systematische Integrationskraft dann aber unhintergehbar wird und somit totalitäre Züge anzunehmen droht. Das Verdienst dieser sich im Grunde in bloßer Defensivität erschöpfenden Zugänge zur Religion ist also zugleich ihre Problematik: Einerseits können theologische wie religiöse Lebensäußerungen einer uns fernen Zeit und Mentalität Gesellschaft liefere, sondern diese realistisch abbilde. Er weist hier vor allem auf die Personalisierung der gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten in der Figur des Satans hin. Vgl. a.a.O., 563. Vgl. dazu J. HELLE, Religionssoziologie, 32. 36 So wählt E. MUIR die Begriffe model und minor zur Beschreibung des Rituals. Das Ritual kann also eine dem eigenen Blick sonst verborgene Wirklichkeit beschreiben, oder eine intendierte soziale Wirklichkeit beispielhaft illustrieren: „Many rituals work like models. They present a Standard or a simplified miniature for society to follow." A.a.O., 5. M. RUBIN, Symbolwert, 310f, kritisiert an einer funktionalistischen Betrachtungsweise des Rituals, dass hier zu schnell auf die abbildende, eine tatsächliche Ordnung ansichtig machende Wirkung des Rituals abgehoben werde. Ungeachtet des repetitiven Charakters des Rituals gebe es aber erst die Bühne für die dynamischen Auseinandersetzungen u m eine (gesellschaftliche) Struktur ab. Dies erscheint mir als eine weiterfuhrende Differenzierung. 37 Vgl. zur Kritik eines funktionalistischen Ansatzes J. HELLE, Religionssoziologie, 8. 38 Dabei muss die Autorität dieses Modells allerdings wieder mittels bloßer Vernunft begründet werden!

§ 1 Vorüberlegungen zum

Messopfergedanken

13

plausibilisiert werden. Andererseits wird so gerade die Widerständigkeit der Vergangenheit aufgelöst, und die R e l i g i o n verliert mit ihrer Eigenständigkeit auch ihre kritische Kraft. Gewissermaßen die Gegenperspektive zu Blochs kritischer Wahrnehmung des Ritus bietet P.J. FITZPATRICK.39 E r arbeitet zunächst eine basale Spannung zwischen dem ¿901 Jiai; des Kreuzesopfers und dessen Präsenz im Messopfer heraus. 40 Deren Lösung traut er aber gerade nicht der theologischen Rationalität zu, sondern erklärt diese als nicht geeignet, das Problem zu erfassen. Sein Alternativkonzept basiert auf der Unterscheidung zwischen dem Kontext des Ritus, der diese Spannung zu tragen vermag, und rationalen theologischen Qualifikationen, die sie nur zum Ausdruck bringen können. Alle Versuche, das Verhältnis von Heilsgeschehen und Ritus als Repräsentation bzw. Gedächtnis näher zu bestimmen, fuhren für Fitzpatrick gerade deshalb zu theologischen Problemen, weil sie nicht genug berücksichtigten, dass die Messopferqualifikation dem Kontext des Ritus zugehört. Diese Differenzierung eröffnet für ihn eine Möglichkeit, mit jener theologisch indizierten Spannung zu leben. 4 1 Das R e c h t dieser Betrachtungsweise liegt wohl ohne Zweifel in der Einsicht, dass ein transrationales Phänomen wie ein religiöser Ritus nicht rational eingeholt werden kann. 4 2 Allerdings besagt dies nicht, dass überall dort, w o die Reflexivität Spannungen und Widersprüche aufweist, die wohlfeile Antwort der prinzipiellen Geheimnishaftigkeit menschlicher Existenz und damit auch der R e l i g i o n zu G e bote steht. Es geht ja nicht um das Wesen des Ritus überhaupt, sondern um eine gerade im R a h m e n der theologischen Reflexivität geäußerte inhaltliche Näherbestimmung eines konkreten Ritus, nämlich der Messfeier, und noch einmal anschaulicher, um deren Qualifikation als ein Opfer im R ü c k b e z u g auf ein reales historisches Ereignis, den Kreuzestod Jesu Christi. Dieses Modell hat sich demnach auch den Anfragen der theologischen Rationalität zu stellen und kann nicht von einer theologischen Ausweispflicht dispensiert werden. Andernfalls würde die R e flexivität nicht nur von einem totalisierenden Anspruch entlastet, sondern letztlich der Vorfindlichkeit des Ritus aufgeopfert. Ein solches Konzept fiele zurecht der

39 , O n Eucharistie sacrifice in the M i d d l e Ages', in: Sacrifice and r e d e m p t i o n , ed. S.W. SYKES, C a m b r i d g e 1991, 1 2 9 - 1 5 6 , bes. 1 4 6 - 1 5 3 . 4(1 A.a.O., 146f: „ O n the o n e hand, there is an insistence u p o n the presence and the renewal of w h a t is past. [...] But, along w i t h all this w e have also f o u n d an e n d u r i n g denial that Calvary is repeated, and just as e n d u r i n g an e m p l o y m e n t of qualifiers in w h a t is said of the sacrificial nature of the mass: imitation, representation, m e m o r y and image are only s o m e . " 41 Dies wird deutlich an seiner Absage an die nachtridentinischen Messopfertheorien, die L u thers Kritik mithilfe der theologischen Rationalität zu b e g e g n e n suchten: „ T h e grotesqueness cam e f r o m reducing ritual qualifications to s o m e t h i n g else: i m m o l a t i o n in the eucharist could n o t be a n e w crucifixion, so it had to be a n o t h e r kind o f , e n d u r a n c e ' . T h e y imagined the eucharist as a disguised presence of Christ, and the very m e c h a n i s m of his disguise qualified as his i m m o l a t i o n . " A.a.O., 149. 42 Vgl. W. STEGEMANN, Tod Jesu, 126: „Als ein .kommunikatives R i t u a l ' sperrt sich gerade das antike O p f e r gegen seine theoretische o d e r .rationalistische' R e d u z i e r u n g auf (theologische) Theorien."

14

Erster Teil:

Voraussetzungen

marxistischen Rituskritik anheim. 4 3 Nicht nur eine Grenze der Reflexivität würde dann gezogen, sondern letztlich deren Relevanz überhaupt bestritten, eine U n t e r scheidung würde zur Trennung. Dann aber würde mit dem Ritus auch die Vorfindlichkeit faktisch immunisiert, und auf das Kritikpotenzial der theologischen Reflexivität leichtfertig verzichtet, indem diese stets als im Grunde externe und an den sanktifizierten Ritus herangetragene Kategorie denunziert würde. Mit diesem hermetischen Selbstabschluss erlangte der Ritus also faktisch metaphysische W ü r de. 44 Z u d e m basiert die Vorstellung einer theologisch unfasslichen Dimension der Ritualität auf bestimmten anthropologischen Voraussetzungen. Sie zeigen sich in FITZPATRICKS R e d e von einem ursprünglichen Sehnen des Menschen, welches die Vorstellung einer Erbsünde ablösen solle. 45 Die Hoffnungen und Wünsche des Menschen übergreifen demnach die tierische Wahrnehmung der Natur als eine immer wiederkehrende und begrenzte Größe. Eben daraus ergibt sich dann nicht nur die Last, unter verschiedenen Handlungsoptionen zu wählen, sondern auch der Verlust von begrenzenden Kontrollmechanismen. Der Tod wird angesichts dieses Paradoxons menschlicher Existenz zu einem Affront für den Menschen. Im R a h m e n dieser Vorgaben kann das Opfer unter Berufung auf T H O M A S als eine allgemein-menschliche und zu allen Zeiten und an allen O r t e n verbreitete Form der Gotteskommunikation 4 6 verstanden werden, in welcher eben dieses Ausgeliefertsein an das Höhere in der Sprache menschlicher Herrscherverehrung artikuliert werde. Das Opfer bringe so den Wunsch nach Gemeinschaft mit Gott zum Ausdruck, was für Fitzpatrick jeden guten Akt in einem weiteren Sinne zum Opfer macht. In einem engeren Sinne besteht das Opfer allerdings nur in der Verehrung Gottes. 47 43 O f f e n s i c h t l i c h n i m m t J.P. FITZPATRICK d i e S p a n n u n g e n , w e l c h e die M e s s o p f e r v o r s t e l l u n g i m p l i z i e r t , als so stark w a h r , dass f u r i h n die M e s s e d a n n kein O p f e r m e h r sein k a n n , w e n n dieses Verständnis des R i t u s n i c h t m e h r vorausgesetzt w i r d : „ W h e r e r i t u a l ist t h u s m a d e t h e s e t t i n g o f u n d e r s t a n d i n g , qualifiers can d o t h e i r j o b o f d i r e c t i n g o u r a t t e n t i o n t o t h e rite, a n d t o t h e w h o l e r a n g e o f activity, speculative a n d practical alike, t h a t is c o n c e r n e d w i t h t h e e u c h a r i s t . B u t t o t h e e x t e n t t h a t ritual is n o t g i v e n this place, t h e r e is n o t t h e s a m e density a n d v a r i e t y o f c o n t e n t t o b e n o t i c e d ; a n d qualifiers take o n e i t h e r simply t h e n e g a t i v e f u n c t i o n o f d e n y i n g t h a t t h e mass is a sacrifice, o r t h e ,displacing' f u n c t i o n o f saying t h a t it is, b u t in s o m e c o n c e a l e d a n d n o n - o b v i o u s way." A . a . O . , 147. 44 FITZPATRICK k a n n die M e s s o p f e r t h e m a t i k d a n n u n t e r d e r P e r s p e k t i v e v o n I n n e n ( H a n d l u n g des R i t u a l s selbst) u n d A u ß e n ( t h e o l o g i s c h e R e f l e x i v i t ä t ) v e r h a n d e l n . A . a . O . , 150. 45 „It is n o t o r i g i n a l sin t h a t w e s h o u l d believe in; it is o r i g i n a l a s p i r a t i o n . " A . a . O . , 150. Vgl. a u c h a.a.O., 152: „I have s u g g e s t e d t h a t t h e g a p a n d p a r a d o x in t h e h u m a n c o n d i t i o n p r o v i d e an intelligible s t a r t i n g - p o i n t f o r talk a b o u t r e d e m p t i o n i n a w a y t h a t talk o f a p r i m e fault d o e s n o t [...]." 46 S T h 2, 2 q . 8 5 a . l . U n t e r R ü c k g r i f f a u f seine S c h ö p f u n g s l e h r e w e n d e t sich THOMAS h i e r g e g e n d i e M e i n u n g , das O p f e r sei n i c h t i n e i n e m a l l g e m e i n e n N a t u r g e s e t z b e g r ü n d e t (ad 1). Z w a r stelle d i e k o n k r e t e A u s g e s t a l t u n g e i n e m e n s c h l i c h e S e t z u n g dar, d i e D a r b r i n g u n g eines O p f e r s an G o t t sei a b e r B e s t a n d t e i l d e r lex naturalis. So gelte i n s g e s a m t : , , [ . . . ] in q u a l i b e t aetate, et a p u d q u a s libet h o m i n u m n a t i o n e s s e m p e r f u i t aliqua s a c r i f i c a r u m oblatio: q u o d a u t e m est a p u d o m n e s , v i d e t u r n a t u r a l e esse; e r g o et o b l a t i o s a c r i f i c i o r u m est d e j u r e n a t u r a l i . " 47 D i e s e liegt v o r allem i n d e r G a b e d e s j e n i g e n , was g u t a m M e n s c h e n sei:,, O f t h e s e [sc. actions

§ Í

Vorüberlegungen

zum

Messopfergedanken

15

Diese Position macht sichtbar, dass die Wahrnehmung von Opfer und Ritus auf schöpfungstheologischen wie auf anthropologischen Voraussetzungen beruht. J e deutlicher sich dabei das Opfer als Explikat eines Naturgesetzes geriert, desto undeutlicher wird dann die Transformation eben dieser Opferkonzepte durch das Christusgeschehen. Insbesondere für Luthers Auffassung vom Opfer wird daher zu fragen sein, inwiefern sich dieses Konzept als Folge seiner als Soteriologie entfalteten Christologie verstehen lässt.

1.3

Die Reinheit als Teilnahmevoraussetzung für die Opferhandlung

Als ein dritter Themenkreis ist nun der Zusammenhang zwischen Reinheit und Opfer zu entfalten. Denn die Antwort auf die Frage nach den Kriterien von „rein" und „unrein" entscheidet zugleich über die Kultfähigkeit und damit die Möglichkeit der Gotteskommunikation. 4 8 W i e das Opferinstitut die Kommunikation mit dem Heiligen ermöglicht, so ist die Reinheit Teilnahmevoraussetzung für dieses Ritual. 4 9 Sie ist die geforderte Eigenschaft des Subalternen gegenüber dem religiösen oder politischen Herrn und wird zumeist defensiv 50 hergestellt. Diese Vorstellung einer Reinheit durch Abgrenzung konkretisiert sich im Meiden von Speisen und Sexualkontakten oder dem Bad als Distanznahme von Schmutz sowie der Entfernung von Haaren. 51 In dieser negativen Selbstbestimmung ist die

that directed to rever G o d ] , the chiefis the offering o f what is good in ourselves ( , b o n u m animae'), such as devotion and prayer; next c o m e martyrdom, mortification and so on; last comes the offering o f material things — either directly to him or giving t h e m to others in his honour. Vgl. dazu THOMAS, S T h 2, 2 q . 8 5 . a.3 ad 2: „ [ . . . ] triplex est hominis b o n u m : primum quidem est b o n u m animae, q u o d D e o offertur interiori quodam sacrificio per devotionem, et orationem, et alios hujusmodi interiores actus: et h o c est principale sacrificium: secundum est b o n u m corporis, quod D e o q u o d a m m o d o offertur per martyrium, et abstinentiam, seu continentiam: tertium est b o n u m e x t e r i o r u m rerum, de quo sacrificium offertur D e o ; directe quidem quando immediate res nostras D e o offerimus; mediate autem, quando eas c o m m u n i c a m u s proximis propter D e u m . " Bereits an dieser Stelle ist a u f die „ U m w e r t u n g " der menschlichen Opfergabe in den späteren reformatorischen T h e o l o g i e n zu verweisen, vgl. dazu die Ausfuhrungen zu M e l a n c h t h o n s Thesenreihe , D e Propositione Missarum', unten § 7 . 1 . 2 . 2 . 48

Dies geht schon aus der E t y m o l o g i e des Terminus hervor. B . MAIER, Art. , R e i n h e i t ' , 4 7 3 ,

stellt das deutsche W o r t zu d e m griechischen Jtpivo) ( = scheiden, sondern) und sieht seine Verwendung seit d e m 13.Jahrhundert besonders in der theologischen Sprache nachgewiesen. 49

Diesen Bedingungscharakter weist die R e i n h e i t auch in Strömungen auf, die eine direkte

Gotteskommunikation des Einzelnen auch jenseits eines öffentlichen und institutionalisierten R i tuals kennen, etwa in der Mystik. D o r t begegnet die R e i n h e i t als „unabdingbare Voraussetzung der mystischen Vereinigung des M e n s c h e n mit G o t t . " Vgl. MAIER, a.a.O., 4 7 4 . 50

Ich n e h m e hier die T e r m i n o l o g i e Klaus BERGERS auf, der zwischen defensiver und offensiver

R e i n h e i t unterscheidet. Vgl. derselbe, Jesus als Pharisäer und frühe Christen als Pharisäer, in: NovTest 3 0 ( 1 9 8 8 ) , 2 3 1 - 2 6 2 ; Theologiegeschichte, 1 2 8 - 1 3 0 . 51

Das offene, lang getragene Haar kann Wollust und Stolz symbolisieren, vgl. G. HEINZ-

MOHR, L e x i k o n der Symbole, 131. D e r Verzicht daraufhat also einmal eine asketische D i m e n s i o n , insofern ein möglicher sexueller R e i z verhindert wird, zum anderen eine devote D i m e n s i o n , da auf jegliches Z e i c h e n des Stolzes verzichtet wird. S o wird auch Verstorbenen das Haar n o c h a u f dem Totenbett geschnitten, vgl. E . M U I R , R i t u a l , 4 8 . Vgl. auch die Aufnahme des Bildes bei L u thers Auslegung von Ps 6 8 ( 6 9 ) , 5 in W A 3, 4 1 0 , 2 7 - 3 9 .

16

Erster Teil:

Voraussetzungen

Reinheit dem Opfer affin, das sich, wie gezeigt, auch über eine Trennung definiert. Andererseits löst sich der Mensch im Opfer von etwas Wertvollem, beim R e i n i gungsritus hingegen von einem Negativsymbol. Das Ergebnis dieser Trennung ist die Reinheit, positiv bestimmt als Glanz. Dabei können die Gotteskommunikation und ihre Vorbedingung verschmelzen, so dass die Bedeutungen von heilig und rein ineinanderfließen. Nimmt man die innere Struktur dieser Reinigungsbemühungen in den Blick, so lässt sie sich als eine dreistellige Relation von physischer, ritueller und ethischer Komponente darstellen. Damit erfasst der Begriff Reinheit nicht nur die Vorbedingung einer gelingenden Gotteskommunikation, sondern verbindet die religiöse Dimension mit der gesellschaftlichen, insofern soziale G e gebenheiten oder Verfehlungen Auswirkungen auf die kultische Reinheit zeitigen. Insbesondere Gesundheit und Leben sowie die soziale Ordnung werden in dieser Hinsicht mit Reinheit assoziiert. Die Unreinheit verknüpft sich entsprechend mit Krankheiten, Tod und Chaos. 52 Diese systematische Verbindung von Kult und Gesellschaft innerhalb der jeweiligen Reinheitsvorstellungen wirft damit auch ein Licht auf die Messtheologie, etwa dort, wo ein offensichtliches körperliches Gebrechen zum Verlust der Reinheit und damit der Kultfähigkeit fuhrt, wie das beim Ausschluss der Stummen vom Sakrament deutlich wird. 53 Z u m anderen gewinnt der Zusammenhang zwischen Opfer und Gesellschaft dort Relevanz, wo die Versammlung der Kultgemeinde die mitgebrachte soziale Ordnung abbildet, legitimiert oder aber aufhebt. 54

i. 4

Der Opferaktant als stellvertretender Repräsentant der

Gemeinschaft

Das Opfer vollzieht sich im Kult nun nicht so, dass alle Kultteilnehmer in gleicher Weise am Opfergeschehen beteiligt würden. Ursprünglich vollzogen der Hausherr bzw. der Älteste der Sippe das Opfer. Das Opfer verband sich damit zugleich mit einer Darstellung von Hierarchie und Machtverhältnissen. 55 In einem späteren Stadium der Ausdifferenzierung bildeten sich dann besondere, überregionale Kultorte und Amtsträger aus, die stellvertretend für die gesamte Opfergemeinde agierten, so dass zwischen dem äußeren Vollzug des einen und der Partizipation aller an Vgl. B . MAIER, a.a.O., 4 7 6 . Luthers engagiert vorgetragenes Plädoyer, die Stummen nicht länger vom Sakrament auszuschließen, ist also nicht nur eine humanitäre Geste, sondern Konsequenz aus einer spezifischen Reinheitsbestimmung, vgl. dazu die Ausfuhrungen im ,Sermon von dem Neuen Testament', unten § 5 . 1 . 5 4 Walter BURKERT versteht das Opfer als Ausdruck der in der Jägerkultur des antiken G r i e chenlands gültigen Lebensverhältnisse, nach denen der Tod des erjagten Tieres das Leben der Jäger und ihrer Lebensgemeinschaft ermöglicht. D i e Darstellung dieses Sachverhalts im Symbol motiviert sich nach Burkert durch die diesem Ritual zukommende Funktion, durch die Kanalisierung von Gewalt die Weitergeltung einer gesellschaftlichen Ordnung zu ermöglichen. Auch wenn der Anspruch allgemeinreligiöser Geltung dieses Junktims nicht ohne Kritik und Widerspruch geblieben ist (vgl. H . M . GUTMANN, Symbol, 113f), so gibt er doch die Frage nach dem Zusammenhang von Messopfertheologie und jeweiliger gesellschaftlicher Ordnung auf. 52 53

55

Erneut zeigt dieser Sachverhalt das R e c h t der marxistischen Kult- und Opferkritik.

§ i

Vorüberlegungen zum

Messopfergedanken

17

dieser Handlung zu unterscheiden ist. 56 Diese Monopolisierung der äußeren Aktivität fuhrt dazu, dass die Opferhandlung als solche allein durch das Handeln des Amtsträgers kenntlich wird, wodurch letzteres wiederum konstitutive Bedeutung für das Ritual erlangt. 57 Der Amtsträger handelt im Opfer also für die kultische Ö f fentlichkeit und nicht nur in seinem Namen. Wird diese Stellvertreterfunktion 5 8 für die Opfergemeinschaft monopolisiert, so wächst dem Opferaktanten auch eine politische Schlüsselstellung zu. D e n n wenn das Opfer Identität und Fortbestand der Gemeinschaft gegen äußere und innere Bedrohungen zu bewahren hilft, 59 so etabliert eine Monopolisierung dieses Amtes natürlich eine Dependenz der Gemeinschaft vom Opferaktanten. Dabei bildet das M o m e n t der Stellvertretung für die Opfergemeinschaft eine Analogie zu einem Grundgedanken der Opfervorstellung überhaupt, insofern ja auch in der Opferhandlung ein Teil, die Gabe, für das Ganze steht. 60 Eine Analogie zwischen Opferhandlung und Opferaktant zeigt sich auch in der Forderung nach einer besonderen Reinheit des Amtsträgers, die erneut nicht nur rein kultische (etwa Nüchternheit 6 1 ), sondern auch soziale oder

56

D i e Partizipation der O p f e r g e m e i n d e k a n n d u r c h liturgische Aktivitäten ( Z u s t i m m u n g , G e sang o.ä.) deutlicher z u m A u s d r u c k gebracht w e r d e n . Allein handelt es sich hierbei u m eine B e gleitung des O p f e r s , nicht u m die sichtbare Beteiligung an s e i n e m Vollzug. DÜRKHEIM sieht die Tatsache, dass n u r w e n i g e Spezialisten Z u g a n g zur Sakralität besitzen, als ein Konstitut des H e i l i gen ü b e r h a u p t an, a.a.O., 61. Vgl. J.HF.LLE, Religionssoziologie, 29. 57 E n t s p r e c h e n d variantenreich fallen auch die spätmittelalterlichen B e z e i c h n u n g e n f ü r d e n Amtsträger i m O p f e r g e s c h e h e n aus. D i e N e b e n r o l l e der G e m e i n d e m a c h t u m g e k e h r t die t e r m i nologische A r m u t kenntlich, die ihre Aufgabe in der Messe beschreibt. Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 201: „In der quantitativen U n t e r b e w e r t u n g des Sinnbezirks . G e m e i n d e ' i m Vergleich z u m Sinnbezirk .Liturgie', die sich in der sprachlichen Erfassung zeigt, erhärtet sich der B e f u n d , der i m v o r h e r g e h e n d e n Abschnitt bereits m e h r f a c h d o k u m e n t i e r t w u r d e : die bei der liturgischen Feier versammelte G e m e i n d e w i r d nicht als konstitutiv f ü r d e n Gottesdienst u n d das i n n e r e G e s c h e h e n angesehen; in der sprachlichen Einschätzung zeigt sich nichts von d e m M o m e n t einer aktiven Teilnahme einer participatio actuosa der G e m e i n d e . " 58 R . SPAEMANN, B e m e r k u n g e n , 16, hält die Stellvertretungsfigur f ü r unvereinbar mit der m o d e r n e n Verhältnisbestimmung von Subjekt u n d A b s o l u t e m . 59 Vgl. zur F u n k t i o n des Rituals als Konstitution eines Gemeinschaftsgefühls D. KERTZER, R i tual, Politics and Power, 61 f: „it is by u t t e r i n g t h e same cry, p r o n o u n c i n g t h e same w o r d , or p e r f o r m i n g t h e same gesture in regard t o s o m e object that they b e c o m e a n d feel themselves to be in u n i son." Diese F u n k t i o n v e r h i n d e r t natürlich nicht, dass gerade u m das R i t u a l erbittert gestritten w e r d e n k a n n u n d so das R i t u a l seine einheitsstiftende F u n k t i o n verfehlt. A b e r e b e n dieser Streit zeigt j a die B e d e u t u n g des Rituals für die g e m e i n s a m e Identität der Gemeinschaft. Freilich darf nicht vorschnell von d e n R i t u a l e n auf das Selbstverständnis einer Gesellschaft geschlossen w e r d e n . So k a n n das R i t u a l gerade ein „Labyrinth v o n D i s s o n a n z e n " (MUIR, R i t u a l , 4) enthüllen u n d keineswegs d e n sozialen C o d e einer Gesellschaft ablesbar in die H a n d geben. Vgl. a u c h M . RUBIN, S y m b o l w e r t , 311. 60 Vgl. B. LANG, Spiel, 238: „ D i e Geschichte des O p f e r s ist eine Geschichte z u n e h m e n d e r I n stitutionalisierung u n d Klerikalisierung." D i e A u f g a b e des O p f e r a k t a n t e n beschreibt etwa PLATO in e i n e m Nebensatz, w e n n er v o n der Priesterschaft spricht, „die sich nach d e m heiligen S p r u c h des H e r k o m m e n s darauf versteht, von uns M e n s c h e n die O p f e r als wohlgefällige G a b e n an die G ö t t e r zu ü b e r m i t t e l n ; auch verhilft sie uns d u r c h Gebete, daß die G ö t t e r unsere W ü n s c h e erfüll e n . " Staatsmann 290 C / D (Übs. O t t o APELT), zitiert nach B. LANG, Spiel, 233. 61 D e r christliche B r a u c h b e g r ü n d e t sich w o h l aus d e m ursprünglich f r ü h m o r g e n d l i c h e n Feie r t e r m i n , vgl. K.S.FRANK, L e h r b u c h , 122. Gottschalk HOLLEN k a n n in seinem . P r a e c e p t o r i u m '

18

Erster Teil:

Voraussetzungen

ethische Implikate besitzt. 62 Dieses Anforderungsprofil fuhrt bis hin zum Ausschluss körperlich Versehrter vom Priesteramt. 63 Offensichtlich soll gerade der Kultleiter die Lebensintegrität als Ziel der Opferhandlung repräsentieren. Der Begriff des Priesters bleibt damit eng mit dem Opfer verbunden. 64 Gerade weil das Opfer, mit seiner Kontrolle über den Zugang zum Heiligen, Einfluss auf die profanen Lebensvollzüge der Opfergemeinschaft bzw. des Opferbegünstigten gewinnt, wächst auch dem Priester schon auf Grund seiner Opferaktivitäten weltliche Macht zu. Die Übernahme weltlicher Funktionen durch den Opferaktanten lässt sich also als Konkretion der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Opferkultes verstehen. Das zeigt sich bereits philologisch durch die Aufhebung der germanischen Institution des ewarto im PriesterbegrifF. 65 Auch zwischen der Besoldung des Priesters und der Begründung seiner Tätigkeit im Opfervollzug besteht ein Zusammenhang. Denn durch das Opfer wird die merkantile Logik der äquivalenten Reziprozität etabliert. Die Bezahlung des Aktanten für die von ihm ausgeführte Leistung kongruiert also der inneren Logik dieser Leistung selbst: Was für das Gottesverhältnis gilt, das strukturiert auch die Wirtschaftsbeziehung von Begünstigtem und Aktanten des Opfers. Diejenigen Ritusspezialisten, deren Stellung auf der Erlaubnis, ein objektivierbares Handlungsmuster wie das Opfer auszuführen, beruht, verstehen ihre Opfertätigkeit daher meist als eine im Modus der Ökonomie einholbare Dienstleistung. Begründet sich die die N ü c h t e r n h e i t als besonders gottgefälligen Status auch des Laien in der Messe h e r v o r h e b e n , vgl. A. FRANZ, Messe, 2 2 . 62

H i e r ist an die Distanznahme von Sexualität und K r i e g zu d e n k e n . D a m i t werden zwei B e -

reiche m e n s c h l i c h e n Lebens adressiert, die in besonderer Weise einen Kontrollverlust implizieren. Soll das O p f e r in diesen Z u s a m m e n h ä n g e n einen S p r a c h - und K o n t r o l l g e w i n n e r m ö g l i c h e n , so muss der Aktant diesen B e r e i c h e n nach M ö g l i c h k e i t entzogen sein. Vgl. dazu G e o r g e BATAILLE, Verausgabung, und derselbe, Eros. E r fasst unter d e m B e g r i f f der „ A l l g e m e i n e n Ö k o n o m i e " das Widerspiel zwischen d e m unendlich freigebigen L e b e n und der m e n s c h l i c h e n ö k o n o m i s c h e n T ä tigkeit in Gestalt von Arbeit und Vernunft. Das Heilige dient hier der Vitalisierung dieser an sich leblosen m e n s c h l i c h e n Ordnungsstrukturen, ist zugleich aber durch das Tabu identifizierbar. D i e ses Tabu konkretisiert sich i m Verbot von K r i e g und M o r d sowie der Sexualität. 63

Vgl. W KLEIN, a.a.O., 3 8 0 .

64

Z w e i chronologisch weit entfernte Zitate verdeutlichen diesen e n g e n B e z u g . S o kann FLO-

RUS VON LYON in seiner ,Expositio missae' aus d e m 9 . J h . z u m Te igitur folgendes b e m e r k e n : „ S a c e r d o t u m est e n i m offerre et majestatem D e i invocare; D e i est a u t e m dignanter suscipere, et ea quae offeruntur benedicere [ . . . ] . " P L 119, 4 4 . Als eine spätmittelalterliche Position vgl. J . ALTENSTAIG, Art. ,sacerdos', 7 9 7 : „Sacerdos Euangelicus est, qui ex traditione Episcopi accepit in sua o r dinatione potestatem super corpus Christi verum in altaris sacrificio c o n f i c i e n d u m , offerendum, & populo dispensandum." W. KLEIN, a.a.O., 3 8 0 , beschreibt die priesterliche F u n k t i o n i m O p f e r kult als konstituierendes M e r k m a l des Priesterbegriffes überhaupt. Harald GOERTZ und W. HÄRLE, Art. .Priester / Priestertum', 4 0 2 , sprechen davon, dass „der O p f e r g e d a n k e den Priestergedanken a n z i e h t " , G . GRESHAKE, Art. .Priester / Priestertum. I I I / 2 . S y s t e m a t i s c h ' , in: T R E 2 7 ( 1 9 9 7 ) , 4 2 2 , hält O p f e r und Priestertum für korrelative Begriffe. 65

N a c h H a n s j o s e f GOERTZ, a.a.O., 6 8 , A n m . 5 , k a m d e m germanischen Priester auch die

F u n k t i o n eines R i c h t e r s zu. D i e A u f h e b u n g des eigensprachlichen Begriffes ewarto in die g r i e chisch-lateinische B e z e i c h n u n g Presbyter,

welche dem althochdeutschen prestar zu G r u n d e liegt,

transportierte dann zugleich dessen Funktionsbestimmung. Vgl. auch derselbe, a.a.O.,

181,

A n m . 2 . D i e juristische K o m p o n e n t e der priesterlichen Tätigkeit zeigte sich auch i m Sakrament der E h e s c h l i e ß u n g , vgl. M.METZGER, Geschichte, 1 3 6 ; W.KLEIN, a.a.O., 3 8 0 .

§ i Vorüberlegungen zum Messopfergedanken

19

P o s i t i o n des R i t u s s p e z i a l i s t e n a b e r in e i n e m C h a r i s m a o d e r b e s o n d e r e n i n t e l l e k t u ellen F ä h i g k e i t e n , so lässt sich e i n e gewisse „ W i r t s c h a f t s f r e m d h e i t " feststellen, d i e d e r ö k o n o m i s c h e n E n t z o g e n h e i t u n d d e m s p o n t a n - s p i r i t u e l l e n C h a r a k t e r dieses P r i e s t e r t u m s e n t s p r i c h t . B e i d e r F i n a n z i e r u n g des K u l t e s lassen sich d a n n v e r s c h i e d e n e M o d e l l e u n t e r s c h e i d e n : D i e H o n o r a r a r b e i t , das M ä z e n a t e n t u m , das K o l l e k t e n w e s e n u n d die R e n t e n - bzw. S t e u e r e r h e b u n g . 6 6

2 Die Messe als Opfer und das Kreuzesopfer D i e d e m O p f e r e i g e n e G r e n z z i e h u n g z w i s c h e n heilig u n d p r o f a n k o n n t e sich i n s o f e r n g u t m i t d e r M e s s e v e r b i n d e n , als h i e r die t e r m i n o l o g i s c h e V e r b i n d u n g v o n sacramentum (= H e i l i g k e i t , H e i l i g t u m ) u n d |i,votr|piov (= H e i m l i c h k e i t , V e r b o r g e n heit), w i e sie bereits die Vulgata v o r g e n o m m e n h a t t e , 6 7 z u m A u s d r u c k g e b r a c h t w e r d e n k o n n t e , a u c h w e n n das N e u e T e s t a m e n t d i e O p f e r q u a l i f i k a t i o n d e m K r e u zestod v o r b e h i e l t . 6 8 S c h o n f r ü h f i n d e t sich also d e r B e g r i f f " , O p f e r ' z u r K e n n z e i c h n u n g d e r c h r i s t l i c h e n Kultfeier. D a m i t w a r z u g l e i c h das P r o b l e m e i n e r Verhältnisb e s t i m m u n g z u r biblischen I n t e r p r e t a t i o n des K r e u z e s t o d e s als O p f e r gestellt, z u mal die O p f e r q u a l i f i k a t i o n n i c h t n u r e i n e n Teilaspekt des Gottesdienstes, s o n d e r n sein W e s e n b e z e i c h n e n sollte. 6 9 S o m i t musste d e r O p f e r b e g r i f f a l s I n t e r p r e t a m e n t des K r e u z e s e i n e a l l g e m e i n - r e l i g i ö s e B e s t i m m u n g a u f w e i s e n , w e n n d i e A u f h e b u n g e b e n dieser O p f e r in d e m e i n e n K r e u z e s o p f e r b e h a u p t e t w e r d e n sollte. U n d z w e i t e n s m u s s t e er die Messe als ein solches O p f e r e r s c h e i n e n lassen, das diese A u f h e b u n g seinerseits n i c h t w i e d e r u n t e r l i e f u n d d a m i t das ecpdjta^ z e r s t ö r t e . 7 0

66

B. LANG, Kult, 476f. Eine Konkurrenz zwischen Besoldung des Wandermissionars und seiner auf Gnade beruhenden Wirkungskraft sieht Mt 10,8: „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt." Vgl. dazu auch J.HELLE, Religionssoziologie, 45. 67 Vgl. dazu G. WENZ, Einführung, 5-13; G. KOCH, Sakramentenlehre 1, 16. An mehreren Stellen übersetzt sie nuoriipiov als sacramentum und verbindet damit beide Aspekte, vgl. etwa Eph. 1,9; 3,9; Kol. 1,27; lTim 3,16; Mt 13,11; Lk 8,10. Im spätmittelalterlichen Sprachgebrauch kann der Begriff sacramentum dann auch die Bedeutung heiligkeit, heiligtuom annehmen. Die Verbindung von heilig und Opfer belegt das Verbum sakrieren, welches „opfern" bedeutet. R . MESSNER, Meßreform, 92, weist allerdings daraufhin, dass mit der Bezeichnung sacramentum für |iuotr|piov zugleich eine Veräußerlichung einherging, welche aus einem Ereignis ein Ding und aus einer Feier eine Sache machte. J.A.JUNGMANN, Geschichte, 22, attestiert dem Begriff |H)orr|piov im Neuen Testament eine nichtkultische Verwendung. Vgl. die Ubersicht bei R. HEMPELMANN, Sakrament, 34-46. 68

Darauf weist auch R . MESSNER, Meßreform, 56, Anm. 166, hin. Das zeigt etwa die etymologisch unzutreffende Herleitung des Begriffes tnissa aus hebr. HÖH = Opfer. Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 100. Die Opfertätigkeit des Priesters wird im Unterschied zu den Lesungen der Leviten als „messe Volbringen" bezeichnet. Vgl. NMA 79, 39. Insbesondere die Bezeichnungen für das Eucharistiegebet heben nun auf den Opfercharakter ab: Anaphora, oratio oblationis, actio sacrificii. Vgl. J.A.JUNGMANN, MS 2, 124. Zur Herleitung des Begriffes Messe von missa — Entlassung, vgl. derselbe, Eucharistia, 38. 70 Vgl. zum Problem des exklusiv christologisch aber zugleich allgemein religiös zu bestimmenden Opferbegriffes K. RAHNER, Art. .Opfer', 1174f. 69

20 2.1

Erster Teil:

Das Verhältnis von Identität

Voraussetzungen

und Differenz

als

Grundbestimmung

des Messopfers In der Literatur zur (spät)mittelalterlichen Messopfertheologie findet sich mehrfach der Hinweis, dass eine solche im Grunde nicht existiert habe. 71 N u n ist ohne Zweifel richtig, dass die Arbeit der dogmatischen Autoritäten weniger der Frage, inwiefern die Messe ein Opfer sei, als dem Problem, wie Christus in Brot und Wein gegenwärtig werde, galt. 72 Genau besehen lässt das Fehlen dogmatischer Klärungsversuche aber nur auf eine unumstrittene Gültigkeit der Opferqualifikation schließen, nicht aber darauf, dass die Messwirklichkeit keinen dogmatisch erfassbaren Reflexionshintergrund gehabt hätte. Insofern ,Theologie' den vorausgesetzten oder postulierten Vorstellungshorizont gelebter und verbalisierter Frömmigkeit bezeichnet, verbindet sich natürlich auch mit der eucharistischen Frömmigkeit des (Spät)mittelalters eine bzw. mehrere Messopfertheologien. Deren Grundstrukturen sind nun zu erheben. 2.1.1

Das e einmalig

—» Sühnopfer

begrenzter Wert eines ergänzbaren Kreuzesopfers Wiederholung des Kreuzesopfers

Identität beim Aktanten: Christus Gott Differenz — im Modus: — unblutig - memoria / repräsentatio — beim Aktanten: Priester u i b l"ld Blu '> Gott Identität: Sühnopfer (Leib u. Blut) Differenz: Dankopfer (Brot u. Wein)

Fortsetzung der Logik Identität: Gabe = Gottheit —> Aufhebung des Priester J"ls|lchc' Gabc^ G o t t at.liehen / heidnischen Opfers Unaufweisbarkeit der Opferqua- Differenz: Adressat ^ Gabe lifikation für den Kreuzestod

secratio sub distinctis speciebus representat passionem christi, sed etiam manducatio corporis et potatio sanguinis sub eisdem speciebus, eandem christi passionem significat [...]." L.53X (2, 333). 160 Das zeigen auch die Verba an. Die Mahlhandlung „bedeutet" oder „repräsentiert" oder der Tod Christi „wird bezeichnet". Die Handelnden kommen hier also nicht als Adressaten des G e schehens, sondern vor allem als liturgische Aktanten in den Blick. Die Zuweisung der Verba allein an den Priester ist dann eine nahe liegende Konsequenz. ,61 „Qualitercunque autem hec verba exponantur iuxta tarnen doctorum probabiliorem sententiam prolata sunt a christo duntaxat ad apostolos, et in ipsis ad quoslibet eorum legittimos successores. Istis quidem dictum est a domino: Hocfacite in meam commemorationem. Facite id est conficite. Hic eos in sacerdotes ordinasse creditur, et ipsis potestatem consecrandi contulisse [...]. Si ergo ad omnes fideles generaliter se extenderent tanquam ad omnes a christo prolata, omnes recepissent potestatem consecrandi quod nemo dicit." L.53U (2, 333).

40

Erster Teil:

Zusammenfassung

Voraussetzungen

des ersten

Paragraphen

Als Vermittler zwischen Alltag und Transzendenz ist das als Opfer verstandene R i tual Ausdruck der je konstituierten Spannung von Profanität und Sakralität. Diese artikuliert sich sowohl im Blick auf einzelne Kultteilnehmer oder -teilnehmerinnen als auch gesamtgesellschaftlich und formuliert mithilfe der Reinheitsterminologie die Partizipationsbedingungen des Kultes. Insbesondere der die Kultgemeinde stellvertretend repräsentierende Opferaktant wird besonderen Anforderungen unterworfen. Die Handlungsdimension des Opfers lässt sich mithilfe der vierstelligen Relation Aktant, Gabe, Adressat und Begünstigte beschreiben. Die Qualifikation der christlichen Kulthandlung als Opfer nötigt zu einer Verhältnisbestimmung zum Kreuzesopfer. Eine gelingende Zuordnung hat nicht nur dessen opferkritische Wahrnehmung als das „Ende aller Opfer" zu berücksichtigen, sie muss auch Identität wie Differenz zum Christusgeschehen selbst festhalten, soll dessen Einmaligkeit und Vollgenugsamkeit weiterhin behauptet werden. Näherhin bedroht eine Verselbstständigung des Messopfers die Vollgenugsamkeit und eine Identifikation gefährdet die Einmaligkeit. Als Ausdruck dieser Problemstellung lassen sich verstehen: Die Doppelbesetzung der Aktantenrolle mit Christus und dem kirchlichen Priester, die Identifikation von Gabe und Gottheit im Messopfer und die Doppelqualifikation des Messopfers als Sühn- und Dankopfer. Als ontologische Ausdrucksformen dieser Verhältnisbestimmung legen sich traditionell die Modi Zeit („Gedächtnis") und Bild („Repräsentation") nahe, welche Identität und Differenz zum Christusgeschehen gleichermaßen auszudrücken suchen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Begriffe entscheidet dann über Gelingen oder Misslingen der Verhältnisbestimmung von Kreuzes- und Messopfer. Nachdem mit der Erhebung dieser Grundstrukturen der Messopferproblematik nun ein diagnostisches Handwerkszeug zur Verfügung steht, soll mit einem Blick auf historisch wirksame Messopferkonzeptionen die diachrone Perspektive stärker zu ihrem R e c h t kommen.

§ 2 Liturgiegeschichtliche Konkretionen des Messopfergedankens Unter dieser Leitperspektive sind nun die einschlägigen Antworten auf die im ersten Paragraphen entfaltete Problemskizze zu erfragen. Dabei erfordert der weit gespannte zeitliche Bogen eine Konzentration auf das Modellhafte. Trotz seines bloßen Uberblick-Charakters, der sich aus dem eng gesteckten Darstellungsrahmen ergibt, kann auch angesichts ausfuhrlicherer Einzeluntersuchungen nicht auf diesen Abschnitt verzichtet werden, da für die neuere Debatte um den Messopfertheologen Martin Luther gerade das liturgische Leben der Alten Kirche fruchtbar gemacht wurde. So berücksichtigt die hier im Rahmen des Möglichen erarbeitete Struktur vor allem die Arbeit Reinhard MESSNERS. Sein Konzept besteht darin, nicht nur den Kontrast zwischen den spätmittelalterlichen Messkonzeptionen und Luthers Theologie der Messe herauszuarbeiten, sondern sowohl die Texte des Kanons als auch Luthers Messreform aus der Perspektive der liturgischen Überlieferung der Alten Kirche wahrzunehmen und Luthers messtheologisches Anliegen in deren Horizont einzuordnen. Als systematische Grundfiguren, welche den Gehalt aller drei Quellencorpora strukturieren sollen, wählt er die Anamnese („memores"), ihren Vollzug in der Darbringung („offerimus") und ihre Verwirklichung als Epiklese („petimus"). Inwiefern diese Zugangsweise Luthers messtheologische Intention zu wahren vermag, ist unten zu diskutieren.

1 Eucharistische Aktualpräsenz des Kreuzesopfers in Modellen der Alten Kirche Die frühchristlichen Gemeinden sahen sich beim Thema Opfer einer gewissen Spannung ausgesetzt: Einerseits profilierte der Verzicht aufjegliche äußere Opfertätigkeit das Christentum gegen die antiken Religionen. Andererseits waren durch das Alte Testament vielfältige Opferkonzepte vorgegeben, 1 die schon die neutestamentlichen Autoren zur Frage nach dem Proprium eines christlichen Opferbe-

1

H i e r ist a u f die wichtige Arbeit von B . JANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur S ü h -

netheologie der Priesterschrift und zur Wurzel K P R im Alten O r i e n t und im Alten Testament, N e u n k i r c h e n — Vluyn 1 9 8 2 , zu verweisen. E r fuhrt den Ansatz seines Lehrers H . GESE weiter und k o m m t zu dem Ergebnis, dass es b e i m alttestamentlichen O p f e r nicht um eine durch menschliche Leistung gewirkte Satisfaktion, sondern um die Inkorporation des in Sünde verstrickten M e n schen in das Heilige gehe, bei der G o t t das Subjekt des Sühnegeschehens bleibt.

42

Erster Teil:

Voraussetzungen

griffes führten. Der neutestamentliche Befund 2 zeigt, dass das Opfersprachspiel nicht als exklusives aber doch als mögliches Interpretament insbesondere des Todes Jesu herangezogen wurde. 3 Freilich geht es dann stets um die metaphorische Verwendung des „Opfers", nirgends wird die Ermordung Jesu als realkultischer Akt qualifiziert. 4 Insbesondere besteht kein durchgängiger Zusammenhang zwischen dem Opfertod Jesu und einer kultischen Sühnevorstellung. 5

1.1

„ memores ojferimus ": Das Gedächtnis des Kreuzesopfers als eine Darbringung an Gott

In den einschlägigen paulinischen wie synoptischen Ausfuhrungen zum Herrenmahl 6 findet sich der Opferbegriff daher nicht. 7 Sie enthalten aber Wendungen, 2 W. STECEMANN, Tod Jesu, 125, nennt J o h 1,29.36; 1 J o h 2,2; 4 , 1 0 ; Ac 8,32; 1 Kor 5,7; R o m 3 , 2 5 ; Eph 5,2; 1 Petr 1, 2 . 1 9 ; 2 , 2 4 , Apk 1,5; 5,6ff; 7,14; 12,11; 13,8. 3 Hier besteht kein Konsens in der exegetischen Diskussion. H . GESE, Sühne, 104, behauptet: „Die Heilsbedeutung des Todes Jesu ist nur mit dem Sühnegedanken zu fassen." Dagegen meint G. FRIEDRICH, Verkündigung, 77, „daß abgesehen vom Hebräerbrief kaum vom Opfertod Jesu gesprochen wird". W i e letzterer votiert auch F. HAHN, Verständnis, 72. Vgl. dazu vermittelnd G. THEISSEN, Religion, 193; „Die Deutung des Todes Jesu als Opfertod ist aber nur eine unter vielen Deutungen im Urchristentum. Aber gerade diese Deutung hat ein großes G e w i c h t . " 4 F. HAHN, Verständnis, 73; „Das Sterben Jesu am Kreuz war ein ganz und gar unkultisches G e schehen." Vgl. die Interpretation der Zentralstelle R o m 3,25 bei W. STEGEMANN, a.a.O., 138: „ R o m 3,25 spricht metaphorisch von der sühnenden Bedeutung des Todes Jesu. Denn es fehlt in diesem Text jeglicher Hinweis auf einen Realcharakter des Opfertodes Christi. Christi Tod ist ein Opfer ohne Inszenierung eines Rituals, ohne Handlung (bzw. an ihr beteiligte kultische Akteure). Allein die symbolische Ebene des Opfers ist darum für die Interpretation relevant." Das gilt auch für die Anwendung kultischer Terminologie auf den Tod Jesu, wie sie einzig im Hebräerbrief zu finden ist. D e n n sie setzt die Aufhebung des Kultes im Christusgeschehen j a gerade voraus, vgl. F. HAHN, a.a.O., 78. 5 So kann etwa in Eph 5,2 Jesu Tod als eine Gabe an Gott interpretiert werden. Diese versteht der Autor aber gerade nicht als eine Sühneleistung, sondern als einen ethischen Anreiz für das Verhalten der Christen, vgl. dazu W. STEGEMANN, a.a.O., 125. Anders votiert F. HAHN, Verständnis, 75f. 6 Vgl. zum urchristlichen Gottesdienst auch J . ROLOFF, Gottesdienst, 4 8 - 5 4 (Lit!). 7 Vgl. F. HAHN, Verständnis, 51: „Die Verwendung des Opferbegriffs in Verbindung mit der christlichen Mahlfeier setzt jenseits der Grenzen des Kanons bei den Apostolischen Vätern ein". So stellen die urchristlichen Gottesdienstbezeichnungen dann auch nicht das Opfer, sondern Mahl oder Gemeinschaft als Zentren der Feier heraus. Vgl. Ac 2 , 4 2 (xtaxois xofi apxon), 1 K o r 10,21 (xpajie^a xupiou) und natürlich 1 Kor 11,20 (xupictxöv ÖETJTVOV). Eine originelle Rekonstruktion bietet B . LANG, Spiel, 241—261, der nicht nur die Ursprünge des Abendmahles für erhellbar hält, sondern sie auch im Opferkult verortet. Freilich ergibt sich ein nicht unbedeutender Anteil der von ihm herausgearbeiteten Parallelen aus der Rückprojektion der neutestamentlichen Einsetzungsworte in eine angenommene antike Opferpraxis, auf antike Texte selbst kann Lang nicht zurückgreifen. Problematisch ist zudem seine Rekonstruktion der ältesten Eucharistiefeier, die entgegen den neutestamentlichen Texten nur eine anabatische Perspektive kennt: „Einer der Anwesenden nimmt Brot und bringt es Gott mit einer Geste des Emporhebens dar, wobei er sagt ,Das ist mein L e i b ' " (247). Die Austeilung an die Gemeinde als begleitende Geste der Deuteworte entfällt hier: „Das Opfer Jesu bestand allein in der Geste der Darbietung, d. h. der Elevation der Gaben mit ihren Begleitworten." Die Personalität Jesu ist für dieses Mahl verzichtbar, Lang zieht den Vergleich zu einem Lehrer, der mit dem Erlernen des A B C für seine Schüler überflüssig wird (322).

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

43

die sich mithilfe der Opfervorstellung interpretieren lassen, etwa wenn davon die R e d e ist, dass der Leib Christi für andere gegeben und das Blut des Neuen Bundes flir die Vielen vergossen werde. 8 Auch wird dazu aufgefordert, das Mahl zum G e dächtnis 9 Jesu zu halten. 10 Inwiefern dann die Kreuzeshingabe Christi als Opfer zu begreifen sei und ob das Gedächtnis dieser Hingabe selbst nun wieder als Opfer ar-

Dabei begründet LANG seine den einschlägigen neutestamentlichen Texten zuwiderlaufende R e konstruktion mit deren bereits ausgestalteter liturgischer Form. Weshalb diese verbreitete E r kenntnis aber nicht zu größerer Vorsicht bei Aussagen über „die erste Eucharistiefeier" fuhrt und andere (jüngere!) neutestamentliche Texte nicht mit derselben kritischen Sensibilität wahrgenommen werden, bleibt mir unverständlich. Ist Ac 2 , 4 6 f denn wirklich „wörtlich zu n e h m e n " und nicht exemplarischer Ausdruck des lukanischen Geschichtsmodells? Woher weiß Lang, dass die in 1 K o r 11 fassbare antiochenische Abendmahlstheologie „die ursprüngliche Bedeutung von Jesu rituellem Akt bis zur Unkenntlichkeit verwischte" (257), wenn er selbst für diese „ursprüngliche B e d e u t u n g " keine Belege zu erbringen vermag? 8 D e r Blutritus nach E x 2 4 bestätigt freilich den Bundesschluss, er steht noch nicht in Zusammenhang mit der Sündenvergebung, vgl. F. HAHN, Verständnis, 8 7 f . 9 Dieses Gedächtnis Jesu wird dann auf den Gekreuzigten konzentriert und als die Herstellung einer Gleichzeitigkeit mit dem Kreuzesgeschehen begriffen, die aus der hebräischen Vorstellung des P"lDt abgeleitet wird. Diese versteht das Gedächtnis als kultischen, realitätsstiftenden R ü c k b e zug auf ein historisches Ereignis, wodurch es sich von der Vergegenwärtigung eines im Grunde zeitlosen mythischen Ursprungsgeschehens der hellenistischen Mysterien unterscheidet. D e m historischen Ereignis wird dabei ein exklusiver theologischer Mehrwert und Offenbarungscharakter attribuiert, insofern Gott hier „in neuschaffender, siegender Tat zeigt, wer er ist." S. MOWINCKEL, Religion, 77. Freilich verbindet sich dieses Gedenken nicht direkt mit dem kultischen Opfergedanken. So weist F. HAHN, Verständnis, 85, daraufhin, dass es sich beim Herrenmahl gerade nicht um ein Opfermahl gehandelt habe, sondern um „eine Form gottesdienstlicher Gemeinschaft, die sehr bewußt abseits des offiziellen Kultes im Tempel wie in der Synagoge stattfand." Daher ist aus soteriologischer Perspektive noch zu klären, inwiefern sich dieses Gedenken in der Struktur des Opfers reformulieren kann, die Kirche also die R o l l e der Aktantin und Christus die des Gedächtnisobjektes übernehmen kann. Hierher gehört auch das Problem, dass die für eine biblische Messopfertheologie unverzichtbaren Ausführungen des Hebräerbriefes gerade eine ontische Differenz zwischen Urbild und Abbild voraussetzen müssen, um die Sonderstellung des Christusopfers gegenüber den als „Schatten" bezeichneten alttestamentlichen Opfern festhalten zu können, vgl. F. HAHN, Verständnis, 7 7 f . Zur Problematik einer sakramentalen Vergegenwärtigung des Kreuzesereignisses vgl. O. HOFIUS, Für euch gegeben, 3 3 1 . Die Tatsache einer nicht selbstverständlichen Verbindung von sakramentalem Gedächtnis und Opfer entkräftet die Kritik STUFLESSERS, M e m o ria passionis, 269, an H . C h . SERAPHIM und R . MESSNER. J e n e r verweist auf das Vorkommen des GedächtnisbegrifFes in den Abendmahlstexten und beklagt, dass bei Seraphim „das Zeugnis der Schrift nur im R ü c k g r i f f auf R o m 12,1 und die einschlägigen opfertheologischen Aussagen des Hebräerbriefs" opfertheologisch fruchtbar gemacht werde. O b letzterer hier nicht genauer differenziert als sein Kritiker? E. HÖNIG, Eucharistie, 259—261, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass im Konzept einer Eucharistie als dvd|xvr)ot5 bzw. des TI"DT der Adressat dieses kultischen Gedächtnisses unterschiedlich bestimmt werden kann. Gilt das Gedächtnis dem Vater, durch das er sich „durch gewisse, von ihm bestimmte Zeichen und Worte an seine großen W u n dertaten erinnern läßt" (so die Ansicht des Erzbischofs ALEKSIJ, zitiert nach E . HONIG, a.a.O., 2 5 9 ) oder richtet sich das Geschehen an die Gläubigen, so dass in „diesem schöpferischen Handeln Gottes [...] das Heilsgeschehen aus der Vergangenheit Heilsangebot für die Gegenwart und Heilszusage für die Zukunft [wird]"? D o k u m e n t ,Das Herrenmahl', zitiert nach HÖNIG, a.a.O., 2 6 0 . , 0 R . MESSNER, a.a.O., 56, Anm. 166, hebt hervor, dass diese „Anklänge" nur den Tod Christi, nicht aber dessen Gedächtnis betreffen und von einem „Opfer der Kirche" im urchristlichen H e r renmahl daher nicht die R e d e sein kann.

44

Erster Teil:

Voraussetzungen

tikuliert werden kann, ist freilich eine Entscheidung der Interpreten. 11 Zu beachten bleibt dabei, dass mit der Antwort auf die Frage, worin denn das Wesen des christlichen Gottesdienstes bestehe, zugleich etwas über das Gottesverhältnis des Menschen ausgesagt wird. 12 1.1.1

Vom Gemeinschaftsmahl

zur Messe

Die 1 3 den neutestamentlichen Schilderungen des Mahls zu Grunde liegende Struktur des Mahls 14 versucht MESSNER15 in fiinf Merkmalen zu erfassen. Als vorrangige Interpretationskategorie des Todes Jesu wählt er das Gedächtnis. In diesem Modus werde der erinnerte Tod wirksam. Die Qualifikation des Gedächtnisses als Verkündigung (1 Kor 11,26) verbinde es dann notwendig mit dem Moment des Wortes, wobei die Verkündigung sich in der Form des Lobpreises an Gott und als 11 Dabei hat die Interpretation der Deuteworte erhebliche Konsequenzen für das Opferverständnis. Da die Intention der Zeichenhandlung selbst bereits umstritten ist, erscheint es aus exegetischer Perspektive geraten, den Zusammenhang zwischen letztem Mahl und Kreuzestod nicht als selbstverständlich und unumstößlich vorauszusetzen. Vgl. als zwei neuere Interpretationen die gegensätzlichen Positionen bei M.KLINGHARDT, Gemeinschaftsmahl, 301 ff und O.HOFIUS, Für euch gegeben, 323—330. Es erscheint mir daher nicht einleuchtend, wenn M . STUFLESSER, M e m o ria passionis, erst die Berufung auf das „Zeugnis der Schrift" anmahnt (269), um anschließend (270) apodiktisch zu formulieren: „Brot und Wein sind im Kontext der gesamten Eucharistie und speziell in den Darbringungsaussagen als Zeichen der freiwilligen Lebenshingabe Jesu am Kreuz (Aktualpräsenz) zu sehen, und nur insofern sie dies sind, erscheinen sie überhaupt relevant." G. THEISSEN, Religion 184, hält eine sekundäre Deutung des „Mahls" auf den Tod Jesu für denkbar, scheint aber eine andere Lösung zu favorisieren: „Es könnte aber auch sein, dass dieser Todesbezug erst nach Ostern und aufgrund der inzwischen erfolgten Hinrichtungjesu geschaffen wurde. Dafür spricht, dass uns Abendmahlsformen ohne Todesbezug in der Didache (9/10) erhalten sind; dass die Fußwaschung im JohEv an der Stelle des Abendmahls steht und dort beim letzten Mahl keine Deutung der Elemente auf das Sterben Jesu zu finden ist [...]. Dafür könnte schließlich sprechen, dass die Verbindung des letzten Mahls mit der Verheißung des neuen Bundes [...] eine der ältesten Deutungen des Abendmahls ist. Der ,neue Bund' aber ist bei Jeremia nicht mit Opfern verbunden. Er wird im Hebr sogar den alttestamentlichen Opfern bewusst entgegengesetzt (vgl. Hebr 8 , 7 f f ; 10,16f)." 1 2 Daher ist sorgsam zu unterscheiden, ob es um die Messe als Opfer oder um Opfer in der Messe gehen soll. Unter der ersten Fragestellung wird das Wesen der Messe bestimmt, die zweite Perspektive behandelt ein Teilelement. Auch die Stellung der Opferqualifikation innerhalb der j e weiligen Soteriologie ist zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für den Lob und Dank — Aspekt.. So sind zwei Messopferkonzepte nicht schon deshalb kompatibel, weil beide das Opfer als Lob und Dank für das Heilsgeschehen bestimmen. Vgl. zur Problematik R . HEMPELMANN, Sakrament, 27. 1 3 Der Titel der Überschrift ist identisch mit dem, welchen M.KLINGHARDT über die Entwicklung des 2. Jahrhunderts setzt, vgl. derselbe, Gemeinschaftsmahl, 499—534. 1 4 Hier wird mit der neueren Forschung davon ausgegangen, dass H. LIETZMANNS Vorstellung von zwei unterschiedlichen Ursprüngen des Gottesdienstes im synagogalen Gottesdienst (—> Wortgottesdienst) und den Festmählern Jesu (—> Herrenmahl) als legitimierende Rückprojektion des protestantischen Wortgottesdienstes zu begreifen ist. Vielmehr dürften Mahl und Wort von Anfang an zusammengehört haben. Vgl. dazu R . STÄHLIN, Geschichte, 13; H . - C h . SCHMIDT-

LAUBER, A r t . . E u c h a r i s t i e ' , 2 1 2 f ; G . KRETSCHMAR, A r t . , A b e n d m a h l s f e i e r ' , 2 3 1 ; M . KLINGHARDT,

Gemeinschaftsmahl, 499. 15

A.a.O., 28—33. Er weist sein Modell vor allem an der paulinischen Version auf.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

45

„Ansage der durch den Tod Jesu angebrochenen Gottesherrschaft" (28) an die Welt richte. 1 6 Trägt man an diese Interpretation des Herrenmahles die klassischen Opferelemente heran, so ergibt sich also eine Doppelfigur. Das Mahl erscheint als eine Aktivität der feiernden Gemeinde, die einmal Gott, zum anderen die Welt adressiert. Eine Verbindung von Opfer und Eucharistie bzw. Kreuzesopfer lässt sich dann nicht bei allen altkirchlichen Autoren nachweisen: 17 Der erste Klemensbriefbenützt den Opferbegriff zunächst ethisch, um die Ausrichtung des Herzens auf Gott und seinen Willen zu beschreiben. 1 8 Dann spricht er, am Ende eines längeren Abschnittes, über die Notwendigkeit einer Ordnung ( 4 0 - 4 4 ) von Opfern im Zusammenhang mit der unzulässigen Absetzung untadeliger Amtsträgern. 19 Die Didache stellt dann allerdings einen Zusammenhang zwischen der Kulthandlung und dem Opfer her, insofern sie den Dank für Kelch und Brot als iiir/upioxia beschreibt. 2 0 Gedankt wird hier allerdings für eine durch Jesus den M e n schen eröffnete Erkenntnis, 21 weder das Brechen des Brotes noch das Zermahlen 16

D e u t l i c h wird hier bereits die n o c h offene B e s t i m m u n g des Adressaten: D i e zunächst ganz an

die G e m e i n d e gerichtete Verkündigung wird k o m b i n i e r t mit e i n e m Lobpreis an G o t t . Das zweite M e r k m a l bildet die i m M a h l g e g e b e n e Gemeinschaft, die sowohl in der Anteilhabe a m gekreuzigten und e r h ö h t e n Christus (Blut und Leib Christi) als auch durch diese konstituierte K i r c h e b e s t e he. D i e durch diese H i n e i n n a h m e in die H i n g a b e Christi geschaffene Gemeinschaft artikuliere sich dann drittens in der L i e b e füreinander, die d e m Glauben folge, sei viertens eschatologisch ausgerichtet („bis er k o m m t " ) und schließlich mit der Geistgabe verbunden. 17

Vgl. F.M. YOUNG, Art. , O p f e r ' , 2 7 5 f . F. HAHN, Verständnis, 9 0 f , markiert eine Scheidelinie

zwischen den kanonischen und den außerkanonischen Zeugnissen gerade in der Messopferfrage, hätten letztere d o c h „ z u n e h m e n d unter wesentlich anderen Prämissen einen, v o m N e u e n Testam e n t her geurteilt, unspezifischen O p f e r b e g r i f f a k z e p t i e r t . " Diese B e o b a c h t u n g erlaubt es freilich n o c h nicht, sich allzu einfache Vorstellungen von der sich in kopräsenten Prozessen vollziehenden K a n o n i s i e r u n g zu m a c h e n . 18

Vgl. die Kapitel 3 5 und 3 6 , besonders 3 6 , 1 : „Aüxr] r| 0 6 0 5 , ctyanr|TOi, ev fj eiipo(iEV xö ocoxr|piov

r||i' ITv£i>n~a ayiov Ejxupotxa, x a i xaüxa jxoiet x a tmep Xöyov x a i evvoiav." 104

D. WENDEBOURG profiliert diese Differenz sehr stark. Ihre Spitzenformulierung, dass i m

62

Erster Teil:

Voraussetzungen

noch in der Sprachgestalt der gemeindlichen Bitte, Gott als den eigentlich W i r kenden kenntlich und sichert die Kultfeier gegen die Vorstellung einer in religiösen Handlungsvollzügen herstellbaren und inszenierbaren Gottesnähe ab. 105 Damit gewinnt bereits u m 400 das oben beschriebene Ineinander von kirchlichem Dankopfer u n d geistgewirkter Gegenwart des Heils dergestalt an Distanz, dass durch die Wandlungsepiklese nicht nur die Einheit, sondern auch die Differenz von Gottes und der Kirche Handeln in der Messe sichtbar wird. 1 0 6 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wandlungsepiklese das Handeln Gottes in der Messe im Modus der menschlichen Bitte zum Ausdruck bringt. Damit kann einmal das Gotteshandeln noch nicht als wirkliches Gegenüber zum Opfer der Kirche bestimmt werden, denn es artikuliert sich sprachlich gerade als Aktivität der feiernden Gemeinde. Z u m anderen setzt die Bitte um Gottes Gegenwart ja noch nicht voraus, dass diese Gegenwart sich als Präsenz in Leib und Blut Christi verwirklicht. 1 0 7 Damit bleibt eine klare Unterscheidung von Gottes und der Kirche Handeln angewiesen auf die Einsetzungsworte als Schlüssel der Mahlhandlung. Die liturgische Tradition bot also zwei große, einander zunächst nicht ausschließende, aber doch konkurrierende Momente: Einmal das Verständnis der Messe als ein Opfer, welches sich in der speziellen Anamnese artikulierte und sich eindeutig nicht als konkurrierende Wiederholung zum sühnenden Kreuzesopfer, sondern als dessen Repräsentation verstand und zum anderen das Verständnis der Einsetzungsworte als Garant einer Ausrichtung der Messe auf die Gemeinde. Innerhalb des liturgischen Handlungsvollzuges verbanden sich diese beiden M o m e n t e mit der Wahl jeweils unterschiedlicher Elemente zum Schlüssel der Messtheologie. Einmal konnte die Messe ganz von der Anamnese her betrachtet werden, dann M o d e l l E i x a p i c m a „ d e r Lobpreis d e r K i r c h e ü b e r Brot u n d W e i n C h r i s t u s g e g e n w ä r t i g m a c h t " ( W e g R o m s , 451), k a n n d a n n n i c h t m e h r z u m A u s d r u c k b r i n g e n , dass das L o b o p f e r d e r K i r c h e n i c h t in e i g e n e r Kraft o d e r V e r f ü g u n g s g e w a l t eine K o n s e k r a t i o n leistet, s o n d e r n dass in d i e s e m L o b o p f e r d e r H e i l i g e Geist als prinzipales S u b j e k t die V e r g e g e n w ä r t i g u n g leistet. " I 5 A u f die m ö g l i c h e K o n k u r r e n z s t e l l u n g z u r speziellen A n a m n e s e w u r d e bereits o b e n u n t e r §2.1.1.2 hingewiesen. 106 D. WENDEBOURG sieht in d i e s e m Prozess d e r A u s d i f f e r e n z i e r u n g die „ v e r b o r g e n e K r a f t " (a.a.O., 450, A n m . 41) d e r E i n s e t z u n g s w o r t e selbst a m W e r k u n d o r d n e t die E n t w i c k l u n g in die seit d e m 2. J a h r h u n d e r t zu b e o b a c h t e n d e S u c h e n a c h B e r u f u n g s i n s t a n z e n ein (445). Das Verständnis d e r E i n s e t z u n g s w o r t e als verba consecrationis lasse sich d a n n als „ A u s f a l t u n g dessen, was hier v o n j e h e r g e g e b e n w a r " (444) u n d als „ P r o z e ß d e r S e l b s t k l ä r u n g " (452) auffassen, d e r eine A n a l o g i e zu den zeitgleichen trinitätstheologischen Klärungen abgebe. Unbeschadet der historischen Berecht i g u n g ihrer K r i t i k stellt sich allerdings a u c h hier die Frage n a c h d e m d o g m a t i s c h e n V o r v e r s t ä n d nis. Soll e i n e r m a r g i n a l i s i e r e n d e n H ä r e t i s i e r u n g L u t h e r s g e w e h r t w e r d e n , i n d e m die Anschlussfähigkeit seiner T h e o l o g i e an die Alte K i r c h e a u f g e w i e s e n wird? U n d d r o h t hier n i c h t a u c h eine V e r m i s c h u n g v o n D o g m a t i k u n d H i s t o r i o g r a p h i e , w e n n ein die A b e n d m a h l s f e i e r „ v o n j e h e r " ( u n d d a m i t überzeitlich) b e s t i m m e n d e r Sachgehalt a n g e n o m m e n w i r d , d e r sich in d e r K i r c h e n g e s c h i c h t e d a n n k l ä r e n d entfaltet? K a n n h i n t e r d e r Vorstellung v o n J a h r h u n d e r t e n d a u e r n d e n Klär u n g s - u n d D i f f e r e n z i e r u n g s p r o z e s s e n n i c h t ein abstrahierendes universales G e s c h i c h t s k o n z e p t v e r m u t e t w e r d e n , das m i t d e r g e b r o c h e n e n V e r e i n z e l u n g u n d K o n t i n g e n z a u c h d e r D o g m e n g e s c h i c h t e g e r a d e n i c h t E r n s t m a c h e n k a n n u n d so d e r e i g e n e n I n t e n t i o n , H a n d e l n d e r K i r c h e u n d H a n d e l n G o t t e s als b l e i b e n d e s G e g e n ü b e r zu etablieren, schlussendlich z u w i d e r l ä u f t ? 107 Das h e b t WENDEBOURG, W e g R o m s , 4 5 5 , h e r v o r . Sie verweist auf die ältesten E p i k l e s e n d e r Acta T h o m a e .

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

63

wurde die Gegenwart Gottes im dankenden Gedächtnisakt der Gemeinde hervorgehoben. Zum anderen konnten die Einsetzungsworte als das Zentrum der Messe gewählt werden, dann wurde das Geschehen grundsätzlich als Gottes Handeln an der Gemeinde kenntlich. 1 0 8 Zugleich leitete die Wahrnehmung der verba als verba consecrationis eine Entwicklung ein, welche für das Messopferverständnis des M i t telalters entscheidende Relevanz gewinnen sollte.

1.3

Der Canon actionis

Innerhalb dieses theologischen Rahmens soll nun als ein konkretes Beispiel das im Westen wohl wirkmächtigste eucharistische Hochgebet, der römische canon actionis in den Blick genommen werden. 1 0 9 Ein Vergleich mit den zwei großen eucharistischen Typen lässt ihn zwar nicht als Vertreter, wohl aber als Verwandten des epikletischen alexandrinischen Typus erscheinen. 1 1 0 Sein besonderes äußeres Proprium liegt indes in der Eigenart, singuläre Gebete additiv um die als Zentrum verstandenen Einsetzungsworte zu gruppieren 111 und der Veränderlichkeit der Präfation. 1 1 2 Trägt man das oben explizierte altkirchliche Schema an ihn heran, so fällt auf, dass der Kanontext zwei Momente, welche die altkirchlichen Konzeptionen betonten, zurücktreten lässt. Dabei handelt es sich um die Danksagung und dasjenige liturgische Element, welches die Messe als Gottes Handeln an der Gemeinde kennzeichnet: die Epiklese. Diese durch die de tempore-Präfation gegebene Möglichkeit einer Anpassung an den jeweiligen Festanlass führte zu einer Ausweitung der Thematik und ließ die Verbindung von Dank und Anamnese der Heilsereignisse verblassen. 113

1 0 8 Bereits hier ist auf eine dieses Modell durchgängig begleitende Problematik aufmerksam zu machen: D e r Verzicht auf eine Reflexion auf die Kirche bzw. den Amtsträger als eigenständiges Handlungssubjekt, der die Kirche nur als vernehmende und hörende im Messgeschehen wahrnimmt, motiviert sich zwar aus dem Bestreben, die Messe grundsätzlich als Handeln Gottes am Menschen kenntlich zu machen, kann zugleich aber einer ungehemmten weil unthematisierten subtilen Überhöhung der Bedeutung kirchlicher Handlungsvollzüge Vorschub leisten und somit der eigenen Intention zuwiderlaufen. 1 0 9 Vgl. dazu O. CASEL, Meßopferlehre, 362f: „ D e r M e ß k a n o n hat einen doppelten Charakter. Er ist Konsekrationsgebet (Epiklese) und bewirkt als solches (speziell durch die Einsetzungsworte) die Wesensverwandlung; und er ist Opfergebet (Eucharistie) insofern, als er feierlich ausspricht, daß das durch die Wesensverwandlung gegenwärtig gesetzte Opfer Christi nun zum Opfer der Kirche wird." 1111

V g l . J . A . JUNGMANN, M S

1, 7 1 f ; R . MESSNER, 8 4 . I c h f o l g e h i e r R . MESSNER, d e r d i e T e x t -

version der mystagogischen Katechesen ,De Sacramentis' für älter hält als die durch die Sakramentare auf uns gekommene Form. Zur Begründung vgl. derselbe, Meßreform, 85, A n m . 4 . ' 1 1 H . A . J . WEGMAN, a.a.O., 109, spricht vom Canon als einer „merkwürdigen Komposition, in dem nur schwierig eine Struktur zu entdecken ist". Als eine Sammlung von Einzelgebeten b e trachten den Kanon auch H . B . MEYER, Eucharistie, 3 4 9 und STUFLESSER, memoria passionis, 3 0 0 f . 1 1 2 Vgl. J . A . JUNGMANN, Geschichte, 26; M . STUFLESSER, memoria passionis, 3 0 1 . D e m g e g e n über war die Präfation in den östlichen Liturgien unveränderlich. 1 1 3 So finden an dieser Stelle auch Heiligenpassionen oder Lobpreis Eingang, vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2, 128—133. Das M o m e n t des Dankes für die Schöpfung tritt im römischen Kanon zurück, vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2, 1 4 1 . 1 4 9 und R . MESSNER, Meßreform, 8 5 f .

64

Erster Teil:

Voraussetzungen

Die im Mittelalter dann vollzogene Trennung zwischen Präfation und Kanon sollte diese Tendenz verstärken. Nach der Präfation und dem Sanctus folgt zunächst das Te igitur, welches Gott um die Annahme der als heilig und makellos beschriebenen Opfergaben bittet. 1 1 4 Soll dies nicht als vegetabiles Opfer verstanden werden, muss diese Qualifikation der consecranda folglich als ein VorausgrifF verstanden werden. 1 1 5 Eine Ausgestaltung der Anamnese bleibt der speziellen Anamnese im Unde et memores116 vorbehalten. 1 1 7 Sie nennt als das Subjekt des Gedächtnisaktes die gesamte Gemeinde, die jedoch nicht als unterschiedsloses Ganzes, sondern in servi und plebs gegliedert adressiert wird. Der Inhalt des dargebrachten Gedächtnisses orientiert sich am Christusgeschehen, wenngleich die Parusie unthematisiert bleibt. Das Objekt des Darbringungsaktes, die Opfergabe, wird dann zunächst als Gabe Gottes an den Menschen qualifiziert. Brot und Kelch werden hier also als Schöpfungsgaben kenntlich. Dann werden diese Gaben Gottes zu einer reinen, heiligen und unbefleckten Opfergabe des Menschen erklärt. Wie bei den altkirchlichen Eucharistiegebeten besteht die Opfergabe also nicht in Leib und Blut Christi, sondern das ganze Geschehen der Selbsthingabe der Gläubigen, bezeichnet durch die Darbringung von Brot und Wein, ist als Opfergabe aufzufassen. 118 Als Epiklese 1 1 9 1 1 4 Te igitur, clementissime Pater, per Iesum Christum, Filium tuum, D o m i n u m nostrum, supplices rogamus, ac petimus, uti accepta habeas et benedicas, hyec dona, haec munera, haec sancta sacrificia illibata, in primis, quae tibi offerimus pro Ecclesia tua sancta catholica: quam pacificare, custodire, adunare et regere digneris toto orbe terrarum: una c u m famulo tuo Papa nostro N . et Antistite nostro N. et omnibus orthodoxis atque catholicae et apostolicae fidei cultoribus." Zitiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 7 5 f . 1 1 5 Vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2, 117FF; Vgl. die Kritik M.STUFLESSF.RS, a.a.O., 3 0 2 : „Es wird hier nicht ersichtlich, daß sich die Bitte, G o t t m ö g e die Opfergaben annehmen, inhaltlich nur auf das Hineingenommenwerden in die Hingabebewegungjesu am Kreuz beziehen kann. D i e personale Dimension der Deutekategorie ,Opfer' für das Geschick Jesu ist nicht einfachhin auf die Bereitung der Naturalgaben von B r o t und Wein zu übertragen [ . . . ] . " 1,6 „ U n d e et memores, D o m i n e , nos tui servi sed et plebs tua sancta eiusdem Christi Filii tui D o m i n i nostri, tam beatae passionis, n e c n o n et ab inferis resurrectionis sed et in caelos gloriosae ascensionis : offerimus praeclarae maiestati tuae de tuis donis ac datis hostiam puram, hostiam sanctam, hostiam immaculatam, panem sanctum vitae aeternae et calicem salutis perpetuae." Z i tiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 81f. Vgl. die Einschätzung von J . A . JUNGMANN, M S 2, 2 7 0 : „ W i r stehen vor dem zentralen Opfergebet der ganzen Meßliturgie, vor dem primären liturgischen Ausdruck der Tatsache, daß die Messe ein Opfer ist." 1 1 7 So findet sich zwar die spezielle Anamnese des C a n o n Unde et memores in der Epiklese, doch wird die Darbringungsaussage wie im antiochenischen Modell präsentisch formuliert. Vgl. R . MESSNER, a.a.O., 86. 1 1 8 Dies wird vor allem in der Fassung von , D e sacramentis' deutlich, welche der Opfergabe die Adjektive rationabilis und incruenta zuweist und sie damit im Sinne der ih.'oi« Xovr/r| verstehen lässt. Vgl. R . MESSNER, M e ß r e f o r m , 87. Diese Interpretationsmöglichkeit des Kanontextes widerstreitet der Behauptung WISLOFFS, im Z e n t r u m des „römischen Messopfergedankens" stehe nicht das M o m e n t der Sühne, sondern die Opfergabe Leib und Blut Christi, vgl. Abendmahl 57f. Damit gerät natürlich auch Wisloffs Interpretation der Messopferkritik Luthers unter Zugzwang, sieht er diese doch ganz gegen eben diesen „römischen Messopfergedanken" gerichtet. 1 1 9 Damit folge ich R . MESSNER, a.a.O., 88, der gegen J . A . JUNGMANN, M S 2, 2 3 8 , das Quam oblationem (zitiert oben unter § 1.2.1.1) nicht als Wandlungsepiklese, sondern als Bitte um die A n nahme des Opfers versteht.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

65

fungiert dann das Supra quae bzw. das Supplices.120 Damit lassen sich die Opferaussagen des Kanons verstehen als eine Entsprechung zum altkirchlichen Modell, in welchem nicht Leib und Blut Christi dem Vater durch die Kirche geopfert werden, sondern diese um die Gegenwart Christi in der durch die Darbringung von Brot und Wein artikulierten Selbsthingabe der Gemeinde bittet. Freilich entfaltete der Kanon seine liturgiegeschichtliche Wirkung nicht unter der Perspektive der altkirchlichen Eucharistiegebete. Seine bereits im Textbefund ersichtliche Eigenart, die Momente des Dankopfers und der Epiklese zurückzustellen, begünstigte eine zweite, das Mittelalter bestimmende Deutung der Eucharistie als ein Opfer, welche als Aktanten nicht mehr die Gemeinde, sondern den Priester, als Gabe nicht mehr Brot und Wein und die Selbsthingabe der Gemeinde, sondern Leib und Blut Christi benannte und den Opfercharakter der Messe nicht mehr aus der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers, sondern aus dem Handlungsvollzug des Messpriesters ableitete. Wie kam es zu dieser neuen Perspektive auf die Kanontexte?

2 Somatische Realpräsenz

Christi in Modellen des Mittelalters

Eine der wichtigsten Prämissen für das Verständnis der Messe im Spätmittelalter besteht in der Wahrnehmung des Umbruches, welcher sich mit der Inkulturation der römischen Messe in das Frankenreich vollzog. 121 Die Sakramentstheologie und mit ihr die Messe trat damit in einen Vorstellungshorizont ein, der nicht länger von den Fragestellungen der antiken Philosophie geprägt war. Damit wurde der Kult als Inszenierung der Heilswirklichkeit in ein ihm fremdes Wirklichkeitskonzept hineingestellt und sah sich nun anderen Plausibilitätsmustern gegenüber als denjenigen, auf deren Boden er gewachsen und mit deren Logik er verbunden war. Aus dieser Voraussetzung ergab sich ein nicht geringer Adaptionsdruck für die Messtheologie, denn bisher Selbstverständliches stieß nun auf Unverständnis und neue Fragestellungen oder Probleme machten einen Umbau auch der Messopfertheolo1 2 0 D e r Text lautet: „Supra quae propitio ac sereno vultu respicere digneris et accepta habere, sicuti accepta habere dignatus es munera pueri tui iusti Abel et sacrificium patriarchae nostri Abrahae et quod tibi obtulit summus sacerdos tuus Melchisedech, sanctum sacrificium, immaculatam hostiam.

Supplices te rogamus, omnipotens Deus, iube haec perferri per manus angeli tui in sublime altare tuum in conspectu divinae maiestatis tuae, ut quotquot ex hac altaris participatione sacrosanctum Filii tui corpus et sanguinem sumpserimus, omni benedictione caelesti et gratia repleamur." Z i tiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 82, Hervorhebung W.S. Z u r Diskussion um das Quam ohlationem vgl. R . MESSNER, a.a.O., 88f. STÄHLIN, Geschichte 4 2 , spricht dem K a n o n eine Epiklese ab. 1 2 1 H . B . MEYER, Art. .Abendmahlsfeier', 2 7 9 , sieht darin den B e g i n n des Mittelalters für die Liturgiegeschichte. A. FRANZ hindert sein dogmatisch motiviertes Interesse an einer Lehrkontinuität daran, diesen U m b r u c h wahrzunehmen. Vgl. DERSELBE, Messe, 3 5 7 : „ D i e Messe ist den V ä tern die unblutige Repräsentation des Kreuzesopfers. D i e mittelalterlichen Meßerklärer redeten also die Sprache der Väter, wenn sie diesen Gedanken Ausdruck g e b e n . " Entsprechend negativ fällt das Urteil über Kritiker des in AMALARS Messauslegung (s.u.) repräsentierten Wandels aus. So wird FLORUS als ,,rücksichtslose[r] G e g n e r " bezeichnet. A.a.O., 3 5 8 .

66

Erster Teil:

Voraussetzungen

gie erforderlich. Die Darstellung fasst zunächst das Ergebnis dieses Umbruchs zusammen und verfolgt dann einzelne für die Messopfertheologie bedeutsame Linien. 2. 1

2A.1

Die Ablösung

vom platonischen

ontologische

Voraussetzung

Die Neukonstruktion

Bilddenken

als

des Zusammenhanges von Urbild und Abbild

Ihre Affinität zum Piatonismus, 122 der im R a h m e n des Urbild-Abbild-Zusammenhanges die Dimension des Symbolischen als Implikat der Wirklichkeit und nicht als bloße Spekulation minderen Realitätsgehaltes verstehen konnte, hatte es der Messopfertheologie erlaubt, ihre Grundfiguren, das Gedächtnis und die R e präsentation, so zu bestimmen, dass das Messopfer gegenüber dem erinnerten bzw. repräsentierten Kreuzesopfer keinen Realitätsverlust bedeuten musste. Vor dem Hintergrund einer „symbolischen Verfassung der Gesamtwirklichkeit" 123 konnte einem Zeichen hier durchaus Sein attribuiert werden. Der Hinweis, den das Zeichen gab, war nicht „nur" ein Verweis auf anderes Sein, sondern ließ sich selbst als reales Geschehen und Ereignis, ja als Ausdruck einer höheren Seinsstufe, bestimmen. So konnte das Zeichen zugleich die Wirkung des Bezeichneten mitteilen (denn Signifikation meinte keine Realität minderen Ranges oder gar eine Alternative zur Realität) und die Differenz zu diesem Bezeichneten festhalten (denn es handelte sich ja um ein Zeichen und nicht um das Bezeichnete selbst). Der Identität und Differenz gleichermaßen implizierende Begriff des (luotripiov 124 vermochte damit die Einheit des Messopfers mit dem Kreuzesopfer gegen eine dessen Suffizienz gefährdende Selbstständigkeit ebenso zum Ausdruck zu bringen wie beider notwendige Differenz, die einer Wiederholung des Kreuzesopfers wehrte. Voraussetzung dieser Doppelbestimmung war indes eine Vorstellungswelt, welche auch dem hinweisenden Zeichen Seinscharakter zusprach. Der Ubergang von der Antike zum Mittelalter brachte mit dem Zerfall der Stadtkultur und dem Verlust an Bildungsmöglichkeiten demgegenüber einen neuen Realismus mit sich, der die subtilen Möglichkeiten metaphorischer R e d e nicht 122 In seinem Dialog .Kratylos' b e z e i c h n e t PLATO W o r t e als „ W e r k z e u g e " des Geisteshandwerks. U b e r diese instrumentale, die Differenz z u m B e z e i c h n e t e n v e r b ü r g e n d e F u n k t i o n hinaus w i r d aber die Existenz v o n „ S t a m m w ö r t e r n " a n g e n o m m e n , aus w e l c h e n sich unterschiedliche N o m i n a ableiten. D a m i t wird anders als bei ARISTOTELES, der das Z e i c h e n als einen defizienten Seinsmodus versteht, nicht n u r der V e r k n ü p f u n g von Z e i c h e n zu Sätzen, s o n d e r n schon d e n W ö r t e r n selbst Sein zugesprochen. 123 G. WENZ, E i n f u h r u n g , 1; H . - C h . SCHMIDT-LAUBER, Art. .Eucharistie', 217. 124 R . MESSNER, M e ß r e f o r m , 92, beschreibt die F u n k t i o n des M y s t e r i u m - Begriffes f o l g e n d e r m a ß e n : „ D i e K a t e g o r i e des M y s t e r i u m s [...] ist ein durchaus d y n a m i s c h e r Begriff, der d e n B e z u g einer kirchlichen H a n d l u n g , also einer Feier, auf ein dieser z u g r u n d e l i e g e n d e s G e s c h e h e n das W e r k unserer E r l ö s u n g in Jesus Christus [...]— beinhaltet; dabei ist i m gefeierten M y s t e r i u m das erlösende M y s t e r i u m real anwesend, aber in e i n e m M o d u s , der zugleich — da n o c h nicht vollk o m m e n , s o n d e r n n u r d e m G l a u b e n zugänglich — A b w e s e n h e i t einschließt." Vgl. zur antiken u n d biblischen V e r w e n d u n g des Begriffes R . HEMPELMANN, Sakrament, 34—40.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

67

m e h r zu bewahren vermochte. 1 2 5 Das Sakramentsgeschehen artikulierte sich n u n z u n e h m e n d in der D i m e n s i o n des Sichtbar-Literalen, die differenzierte Kopräsenz von Einheit u n d Distanz i m Symbol trat d e m g e g e n ü b e r zurück. Kennzeichen dieser E n t w i c k l u n g ist der Begriff |xuoTf|piov, der vor diesem H i n t e r g r u n d seine B e d e u t u n g wechselte. N u n beschrieb er nicht m e h r die zeichenhafte Präsenz des U r bildes, sondern stand vor allem für die D i m e n s i o n der Unfassbarkeit im Sakramentsgeschehen. 1 2 6 Hatte er innerhalb des platonischen Horizontes eine Verständnismöglichkeit angezeigt, so hielt er jetzt n u r m e h r das Unbegreifliche fest u n d leistete so gerade keinen Beitrag m e h r zu e i n e m weiterführenden Verstehen des Sakramentes.

2.1.2

Die Folgen für das

Messopferkonzept

Für das Anamnesekonzept bedeutete dies, dass mit der Inkulturation der R e a l p r ä senz-Vorstellung in den H o r i z o n t dinglichen Denkens die Gegenwart Christi in den E l e m e n t e n u n d die Gegenwart seines Heilswerkes auseinander traten. C h r i stus w u r d e n u n kraft der von seinem Geweihten vollmächtig rezitierten W o r t e in seinem Leib u n d Blut gegenwärtig. Vor diesem H i n t e r g r u n d gewann die R e z i t a tion des genauen Wortlauts u n d der korrekte, regelgerechte Vollzug f ü r die W i r k samkeit der Sakramente an Bedeutung, 1 2 7 gerade weil Alltags- u n d Kultsprache sich n u n voneinander entfernten u n d die jetzt in lateinischer Sprache vollzogene Messe von vielen nicht m e h r verstanden wurde. D a m i t war das Christusgeschehen u n d mit i h m das Kreuzesopfer allerdings n o c h nicht anamnetisch eingeholt, 1 2 8 123 Vgl. B. HAMM, G o t t e s l i e b e , 19f; G. WENZ, E i n f u h r u n g , 1: „ L i e ß die A n n a h m e e i n e r s y m b o l i s c h e n Verfassung d e r G e s a m t w i r k l i c h k e i t , w i e sie f ü r das p l a t o n i s c h e E m p f i n d e n d e r A l t e n K i r c h e selbstverständlich war, die s a k r a m e n t a l e V e r b i n d u n g v o n s i g n u m ( Z e i c h e n ) u n d res ( b e z e i c h n e t e r G n a d e n g e h a l t ) z u n ä c h s t zu k e i n e m z e n t r a l e n P r o b l e m w e r d e n , so k o m m t es m i t d e m E i n t r i t t des C h r i s t e n t u m s in die Welt d e r G e r m a n e n zu e i n e r Krise d e r s a k r a m e n t a l e n I d e e [...] u n d zu e i n e m A u s e i n a n d e r t r e t e n d e r u r s p r ü n g l i c h v e r e i n t e n effektiv — realistischen u n d signifikativ — spirituellen A s p e k t e des s a k r a m e n t a l e n G e s c h e h e n s . " D i e s e r V e r s t e h e n s h o r i z o n t b e t r i f f t n a türlich a u c h die christologische Z e i t b e s t i m m u n g , i n s b e s o n d e r e die Vorstellung e i n e r R e p r ä s e n t a t i o n bzw. G e g e n w ä r t i g s e t z u n g des K r e u z e s o p f e r s i m M e s s o p f e r . Das w i r d d e u t l i c h a m E r s e t z e n d e r ßgura d u r c h corpus et sanguis Domini nostriJ.Chr. , w e l c h e s d e n alten Realitätsgehalt des Bildes n i c h t m e h r n a c h v o l l z i e h e n k o n n t e . Vgl. R . MESSNER, M e ß r e f o r m , 89. 126

127

Vgl. H . A . J . WECMAN, G e s c h i c h t e ,

147.

So lässt sich das A u f k o m m e n liturgischer B ü c h e r g e r a d e als A u s d r u c k dieses s a k r a m e n t s t h e o l o g i s c h e n R i t u a l i s m u s b e g r e i f e n , d e r a m b u c h s t a b e n g e t r e u e n , stets u n d überall g l e i c h e n Vollz u g d e r Messe interessiert ist. Vgl. A. ANGENENDT, G e s c h i c h t e , 37. Das P r i n z i p des R i t u s , d u r c h stets g l e i c h e n H a n d l u n g s v o l l z u g eine W i e d e r h o l b a r k e i t zu etablieren, ist ein steter Begleiter d e r L i t u r g i e g e s c h i c h t e . Es m o t i v i e r t e bereits CYPRIAN ZU seiner Absage an die N e u e r u n g , d e m W e i n Wasser b e i z u m i s c h e n , die e i n e e n g e r e V e r b i n d u n g z w i s c h e n Selbsthingabe C h r i s t i u n d H i n g a b e g e s i n n u n g d e r G e m e i n d e i n t e n d i e r t e , vgl. B. LANG, Spiel, 2 8 4 ; E . MUIR, R i t u a l , 160. 128 Vgl. E . ISERLOH, A r t . , A b e n d m a h l ' , 89: „ D i e gratiarum actio w u r d e z u r bona gratia, die G o t t u n s s c h e n k t , u n d die in d e r K o n s e k r a t i o n v o m H i m m e l herabsteigt. A u s d e r B e w e g u n g d u r c h C h r i s t u s i m hl. Geist z u m Vater w u r d e ein G e s c h e h e n v o n G o t t h e r z u m M e n s c h e n . " Vgl. zu d i e ser G e g e n ü b e r s t e l l u n g a u c h P.J. FITZPATRICK, eucharistic sacrifice, 135. — Bereits hier ist h e r v o r z u h e b e n , dass diese U n t e r s c h e i d u n g v o n Präsenz C h r i s t i u n d Präsenz des Heilswerkes sich n i c h t n u r aus d i e s e m o n t o l o g i s c h e n P a r a d i g m e n w e c h s e l b e g r ü n d e n muss, s o n d e r n a u c h aus e i n e r b e s t i m m -

68

Erster Teil: Voraussetzungen

wurde die als Ereignis und in einer Handlung kenntliche Gegenwart doch materialisiert gedacht. Dies hatte (zum Teil erst langfristig wirksame) Folgen flir die Bestimmung des Verhältnisses von Kreuzes- u n d Messopfer. D e n n wenn die Kategorie „Bild" einen ontologisch minderwertigen Status besaß, so schied die memoriale R ü c k w e n d u n g der Gemeinde zum historischen Kreuzesopfers als Realisationsmodus der Realpräsenz aus. Die Konzeption des Kreuzesopfers als eines |i.votr|piov wurde also transformiert. Das ihr zu Grunde liegende neuplatonische Bilddenken hatte durch die Vorstellung einer lebendigen Beziehung zwischen Urbild (Kreuzesopfer) und Abbild (Messopfer) sowohl die Einmaligkeit des Urbildes als auch dessen Inszenierung als Feier auszudrücken vermocht. Die neue, ganz auf die Sphäre des Dinglich-Greifbaren konzentrierte Wahrnehmung hingegen konnte die Realpräsenz zwar in sehr massiven Worten zum Ausdruck bringen, eine Aktualpräsenz des Erhöhten im Geschehen der Feier aber nicht mehr aussagen. Die Gegenwart Christi wurde nun nicht durch eine als gemeinsamen Gedächtnisakt verstandene zeichenhafte Darbringung von Schöpfungsgaben, sondern durch den Konsekrationsakt des mit einer besonderen Vollmacht (potestas) ausgestatteten Priesters 129 hergestellt. Das Gedenken mutierte zur Erinnerung, die gemeinsame Zeichenhandlung aller zerfiel in eine Vielzahl „individueller" memorialer Akte. 1 3 0 So bestand das anamten Verhältnisbestimmung von Soteriologie und Ekklesiologie resultieren kann. Dies gilt insbesondere für die Vorschläge von Matti KOTIRANTA, Das Trinitarische Dogma, 115—142. Er sieht eine große ökumenische Chance in einer Rückbesinnung auf die in der protestantischen, römischen und orthodoxen Traditon beheimatete trinitarische Struktur des Gottesdienstes. Der von ihm abgelehnten Identifikation von Predigt und Evangelium, wie sie in der protestantischen Tradition vielfach aufzufinden ist, stellt er dann das frühmittelalterliche Anamnesekonzept als eine Lösung gegenüber: „In diesem Zusammenhang ist es angebracht, auf die liturgische Praxis vor ¡sie!] dem Mittelalter — besonders im 8. und 9. Jahrhundert - hinzuweisen, wo der ganze Gottesdienst mit Predigt anamnetisch verstanden wurde, mit anderen Worten: die Heilsgeschichte e m p fängt in der Liturgie eine Form, die das Geheimnis des Heils vergegenwärtigt. [...] Dazu gehört organisch auch die Sakramentalität des Wortes Gottes." A.a.O., 127f. Die Grenze dieses zunächst verheißungsvollen Vorschlags wird indes schnell offenbar. D e n n dass die großen Konfessionen allesamt eine Trinitätstheologie aufweisen, ist ja unstrittig. Wie innerhalb dieser Lehre aber Gott und Mensch zueinander zu stehen k o m m e n , ist hingegen mit dem bloßen Verweis auf eine „soteriologische E n g f u h r u n g " der lutherischen Konfession und die Flucht in die Aquivokationen trinitarischer Begrifflichkeit noch nicht gesagt. Sein Hinweis auf das doch auch für moderne römische Messtheorien hochproblematische Anamnesekonzept des Frühmittelalters zeigt, dass eine ö k u menische Verständigung misslingt, wenn der theologiegeschichtliche Kontext zu Gunsten eines auf bloßer Aquivozität beruhenden Schlagwortkonsenses ausgeblendet wird. 129 Diese Vollmacht wird später als prinzipiell unverlierbar vorgestellt, vgl. etwa THOMAS, STh 3, q.63 (29, 70—92), vor allem a.5 (29, 85—88): „ U t r u m charakter insit animae indelebiliter". Vgl. die Zusammenfassung STh 3, q.82, a.8 (30, 314): „[...] potestas consecrandi Eucharistiam pertinet ad characterem sacerdotalis ordinis. Character autem quilibet, quia cum quadam consecratione datur, indelebilis est, ut supra dictum est, sicut et q u a r u m e u m q u e rerum consecrationis perpetuae sunt, nec amitti, nec reiterari possunt. U n d e manifestum est quod potestas consecrandi non amittitur per degradationem." 13(1

Vgl. R .

M E S S N E R , M e ß r e f o r m , 9 5 f . A l s Z e u g e n b e n e n n t e r PASCHASIUS R A D B E R T U S ,

der

zwischen Wahrheit und Bild unterscheidet und somit eine Gleichzeitigkeit von Kreuzesopfer und Messopfer zu Gunsten eines subjektiven Denkens an das Kreuzesgeschehen aufhebt. Vgl. dazu auch F. PRATZNER, Messe, 52ff. Paschasius Radbertus bietet dann auch Wundergeschichten, in de-

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

69

netische Moment in der Messe in einer Rückwendung einer Einzelperson, welche, die eigenen Gedanken auf das Kreuzesgeschehen richtend, die jeweiligen zurückliegenden Ereignisse erinnernd Revue passieren ließ. Nach dem Verlust der sakramentalen Dimension der gemeinsamen Erinnerung konnte die memoriale Bezugnahme auf das Kreuzesopfer also mehr und mehr an die fromme Personalität abgegeben werden. 1 3 1 Damit vollzog sich eine zweifache Eingrenzung der aufgegebenen Verhältnisbestimmung. Einmal wurde sie „individualisiert". Eine gemeinschaftliche Ausrichtung am Kreuzesgeschehen, eine Selbstzuschreibung, in der eine Opfergemeinschaft durch eine gemeinsame Ausrichtung auf ein normatives Ursprungsgeschehen eine Identität auszubilden vermochte, wurde dann unmöglich, wenn die einzelnen memorativen Akte nicht mehr kommunizierbar waren. Zum anderen gewann das gedanklich adressierte Kreuzesereignis nur kognitive, nicht aber aktuale Präsenz. Damit wurde einmal auch innerhalb des individuell bestimmten Subjektes eine Grenze gezogen. Folglich blieb dieses Konzept der G e genwart Christi angewiesen auf eine Näherbestimmung des Erinnerns, welche sowohl die Sozialität des Gedächtnisses (kultisches Gedächtnis) gegen eine individualisierende Verengung als auch die Koinzidenz der Zeiten (modalisierte Zeitverständnisse) gegen ein rein chronologisches, lineares Konzept festzuhalten vermochte. Mit dieser Vereinzelung des Kreuzesopfer-Memorials ging dann eine Konzentration auf die Elemente einher. Die kultische Gegenwart Christi, welche die ganze Messfeier bestimmt hatte, wurde nun auf seine besondere Gegenwart in Brot nen die Realität der Gegenwart Christi durch die Gegenwart eines Kindes oder eines blutigen Fingers nach der Wandlung sehr deutlich konkretisiert wird, vgl. RUBIN, Corpus Christi, 116. — Diese Art der Argumentation, welche eine bestimmte Messtheologie durch einschlägige Wunder zu belegen sucht, erfreute sich im Mittelalter großer Beliebtheit. RUBIN, a.a.O., 116, weist sie drei verschiedenen Gruppen zu: 1. Visionen von realen Substanzen (Gerüchen, Geschmäckern, Klängen), die Glauben belohnen oder Zweifel zerstreuen, 2. Ungewöhnliches Verhalten von E l e m e n ten, Tieren oder Menschen, das aus Ehrfurcht vor dem Sakrament oder bloßer Nähe zu ihm resultiert, 3. Erscheinung eines Charakteristikums der Eucharistie (Fleisch, Blut etc.) bei Missbrauch und Bestrafung des Übeltäters (Jude, Hexe, Dieb, nachlässiger Priester). Anders als von R u b i n , ebd., angegeben, unterteilt BROWE, Eucharistische Wunder, nicht in acht Kategorien. Er unterscheidet prinzipiell zwischen denjenigen Wundern, bei denen die Gaben nicht verwandelt werden und den Verwandlungswundern. Z u ersteren zählt er Engel-, Tauben-, Licht- , Spendungs-, Entziehungs-, Unterscheidungs-, Erkennungs-, Sinnen-, Speise-, Spinnen-, Feuer-, sowie T i e r und Pflanzenwunder. Letztere unterteilt er in Verwandlungen in den leidenden Christus, in das Jesuskind, in Fleisch und Blut und infolge von jüdischen Hostienschändungen. Dieser rein phänomenologisch orientierten Auflistung ist indes Rubins funktional ausgerichtete Trichotomie m . E . vorzuziehen. Unter geschlechtsspezifischer Perspektive fällt auf, dass eucharistische Wunder b e sonders heiligen Frauen zugeschrieben werden. Vor allem die Erscheinung eines Kindes in der Hostie und die Lebensfähigkeit nur auf Grund des Hostiengenusses werden hier thematisiert. Die Frauen werden von Christus selbst gespeist oder vermögen konsekrierte von nichtkonsekrierten Hostien zu unterscheiden. Vgl. zum geschlechtsspezifischen Aspekt der Verwandlungswunder RUBIN, Corpus Christi, 1 2 0 f und B . W. A. ZIMMERMANN, G o t t , 6 5 - 7 5 . O b die so artikulierte U n mittelbarkeit zum Zentrum des Sakraments den kirchenrechtlichen Ausschluss vom Amt zu k o m pensieren sucht? 131 Erneut ist daraufhinzuweisen, dass hier das Endresultat dieser Entwicklung beschrieben wird, natürlich geht es nicht um einen plötzlichen U m b r u c h .

70

Erster Teil:

Voraussetzungen

und Wein verdichtet. Weil die Präsenz des Bildes im Abbild nicht mehr selbstverständlich war, gewann die Gegenwart Christi in den Elementen zugleich die Qualität des Exzeptionell-Außerordentlichen, j a Magischen. Lag der Akzent beim altkirchlichen eucharistischen Modell auf der anabatischen Ausrichtung des Geschehens, so wurde unter den geänderten hermeneutischen Voraussetzungen das katabatische Moment vorherrschend. Als eine Folge traten Wandlungsmoment und natürlich die Wandlungsworte besonders hervor. Damit ließ sich das Heilige quantifizieren, gab es doch heilige und besonders heilige Momente in der Messe. Zugleich stärkte das Modell der somatischen Realpräsenz die Differenz zwischen Klerus und Laien, denn kein anderer als der Priester stellte nun die Gleichzeitigkeit zwischen Kreuzes- und Messopfer her. Mit dem Ritualismus und der Aura des Geheimnisvoll-Unverständlichen wuchs das Bedürfnis nach liturgischem Fachpersonal, dem der Vollzug dieses Geschehens anvertraut werden konnte. So förderte diese Entwicklung zugleich die Konzentration auf den Priester und stellte die Gemeinde als Aktantin des Messgeschehens zurück. Ihre anamnetische Aktivität erschöpfte sich in persönlichen Erinnerungsakten, die für die Vergegenwärtigung Christi keine Relevanz mehr besaßen und denen damit keine der Messe eigene Spezifik mehr zukam. Das kultische Gedächtnis und mit ihm die für eine gelingende Verhältnisbestimmung von Kreuzes- und Messopfer notwendige Zeitbestimmung ging verloren. 1 3 2 Für die Ekklesiologie bedeutete dieser Verlust der Communio-Dimension eine Neubestimmung. Das zeigt beispielhaft die Zielbestimmung des eucharistischen Handelns, welche sich als Verhältnisbestimmung von Kirche (corpus Christi) und Eucharistie (corpus mysticum) reformulieren lässt. 133 In den Epiklesen der Alten Kirche zielte die Wandlung der Elemente auf die Wandlung der Gemeinde. 1 3 4 Nun verselbstständigte sich das Wandlungsmoment und stieg zum Zentrum und eigentlichen Ziel der Messe auf. Die in der Kommunionepiklese als Ergebnis des Geisteshandelns adressierte Kirche wurde nun aus dem allein der Wandlung der Gaben vorbehaltenen Begriff corpus verum entlassen und mit corpus mysticum bezeichnet. 1 3 5 Der Opfercharakter der Messe ließ sich unter diesen Voraussetzungen nicht mehr aus dem Kreuzesopfer ableiten. War die 1 3 2 R . MESSNER, Meßreform, 9 7 , illustriert dies an dem für die allegorische Messauslegung initiativ wirkenden AMALAR VON METZ, der sakramentales Gedächtnis und individuelle Erinnerung parallelisieren kann: „In sacramento panis et vini, necnon etiam in memoria mea, passio Christi in promptu est." L. Off. 3, 25, 1, (PL 105, 1141) Weitere Beispiele der mittelalterlichen Passionsmeditation bietet Bardo WEISS, Eucharistie, 2 2 8 .

Vgl. R . MESSNER, a.a.O., 1 1 0 - 1 1 3 . Vgl. die ostsyrische Anaphora der Apostel ADDAI und MARI. D o r t wird die Wandlungsbitte für die Gaben (benedicat et sanctificet) final mit der Wandlung der Gemeinde verbunden (ut sit n o b i s . . . ) . Ebenso die Jakobos-Anaphora: „sende auf uns deinen Heiligen Geist, damit er k o m m e und dieses Brot zum heiligen Leib Christi und diesen Kelch zum kostbaren Blut Christi mache, damit sie allen, die an ihnen teilhaben, zur Vergebung der Sünden gereichen ... " . Zitiert nach R . MESSNER, a.a.O., 72. 1 3 5 R . MESSNER, a.a.O., 111, weist dies erstmals für den .Tractatus de sacramentis' eines Magister Simon im 12. Jahrhundert nach. D o r t heißt es: „In sacramento altaris duo sunt: id est corpus Christi verum, et quod per illud significatur: corpus eius mysticum, quod est ecclesia." Kirche und Eucharistie sind also konfrontierbare Entitäten. 133 134

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

71

Messe im eucharistischen Modell ein Opfer, weil in ihr das Kreuzesopfer Christi zum Ausdruck kam, so entfiel mit der Differenzierung zwischen wahrhafter und bildlicher Gegenwart auch die Begründung der Opferqualifikation aus dem Kreuzesopfer. Sollte die Messe dennoch weiterhin als Opfer gelten, so musste sich die R e d e vom Messopfer in den in der Messe selbst vollzogenen Handlungen begründen. 1 3 6 Folglich war die Messe fortan ein Opfer, weil in ihr der Priester Leib und Blut Christi dem Vater opferte. 1 3 7 Der liturgische Vollzug selbst blieb dabei mehr und mehr auf Gesten angewiesen, wollte er die Messe als Kommunikationsgeschehen bewahren. 1 3 8 Betrachtet man diese langfristige Entwicklung, so ist freilich nicht nur der Verlust der Gemeinschaftsdimension der Messe hervorzuheben. Neben der äußeren Monopolstellung des Priesters ist zugleich eine innere Emanzipation des einzelnen frommen Laien vom Messgeschehen festzustellen, denn in seiner individuellen Erinnerung vollzieht sich nun das, was als normative Rückbindung vorher von der Gemeinschaft getragen wurde. So fuhrt die Entwicklung einerseits zu einem äußeren Machtzuwachs für den professionellen Opferaktanten. Zugleich aber wird mit dem Aufkommen der allegorischen Messauslegung die Voraussetzung für eine Aufwertung der Individualfrömmigkeit geschaffen. Diese Stärkung des Unterschiedes zwischen Priester und Volk profiliert damit insgesamt die Differenz zwischen äußerem Handlungsvollzug und innerer Anteilnahme in der Messe. Besondere Wirksamkeit erreichte dieser mit der fränkischen Inkulturation vollzogene Umbruch schließlich durch die karolingische Politik der Vereinheitlichung, die im Rahmen ihres politischen Leitgedankens auch die Liturgie zu unifizieren such-

1 3 6 Vgl. A. ANGENENDT, Missa specialis, 2 1 9 f , zum messopfertheologischen U m b r u c h der K a rolingerzeit: „Die Gläubigen bringen Brot und Wein dar; der Priester nimmt diese Gaben entgegen und wandelt sie zu Leib und Blut Christi, und als gewandelte Gaben bringt er sie dann Gott zum Opfer dar. Es schien dabei undenkbar, daß Gott sich dem Opfer seines Sohnes entziehen könnte. Darum war dieses Opfer unfehlbar und von höchstem Wert, gerade auch dann, wenn es von Gott etwas zu erlangen galt [...] Nicht mehr das Sich - Anschließen an das vergegenwärtigende Selbstopfer Christi stand hier im Mittelpunkt, sondern das Opfern des Herrenleibes und H e r renblutes als eines impetratorischen Opfers." 1 3 7 Vgl. E . ISERLOH, Art. .Abendmahl', 90: „Aber weil dem Bild keine Wirklichkeit zukommt, kann sie [sc. die Messe] als repraesentatio passionis nicht schon Opfer sein. Das R e a l m o m e n t muß noch eigens hinzukommen in der Opferung des Leibes und Blutes Christi durch den Priester." 1 3 8 So wurden nun vermehrt Segenszeichen in den Messverlauf aufgenommen und die G a b e n bereitung ausgestaltet, vgl. H . A . J . Wegman, Geschichte, 148. 1 3 9 D i e gallische Liturgie kannte anders als der römisch-afrikanische Zweig kein normatives Zentrum. Die liturgische Situation entsprach damit der politischen. Karl ersuchte HADRIAN I. um ein Exemplar eines römischen Sakramentars. Dieser übersandte ihm das sog. ,Hadrianum', eine Version des .Gregorianum'. Die Bischöfe wies Karl an, nach Abschriften dieses, von BENEDIKT VON ANIANE bearbeiteten Exemplars die Gottesdienste ihrer Diözesen zu gestalten. Vgl. R . STÄHLIN, Geschichte, 37; H . B . MEYER, Art. ,Abendmahlsfeier', 2 8 1 ; M . METZGER, Geschichte, 1 1 8 126; J . A . JUNGMANN, Geschichte, 28f; A. ANGENENDT, Missa specialis, 2 0 9 . Z u r Rezeption der r ö mischen Liturgie im Frankenreich vgl. T h e o d o r KLAUSER, Die liturgischen Austauschbeziehungen zwischen der römischen und der fränkisch-deutschen Kirche vom 8. bis zum 11. Jahrhundert, in: HJ 5 3 (1933), 1 6 9 - 1 8 9 .

Erster Teil:

72

2.2

Voraussetzungen

Das Neuverständnis des Messkanons

Für die Messe bedeutete dieser Verlust des ontologischen Rahmens, dass das M o dell einer Verwirklichung der Gegenwart Christi im Dankhandeln der Gemeinde nun nicht mehr zu plausibilisieren war. Denn diese Vorstellung basierte j a darauf, dass Christus als das Urbild sich in diesem gemeindlichen Handlungsvollzug so abbilden konnte, dass er in dieser Abbildung auch real gegenwärtig war. Wenn Abbild und Zeichen auf Urbild und Bezeichnetes aber nur hinwiesen und keine ontologische Verbindung herstellten, dann konnte Christus in der Messe auf diese Weise auch nicht gegenwärtig werden. Sollte seine Präsenz aus der Messe nicht verabschiedet werden, musste sie also innerhalb eines neuen, literalen Wirklichkeitsverständnisses neu plausibilisiert werden. 2.2.1

Die somatische Realpräsenz

Christi

Hier konnte an das zweite von der altkirchlichen Messtheologie bereitgestellte messtheologische Moment, nämlich die Verbindung der Konsekration mit den Einsetzungsworten, angeknüpft werden. Indes wurde gerade nicht die durch deren Sprachgestalt festgehaltene Handlungsrichtung der Messe auf die Gemeinde hin zum messtheologischen Paradigma gewählt, sondern die Perba wurden vor allem unter dem Aspekt ihrer konsekratorischen Wirkkraft auf die Elemente wahrgenommen. Was zuvor Sache des unverfugbaren Geisteswirkens war, das wurde nun benennbar formalisiert. Die anamnetischen Aktivitäten der Gemeinde verloren damit ihre Bedeutung für die Verwirklichung der Realpräsenz Christi. Diese hing nun ganz an dem wirkmächtigen Christuswort selbst. 14 " Mit der Verabschiedung der eucharistischen Messkonzeption ging zugleich das Modell einer Vergegenwärtigung Christi in einer Handlung verloren. Statt dessen suchte man seine Präsenz in dinglich-sachlichen Kategorien zu erfassen. 141 So trat an die Stelle der Aktualpräsenz in der Dankesdarbringung der Gemeinde die somatische Realpräsenz in den Elementen. 1 4 2 Die innerhalb einer symbolisch verfassten Wirklichkeitskonzeption mögliche Kopräsenz von Bild und Abbild löste sich nun in das Nacheinander einer Wandlungsvorstellung auf. 1 4 3 ,4I)

D e r genaue Z e i t p u n k t , wann aus B r o t und W e i n Leib und B l u t Christi würde, blieb freilich

Gegenstand theologischer Diskussionen. Insbesondere die A u f n a h m e der aristotelischen P h i l o s o phie und der Transsubstantiationsvorstellung brachten hier n e u e theologische Herausforderungen mit sich. 141

Es wurde nun üblich, die Hostie auf die Z u n g e zu empfangen. Diese F o r m h o b n e b e n der

sinnenfälligen D i m e n s i o n die G e g e n w a r t Christi in den E l e m e n t e n hervor. Vgl. H.A.J.WEGMAN, Geschichte, 1 4 8 . Z u r späteren ekklesiologischen B e d e u t u n g der H a n d k o m m u n i o n vgl. den A b schnitt über die R e z e p t i o n Luthers in W i t t e n b e r g . 142

Vgl. A. GERKEN, T h e o l o g i e , 1 3 6 . Seine O p t i o n für das eucharistische M o d e l l lässt ihn diese

E n t w i c k l u n g allerdings nur als B r u c h mit der Alten K i r c h e w a h r n e h m e n . Das M o d e l l der somatischen Realpräsenz begegnet als ,,verengte[r], verdinglichte[r] Verstehenshorizont" ausschließlich negativ. L u t h e r erscheint als „letzter Vollstrecker einer F e h l e n t w i c k l u n g " , sein K o n z e p t als „völlig u n b e f r i e d i g e n d " und seine T h e o l o g i e als durch die Problemstellung „ ü b e r f o r d e r t " . 143

A u c h E . ISERLOH, Art. .Abendmahl', 9 1 , stellt schlagwortartig die Vorstellung einer U m -

wandlung (|iETaßoW|) gegen den Symbolismus.

§2

2.2.2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

73

Das Messopfer als Opfer von Leib und Blut Christi

Mit der Bindung der Präsenz Christi an die Konsekrationsworte und die Elemente war freilich erst ein Teilmoment der Eucharistiekonzeption unter den neuen o n t o logischen Bedingungen reformuliert. D e n n inwiefern die dergestalt konzipierte Gegenwart Christi als Opfer zu verstehen sei, war ja noch nicht gesagt. Die bisherige Opferkonzeption einer Selbstdarbringung der Gemeinde hatte Kreuzes- und Messopfer durch eine menschliche Strukturanalogie (Hingabe der Gemeinde analog Christi Kreuzeshingabe an den Vater) und das Wirken des Geistes verzahnt. Diese Z u o r d n u n g wurde nun zweifach aufgelöst.

2.2.2.1

Die Trennung von Präfation und Kanon

Z u m einen löste sie sich durch die Einfuhrung einer Zäsur zwischen Präfation und Te igitur,144 Damit war die Wortanamnese vom Z e n t r u m der Opfermesse getrennt. Inhaltlich akzentuierte sie die retrospektive Ausrichtung des Dankopfers durch den Lobpreis der Heilstaten Gottes. Wurde sie als Schlüssel zu den Opferaussagen des Kanons begriffen, dann konnte das Messopfer seine retrospektive Ausrichtung wahren. Eben dieser Zusammenhang löste sich aber seit dem 8. Jahrhundert. 1 4 5 Der Kanon wurde nicht mehr im Lichte der nun als Vor-rede betrachteten 1 4 6 Präfation gebetet, und die Opferaussagen emanzipierten sich von der Funktion eines rückblickenden Lobpreises. 147 Z u d e m rückten durch die Fixierung des Momentes der Wandlung die Opferaussagen des Unde et memores148 nun nach das M o m e n t der Konsekration. 1 4 9 Da überdies die Auszeichnung der Opfergabe als rein, heilig und unbefleckt, welche ursprünglich das innere Opfer der Selbsthingabe gegen die äußeren Sach- und Tieropfer profilierte, leicht auf die Opfergabe Christus zu übertragen war, konnte sich nun 1 5 0 durch die Kombination der neu herausgestellten 144 „Te igitur, c l e m e n t i s s i m e Pater, p e r I e s u m C h r i s t u m , F i l i u m t u u m , D o m i n u m n o s t r u m , supplices r o g a m u s , ac p e t i m u s , uti accepta habeas et b e n e d i c a s , hyec d o n a , h a e c m u n e r a , h a e c sancta sacrificia illibata, in p r i m i s , q u a e tibi ofFerimus p r o Ecclesia tua sancta catholica: q u a m p a c i ficare, custodire, a d u n a r e et regere digneris t o t o o r b e t e r r a r u m : u n a c u m f a m u l o t u o Papa n o s t r o N . et Antistite n o s t r o N . et Omnibus o r t h o d o x i s a t q u e catholicae et apostolicae fidei c u l t o r i b u s . " Z i t i e r t n a c h BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 7 5 f. 145 Vgl. J. A. JUNGMANN, M S 2, 125f. Als B e l e g n e n n t er das Schriftbild d e r M e s s b ü c h e r . F ü r d e n B e g i n n des Te igitur w ä h l t e m a n u r s p r ü n g l i c h n i c h t e i n m a l eine n e u e Zeile. A b d e m S . J a h r h u n d e r t w i r d d a n n ein zusätzlicher A b s t a n d e i n f ü g t , später die Initiale T z u r D a r s t e l l u n g des crucifixus ausgestaltet u n d schließlich zu e i n e m K a n o n b i l d e r w e i t e r t . A. ANGENENDT, G e s c h i c h t e , 4 8 9 , verweist z u d e m darauf, dass bereits d e r E i n s c h u b des Sanctus i m 5. J a h r h u n d e r t e i n e u n g e w o l l t e Zäsur zwischen Präfation u n d K a n o n bedeutete. 146 Vgl. N M A 125, 14f: „[...] P r e f a t i o - das ist die v o r r e d e des C a n o n - [...]." 147 Vgl. R . MESSNER, M e ß r e f o r m , 85, w e l c h e r d e r mittelalterlichen Messe e i n e n „ w e i t g e h e n d e n Verlust d e r D i m e n s i o n d e r w o r t h a f t e n A n a m n e s e , des O p f e r des L o b e s " z u r Last legt. 148 Zitiert oben unter §2.2.1.2. 149 Vgl. ANGENENDT, Missa specialis, 177. 150 D i e systematisierende D a r s t e l l u n g v o n M o d e l l e n e r w e c k t d e n E i n d r u c k eines a l l g e m e i n e n u n d s p o n t a n e n U m b r u c h e s . D e s h a l b ist d a r a u f h i n z u w e i s e n , dass n o c h in d e n M e s s e r k l ä r u n g e n d e r k a r o l i n g i s c h e n Z e i t d u r c h a u s b e i d e M o d e l l e in u n s c h a r f e r A b g r e n z u n g n e b e n e i n a n d e r zu fin-

Erster Teil:

74

Voraussetzungen

Zentralstellung der Einsetzungsworte mit der hergebrachten Opferqualifikation eine Neukonzeption des Messopfers vollziehen.151 2.2.2.2

Die Opfergabe

Einmal bestimmte sich hier die Opfergabe in der Messe neu. Im Rahmen des anamnetischen Dankopfers stand an dieser Stelle die Selbsthingabe der Gemeinde, es handelte sich also um eine innerliche und geistige Gabe, die materiellen Gaben fungierten nur als Indiz einer Gesinnung. Unter dem neuen Blickwinkel verselbstständigten sich die materiellen Gaben nun mehr und mehr und verloren ihre Indikatorfunktion. 152 Das Messopfer erschien als ein Opfer des Leibes und Blutes Christi. Damit wurde zugleich die Geschehensrichtung der Messe modifiziert. Nicht mehr der Dank an Gott, sondern die durch die Konsekrationsworte erwirkte Herabkunft Gottes in der Konsekration und die anschließende Opferung der konsekrierten Gaben an den Vater kennzeichnete nun das Messgeschehen. 153 Die Logik dieses Opfers verdeutlichen die karolingischen Messerklärungen. So versteht A M A L A R in der bereits genannten ,Expositio' die Gabentrias des Te igitur154 als freiwillige Gaben (= dona), Gaben, die im Blick auf eine Belohnung geopfert würden (=munera) und konsekrierte Gaben (= sacrificia).155 den sind: Das Lobopfer als Selbsthingabe der Gemeinde vertritt etwa die Messerklärung ,Quotiens contra se', zugleich kennt FLORUS VON LYON zwar keine explizite Opferung von Leib und Blut, deutet die Adjektiva des Unde et memores aber auf Christus. Ebenso verfährt die Messerklärung .Primum in ordine'. Klar und deutlich gibt sich dann RUPERT VON DEUTZ, D e div.off. 2, 2 (PL 170, 34), als Vertreter des neuen Messopfermodells zu erkennen: „ N o n ergo solum panem et vinum, quae corporaliter videntur, sed et quod non nisi fidei oculis aspicitur, Verbum Dei, Filium Dei offert sancta Ecclesia novum et verum immolans sacrificium [ . . . ] . " 1 5 1 Allein dieser Sachverhalt deutet bereits auf eine grundsätzliche Spannung zwischen Einsetzungsworten und Messopferqualifikation hin. 1 5 2 Kennzeichen dieser Materialisierung des Opfergedankens ist auch die Austauschbarkeit der Opfermaterie. So bringen die Gläubigen neben Brot und Wein auch verschiedene Wertgegenstände wie etwa Wachs, schließlich auch Geld. Vgl. ANGENENDT, Geschichte, 4 9 3 . D i e Sanktifizierung von Brot und Wein zeigt die bezeichnenderweise seit karolingischer Zeit besonderes A u genmerk beanspruchende Zubereitung des liturgischen Brotes. Verwendet werden makellose Körner, die mehrfach gereinigt werden. D e r Mahlvorgang wird durch Verhängung der Steine der Öffentlichkeit entzogen, ebenso werden die frisch gebackenen Hostien mit einem Tuch bedeckt. An die Aktanten werden besondere Anforderungen gestellt. Sie bereiten sich durch mehrmalige Waschungen und Gebete vor, tragen liturgische Kleidung und sorgen durch Sicherungsvorkehrungen dafür, dass M a h l - und Backvorgang möglichst ohne Missgeschicke ablaufen können. ANGENENDT, Geschichte, 492f; RUBIN, Corpus Christi, 42. Erneut werden hier also die für ein defensives Reinheitskonzept konstitutiven Elemente sichtbar. Durch R e i n i g u n g und Exemtion soll die Sakralität gegen die Profanität abgesichert werden. Z u m Umgang mit den Consecrata vgl. RUBIN, Corpus Christi, 4 3 - 4 9 . 1 5 3 Vgl. E . ISERLOH, Art. .Abendmahl', 89. Freilich darf nicht übersehen werden, dass hier die durch die Vorstellung einer Konsekration der Elemente durch die Abendmahlsworte genährte U m k e h r der Handlungsrichtung nur ein Teilmoment der Messe bildet. Durch die zugleich aufrecht erhaltene Opferqualifikation blieb die anabatische Grundrichtung stets gewahrt. 1 5 4 D e r Text findet sich abgedruckt unter § 2 . 2 . 2 . 2 . 1 . 1 5 5 Vgl. A. ANGENENDT, Missa specialis, 182, der hierfür zahlreiche Beispiele aus zeitgenössischen Messerklärungen beibringt.

§2 2.2.2.3

Der

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

75

Opferaktant

Z u g l e i c h e r g a b s i c h aus d i e s e m P a r a d i g m e n w e c h s e l e i n e N e u b e s t i m m u n g des O p feraktanten, insofern diese E n t w i c k l u n g a u c h zu e i n e r o n t o l o g i s c h e n D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n Priester u n d Laien beitrug. S c h o n die D i f f e r e n z v o n Alltags- u n d Kultsprache hatte liturgisches Fachpersonal erfordert u n d eine Stratifikation b e g ü n s t i g t . 1 5 6 I n d e m M a ß e , i n w e l c h e m d i e verba als verba consecrationis

zum theologi-

s c h e n Z e n t r u m d e r M e s s o p f e r k o n z e p t i o n w u r d e n , s e t z t e s i c h a u c h d e r P r i e s t e r als ä u ß e r e r H a n d l u n g s t r ä g e r dieses G e s c h e h e n s 1 5 7 v o n d e r G e m e i n d e a b . 1 5 8 D i e z u n e h m e n d Unterschiede etablierende W a h r n e h m u n g von priesterlicher und g e meindlicher R o l l e i m Messopfer fand dann ihren Ausdruck i m K i r c h b a u , 1 5 9 d e m Zurücktreten der G e m e i n d e k o m m u n i o n ,

w e l c h e die alleinige

Priesterkommu-

1 5 6 G. BIEL beruft sich auf GREGOR, wenn er die kirchliche Hierarchie nach der Austeilung des kirchlichen Gnadenschatzes beschreibt: „Secundum hoc ergo sunt in ecclesiastica hierarchia diversi status et ordines, secundum quos christi ministerium peragitur, ecclesia regitur, gratie et dona dispensantur. Unde sicut papa ratione supremitatis potestatem habet dispensandi thesaurum ecclesie [...], ceteri quoque episcopi certos indulgentiarum dies concedunt, immo et simplices sacerdotes de eodem thesauro per penitentie sacramentum indulgentiam a penis largiuntur, per applicationem thesauri ecclesie ad illas vel illas personas secundum concessam potestatem." L.26D (1, 242). Dann fährt er fort: „Ex quo sequitur quod sacerdos non tantum est Organum et instrumentum, et per hoc non habens virtutem applicandi actionem vel actionis effectum, sed est etiam minister et dispensator. Licet enim bonum quod impetratur virtute sacrificii non impetretur virtute meriti personalis ipsius sacerdotis [...]." L.26E (1, 243). 1 5 7 Eine von A. FRANZ, Messe, 343, Anm. 1, mitgeteilte St.Galler Handschrift aus dem 9. Jahrhundert (CSG 40, 304) bietet in der Form von Katechismusfragen das messtheologische Wissen, welches der Bischof dem Priesterkandidaten abverlangt. Uber den Priester heißt es dort: ,,I. I n t e r r o g a t i o : Die mihi pro quid es presbiter ordinatus. R e s p o n s i o : Ad adnunciationem uerbum diuinum et ad tradendum baptismum uel lauacrum paenitenciae et hostiam offerre deo o m nipotenti pro salute uivorum ac requiae defunetorum." AMALAR von Metz, D e ecclesiasticis officiis, 3 , 2 0 (PL 105, 1132), benennt den Priester als einzigen Aktanten: „Sacerdotis solius est soli Deo offerre sacrificium [...]. Q u o d omnibus licet simul agere, id est gratias referre Deo, hoc acclamatur: Quod ad solum sacerdotem pertinet, id est, immolatio panis et vini, secreto agitur." THOMAS begründet S T h 3, q.83 a.4 ad 6. (30, 355) die unhörbare Rezitation der Einsetzungsworte damit, dass dieser Messteil nur den Priester angehe: „Quaedam vero pertinent ad solum sacerdotem, sicut oblatio et consecratio; et ideo quae circa haec sunt dicenda, occulte a sacerdote dicuntur." 1 5 8 R . MESSNER, Meßreform, 91 u.ö., sieht in diesem Moment einen einschneidenden Wandel gegeben, der zwischen der ursprünglichen Intention des Kanons und seiner mittelalterlichen Interpretation zu unterscheiden nötigt. In kritischer Absicht formuliert er: „Leib und Blut Christi wurden damit als Realitäten angesehen, an denen der Priester — und nur er — unmittelbar handeln konnte, und das heißt vor allem: die er opfern konnte, wodurch das Opfer Christi dargestellt werden sollte. Die Auffassung, daß in der Messe der Priester als ,alter Christus' die sakramentalen Realitäten von Leib und Blut Christi darbringt — die gravierendste Uminterpretation der mittelalterlichen Eucharistielehre —, ist also Folge der isolierten Sicht der .Wahrheit' des Leibes und Blutes Christi im Unterschied zur (nur) bildhaften Realität der gesamten eucharistischen Handlung." 1 5 y D e r Altar wird in die Apsis versetzt und der Priester steht nun mit dem R ü c k e n zur G e meinde. Zugleich wird der Altarraum zum priesterlichen Bezirk, während der Gemeinde das Kirchenschiffzugewiesen bleibt. Damit bringt bereits die äußere Aufstellung während der Feier eine Hierarchie zum Ausdruck und das Gemeinschaftsmoment tritt zurück. Vgl. H. A.J. WEGMAN, G e schichte, 150.

76

Erster Teil: Voraussetzungen

nion zur Regel und für den Zelebranten zur Pflicht 1 6 0 machte, und dem R ü c k gang der Handkommunion. 1 6 1 Mit seiner wachsenden opfertheologischen Bedeutung wurden zugleich die Disposition und innere Reinheit des Opferaktanten immer wichtiger. Dies bezeugt die Personalisierung der Apologien. 1 6 2 Insgesamt gewinnt schließlich das priesterliche Handeln konstitutive Bedeutung für die Messe. 163 Paradigmatisch deutlich wird diese Neukonzeption an dem Verständnis des Unde et memores,164 wie es etwa die Messerklärung LOTHARS VON SEGNI aufweist: Diese W o r t e aber b e z i e h e n sich n i c h t auf die u n k o n s e k r i e r t e n E l e m e n t e , s o n d e r n v i e l m e h r auf die (bereits) k o n s e k r i e r t e n E l e m e n t e , u n d zwar f o l g e n d e r m a ß e n : Wir, deine Diener n ä m l i c h die Priester und dein heiliges Volk n ä m l i c h das christliche Volk (denn was das Volk i m G e b e t tut, das vollenden die Priester i m M y s t e r i u m ) opfern deiner erhabenen Majestät.165

Die Entwicklung der beiden folgenden Jahrhunderte baute die Sonderstellung des Priesters dann zu einem „liturgischen M o n o p o l " aus. So bestand die unumstrittene Hauptfunktion des mittelalterlichen Priesters in der Darbringung des eucharistischen Opfers. 1 6 6 Kennzeichen dieser Entwicklung sind die Ordnungskriterien der liturgischen Bücher. Bei der Einführung des römischen Gregorianum bedurfte 160 £)j e p r a g C i 0 b der Priester zelebriere ohne zu kommunizieren, zählte zu den Visitationsfragen. Offensichtlich verzichteten vor allem skrupulöse Priester auf die Kommunion. Die im 9. Apostolischen Kanon geforderte Kommunion des Zelebranten richtete sich ursprünglich nicht gegen Priester, die in der eigenen Messe die Kommunion verweigerten. Vgl. A. FRANZ, Messe, 77. 161 Seit dem 9. Jh. wurde das Berühren des Sakraments mit den Händen als Privileg des Priesters betrachtet und den Laien verboten, vgl. A. HEINZ, Art. .Eucharistische Frömmigkeit', Sp. 1165. 162 Vgl. B. LUYKX, De oorsprung van het gewone der Mis, Utrecht 1955, 14, in deutscher Ubersetzung zitiert nach WEGMAN, Geschichte, 151: „Während also der Ordo R o m a n u s I eine Beschreibung eines aktuell vollzogenen Rituals bleibt [...], bestimmt für einen Großgottesdienst des ganzen Klerus und der Gläubigen, wird es hier beim Ordo Missae gerade u m ein persönliches Gebetsschema gehen, allein bestimmt für die persönliche Devotion, das Erleben des Zelebranten. Wir stoßen hier also auf eine ausgesprochene Klerikalisierungstendenz in der Liturgie." 163 R . MESSNER urteilt: „Konstitutiv für die Feier wird also ein Tun der Kirche (nämlich des Priesters), das mit dem Tun Christi zusammenzufallen droht; die Relation Christus — Kirche als Verhältnis von Haupt und Leib ist in Gefahr, einer Identifizierung von Christus und Kirche zum Opfer zu fallen." Meßreform, 95. Dabei ist allerdings anzumerken, dass das Handeln der Kirche auch in einer Bestimmung des Messopfers als Dankopfer zumindest mit — konstitutive Bedeutung besitzt. 164 Zitiert oben unter §2.1.3. 165 „Sed verba non pertinent ad eucharistiam consecrandam, imo pertinent ad eucharistiam consecratam hoc modo: Nos tui servi, videlicet sacerdotes, et plebs tua sancta, scilicet populus Christianus, (nam quod populus agit voto, sacerdotes peragunt mysterio) offerimus praeclarae majestati tuae." De Sacro Altaris Mysterio, 5, 2 (PL 217, 288). Die Kanonzitate habe ich durch Kursivdruck kenntlich gemacht. 166 P.F. BRADSHAW, Art. .Priester / Priesteramt', 417. Vgl. auch S. KARANT-NUNN, R e f o r m a tion, 110: „Standing between the altar and the congregation in the theater of the Most High, they [sc. the priests, W.S.] were structurally as well as functionally the link between God and the c o m munity. By priestly privilege, they were able to bring God the Son into a more immediate presence than otherwise existed within the nonetheless electric milieu of the sanctuary." Aus bußgeschichtlicher Perspektive wurde die Rolle des Priesters dann nochmals ab dem 13. Jahrhundert aufgewertet. Bei DUNS etwa ist es die priesterliche Absolution, die aus der bloßen attritio eine rechtfertigende contritio macht. Vgl. dazu B. HAMM, Gottesliebe, 32; M. OHST, Pflichtbeichte, 124.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

77

Messopfergedankens

es n o c h v e r s c h i e d e n e r libri f ü r d i e u n t e r s c h i e d l i c h e n l i t u r g i s c h e n H a n d l u n g s t r ä g e r . M i t d e m A u f k o m m e n der Missalien aber waren sämtliche Lesungen u n d G e b e t e in d e r H a n d des P r i e s t e r s v e r e i n t . D i e s e K o n z e n t r a t i o n des l i t u r g i s c h e n G e s c h e h e n s a u f d e n P r i e s t e r r e d u z i e r t e z u g l e i c h d i e j e n i g e n A m t e r , w e l c h e d i e M e s s e als e i n e G e m e i n s c h a f t s h a n d l u n g k e n n t l i c h g e m a c h t h a t t e n , a u f b l o ß e V o r s t u f e n des P r i e s t e r a m t e s . 1 6 7 D i e s e s t a r k e S t e l l u n g d e s P r i e s t e r s i m M e s s o p f e r e r m ö g l i c h t e es, A t tribute, die ursprünglich Christus z u g e w i e s e n w u r d e n , a u f den Priester zu ü b e r t r a g e n . S o k a n n e r n u n als „ u n u s m e d i a t o r i n t e r d e u m e t h o m i n e s " b e z e i c h n e t w e r den.168

Diese

Formel

findet

sich

auch

im

Spätmittelalter,

etwa

bei

Gabriel

B I E L . 1 6 9 L i t u r g i s c h e n N i e d e r s c h l a g f a n d e n diese k o p r ä s e n t e n Prozesse e i n m a l i m T e x t des M e s s k a n o n s . D i e u r s p r ü n g l i c h v o m Priester i m Verein m i t der G e m e i n d e v o l l z o g e n e D a r b r i n g u n g k o n n t e n u n a u c h v o n i h m allein, in A b w e s e n h e i t der G e m e i n d e geleistet w e r d e n . 1 7 0 Z u g l e i c h w u c h s m i t dieser Stellvertretungsfunktion a u c h d i e V e r a n t w o r t u n g d e s P r i e s t e r s , so dass d i e R e i n h e i t d e s e i n e n , d e r f ü r d i e v i e l e n h a n d e l n sollte, n o c h e i n m a l a n B e d e u t u n g g e w a n n . D i e V e r m e h r u n g d e r A p o l o g i e n , also d e i j e n i g e n G e b e t e , w e l c h e i n A n b e t r a c h t d e r U n w ü r d i g k e i t des Priesters u m B a r m h e r z i g k e i t baten, war die Folge dieser E n t w i c k l u n g .

1 6 7 M . METZGER, a.a.O., 129, nennt: Ostiarier, Lektor, Exorzist oder Akolyth. Vgl. dazu auch R . STÄHLIN, Geschichte, 36. Dass diese Amter im Spätmittelalter längst als Durchgangsstadium auf dem Weg zum eigentlich erstrebten Priesteramt verstanden wurden, belegen die Vorschriften in N M A 4, 1—22. Dort wird besonders betont, dass keine der vier niederen (hostiarius, lectoratus, exorcistatus, accolitus) und der zwei höheren (Subdiaconatus, diaconatus) Weihen vor der Priesterweihe ausgelassen werden darf. Die niederen Weihen können aber an einem einzigen Tag stattfinden. Die Tendenz einer Ausschaltung nicht — priesterlicher Liturgen zeigt auch der im 12. Jahrhundert belegte Brauch, die von Chor oder Leviten vorgetragenen Messteile vom Priester leise mitsprechen zu lassen, vgl. M . METZGER, Geschichte, 132. Die ursprünglich v o n j e d e m und j e der Gläubigen handelbare Krankensalbung war schon ab dem 10. Jahrhundert allein dem Priester vorbehalten, vgl. M . METZGER, Geschichte, 136. 1 6 8 Vgl. A. ANGENENDT, Missa specialis, 218. Er bringt weitere Belege für die Mittlerstellung des Priesters zwischen Gott und Mensch bei. Das mit dieser Stärkung des Priesters einhergehende ekklesiologische Programm skizziert M. RUBIN, Corpus Christi, 52: „The priest was an essential link in the sacramental worldview; he was, therefore, the subject o f guidance, teaching and grooming. What was desired and necessary was that every priest, in every parish, at every altar, during every mass, should encapsulate the church's message o f mediation, in a way that was recognisable, uniform, and supportive o f sacramental claims. This meant that the mass was designed as a ritual in which the words o f consecration, said at every altar, by every priest, conjured the same very body o f God, without fail." 1 6 9 L . 7 9 G (3, 328): „[Sacerdos] quia ipse mediator est inter dominum et populum, et populi vota deo offert."; L . 2 6 B (1, 240): „Sacerdos offerens sacrificium in persona ecclesie potest eius fructum et virtutem alicui vel aliquibus specialiter applicare. Haec conclusio declaratur, quia licet sacerdos Organum sit et minister ecclesie [...], per quod deus preces ecclesie admittit, et gratiarum dona his pro quibus ecclesia per sacerdotem orat influit [...]." L . 2 7 G (1, 262): „Sacerdos celebrans nuncius est deferens ecclesie preces ad sponsum." 1 7 0 Ursprünglich wies das Memento vivorum folgende Textgestalt auf: „Gedenke Deiner Knechte und Mägde und aller, die hier sind [...] die Dir dieses Opfer des Lobes darbringen [...]." Die neue Fassung lautete: „Gedenke Deiner Knechte und Mägde [...] Wir oder sie bringen Dir das O p fer des Lobes dar [...]." Zitiert nach M . METZGER, Geschichte, 132, Hervorhebung W.S. Vgl. auch den lateinischen Text, zitiert oben unter § 1.2.1.2.2.

78

Erster Teil:

2.2.3

Das Messopfer als

Voraussetzungen

Sühnopfer

Mit dem Verständnis von Leib und Blut Christi als Opfergabe der Messe ging auch eine Neukonzeption der Sühnopfervorstellung einher. W i e eingangs ausgeführt, 171 suchte die Sühnopferqualifikation die Abhängigkeit des Messopfers vom Kreuzesopfer zum Ausdruck zu bringen und wollte so das ¿(petita^ festhalten. Ein Sühnopfer war die Messe hier, weil das Opfer Christi Sühnopfer war und die Messe dieses Opfer gegenwärtig setzte. Der Akt dieser Vergegenwärtigung selbst wies dabei keine propitiatorische Dimension auf. Innerhalb des neuen Modells einer Opferung von Leib und Blut Christi durch den Priester wurde dann auch der O p fervollzug in der Messe selbst als ein Sühnopfer verstanden, handelte es sich doch um dieselbe Gabe, welche die Sühne beim Väter erwirkt hatte. Deutlich wird an dieser Entwicklung, dass ein Konzept, welches in der Messe die Darbringung von Leib und Blut Christi an den Vater vollzogen sieht, zugleich eine Affinität zu einem bestimmten Verständnis des Kreuzestodes Jesu besitzt. Denn wenn dieses Messkonzept sich aus den Worten „Solches tut zu meinem G e dächtnis" begründet und wenn es die Realpräsenz aus den Einsetzungsworten herleiten will, dann muss eine Analogie zwischen Kreuzesopfer Christi und dem Messopfer bestehen, wenn das Messopfer beansprucht, legitimer liturgischer Ausdruck des Kreuzesopfers zu sein. Die Weiterentwicklung der eucharistischen Konzeption, welche ein Dankopfer von Brot und Wein beschrieb zur Identifikation der Opfergabe von Kreuz und Messe, korreliert also mit dem Verständnis des Kreuzestodes Jesu als an Gott gerichtetes Opfer des Sohnes. Diese Mitbegründung der Sühnopferqualifikation im Messvollzug implizierte zweitens die ekklesiologische Konsequenz eines Einzuges der kirchlichen Opferaktivität in das Versöhnungsgeschehen. Das Miteinander von kirchlichem Handeln als Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers und göttlichem Handeln als Verwirklichung der Christusgegenwart in den Opfergaben der Gemeinde wurde nun so aufgelöst, dass die vormals allein Gott vorbehaltene Verwirklichung nun auch in die Kompetenz des Priesters fiel und damit die notwendige Voraussetzung der kirchlichen Aktivität in Gestalt der Selbsthingabe zu einer Mitarbeit in Form des Christusopfers wurde. Damit verbanden sich die Aktivität Christi und die Aktivität der Kirche in einem unentwirrbaren Miteinander. Als liturgischer Ausdruck dieser veränderten Qualifikation der kirchlichen Aktivität lässt sich die neue Interpretation der im Supplices 172 situierten Wändlungsepiklese als Bitte um die Annahme der Opfer verstehen. 173 Reinhard MESSNER fasst dieses mittelalterliche Messopferverständnis prägnant zusammen: „Die Messe ist deswegen ein O p fer, weil in ihr der Priester, der durch seine Weihe dazu befähigt ist, die gegenwärtiggesetzten, also realpräsenten Gaben Leib und Blut Christi opfert." 1 7 4 Diese unter den veränderten ontologischen Rahmenbedingungen entstandene N e u 171 172 173 174

Siehe oben § 1 . 2 . 1 . 2 . Zitiert oben § 2 . 1 . 3 . Vgl. R . MESSNER, Meßreform, 110. Meßreform, 176.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des Messopfergedankens

79

konzeption stand natürlich auch mit der konkreten Messfrömmigkeit in einer Wechselwirkung. 2.3

Elemente

spätmittelalterlicher

Messfrömmigkeit

Die eucharistische Frömmigkeit bildete einen Eckpfeiler des christlichen Ritualsystems im Spätmittelalter. Hier verdichteten und konzentrierten sich Vorstellungen und Wahrnehmungen in sonst nicht zu findender Intensität. Ein Hauptgrund hierfür mag die Ausrichtung des Rituals auf die sinnliche Wahrnehmung der M e n schen gewesen sein. Diesen Erlebnischarakter der spätmittelalterlichen Messe versucht Susan K A K A N T - N U N N nachzuempfinden: Selbst i n L a n d k i r c h e n u n d - k a p e i l e n v e r n a h m d e r G l ä u b i g e d e n G l o c k e n s c h l a g , h ö r t e , w i e die g e w o h n t e n G e b e t e a n h o b e n , d e r e n u n v e r s t ä n d l i c h e s , m o n o t o n e s L a t e i n i h n f a s z i n i e r t e u n d a u c h d i e b e s o n d e r e n K o n s e k r a t i o n s w o r t e „ H o c est c o r p u s m e u m " u n d „ h i c est s a n guis m e u s " , d u r c h w e l c h e d i e i r d i s c h e n E l e m e n t e B r o t u n d W e i n t r a n s s u b s t a n t i i e r t w u r d e n . O f t sah m a n d e n A l t a r m i t s e i n e n P a r a m e n t e n u n d d e m R e t a b e l , d e n C r u c i f i x u s , P a t e n e u n d K e l c h s c h i m m e r n , das L i c h t d e r K e r z e n s c h e i n e n u n d d e n O r n a t des P r i e s t e r s , d e n s o g a r i n e i n f a c h e n G e m e i n d e n N o n n e n m i t B l u m e n o d e r S z e n e n aus d e m L e b e n des E r l ö s e r s b e s t i c k t h a t t e n , d i e e r s t a r r e n d e B e w e g u n g des P r i e s t e r s , w e n n e r d i e H o s t i e h o c h h o b u n d d u r c h G o t t e s G n a d e ein W u n d e r v o l l b r a c h t e . M a n r o c h d e n S c h w e i ß seines N a c h b a r n u n d zugleich die h i m m l i s c h e n W o h l g e r ü c h e , die B i e n e n w a c h s u n d W e i h r a u c h v e r s t r ö m t e n . M a n f ü h l t e heiliges W a s s e r a u f s e i n e n F i n g e r k u p p e n u n d g l a u b t e das w a h r e Fleisch C h r i s t i w e r d e g e o p f e r t , w e n n d e r P r i e s t e r d i e H o s t i e e i n e m v o r d e m K r u z i f i x o d e r a u f d e n S t u f e n des Altars i n d e n M u n d s c h o b . 1 7 5

Hier begegnet ein uns heute fremdes Ineinander von Sakralität und Profanität. Bob SCRIBNER176 hat vorgeschlagen, diese spätmittelalterliche Haltung als „Kryptomaterialismus" zu bezeichnen. Gemeint ist damit eine Frömmigkeit, die der Profanität e n t n o m m e n e n Objekten das Attribut der Heiligkeit zuspricht, sofern diese Objekte der W i r k u n g rituell verstandener Worte oder Handlungen ausge-

175 „Even in rural churches and chapels, the devout heard the s o u n d of the bell, the i n t o n i n g of the ritual prayers — m e s m e r i z i n g in their unintelligible, m o n o t o n o u s Latin — and the special words of consecration „Hoc est corpus meum" and „Hic est sanguis meus" by w h i c h the m u n d a n e elements of the bread and w i n e u n d e r w e n t transsubstantiation. T h e y o f t e n saw the altar w i t h its cloths and retable, the corpse-laden crucifix, the sheen of paten and Chalice, the glint of candlelight, the c e remonial vestments sometimes even in simple parishes w o r k e d by nuns in flowers or scenes of the Saviour's life, the transfixing m o t i o n of the priest's hands as h e raised u p the Host and by God's p e r mission effected a miracle. T h e y smelled the sweat of their neighbors and at the same t i m e the heavenly fragrances of beeswax and incense. T h e y felt holy water o n their fingertips and the very flesh of Christ sacrified as the priest placed the water into their m o u t h s at the r o o d screen or the altar steps." S. KARANT-NUNN, a.a.O., 107f. — Allerdings dürften die Gläubigen die Konsekrationsworte k a u m g e h ö r t haben, da sie ja geflüstert w u r d e n . U n d w e n n sie tatsächlich einmal zu h ö r e n w a ren, so hatte der Priester bei einer Todsünde d e n K a n o n t e x t Hoc est enim corpus meum zu rezitieren. A u c h das M o m e n t des O p f e r s bezog sich nicht auf die o h n e h i n seltene K o m m u n i o n , sondern auf den Kanonteil. 176 Elements, 231—262; G e r m a n R e f o r m a t i o n , 10—13.

80

Erster Teil:

Voraussetzungen

setzt wurden. 177 Diese Vorstellung versucht Scribner in drei Momenten zusammenzufassen: Einmal verbindet sich mit dieser Auffassung die Vorstellung, zwischen dem heiligen Objekt und dem Gläubigen bestünde eine Art gegenseitiger Vertrag. Der Gläubige verehrt das Objekt und wendet dafür Zeit und finanzielle Mittel auf. Im Gegenzug wirkt das Heilige an ihm Gutes, indem es vor Gefahr, Schaden oder Krankheit schützt oder aber auf andere Weise zum Lebensgewinn beiträgt. Neben dieser im Modus der Ökonomie einholbaren assertorischen Funktion 1 7 8 eignet dem heiligen Objekt zudem eine illustrative Aufgabe, indem es die Sakralität versinnlichend exemplifiziert. Im Objekt treffen sich Sakralität und Profanität in einer für alle nachvollziehbaren und verständlichen Art und Weise. 179 Schließlich werden auch die Wirkungen des Heiligen materialisiert gedacht. Die Realpräsenz Gottes in Brot und Wein kann hier ausgeweitet werden auf heilige Gegenstände, Handlungen oder Gelegenheiten. 1 8 0 Dass das Messopfer als Zentrum der mittelalterlichen Sakralität innerhalb dieses Verstehensrahmens zu vielfältigen frommen Manipulationen geeignet war, liegt auf der Hand. 181 So schmuggelte man Münzen unter das Altartuch, die man nach der Messe wieder hervorholte, um heilkräftige Ringe aus ihnen zu machen. Großer Beliebtheit erfreute sich auch das Unterlegen von Wachspüppchen zum Zwekke des Mordzaubers, oder aber die Verwendung der Hostie zum Liebeszauber. 182 Insbesondere denjenigen Gegenständen, welche die größte räumliche Nähe zum 177

Vgl. dazu A. FRANZ, Messe, 8 7 : „Das O p f e r des N e u e n B u n d e s heiligt den Altar, a u f w e l -

c h e m es dargebracht wird, und verleiht allem, was mit dem Leibe des H e r r n in B e r ü h r u n g k o m m t oder in dessen N ä h e liegt, eine geheimnisvolle Kraft. Von diesem Glauben waren Klerus und Volk im Mittelalter tief durchdrungen. Wollte man darum gewisse D i n g e zu Heilmitteln oder auch zu abergläubischen Z w e c k e n benutzen, so legte man sie a u f den Altar oder unter denselben und ließ darüber Messe lesen." 178

D i e E i n h o l u n g der Sakralität durch den Tausch als Grundprinzip der Ö k o n o m i e lässt sich

freilich als ein durchgängiges M o t i v der Geistesgeschichte erweisen. M . HORKHEIMER / T h . W. ADORNO sehen darin eine Affinität des Opfers zum „bürgerlichen Charakter", den ihnen der die G ö t t e r überlistende Odysseus repräsentiert. Vgl. dazu das Zitat o b e n unter § 1 . 1 . 1 . 179

Dabei darf die Sakralität nicht in die Profanität aufgelöst werden, es bleibt stets eine R e s t d i f -

ferenz zwischen den prinzipiell unterschiedlich formatierten B e r e i c h e n . Das zeigen die Strafwunder, bei welchen der unsachgemäße Gebrauch der heiligen O b j e k t e zu Sanktionen fuhrt. So b e richtet GREGOR von Tours von einem Fürsten, der seinen kranken F u ß in einer Patene badete um zu gesunden, daraufhin aber völlig gelähmt war, vgl. A. FRANZ, Messe, 8 7 f . 180

Vgl. dazu B . HAMM, U r b a n R e f o r m a t i o n , 2 0 0 : „This older religiosity had roots in an ar-

chaic, animistic and magical worldview, w h i c h marked o f f specific sacred places, times, objects, persons, and actions from the mundane World. Late medieval worship and devotion had always b o t h participated in this visibly and palpably sacral religion and diverted it unto supervised paths. T h e Protestant reformation completed this process, opposing to the old sacrality its own principles o f sacral legitimization and desacralizing liberation based on the H o l y Scriptures." 181

Vgl. zum folgenden A. FRANZ, Messe, 8 7 - 1 1 4 .

182

Vgl. G. HOLLEN, ,Preceptorium', B1.21: „ [ . . . ] queritur unde est, quod malefici instrumenta

sue malicie per sacramenta ecclesie vel alia divina tangi procurant: ut filium trahendo per sacrum chrisma, q u o amantes vel amari volentes se colligent, vel imaginem cere sub palla altaris ad tempus ponendo [ . . . ] " Zitiert nach A. FRANZ, Messe, 8 7 . A u c h C . VON HEISTERBACH weiß von einer Frau zu berichten, welche die Hostie zum Liebeszauber benutzte : „ [ . . . ] integrum [sacramentum] in ore retinui sicque vadens ad amasium m e u m deosculata sum illum sperans, quod virtute sacramenti ex h o c me amplius amaret." Dialog. 9, 6; 2, 1 7 1 . Zitiert nach A. FRANZ, Messe, 9 7 .

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

81

Leib Christi aufwiesen, w u r d e dann auch die g r ö ß t e Heiligkeit zugemessen. So k a m das Corporale, ü b e r w e l c h e m u n m i t t e l b a r die Konsekration vollzogen w u r d e , in eine Spitzenposition. Sehr b e g e h r t w a r e n auch Wasser o d e r Wein, mit w e l c h e n der Kelch gesäubert w o r d e n war. 1 8 3 H i e r zeigen sich e r n e u t die b e i d e n E l e m e n t e des mittelalterlichen K o n z e p t e s der Sakralität, die Q u a n t i f i z i e r u n g 1 8 4 des Heiligen u n d das M o m e n t der Defensivität. 1 8 5 N e b e n dieser empirisch-sinnlichen W a h r n e h m u n g der Messe u n d d e m K o n zept einer Materialisierung des Heiligen ist auch die soziale B e d e u t u n g der e u c h a ristischen M e s s f r ö m m i g k e i t zu b e a c h t e n . Virginia REINBURG186 hat hier deutlich gemacht, dass die laikale W a h r n e h m u n g der Messe g r o ß e B e d e u t u n g f ü r das Selbstverständnis der f e i e r n d e n G e m e i n s c h a f t besaß. 1 8 7 Einer theologisch m o t i 183

Z u r A b l u t i o n vgl. FRANZ, Messe, 1 0 5 - 1 1 4 . Dieses M o t i v k o n k r e t i s i e r t sich z w e i f a c h . E i n m a l b e g e g n e t die H e i l i g k e i t in v e r s c h i e d e n e n A b s t u f u n g e n u n d G r a d e n , z u m a n d e r e n w i r d a u c h die Teilhabe an dieser H e i l i g k e i t quantifiziert. So b e k l a g t e n sich n a c h HEINRICH VON LANGENSTEIN die A r m e n , weil das Corporale n a c h d e r M e s s feier n u r d e n R e i c h e n auf die A u g e n gelegt w u r d e , ,Secreta s a c e r d o t u m ' , B1.2, vgl. A . FRANZ, Messe, 92. 185 D e r K o n t a k t m i t d e m Corporale setzte R e i n h e i t voraus. C . VON HEISTERBACH b e r i c h t e t v o n e i n e m T u c h , a u f d e m sich ein B l u t f l e c k abbildete, als d e r w a s c h e n d e n N o n n e ein u n r e i n e s j u n g e s M ä d c h e n zu H i l f e k a m , Dialog, mirac. 9, 66; 2, 2 1 6 , vgl. A . FRANZ, Messe, 88. In d e n Invocavitp r e d i g t e n weist L u t h e r die R e i n h e i t s b e s t i m m u n g e n f ü r d e n U m g a n g m i t d e m Corporale z u r ü c k , 184

vgl. u n t e n 186

§8.2.1.3.

Liturgy, 5 2 6 - 5 4 6 .

187 D a b e i verfängt ihre strikte T r e n n u n g dieser sozialgeschichtlichen Perspektive v o n e i n e r e x plizit m e s s t h e o l o g i s c h e n E i n o r d n u n g d e r spätmittelalterlichen M e s s f r ö m m i g k e i t m . E . n i c h t . W e n n d e r haptisch u n d m a t e r i e l l a u s g e r i c h t e t e n spätmittelalterlichen M e s s f r ö m m i g k e i t e i n e A b w e i c h u n g v o n d e r u r s p r ü n g l i c h e n B e d e u t u n g d e r Messe u n d e i n e allzu g e n ü g s a m e t h e o r e t i s c h e R e f l e x i o n attestiert w i r d , so ist dies j a ein t h e o l o g i s c h e s U r t e i l . D a m i t ist aber n o c h gar nichts ü b e r ihre prinzipielle B e d e u t u n g gesagt. A u c h eine t h e o l o g i s c h schlichte K o n z e p t i o n k a n n j a n i c h t n u r a u f d e z i d i e r t b e n e n n b a r e n systematischen V o r e n t s c h e i d u n g e n b e r u h e n , s o n d e r n a u c h sozial u n d politisch ä u ß e r s t w i r k s a m e I m p l i k a t e a u f w e i s e n . D i e e i g e n t l i c h e A u f g a b e b e s t ü n d e m . E . n i c h t darin, e i n e t h e o l o g i s c h e Perspektive auf die M e s s f r ö m m i g k e i t g e g e n e i n e sozialgeschichtliche auszuspielen, s o n d e r n d e n Z u s a m m e n h a n g b e i d e r festzuhalten. Es e r s c h e i n t d a h e r a u c h n i c h t s i n n voll, z w i s c h e n e i n e r p h y s i s c h - d i n g l i c h e n M e s s f r ö m m i g k e i t des Volkes u n d e i n e r d o g m a t i s c h - i n tellektuellen, a u f die M e s s t e x t e k o n z e n t r i e r t e n k l e r i k a l e n L e h r e v o n d e r Messe zu u n t e r s c h e i d e n . B e r u h t n i c h t a u c h ein m a t e r i e l l o r i e n t i e r t e s K o n z e p t d e r Sakralität a u f d o g m a t i s c h e n Prämissen? U n d lässt sich d e n n angesichts des P a n o p t i k u m s spätmittelalterlicher M e s s t h e o l o g i e n v o n „ d e r " K i r c h e u n d „ i h r e r " L e h r e s p r e c h e n , so als sei h i n t e r d e n M e s s a u s l e g u n g e n e i n e g e m e i n s a m e k i r c h liche A b s p r a c h e , Politik o d e r allwissende Z e n t r a l i n s t a n z zu v e r m u t e n ? M e s s f r ö m m i g k e i t , M e s s t h e o l o g i e u n d ihre sozialen F o l g e n liegen d o c h v i e l m e h r i n e i n a n d e r . T h e o l o g i e u n d F r ö m m i g k e i t sind d a h e r n i c h t als zwei w o m ö g l i c h n o c h sozialen G r u p p e n z u z u s c h r e i b e n d e , säuberlich zu t r e n n e n d e P h ä n o m e n e w a h r z u n e h m e n , s o n d e r n als ein vielfältig i n e i n a n d e r v e r w o b e n e s F a d e n g e flecht. D i e Vorstellung e i n e r „ o f f i z i e l l e n " M e s s t h e o l o g i e „ d e r " T h e o l o g e n e r s c h e i n t m i r f ü r das Spätmittelalter o h n e h i n als n o r m i e r e n d e R ü c k p r o j e k t i o n späterer Konzilstexte. U n t e r völlig a n d e r e n Prämissen gilt dies a u c h f ü r die b e e i n d r u c k e n d e D a r s t e l l u n g v o n A d o l f FRANZ. E r trägt die Vorstellung e i n e r o r t h o d o x e n M e s s t h e o l o g i e a n die m i t t e l a l t e r l i c h e n Q u e l l e n h e r a n , e t w a w e n n er zwischen der rechten Lehre u n d ,,Mißbräuche[n] u n d Aberglaube" unterscheidet. Dies führt ihn zu e i n e m b e s o n d e r e n Interesse, die (akzeptable) L e h r e g e g e n die (verfehlte) Praxis u n d die K l e r i k e r g e g e n das Volk zu profilieren. D i e Tatsache, dass viele i m Volk k u r s i e r e n d e n , m i t u n t e r k u r i o sen V o r s t e l l u n g e n v o m M e s s o p f e r v o n K l e r i k e r n geteilt w u r d e n o d e r gar ihre M i t w i r k u n g v o r a u s setzten, erklärt er sich d a n n als n i c h t geleisteten W i d e r s t a n d . A . a . O . , 112.

82

Erster Teil:

Voraussetzungen

vierten Abwertung der eucharistischen Laienfrömmigkeit des Mittelalters als verfehlt oder verarmt stellt sie deshalb ihre These gegenüber: Die spätmittelalterliche Messe hatte für die Laien nicht eine verfehlte, sondern eine andere Bedeutung als für den Klerus. 188 Während Letzterer die Messe aus liturgisch-ritueller Perspektive betrachtete, nahmen die Laien die Messe in Analogie zu alltäglichen Vorgängen der Feudalgesellschaft wahr. 1 8 9 Zwar verstanden sie den lateinischen Text der 188 D a b e i b e s t e h t e i n e gewisse S p a n n u n g in i h r e r Z u o r d n u n g v o n K l e r u s u n d Laien. E i n m a l lässt sie die i h r e r T h e s e e n t g e g e n s t e h e n d e t h e o l o g i s c h e A b w e r t u n g d e r L a i e n f r ö m m i g k e i t aus d e r B e h a u p t u n g eines Risses z w i s c h e n d e r u n t e r s c h i e d l i c h e n M e s s w a h r n e h m u n g v o n K l e r u s u n d Laien h e r v o r g e h e n : „ T h u s it is hardly s u r p r i s i n g that s i x t e e n t h - c e n t u r y critics a n d m o d e r n historians h a ve seen a rift b e t w e e n clerical a n d lay e x p e r i e n c e o f t h e late mass, a n d have consequently c o n s i d e r e d lay e x p e r i e n c e i m p o v e r i s h e d . " A . a . O . , 5 2 7 , H e r v o r h e b u n g W.S. A n d e r e r s e i t s profiliert sie aber die D i s t a n z v o n k l e r i k a l e n , d o g m a t i s c h a u s g e r i c h t e t e n ,Missales' u n d d e n an d e r D a r s t e l l u n g gesellschaftlicher H i e r a r c h i e n interessierten laikalen G e b e t s b ü c h e r n . D i e D i s t a n z z w i s c h e n d e r F r ö m m i g k e i t des K l e r u s u n d d e r des Volkes ist s c h o n deshalb n i c h t zu stark zu b e t o n e n , weil das l i t u r g i sche u n d t h e o l o g i s c h e W i s s e n vieler M e s s p r i e s t e r das d e r Laien j a k a u m ü b e r s t i e g u n d u m g e k e h r t t h e o l o g i s c h e B i l d u n g n i c h t n u r „ d e m " K l e r u s v o r b e h a l t e n blieb, w i e ein Blick auf m a n c h e s F r a u e n k l o s t e r zeigt. G e r a d e die v o n V. REINBURG h e r a n g e z o g e n e n volkssprachlichen M e s s e r k l ä r u n g e n w u r d e n n i c h t v o n Laien, s o n d e r n v o m Klerus verfasst! W i e die i n s b e s o n d e r e v o n A . FRANZ b e i g e b r a c h t e n Q u e l l e n b e l e g e n , teilten viele K l e r i k e r die V o r s t e l l u n g e n v o n d e n k u r i o s e s t e n F r ü c h t e n d e r Messe u n d b e t e i l i g t e n sich e t w a a m S c h a d e n s z a u b e r . Es e r s c h e i n t m i r deshalb s t i m m i g e r , n i c h t d a v o n a u s z u g e h e n , dass ein K l e r i k e r die Messe v o n v o r n h e r e i n a n d e r s w a h r n a h m als ein Laie. S i c h e r h a t t e er e i n e a n d e r e R o l l e als die Laien. A b e r o b s c h o n seine L a t e i n k e n n t n i s s e ein w e n i g s t e n s g r a m matikalisch k o r r e k t e s Verständnis d e r M e s s t e x t e e r m ö g l i c h t e n , blieb i m Einzelfall d o c h d u r c h a u s o f f e n . Dass die r i g i d e T r e n n u n g v o n priesterlicher u n d laikaler M e s s w a h r n e h m u n g i n s b e s o n d e r e f ü r das M e s s o p f e r nichts austrägt, zeigt sich in f o l g e n d e m Z i t a t V. REINBURGS, a.a.O., 541: „ F o r lay c o n g r e g a n t s , t h e mass was less a c e r e m o n i a l r e p r e s e n t a t i o n o f eucharistic d o c t r i n e o r Christ's o r i g i nal sacrifice t h a n a sacred rite u n i t i n g t h e m w i t h G o d , t h e C h u r c h a n d e a c h o t h e r . " A u f e b e n diese H e r s t e l l u n g e i n e r v e r s ö h n t e n E i n h e i t zielte j a das M e s s o p f e r , i n s o f e r n fallen b e i d e P e r s p e k t i v e n h i e r z u s a m m e n . D i e u n t e n e x e m p l a r i s c h b e h a n d e l t e M e s s e r k l ä r u n g .Messe singen o d e r lesen' p r ä s e n tiert sich d a n n a u c h e h e r als K o m p i l a t v o n p r i e s t e r l i c h e r u n d laikaler W a h r n e h m u n g . 189 „ W h a t w e find in t h e laity's prayer b o o k s as distinct f r o m t h e clergy's missal, is a n o t i o n o f lay p a r t i c i p a t i o n in t h e mass q u i t e d i f f e r e n t f r o m that o n w h i c h t h e P r o t e s t a n t and C a t h o l i c r e f o r m e r s later insisted. B e f o r e t h e R e f o r m a t i o n , t h e laity's p a r t i c i p a t i o n was s u p p o s e d t o b e less c o n c e r n e d w i t h intellectual grasp o f eucharistic d o c t r i n e o r scriptural teachings, t h a n w i t h a s s u m i n g a p r o p e r role in t h e d r a m a o f t h e mass. W h i l e eucharistic t h e o l o g y t a u g h t that o n l y t h e clerical c e l e b r a n t h a d a sacramentally necessary role in t h e liturgy, lay prayer b o o k s p r e s e n t e d t h e laity's role as e q u a l ly necessary in social sense. W h a t lay prayer b o o k s reveal - a n d missals d o n o t — is t h e p r e - R e f o r m a t i o n mass as a ritual d r a m a in w h i c h b o t h priest a n d c o n g r e g a t i o n h a d distinct, b u t equally n e cessary parts t o play." Lassen sich gesellschaftlich-soziale D i m e n s i o n e n u n d k u l t i s c h - l i t u r g i s c h e W a h r n e h m u n g f ü r das Spätmittelalter w i r k l i c h so klar g e g e n e i n a n d e r a b g r e n z e n w i e das in d e r Alltagswelt d e r g o t t e s d i e n s t f e r n e n N e u z e i t d e r Fall ist? M a n fragt sich, w i e angesichts d e r v o n REINBURG b e h a u p t e t e n g l e i c h b e r e c h t i g t n o t w e n d i g e n G e g e n w a r t d e r Laien in d e r Messe das I n stitut d e r Privatmesse m a s s e n h a f t e n Z u l a u f statt einhellige A b l e h n u n g h e r v o r r u f e n k o n n t e . D i e D i f f e r e n z z w i s c h e n d e n Missales u n d d e n laikalen G e b e t b ü c h e r n ist dabei n i c h t zu bestreiten. Es liegt gewiss in d e r N a t u r d e r Q u e l l e n , dass sie die H a n d l u n g des j e w e i l i g e n Adressaten t h e m a t i s i e r e n . Es ist a b e r b e z e i c h n e n d , dass selbst in d e n explizit d e r G e m e i n d e als l i t u r g i s c h e m S u b j e k t g e w i d m e t e n Q u e l l e n d e r e n r e c h t e s Verhalten zu d e r allein v o m P r i e s t e r v o l l z o g e n e n Messe b e h a n delt w i r d . G e r a d e dass hier v o r allem liturgische Begleitgesten w i e das A b n e h m e n des H u t e s , das S t e h e n o d e r das K n i e n so a u s f u h r l i c h geschildert w e r d e n , b e l e g t das M o n o p o l des Priesters. D i e G e m e i n d e verhält sich h i e r z u m G e s c h e h e n , a b e r sie trägt es n i c h t . Vgl. zu d e n V e r h a l t e n s v o r s c h r i f t e n f u r die Laien a u c h M . RUBIN, C o r p u s C h r i s t i , 103f.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

83

Evangelienlesung nicht, diese gab als B o t e des kommenden Gottes den Laien aber das Signal zu besonderer Aufmerksamkeit. 190 Das Offertorium entsprach hier der Pachtabgabe an den Lehnsherrn, und die Verteilung von gesegnetem Brot 1 9 1 schattete die Ausgabe von Wein, Kuchen und anderen Gaben durch die kommunalen Institutionen bzw. den Feudalherren ab. 192 Die Beobachtungen REINBURGS sind gewiss insofern richtig, als die der Gemeinde verbliebenen Aktivitäten wie der Opfergang, die Bittgebete, der Empfang des geweihten Brotes und insbesondere die Pax die Messe auch als eine Inszenierung zwischenmenschlicher Relationen kenntlich machten. D e r R i t u s des F r i e d e n s k u s s e s 1 9 3 f a n d sich v o r a l l e m in d e r k l ö s t e r l i c h e n Z e l e b r a t i o n . 1 9 4 U r s p r ü n g l i c h stand e r a m E n d e des G e b e t s t e i l e s u n d b e s i e g e l t e das v o r a u s g e g a n g e n e G e b e t . 1 9 5 In d e r g r e g o r i a n i s c h e n R e f o r m d e r M e s s e r ü c k t e r m i t d e m V a t e r u n s e r an das E n d e des K a n o n s . E s w ä c h s t i h m so die F u n k t i o n zu, a u f die K o m m u n i o n v o r z u b e r e i t e n , 1 9 6 so dass in k a r o l i n g i s c h e r Z e i t m a n c h e r o r t s n u r die K o m m u n i k a n t e n d e n K u s s a u s t a u s c h e n .

19(1

„Although not read in a language most could understand, the Gospel signals that lay people

should begin to pay careful attention to the ceremonies. T h i s is why the Gospel is the .banner' that announces God's arrival. T h i s hints at a m a j o r distinction between the clerical and lay experiences o f the mass. N o t only do priest and people focus attention on different parts o f the liturgy; they also assign a very different meaning to those parts. T h e priest understands the words o f the Gospel. T h e laity stands, removes hats, and salutes the Gospel — the herald o f God's arrival." Liturgy, 5 3 1 . — M i r ist nicht einsichtig, wie das hier geforderte Verhalten der Messgemeinde die T h e s e belegen kann, in den spätmittelalterlichen Messerklärungen hätten die Laien eine (sozial) gleichberechtigte und notwendige R o l l e e i n g e n o m m e n . D e n n die Aufforderung, der vom Priester vollzogenen Z e remonie nun verstärkte Aufmerksamkeit zu w i d m e n , ist doch in keiner Weise Voraussetzung für den gültigen Vollzug dieser allerdings auch sozial bedeutsamen Z e r e m o n i e . Von einer Beteiligung kann m . E . nur insofern die R e d e sein, als die zu erwartende Messfrucht von der Disposition des Messbesuchers und der Messbesucherin abhängt. 191

Vgl. dazu A. FRANZ, Messe, 2 4 7 - 2 5 6 ; M . RUBIN, C o r p u s Christi, 7 3 f . Dieses B r o t hatte

nicht die F o r m einer Hostie und war so leicht von einem consecratum zu unterscheiden. D e r R i t u s motivierte zum B l e i b e n im Gottesdienst auch nach dem H ö h e p u n k t der Elevation. 192

A.a.O., 5 4 2 f . Dabei sind diese Parallelen gewiss nicht in Abrede zu stellen. Es erscheint al-

lerdings nicht plausibel, diese Abbildung sozialer Abhängigkeitsverhältnisse in der Messe gegen deren soteriologische B e d e u t u n g auszuspielen. W e n n die volkssprachlichen Messerklärungen uns tatsächlich ein gegenüber der klerikalen W a h r n e h m u n g eigenständiges laikales Messverständnis zeigten, müssten sie hier nicht deutlicher und vor allem ausfuhrlicher diese sozial-hierarchisierende Funktion der Messe thematisieren? REINBURG kann sich in dieser Frage aber nicht a u f explizite Zeugnisse stützen, sondern argumentiert allein mit einer Parallelität der Gestik: „A wealth o f c o n temporary visual evidence shows the gestural connections between liturgical and secular rites [...] In this sense the late medieval liturgy can be viewed as the establishment o f and spiritual solidarity a m o n g G o d , the C h u r c h , and the lay c o m m u n i t y . " A.a.O., 5 4 2 . 193

Vgl. dazu M . RUBIN, C o r p u s Christi, 74fT; J . A. JUNGMANN, M S 2, 3 8 9 - 4 0 3 ; N M A 182, 3 0 -

184, 2 9 ; R . BERGER, N P H , Art. .Friedensritus ( - g r ü ß , - k u ß ) ' , 1 5 0 f . 194

Vgl. M.RUBIN, C o r p u s Christi, 7 4 . A u c h N M A 183, 3 0 , spricht von „etlichen enden oder

t h u e m e n oder kloesternn", w o dieser R i t u s praktiziert werde. 195

J . A . JUNGMANN M S 2 , 3 9 0 .

196

J . A . JUNGMANN, M S 2, 3 9 0 : „ D i e R ü c k s i c h t a u f die M a h n u n g des H e r r n M t 5 , 2 3 f ü b e r die

rechte Gesinnung dessen, der ein O p f e r darbringen will, wird nach der Verschmelzung des Lesegottesdienstes mit der Eucharistiefeier bald dazu geführt haben, den Friedenskuß als Sicherung der brüderlichen Gesinnung enger mit dem Augenblick zu verbinden da man ,die Gabe zum Altar b r i n g t ' . " Das Zitat stammt aus BAUMSTARK, Liturgie comparée, 1 4 5 .

84

Erster Teil:

Voraussetzungen

A u f diese W e i s e k o n n t e die Pax zu e i n e m Ersatz f ü r die K o m m u n i o n w e r d e n . 1 9 7 Allerdings k e n n z e i c h n e t sie g e r a d e n i c h t e i n e soziale G l e i c h b e r e c h t i g u n g d e r G e m e i n d e , s o n d e r n i h re S u b o r d i n a t i o n u n t e r d i e A m t s t r ä g e r . Das z e i g e n e t w a die t y p i s c h e n 1 9 8 A u s f u h r u n g e n v o n N M A : D e r Z e l e b r a n t b i t t e t h i e r z u n ä c h s t u m F r i e d e n f ü r sich selbst u n t e r B e r u f u n g a u f d e n G l a u b e n d e r K i r c h e u n d küsst d a n n die P a t e n e . D a n a c h s p r i c h t er d e n F r i e d e n d e n i n f e r i o r e n A m t s t r ä g e r n w i e D i a k o n u n d A k o l y t h zu, die das Osculatorium199

den umste-

h e n d e n K l e r i k e r n z u m Kuss w e i t e r r e i c h e n . Erst d a n n ( u n d a u c h n u r fakultativ) e r h a l t e n die G e m e i n d e g l i e d e r die G e l e g e n h e i t z u m Kuss des T ä f e l c h e n s . S o bildet sich, w i e s c h o n des Ö f t e r e n zu b e o b a c h t e n war, in d e r R e i h e n f o l g e des Z u g a n g e s z u m H e i l i g e n e i n e soziale H i e r a r c h i e ab, u m die n i c h t selten g e s t r i t t e n w u r d e . 2 0 0 Dass d e r soziale F r i e d e n n u r e i n e n Teilaspekt d e r Pax a u s m a c h t , zeigt n i c h t n u r die B e s c h r ä n k u n g des Kusses auf d e n N a c h b a r n , s o n d e r n a u c h die E r k l ä r u n g , w e l c h e f ü r d e n Ausfall dieses R i t u s in d e r S e e l e n messe g e g e b e n w i r d : „ W a n n die seien in d e m f e g f e w e r die h a b e n k e y n e n f r i d n o c h r u e s u n d e r sie h a b e n l e y d e n u n d p e n e n . D a r u m b s p r i c h t d e r p r i e s t e r das g e b e t n i c h t [ , . . ] . " 2 0 1 . H i e r ist also v o r allem an d e n S e e l e n f r i e d e n des E i n z e l n e n g e d a c h t .

Problematisch würde R E I N B U R G S D e u t u n g indes, wo man denjenigen liturgischen M o m e n t e n , in denen die Gemeinde aktiv am Geschehen beteiligt wird, zugleich eine hermeneutische Schlüsselfunktion für die Messerfahrung überhaupt zubilligte. Dann wird nicht deutlich genug gesehen, dass ein entscheidendes M o m e n t der spätmittelalterlichen Messwahrnehmung, ja Frömmigkeit, in der Figur der Stellvertretung durch den Priester besteht. 202 Natürlich entspricht es der modernen Subjektvorstellung, dort die größte Beteiligung zu vermuten, wo auch die eigene Aktivität am größten ist. Diese Gleichung darf aber nicht in die spätmittelalterliche Messwirklichkeit zurückprojiziert werden. Wie sich auch sprachlich belegen lässt, 203 war es der Priester, der die entscheidende Handlung in der Messe vollzog, die Gemeinde konnte über Stipendien daran beteiligt werden. Eine gleichberechtigte, weil notwendige Subjektrolle übernahm sie daher nicht. So fragen auch die spätmittelalterlichen Eucharistiepredigten, die doch einen großen Adressatenkreis erreichten, vor allem danach, worin die rechte Disposition der Laien bestehe und welche Früchte man in der Messe erlange. Vier charakteristische Phänomene und Entwicklungen dieser Frömmigkeit sollen im Folgenden in den Blick g e n o m m e n werden: Die Allegorisierung der Messtexte, die Quantifizierung der Messwirkung, die Individualisierung der Messfeier

197 Vgl. ,Ain kurzer schriftlicher Bericht' des Johann Eberlin, in welchem der Günzburger das Küssen der Pax u n d den E m p f a n g des Sakraments alternativ gegenüberstellt. Enders, a.a.O., 2, 187, 8f. 198 Vgl. J.A. JUNGMANN M S 2, 395: „Der Friedenskuß geht also v o m A l t a r a u s und wird wie eine Botschaft, ja wie eine Gabe, die aus d e m Allerheiligsten k o m m t , ,an die übrigen u n d an das Volk' weitergegeben." J.A. JUNGMANN zitiert hier Mabillon (PL 78, 945B). 199 Die Paxtafel breitete sich im 13. Jahrhundert von England k o m m e n d auch auf d e m Konti-

n e n t aus. V g l . J . A . JUNGMANN, M S 2 , 3 9 8 . 200

201

V g l . J . A . JUNGMANN, M S 2 , 3 9 9 ; R U B I N , C o r p u s C h r i s t i ,

76.

N M A 184, 2 6 - 2 9 . 202 Die projektive Rolle des Priesters, in d e m das eigene Bedürfnis nach Sakralität repräsentiert werden sollte, zeigen nicht zuletzt die vielfältigen Klagen über seine Amoralität. 203 Vgl. dazu die Arbeit von Hansjosef GOERTZ u n d die Bezugnahmen darauf unter §2.3.

§2

Geschichtliche Konkretionen des Messopfergedankens

85

u n d d i e V i s u a l i s i e r u n g d e r M e s s w a h r n e h m u n g . D a b e i k a n n es n i c h t u m e i n e e r schöpfende Darstellung der Q u e l l e n , sondern nur u m einige

Grundzusammen-

hänge g e h e n . D i e Perspektive der M e s s o p f e r t h e o l o g i e bringt dabei eine K o n z e n tration vor allem a u f die t h e o l o g i s c h e D i m e n s i o n der M e s s f r ö m m i g k e i t m i t sich.

2.3.1

Die

Allegorisierung

der

Messe

E i n w i c h t i g e s M o m e n t d e r I n k u l t u r a t i o n d e r r ö m i s c h e n M e s s e i n das F r a n k e n r e i c h b e s t a n d i n d e r W a h l des L a t e i n i s c h e n als M e s s s p r a c h e . D a m i t s c h i e d für g r o ß e T e i l e d e r M e s s b e s u c h e r d e r M e s s t e x t als K o m m u n i k a t i o n s f o r m aus. Z u g l e i c h r i c h t e t e sich i h r A u g e n m e r k n u n a u f das S i c h t b a r e d e r M e s s h a n d l u n g , v o r a l l e m a u f die G e sten des P r i e s t e r s . 2 0 4 K o n k r e t e n A u s d r u c k v e r l i e h dieser E n t w i c k l u n g das einflussreiche,205 METZ

208

erstmals 8 2 3 h e r a u s g e g e b e n e 2 0 6

,liber officialis'207

des

AMALAR

VON

( 7 7 5 — e t w a 8 5 0 ) , das e i n e n n e u e n T y p u s des M e s s v e r s t ä n d n i s s e s d o k u -

m e n t i e r t . 2 0 9 D i e L i t u r g i e v e r s t e h t A m a l a r n u n als e i n e A l l e g o r i e a u f e i n z e l n e S t a t i o n e n des L e b e n s J e s u , w e l c h e die p e r s ö n l i c h e E r i n n e r u n g des M e s s b e s u c h e r s a u f das C h r i s t u s g e s c h e h e n r i c h t e . 2 1 0 S e i n m e s s t h e o l o g i s c h e s P r o g r a m m teilt er uns zu B e g i n n mit: Was bei der Zelebration der Messe geschieht, geschieht im Geheimnis des Leidens des H e r r n , wie er selbst befiehlt: ,So oft ihr dies tut, werdet ihr es zu m e i n e m Gedächtnis tun'. W e n n also der Priester Brot, Wein und Wasser opfert, dann ist es Christi Brot, Wein und Wasser i m Sakrament des Fleisches Christi und seines Blutes. D i e Sakramente müssen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Dingen, deren geheimnisvolles Z e i c h e n sie sind, aufweisen. Daher soll der Priester ähnlich Christo sein, wie Brot und W e i n ähnlich sind dem Leibe Christi. So ist das Opfer des Priesters am Altar in gewisser Weise das O p f e r Christi am Kreuz. Damit der M e n s c h gleichsam ähnlich dem auferstandenen Christus werde, isst er dessen Fleisch und trinkt dessen Blut. Christus ist von den Toten auferstanden und stirbt nicht mehr. D i e Seele des M e n s c h e n , welche durch die Taufe oder die B u ß e die [Hoffnung auf die] Auferstehung empfangen hat, lebt durch den würdigen Genuss des Leibes Christi, bis sich die volle Auferstehung am achten Tage [d.h. bei d e m Weltgericht] erfüllt. D a r u m nimmt die Seele, wenn der M e n s c h am E n d e seines Lebens steht und die Trennung der Seele von dem Leib erwartet, als Wegzehrung den Leib Christi, damit sie dieses Leibes w e gen in der Hoffnung lebe, bis sie in der Auferstehung den Leib wieder erhält, den sie selbst, Vgl. RUBIN, Corpus Christi, 93. Als weitere wirkungsgeschichtlich bedeutende Messauslegungen sind zu nennen ,De mysteriis missae' des Lothar von SEGNI (nachmals Innozenz III.), das .Rationale divinorum officiorum' des Wilhelm DURANDUS und Albertus MAGNUS' ,De sacrificio missae'. 204 205

206

Vgl. ISERLOH, Art. A b e n d m a h l , 9 0 .

AMALAR VON METZ, Opera liturgica omnia, ed. Johannes Michael Hanssens, 3 Bde., in: StT 138-140, Cittä de Vaticano 1 9 4 8 - 1 9 5 0 . Dann: Opera liturgica, StT 139, 3 2 9 - 3 6 5 . Vgl. auch PL 105, 9 8 5 - 1 2 4 2 . 2 0 8 Zur Person vgl. A. FRANZ, Messe, 351 f. 2 0 9 Bereits vor AMALAR finden sich allegorische Messauslegungen wie etwa die des GERMANUS VON PARIS. Diese erlangten allerdings nicht dieselbe Verbreitung, vgl. FITZPATRICK, a.a.O., 137. Zu den Expositiones missae vgl. RUBIN, Corpus Christi, 52fF. 2,11 A.a.O., 3, 25, 1: „In sacramento panis et vini, necnon etiam in memoria mea, passio Christi in promptu est." PL 105, 1142. 207

86

Erster Teil:

Voraussetzungen

d . h . durch ihre Leitung, belebte. Solange die Seele hier lebte, lebte sie durch den Leib des H e r r n und der eigene Leib lebte durch die S e e l e . 2 1 1

Innerhalb dieses ursprünglich in der biblischen Exegese beheimateten allegorischen Messverständnisses repräsentieren die liturgischen Handlungsträger also Christus bzw. die Jünger und die liturgischen Handlungen Begebenheiten aus dem Leben Jesu. Eine Tabelle 2 1 2 gibt Auskunft über die jeweilige Zuordnung: Messelement

Deutung

Wortteil

Predigt Jesu bis zum Einzug in Jerusalem

Introitus bis Lesung Introitus Gloria in excelsis Epistel Responsorium Evangelium

Opferteil Dominus vobiscum Annahme der Oblationen Opfer der Gaben durch den Priester Sanctus Te igitur bis Konsekration Unde et memores bis Supplices Nobis quoque Zwei Kreuze mit der Hostie Zurücktreten der Subdiakone Hinzutreten der Subdiakone Senken einer Partikel in den Kelch Agnus Dei und Brotbrechen Dreiteilung der Hostie

Entlassung

Ankunft und Wirksamkeit Jesu Ankündigung Jesu durch die Propheten Empfang Christi und der Heiligen im Himmel nach der Auferstehung Predigt des Alten Testaments Predigt des Neuen Testaments Predigt Christi

Leiden, Tod und Begräbnis Jesu in Jerusalem Christi Gruß beim Einzug in Jerusalem Annahme von Lob und Gebeten beim Hosianna Einzug Christi in den Tempel zum Zwecke der Selbstdarbringung an den Vater Jubel der Volksmenge Leiden Christi und Flucht der Jünger Christi Tod am Kreuz Bekenntnis des Zenturio Abnahme Christi vom Kreuz Fortgang der Frauen vom Grab Besuch der Frauen am Grab Neuverbindung von Leib und Seele Christi bei der Auferstehung Erkennen der Emmausjünger beim Brotbrechen in den Kelch gesenkter Teil = Auferstehungsleib verzehrter Teil = Leib Christi auf Erden Viaticum auf Altar = Leib Christi in den Gräbern

Auferstehung und Himmelfahrt Jesu

Dieser neue Zugang zur Messe fand zwar zunächst den Widerspruch des FLORUS VON LYON,213 dem sich auch die Synode von Quierzy 8 3 8 anschloss, setzte sich auf lange Sicht aber durch und bestimmte die theologischen Messauslegungen des gesamten Mittelalters. Eine normierende Gleichung von Gestik und Bedeutung lässt sich dabei nicht feststellen, die allegorische Deutung war „a game with no rules". 2 1 4 So können die Diakone sowohl die R o l l e der Propheten als auch der J ü n ger, die Subdiakone die der Apostel oder die des J o s e f von Arimathäa überneh211 212 213 214

A.a.O., Praefatio altera, PL 105, 989. Übs. nach A. FRANZ, Messe, 354. Vgl. FRANZ, Messe, 355—357; ANGENENDT, Geschichte, 499. ,De Expositione missae', PL 119, 15—72, zur Kanoninterpretation vgl. PL 119, 43ff. P.J. FITZPATRICK, Eucharistie sacrifice, 137.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

87

men, und ein Bücken oder ein Kreuzschlagen kann in derselben Messerklärung an unterschiedlichen liturgischen Orten Anderes bedeuten. Grundsätzlich gilt: Die Eucharistie ist eine Inszenierung des Christusgeschehens. Die liturgische Materie wie Kleidung, Wasser, aber auch die Hostie, steht für den Christus praesens, die mit ihr vom Priester ausgeführten Handlungen bezeichnen die jeweiligen Momente des Heilsgeschehens. 215 Wenn der Zusammenhang zwischen liturgischer Handlung und zugeschriebener Bedeutung auch keiner N o r m folgte, so heißt dies nicht, dass er beliebig oder willkürlich bestimmt war. In Aufnahme der Ergebnisse, die W. M A S S A S Arbeit 2 1 6 gebracht hat, können zwei Typen unterschieden werden.

2.3.1.1

Allegorische

und symbolische

Deutung

Wie oben aufgezeigt, konnte sich unter der Prämisse einer ontologischen Statusdifferenz zwischen Abbild und Bild bzw. memorialem Handlungsvollzug und Erinnerungsgehalt das Gedächtnis des Kreuzesopfers als memoriale Aktivität des erinnernden Subjektes individualisieren und psychologisieren, denn die Gottespräsenz wurde nun in materiell-dinglichen Kategorien ausgesagt und gab das Handlungsmoment damit an die fromme Subjektivität zurück. 217 Innerhalb dieses R a h mens lassen sich nun zwei Typen der Messauslegung unterscheiden. Beide verstehen die Messe grundsätzlich als Gedächtnis, differieren aber in der Deutungsweise und dem Deutungsobjekt. Interpretiert das erste Modell die ganze Messe in all ihren liturgischen Teilen als eine Allegorie, so wendet sich die zweite Position nur der als Symbol verstandenen Sakramentshandlung zu. Die allegorische Deutung versteht die Messe als eine Darstellung der Großtaten Gottes, wobei entweder die ganze Heilsgeschichte, das Leben Jesu oder aber nur seine Passion aus der Messe herausgelesen werden. Die symbolische Auffassung hingegen sieht in der Messe den von Jesus selbst beabsichtigten Symbolgehalt verdeutlicht und bleibt damit allein auf die Passion bezogen. Beide Varianten gehen aber von dem Modell der somatischen Realpräsenz aus.

2 1 5 Vgl. P.J. FITZPATRICK, Eucharistie sacrifice, 138. Für das Opfer bedeutete dies natürlich eine Aufwertung der R o l l e der Kirche, denn das Opfer war eine Handlung und nicht materiell-dinglich darzustellen. Vgl. zum Verständnis der priesterlichen Handlung als Repräsentation des Kreuzesopfers O d o CASEL, Die Meßopferlehre der Tradition, 3 5 5 - 3 6 0 , der dort Kritik an der Auffassungjoseph DILLERSBERGERS übt, der die Opferhandlung Christi nicht in den Elementen, sondern dem Akt des Priesters bezeichnet sah. 2 1 6 Die Eucharistiepredigt am Vorabend der Reformation. Eine materialkerygmatische U n t e r suchung zum Glaubensverständnis von Altarsakrament und Messe am Beginn des 16. Jahrhunderts als Beitrag zur Geschichte der Predigt, Steyl 1966. 2 1 7 Hier ist auf den Mentalitätswechsel zu verweisen, den die Entwicklungen des 12. Jahrhunderts mit sich brachten. Während im Frühmittelalter die Perspektive einer äußeren Tatsphäre vorherrschte, konnte das M o m e n t der Innerlichkeit unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen neu hervortreten: „Im Zuge einer verfeinerten, ethisierten ritterlichen Kultur, eines R e f o r m aufbruchs im Klosterleben, eines rasch wachsenden Städtewesens und einer aufblühenden Urbanen Kultur kam es zu ganz neuartigen Phänomenen der Verinnerlichung und Individualisierung." B . HAMM, Gottesliebe, 21.

88

Erster Teil:

2.3.1.2

Die ontologische

Grundverbindung:

Voraussetzungen

Gedächtnis

und

Abbild

A u f d e r Basis dieser V o r s t e l l u n g w i r d d a n n das Verhältnis v o n K r e u z e s o p f e r u n d M e s s o p f e r k o n s t r u i e r t . F ü r die M e s s o p f e r t h e o l o g i e ist d a b e i e n t s c h e i d e n d , o b d e r L e i b g e g e n w ä r t i g w i r d , u m d a n n g e o p f e r t zu w e r d e n , o d e r o b m i t d e r V e r g e g e n w ä r t i g u n g des Leibes a u c h d e r G e k r e u z i g t e präsent w i r d . I m ersten Falle g e w ö n n e das M e s s o p f e r das Profil e i n e r g e g e n ü b e r d e m K r e u z e s o p f e r selbstständigen u n d u n a b h ä n g i g e n H a n d l u n g , i m z w e i t e n Falle k ä m e seine A b h ä n g i g k e i t v o m K r e u z e s o p f e r z u m A u s d r u c k . Dieses G r u n d p r o b l e m b e g e g n e t d a n n i m G e w a n d d e r b e i d e n K a t e g o r i e n Z e i t u n d A b b i l d : Was w i r d an e i n e r i m M o d u s d e r G e g e n w a r t b e g r i f f e n e n V e r g a n g e n h e i t tatsächlich g e g e n w ä r t i g , bzw. w e l c h e n W i r k l i c h k e i t s g e h a l t h a b e n Bild o d e r Z e i c h e n g e g e n ü b e r d e m A b g e b i l d e t e n ? D e r E i n b e z u g aller Messteile in d i e D e u t u n g lässt bei d e r allegorischen I n t e r p r e tation Gedächtnis u n d sakramentale H a n d l u n g auseinander treten. Je nach G e d ä c h t n i s i n h a l t d i f f e r e n z i e r e n sich die V o r s t e l l u n g e n d a n n in das G e d ä c h t n i s d e r H e i l s g e s c h i c h t e insgesamt (memoria mirabilium

suorum)

u n d das spezifische G e -

d ä c h t n i s d e r Passion (memoria et repraesentatio passionis). N i c h t ein a n d e r e r G e d ä c h t n i s m o d u s , s o n d e r n allein das G e d ä c h t n i s o b j e k t b e g r ü n d e t d a b e i die U n t e r s c h e i d u n g . Folglich w i r d d e r G e d ä c h t n i s b e g r i i f sehr w e i t gefasst, es g e h t u m e i n allgem e i n e s D e n k e n an G o t t e s H e i l s w i r k e n u n d n i c h t u m e i n e n allein d e m S a k r a m e n t eigenen Modus. D i e s y m b o l i s c h e A u s l e g u n g s w e i s e v e r s t e h t das G e d ä c h t n i s stets als Passionsgedächtnis: In d e n S y m b o l e n B r o t u n d W e i n sowie d e n (priesterlichen) H a n d l u n g e n an i h n e n vollzieht sich die memoria passionis. H i e r s c h e i n e n G e d ä c h t n i s u n d G e g e n w a r t des Christus passus also e n g e r b e i s a m m e n zu s t e h e n . D i e V e r b i n d u n g G e d ä c h t nis — O p f e r d i f f e r e n z i e r t sich d a n n aber n o c h m a l s : E n t w e d e r w i r d n u r das E n d r e sultat d e r Passion, Jesu T o d , g e g e n w ä r t i g . D a n n sind d i e E l e m e n t e D e u t u n g s g e g e n s t a n d („statisches E u c h a r i s t i e v e r s t ä n d n i s " ) : W i e die S y m b o l t r ä g e r als R e s u l t a t v o n Z e r s t ö r u n g ( g e m a h l e n e K ö r n e r , gepresste T r a u b e n ) g e t r e n n t v o r l i e g e n , so ist Jesu T o d g e g e n w ä r t i g . O d e r aber die s a k r a m e n t a l e H a n d l u n g w i r d z u m O b j e k t d e r I n t e r p r e t a t i o n ( „ d y n a m i s c h e s E u c h a r i s t i e v e r s t ä n d n i s " ) : W i e die E l e m e n t e

ge-

t r e n n t k o n s e k r i e r t , das B r o t g e b r o c h e n u n d L e i b u n d B l u t v e r z e h r t w e r d e n , so ist Jesu s t e r b e n d e H i n g a b e in d e r M e s s e präsent. D a n n w i r d a u c h d e r O p f e r a k t Jesu in d e n D e u t u n g s - u n d d a m i t a u c h P r ä s e n z g e h a l t a u f g e n o m m e n . Bei d e n e i n z e l n e n A u t o r e n sind diese systematischen L i n i e n n i c h t i m m e r glasklar a u f z u w e i s e n , o f t b e g n ü g t m a n sich m i t d e r b l o ß e n B e h a u p t u n g , die M e s s e sei e b e n R e p r ä s e n t a t i o n o d e r G e d ä c h t n i s des K r e u z e s o p f e r s 2 1 8 o d e r stellt die M o d e l l e u n v e r b u n d e n n e b e n einander. B e t r a c h t e t m a n spätmittelalterliche E u c h a r i s t i e p r e d i g t e n u n t e r dieser P e r s p e k t i ve, so ergibt sich f o l g e n d e s Bild: G e i l e r VON KAISERSBERG e t w a vertritt o f f e n das I n 218

Gabriel BARLETTA etwa lässt es bei der Bezeichnung der Messe als significatici Christi bewen-

den und scheint keinerlei Interesse an einer Erklärung weitergehender Zusammenhänge zu haben. Vgl. seinen Sermo 50, ad 1, in: .Sermones de tempore quadragesimae', Hagenau 1518, Heinr. Gran, Mü. SB: 8 P. lat. 118, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

89

dividualkonzept, wenn er die memoria als „Denken an die Passion" bestimmt. 2 1 9 Das subjektive Moment stärkt auch Johannes VON WERDEN. Er versteht das G e dächtnis als Betrachtung. Dabei kann er die Einheit von Kreuzesopfer und Messopfer mit starken Worten zum Ausdruck bringen: „Der Christ befindet sich während der Messe gleichsam auf Kaivaria und erlebt das Leiden und den Tod des Herrn m i t . " 2 2 0 Die allegorische Grundposition Werdens verhindert dann aber eine christologische Bestimmung dieser gegenwärtigen Vergangenheit. Sie ist ganz in der versenkenden Schau des oder der Einzelnen begründet, das Messgeschehen fungiert nur als anregendes Zeichen: Der Altar stellt das Kreuz, der Kelch das Blut, das Priestergewand die Schandkleidung Christi dar. So bewegt sich sein Denken nicht vom Christusgeschehen auf die Messe zu, sondern schwingt sich vom liturgischen Handlungsvollzug affiziert nach Golgatha auf. Eine dritte Position stellt die Verbindung von Empfang und Gedächtnis 221 heraus. Hier treten Sakrament und Gedächtnis in einen engeren Zusammenhang, ohne freilich schon ein sakramentales Gedächtniskonzept zu implizieren. Das verdeutlicht die Auffassung des ,Soccus': Das Gedächtnis begegnet hier als Frucht des Sakraments. Erst wird also Christi Leib gegenwärtig, dann erneuert diese Gegenwart in uns das Gedächtnis an seine Passion. 222 Die sakramentale Wirklichkeit bildet also nicht den Rahmen des Gedächtnisses, sondern firmiert als bloße Anregung einer dann unschwer individual zu konzipierenden memoria- Vorstellung. So dokumentiert diese Lösung gerade nicht die Einheit, sondern die Trennung von Gedächtnis und Sakrament. U n terschiede lassen sich auch im Gedächtnisobjekt feststellen. Sehen Heinrich HERPF223, Oswald VON LASKO224 und die ,Sermones Meffreth' 2 2 5 die Passion im Gedächtnis erinnert, so weiten dies BARLETTA 2 2 6 und Johannes von B E C H H O F E N 2 2 7

219

,Evangelibuch mit Auslegung', Straßburg 1515, Mü. S B : 2 P. lat. 8 4 1 , 1, fol.78r, zitiert nach

W . MASSA, a.a.O.,

239.

Zitiert nach MASSA, a.a.O., 84. Das Zitat findet sich im Sermo 6 8 , ad 3, in: .Sermones D o r mi secure de sanctis', Straßburg 1489, H 1 5 9 6 0 , M ü . S B : Inc. c.a. 2 3 1 8 , zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 2 4 0 . 220

221 Vgl. den von Massa, a.a.O., 8 8 - 9 2 geführten Nachweis für die ,Sermones Socci de T e m p o re et de Sanctis', Johannes HEROLT, Gabriel BIEL und den ,Thesaurus novus'. 2 2 2 „Wenn wir seinen Leib essen und sein Blut trinken, dann können wir ihn einfach nicht mehr vergessen, und das wollte er, als er sagt, tut dies zu meinem Gedächtnis." Zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 89. Das Zitat findet sich im S e r m o 119, col.6, in: .Sermones Socci de tempore hyemali', vgl. Massa, a.a.O., 2 4 0 . 2 2 3 S e r m o 79, col. 2, i n : , S e r m o n e s de tempore', Speyer 1483, P.Drach, H . 8 5 2 7 , M ü . S B : 2 Inc. c.a.630, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 2 3 9 . 2 2 4 Sermo 46, col. 2, in: .Sermones dominicales ... Biga salutis intitulati', Hagenau 1499, H C 9 0 5 3 , M ü S B : Inc. c. a. 1 6 6 2 m , zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 2 4 0 . 2 2 5 Sermo 3 3 , col. 10, in: ,Sermones Meffreth de tempore estivali, Basel 1487, H 11006, M ü . S B : 2" Inc. c.a. 1920 a, zitiert nach MASSA, a.a.O., 2 4 0 . 2 2 6 Vgl. oben Anm 2 1 8 . 227 ,Expositio missae juxta vulgatos quattuor sensus', Basel 1519, M ü . S B : 4 P. lat. 112 r, fol 6r, zitiert nach MASSA, a.a.O., 2 3 9 .

90

Erster Teil:

Voraussetzungen

auf das ganze Leben Jesu aus. Gottschalk HOLLEN228 und Konrad GRITSCH229 konzentrieren sich auf den Tod Jesu. Insgesamt zeigt es sich, dass die systematischen Probleme und Spannungen der Messopferqualifikation nicht gelöst werden. Das gilt auch für die ,Canonis Missae Expositio' Gabriel BIELS. Zwar stellt er zunächst heraus, inwiefern das Kreuzesopfer dem Messopfer überlegen sei: Obgleich im Sakrament die Gnadenfülle in der ungeschaffenen und unbegrenzten Gnade Christus gegenwärtig sei, so besitze die Messe doch nur begrenzten Wert, denn die Darbringung Christi in der Messe sei viel weniger wert als seine Darbringung am Kreuz. Letztere nämlich sei ein unmittelbares, wahres Opfer gewesen, in welchem Christus sich nur einmal für die Erlösung aller geopfert habe. In der Messe sei indes die Darbringung identisch, nicht aber die Tötung. Der Tod Christi werde vielmehr erinnert und repräsentiert. Das Gedächtnis des einmaligen Opfers besitze dann aber doch wohl geringere W i r k samkeit als dieses Opfer an den Vater selbst. Dann aber zeigt sich sein eigentliches Motiv für die Behauptung eines begrenzten Messwertes. Es liegt gerade nicht bei der Wahrung des eipccrai; oder soteriologischen Überlegungen, sondern ist ekklesiologischer Natur: Andererseits kann man freilich nicht sagen, dass so w i e Christus einmal nur für die E r l ö sung der ganzen Welt litt, auch eine Messe g e n ü g e für die Erlösung aller Seelen von allen Strafen des Fegefeuers und zum G e w i n n des ganzen Gutes. Vergebens gäbe es sonst so viele Priester und vergebens hätte die K i r c h e so viele Messen für die unterschiedlichsten A n l i e gen a n g e o r d n e t . 2 3 0

Dabei nötigt die Abhandlung der Messopferproblematik unter der Perspektive des quantifizierbaren meritum zu der Vorstellung, dass Gott dem Menschen einen gewissen Lohn auch schulde. 231 Dieser Lohn konnte nun verschieden konkretisiert werden. Einen Einblick in die vielfältigsten Wünsche und Hoffnungen, welche die mittelalterlichen Menschen mit der Messe verbanden, gewähren ihre Vorstellungen von den Früchten der Messe.

2 2 8 Sermo 40, F, in: .Sermonum opus exquitissimum', Sommerteil, Hagenau 1517, Mü. SB: 2 P. lat. 755, zitiert nach MASSA, a.a.O., 239. 2 2 9 Sermo 43, col. 17, in: ,Quadragesimale', Lyon 1495, Trechsel, H C 8080, M ü SB.: Inc. c.a. 3210, zitiert nach MASSA, a.a.O., 239. 2 3 0 „Alioquin sicut christus semel tantum passus est ad totius mundi redemptionem, ita et una missa sufficeret pro redemptione animarum omnium ab omnibus penis purgatorii, et ad impetrationem totius boni; quod tarnen dicendum non est. Alioquin frustra essent tot sacerdotes, frustra etiam tot misse pro variis impetrandis ab ecclesia ordinate." L.27L (2, 265). 231 „Patet, quia diminuii bonum sibi ex sacrificio misse debitum, in eo quod sibi soli in tali gradu ex obligatione applicare debuit, etiam alteri in eodem gradu applicando." L . 2 7 0 (1, 268). Vgl. auch ebenda (1, 269): „Si quis ad centum missas dicendas obligatur [...], aut alterius iusticie absolveret se dicendo unam missam [...]. Frustra enim tune fierent private institutiones et anniversaria contra generalem consuetudinem ecclesie atque ritum."

§2

2.3.2

Geschichtliche

Die Quantifizierung

Konkretionen

der Messe: Die

des

Messopfergedankens

91

Messfrüchte

Die mit dem Modell der somatischen Realpräsenz verbundene Konzentration auf das Moment der Wandlung und die priesterliche Konsekrationsvollmacht ließ die Aktivität Christi als des sacerdos principalis in der Messe zurücktreten. Dies begünstigte die Vorstellung, die mehr und mehr als Subjekt des Geschehens erscheinende Kirche könne über die Messe verfügen. 232 Messen konnten dann für eigene Zwecke eingesetzt werden, was zur Frage nach dem Wert der Messe führte. Mannigfaltige Vorstellungen von den Segnungen, die sich mit dem Hören einer Messe oder der aufmerksamen Wahrnehmung der Elevation verbanden, kursierten hier. Die Anteilhabe an solch einer Frucht kann freilich ein bestimmtes Verhalten aufseiten des Messbesuchers voraussetzen. 233 Bereits Walahfrid STRABO (f 850) diskutiert die in der frühen Kirche nicht erweisbare 234 tägliche Zelebration. 2 3 5 Das epdreai; spreche für eine Feier pro Tag. Da 232

Z u der Lehre von den Früchten der Messe vgl. A. FRANZ, Messe, 3 6 - 7 2 . Wessel GANSFORT

lehnt in , D e sacramento eucharistiae et audienda missa' diese Verfügungsgewalt mit d e m Hinweis a u f die Schrift ab. S o fasst die T h e s e 16, O p e r a , 8 1 6 , seine Position zusammen: „ O m n i a haec Pauli et Mosis licet o m n i a multitudini in salutem auxilia fuerint, merita tarnen sunt Paulo tantum et M o s i : n e q u e e n i m Paulus donare potuit aut M o s e s . " - A u f die ekklesiologischen Implikate eines Konzeptes, bei d e m die v o m Priester gesprochenen W o r t e unmittelbaren Z u g a n g zum Heiligen schaffen, w i e dies fiir die B u ß e (Absolutionsworte) und die K o m m u n i o n (Wandlungsworte) der Fall war, weist M . OHST, Pflichtbeichte, 133, hin: „ H i e r w i e dort fungiert dann die Kirche als Vermittlerin objektiv sich vergegenwärtigender göttlicher G e g e n w a r t , die der Christ passiv im G l a u ben erfährt, der bis zur UnUnterscheidbarkeit mit d e m vertrauensvollen G e h o r s a m gegen die kirchliche Autorität konkresziert. B e i d e A k t e lassen sich dann sowohl als A k t e des Gehorsams g e gen das K i r c h e n g e b o t als auch als heilswirksame B e g e g n u n g e n mit der K i r c h e als der Spenderin der göttlichen Gnade v e r s t e h e n . " 233

Vgl. BERTHOLD VON REGENSBURG, dessen D e k a l o g von Messfrüchten die f r o m m e Aktivität

des Messhörers mit der i h m zuteil werdenden F r u c h t durchgängig proportional verbindet: „ U n a gracia seu b e n e d i c t i o est, q u o d quanto fideles sunt ibi deuociores, humiliores ac puriores, tanto eis i m m i n u u n t u r p e c c a t a . " Predigt , D e confessore', zitiert nach FRANZ, Messe, 3 8 . Vgl. dazu auch Wessel GANSFORT, a.a.O., 8 1 2 f : „In hac [ s c . c o m m u n i o n e ] filiorum dei c o m m u n i o n e participantior est, qui charitate paterna in D e u m , & per h o c fraterna major. U n d e fit, utquia quando fidelius gaudet frater de b o n o fratris, quam is qui habet, fit, ut ille magis participet, qui m a j o r e m ejus fructum capit." Wessel kann diese innere Disposition dann allerdings gegen die kirchliche Autorität in S t e l lung b r i n g e n : „ H a e c est essentialis filiorum D e i c o m m u n i o [...], a qua nulla Ecclesaistica potestas vel excludere vel introducere potest. Particeps ergo vigiliarum, j e j u n i o r u m , observantiarum, & orationum o m n i u m religiosorum est, quisquis illa illorum b o n a valde desiderat, etiamsi n o n P r i o r aut C a p i t u l u m illi literas dederint ad h o c . " E b d . , 8 1 3 . O . H . PESCH, E i n f u h r u n g 5 9 f , stellt die V e r wurzelung der Dispositio

— Vorstellung in der aristotelischen Philosophie heraus: „ D i e Mitteilung

einer F o r m setzt eine vorbereitete oder, w i e man damals sagt, .disponierte' M a t e r i e voraus. [...] N u r ein dafür geeigneter Leib zum Beispiel kann Träger einer Geistseele sein, und deshalb ist nicht j e d e r lebendige Leib ein M e n s c h . N u r eine .disponierte' Seele, hier genauer: nur eine dazu willige Seele und daher ein .disponierter' Wille kann die geschenkte G n a d e n f o r m a n n e h m e n . " 234

Vgl. dazu BROWE, K o m m u n i o n , 3: „Sichere Zeugnisse für die tägliche Feier des O p f e r g o t -

tesdienstes sind aus den ersten 2 J a h r h u n d e r t e n , von Jerusalem vielleicht abgesehen, nicht v o r h a n den [ . . . ] . " E b e n s o votiert FRANZ, Messe, 11. 235

, D e Ecclesiasticarum R e r u m Exordiis et Incrementis', 21 (PL 114, 9 4 3 ) , unter der Ü b e r -

schrift „ U t r u m semel vel saepius in die offerre conveniat et c o m m u n i c a r e " . heißt es: „ [ . . . ] unus, qui d o m i n a t o r et j u d e x est vivorum ac m o r t u o r u m , semel pro peccatis nostris mortuus est ad m u l t o r u m exhaurienda peccata. Alius vero bis, ter, vel quotieslibet, eadem mysteria in die iterare c o n -

92

Erster Teil:

Voraussetzungen

Gottes Gnade aber umso öfter mobilisiert werde, j e häufiger m a n der Passion C h r i sti gedenke, werde die Messe auch öfter gefeiert. 2 3 6 Dabei b e g r ü n d e t sich die H ä u f u n g der Messfeier zumeist hamartiologisch. D i e Sünde wird nicht als ein bleibend umfassendes G r u n d p h ä n o m e n w a h r g e n o m m e n , sondern begegnet unter u n t e r schiedlichen m i t u n t e r quantifizierbaren Aspekten. Entsprechend wird dann auch der jeweiligen Sünde die ihr entsprechende G n a d e zugewiesen. So kann Paschasius RADBERTUS die tägliche Zelebration in den täglichen postbaptisalen Sünden b e g r ü n d e n . Offensichtlich werden hier Erbsünde u n d Kreuzesopfer sowie tägliche Sünde u n d Messopfer parallel geschaltet, 2 3 7 allerdings n o c h nicht in gegeneinander selbstständige Kompetenzbereiche aufgeteilt. 2 3 8 Zugleich ist mit diesem J u n k t i m von täglicher Sünde u n d Messopfer die Frage nach d e m würdigen E m p f a n g gestellt, welche die Sakramentstheologie mit der Soteriologie verband.

2.3.2.1

Die theologische

Reflexion

D i e gerade i m Spätmittelalter zu b e o b a c h t e n d e Z u n a h m e der Messstipendien lässt nach den W ü n s c h e n u n d H o f f n u n g e n fragen, welche die Initiatoren mit ihrem Stip e n d i u m verbanden. Dabei ist erneut auf das Verhältnis von Kreuzes- u n d Messopfer zu achten: Stellt man sich den Wert dieses Einbezugs in die Fürbitten des Priesters begrenzt vor, so bedeutet das für die Messopfertheologie ein Abkoppeln des Messopfers v o m unumstritten unendlich wirksamen Kreuzesopfer. Für die Praxis freilich bot die Lehre v o m begrenzten Wert der Messe eine Legitimationsgrundlag r u u m p u t a t , c r e d e n s t a n t o a m p l i u s D e u m et m i s e r i c o r d i a m flecti q u a n t o c r e b r i u s passio C h r i s t i commemoratur." 236 S y n o c j e v o n H e i l i g e n s t a d t (1022) b e g r e n z t d i e t ä g l i c h e n M e s s e n a u f drei. A b d e m 12. J h . v e r b i e t e t das K i r c h e n r e c h t m e h r als e i n e F e i e r p r o Tag: „ S u f f i c i t s a c e r d o t i u n a m i n d i e u n a c e l e b r a r e m i s s a m , q u i a C h r i s t u s s e m e l passus est, et t o t u m m u n d u m r e d e m i t . " D e c r e t u m III, „ D e c o n s e c r a t i o n e " c.53, C I C I, col. 1308, zitiert n a c h A . FRANZ, Messe, 7 4 f . Allerdings w u r d e d i e B i n a t i o n in b e s t i m m t e n causae necessitatis e r l a u b t , e t w a d e n Kasualien, d e m M e s s b e g e h r eines V o r n e h m e n o d e r b e i d e r Z u g e h ö r i g k e i t m e h r e r e r K i r c h e n z u m A u f g a b e n b e r e i c h des Priesters. U b e r d i e se A u s n a h m e r e g e l u n g e n k o n n t e die m e h r m a l i g e Feier z u r R e g e l w e r d e n , vgl. FRANZ, e b d . 237 ,Liber d e C o r p o r e et S a n g u i n e C h r i s t i ' , 9 (PL 120, 1 2 9 3 f ) . 2 8 -' D i e s b e g e g n e t b e i STEFAN v o n A u t u n (f 1136) : W ä h r e n d das K r e u z e s o p f e r die E r b s ü n d e tilge, tilge das M e s s o p f e r die t ä g l i c h e n S ü n d e n . D i e b e i d e n O p f e r w e r d e n d a b e i analogisiert: W ä h r e n d C h r i s t u s sich a m K r e u z o p f e r t e , o p f e r e d e r P r i e s t e r C h r i s t u s a u f d e m Altar. ,Tractatus d e Sacr a m e n t o Altaris', 9 (PL 172, 1280): „ I p s e [sc. C h r i s t u s ] sacrifex est et s a c r i f i c i u m , hostia et sacerdos, quia D e u s est et h o m o . V i c a r i u s ejus, quia t a n t u m h o m o , sacrificans t a n t u m est et sacerdos. Ille M e d i a t o r D e i et h o m i n i s h o m i n e s D e o reconcilliavit; iste p o p u l u m D e o p l a c a b i l e m r e d d i t . Ille ad d e x t e r a m Patris p r o n o b i s i n t e r p e l l â t ; iste p r o g r e g e sibi c r e d i t o orat. Ille p e c c a t a d i m i t t i t ; iste ligat et solvat. [...] Ille i n ara crucis h o s t i a m s a n c t a m et D e o p l a c e n t e m se Patri o b t u l i t ; iste i p s u m e u m d e m o f f e r t i n m e n s a altaris. N o b i s a u t e m q u i q u o t i d i e l a b i m u r , ut ejus i n t e r v e n t u r e l e v e m u r , f u i t n e c e s s a r i u m h a b e r e p r a e s e n t e m h u n c salutis n o s t r a e a u c t o r e m . " E i n e B e g r ü n d u n g d e r t ä g l i c h e n D a r b r i n g u n g des O p f e r s in d e n t ä g l i c h e n S ü n d e n b i e t e n a u c h TAULER, P r e d i g t e n , 3 1 8 , 17—23 u n d ECKART, R e d e n d e r U n t e r w e i s u n g 2 0 , D W 5, 2 7 2 , 11—273,4. L e t z t e r e r m e i n t : „ W ä r e n z w e i M e n s c h e n i m g a n z e n L e b e n gleich, u n d h ä t t e d e r e i n e n u r e i n m a l m e h r u n s e r e s H e r r n L e i b m i t W ü r d i g k e i t e m p f a n g e n als d e r a n d e r e , so w i r d dieser M e n s c h d a d u r c h v o r d e m a n d e r e n w i e e i n e s t r a h l e n d e S o n n e sein, u n d er w i r d e i n e b e s o n d e r e E i n u n g v o r G o t t e r l a n g e n . " Z i t i e r t n a c h B.WEISS, Eucharistie, 233.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

93

ge für die Häufung der Messfeiern, 2 3 9 da man sich erstens nie sicher sein konnte, ob die persönliche Lebensleistung den eschatologischen Anforderungen genügen würde, und zweitens der Nutzen jeder Messe dann proportional zur Teilnehmerzahl schrumpfte. 2 4 0 Damit verband sich aber auch die Frage nach dem Heil für A r m und R e i c h , denn offenkundig konnten sich Begüterte häufiger in die priesterliche Fürbitte einkaufen als arme Messteilnehmer, die nur allgemein Erwähnung fanden. D i e Frage nach der Heilsbedeutung besonderer Gebete eröffnete damit einen weit gespannten Problemhorizont. Die Kanonisten des 12. und 13. Jahrhunderts stießen auf diese Problemlage bei der Kommentierung des C a n o n , N o n mediocriter'. D o r t heißt es: Beugt sich Gott etwa auf Grund der Vielzahl der Worte? Denn nicht allein mit Worten, sondern mit dem Herzen soll Gott angebetet werden. Deshalb ist es besser, fünf Psalmen mit reinem und ernsthaftem Herzen und geistlicher Freude zu singen als den [ganzen] Psalter mit einem ängstlichen und traurigen Herzen zu rezitieren. Wenn also für hundert Seelen ein Psalm oder eine Messe gelesen wird, so wird das nicht geringer beurteilt als wenn sie nur für einen einzigen dieser hundert gelesen werden. 241 D e r Wert der Messe wird hier also nicht von der Quantität der Gebete, sondern von der Haltung der Teilnehmer abhängig gemacht. Eine zweifache Antwort referiert der Lombarde: Nach der ersten besitzen die oblationes peculiares keine größere Kraft als die allgemeinen Gebete, nach der zweiten bewirken sie zwar keine vollere, wohl aber eine schnellere Lossprechung. 2 4 2 PRÄPOSITINUS von Cremona ergänzt dies durch eine dritte Antwort: D i e besonderen Gebete des R e i c h e n nützten nicht nur ihm allein, sondern zugleich auch dem Armen. Ihr Sinn liege prinzipiell in der Anregung der Frömmigkeit. 2 4 3 U n t e r den Kanonisten legt H U G U C C I O ("¡"1210) den C a n o n in einem sehr stipendienfreundlichen Sinne aus. Grundsätzlich sei der C a n o n auf das Psalmengebet beschränkt, Fasten, Almosen und Gebete nützten nur den bedachten Toten. D e n Zentralsatz, eine Messe für hundert Seelen dürfe auf dieselbe Annahme hoffen wie eine Messe nur für eine einzige, versteht er dahingehend, dass die besondere B e nennung der Begünstigten in einer Messe für hundert Personen keine Auswirkung

239

Vgl. nur das A r g u m e n t Gabriel BIELS, bei u n b e g r e n z t e m W e r t der Messe sei j e d e m M e n -

schen nur eine Messe zu feiern nötig, L . 2 7 L (1, 2 6 5 ) . 240

G e g e n diese Vorstellung wendet sich W.GANSFORT, , D e sacramento eucharistiae et audienda

missa', a.a.O., 8 1 9 : „ V n d e q u o d dicunt, celebratam pro multis Missam n o n valere unicuique, q u a n t u m valeret si pro e o solo celebraretur, falsum puto: j u d i c i o tamen interini m e o solius. Valet enim unicuique, quantum spiritualiter immutatur et proficit, n o n q u a n t u m desiderai qui c e l e brar " 241

„ N u m q u i d v e r b o r u m flecti multitudine ut h o m o D e u s potest? N o n enim verbis tantum,

sed corde orandus est D e u s . Q u a p r o p t e r m e l i o r est q u i n q u e psalmarum cantatio c u m cordis p u n tate ac serenitate et spirituali hilaritate, quam psalterii modulatio c u m anxietate cordis atque tristitia. C u m igitur pro c e n t u m animabus psalmus vel missa dicitur, nihil minus, quam si pro u n o q u o libet ipsorum diceretur, accipitur." C . 2 4 d.5 de cons., zitiert nach E . ISERLOH, Wert, 46, A n m . 6 . 242

I V Sent. d.45, c.4, vgl. E . ISERLOH, W e r t , 4 6 .

243

, S u m m a theologica', IV, D e novissimis, M s Vat. Lat. 1 1 7 4 fol. 6 4 rb, zitiert nach E . ISERLOH,

a.a.O., 4 7 .

94

Erster Teil:

Voraussetzungen

auf den Wert habe. 244 Die GLOSSA ORDINARIA nimmt diese Interpretation auf, stellt ihr aber noch zwei weitere zur Seite. Die erste wendet sich gegen eine Portionierung des Messwertes und geht tatsächlich von einer Wirkungsidentität unabhängig von der Zahl der Begünstigten aus. Die zweite Meinung hingegen bezieht den Canon auf den Priester: für ihn bleibe der Messwert gleich, egal ob er die Messe für eine oder hundert Personen darbringe. Versucht man eine Tendenz in diesen Auslegungen auszumachen, so zeigt sich das grundsätzliche Bemühen, die Stipendienpraxis theologisch nicht sinnlos erscheinen zu lassen, ohne dem weltlichen R e i c h t u m soteriologische Relevanz zuzusprechen. So sucht auch THOMAS245 zu vermitteln: Einmal seien die Suffragien wirksam nach dem Liebesgrad der Messteilnehmer, unabhängig vom intendierten Begünstigten. Dieser Effekt bestehe in der inneren Tröstung. Hinsichtlich des satisfaktorischen Nutzens indes sei allein der Nominierte begünstigt. Diese satisfaktorische Wirkung denkt er nun als in sich begrenzt. Dabei geht es ihm nicht u m die Z u w e n d u n g des Messopfers selbst, sondern nur u m die Messgebete. 246 Bei der Bestimmung des Wertes des Messopfers versucht Thomas dann zwei Sachverhalte zu verbinden: Einmal die Präsenz Christi in der Eucharistie. Sie fordert eine unbegrenzte Wirkung des Sakraments, wenn die Suffizienz des Kreuzesopfers gewahrt bleiben soll. Z u m anderen darf aber eine einzige Messe nicht die gesamte Fegfeuerstrafe tilgen, sonst wäre das Auferlegen mehrerer Messen unsinnig. Die Lösung zeigt nun eindeutig eine Option für die kirchliche Vorfmdlichkeit: Thomas differenziert zwischen der Kraft (unbegrenzt) und der Wirkung (begrenzt) Christi im Sakrament. 247 Die Wirkung der Messe ist also von vornherein begrenzt, unabhängig von der Hingabegesinnung der Teilnehmer. In der ,Summa theologica' hingegen begründet der Dominikaner die limitierte Messwirkung nicht aus dem C h a rakter der Messe selbst, sondern aus der Gesinnung der Opfernden. Die Messe selbst habe unendlichen Wert, der Glaube und die Hingabe der Opfernden aber sei begrenzt. Als Beleg dient das Scherflein der Witwe, welches den Wert des Opfers ja auch subjektiv und nicht objektiv bestimme. 2 4 8

244

V g l . E . ISERLOH, a . a . O . , 4 8 .

I V Sent. d. 4 5 q. 2 a . 4 (Suppl. Q . 7 1 a . l 2 ) , vgl. I S E R L O H a.a.O., 5 0 . S T h 3, q.82, a.6. (30, 307—309). T h o m a s unterscheidet zunächst zwischen der Messe als Sak r a m e n t u n d d e n G e b e t e n der Messe. D i e Messe als Sakrament gilt u n a b h ä n g i g von der Moralität des Priesters, die G e b e t e aber nicht. Sie sind n o c h einmal zu differenzieren: Als H i n g e b u n g des Priesters als „ P r i v a t p e r s o n " sind sie in vollem M a ß e abhängig von dessen Disposition. Als G e b e t e des Priesters als D i e n e r s der Kirche aber b r i n g e n sie stets Frucht. Z u G r u n d e liegt also das K o n z e p t einer als transpersonale Objektivität verstandenen Kirche. W e n n B. WEISS, Eucharistie, 228, A n m . 18, die Position des T h o m a s darin zusammenfasst, dass „ T h o m a s nicht davon [spricht], daß das O p f e r eines g u t e n Priesters schlechthin G o t t m e h r gefalle", so verdeckt die F o r m u l i e r u n g , dass die Moralität der Priesters einen Einfluss auf die Messfrucht hat. 247 Vgl. z u m G a n z e n IV Sent, d . 4 5 q.2 a.4, 3 ed. S. 1129; Suppl q.71 a.14 ad 2, vgl. I S E R L O H a.a.O., 51. 248 S T h 3, q.79, a.5 (30, 207): „ I n q u a n t u m vero est sacrificium, habet v i m satisfactivam. Sed in satisfactione magis attenditur affectus offerentis q u a m quantitas oblationis, u n d e et D o m i n u s dixit, Luc 21, de vidua q u e obtulit d u o aera q u o d ,plus o m n i b u s misit'. Q u a m v i s igitur haec oblatio ex 245

246

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

95

Eine entgegengesetzte Position vertritt BONAVENTURA:249 Nur die allgemeinen Gebete wirkten entsprechend der Hingabe, die besonderen Gebete nützten allein dem oder der Nominierten. 2 5 0 Dabei übersieht er die Spannung zu dem doch für alle geltenden Kreuzesopfer nicht, baut aber die Differenz im Darbringungsmodus zu einer Trennung von Kreuzes- und Messopfer aus: Das blutige Kreuzesopfer gelte allgemein, das unblutige Messopfer aber für den j e Einzelnen. Diese Aufhebung des Kreuzesopfers ins Allgemeine verurteilt es faktisch zur soteriologischen B e deutungslosigkeit, da immer dann, wenn die Sündenvergebung persönlich zugewendet wird, das Messopfer zuständig ist. Dieses wird dann ausdrücklich in seiner Wirkung beschränkt. Hier zeigt sich die Problematik einer Verhältnisbestimmung von Mess- und Kreuzesopfer als Einheit von Einheit und Differenz. J e nach logischem Bedarf kann die Einheit oder die Differenz akzentuiert werden, eine bleibend gültige Zuordnung beider gerät dann völlig außer Blick. Eine grundlegende, gerade im Spätmittelalter 251 wirksame Konzeption entwikkelt dann D U N S S C O T U S . 2 5 2 Seine komplizierten Ausführungen über den Messwert gehen dabei von einer einfachen Frage aus: O b ein Priester, der von zwei M e n schen mit einer Messe beauftragt wurde, für beide nur eine Messe lesen dürfe. Zunächst begründet DUNS, inwiefern der Messe ein Wert zukomme. Schon hier wird der opfertheologische Umbruch, der sich im Gefolge des Wechsels von der eucharistischen Aktual- zur somatischen Realpräsenz vollzog, als Voraussetzung dieser Messopfertheologie kenntlich. Denn wie die Opferqualifikation sich nun nicht mehr aus dem Kreuzesgeschehen, sondern aus der Darbringung von Leib und Blut ableitet, so begründet sich auch bei Duns der Messwert in einer Aktivität der Kirche. Freilich ist auch hier diese Aktivität nicht als selbstmächtiges Handeln der Kirche verstanden, sie verdankt sich einer initiativen, gnädigen Setzung Gottes, der eben auf diese Weise seine Gnade dem Menschen zugewandt wissen wollte. 2 5 3 Aber Gott selbst kommt in diesem Modell nur als etablierender Initiator und als anerkennender Garant einer ekklesialen Aktivität in den Blick, sein Handeln beschränkt sich auf die Bereitschaft, die kirchliche Opferhandlung gelten sui quantitate sufficiat ad satisfaciendum pro omni poena, tarnen fit satisfactoria illis pro quibus offertur vel etiam offerentibus secundum quantitatem suae devotionis et non pro tota poena." 2 4 9 Vgl. hierzu seinen Sentenzenkommentar, zur distinctio 4 5 („De statu et conditione bonarum animarum post m o r t e m " ) , a.3, q.3 („Utrum suffragia magis prosint ei qui magis meruit, an ei, pro quo specialiter fiunt".), Opera omnia, 9 4 6 f . 2 5 0 Das quantifizierende Denken wird an einem illustrativen Beispiel deutlich: Zwei Schuldner können eine Münze anblicken, doch nicht mit einer Münze beider Schuld begleichen. Vgl. ISERLOH, a.a.O., 54. 251 So beruft sich der fiir Luthers Messopferkonzeption so wichtige Gabriel BIEL in seiner , E x positio canonis missae' fortwährend auf DUNS, den er referiert und dessen Meinung er sich anschließt. Vgl. dazu H . B . MEYER, Luther, 1 5 1 - 1 5 6 ; R . DAMERAU, Abendmahlslehre, 2 2 3 - 2 2 5 . Vgl. zum Folgenden: E. ISERLOH, a.a.O., 4 4 - 7 9 , bes. 5 5 - 5 8 ; W. WERBECK, Valor, 1 6 3 - 1 8 4 . Das wird dann besonders deutlich bei BIEL, L . 2 7 K (1, 264). Er spricht davon, dass die G n a de die Wurzel des Verdienstes sei, aus der die verdienstliche Handlung erst hervorgehe. Die Gnade kann dann aber als quantifizierbare menschliche Qualität gedacht werden: „Neque enim grada que radix est meriti, neque actus ex gratia elicitus ecclesie vel sacerdotis que creature sunt est infinita et infinitas, ergo nec m e r i t u m . " 252

253

96

Erster Teil:

Voraussetzungen

z u lassen u n d als V e r d i e n s t a n z u e r k e n n e n . F ü r d e n e i g e n t l i c h e n , k o n k r e t e n H a n d lungsvollzug, der d e m einzelnen Gläubigen einen m e r i t o r i s c h e n W e r t verschaffen k a n n , ist v o r a l l e m d i e K i r c h e z u s t ä n d i g . H i e r u n t e r s c h e i d e t D u n s z w i s c h e n d e r p e r s o n a l e n D i m e n s i o n d e s O p f e r a k t a n t e n ( o p u s operantis) m e n s i o n d e r K i r c h e (opus

operatum).254

und der objektiven D i -

D i e R o l l e des O p f e r a k t a n t e n w i r d z w a r

d o p p e l t b e s e t z t , a b e r n u n so, dass n i c h t m e h r C h r i s t u s , s o n d e r n d i e K i r c h e d i e transpersonale Verantwortung

für die W i r k s a m k e i t

des l i t u r g i s c h e n

Handelns

ü b e r n i m m t . 2 5 5 D a s M o t i v d i e s e r D o p p e l b e s e t z u n g ist d e u t l i c h p r a k t i s c h e r A r t . D e n n h i n g e der W e r t e i n e r M e s s e allein v o m Z e l e b r a n t e n u n d s e i n e m G n a d e n s t a n d ab, s o w ä r e e r ä u ß e r s t u n g e w i s s , j a z w e i f e l h a f t . 2 5 6 D e r M e s s w e r t ist f r e i l i c h

2 5 4 Dies nimmt BIEL, L . 2 6 G (1, 244) auf: „Ex opere operante hoc est ex merito personali persone celebrantis, propter quod conferì deus petita a sacerdote eis quibus orationem et misse sacrificium applicai. E x opere operato, id est ex ipsa consecratione oblatione et sumptione venerabilis eucharistie non habendo respectum ad personalem sanctitatem aut meritum sacerdotis." Die U n abhängigkeit von der Moralität des Priesters wird neben der in sich selbst werthaften Einsetzung Christi, dann auch im Opferakt während der Messe gesehen: „Alio modo intelligitur missa habere effectum et esse accepta deo ex opere operato, precise ratione oblationis sacrifìcii, quod in missa perficitur, non attendendo christi institutionem, quia oblatio non videtur grata deo et accepta, nisi sit alicuius offerends grati et accepti." L . 2 6 G (1, 245). 2 5 5 BIEL schließt sich dem an. Er unterscheidet zwischen dem unmittelbaren und personalen Subjekt der Darbringung, dem Priester, und dem mittelbaren und prinzipiellen Subjekt, der Kirche: „OfFerens vero mediate et principaliter est ecclesia militans in cuius persona sacerdos offert, et cuius est in offerendo minister. Es enim hoc sacrificium, sacrificium totius ecclesie, in cuius signum sacerdos non ex sua persona dicit ,Oro', sed ex persona ecclesie ,oremus'." L.26H (1, 245). Eine Folge dieses Konzeptes, welches die Unabhängigkeit der Messwirkung von der Moralität des Priesters in der Ekklesiologie verankert, liegt in der Abhängigkeit der Messwirkung von dem den kirchlichen Vorgaben entsprechenden Vollzug: „[...] sacerdos rite celebrans quantum ad materiam. Formam et intentionem, hoc est habens determinatam panis et vini materiam proferens formam a christo institutam, intendens quod ecclesia intendit, que sunt de essentia officii et consecrationis [...]. Hec, inquam, sic agens, sicut vere consecrat, ita nuncius est ecclesie eiusque personam gerit, licet fuerit suspensus, excommunicatus vel degradatus, et per hoc ab ecclesia prohibitus." - Das ex opere operato sichert hier also nicht nur die Objektivität des Sakramentsgeschehens gegen eine Abhängigkeit vom einzelnen Priester, sondern etabliert zugleich eine Abhängigkeit der sakramentalen Wirkung von der kirchlichen Gesetzgebung. Die Kirche ist hier nicht erst durch das Sakrament konstituiert, sondern das Sakrament wirkt in Abhängigkeit kirchlicher Willensbildung. Notwendig fuhrt diese Zuordnung von Sakramentstheologie und Ekklesiologie damit zu einer Ontologisierung des Amtes. So fährt BIEL fort: „Cuius ratio est, quia esse sic nuncium ecclesie et eius personam gerere est inseperabiliter ordini et officio sacerdotali annexum, quo semel suseepto privari non potest, propter caracteris in suseeptione ordinis impressi indebilitatem." L . 2 7 G (1, 262). 2 5 6 Vgl. BIEL, L . 2 6 H (1, 245): „Primus offerens [sc. der sacerdos celebrans, W.S.] non Semper gratus est deo, nec Semper sibi placet, quia sepe peccator est. Secundum offerens [sc. die ecclesia, W.S.] deo est Semper aeeeptum, quia ecclesia Semper saneta est et unica sponsa christi pudica [...], cum ergo missa Semper valorem suum habet et accepta est deo." Hier wird die traditionelle Opferlogik, nach welcher es bei der Opfergabe um ein wertvolles Objekt und bei dem Opferaktanten um ein reines, dem Adressaten wohlgefälliges Subjekt geht, ungebrochen übernommen. Die G e wissheit der Messwirkung wird also nicht nur aus der Setzung Gottes, sondern auch aus einem Zutrauen in die Gottgefälligkeit der Kirche abgeleitet. Damit besitzt dieses Messopferkonzept eine Affinität zu einer triumphalistischen Ekklesiologie. Denn die Heiligkeit der Kirche wird nun nicht im favor dei, sondern als ihr eigene Qualität beschrieben: „ [Ecclesia] Semper grata est deo, quia Semper in ea sunt homines saneti et virtuosi, quorum actiones et merita deo placent, qui et digni sunt in habitatione spiritus saneti [...]." L . 2 6 H (1, 246).

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

97

nicht n u r abzusichern, s o n d e r n auch zu b e g r e n z e n . So darf Christus gar nicht als Subjekt d e r O p f e r h a n d l u n g gedacht w e r d e n , d e n n dann besäße die Messe d e n gleichen u n e n d l i c h e n W e r t w i e das Kreuzesopfer u n d k ö n n t e nicht m e h r v o n diesem u n t e r s c h i e d e n w e r d e n . 2 5 7 D e n Gläubigen g e n ü g t e d a n n eine einzige Messe zur Seligkeit, d e n n u n b e g r e n z t e m Verdienst entspräche auch u n b e g r e n z t e r L o h n . 2 5 8 B I E L k a n n d a n n in seiner R e z e p t i o n dieser G e d a n k e n D u n s ' die Entsprec h u n g v o n Verdienst u n d L o h n als Folge des aristotelischen Gerechtigkeits-Begriffes b e h a u p t e n . 2 5 9 So schützt die Besetzung der Aktantenrolle m i t der Kirche das Messopfer vor einer Auslieferung des Messverdienstes an die Moralität des P r i e sters u n d gewährleistet zugleich eine B e g r e n z u n g der M e s s w i r k u n g g e g e n ü b e r d e m qualitativ verschiedenen Kreuzesopfer. Das versichernde M o m e n t k a n n damit nicht in einer der Kirche g e g e n ü b e r s t e h e n d e n G r ö ß e lokalisiert w e r d e n , s o n d e r n w i r d in der Kirche selbst erblickt. D a m i t etabliert diese Konstellation v o n opus operantis u n d opus operatum die Kirche als eine dritte G r ö ß e zwischen der Personalität des k o n k r e t e n Opferpriesters u n d der N o r m a t i v i t ä t des Christusgeschehens. M i t der Delegation der Subjektrolle des Messgeschehens an die Kirche g e w i n n t diese eine transpersonale, objektive Dignität. Das G e g e n ü b e r v o n i n s t r u m e n t e l l e m m e n s c h l i c h e n H a n d e l n u n d soteriologisch allein relevantem göttlichen H a n d e l n in der Messe, welches die altkirchlichen M o d e l l e d u r c h das G e g e n ü b e r v o n A n a m n e se u n d Epiklese z u m A u s d r u c k brachten, wird hier zu e i n e m G e g e n ü b e r v o n i n s t r u m e n t e l l - p e r s o n a l e m u n d institutionellem m e n s c h l i c h e n H a n d e l n , 2 6 0 die K i r che avanciert zur Stellvertreterin Christi. E i n e m W e r t eignet einmal das M o m e n t der Austauschbarkeit, der Abstraktion v o n der einmaligen, nicht w e r t b a r e n Personalität. D a m i t impliziert ein Verständnis der Messe als eines Wertes die Vorstellung einer stellvertretenden Z u w e n d b a r k e i t an andere. 2 6 1 Diese mit der Wertqualifikation v e r b u n d e n e Voraussetzung k o n n t e 257

„ Q u o d sic p a t e t , q u i a l o n g e m i n u s est m e r i t u m o b l a t i o n ì s c h r i s t i in s a c r a m e n t o misse, q u a m

f u e r i t eius in c r u c e . I n c r u e e e n i m c h r i s t u s se i m m e d i a t e o b t u l i t , f a c t u s v e r u m s a c r i f i c i u m , s e m e l m o r i e n s p r o r e d e m p t i o n e o m n i u m [ . . . ] . " L . 2 7 K (1, 2 6 5 ) . 258

SCOTUS, ib. N . (22) 48FF, z i t i e r t n a c h W . WEHBECK, 176, A n m . 3 6 : „ N o n a u t e m p r a e c i s e r a -

t i o n e ipsius v o l u n t a t i s c e l e b r a n t i s , q u i a h o c p e r t i n e t ad m e r i t u m p e r s o n a l e , n o n a d v i r t u t e m s a c r i fieii. n e c i m m e d i a t e r a t i o n e v o l u n t a t i s ipsius C h r i s t i o f f e r e n t i s , q u i a C h r i s t u s , etsi h i c o f f e r a t u r u t c o n t e n t u s in sacrificio, n o n t a r n e n h i c i m m e d i a t e o f f e r t s a c r i f i c i u m [...] a l i o q u i n v i d e r e t u r q u o d u n i u s m i s s a e c e l e b r a t i o a e q u i v a l e r e t p a s s i o n i C h r i s t i , si i d e m esset o f f e r e n s i m m e d i a t e et o b l a t u s . C e r t u m est a u t e m q u o d missa n o n a e q u i v a l e t p a s s i o n i C h r i s t i , licet specialius valeat, p r o q u a n t o ibi est s p e c i a l i o r c o m m e m o r a t i o o b l a t i o n i s q u a m C h r i s t u s o b t u l i t in c r u c e [..-1." V g l . d e n S u b j e k t w e c h s e l b e i BIEL, L . 2 7 K (1, 2 6 5 ) : „ U n d e e t s e m e l t a n t u m passus est, et t a r n e n q u o t t i d i e m o r t i s illius u n i c e m e m o r i a m in h o c s a c r i f i c i o r e p r a e s e n t a m u s [•••]•" 259

„ M a i o r n o t a , q u i a s e c u n d u m i u s t i c i a m r e t r i b u t i v a o p o r t e t esse p r o p o r t i o n e m p r e m i i a d m e -

r i t u m , v E T H I C O R U M . " D i e H e r a u s g e b e r d e r , C a n o n i s m i s s a e E x p o s i t i o ' v e r w e i s e n in 1, 2 6 4 , A n m . 4 , a u f ARISTOTELES, C . 3 ( 1 1 3 1 a 2 5 ) . 260

B e z e i c h n e n d ist h i e r f ü r d i e I n t e r p r e t a t i o n d e r p l u r a l i s c h e n F o r m u l i e r u n g d e r K a n o n g e b e t e .

K e n n z e i c h n e t e sie u r s p r ü n g l i c h das a u f d i e V e r w i r k l i c h u n g d u r c h d e n G e i s t a n g e w i e s e n e

Ge-

d ä c h t n i s h a n d e l n d e r G e m e i n d e , so w e i s t sie f ü r D u n s n u n d a r a u f h i n , dass d e r P r i e s t e r als I n s t r u m e n t d e r ecclesia generalis o p f e r t . V g l . W . WERBECK, a . a . O . , 1 6 6 . BIEL ü b e r n i m m t dieses A r g u m e n t in L . 2 6 H (1, 2 4 5 ) . 261

V g l . das e i n g a n g s z u r T a r i f b u ß e A u s g e f ü h r t e .

98

Erster Teil:

Voraussetzungen

einmal auf das Verhältnis v o n O p f e r a k t a n t e n u n d B e g ü n s t i g t e m des Messopfers a n g e w e n d e t w e r d e n . D a n n w u r d e die o h n e h i n der O p f e r l o g i k affine Figur der Stellvertretung so zugespitzt, dass der Priester seine Stellvertretungsfunktion n u n nicht n u r vor der G r u p p e , s o n d e r n auch o h n e die G r u p p e w a h r n e h m e n k o n n t e . D e r E i n b e z u g des einzelnen Mitgliedes der O p f e r g e m e i n d e in die O p f e r h a n d l u n g g e schah d a n n nicht m e h r d u r c h passive Personalpräsenz, s o n d e r n durch abstrakte finanzielle Beteiligung in Gestalt des Messstipendiums. D i e D i m e n s i o n der kultischen Simultanpräsenz, w e l c h e den Gottesdienst als Öffentlichkeit k e n n z e i c h n e t e , g e h ö r t e d a m i t nicht m e h r zu den Constituía des Kultes. Z u g l e i c h e r m ö g l i c h t e die abstrahierende O k o n o m i s i e r u n g 2 6 2 der O p f e r l o g i k eine D i f f e r e n z i e r u n g zwischen Auftraggeber u n d B e g ü n s t i g t e m der Opferfeier. Beide v e r b a n d das M o m e n t der Stellvertretung, d e n n der Auftraggeber t r u g f ü r die v o m Begünstigten nicht o d e r nicht m e h r zu e r b r i n g e n d e O p f e r g a b e Sorge. D i e mit der Wertqualifikation gesetzte Austauschbarkeit t o r p e d i e r t e damit zugleich ein G r u n d m o m e n t des Opfers, nämlich die Identifikabilität zwischen O p f e r g a b e u n d Begünstigtem, so dass sich v o n e i n e m „ ö k o n o m i s c h e n sola g r a d a " sprechen lässt, insofern der Begünstigte in den Genuss des Opferertrages o h n e sein Z u t u n k a m . D i e Z u o r d n u n g v o n Messinitiator, A k t a n t e m u n d B e g ü n s t i g t e m des Messwertes trifft D u n s dann m i t arithmetischer Stringenz. D i e zweifache B e g r ü n d u n g des Messwertes i m opus operantis des Priesters u n d d e m opus operatum der Kirche nötigt ihn zu einer mindestens dreistelligen R e l a t i o n . D e n n da sowohl der Priester als auch die Kirche als Subjekte d e i j e n i g e n O p f e r h a n d l u n g auftreten, welche d e n W e r t der Messe ü b e r h a u p t erst schafft, sind sie n e b e n d e m Initiator auf j e d e n Fall als Begünstigte zu berücksichtigen. D i e nähere Z u w e i s u n g des Gesamtwertes einer Messe hat zunächst davon auszugehen, dass es sich u m einen b e g r e n z t e n W e r t handelt, d e n n er b e g r ü n d e t sich j a nicht i m meritum Christi, s o n d e r n d e n merita v o n Priester u n d Kirche, die diese d u r c h die D a r b r i n g u n g des freilich u n e n d l i c h wertvollen Christusleibes erw e r b e n . 2 6 3 D i e A u f t e i l u n g dieses b e g r e n z t e n Messwertes richtet sich d a n n nach der Grundregel, dass das e r w o r b e n e meritum d e m z u z u w e i s e n d e n L o h n e n t -

262

D i e Logik der Ö k o n o m i s i e r u n g findet sich auch in einigen W u n d e r n , die auf ü b e r n a t ü r l i c h e Weise die M e s s f r ö m m i g k e i t b e l o h n e n . M i r i RUBIN, C o r p u s Christi, 127, bietet folgendes Beispiel: Eine w e i n z a p f e n d e Frau beeilt sich, die v o n e i n e m Priester auf d e m W e g zu e i n e m K r a n ken an ihr vorbeigetragene H o s t i e zu verehren. Bei ihrer R ü c k k e h r z u m Fass e n t d e c k t sie, dass trotz versehentlich ungeschlossenen H a h n s kein T r o p f e n verloren ging. Offensichtlich r e c h n e t sich der mit der H o s t i e n v e r e h r u n g o d e r aber d e m Messbesuch v e r b u n d e n e materielle A u f w a n d a u c h u n t e r rein wirtschaftlicher Perspektive. Das gilt auch für die verlorene Zeit. So findet sich die Vorstellung, w ä h r e n d der Messe altere m a n nicht o d e r aber die Arbeit gehe nach der Messe schneller v o n der H a n d . Vgl. hierzu die A u s f u h r u n g e n ü b e r die Messfrüchte, u n t e n § 2 . 2 . 3 . 2 . 2 . Vgl. z u m M o t i v des k o m p e n s i e r t e n Z e i t a u f w a n d e s f ü r die Messe auch FRANZ, Messe, 14. 54. 263 „Missa n o n t a n t u m valet virtute sacrificii applicata pluribus in e o d e m gradu sicut si u n i soli applicaretur [...], quia b o n u m , q u o d d e b e t u r virtute sacrificii, c o r r e s p o n d e t s e c u n d u m p l e n a m iustitiam alicui m e r i t o in ecclesia, illud m e r i t u m est f i n i t u m et certi g r a d u s " n.20, 5 2 8 f , zitiert nach E . ISERLOH, W e r t 5 6 , A n m . 3 9 .

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

99

spricht. 2 6 4 So kommt der Kirche der Messwert generalissime zu. Davon erhält der in ihrem Namen opfernde Priester seinen Anteil specialissime, sofern er sich im Gnadenstand befindet. 2 6 5 Die Partizipation des Messstifters bzw. Begünstigten am Messwert wird dann zweifach hergeleitet. Einmal erhält der Auftraggeber Anteil an dem meritum des Aktanten und zwar mittelbar. Aber auch an dem natürlich ungleich größeren Verdienst der gesamten Kirche ist er als deren Glied beteiligt. D e m agierenden Priester kommt nur ein fest umrissener Teil des Messverdienstes zu. Davon kann er auch nur einen gewissen Teil anderen zuwenden. Aus arithmetischen Gründen sinkt der Anteil des einzelnen Begünstigten deshalb mit zunehmender Zahl der Begünstigten. 2 6 6 Wenn ein Priester zwei Aufträge in einer Messe abgilt, dann übervorteilt er seine Auftraggeber also hinsichtlich der Beteiligung am priesterlichen Verdienst. Anders verhält es sich aber, wenn man auf das meritum der Kirche blickt. Sie erscheint innerhalb des Messopfers zweifach. Einmal als Begünstigte der Messgebete, das andere Mal als Aktantin. Sie ist der sacerdos principalis, als dessen Repräsentant der Priester agiert. Die Möglichkeit, am doch der ganzen Kirche zukommenden Verdienst einzelne Gläubige in besonderer Weise zu beteiligen, begründet sich in dem mediatorischen Charakter des Priesteramtes. Denn der Priester besitzt die auctoritas applicandi, es gehört gerade zu seiner Rollenbeschreibung, einzelnen die Verdienste der Kirche zuzuwenden. 267 Bei der Applikation dieses meritum wird die Logik von sinkendem Lohn bei steigender Zahl der Partizipanten nicht außer Kraft gesetzt. Doch verliert sie angesichts der Höhe des meritum ecclesiae an Bedeutung. Hier kann in abgestufter Reihenfolge eine Vielzahl von Begünstigten bedacht werden, weil das, was der Einzelne durch eine Messfeier zu erlangen vermag,

2 6 4 „Merito finito secundum plenam iustitiam adaequate correspondet aliquod premium determinatum ad certum gradum." Vgl. BIEL L.27K (1, 264): „[...] quia omni merito finito [...] correspondet adequate aliquod premium determinatum [...]." 2 6 5 „Potest autem meritum, vel specialiter oratio, in triplici gradu intelligi valere alicui sive pro aliquo. U n o modo specialissime: et sic semper valet oranti, quando est in gratia.; ipse enim habet motum animi bonum et elicit opus bonum [...]. Alio modo generalissime: et sic valet toti ecclesiae; nec enim debet orans aliquem de ecclesia excludere, sed ex intentione habituali omnes includere. Tertio modo, scilicet modo medio: valet illi, cui per orantem specialiter applicatili N o n enim valit ei specialissime, patet ex primo membro; sed nec praecise valet sibi generalissime sicut quicumque; tunc enim frustra in ecclesia essent speciales orationes assignatae [...], quia non plus valerent illis quam generaliter cuicumque in ecclesia." Art 1 n. (3) 4. Vgl. auch BIEL, L.26I (1, 246), der die Größe des priesterlichen meritum personale vom Status des Priesters abhängig macht. In L.26K (1, 246f) referiert BIEL das dreigliedrige Verdienstschema Duns'. 2 6 6 n. (4) 5: „Et potest dici quod una missa dicta pro duobus non tantum valet hoc modo isti quantum valeret, si pro eo solo diceretur." Vgl. BIEL, L.27K (1, 264): „Alii vero aliter opinantur, videlicet quod missa plus valet paucis vel uni, etiam quantum ad collationem boni, si pro eis determinate celebratur, quam si cum illis etiam pluribus aliis applicaretur." 2 6 7 A r t . 2 n. (13) 28: „[...] si in potestate sacerdotis sit applicare certae personae bonum quod debetur ecclesiae vel alicui in ecclesia virtute sacrificii." Vgl. auch lb. N. (13.14) 29—32. Vgl. BIEL, L . 2 6 B (1, 241), der den Priester mit einem Rechtsanwalt vergleicht: „Est autem secularis advocati officium, indigentiam partis pro qua advocat coram iudice allegare, et iudicis animum ad miserendum inducere ac inclinare. Ita erit et in policia ecclesiastica, ut sacerdos gradum eminentem in ea tenens, patrocinium illi specialiter applicet pro quo advocationis officio fungitur celebrando."

100

Erster Teil:

Voraussetzungen

a u f j e d e n Fall v o m Gesamtwert des meritum ecclesiae gedeckt ist. Gleichwohl ist dieses meritum als begrenzt zu denken, sonst würden Kreuzes- und Messopfer j a identifiziert. Diese Begrenztheit begründet sich also nicht aus der unendlich wertvollen G a b e des Christusleibes, sondern aus der Opferaktantin Kirche selbst. 2 6 8

2.3.2.2

Die Früchte

der

Messe

Dieser solchermaßen als selbstständig und begrenzt begründete Wert des M e s s o p fers ist nun a u f seine konkrete W i r k u n g zu befragen. Formale Gestalt gewannen diese W i r k u n g e n oder F r ü c h t e 2 6 9 seit d e m 13. Jahrhundert durch ihre Z u s a m m e n fassung zu Schemata. I m 14. und 15. Jahrhundert sind dann bereits feste Patterns zur erkennen. Als verbreitetste F o r m des Zehnerschemas gilt FRANZ270 folgende Auflistung: Festzuhalten bleibt, dass das Hören der Messe zehn Vorzüge hat. Vonseiten Bernhards (heißt es): Die erste Frucht des Messhörens besteht darin, dass wenn ein Mensch allen Raum der Erde als Almosen gäbe, es ihm doch nicht so viel nützte wie das Hören der Messe. Mit der zweiten Frucht verhält es sich so, wie Beda sagt: Beim Messehören werden diejenigen Seelen, für die der Mensch zum Gebet verpflichtet wurde und betet, vom Fegefeuer ausgesetzt. Johannes sagt: Die dritte Frucht (besteht darin), dass das, was der Mensch an diesem Tage isst, seinem Körper nach der Messe zuträglicher ist als vor der Messe. Ambrosius sagt: Die vierte Frucht besteht darin, dassjeder Mensch während des Messhörens nicht altert oder geschwächt wird, weil auf Grund des Lebensbaumes Adam nicht geschwächt war und auch nicht alterte, die Kinder Israels, solange sie das Manna aßen, keinen Mangel und keine Schwäche litten und die Tage des Menschen nicht verkürzt wurden. Mit der fünften Frucht verhält es sich so, wie Augustinus sagt, dass ein Gebet des Hauptes mehr vermag als das Gebet aller Glieder, insofern die Messe das Gebet Christi ist und wir seine Glieder. Die sechste Frucht bezeugt Lukas dergestalt: Eine schwangere Frau, die andächtig an der Messe teilgenommen hat und noch am selben Tag entbindet, wird das Kind ohne großen Schmerz gebären. Paulus: Die siebte Frucht (besteht darin), dass deijenige, welcher andächtig an der Messe teilgenommen hat und am selben Tage stirbt, alle kirchlichen Sakramente erlangt hat. Beda sagt: Die achte Frucht besteht darin, dass demjenigen, der die Messe andächtig hört, alle Gedanken und Vergehen vergeben werden. Die neunte Frucht besteht — nach dem Johannes in der Apokalypse - darin, dass durch eine beliebige Messe ein Sünder bekehrt wird, irgendeine Seele aus dem Fegefeuer erlöst wird und ein Gerechter vom rechten Weg nicht abweichen wird. Die zehnte und letzte Frucht besteht darin, dass eine im Leben gehörte Messe mehr zur Vergebung von Sündenstrafe und Schuld, zur

2 6 8 Damit schwankt die H ö h e dieses meritum. D e n n wenn sich Gottes Wohlgefallen aus der Heiligkeit der einzelnen Glieder begründet, im Verlauf der Zeiten aber unterschiedlich heilige Gläubige leben, dann schwankt auch das Verdienst der Kirche: „ C u m autem uno tempore sint plures homines boni et virtuosi quam alio, sequitur quod ecclesia uno tempore magis accepta est quam alio. Et quoniam valor misse hoc modo est ex merito ecclesie, sequitur quod secundum quod variatur ecclesie meritum, variatur et misse valor et premium, et hoc secundum veram iusticiam retributivam, secundum quam non datur tantum pro merito minore quantum pro maiore." Hier zeigt sich, dass ein distributiv und quantifizierend gedachter GerechtigkeitsbegrifF auch mit einem anthropologischen Optimismus und einer selbstbewussten Ekklesiologie korrelieren kann. 269 270

Vgl. dazu A. FRANZ, Messe, 3 6 - 7 3 ; W. MASSA 1 1 8 - 1 3 3 . Messe, 4 3 f.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

101

Vergebung aller Sünden und zur M e h r u n g der G n a d e beiträgt als die G e b e t e einer anderen. Deshalb sagt G r e g o r : D u r c h eine Messe, die da gelesen wird, werden sowohl die S ü n den der L e b e n d e n als auch die der T o t e n vergeben. U n d so wirkt die M e s s e heilbringend für den M e n s c h e n : Folglich h ö r t man die Messe gern, durch sie wird der M e n s c h a u f H e i l b r i n g e n d e Weise heil g e m a c h t . A m e n . 2 7 1

Das Zwölferschema 2 7 2 weist grundsätzlich folgende Form auf: [1.] Das andächtige H ö r e n der Messe nützt d e m M e n s c h e n mehr, als w e n n er diese ganze Erde den A r m e n gäbe oder sie zeitweilig durchstreifen k ö n n t e . [2.] W e n n einer die M e s se andächtig hört und für die Seelen, denen er verpflichtet wurde, G e b e t e ausschüttet, werden sie v o m Fegefeuer ausgesetzt. [3.] W e n n ein M e n s c h nach d e m H ö r e n der M e s s e isst, so b e k o m m t es s e i n e m K ö r p e r besser und stärkt ihn m e h r als vor der Messe. [4.] In der Z e i t , in w e l c h e r ein M e n s c h andächtig Messe hört, altert er nicht und verliert auch keine Lebenszeit. [5.] Das H ö r e n der Messe übertrifft alle G e b e t e , weil Christus das Haupt aller ist, wir aber die Glieder sind. U n d weil die Messe zum Gedächtnis Jesu g e schieht, deshalb übertrifft das ihr z u k o m m e n d e Verdienst alle anderen G e b e t e , [6.] E i n e schwangere Frau, die andächtig Messe hört, gebiert o h n e g r o ß e n S c h m e r z , w e n n die E n t b i n d u n g a u f diesen Tag fällt. [7.] E i n ü b e r seine S ü n d e n zerknirschter Sünder scheint i m Besitz der kirchlichen Sakramente zu sein, w e n n er an seinem Todestag die Messe andächtig g e h ö r t hat. [8.] W e n n einer eine ganze Messe andächtig h ö r t und eine lässliche S ü n d e b e g a n g e n hat, so wird i h m diese vergeben, sofern er nicht zwischenzeitlich eine Todsünde begangen hat. [9.] In einer beliebigen M e s s e wird eine Seele aus d e m F e g e f e u er befreit, ein Sünder b e k e h r t und ein G e r e c h t e r vor d e m Fall in eine Todsünde bewahrt. [10.] E i n e zu Lebzeiten andächtig g e h ö r t e Messe tilgt m e h r Sünden als tausend Messen nach d e m T o d . [11.] Das andächtige M e s s h ö r e n erleichtert für die L e b e n d e n das G e w i c h t ihrer S ü n d e n und lindert für die T o t e n die Strafe. [12.] D i e Messfeier a u f d e m Altar ist die E r n e u e r u n g des Todes Christi am Altar des Kreuzes und deshalb n i m m t sich j e d e r

271 „Notandum est quod decern sunt uirtutes audire missam. U n d e B e r n a r d u s : Prima uirtus est audire missam, ut quantum terre spacium haberet, si homo interim hoc totum daret in elemosinarli, non tantum prodesset sibi sicut auditus misse. Secunda uirtus sicut dicit Beda: in audienda missam anime, pro quibus homo tenetur orare et orat, careni interim purgatorio. I o h a n n e s dicit: tercia uirtus est quidquid homo comedit hac die magis conuenit nature sue post missam quam ante. A m b r o s i u s : Quarta uirtus est, quod infra audicionem misse omnis homo non senescit nec debilitatur, quia ex ligno uite Adam non infirmatur neque senescebat, et filii Israhel, quamdiu c o medebant manna, non ibant egestum nec infirmabantur et dies hominis non breuiabantur. Quinta uirtus est sicut dicit A u g u s t i n u s , quod una oracìo capitits plus valet oracione omnium m e m brorum, quia missa est oracio Christi et nos membra eius. Sexta uirtus sicut L u c a s testatur: mulier pregnans, que interest misse deuote, eodem die si pareret, puerum pareret sine magno dolore. P a u l u s : Septima uirtus, qui interest misse deuote, si eodem die moretur, omnia ecclesiastica sacramenta optinebit. B e d a dicit: octaua uirtus est, qui interest misse deuote, quidquid cogitat uel committit totum sibi dimittitur. Nona uirtus est — I o h a n n e s in apocalypsi —, quod per quamlibet missam peccator conuertitur et anima aliqua soluitur a purgatorio et iustus a uia rectitudinis non declinabit. Decima et ultima uirtus est, quod una missa in uita audita plus ualet ad remissionem pene et culpe et ad remissionem omnium peccatorum et ad augmentum gracie quam alie oraciones. Unde G r e g o r i u s : missa que cantatur tunc tampeccata uiuorum quam mortuorum relaxantur. Et sic ualet missa quia saluat homines: ergo missa libenter audiatur per quam homo saluus salubriter efEciatur. Amen." C V P 3732, B1.86, zitiert nach A. FRANZ, Messe, 43f. 2 7 2 Vgl. dazu BIEL, L . 8 5 B (4, 97f). Er stellt den 12 Früchten der Messe eine zwölfgliedrige Liste von Konkretionen des menschlichen Elends gegenüber, denen die Messe Abhilfe schaffe.

102

Erster Teil:

Voraussetzungen

Katholik vor, wenigstens einmal am Tag die Messe zu hören, wenn er die Zeit dazu zur Verfügung hat. 2 7 3 Diese Grundbestimmungen wurden dann nicht nur ins Deutsche übersetzt, sondern auch in R e i m e gefasst 274 und fanden so Eingang in die Messerklärungen und Messbüchlein. Die einzelne Messfrucht kann sich (wie im Zehnerschema ersichtlich) mit der Autorität j e eines Kirchenvaters verbinden, ohne dass feste Zuschreibungen durchgehalten würden. Dabei lässt sich eine Tendenz zur Konkretisierung der Messfrucht feststellen, ausgehend von einem geistlichen Nutzen wird dann auch auf einen konkreten äußerlich-weltlichen Vorteil reflektiert. 2 7 5 Nachstehende Tabelle soll die einzelnen Früchte systematisierend zusammenfassen: Vertreter.276

Frucht Individuell-geistlicher

Nutzen

Allgemein — Erkenntnis des Gotteswillens — Erleuchtung des Geistes — Wandlung des Menschen — Mehrung der Tugenden

Johannes Herolt 277 Thesaurus Novus 278 Herolt Gabriel Barletta, 279 Bernhardin von Busti 280

273 ,,[1.] Audire missam cum deuocione magis prodest homini quam si totani terram illam daret pauperibus, quam interim posset pertransire. [2.] Si quis audit missam cum deuocione et pro animabus fundit preces, pro quibus tenetur orare, carent interim purgatorio. [3.] Quando homo comedit postquam audit missam, magis conuenit nature sue et plus confortat quam ante missam. [4.] Interim quando homo cum deuocione audit missam non senescit nec abbreuiatur in vita. [5.] Audire missam precellit omnes oraciones, quia Christus est caput omnium, nos autem membra, et quia missa fit in memoriam Christi, ideo merito precellit omnes alias oraciones. [6.] Mulier pregnans missam audiens deuote, si contingat illam parere, sine magno dolore pariet. [7.] Peccator contritus de peccatis si missam deuote audierit et illa die moriatur, sacramenta ecclesiastica uidetur obtinere. [8.] Si quis integram missam deuote audierit, interim non incidit in mortale peccatum, et si de uenialibus aliquid commiserit dimittitur ei. [9.] In qualibet missa una anima de purgatorio liberatur et peccator unus conuertitur et iustus a lapsu mortali defenditur. [10.] Una missa uiuentis hominis audita cum deuocione plus extinguit peccata quam mille misse post mortem. [11.] Audire missam cum deuocione uiuorum aleviat pondera peccatorum et defunctis penam mitigat. [12.] Celebracio misse in altari est renouacio mortis Christi in ara crucis et ideo quisquis catholicus, si tempus habere poterit, ad minus semel in die missam audire proponat." Clm 3661, B1.19, zitiert nach FRANZ, Messe, 44f. 274 FRANZ, ebd., nennt ,Gar ein schon loblichen spruch von der heiligen mesz', CVP. 1329, B1.67; Andere Fassungen: Cgm. 848, B1.209 und ,Der zwelf maister sprüch von der mess', ebd., 4382. 275 Vgl. G. TELLENBACH, historische Dimension, 205. 276 Jeweils bei der erstmaligen Nennung des Autors erfolgt die Quellenangabe. 277 ,De 12 fructibus ex meditatione Dominicae passionis' Sermo 48, in: ,Sermones discipuli de tempore et de sanctis', H 8473, MÜ SB: 2 Inc. s.a. 622, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239. 278 Sermo 86, col. 5—6, in: .Sermones thesauri novi de sanctis', Straßburg 1493, Cop. III, 5429, Mü SB: 2 Inc. c. a. 3395 c, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 240. 279 Sermo 52, in: ,Sermones de tempore quadragesimae', Hagenau 1518, Heinr. Gran, Mü. SB: 8 P. lat. 118, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239. 280 Sermo 13, ad III., in: .Rosarium sermonum per quadragesimam', Brescia 1588, Mü. SB 4 P. lat. 278 h, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

Frucht — Wachsen von Glaube, Liebe, Hoffnung und damit Mehrung der Gnade — Kompensation von Nachlässigkeiten Liebe — Liebe allgemein — Liebe und R e u e (durch Memorial) — Vollbringen der Werke aus Gottesliebe — Mehrung der Liebe zu Christus Verdienste — Wachsen der Verdienste — größeres Verdienst als Weltumpilgerung oder Besitzvergabe an Arme Gnade — Erbarmen — Verleih von Gnade — Mehrung der Gnade — Gnade der geistlichen Kommunion durch Messehören — Verleih von Gnade zum rechten Danken — Gesellt uns Heiligen und Engeln bei Gebet — Übung und Festigung des Gebetslebens — Fürbitte (mit Exempel der Erfüllung) — Erhörung des Gebets — Frömmigkeit — Erfüllung mit Frömmigkeit, die auf den Kommunionsempfang zielt

des

103

Messopfergedankens

Vertreter 2 7 6 OFIL

Pelbart von Temesvar,

^W}

Johannes Nider

Herolt Thesaurus Novus Jakob von Jüterbog 2 8 3 Johannes von Paltz 284 Pelbart

Pelbart, Gottschalk Hollen 2 8 5 , Herolt Bernhardin von Busti

Herolt Johannes von Werden 2 8 6 , Pelbart, Herolt Thesaurus Novus, Hollen Hollen Paltz Thesaurus Novus

Paltz Barletta Pelbart*, Herolt, Bernhardin von Busti Herolt Paltz

281 Sermo 1, col. 5—6, in: Sermones pomerii de tempore hyemales et estivales, Dom II post Pent, Hagenau 1507, Heinr. Gran, Bonn UB: Gm 123, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 280. Die mit * gekennzeichneten Früchte weist Pelbart nicht direkt dem Messehören, sondern der Hostienverehrung zu, sie stammen aus Sermo 5, vol 4, in: ,Sermones pomerii de sanctis', Köln 1505, Joh. Knobloch, Bonn: UB: Gml29, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 240. 282 Sermo 46, col. 12—17, in: ,Sermones aurei de tempore', Köln 1480, Conr. Winters, H 11804, Mü. SB 2 Inc. c. a. 965, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 240. 2 8 3 Corp. Chr., ad II, in:,Sermones notabiles et formales de praecipuis festibus celeribus tarn de tempore quam de sanctis', Ulm 1475, L. Hohenwang, H C 9330, Mü. SB: Inc. c.a. 712, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239. 284 .Coelifodina', Erfurt 1502, Cap 5, 2 col 35-38, Mü. SB: 4 P. lat. 945 a, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 240. 2 8 5 Sermo 41, in: ,Sermonum opus exquisitissimum', Sommerteil, Hagenau 1517, Mü. SB: 2 P. lat. 755, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239. Der Erwerb von Verdiensten wird bei Hollen mit dem Gehorsam gegen ein kirchliches Gebot begründet. 2 8 6 Sermo 41, col. 2 und Sermo 68, in:,Sermones Dormi secure de sanctis', Straßburg 1489, H 15960, Mü. SB: Inc. c.a. 2318, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 240.

104

Erster Teil:

Frucht Sündenvergebung Allgemein — Vereinigung mit Gott — Sündenvergebung — — — — — —

Sündennachlass Tilgung von Strafe und Sünde Annahme durch Gott (= Sündenvergebung) Bekehrung Bekehrung von den Sünden Bekehrung großer Sünder

Lässliche Sünden — Tilgung lässlicher Sünden

Voraussetzungen

Vertreter 276

Thesaurus Novus, Jakob von Jüterbog, Johannes B e c h h o f e n 2 8 7 Robertus C a r a c c i o l o 2 8 8 , Paratus 2 8 9 , Jakob von Jüterbog, Werden Jakob von Jüterbog Bechhofen Pelbart* Herolt Pelbart* Nider

— Nachlass lässlicher Sünden

Thesaurus Novus, H o l l e n 2 9 0 , Bernhardin von Busti Barletta

Tägliche Sünden — Tilgung täglicher Sünden

Sermones M e f f r e t h 2 9 1 , Gabriel

A r m e Seelen und Fegefeuer — Linderung der Fegefeuerpein — Linderung für arme Seelen — Befreiung der armen Seelen — Peinfreiheit der Seelen während der Messe

Pelbart Hollen Nider Bernhardin von Busti

BIEL

2 9 2

Sündenstrafe und Ablass — Befreiung von Sündenstrafe — Ablass (für Fronleichnam) — Ablass — Kein Geburtsschmerz am Messtag Wirkmaß — Gleich dem Kreuzesopfer (Gabenidentität) — Unendliches Gut (Darbringung des Leib Christi)

Thesaurus Novus, Nider Pelbart* Nider Bernhardin von Busti

Heinrich H e r p f 2 9 3 Hollen

2 8 7 ,Expositio missae juxta vulgatos quattuor sensus', Basel 1519, M ü . S B : 4 P. lat. 112r, fol 2vr, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 2 3 9 . 2 8 8 Sermo 64, cap III, in: ,Sermones Quadragesimales de poenitentia', Venedig 1479, H 4 4 6 2 , zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 2 3 9 . 2 8 9 Sermo 107, in: ,Sermones parati de tempore et de sanctis', Deventer 1483, C o p II, 4 5 9 9 , B o n n U B : Inc. 8 8 1 , zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 2 4 0 . 2 9 0 Durch Conßteor, Nennung des Namens Jesu, Credo, Vaterunser, Anbetung während der Elevation und Schlusssegen. D i e Sündentilgung wird also nicht sakramental, sondern allegorisch begründet. 2 9 1 Sermo 47, col. 2 C , in: Sermones Meffreth, alias horulus reginae de sanctis, Basel 1488, Nik. Kessler, H 1 1 0 0 6 , M ü . S B : 2° Inc. c. a. 2 0 7 5 , zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239. 2 9 2 Sermo 21, col. l f ; Sermo 22, fol.216ab, in: ,Sermones de festivitatibus Christi', Hagenau 1520, Heinr. Gran, M ü . S B : 4 P. lat. 112r. Zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239. 2 9 3 Sermo 7 9 , col. 7, i n : , S e r m o n e s de tempore', Speyer 1483, P. Drach, H . 8 5 2 7 , M ü . S B 2 Inc. c. a. 630, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 239.

§2

Geschichtliche Konkretionen

Frucht Zukünftig — Bewahrung vor künftigen Todsünden und Dämpfung des Sündenfomes — Schutz vor künftigen Sünden — Bewahrung im Gnadenstand Sterben — Sicherheit in der Sterbestunde — Schutz vor bösem Tod — Tod am Messtag fuhrt in den Himmel — Ewiges Leben, Heil

des

Messopfergedankens

Vertreter Thesaurus Novus Jakob von Jüterbog, Barletta Jakob von Jüterbog, Bechhofen

— Christlicher Tod — Bewahrung vor Verdammnis — Bewahrung vor Tod

Thesaurus Novus, Johannes von Werden Barletta Barletta Barletta, Pelbart, Herolt, Bernhardin von Busti Pelbart Pelbart Nider

Individuell-weltlicher Nutzen Allgemein — Nimmt Traurigkeit — Gewährt Süßigkeit — Belebung

Herolt Thesaurus Novus Thesaurus Novus

Zeit — Kein Altern bzw. Ermüden während der Messe 2 9 4 — Kein Zeitverlust, die Arbeit geht danach schneller voran, Gewinn zeitl. Güter Nahrung 295 — Besseres Anschlagen des Essens am Messtag "

105

Hollen, Bernhardin von Busti, Barletta Nider

Hollen, Bernhardin von Busti

Freiheit — Befreiung aus dem Gefängnis Besitz — — — —

Erhalt zeitlicher Güter Anteil an allen Gütern Gedeih aller Güter Vermehrung zeitlicher Güter

Nider

Hollen Barletta Pelbart, Hollen

2 9 4 Diese Messfrucht wird AUGUSTINUS oder AMBROSIUS zugeschrieben. Darin ist eine K o n kretion des Zusammenhanges von Messe und Ewigkeit zu sehen. So kann mancherorts die „Zeitlosigkeit" der Messe mit dem Lebensbaum verknüpft werden, vgl. das Zehnerschema oben und FRANZ, Messe, 64. 2 9 5 FRANZ, Messe, 62, leitet diese Vorstellung aus dem Nüchternheitsgebot ab. Er wertet sie als „Ausdruck der innigen Gemeinschaft des Volkes mit dem Priester" (ebd.) und sieht darin die „ Z u sicherung einer irdischen Belohnung für diejenigen, welche das kirchliche Verbot treulich beobachteten." (64). Erneut präsentiert sich hier also der Opfergedanke in seiner ökonomischen Logik: D e m vom Messteilnehmer vorgängig geleisteten Verzicht auf Nahrung steht als Gegenwert eine konkrete medizinische Wirkung der Messe gegenüber.

106

Erster Teil:

Voraussetzungen

Frucht

Vertreter 276

Allgemein apotropäisch — Schutz von Leib und Seele gegen G e f a h r 2 9 6 — Befreiung aus Gefahren

Johannes von Werden, Bernhardin von Busti Barletta, Pelbart

Spezifisch apotropäisch — Schutz vor Wassersnot, Erhängen, bösem Tod — Gute Reise — Gesundung — Keine Erblindung am Messtag, wenn Hostie gesehen 2 9 7

Barletta Pelbart Nider Bernhardin von Busti

Sozial-geistlicher Nutzen — Erbauung der Mitmenschen durch mitreißendes Beispiel

Pelbart*, Nider

Das Messopfer erbringt also sowohl geistliche als auch weltliche Früchte. Dabei dominiert der Aspekt des Individuums, die Sozialität wird nur am R a n d e wahrgen o m m e n (Vorbild für Nächsten, arme Seelen). Die im engeren Sinne theologischen Implikationen betreffen vor allem die Soteriologie. Hamartiologisch wirkt das Messopfer vor allem gegen lässliche und tägliche Sünden, mindert aber auch die Sündenstrafen (Ablass). Meritorisch erzielt es eine Intensivierung der theologischen Kardinaltugenden Glaube, Liebe und Hoffnung. Insbesondere die B e d e u tung der Messe für das „selige Sterben" und das ewige Leben ist hervorzuheben. Hier ist zu differenzieren zwischen einem Anfangsstadium, in welchem der häufige Messbesuch im R ü c k b l i c k auf dem Sterbebett Stärkung verleiht und der festen Erwartung des Beistandes Christi als Gegenleistung für den Messbesuch des M e n schen. 2 9 8 Die Messe wird so zu einer Möglichkeit, dem beängstigenden Gedanken eines plötzlichen, unvorbereiteten Todes ohne Sakramentsempfang entgehen zu können. Diese geistlichen Früchte komplettiert der konkrete weltliche Nutzen des Messopfers. Hier ist zwischen einer bloß lebenserhaltenden und einer lebensfordernden

2 9 6 Bezeugt ist auch der Einsatz der Hostie zur Brandbekämpfung, wohl herzuleiten aus der Vorstellung, das Sakrament wirke als Heilmittel gegen das Seelenfeuer der Sünde, vgl. FRANZ, Messe, 91. 2 9 7 Gegen diese verbreitete Vorstellung wandte sich bereits GERSON mit seiner Schrift , Q u a e dam argumentatio adversus eos, qui publice volunt dogmatizare seu praedicare populo, quod si quis audit missam, in illo die non erit caecus nec morietur morte subitanea et talia multa', Opera 2, 521—523. Er argumentiert mit der Schrift und gültigen kirchlichen Urteilen. Vgl. zu ihrem Inhalt FRANZ, Messe, 2 9 9 - 3 0 1 . Auch Paul WANN geißelt in seinen Predigten (Clm. 17651, Bl. 4 9 - 1 4 2 ) die durch Gewinnstreben der Zelebranten motivierte Ausdifferenzierung der Messformulare nach bestimmten Anliegen. Bezeichnenderweise argumentiert er aber weniger messtheologisch als ekklesiologisch: Die eigenständigen Messformulare seien von der Kirche nicht autorisiert. Vgl. FRANZ, Messe, 3 0 4 . 2 9 8 Vgl. eine anonyme Predigt über die Messfrüchte, Clm. 3 8 0 7 , B1.295: „Wenn du an dem Tage, an welchem du Messe gehört hast, sterben solltest, [...] so wird Christus zugegen sein und dir beistehen, so wie du bei ihm warst, indem du Messe hörtest; [denn] mit dem Maße, mit welchem ihr messet, soll euch wieder gemessen werden." Zitiert nach A. FRANZ, Messe, 65.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

107

Dimension zu unterscheiden. 299 Die Messe schützt nicht nur Leib und Leben vor den Gefährdungen des spätmittelalterlichen Alltags (Krankheit, Wassersnot, Reisegefahr), sondern wirkt auch besitzfördernd 300 und gedeihlich bis in die elementarsten Lebensvollzüge hinein (Alterungsprozess, Bekömmlichkeit des Essens, Geburtsschmerz). Dabei besteht eine gewisse Korrespondenz zwischen geistlichen und weltlichen Früchten: Wenn der Geburtsschmerz als Folge des Sündenfalls begriffen wird (Gen 3,16), dann bedeutet Sündenvergebung natürlich auch Schmerzfreiheit. Und wenn die Messe geistliche Güter und Verdienste mehrt, so gilt das natürlich erst recht für die weltlichen Güter. Deutlich wird auch die Vorstellung einer Heiligung durch den Kontakt mit dem Heiligen: Der optische Kontakt mit der Hostie heiligt das rezipierende Sinnesorgan, der physische Kontakt heiligt die Verdauung. 301 Dabei finden sich auch Autoren, die an allzu handfesten Vorstellungen von der Wirkung einer Messe Kritik üben. Dass die Messe verdienstlich sei, steht freilich auch für sie fest. 302 2.3.3

Die Individualisierung

der Messe: Privat- und Votivmessen

Die Entwicklung hin zum Priester als dem Opferaktanten und dem Leib Christi als der Opfergabe schuf zugleich neue sakramentstheologische Voraussetzungen für die Frömmigkeit. Denn mit dem Ausscheiden der Gemeinde als Opfersubjekt

2 9 9 Unschwer lässt sich dahinter die eingangs aufgezeigte apotropäische und petitive Funktion des Opfers wiedererkennen. Z u den Notmessen, vgl. A. FRANZ, Messe, 268—291. Das aus dem 15 J h . stammende Missale eines Dominikanerklosters leitet die sieben Notmessen folgendermaßen ein: „Quicunque sequentes missas celebrare fecerit, si fuerit in aliqua tribulacione, angustia, periculo aut aliqua alia aduersitate, liberabitur per dei graciam ab omnibus predictis absque omni dubio, nam sepius probatum est." C l m 3 6 6 1 , B1.200, zitiert nach FRANZ, Messe, 2 7 0 . Insgesamt lässt sich mit zunehmender Nähe zum Spätmittelalter wohl von einem wachsenden Zutrauen zu der Effizienz der Messe sprechen, sowohl was die Gewissheit als auch die Unmittelbarkeit ihrer Wirkung angeht. 3(M) Hierher gehört die Erzählung von den zwei Schuhmachern. D e r eine ging fleißig zur M e s se und konnte seine große Familie ernähren, der andere missachtete die Messe und lebte mit seiner Frau in Armut. Als auch er die Messe zu besuchen begann, besserte sich sein Einkommen, vgl. FRANZ, Messe, 70, unter Berufung auf den Nürnberger Dominikaner Johannes HEROLT, Liber discipuli, de precepto III und den Osnabrücker Augustiner Gottschalk HOLLEN, Preceptorium, B1.75.

-,(>1 Eine ähnliche Verbindung findet sich in einer von RUBIN, Corpus Christi, 2 2 1 , herangezogenen Beispielgeschichte: R i t t e r IUMNA wird von König ELDRED gefangen gehalten. Abt TUMNA hält seinen Bruder für tot und hält deshalb täglich Messe für ihn. Die Messen waren indes nicht umsonst, sondern lösten die Knoten von Iumnas Fesseln, so dass dieser sich befreien konnte. Vgl. dazu auch FRANZ, Messe, 6. Das Lösen der Fesseln von Gefangenen durch die Feier des Messopfers findet sich bereits bei GREGOR, ,Dialogorum libri' 4, 57 (PL 77, 424): „ D e quodam ab hostibus capto, cujus vincula oblationis hora solvebantur". 3 0 2 Vgl. etwa den Heidelberger Magister Nikolaus JAUER ("("1437), der in seiner Schrift ,De superstitionibus' zwar die Vorstellung abweist, die Lesung einer Messreihe werde eine Seele mit Sicherheit dem Fegefeuer entreißen, dann aber schließt: „ U n d ergo finaliter dico, quod oraciones secundum debitum modum et ordinem, dei videlicet et ecclesie, in quibus impetracio non ascribitur verbis principaliter, sed voluntati divine, licite sunt et multum meritorie, consequenter et i m petratorie." Zitiert nach A. FRANZ, Messe, 3 0 2 .

108

Erster Teil:

Voraussetzungen

war angesichts des Vaters als Adressaten des Messopfers ihre Anwesenheit nicht mehr konstitutiv für die Messe, das M o m e n t der Communio trat zurück. Zugleich ist an dieser Stelle der Blick auf eine zweite Entwicklung zu lenken, nämlich die Akzentverschiebung in der Eschatologie. Hatten die ersten Gläubigen in unmittelbarer Erwartung einer Wiederkunft Christi Individualgericht und Jüngstes G e richt noch in eins gesetzt, so begegnet bereits im 1 Thess das Problem der zwischenzeitlich Verstorbenen. Eine der durch das Ausbleiben der Parusie an die Eschatologie gestellten Aufgaben bestand fortan darin, das Verhältnis zwischen Individual- und Universalgericht zu bestimmen. Während in der Alten Kirche der universale Aspekt noch vorherrschte, trat in der mittelalterlichen Scholastik nun mehr und mehr das individuelle M o m e n t in den Vordergrund. 3 0 3 Irmgard WILHELM-SCHAFFER resümmiert: „ M a n kann also festhalten, dass spätestens ab dem 13. Jahrhundert der eschatologische Individualisierungsschub auch in der Theologie des Gerichtes dominant wird. Indem der kosmologische Zusammenhang aus dem Blick kommt, wird der eigentliche Gerichtsakt zunehmend in Richtung Tod des Individuums verlagert und das allgemeine Gericht zu Gunsten des besonderen G e richts in den Hintergrund gedrängt." Diese Entwicklung begünstigte ein für die spätmittelalterliche Frömmigkeit bedeutendes Phänomen: die Privatmesse. 3 0 4

2.3.3.1

Die

Privatmesse

Mit der Monopolisierung des liturgischen Handelns ging auch eine zweite Entwicklung einher: die Privatisierung der Messe. Sie wuchs aus mehreren Wurzeln hervor. Einmal ergab sie sich aus der Nachahmung der römischen Messen über den Heiligengräbern in den fränkischen Klöstern. Z u m anderen hing sie zusammen mit einem im Zuge der iroschottischen Mission verbreiteten neuen Bußkonzept, der Tarifbuße. 3 0 5 Diese rationalisierte den Zusammenhang von Vergehen und Bußleistung, indem einem bestimmten Vergehen eine ihm spezifische Buße zugeordnet wurde. Diese Aufgabe kam dem absolvierenden Priester zu, der nun mithilfe der Bußbücher Art und H ö h e der Buße bestimmte. Damit verlor die B u ße zugleich ihren öffentlichen Charakter als Dokumentation der R e u e vor der gesamten Gemeinde und wurde auf die Beziehung von priesterlichem Beichtvater 3 0 3 Z u r Darstellung der Entwicklung vgl. H . MERKEL, A r t . , G e r i c h t Gottes. IV. Alte Kirche bis Reformationszeit', in: T R E 12 (1984), 4 8 3 - 4 9 2 und I. WILHELM-SCHAFFER, Gottes Beamter und Spielmann des Teufels. D e r Tod in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, 52—55. 3 0 4 Vgl. dazu: B. NEUNHEUSER, Einmaligkeit 1 1 1 - 1 2 7 ; O. NUSSBAUM, Kloster, Priestermönch und Privatmesse. Ihr Verhältnis im Westen von den Anfängen bis z u m H o h e n Mittelalter, B o n n 1961: R . BERGER, Die Wendung ,offere pro' in der römischen Liturgie, Münster 1965; A . H . HÄUSSLING, Ursprünge, 21—28; derselbe: Mönchskonvent und Eucharistiefeier. Eine Studie über die Messe in der abendländischen Klosterliturgie des frühen Mittelalters und zur Geschichte der Meßhäufigkeit, Münster 1973; C . VOGEL, mutation, 2 3 1 - 2 5 0 ; A. ANGENENDT, Missa specialis. Zugleich ein Beitrag zur Entstehung der Privatmessen, in: F M S t 17 (1983), 1 5 3 - 2 2 1 ; derselbe, Geschichte 495 f; J . BOSSY, mass, 51 f; Z u r bußtheologischen Rahmenvorstellung der Privatmesse vgl. M . OHST, Pflichtbeichte, 5 0 - 1 0 2 . 305 VGL M OHST, Pflichtbeichte, 50—102. Z u m Z u s a m m e n h a n g zwischen Tarifbuße und d e m Mentalitätswandel im Frühmittelalter vgl. HAMM, Gottesliebe 19f.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

109

und Einzelnem reduziert. W i e schon in der Messe verband sich auch hier eine sachliche Ausdifferenzierung in Gestalt der komplizierten Bußkataloge mit der Professionalisierung und Institutionalisierung des Geschehens. Zugleich bedeutete diese Entwicklung einen Machtzuwachs für die Stellung des Priesters: Was vormals seinen Ort vor der gesamten Gemeinde hatte, das vollzog sich nun allein vor ihm. 3 0 6 Diese schon hier zu beobachtende Tendenz zur Rationalisierung führte dann auch zu einer Arithmetisierung der Buße, insofern die Bußwerke gegenseitig in ein werthaftes Verhältnis gebracht werden konnten und damit austauschbar wurden. So gerieten nicht nur soziale Dependenzverhältnisse in die Soteriologie, 3 0 7 sondern die der Rekonzilitation ursprünglich vorausgehenden und als Prüfung der Ernsthaftigkeit des Bußwillens verstandenen Bußwerke waren nun zu einem Einfallstor der Kompensationsvorstellung geworden. Für die Messtheologie bedeutsam wurde in diesem Zusammenhang der Stellenwert der Messe als verrechenbare Bußleistung. 3 0 8 Angesichts der generellen personalen Vertretbarkeit bei der Bußleistung und des ohnehin engen Zusammenhanges zwischen Totengedächtnis und Messe lag es dann nahe, die irdische Messe auch als Bußleistung für die im Fegefeuer befindlichen Verstorbenen anzuerkennen. Diese gewaltige Ausweitung des Adressatenkreises ließ die Zahl der Messfeiern ansteigen, was wiederum den Bedarf an Priestern erhöhte. So bestand von vornherein ein interdependenter Zusammenhang zwischen Bußlehre, Rationalisierung, Professionalisierung und Monopolisierung des Priesteramtes. Die Vorstellung, dass durch die Feier einer Messe Sünden abgebüßt werden könnten, begegnet seit dem Ende des 8. Jahrhunderts. 3 0 9 Im Hintergrund steht das bereits in der Alten Kirche virulente Problem der Sünden nach der Taufe bzw. der zweiten Buße. Die Verfolgungen hatten die Frage aufgeworfen, wie mit den rückkehrwilligen Apostaten umzugehen sei. Das Kreuzesopfer war in ihrem Falle j a b e reits bei einer ersten Sündenvergebung in der Taufe wirksam geworden, so dass die Idee eines zusätzlich nötigen Kompensates sich nahelegte. In dieser Situation war es für die lapsi plausibel, eben diejenigen, die in der Verfolgung die rechte Haltung eingenommen hatten, um ihre Fürsprache zu bitten und auf diese Weise auch an 306 y g [ J^J METZGER, Geschichte, 111 f. Z u m Prozess des Ausbaus der Stellung des Amtsträgers im Bußsakrament vgl. M . OHST, Pflichtbeichte, 1 1 7 - 1 3 1 . 3 0 7 Nicht nur die einzelnen Bußwerke waren austauschbar, so dass Almosen etwa einen Fastentag ersetzen konnten, sondern auch die jeweiligen Personen konnten einander vertreten. So ließen sich auch Dritte zur Ableistung eigener Sündenstrafen verpflichten. Damit hielten die mitgebrachten sozialen Hierarchien Einzug in die Soteriologie und das Element der Unterbrechung weltlicher Kontingenz durch die Nähe Gottes wurde ökonomisch unterlaufen. Vgl. zur Grundbestimmung des Gottesdienstes als ausgegrenzte Zeit der Gottesnähe, welche die räumliche und zeitliche Kontinuität unterbricht, F. MILDENBERGER, Biblische Dogmatik, 2, 2 3 5 - 2 4 7 .

Vgl. dazu das unten zu DUNS' Theorie vom Messwert Ausgeführte. Vgl. A. ANGENENDT, Missa specialis, 154, der eine Predigt des frühen 9. Jahrhunderts heranzieht: „Oblationes per dies dominicos et pro uobis et pro familia uestra debetis offere, quia hoc dignum et acceptabile est D e o ut Christiani, quod neglegenter agunt, per sacras oblationes et per elemosinas et per puram orationem et contritionem cordis per ieiunium et per abstinentiam abluant peccata sua" In nomine Dei summi, II, in: Seven Hiberno — Latin Sermons, ed. R . E. McNally, Traditio 35, 1979, 136, zitiert nach A. ANGENENDT, Missa specialis, 154, A n m . 6 . 308

3(19

110

Erster Teil:

Voraussetzungen

deren Verdienst Anteil zu gewinnen. So wies die Fürbitte der Märtyrer einen Weg, mit den postbaptisalen Sünden umzugehen. Das Altarsakrament war als Ausweis der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde den Büßern zunächst verwehrt, der Ausschluss dokumentierte ja ihren Status. D o c h der Gedanke, dass die Darbringung der Gaben die Sünden des Darbringenden mindern könne, 3 1 0 bewirkte eine Veränderung in dieser Frage. Zunehmend trat nun eine Verkürzung der Bußzeiten ein, bei welcher der Poenitent bereits vor Ablauf der Frist wieder kommunizieren (und vor allem darbringen) durfte. Dieser Abbau von Sünden wurde zunehmend systematisiert und mit ökonomischer Logik ausdifferenziert. Auf diese Weise entstand das ursprünglich irische Modell der Tarifbuße, nach welchem sich Größe und Anzahl der Bußwerke in Abhängigkeit vom Vergehen bestimmten, wobei die einzelnen Bußwerke untereinander verrechnet werden konnten. So durfte man Fasttage durch andere Bußwerke wie Gebete oder finanzielle Aufwendungen (zunächst an Arme) ersetzen. Sozialstatus und finanzielle Leistungskraft des Poenitenten konnten dabei in die Strafbemessung eingehen. 3 1 1 Die Messe unterstützte innerhalb dieses Systems also zunächst die Bußwerke des Poenitenten: Man bat Gott darum, dass er die materiellen Opfergaben des Büßers an die Armen in geistliche Gaben für den Poenitenten wandle. 3 1 2 Die Messfeier selbst war somit aber noch nicht als ein Bußwerk verstanden. Ein für die spätere Privatmesse entscheidendes Moment lag dann in der M ö g lichkeit, die Ableistung eigener Bußwerke zu delegieren. 3 1 3 So konnte ein Priester dafür bezahlt werden, die erforderliche Anzahl von Psalmen für den Poenitenten zu beten. Bei diesem zunächst umstrittenen, im 9. Jahrhundert dann aber akzeptierten Umgang mit den B ü ß werken, konnte nicht nur auf die seit der Antike geläufigen Vorstellung einer Trichotomie der Gesellschaft, sondern auch auf den biblischen Topos von der Stellvertretung des Gerechten zurückgegriffen werden, die das Neue Testament freilich aufJesus konzentriert hatte. Uber den mit der Quantifizierung der Bußwerke mitgesetzten Gedanken der Kommutation konnte nun

3 1 0 Schon 5 8 5 beschließt die Synode von Macon: „Propterea decernimus, ut omnibus D o m i nicis diebus aris oblatio ab omnibus uiris uel mulieribus offeratur tarn panis quam uini, ut per has immolationes et peccatorum suorum fascibus careant et Abel uel ceteris iuste offerentibus promereantur esse consortes." Zitiert nach A. ANGENENDT, Missa specialis, 162, A n m . 4 3 . THEODULF VON ORLÉANS zählte die „communicatio corporis et sanguinis domini nostri Jesu Christi" zu den ,,mod[i] peccata nobis dimitti posse". Zitiert nach ANGENENDT, Missa specialis, 157. 3 1 1 Das verbreitete .Poenitentiale R e m e n s e ' (nach 7 2 5 ) veranschlagt für einen Tag 5 0 Psalmen, sonst aber 70. Für eine W o c h e bemisst es 3 0 0 Psalmen (sonst 420), für einen Monat 1 2 0 0 Psalmen (sonst 1680), jeweils mit Kniebeugen. Vgl. ANGENENDT, Missa specialis, 163f. 312 „Concide filio nostro famulo tuo ilio, qui in pauperes tuos tua seminat dona, ut uerius metat suorum operum fructus et largitatis hodiernae compensacio istius perpetua conferatur recipi atque pro paruis magna, pro terrenis caelesta, pro temporalibus sempiterna." Liber sacramentorum R o manae ecclesiae ordinis circuii (Sacramentarium Gelasianum), ed. Leo Cunibert MOHLBERG, in: R e r u m Ecclesiasticarum Documenta. Series maior. Fontes 4, R o m 1960, Nr. 1425, 2 0 6 1 4 . 3 1 3 Das,Poenitentiale R e m e n s e ' bestimmt: „Et qui istis implere aut non vult aut non potest et reliqua, sicut in penitentiale scriptum est, et qui de psalmis hoc, quod superius dixerimus, implere non potest elegat iustum qui pro ilio hoc impleat et de suo praetio aut labore hoc redimat." Zitiert nach ANGENENDT, Missa specialis, 165, A n m . 6 3 , Hervorhebung W. S.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

111

auch die Messfeier selbst als Kompensat von Gebeten oder Fasttagen als ein B u ß werk verstanden werden. Sie begleitete nun nicht nur das Opfer des Büßers an die Armen, sondern konnte gegen eine an den Priester (und gerade nicht an die Armen) entrichtete Gebühr 3 1 4 bestellt werden. 315 Die Gaben mussten innerhalb dieser Logik gar nicht von dem Begünstigten geopfert werden, so dass deren Anwesenheit verzichtbar wurde. 316 Die mit dem Begriffe der oblatio verbundene Vorstellung, in der Messe würden Brot und Wein geopfert, konnte in diesem Zusammenhang ausgebaut werden. Ging es zunächst nur um den praktischen Gesichtspunkt, dass Brot und Wein für die Messe zur Verfügung gestellt wurden, so wuchs diesem Akt zunehmend auch theologische Bedeutung zu. In einem ersten, bereits bei TERTULLIAN nachweisbaren 317 Schritt gewinnt die oblatio theologische Dignität, insofern man in ihr die Hingabe der Gemeinde an Christus als das unbefleckte Opfer dargestellt sieht. Der zweite Schritt besteht dann in der Vorstellung, diese Hingabe geschehe zu einem positiven Zweck und Nutzen (offere pro). Auch Dritten ließ sich dieser Nutzen dann zuweisen, insbesondere Verstorbenen oder aber bußfertigen Apostaten. 3 1 8 Die Ausgestaltung zu einem Opfergang mit Annahmebitte, Namensnennung der Spender und mit der Opfergabe verquicktem Anliegen an den Adressaten verdeutlicht die Rückwendung zu einem allgemeinreligiösen Opferbegriff. Der Akzent innerhalb der Opfervorstellung verlagert sich nun weg von der absichtslosen Anbetung hin zur absichtsvollen Bitte. 3 1 9 Damit lagen bereits im 9. Jahrhundert die notwendigen Voraussetzungen für eine Privatisierung der Messe vor: Die Kompensationsvorstellung, der Wahrnehmungsmodus der Ökonomie und die Stellvertretungsfigur. 320 Mit der Konzentration auf den Priester als Opfer314

ANGENENDT, Missa specialis, 172—175, bietet eine Verrechnungstabelle, w e l c h e den B u ß -

wert von Psalmgebeten und Messfeiern in B e z i e h u n g setzen. D e m n a c h galten zwei B e r e c h n u n g s m o d i : E i n m a l entsprach ein gebeteter Psalter einer Messe, das andere Mal waren es bereits 5 0 Psalm e n . Aus der arithmetischen Spannung zwischen beiden M o d i kann wohl darauf geschlossen werden, dass die Messe am E n d e des 8. Jahrhunderts n o c h nicht lange als B u ß w e r k verstanden wurde. 315

Bereits im 8. J a h r h u n d e r t lässt sich bei CHRODEGANG von M e t z b e o b a c h t e n , wie das A l m o -

sen an die A r m e n zum Messstipendium für den einzelnen Priester mutieren kann. E r regelt in seiner . R e g u l a C h r o d e g a n g i ' die Z u w e n d u n g an den einzelnen Priester und an die Gesamtheit der Priester. Offensichtlich war es bereits zu diesem Z e i t p u n k t m ö g l i c h , einen einzelnen Priester für die Feier einer besonderen Messe zu e n t l o h n e n , w o m i t der Grundgedanke des Messstipendiums vorliegt. Vgl. A. ANGENENDT, Missa specialis, 1 7 0 f . 316

D e r G e d a n k e der Communio

wurde aus der Privatmesse allerdings nicht restlos verabschie-

det. S o war zur regulären Zelebration n e b e n dem Priester die Anwesenheit eines D i e n e r s erforderlich, der das „ganze katholische V o l k " vertrat, vgl. THOMAS, S T h 3, q . 8 3 , a.5, ad 12. (30, 3 7 0 f ) . 317

Vgl. dazu R . BERGER, D i e W e n d u n g .offerre pro', 4 8 - 5 0 .

3,8

V g l . A. ANGENENDT, Missa specialis,

319

J . A . JUNGMANN, Eucharistie, 3 7 : „Es ist also in solchen Fällen nicht m e h r D a n k und A n b e -

1 7 6 f ; R . BERGER, a.a.O., 3 2 f .

tung, die zu G o t t emporsteigen, das vor allem G e m e i n t e , sondern der Segen, der herabgefleht wird, der a u f die T e i l n e h m e r herabsteigen m ö g e . " 320

Vgl. dazu ein G e b e t aus d e m ,Gelasianum', Nr. 1 4 2 4 , S 2 0 6 9 : „Deus, qui post baptismi sac-

r a m e n t u m secundum a b l u c i o n e m p e c c a t o r u m elimosinis indidisti, respice propicius super f a m u lum t u u m illum, cuius operibus tibi graciae referuntur; fac e u m p r a e m i o beatum, q u e m fecisti p i e tate d e u o t u m . " Zitiert nach ANGENENDT, Missa specialis,

167.

112

Erster Teil:

Voraussetzungen

aktanten verband sich dann die Mitbeteiligung des Priesters an der Buße des G e meindegliedes. 32 1 Ein gerade wegen seiner späteren Wirkung bedeutender Promotor dieser Entwicklung ist bereits in GREGOR ZU sehen. 3 2 2 In seinen vielgelesenen Dialogen finden sich zahlreiche Wundergeschichten mit einem durchgängigen Schema: In einer menschlichen Notsituation lässt man eine Messe lesen, woraufhin auf wundersame Weise Abhilfe geschaffen wird. 3 2 3 Insbesondere das Institut ganzer Messreihen für Verstorbene geht auf Gregor zurück. 3 2 4 Gerade hier kann dann der Individualaspekt deutlich hervortreten, wie eine in dem Sermon De corpore Christi325 tradierte Beispielgeschichte belegt: In Sudbury starb ein Mann aus Suffolk, der seine Frau nach seinem Tode noch einmal besuchen durfte. Bei dieser Gelegenheit bat er sie um Messen. Die von der Frau erworbene Erwähnung im allgemeinen Totengebet der Messe verhinderte dann eine zweite Erscheinung des Verstorbenen nicht. Er präzisierte nun sein Anliegen und forderte besondere, nur ihm gewidmete G e bete. Auf die allein für ihn gesungene Messe eines Priesters hin erschien der Mann schließlich ein drittes Mal und bestätigte, dass erst diese ihm ewige Seligkeit gebracht hätte. Zugleich begünstigten die Privatmessen die abnehmende Teilnahme der Laien an der Kommunion. So finden sich bereits in der Merowingerära Klagen über die seltene Kommunion einiger Gemeindeglieder. 3 2 6 Damit ist eine Entwicklung gekennzeichnet, an deren Ende die Kommunion von Laien als ein Sonderfall empfunden wurde. Nach dem Kirchenrecht hatten sie wenigstens einmal, nämlich an Ostern, zu kommunizieren, häufig wurde aber empfohlen, auch an Pfingsten und Weihnachten den Leib Christi nicht nur zu verehren sondern auch zu empfangen. 3 2 7 Diese Beschränkung der Laienkommunion auf die Hochfeste begünstigte 3 2 1 „Nemo autem potest sublevare jacentem sub pondere, nisi inclinaverit se, ut porrigat manum, ñeque ullus medicorum vulnera infirmantium potest curare nisi foetoribus particeps fuerit. Itaque quoque nullus sacerdotum vel pontifex peccatorum vulnera curare potest, aut animabus peccata auferre, nisi per instantem sollicitudinem et orationem cum lacrymis." Vorrede ,Quotiescumque Christiani', zitiert nach ANGENENDT, Missa specialis, 158f, Anm. 26. 3 2 2 Hier sind vor allem seine vier .Dialogorum libri' (PL 77, 147—432) heranzuziehen. GREGOR bleibt bis in die Reformationszeit ein Kronzeuge für die Zuwendbarkeit der Messe auch an Tote. So setzt sich Luther in ,De abroganda' namentlich mit ihm auseinander. 3 2 3 Vgl. die vier ,Dialogorum libri', 4, 5 9 f (PL 77, 428f). Hier wird beschrieben, wie sich die Fesseln von Gefangenen lösen, Hungernde Brot erhalten und die Fegefeuerpein gelindert oder ausgesetzt wird. Darauf weisen bereits die Überschriften des 59. („De affligendo corde inter sacra mysteria, et de mentís custodia post compunctionem") sowie des 60. Kapitels („De relaxandis culpis alienis, ut nostrae nobis relaxentur") hin. 3 2 4 A. ANGENENDT, Missa specialis, 200. 3 2 5 Vgl. dazu M . RUBIN, Corpus Christi, 220. 3 2 i ' Vgl. die Belege bei BROWE, Kommunion, 16. In späterer Zeit schreibt BERNHARD in seiner ,Instructio sacerdotalis' 2, 12: „Ipse tarnen sacerdos singulari praerogativa prae aliis insignitur, qui quotidie, dum non impediat aliqua culpa vel infirmitas, habet potestatem eucharistiam conficere et sumere, aliis vero permittitur tantum certis temporibus de manu sacerdotis communicare." Zitiert nach BROWE, Kommunion 22, Anm. 98. 3 2 7 Vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 148. Sie verweist auf die Skrupulosität als Quelle des seltenen Sakramentsempfanges: „As the reality o f Christ's body in the eucharist was more clearly for-

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

113

die Entwicklung der Privatmesse. Zugleich ließ sich ein Prozess der Ausdifferenzierung beobachten, ablesbar an der Spezifikation von Messgebeten j e nach gewünschtem Anlass,328 dem zunehmenden Priesteranteil unter den Mönchen und der zunehmenden Zahl von Altären 329 in den Kirchen. Auf eine weitere liturgische Entwicklung macht in diesem Zusammenhang John BOSSY330 aufmerksam. Er verweist darauf, dass die zunächst vor dem Kanon als Abschluss des Gebetsteiles situierte Pax mit dem Friedenskuss, welche für ihn die mit dem Messritual verbundene gelingende Entfaltung der Sozialität darstellte, 331 im Laufe des Frühmittelalters ihren Platz wechselte 332 und schließlich am Beginn des Kommunionteiles und damit nach dem Kanon zu stehen kam. So konnte das Opfer zunehmend von seiner Ausrichtung auf die gesamte Gemeinde getrennt und für individuelle Interessen herangezogen werden. 333 Dabei darf dieses liturgische Element allerdings nicht auf seine soziale Dimension reduziert werden. B O S S Y stellt Luthers Deutung der Pax als Friede zwischen mulated and taught, the occasion for the reception ofthat body became as awesome as it was full o f promise." Es ist m.E. allerdings nicht zu behaupten, dass das Konzept der somatischen Realpräsenz die tatsächliche Gegenwart Christi klarer zum Ausdruck bringt als die Modelle der Alten Kirche. Der Text des Kanons ,Omnis utriusque' ist unter § 2 . 3 . 1 . 2 zitiert. Zu Entstehung und Interpretation vgl. M .

OHST, Pflichtbeichte,

14-49.

Das altgelasianische Sakramentar (7. Jahrhundert) enthält noch 59 Formulare für besondere Messen, in einem ein Jahrhundert später zu datierendem gallischen Sakramentar finden sich b e reits 96 und karolingische Manuskripte weisen schließlich 278 Formulare auf. Vgl. B. LANG, Spiel, 328

2 7 0 ; FRANZ, M e s s e ,

122-124.

Ab 650 treten vermehrt Nebenaltäre auf, um 800 werden bereits Bestimmungen gegen eine inflationäre Ausbreitung dieses Phänomens getroffen, ab dem 13. Jahrhundert führt vor allem das Institut der Bruderschaften zu einer wesentlichen Zunahme. Vgl. Peter POSCHARSKY, Art. ,Altar. III. Mittelalter' in: T R E 2 (1978), 3 1 8 - 3 2 1 ; ANCENENDT, Missa specialis, 208f. 3 3 0 Mass, 52f. 3 3 1 „ T h e Pax is an important matter in any discussion o f the mass as a sacrifice since, [...] sacrifice and peace are universally held to be complementary notions: sacrifice ,demands and probably to some extent creates, a group at peace with itself.' " Mass, 52, das Zitat ist dort nicht nachgewiesen. 3 3 2 Vgl. zur Pax den Exkurs unter § 2 . 2 . 3 . 3 3 3 „From this point the sacrifice was increasingly a locus o f special preoccupations, and fell outside their transcendental unity which it became the function o f the ritual, in its entirety, to attempt to construct." BOSSYS Argumentation setzt voraus, dass Opfer und sozialer Friede in der spätmittelalterlichen Messe sich nach der Opfertheorie GIRARDS richteten. So meint er, dass die im Opfer geleistete Kanalisation von Gewalt den in der Pax inszenierten gesellschaftlichen Frieden ermöglicht habe. Hier ist einmal offen, inwiefern die Liturgie des Messopfers überhaupt geeignet war, Gewalt kultisch so zur Sprache zu bringen, dass sie Aggressionen binden konnte. Zum anderen stellte der soziale Friede nur ein Teilmoment der Pax dar. Auch wenn GIRARDS Opfertheorie gerade für die Erhellung gesellschaftlicher Zusammenhänge eine faszinierende Erklärungskraft aufweist, fragt es sich deshalb, ob sie in diesen Zusammenhang von Messopfer und Pax eingetragen werden darf. So konnte gerade am Karfreitag der Friedenskuss der Gemeinde ausfallen. Vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2, 390. Eine in meinen Augen plausiblere Entsprechung bieten die seit dem 13. Jahrhundert auftretenden Erzählungen vom gewaltsamen Hostienfrevel durch Juden, vgl. M. RUBIN, Corpus Christi, 126. Letztere verschaffen sich eine Hostie und suchen sie mit Messern, Äxten oder Feuer zu zerstören. Die Hostie blutet zwar, überlebt aber die Misshandlungen. Die „Übeltäter" werden nun ihrerseits exekutiert und der Hostie zu Ehren Kapellen oder Kirchen errichtet. Hier handelt es sich in typischer Weise um die Selbstrechtfertigung einer Gesellschaft, die auf K o sten ihrer Dissenters das ihr innewohnende Gewaltpotenzial bindet. 329

114

Erster Teil:

Voraussetzungen

Gott und (einzelnem) Menschen der spätmittelalterlichen horizontalen Deutung gegenüber. 3 3 4 Individualität und Sozialität lassen sich indes nicht so einfach zuordnen. Schon N M A deutet den Friedensgruß vor allem auf den ewigen Frieden und thematisiert in keiner Weise profane Konflikte. 3 3 5 Auch zeigen die Anweisungen, vor dem Kuss des Osculatoriums habe man zu fasten 336 und sich keiner Todsünde bewusst zu sein, 3 3 7 dass gerade die vertikale Dimension der Pax Bedeutung besaß. Luther ist hierin also gut mittelalterlich und individualisiert nicht ein auf die Sozialität gerichtetes mittelalterliches Phänomen. 3 3 8 2.3.3.2

Die

Votivmesse

Nicht nur der Kreis der Messteilnehmer konnte begrenzt werden, sondern auch das Anliegen. Bei den Votivmessen 339 handelte es sich im Unterschied zur öffentlichen Messe um 3 3 4 O h n e die vertikale Dimension völlig auszublenden, konzentriert sich BOSSY SO stark auf Pax und Friedenskuss als „symbol to express the wholeness o f [...] Community" (54) und konstitutive M o m e n t e des sozialen Friedens, dass er übersieht, wie eben dieses Anliegen liturgisch auch anders zur Sprache gebracht werden kann. Wenn er über CRANMERS Messrevision von 1549 urteilt „unlike Luthers, his [sc. Cranmer's] liturgy expressed a streng sense o f social peace as condition and effect o f the eucharist", dann übersieht er, dass Luther mit der Wahl des Mahlparadigmas das Communio — Element, welches seine gesamte Messtheologie seit dem Abendmahlssermon von 1519 stets begleitet, viel stärker zum Ausdruck bringt als das die spätmittelalterlichen Messen taten, indem nicht nur der gemeinsame Kuss, sondern das kollektive Mahl in der Gegenwart Christi die Sozialität konstituiert. 3 3 5 Vgl. N M A 180, 27—29: „ S o der priester spricht Pax Domini bedeut, das wir uns schicken und bereyten seyn zu empfahen den ewigen frid, denn er spricht: sit Semper vobiscum; das ist: derfrid des Herren sey mit euch alwegen." 3 3 6 Das ,Poenitentiale Cummeans' untersagt den Friedenskuss für Menschen, die vor der Messe etwas zu sich genommen haben. Das .Poenitentiale Mediolanense' belegt die Verletzung des Nüchternheitsgebotes mit einem dreitägigen Fasten: „Si quis pransus missae interfuit, poenitens erit dies tres in pane et aqua." zitiert nach A. FRANZ, Messe, 62. FRANZ sieht hinter dem N ü c h t e r n heitsgebot nur ein ,,Vorbeugungsmittel[s] gegen Unmäßigkeit und gegen die aus dem Wirtshausbesuche vor dem Gottesdienste entspringende Versäumnis von Messe und Predigt [ . . . ] " , er blendet den Zusammenhang zwischen R e i n h e i t und Opfer also aus. 337

V g l . V. R E I N B U R G , l i t u r g y ,

539.

Hinter BOSSYS Kontrastierung scheint die Annahme zu stehen, dass bei Luther dort der oder die einzelne Gläubige steht, wo die spätmittelalterliche Theologie die kirchliche Gemeinschaft thematisierte. A u f den ersten Blick scheint dessen Reformulierung der Messtheologie aus der Perspektive des Glaubens und nicht des objektiven Sakramentsvollzuges dies auch zu bestätigen. Allerdings wird dieser Sachverhalt dann verzerrt wahrgenommen, wenn Luthers Sakramentstheologie die Individualität, der spätmittelalterlichen Konzeption aber die Sozialität zugeordnet wird. Dann wird verkannt, dass die Sozialität sich theologisch auf unterschiedliche Weise artikulieren kann. So fuhrt Luthers Metapher vom „allgemeinen Priestertum" zwar zu einer Ausschaltung der Kirche als einer vermittelnden Instanz im Gottesverhältnis der einzelnen Person. Das heißt aber gerade nicht, dass die ekklesiologische Perspektive im Sakramentsgeschehen ausfiele. Vielmehr wechselt die Kirche nur ihren O r t und wird von einer Voraussetzung des Sakramentsgeschehens zu dessen Folge. Dies impliziert ein unterschiedliches Verhältnis zu den mitgebrachten sozialen Hierarchien. Vgl. zur Kritik an einer modernistischen Lesart der R e f o r m a t i o n bzw. Luthers auch R . SCRIBNER, German R e f o r m a t i o n , 2. Z u m Gegenüber von Gemeinschaftschristentum und I n dividualreligion bei J. BOSSY: ebd 74. 338

339

Vgl. J . A . JUNGMANN, Art. .Votivmessen', in: L T h K 10 (1965), S p . 8 9 6 f .

§2

Geschichtliche Konkretionen des Messopfergedankens

115

Messen, welche zu s p e z i e l l e n Zwecken mit eigens dazu abgefaßten Gebeten oder nach einem besonderen Formulare gelesen wurden [...]. Während in der feierlichen missa publica das heilige Opfer für die gesamte Kirche und für die Gemeinde dargebracht und für das irdische und ewige Heil aller gebetet wird, gedenkt der Priester in der Votivmesse besonders des Anliegens, welches ihm empfohlen ist, oder der Personen, welche die Zelebration der Messe in bestimmter Absicht erbeten haben. In der Votivmesse haben sich gewissermaßen die Gebete, welche von alters her in der Liturgie für alle Stände, für Kranke, Bedrängte u.a. verrichtet wurden, zu selbständigen Opferhandlungen ausgestaltet. 340 Diese Vorstellung griff auf die alttestamentlichen O p f e r zurück, 3 4 1 welche die u n terschiedlichen O p f e r t y p e n ja einzelnen Anliegen z u o r d n e n k o n n t e n . 3 4 2 D a m i t hielt sie ein bestimmtes Verhältnis zwischen alttestamentlichen O p f e r n u n d K r e u zesopfer fest, bei w e l c h e m vor allem die Kontinuität, nicht aber die A u f h e b u n g der O p f e r im Kreuzesopfer betont wurde. 3 4 3 D e m jeweiligen Z w e c k entsprechend entstanden dann eigene Messformulare. N e b e n d e m ersten Sitz der Votivmesse, der missa pro defunctis, bietet das ,Sacramentarium Veronense' 3 4 4 bereits ein eigenes Formular für die Danksagung nach einer G e s u n d u n g 3 4 5 (Post infirmitatem) u n d die missa contra obloquentes. D i e Ausrichtung der Messe auf einen besonderen Anlass vollzog sich zunächst so, dass aus den allgemeinen G e b e t e n die thematisch passenden ausgewählt w u r d e n . Ein nächster Schritt bestand dann in der eigenständigen F o r m u l i e r u n g eines für das Anliegen der Votivmesse geeigneten Gebetes. Im ,Altgelasianum' 3 4 6 finden sich bereits 60 Votivmessen für die unterschiedlichsten A n lässe, die Unfruchtbarkeit der Frau {pro sterilitate mulierum) ist ebenso vertreten wie die Wankelmütigkeit von R i c h t e r n (contra iudices male agentes). N a c h der Vielfalt der Anlässe u n d Formulare richtet sich dann auch die innere Ausgestaltung des Formulars. Das Missale von Bobbio 3 4 7 etwa weist hier zwar nur 13 unterschiedliche Typen auf, die innere Kohärenz der jeweiligen Messe wird aber n o c h einmal verdichtet. D a r u n t e r finden sich vier mit missa votiva betitelte Formulare, welche 34(1

A. FRANZ, Messe, 115. So etwa AMALAR VON METZ, De eccl. Officiis 3, 19 (PL 105, 1126-1132). 342 Hier ist an den Katalog der Sühnopfer in Lev 4 - 7 zu denken. Vgl. FRANZ, Messe, 116f. 343 Vgl. dazu das Schaubild am Ende des ersten Paragraphen. 344 ,Sacramentarium Veronense', ed. C.Mohlberg, R o m 1956. Es handelt sich um das Material, aus welchem die römischen Bischöfe ihre Texte für den Gottesdienst herstellten und in H e f t chen (¡¡belli) an die Presbyter der Titelkirchen weitergaben. Es stammt aus dem 6. Jahrhundert und gliedert sich nach dem Kirchenjahr, wobei die Formulare bis einschließlich des Osterfestes verloren gingen. Auf Grund fälschlicher Zuschreibung an Leo I. kursiert es auch unter der Bezeichnung .Leonianum'. Vgl. R . STÄHLIN, Geschichte, 37; G. Dix, shape, 567f, R . BERGER, N P H , Art. .Sakramental 459f; R . VOLP, Art .Abendmahl', Sp. 46f; WEGMAN, Geschichte, 64. 341

345

,,Qui famulos tuos ideo corporaliter verberas, ut mente proficiant, potenter ostendens, quam sit pietatis tuae praeclara salvatio, dum praestas, ut operetur nobis etiam infirmitas ipsa medicinam." Zitiert nach A. FRANZ, Messe, 120, Anm. 4. 346 ,Sacramentarium Gelasianum (Vetus)', ed. C.Mohlberg, R o m 1960. Es wurde um 650 zusammengestellt und weist eine charakteristische Gliederung in drei Bücher (und nicht nach den Tagen des Jahres) auf. Dabei mischt es römische mit gallischen Elementen. Vgl. R . STÄHLIN, Geschichte, 37; H.A.J. WEGMAN, Geschichte 123f. G. Dix, shape, 565f, R . BERGER, N P H , Art. .Sakramental, 460f. 347

V g l . STÄHLIN, G e s c h i c h t e 3 5 .

116

Erster Teil:

Voraussetzungen

eigens für diejenigen Gläubigen, „welche O p f e r g a b e n brachten u n d dafür eine b e sondere E r w ä h n u n g in der Messe f o r d e r t e n " , 3 4 8 gedacht waren. In der früher 3 4 9 A L K U I N zugeschriebenen Bearbeitung des . H a d r i a n u m ' tritt dann die Votivmesse f ü r Tote deutlicher hervor. 3 5 0 Ab etwa 850 lässt sich schließlich das Institut der W o chenmesse nachweisen, w o b e i sich eine Affinität der missa de cruce für den Freitag (Todestag) u n d der Totenmesse für den M o n t a g (Sonntagsruhe der gequälten Seelen) zeigt. Entgegen amtskirchlichem Unifizierungsstreben bildete sich im Verlauf des Mittelalters eine unübersehbare Vielfalt an Messformularen aus, die sich nicht selten nach den Bedürfnissen u n d W ü n s c h e n ihrer Auftraggeber richteten. 3 5 1 Es finden sich n e b e n Messen gegen Krankheiten (Messen zu E h r e n Sebastians, R o chus' oder Sigismunds) u n d gegen persönliche Benachteiligung durch M a c h t h a b e r (missa contra malos episcopos, nur in klösterlichen Kreisen) auch Messen gegen ä u ß e re Feinde (contra hussitas, contra turcas) oder innere, persönliche Verluste u n d G e f a h ren (profurto, ad proficiscendum in itinere). Das weitaus häufigste Anliegen der Votivmesse war aber ihre Ausrichtung auf den Tod. H i e r zeigte sich nochmals eine enge Verbindung zwischen Opfervorstellung u n d Messe, lässt sich doch die B e d e u t u n g „Totenmesse" f ü r den Begriff „ O p f e r " schon i m F r ü h n e u h o c h d e u t s c h e n n a c h weisen.

2.3.3.3

Die missae pro defunctis

D i e große N ä h e des spätmittelalterlichen M e n s c h e n z u m Tod, dessen Allgegenwart im täglichen Leben ungezählte Darstellungen belegen, 3 5 3 fand natürlich auch rituellen Ausdruck. 3 5 4 M i t Edward MUIR 355 lassen sich diese liturgischen Lebens348

FRANZ, Messe, 127. So etwa FRANZ, Messe, 132. 350 Vgl. FRANZ, Messe, 133. 351 So zitiert A. FRANZ, Messe, 152, A n m . 2, e i n e n von DÖLLINGER, Beiträge zur S e k t e n g e schichte des Mittelalters 3, 186, mitgeteilten V o r w u r f an die Geistlichen: „Missas celebrant o b o l a rias, ut de spiritu sancto, r e q u i e m et h u i u s m o d i , quas c r e d u n t sibi in p o p u l o amplius lucrativas." 349

352

Vgl. A. GÖTZE, a.a.O.,

170.

353 y g i SCRIBNER, Elements, 236f. E. MUIR, R i t u a l , 45, spricht v o m Tod als „ t h e central c o n c e r n o f life" i m 15. J a h r h u n d e r t . Es ist also n i c h t n u r die F u r c h t des spätmittelalterlichen M e n schen vor d e m n a c h d e m Tod abgehaltenen G e r i c h t h e r v o r z u h e b e n , s o n d e r n a u c h dessen selbstverständliche Z u g e h ö r i g k e i t z u m Alltag u n d seine soziale B e d e u t u n g fiir die H i n t e r b l i e b e n e n , d e ren Präsenz a m T o t e n b e t t Bestandteil idealer Darstellungen eines „seligen Sterbens" ist. 354 I. WILHELM-SCHAFFER, G o t t e s Beamter, 42, sieht d u r c h die T h e o l o g i s i e r u n g des Todes als der S ü n d e Sold Ängste gefördert, insbesondere w e n n „die j e eigene S ü n d e als U r s a c h e des j e eigen e n Todes b e t r a c h t e t " wird. Indes w i r d diese zutreffende B e o b a c h t u n g entstellend verkürzt, w e n n n i c h t zugleich das Ziel dieser „ T h e o l o g i s i e r u n g " , nämlich gerade die Ü b e r w i n d u n g der Todesfurcht, w a h r g e n o m m e n wird. E b e n der von ihr a n g e f ü h r t e L u t h e r (WA 10 I, 2, 221, 24) bleibt j a n i c h t bei einer v e r n i c h t e n d e n Gerichtsangst stehen, s o n d e r n k a n n das K o m m e n des J ü n g s t e n Tages h e r b e i w ü n s c h e n , etwa i m B r i e f an seine Frau v o m 16.7. 1540, W A B r 9 N r . 3512, 17, vgl. d a zu a.a.O., 59f. A u c h WILHELM-SCHAFFERS H e r l e i t u n g der Todesangst aus einer „individualistisch verstandenen E r b s ü n d e n k o n z e p t i o n " (ebd.) erscheint n u r als die eine Seite der W a h r h e i t , so lange die Z u o r d n u n g von E r b s ü n d e u n d V e r s ö h n u n g bzw. R e c h t f e r t i g u n g nicht expliziert wird. E n t scheidend ffir diese Angst sind d o c h die mit d e m jeweiligen S ü n d e n k o n z e p t v e r b u n d e n e n eschatologischen S a n k t i o n e n u n d n i c h t schon die H a m a r t i o l o g i e selbst. Es handelt sich deshalb n i c h t

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

117

äußerungen drei Gruppen zuweisen: Zur ersten Gruppe gehören die mit dem Sterben selbst verbundenen Riten, wie etwa die letzte Ölung. Sie sollen der Seele auf ihrem Weg zum Gericht beistehen und den Abschied von der Familie ermöglichen. Die zweite Gruppe besteht in den Begräbnisriten, welche die Familie nach dem Verlust eines Gliedes ihrer selbst versichern und an ihre Verpflichtungen gegenüber dem oder der Verstorbenen erinnern sollen. Schließlich sind die Gebete und Totenmessen zu nennen, welche die Ansprüche der Toten gegenüber den Lebenden zum Ausdruck bringen. Die Möglichkeit, das Geschick der verstorbenen Angehörigen noch positiv zu beeinflussen, verband sich eng mit der Fegefeuervorstellung, 356 die seit dem späten 12. Jahrhundert besondere „Konjunktur" hatte, 3 5 7 nur um eine „als theologische Spitzfindigkeit zu bezeichnende Ausnahmeposition" (ebd. 43), wenn Luther in der Römerbriefvorlesung (WA 56, 322, 15—17) vom Tod als der Sünde Sold ausgeht und durch den Tod des Nicht-Sünders Christus das R e c h t des Todes verwirkt und das ewige Leben der Christen verbürgt sieht. Vielmehr geht es hier um den für ihn (und für Paulus) zentralen Zusammenhang zwischen Christologie und Eschatologie. — In Aufnahme des reformatorischen Konzeptes kann der Lutherrezipient Gerhard WESTERBURG deshalb gerade den Trost und die Freude der verstorbenen Seelen gegen das Institut der Seelenmessen ins Feld fuhren, vgl. dazu unten § 1 0 . 2 . 3 . 1 . 3 . — Eine ähnlich problematische und auf notwendige Differenzierung verzichtende Darstellung bietet Wilhelm-Schaffer in ihrem Abschnitt über den Tod als Trennung von Leib und Seele. Nicht nur der Beitrag der (neu)platonischen Philosophie zu dieser Vorstellung wird unterschlagen, wenn sie die Trennung von Leib und Seele als „christliche Tradition" bezeichnet, sondern auch Luthers Position (als „die protestantische Sicht der Seele" etikettiert), unbesehen aus der scholastischen Tradition abgeleitet. Die tiefgreifende Differenz zwischen seinem relationalontologischen Konzept kommunizierender Totalperspektiven und der Seelenvorstellung eines dem Menschen innewohnenden, unverlierbaren Wesenskerns wird dann großzügig nivelliert: „Aus theologischen Motiven heraus führen die Reformatoren in scholastischer Tradition die Unsterblichkeit der Seele zwar auf Gott zurück, doch erscheint diese Ergänzung angesichts der Deutlichkeit der anthropologischen Sicht als sekundär." Vgl. zu Luthers Verständnis der Seele die elementaren Ausfuhrungen von W. JOEST, Freiheit, 127—130. 355

Ritual, 45 f.

Vgl. LEGOFF, Geburt, 213—220. 289—295. Eine gute Zusammenfassung der Diskussion und Kritik bietet I. WILHELM-SCHAFFER, a.a.O., 7 8 - 8 3 , zum Fegefeuer selbst 1 4 4 - 1 4 6 . Als Messfrucht zählt beispielsweise Johannes NIDER in seinem ,Sermo de tempore' auf: „Quod interdum per missae celebrationem una anima, que longo tempore deberet esse in purgatorio, statim liberatur [...]." Zitiert nach FRANZ, Messe, 54. Eine düstere Schilderung mittelalterlicher Fegefeuermotive gibt Franz, Messe, 220. Vgl. auch den für Luther bedeutsamen Johannes TAULER: „Viele tausend Seelen lägen im lodernden Feuer bis zum jüngsten Tag, wäre das heilige Meßopfer nicht, durch dessen Darbringung sie schnell erlöst werden." Predigt 60g, 318, 24—319, 2, zitiert nach B.WEISS, Eucharistie, 228. 3 5 7 Vgl. B. HAMM, Gottesliebe, 30. Er sieht mit der Ausgestaltung der Fegefeuervorstellung eine Neuakzentuierung der äußeren Dimension der Buße gegeben, insofern das Moment des satisfaktorischen Handelns gerade dann wichtig wird, wenn das Fegefeuer immer plastischer und beängstigender vor Augen steht. Vollständig sieht WILHELM-SCHAFFFER im Anschluss an J. LEGOFF, Geburt, 14f, die Fegefeuer-Vorstellung ausgebildet, wenn acht Momente gegeben sind: „Die Konzeption der individuellen Verantwortung für das eigene Tun — die Differenzierung und Kategorisierung der Sünden — ein geklärtes Verhältnis von Körper und Seele — die Lehre vom besonderen Gericht — die Idee eines Zwischenzustands mit vorläufigem Charakter — die Annahme eines reinigenden Feuers — die grundsätzliche Möglichkeit einer Änderung innerhalb des jenseitigen Schicksals — die Möglichkeit einer Rettung auch nach dem Tode durch Umwandlung der Strafen und stellvertretende fromme Leistungen anderer." Gottes Beamter, 82, dort mit Absatz vor j e d e m Spiegelstrich. 356

118

Erster Teil:

Voraussetzungen

aber bereits bei GREGOR im Zusammenhang mit der Messe für Verstorbene begegnet. 3 5 8 Z u n e h m e n d verschaffte sich das Totengedächtnis dann auch Eingang in die Pfarrmesse, wo es seit dem 13. Jahrhundert seinen Platz gefunden hatte. Insbesondere für den Verbleib der von Gott bereits angenommenen, aber noch im Z w i schenzustand des Fegefeuers befindlichen Seelen konnte die Messe eine positive Wirkung entfalten. Die Fegefeuervorstellung vereinte hier zwei Momente: Einmal den Gedanken, der Läuterungsprozess sei einem bestimmten R a u m zuzuweisen (z.B. dem Friedhof), zum anderen die Vorstellung, das kirchliche Bußsystem gelte auch für diesen Bereich. N M A referiert das grundsätzlich dualistische eschatologische Modell, innerhalb dessen dann auch die Messe zu stehen kommt: A l s o sollen w i r g e l a u b e n , das e i n l e b e n sey n a c h d i s e m l e b e n i n j e n e r w e i t , das da e w i g a n e n d e sey. U n d e i n y e g k l i c h m e n s c h n a c h s e i n e m v e r d i e n e n I o n e m p f a c h : d i e g u t t e n e w i g e f r e w d e u n d d i e b o e s e n e w i g e p e i n , n a c h d e m u n d es G o t g e o r d n e t hat e t c . 3 5 9

Das Gericht Christi 3 6 0 orientiert sich demnach an den im gegenwärtigen Leben erworbenen Verdiensten. Der Gedanke einer quantifizierenden Differenzierung (und damit auch der Individualität) besitzt also auch eschatologische Gültigkeit. 361 Mit dem Einbezug der j e eigenen Werke in das Gericht entstand indes das Pro358 , D i a l o g o r u m libri', 4, 36 (PL 77, 381): „ S u p e r n a e n i m pietas ex magna misericordiae suae largitate disponit, ut nonnulli etiam post e x i t u m repente ad corpus redeant, et t o r m e n t a inferni, quae audita n o n crediderant, saltem visa pertimescant." — D e r Adressatenkreis der missa pro defunctis w u r d e bereits in karolingischer Zeit ausgeweitet. N i c h t n u r e i n e m o d e r einer guten Verstorb e n e n nützt hier die Messe, w i e n o c h AUGUSTIN behauptete, s o n d e r n auch den in S ü n d e n D a h i n geschiedenen. Für sie müssen die A n g e h ö r i g e n durch Fasten o d e r O p f e r eine gewisse Vorleistung erbringen, damit eine Messe zu G u n s t e n ihres Verstorbenen gefeiert w e r d e n kann. Vgl. ANGENENDT, Missa specialis, 201. Gabriel BIEL behandelt diese Frage dann in der 26. Lektion seiner ,Expositio missae'. Z u n ä c h s t verwirft er die Fürbitte für E x k o m m u n i z i e r t e : „Itaque qui sie e x c o m m u n i c a t u r seipsum mortaliter p e c c a n d o privavit gratia et charitate, et per consequens suffragiis q u e profluunt a charitate." L.26L (1, 247). D a n n eröffnet er durch die U n t e r s c h e i d u n g einer E x k o m m u n i k a t i o n vor G o t t u n d vor d e n M e n s c h e n aber d o c h n o c h eine Möglichkeit, d e n N u t z e n der Messe auch den mit einer Todsünde b e h a f t e t e n M e n s c h e n z u z u w e n d e n : „ E x illo sequitur q u o d n o n Semper est e x c o m m u n i c a t u s a deo qui e x c o m m u n i c a t u r ab h o m i n e et prelato." L . 2 6 0 (1, 249f). 359 N M A 96, 1 2 - 1 5 . 360 d i e s e r Stelle trägt Christus das Gottesprädikat: „Also sollen w i r auch disen artigkel vestiglichen gelauben: das G o t der herre, Cristus Ihesus, richten u n d urteylen wirt eyn yegklichen m e n s c h e n an seynen letzten zeyten, wa hin er gewuercket hat u n d g e f u n d e n wirt, das er da hin f a r n n werd nach d e m urteylen des H e r r n . " N M A 92, 30—34. Dabei ist h e r v o r z u h e b e n , dass C h r i stus in den spätmittelalterlichen Darstellungen nicht n u r als R i c h t e r , s o n d e r n auch als Fürsprecher auftritt. Luthers anderslautende Ä u ß e r u n g e n (etwa W A 22, 174), dürfen hier nicht f ü r das Spätmittelalter generalisiert werden. D a m i t liegt die entscheidende Differenz zwischen der ars moriendi des Spätmittelalters u n d Luthers K o n z e p t nicht allein schon in der W a h r n e h m u n g Christi als R i c h t e r bzw. Fürsprecher. Aussichtsreicher erscheint es, nach d e m jeweiligen O r t des Gottesprädikates zu fragen. 361 Dies erhellt aus d e m Abweis nivellierender Eschatologien, die n u r zwischen Freude u n d Pein unterscheiden: „ D i e dritten [sc. ketzereyen u n d secten] sprachen u n d gelaubten, das keyn u n terschied w e r in d e m verdienen n o c h in d e m verschulden, u n d e r den g u t t e n u n d u n d e r den b o e sen; die da sint in d e m ewigen leben h a b e n all geleich frewde, des geleichen die in der helle haben geleich pein etc." N M A 96, 6 - 9 .

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

119

blem, wie diese persönlichen Werke dann noch Anderen zugewendet werden könnten. Die Lösung des Problems zeigt nun erneut den Zusammenhang zwischen Opfer und Stellvertretung: Wenn es der Heilslogik entspricht, dass das Verdienst des Einen dem Anderen zugewendet werden kann, dann ist auch das Verdienst zweier im Band der Liebe verbundener Personen austauschbar. Es ist nun bezeichnend, dass diese Beziehung nicht etwa im Modell eines „fröhlichen Wechsels" als Rezeption des Begünstigten gedacht, sondern als Aktivität des Verstorbenen aufgefasst wird. 3 6 2 Die Fürbitte für Verstorbene in Verbindung mit der Darbringung eines Opfers kannte bereits TERTULLIAN.363 In ihr ist das Fortleben des antiken Brauches, in einem festen zeitlichen Abstand am Grab der Verstorbenen Mahl zu halten, zu sehen. 3 6 4 Insofern die missapro dejunctis das Messopfer erstmals 365 auf ein bestimmtes Anliegen konzentriert, besteht auch ein Zusammenhang zwischen Toten- und Votivmesse. Die Feiern fanden zumeist am dritten, siebten oder neunten und am dreißigsten Tag nach dem Tod und am Jahrestag statt, 366 doch konnte auch innerhalb dieser markanten Eckdaten täglich Messe gehalten werden. 3 6 7 Dabei verstand man die Fürbitte als Stellvertretung für den Toten. 3 6 8 Nach A U G U S T I N U S konnte sie, eine entsprechende Lebensführung des bedachten Verstorbenen vorausgesetzt, Sühne leisten, Vergebung schenken oder zumindest den Aufenthalt in der Verdammnis erträglicher gestalten. 369 Eine für die spätmittelalterliche Messe initiative Wirkung 3 7 0 hatten hier erneut GREGORS vier ,Dialogorum libri'. In griffigen Beispielgeschichten wird die Bedeutung der irdischen Messfeier auch für die Toten aufgezeigt und die Vorstellung ei362 Vgl. BIEL, L.51I (2, 376): „Vel t e r t i o q u o d suffragia q u e fiunt p r o m o r t u i s et vivis, dici p o s sunt o p e r a i l l o r u m p r o q u i b u s fiunt." Vgl. dazu J. BOSSY, mass, 43. Er versteht L u t h e r s Absage an die Z u w e n d b a r k e i t d e r Messe an die T o t e n als „ u n b a l a n c e d r e j e c t i o n o f t h e social a s s u m p t i o n s o n w h i c h t h e d e v e l o p m e n t o f t h e m e d i e v a l mass h a d b e e n p r e m i s e d . " Allerdings impliziert d e r A b weis e i n e r b e s t i m m t e n T h e o l o g i e n o c h n i c h t die N e g a t i o n sozialer V o r a u s s e t z u n g e n . So k o m m t , freilich u n t e r a n d e r e n m e s s t h e o l o g i s c h e n Prämissen, die L e b e n s g e m e i n s c h a f t v o n T o t e n u n d L e b e n d e n a u c h b e i L u t h e r z u m A u s d r u c k , etwa w e n n er i m T e s t a m e n t s s e r m o n die H i l f e f ü r die T o ten i m F e g e f e u e r t h e m a t i s i e r t o d e r in , D e captivitate' G e b e t e f ü r die V e r s t o r b e n e n anspricht. BOSSY b e t o n t m . E . d e n B r u c h L u t h e r s m i t d e r spätmittelalterlichen M e s s w i r k l i c h k e i t hier zu stark u n d ü b e r s i e h t die K o n t i n u i t ä t . 363 , D e m o n o g a m i a ' 10, 4. D o r t ist v o n e i n e r Frau die R e d e , die f ü r i h r e n v e r s t o r b e n e n M a n n b e t e t : „[...] p r o a n i m a eius orat, et r e f r i g e r i u m i n t e r i m a d p o s t u l a t ei, et in p r i m a r e s u r r e c t i o n e c o n s o r t i u m , et offert annuis diebus d o r m i t i o n i s eius." Z i t i e r t n a c h A . FRANZ, Messe, 116. 364 vgl. A . ANGENENDT, Missa specialis, 196. 365 Vgl. A . FRANZ, Messe, 116. 366 Vgl. A. FRANZ, Messe, 2 3 4 f . 367 Vgl. A. FRANZ, Messe, 2 4 4 f . 368 Vgl. R . BERCER, D i e W e n d u n g ,ofTerre p r o ' , 212ÍF. 369 E n c h i r i d i o n ad L a u r e n t i u m , ed. E . E v a n s , in: C C h r . SL 46, T u r n h o u t 1969, 108f. Dass die Z u w e n d u n g v o n S u f f r a g i e n die W ü r d i g k e i t d e r B e g ü n s t i g t e n voraussetzt, ü b e r n i m m t L u t h e r in d e n Dictata v o n A u g u s t i n , vgl. die Scholle zu Ps 110(111), 1, W A 4, 2 3 9 , 1 0 - 1 6 . 370 Vgl. C l m . 4 6 2 3 , B1.74, (13.Jahd.), zitiert n a c h A . FRANZ, Messe, 61: „Gregorius de sacram e n t o altaris: O q u a n t u m d o n u m , q u a m m i r i f i c i u m b o n u m , quia n u n q u a m c e l e b r a n t u r divina mysteria, uel ibi o c c u r a n t u r d ú o virtuosa o p e r a , uidelicet u n i u s p e c c a t o r i s conversio sine u n i u s a n i m e a penis l i b e r a d o . "

120

Erster Teil:

Voraussetzungen

n e r M e s s f e i e r e i g e n s flir d i e T o t e n v e n t i l i e r t . 3 7 1 D a s s d i e s e r V o r s t e l l u n g e i n M e s s o p f e r k o n z e p t zu G r u n d e liegt, welches v o r allem die (mystische) W i e d e r h o l b a r k e i t des K r e u z e s o p f e r s h e r v o r h e b t , z e i g e n n a c h s t e h e n d e

Ausfuhrungen:

D i e s e r [sc. C h r i s t u s ] , d e r i n s i c h selbst u n s t e r b l i c h u n d u n v e r w e s l i c h l e b t , w i r d f ü r u n s e r n e u t i n d i e s e m G e h e i m n i s d e r h e i l i g e n D a r b r i n g u n g g e o p f e r t . [ . . . ] D a r a u s also m ö g e n w i r e r w ä g e n , w e l c h e r A r t dieses O p f e r flir u n s sei, das u m u n s e r e r F r e i s p r e c h u n g w i l l e n das L e i d e n des e i n g e b o r e n e n S o h n e s i m m e r f o r t n a c h a h m t . W e l c h e r G l ä u b i g e k ö n n t e d e n n d a r a n z w e i f e l n , dass z u d e r S t u n d e des O p f e r s a u f das W o r t des P r i e s t e r s h i n d i e H i m m e l s i c h ö f f n e n , d i e C h ö r e d e r E n g e l in d i e s e m G e h e i m n i s J e s u C h r i s t i g e g e n w ä r t i g sind, das H ö c h s t e s i c h m i t d e m N i e d r i g s t e n v e r e i n t , das I r d i s c h e sich m i t d e m H i m m l i s c h e n v e r b i n d e t u n d S i c h t b a r e s u n d U n s i c h t b a r e s eins w e r d e n ? 3 7 2 D e n n so o f t w i r i h m das O p f e r seines L e i d e n s d a r b r i n g e n , so o f t e r n e u e r n w i r sein flir unsere Freisprechung geschehenes L e i d e n . 3 7 3 N ä h e r h i n v e r t r a t G r e g o r w i e s c h o n A u g u s t i n d i e P o s i t i o n , dass d i e M e s s e n u r f ü r die S e e l e n i m F e g e f e u e r nütze, nicht aber für die V e r d a m m t e n . 3 7 4 D o c h bald bildet e s i c h e i n e missa

pro

defuncto,

de cuius

anima

dubitatur

aus, w e l c h e z u m i n d e s t

die

M ö g l i c h k e i t einer L i n d e r u n g der Höllenstrafen eröffnete.375 Schließlich wurde die 371

Messen für Verstorbene waren w o h l bereits vor GREGOR bekannt. D i e ,libri dialogorum' au-

torisierten dieses Institut indes nicht nur, sondern avancierten zur vielzitierten Belegstelle. Insbesondere zwei Beispiele kehren i m m e r wieder: Als der f r o m m e D i e n e r JOHANNES den B a d e d i e n e r des von i h m aufgesuchten Bades mit heiligem B r o t e n t l o h n e n will, weist dieser es zurück. E r sei nämlich der verschiedene H e r r des Bades, der hier seine S ü n d e n als B a d e d i e n e r a b z u b ü ß e n habe. Als solcher k ö n n e er zwar das B r o t nicht essen, der Priester k ö n n e es für ihn aber d e m H ö c h s t e n opfern. W e n n sein G e b e t erhört worden sei, fände J o h a n n e s ihn bei seinem nächsten B e s u c h nicht m e h r vor. Als der f r o m m e Priester nach einer W o c h e täglichen Opfers und tränenreicher B u ß e in das B a d zurückkehrte, fehlte der B a d e d i e n e r tatsächlich; ,Libri dialogorum' 4, 5 5 ( P L 7 7 , 4 1 6 f ) . Das zweite Beispiel kreist u m den verstorbenen M ö n c h JUSTUS, w e l c h e r zu Lebzeiten gegen das Armutsgelübde verstoßen hatte und deshalb von seinen M i t b r ü d e r n keine G e b e t e und Messen zugewandt b e k a m . D o c h G r e g o r empfand am dreißigsten Tag nach dessen Tod M i t l e i d und ließ dreißig Tage nacheinander Messe für ihn lesen. Daraufhin erschien der B r u d e r und vermeldete seine Erlösung; ,libri D i a l o g o r u m ' 4, 5 5 (PL 7 7 , 4 2 0 f ) . D i e s e G e s c h i c h t e m a c h t e G r e g o r nicht nur zum ,„Vater' des Fegefeuers" (I. WILHELM-SCHAFFER, a.a.O., 8 0 ) , sondern wurde auch zur Ä t i o l o gie der gregorianischen R e i h e von dreißig Messen. A u c h L u t h e r rekurriert auf dieses Beispiel in seiner , V e r m a h n u n g z u m Sakrament des Leibes und Blutes Christi' W A 3 0 II, 6 1 1 , 1 5 f . FRANZ, Messe, 2 4 6 , grenzt Gregors M o d e l l gegen spätere Varianten ab und beurteilt es als o r t h o d o x : „Von allen diesen Auswüchsen ist der reine gregorianische T r i c e n a r frei; derselbe besteht lediglich in der D a r b r i n g u n g des heiligen Opfers durch dreißig Tage hintereinander für die Verstorbenen und erfreut sich in dieser einfachen F o r m der Billigung der K i r c h e . " Messe, 2 4 7 . 372

„ [ . . . ] qui [...] in semetipso immortaliter atque incorruptibiliter vivens pro nobis i t e r u m in

h o c mysterio sacrae oblationis i m m o l a t u r [...] H i n c ergo pensemus quäle sit pro nobis h o c sacrific i u m , q u o d pro absolutione nostra passionem unigeniti Filii S e m p e r imitatur. Q u i s e n i m fidelium habere d u b i u m possit, in ipsa immolationis hora ad sacerdotis v o c e m coelos aperiri, in illo Iesu Christi mysterio a n g e l o r u m choros adesse, summis ima sociari, terrena coelestibus iungi u n u m q u e ex visibilibus invisibilibusque fieri?" Dial. 4, 5 8 , ( P L 7 7 , 4 2 5 - 4 2 8 ) . 373

„ N a m quoties ei hostiam suae passionis offerimus, toties nobis ad absolutionem nostram

passionem illius reparamus." P L 7 6 , 1 2 7 9 . 374

, D i a l o g o r u m libri', P L 7 7 , 4 1 6 f : „Si culpae post m o r t e m insolubiles n o n sunt, m u l t u m solet

animas etiam post m o r t e m sacra oblatio hostiae salutaris adiuvare, ita ut hanc n o n n u m q u a m ipsae d e f u n c t o r u m animae expetere videantur." vgl. auch P L 7 7 , 4 0 4 . 375

Z u r theologischen Diskussion u m die Hilfe der SufFragien vgl. FRANZ, Messe, 226—229.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

121

Darbringung des Messopfers als Hilfe für die Seelen im Fegefeuer auch lehramtlich definiert. U n t e r der Uberschrift: ,Vom Los der Verstorbenen' formuliert das K o n zil von Lyon 1274: W e n n sie aber in wahrer B u ß e in der Liebe verschieden sind, o h n e zuvor durch würdige Früchte der B u ß e für das Begangene u n d Unterlassene G e n u g t u u n g geleistet zu haben, so werden ihre Seelen [...] nach d e m Tod durch R e i n i g u n g s - bzw. Läuterungsstrafen gereinigt: U n d zur M i l d e r u n g derartiger Strafen nützen ihnen die Fürbitten der lebenden Gläubigen, nämlich Meßopfer, Gebete, Almosen u n d andere Werke der Frömmigkeit, die von den Gläubigen entsprechend den A n o r d n u n g e n der Kirche f ü r andere Gläubige g e w ö h n lich verrichtet w e r d e n . 3 7 6

Innerhalb dieses Modells konnten nun verschiedene Maßnahmen von den Hinterbliebenen ergriffen werden, u m die Zeit im Fegefeuer für ihre Angehörigen zu verkürzen. Das Motiv für derartige Aufwendungen ist dabei nicht nur in einer verwandtschaftlichen Solidarität zu erblicken. In vielen Beispielgeschichten sind es die Verstorbenen selbst, die ihren nachlässigen Angehörigen erscheinen, u m eine Totenmesse einzufordern. Dabei verweisen sie drohend auf das ihnen als Geister zur Verfügung stehende Arsenal. So konnten sich unzufriedene Seelen bei ihren Hinterbliebenen einstellen, u m offen gebliebene R e c h n u n g e n zu begleichen oder üble Streiche zu spielen. 377 Andererseits finden sich auch Erzählungen, in welchen die durch Messen erlösten Seelen Beistand gegen irdische Feinde leisten. 378 Die für die Toten ergriffenen Maßnahmen reichten von der Stiftung von Seelenmessen oder der Errichtung eigens dafür erbauter Kapellen über die Mitgliedschaft in Gebets- und Messbruderschaften bis hin zu jährlichen Begängnissen oder (bei geringerer Finanzkraft) einmaligen Seelenmessen. 379 Die enge Zusammengehörigkeit von Toten und Lebenden ermöglichte aber nicht nur ein Erscheinen der Toten, sondern auch eine Anwendung der Totenmesse auf die Lebenden. Sie wurde einmal für eigene Belange eingesetzt und verband sich hier mit dem Wunsch, spätere Fegefeuerstrafen durch vorgezogene Messen bereits im Voraus mindern zu können. 3 8 0 Umgekehrt konnte die Totenmesse auch gegen Lebende eingesetzt werden. So wurde liturgisch antizipiert, was biologisch noch ausstand, und geschickt das Gebot der Feindesliebe, welches den Schadenszauber und das „Mordbeten" ausschloss, umgangen. 3 8 1 376 D H 856, 381. Der lateinische Text lautet: „Quod si vere paenitentes in caritate decesserint, antequam dignis paenitentiae fructibus de commissis satisfecerint et omissis: eorum animas poenis purgatoriis seu catharteriis [...] post mortem purgari: et ad poenas huiusmodi relevandas prodesse eis fidelium vivorum suffragia, Missarum scilicet sacrificia, orationes et eleemosynas et alia pietatis officia, quae a fidelibus pro aliis fidelibus fieri consueverunt secundum Ecclesiae instituta." 377 Beispiele bei RUBIN, Corpus Christi, 153. 378 Die erlösten Seelen halfen etwa einem zu Unrecht angegriffenen Herzog, weil er für sie Messe hatte lesen lassen, vgl. A. FRANZ, Messe, 231. 379 Vgl. E. MUIR, Ritual, 50. Zu den Bruderschaften vgl. B. SCHNEIDER, Wandel und Beharrung. Bruderschaften und Frömmigkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Volksfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit, ed. H. Molitor und H.Smolinsky, in: KLK 54, Münster 1994, 65-87. 380

V g l . A . FRANZ, M e s s e , 2 1 8 f .

381 jyj a n bediente sich der Antiphon ,Media vita' oder des 108. Psalms, der eine Liste von Ver-

122

Erster Teil:

Voraussetzungen

Das Moment des Opfers besteht bei der Seelenmesse in der für den Priester aufgewendeten Geldsumme, insofern liegt in dem Junktim von Opfer und Totenmesse die allgemeinkultische Verwendung des Opferbegriflfes vor. 3 8 2 Die Totenmesse begegnet dabei vielfältig ausdifFerenziert, eine Tatsache, die allein schon ihre überragende Bedeutung für die spätmittelalterliche Messfrömmigkeit belegt. 3 8 3 G e genüber anderen, oft aus sehr weltlichen Motiven bestellten Votivmessen 384 weist die Totenmesse deshalb eine besondere Nähe zur Opfervorstellung auf, weil hier motivierender Anlass (Verlust des Angehörigen), Handlung (Verlust an Geld) und Ziel (Abwendung eines Verlustes ewiger Seligkeit) einander entsprechen. Der Tod fmalisiert und absolutiert alltägliche Verlustpotenziale und menschliche Möglichkeiten. Versteht man das Opfer nun als einen Mechanismus, der auf Bedrohungen, die alltäglichen Handlungsvollzügen entzogen bleiben, kontrollierenden Einfluss zu nehmen verspricht, so wird einsichtig, weshalb im Falle der größten Bedrohung auch der größte finanzielle Aufwand betrieben und der größte liturgische Fleiß an den Tag gelegt wird. U m den Verlust ewigen Lebens abzuwenden, wird der Verlust zeitlicher Lebensmöglichkeiten (Geld) bewusst und buchstäblich in Kauf genommen. Die theologische Basis dieser Aktivitäten besteht in der Vorstellung, durch die Feier von Messen das Geschick der Toten günstig beeinflussen zu können, 3 8 5 andernfalls ergäbe die Messstiftung j a keinen Sinn. Gott kommt innerhalb dieser Vorstellung also vor allem in seiner richtenden Funktion in den Blick, ihm wird die Messe als ihrem Adressaten zugewendet. 3 8 6 Zum Bereich der Totenmesse 3 8 7 gehören nun mehrere, oft sich überschneidende Begriffe. 3 8 8 Unter Begängnis ist zunächst eine kirchliche Veranstaltung zu verstewünschungen der Feinde bietet. Vgl. A. FRANZ, Messe, 99. So versuchte ein M ö n c h seinen Abt WIBALD VON STABLO zu Tode zu beten. Von ihm heißt es: „Diceris etiam quosdam caracteres h a b e re et illos ad quaedam praestigia et diabolicas incantationes atque usus improbos conscribere, quibus ne gentilium quidem ullus doctus et honestus fidem accomodare voluit." Zitiert nach A. FRANZ, Messe, 1 0 1 . 382

So Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 1 0 9 .

383

Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 113.

384

Das Pendant zur ab dem 13. Jahrhundert aufblühenden (RUBIN, Corpus Christi, 2 0 8 ) V o -

tivmesse ist der allgemeine Gemeindegottesdienst, der nicht aus Anlass eines besonderen Anliegens Einzelner, sondern für die Gesamtgemeinde gehalten wird. D e r Votivmesse eigen ist die Konzentration der Messfrucht a u f eine oder mehrere Personen. D i e liturgische Folge ist eine Ausdifferenzierung der Messordnungen j e nach Anlass der Messe. Vgl. J . A . JUNGMANN, Art. .Votivmessen', Sp. 8 9 6 ; Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 1 1 4 . 385

Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 113: „Es wurden ganze M e ß r e i h e n entwickelt, weil man glaubte,

den Toten im Jenseits helfen zu k ö n n e n und durch Messelesen und Stiftungen, durch das ,messfrum', bei G o t t ein gnädiges G e r i c h t zu erwirken. Das reichte bis zu Vorstellungen von magischen Kräften und Auswirkungen der M e s s e n . " 386

Diese anabatische Geschehensrichtung eignet nach Hansjosef GOERTZ auch den Begriffen

officium bzw. Amt („aufgenommen [...], u m den besonderen Dienst G o t t gegenüber in der Liturgie zu b e z e i c h n e n " , 104) u n d ^ o t o dienst („mit vorgestelltem Genitivus objectivus", 108). 387

begriffliche Äquivalente nennt Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 1 1 3 : „sei messe", „ s e i m e ß " ,

„sei a m b t " „ m e ß von den seien" „todten a m p t " , „ e x e q u i e " und „vigilie". D i e Totenvigil b e z e i c h net ursprünglich ein G e b e t am Totenlager und die Totenwache, dann aber auch die Totenmesse, v g l . R . B E R G E R , N P H , A r t . , V i g ü \ 5 3 1 f. 388

Vgl. zum Folgenden: N . MÜLLER, B e w e g u n g 1 5 5 - 1 5 8 ; Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 1 1 3 f .

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

123

hen, die einem Verstorbenen zugute kommt. Als Ritus weist diese Veranstaltung eine einzuhaltende Ordnung auf, in diesem Falle der feste zeitliche Abstand zum Tod des Begünstigten. Versteht man die durch Tod bzw. Fegefeuer gefährdete oder beeinträchtigte Perpetuierung der Personalität des Verstorbenen als Beweggrund solcher Totenfeiern, so lassen sich ihre Ordnungen nach zwei Seiten hin unterscheiden. Die einen werden einmalig gefeiert und stehen in einem meist runden 3 8 9 Abstand zum Sterbetag. Vorrangige Daten sind hier der 30. Tag nach dem Tod (Tricésima, Vierwochengedächtnis) oder der erste Jahrestag (Anniversarium, Jahrbegängnis). 390 Diese chronologische Ordnung stellt durch eine individuelle Datierung der Messe den Bezug von Messfeier und Begünstigtem sicher und akzentuiert so dessen individuelle Personalität. Eine zweite Form der Begängnisse sind die Memorien (Gedächtnis, Jahrtag). Diese stellen nicht so sehr den individuellen Charakter als vielmehr das Moment der Ewigkeit in den Vordergrund. An einem wohl schon aus praktischen Gründen nicht mit dem Todestag der Begünstigten identischen Termin wird einmal oder mehrmals im Jahr zu seinen Gunsten Messe gehalten. Das Charakteristikum dieser Messen ist ihre Stiftung auf „ewige Zeiten". So verdeutlicht dieses Institut nicht so sehr das Moment der Personalität als das der Ewigkeit. Entsprechend hält die transindividuelle Institution der Bruderschaft eine natürliche Affinität zu diesem von ihr bevorzugten Messtypus. Innerhalb einer Messe kann sich die impetratorische Absicht des Lobopfers mit dem Te igitur191 verbinden. Hier opfern Priester und Gemeinde in Glaube und Hingabe für sich und die Ihren. Dabei wird auch das erstrebte Ziel dieses Handelns kenntlich. Geopfert wird „umb die erloesung wille irer sele, umb hoffnung des heyls und in gesuntheyt antwurten sie dir ire andacht, dir, dem lebendigen und ewigen waren G o t . " 3 9 2 Damit wird das eschatologische Heil als vornehmliches 393 3H9 Bevorzugte Termine sind der 3., 7. oder 9., der 30. und der 40. Tag nach dem Tod. Im H i n tergrund stand schon in der alten Kirche die Auffassung einer sicli sukzessive vom Körper lösenden Seele, wobei die jeweiligen Tage mit einer besonderen Gerichtssituation für den Verstorbenen verbunden werden. Später werden die Zahlen 3, 7, 9, 3 0 und 4 0 mit biblischen Begründungen versehen, vgl. J . A . JUNGMANN, Geschichte, 2 0 f . 39(1 Vgl. M . METZGER, Geschichte, 63. J . A . JUNGMANN, M S 2, 144. Dieses geht zurück auf den römischen Brauch, nach dem sich am Jahrestag des Todes die Familie in der Nähe des Grabes zu einem Festessen traf. D e r Tote wurde hier allerdings als Mahlteilnehmer betrachtet und nicht im Fegefeuer lokalisiert. U b e r die christlichen Gedenkfeiern für die Märtyrer setzte sich dieser Brauch dann fort bis zur Totenmesse. Vgl. Didaskalie, 26, VI, 22, 2—5, a.a.O., 143, zitiert nach METZGER, Geschichte, 64: „Ihr sollt [...] die angenehme Eucharistie darbringen, das Gleichnis des königlichen Leibes Christi, sowohl in euren Versammlungen, wie in euren Coemetrien und bei dem Auszug der Entschlafenen, ein reines Brot, im Feuer bereitet, geweiht unter Anrufungen und ungeteilt, und sollt beten und es für diejenigen darbringen, die entschlafen sind [ . . . ] . " D e r häufige R e k u r s auf die R e i n h e i t soll den Feiernden hier wohl die Scheu vor den als unrein geltenden Friedhöfen nehmen. 3 9 1 D e r Text ist abgedruckt unter § 2 . 2 . 2 . 2 . 1 . 392 Memento vivorum zitiert in der Übersetzung von N M A 132, 31—33, vgl. den lateinischen Text des Gebetes, oben unter § 1.2.2. 3 9 3 D i e Nennung der incolumitas neben der salus schließt freilich den Leib mit ein, vgl. J . A .

JUNGMANN, M S 2 ,

205.

124

Erster Teil:

Voraussetzungen

Ziel der Opferhandlung beschrieben. Gegeben wird mit den vota eine geistliche Gabe, erwartet wird dafür das ewige Heil. 3 9 4 So hängt das Heil hier nicht von einer moralischen Spitzenleistung des Menschen ab, gefordert wird nichts anderes als eine „geschuldete Leistung" 3 9 5 , die hier nicht in äußeren Werken, sondern in der Hingabe besteht. Aber diese Hingabe versteht sich eben als eine Gabe an Gott und eine menschliche Leistung innerhalb eines ökonomischen Sprachspiels. Entsprechend wird diese Andacht zu einer Bedingung aufseiten des Menschen, ein mit den Gedanken abschweifender Priester gefährdet somit den Erfolg der Opferhandlung. 3 9 6

2.3.4

Die Visualisierung der Messe: Die

Elevation

Die Konzentration auf die somatische Realpräsenz ermöglichte schließlich die ab dem 11. Jahrhundert 3 9 7 zu beobachtende, von Cluny ausgehende Sitte, die Hostie zunächst 398 während des Accepit panem zum Zwecke besserer Sichtbarkeit und Verehrung hochzuheben. 3 9 9 Das gesteigerte Bedürfnis nach Adoration konnte sich hier mit der Fixierung des Wandlungsmomentes und der Materialisierung des O p 3 9 4 J . A . JUNGMANN, M S 2, 2 0 5 , kennzeichnet die Intention dieses Lobopfers folgendermaßen: „Sie [sc. die Gläubigen] möchten dafür ,ihre Seelen erkaufen'; wofür nach des Heilands Wort sonst kein Preis reichen kann, dafür mag dieser wohl genügen. Ihre Seele möchten sie erkaufen, d.h. — so wird es nunmehr erklärend ergänzt — sie möchten das Heil und die Wohlfahrt gewinnen, die sie als Christen hoffen dürfen [ . . . ] . " Diesen Gedanken des sacrißcium laudis sieht J . A. JUNGMANN dann „in einer kühnen U m k e h r des Heilandswortes" den at.liehen (Ps 48,8f) und nt.lichen (Mt 16,26; M k 8,27) Aussagen, niemand könne seine Seele vom Tode freikaufen, entgegengestellt. Ebd., A n m . 47. 3 9 5 J . A . JUNGMANN, M S 2, 2 0 5 . E r versteht dort die Darbringung einer geschuldeten Leistung als den „verstärkten Unterton eines j e d e n Opfergedankens". 3 9 6 N M A 133, 1 4 - 2 0 . 3 9 7 Anders BROWE, K o m m u n i o n , 2 9 , der an das Ende des 12. Jahrhunderts denkt. FRANZ, M e s se, 101, nennt das 12. Jahrhundert. RUBIN, Corpus Christi, 55, betrachtet als ältesten Nachweis eine Bestimmung der Synode von Paris ( 1 1 9 8 x 1 2 0 3 ) : „Praecipitur presbyteris, ut, c u m in canone misse ineiperint , Q u i pridie', tenentes hostiam, ne elevent eam statim nimis alte, ita quod videri possit a populo, sed quasi ante pectus detineant donec dixerint , H o c est corpus meum' et tunc elevent eam ita quod possit ab omnibus videri". .Statuts synodaux' 1, c.80, 82, zitiert nach RUBIN, Corpus Christi, 55, Anm. 251. Deutlich will diese Bestimmung der Gefahr einer Idolatrie durch Anbetung der consecranda wehren. Die Notwendigkeit einer synodalen R e g e l u n g setzt einen verbreiteten Missbrauch allerdings voraus. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Elevation am Ende des 12. Jahrhunderts bereits verbreitet war. 398 p u r c h t vor einer Verehrung des Geschöpfes statt des Schöpfers führte dazu, dass zunehmend nicht während der Einsetzungsworte, sondern erst danach die Hostie emporgehoben wurde. So auch in der unten ausgewerteten Nürnberger Messerklärung, vgl. N M A 145, 14ff. Damit wurde zugleich der Akzent von einem Darbringungsgestus verlagert auf einen Zeigegestus, vgl. MEYER, Elevation, 164. 3 9 9 Vgl. zur Elevation: P. BROWE, DIE Verehrung der Eucharistie im Mittelalter, M ü n c h e n 1933; und derselbe, D i e eucharistischen Wunder des Mittelalters, M ü n c h e n 1938; Karl Ludwig QUIRIN, Die Elevation zur heiligen Wandlung in der R ö m i s c h e n Messe. Ihre Entstehung und G e schichte bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Mainz 1952; H . B . MEYER: Die Elevation im deutschen Mittelalter und bei Luther, in: Z K T h 85 (1963), 1 6 2 - 2 1 7 ; und (daraufbasierend): derselbe, Luther und die Messe, 2 6 1 - 2 7 9 .

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

125

fers verbinden. Damit wurde nicht nur das visuelle M o m e n t der Messfeier gestärkt, sondern auch die Gemeinde, die angesichts unverständlicher Texte und der M o nopolisierung der priesterlichen Tätigkeit kaum mehr als Agierende kenntlich war, in das Messgeschehen einbezogen. Die elevierte Materie war nicht zuletzt aus praktischen Gründen die Hostie und nicht der Kelch. 4 0 0 H.B. M E Y E R verweist nun darauf, dass es sich bei der Elevation u m einen „volkstümlichen" Ritus gehandelt habe, der u m der Gläubigen willen eingeführt w o r den sei und eine Beteiligung der Gemeinde am Messgeschehen ermöglicht habe. 401 Dies ist indes nur ein Aspekt, der nicht verabsolutiert werden darf, wenn das amtskirchliche Interesse an diesem Ritus nicht verdeckt werden soll. 402 Zugleich ist nämlich die Domestizierung des laikalen Elementes durch die Elevation hervorzuheben. D e n n in der Ausrichtung der Umstehenden auf den die Hostie präsentierenden Priester wird mit der Statusdifferenz zwischen Priester u n d Laie auch das Hierarchieprinzip der durch Weihe verliehenen sakramentalen Vollmacht eingeübt. 4 0 3 So wurde die Elevation gerade in einer Zeit propagiert, in der dieses Prinzip durch Bewegungen wie etwa die Katharer bedroht war. 404 Diese wollten ja eine an Amt, Weihe und Sakrament orientierte kirchliche Hierarchie durch das K o n -

400 Bereits der E n t z u g des Laienkelches hatte sich aus der G e f a h r des Verschüttens b e g r ü n d e t , vgl. THOMAS, S T h 3, q.80, a.12 (30, 275). Z u m a n d e r e n verdeckte das G e f ä ß die Sicht auf das Blut Christi. D i e liturgische S y m m e t r i e ließ indes die Kelchelevation geraten sein. 401 Elevation, 173. 402 A u f ein besonderes amtskirchliches Interesse lassen nicht n u r die Klagen ü b e r die Missacht u n g der vorgeschlagenen Verhaltensweisen (vgl. BIEL, Expositio, L. 5 0 N ) , s o n d e r n a u c h die Vergünstigungen, etwa in F o r m v o n Ablässen, schließen, die d e n H o s t i e n v e r e h r e r n e i n g e r ä u m t w e r den. So g e w ä h r t e der B a m b e r g e r W e i h b i s c h o f GERHARD i m Jahre 1432 d e n j e n i g e n H o f e r G l ä u b i gen, die n i e d e r k n i e t e n u n d das Sakrament a n b e t e t e n , 40 Tage Ablass. Vgl. MEYER, Elevation, 176. 403 Vgl. E. MUIR, R i t u a l , 163: „ T h e priest [...] b e c a m e o n those occasions [sc. t h e elevation] an isolated, distant figure, obscured by a cloud of sweet incense and separated f r o m t h e laity by t h e choir screen [...]." RUBIN, C o r p u s Christi, 131 f: „ T h e elevation was a t o k e n b o t h of sacramental m e a n i n g a n d of the exclusive priestly p o w e r in its m e d i a t i o n and it b e c o m e s c o m m o n in t h e d e c o ration o f the text of the mass missal. [...] T h e elevation was perceived as the essence o f clerical office, t h e focus of t h e liturgy, t h e e p i t o m e a n d justification of clerical privilege." I m 14. J a h r h u n d e r t w e r d e n diejenigen Texte des K a n o n i s c h e n R e c h t e s , welche die liturgische Praxis betreffen, v o r zugsweise m i t Elevationsszenen illustriert, vgl. e b d 132. A u c h i m 16. J a h r h u n d e r t k a n n auf d e m Titelblatt einer Verteidigungschrift f ü r das Messopfer eine Elevationsszene stehen, w i e das etwa bei der A p o l o g i e J o h a n n e s MANBERGERS der Fall ist, vgl. dazu u n t e n § 10.1.2. Dass die u n t e r s c h i e d liche äußere H a l t u n g v o n Z e l e b r a n t u n d G e m e i n d e von d e n Zeitgenossen durchaus als A u s d r u c k einer hierarchisierten G o t t e s b e z i e h u n g verstanden w e r d e n k o n n t e , belegt GÜTTELS Kritik a m Sitzen des Papstes w ä h r e n d des Sakramentsempfangs, vgl. u n t e n § 9 . 5 . 3 . 2 . 2 . 404 D i e Schlüsselfunktion des hierarchischen Amtsprinzips zeigt sich in d e m 1208 lehramtlich f o r m u l i e r t e n Glaubensbekenntnis gegen die Waldenser: „ D r e i D i n g e sind nach u n s e r e m G l a u b e n zu dieser A m t s v e r r i c h t u n g n o t w e n d i g : eine b e s t i m m t e Person, d. h. ein Priester, der, w i e gesagt zu diesem A m t v o m Bischof eigens bestellt ist; j e n e feierlichen W o r t e , die von d e n heiligen V ä t e r n in den K a n o n gesetzt w u r d e n ; die e n t s p r e c h e n d e Absicht dessen, der sie spricht. So glauben u n d b e k e n n e n w i r fest: W e r glaubt u n d b e h a u p t e t , o h n e vorausgegangene W e i h e d u r c h einen Bischof, w i e w i r sagten, das eucharistische O p f e r d a r b r i n g e n zu k ö n n e n , der irrt i m G l a u b e n [...] u n d ist von der heiligen r ö m i s c h e n Kirche zu t r e n n e n . " D S 7 9 4 = PL 215, 1511 C D , zitiert n a c h G. KOCH, Sakramentenlehre, 2, 27.

126

Erster Teil:

Voraussetzungen

zept einer durch Askese herstellbaren Reinheit ersetzen. 4 0 5 Die Elevation bildete dagegen die in sich hierarchisch gegliederte Kirche des Sakramentes sinnfällig ab: D e m unsichtbaren Vater wurde der Opferleib seines Sohnes in einer dinglichen Entität präsentiert. Direkten Kontakt zum Heiligen hatte hier nur der stehende Priester, das in Distanz zum Heiligen kniende Volk betete den gegenwärtigen Gott an, wurde aber nicht mehr als Handlungsaktant wahrgenommen. 4 0 6 Die zentrale Bedeutung des Ritus 4 0 7 unterstreicht dann seine liturgische Ausgestaltung. So wurden unterschiedliche visuelle 408 und akustische 409 Mittel einge4 0 5 Wenn MEYER das Motiv hier nur im Festhalten der Realpräsenz (Elevation, 173) oder dem möglichen geistlichen Nutzen für die Seelen (ebd., 176) sieht, so berücksichtigt er die ekklesiologisch-soziologische Dimension der Elevation nicht. Es ist angesichts der durch diesen Ritus beförderten Mentalität einer amtskirchlichen Bindung des Weges zum Himmel bedeutsam, dass gerade die Mystiker nicht das Anschauen, sondern den Empfang der Hostie favorisierten. Vgl. dazu B . WEISS, Eucharistie, 2 3 0 : „In den Texten der Deutschen Mystiker überwiegt aber eine Spiritualität, die sich auf den Empfang der Kommunion stützt, gegenüber einer solchen, die das Anschauen der Hostie in den Mittelpunkt stellt." 4 , 1 6 In diesem Zusammenhang steht auch die „geistliche K o m m u n i o n " . Sie nahm AUGUSTINS dictum „Glaube und du hast gegessen" auf und ordnete auch der gläubigen Konzentration auf die eucharistische Handlung, insbesondere bei der Elevation, Messgnaden zu. B o t sie ursprünglich die Möglichkeit, auch bei unzureichender Vorbereitung Anteil an den Messfrüchten zu erlangen, so bedrohte die mit ihr gegebene unmittelbare Innerlichkeit die Heilsvermittlung über das äußere Priesterinstitut. Das gilt insbesondere für mystische Konzeptionen. So kann GERTRUD DIE GROSSE den geistlichen Empfang über den sakramentalen stellen (Oeuvres spirituelles 3, 38, 3, 22, vgl. B. WEISS, Eucharistie, 249). Diese geistliche Kommunion besteht dann nicht etwa in der distanzierten Teilhabe am sakramentalen Leib Christi, sondern in der „Ubereinstimmung mit dem Willen Gottes, innere[r] Gelassenheit", ebd. W i e später bei Luther löst sich hier Sakramentsterminologie vom kirchlichen Ritus und wird personalisiert. Meister ECKHART kann sagen: „Du könntest in solcher Gesinnung auf einen Stein treten, und es wäre im höheren Grade ein gottgefälliges Werk, als wenn du den Leib unseres Herrn empfingst und es dabei mehr auf das Deinige abgesehen hättest und deine Absicht weniger selbstlos wäre." R e d e n der Unterweisung, 2 0 D W 5, 2 7 4 , 1—4, zitiert nach B . WEISS, ebd. — Dieses D i c t u m impliziert Nähe und Distanz zu Luthers Konzept gleichermaßen. Einmal wird der Gedanke eines ex opere operato gültigen guten Werks zurückgewiesen, das Werk ist abhängig von der inneren Haltung des Menschen. Zugleich aber wird der Sakramentsempfang in dieser Perspektive eines quantifizierbaren guten Werks erfasst, die von Luther später behauptete kategoriale Differenz zwischen Glaube und Werk besteht nicht. Aus machtpolitischer Perspektive sind Luthers wie Eckharts Haltung allerdings identisch, denn das Heilsmonopol einer als Subjekt des Sakramentsgeschehens agierenden Kirche wird personalisierend unterlaufen. 4 0 7 Die Bedeutung, die der visuelle Kontakt mit der Hostie für Menschen haben konnte, zeigt eine von H . B . MEYER, Elevation, 193, mitgeteilte Begebenheit aus Sitten. Im Jahre 1370 war über die Stadt ein Interdikt verhängt, die Priester hatten ihre Messen leise und nur hinter verschlossenen Türen zu feiern. U m dennoch die Hostie sehen zu können, bohrten einzelne Sittener Löcher in die Kirchentüren und wurden vom B i s c h o f zur Beschaffung neuer Türen verurteilt. Auch bildliche Darstellungen der Messe zeigen zumeist die Elevation, wodurch deren Schlüsselfunktion erneut bestätigt wird. Vgl. dazu RUBIN, Corpus Christi, 134. 4 0 8 Besondere Kerzen (vgl. N M A 144, 16—20) und ein hinter der Hostie hochgehaltenes schwarzes Tuch sollten die Sicht auf die Hostie erleichtern. Seit dem 13. Jahrhundert hatte ein M i nistrant die Kasel des Priesters zu halten, der seine Verehrung des Sakramentes nun nicht mehr durch Verbeugung, sondern durch Niederknien zum Ausdruck brachte und damit den Blick auf die Hostie nicht mehr behinderte. Vgl. H . - B . MEYER, Luther, 263; Elevation, 1 6 9 f . l 9 0 ; J . A .

JUNGMANN, M S

2,

265f.

Seit dem 12. Jahrhundert setzte sich der Brauch durch, ein Glöcklein für die Anwesenden und die Glocken für die Abwesenden bereits zum Sanctus zu läuten. So konnten sich die Anwesen409

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

127

setzt, u m die Aufmerksamkeit der Messbesucher auf die konsekrierte Hostie zu richten und eine Verehrung der Hostie zu erleichtern. Der Sinn des Gestus bestand in der Adoration des gegenwärtigen Christusleibes, 410 zudem sah man in der Elevation einen besonders günstigen liturgischen M o m e n t flir die Äußerung von Bitten, denn von dem unmittelbaren (visuellen) Kontakt mit der präsenten Gottheit versprach man sich besondere Berücksichtigung. 4 1 1 Deshalb nimmt es nicht w u n der, dass viele Messbesucher versuchten, der Hostie möglichst nahe zu k o m m e n und dabei in den C h o r eindrangen. 4 1 2 Der M o m e n t der Elevation war ein besonders heiliger und kostbarer Augenblick im Messverlauf, ja dessen Höhepunkt. 4 1 3

d e n auf d e n M o m e n t d e r Elevation v o r b e r e i t e n u n d die in d e r N ä h e b e f i n d l i c h e n A b w e s e n d e n k o n n t e n bis z u r Elevation n o c h die K i r c h e e r r e i c h e n , vgl. H . B . MEYER, Elevation, 166f. G e s u n g e n w u r d e v o r o d e r z u r E l e v a t i o n das Benedictus, w e l c h e s o h n e h i n die A n k u n f t des H e r r n t h e m a t i sierte. 410 N M A 145, 13—28: „ U n d als bald d e r priester die w o r t d e r W a n d l u n g g e s p r o c h e n hat, als ir g e h o e r t h a n t , so h e b t d e n n d e r priester das h o c h w i r d i g s a c r a m e n t , d e n w a r e n z a r t e n f r o n l e y c h n a m unseres l i e b e n h e r r e n Ihesu Cristi — w a r e n G o t u n d m e n s c h — u e b e r sich auf in die h o e c h u e b e r sein h a u b t ; dar m i t er u n s reytzen ist zu a n d a c h t u n d zu b e t r a c h t u n g des leydens C r i s t i Ihesu, das er also y m e r l i c h u n d elendiglich a n d e m k r e u z a u f g e r i c h t w a r d [...]. D e s u n d anders seins leydens sollen w i r da i n g e d e n c k sein u n d in da a n r u e f f e n u m b alle u n s e r anligent n o t u n d g e b r e c h e n , w a n n er u n s zu solcher zeyt ee e r h o e r t d e n n auf a n d e r zeyt; d e n n i m v o n u n s nit b a ß gevelt, d e n n in a n d a c h t seyns leydens e r m a n e n u n d i n g e d e n c k sein u n d b e t r a c h t e n . " 4,1 So w e i ß GREGOR die G e s c h i c h t e v o n e i n e m v o m U n t e r g a n g b e d r o h t e n Schiff zu erzählen, das n i c h t sank, als die H o s t i e an B o r d eleviert u n d a n g e b e t e t w u r d e , vgl. RUBIN, C o r p u s C h r i s t i , 119. Z u m M o t i v v o n R e t t u n g d u r c h die H o s t i e u n d S c h i f f b r u c h vgl. a u c h dessen . D i a l o g o r u m lib r i ' , 4, 57 (PL 77, 4 2 4 f ) . D o r t ist es die K o m m u n i o n , die e i n e m S c h i f f b r ü c h i g e n das L e b e n rettet. D i e U m f o r m u n g zeigt also die k o m p e n s a t i v e F u n k t i o n d e r Elevation. I m ,Dialogus M i r a c u l o r u m ' des CAESARIUS VON HEISTERBACH rettet die B e i c h t e eines Passagiers das Schiff, vgl. dazu M . OHST, P f l i c h t b e i c h t e , 130. Z u r E l e v a t i o n als b e s o n d e r s g e e i g n e t e m O r t d e r Bitte ä u ß e r t sich s c h o n W. DURANDUS, R a t i o n a l e , lib. 4, c.41 no. 51, 2 6 5 : „ S a n e dictis verbis illis H o c est c o r p u s m e u m sacerdos elevat c o r p u s C h r i s t i . P r i m o ut cunctis adstantes v i d e a n t , et p e t a n t q u o d proficit ad s a l u t e m [...] S e c u n d o , ad n o t a n d u m q u o d n o n est aliud d i g n u m s a c r a m e n t u m [...] T e r t i o [...] C h r i s t u m p a n e m . " Z i t i e r t n a c h M . RUBIN, C o r p u s Christi, 58; A u c h , T h e folk's mass b o o k ' e m p f i e h l t , die G e b e t s a n l i e g e n w ä h r e n d d e r Elevation zu ä u ß e r n , vgl. M . RUBIN, C o r p u s C h r i s t i , 104. A h n l i c h a u c h N M A 145, 2 9 - 1 4 6 , 1: „ U n d w e n n w i r in des [sc. des Kreuzesleidens] e r m a n e n an s o l c h e n e n d e n m i t ernst u n d a n d a c h t , a n e zweyfel so e r h o e r t er uns, was w i r in b i t t e n seyn, das anders i m loblich ist u n d u n s e r sele heyl. D e n n da hat er ein auf m e r c k e n , w a n n da e n t g e g e n ist die heylig Drivaltikeyt m i t vil e n g e l n n , m i t grossen f r e w d e n , des u n s billich a u ß u n s e r m m h e r t z e n n i m m e r k e r n e . " A u c h hier b e g e g n e t also das M o d e l l e i n e r E r i n n e r u n g d e r G o t t h e i t a n das K r e u z e s o p f e r des S o h n e s , w e l c h e u n t e r E i n b e z u g d e r f r o m m e n S u b j e k t i v i t ä t des M e n s c h e n geistliche G n a d e n zu e r w i r k e n v e r m a g . D i e Vorstellung, es g e b e flir die E r h ö r u n g v o n A n l i e g e n b e s o n d e r s g ü n s t i g e Z e i t e n u n d M o m e n t e , erstreckte sich a u c h auf die W o c h e n t a g e . So b e t r a c h t e t e n einige F l o r e n t i n e r M o n t a g , D i e n s t a g , Freitag u n d Samstag als u n v o r t e i l h a f t e Tage. D e r E m p f a n g d e r H o s t i e w u r de d a n n an b e s o n d e r s heiligen T a g e n e m p f o h l e n , die n i c h t v o n d e r S ü n d e des täglichen L e b e n s v e r u n r e i n i g t w a r e n , vgl. E . MUIR, R i t u a l , 7 4 f . D e u t l i c h w i r d h i e r e r n e u t das Interesse an e i n e r S c h e i d u n g v o n Sakralität u n d P r o f a n i t ä t . 412

Vgl. FRANZ, Messe, 3 2 f . E r schildert die K l a g e n G o t t s c h a l k HOLLENS. T h o m a s CRANMER gibt e i n e Paraphrase d e r laikalen W a h r n e h m u n g d e r Elevation, allerdings in p o l e m i s c h e r Absicht: „ W h a t m a d e t h e p e o p l e r u n f r o m t h e i r seats to t h e altar, a n d f r o m altar t o altar, a n d f r o m sacring (as they called it) t o sacring, p e e p i n g , t o o t i n g a n d gazing at that t h i n g w h i c h they saw? W h a t m o v e d t h e priests t o lift u p t h e s a c r a m e n t so h i g h over t h e i r heads? O r t h e p e o p l e to say t o t h e priest . H o l d up! H o l d up!'; o r o n e m a n t o a n o t h e r ,Stop d o w n b e f o r e ' [...]?" Z i t i e r t 413

128

Erster Teil:

Voraussetzungen

Das Läuten eines Glöckleins sollte die Aufmerksamkeit der Anwesenden ganz auf das Kommen des Herrn richten. 4 1 4 Ausgestaltet wurde der Ritus durch Inzensionen, Kerzen, 4 1 5 mancherorts reichte man sich die Hand. 4 1 6 Die Einfügung von apotropäisch ausgerichteten Antiphonen, die um Frieden und Schutz vor Seuchen oder anderen Lebensbedrohungen baten, wurde von der offiziellen Kirche zu Gunsten der Einhaltung der Kanonstille allerdings untersagt. 417 Die Gläubigen knieten nieder, 4 1 8 falteten die Hände oder streckten sie empor und schlugen sich, ihre Sündhaftigkeit bekennend, an die Brust. Wer sich auf dem Feld befand, der betete von fern die Hostie an, wenn er die Wandlungsglocke läuten hörte. 4 1 9 Innerhalb der allegorischen Hermeneutik bezeichnete die Elevation die Erhöhung Christi am Kreuz, 4 2 0 die als Opfer an den Vater konzipiert sein konnte. 4 2 1 nach G. D i x , Shape, 620. Vgl. auch FRANZ, Messe, 101: „Die Elevation bildet den Höhepunkt der heiligen Handlung am Altare. Sie ist die feierliche, tatsächliche Verkündigung der erfolgten K o n sekration und die wirksamste Aufforderung zur Anbetung, Bitte und Danksagung." 4 , 4 Bereits W. DURANDUS beklagt sich, dass manche Gläubige erst beim Klang der Elevadonsglocke die Kirche beträten. Viele verließen sie auch unmittelbar danach und warteten das Ende der Messe gar nicht mehr ab. Kirchliche Texte versuchen dann mit unterschiedlichen Mitteln, die Messbesucher zum Bleiben zu bewegen, vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 152f. 4 1 5 Die Stiftung der Kerzen war ein beliebter Topos in den Testamenten. Für das Tragen von Fackeln während des Kanons gab es in Exeter und Winchester zehn Tage Ablass, vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 61. Sie urteilt über die Elevation: „So by the early thirteenth century a focus for eucharistic awareness, a moment designed to encompass and communicate every aspect o f the message which the church wished to convey, one which provided space for participation and for submergence in a ritual - communal moment, was in place. Taught, illuminated, heralded by the peal ofbells, striking in its special lights and effects, it was attractive as a moment o f encounter with the very Christ, from which some very real physical and spiritual benefits flowed." A.a.O., 6 2 f . 4 . 6 Vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 58. 4.7 Vgl. MEYER, Elevation 186. Er nennt die Kölner Synode von 1536, die Augsburger Synode von 1548 und die Trierer Synode von 1549. 4.8 N M A 144, 26—28, legt Wert darauf, dass die Anbetenden auf beiden Knien liegen. 4 1 9 Vgl. H . B . MEYER, Luther, 2 6 7 f . Zugleich aber sind Klagen über das unbotmäßige Betragen der Messbesucher während der Elevation überliefert, vgl. BIEL, L . 5 0 N ; Thomas von HASSELBACH, D e decern preceptis, C K r h . Pp . 399; B L 169; Hollen, Sermo de tempore II, 41; vgl. FRANZ, M e s se, 3 0 f . MUIR, Ritual, 164, kontrastiert sehr stark die adorative R o l l e der Gemeinde bei der Elevation und die Messtheorie: „ T h e task o f the laity was simply to envision Christ elevated on the cross whenever they saw the raised host. T h e y were to adore, not to think." 4 2 , 1 N M A 147, 15—17: „Darnach hebt der priester den heyligen zarten fronleychnam uebersich auf; und bedeut, das der herre Ihesus nacket an dem kreutz aufgerichtet ward." Vgl. auch MEYER, Luther, 2 7 0 . Diese Deutung war auch in Frankreich und England verbreitet, wie die von V. REINBURG, liturgy, 5 3 4 f zitierten Beispiele belegen. Sie verweist auf die Herkunft dieser Deutung aus der Gregoriusmesse: Als Gregor Messe hielt, begann eine anwesende Frau zu lachen. Als B e g r ü n dung gab sie an, die von Gregor als Leib Christi bezeichnete Hostie habe sie selbst gebacken. A u f Gregors Gebet hin erschien Christus, als ob er auf dem Altar gekreuzigt würde. Vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 157, zu dem Elevationsgebet Domine lesu Christi qui hanc: „ T h e prayer was primarily for salutation during the elevation, addressing the crucified Christ hanging on the cross, and evoking the symbolism o f Passion and sacrifice." 4 2 1 Vgl. die Auslegung des BERTHOLD VON REGENSBURG, zitiert nach FRANZ, Messe, 101: „Siehe, das ist der Sohn Gottes, der seinem Vater seine Wunden zeigt, die er für dich erlitten; drum verzage nicht, o Sünder! Das ist der Sohn Gottes, der für dich am Kreuze gestorben ist; drum trage auch du geduldig, was dir auferlegt ist. Siehe, das ist der Sohn Gottes, der einst zum Gerichte k o m men wird, und dem auch du wirst Rechenschaft ablegen müssen." D i e bildliche Darstellung einer

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

129

Insbesondere das alttestamentliche Opfer Melchisedeks konnte hier als Präfiguration des Messopfers verstanden werden. 422 Damit wurde sie zum Anziehungspunkt und Ausdruck einer bestimmten Soteriologie. Der Moment des optischen Kontaktes mit dem Christusleib konnte sich mit dem Erwerb von Gnaden 4 2 3 oder der Erhörung von Gebeten sowie mehreren Messfrüchten 424 verbinden, das Anschauen der Hostie wurde so zum pars pro toto der Messfeier überhaupt und avancierte zum Substitut des Sakramentsempfanges: An der Messe hatte man dann teilgenommen, wenn man die Elevation mitverfolgt hatte 425 und durch wiederholtes Beobachten der Elevation konnten auch die mit ihr verbundenen Gnadenzuweisungen akkumuliert werden. 426 Elevation kommentiert die ,Biblia pauperum' wie folgt: „Sacrificium quod offertur domino in iustitia significat preciosissimum sacrificium corporis Xristi oblatum per manus sacerdotis per quod fideles omnes iustificantur et salvantur", London British Library, Add 18719, fol. 224v, zitiert nach M . RUBIN, Corpus Christi, 130. 4 2 2 So finden sich Darstellungen eines Hostie und Kelch darbringenden MELCHISEDEK. Dieser wurde wegen seines Auftritts in G e n 14 als erster Priester verstanden und so nicht selten in der Initiale des Te igitur, dem ersten Kanongebet, dargestellt. Vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 131. L u ther nimmt dies auf in seinem Scholion zu Ps 109(110), 4, W A 4, 234, 3 3 - 2 3 5 , 1. 4 2 3 H . B . MEYER, Luther, 2 6 9 , Anm. 20, verweist auf WILHELM VON AUXERRE, ,Summa aurea', ed. Pigouchet, Paris 1500, f . 2 6 0 f . Die Verbindung von visuellem Kontakt und Gnadenerwerb führte dazu, dass die Zelebranten den K o p f zurückbeugten, um die elevierte Hostie selbst sehen zu können. Diese Haltung erzeugte nicht selten Schwindelgefiihle, welche die Gefahr eines unangemessenen Umgangs mit der Hostie bargen. So empfiehlt HEINRICH VON HESSEN, die Hostie nicht mehrmals und nicht zu lange zu elevieren, ,Secreta sacerdotum', fol. v va . Fol. a. v vb , vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 97. 4 2 4 A u f Grund des optischen Kontaktes zur Hostie stand hier natürlich das visuelle Element im Vordergrund. So findet sich das Beispiel eines Ritters, der im K a m p f e i n Auge verlor. Die an diesem Tag von ihm geübte Verehrung der elevierten Hostie ermöglichte ihm dann die glückliche Wiedereinsetzung des Auges, die er folgendermaßen kommentierte: „Ich glob esz auch nit dz ich das awg verloren hab, dz hewt gesehen haut den, der alle dise weit erleucht." ,Der beschlossen gart des rosenkrantz marie', Nürnberg, Ulrich Pinter (1505), zitiert nach FRANZ, Messe, 103. 4 2 5 Vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 63; MUIR, Ritual, 6 7 . 1 6 3 . Das kommt nicht nur durch die synonyme Verwendung mit dem B e g r i f f Messe und den mit der Elevation verbundenen Gnadenwirkungen zum Ausdruck. Auch die Tatsache, dass nicht nur auf die Würdigkeit für die Sakramentsteilnahme, sondern auch ftir die Sakramentsverehrung reflektiert wurde, zeigt dies. 4 2 6 Vgl. FRANZ, Messe, 104f. MUIR, Ritual, 67, berichtet von einzelnen Gruppen, welche von Messe zu Messe eilten, um die jeweilige Elevation mitverfolgen zu können. Dies beklagt auch J o hannes OEKOLAMPAD in seiner ,Predigt und Ermahnung' fol.Blv. D i e Selbstverständlichkeit der Hostienverehrung gerade für nicht — rationale Lebewesen belegt auch ein von M . RUBIN, Corpus Christi, 123f, mitgeteiltes Wunder: Eine gestohlene Hostie wurde zum Zwecke der Produktionssteigerung in einen Bienenstock gelegt. Bei ihrem Kontrollgang sah die erstaunte Übeltäterin dann, dass die Bienen der Hostie ein Kirchlein errichtet hatten und sie verehrten, .Alphabet o f tales', no. 6 9 5 , 465; vgl. auch FRANZ, Messe, 96. Diese „ T i e r - und Pflanzenwunder" (BROWE, W u n der, 78—85) bilden einen eigenen Typus eucharistischer Wunder. N e b e n der B i e n e als dem S y m bol der wohlorganisierten und stimmigen (Mönchs)gemeinde und der R e i n h e i t (HEINZ-MOHR, a.a.O., 53f) begegnen hier auch Ochse und Esel (wohl auf Grund ihrer i n j e s 1,3 bezeugten G o t teserkenntnis). Insbesondere vom Esel des heiligen Antonius ( f 1230) wurde erzählt, dass er nach dreitägigem Fasten sich nicht auf das ihm angebotene Futter stürzte, sondern die ihm daneben präsentierte Hostie kniend verehrte, worauf ein halsstarriger Albigenser sich bekehrte (BROWE 81f). Ab dem 14. Jahrhundert finden sich dann auch Pflanzenwunder. Hier wachsen aus erbrochenen, weggeworfenen oder versteckten Hostien besonders schöne Pflanzen hervor, oft haben diese

130

Erster Teil:

Voraussetzungen

Die Bedeutung des Augenblickes führte zur Ausbildung einer eigenständigen Gattung, der Salutation des ankommenden Christusleibes und den Elevationsgebeten. 4 2 7 Letztere können den gegenwärtigen Christus dann in einer zweifachen Funktion adressieren. Einmal wird das Kreuzesleiden Jesu als Handlung für den Menschen thematisiert. Christus wird angeredet als „milder, o süßer Jesu[s] Christfus]" 4 2 8 oder als „reyner Schatz genaden voll", dessen dann die Gottheit ermahnt und erinnert werden kann. 4 2 9 Zugleich aber kommt dieser Christus als Richter in den Blick, der am Jüngsten Tage das entscheidende Urteil fällen wird. 4 3 0 Für die unten besprochene Nürnberger Messerklärung bedeutet die Elevation „das der herre Ihesus nacket an dem kreutz aufgerichtet ward." Das naheliegende Tertium besteht hier also in der Aufwärtsbewegung von Hostie bzw. Kreuz. Das zeigt ein Gebet, das den Laien zur Begleitung der priesterlichen Handlung vorgeschlagen wird: O du l e b e n d e s o p p f e r u n d ewiges l e b e n d e i n e r w a r e n glieder; o du reyner schätz, g e n a d e n vol; o h o c h e r lust des h y m e l i s c h e n hofes u n d suesse speyß. H e y l i g e Drivaltikeyt, b i ß e r r a a n e t des e d e l n n anplicks C r i s t i Ihesu an d e m kreutze; z e u c h m i c h durch deyn krafft n a c h d e y n e m w i l l e n in l i e b e u n d in leyd, das i c h dich h i e n a c h z e l o b e n u n d d o r t e w i g l i c h . D u r c h u n s e r n n h e r r n I h e s u m C r i s t u m d e i n e n e i n g e b o r n e n S u n , der m i t dir in e w i k e y t regnirt u n d mit G o t d e m H e y l i g e n Geist v o n e w i k e y t zu ewikeyt. A m e n . 4 3 1

Zu Grunde liegt hier also eine Struktur, nach der die Gottheit („Heylige Drivaltikeyt") als Adressat des Opfers Christi gilt. 4 3 2 Dieses Opfer Christi wird nun in dem Moment im Gebet aktualisiert, in welchem der Priester die Hostie eleviert. Der theologische Kontext dieser Figur soll nun anhand einer Einzelquelle ausgeleuchtet werden. Erzählungen dann ätiologische Funktion, etwa wenn an dieser Stelle eine Kirche oder Kapelle gebaut wird. 4 2 7 Als bekannte Elevationsgebete sind zu nennen: ,Adoro te' (THOMAS zugeschrieben), ,Ave verum corpus natum' (INNOZENZ VI) und ,Ave principium noster redemptionis'. Mit der Ausfuhrung des Gebetes allein schon kann sich dann ein Ablass verbinden, vgl. M . RUBIN, Corpus C h r i sti, 156. Die Gebete des Priesters durften auf Grund des vorgegebenen Kanontextes nur kurze Huldigungsrufe sein. Dabei konnte vor allem die Differenz zwischen heiligem Gott und sündigem Menschen herausgestellt und die Versöhnung erbeten werden. Vgl. die bei H . - B . MEYER, Elevation, 172, mitgeteilten Priestergebete: „Deus propicius esto mihi peccatori." bzw. „Propicius esto peccatis nostris propter nomen tuum D o m i n e . " N M A 145, 9—12, legt besonderen Wert darauf, dass der Priester schweigt. 4 2 8 ,Hortulus anime tho dude', geprentet tho Lypsick 1517 (C.Kachelofen), f.144 (Trierer S e minarbibliothek), zitiert nach MEYER, Elevation, 181. 4 2 9 N M A 147, 19f. Vgl. die unter § 2 . 2 . 3 . 4 zitierten Ausführungen BERTHOLDS. N M A 147, 1 7 - 2 6 . 4 3 2 N o c h deutlicher k o m m t dieser Gedanke in einem französischen Elevationsgebet aus einem Stundenbuch des 15.Jhs. heraus: „Je confesse de bouche et de ceur que tu es le vray corps de ihesu crist offert a dieu le pere en larbre de la crois pour le salut de lumain lignange. Hoste sainte hostie sans tache. Hostie estsacrifice bienplaisant a dieu." London British Library Harley 2 5 9 2 , fol. 46r, zitiert nach M . RUBIN, Corpus Christi, 158, Kursivdruck W. S. Das Kreuzesopfer wird hier ganz als Opfer des Sohnes an den Vater verstanden, die Identität der Gabe lässt die Messe dann als Opfer von Leib und Blut Christi an den Vater erscheinen. Weitere Gebete und Salutationen aus dem englischen und französischen Sprachraum bei M . RUBIN, a.a.O., 158—163. 43(1 431

§2

Geschichtliche

Konkretionen

3 Die Messauslegung

des

Messopfergedankens

131

,Messe singen oder lesen'

Angesichts der t h e m a t i s c h e n W e i t e u n d des R e i c h t u m s an Q u e l l e n s o w i e der Tatsache, dass bereits D a r s t e l l u n g e n 4 3 3 v o r l i e g e n , w e l c h e die

spätmittelalterliche

M e s s t h e o l o g i e repräsentativ u n d e i n g e h e n d b e h a n d e l n , soll nach dieser E r h e b u n g v o n G r u n d s t r u k t u r e n ein e x e m p l a r i s c h e r Einblick in eine w i c h t i g e Q u e l l e der spätmittelalterlichen M e s s o p f e r f r ö m m i g k e i t g e w ä h r t w e r d e n . Das Interesse richtet sich dabei nicht darauf, ausgehend v o n e i n e r dogmatisch k o r r e k t e n M e s s t h e o l o g i e A b w e i c h u n g e n u n d U b e r e i n s t i m m u n g e n festzustellen. N i c h t die liturgische O r t h o d o x i e ist f ü r unsere Fragestellung bedeutsam, s o n d e r n die z u m A u s d r u c k g e brachte t h e o l o g i s c h e K o n z e p t i o n . B e s o n d e r s geeignet fiir solch eine Illustration erscheint h i e r f ü r die älteste d e u t sche Gesamtauslegung der Messe mit d e m Titel ,Messe singen o d e r lesen'. 4 3 4 Sie erreichte a u f G r u n d ihrer S p r a c h w a h l e i n e n g r o ß e n Personenkreis, bietet z u m e r sten M a l d e n K a n o n t e x t in deutscher U b e r s e t z u n g , 4 3 5 erlebte bis w e i t in das 1 6 . J a h r h u n d e r t h i n e i n n o c h zahlreiche A u f l a g e n u n d g e w ä h r t w e g e n ihres darstellenden, k o m p i l a t o r i s c h e n Interesses u n d d e m Verzicht a u f inhaltliche O r i g i n a l i t ä t 4 3 6 Einblick in w e i t h i n gültige Vorstellungen ihrer Zeit. Z u g l e i c h w i r d sie gerade v o n A u t o r e n , die aus der Perspektive e i n e r o r t h o d o x e n M e s s o p f e r t h e o l o g i e urteilen,

4 3 3 Vgl. etwa Willi MASSA: Die Eucharistiepredigt am Vorabend der Reformation. Eine materialkerygmatische Untersuchung zum Glaubensverständnis von Altarsakrament und Messe am Beginn des 16. Jahrhunderts als Beitrag zur Geschichte der Predigt, Steyl 1966; Reinhard M E S S NER, Die Meßreform Martin Luthers und die Eucharistie der Alten Kirche. Ein Beitrag zu einer systematischen Liturgiewissenschaft, Innsbruck — W i e n 1989, besonders 25—113, der vor allem die Differenz zur Alten Kirche herausstellt; Arnold ANGENENDT, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, 351-515, bes. 488-515; Ferdinand PRATZNER: Messe und Kreuzesopfer. Die Krise der sakramentalen Idee bei Luther und in der mittelalterlichen Scholastik, Wiener Beiträge zur Theologie 29, W i e n 1970; Hans Bernhard MEYER: Luther und die Messe. Eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung über das Verhältnis Luthers zum Meßwesen des späten Mittelalters, in: KKTS 11, Paderborn 1965. 4 . 4 Als Formular liegt eine Marienmesse zu Grunde, das Fest der Heimsuchung Mariens am 31. Mai. Der volle Titel lautet:,Messe singen oder lesen: wer das thun sol, wen wie oder wo, das werd e n « ir mit kurtzen Worten vernemen und unterweist; auch von der messe bedeutung und irer zirunge; des geleychen: wenn, wie und wer messe schuldig sei zu hoernn; was nutzes und gutheyt kumen den menschen, die da mit andacht messe hoernn; wem messe zu haben und zu hoeren verb o t e n sey und es doch darueber nit latt, was dem darauß volget und kumbt.' ed. Franz Rudolf R E I C H E R T , Die älteste deutsche Gesamtauslegung der Messe (Erstausgabe ca. 1480), in: Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd 29, M ü n ster 1967. Ich zitiere diese Nürnberger Messauslegung mit dem Kürzel N M A . 4 . 5 Das gilt nicht für alle Ausgaben des Textes. So lässt die zweite Nürnberger Ausgabe (N 2 ) die Konsekrationsworte aus: „Item die wort und form'n' der Wandlung, sein // nit gesetzet. Im lateinischen noch in dem teut // sehen text und das darumb Das solichs mit // nichten dem leyen gepuert sich do mit zwbekuemern'n' sunder d' // priesterschaft, die von Gott dar zw geordinirt un'n' geweicht sein." Zitiert nach R E I C H E R T , N M A XXVII. Ahnlich votiert auch der Augsburger Nachdruck (A). Ich schließe mich Reicherts Chronologie der Ausgaben an und halte die erste Nürnberger Ausgabe (Nj) gegenüber der zweiten (N 2 ) und der Augsburger Fassung (A) für ursprünglich. Vgl. zur Begründung N M A XXXII-XLV. 4 3 6 Vgl. F . R . R E I C H E R T , Gesamtauslegung, LXV.

132

Erster Teil:

Voraussetzungen

besonders gelobt. 4 3 7 Demnach handelt es sich hier nicht nur um eine Randquelle, sondern um ein Dokument, das geeignet ist, Kontinuität und Wandel der reformatorischen Messkonzeptionen deutlich zu machen.

3.1

Die Messe als Opfer

D e n spätmittelalterlichen Messerklärungen war (wie oben gezeigt) das Verständnis der Messe als ein Opfer vorgegeben. 4 3 8 Der Opferbegriff trag im zeitgenössischen Sprachgebrauch allerdings nicht nur religiöse Konnotationen, „Opfer" fungierte vielmehr als Synonym zu „Gabe" und beschrieb nur am Rande die Bereitstellung von Brot und Wein auf dem Altar. 439 Wurde der Begriff zur Bezeichnung des G o t tesverhältnisses gewählt, so kennzeichnete er vor allem eine an Gott gerichtete Handlung. 4 4 0 Entsprechend vielfältig sind daher die mit dem Opferprädikat bezeichneten Konstellationen. In der Messe bestimmte sich die Gabe näherhin als Gabe des Volkes und Gabe des Priesters, eine Unterscheidung, die schon die liturgische Sonderstellung des Amtsträgers zum Ausdruck brachte. Die Gaben des Volkes haben ihren Platz vor der Sakramentshandlung. Sie bestanden zunächst in Naturalien, die in einer Prozession, dem Opfergang, dem an den Altarschranken ste4 3 7 Vgl. hierzu Adolf FRANZ, Die Messe im deutschen Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Liturgie und des religiösen Volkslebens, Freiburg 1903 ( = Darmstadt 1963). Er nimmt die spätmittelalterliche Messwirklichkeit vor allem vom Standpunkt der römischen Orthodoxie aus wahr und wendet sich deshalb sowohl gegen die allegorisierende Auslegung als auch gegen Luthers K r i tik am Messopfer. D i e Tatsache, dass Franz unter dieser Voraussetzung zu der Ansicht kommt, es handle sich hier um „die beste[n] deutsche[n] Meßauslegung vor der R e f o r m a t i o n " , a.a.O., 7 1 7 , zeigt die bleibende Bedeutung dieser Auslegung jenseits des Verdikts messtheologischer Verfallstheorien. 4 3 8 So weisen die deutschen Bezeichnungen Missopher und opferambet auch ein hohes Alter auf, vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 109. 4 3 9 Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 129. In diesem allgemeinen Sinn konnte auch Luther Opfer und Gabe identifizieren, vgl. E. GRÖTZINGER, Luther, 40, Anm. 191. E r nennt als Belege die Gaben der drei Magier an das Jesuskind, Luther gibt dies als „opffern" wieder (WA 10 I, 1, 3 6 5 , 14f), die Wendung „Pilato opfern" (WA T R 2, 3 1 8 , 2 4 - 2 8 ) , was soviel hieß wie „in den Abtritt geben", die häufige Verbindung von „dargeben und opfern" (WA 2, 7 3 5 , 3 6 u.ö.) und die Austauschbarkeit von „opfern" und „geben" in W A 8, 3 8 5 , 9 f („Der glawbe opffert unsz gott tzu eygen, die liebe gibt uns dem nehisten tzu eygen."). 4 4 0 Vgl. das 10. B u c h in AUGUSTINS ,De civitate D e i ' , welches Kult und Opfer gewidmet ist. Dessen 4. Kapitel trägt die Uberschrift „ Q u o d uni vero D e o sacrificium debeatur", (PL 41, 281). D o r t heißt es: „Sacrificium cultus quidam est soli deo debitus secundum scribitur: ,Sacrificans diis eradicabitur nisi domino soli'." Eine Art Definition bietet der Kirchenlehrer dann im 6. Kapitel (PL 41, 283): „Proinde verum sacrificium est o m n e opus, quod agitur, ut sancta societate inhereamus deo, relatum scilicet ad illum finem bom, quo veraciter beati esse possimus, sacrificium est." — Auch für THOMAS kennzeichnet der B e g r i f f das Handeln des Menschen gegenüber Gott als K o m plementär zum Gotteshandeln am Menschen im Sakrament, vgl. S T h 2, 2 q.85 a.3 und vor allem S T h 3, q.79, a.5 (30, 206): „[...] hoc sacramentum simul est et sacrificium et sacramentum; sed rationem sacrificii habet inquantum offertur; rationem autem sacramenti inquantum sumitur. E t ideo effectum sacramenti habet in eo qui ofFert vel in his pro quibus offertur." Eine über Augustin hinausgehende Bestimmung referiert G. BIEL, L . 8 5 C (4, 99): „[sacrificium] est oblatio facta deo in recognitionem supremi dominii et redit in idem, si tarnen oblatio generaliter accipitur pro omni actu interiori vel exteriori facto ad honorem dei tanquam supremi omnium domini."

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

133

henden Priester übergeben wurden. Aus diesen Erträgen nahm man Brot und Wein flir die Mahlfeier, der Rest fiel dem Klerus oder Bedürftigen zu. 4 4 1 Mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft begannen Geldbeträge die Naturalien abzulösen. 442 Dies bedeutete eine Abstraktion vom ursprünglichen Sinn des Opferganges, zumal die Geldbeträge nun zunehmend dem Zugriff des Klerus ausgesetzt waren. Das Verständnis des Opfers als Selbsthingabe bestand allerdings auch unter veränderten sakramentstheologischen Bedingungen fort. Wie in seiner altkirchlichen Bedeutung wurde damit die Selbsthingabe der Gemeinde als eine Darbringung an Gott beschrieben. Wendungen wie „aufopfferung" oder „sich schicken und bereyten zu dem oppfer" bringen diese innere Beteiligung der Gemeinde am äußerlichen Opfervollzug des Priesters zum Ausdruck. Das Opfer des Priesters besteht hier in der Aufopferung des Sohnes an den Vater, Begünstigter dieser Handlung ist der einzelne Gläubige. 443 3.1.1

Das Messopfer innerhalb der Unterscheidung heilig — profan

Die dem Opferbegriff zugeordnete Unterscheidung 444 von heilig und profan kann auch das Verständnis der Messe als Opfer erhellen. Das gilt einmal für die räumliche Ausgestaltung des Opferortes, die Kirche. Die Tatsache, dass die Kirchen des Mittelalters von einer Mauer umsäumt wurden, lässt sich nicht nur praktisch-politisch als militärischer Schutz verstehen, sondern hat auch theologische Gründe. Durch die nun materiell sichtbar gewordene Scheidung von profanem und heiligem Bereich wurden die Messbesucher und -besucherinnen schon auf ihrem Gang zur Kirche an die Notwendigkeit einer Vermittlung erinnert. Die farbige Ausgestaltung und die Akkumulation von Kunsterzeugnissen in den Kirchen hoben diesen Kontrast zur weltlichen Umwelt noch einmal hervor. 445 Es erscheint daher nur folgerichtig, die dem profanen Bereich entzogenen Toten in diesem heiligen Bezirk zu bestatten und durch Prozessionen an eben dieser Scheidelinie die aufgegebene Differenzierung zwischen heilig und profan einzuüben. 446 Die Vor441 Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 129. Das Phänomen freiwilliger Geld- oder Naturalsammlungen ist ein allgemeinreligiöses Modell der Kultfinanzierung, vgl. B.LANG, Kult, 4 7 6 . 4 4 2 D e m Opferbegriff wuchs dann die Bedeutung „Geldspende" ( = almusen, messfrum, collect) zu. 4 4 3 N M A 34, 6—8: „Man will messe haben, dich, herre Ihesu Criste, deinem hymelischen Vater auffoppfernn fuer mein suende." 4 4 4 Heilig und profan sind dabei in steter Bezogenheit zu begreifen. Es handelt sich nicht um eine Trennung in von einander unabhängige Bereiche, sondern um eine Kopräsenz, die freilich immer wieder zur Unterscheidung nötigt. Vgl. R . SCRIBNER, Elements, 2 3 5 , der von einer „inseperability o f sacred and profane t i m e " spricht. Innerhalb dieses Modells einer dualen Kopräsenz kann dann die Sakralität massiv und dinglich-realistisch auftreten, etwa wenn sie sich an bestimmte Gegenstände, Orten, Zeiten oder Elemente bindet und zugleich ein hohes Schutzbedürfnis gegenüber einer Profanisierung durch verunreinigende Kontakte aufweisen. 445

V g l . S. KARANT-NUNN, R e f o r m a t i o n ,

109.

Bezeichnenderweise trat der Terminus Gotteshaus, welche diese Vorstellung einer besonderen Bindung der Gottespräsenz an eine materielle Lokalität kultivierte, bei den reformatorischen Messordnungen zurück, vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 3 5 5 . Dies belegt erneut den Zusammenhang zwischen Messtheologie und der Bestimmung des Duals Heilig — Profan. 446

134

Erster Teil:

Voraussetzungen

Stellung des Ausgesonderten und des Geweihten kann sich sowohl mit Personen als auch mit Orten oder Dingen verbinden. So verliert eine Kirche ihre Sonderstellung, wenn in ihr Blut vergossen, getötet oder eine sexuelle Handlung vollzogen wird. 4 4 7 All dies macht eine erneute Weihe erforderlich. 448 Der innerhalb der Mauern liegende Kirchhof partizipiert an dieser Heiligkeit, bei einer neuerlichen Weihe soll er stets mit einbezogen werden. 4 4 9 Die Funktion des Kultes, einer Gesellschaft die rituelle Selbstvergewisserung zu ermöglichen, zeigt sich dann besonders in der Ausgrenzung von Personen, deren Lebensentwürfe eine Devianz vom gesellschaftlichen Selbstverständnis aufweisen. Sie werden nicht nur vom Kult ausgeschlossen, sondern sind auch nicht auf dem Kirchhof zu beerdigen. Werden Zuwiderhandlungen entdeckt, müssen Kirche und Kirchhof nochmals geweiht werden. 4 5 0 Hier wird der Zusammenhang zwischen Kult und Konformitätsanforderungen einer Gesellschaft deutlich. 4 5 1 J e mehr 447 N M A l f . Folglich hindert die Menstruation auch am Kommunionempfang, vgl. M . R U BIN, Corpus Christi, 149: „It was understood that communion must follow confession and be taken in purity, and there seems to have been tacit acceptance that menstruating women should abstain." 4 4 8 Sehr wohl hängt das Heiligkeitsattribut also auch von menschlichen Verhaltensweisen ab. Daher kann die Differenz zwischen spätmittelalterlichen und reformatorischen Heiligkeitskonzepten nicht darin gesehen werden, dass bei ersteren Gott, bei zweiteren aber der Mensch die Qualität der Heiligkeit herstellte oder zerstörte. Gegen S. KARANT-NUNN, Reformation, 132. O b daher von einem „Protestant process o f removing concentrations o f divinity" (ebd) zu sprechen ist, erscheint mir zweifelhaft. Ergab sich die reformatorische Anthropologie nicht gerade aus einer Konzentration auf das neu bestimmte Heilige? Ebenso ist die bei P. T h . LANG, Ein grobes, unbändiges Volk, 51, getroffene Zuordnung zu hinterfragen. Er sieht das Signum des konfessionellen Zeitalters in einer Trennung der im Spätmittelalter verschränkten Bereiche der Sakralität und der Profanität. Geht es nicht eher um die Neubestimmung eines Verhältnisses? — THOMAS fordert S T h 3 q.83, a.3. (30, 3 4 0 ) die erneute Weihe „quia per peccatum ibi comissum apparet ibi aliqua operatio inimici". 4 4 9 N M A 2. Die große Bedeutung des Friedhofs erklärt sich auch aus der Lokalisierung des Fegefeuers an diesem Ort, vgl. E. MUIR, Ritual, 50. So wurde der Einbezug der Toten in die kirchliche Heilsvermittlung auch baulich konkret vor Augen gefuhrt, zumal die Vorstellung bestehen konnte, dass die Seele des Verstorbenen um den Leib schwebte, bis dieser zu Erde geworden war. U n t e r dieser Voraussetzung gewann der Begräbnisort soteriologische Bedeutung, denn eine Seele, über deren Grab womöglich täglich Messe gefeiert wurde, partizipierte natürlich an deren Früchten. 450 „wenn da begraben wuerd ein ketzer oder ein jud, heyd oder einer, der im bann wer, so sol man sie [sc. die Kirche] sprengen und den leychnam außgraben und die wende schaben und ander kreutz daran machen und widerumb weihen." N M A 2. THOMAS zitiert in S T h 3, q.83, a.3 (30, 3 3 8 ) dieselbe Bestimmung, nach der im Falle eines Auffindens von Gräbern Ungläubiger im Kirchenbezirk die Leichen herauszunehmen und Mauern und Balken abzuschaben sind. Ausgegrenzt werden also nicht nur Angehörige einer anderen R e l i g i o n (Juden, Heiden) sondern auch die Dissenters der eigenen religiösen Kultur wie Ketzer und Gebannte. Für das Offertorium empfiehlt zum Beispiel Gottschalk HOLLEN in seinem ,Preceptorium', die Gaben von Wucherern, Ausbeutern der A r m e n und Prostituierten nicht anzunehmen. Vgl. FRANZ, Messe, 22. 451 Vgl. dazu M . DOUGLAS, Natural Symbols, 19—39. Sie vertritt die These, das von einer G e sellschaft geforderte M a ß an Konformität stehe in Korrelation zum Stellenwert des Kultes. J e stärker Sozialkontrolle geübt werde, desto reicher falle demnach das kultische Leben aus. Auch sie versteht den Kult vor allem als gesellschaftliches Abbild und weniger als wirklichkeitskritischen Gegenentwurf.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

135

Messopfergedankens

sich eine Gesellschaft durch äußere Gefahren bedroht glaubt, desto mehr verlangt sie nach innerer Konformität. Folglich steigt das Bedürfnis nach innerer Reinheit und Abgrenzung von Minderheiten, welche eine gemeinsame Identität infrage zu stellen scheinen. Die Verlustmöglichkeiten des Heiligkeitsattributes weisen der Unterscheidung von heilig und profan dann die Funktion zu, einen Kontrollgewinn gegenüber gesellschaftlichen Gefährdungspotenzialen zu erzielen. Sexualität, Tod und deviante Identität werden als Irritation des gesellschaftlichen Selbstverständnisses wahrgen o m m e n . Wenn das Heilige diesen verunsichernden Kontrollverlusten entgegengesetzt wird, so ist damit zugleich etwas über die Funktion der Unterscheidung zwischen heilig und profan gesagt. Sie besteht darin, einen Kontrollgewinn in denjenigen Bereichen zu erzielen, die dem menschlichen Handeln sonst entzogen bleiben. Das Motiv des Kontrollgewinns ist gerade für die vorindustrielle Zeit mit ihrer alltäglichen Gefährdung von Leben und Gesellschaft nicht hoch genug zu veranschlagen. 452 Entsprechend liegt auf der „Uberraschungslosigkeit" 4 5 3 des kultischen Vollzuges ein besonderes Gewicht. Angesichts der alltäglichen lebensbedrohlichen Kontingenz soll der Kult einer geordneten, gleichbleibenden Struktur von Welt und Gesellschaft versichern. Innerhalb dieser Aufgabe gewinnen liturgische Kontinuitäten an Bedeutung. So gibt es eine feste Rollenbeschreibung des Aktanten. Der Opfervollzug wird nicht zur Nebenbeschäftigung eines im Grunde gleichgestellten Amateurs, sondern den Händen eines professionellen Spezialisten anvertraut. Die dem Laien undurchsichtig bleibende Komplexität des Ritusvollzuges macht so nicht nur die Professionalisierung und Institutionalisierung des O p fervollzuges notwendig, sondern erlaubt zugleich die tröstliche Vorstellung, es existiere ein ganz auf die Bewältigung der Kontingenz bezogenes Fachwissen, dessen Undurchsichtigkeit der irritierenden Kontingenz entspricht, die es bewältigen soll. D e m Bedrohungsgrad dieser Kontingenz entspricht also die unübersehbare Ausdifferenzierung der liturgischen Formen u n d Riten. Die folglich schon aus praktischen Gründen notwendige Existenz von professionellen Aktanten, die allein für diesen Bereich zuständig sind, nährt dann die Vorstellung einer wirksamen Gegenstrategie. So mehren die formale Ausdifferenzierung und die kaum übersehbaren detaillierten Regelungen für das Messopfer zugleich das Vertrauen in dessen Effektivität. Der aus heutiger Sicht erstaunliche R e i c h t u m an Regelungen, Auflagen und Formularen für die Messe erscheint vor diesem Hintergrund als ein Versuch einer intellektuellen Absicherung des Stabilität versprechenden Ritus inmitten der bedrohlichen Wandlungsfähigkeit des Alltags. So verheißt die Messe einen Kontrollgewinn angesichts der hilflosen Auslieferung an natürliche oder gesellschaftliche Kontingenzen wie Krankheit und Statusverlust, die durch fehlende soziale Absicherung oder wirtschaftspolitische Ereignisse herbeigeführt werden.

452 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Religion und Existenzgefährdung R . ments, 233 f. 453 B. L A N G , Kult, 486.

SCRIBNER,

Ele-

136

Erster Teil:

Voraussetzungen

Der assertorischen Funktion der Unterscheidung zwischen heilig und profan eignet nun eine innere Affinität zu einer Struktur oder Institution, welcher der j e weilige Vollzug und die Garantie einer gelingenden Unterscheidung von heilig und profan zugetraut wird. Diese sichtbare, institutionelle Größe besteht in der Amtskirche bzw. im Bischofsamt. Der Bischof spendet die Weihe (und gegebenenfalls Wiederweihe) und ermöglicht so überhaupt erst die Qualifikation eines Ortes als heilig. 454 Innerhalb der Messe spiegelt dann die unhörbare Rezitation der Einsetzungsworte die Verhältnisbestimmung von heilig und profan wider, welche den die Wandlung bewirkenden heiligen Text 455 vor einer Profanisierung schützt. 456 W i e der materielle Bau werden also auch die Wandlungsworte als verbaler Ausdruck der Heiligkeit durch Abgrenzung und Ausschluss gesichert, es liegt jeweils ein defensives Verständnis von Heiligkeit vor. Auch hier fuhrt das starke Interesse, die Differenz von Profanität und Sakralität äußerlich wahrnehmbar zu machen, zu einer professionalisierenden Institutionalisierung dieser Unterscheidung: U m das Wandlungswort vor einer Verweltlichung zu schützen, bedarf es des Priesters, der darüber wacht. 4 5 7 D i e B e d e u t u n g einer gelingenden U n t e r s c h e i d u n g zwischen heilig u n d profan verdeutl i c h t e i n v o n J o s e f A n d r e a s JUNGMANN m i t g e t e i l t e r B e r i c h t , d e n b e r e i t s REMIGIUS VON A U XERRE v o n JOHANNES MOSCHUS ü b e r n a h m . D a n a c h s a n g e n H i r t e n k n a b e n a u f d e m F e l d d i e K a n o n w o r t e u n d w u r d e n d a r a u f h i n v o m Blitz e r s c h l a g e n . 4 5 8 G r e i f b a r w i r d hier n i c h t n u r die m i t diesem Heiligkeitskonzept v e r b u n d e n e Gottesvorstellung.459 D i e E n t s c h r ä n k u n g des H e i l i g e n f u h r t hier zu u n m i t t e l b a r e n S a n k t i o n e n Gottes. E i n m a l verdeutlicht die G e s c h i c h t e das G e w i c h t , w e l c h e s d e r b l o ß e V o l l z u g g e g e n ü b e r d e r I n t e n t i o n b e s i t z t . D e n n K i n d e r e r s c h e i n e n g e r a d e in d e n s a k r a m e n t s t h e o l o g i s c h e n B e i s p i e l g e s c h i c h t e n z u m e i s t als die wahren, unverbildeten Gläubigen, welche i m U n t e r s c h i e d zu den zweifelnden E r w a c h s e n e n nicht n u r die Hostie, s o n d e r n auch d e n Leib Christi sinnlich w a h r n e h m e n 434 „ K i r c h e n o d e r cappelnn m a g n y e m a n t w e y h e n o d e r w i d e r w e i h e n d a n n ein bischof." N M A 1. Z u u n t e r s c h e i d e n ist hier freilich zwischen d e m initiativen u n d d e m legitimierenden W i r k e n bei der Qualifikation einzelner O r t e o d e r P e r s o n e n als heilig. D e r institutionellen amtskirchlichen Bestätigung kann nicht selten eine religiöse Volksbewegung vorausgehen, vgl. R .

SCRIBNER, E l e m e n t s , 455

239.

In d e n H a n d s c h r i f t e n w u r d e die E h r f u r c h t g e g e n ü b e r d e m K a n o n t e x t d u r c h G o l d — o d e r Silberschrift bzw. P u r p u r p e r g a m e n t z u m A u s d r u c k gebracht, vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2 , 1 2 9 . Vgl. a u c h derselbe, M S 2, 228, der das Quam oblationem als ,,letzte[n] Anlauf in m e n s c h l i c h e n W o r t e n " d e m Qui pridie als „heiligen B e r i c h t " gegenüberstellt. 456 Dieses Bestreben, das Heilige vor der Profanität zu schützen, zeigen auch die m a n n i g f a l t i gen Vorschriften f ü r die K r a n k e n k o m m u n i o n , bei w e l c h e r die H o s t i e j a d e n Sakralbereich verlassen muss. Vgl. dazu M . RUBIN, C o r p u s Christi, 80f. 457 Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 299, spricht hier von Arkandisziplin. 458 M S 2, 127, A n m . 21. D i e Geschichte findet sich leicht verändert auch bei J o h a n n e s BELETH, ,Rationale D i v i n o r u m O f f i c i o r u m ' Kap. 44 (PL 202, 52). D o r t handelt es sich n u r u m H i r t e n , nicht u m K i n d e r u n d die W a n d l u n g in Fleisch u n d Blut Christi findet tatsächlich statt. D a m i t liegt der A k z e n t dieser Version n i c h t auf der Verhältnisbestimmung von heilig u n d profan, s o n d e r n auf der magischen W i r k u n g der verba. 459 Das M o d e l l einer defensiven R e i n h e i t muss sich natürlich nicht n o t w e n d i g mit d e m straf e n d e n G o t t v e r b i n d e n , beide Vorstellungen b e g e g n e n j a auch in jeweils gegenteiligen Z u o r d n u n gen. D o c h w i r d eine u n t e r stetem A b g r e n z u n g s - u n d S i c h e r u n g s d r u c k stehende Religiosität auf die göttliche Sanktion von N o r m v e r l e t z u n g e n besonders angewiesen sein.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

137

können. 4 6 0 Gerade sie besitzen daher eine besondere Nähe zum Heiligen. Wenn nun auch diese Gruppe von göttlichen Strafmaßnahmen betroffen wird, so verstärkt dies noch einmal die Bedeutung, welche die Respektierung der Unterscheidung von heilig und profan besitzt. Zugleich wird hier die Bindung des Heiligkeitsprädikates an einen Ort deutlich. Das offene Feld firmiert als Antisymbol der an eine Kirche gebundenen Sakralität.461 Auf einer subtileren Ebene setzt sich diese Geschichte dann mit der Koinzidenz von Sakralität und Profanität im Theologumenon der Inkarnation auseinander, welche das Motiv der Hirten auf dem Felde in der biblischen Weihnachtsgeschichte transportiert. So lässt sie sich als deren konservativer Kommentar verstehen, der die im Christusgeschehen vollzogene Vermittlung von heilig und profan einem bestimmten Ort und einem bestimmten Amt zuweist und sie damit buchstäblich domestiziert. Diese Verhältnisbestimmung von heilig und profan impliziert also bereits ein b e stimmtes Amtsverständnis. Das zeigen die Begründungen, welche der mit dem 9. Jahrhundert einsetzenden Kanonstille 4 6 2 gegeben werden. N e b e n dem auf ein defensives Heiligkeitskonzept weisenden Schutz vor Verunehrung wird der Eingriff in die priesterlichen Aufgaben genannt. 4 6 3 Dieser Sachzusammenhang verdeutlicht erst den gesellschaftlichen Stellenwert einer öffentlichen Rezitation der E i n setzungsworte in der Sprache der Profanität. Hier k o m m t nicht nur die Wahl einer liturgischen Variante oder eine nur Spezialisten zugängliche Abendmahlstheologie zum Ausdruck. Vielmehr gibt diese Veröffentlichung ein bisher institutionell gebundenes gesellschaftliches Machtpotenzial frei.

3.1.2

Das Messopfer

innerhalb

der Unterscheidung

rein — unrein

Charakteristisch für das Heiligkeitskonzept dieser Messauslegung ist auch die defensive Reinheitsvorstellung. 4 6 4 So haben flir den Priester konkrete Sündenbekundungen und Reinigungsriten ihren O r t vor dem Opfervollzug. Offensichtlich liegt dem die Vorstellung einer zur Feier notwendigen Kultfähigkeit zu Grunde.

4 6 0 In der Wahl der Kinder als Vorbilder schattet sich zugleich die Bedrohung der sakramentalen Frömmigkeit durch den Intellekt ab. Vgl. dazu M . RUBIN, Corpus Christi, 119. Vgl. auch G. BIELS Predigt ,In Coena D o m i n i ' Sermo 4, Nr. 22, in: .Sermones de Festivitatibus Christi', Hagenau 1520, M ü S B : 4 P. lat.184, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 7 0 - 7 2 . Der Tübinger nimmt dort das Argument des LOMBARDEN auf, Christus gebe sich gerade deshalb in der Gestalt von Brot und Wein, damit der Glaube an seine tatsächliche Gegenwart verdienstlich sei. 461 Auch bei Luther steht das „Feld" flir die Profanität im Kontrast zu einem heiligen O r t . Vgl. den ,Sermon von dem N e u e n Testament', W A 6, 3 6 8 , lOf; 3 7 2 , 16. 4 6 2

V g l . J . A . JUNGMANN, M S

2,

127.

M S 2, 127: ,,[...] der Kanon ist das Heiligtum, das dem Priester allein vorbehalten ist. D i e Gründe, die man sonst noch für das Stillbeten des Kanons anfuhrt, weisen in dieselbe Richtung: die heiligen Worte dürften nicht verunehrt werden, wolle man Gottes Strafe nicht herabziehen." 463

4 6 4 Dieses Bestreben der Defensivität stellt zugleich die Frage, ob die oben herausgestellten Ausdrucksformen spätmittelalterlicher Frömmigkeit tatsächlich auf einer Inkarnationstheologie beruhen, wie das E. MUIR, Ritual, 165, behauptet. D e n n die Präsenz des Heiligen auch in materiellen O b j e k t e n besteht hier j a nur auf Grund deren Aussonderung aus dem alltäglichen Bereich, konkretisiert in der Vorstellung der Weihe. So wird aber das Heilige gerade exkarnatorisch gedacht, insofern der Alltag erst zu wandeln ist, bevor in ihm — und dann freilich auf sehr materielle, dingliche Weise! — Christus gegenwärtig wird.

138

Erster Teil:

Voraussetzungen

Das zeigt die A b n a h m e der Konkretion von Sünden mit z u n e h m e n d e r N ä h e z u m Messbeginn. Einzelne Vergehen werden in der Beichte vor der Kultfeier benannt, das Stufengebet der Messe setzt für den Opferaktanten dann bereits das Bewusstsein der Sündlosigkeit voraus u n d gewinnt so rein versichernden Charakter. 4 6 5 Deshalb handelt der Priester „unbescheiden" (= inkorrekt), w e n n er die im Confiteor sehr allgemein genannten Sünden konkretisiert u n d ein „wort des lasters" ausspricht. 4 6 6 Das Schlussstadium dieser Progression wird dann vor d e m Beginn des Kanons erreicht. H i e r wäscht sich der Priester nochmals diejenigen Finger, mit d e n e n er die Hostie zu b e r ü h r e n gedenkt, u n d trocknet sie mit einem weißen Tuch. 4 6 7 U m die Möglichkeit einer neuerlichen Verunreinigung auszuschließen, verzichtet er überhaupt auf jegliche verbale Ä u ß e r u n g u n d schweigt. 4 6 8 Analoge A n f o r d e r u n g e n stellt die Messfeier an die Laien. A u c h hier schafft die Gottespräsenz nicht R e i n h e i t , sondern setzt sie voraus. 4 6 9 Schon 813 hatte das 465 N M A 4 2 , 1—7: „ D e r priester, so er also zu d e m b e k l e y t t e n altar k u m b t , so setzt er dar auf d e n kelich u n d kert sich u m b u n d gat h e r a b f u e r d e n altar u n d k n y e t dar f u e r n y d e r u n d s p r i c h t dy b e y c h t , sein o f f e n schuld. W i e w o l er v o r in d e r sacristei o d e r an a n d e r n n e n d e n sein s u e n d e all g e b e y c h t e t hat u n d sich in k e i n e r n i c h t s c h u l d i g w e y ß , nichts dest m i n d e r ist er schuldig, sein b e i c h t e ö f f e n t l i c h v o r d e m altar a u c h zu s p r e c h e n . " 466 N M A 4 3 , 32—35: „ D e r priester, d e r das C o n f i t e o r spricht, sol k e y n u n b e s c h e y d e n w o r t d e r s u e n d e n in d e m C o n f i t e o r s p r e c h e n . Als etlich s p r e c h e n ,pollutione' etc., das ein w o r t des lasters ist; u n d ist g e n u g an d e n o b e n g e n a n t e n g e m e i n d e n s u e n d e n , die m a n d e n n pflegt zu s p r e c h e n . " E n t s p r e c h e n d w i r d die b l e i b e n d e J u n g f r ä u l i c h k e i t M a r i e n s g e r a d e in d e r u n m i t t e l b a r e n N ä h e z u m O p f e r , d e r P r ä f a t i o n , m e h r f a c h herausgestellt. 467 N M A 119, 22 f: „ U n d b e d e u t , das das g e m u e e t , h e r t z u n d sele des priesters r e y n sol seyn v o n aller m a c k e l [•••]•" 468 N M A 119, 25—27: „ U n d n a c h disen o b g e n a n n t e n W o r t e n s p r i c h t d e r p r i e s t e r nichts, so er die h e n d w a s c h e n ist, d e n n also bald vacht er d e n C a n o n a n d u r c h die z u g e f u e g t e n w o r t Te igitur." B e i m Vaterunser w i r d e i n d r i n g l i c h u n d m e h r f a c h g e f o r d e r t , d e r P r i e s t e r solle d e n Passus „libera n o s a m a l o " n i c h t m i t s p r e c h e n , d e n n er steht zu d i e s e m Z e i t p u n k t a m Altar: „ W e n n d e r p r i e s t e r g e s u n g e n o d e r g e s p r o c h e n hat dise w o r t und nicht laß uns eyngefuert werden in versuchunge, so s c h w e y g e t er d e r a n d e r n n w o r t , als diser: sunder erloeß uns von uebel. D i e s e w o r t s p r i c h t n o c h singt d e r priester n i c h t , d o c h b e l e y b e n sie n i c h t u n t e r w e g e n , s u n d e r die i m k o r e singen sie o d e r d e r altar d i e n e r spricht sie, u n d n i c h t d e r priester o b d e m altar." N M A 175, 35—40. D i e B e d e u t u n g d e r p r i e s t e r l i c h e n R e i n h e i t illustriert a u c h eine i m ,Dialogus m i r a c u l o r u m ' , 9, 54, 1 5 8 f , m i t g e t e i l t e G e s c h i c h t e , n a c h d e r sich die H o s t i e i m M u n d eines u n w ü r d i g z e l e b r i e r e n d e n Priesters in eine K o h l e v e r w a n d e l t e . H i e r scheint Jes 6 , 5 - 7 i m H i n t e r g r u n d zu s t e h e n . D a s M o t i v d e r K o h l e bei S ü n d h a f t i g k e i t f i n d e t sich a u c h bei RUFIN, H i s t o r i a m o n a c h . C . 2 9 , vgl. P. BROWE, W u n d e r , 31. THOMAS erklärt das H ä n d e w a s c h e n des Priesters m i t d e r f ü r die N ä h e z u m S a k r a m e n t n ö t i g e n R e i n h e i t : „[•••] e x t r e m i t a t u m a b l u t i o significat e m u n d a t i o n e m e t i a m a m i n i m i s peccatis [...]. E t talis e m u n d a t i o r e q u i r i t u r ab e o qui accedit ad h o c s a c r a m e n t u m . " S T h 3, q . 8 3 , a.5, a d l . (30, 3 6 1 f). 469 N M A 59, 33—60, 3: „ w o e l l e n wir, das d e r H e r r e bey u n s seyn sol m i t s e i n e n g e n a d e n , so m u e s s e n w i r i m in u n s e r m m geystlichen t e m p e l b e r e y t e n drey g e m e c h l e i n u n d die z y e r n n , das d e n n d e r H e r r e ein v e r l a n g e n h a n m u e g , dar ein zu k u m e n . " A u c h PELBART VON TEMESVAR m e i n t in seiner s c h o n e r w ä h n t e n M e s s p r e d i g t , dass n u r d a n n die F r ü c h t e d e r M e s s e zuteil w e r d e n , w e n n m a n die Messe o h n e S ü n d e u n d m i t A n d a c h t h ö r t . D e r G r u n d d e r M e s s f r u c h t S ü n d e n v e r g e b u n g liegt h i e r in d e r d u r c h die R e p r ä s e n t a t i o n des K r e u z e s o p f e r s b e w i r k t e n R e u e u n d L i e b e des M e s s b e s u c h e r s , vgl. W. MASSA, a.a.O., 65. G. BIEL v e r b i n d e t die Selbstgabe C h r i s t i in B r o t u n d W e i n m i t d e r R e i n h e i t als V o r a u s s e t z u n g d e r S a k r a m e n t s t e i l n a h m e : G e r a d e weil m a n sich v o r d e m Essen reinige, h a b e C h r i s t u s das S a k r a m e n t als Speise in B r o t u n d W e i n eingesetzt, vgl. die P r e d i g t ,In

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

139

Messopfergednnkens

Konzil von Chalon-sur-Saone gefordert, der Kommunikant müsse einige Tage zuvor sich der Werke des Fleisches enthalten und Leib und Seele reinigen, um für den Empfang des Christusleibes vorbereitet zu sein. 4 7 0 In THOMAS' verbreitetem Fronleichnamshymnus ,Lauda syon' heißt es deutlich und einprägsam: „Sumunt boni, sumunt mali / Sorte tarnen inaequali / Vitae vel interitus: / Mors est malis, vita b o nis: / Vide, paris sumptionis / Q u a m sit dispar exitus." 4 7 1 Diese Verbindung von Sakramentenlehre und Eschatologie schlug sich in der für die spätmittelalterliche Messwahrnehmung wichtigen Frage der rechten Messvorbereitung nieder. D i e lehramtliche Formulierung des Zusammenhangs zwischen Buße, Beichte und K o m m u n i o n findet sich im 21. Kapitel der Beschlüsse des 4. Laterankonzils: J e d e r G l ä u b i g e b e i d e r l e i G e s c h l e c h t s soll, n a c h d e m e r i n d i e J a h r e d e r U n t e r s c h e i d u n g g e l a n g t ist, w e n i g s t e n s e i n m a l i m J a h r all s e i n e S ü n d e n allein d e m e i g e n e n P r i e s t e r g e t r e u b e i c h t e n , d i e i h m a u f e r l e g t e B u ß e n a c h K r ä f t e n zu e r f ü l l e n s u c h e n u n d z u m i n d e s t an O s t e r n e h r f ü r c h t i g das S a k r a m e n t d e r E u c h a r i s t i e e m p f a n g e n , s o f e r n e r n i c h t e t w a a u f A n r a t e n s e i n e s P r i e s t e r s aus i r g e n d e i n e m v e r n ü n f t i g e n G r u n d e m e i n t , a u f e i n e b e s t i m m t e Z e i t v o n s e i n e m E m p f a n g a b s e h e n zu s o l l e n : a n d e r n f a l l s soll e r s o w o h l l e b e n d a m B e t r e t e n d e r K i r c h e g e h i n d e r t w e r d e n als a u c h s t e r b e n d des c h r i s t l i c h e n B e g r ä b n i s s e s e n t b e h r e n . D a h e r soll d i e s e h e i l s a m e B e s t i m m u n g o f t m a l s i n d e n K i r c h e n v e r ö f f e n t l i c h t w e r d e n , d a m i t k e i n e r a u f g r u n d der B l i n d h e i t der U n w i s s e n h e i t für sich den D e c k m a n t e l einer E n t s c h u l d i g u n g b e a n s p r u c h e . W e r a b e r s e i n e S ü n d e n aus t r i f t i g e m G r u n d e i n e m

fremden

P r i e s t e r b e i c h t e n w i l l , d e r soll z u e r s t v o m e i g e n e n P r i e s t e r d i e E r l a u b n i s e r b i t t e n u n d e r h a l t e n , da a n d e r n f a l l s j e n e r i h n n i c h t l o s s p r e c h e n o d e r b i n d e n k a n n . 4 7 2

Auch N M A beschreibt die rechte Vorbereitung auf die Gegenwart der Gnade Gottes mithilfe von Reinheitsterminologie: Das Gewissen soll unvermaligt (= u n befleckt) und nicht „verunreinet durch die suende" und die Vernunft „nicht mit

C o e n a D o m i n i ' S e r m o 4, Nr. 2 2 , zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 7 0 . Bereits CYPRIAN legt die R e i n h e i t als Vorbedingung der Eucharistie nahe, w e n n er mitteilt, dass ein Säugling den ihm e i n geflößten eucharistischen W e i n w i e d e r ausspie, weil er zuvor mit heidnischem W e i n k o n t a m i n i e r tes B r o t genossen hatte. , U b e r die A b t r ü n n i g e n ' , 2 5 f ( C C S L 3, 2 3 4 f ) . THOMAS kann dann die häufige K o m m u n i o n a u f G r u n d des objektiv gültigen Messwertes empfehlen, w e g e n der dafür erforderlichen Disposition der K o m m u n i k a n t e n aber letztlich davon abraten: „ S e d quia multoties in pluribus h o m i n u m multa impedimenta hujus devotionis o c c u r r u n t , propter corporis insdisposit i o n e m vel animae, n o n est utile omnibus h o m i n i b u s quoatidie ad h o c sacramentum accedere; sed q u o t i e n s c u m q u e se ad illud h o m o invenerit praeparatum." S T h 3, q . 8 0 a . 1 0 (30, 2 6 7 ) . 470

Dies bekräftigte die S y n o d e von Ingelheim 8 2 6 . Vgl. P. BROWE, K o m m u n i o n 19.

471

Zitiert nach M . RUBIN, C o r p u s Christi, 1 9 2 . Vgl. zur M e t r i k die Einleitung des Bandes 3 0

der deutsch-lateinischen T h o m a s - A u s g a b e , S . ( l 1). BIEL zitiert den H y m n u s als M o t t o seiner Ausfuhrungen über W i r k u n g und F r u c h t der Messe, L . 8 5 A (4, 9 6 ) . 472

„ O m n i s utriusque sexus fidelis, postquam ad annos discretionis, id est ad rationis usum, p e r -

venerit, debet semel in anno, saltem in Paschate, Eucharistiae sacramentum recipere, nisi forte de Consilio proprii sacerdotis, o b aliquam rationabilem causam, ad tempus ab eius perceptione duxerit abstinendum: alioquin et vivens ab ingressu ecclesiae arceatur et m o r i e n s Christiana careat sepultura. U n d e h o c salutare statutum frequenter in eclesiis publicetur, n e quisquam ignorantiae caecitate velamen excusationis assumat. Si quis autem alieno sacerdoti voluerit iusta de causa sua confiteri peccata, licentiam prius postulet et obtineat a proprio sacerdote, c u m aliter ille ipsum n o n possit absolvere vel ligare." D H 8 1 2 , 3 6 4 , Ü b e r s e t z u n g P. HÜHNERMANN. Z u m K a n o n , O m n i s utriusq u e ' vgl. M . OHST, Pflichtbeichte,

14-49.

140

Erster Teil:

Voraussetzungen

der zeitlichen liebe zevil beflecket" sein. 473 Diesen durchaus repräsentativen 474 Anforderungen sahen sich gerade in Verbindung mit der in 1 Kor 11,28 angedrohten Sanktion skrupulöse Messteilnehmer nicht gewachsen. Sie zogen daher die geistliche Kommunion vor. 475 3.1.3

Messopfer und

Gottesbild

In diesem Zusammenhang begegnet immer wieder die Vorstellung einer Einflussmöglichkeit des Menschen auf Gott durch religiöse Praktiken. Diese Einflussmöglichkeit wird nun gerade nicht als Setzung Gottes zum Wohle des Menschen verstanden. Gott begegnet in diesem Zusammenhang nicht als ermöglichende oder tragende Ursache des Ritus, 4 7 6 sondern als dessen gegenüber stehender Adressat. 477 Das innere Verhältnis dieser Konstellation wird dann in Herrschafts- oder Gerichtsterminologie 478 beschrieben. 4 7 9 So erscheint auch die Messe als eine 4 7 3 N M A 60, 7 - 1 4 . Auch der Leib Christi wird als ,,unvermaligte[s] oppfer" bezeichnet, N M A 124, 32. Dies entspricht dem Ergebnis der Untersuchung, die Massa für die spätmittelalterliche Eucharistiepredigt angestellt hat, vgl. derselbe, Eucharistiepredigt, 160—168. Z u m entsprechenden Befund bei den mittelalterichen Mystikern vgl. B.WEISS, Eucharistie, 236f. 4 7 4 Vgl. zu der Sündlosigkeit als Voraussetzung des Sakramentsempfanges B. WEISS, Euchari-

s t i e , 2 4 0 - 2 4 3 , d e r B e l e g s t e l l e n b e i M E C H T H I L D VON MAGEDEBURC, M E C H T H I L D VON HACKEBORN, M E I S T E R ECKHART u n d JOHANNES TAULER b e i b r i n g t . A l s e i n d r i t t e s Q u e l l e n c o r p u s k ö n n e n

die

Nonnenviten des 14. Jahrhunderts benannt werden, in denen häufig der Zusammenhang zwischen rechter Vorbereitung und würdiger Kommunion thematisiert wird, vgl. die Zitate bei B . W . A . ZIMMERMANN, G o t t ,

70-75.

Vgl. dazu: Heinz R o b e r t SCHLETTE, Die Lehre von der geistlichen Kommunion bei Bonaventura, Albert dem Großen und Thomas von Aquin, München 1959. 4 7 6 In N M A 128, 1—11 wird das dreifache Kreuzzeichen über der Hostie als dreifache Ubergabe Christi gedeutet. Die Ubergabe durch den Vater erscheint parallel zu dem doch durchwegs negativ konnotierten Verrat des Judas bzw. der Juden. Damit wird diese Ubergabe nicht als Identifikation von Gott und Gekreuzigtem kenntlich. Vgl. zu den Kreuzzeichen auch THOMAS, S T h 3, q.83, a.5, ad3. (30, 363). 4 7 7 Die Anrede an den Vater ist eine „alte Grundregel" des Eucharistischen Hochgebetes, vgl. R.BERGER, N P H , Art. ,Kanon', 227. Entsprechend wird das Kreuzesopfer auch ganz als Aktivität des Sohnes gegenüber dem Vater verstanden. W o Luther die Identität von Vater und Sohn im Kreuzesopfer hervorheben wird, da liegt hier das Gewicht auf einer Distanz. Die Vorstellung eines dem Menschen in der Heilsfrage gegenüber stehenden, fordernden Gottes artikuliert sich also opfertheologisch in der Übernahme der Gabenrolle durch den Sohn und der Adressatenrolle durch den Vater. Vgl. N M A 90, 33—91, 3: „Und sollen auch nicht gelauben noch / / wenen, das der herre Cristus Ihesus an seyner gotheyt gelitten hab, oder das Got am kreutz erstorben sey. Aber seyne heylige zarte menscheyt die hat gelitten den tod und marter, hertiglicher und ehrter denn keyn mensch ye geleyd noch nymmer geleyden mag biß an den jüngsten tag etc." Es korrespondieren also die messtheologische Opfervorstellung und das trinitätstheologische Festhalten am Apathieaxiom. Konsequent wird Luther die Trennung von Leiden und Gottesprädikat aufheben, wenn er behauptet „Unus ex trinitate passus est." 4 7 8 Ein von V. REINBURG, liturgy, 544, mitgeteilte Legende aus Frankreich verdeutlicht diese merkantile Opferlogik der Messe: Eine Frau betete in der Messe für den Ausgang ihres Gerichtsprozesses. Ein Freund riet ihr, den Richter zu „schmieren", andernfalls sei ihr Fall verloren. Die Frau beschaffte sich nun eine Menge alten Schmierfettes und brachte es dem Richter. Diesen rührte ihre Einfalt derart, dass er sich für die Frau einsetzte. Analog tue der Herr denjenigen, die in Einfalt und guter Absicht in der Messe beteten. Die Legende transportiert zunächst das Bewusst475

§2

Geschichtliche Konkretionen des Messopfergedankens

141

Möglichkeit, der G o t t e s b e d r o h u n g H e r r zu werden. 4 8 0 Deutlich zeigt sich damit die apotropäische Ausrichtung des Opfers. Z w a r wird die Gottheit des Sohnes nicht etwa geleugnet, vielmehr wird sie ausdrücklich festgehalten, o p f e r t h e o l o gisch k o m m t sie aber allein in d e m unüberbietbaren Wert der Opfergabe 4 8 1 z u m Ausdruck, nicht etwa als Transformation der Adressatenrolle Gottes. 4 8 2 So bleibt bei der Erklärung des Sanctus auch die Barmherzigkeit d e m Sohn vorbehalten, die charakteristische Eigenschaft des Vaters ist bezeichnenderweise nur die Allmacht. 4 8 3

sein, den eigentlichen Sinn der Messe nicht zu verstehen. Daraus wird aber gerade nicht die K o n sequenz gezogen, den Messritus zu erklären. Vielmehr wird als entscheidendes M o m e n t die E i n sicht in einen der Messe zu G r u n d e liegenden f r o m m e n Handel herausgestellt. Die an die Messe herangetragene Logik der f r o m m e n Ö k o n o m i e wird also gerade nicht abgewiesen, sondern legitimiert. 479 N M A 35, 15—18: „ Z u d e m dritten so hat das gebet die kraft, das der mensch so hoch gewaltig wirt, das er gebeut ueber / / die hymelischen ding, das er G o t zwingt; das doch wunderbarlich zu sagen ist, das Got d e m menschen untertenig wirt."; 35, 26f: „ N y m w a r der wunderlichen krafFt des gebets, wann Got der herre m o c h t d e m volck wider den willen Moysi nichts gethun." Z u fragen bleibt, inwiefern die Projektion menschlicher Allmacht als die Fähigkeit, die Gottheit zu zwingen, korreliert mit d e m von Walter BURKERT herausgestellten opfertheologischen G r u n d m o dell der Kanalisierung von Aggression. 480 A u c h das Kollektengebet wird in diesem Sinne gedeutet: „das da [sc. in d e m Kollektengebet] der priester in den Collecten anrueffet Got den Vater, G o t den Sun, Got den Heiligen Geist, die junckfrawen Marie u n d die lieben heyligen, der feste u n d hochzeytliche tage m a n began ist, das sie G o t fuer uns biten, auch das Got durch ir leyden und sterben uns armen suendernn all unser suende ablassen u n d vergeben woell." N M A 63, 18—23. 481 In den eucharistischen Wundergeschichten erscheint zur Verifikation der Realpräsenz häufig Christus als Kind. In der christlichen Kunst steht das Kind für Unschuld und R e i n h e i t u n d die unmittelbare Gottesnähe, vgl. G. HEINZ-MOHR, Lexikon, 170. M. RUBIN, C o r p u s Christi, 135f, sieht darin gerade ein opfertheologisches M o m e n t : „ T h e image brought together two strains in eucharistic symbolism, one which stresses the presence of a real human, suffering body, a historic Christ b o r n to a Virgin, and the other, w h i c h stresses redemption through sacrifice; and what dearer than the sacrifice of innocence, of the dearest, son by father?" (135). Hier konnte auf das alttestamentliche Bildreservoir der O p f e r u n g Isaaks zurückgegriffen werden. 482 Das entspricht der Beobachtung, die W. MASSA für die von ihm untersuchten Eucharistiepredigten gemacht hat. Hier wird durchgängig als ein Motiv Christi bei der Einsetzung des Sakraments genannt, er habe den Menschen ein O p f e r hinterlassen wollen, das vor dem Vater gültig sei. A.a.O., 75. 483 „ W i e wol man zulegt Got d e m Vater die allmechtikeyt u n d G o t d e m Sone die barmhertzikeyt u n d G o t d e m Heyligen Geyste die guetikeyt, doch so sind all drey eyner als der ander u n d ein warer lebendiger G o t u n d nicht drey goetter [...]." N M A 116, 27—30. Die Adressierung des Vaters als clementissimus im Te igitur wird dann auch als Schutz vor menschlichen Lastern, nicht aber als Vergebung gedeutet, vgl. N M A 125, 18-22. Diese Verhältnisbestimmung von Vater u n d Sohn b e gegnet bei J.A. JUNGMANN, M S 2, 124, im R a h m e n einer größeren Entwicklung: „Dabei ist schon die R e d e gewesen [...] von der theologischen Bewegung in der Eucharistielehre, die dazu geführt hat, weniger auf die geheiligte Gabe zu sehen, die wir darbringen und in der wir uns zum Leibe Christi versammelt, selber mitdarbringen, als vielmehr auf den Vorgang der Wandlung, in d e m die göttliche Allmacht in unserer Mitte wirksam wird [ • •]•" Die Allmacht begegnet hier also als eine Empirie u n d natürliche O r d n u n g durchbrechende Kraft, sie trägt herrschaftlich-imperiale Z ü g e u n d wird gerade nicht v o m Kreuzesereignis aus bestimmt.

142

Erster Teil:

der

Voraussetzungen

3.2

Die Subjekte

Messhandlung

3.2.1

Der Priester als Opferaktant

3.2.1.1

Die Anforderungen an den Priester

Der oben skizzierte Zusammenhang zwischen Opfervorstellung und Reinheit 4 8 4 stellte an den Repräsentanten der Opfergemeinschaft besondere kultische Anforderungen. Ahnlich der Makellosigkeit der Opfergabe, die beim Opfer des Leibes und Blutes Christi außer Frage stand, hatte er in gesonderter Weise das Moment der Integrität darzustellen.485 Das gilt für den Bereich der Körperlichkeit 486 (besonders der Sexualität487) ebenso wie für die Ethik. Hier ist einmal der Zusammenhang zwischen Opferaktanten und Tod bedeutsam. Der Kandidat darf nicht am Tode eines anderen Menschen (Mit)schuld tragen. 488 Weil der Tod im Opfer schon kultisch vollzogen wird, nimmt dieser Vollzug dem wirklichen leiblichen und seelischen Tod die Macht, darin zeigt sich die apotropäische Funktion des Opferrituals.489 Wenn nun aber der Tod mit dem Kultbeauftragten selbst in das Ritual einzieht, so verliert dieses seine konfrontative Ausrichtung gegen den wirklichen Tod und wird unwirksam. Die Folge ist ein rigoroser Ausschluss des Priesters von allen lebensgefährdenden Aktivitäten wie etwa der Heeresfolge. Das in der Reformationszeit verbreitete Bild des unmoralischen (und damit unreinen) Priesters gewinnt vor diesem Hintergrund erst seine soteriologische Brisanz, die Ex-opere-operafo-Vorstellung erscheint von hier aus als vitale Sicherung des Priesterinstitutes überhaupt. 490

4 8 4 In S T h 3, q.83, a.3 (30, 341) zitiert THOMAS eine Bestimmung (Frdb. 1, 1303), nach der das Holz einer geweihten Kirche nur für den Bau einer anderen Kirche oder für M ö n c h e verwendet werden darf. Bevor es an Laien abgegeben werde, sei es besser zu verbrennen. Deutlich wird hier, wie sich das Konzept einer defensiv hergestellten R e i n h e i t und Heiligkeit sowohl materiell als auch personal konkretisieren kann. 4 8 5 „Ein mensch, der da priester werden wil, der sal sich also vor versuchen [...], das er sey an alle mackel der suende." N M A 7. P.F. BRADSHAW, Art. .Priester / Priestertum', 4 1 7 , leitet die vom Priester geforderte besondere R e i n h e i t aus der religiösen Umwelt des Christentums ab. 4 8 6 „[...] wenn ein mensch ein glid ane not seynem leyb ließ abschneiden, mit dem muest ein pabst dispensieren oder ein bischof, noch dem und das es ein glied wer." N M A 2. 4 8 7 Auch die spätmittelalterliche N M A wiederholt noch die Forderung, die Priestergattin müsse zum Zeitpunkt der Eheschließung Jungfrau gewesen sein ( N M A 2). D e r Priester selbst muss Auskunft über seine eheliche Geburt geben.

N M A 2. Entsprechend impliziert es noch kein offensives Reinheitskonzept, wenn die Christen im Unterschied zur Antike Friedhöfe als Lokalisationen des Todes nicht meiden, sondern gerade aufsuchen und ihre Toten nicht vor der Stadt begraben, sondern auf deren Ruhestätten Kirchen bauen. Denn hier geht es um den heilvollen Tod etwa des Märtyrers, der analog dem kultischen Nachvollzug gerade die Unterlegenheit des Todes demonstriert. Ahnliches gilt für die gesuchte körperliche Nähe zu Reliquien. Vgl. dazu M . METZGER, Geschichte, 114. 4 9 0 Vgl. Freidanks „Bescheidenheit", in der Übertragung Simrocks, 15: „Was der Priester mag begehen, / D e r Messe R e i n h e i t bleibt bestehen; / Man kann in keinen Sachen / Sie schwächen oder besser machen; / Die Messe und der Sonne Schein / Bleiben immer licht und rein." Zitiert nach FRANZ, Messe, 2 9 5 , A n m . 3 , die Absätze dort sind hier durch Schrägstriche wiedergegeben. 488

489

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

143

Über diese im praktischen Lebensvollzug relativ mühelos zu erfüllende Anforderung hinaus hat der Opferaktant aber auch die Integrität des Zusammenhanges von Lehre und Leben zu verbürgen. Damit ist erneut seine repräsentative Funktion für die religiöse Identität der Gesellschaft angesprochen. 491 So bilden sich die Kennzeichen des Heiligen auch in Körper und Lebenswandel seines Sachwalters ab. 4 9 2 Entsprechend fallen die Bestimmungen für den Priester aus. Sie etablieren einmal eine Distanz zwischen Heiligem und Profanität: Der Priester bleibt von weltlichen Abgaben ausgenommen, sein Körper soll nicht gewaltsam verletzt oder verstümmelt sein, und der Kandidat hat das Gelübde der Reinheit und Keuschheit zu leisten. Z u m anderen wird das Moment einer Ordnung hervorgehoben: Der Opferaktant ist gehorsam gegen den Bischof und schwört einen Eid auf das Evangelium. 4 9 3 Ganz wie bei einer Kirche fallen Installation und Restitution der Heiligkeitsqualität also auch hier dem Bischof zu. 4 9 4 Die Verbindung von Reinheit und Opferaktanten zeigt sich weiterhin bei der Vorbereitung auf die Messhandlung. Hier werden gewissermaßen zur Absicherung vielfältige Rituale, Gebete und Zeichen eingebaut, welche der Makellosigkeit des Priesters vergewissern sollen. Er wäscht sich die Hände, legt ein weißes Gewand an 4 9 5 und bittet wiederholt um eine innere Reinigung von den Sünden. 4 9 6 Es ist nun entscheidend, dass diese Rituale und Gebete jeweils t w d e r O p ferhandlung 497 verrichtet werden. 4 9 8 Damit liegt dieser Auffassung vom Messopfer 491 N M A 3 macht die Taufe, nicht aber die Firmung zur notwendigen Voraussetzung der W e i he. D i e Konkordanz von Weihe und profaner Lebensordnung zeigt die Notwendigkeit einer Z u stimmung des Lehensherren an.

Vgl. dazu N M A 9, 6 - 1 8 . U b e r die Vorstellung der Integrität verbinden sich Heiligkeit und Ordnung. W e n n es Aufgabe des R i t u s ist, die Vorstellung einer der Welt grundlegenden Ordnung einzuüben, so k o m m t im geordneten Vollzug des R i t u s schon seine Funktion zum Ausdruck. Es ergibt daher Sinn, sich vor dem Eintritt in das Heilige einer äußerlichen Ordnung zu versichern. So interpretiert J . A . JUNGMANN, M S 2, 136, den Einleitungsdialog zwischen Priester und Volk am B e g i n n des K a n o n teils wie folgt: „So k o m m t durch R u f und G e g e n r u f in dem großen M o m e n t , da das Eucharistiegebet b e g o n n e n , das Opfer dargebracht werden soll, die wohlgeordnete Gemeinschaft zum Ausdruck, die hier tätig wird, und es k o m m t zugleich zum Ausdruck, wie selbstverständlich und g e ziemend das ist, was die christliche Gemeinde u n t e r n i m m t . " D i e in dieser Ordnung implizierte Problematik einer Hierarchiebildung thematisiert Jungmann hier nicht. 492

493

4 9 4 Vgl. N M A 6. D o r t werden die Verletzungen aufgezählt, durch welche der Priester seine Heiligkeit verliert. Das M o t i v der Ordnung als Voraussetzung eines gelingenden Kontaktes mit Gott begegnet auch in anderen Zusammenhängen, vgl. N M A 3 8 , 27—29 zur Gebetserhörung. 495 Ich verweise nochmals auf die Analogiebildung in der Fronleichnamsprozession, vgl. oben § 1.2.1.2.2. Als Symbol der intendierten R e i n h e i t des Priesters fungiert vor allem die Albe. „Die albe bedeut auch dy herrlichkeyt und reynigkeit, dy der priester an im haben solt." Erneut ist diese R e i n h e i t als ein Besitzstand der Person gedacht. Das cingulum wird wohl wegen Lk 12, 3 5 als Ausdruck der Keuschheit gewertet. 4 9 6 N M A 15, 1 1 - 1 6 , 3 6 . 497 Sie finden sich vor dem B e g i n n der Feier, vor dem Erreichen des Altars, vor der Verkündigung des Evangeliums, vor der Konsekration der Gaben, vor der K o m m u n i o n und vor dem S e gen. Ihr Ursprung liegt in der fränkischen, nicht der römischen Liturgie, vgl. H . A . J . WEGMAN, Geschichte, 151. 4 9 8 H . A . J . WEGMAN, Geschichte 151, stellt als Grundgedanken dieser sogenannten Apologien heraus: „Aus allen Gebeten spricht derselbe Gedanke, daß der unwürdige M e n s c h befähigt wer-

144

Erster Teil:

Voraussetzungen

die Vorstellung zu G r u n d e , dass die in der O p f e r u n g des Sohnes z u m Ausdruck k o m m e n d e Intimität zwischen Gott u n d M e n s c h bzw. Priester R e i n h e i t nicht nur schafft, sondern bereits voraussetzt. Diese Messopfervorstellung basiert damit auf einer Anthropologie, welche mit der prinzipiell herstellbaren Möglichkeit einer R e i n h e i t des M e n s c h e n vor Gott, wie sie i m Wechsel v o m alten z u m n e u e n M e n schen vollzogen wird, rechnen muss. 4 9 9 Es ist daher charakteristisch, dass unter d e m Einfluss der R e f o r m a t i o n mit einer Revision der ü b e r k o m m e n e n Reinheitsvorstellung auch die Vorbereitungsrituale minimiert werden. Entsprechend d e m Abweis eines äußeren, institutionalisierten Priestertums entfällt eine gesonderte Vorbereitung des Priesters, das auf das Sündenbekenntnis reduzierte Stufengebet wird von G e m e i n d e u n d Amtsträger zusammen gesprochen. 5 0 0

3.2.1.2

Die Sonderstellung des Priesters

Innerhalb des Messopfers n i m m t der Opferaktant eine herausragende Stellung ein. Das zeigt einmal der Sprachgebrauch, d e n n die weitaus häufigste Verbindung geht das Wort „ m e ß " mit d e m Verbum „lesen" ein. 5 0 1 Dieses bezeichnet aber allein die Aktivität des Priesters. So wird die schon durch die Opfervorstellung herausgehobene Position des äußeren Aktanten nochmals gestärkt, i n d e m eine Koaktivität der G e m e i n d e in d e m äußeren Geschehen auch als sprachliche Möglichkeit ausscheidet. 5 0 2 Entsprechend k ö n n e n die Gemeindeglieder auch als „ U n t e r t a n " bezeichnet werden. 5 0 3 B e g r ü n d e t wird diese Differenz theologisch in einer Setzung Gottes u n d d e m besonderen Weihestand des Opferaktanten. 5 0 4 Damit ist zugleich eine institutioden möge, sich d e m Heiligtum zu nähern." Als eine letzte, n u n ganz subtil und nur noch als A n deutung erkennbare Vergewisserung versteht N M A den G r u ß in der Präfation: „ U n d so antwurten denn die y m kore [...]: „Und der Geyst des Herren sey mit dir, darmit das du wirdiglich wandelnn seyst des heylig sacrament." a.a.O., 110, 26—30. 499 N M A 16, 7f: „ U n d d a r u m b so schleifit sich der priester auß den alten menschen und b e kleydet sich mit einem newen menschen nach Got geschaffen." 500 Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 315. Allein die Tatsache einer volkssprachlichen Gesamtauslegung der Messe zeigt, dass hier die Gemeinde durchaus als Beteiligte des Messgeschehens gedacht war. Diese Aktivität w u r d e aber additiv z u m konstitutiven priesterlichen Handeln verstanden. So werden auch Gebete vorgeschlagen, die parallel zu den Verrichtungen des Zelebranten zu sprechen sind. In den reformatorischen O r d n u n g e n indes werden d e m Begriff beicht die Adjektive offen oder gemein beigestellt, u m das Geschehen als gemeinsame Aktion von Amtsträger und G e meinde zu kennzeichnen. So k o m m t hier schon zu Beginn des Gottesdienstes die Egalität von Priester und Laien im Gottesverhältnis zum Ausdruck. Vgl. GOERTZ, a.a.O., 102. 501

502

V g l . H a n s j o s e f GOERTZ, a . a . O . , 1 0 2 f .

Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 103: „Diese sprachliche Ausgestaltung, d.h. der Mangel an hier zur Verfügung stehenden Verben, w e n n es u m die Beteiligung der Gemeinde an der Messe geht, zeigt deutlich, daß die versammelten Laien nicht als konstitutiv flir das liturgische Geschehen betrachtet werden." 503 N M A 24, 13. 5114 N M A 141, App.: „ U n d das d a r u m b das solichs mit nichten d e m leyen gepuert, sich do zw b e k u e m e r n n , sunder der priesterschaft, die von G o t darzw geordinirt u n d geweicht sein."

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

145

nelle Kontrolle der Gotteskommunikation gegeben, denn die Bindung des Messgeschehens an einen durch die Weihe dem Bischof unterstellten und zu Gehorsam verpflichteten Priester schafft ein M o n o p o l der Amtskirche auf die zentrale Kultfeier 505 und sichert somit auch ihre gesellschaftliche Stellung. 506 Entschieden wird deshalb die ordnungsgemäße Weihe abgegrenzt gegen konkurrierende Kriterien religiöser Hierarchiebildung wie theologische Kenntnis und Bildung oder herausragende Leistungen im Bereich der Frömmigkeit. 5 0 7 Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen der inferioren Stellung der Leviten und der Spitzenposition des Priesters mit dem Verhältnis von sakramentalem Opfer und Verkündigung des Wortes. Diese Hierarchie wird deutlich in der Segnung des mit der Evangelienlesung betrauten Priesters bzw. Diakons durch den Opferzelebranten, der hier Gott repräsentiert. 508 Entsprechend werden dem Priester autoritative Züge zugewiesen, seine Tätigkeit gegenüber dem Volk kann als ,herrschen' und ,regieren' charakterisiert werden. 5 0 9 Die Tonsur gewinnt in diesem Zusammenhang die Bedeutung 505 Vgl. J. A. JUNGMANN, M S 2, 135, der gerade am B e g i n n der O p f e r m e s s e auf die Stellung des Priesters hinweist: „Es ist die kirchliche Versammlung, die G o t t h u l d i g e n will; aber ihr O r g a n , v o n o b e n her bevollmächtigt, ist der Priester o d e r Bischof an ihrer Spitze. N u r d u r c h ihn k a n n sie h a n deln u n d will sie handeln, das bekräftigt sie d u r c h ihre Z u s t i m m u n g . " 506 Einblick in die grundsätzliche M o n o p o l s t e l l u n g der kirchlichen Institution innerhalb der H e i l s v e r m i t t l u n g g e w ä h r t die A u s l e g u n g der ekklesiologischen Passagen des C r e d o . H i e r weist N M A darauf hin, dass die „heyligen vetter" die apostolische W e n d u n g „eine heilige christliche K i r c h e " u m das Attribut „ r ö m i s c h " erweitert hätten, a.a.O., 94, 13—15. D i e A u t o r i t ä t der r ö m i schen Kirche wird d a n n mit der Gottes identifiziert: „alles das, das die m u t e r der heyligen cristenheyt gelaubt, setzt, g e b e u t o d e r verbeut, das w i r das gelauben sollen, das es uns g e b o t e n u n d v e r b o ten sey von G o t d e m allmechtigen." N M A 94, 17—19. D i e anschließende Gleichsetzung von S ü n d e n v e r g e b u n g u n d Ablass b r i n g t d a n n nicht n u r die göttliche A u t o r i t ä t der kirchlichen R e c h t s s e t z u n g e n z u m A u s d r u c k , s o n d e r n versetzt d e n Priester in eine u n u m g ä n g l i c h e Schlüsselposition in der Heilsvermittlung, die sich i m Institut der Beichte konkretisiert: „ w e r getauft sey u n d w e r rew u n d leyd u m b sein suend hab u n d dy nach Ordnung e i n e m priester gepeicht hab, das er d e n n v o n i m geabsolvirt w e r d e durch gewalt, der an in v o n G o t gelegt ist." E r n e u t b e g e g n e t die B i n d u n g des Heiles an die O b s e r v a n z einer autoritativ gesetzten ä u ß e r e n O r d n u n g . 507 N M A 67, 12—16: „Also der subdiacon o d e r der acolit, er k u e n n , was er woel, er sey gelert als h o c h als all meyster der heyligen geschrift u n d darzu a u c h so heylig, ist er w e i t e r nit geweycht d e n n ein acolit o d e r ein subdiacon, so entarf n o c h e n m a g er nit messe lesen, er w e r d e n n vor zu priester g e w e i c h t . " Dass etwa die monastische L e b e n s f o r m als eine K o n k u r r e n z z u m W e i h e k o n zept aufgefasst w e r d e n k o n n t e , belegen eucharistische Visionen v o n N o n n e n , d e n e n dieses M o dell b e s o n d e r e r G o t t e s n ä h e v e r w e h r t blieb. So e n t w e n d e t e der G e k r e u z i g t e d e m Z e l e b r a n t e n die Hostie u n d gab sie der Schwester ITA VON HOHENFELS persönlich in die H a n d , vgl. B . W . A . ZIMMERMANN, G o t t , 113, u n t e r B e r u f u n g auf das O e t e n b a c h e r S c h w e s t e r n b u c h (Die Stiftung des Klosters O e t e n b a c h u n d das L e b e n der seligen Schwestern darselbst. Aus der N ü r n b e r g e r H a n d schrift, ed. H . Z e l l e r - W e r d m ü l l e r u n d j . B ä c h t h o l d , in: Z ü r c h e r T a s c h e n b u c h N F 12 (1889), 2 1 3 276). 508 N M A 75, 27—31: „ U n d ee der diacon das Ewangeli anvacht ze singen, so knyet er vor n y d e r f u e r d e n priester, der das a m b t Volbringen wil, f u e r d e n altar; u n d b e g e r t von i m vor d e n segen, als v o n d e m , der da stat an Gottes stat, U n d spricht d e n n also: Jube, Domine, benedicere." 509 N M A 17, 14—16: „Ein priester wirt g e n e n t d u r c h s a n c t u m P a u l u m ein kuenig, ein regirer u n d vorganger des volckes, von seiner heiligen erwirdikeyt w e g e n , die G o t der h e r r e in der heyligen w e y h u n g an in gelegt hat [...]." Dieser Z u s c h r e i b u n g von A u t o r i t ä t an den Amtsträger e n t spricht es auch, w e n n das W o r t „ p f a r r e r " in „ p f a r r h e r r " u m g e d e u t e t wird, vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 197. Hansjosef GOERTZ vereinfacht allerdings das Verhältnis v o n Amtsträger u n d G e m e i n -

146

Erster Teil:

Voraussetzungen

eines R a n g - und Herrschaftszeichens, welches die Stellung des Priesters nach außen signalisieren soll. 5 1 0 Neben dieser Sonderstellung des Priesters wird aber zugleich auch seine persönliche Sündhaftigkeit herausgestellt. Dies zeigen nicht nur die vielfältigen R e i n i gungsriten, sondern die explizite Aufforderung, der Zelebrant habe im Confiteor auch seine Schuld vor der Gemeinde zu bekennen. Diese wird freilich nicht als Koakteurin angesprochen. 511 So fuhrt der Ausschluss der Gemeinde vom eigentlichen Messvollzug zu einer verinnerlichenden Auslegung der priesterlichen Messvollzüge. W i e der Priester den Sohn dem Vater aufopfert, so soll dieses Opfer innerlich in dem einzelnen Gläubigen nachvollzogen werden. Die Aktivität des Priesters in der Messe wird nun nicht nur gegenüber der repräsentierten Gemeinschaft, sondern auch gegenüber Gott festgehalten. Sein Handeln als Aktant des Opfers wird dabei in Beziehung gesetzt zu Christus, der ebenfalls als Opferpriester bezeichnet wird. 5 1 2 Diese zunächst widersprüchlich erscheinende Doppelung ist indes logisch nötig, um Fehlbestimmungen des Verhältnisses von Kreuzes- und Messopfer zu vermeiden. Liturgischen Ausdruck findet diese Trennung von O p feraktant und Volk gerade zu Beginn des Kanon. Eben dann, wenn der Priester im Opfervollzug die größte Intimität zur Gottheit herstellt, wird seine Distanz zum Volk hervorgehoben. 5 1 3 Diese Distanz artikuliert sich einmal in der mancherorts nachweisbaren symbolischen Verhüllung des Priesters, die ihn auch den Blicken des Volkes entziehen soll. 5 1 4 Zum anderen wird die ursprünglich sowohl von Priester als auch Gemeinde gleichermaßen eingenommene aufrechte Orantenhaltung nun dem Zelebranten vorbehalten, das Volk kniet. 5 1 5 Die Zurückdrängung der Gemeinde als Aktantin des gemeinsamen Opfers zeigt sich dann auch in einer Erweiterung des Kanontextes. Ursprünglich hieß es im Memento vivorum nach der Bezugnahme auf Glaube und Hingabe der Opfernden: „qui tibi offerunt hoc sacrificium". Damit erschien die versammelte Gemeinde als de, wenn er die R o l l e des Priesters in den spätmittelalterlichen Messerklärungen als Stellvertreter des Priesters Christus und bei Luther als Stellvertreter für die Gemeinde beschreibt, a.a.O., 3 4 8 . D e n n einmal handelt der Priester durch sein Opfer auch als Repräsentant der Gemeinde, zum anderen bedient sich bei Luther Gott des Priesters als Instrument seines Heilswirkens. Vgl. etwa L u thers Äußerung, der Priester taufe an Christi Statt, die deutlich das Amt der Gemeinde gegenüberstellt. Als solcher interpretiert der Amtsträger auch nicht das Wort Gottes (GOERTZ, ebd.), sondern das Wort geschieht durch ihn. 5 1 0 Das verdeutlicht die Herleitung des Begriffes, vgl. N M A 17: „ N u n gehört einem kuenig eyn kröne zu und darumb so nent die geschrift in latein die platten eyn kröne." Eine andere Erklärung bietet noch AMALAR VON METZ, D e ecclesiasticis offieiis 2, 5 (PL 105, 1081): „Caput ergo tondere est cogitationes superfluas a mente resecrare." 511 N M A 44, 4—6: „Er [sc. der Priester] sol auch das w o r t , v o b i s ' sprechen, so er sein suende b e klagen wil [...] das ist: mein suend beklag ich G o t und seinen heyligen und euch, das ist allen den, dy hinder der messe seyn [ . . . ] . " Vgl. auch N M A 45, 3 4 f .

Vgl. N M A 98, 6 - 8 . Vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2 , 1 6 9 : „Gleich dem Hohenpriester des Alten Bundes [...] löst sich der Zelebrant nun vom Volk und tritt vor den heiligen Gott hin, um ihm das Opfer darzubringen." 512

513

5 , 4

J . A . JUNGMANN, M S 2 ,

171.

515

J . A . JUNGMANN, M S 2 ,

172.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

147

das Opfersubjekt. I m 10. Jahrhundert 5 1 6 w u r d e dann ein „pro quibus tibi ofFerim u s " eingefugt, so dass die G e m e i n d e hauptsächlich als die Begünstigte der O p f e r handlung erschien u n d die Aktivität ganz beim Priester lag. D a m i t w u r d e n die M o m e n t e der Stellvertretung u n d der Interzession in der priesterlichen H a n d l u n g gestärkt. 5 1 7 Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die A u f w e r t u n g des Priesters die H a l t u n g der Messgemeinde keineswegs zur Irrelevanz verurteilte. Vielm e h r w u r d e die H a l t u n g der Anwesenden in die Z u t e i l u n g der Messfrucht einbezogen, w e n n es hieß, G o t t sei ihr Glaube u n d ihre Andacht bekannt. So ließen sich priesterliche D a r b r i n g u n g u n d eine geistliche H i n g a b e der Anwesenden parallelisieren. Petrus DAMIANI unterscheidet daher zwischen einem speziellen priesterlichen O p f e r mit den H ä n d e n u n d e i n e m intentional-geistlichen O p f e r der Mas-

3.2.1.3

Der Einfluss der priesterlichen Moralität auf die Messfrucht

Die priesterliche Fürbitte in der Messe wird auf G r u n d ihrer soteriologischen B e d e u t u n g genau differenziert. Zunächst gilt sie Strukturen, nämlich der weltlichen u n d der geistlichen Obrigkeit. D i e einzelnen Messteilnehmer k o m m e n i m Te igitur nur als gehorsame U n t e r t a n e n einer gottgesetzten Obrigkeit in den Blick. 5 1 9 Im Memento mortuum520 wird dann nach den Strukturen auch die Personalität in die Begünstigung des Opfers a u f g e n o m m e n . H i e r wird unterschieden zwischen d e m zeitlichen u n d ewigen N u t z e n für die Lebenden u n d d e m N u t z e n f ü r die Seelen

516 J . A . JUNGMANN, M S 2, 204, weist den E i n s c h u b bereits f ü r die karolingische Ausgabe des G r e g o r i a n i s c h e n Sakramentars nach. Vgl. a u c h A. ANGENENDT, Geschichte, 495. 517 N M A 121, 17f b r i n g t die Mittlerstellung des Priester in einer interessanten F o r m u l i e r u n g z u m A u s d r u c k : „ Z u d e m d r i t t e n so bit der priester an der stat G o t e s G o t d e n allmechtigen f u e r alle cristgelaubig m e n s c h e n [...]." Diese aus dogmatischer Perspektive „ u n d i f f e r e n z i e r t " (so R E I CHERT, N M A 121, A n m . 256) e r s c h e i n e n d e F o r m u l i e r u n g zeigt d e n E i n b e z u g des priesterlichen H a n d e l n s in die Soteriologie. Analog der trinitarischen R e d e w e i s e w i r d hier eine D o p p e l p e r s p e k tive kenntlich. N a c h a u ß e n wird die Einheit von Mittler u n d G o t t h e r v o r g e h o b e n („an der stat"), i m Innenverhältnis h i n g e g e n die Differenz (Fürbitte g e g e n ü b e r Gott) deutlich. So w i r d mit d e m E i n b e z u g in das priesterliche A m t Christi a u c h die z u g e h ö r i g e T e r m i n o l o g i e ü b e r n o m m e n . 518 „ I n quibus verbis p a t e n t e r ostenditur, q u o d a cunctis fidelibus, n o n solum viris, sed et m u lieribus sacrificium illud laudis offertur, licet ab u n o specialiter offeri sacerdote videatur: quia q u o d ille D e o o f f e r e n d o manibus tractat, h o c m u l t i t u d o fidelium interna m e n t i u m d e v o t i o n e c o m m e n dat." O p u s c . , D o m i n u s v o b i s c u m ' , 8 (PL 145, 237f). 5,9 D a b e i wird der G e h o r s a m g e g e n ü b e r der geistlichen u n d weltlichen O b r i g k e i t soteriologisch b e g r ü n d e t u n d aufgeladen. N a c h d e m zunächst die V o r b e r e i t u n g u n d die T u g e n d e n des M e n s c h e n zur Voraussetzung des G n a d e n e m p f a n g e s g e m a c h t w e r d e n , wird der G e h o r s a m g e g e n ü b e r der O b r i g k e i t d a n n als e b e n diese T u g e n d qualifiziert: „ A b e r es seyn gar vil der m e n s c h e n , die da t h u n w i d e r G o t d e n almechtigen; die also w i d e r ir o e b e r n n m u e r m e l n n u n d reden seyn u n d in auch n i c h t g e h o r s a m seyn woellen, das d o c h seyn m u ß , w o e l l e n w i r anders G o t wolgevallen." N M A 131, 2 7 - 3 0 . 520 „ M e m e n t o etiam, D o m i n e , f a m u l o r u m f a m u l a r u m q u e t u a r u m N . et N . , qui nos praecesser u n t c u m signo fidei, et d o r m i u n t in s o m n o pacis. Ipsis, D o m i n e , et o m n i b u s in C h r i s t o quiescentibus l o c u m refrigerii, lucis et pacis ut indulgeas, deprecamur. Per e u n d e m C h r i s t u m D o m i n u m n o s t r u m . A m e n . " Zitiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 83f.

148

Erster Teil:

Voraussetzungen

i m Fegefeuer. I m Hanc igitur 521 schließlich k o m m e n dann nicht nur begünstigte Personen, sondern besonders die mit der Messstiftung v e r b u n d e n e n Anliegen zur Sprache. 5 2 2 D i e Wirksamkeit dieser Fürbitte war n u n in Beziehung zu setzen zu Person u n d H a n d e l n des Priesters. Zunächst wird die prinzipielle Gültigkeit einer Messe v o m Status des Priesters abgekoppelt. Dazu wird unterschieden zwischen der persönlichen Heiligkeit des Zelebranten, welche durch die Verletzung des o b e n entfalteten Anforderungsprofils verloren werden kann, u n d seiner unverlierbaren M a c h t (potestas), die Wandlung zu vollziehen. 5 2 3 D i e Vorstellung einer quantifizierbaren Messf r u c h t erlaubt dann den Einfluss der priesterlichen Moralität auf das G n a d e n m a ß der jeweiligen Messe. 5 2 4 U n t e r drei Perspektiven erscheint dabei die Messfrucht. Einmal unter der des sakramentalen Vollzuges. H i e r gilt der f r o m m e so viel wie der sündige Priester, d e n n beide besitzen ja unverlierbar die potestas sacrificandi.525 Für den Priester allerdings besteht ein großer Unterschied, d e n n er hält Messe e n t w e der zu „einer speyß ewiger selikeit" oder aber, sofern er sich im Stande der T o d sünde befindet, „zu eynem ewiegn fluch".526 Aus der Sicht des Messteilnehmers ist die Messe eines Priesters mit einwandfreiem Lebenswandel entschieden vorzuzieh e n , denn sie ist G o t t löblicher. Deutlich wird dann unterschieden zwischen der v o m Priester unabhängigen Gültigkeit des Messopfers u n d den in seinem Umkreis stehenden priesterlichen Gebeten, deren Erfolg ganz von der Frömmigkeit des Priesters abhängt: W i e sol e i n e r e i n e m a n d e r n n g e n a d e r w e r b e n , d e m d e r h e r r e v e i n d ist, d e n er b i t t e n w e r ? [...] das a u c h G o t d e n g u t t e n p r i e s t e r l i e b e r e r h o e r t in s e y n e m g e b e t e d e n n d e n priester, er in s u e n d e n ist [ . . . ] . 5 2 7

521 „ H a n c igitur oblationem servitutis nostrae, sed et cunctae familiae tuae, quaesumus, D o m i ne, ut placatus accipias: diesque nostros in tua pace disponas atque ab aeterna damnatione nos eripi, et in electorum t u o r u m iubeas grege numerari. Per C h r i s t u m D o m i n u m n o s t r u m . " Zitiert nach

BOTTE-MOHRMANN, L ' o r d i n a i r e , 7 8 . 522 Vgl. J.A. JUNGMANN, M S 2, 224. G e g e n ü b e r den Fürbitten i m Memento vivorum sieht er darin das P r o p r i u m des Hanc igitur. „[...] es handelt sich u m keine bloße Verdoppelung des R a h m e n s für eine solche E r w ä h n u n g , sondern u m eine weitere Bestimmung der Absicht unseres Tuns, u m die I n t e n t i o n d e r j e w e i l i g e n M e ß f e i e r , deren N e n n u n g gerade hier sich passend einfügte." H e r v o r h e b u n g im Text. 523 „ U n d ein priester sey in was bann er y m m e r seyn mag u n d seyn im alle sacrament verbotten ze geben, d e n n o c h , w e n n er messe lese, so wandlete er das heylig sacrament als warlich als sant Peter. U n d d a r u m b mag im das nyemant n e m e n , weder pabst n o c h bischoff. Aber irregularis wirt er dar durch u n d thut gar groß uebel u n d suende." N M A 7. 524 N M A 9, 31—35: „Ein priester, der sich mit ernst u n d fleyß bereytet zu der messe [...], ist wol zeglauben, das der selbe priester den menschen oder den seien u m b G o t m e r genad erwerbe denn ein ander priester, der in todsuenden oder in boesem fuersatze m e ß leß." 525 N M A 10, 8 - 1 1 : „ N o c h ist die messe geleich gut, dy gelesen wirt von d e m priester - er sey gut oder boese — von des heiligen sacraments wegen, das in der messe gehandelt u n d gewandelt wirt u n d durch den priester w e d e r boese n o c h besser w i r t . " 526 N M A 10, 6 - 8 . 527 N M A 9, 3 5 - 1 0 , 1. 14f.

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

149

In Zweifelsfällen springt die kirchliche Hierarchie als Schiedsrichterin ein. 5 2 8 Insgesamt vergröbert N M A also die oben am Beispiel D U N S und B I E L S skizzierte theologische Reflexion in einer Weise, welche die Bedeutung der priesterlichen Moralität für die Messwirkung anhebt.

Die Aktivität

3.2.2

der Gemeinde

im Opfer

Wie das Phänomen der Privatmesse zeigt, setzte die Darbringung des Messopfers die Gegenwart einer tatsächlichen Gottesdienstgemeinde nicht voraus. Die R o l l e des liturgischen Handlungsträgers fiel damit dem Priester zu. 529 Dies bedeutete gleichwohl nicht, dass über Rolle und Aufgabe der Gemeinde beim Messopfer keine Reflexionen angestellt worden wären. Ein immer wiederkehrendes, entscheidendes Moment war hier die Frage der rechten Vorbereitung auf die Messe. Die Gemeinde wird am Opfer beteiligt, indem sie ihre Seele als einen geistlichen Tempel Gott bereitet. Diese geistliche Zubereitung der Seele auf das Opfer besteht einmal im Dank. 5 3 0 Dabei ist auf das Verhältnis des Dankes zu dem empfangenen Heil zu achten. Es geht nicht um ein Danken und Loben im Nachhinein, sondern der Grad der inneren Dankbarkeit bestimmt die zugemessene Gnade: U n d so vil g r o s s e r ist d i e d a n c k b e r k e y t i n u n s e r e r sele, so vil d e s t e r g e s c h i c k t e r w i r t sie, zu e m p f a h e n d i e g e n a d e G o t t e s ; a u c h so vil m e r z w i n g t t sie G o t zu s e i n e r m i l t i g k e y t u n d b a r m h e r t z i g k e y t , die a u ß zu g i e s s e n . 5 3 1

Insgesamt wird also ein Modell bevorzugt, nach dem der Mensch zunächst einen Tempel aus Dankbarkeit, Glauben, Gottesfurcht und Buße errichtet, in dem Gott dann Wohnung nimmt. Folglich treiben Todsünden Gott aus dem Tempel hinaus. 532 Damit wird die rechte Vorbereitung zur conditio sine qua non für die Zutei-

528

„ U n d darumb m a g ein m e n s c h mit gutter gewissen lieber messe h o e r n n eines gutten p r i e -

sters denn eines boesen. Es w e r denn, das dy prelaten gebueten d e m volck, das sie solten h o e r e n des b o e s e n priesters messe, so theten sie nicht unrecht von der gehorsam w e g e n . " 529

Dieser Sachverhalt wird n o c h einmal bestätigt durch die i m m e r seltener werdende G e m e i n -

d e k o m m u n i o n . D o c h darf dies nicht dazu verleiten, den Gemeinschaftsaspekt der Messe a u f die K o m m u n i o n an H o c h f e s t e n zu beschränken. V i e l m e h r ist auch an die K o m p e n s a t e zu denken, nämlich die bereits behandelten E l e m e n t e der Elevation, der Austeilung gesegneten Brotes und die Pax. 530

D a b e i ist a u f die Bedeutungsverschiebung zu achten. A. GOETZE, F r ü h n e u h o c h d e u t s c h e s

Glossar, 4 6 , n e n n t unter d e m S t i c h w o r t dank „Preis; G e d a n k e ; W i l l e " , entsprechend

dankneme

„ w i l l k o m m e n " . N M A 2 5 , 14f: „ D a r u m b : woell wir G o t einen wolbereyten und wolgevelligen tempel pawen, so muessen w i r sehen, das w i r G o r t d a n c k n e m s e y n . " 531

N M A 2 5 , 19—22. D e r rechten Vorbereitung a u f die Messe wurde seit d e m 12. J a h r h u n d e r t

verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. D i e B e d e u t u n g des T h e m a s ergab sich einmal aus der Furcht vor göttlichen S a n k t i o n e n bei u n w ü r d i g e m E m p f a n g . Initiativ wirkten hier die einschlägigen Aussagen der paulinischen K o r i n t h e r k o r r e s p o n d e n z und der K a n o n , O m n i s utriusque'. Vgl. P e trus COMESTOB (F 1 1 7 8 ) , Sententiae de sacramentis, c . 2 0 , 5 0 , zitiert nach M . RUBIN, C o r p u s C h r i sti, 6 6 , A n m . 3 1 3 . „ D a t u r tarnen et bonis et malis, et sumitur et a b o n o et a malo. Sed b o n i sumunt ad salutem, mali vero ad sui d a m p n a t i o n e m . " D i e Teilnahme an der K o m m u n i o n setzte dann die B e i c h t e voraus, vgl. M . RUBIN, a.a.O., 8 4 . 532

„Es ist k a w m mueglich, das G o t yemant hassen mueg, der da allen m e n s c h e n wolthut, es

150

Erster Teil:

Voraussetzungen

lung der Gnade. Zugleich gerät das Moment der Verunsicherung in die Messtheologie hinein. Hier ist nicht nur die Wurzel der abnehmenden, schließlich auf die Hochfeste oder nur das Osterfest 533 beschränkten Kommunionsteilnahme der Laien zu erblicken, sondern auch ein durchgängiges Motiv der Messpredigten und Messauslegungen. 534 Zugleich verweist die Bedeutung der Vorbereitung für die Messwirkung erneut zurück auf das Bußinstitut und damit das Amt. 5 3 5 Diese Ausrichtung auf den Priester lässt sich auch für die äußeren Opferaktivitäten in der Messe selbst feststellen. 536 Die Gemeinde ist zwar nicht passiv, erscheint aber vor allem als Begleiterin der priesterlichen Aktionen und nicht als liturgisch notwendiges Subjekt. 5 3 7 Ihre Aktivität beschränkt sich auf wenige Momente: das Offertorium, das Gebet für die Annahme des priesterlichen Opfers, die Anbetung der elevierten Hostie und die Pax. Konstitutive Bedeutung für das Opfer besitzt all dies nicht. Es wäre nun aber einseitig, in dieser Entwicklung eine bloße Entmündigung der Laien zu sehen, die das Messgeschehen nur noch rein rezeptiv begleiten könnten. D e m Zug hin zu einer liturgischen Randstellung der Laien korrespondiert nämlich ihre Aufwertung zu Initiatoren und Initiatorinnen der Messfeier, wie sie im aufblühenden Institut der Votivmesse kenntlich wird. Die Beteiligung der Nichtpriester an der zentralen Kultfeier formuliert sich also zunehmend weniger liturgisch als ökonomisch. In einer Privatmesse gerät der Priester in eine ökonomisch artikulierte Verpflichtungssituation gegenüber den als „Kunden" wahrgenommenen Stiftern und Stifterinnen. So lässt sich von einer gegenläufigen Entwicklung sprechen, insofern die Laien als liturgische Opferaktanten gegenüber Priester bzw. Kirche zunehmend zurücktreten, in der Rolle der Begünstigten oder Initiatoren einer Messe aber aufgewertet werden und sogar namentliche Erwähnung finden. Insofern hängen Individualisierung und Ökonomisierung der Messe zusammen, denn durch die Bestellbarkeit einer Messe ist zugleich eine Zuschreibung zu einzelnen Personen möglich. Dem allgemeinen sonn- oder feiertäglichen Gemeindegottesdienst fehlen hier die Kriterien einer individuellen Ausrichtung. Der Mann oder die Frau, die eine Messe stiften, begegnen so keineswegs als bloß nebensächlicher Begleitumstand der Messhandlung. Als Initiator bzw. Initiatorin der Opferwer denn ein verdampter. Ist aber das der mensch seines nechsten begert zu schaden [...] so hat er yetz das dach zerbrochen und darnach so regnet und schneyet es denn hinein [...] durch die todsuende; so mag Got der herre in demselben tempel kein wonung haben, sunder er wirt dar auß getrib e n . " N M A 29, 1 - 7 . 3 3 3 Die jährliche Kommunion war bei Exkommunikation Pflicht. Dass die Exkommunikation auch tatsächlich vollzogen wurde, belegt ein B e r i c h t aus dem Münster in R i p o n , vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 149. 5 3 4 Vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 148. In diesen Zusammenhang gehören die variantenreichen „Entziehungswunder" (vgl. Browe, Wunder 31—40). Die Hostie entzieht sich hier einem sündigen Priester oder Laien, indem sie davonfliegt oder sich nicht von der Patene lösen lässt. 5 3 5 Vgl. M . RUBIN, Corpus Christi, 220. 5 3 6 Vgl. dazu die Ausführungen unter § 2 . 3 . 2 . 1 . 5 3 7 Diese Unterscheidung übersieht J . BOSSY, mass, 3 5 f . Er hebt gegen eine Position, welche den C o m m u n i o - C h a r a k t e r des Sakramentes durch die Monopolisierung des priesterlichen Handelns nicht gewahrt sieht, die liturgische Aktivität der Gemeinde hervor, ohne deren Begleitcharakter zu berücksichtigen.

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

151

feier spielen sie eine höchst aktive R o l l e . So lässt sich diese E n t w i c k l u n g als der Prozess einer AusdifFerenzierung i m Sinne einer f u n k t i o n a l e n Gesellschaft lesen: D i e steigende N a c h f r a g e erfordert eine Spezialisierung, welche d u r c h f u n k t i o n a l e Ausgliederung eines alle a n g e h e n d e n P h ä n o m e n s in einen v o n Fachleuten b e t r e u ten Teilbereich hergestellt wird. Z u g l e i c h muss die Teilhabe aller an diesem Teilbereich sichergestellt w e r d e n . Dies geschieht d u r c h die Systematik der Ö k o n o m i e . D i e d u r c h Spezialisierung gesteigerte Leistungsfähigkeit ist d e r Allgemeinheit leicht plausibel zu m a c h e n , d e n n j e d e m u n d j e d e r k a n n n u n prinzipiell eine eigene Messfeier e r m ö g l i c h t w e r d e n . So wird einerseits der geistliche U n t e r s c h i e d z w i schen Priester u n d Laien in liturgischer Hinsicht verstärkt, andererseits aber die Einflussmöglichkeit des Laien auf die Priester gesichert u n d in R e g e l n artikulierbar. Insofern lässt sich die Ö k o n o m i s i e r u n g der Messe also auch als Kontrollgew i n n ü b e r eine K o n t i n g e n z verstehen, d e n n n u n ist in allgemein einsichtigen, auch i m Alltag gültigen ö k o n o m i s c h e n R e g e l n formulierbar, was bisher d e m B e reich des U n v e r f ü g b a r e n zugehörte. Messtheologischen Niederschlag f a n d diese E n t w i c k l u n g in der Variationsbreite des Hanc igitur. H i e r w e r d e n n u n nicht n u r die Begünstigten, s o n d e r n auch die I n itiatoren einer Messe sowie die e r b e t e n e n Anliegen g e n a n n t . 5 3 8 Das G e b e t avanciert so z u m Kristallisationspunkt des laikalen Einflusses 5 3 9 u n d kultiviert vor allem die Vorstellung eines zu G u n s t e n D r i t t e r vollzogenen O p f e r s sowie der Einsetzbarkeit der Messfrucht f ü r verschiedene Anliegen. Innerhalb der K a n o n a r c h i t e k t u r lässt sich i m Vergleich z u m Memento vivorum damit eine Individualisierung der F ü r bitte e r k e n n e n . 5 4 0

3.3

Die Opfergaben in der Messe

A u c h bei der B e s t i m m u n g der O p f e r g a b e ist e r n e u t an die T r a n s f o r m a t i o n zu e r i n n e r n , w e l c h e die N e u f a s s u n g der Eucharistielehre bei ihrer Inkulturation in das fränkische R e i c h erlebte. D i e bereits g e n a n n t e n T e i l m o m e n t e der O p f e r v o r s t e l l u n g w i e die grundsätzliche A u s r i c h t u n g des O p f e r s (Sühne u n d D a n k ) u n d die B e s t i m m u n g des O p f e r a k t a n t e n (Priester, Volk, Kirche u n d Christus) sollen n u n aus der Perspektive der dargebrachten G a b e betrachtet w e r d e n . In diesem Z u s a m m e n h a n g ist vor allem darauf hinzuweisen, dass die B e s t i m m u n g der O p f e r g a b e zugleich die grundsätzliche A u s r i c h t u n g des O p f e r s festlegt. So k a n n die D a r b r i n g u n g v o n B r o t u n d W e i n als A u s d r u c k des Dankes, k a u m aber als S ü h n o p f e r v e r standen w e r d e n . E b e n diesen O p f e r t y p u s schließt n u n aber das O p f e r v o n Leib u n d Blut Christi in sich. 538

J . A . JUNGMANN, M S 2, 2 2 0 f . Es ist b e z e i c h n e n d , dass ältere Sakramentare auf dieses G e b e t in der allgemeinen G e m e i n d e messe verzichten u n d es d e n Votivmessen vorbehalten. Vgl. J.A. JUNGMANN, M S 2, 221. 540 D i e bald einsetzende Inflation v o n A n l i e g e n d r o h t e die in der Messe vollzogene U n t e r s c h e i d u n g von Sakralität u n d Profanität zu G u n s t e n letzterer aufzulösen. S c h o n GREGOR verfugte daher, dass a m Altar n u r „das G r o ß e u n d A l l g e m e i n e " g e n a n n t w e r d e n solle. Vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2, 225. 539

152 3.3.1

Erster Teil:

Voraussetzungen

Brot und Wein als Opfergabe

Die Darbringung von Brot und Wein im Oblationskreis der Messe steht unter einer doppelten Perspektive. Einmal ist sie auf das sakramentale Opfer, welches der Kanon thematisiert, hingeordnet und hat insofern nur Vorbereitungscharakter. 541 Andererseits weist dieser Teil der Messe nicht nur voraus, sondern besitzt auch eine gewisse Selbstständigkeit. 542 Gerade im Opfergang wird eine — allerdings nicht konstitutive — Beteiligung der Gemeinde greifbar, gerade hier finden eigene Anliegen und Bitten ihren persönlichen Platz. 3.3.1.1

Voraussetzungen des Opfers

Brot und Wein nahmen im Opfer des Volkes die Rolle der Opfergabe ein. Diese Bezeichnung der Sakramentsmaterie als Opfergabe zeigte sich auch terminologisch. So wird das Brot hostie543 oder Oblata544 genannt. Beide Begriffe qualifizieren die Elemente damit als etwas, das aus dem eigenen Verfiigungsbereich entlassen und einem Dritten zugeeignet wird. Das Verhältnis dieser Darbringung von Brot und Wein steht nun in einem nicht ganz ausgeglichenen Verhältnis zum Opfer von Leib und Blut Christi. Eine besondere Heiligkeit k o m m t einmal durch den ausfuhrlichen Anforderungskatalog, zum anderen durch das ausdrückliche Beharren auf dem genauen Wortlaut 5 4 5 zum Ausdruck. Der Eingangsgruß (dominus vobiscum — et cum spiritu tuo) wird als notwendige Bitte u m den Beistand des H e r r n verstanden, 5 4 6 welche die Eignung der Opfergabe zu sichern hilft. 547 Der Opfergang soll dann nicht mechanisch, sondern in einer bestimmten Haltung seitens der Aktanten vollzogen werden. Gefordert wird einmal die Freude, denn Gott liebe die Ga541 J.A. JUNGMANN spricht davon, dass die Gaben dargebracht werden, „damit sie ins O p f e r Christi übergehen." M S 2, 114. 542 Diese unter liturgischem Aspekt als D o p p e l u n g w a h r z u n e h m e n d e Entwicklung zeigt sich auch in der Bezeichnung „Kleiner Kanon", die seit d e m Spätmittelalter üblich wurde. Vgl. J.A. JUNGMANN, M S 2, 117f. Diese Entwicklung hängt auch mit der durch die weitgehend unhörbare Rezitation des Hochgebetes gegebenen Unanschaulichkeit der liturgischen Vollzüge im K a n o n teil zusammen. 543 Lat. hostia = Opfertier. Die Ü b e r n a h m e des Begriffes in die reformatorischen Messordnungen (vgl. dazu Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 303) zeigt, dass die Opferkonnotation des Begriffes nicht m e h r bewusst war. W e n n es sich auch u m ein vegetabiles u n d nicht u m ein animalisches Opfer handelt, so klingt die ursprüngliche Bedeutung aber noch nach. Das belegt die Verwendung des Begriffes hostia in der gallikanischen Liturgie als Bezeichnung für die vom Volk mitgebrachten Gaben Brot u n d Wein. Vgl. dazu Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 138, A n m . 1. 544 Von lat. Ob —ferre = entgegen tragen, vor sich her tragen, darbringen, anbieten. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 138, stellt vor allem die Verwendung für noch nicht konsekriertes Brot heraus, verweist aber auch auf W e n d u n g e n wie gesegnetes Oblat. 545 N M A 106, 15—18: „ D o c h eyns so m u ß e r y e an d e m ende herzu mit den vorgenanten Worten u n d die nicht aussen lassen u m b keyn sach — er leß eyn meß war von er woel —, doch das die wort unverkert beleyben u n d gesprochen werden, anders er thet suende." 546 N M A 96, 24f: „... des wir an allen zweifei notturftig sein, woellen wir uns anders schicken u n d bereyten zu d e m opffer." 547 N M A 97, 1—4: „ U n d das ist der dritt grüß; [...] u n d bedeut auch das oppfer des priesters und des volckes, das es Got d e m almechtigen empfengklich werde, von dem es hie ist."

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

153

be einer fröhlichen Gebers. 5 4 8 Ein wohlgefälliges Opfer setzte zum Zweiten die Versöhnung mit dem Nächsten voraus. 549 Die Logik a minore ad maius fordert schließlich auch ein reines Gottesverhältnis als Prämisse des Opfers. 5 5 0 Damit liegt eine Analogie zur priesterlichen Reinheit vor. Freilich transportiert diese zugleich eine Statusdifferenz zum Priester, dem ungleich mehr abverlangt wird.

3.3.1.2

Geistliche und materielle

Opfergabe

Auch an die Opfergabe werden die typischen opfertheologischen Kriterien herangetragen. Die ökonomische Logik wird deutlich in der Wertkorrelation von menschlicher Gabe und göttlicher Reaktion. Eine minderwertige Opfergabe darf nicht auf Berücksichtigung des mit ihr vorgetragenen Anliegens hoffen. Nicht wertlose, sondern gute Gaben soll man deshalb opfern. 551 Dieser Grundgedanke durchzieht dann die Beschreibung der materiellen wie der geistlich-ethischen O p fergaben. Die Opfergabe Brot bestimmt sich als weiß, schoen, reyn, lautter oder sinwel (= rund). 552 Damit kommt erneut der Zusammenhang von Opfer und Reinheit 5 5 3

548

N M A 9 8 , 4—8.

549

R e k u r r i e r t wird a u f M t 5, 2 3 f: „ D a r b e i [sc. der Lektüre von M t 5 , 2 3 ] wir m e r c k e n , das der

H e r r e wil, das sich der m e n s c h versuen mit seinem nechsten, w i d e r den er getan h a b . " N M A 9 8 , 15f. 550

„ O , so ist vil n o e t t e r d e m m e n s c h e n , der wider G o t gesuendt hat, das sich der // mit G o t

vereyn und rew und leyd u e b e r all seyne suend empfach und sich in seyn leyden befelch und in das war oppfer, das da a u f geoppfert wirt; und in g u t e m willen und fuersatz fueran leben well und sich fueran zehueten vor allen toedlichen suenden, als ferre er k u e n d und mueg, und zu k o e m e n l i c h e n zeytten sein suend peychten. S o wirt der m e n s c h geschickt zu dem opffer und G o t wil denn des selben oppfer empfahen als das oppfer A b e l s . " N M A 9 8 , 1 7 - 2 4 . 531

N M A 9 8 , 25—32: „ U n d der m e n s c h , der sich also schickt zu dem opffer, der sol gut gaben

oppfern, nicht als der Cayn thet; der oppfert allweg nuer das ergest, das er hett, darumb erhört in G o t nicht. U n d darumb sey wir und vil leut, die sich geleych m a c h e n d e m Cayn mit iren gaben, denn sie G o t nicht anders geben, denn das nyemant mag n o c h wil. D a r u m b so haben sie iren Ion von G o t e i n g e n o m m e n . W e r oppfern wil, der sol nicht anders geben und oppfern denn gut ding; w e n n u m b solchs wil im G o t den Ion ewiglich g e b e n . " D i e merkantile L o g i k bestimmt den O p fergedanken hier so stark, dass sie auch in den biblischen R e f e r e n z t e x t eingetragen wird. Sie verschafft sich auch terminologisch Ausdruck, etwa in der R e d e von den „saneta c o m m e r c i a " , die sich in der Messe vollzögen, vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2, 1 1 5 . - M a n ist versucht, dazu Luthers Konzept eines „fröhlichen W e c h s e l s " in B e z i e h u n g zu setzen, das gerade den U n w e r t der m e n s c h lichen G a b e herausstreicht. D i e L o g i k der merkantilen Reziprozität verdeutlicht auch eine von M . RUBIN, C o r p u s Christi, 1 1 5 mitgeteilte L e g e n d e des JAKOB VON VITRY, T h e E x e m p l a , n o . 1 9 8 , 8 2 f : Als ein Priester entdeckte, dass ein G e m e i n d e g l i e d fehlerhafte M ü n z e n opferte, wartete er bis zum Osterfest, u m es zu bestrafen. B e i der K o m m u n i o n verspürte der Schuldige dann nicht den G e schmack der Hostie, sondern eine falsche M ü n z e . E r glaubte, die Hostie habe sich in eine falsche M ü n z e verwandelt und bereute. 552

D i e s sind die gängigen B e s t i m m u n g e n , vgl. W i l l i a m RÜSSEL, C o n c i l i a 3, c . 2 , 1 1 : „Hostia de

f r u m e n t o sit rotunda et integra et sine macula, quia agnus extitit sine macula, et os n o n fuit c o m m i n u t u m e x eo. U n d e versus; Candida, triticea, tenuis, n o n magna, rotunda, expers fermenti n o n mista, sit hostia C h r i s t i . " Z i t i e r t nach M . RUBIN, C o r p u s Christi, 3 9 , A n m . 1 5 2 . 553

N a c h H a n s j o s e f GOERTZ, a.a.O., 1 3 8 , sollte die w e i ß e Farbe zugleich eine Distanz zu den

g e w ö h n l i c h e n Nahrungsmitteln schaffen. D i e B e s o n d e r h e i t der O p f e r m a t e r i e entspricht damit einer defensiven Reinheitsvorstellung.

154

Erster Teil:

Voraussetzungen

zum Ausdruck, offensichtlich darf die Opfergabe nicht dem Bereich des Unreinen entstammen. Überdies werden mit der äußeren Kreisform Vollkommenheit 5 5 4 und Ewigkeit assoziiert, wodurch der intendierte Maximalwert der Opferhandlung und der Zusammenhang zwischen Opfer und Tod adressiert werden. 5 5 5 Das Zusammenspiel von Nähe und Distanz zum sakramentalen Opfer wird auch in den Attributen, die der Schöpfungsgabe Brot beigeordnet werden, deutlich. So wird nicht nur um die Akzeptanz der Opfergabe gebetet, 5 5 6 sondern auch der durch das Brot zum Ausdruck gebrachte Schöpfungsbezug mit der Sündenvergebung verbunden. Der Rückbezug der Soteriologie auf das Christusereignis wird so verdunkelt. 557 Gleichwohl wird das Opfer als Lobopfer bezeichnet. 5 5 8 Die geforderten Eigenschaften der Hostie werden mit menschlichen Tugenden verbunden. Die Opfergabe weist also nicht nur eine materielle, sondern auch eine geistlich-ethische Komponente auf. Priester und Volk sollen rein, das heißt „schoen vor Gott" und ohne Todsünde sein. Als weitere Tugenden werden die Sanftmut, die Bescheidenheit, die Demut, das Streben nach Tugendhaftigkeit überhaupt, die Nächstenliebe und die Mildtätigkeit genannt. 5 5 9 Neben der doppelten Opferaktanz sind auch die Adressaten zweifach zu bestimmen. Einmal weist dieses Opfer eine sozialethische Ausrichtung auf, insofern die Opfergaben als Almosen den Bedürftigen zugute kommen. Zum anderen wird aber aus eben diesen Gaben die materielle Grundlage des priesterlichen Wandlungsopfers gebildet. Diese Doppelheit gilt auch für die geistlichen Opfer. Die hier geforderten Tugenden berühren einmal das Verhältnis zum bedürftigen Mitmenschen (Mildtätigkeit, Nächstenliebe), vor allem aber bringen sie die Abhängigkeit vom Opferadressaten zum Ausdruck (Demut, Bescheidenheit). Das Kreuzesopfer wird diesen Opferaktivitäten dann parallel geschaltet, es begleitet sie, ohne dass eine differenzierte Verhältnisbestimmung vorgenommen würde. 5 6 0 5 5 4 Eine Parallele findet sich in der spätmittelalterlichen Musik. Hier bezeichnete man mit einem Kreis die Perfecta, die rhythmische Dreigliedrigkeit. 5 5 5 Dieser enge Bezug zwischen Tod und Opfer zeigt sich auch in der Dreiteilung der Hostie, denn ein Teil galt den verstorbenen Heiligen. Vgl. etwa Peter COMESTOR: „Corpus enim Christi universa est ecclesia, scilicet caput cum membris, id est Christus et fideles. Due igitur partes que sunt extra calicem seorsum in altari significant Christum et sanctos qui de hac vita iam egressi sunt et extra passiones huius seculi cum capite suo, id est Christo, gloriantur [...] Tertia vero pars qui in calice ponitur, significai eos qui adhuc vivunt in passione hac, donec et ipsi ab hac vita transeat [...]" Anhang zu SIMON, D e sacramentis, 57, zitiert nach M. RUBIN, Corpus Christi, 39, Anm. 1 4 9 . 5 3 6 „Acceptabile sit sacrificium illud omnipotenti D e o . " N M A 103, 33. 537 „Tibi Domino creatori meo hostiam offero pro redemptione omnium peccatorum meorum et cunctorum vivorum ac mortuorum." N M A 104, lOf. Vgl. auch N M A 105, 10—16. Dort wird der Wein als „Kelch des Heils" bezeichnet, der im Anschluss als sacrificium laudis ( N M A 105, 33) verstanden wird. 558 N M A 105, 28—30: „Veni, invisibilis creator et sanctificator, omnipotens eterne Deus, bene ... die hoc sacrificium laudis nomini tuo a meis indignis manibus preparatum." 5 5 9 N M A 99, 8 - 1 0 0 , 5. 5 6 0 Das zeigt das dem Laien vorgeschlagene Begleitgebet zur priesterlichen Opferhandlung: „ O ewiger, genadenreycher Vater, ich opfFer dir mein leyb, sele, ere und gut und alles meyn vermuegen mit dem kospernn opfFer so sich dein ewiger Sun in aller schmachheyt und leyden geopf-

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

155

Ein erstes Opfermodell liegt also im Opfer der Schöpfungsgaben Brot und Wein durch die Teilnehmer als Opferaktanten an die Adressaten Gott Vater bzw. Bedürftige vor. Der Bezug Gläubige - Gottheit wird nicht direkt hergestellt, das Opfer der Laien adressiert zunächst den Priester, der dann erst den Vater im Opfer des Sohnes anredet. Die Entnahme der Wandlungsmaterie aus den Opfergaben der Gemeinde zeigt deren begrenzte Teilhabe am sakramentalen Opfer an. Zugleich wird ihre Angewiesenheit auf die priesterliche Vermittlung und der Vorstufencharakter des vegetabilen und des spirituellen gegenüber dem sakramentalen priesterlichen Opfer zum Ausdruck gebracht. 561 Es handelt sich „nur" um irdische Gaben, entsprechend muss ihre Menge 5 6 2 hervorgehoben werden, oder aber es werden höher stehende Instanzen wie die Heiligen bemüht, welche sie beim Vater empfehlen sollen. 563 Der ganze Oblationskreis wird dabei als Gebet verstanden, es geht um ein auf Gott hin gerichtetes Geschehen. Seine Doppelbestimmtheit, die ihm einerseits eine eigenständige soteriologische Bedeutung zugesteht und andererseits seinen Wert doch geringer einstuft als den des Opfers der gewandelten Gaben, macht ihn zu einem Illustrat des spätmittelalterlichen Gradualismus, der verschiedene Stufen der Sakralität zu benennen vermag. 564 Er erscheint folgerichtig innerhalb eines Kooperationsmodells. 565 3.3.2

Leib und Blut Christi als Opfergabe

Der bereits mehrfach thematisierte messtheologische Umbruch im 9. Jahrhundert zeigte als eine seiner bedeutendsten opfertheologischen Konsequenzen die B e stimmung der Opfergabe als Leib und Blut Christi. Während die altkirchliche Liturgie im Zeichen der Darbringung von Brot und Wein die „Selbsthingabe der feiernden Gemeinde" 5 6 6 zum Ausdruck zu bringen suchte, fuhrt die Fixierung des Konsekrationsmomentes dazu, dass die Darbringungsaussagen nach dem Qui pridieS67 auf Leib und Blut Christi bezogen werden. 568 fert hat in dein goetliche ere; und bitte dich begirlich, das mein bloedes oppfer deiner ewigen guete gevellig sey." N M A 101, 1 - 5 , Hervorhebung W.S. 561 „Aber die Gaben stellen kein selbständiges Opfer dar, sie werden nur dargebracht, damit sie ins Opfer Christi übergehen." J . A . JUNGMANN, M S 2, 114. 5 6 2 J . A . JUNGMANN, M S 2, 113f, weist auf die Unbefangenheit hin, mit der die Aufhäufung der Gaben geltend gemacht wird. 563

V g l . J . A . JUNGMANN, M S 2 ,

114.

Vgl. zu dem Modell abgestufter Heiligkeit J . A . JUNGMANN, M S 2, 120f, der den Kelch als „Vorstufe des Opfers" im Blickfeld einer „höheren Bestimmung unserer G a b e n " sieht. 5 6 5 Vgl. das entsprechende Urteil J . A . JUNGMANNS, M S 2, 121: „Auf das Große und Ganze gesehen, haben wir also keinen Grund, Entstehung und Entwicklung des liturgischen Gebildes, das wir im OfFertorium vor uns sehen, zu bedauern — wenigstens dann nicht, wenn wir bereit sind, in der Messe nicht bloß ein Geschehen von Gott her zu erblicken, sondern auch ein Tun des M e n schen anzuerkennen, der, von Gott gerufen, sich mit der irdischen Gabe auf den Weg macht, um seinem Schöpfer entgegenzuwandern." 564

566

567

R . MESSNER, M e ß r e f o r m ,

102.

p a s s u n g d e r Einsetzungsworte ist zitiert oben unter § 2 . 1 . 2 . 5 6 8 Vgl. AMALAR, L.Off. 3, 25 (PL 105, 1141). In pointierter Selbstverständlichkeit bringt R U PERT VON DEUTZ, D e div. Off. 2, 2 (PL 170, 34), das Resultat dieser Entwicklung zum Ausdruck.

156

Erster Teil:

3.3.2.1

Die unscharfe Abgrenzung

der

Voraussetzungen

Opfermaterie

Diese Entwicklung hin zu einem Interessensschwerpunkt auf der Wandlung 5 6 9 hatte nicht nur zur Abspaltung der Präfation aus dem Kanon, 5 7 0 sondern auch zu einer Fixierung des Wandlungsmomentes (Hoc est corpus meum) gefuhrt. 5 7 1 D a durch war eine präzise Grenzziehung zwischen Brot und Wein sowie Leib und Blut Christi prinzipiell möglich geworden. Es ist für eine Verhältnisbestimmung von reaktivem, den Heilserwerb voraussetzendem Dankopfer und dem am Heilsgeschehen selbst beteiligten Sühnopfer nun bedeutsam, dass in der Bezeichnung der Sakramentsmaterie eine Unsicherheit festzustellen ist. 5 7 2 So entspricht dem oben herausgearbeiteten Ineinander von absichtslosem Lob- und soteriologisch relevantem Sühnopfer auch eine Unsicherheit in der Bezeichnung der Sakramentsmaterie selbst. Diese Unsicherheit belegen gerade die Versuche, den missverständlichen Stellen im Kanontext eine eindeutige Fassung zu geben. D a s zeigt d e u t l i c h die E n t w i c k l u n g des u n m i t t e l b a r v o r d e m E i n s e t z u n g s g e b e t situierten Quam

oblationem.

B e i AMBROSIUS findet sich f o l g e n d e Fassung: „ D i c i t sacerdos: Fac n o b i s ,

i n q u i t , h a n c o b l a t i o n e m adscriptam, ratam, [ . . . ] r a t i o n a b i l e m , a c c e p t a b i l e m : q u o d figura est c o r p o r i s et sanguinis D o m i n i nostri J e s u C h r i s t i . " 5 7 3 Anlass zu interpretativen D i v e r g e n z e n gab h i e r e i n m a l d e r schillernde B e g r i f f f i g u r a , w e l c h e r in der Diskussion u m die R e a l p r ä s e n z u n e r w ü n s c h t e Assoziationen auslösen k o n n t e . Z u d e m b a r g die F o r m u l i e r u n g e i n e l o g i s c h e S p a n n u n g , i n s o f e r n die B i t t e u m die W a n d l u n g deren A u s s t e h e n voraussetz-

Nachdem er verschiedene Begebenheiten aus der Geschichte Israels als Voranzeige des Christusgeschehens interpretiert hat, fährt er fort: „Haec autem omnia umbrae futurorum erant, quae in figura contingebant illis. Igitur et ipsa sacrificia, quae propter has fiebant causas, sancta quidem, sed sanctiorum umbrae, bona quidem, sed meliorum erant figurae. Quales causae, tales et causarum memoriae. N o n ergo solum panem et vinum, quae corporaliter videntur, sed et quod non nisi fidei oculis aspicitur, Verbum Dei, Filium dei offert sancta Ecclesia, novum et verum immolans sacrificium [ . . . ] . " Vgl. auch THOMAS, S T h 3, q.83, a . l , ad 1. (30, 292): „Dictum est enim supra, quod hoc sacramentum consecratur virtute verborum, quae sunt forma hujus sacramenti." 569

V g l . J . A . JUNGMANN, M S

1, 1 0 5 f . l 5 0 f T u n d 2 ,

124.

Der Einschnitt vor dem Te igitur vollzog sich unter dem Einfluss der Liturgiker des Frankenreiches und basierte auf der Einteilung der Opfermesse in sieben Einzelgebete, wie sie bei ISIDOR zu finden ist, der den sechsten Gebetsabschnitt mit dem Te igitur beginnen ließ. ,De officiis eccle570

s i a s t i c i s ' 1 , 1 5 ( P L 8 3 , 7 5 2 ) . V g l . A . FRANZ, M e s s e , 3 3 9 f ; J . A . JUNGMANN M S 2 , 1 2 6 ; R .

STÄHLIN,

Geschichte 40. Das Messopfer behandelt ISIDOR in ,De ecclesiasticis officiis' 1 , 1 8 (PL 83, 7 5 4 757). 571 Die Frage des Wandlungsmomentes stellte sich vor allem für die Sakramentsverehrung. E i ne Anbetung des Brotes hätte j a eine Kreaturvergötterung bedeutet und somit gerade das G e g e n teil der erhofften Gnadenwirkung gezeitigt. Dabei trat die Schwierigkeit auf, dass die Verba eine Doppelkonsekration beinhalteten. Konnte Christus also erst in seinem Leib und dann in seinem Blut gegenwärtig werden? Hier wehrte das Konkomitanz-Konzept einer Zersplitterung der K o n sekration in zwei unabhängige Wandlungsakte. Die Elevation des Kelches vor dessen Konsekration konnte HEINRICH von Hessen aber dennoch von der Gefahr der Kreaturvergötterung bedroht sehen, vgl. .Secreta Sacerdotum', fol. a3rb, zitiert nach M . RUBIN, Corpus Christi, 5 4 . 9 5 . 5 7 2 Dieser Sachverhalt gilt nicht nur für die mittelalterlichen Autoren. J . A . JUNGMANN, M S 2, 274—281, bezieht die Beschreibung der Opfergabe als „hostiam puram, hostiam sanctam, hostiam lmmaculatam, panem sanctum vitae aeternae et calicem salutis perpetuae" auf die consecrata, während R . MESSNER, Meßreform, 102, die consecranda adressiert sieht. 573

D e sacramentis 4, 5, 2 1 , (PL 16, 462f).

§2

Geschichtliche Konkretionen des Messopfergedankens

157

te, die O p f e r g a b e aber zugleich als Leib u n d Blut Christi b e z e i c h n e t w u r d e . D u r c h die Auslassung des figura u n d die Ä n d e r u n g des quod est in ein ut fiat w u r d e diese S p a n n u n g d a n n aufgelöst.

Diese Unsicherheit fand auch philologisch fassbaren Niederschlag. Eine klare Grenzziehung zeigte sich nur bei der dem Priester vorbehaltenen Opfermaterie, denn wein bezeichnete das Element vor, blüt Cristi oder blüt des Herren dann nach der Wandlung. 5 7 4 Anders aber stand es, wie oben zu zeigen war, beim Brot. Hier konnten dieselben Begriffe sowohl den konsekrierten als auch den unkonsekrierten Status bezeichnen. Zwar steht der Tendenz nach hostia für ersteres und oblata für letzteres, doch liegt dieser Gebrauch nicht durchgängig vor. 575 So wird bei diesen Termini die Differenz durch Attribute angezeigt, meist gesegnete bzw. ungesegnet hosti. Der Transsubstantiationsvorstellung trägt dann die Unterscheidung in gestalt des protes u n d gotzleichnam

Rechnung.

Freilich gibt es daneben auch feste Bezeichnungen für die gewandelte O p f e r m a terie wie

leyb, leychnam

o d e r fronleychnam.

D e r e n A t t r i b u i e r u n g m i t heilig,

unrdig

oder allerhyligst drückt dabei eine „Distanz des menschlich Niedrigen zu diesem Göttlichen" 5 7 6 aus. So kommt durch die unterschiedliche Wahrnehmung von konsekriertem und nichtkonsekriertem Brot und Wein die mit dem Opferbegriff mitgesetzte Dualität von Alltag und Besonderem zum Ausdruck. Dies galt umso mehr für Wein und Blut, markierten sie doch einen dem Laien gänzlich unzugänglichen Bereich. Durch diesen Ausschluss der Allgemeinheit erscheint das Blut wertvoller als die Hostie. Es übernimmt zusätzlich die Funktion eines Tabus und steigert somit seine Heiligkeit. 577 Deshalb besitzt es eine besondere Eignung als Projektionsfläche ehrfürchtiger Verehrung wie magischer Vorstellungen. Entsprechend vielfältig sind daher die ausschmückenden u n d Reverenz bekundenden Attribute, 5 7 8 die Wein bzw. Blut beigesellt werden. 5 7 9

3.3.2.2

Sakramentsmaterie

und

Communio-Charakter

Die messtheologische Aufmerksamkeit konzentrierte sich zunehmend auf die Wandlung der Opfermaterie selbst. Terminologisch schlägt sich dies in der Verengung des Begriffes sacramentum nieder. Die Texte u m 1500 verstehen darunter nicht mehr die Messfeier bzw. die Eucharistie insgesamt, sondern die konsekrierte Wandlungsmaterie. 5 8 0 Als solches ist die Bezeichnung Sammelbegriff für die oben 574

Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 143. Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 138f. Deshalb präzisieren Zusätze wie „die hosti, die noch prot ist" den Status. 576 Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 142. 577 So Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 143. 578 Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 143, nennt: heiliges plut, hochwirdiges plut, rosenvarbes plut. 579 Entsprechend sinkt die projektive Attraktivität des Blutes mit der Einführung des Laienkelches, so dass den reformatorischen Quellen eine „sprachliche R e d u k t i o n " (Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 306) zu attestieren ist. 380 Vgl. Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 145. Vgl. auch den Sprachgebrauch Luthers, der sacramentum als Zeichen verstehen kann. 575

158

Erster Teil:

Voraussetzungen

genannten Materiebezeichnungen. Im Z e n t r u m der Messfeier steht also die fassbare, dingliche Materialisierung des Heils. Zugleich tritt die Unverfügbarkeit und die Entzogenheit des Heiles zurück und die Bindung an das priesterliche Amt rückt in den Vordergrund, denn bis auf die im Normalfall jährliche K o m m u n i o n geht niemand anders als der Priester mit dem Sakrament um. So k o m m t hier zweierlei zum Ausdruck: Einmal wird die herkömmliche Opferlogik christologisch transformiert, indem nun die Gottheit zur Gabe wird. Zugleich aber wird dadurch das Sakramentsgeschehen in die menschliche Verfügungsgewalt einbezogen, denn die Gottheit tritt nun nicht nur als ferne Adressatin auf, sondern begibt sich als dingliches Objekt in die Handlungssphäre des Priesters. Damit wird dessen Mittlerstellung durch die kaum mehr zu steigernde Nähe zur Gottheit erheblich aufgewertet. Z u m anderen lässt sich eine genau gegenläufige Tendenz für die Laien beobachten, denn ihnen wird nun die Teilhabe am Blut Christi entzogen. Der Dual Heilig Profan professionalisiert sich also in der Messopfervorstellung, bei welcher der als Institution betrachtete Opferpriester die Vermittlung übernimmt. Das Verhältnis Gott — Mensch wird so einmal intimisiert, denn einer menschlichen Institution wird die Regulation der Gotteskommunikation zugetraut. Faktisch aber rückt die Gottheit so in größere Distanz zu den nicht dieser Institution zugehörigen Gläubigen, welche nun auf die institutionelle Vermittlung der Gotteskommunikation angewiesen sind. Folglich tritt auch der Mahlcharakter als egalitäres Element der E u charistie zurück. Wenn Hansjosef GOERTZ581 die abnehmende Teilnahme an der Kommunion als Ausdruck von „übermäßiger Ehrfurcht und großem Sündenbewußtsein" versteht, so trifft dies sicher zu. Zugleich aber besitzt diese Entwicklung hin zu einer immer undeutlicheren Wahrnehmung des communio-Momentes der Messe auch eine innere Affinität zur vorfindlichen Messopfervorstellung, sofern diese das Hauptaugenmerk auf Aktivität und Repräsentation des Priesters richtete. Dies zeigt sich deutlich in der Erklärung der Entlassungsformel Ite, missa est, die den Kommentatoren philologische Rätsel aufgab. 582 N M A nützt diese Gelegenheit, um das Wesen der Messe noch einmal zusammenzufassen: Hie wirt uns gezeygt dy widerheymkerung, das wir thun sollen durch das urlaub, das uns der priester geyt mit den worten: „Ite missa est", als ob er Sprech: gand hin! Das oppfer, das Cristus ist, das hab ich fuer mich und euch aufgeoppfert und gesant seynem hymelischen Vater.583 581

A.a.O., 150. B e s o n d e r e P r o b l e m e bereitete das W o r t missa, das einmal als Substantiv ( „ G e h t , die Messe ist zu E n d e " ) , z u m a n d e r e n als Partizip verstanden w e r d e n k o n n t e . D a die W e n d u n g philologisch keine u n m i t t e l b a r e E v i d e n z besaß, mussten sie die K o m m e n t a t o r e n mithilfe s a c h l i c h - t h e o l o g i scher E r w ä g u n g e n erklären. D i e hier g e g e b e n e n E r k l ä r u n g e n g e w ä h r e n deshalb b e s o n d e r s klaren Einblick in ihr G r u n d v e r s t ä n d n i s der Messe. 583 N M A 2 0 1 , 1 2 - 1 5 . D i e F o r m u l i e r u n g zeigt, dass die G l ä u b i g e n a u c h an der Messe als O p f e r beteiligt g e d a c h t w e r d e n . Freilich w e r d e n sie n i c h t als S u b j e k t d e r H a n d l u n g , s o n d e r n als N u t z n i e ß e r e i n b e z o g e n . D a m i t scheitert m . E . die e i n f a c h e G e g e n ü b e r s t e l l u n g bei V. REINBURG, L i t u r gy, 532: „ F r o m e v i d e n c e of v e r n a c u l a r treatises as well as the c e r e m o n i e s themselves, it is clear that t h e laity's mass was less sacrifice and sacrament t h a n a c o m m u n a l rite of greeting, sharing, giving, receiving, and m a k i n g p e a c e . " 582

§2

Geschichtliche

Konkretionen

des

Messopfergedankens

159

Die Messe wird hier also mit einer Opferhandlung gleichgesetzt, bei welcher der priesterliche Aktant die Gabe Christus dem Adressaten Vater opfert, wobei er und die Messteilnehmer die Begünstigten dieses Opfers sind. 584

3.3.3

Die Gebete als

3.3.3.1

Das allgemeine

Opfergaben Gebet für Kirche und

Obrigkeit

Die Fürbitten des Inprimis fanden seit dem 4. Jahrhundert 585 Eingang in das H o c h gebet. Sie schieben sich zwischen das Te igitur (Bezeichnung der Opfergaben, Annahmebitte) und das Quam oblationem, welches um die Heiligung der Gaben bittet. Der in der Darbringung der Schöpfungsgaben zum Ausdruck gebrachte Dank blickt damit einmal zurück auf das Schöpferhandeln Gottes, zum anderen eignet ihm ein impetratorisches, prospektives Moment, welches den Dank nicht nur als Reaktion, sondern als Vorbedingung eines Zieles verstehen lässt. Die Fürbitten werden zunächst allgemein ausgerichtet, als Begünstigte des Dankgebetes wird die ganze Kirche genannt, um deren Einheit, Schutz und Frieden gebetet wird. Dann wendet sich der Blick auf die gesellschaftliche Hierarchie. Genannt werden Papst und Bischof, die als Hirten der Kirche aufzufassenden 586 cultoresßdei und Vertreter der weltlichen Obrigkeit. Die Bitte um Schutz und Frieden zeigt zunächst deren Ordnungsfunktion an, 587 zugleich aber kann ein Bezug dieses Opfers zum individuellen Heil hergestellt werden. So deutet N M A die demütige Bitte des Supplices soteriologisch. 588 Der retrospektive Aspekt des Dankes tritt zurück, und das Opfer erscheint als eine Aufwendung für das Heil. 5 8 9 Offensichtlich markiert es den Wendepunkt von einem erzürnten, dem Menschen feindlich gegenüber stehenden Gott zum schützenden Herrn der Kirche. 5 9 0

584

D e m entspricht auch die liturgische R e g e l „ C u m altari assistitur, Semper ad Patrem diriga-

tur o r a t i o " (zitiert nach J . A . JUNGMANN, M S 2, 1 1 5 , dort kursiv). D e r Altar als O p f e r o r t wird stets mit d e m Vater als Adressaten verbunden. 585

J . A . JUNGMANN M S 2, 1 8 5 . B e i Justin finden sich die Fürbitten n o c h nicht i m Opferteil,

sondern als Abschluss des Wortteiles. 586

S o J . A . JUNGMANN, M S 2 ,

587

N M A kann die B i t t e als eine Forderung nach G e h o r s a m g e g e n ü b e r der O b r i g k e i t auffas-

190f.

sen: „ A b e r es seyn gar vil der m e n s c h e n , die da thun wider G o t den almechtigen; die also wider ir o e b e r n n m u e r m e l n n und reden seyn und in auch nicht gehorsam seyn woellenn, das d o c h seyn m u ß , woellen wir anders G o t wolgevallen." A . a . O . , 131, 27—30. 588

„ H i e wird gemerckt die demuetige auffbppferung. U n d es zymbt wol d e m gebet, das es

volbracht werd in demuetikeyt, wann w a r u m b es ist notturfftig d e m bittenden, das er sich d e m u e tige vor dem, der in erhoeren sol. D a r u m b [...] bitten wir dich u m b so vil zu den dingen, der wir pruch haben und b e g e r n n so vil die ding, die uns nuetz seyn und notturffig zu unser sele selikeyt." N M A 126, 8 - 1 4 . 589

„In diesen Worten [sc. d e m in primis] wirt bedeut die b e g e r u n g des heyles, dorfuer man die

ding aufoppffert, und w i e gut das ist, aufFzeoppfern die ding fuer die kirchen, das ist: fuer ir h a u ß gesind." N M A 1 2 8 , 2 8 - 3 0 . 590

N M A 1 2 8 , 35—38: „Des ersten, so spricht er: die ding, die wir dir oppfernn — das, so er nent die

oppfer hec dona, hec munera etc. —, in denen w i r dich erzuernt haben. U n d nun fueran begeren wir dich zehaben zu e i n e m b e s c h i r m e r deyner heyligen kirchen, die von dir berueft und erweit // ist."

160 3.3.3.2

Erster Teil:

Voraussetzungen

Die namentliche Fürbitte für einzelne

Begünstigte

Im anschließenden Memento vworum5>)l werden die allgemeinen Fürbitten durch eine namentliche Nennung der Begünstigten dann individualisiert. Deutlich wird als Zweck der Opferhandlung das persönliche Heil genannt. Namentliche Erwähnung fanden in diesem Zusammenhang zunächst nur diejenigen, die selbst auch Gaben darbrachten. 592 Offensichtlich liegt also der Akzent weniger auf den Gaben selbst als auf den Gebern. Sie verbinden ihre Darbringung mit einem Anliegen an den Adressaten und machen so die impetratorische Ausrichtung der Handlung deutlich. 593 Praktisch indes war es nicht möglich, alle Teilnehmer der sonntäglichen Gemeindemesse namentlich zu nennen, hier war eine Auswahl zu treffen. Dies setzte wiederum Kriterien voraus, was zu einer Gewichtung der Gaben führte und die Perspektive der Werthaftigkeit in die Opferung eintrug. 594 Diese B e trachtungsweise lässt die Namensnennung bei der Opferung dann als ein R e c h t erscheinen. Die impetratorische Ausrichtung der Handlung begünstigt die inflationäre Anlagerung von Namen, so dass summarische Nennungen Einzug halten oder besondere Auswahlkriterien wie die Stiftung 595 oder die Stellung zum Priester 596 zusätzlich eingeführt werden müssen. Diese Möglichkeit einer besonderen 591 N M A 132, 28—34: „Herre, biß ingedenck deyner diener und dienerin etc. und aller der, die hie umb standt, und mercke ir andacht: der, fuer die wir die aufoppfernn oder die dir aufoppfernn das heylig oppfer des lobs fuer sie und fuer alle die iren; umb die erloesung wille irer sele, umb hoffnung des heyls und in gesuntheyt antwurten sie dir ire andacht, dir dem lebendigen und ewigen waren G o t . " 5 9 2 A u f diese Verbindung von Namensnennung und Darbringung legte vor allem die fränkische Adaption der römischen Liturgie Wert. So heißt es im canon 51 des Konzils von Frankfurt (794): „ D e non recitandis nominibus antequam oblatio ofFeratur" Zitiert nach J . A . JUNGMANN, M S 2, 2 0 0 , A n m . 20. 5 9 3 Vgl. J . A . JUNGMANN, M S 2, 196: „Von den Verstorbenen ist im öffentlichen Gottesdienst, wie wir noch sehen werden, zunächst nicht die R e d e . Das hängt damit zusammen, daß der Ausgangspunkt von Namensnennungen hier die Darbringung der Opfergaben durch die Gläubigen war. Ihre Gaben sollten in einem besonderen Gebet Gott anempfohlen werden, was zunächst in der oratio super oblata geschah. Darüber hinaus wird nun auch noch innerhalb des Kanons gebetet, Gott möge derer gedenken, qui tibi offerunt hoc sacrißcium laudis."

594 J . A . JUNGMANN, M S 2, 197: „Im gewöhnlichen Gemeindegottesdienst wird es sich in der R e g e l nur um Namen gehandelt haben, die durch eine besondere Oblation über die liturgische Darbringung von Brot und Wein hinaus zu einer Hervorhebung Anlaß gaben." 5 9 5 Als ein solches Kriterium gilt z.B. der mit einem Messstipendium verbundene Auftrag eines besonderen Gedächtnisses. Johann BELETH gibt in seiner ,Explicatio' den R a t , diese Nennungen zu bevorzugen: „addemus nulli hic [sc. in canone] concessum esse aliquid vel detrahere vel addere, nisi quandoque nomen illorum, pro quibus specialiter aut nominatim offertur sacrificium." Zitiert nach J . A . JUNGMANN, M S 2, 2 0 2 , dort kursiv. 5 9 6 N M A 134, 1 2 - 1 3 5 , 2 4 nennt neun Begünstigte der Fürbitte: zunächst den Priester selbst, dann seine Ekern und Freunde, seine Gönner und seine Feinde, den Pfründenherren und die Messstifter und schließlich alle Menschen, insbesondere die Gemeindeglieder und die anwesenden Messbesucher. Die Bitte für die Feinde leitete sich aus den Seligpreisungen her. Zunächst konnte für die Bekehrung der Feinde und ihr Heil gebetet werden. Dann aber wandeln sich die Titel der Votivmessen: Nicht mehr nur pro inimicis oder pro pace, sondern contra adversantes und contra invasores heißt es. Das Gedächtnis der Lebenden und mit ihm die (private) Messfeier wird damit auch zum Ausdruck gesellschaftlicher oder persönlicher Feindseligkeiten. Vgl. dazu J . BOSSY, mass, 3 9 f .

§2

Geschichtliche Konkretionen des Messopfergedankens

161

Erwähnung Einzelner war nun zu vermitteln mit der gemeindlichen Ausrichtung der Messe, ihrem Commwnio-Aspekt. N M A bestimmt nach einer Aufzählung der gesondert zu erwähnenden Begünstigten dieses Verhältnis wie folgt: Und derselben allen vergist er [sc. der Priester] nymmer nicht; wann er das vor allen dingen schuldig ist, er hab halt messe, wo er woel. Und darnach mag er denn Got wol biten für die, die in gebeten haben, messe zelesen. Denn es ist ein solches freyes gemeines gut, das nyemant eygnen in der eynigkeyt kan, allein zu haben. Als da eyner Sprech: lieber herre, leset fuer mich allein ein messe - des bit ich euch - , fuer mein suende, und bittet sunst fuer nyeman änderst denn fuer / / mich; welcher solches bete, auch welcher priester solches verhieß, die beid teten groeßlich wider Got und irer sele heyl. Wann das ist ein gemeyn gut in hymel und auf erden, fuer lebent und fuer tod. 597 Der Gemeinschaftscharakter der Messe wird hier also nicht so verstanden, dass er eine besondere Z u w e n d u n g an Einzelne ausschlösse. Die priesterliche Fürbitte kann zwar nicht individualisierend monopolisiert werden, aber das Gemeinschaftsm o m e n t begegnet hier doch eher als Ausweitung des Kreises der Begünstigten und weniger als Grundbestimmung der Messe. Auch das zweite laikale Opfer, das O p fer der Gebete, bedarf ferner der Vermittlung. So wird das priesterliche Kollektengebet nach dem Introitus nicht als zusammenfassender gleichberechtigter Beitrag den Vorbereitungsgebeten der Gläubigen additiv zugeordnet, sondern durch dieses priesterliche Gebet werden die Anliegen der Gläubigen erst vor Gott gebracht. 5 9 8 Deshalb stellen die Messerklärungen an dieser Stelle vor allem die m e diatorische Funktion des Priesters heraus, wenn sie ihn als für das Volk gesandten Boten oder direkt als Opferaktanten bezeichnen. 5 9 9 Das hier zu Grunde liegende Opfermodell unterscheidet sich von der sakramentalen Opferkonstellation also nur hinsichtlich der Opfergabe, die nun in den Gebeten der Gläubigen bzw. den Priestergebeten 6 0 0 und nicht mehr im Leib Christi besteht. 601

Zusammenfassung

des zweiten Paragraphen

Im R a h m e n des (neu)platonischen Artikulationshorizonts profilieren die im Stichwort der „Eucharistischen Aktualpräsenz" zusammengefassten Messopfermodelle der Alten Kirche zwei Elemente: Die Selbstdarbringung der Aktantin Gemeinde in Brot und Wein (Differenz) und die Christusgegenwart in deren Memorialhandlung (Einheit). Die multidimensionale Wahrnehmung der eiixapuma lässt eine

597

N M A 134, 32-135, 8. Entsprechend wird das A m e n des Chores als Wunsch gedeutet „das war werde, das der priester gebeten hat." N M A 64, 7. 599 Vgl. Hansjosef GOEHTZ, a.a.O., 170. 600 So soll der Priester zur Evangelienlesung sprechen: „Herre, ich sende zu dir auf mein gebet fuer dein angesich, als das angezunte riehen u n d die aufhebung meiner hende des spaten oppfers." N M A 75, 8 - 1 2 . 601 Entsprechend wird die Kollekte auch als „gebet für das gemein volck" bezeichnet (PI 14, Bl. Ir, zitiert nach Hansjosef GOERTZ, a.a.O., 171, H e r v o r h e b u n g W.S.) bezeichnet. 598

162

Erster Teil:

Voraussetzungen

Näherbestimmung im Sinne der kontroverstheologischen Fragestellung der R e formationszeit aus historischer Perspektive als Anachronismus erscheinen. So erlaubt die Einbettung der an die Gemeinde gerichteten Einsetzungsworte in das an den Vater gerichtete Eucharistiegebet keine eindeutige Festlegung der sakramentalen Geschehensrichtung und ist folglich offen für eine Näherbestimmung des Verhältnisses von Christus und Kirche im Sakrament. Daher bleibt auch die Verbindung von Dank bzw. Selbsthingabe der Gemeinde und der Selbstvergegenwärtigung Christi unbestimmt, ein Bedingungszusammenhang wird nicht ausgeschlossen. Infolge veränderter ontologischer Voraussetzungen erklärt sich die Realpräsenz Christi für die Messopferkonzepte der mittelalterlichen Kirche aus der priesterlichen Rezitation der Einsetzungsworte über den Elementen. So können die nach den uerba situierten Opferaussagen auf den gegenwärtigen Christusleib bezogen werden, eine Entwicklung, welche die Abspaltung der Präfation vom Kanontext unterstützt. Damit steht ein Messopfermodell vor Augen, welches das Opfer des Christusleibes an den himmlischen Vater durch den geweihten Priester beschreibt. Mit diesem Modell korreliert eine Konzentration auf den Priester (zu ungunsten der liturgischen Aktivität der Gemeinde), eine verstärkte Wahrnehmung des Vaters als des Adressaten des Kreuzesopfers (zu Gunsten eines Satisfaktionsmodells) und eine literal-dinglich orientierte Sakralitätsvorstellung (auf Kosten einer aktualdynamischen Ausrichtung). Innerhalb dieses Vorstellungsrahmens lassen sich für die Frömmigkeit vier charakteristische Konkretionen exemplarisch benennen: Einmal beschränkt schon die Unverständlichkeit der lateinischen Messtexte die Messwahrnehmung der Gläubigen auf die visuell oder haptisch einholbaren Dimensionen des Geschehens. Damit tritt das Wort als Kommunikationsform zu Gunsten des einen „natürlichen" Verweiszusammenhang transportierenden Zeichens zurück, die Messe wird zu einer allegorischen Inszenierung des Christusgeschehens. Als solcher kann ihr auch ein Heilswert attribuiert werden. Die Möglichkeit eines Verdienstes vor dem Vater begründet sich aus der Identität mit dem Kreuzesopfer (Opfergabe Leib und Blut Christi), die Grenze dieses Wertes wird aus der Besetzung der Aktantenrolle durch Kirche und Amtsträger, der empirischen Tatsache zahlreicher Messfeiern oder der Aufnahmekapazität der Messteilnehmer abgeleitet. Die H ö h e des Wertes wird dann in differenzierter Weise vom Status des Aktanten, der Anzahl der Begünstigten und der Disposition der Messteilnehmer beeinflusst. Der Einbezug der Disposition in die Messwirkung weckt Skrupel und die Furcht, sich wegen unwürdiger Kommunion zum Gericht zu essen. Diese Scheu führt zu einem Rückgang der Laienkommunion. Eine zweite Wurzel dieser Entwicklung liegt im Sakralitätskonzept. Weil ,Heiligkeit' als Objekten anhängende, durch Berührung mit dem Unrein-Profanen verlierbare Eigenschaft gedacht werden kann, erscheint die Sakralität als eine Sphäre des Schutzbedürftigen und Gefährdeten. Der Kontakt mit dem Heiligen vollzieht sich daher im Bewusstsein einer möglichen Profanisierung und den entsprechenden Sanktionen. Der Messwert selbst konkretisiert sich noch einmal in der R e d e von den Früchten der Messe, die

§2

Geschichtliche Konkretionen

des

Messopfergedankens

163

auch in den elementarsten Bereichen menschlichen Lebens aufgespürt werden, was freilich nicht ohne theologische Kritik bleibt. Die Konzentration auf das priesterliche Opfer lässt die Präsenz der Gemeinde als konstitutives Merkmal der Messe verblassen und unterstützt im Gegenzug die mit dem N a m e n Gregors des Großen verbundene Privatmesse, deren Wert nach dem Vorbild der Tarifbuße auch Dritten zugewendet werden kann. Die Form der Votivmesse verspricht dann, durch eine Konzentration des Messwertes einzelne A n liegen zu befördern. Unter diesen nimmt die liturgische Totenfursorge eine Spitzenstellung ein. Der Zusammenhang mit der seit dem 12. Jahrhundert dramatisierten Fegefeuervorstellung ist dabei offenkundig. Schließlich ermöglicht die somatische Bestimmung der Realpräsenz eine Verehrung der konsekrierten Hostie, woraus sich der Brauch der Elevation entwikkelt. Die Elevationsfrömmigkeit ist insofern ein Brennpunkt der spätmittelalterlichen Eucharistiefrömmigkeit, als in ihr die punktuell verstandene Konsekration (Wandlungsmoment), die Visualisierung der Messwahrnehmung, die N o m i n i e rung des Vaters als des Adressaten der Messe und die StatusdifFerenz zwischen Amtsträger und Gemeinde im Sakramentsgeschehen ihren sinnenfälligen Ausdruck finden. 3. Die spätmittelalterliche Messauslegung ,Messe singen oder lesen' bestimmt die Kirche als den O r t des Messopfers zunächst als einen der Profanität entzogenen Bereich. Der Ausschluss von Gewalt, Tod, Sexualität und religiös devianten Identitäten aus diesem Bereich zeigt dessen Funktion als O r t der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung angesichts irritierender Variation, als O r t des Kontrollgewinns über Gefährdungspotenziale und als Ort der Einübung weltversichernder Kontinuitäten in Anbetracht der Kontingenz des Alltags. Als Garant einer in diesem Sinne gelingenden Unterscheidung zwischen Profanität und Sakralität wird die kirchliche Hierarchie nominiert. Innerhalb der Messe kann die Sakralität dann in verschiedenen Graden wahrgenommen werden, wobei die zunehmende Nähe zum Heiligen auch höhere Reinheitsanforderungen stellt. Insbesondere vom O p feraktanten wird die Repräsentabilität der Lebensintegrität gefordert. Diese konkretisiert sich in seiner körperlicher Unversehrtheit, seiner Abstinenz von Sexualität, Gewalt und Tod, der Observanz der kirchlichen Hierarchie (Bischofsgehorsam) sowie der Einhaltung von Grundstrukturen der sozialen O r d n u n g (gebilligt vom Lehensherren, auskunftsfähig über eheliche Geburt). Das Messopfer vollzieht diese solchermaßen qualifizierte Person dann nach wiederholten Reinigungsriten zusammen mit dem Opferpriester Christus als Mittler fiir die Gemeinde. Dabei sichert die in der Weihe verliehene transsubjektive potestas sacrificandi die Gültigkeit des sakramentalen Vollzugs gegen eine möglicherweise unzureichende Moralität, von welcher allerdings die Erhörung der priesterlichen Fürbitten abhängt. Die Laien bereiten Gott einen inneren Tempel, in den seine Gnade j e nach Grad der Dankbarkeit einzieht, der aber unbewohnbar bleibt, wenn die Erbauer sich im Stand der Todsünde befinden. Dieser Beschränkung auf eine für das äußere liturgische Geschehen nicht konstitutive innere Beteiligung entspricht andererseits eine zunehmend im ökonomischen Sprachspiel artikulierte Abhängigkeit des Priesters

164

Erster Teil:

Voraussetzungen

von laikalen Stiftern und Stifterinnen, welche auf diesem Wege eine sogar namentliche Erwähnung erreichen können und damit das Modell einer ökonomisch formulierten Individualität illustrieren. Die Christologie dieser Messauslegung hebt das Leiden der menschlichen und gerade nicht der göttlichen Natur Christi hervor, der Vater kommt immer wieder als Adressat des Kreuzesopfers in den Blick. Diese Skizze der spätmittelalterlichen Messopfertheologie suchte vor Augen zu fuhren, innerhalb welchen Rahmens Luthers Kritik an „dem" Messopfer, aber auch das von ihm entwickelte Messopferkonzept selbst zu stehen kamen. Dabei wurde deutlich, dass die Messopferthematik nicht nur im Zentrum der eucharistischen Frömmigkeit stand, sondern aus theologischer Sicht auch eine reiche Fülle christologischer, soteriologischer und ekklesiologischer Implikationen bereithielt. Inwiefern diese nun auch Luthers Position formten, soll das folgende Kapitel zeigen.

Z w e i t e r Teil

Genese und Gestalt der Messopfertheologie Martin Luthers

Die Aufgabenstellung dieses Kapitels legt es nahe, nicht systematisch nach inhaltlichen Gesichtspunkten, sondern chronologisch, nach der Reihenfolge der Publikationen vorzugehen. Darin unterscheidet sich der gewählte Aufbau von den beiden größeren Arbeiten zum Thema von V A J T A 1 und W I S L 0 F F 2 , die beide rein systematisch konzipieren. Es verbindet sich damit die Hoffnung, dass ein chronologisches Vorgehen der Entwicklung von Luthers Messopfertheologie deutlicheres Profil verleiht. Z u m anderen ermöglicht erst eine zeitlich differenzierte Darstellung von Luthers Messopfertheologie Einblick in deren Rezeption. 3 Diese Entscheidung impliziert allerdings eine Beschränkung der Quellengrundlage. So werden hier vor allem diejenigen Schriften verhandelt, welche sich der Thematik ausfuhrlich und breitenwirksam widmen. Dieser Verzicht auf eine Vollständigkeit erstrebende Zusammenstellung aller erreichbaren Zitate begründet sich aber nicht nur praktisch, sondern auch hermeneu tisch. D e n n gerade angesichts des bekanntermaßen uneinheitlichen und spannungsreichen Befunds dürfte es nicht sinnvoll sein, einzelne Äußerungen Luthers aus ihrem Kontext herauszubrechen und neu zu kombinieren. Aussichtsreicher erscheint hier die Konzentration auf den G e samtduktus einer Schrift. Im Sinne eines ,Canonical approacti soll deshalb der Architektur der jeweiligen Schriften 4 besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Weil die Messopfertheologie 5 Luthers nicht nur als bloße Reaktion auf vorhan1

Die Theologie des Gottesdienstes bei Luther, Göttingen 1952. Abendmahl und Messe. Die Kritik Luthers am Messopfer, Berlin — Hamburg 1969 (norw. 1957). 3 Die Differenz zwischen Luthers Theologie des Gottesdienstes und seiner praktischen Liturgik (vgl. dazu H . - C . SCHMIDT-LAUBER, Gottesdienstverständnis, 325) lässt es dabei vertretbar erscheinen, sich auf Luthers grundlegendes theologisches Konzept zu konzentrieren und seine G o t tesdienstformulare auszublenden. Ohnehin verzichtet er dort mit der Streichung des Kanontextes auf die Opferqualifikation der Messe. 4 Diese Überlegung bezieht sich auf die Publikationen Luthers ab 1518, seine Vorlesungen erlauben natürlich kein derartiges Vorgehen. 5 Hinzuweisen ist vorab auf eine unterschiedliche Verwendung des Opferbegriffes bei Luther. Er spricht einmal vom Messopfer, wenn er das Verständnis des Altarsakramentes als Gabe an Gott meint. Z u m zweiten benützt er den Begriff, wenn er von theologisch relevanten menschlichen Aktivitäten in der Messe (also nicht der Messe selbst als Sakrament) spricht, etwa von den Gebeten 2

166

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

dene Missbräuche, 6 sondern vielmehr auch als stringente Entfaltung seiner T h e o logie zu begreifen ist, hat sich das Augenmerk dabei zum ersten auch auf die theologischen Querverbindungen zu richten. Hier geht es einmal um die Christologie: W i e verhält sich die Vorstellung des Opfers Christi in der Messe zum solus Christus? Sodann um die Soteriologie: W i e verknüpft Luther Aktivität Gottes und Aktivität des Menschen? Und schließlich um die Sakramentstheologie: W i e verbinden sich die Gegenwart des Gekreuzigten und die Opfervorstellung? Zum zweiten gilt es, Luthers Auseinandersetzung mit dem Messopfergedanken nicht nur unter dem Gesichtspunkt der negativen Reaktivität wahrzunehmen. 7 Dies droht, entweder Luthers Konzept auf einen bloßen Reflex auf praktische Missstände zu verkürzen oder aber einer vereinfachenden Identifikation von Messopfertheologie und Messopferkritik bei Luther Vorschub zu leisten. Auch dieser Aspekt legt es daher nahe, nicht unvermittelt mit der entfalteten Messopferkritik der 20er Jahre einzusetzen. Der „Spezialfall" Messopfertheologie darf nicht von Luthers (sakraments)theologischer Entwicklung abgetrennt werden. Schließlich zeigt sich auch die enge Verbindung zwischen Luthers theologischem Konzept und seiner Haltung in der Frage der Messreform, denn beide erhellen einander. Dieser Zusammenhang lässt es als sinnvoll erscheinen, die Darstellung Luthers nicht auf seine Messtheologie zu beschränken, sondern zu prüfen, inwiefern der Messreformer dem Messtheologen Luther verpflichtet bleibt. Da die diesbezüglichen Schriften allesamt in engem Zusammenhang mit den Wittenberger Ereignissen stehen, werden sie im dritten Kapitel berücksichtigt. und den Gaben für die Armen. U n d drittens verwendet er den Opferbegriff in einem uneigentlichen Sinne, wenn er Zusammenhänge oder Phänomene beschreibt, die in seiner Theologie den Platz des Messopfers einnehmen, etwa das „Predigtopfer". 6 Diese Sicht auf die Messopfertheologie Luthers favorisieren vor allem diejenigen Publikationen, welche davon ausgehen, dass das Wesen der Messe und des Sakramentes mit Hilfe der Opferqualifikation zutreffend beschrieben werden kann. Vgl. etwa das Konzept Ferdinand PRATZNERS, der seiner Arbeit die Leitfrage zu Grunde legt „Ist die Eucharistiefeier ein aktuelles, sichtbares O p fer oder das Gedächtnis eines vergangenen Opfers?", a.a.O., 16, oder Hans Bernhard MEYER, der seine Arbeit nach dem liturgischen Ablauf der römischen Messe aufbaut und so Luther zwangsläufig aus der Position eines von diesem gerade abgelehnten Vorverständnisses wahrnimmt. Auch für FITZPATRICK, Eucharistie sacrifice, 146, griff Luther zuerst die Praxis („concrete reality") an, um dann erst den überlieferten Glauben zu attackieren. 7 Sowohl PRATZNER („Die Krise der sakramentalen Idee") als auch WISLOFF („Luthers Kritik am Messopfer") betonen schon im Titel ihrer Arbeiten vor allem das negativ-reaktive M o m e n t der Messopfertheologie Luthers. Am härtesten formulieren HALMER und FRANZ, beide noch ganz im Ton einer kontroverstheologischen Auseinandersetzung. Halmer meint: „In Luthers theologischem System — wenn man bei Luther von einem System reden darf — hat das Messopfer keinen Platz." Der literarische Kampf Luthers und Melanchthons gegen das Opfer der heiligen Messe, D T 21 (1943), 63. Franz verwendet auf Luthers Messtheologie in seinem mehr als 7 0 0 Seiten umfassenden Standardwerk ganze 7 Seiten (313—319), wohl weil er sie für leicht zu widerlegen hält. Freilich verfehlt er m.E. die Stoßrichtung von Luthers Konzept völlig. So kommen die theologischen Motive von Luthers Kritik überhaupt nicht in den Blick. Franz meint, die Vorstellung, die Messe könne zur Sündenvergebung dargebracht werden, entkräfte bereits Luthers Vorwurf, das vorfindliche Messopferkonzept verdunkle die Sündenvergebung (315). Als theologische Argumente für die Seelenmessen führt Franz allein die Erscheinungen von Messen erbittenden Seelen und die Autorität Gregors d.Gr. an (317).

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

167

Die Messopfertheologie Luthers wurde bereits verschiedentlich behandelt. Wenn die Hauptaufgabe dieser Arbeit auch nicht in einer Neurekonstruktion liegen kann, so darf sie doch das bisher Erarbeitete nicht umstandslos voraussetzen. Dies gilt einmal für die große Untersuchung von Hans Bernhard MEYER.x Wie b e reits ihr Untertitel ausweist, nimmt sie Luthers Messtheologie vor allem unter liturgiewissenschaftlicher Perspektive wahr. Meyer sucht weniger die theologischsystematische Auseinandersetzung mit dem Opfergedanken. Der auf knapp 10 Seiten beschränkte Abschnitt trägt die etwas vereinfachende Uberschrift „Luthers Kampf gegen den Opfergedanken" (156—166) und referiert zwar den Inhalt der wichtigsten Schriften. Im Endeffekt beschränkt sich die Darstellung der Messopfertheologie aber auf den Testamentssermon, denn für M E Y E R wiederholt Luther in ,De captivitate' „nur klarer und ausführlicher dieselben Grundgedanken" (160) und hat mit dem Jahr 1520 „im wesentlichen die endgültige Form seiner M e ß theologie gefunden." (ebd). So muss man leider den von Meyer Luther attestierten mangelnden Ernst (161) in der Auseinandersetzung mit der Position der anderen „Konfession" teilweise an ihn selbst zurückgeben, denn Luther wird hier allein aus der Perspektive einer möglichen Einordnung in die mittelalterliche Messlandschaft wahrgenommen, wie bereits der Aufbau der Arbeit nach dem Verlauf der römischen Messe zeigt. So wird zwar der Standpunkt des Autors deutlich, der Zusammenhang zwischen Luthers Messopfertheologie und dem explizit reformatorischen Profil seiner Theologie tritt aber zurück. Luthers Position erscheint aporetisch und unversöhnlich: „Selbst die Idee von der Messe als Lob- und Gedächtnisopfer, die Luther ja selbst vertreten hatte [...], wurde letzten Endes von Luther doch nicht aufgenommen." Dass das Dankopfer einen klar bestimmten Platz in Luthers Konzept einnimmt, aber aus guten Gründen nicht zur Leitperspektive auf das Sakramentsgeschehen selbst gewählt wird, entgeht Meyer auf Grund der an Luther herangetragenen Prämisse, dass es beim Messopfer allein u m ein sakramentales Opfer gehe. Auch Ferdinand PRATZNER 9 versteht Luthers Messopferkonzept als Ergebnis einer mittelalterlichen (Fehl)entwicklung. Er ordnet den Wittenberger in den R a h men einer „Krise der sakramentalen Idee" ein, welche er im Verlust der Einheit von sakramentaler Gegenwart und Opfer Christi erblickt. Das gegenläufige, von Pratzner selbst vertretene Konzept, besteht dann in der Begründung des Opfercharakters der Messe aus dem in ihr vollzogenen sakramentalen Gedächtnis des Kreuzesopfers. Damit leitet sich die Opferqualifikation ganz aus dem Kreuzesopfer, nicht aber aus einem eigenständigen Opfervollzug im Sakrament ab. Das im M o dus des „wirklichkeitserfüllten, sakramentalen Gedächtnis[es]" 10 gegenwärtige Kreuzesopfer verbürgt hier also die Einheit von Kreuzes- und Messopfer. Dieses 8 Luther und die Messe. Eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung über das Verhältnis Luthers zum Meßwesen des späten Mittelalters, in: KKTS 11, Paderborn 1965. 9 Messe und Kreuzesopfer. Die Krise der sakramentalen Idee bei Luther und in der mittelalterlichen Scholastik, in: W B T h 29, Wien 1970. Vgl. die Aufnahme seines Modells bei B.W.A. ZIMMERMANN, Gott, 108f, Anm. 165. 1(1 A.a.O., 16.

168

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

explizit auf Max THURIAN und Joachim JEREMIAS" zurückgehende Konzept trägt Pratzner an Luther und die mittelalterlichen Quellen heran und weist deren Differenz zu diesem Entwurf auf. 12 So kommt er zu dem Ergebnis, dass Luther eine Anwendung allgemeiner, nicht im Kreuzesopfer gründender Opferbestimmungen auf die Messe ablehne. Dieser berechtigte Abweis habe aber zur Absage an das Messopfer überhaupt gefuhrt, weil Luther den nicht-sakramentalen Gedächtnisbegriffdes Spätmittelalters geteilt habe und folglich das Messopfer nicht als sakramentale Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers habe konzipieren können. Die Problematik dieses Vorgehens liegt in der umstandslosen Einordnung Luthers in die scholastische Tradition. Pratzner übersieht, dass dieselbe Konsequenz, nämlich die Trennung von Sakrament und Opfer, nicht auf denselben theologischen Voraussetzungen beruhen muss. So bleibt der Zusammenhang zwischen Luthers Messopferkonzept und seinen christologischen, soteriologischen und ekklesiologischen Hintergründen weitgehend ausgeblendet. Ein Durchbruch gelang hier der Innsbrucker Preisarbeit von Reinhard M E S S NER.13 Ausfuhrlich thematisiert er die Begründung von Luthers Gottesdienstauffassung in dessen Soteriologie und versucht, mit Hilfe der altkirchlichen Messtheologien Brücken zwischen Luther und dem Kanon zu schlagen. Dieses verheißungsvolle Vorgehen birgt aber bei allem Erkenntnisgewinn auch eine Gefahr, die sich schon in der Methodik begründet. Denn die aus der Liturgie der Alten Kirche erhobene trinitarische Struktur der Messe (Anamnese — Darbringung — Epiklese) ist so weit gefasst, dass von wichtigen konkreten und inhaltlichen Differenzen, die sich aus der j e eigenen Architektur der Messopfertheologien ergeben, abstrahiert werden kann. 1 4 Zum anderen müssen sowohl die Messopferkonzeptionen des Spätmittelalters als auch der Entwurf Luthers aus einem ihnen fremden Kontext heraus interpretiert werden. Die historische Perspektive steht hier deutlich hinter der systematischen zurück. Luthers Konzept wird zuerst mit den Augen der Alten Kirche gelesen und formuliert, und anschließend stellt sich die grundsätzliche Ubereinstimmung mit dem in gleicher Weise auf seine „eigentliche" Intention befragten Kanon ein. Auf diese Weise verschwimmt nicht nur der historische Abstand von beinahe tausend Jahren zu einer unmittelbaren Gleichzeitigkeit. Es droht A.a.O., 1 7 - 2 0 . Entsprechend gliedert sich die Darstellung Pratzners in vier Fragestellungen. Zunächst untersucht er die Spannung zwischen täglichem Messopfer und einmaligem Kreuzesopfer (I), dann fragt er nach den Verbindungsmodi Gedächtnis und Zeichen (II) bzw. sakramental gegenwärtigem Christus (III), um schließlich eine Trennung von Sakrament und Opfer (IV) zu attestieren. Die aneinandergereihten Zitate Luthers lassen dabei keine chronologische Ordnung erkennen. 1 3 Die Meßreform Martin Luthers und die Eucharistie in der Alten Kirche. Ein Beitrag zu einer systematischen Liturgiewissenschaft, Innsbruck — Wien 1989. Vgl. dazu die freundliche B e sprechung von Hans-Christoph SCHMIDT-LAUBER in T h R v 90 (1994), Sp. 6 7 - 6 9 . 1 4 Als ein Beispiel sei etwa der Begriff der Selbstdarbringung als personale Fassung des Messopfers angeführt. Während Luther darunter den Glauben versteht, begegnet der Begriff in hochmittelalterlichen Nonnenviten im Sinne der R e u e und „Tatbeweis des Gesinnungswandels in Form persönlicher Opfer, die als Sühne für die eigenen Sünden angerechnet werden sollen", B.W.A. ZIMMERMANN, Gott, 110. Damit verdeckt der Begriff die entscheidenden soteriologischen und bußtheologischen Differenzen. 11

12

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

169

auch die Präformation des Ergebnisses durch das Herantragen desselben Konzeptes an zwei sich selbst als Gegenpole verstehende Messopfertheologien. So kann aus der gemeinsamen Frontstellung von Luther und Alter Kirche gegen die Vorstellung eines priesterlichen Opfers von Leib und Blut Christi an den Vater ja noch nicht geschlossen werden, dass der altkirchlich interpretierte Kanontext mit Luthers Konzept vereinbar sei. Gerade bei der Darstellung der vermeintlich u n u m strittenen Schnittmenge, wie etwa der Messe als Dankopfer, ist daher zu fragen, ob der Dank innerhalb der jeweiligen Systeme nicht unterschiedlich zu stehen kommt. 1 5 Insbesondere Luthers Unterscheidung zwischen dem Menschen, ja der Schöpfung, als Cooperator dei und dem Alleinwirken Gottes zu unserem Heil wird hier wohl nicht scharf genug in den Blick genommen. Wie bereits H . - C h r . SCHMIDT-LAUBER kritisch anmerkte, ist im Blick auf das Mittelalter zudem zu fragen, ob der sakramental konzipierte Messopfergedanke tatsächlich nur ein nicht notwendiges Interpretament des Messgeschehens darstellt. 16

15

Vgl. zur Kritik an R . MESSNERS Ergebnis auch SCHWARZ, A n g e l p u n k t , 363. Dabei formuliert R . MESSNER genauer als SCHMIDT-LAUBER zitiert: „Das . M e ß o p f e r ' ist also keine f u n d a m e n t a l e Kategorie der Eucharistie w i e die Anamnese, s o n d e r n der .Opfercharakter' ist eine Möglichkeit, diese zu d e u t e n bzw. deren eigentlichen Inhalt auf den B e g r i f f z u bringen. D a ß die Messe ein O p f e r ist, ist also kein n o t w e n d i g e r Satz j e d e r Eucharistielehre, s o n d e r n I n t e r p r e t a m e n t eines umfssenderen Geschehens." A.a.O., 56f. R . MESSNER sagt hier also nicht mehr, als dass der Gehalt der Opfervorstellung auch durch andere Begriffe z u m Ausdruck gebracht w e r d e n kann, rüttelt aber nicht an der N o t w e n d i g k e i t des durch den O p f e r b e g r i f f bezeichneten Sachgehalts. 16

§ 3 Messe und Opfer in der frühen Sakramentstheologie der Vorlesungen A u c h in einer an der R e z e p t i o n Luthers interessierten U n t e r s u c h u n g k o m m t der Genese v o n Luthers Messopfertheologie B e d e u t u n g zu, insofern sie den Standort innerhalb seines theologischen Konzeptes erhellt. Erst w e n n Wesen u n d S t o ß r i c h t u n g seiner Kritik an der alten Messe feststehen, k a n n j a eigentlich erst erfragt w e r den, w o dieser Z u s a m m e n h a n g z u m ersten Mal b e g e g n e t . Deshalb empfiehlt es sich, zunächst breit anzusetzen u n d Luthers allgemeines Sakramentsverständnis zu e r h e b e n . Z u g l e i c h k o n f r o n t i e r t diese Fragestellung die U n t e r s u c h u n g m i t einer äußerst k o m p l i z i e r t e n u n d weitläufigen Forschungsdiskussion u m den j u n g e n Luther. Diese k a n n hier nicht referiert o d e r gar erweitert w e r d e n , geht es d o c h u m nicht m e h r als den Aufweis einiger Motive, die in der späteren Auseinandersetzung b e d e u t s a m w e r d e n sollen. Insofern besitzt dieser Paragraph eine h i n f ü h r e n d e Funktion.

1 Der Sakramentsbegriff in der Randbemerkung

zu

Augustin

E i n e der f r ü h e s t e n Q u e l l e n f ü r Luthers V e r w e n d u n g des Begriffes sacramentum sind seine R a n d b e m e r k u n g e n zu , D e trinitate' 4, 3 aus d e m Jahre 1509. AUGUSTIN versteht d o r t 1 d e n T o d Christi als sacramentum et exemplum. Luthers R e z e p t i o n 2 dieser F o r m e l lässt n u n Rückschlüsse auf seine Verhältnisbestimmung v o n Kreuzestod u n d Sakrament zu. Seine R a n d b e m e r k u n g weist folgende Gestalt auf: C r u c i f i x i o Christi est: sacramentum

significat sic crucem poenitenttiae in qua moritur anima peccato quia

exemplum

hortatur prò veritate corpus morti offerre vel cruci

D i e interpretatorischen G r u n d k a t e g o r i e n sind hier also die U n t e r s c h e i d u n g z w i schen Leib u n d Seele bzw. zwischen A u ß e n u n d I n n e n . F ü r die Seele b e d e u t e t der Kreuzestod, der S ü n d e in der B u ß e zu sterben, f ü r den Leib eine A u f f o r d e r u n g ,

1 2

4, 3, 5f; CChr 50, 165-169. WA 9, 18, 19-23.

§}

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

171

Tod und Leiden nicht zu scheuen. 3 Erwin ISERLOH4 zieht zum besseren Verständnis eine andere Randbemerkung Luthers hinzu. Diese lautet: Potest illud simplum alio etiam m o d o ad duplum comparari. redimat a n i m a m a m o r t e , sie per m o r t e m suam m o r t e m m o m o r d i t . U t mors faciat a n i m a m m o r i peccato, ut sie sumus crucifixi m u n d o et mundus nobis. 5

Seine Deutung konzentriert sich nun ganz auf den zweiten Satz, den er als Verdeutlichung dessen begreift, was Luther unter sacramentum versteht. So kommt ISERLOH ZU dem Schluss, Luther sehe im Kreuzestod Christi ein Sakrament im Sinne eines in sich wirksamen {faceré) Zeichens, nicht nur eines Hinweises. 6 Eben in dieser Annahme sieht Iserloh das Neue, überwinde Luther doch ein nominalistisches Sakramentsverständnis durch Rekurs auf Augustin. 7 Weil ISERLOH auch beim reformatorischen Luther die Formel in eben diesem Sinne verwendet sieht, kann er Luthers Sakramentstheologie insgesamt als augustinisch erweisen. Dagegen macht Wolfgang SCHWAB8 allerdings geltend, dass die zweite Randbemerkung gar nicht mehr unter dem Aspekt sacramentum — exemplum stehe, und deshalb auch nicht zur Interpretation herangezogen werden könne. Nicht ein N e u verständnis der kirchlichen Sakramente strebe Luther hier an. Uber Augustin gehe er lediglich hinaus „indem er die Formel ,sacramentum et exemplum' auf das Kreuz einschränkt — während Augustin den Akzent mehr auf die Auferstehung legt und die Entsprechung des Kreuzes im Menschen verschärft. Auch Werner JETTER9 betont die Distanz zwischen Luthers Verständnis von sacramentum und dem der Tradition. Freilich hebt er nicht so sehr auf den Tod Jesu als Signum ejjicax und ein unmittelbares Neuverständnis der kirchlichen Sakramente als vielmehr auf ein schon hier fassbares Wirksamwerden der Passion eben durch das Wort und gerade nicht durch die kirchlichen Sakramente ab. 10 Deshalb sei hier beInsofern Augustin sich nur gegen die Angst vor dem Martyrium wendet, Luther aber sogar zum Leiden ermahnt, verschärft der Wittenberger den Wortlaut. 4 Sacramentum et exemplum. Ein augustinisches Thema lutherischer Theologie, in: R e f o r m a ta Reformanda 1, 2 4 7 - 2 6 4 . Vgl. auch M. LIENHARD, Zeugnis, 80, Anm. 36, der sich ISERLOHS G e samtinterpretation des sacramentum-Begriffes bei Luther gegen BIZER, JETTER und EBELING anschließt. 5 WA 9, 1 8 , . 2 5 - 3 0 . 6 Diese Deutung übernimmt auch F. MANN, Das Abendmahl beim jungen Luther, 30, Anm. 8: „E.ISERLOH interpretiert wohl mit R e c h t das,faciat' als eine verborgene, seinshafte Neuschöpfung durch Christus in uns, welche ein Verwachsensein mit Tod und Auferstehung Christi bewirkt [...]." 7 ISERLOH, a.a.O., 251: ,, [...] in Rückführung des SakramentsbegrifFes im Sinne der älteren Tradition auf Christus als Ursakrament überwindet Luther die Entleerung des Sakraments durch den Nominalismus und läßt zugleich die stark vom juristischen Denken bestimmte, als Satisfaktion verstandene Erlösungslehre zurücktreten zu Gunsten der in der Vätertheologie maßgebenden Auffassung von der Erlösung." 8 A.a.O., 50f. 9 Die Taufe beim jungen Luther, Tübingen 1954. 1 0 A.a.O., 139, Anm. 1: „Luther scheint hier mit .sacramentum' über die scholastische Dogmatik hinweg auf Augustin zurückzugreifen und ein andersartiges, gerade nicht in den Sakramenten

172

Zweiter

Teil: Genese

und

Gestalt

reits der Grundstein für die spätere Sakramentstheologie gelegt. Gegen diese drei Deutungen, welche vor allem das Neue und Zukunftsträchtige an Luthers Interpretation herausheben, akzentuiert Ernst BIZER" die Distanz dieser R e d e vom sacramentum gegenüber den kirchlichen Sakramenten. 1 2 Nicht eine Gnadengabe, sondern eine Erkenntnis bringe das Sakrament. Es „ist also die Heilstatsache selbst, sofern diese etwas bedeutet." 1 3 Und diese Bedeutung liege nun darin, dass die Seele der Sünde sterbe und der Mensch das Kreuz auf sich nehme. Damit lasse sich Luthers Sakramentsverständnis in den Randbemerkungen mit den Schlagworten „Bedeutungstheologie" 1 4 und „Demutstheologie" 1 5 kennzeichnen. 1 6 Oswald B A Y E R nimmt diese Beobachtungen auf. Er erhebt den Inhalt des bei Augustin sowohl als terminus technicus der Schriftauslegung begegnenden als auch das kirchliche Institut bezeichnenden Sakramentsbegriffes als „,Sinnbezug', ,Bedeutung': das was eine vor Augen liegende Gegebenheit an sich vorbei und über sich hinaus erkennen läßt". 1 7 Als solches übergreife der Sakramentsbegriffdie Alternative faktische oder signifikative Gegenwart der Passion 18 und bezeichne ein vorgängig geerfolgendes G e g e n w ä r t i g - und W i r k s a m w e r d e n der Passion Christi zu m e i n e n , nämlich ein durchs W o r t vermitteltes." 11

D i e E n t d e c k u n g des Sakraments durch Luther, in: E v T h 17 ( 1 9 5 7 ) , 64—90.

12

„Das ist für uns ein überaus seltsamer Sakramentsbegriff, o b w o h l er historisch natürlich

nicht so singulär ist, w i e es zunächst scheint. .Sakrament' ist nicht eine kirchliche Handlung, s o n dern die Kreuzigung Christi. Von d e m Handeln der K i r c h e ist dabei gar nicht die R e d e ; weder Priester n o c h Gottesdienst k o m m e n in den B l i c k . U n d das Sakrament gibt nicht in erster Linie e t was, sondern es vermittelt eine am K r e u z Christi zu g e w i n n e n d e Erkenntnis, die a u f einer b e stimmten D e u t u n g desselben beruht; w e n n ich sie m i r zu eigen m a c h e oder w e n n sie m i r von G o t t eingeprägt wird, so wird sie sich freilich auch als heilsame Erkenntnis auswirken." A . a . O . , 6 6 . 13

A.a.O., 66.

14

BIZER und BAYER verwenden diese B e z e i c h n u n g als G e g e n ü b e r zu einer ausgebildeten

W o r t t h e o l o g i e . W ä h r e n d eine „ B e d e u t u n g s t h e o l o g i e " n o c h eine zwischen Sache und W o r t vermittelnde Instanz benötige, b r i n g e für die „ W o r t t h e o l o g i e " das W o r t auch was es sagt, fielen W o r t und Sache zusammen. Diese Gegenüberstellung wird dort z u m P r o b l e m , wo sie den s o l c h e r m a ß e n definierten BedeutungsbegrifF mit dem BedeutungsbegrifF der Q u e l l e n t e x t e identifiziert. 15

D e r B e g r i f f trägt in der Diskussion u m die reformatorische W e n d e eine positioneile K o n n o -

tation, sofern er zur Charakterisierung von Luthers gesamter T h e o l o g i e bis 1 5 1 8 i m Gegensatz zur reformatorischen T h e o l o g i e des späteren Luther gebraucht wird (E.BIZER, M.BRECHT). D e s halb lehnen ihn diejenigen Forscher, die eine Frühdatierung vertreten, ab. Vgl. etwa B . LOHSE, Luthers T h e o l o g i e , 1 0 8 : „ D e r B e g r i f f der , h u m i l i t a s - T h e o l o g i e ' , den B i z e r flir die T h e o l o g i e L u thers in den J a h r e n bis 1 5 1 8 gebraucht hat, ist freilich überspitzt. E i n e derartige K o n s e q u e n z liegt bei Luther in der Frühzeit schlechterdings nicht v o r " . H i e r und i m Folgenden soll er aber nichts anderes besagen als die Konzentration a u f Selbstkritik und Selbstgericht des M e n s c h e n in der Frage nach d e m Heil. E i n e derartige Verwendung beurteilt auch LOHSE weitaus milder: „ S o l c h e S t e l len [sc. Scholie zu R o m 3, 2 2 ] haben m a n c h e Forscher veranlaßt, i m B l i c k a u f die R ö m e r b r i e f v o r lesung von einer h u m i l i t a s - T h e o l o g i e zu sprechen [ . . . ] . O h n e dass das G e w i c h t derartiger Aussagen Luthers in Abrede gestellt werden darf, m u ß aber d o c h gesehen werden, daß n e b e n diesen Stellen auch ganz anders klingende Aussagen b e g e g n e n . " A . a . O . , 8 6 , vgl. auch 6 8 . 16

Bereits hier zeigt sich die K o n z e n t r a t i o n a u f eine bestimmte W o r t t h e o l o g i e als K r i t e r i u m

dessen, was als „ r e f o r m a t o r i s c h " gelten soll. 17

A . a . O . , 8 1 , unter Verweis a u f , D e doctrina christiana' 2, 1, 1.

18

„ D e r B e g r i f f , s a c r a m e n t u m ' belegt sozusagen den W e g v o m Z e i c h e n zur Sache, schließt b e i -

des zusammen. U n d so b e w i r k t das Z e i c h e n auch, was es bedeutet. So besteht kein Gegensatz z w i schen .facere' und ,significare' — weder bei Augustin n o c h b e i m frühen L u t h e r . " A . a . O . , 8 1 f.

§3

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

173

setztes Verhältnis. BAYER begründet die Einheit von faktischer und signifikativer Verbindung von Christi und unserem Kreuz also primär im Sakramentsbegriff selbst und nicht durch die von ihm allerdings ebenfalls vertretene Kombination ISERLOHS mit demfacere von WA 9, 18, 2 5 - 3 0 . Insofern trifft ihn SCHWABS Kritik an ISERLOH nicht. Im Gegensatz zu letzterem berücksichtigt er zudem die Sinnverschiebung der Formel 1 9 vom frühen zum reformatorischen Luther und kann ausgehend von T R 5, 216, 26—31, Nr. 5526 aufzeigen, dass Luther sich später „gegen Augustin auf Augustin" beruft. 2 0 Folglich ist beider Sakramentsbegriff nicht unbesehen zu identifizieren. Damit scheitert auch eine allzu eilige Beurteilung von Luthers Sakramentstheologie als bloßer Wiederentdeckung Augustins. Insgesamt wird man wohl Wolfgang SCHWAB21 darin R e c h t geben müssen, dass die Randbemerkungen weniger einen „Sakramentstext Luthers" darstellen als vielmehr ein Zeugnis der entstehenden Demutstheologie. Dabei kommt der Aufnahme der augustinischen Unterscheidung zwischen sacramentum als Heilszeichen im weiteren Sinne und sacramentum als kirchliche Institution im engeren Sinne insofern Bedeutung für die spätere Sakramentstheologie zu, als diese Differenzierung gegen eine exklusive Bindung des Heils an die kirchliche Institution eingesetzt werden kann. Denn wenn sacramentum nicht gleichzusetzen ist mit dem Vollzug einer institutionell gebundenen Handlung, dann ist der Boden für eine N e u bestimmung des Verhältnisses von Heil und Kirche bereitet. Freilich lässt sich dies nur im Rückblick feststellen; 1510 dachte Luther gewiss noch nicht daran, das kirchlich-institutionelle Sakrament als einen Sonderfall des Wortgeschehens zu bestimmen. Den zweiten Schritt hin zu einer eigenständigen Sakramentstheologie geht Luther in der Psalmenvorlesung. Hier begegnen die Themen Opfer und Messe im Kontex der „Anfechtungskrise", 2 2 welche Luther in den Dictata zu verarbeiten suchte.

1 9 D a Augustin nur hier die Begriffe als scharf gefasstes Gegenüber verwendet, spricht BAYER, a.a.O., 80, nicht von einem „augustinischen Schema" wie ISERLOH, Sacramentum et exemplum, dies tut. Lässt sich das Begriffspaar sacramentum — exemplum 1509 noch als Zeugnis einer Demutstheologie erweisen, so zeigt der Abschnitt in der Tischrede, dass Luther das Sakrament nun nicht mehr in seiner Bedeutung auf die menschliche Demut appliziert, sondern ganz dem Erlösungsgeschehen Christi zuweist: „Sic distinguit Augustinus passionem Christi: Dicit esse duplicem, sacramentum et exemplum. Item nostram vocat simplam passionem, quam tantum exempli passio in nos convenit; Christi vero passionem vocat duplam, quia est sacramentum redemptionis et exemplum. Exemplo Christi nos conformes fieri opportet, sed sacramentum redemptionis esse non possumus; do sein wir zu gering dozu" Ebd. 2 0 A.a.O., 80, Anm. 284. 2 1 A.a.O., 51. 2 2 B. HAMM, Warum wurde für Luther der Glaube zum Zentralbegriffdes christlichen Lebens? In: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1996, ed. Stephen E. Buckwalter / Bernd Moeller, Gütersloh 1996, 1 0 3 - 1 2 7 , 115.

174

Zweiter

Teil: Genese und

2 Die erste Psalmenvorlesung

(15Í3—Í515)

Opfer im Kontext 2.1

Gestalt

einer Neubestimmung

Die erste Psalmenvorlesung als Kontinuität

— Sakrament, des und

Messe

und

Glaubensbegriffes Aufiruch

D i e s e K r i s e n e r f a h r u n g zeigt sich e i n m a l in L u t h e r s radikaler Skepsis g e g e n ü b e r d e n M ö g l i c h k e i t e n des M e n s c h e n : S o w o h l dessen E r k e n n e n als a u c h dessen ( m o ralisches) H a n d e l n verfehlt die W a h r h e i t G o t t e s . 2 3 D i e s e d e r t r a d i t i o n e l l e n T h e o logie d u r c h a u s geläufige E i n s i c h t g e w i n n t n u n i h r f ü r L u t h e r typisches Profil d u r c h e i n e totalisierende R a d i k a l i s i e r u n g : Sein ganzes L e b e n l a n g sei d e r M e n s c h v o r G o t t nichts anderes als e i n S ü n d e r , b e h a u p t e t er, a u c h die (sakramentale) R e c h t f e r t i g u n g ä n d e r e diesen Status n i c h t in e i n e r n a t u r h a f t - q u a l i t a t i v fassbaren Weise. F ü r das Verständnis dieses d ü s t e r e n Satzes ist e n t s c h e i d e n d , dass L u t h e r seine radikale H a m a r t i o l o g i e bereits in d e n Dictata n i c h t in d e r b l o ß e n E m p i r i e des tagtäglich, e t w a a m Ideal des perfectas s c h e i t e r n d e n M ö n c h s b e g r ü n d e t - dies w ä r e j a d e r A d e l s b r i e f f ü r das m e n s c h l i c h e E r k e n n t n i s v e r m ö g e n - , s o n d e r n i m r e t t e n d e n H a n d e l n G o t t e s selbst: Wahr ist deshalb, dass wir vor ihm immer in Sünden sind, damit er selbst nämlich in seiner Setzung und seinem Testament, die er uns gab, deijenige sei, der rechtfertigt. 2 4 W e n n n u n b e i d e s z u g l e i c h g e l t e n soll, dass d e r M e n s c h in S ü n d e n bleibt u n d d e n n o c h v o n G o t t g e r e c h t f e r t i g t w i r d , d a n n k a n n die G n a d e n i c h t als e i n e B e s c h a f f e n h e i t , als e i n e Q u a l i t ä t des M e n s c h e n g e d a c h t w e r d e n , sonst w ä r e d e r M e n s c h j a n i c h t m i t seiner g a n z e n P e r s o n S ü n d e r . U n d weil sich a u c h das S ü n d e r s e i n n i c h t in e i n e r B e s c h a f f e n h e i t des M e n s c h e n , s o n d e r n in G o t t e s Heilswillen b e g r ü n d e t , k ö n n e n Selbstanklage u n d D e m u t s b e t e u e r u n g e n die G n a d e n i c h t e v o z i e r e n : Deshalb ist hier deijenige der Größte, der sich selbst als der Scheußlichste und der Verruchteste erscheint, und nicht als der Demütigste. So liegt es in der Natur der Sache, dass er seine eigene Scheußlichkeit niemals erkennen würde, wenn nicht ein heiliges Licht ihn innerlich erleuchtete. Wen aber ein solches Licht trifft, der ist groß u n d j e heller [er erleuchtet wird], desto größer ist er. 2 5

23

Vgl. die Auslegung zu Ps 93(94), 9 in WA 4, 94, 1-6. „Quare verum est nos esse in peccatis coram ilio semper, ut scilicet ipse in pacto suo et testamento, quod nobiscum pepigit, iustificator sit." WA 3, 289, 5—7, Schol Ps 50(51),7. Vgl. auch WA 3, 292, 33—35, Schol Ps 50(51),12: „Semper enim in nobis est reliquum et reliquie peccatorum, scilicet inclinationis et motus mali ad iram, superbiam, gulam, accidiam, que sunt coram eo peccata, mala et damnabilia [...]." Vgl. auch WA 4, 84, 25-37, Schol Ps 91(92),3. In der Scholie zu Ps 110(111),1 legt Luther alles Gewicht darauf, dass das rechte Sündenbekenntnis gerade nicht in einer bloßen Selbstanklage bestehe, sondern im Lob Gottes: „ C o n f i t e b o r , scilicet duplici confessione laudis et peccati, quanquam confessio peccati sola sit nihil et mera perditio [...]. [Confessio laudis] est confiteri domino quoniam bonus, et dare gloriam eius bonitati per fidem et spem misericordie eius." WA 4, 238, 14—19. Diese Gotteslob kann er dann nicht nur als notwendigen Bestandteil, sondern auch als eigentliches Zentrum herausstellen: „Ergo utraque confessio necessaria est, et sunt due partes unius integralis confessionis. Sed melior pars est confessio laudis et dignior velut forma et lux." WA 4, 239, 1-3. 25 „Igitur Non qui sibi humillius videtur, sed qui sibi fedissimus et turpissimus videtur, hic est 24

§3

Messe und Opfer in der frühen

175

Sakramentstheologie

N i c h t als M i t u r s a c h e der R e c h t f e r t i g u n g , s o n d e r n als E r k e n n e n u n d Akzeptieren dessen, was vor aller m e n s c h l i c h e n Aktivität d u r c h Gottes Urteil g e g e b e n ist, t h e matisiert L u t h e r deshalb die D e m u t . D i e Verschränkung v o n bleibender S ü n d h a f tigkeit des M e n s c h e n u n d Gottes alleinigem Heilswirken f ü h r t ihn d a n n zu einer eigenständigen Position. Weil er die B e z i e h u n g u n d nicht die Qualität zur a n t h r o pologischen G r u n d k a t e g o r i e m a c h t , bleiben w e d e r die Selbstdemütigung des M e n s c h e n nach i n n e n n o c h seine Operativität nach a u ß e n K r i t e r i e n der R e c h t f e r tigung. W e n n aber das Starren nach i n n e n ebenso w i e die Betriebsamkeit nach a u ß e n ausscheiden, w e l c h e menschliche H a l t u n g w a h r t d a n n die B e s t i m m u n g G o t tes als des alleinigen Subjektes der R e c h t f e r t i g u n g („ iustificator ")? A n dieser zentralen Stelle steht bereits f ü r den L u t h e r der Psalmenvorlesung der Begriff Glaube. A n i h m w e r d e n paradigmatisch die Kontinuität des W i t t e n b e r g e r s m i t d e m Spätmittelalter u n d sein systemsprengender N e u a n s a t z deutlich. D e n n traditionell b e stimmte sich die fides26 als E m p f a n g der i m O f f e n b a r u n g s w o r t b e s c h r i e b e n e n g e wissen W a h r h e i t u n d war insofern extrinsisch w i e rezeptiv ausgerichtet. Diese M o m e n t e n i m m t L u t h e r auf, f o r m t aber zugleich d e n Glaubensbegriff u m : N i c h t n u r u m die kognitive A n e r k e n n u n g v o n L e h r i n h a l t e n g e h t es b e i m G l a u b e n , nicht u m ein in der i n n e r e n D e m u t o d e r d e n ä u ß e r e n W e r k e n erst n o c h Gestalt g e w i n nendes Anfangsgeschehen, s o n d e r n u m das Z e n t r u m des Gottesverhältnisses u n d des christlichen Lebens ü b e r h a u p t : „ L u t h e r bezieht die W a h r h e i t des Gotteswortes nicht n u r auf den kognitiven Bereich des M e n s c h e n , auf intellectus u n d ratio. Als u n m i t t e l b a r anredendes W o r t setzt es die gesamte Existenz des M e n s c h e n in B e w e gung; seine Wahrheit ergreift gerade auch das affektive Gefühlsleben der Seele." 2 7 So eignet diesem G l a u b e n als ein A b s e h e n v o n sich selbst eine N e g a t i v b e s t i m m u n g . Als Blicken auf Christus ist er zugleich aber auch inhaltlich klar definiert, hier k a n n L u t h e r die traditionelle B i n d u n g der fides an das O f f e n b a r u n g s w o r t a u f nehmen.

s p e c i o s i s s i m u s c o r a m d e o . E t r a t i o est, q u i a s u a m f e d i t a t e m n u n q u a m v i d e r e t , nisi esset i n t i m e i l l u stratus l u m i n e s a n c t o , sed h a b e n s tale l u m e n est s p e c i o s u s , e t q u a n t o c l a r i u s , t a n t o s p e c i o s i o r . " W A 3, 2 9 0 , 3 1 - 3 5 , S c h o l Ps 5 0 ( 5 1 ) , 1 1 . V g l . a u c h W A 4, 2 4 0 , 3 0 - 3 4 , S c h o l Ps 1 1 0 ( 1 1 1 ) , 2 . S e h r g e n a u weiß L u t h e r u m d e n H o c h m u t einer vermeintlichen geistlichen A r m u t : „ U t r u n q u e e n i m nimis a b s u r d u m est: e t i n p a u p e r t a t e s u p e r b i r e et i n alienis v e s t i b u s s u p e r b i r e . P r i m u m f a c i u n t , q u i sese i s u t i f i c a n t , c u m sint i m p i i : S e c u n d u m q u i q u i d e m iusti s u n t , sed d e v i r t u t i b u s sui s u p e r b i u n t et v i d e r i v o l u n t . " e b d . , Z Z 10—13. A n d i e s e m Z i t a t z e i g t sich b e r e i t s , dass d i e D e m u t n i c h t als e i n f r o m m e s W e r k o d e r ein herzustellender i n n e r e r Seelenzustand eine v o m M e n s c h e n zu schaffende V o r a u s s e t z u n g fiir d i e R e c h t f e r t i g u n g darstellt. E s e r s c h e i n t d a h e r ü b e r s p i t z t , d i e „ D e m u t s t h e o l o g i e " d e r Dictata

als e i n e V o r s t u f e v o m „ r e f o r m a t o r i s c h e n " L u t h e r d e r R ö m e r — o d e r H e b r ä e r -

b r i e f v o r l e s u n g a b z u s e t z e n . V g l . d a z u das S c h o l i o n z u Ps 5 0 (51), 6 ( „ U t i u s t i f i c e r i s i n s e r m o n i b u s tuis e t v i n c a s c u m i u d i f i c a v e r i s " ) i n W A 3, 2 8 9 , 1 9 f : „ D e i n d e , I u s t i f i c e r i s ' . H o c fit i n eis, q u i se n o n i u s t i f i c a n t , s e d i u d i c a n t , u t d e u s iustus sit e t p e r e u m i u s t i f i c e n t u r e t i p s i . " D e n p e r m a n e n t e n V e r d a c h t g e g e n das f r o m m e I c h t h e m a t i s i e r t L u t h e r i n s e i n e r A u s l e g u n g v o n Ps 9 1 ( 9 2 ) , 6, W A 4, 8 3 , 3-15. 26

Vgl. die Z u s a m m e n f a s s u n g bei

B. HAMM,

b r i e l BIEL u n d J o h a n n e s v o n STAUPITZ. 27 B. HAMM, a . a . O . , 117, u n t e r V e r w e i s a u f

a.a.O.,

104—107 u n t e r R ü c k g r i f f v o r

WA 4, 313, 29, S c h o l

Ps

allem auf G a -

118(119),17.

176

Zweiter

Teil; Genese

und

Gestalt

Das hat nun Konsequenzen für die Hermeneutik der Psalmenauslegung. Werner F Ü H R E R hat darauf hingewiesen, 2 8 dass Luthers christologische Auslegung 29 nicht in einer künstlichen Angleichung der literalen Aussageintention der Psalmen an eine bereits von vornherein feststehende Christologie bestehe, sondern vielmehr die Antwort auf die noch offene Christusfrage in den Psalmen suche. 3 0 Luther vereinnahme weder die Psalmen von vornherein als bloße Belegstellen des christologischen Dogmas, noch entlasse er sie in die christologische Irrelevanz. 31 Als hermeneutisches Grundmodell seiner Auslegung firmiert dabei das von Augustin übernommene Gegenüber von Geist und Buchstabe: Ohne den Geist hört der Mensch den bloßen Buchstaben der Schrift als Menschenwort. Der Geist allein macht den Buchstaben erst zu Gottes Wort. Dieses Wort Gottes vollzieht sich dann als inneres Wort (Evangelium) und als äußeres Wort (Gesetz), wobei auch der Gerichtsgedanke dem Evangelium zugeordnet werden kann. 3 2 Geist und Buchstabe lassen sich aber nicht objektivierend auf verschiedenen Schriftstellen aufteilen, vielmehr kann derselbe Satz Geist wie Buchstabe sein. 33 Analog zu diesem Gegenüber von äußerer, augenscheinlicher Vorfindlichkeit des Buchstabens und innerem, nicht objektivierbarem Wirken des Geistes gestaltet sich auch die Sündenleh-

28

Das W o r t Gottes in Luthers T h e o l o g i e , 2 3 ff.

29

Z u Luthers Stellung innerhalb der alten Tradition einer christologischen Lesart der Psalmen

vgl. M . LIENHARD, Martin Luthers christologisches Zeugnis, 2 0 f . Insbesondere zu Augustin sieht LIENHARD große Affinitäten, in e i n e m wichtigen Punkt aber attestiert er eine Differenz. Diese liege gerade in Leiden und Gottesverlassenheit Christi, eine Vorstellung die dem antiken Apathieax i o m widerstreitet. Z u Luthers H e r m e n e u t i k , insbesondere dem Textzugang über den vierfachen Schriftsinn vgl. derselbe, a.a.O., 3 4 . 30

Vgl. etwa die von Luther W A 4, 135, 2 8 - 3 0 , S c h o l Ps 1 0 0 ( 1 0 1 ) , 2 attestierte Identität von

Geist und Werken in beiden Testamenten oder die in W A 4, 176, 2 6 - 3 0 , Schol Ps 1 0 3 ( 1 0 4 ) , 6 b e schriebene „freundliche Konvergenz". 31

Vgl. etwa W A 3, 176, 2 9 - 3 1 , Schol Ps 3 1 ( 3 2 ) , 9 : „ Q u o d fit p r i m o suaviter, quando freno et

chamo, id est autritate verbi dei ex utroque testamento convincuntur et ducuntur ad fidei o b e dientiam, ut sie appropinquent." Freilich lassen sich daneben auch Zitate finden, die das ,,Alte T e stament" als eine Vorstufe, oder als unvollkommen erscheinen lassen. Vgl. W A 3, 184, 25—30, S c h o l Ps 3 3 ( 3 4 ) , 1 4 oder gar W A 4, 4 1 , 1 5 - 3 6 , R G 1 Ps 8 8 ( 8 9 ) , 3 5 . D i e Frage, inwiefern derartige Aussagen stärker der Tradition als Luthers christologischer H e r m e n e u t i k verpflichtet sind, kann hier nicht verhandelt werden. D i e B e z e i c h n u n g „Altes Testament" wird im Folgenden j e d o c h beibehalten, weil sie der R e d e w e i s e der Q u e l l e n entspricht. Sie indiziert keine O p t i o n innerhalb der heutigen hermeneutischen Diskussion. 32

Es ist deshalb problematisch, Luthers Aussagen über die D e m u t als „ D e m u t s t h e o l o g i e " , w e l -

che das Heil letztlich von der negativen Selbstbestimmung des M e n s c h e n abhängig macht, zu etikettieren und e i n e m späteren M o d e l l einer „Gerechtigkeit allein aus G l a u b e n " gegenüberzustellen. V i e l m e h r fallen hier Glaube und D e m u t zusammen! Vgl. dazu den Passus W A 3, 2 8 7 , 20—293, 2 1 , Schol Ps 5 0 ( 5 1 ) und die Interpretationen von B . HAMM, a.a.O., 1 1 8 f , sowie M . KROEGER, R e c h t f e r t i g u n g und Gesetz, 41—85. 33

In der H e r m e n e u t i k der Psalmenvorlesung setzt Luther innerhalb der traditionellen vierfa-

chen Exegese durchaus eigene Akzente. S o bedeutet die Identifikation von sensus litteralis und christologischem Sinn eine Vertiefung einer rein historischen Auslegung, etwa von FABER STAPULENSIS. Dies hat zur Folge, dass auch die Leidensaussagen der Psalmen entgegen dem Apathieax i o m auf den G o t t m e n s c h e n Christus übertragen werden. Eine weitere Eigenart liegt in Luthers Konzentration a u f den tropologischen Sinn, was für allem für die Sakraments- und damit auch Messtheologie B e d e u t u n g gewinnt. Vgl. dazu M . LIENHARD, a.a.O., 34—36.

§3 Messe und Opfer in der frühen Sakramentstheologie

177

re. D i e w a h r e geistliche S ü n d e des M e n s c h e n k a n n n i c h t in b l o ß e n Ü b e r t r e t u n g e n v o n g e f o r d e r t e m V e r h a l t e n liegen, s o n d e r n b e s t e h t in e i n e r u r s p r ü n g l i c h e n , allen Ü b e r t r e t u n g e n v o r a u s l i e g e n d e n U r s p r u n g s s ü n d e des M e n s c h e n , die allein in d e r Gottesrelation erkannt wird.34 D i e B e z i e h u n g z u G o t t ist f ü r L u t h e r n u n m a ß g e b l i c h b e s t i m m t d u r c h d i e S e l b s t b i n d u n g G o t t e s a n v o n i h m gesetzte S t r u k t u r e n u n d „ S p i e l r e g e l n " , d i e L u t h e r m i t d e n B e g r i f f e n pactum u n d testamentum

b e z e i c h n e n k a n n . 3 5 A u c h in d e r

V e r w e n d u n g dieser T e r m i n o l o g i e z e i g e n sich spätmittelalterliches E r b e u n d e i g e n ständige A u s f o r m u n g g l e i c h e r m a ß e n . Einerseits ist die K o n t i n u i t ä t L u t h e r s m i t d e r T r a d i t i o n h e r v o r z u h e b e n , b e h a u p t e t er d o c h , d e m , d e r tue, was in i h m stecke, v e r w e i g e r e G o t t a u f G r u n d seiner Z u s a g e die V e r h e i ß u n g n i c h t , 3 6 u n d die V o r b e r e i t u n g a u f d i e G n a d e sei e i n Verdienst, das G o t t z u m S c h u l d n e r des M e n s c h e n m a c h e . 3 7 Sieht m a n n ä h e r h i n , d a n n b e g e g n e n die B e g r i f f e meritum,

dispositio u n d

praeparatio a b e r bereits in e i n e m n e u e n Z u s a m m e n h a n g . L u t h e r h e b t die V o r b e r e i t u n g des M e n s c h e n a u f d i e G n a d e als Ausfluss d e r G n a d e h e r v o r , 3 8 erblickt das T u n des M e n s c h e n einzig in d e r B i t t e u n d d e m alles v o n G o t t e r w a r t e n d e n Selbstger i c h t 3 9 u n d stellt m i t d e r Absage an ein meritum de condigno des G e r e c h t f e r t i g t e n f ü r

34 WA 3, 287, 32-288, 7, Schol Ps 50(51), 6 (Tibi soli peccavi et malum coram te feci). Luther fasst den Sachverhalt in vier Thesen zusammen: „Primo. Omnes homines sunt in peccatis coram deo et peccant, i. e. sunt peccatores vere. / / Secundo Hoc ipsum deus per prophetas testatus est et tandem per passionem Christi idem probavit: quia propter peccata hominum foecit eum pati et mori. / / Tertio. Deus in seipso non iustificatur, sed in suis sermonibus et in nobis. / / Quarto. Tunc simus peccatores, quando tales nos esse agnoscimus, quia tales coram deo sumus." Die Doppelschrägstriche markieren einen Absatz in der WA. Vgl. zum Passus R . SCHWARZ, Vorgeschichte, 230-254. 35 WA 3, 288, 41—289, 5, Schol Ps 50(51),7:„Quia adeo nos coram deo sumus iniusti et indigni, ut quecunque fasere possemus, nihil coram eo sint. Immo et fides et gratia, quibus hodie iustificamur, non iustificarent nos ex seipsis, nisi pactum dei faceret. Ex eo enim precise, quia testamentum et pactum nobiscum foecit, ut qui crediderit et baptisatus fuerit, salvus sit, salvi sumus. In hoc autem pacto deus est verax et fidelis et sicut promisit, servat." Vgl. auch WA 3, 279, 8, ZG1 Ps 49(50),16. In WA 4, 40, 14, ZG1 Ps 88(89),29 interpretiert Luther das testamentum als „promissiones et pactum, quod feci cum eo", ähnlich in WA 4, 46, 20-22; 4, 49, 4. Luther scheint die Begriffe hier also noch synonym zu verwenden. — Die Testamentsmetapher trägt dabei unterschiedliche Konnotationen. Zunächst beschreibt sie schlicht die unterschiedliche Verfassung des Alten und des Neuen Bundes. Dann bezeichnet sie, der Verheißung ähnlich, das Moment des Noch — Ausstehens: WA 3, 279, 8f, Schol Ps 49(50),16: „verbum Dei, quo testatur nobis de futuris et invisibilibus". Diese Bedeutung findet sich auch in der für die Sakramentstheologie bedeutsamen Auslegung des 110(111). Psalms. Die Glosse erläutert das testamentum als ,,nov[um], quod promisit nobiscum esse et in futura vita secum constituere" WA 4, 236, 24f. Schließlich steht sie als eine Abkürzung für Gesetz und Evangelium (WA 3, 278, 9). Vgl. die differenzierte AufFächerung des Befunds bei K. HAGEN, Problem, 80-88. 36 WA 4, 262, 4-11, Schol Ps 113(114.115),1. 37 WA 4, 312, 40, Schol Ps 118(119),17 / WA 4, 13, 24-27, Schol Ps 84(85),11. 38 WA 4, 446, 31-34, RG1 Ps 143(144),2 / WA 4, 520, 30f, ZG1 Ps 118(119),50. Dieses Verständnis der Vorbereitung richtet sich selbstverständlich vornehmlich gegen ein nominalistisches Konzept. Das bedeutet freilich nicht von vornherein ein Einverständnis mit einer etwa an Augustin und Thomas orientierten Position. Zu klären wäre insbesondere die jeweilige Konstruktion des bleibenden Sünderseins vor Gott. 39 WA 4, 262, 4-11. Schol Ps 113(114),1. Vgl. dazu auch O. BAYER, Promissio, 118-123 und

178

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

die via ad gloriam im Namen seines bleibenden Sünderseins das spätmittelalterliche Stufenmodell einander zugeordneter Gnaden infrage. 40 Das Testament als neuer Bund Gottes bestimmt sich ganz von der Verheißung und nicht von den eigenen Werken her, entsprechend können es auch die aus dem Semper peccator hervorgehenden Sünden nicht außer Kraft setzen. 41 So ist nicht nur das Ausstehen der in den 20er-Jahren ausformulierten Theologie der Verheißung, sondern auch der Abschied von den (spät)mittelalterlichen Konzepten zu konstatieren.

2.2

Das Verständnis von Kreuzesopfer, Sakrament und Opfer der Gläubigen

Verglichen mit dem häufigen Rekurs auf die Taufe, wie wir sie in der späteren R ö merbriefvorlesung finden, bezieht sich der Psalmenkommentar relativ selten auf die Sakramentstheologie. 42 Freilich muss dies nicht schon mit einer „Reserve" gegenüber dem Sakrament und einer Vorrangstellung des Wortes 4 3 zusammenhängen. Vorsichtiger lässt sich von einem Interessensschwerpunkt auf den Themen Gnade, Demut und Gerechtigkeit und einem Verständnis der Sakramente vom

128—143. Luther hält dabei die negative Selsbtbestimmung des Menschen in der Gottesperspektive durch. Seine bonitas hat der Mensch nicht als eine gnadengewirkte Eigenschaft, sondern allein bei Gott, vgl. W A 4, 210, 1 8 - 2 1 1 , 4, Schol Ps 106(107),1. 4 0 Vgl. dazu B. HAMM, Promissio, Pactum, Ordinatio, 382f: „Mit der Einsicht Luthers, daß der Mensch auch als Gerechtfertigter immer Bettler vor Gott bleibt, steht eine gegenüber der Tradition veränderte Auffassung vom Wesen des pactum und der in ihm gegebenen promissio in unmittelbarem Zusammenhang. [...] So ist die Verheißung für Luther kein fernes Datum der Vergangenheit, sondern gegenwärtige Anrede Gottes. Da sie auf die praeparatio ad gratiam bezogen ist, der Mensch aber nie über dieses Vorbereitungsstadium hinausgelangen kann, sondern immer um neue Gnade - auch das ewige Leben ist Gnade — bitten muß, ist er auf die ständige Relevanz der promissio angewiesen, während sich der traditionelle Verheißungsbegriff nur auf die beiden Punkte der iustificatio und acceptatio (ad vitam aeternam), meist sogar nur auf die acceptatio bezog." Diese veränderte Auffassung beschreibt R . SCHWARZ, Vorgeschichte, 252, folgendermaßen: „Dadurch wird ferner das testamentum oder pactum Gottes in die Aktualität des unablässigen W i derstreits von peccatum und gratia hereingeholt; es hört auf, eine allgemeine, hinter der kirchlichen Wirklichkeit verschwindende heilsgeschichtliche Anordnung Gottes zu sein." Analog deifides wird also auch das pactum bzw. testamentum Gottes existenzialisiert. 41 Vgl. die Glosse zu Ps 88(89),35. Den Satz „Neque prophanabo testamentum meum et que procedunt de labiis meis non faciam irrita" kommentiert Luther folgendermaßen: „Ex istis [verbis] patet, quod lex nova sicut non ex operibus et meritis nostris incepit, ita nec demeritis nostris ruit. Sed ex mera promissione et misericordia et veritate Dei incepit, stat et perstabit. Vetus autem lex non. Quia data fuit sub conditione tali, scilicet si implerent ipsam, staret, si autem non implerent, rueret. Quia erat fundatum in operibus eorum et non in misericordia et promissione pura Dei, sed cum inclusione operum illorum. [...] Sed non sie Christi, quod nullus homo potest irritare quantumvis omnes peccent, quia stat in gratia Dei, non in operibus nostris." 4 2 Vgl. die Übersicht bei W. JETTEE, Taufe, 175, Anm. 1. 4 3 So W. JETTER, Taufe, 1 7 6 - 2 1 1 und im Anschluss daran WISLOFF, Abendmahl und Messe, 15 und LOHSE, Luthers Theologie, 68f. Allerdings unterstreicht ein Vergleich mit anderen Psalterauslegungen, die weitaus häufiger auf das Sakrament rekurrieren, dass dieser Befund kein Zufall ist. V g l . W I S L 0 F F a . a . O . , 1 7 , d e r d e n P s a l m e n k o m m e n t a r JAKOB PEREZ VON VALENCIAS h e r a n z i e h t .

§ J Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

179

Wortgeschehen her reden. 4 4 Luther n i m m t hier die traditionelle 4 5 Unterscheid u n g zwischen sacramentum tantum (Brot u n d Wein) — sacramentum et res (wahrer Leib u n d wahres Blut Christi) u n d res tantum (mystischer Leib Christi) auf, die in jeweils unterschiedlicher F o r m u l i e r u n g weit verbreitet ist. 46 H i e r wird diese U n terscheidung aber in besonderer Weise hervorgehoben. Wohl findet sich auch bei Luther die Bezeichnung der Kirche als res sacramenti47, d o c h legt er alles G e w i c h t auf den Christusbezug der Gemeinschaft. 4 8

2.2.1

Leiden und Kreuzestod

Christi

Im Leiden Christi sieht Luther verschiedene Aspekte vereint. 4 9 Einmal bringt es den aktiven G e h o r s a m Christi z u m Ausdruck, insofern erfüllt Christus das Gesetz Gottes frei u n d u n g e z w u n g e n . 5 0 Z u m anderen steht es für das Leiden u n d die Schwachheit des Fleisches 51 bis hin zur Verlassenheit am Kreuz. 5 2 Diese Schwachheit wird n u n als Ziel der Fleischwerdung begriffen, 5 3 Christus als D i e n e r der M e n s c h e n ist das vor A u g e n gestellte u n d anzustrebende Ziel des Glaubens. Dabei übergeht Luther allerdings den Stellvertretungsgedanken nicht. 5 4 D e n Tod Christi kann er auf dieser Linie als ein O p f e r verstehen, 5 5 das f ü r die M e n s c h e n erbracht wurde. Christus erscheint dabei nicht nur als erduldend h i n n e h m e n d e s O b j e k t des Geschehens, sondern als dessen aktiv tragendes Subjekt. 5 6 44

W A 3, 2 6 2 , 2 1 - 2 6 , S c h o l Ps 9 4 ( 9 5 ) , 1 0 . L u t h e r stellt d e n s i e b e n S a k r a m e n t e n das e i n e W o r t

g e g e n ü b e r : „ E t t a r n m u l t a , q u i b u s n u n c s u b C h r i s t o e t i a m u t i m u r e t e g e m u s , scilicet gratiis e t d o nis, q u e s u n t p e r m u l t a o l i m c a r n a l i a significata ( n u n c e n i m p a u c a s u n t c e r e m o n i a l i a , i m m o n u l l a f e r e d e n e c e s s i t a t e E u a n g e l i i , nisi 7 s a c r a m e n t a , q u e o l i m e r a n t p l u r i m a : sed t a r n e n s p i r i t u a l i t e r ist r e m a n e n t e t a d h u c s u n t m u l t a ) : e t t u n c o m n i a ista p a t e r u n o n o b i s v e r b o p r e s t a b i t [ . . . ] . " 45

V g l . W . SCHWAB, E n t w i c k l u n g , 6 5 - 6 8 ; O . BAYER, a . a . O . , 1 0 1 .

46

D i e U n t e r s c h e i d u n g b a s i e r t a u f d e m G e g e n ü b e r v o n sacramentum

m a h l u m das d r i t t e G l i e d sacramentum

u n d res, das b e i m A b e n d -

et res e r w e i t e r t w i r d . V g l . SCHWAB, E n t w i c k l u n g , 6 5 u n d

BIEL, L . 3 5 Q (2, 3 1 ) : „ [ . . . ] t r i a s u n t in h o c s a c r a m e n t o : f o r m a visibilis p a n i s e t v i n i , veritas c o r p o r i s e t s a n g u i n i s c h r i s t i , v i r t u s spiritualis u n i t a t i s e t c h a r i t a t i s c o m m u n i c a n t i s p o p u l i . P r i m u m est s a c r a m e n t u m t a n t u m . S e c u n d u m est s a c r a m e n t u m e t res. T e r t i u m est res t a n t u m . " 47

S o e t w a i n d e r R a n d g l o s s e z u Ps 4, 6 ( S a c r i f i c a t e s a c r i f i c i u m iustitiae e t fidite in D o m i n o ) ,

W A 5 5 I 2 0 , 3 0 - 2 1 , 7: „ S a c r i f i c i u m I u s t i t i a e c o r a m D e o n o n p o t e s t esse nisi s p i r i t u a l e , r a t i o n a l e , v i v u m , q u o d est C h r i s t u s i n s a c r a m e n t o c u m re s a c r a m e n t i (i.e. E c c l e s i a e t s e i p s o ) . " 48

V g l . W A 5 5 I, 2 2 , 7.

49

V g l . LIENHARD, a . a . O . , 4 0 .

50

„Sed

in

lege

domini

Voluntas

e i u s i.e. n o n t a n t u m m a n u s c o a c t a a u t n e c e s s i t a t e

p e n e t i m o r i s a u t s p e t e m p o r a l i u m allecta sine v o l u n t a t e , s e d h y l a r i e t libera v o l u n t a t e l e g e m d o m i n i o p e r a t u r . " W A 3, 17, 1 - 3 , S c h o l Ps 1,2, H e r v o r h e b u n g W A . 51

„ U n d e n o t a , q u o d s i c u t s u b c a r n e a b s c o n d i t a f u i t b e n e d i c t a divinitas, i d est s a p i e n t i a , l u x ,

v i r t u s , g l o r i a , v e r i t a s , b o n i t a s [...] c u m t a r n e n in c a r n e a p p a r u e r i t o m n e m a l u m u t c o n f u s i o , m o r s , c r u x , i n f i r m i t a s , l a n g u o r , t e n e b r e e t vilitas [...]: ita u s q u e m o d o S e m p e r . " W A 4, 8 2 , 3 2 - 3 7 , S c h o l Ps 9 1 ( 9 2 ) , 6 . 52

W A 3, 4 5 0 , 18, Z G 1 Ps 7 0 ( 7 1 ) , 1 0 .

53

W A 3, 3 9 0 , 2 1 , S c h o l Ps 6 7 ( 6 8 ) , 2 .

54

W A 3, 2 0 7 , 5, Z G 1 P s 3 6 ( 3 7 ) , 2 1 / W A 3, 2 0 7 , 2 7 , R G 1 Ps 3 6 ( 3 7 ) , 2 0 / W A 3, 6 0 7 , 14, S c h o l

Ps 7 9 ( 8 0 ) , 2 . 55

W A 3, 1 5 7 , 13, Z G 1 Ps 2 8 ( 2 9 ) , 6 .

56

W A 3, 2 2 5 , 11, Z G 1 Ps 3 9 ( 4 0 ) , 7 .

180

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

Den Einbezug der Gläubigen in dieses Opfer bringt Luther sehr pointiert zum Ausdruck, wenn er formuliert, Christus habe uns in sein Opfer am Kreuz hineingenommen. Die Gläubigen erscheinen in seiner Person als Opfergabe. 57 Der Sinn dieses Opfers begründet sich in Gottes Willen, das Kreuzesopfer gilt als die R e a k tion auf die menschliche Sündhaftigkeit. Die Sünden der Menschen sind die Strafe Christi. U m ihretwillen litt er, und dies versöhnte den Zorn Gottes, 58 eben darin besteht seine Mittlerfunktion. 59 Diese Opfervorstellung wird nun mit dem Verdienstgedanken kombiniert: Durch seinen Kreuzestod erwarb Christus einen Rechtsanspruch gegenüber Gott 6 0 und nicht gegenüber dem Teufel. Der Vater kann allerdings nicht nur als Adressat,61 sondern auch als handelndes Subjekt des Christusgeschehens gedacht werden. 62 Luther zieht auch hermeneutische Konsequenzen aus dem Kreuzesopfer. So begründet er das seine Theologie der folgenden Jahre durchziehende Moment der Subkontrarizität in der Wahrnehmung des Kreuzes als des Ortes der Schande und der Rolle Christi als eines Verbrechers, wie sie im Anfangskapitel des ersten Korintherbriefes thematisiert werden. 63 Hier fällt der Spitzensatz, Christus sei für uns zur Sünde gemacht worden. 64 Die Inkarnation erscheint als notwendige Voraussetzung, könne sich doch nur derjenige verbergen, welcher auch fleischlicher Natur sei. 65 Innerhalb dieses Rahmens kommt Luther dann auch auf das Sakrament zu sprechen.

5 7 W A 3, 6 4 6 , 13, Schol Ps 83(84),4. Vgl. dazu auch das „Legen auf Christus" im Sakraments und Testamentssermon, wo ebenfalls die Gläubigen die dargebrachte Opfergabe sind. 5 8 W A 3, 171, 11, Schol Ps 3 0 ( 3 1 ) , 2 0 / W A 3, 2 7 6 , 1 1 - 1 5 , Schol Ps 49(50),5 / W A 3, 288, 2, Schol Ps 5 0 ( 5 1 ) , 6 / W A 3, 304, 12, ZG1 Ps 54(55), 6 / W A 3, 3 1 6 , 6, Schol Ps 55(56), 8 / W A 3, 418, 2 7 , Schol Ps 68(69),2. 5 9 W A 3, 2 2 9 , 11, ZG1 Ps 40(41), 5 /WA 3, 2 3 8 , 1 5 , Schol Ps 41 (42), 8 /WA 3, 3 3 7 , 3 9 , R G 1 Ps 59(60),9. 6 0 WA 3, 106, 4 - 1 0 , Schol Ps 15(16), 5. 61 Vgl. dazu das Scholion zu Ps 109(110), 6 in W A 4, 234, 3 3 - 2 3 5 , 1 . 6 2 W A 3, 132, 3 3 , R G 1 Ps 20(21), 2 / W A 3, 316, 8, ZG1 Ps 55(56),8. 6 3 Vgl. hierzu vor allem die Auslegung von Ps 91 (92), 6f, W A 4, 82, 14—83, 25. Zusammenfassend W A 4, 83, 14f: „Quia sic Veritas absconditur sub aliena specie iis, qui insipientes sunt. Sed sapientibus, id est humilibus et mitibus, manet in propria specie." 6 4 WA 3, 236, 3 3 f , Schol Ps 41(42), 7,: „Christus pro nobis factus est peccatum, maledictum, excommunicatio et anathema." 6 5 Vgl. zu diesem Zusammenhang die dichte Passage W A 4, 83, 1 6 - 2 2 , Schol Ps 91(92), 6: „Et nota, quod non angelos apprehendit, sed carnem nostram propter sacramentum illud idem, scilicet quia spiritus erat salvandus ineternum. Sed nullus potuit abscondi nisi is qui carne indutus est (id est homines), ut sic sub absconso carnis salus ei fieret. Sed spiritus separatus non sic potest abscondi: ideo tale sacramentum ibi non habet locum. Quia si spiritum assumeret, alium subesse oporteret, in quo absconderentur bona: quorum contraria pateretur in exteriori, ut in homine fieri potuit et factum est." — Hier zeigt sich bereits, dass die Inkarnation bei Luther niemals als Vergöttlichung menschlicher Weltwahrnehmung gedacht werden kann. Ihre Pointe liegt nicht darin, dass Gott ein fassbares M o m e n t der Welt werde, sondern darin, dass die am Kreuz kenntliche Andersartigkeit Gottes vom Menschen überhaupt gewusst werden kann. Das Dictum illustriert also nicht nur die epistemologische Funktion der etwa in den Heidelberger Thesen so wirkmächtig ausgearbeiteten theologia crucis, sondern impliziert auch die Absage an eine Isolation einzelner christologischer T h e m e n vom Gesamtzusammenhang des Christusgeschehens.

§3

2.2.2

Sakrament

Messe und Opfer in der frühen

und

Sakramentstheologie

181

Gedächtnis

Wolfgang SCHWAB66 unterstreicht die besondere Bedeutung der tropologischen Auslegung für Luthers Sakramentsverständnis. Dies gehe so weit, dass Luther bei der Interpretation von Ps 68 (69), 2 genau das mit spiritualiter wiedergebe, was er in den Randbemerkungen noch als sacramentum bezeichnet habe. 6 7 In der Tat kommt es Luther ganz auf persönliche Aneignung und persönlichen Nachvollzug des inneren Menschen an. Eine Brücke zwischen Christus und Christen baut der G e dächtnisbegriff, wie er sich in der Auslegung von Ps 110 (111),4 6 8 findet: J e n e W u n d e r t a t e n aber sind g r u n d l e g e n d u n d ursächlich i m L e i d e n C h r i s t i

geschehen,

n a c h d e s s e n V o r b i l d alle g e s t a l t e t w e r d e n m ü s s e n . F o l g l i c h ist das S a k r a m e n t d e r E u c h a r i stie das G e d ä c h t n i s des L e i d e n s , das h e i ß t s e i n e r W u n d e r t a t e n . W e r i h n f u r c h t e t , d e r w i r d d a r i n e r n e u e r t u n d speist. F r e i l i c h g i b t es d i e s e N a h r u n g u n d dieses G e d ä c h t n i s d o p p e l t , n ä m l i c h s a k r a m e n t a l u n d g e i s t l i c h . G e i s t l i c h ist d i e P r e d i g t v o n C h r i s t u s u n d das E v a n g e l i um

[,..].69

Luther unterscheidet hier das sakramentale vom geistlichen Gedächtnis, ohne das Verhältnis beider zueinander näher zu bestimmen. Damit wird einerseits die B e sonderheit des sakramentalen Gedächtnisses nicht explizit eingeebnet, sondern durch eine Differenzierung zumindest formal aufrecht erhalten. 70 Andererseits wird diese Besonderheit aber gerade nicht als zentraler Zugang zum Sakrament gewählt. In seiner Auslegung zu Ps 83 (84),4 7 1 und zu Ps 110 (111),4 bezeichnet er vielmehr die Werke Christi 7 2 als das Objekt der Erinnerung. Das vorgegebene 7 3 Verständnis des Messopfers als Gedächtnis lässt sich dann in dieses Programm einer Gleichgestaltung mit Christus einzeichnen und verliert faktisch seine eucharistische Besonderheit. Für die Eucharistie bedeutet dies den Verlust ihrer Monopol66

A.a.O., 52.

67

N o t a n d u m autem, quia Christus Semper suo simplo nobis duplo nostro respondet, s e c u n -

d u m S.Augustini Ii.4 tri. 3. U t quia spiritualiter n o n fuit in miseria, sed tantum literaliter." W A 3, 4 1 8 , 2 0 - 2 2 , S c h o l Ps 6 8 ( 6 9 ) , 2 . 68

M e m o r i a m fecit rmrabilium suorum misericors et miserator D o m i n u s . Vgl. dazu etwa BIEL,

L . 5 3 Y (2, 3 3 4 ) . D i e Glosse zu Ps 1 1 0 ( 1 1 1 ) , 4 lautet: ,,Memoriam m e m o r i a l e , seil. E u c h a r i s t i a m ^ k i i mimbilium 69

suorum,

que in vita sua gessit et passus est pro n o b i s . " W A 4, 2 3 6 , 1 7 f .

W A 4, 2 4 3 , 14—21: „Ista autem mirabilia radicaliter et causaliter in Christi passione sunt fac-

ta, ad cuius e x e m p l u m o m n e s formari necesse est. E r g o S a c r a m e n t u m Eucharistie est passionis, id est mirabilium eius m e m o r i a . In quo reficiuntur et c o m e d u n t timentes e u m . Veruntamen ista esca et m e m o r i a est duplex, scilicet sacramentalis et spiritualis. Spiritualis est ipsa predicatio de C h r i s t o et E u a n g e l i u m [ . . . ] . " 70

D i e traditionelle R e p r ä s e n t a t i o n Christi durch die K l e i d u n g des Priesters findet sich in W A

3, 2 6 0 , 18, S c h o l Ps 4 4 ( 4 5 ) , 9 . 71

S i q u i d e m avis invenit d o m u m et passer n i d u m sibi ubi ponat pullos suos altaria tua D o m i n e

exercituum rex meus et D e u s meus. Vgl. BAYER, a.a.O., 104—107. 72

„ S e d n o t a n d u m , q u o d opera Christi et sanetorum in humilitate, vilitate, paupertate, a b i e c -

tione, afflictione facta tunc d e m u m sunt nidus vel dominus passeris, quando efficiuntur exempla et assumuntur in exempla et disponuntur ad i m i t a t i o n e m . " W A 3, 6 4 5 , 24—27, S c h o l Ps 8 3 ( 8 4 ) , 4 . 73

V g l . nur G. BIEL, L . 1 6 A (1, 129): „ E t nota q u o d sacrificium illud m e m o r i a l e est d o m i n i c a e

passionis; s e c u n d u m illud I C o r 11 [...]. Ideo t o t u m misse officium ad passionem d o m i n i representandum ordinatur." Z u m O p f e r b e g r i f F vgl. auch die L . 8 5 (1, 7 0 - 7 8 ) und R . DAMERAU, A b e n d mahlslehre, 223—225.

182

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

wirkung. Der Plural Altäre in Ps 83(84), 4 zeigt für Luther eben dies an: Literal sei darunter der Leib Christi und tropologisch das Leiden der Heiligen zu verstehen. Eine spezifisch sakramentstheologische Auslegung, welche ein Proprium der E u charistie festhält, findet sich hier nicht. So kann Luther seine Sakramentstheologie in den R a h m e n einer großen Gleichgestaltung mit dem Gekreuzigten stellen. 74 Der Akzent liegt hier ganz auf der Person des Einzelnen, das Gedächtnis fungiert gewissermaßen als Brücke zwischen dem Kreuzestod Christi und der Gleichgestaltung der Christen. Zwar ebnet Luther die Unterscheidung zwischen sakramentalem und geistlichem Gedächtnis nicht explizit ein, sondern erhält sie aufrecht. Sein Interesse allerdings liegt ganz auf der geistlichen, nicht-sakramentalen Dimension. 7 5 2.2.3

Das Lobopfer als Eingeständnis menschlicher Verlorenheit

Sein Augenmerk richtet sich dabei weniger auf die in der spätmittelalterlichen Theologie so zentrale Frage nach der Realpräsenz — sie wird schlicht vorausgesetzt — als vielmehr auf die res sacramenti. Diese identifiziert er nach Ps 49(50), 14 mit dem Lobopfer. Luther begrenzt dieses Lobopfer nun aber nicht auf die Messfeier, sondern weist ihm das ganze Leben als Betätigungsfeld 76 zu, erneut ist also das Interesse an der personal-existenziellen Dimension des Sakraments zu beobachten: [...] L o b o p f e r u n d S a k r a m e n t s g e h a l t sind dasselbe. W e i l in i h m [ n ä m l i c h d e m S a k r a m e n t bzw. d e m Altaropfer] i m m e r ein L o b o p f e r dargebracht wird, w o r ü b e r hier gesprochen w i r d , j e d o c h n i c h t a l l e i n i n i h m : v i e l m e h r ist das L o b o p f e r e i n i m m e r w ä h r e n d e s O p f e r , dessen D a r b r i n g u n g niemals a u f h ö r t . 7 7 74

D i e P r o b l e m a t i k , o b s c h o n in L u t h e r s P s a l m e n a u s l e g u n g eine V o r o r d n u n g des W o r t e s v o r das S a k r a m e n t zu e r h e b e n sei o d e r n i c h t (W. JETTEE, Taufe, 191) relativiert W. SCHWAB, E n t w i c k l u n g , 68 v o n h i e r aus: „ N i c h t eine , V o r o r d n u n g des W o r t e s v o r das S a k r a m e n t ' [...] k e n n z e i c h n e t die f r ü h e T h e o l o g i e L u t h e r s , s o n d e r n d e r e n g e m e i n s a m e F u n k t i o n , h i n z u f u h r e n z u r c r u x C h r i s t i u n d d a m i t z u r c r u x C h r i s t i mystica [...]." Bei aller B e t o n u n g sieht er das W o r t b e i m L u t h e r d e r P s a l m e n v o r l e s u n g n i c h t als G n a d e n m i t t e l u n d K o n k u r r e n z z u m S a k r a m e n t . O b das allerdings f ü r d e n f r ü h e n L u t h e r ü b e r h a u p t gilt, bleibt u n t e n n o c h zu e r ö r t e r n . 75 Vgl. SCHWAB, a.a.O., 52. H i n z u w e i s e n ist m i t d i e s e m (ebd) a u f die t e r m i n o l o g i s c h e U n scharfe d e r B e g r i f f e . L u t h e r k a n n e i n m a l spiritualis u n d sacramentalis e i n a n d e r g e g e n ü b e r s t e l l e n , das a n d e r e M a l sie a b e r identifizieren. M i t SCHWAB (ebd) ist a b e r g e g e n ISERLOH festzuhalten, dass L u t h e r hier w e d e r m i t d e m G e g e n ü b e r v o n s a c r a m e n t u m u n d e x e m p l u m arbeitet n o c h v o n e i n e r d u r c h ein b e w i r k e n d e s Z e i c h e n i m S a k r a m e n t u n s g e g e n w ä r t i g w e r d e n d e n Passion ausgeht. 76 E i n Vergleich m i t JAKOB PÉREZ VON VALENCIA zeigt, dass dies n i c h t selbstverständlich ist. D i e ser n e n n t in seiner A u s l e g u n g des Psalms das M e s s o p f e r an erster Stelle: „ I n t o t o h o c P s a l m o i n t e n dit D a u i d o s t e n d e r e q u o d d e u s in i u d i c i o n o n q u a e r e t r a t i o n e m d e sacrificiis veteris legis — quasi dicat: ille glorificat m e qui o f f e r t s a c r i f i c i u m confessionis: p e r q u o d intelligitur eucharistia et p o e nitentia et o b s e r u a n t i a legis et d e u o t i o et fides d e c o r d e b o n o et c o n s c i e n t i a p u r a . " F o l . 1 2 0 , zitiert n a c h C.F. WISLOFF, a.a.O., 17, A n m . 17. Das L o b o p f e r k a n n e r a n a n d e r e r Stelle m i t d e m M e s s o p fer sogar identifizieren: „ I m m o l a d e o sacrificium laudis: id est s a c r i f i c i u m eucharistiae d e o g r a t u m et d e se acceptabile et laudabile et b o n u m de o p e r e o p e r a t o . " (Fol. 119b, zitiert n a c h C . F. WISLOFF, a.a.O., 17). D e s s e n L o g i k w i r d d e u t l i c h aus f o l g e n d e m Z i t a t : „Sacrifícate sacrificium iustitiae scilicet e u c h a r i s t i a m in q u a sacrificatur et o f f e r t u r C h r i s t u s filius dei, qui est v e r u m sacrificium b o n u m d e se, et acceptabile a p u d p a t r e m . " (Fol.27b, zitiert n a c h WISLOFF, ebd). 77

W A 3, 2 8 3 , 22—27, S c h o l Ps 4 9 ( 5 0 ) , 1 4 : „ [ . . . ] s a c r i f i c i u m laudis et res ipsa s a c r a m e n t i sit

§3

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

183

Dieses Lobopfer konkretisiert sich dann nach innen und nach außen. 78 Als das wahre Gotteslob gilt Luther gerade die Einsicht in die Verlorenheit des Menschen. 79 Deshalb hat der Mensch Gott nichts zu geben, seine Opfergabe besteht nicht in einer geistlichen Pretiose, sondern gerade in seiner Hässlichkeit.80 Der Unwert der Opfergabe ist also Folge der bleibenden Sündhaftigkeit des Menschen, die ein quantifizierendes Verdienst-Denken ausschließt. Das dergestalt bestimmte Lobopfer verbindet Luther in seiner Auslegung von Ps 49(50), 23 dann mit der Eucharistie: W i r k ö n n e n G o t t d a h e r nichts g e b e n a u ß e r d e m E i n g e s t ä n d n i s u n s e r e r S ü n d h a f t i g k e i t . E r f o r d e r t n ä m l i c h n i c h t u n s e r e [ G a b e n ] , s o n d e r n uns [selbst]. D a s h e i ß t a b e r das O p f e r als E i n g e s t ä n d n i s [unserer S ü n d h a f t i g k e i t ] e r k e n n e n u n d G o t t alles, was m a n e m p f a n g e n hat, b e k e n n e n u n d sich andererseits willig v o n g a n z e m H e r z e n G o t t d a r b r i n g e n : M a n k a n n u n t e r d e m O p f e r des Altars g e n a u das v e r s t e h e n , was h i e r L o b o p f e r g e n a n n t w i r d . D a r i n w e r d e n die G e b e t e u n d L o b g e s ä n g e aller d a r g e b r a c h t , d o c h so, dass es n i c h t d i e S a c h e aller ist, s o n d e r n n u r d e i j e n i g e n , w e l c h e a u c h sich selbst d a r i n u n d m i t dieser W i r k u n g u n d S a k r a m e n t s g a b e d a r b r i n g e n . Es g e n ü g t f ü r u n s n ä m l i c h n i c h t , dass es d u r c h b l o ß e n Vollzug [ex o p e r e o p e r a t o ] gefällt u n d n i c h t a u c h d u r c h d e n j e n i g e n , d e r das W e r k a u s f u h r t [ex o p e r e operantis]. D e n n es ist u n s n i c h t deshalb g e g e b e n , dass es n u r allein aus sich h e r a u s gefalle, s o n d e r n g a n z u n d gar d u r c h u n s selbst. A n d e r n f a l l s w ä r e es j a k e i n O p f e r . D e s h a l b b a u e n d i e j e n i g e n u m s o n s t i m m e r n e u e K i r c h e n , s c h m ü c k e n sie aus u n d stiften M e s s e n , die n i c h t a u c h sich selbst o p f e r n in e i n e m O p f e r des L o b e s u n d des B e k e n n t n i s s e s . Dieses b e s t e h t i m W o r t u n d i m Geist. 8 1

idem. Quia in ipso [sc. Sacramento bzw. sacrificio altaris] offertur semper sacrificium laudis, de quo hie loquitur, sed non solum in illo: i m m o sacrificium laudis est iuge sacrificium, q u o d n u n q u a m cessat offerri." Das Lobopfer hat auch seinen Platz im Kanongebet, vgl. das Memento domine. 78 WA 3, 282, 29—35, Schol Ps 49(50),14: „Tunc enim recte deus colitur, quando nosipsos o m nino confundimus et o m n e m laudem et gloriam ei attribuimus et quicquid in nobis est. Quia quando deo tribuimus, quod suum est, et reservamus nobis, quod nostrum est, tunc nihil reservamus et ipsum nihil est nostrum, t o t u m autem est dei, ex q u o accepimus." 79 WA 3, 283, 16—20, Schol Ps 49(50),14 : „ H o c est ergo v e r u m sacrificium laudis, scilicet suam totam abyssum agnoscere et omnia, que est, habet, potest, dei bonitati ascribere et confiteri. Quare profunda theologia in isto versu est: qualis et in tot psalmo sequente per singulos pene versus est." 80 WA 3, 290, 2 3 - 2 8 , Schol Ps 50(51),7: „ Q u i pulcherrimus est coram Deo, idem est deformissmus, econtra: Q u i deformissimus, ipse est pulcherrimus. Sic: Q u i est pulcherrimus sibi, ipse est turpissimus coram deo. Quare sic? Quia .sacrificium confessionis honoraficabit m e ' . N e c est ullus ornatus aut vestis Ecclesie prestatntior, quam i n d u m e n t u m confessionis: hoc enim earn maxime decet." Vgl. zur Kirche als Kleid Christi WA 3, 260, 3 2 - 2 6 1 , 7. 81 WA 3, 280, 2 7 - 3 7 , R G 1 Ps 48(49),23: „ D e o igitur reddere possumus [nihil] nisi sacrificium confessionis. N o n enim requirit nostra sed nos. Est autem sacrificium confessionis agnoscere et confiteri omnia accepta D e o et sese prompte in vicem offerre ex toto corde: et licet sacrificium altaris sit vere q u o d hie laudis dicitur, in q u o o m n i u m vota et laudes ofFeruntur, tamen non est o m n i um, sed e o r u m tantum, qui etiam seipsos in illo c u m illo effectu et re sacramenti offerunt. N o n enim sufficit nobis, quod placeat ex opere operato et n o n ex opere operantis. Q u i a n o n ideo nobis datum est, quod tantum ex se placere debeat, i m m o o m n i n o ex nobis. Alioquin iam n o n esset sacrificium. Quare frustra edificant, ornant, multiplicant Ecclesias ac instituunt missas, qui n o n et ipsi sacrificant seipsos in sacrificium laudis et confessionis. Q u e confessio constitit in verbo et in animo."

184

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Bereits hier deutet sich ein U m b r u c h für den Zusammenhang von theologischem Konzept und eucharistischer Frömmigkeit an. Wie oben gezeigt, erschöpfte sich auch die (spät) mittelalterliche Messtheologie keineswegs in einer Wahrnehmung des Messopfers als eines objektiv gültigen, durch priesterlichen Vollzug automatisch gültigen Ritus. Sehr wohl konnte sie die Personalität der Sakramentsempfänger zur Geltung bringen. Dabei verband sich gerade in der Bußtheologie das aus Ps 50(51), 19 abgeleitete Selbstopfer mit dem Kompensationsgedanken. Das Opfer bestimmte sich dann ganz im R a h m e n des Satisfaktionsmodells. 82 Im R a h m e n der dispositio- Vorstellung wurde die Personalität dort aber so in das Sakramentsgeschehen eingebunden, dass die eigene Vorbereitung, die eigene „Reinheit" und H i n gabe, direkt proportional zur Frucht der Messe zu stehen kam. Eben dieser Zusammenhang fehlt hier. Luther greift zwar noch mit keinem Wort die gängige Vorbereitungspraxis an, aber er setzt an die Stelle eines werthaft beschriebenen und Kompensation leistenden frommen Ichs schlicht die Einsicht in die eigene Wertlosigkeit: Deshalb ist das Opfer das Endziel des Gesetzes wie des Evangeliums. Denn was macht das Evangelium anderes, als dass es unser Selbst opfert und tötet nach dem Fleisch und so Gott als lebendige Opfergabe nach dem Geist darbringt? 83

Weil nun die Messe in keinem anderen Sinne Lobopfer ist als das ganze Leben der Gläubigen, werden Lobopferbegriff und Eucharistie entkoppelt. Das Schwergewicht legt Luther dabei ganz auf den existenziellen Einbezug in die Darbringung, nicht auf die objektive Wirksamkeit. Dieser existenzielle Einbezug wird zwar als Resultat des Gotteshandelns begriffen, seine Eigenständigkeit aber dennoch nicht geleugnet. 8 4 Die tropologische Ausweitung der Sakraments- , Opfer und Gedächtniskonzeption entgegen ihrer besonderen sakramental-institutionellen Bindung stellt natürlich auch die Frage nach den christologischen Voraussetzungen. Wird die Besonderheit des institutionellen Sakraments hervorgehoben, so ist damit eine deutliche Trennung von Sakralität und Profanität angezeigt. Demgegenüber deutet Luthers Ausweitung der Begriffe eine zweifache

82

Vgl. dazu die von M. OHST, Pflichtbeichte, 121, bei WILHELM VON AUVERGNE (gest. 1249) diagnostizierte Figur: „Zunächst einmal ist jede Sünde eine Beleidigung, sie bedarf daher der Sühne; diese geschieht durch das Opfer eines ,geängsteten, zerschlagenen Herzens' (Ps 51,19), d.h. durch die contritio." 83 WA 3, 282, 6—8, Schol Ps 49(50),5: „Unde sacrificium est finis legis et Euangelii. Quai quid aliud facit Euangelium, quam quod nosipsos mactat et mortificat secundum carnem et sie offert deo vivificatos secundum spiritum?" Das pauinische Bild vom Leib als dem Tempel, der Gottes Einzug zu bereiten ist, besteht daneben freilich noch ungebrochen fort, vgl. das Scholion zu Ps 95(96), 6, WA 4, 109, 33, wo Luther es mit dem lebendigen Opfer aus Rom 12,1 verbindet. 84 WA 3, 283, 21-23, Schol Ps 49(50),5: „Quod autem aln ìllud de sacrificio altaris exponunt, non videtur ad literam dici, licet verum sit, quod sacrificium laudis et res ipsa sacramenti sit idem. Quia in ipso offertur Semper sacrificium laudis, de quo hic loquitur [...]." vgl. besonders WA 4, 241, 12—16, Schol Ps 110(111),3: ,Hoc est opus dei, ut credatis in eum, quem misit ille'. Et hunc esse sensusm huius versus intentum, ex eo puto, quia iam in precedenti de operibus aliis dixerat: ideo nunc opus illorum operatorum describit, sicut creatura est opus domini, et tarnen etiam creatura habet opus suum proprium". Vgl. auch WA 4, 605, 1-18.

§3

Messe und Opfer in der frühen Sakramentstheologie

185

B e w e g u n g an. E i n m a l lässt sie sich ( m o d e r n ) als P r o f a n i s i e r u n g des Sakralen verstehen. Diese Figur k a n n sich d a n n u n g e z w u n g e n mit e i n e m Subjekt- u n d i n d i v i d u u m s f i x i e r t e n Isolationismus v e r b i n d e n . Als Folge b e s t i m m e n sich R e l i g i o n , G e m e i n s c h a f t u n d E t h i k v o n d e r u n g e b r o c h e n vorausgesetzten Profanität her. G e g e n diese theologisch p r o b l e m a t i sche E n t w i c k l u n g w i r d z u r e c h t E i n s p r u c h e r h o b e n . N i c h t selten w i r d dabei aber das pro me u n d Luthers Kritik a m Ex-opere-operato als Heilsindividualismus missdeutet. 8 5 E n t s c h e i d e n d ist n u n aber, dass die so stark gegen Institution u n d M e c h a n i s t i k h e r v o r g e h o b e n e P e r sonalität des E i n z e l n e n bei L u t h e r n i c h t P r o d u k t der S e l b s t w a h r n e h m u n g des bei sich bleib e n d e n M e n s c h e n ist (Subjektfigur), s o n d e r n d u r c h das v o n a u ß e n z u k o m m e n d e Verheiß u n g s w o r t allererst konstituiert w i r d . 8 6 D i e Personalität ist also Folge des W o r t g e s c h e h e n s u n d somit keineswegs mit d e m Selbstabschluss eines v e r i n n e r l i c h t e n Heilsindividualismus zu verwechseln. O. BAYER87 f o r m u l i e r t : „Der Mensch als einzelner ist demnach keine anthropologische Selbstverständlichkeit, sondern eine Wirkung der promissio, d.h. der eschatologischen Entscheidungssituation, die sie schafft. " D e r G e d a n k e der U n v e r t r e t b a r k e i t i m G l a u b e n , w o r a u s sich j a die A b l e h n u n g d e r z u w e n d b a r e n Messe e r g e b e n wird, m o t i v i e r t sich also aus der e x trinsisch konstituierten Personalität. D a z u f ü g t sich a u c h H . H I L G E N F E L D S B e o b a c h t u n g , 8 8 dass L u t h e r e n t g e g e n d e r Tradition b e i m Vergleich der eucharistischen G e m e i n s c h a f t m i t d e n aus einzelnen K ö r n e r n e n t s t a n d e n e n B r o t besonders h e r v o r h e b t , dass die K ö r n e r ihre Eigengestalt verlieren. Es fragt sich daher, o b m a n Luthers K o n z e p t nicht e h e r als Sakralisierung der P r o f a n i tät zu b e g r e i f e n hat. D a n n ist nicht zu w ä h l e n z w i s c h e n einer ekklesiologisch f o r m u l i e r ten O b j e k t i v i t ä t u n d der „ N a c h t des ich b i n i c h " (Hegel). G e f o r d e r t ist v i e l m e h r die W a h r n e h m u n g eines der steten U n t e r s c h e i d u n g a u f g e g e b e n e n D i f f e r e n z b e z u g s v o n Geist u n d Welt, w e l c h e die V e r s ö h n u n g b e i d e r i m C h r i s t u s g e s c h e h e n voraussetzt (Sakralisier u n g der Profanität) u n d etwas grundsätzlich Z u s a m m e n g e h ö r i g e s i m m e r n e u zu u n t e r scheiden hat. Aus einer Inkarnationschristologie erwächst d a n n ein großes K r i t i k p o t e n z i al g e g e n ü b e r einer T r e n n u n g v o n Geist u n d Welt in F o r m der Vorstellung v o n e i n e m o b j e k t i v institutionell b e n e n n b a r e n O r t der Sakralität (Sakrament, Messe), aber auch g e g e n ü b e r einer V e r m i s c h u n g in Gestalt einer i m p e r i a l e n I n a n s p r u c h n a h m e der Sakralität d u r c h die Profanität, w e l c h e d u r c h die B e h a u p t u n g eines u n h i n t e r g e h b a r konstituierten P e r s o n k e r n s die Profanität g e g e n die Sakralität abschottet. G e r a d e letztere D i f f e r e n z w i r d v o n L u t h e r in der Psalmenvorlesung n o c h n i c h t in ihrer Schärfe w a h r g e n o m m e n , g e h t es i h m d o c h zunächst d a r u m , die existenzielle B e d e u t u n g des Messgeschehens g e g e n ü b e r d e m ä u ß e r e n Vollzug zu profilieren. D i e spätere K o n z e p t i o n des verbum externum, die des M e n s c h e n G e r e c h t i g k e i t n u r in Christus zu d e n k e n erlaubt, w e n d e t sich d a n n nicht n u r gegen die F i x i e r u n g der Sakralität ( W o r t als nicht fixierbares M e d i u m ) s o n d e r n a u c h g e 85

Vgl. dazu die Untersuchung A. HASLERS, Luther in der katholischen Dogmatik. Darstellung seiner Rechtfertigungslehre in den katholischen Dogmatikbüchern, München 1968, 98—109. Nach ihm „wird allgemein der Subjektivität von Luthers Sakramentenlehre die Objektivität der katholischen Lehre gegenübergestellt." A.a.O., 101. Das gilt freilich nur für die von Hasler untersuchten Arbeiten. Zu einer differenzierteren Einschätzung Luthers aus katholischer Sicht kommt O. H. PESCH, Theologische Überlegungen zum Subjektivismus' Luthers; Zur Frage: Uber Lortz hinaus?, in: Z u m Gedenken an Joseph Lortz (1887—1975), Beiträge zur Reformationsgeschichte und Ökumene, ed. Rolf Decot und Rainer Vinke, Stuttgart 1989, 106-140. 86 An dieser Stelle ist auf den widersprüchlichen Befund zu verweisen, den die Erste Psalmenvorlesung bietet, wenn man die Texte auf das Konzept einer persönlichen Heilsgewissheit hin befragt. Hier finden sich feste Zuversicht ebenso wie Verunsicherung und Anfechtung. Vgl. dazu B. HAMM, Warum wurde der Glaube, 120f, Anm. 47. 87 Promissio, 244, Anm. 123. 88 Elemente, 286.

186

Zweiter

Teil: Genese

und

Gestalt

gen die Überhöhung der privatistischen Subjektfigur (Wort als Ausdruck der Sozialitat89). Frido MANN bewertet dies als eine „spiritualistische Verdünnung" des Opfercharakters der Messe. 90 Luther leugne zwar nicht den Opfercharakter der Messe als solchen, reduziere ihn aber auf einen inneren, geistigen Vorgang.91 Kriterium von M A N N S Bewertung scheint dabei das Verständnis des Messopfers als ein „Eingehen in das Opfer Christi" zu sein, welches allerdings mit einem nicht sakramentalmessspezifischen OpferbegrifFkaum mehr ausgesagt werden kann. Demgegenüber stellt C.WISL0FF 92 nicht die Transformation des traditionellen Messopfergedankens, sondern die Kontinuität heraus. Auch ein tropologisch gewendeter Opferbegriffkann ja den Zusammenhang zur Messopfervorstellung wahren und impliziert keinen notwendigen Gegensatz zu ihr. 93 2.2.4

Christus als der einzige

Opferaltar

Eine dichte Darstellung seiner opfertheologischen Position bietet Luther in der Auslegung von Ps 83(84), 4: 9 4

89

In einer Auslegung zu J o h 1 ( W A 10 I, 1, 1 8 3 , 1 4 f F u n d 25ff) verbindet L u t h e r die aus der

K o m m u n i k a t i o n s s t r u k t u r des W o r t e s sich ergebende Sozialität mit der U n t e r s c h e i d u n g von Vater und S o h n . D a m i t lässt sich ein Z u s a m m e n h a n g zwischen dem extrinsischen P e r s o n - K o n z e p t L u thers und seiner Trinitätstheologie herstellen, vgl. LIENHARD, a.a.O., 1 2 3 , A n m . 16. 90

A . a . O . , 1 2 9 : „Dass dieses O p f e r der Gläubigen aber weniger eine wirkliche Leilnahme ist an

den Früchten des Kreuzesopfers Christi i m Sinn eines E i n g e h e n s der Gläubigen in das eine O p f e r Christi, sondern vielmehr auf einen inneren Vorgang eingeschränkt wird, wird deutlich an der Auslegung von Ps 5 0 , 14 [ . . . ] . " D i e s e Interpretation verdeckt, dass es Luther hier nicht darum geht, das O p f e r privatisierend zu vergeistigen, sondern seinen existenziellen B e z u g entgegen e i n e m b l o ß e n Vollzugsautomatismus herauszustellen. 91

A . a . O . , 1 2 9 f.

92

A b e n d m a h l und Messe, 16.

93

B e i aller B e r e c h t i g u n g dieser Kontinuität k o m m t bei WISLOFF aber nicht deutlich genug

heraus, dass in dieser tropologischen „ A u f h e b u n g " des Messopfergedankens bereits ein großes k r i tisches Potenzial bereitliegt. Das gilt auch für NOTKER MARIA HALMER, K a m p f , 6 3 , der zu R e c h t „ n o c h keine Spuren eines seelischen Konfliktes mit der ü b e r k o m m e n e n Messauffassung" b e i m L u t h e r der Dictata 94

beobachtet.

W A 3, 6 4 6 , 13—31, S c h o l Ps 8 3 ( 8 4 ) , 4 : „ P r i m u m altare nostrum est Christus, ipse sacerdos et

hostia et altare nostrum, super q u e m nos impositi offerimur deo patri, et in ipso o m n i a nostra sacrificia offerimus. E t ipse in c o r p o r e suo nos obtulit deo mortificatos carne, vivificatos autem spiritu. Si autem in c o r p o r e suo: ergo corpus eius est altare nostrum, c u m n o n possit o f f e r t o r i u m fieri nisi super altari. C r u x autem eius fuit altare eius, in quo ipse fuit oblatus pro nobis, offerens nos in seipso. A l t e r u m est C r u x Christi mystica, in qua o m n e s oportet offerri. Q u i a ,qui n o n accipit c r u c e m suam et sequitur me, n o n est m e dignus': sicut e n i m ipse in c r u c e oblatus est: ita et nos similiter in cruce offerri opportet [...] et super illis (sc. c r u c e et passionibus Christi, quae sunt ista vilia et abiecta in m u n d o , humilitas, o p p r o b r i u m , peripsima, aporia etc. quae Apostolus 2 C o r . 6 . Prolixe numerat) offerimur D e o : sicut Christus in cruce, ita et nos in illis: quae sunt cruces nostrae et passiones nostrae et altaria nostra, super quibus e x h i b e m u s corpora nostra hostiam viventem. Si e n i m sacerdos est Christus, ergo altaria, ergo mactat victimam. Altaria sunt cruces, verbum dei sunt c u l tri, quibus m a c t a t . "

§3

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

187

Unser erster Altar ist Christus, er selbst ist der Priester, die Opfergabe u n d unser Altar, auf den wir gelegt u n d dann Gott dem Vater dargebracht werden. U n d auf i h m selbst bringen wir all unsere O p f e r dar. U n d er selbst bringt uns in seinem Leib Gott als O p f e r dar, gestorben im Fleisch, aber lebendig gemacht im Geiste. W e n n [es aber heißt:] auf seinem Leib: dann ist folglich sein Leib unser Altar, denn eine D a r b r i n g u n g kann nirgendwo anders geschehen als auf e i n e m Altar. Sein Kreuz aber war sein Altar, auf d e m er selbst für uns dargebracht wurde, als er uns in sich selbst darbrachte. D e r andere [Altar] ist das mystische Kreuz Christi, an d e m wir alle dargebracht werden müssen. D e n n ,wer sein Kreuz nicht a n n i m m t und mir nachfolgt, der ist meiner nicht wert': wie er nämlich selbst am Kreuz dargebracht wurde, müssen auch wir am Kreuz dargebracht werden [...] u n d unter j e n e n (nämlich d e m Kreuz u n d den Leiden Christi, w o r unter j e n e Missachtungen u n d Niedrigkeiten in der Welt sind, die Erniedrigung, die Schande, der Auswurf, der Mangel u n d das übrige, was der Apostel 2 Kor 6 reichlich aufzählt) Gott dargebracht werden: wie Christus am Kreuz so auch wir in diesen [widrigen Umständen], Das sind unsere Kreuze, unsere Leidensgeschichten u n d unsere Altäre, auf welchen wir unsere Leiber als lebendige Opfergabe darbieten. W e n n nämlich Christus der Priester ist, dann auch die Altäre, dann schlachtet er das Opfer. Die Altäre sind die Kreuze, die Opfermesser, mit welchen er schlachtet, sind das W o r t Gottes.

Luther konzipiert hier die Opfervorstellung so, dass Christus nicht nur wie in der Liturgie 95 als O r t des Opfers bestimmt wird, der Opfervorstellung also ihren „Sitz im Leben" zuweist (Christus als Altar), sondern auch die Rollen in der Opferhandlung selbst besetzt, indem er sowohl die Passivität (Opfergabe) als auch die Aktivität 96 (Opferaktant) grundsätzlich und vorgängig aus sich selbst bestimmt. Dieser „transzendentalen" Bestimmung aller Opferelemente aus Christus lässt er dann seine Entfaltung folgen. Dabei unterscheiden sich die beiden Absätze (primum - alterum) in der Ortsbestimmung des Opfers, dem Altar des vergangen präsenten Kreuzesopfers und dessen gegenwärtiger mystischer Applikation an alle. Luther geht also — ganz dieser christozentrischen Grundbestimmung entsprechend — zunächst von Christus als dem Subjekt des Kreuzesopfers aus und fragt von dort aus nach dem Einbezug des Menschen in das Kreuzesopfer. Im zweiten Absatz wechselt dann die Perspektive, die Reflexion startet von der Wirklichkeit der Gläubigen aus und fragt nach dem Einbezug des Kreuzesopfers. Vom Christusgeschehen aus k o m m t der Mensch zweifach, als Opfergabe und als Opferaktant in den Blick, wobei Luther nur Ausfuhrungen über die Gabenrolle macht. Die Einheit von Christus und Christen, den Einbezug der Gläubigen in das Kreuzesopfer, gewährleistet dabei die Wahrnehmung Christi als Leib, seine Sozialität. Deren Wirkung auf den Menschen beschreibt er im Gegenüber von Fleisch und Geist: getötet nach dem Fleisch, lebendig gemacht im Geist. Die Differenz von Christus und Christen im Kreuzesgeschehen wird dabei aber nicht so aufge-

95 Der Altar stand seit alters her für das Christusgeschehen, der Spruch „altare es Christus" begegnet schon im Zusammenhang mit der Papstmesse des frühen 7. Jahrhunderts, vgl. H. A.J. WEG-

MANN, G e s c h i c h t e , 1 4 7 . 96 Genau genommen kann die Übernahme der Gabenrolle ja auch Ausdruck höchster Aktivität sein, insofern ist die Begrifflichkeit nicht absolut zu verstehen, sondern bleibt auf den Opfervollzug selbst beschränkt.

188

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

hoben, dass im Leib Christi beide nicht mehr unterscheidbar wären. Dies kommt in der Verschiedenheit der Opferorte (altare eius — altare nostrum) zum Ausdruck. Im Kreuzesopfer erscheint Christus in der Doppelrolle der Opfergabe (fuit oblatus) gegenüber dem Vater und des Opferaktanten (offerens) gegenüber den Gläubigen, die hier nur als Opfergabe (nos offerens) in den Blick kommen. Die tropologische Bedeutung des Kreuzes thematisiert Luther dann im zweiten Abschnitt. Ausgehend von M t 10,38 wird die Notwendigkeit der Kreuzesnachfolge zunächst biblisch-christologisch begründet und dann in menschlichen Leidensund Erniedrigungserfahrungen konkretisiert gesehen. Die Opfersemantik firmiert dabei als Deutehorizont: Die Erniedrigungssituation ist Kreuz und Altar, Christus der Opferpriester und die das „Kreuz" erleidenden Christen die Opfergabe. Theologisch bedeutsam ist hier erstens das christologische Grundmodell dieser Konzeption. Der Mensch wird über die Corpus- Vorstellung mit Christus verbunden und kann so in das Kreuzesopfer und damit das Versöhnungsgeschehen einbezogen werden. Christus erscheint vor allem als Mittler zwischen Gott und Mensch, der Vater kommt nur als Adressat des Opfers in den Blick, auf die Identität mit dem Sohn auch im Kreuzesgeschehen rekurriert Luther hier nicht. 9 7 Gegenüber einer allgemeinen Opfervorstellung werden also alle Opferelemente von Christus aus bestimmt. Die opferkritische, transformierende Kraft dieser Christozentrik wird aber noch nicht aktualisiert, weil Sohn und Vater nur in ihrer Differenz wahrgenommen werden. In der Zuweisung der Adressatenrolle an „Gott" wird die Opferlogik gerade nicht von innen heraus gesprengt, sondern nur quantitativ überboten (Christus als höchste erdenkliche Opfergabe 98 ) und damit als bleibender Deutehorizont des Verhältnisses Mensch - Gott gerade wieder ins R e c h t gesetzt. So kommt Gott aber nicht als immer schon Versöhnter, sondern vor allem als zu Versöhnender in den Blick. Freilich ist mit diesem Akzent auf der alltäglichen Kreuzesnachfolge in Leidensund Erniedrigungserfahrungen zweitens auch eine Distanz zur sakramentalen B e stimmung des Opfers angezeigt. Christi Opfer am Kreuz und unser Opfer werden nun nicht mehr so verbunden, dass vor allem die Messe (und damit das kirchliche Sakrament) den Ort des Einbezugs des Menschen in Gottes Versöhnungshandeln bezeichnete. Nicht nur das Sakrament, auch das Opfer löst Luther aus seiner B i n dung an die Messe und weitet damit den Begriff aus. Das bedeutet noch keine Absage an das Messopfer, wohl aber dessen Relativierung, wird es doch zumindest theoretisch nur zu einer Möglichkeit unter vielen und verliert seine privilegierte Stellung in der Heilsvermittlung. Konsequenzen für die Messopfertheologie, die Sakramentenlehre oder die Ekklesiologie hat diese Einsicht in den Dictata freilich noch nicht zur Folge. Luther kann das rechtfertigende Gnadenwort eng mit dem

9 7 Das k o m m t auch terminologisch zum Ausdruck. Luther bezeichnet mit deus immer den Adressaten des Kreuzesopfers, niemals den Christus als Gabe. 9 8 Vgl. ANSELMS Formulierung „bonum quo nihil melius cogitari potest", die BIEL L . 3 2 F (1, 3 3 3 ) aufnimmt.

§3

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

189

Amt und der Autorität der Kirche verbinden." Zwar nimmt er die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer, fleischlicher und geistlicher Kirche auf, 100 wendet sie aber nicht kritisch gegen die vorfindliche Ekklesiologie. 101

3 Die Römerbriefvorlesung im Kontext 3.1

(1515/16)

einer Neubestimmung

Die Externität

— Sakrament, des

Messe und

Opfer

Gerechtigkeitsbegriffes

der Iustitia Dei als theologisches

Grundmodell

In der Römerbriefvorlesung beschreibt Luther die Anteilhabe am Christusgeschehen in einer Doppelfigur. Tod und Auferstehung Christi bewirken des Menschen Gerechtigkeit im Glauben, und Gerechtigkeit und im Glauben wahrgenommenes Wort sind so eng verbunden, dass die Gerechtigkeit des Menschen auf dem Wort beruht. Einmal geht es also um den geschichtlichen, das andere Mal um den gegenwärtigen Christus. Deren Verhältnisbestimmung besitzt für die Messopferthematik insofern Bedeutung, als hier die für die Messopfervorstellung klassische Frage berührt wird, wie etwas Vergangenes gegenwärtig werden kann. Luther stärkt zunächst das etr) des Bibeltextes wiederzufinden vermag. Vgl. zu der Auseinandersetzung mit BRILIOTH insgesamt WISLOFF, a.a.O., 35 und VAJTA, Theologie, 6 2 f . PETERS, K o m m e n tar, 4, 32f, spricht vom Testamentsbild als einer „Chiffre für Gottes Bundeszusage".

§3

Messe und Opfer in der frühen Sakramentstheologie

213

Die christologische Prämisse seiner Verwendung des Testamentsbegriffes, wie sie aus der Kurzcharakteristik des Hebräerbriefes hervorging, bestand in der U n t e r scheidung von Christus, Heil und Gnade einerseits und Gesetz, Priestertum, Prophetie und menschlicher Gerechtigkeit andererseits. In der Randglosse zu Hebr 8,11 kontrastiert er dann die Verheißungen von Altem und N e u e m Testament mit Hilfe des Testamentsbegriffes. W ä h r e n d im vorherigen Testament die Verheißungen geliebt, das Testament aber gehasst worden sei, verhalte es sich im N e u e n so, dass das Testament auch unter der Verheißung geliebt werde. 2 1 6 Was Luther unter „Verheißung" versteht, zeigt ein Blick auf seine Randglosse zu Hebr 6,5. Dort erklärt er das ,gute Wort Gottes' als „die Verheißung des ewigen Lebens, weil ,gut' freundlich und tröstend für die Glaubenden meint." 2 1 7 Zwei M o m e n t e charakterisieren damit Luthers Verheißungsbegriff: Die personale Ausrichtung auf den einzelnen Glaubenden anstatt einer allgemeinen Ausrichtung und die inhaltliche Bestimmung als Trost und nicht als Anforderung.

4.2.2.2

Das

Testament

als Interpretament

der

Einsetzungsworte

Innerhalb dieser Vorgabe verwendet Luther den Testamentsbegriff nun nicht nur als eine Setzung Gottes im Sinne der Termini pactum und promissio, sondern expliziert ihn unter Rückgriff auf seine juridisch-profanen Konnotationen. Bereits im Scholion zu Hebr 7,22 verbindet er das testamentum so mit dem Glauben: Festzuhalten bleibt, dass, w o die heiligen S c h r i f t e n davon schreiben, dass G o t t ein testamentum m a c h e , sie d o r t d u n k e l anzeigen, dass G o t t einmal sterben u n d sein E r b e verteilen wird, w i e es u n t e n , [Kapitel] 9, heißt: , W o ein Testament ist, da muss der T o d des Erblassers e i n t r e t e n ' u.s.w. Deshalb b e g e g n e n die Vokabeln ,Testament', ,Erbe', ,(Erb)teil', .Anteil', ,Kelch' a u c h so häufig. Sie alle zeigen d e n Tod Christi u n d d e n G l a u b e n an seine A u f e r s t e hung an.218

Diese Verbindung zwischen testamentum und Christusgeschehen präzisiert dann das Scholion zu Hebr 9,17. 2 1 9 Luther erkennt zunächst als das Thema der Stelle die hinweisende Funktion des mosaischen Gesetzes auf die in Christus erfüllten Verheißungen. U n t e r dieser Prämisse impliziert auch hier der Begriff testamentum das

216 „Quia in priore testamento sie erat, ut promissa quidem amarentur, testamentum vero odiretur; in isto autem sie agitur, ut testamentum diligatur etiam supra promissa." Was Luther unter der Verheißung versteht, zeigt ein Bick a u f W A 57 III, 31, 20f, RG1 6,5. Dort erklärt er das ,gute Wort Gottes' als „promissionem aeternae vitae, quia ,bonum', hoc est iocundum eonsolatoriumque credentibus. 217 ,,[...] promissionem aeternae vitae, quia ,bonum', hoc est iocundum consolatoriumque credentibus." WA 57 III, 31, 20f. 218 „Notandum, quod ubi in Scripturis sanetis scribitur D e u m testari ibi subobscure significatur Deus aliquando moriturus et haereditatem dispositurus, ut infra 9.: ,Ubi testamentum est, necesse est mors intereedat testatoris' etc. Q u o d in Christus impletum est. Inde tarn frequentia in Scriptura vocabula ,testamentum', .haereditas', ,pars', .portio', ,calix' etc. In quibus ómnibus mors Christi et fides resurrectionis eius indicatur." WA 57 III, 193, 18—24. 219 „Testamentum enim in mortuis confirmatum est." WA 57 III, 211, 18—22.

214

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

Christusgeschehen.220 Dieser B e z u g wird dann anhand der einzelnen der Testamentsvorstellung,

wie

L u t h e r sie b e i C h r y s o s t o m u s

findet

Elemente und

refe-

r i e r t , 2 2 1 für die E i n s e t z u n g s w o r t e entfaltet. C h r i s t u s hinterließ, w i e die s y n o p t i s c h e n F a s s u n g e n d e r Perba b e l e g e n , i n s e i n e m T e s t a m e n t d i e G ü t e r d e r S ü n d e n v e r g e b u n g u n d d e s e w i g e n L e b e n s als sein E r b e . 2 2 2 A l s E r b e n n o m i n i e r t L u t h e r „ d i e j e n i g e n , w e l c h e seinen N a m e n furchten u n d an ihn g l a u b e n " . 2 2 3

Ausdrücklich

w e i s t e r d a r a u f h i n , dass dies n i c h t allen M e n s c h e n g e l t e . A l s A u s s c h l u s s k r i t e r i u m gilt i h m a b e r g e r a d e n i c h t die m e n s c h l i c h e D i s p o s i t i o n . E r verweist stattdessen a u f d i e P r ä d e s t i n a t i o n G o t t e s . 2 2 4 W i e a b e r v e r m i t t e l t s i c h dieses E r b e ? Als Z e u g e n u n d T r ä g e r dieses G e s c h e h e n s b e n e n n t L u t h e r d e n H e i l i g e n G e i s t u n d die A p o s t e l . I h r e Tätigkeit beschreibt der Gedächtnisauftrag: , S o l c h e s tut zu m e i n e m G e d ä c h t n i s ' , das ist, was d e r A p o s t e l sagt: Sie sollen s e i n e n T o d v e r k ü n d i g e n , die B u ß e , die V e r g e b u n g der S ü n d e n u n d das e w i g e L e b e n predigen, sodann die G n a d e , w e l c h e uns i m T e s t a m e n t hinterlassen ist, n i c h t u m s o n s t e m p f a n g e n , s o n d e r n g e g e n die S ü n d e n g e b r a u c h e n . S o s p r i c h t er n ä m l i c h : ,Das ist m e i n G e b o t , dass ihr e i n a n d e r liebt'.225 D a s N e u v e r s t ä n d n i s d e r verba m a c h t e r n e u t e i n V e r g l e i c h m i t B I E L d e u t l i c h . E r b e z i e h t d e n A u f t r a g a u f d e n V o l l z u g des A l t a r s a k r a m e n t s u n d s i e h t h i e r d i e D i f f e r e n z z w i s c h e n L a i e n u n d P r i e s t e r n e t a b l i e r t . 2 2 6 D a v o n findet sich bei L u t h e r kein W o r t . N i c h t n u r ü b e r e i n e R e p r ä s e n t a t i o n des K r e u z e s o p f e r s i m S a k r a m e n t s c h w e i g t e r s i c h aus, e r stellt ü b e r h a u p t k e i n e n E x k l u s i v b e z u g z w i s c h e n K r e u z u n d A l t a r s a k r a m e n t h e r . 2 2 7 D i e e i n z i g e W e i s e , i n d e r s i c h das K r e u z J e s u u n d d i e G e g e n w a r t d e r 220 „Iste locus Apostoli plane aperit allegoricam intelligentiam legis Moysi, qua cognoscimus omnia illius legis de Christo et in Christo promissa figuratque fuisse, ideoque [...] sub nomine testamenti et promissionis olim definitam fuisse m o r t e m eius, qui verus esset Deus et verus h o m o . " W A 57 III, 2 1 1 , 1 6 - 2 0 . 2 2 1 W A 57 III, 2 1 1 , 2 2 - 2 7 . 2 2 2 W A 57 III, 2 1 2 , 1 - 2 3 . 223 „[...] qui timent nomen eius et credunt in e u m " W A 57 III, 2 1 3 , 2f. 2 2 4 W A 57 III, 2 1 2 , 2 9 - 2 1 3 , 2. 2 2 5 , H o c facite in meam commemorationem', hoc est, ut Apostolus ait: mortem eius annuncient, poenitentiam et remissionem peccatorum et vitam aeternam praedicent, deinde gratiam testamento relictam non invacuum accipiant, sed adversus concupiscentias exerceant. Sic enim dixit: , H o c est praeceptum meum, ut diligatis invicem' [ . . . ] . " W A 57 III, 2 1 3 , 12—16. 226 „Hocfacite in meam commemorationem. Facite id est conficite. Hic eos in sacerdotes ordinasse creditur, et ipsis potestatem consecrandi contulisse [...]. Si ergo ad omnes fideles generaliter se extenderent tanquam ad omnes a christo prolata, omnes recepissent potestatem consecrandi quod n e m o dicit." L . 5 3 U (2, 333). 2 2 7 BIZER, a.a.O., 7 0 , formuliert polarisierend: „Danach scheint der Tod Christi die Bedeutung zu haben, dass er die Gültigkeit des Testaments zur Folge hat. Christus stirbt nicht, um uns im Geistlichen und im Leiblichen ein Vorbild zu sein, sondern damit die Verheißung Gottes in Kraft treten könne. Dann aber ist der Mensch nicht mehr an das Bild und an das Schicksal Jesu gewiesen, sondern an das Testament Gottes, das durch den Tod Jesu in Kraft gesetzt worden ist. Pointiert ausgedrückt: man hat es nicht mehr mit dem Schicksal Jesu zu tun, sondern mit seiner Hinterlassenschaft." HILGENFELD, a.a.O., 88, Anm. 3 1 0 grenzt seine Position wohl zu scharf von BIZER ab. E r sterer wendet sich gegen die Annahme, Luther habe hier schon eine eigene Position eingenommen, und seine AbendmahlsaufFassung mithilfe des Testamentskonzeptes voll durchgebildet, sieht aber auch, dass die Konzeption von 1 5 2 0 hier schon vorbereitet wird (a.a.O., 88). Letzterer spricht

§3

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

215

Gläubigen berühren, ist für Luther die Predigt von der Sündenvergebung. Die Liebe wird dabei deutlich (deinde) als eine Folge und nicht als eine Voraussetzung der Sündenvergebung und der Zusage des ewigen Lebens verstanden. Insgesamt lehnt sich Luther in Aufbau und Inhalt an C H R Y S O S T O M U S an. Er markiert aber eine wichtige Differenz zu B I E L , insofern das Testament und damit die Verheißung nicht etwa die ererben, welche Gottes Anordnungen halten und bewahren oder keinen Riegel vorschieben. Vielmehr sind es hier diejenigen, welche ihn furchten und welche glauben. 2 2 8 Diese Fassung der Testamentsmetapher legt also das Gewicht auf die Aktivität des Testators u n d die rein rezeptive Haltung des Erben. Insofern ist sie besonders geeignet, das Sakrament als Handeln Gottes am Menschen kenntlich zu machen.

4.3

Die Messe als

Opfer

4.3.1

Das tägliche Opfer als Gedächtnis des Kreuzesgeschehens

In der Auslegung von Hebr 10,10.14, 229 wo die Aufhebung der alttestamentlichen Opfer im Kreuzesopfer Christi thematisiert wird, k o m m t Luther dann auch auf das Verhältnis von Kreuzes- und Messopfer zu sprechen. Zunächst benennt er das Problem: „Wieso hört heute nicht auch unser Opfer auf, da wir doch durch die Taufund Bußgnade vollendet und gerechtfertigt sind? Täglich wird Christus doch für uns dargebracht." 2 3 0 Luther gibt auf diese Frage zwei Antworten, die beide seine innere Distanz zu der vorfindlichen Messopfervorstellung anzeigen, ohne die Vorstellung eines täglichen Opfers Christi selbst infrage zu stellen. Sein Ausgangspunkt ist das ecpdjtai; des Kreuzesgeschehens: 231 „Christus ist nur einmal geopfert worden". 2 3 2 Die erste Lösung besteht in der Interpretation des täglichen Opfers als

z w a r v o n e i n e m „ e n t s c h e i d e n d e n F o r t s c h r i t t " (a.a.O., 7 0 ) ,

formuliert

in d e r S a c h e a b e r v o r s i c h t i g ,

w e n n e r n u r alle S t i c h w o r t e (also d o c h w o h l n o c h n i c h t d e r e n V e r b i n d u n g z u e i n e r e i g e n s t ä n d i g e n K o n z e p t i o n ) v o r l i e g e n s i e h t (a.a.O., 7 1 ) . A u s d r ü c k l i c h w e i s t BIZER z u d e m d a r a u f h i n , dass L u t h e r in d e r A b e n d m a h l s l e h r e aus s e i n e r n e u e n E r k e n n t n i s n o c h k e i n e K o n s e q u e n z e n g e z o g e n h a b e (a.a.O., 70). 228

D a s s L u t h e r h i e r „ g l a u b e n " i m r e f o r m a t o r i s c h e n S i n n e v e r s t e h t , ist a n g e s i c h t s s e i n e r A u s l e -

g u n g z u H e b r 9, 14 n i c h t z u b e s t r e i t e n . V g l . z u d e r D i f f e r e n z z w i s c h e n t r a d i t i o n e l l e m u n d r e f o r m a t o r i s c h e m T e s t a m e n t s k o n z e p t a u c h GRÖTZINGER, a . a . O . , 3 7 , A n m . 1 5 9 . 229

I c h f o l g e h i e r H . FELD, d e r d e n Passus e n t g e g e n HIRSCH-RÜCKERT d i e L e s a r t d e r H s P d e m

10. K a p i t e l z u w e i s t . A n d e r s e n t s c h e i d e t sich WISLOFF, a . a . O . , 18. 230

„ Q u o m o d o e t i a m n u n c n o n cessat o b l a t i o n o s t r a , c u m p e r g r a t i a m b a p t i s m i e t p o e n i t e n t i a e

p e r f e c t i e t iusti s u m u s ? Q u o t i d i e e n i m C h r i s t u s o f f e r t u r p r o n o b i s . " W A 5 7 III, 2 1 7 , 2 5 f . 231

V g l . BIEL, L . 5 3 U (2, 3 3 2 ) „ E c c e , d i c i t b e a t u s A m b r o s i u s q u o d u n u m est s a c r i f i c i u m q u o d

obtulit christus, et q u o d nos o f f e r i m u s , q u a m v i s n o n e o d e m m o d o offeratur. A b ipso q u i d e m o b l a t u m est i n m o r t e : a n o b i s n o n in m o r t e : q u i a christus resurgens ex mortuis iam non moritur, R o m V I , s e d i n m o r t i s r e c o r d a t i o n e m o f f e r t u r a n o b i s . U n d e n o s t r a o b l a t i o n o n est r e i t e r a t i o s u e o b l a t i o n i s : s e d r e p r a e s e n t a t i o . " D e r A b w e i s e i n e r W i e d e r h o l u n g des K r e u z e s o p f e r s in d e r M e s s e ist also n o c h n i c h t als A n w e n d u n g v o n L u t h e r s n e u e r E r k e n n t n i s a u f das M e s s o p f e r z u b e g r e i f e n . G e g e n BIZER, E n t d e c k u n g , 71. 232

„ C h r i s t u s o b l a t u s est n o n msi s e m e l " . W A 5 7 III, 2 1 7 , 2 9 f .

216

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

eines Gedächtnisses des Leidens Christi, die er bei CHRYSOSTOMUS233 vorfindet: „Was von uns aber täglich dargebracht wird, ist weniger eine D a r b r i n g u n g als ein Gedächtnis seines O p f e r s , so spricht er ja: .Solches tut zu m e i n e m G e d ä c h t n i s ' . " 2 3 4 I m Anschluss grenzt L u t h e r das Kreuzesgeschehen zunächst v o n d e n m e n s c h l i c h e n Gedächtnisakten ab: „ E r leidet nämlich nicht jedes Mal, w e n n er als L e i d e n d e r eri n n e r t w i r d . " 2 3 5 D a n n h e b t er seine B e s o n d e r h e i t g e g e n ü b e r anderen Stationen d e r Heilsgeschichte hervor: „Es ist viel n o t w e n d i g e r als einst, dieses Gedächtnis zu w i e d e r h o l e n , als das w i e d e r h o l t e G e d e n k e n des Gesetzes des H e r r n u n d des A u s zugs aus Ä g y p t e n die R e g e l w a r . " 2 3 6 E n t s c h e i d e n d ist hier der Z u s a m m e n h a n g zwischen Opferqualifikation u n d G e dächtnisvorstellung. Ist die Messe deshalb ein O p f e r , weil sie das Kreuzesopfer vergegenwärtigt, d a n n b e g r ü n d e t sich ihre Opferqualifikation nicht selbstständig aus e i n e m zweiten D a r b r i n g u n g s a k t , s o n d e r n aus der G e g e n w a r t des Kreuzesopfers i m M o d u s des Gedächtnisses. O d e r aber Gedächtnis u n d O p f e r sind v o n v o r n h e r e i n u n t e r s c h i e d e n , d a n n ist die Messe zwar Gedächtnis des Kreuzesopfers, aber als solches nicht schon selbst O p f e r . D i e Alternative zeigt, w i e sehr die M e s s o p f e r t h e o l o gie v o m vorausgesetzten Gedächtnisbegriff abhängt. L u t h e r folgt hier e i n d e u t i g d e m zweiten M o d e l l u n d grenzt die Messe als Gedächtnis ausdrücklich v o n der Opferqualifikation ab: D i e Messe als memoria interpretiert nicht die Messe als oblatio, s o n d e r n tritt an ihre Stelle. 2 3 7 Das soll die Vorstellung einer zweiten O p f e r u n g Christi ausschließen u n d w i r d in Analogie z u m alttestamentlichen Passahgedenken gesehen. Mess- u n d Kreuzesopfer w e r d e n also nicht als ein einziger O p f e r a k t b e griffen, das Messopfer b e s t i m m t sich nicht als sakramentale V e r g e g e n w ä r t i g u n g des Kreuzesopfers, dieses erscheint i m M o d u s des Gedächtnisses u n d gerade nicht des Opfers. D a b e i k a n n L u t h e r hier offen lassen, w o r i n das Gedächtnis des K r e u zesopfers d e n n bestehe, hat er d o c h bereits bei seiner Auslegung v o n H e b r 9,14 die M e h r u n g des Glaubens als das Ziel der Kreuzesmeditation beschrieben. 2 3 8

233 „Ad q u a m respondet Chrisostomus; . O f f e r i m u s q u i d e m , sed ad recordationem mortis eius, et haec est una hostia semel oblata'". W A 57 III, 217, 2 7 - 2 9 . Das Zitat stammt aus H o r n 17f, 46b (PG 63, 649). 234 „ Q u o d a u t e m a nobis offertur quotidie, n o n tarn oblatio q u a m m o e m o r i a est oblationis illius, sicut dixit: Hocfacite in meam commemorationem." W A 57 III, 217, 30—218, 2. 235 „ N o n e n i m toties patitur, quoties m e m o r a t u r passus." W A 57, III, 218, 2f. 236 W A 57 III, 217, 27—218, 5: „Christus oblatus est n o n nisi semel, ut capite praecedente. N o n e n i m toties patitur, quoties m o e m o r a t u r passus. H a n c a u t e m m o e m o r i a m repeti m u l t o magis n e cessarium est q u a m olim, ubi repetenda praecipiebatur m o e m o r i a phase D o m i n i et exitus de A e gipto." 237 PRATZNER, a.a.O., 25f sieht hierin die Differenz z u m &vd|I,vriaig-BegrifFdes CHRYSOSTOMUS, insofern dieser das Messopfer mit d e m Kreuzesopfer so zu verbinden vermag, dass O p f e r Christi u n d O p f e r der Kirche in e i n e m einzigen O p f e r a k t zusammengeschlossen werden. Dass L u t h e r hier „die Messe n o c h als O p f e r anerkannt [hat]", o d e r sich gar zur „ N o t w e n d i g k e i t der ständigen W i e d e r h o l u n g dieses O p f e r s " b e k e n n e , w i e MEYER, Luther, 157, behauptet, kann ich nicht sehen. 238 „eo studio debet eius passio cogitari, ut fides augeatur, scilicet ut q u o frequentius meditetur, eo plenius credatur sanguniem Christi pro suis peccatis e f f u s u m . " W A 57 III, 209, 19—21. Schol H e b r 9,14.

§3

4.3.2

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

217

Das tägliche Opfer als geistliches Selbstopfer der Kirche

N e b e n dieser Interpretation des Opfers als Gedächtnis bietet Luther n o c h eine zweite Lösung, die nicht den O p f e r b e g r i f f ersetzt, sondern die Opfergabe auswechselt. A u c h dieser zweite Gedankengang basiert auf der grundsätzlichen D i stanz z u m zurückliegenden Kreuzesgeschehen: „Ferner ist das O p f e r dieses n e u e n Bundes, was das H a u p t der Kirche, welches Christus ist, anlangt, abgeschlossen u n d hat restlos aufgehört f...]." 2 3 9 Das tägliche O p f e r wird dann als ein geistliches Selbstopfer der Kirche verstanden: „Als ein geistliches O p f e r seines Leibes, der die Kirche ist, wird es aber tagtäglich dargebracht, solange [sein Leib] unablässig mit Christus stirbt u n d das mystische Gesetz feiert, das heißt nach d e m T ö t e n der S ü n den zur künftigen Herrlichkeit aus dieser Welt h i n ü b e r geht." 2 4 0 Dieses geistliche O p f e r ist bereits seit der Psalmenvorlesung bekannt. 2 4 1 I m Scholion zu H e b r 10,5 präzisiert es Luther: „ D u r c h die ganze Schrift wirkt der Geist deshalb auf dieselbe Art, dass wir Gottes Stimme hören, das heißt glauben. [...] , D u hast mir die O h r e n geöffnet', das heißt: D u hast es gewirkt, dass m a n mir u n d an mich glaubt. U n d so w u r d e die Vergebung der Sünden u n d das Heil nicht durch [das O p f e r n von] Vieh gewirkt, sondern durch mich für die, die an m i c h glauben. U n d das ist das Opfer, welches G o t t gefällt, das heißt der Glaube an Christus." 2 4 2 D e r Messopfergedanke wird also nicht prinzipiell durch ein Kreuzesgedenken abgelöst, Luther behält die Opferqualifikation der Messe durchaus bei. Allerdings bestimmt er die Messe nicht als Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers, sondern fasst das O p f e r allein als geistliches O p f e r auf. Dieses O p f e r besteht nicht m e h r im O p f e r des sakramentalen Leibes Christi durch die Kirche. Vielmehr geht es u m ein Selbstopfer dieses Leibes, der in Christus der Sünde abstirbt. Luther verändert also einmal die Handlungsstruktur des bisherigen Messopfermodells. Eine zweite D i vergenz ergibt sich aus d e m Tertium zwischen d e m O p f e r Christi u n d der Kirche: D e m T ö t e n der Sünde. Dieses beständige Sterben mit Christus übergreift O r t u n d Vollzug des Altarsakraments. Luther vertritt hier also kein exklusiv sakramentales Messopfer. Das geistliche O p f e r ist Folge des Kreuzesopfers, Christus erscheint als Vorbild i m O p f e r u n d nicht als Adressat des Opfers. 2 4 3 N i c h t weil sie das Kreuzes239 „ D e i n d e oblatio haec novi testamenti q u o a d caput Ecclesiae, qui Christus est, perfecta est et cessavit o m n i n o [...]." W A 57 III, 218, 5f. 240 „spiritualis a u t e m c o r p o r i s sui, q u o d est Ecclesia, o f f e r t u r de die in diem, d u m assidue m o r i tur c u m C h r i s t o et phase m y s t i c u m celebrat, scilicet concupiscentiis mortificatis ad f u t u r a m g l o r i a m transiens ex h o c m u n d o . " W A 57 III, 218, 7 - 9 . Vgl. a u c h die A u s l e g u n g zu H e b r 10,19: „ I d e o passio carnis Christi, m o r s et sublatio eius s a c r a m e n t u m est m o r t i f i c a n d a e conscientiae, mortis eiu s d e m . Introitus a u t e m coeli p e r m o r t e m Christi s a c r a m e n t u m est nostrae q u o q u e novae vitae et viae, qua coelestia t a n t u m quaeramus et a m e m u s t o t o prorsus affectu ingressi in coelestia, ut sit .conversado nostra' iuxta A p o s t o l u m ,in coelis'." W A 57 III, 222, 29—223, 4. 241 Vgl. dazu o b e n § 3 . 2 . 2 . 242 „ I n d e p e r totani Scripturam id agit unice spiritus, ut v o c e m D e i audiamus id est credamus. [...] .Aperuisti m i h i aures', id est fecisti, ut m i h i et in m e crederetur, et ita fieret p e r me, n o n per pecora remissio p e c c a t o r u m et salus credentibus in me. Et h o c est sacrificium, q u o d placet D e o , scilicet fides C h r i s t i . " W A 57 III, 221, 8 - 1 5 . 2 4 3 R . MESSNEB, a.a.O., 149, ist also gegen PRATZNER, a.a.O., 27, R e c h t zu geben, w e n n er d e n

218

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

opfer vergegenwärtigte, sondern weil in ihr die Gläubigen sich Gott hingeben ist also auch die Messe ein Opfer zu nennen. Luther bleibt damit auf der Linie seiner bisher beobachteten tropologisch gewendeten Sakramentsauffassung. 244 So lässt sich die Messopfertheologie der Hebräerbriefvorlesung nicht einfach als unselbstständige Fortsetzung des Bisherigen verstehen. Dies wird deutlich, wenn man auf die Z u o r d n u n g von Christus und Kirche blickt. N u r im R a h m e n dieses als geistlich bestimmten Opfers kann die Kirche nämlich als Subjekt des Opfers auftreten, sie wird nicht mehr in das am Kreuz vollzogene Versöhnungsgeschehen hineingenommen, indem ihr Opfer mit dem Opfer Christi gleichzeitig würde. Vielmehr erscheint das Opfer der Kirche durch die tropologische Wendung des Messopfergedankens als eine nicht einmal messspezifische Antwort und Folge des Kreuzesopfers. So findet sich hier beides: Sowohl die Kontinuität zur Sakramentsauffassung der Psalmen- und Römerbriefvorlesung als auch die zukunftsweisende, in der Folgezeit immer deutlicher hervortretende Gegenüberstellung von Christus und Kirche. Indem Luther das ecpccnai; derart betont, dass für ihn das Kreuzesopfer nicht nur als einmalig und vollgenugsam gelten darf, sondern auch seine Vollendung erfahren, ja schlechthin aufgehört hat, 2 4 5 etabliert er ein bleibendes Gegenüber von Christi Handeln am Kreuz und dem Handeln der Kirche im Sakrament. 2 4 6 Diese Ambivalenz zeigt auch die Debatte u m die Einordnung der Hebräerbriefvorlesung in die messtheologische Entwicklung Luthers. Steht er hier in der theologiegeschichtlichen Tradition des Spätmittelalters, welche den Gedächtnisbegriff nicht mehr als Opfer zu bestimmen vermochte, oder zeigen sich hier bereits die Folgen des reformatorischen Neuansatzes? C.F. W I S L 0 F F 2 4 7 wendet sich dagegen, Luthers spätere Kritik schon in die Hebräerbriefvorlesung hineinzuprojizieren, Z u s a m m e n h a n g von Mess- und Kreuzesopfer hier nicht als Trennung beschreibt. Luther b e stimmt das Messopfer zwar nicht als sakramentales Gedächtnis des Kreuzesopfers, versteht es aber sehr wohl als A u f n a h m e und Entsprechung zum Kreuzesopfer Christi. O b sich der von R . MESSNER erwünschte sakramentale Gedächtnisbegriff und Luthers sakramentales Wortverständis so bruchlos ineinananderfiigen, wie er dies a.a.O., 148—153 nahe legt, bleibt allerdings noch zu prüfen. 244 Das verkennt PRATZNER, a.a.O., 58, der Luthers Entsakralisierung des Gedächtniskonzeptes als Krise der sakramentalen Idee deutet. 245 Die U n t e r s u c h u n g der späteren Schriften Luthers, insbesondere des ,Sermo von d e m N e u en Testament' wird zeigen, dass Luther das omnino cessavit insofern relativiert, als der Erhöhte Christus fürbittend für die Gläubigen eintritt. 246 Darin liegt das R e c h t von PRATZNERS B e t o n u n g des Kontrasts zwischen Kreuzes- und Messopfer. W e n n er allerdings behauptet „Damit scheint für Luther der Weg zum Verständnis des .täglichen Opfers' als eines wirklichen Opfers versperrt, zumal ihm alle übrigen Opfervorstellungen mit d e m einen O p f e r Christi mit R e c h t unvereinbar erscheinen" (a.a.O., 27), so wird er selbst O p f e r einer Messopfertheologie, welche die Opferqualifikation der Messe nur sakramental zu b e gründen erlaubt. Ist denn das von Luther konzipierte geistliche O p f e r kein wirkliches Opfer? Sowohl die späteren Schriften Luthers (als auch deren kontroverstheologische Rezeption!) zeigen, dass der Opfergedanke nicht schon dann aus der Messe zu verabschieden ist, wenn er nicht m e h r sakramental begründet wird. A u c h die oben zitierte Passage der Hebräerbriefvorlesung enthält ja keinen prizipiellen Abweis der Messopfervorstellung. Vgl. unten §5.1.4.3.2. 247 A.a.O., 18f.

§3

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

219

wie er es bei E. SEEBERG248 vollzogen sieht. Ihm ist daher die Distanz zu Luthers Messopfertheologie der 20er Jahre besonders wichtig. Folglich versteht er obige Auslegung Luthers als traditionskonform 249 und sieht in ihr noch keine Antwort auf die Fragen des reformatorischen Luther. 250 Kommt man von der vollausgebildeten Messtheologie der zwanziger Jahre her, so wird in der Tat deutlich, was hier noch fehlt: Die Wahrnehmung dieses Modells als explizite Absage an die sakramentale Messopferkonzeption. Einseitig wird diese Perspektive aber dann, wenn nicht zugleich die theologischen Möglichkeiten erfasst werden, welche die Sakramentstheologie der Hebräerbriefvorlesung fiir die spätere Kritik bereithält. W i s L 0 F F würdigt dieses Potenzial nicht gleichermaßen, weil er die Messopferfrage in der Hebräerbriefvorlesung von ihrem sakramentstheologischen Rahmen isoliert. Dann erscheint Luthers spätere explizite Messopferkritik als zwar folgerichtige aber letztlich doch spontane Neuschöpfung der 20er Jahre, denn ihre theologische Vorbereitung erfährt nicht ausreichende Würdigung. Die Begründung der Messopferkritik in der Verhältnisbestimmung von Glaube, Wort und Sakrament tritt so in den Hintergrund. Andererseits ist aber eine deutliche Differenz zu der ausgeführten Messopferkritik in der Tat festzuhalten. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Messopfertheologie zur Zeit der Hebräerbriefvorlesung gehören insofern zusammen, als sie genau das zum Ausdruck bringen, was Luther zu dieser Zeit bewegt: Die sachliche Ablösung des vorfindlichen Messopferkonzeptes ohne eine explizit ausgeführte Kritik daran. W I S L O F F ist dabei entgegenzuhalten, dass eine Messe deren Bezug zum Kreuzesopfer rein memorativ konzipiert wird und die als Opfergabe gerade die Gläubigen, nicht aber Christus bestimmt, faktisch nicht mehr als Opfer Christi durch die Kirche gedacht werden kann. Im Unterschied zu B I E L erscheint der sakramentale Messopfergedanke bei Luther nur als traditionelle Vorgabe, welche im Vollzug durch den Gedächtnisbegriff ersetzt wird. Eine „polemische Spitze" gegen ihn ist in der Tat nicht zu finden, sachlich aber wird er durch die Gegenüberstellung von Opfer und Gedächtnis ausgeschlossen. So ist die Verabschiedung der sakramentalen Messopfervorstellung der Sache nach da, nicht aber sprachlich arti248

Luthers T h e o l o g i e , 2, 1 7 4 , A n m . 2 8 9 .

249

E r n e u t b e m ü h t er BIEL L . 5 3 U , vgl. auch L.85F. WISL0FF folgert daraus für Luthers Verhält-

nis zur Scholastik: „Das O p f e r der Messe ist keine W i e d e r h o l u n g des Todes Christi, es geschieht zu seinem Gedächtnis. Dass Christi O p f e r .perfecta' sei, will die Scholastik nicht leugnen, und dass die K i r c h e .offertur de die in diem, d u m assidue m o r i t u r c u m C h r i s t o ' , ist kein unkatholischer G e d a n k e n g a n g ; " A . a . O . , 19. Z u r e c h t wendet sich WISL0FF damit gegen die Vorstellung, allein schon die Absage an eine W i e d e r h o l u n g des Kreuzesopfers b e d e u t e einen B r u c h mit der traditionellen Messopfervorstellung, w i e BIZER, a.a.O., 7 1 , dies nahe legt. D o c h ist mit dieser einen K o n tinuität Luthers zur Tradition j a n o c h nichts über seine Messkritik insgesamt gesagt. 250

„Erst w e n n man solchen G e d a n k e n eine polemische Spitze gibt gegen die Vorstellung, dass

Christus i m Sakrament geopfert wird, ist die reformatorische Problemstellung vorhanden. A b e r in der Hebräerbriefvorlesung fehlt sie n o c h . " E b d . N i c h t einsichtig bleibt m i r bei dieser F o r m u l i e rung die Identifizierung von Polemik und Problemstellung. E i n e Problemstellung kann sachlich d o c h durchaus vorhanden sein, auch w e n n sie sich sprachlich nicht als Polemik artikuliert. S i c h e r weist die Auslegung Luthers keinerlei „polemische S p i t z e " auf, das ändert m . E . j e d o c h nichts daran, dass der sakramentale Messopfergedanke hier der Sache nach verabschiedet wird.

220

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

kuliert. Die Qualifikation der Messe als Gedächtnis des Kreuzesopfers ist demnach nicht etwa Folge einer individualistisch-spiritualistischen Gedächtniskonzeption, 2 5 1 sondern ureigenste Konkretion der Worttheologie für die Messe: Weil das Heil sich im glaubenschaffenden Verheißungswort mitteilt, kann das Sakrament kein besonderes Opfer sein. Damit ist allerdings auch die Differenz zu einem G e dächtnisbegriff angezeigt, welcher in einem bloß subjektivistischen Rückblick auf Vergangenes besteht, denn das Wort als Zuspruch der verheißenen Sündenvergebung wendet sich auf Grund seiner Kommunikationsstruktur gegen eine isolatorischen Individualismus und auf Grund seiner zeitenübergreifenden Vergegenwärtigungskraft auch gegen ein bloßes Erinnern, welches die Vergangenheit nicht wirklich im Modus der Gegenwart zu ergreifen vermag. Gleichwohl bestimmt Luther die Messe als Opfer. 2 5 2 Diese Opferqualifikation tritt aber nicht in Konkurrenz zum epdjtai;, weil es das Kreuz als stets zurückliegend wahrnimmt. Der Gedächtnisauftrag verleiht keine Vollmacht zur Aufopferung des Leibes Christi, sondern stiftet zur Predigt von der Sündenvergebung im Glauben an, die keine innere Differenz zwischen Laien und Priestern kennt. 2 5 3 Allerdings blieben all diese Gedanken, Ansätze und Folgerungen bislang einem relativ begrenzten Kreis von akademischen Rezipienten vorbehalten. Dies ändert sich in den beiden folgenden Jahren.

Zusammenfassung

des dritten

Paragraphen

1. Der Glaube avanciert bereits in Luthers Erster Psalmenvorlesung (1513—1515) zum Zentralbegriff der Gottesbeziehung. Hinzu tritt die Einsicht in die bleibende Sündhaftigkeit des Menschen vor Gott, die sich mit der Nominierung Gottes als des Exklusivsubjekts des Rechtfertigungsgeschehens verbindet. Das mit der res sacramenti identifizierte Lobopfer besteht in nichts anderem als der grundsätzlich alle Lebensbereiche durchziehenden Aneignung dieses Zusammenhanges. Die Dictata bereiten die spätere Kritik an der Messe insofern vor, als sie Opfer und Sakrament entkoppeln und das Moment der extrinsisch konstituierten Personalität zum M a ß stab des Sakraments machen. Eine eigenständige Sakraments- oder Messopfertheologie bieten sie indes noch nicht. 2. In der Römerbriefvorlesung (1515/16) interpretiert Luther den Kreuzestod vor allem satisfaktorisch als Preis des Sohnes für das Heil der Menschen an den Vater. Die Zueignung dieses Heils beschreibt er mithilfe der Rechtsterminologie, der 251

Vgl. PRATZNER, a.a.O., 24—27 und MANN, Abendmahl, 132. Gegen beide wendet sich auch

R . MESSNER, a . a . O . ,

148f.

Dieser Befund spricht gegen die Behauptung, Luther gebe den Opfercharakter der Messe ganz auf, gegen HILBERATH / SCHNEIDER, Art. .Opfer', 123. 2 5 3 Dies bedeutet natürlich nicht die Aufhebung des Predigtamtes, welches Luther an anderer Stelle mit so starken Worten hervorheben kann. Wohl aber wird die Postion dieses Amtes neu b e stimmt. Es begründet sich aus Gottes ordnendem Handeln (Ständelehre), nicht aus seinem erlösendem Handeln (Rechtfertigungslehre). Vgl. dazu Jan FREIWALD, Amt und Gemeinde bei Luther, Diss. Heidelberg, 1993. 252

§3

Messe und Opfer in der frühen

Sakramentstheologie

221

Begriff Gerechtigkeit rückt in eine Zentralposition. D i e iustitia b e s t i m m t sich stets als dynamisch-generative, e x t e r n e Christusgerechtigkeit entgegen e i n e m qualitativ-distributiven Verständnis u n d b a u t damit eine gewisse S p a n n u n g z u m satisfaktorischen D e n k e n auf. Als in sich selbst b e g r ü n d e t e s Ausgreifen des C h r i s t u s g e schehens p r ä f o r m i e r t sie d e n M o d u s der g e g e n w ä r t i g e n W i r k u n g des Kreuzestodes (insofern a n t w o r t e t sie auf die etpcma^-Problematik) u n d erlaubt keine B e schreibung des Verhältnisses v o n Kreuzes- u n d Messopfer in der Kategorie des Wertes. Ihre N o m i n i e r u n g Christi z u m alleinigen Subjekt u n d des Evangeliumswortes z u m M e d i u m der Selbstmitteilung impliziert d e n h ö r e n d e m p f a n g e n d e n G l a u b e n als die ihr k o r r e s p o n d i e r e n d e H a l t u n g des stets S ü n d e r b l e i b e n d e n M e n schen. Z u g l e i c h gibt diese Soteriologie die B e g r ü n d u n g f ü r die A u t o r i t ä t k i r c h e n rechtlicher B e s t i m m u n g e n an die Ekklesiologie ab. D i e U n t e r s c h e i d u n g v o n P r o fanität u n d Sakralität verlässt den Bereich des ä u ß e r e n M e n s c h e n , sie m a c h t sich nicht m e h r an b e s t i m m t e n Z e i t e n , Speisen o d e r a m ä u ß e r e n Erscheinungsbild (Tonsur) fest. D i e Sakralität selbst b e s t i m m t sich aber n o c h defensiv, nämlich als A u s s o n d e r u n g aus der Profanität. W o Luthers Kritik an der Messwirklichkeit übt, a r g u m e n t i e r t er traditionell; w e d e r stellt er die vorfindliche Messopfervorstellung infrage n o c h kritisiert er ein Verständnis des Amtsträgers als eines Opferpriesters. D e r Testamentsbegriff w i r d hier als S y n o n y m z u m pactum Gottes verwendet; seine profan-juristische K o n n o t a t i o n zieht L u t h e r aber n o c h nicht zur Illustration der R e c h t f e r t i g u n g o d e r als I n t e r p r e t a m e n t der Einsetzungsworte heran. 3. D i e Hebräerbriefvorlesung ( 1 5 1 7 / 1 8 ) bildet diese Verhältnisbestimmung v o n Sakralität u n d Profanität insofern fort, als sie diese U n t e r s c h e i d u n g in das G e g e n ü b e r v o n E v a n g e l i u m u n d Gesetz einzeichnet. D e r Begriff heilig b e s t i m m t sich nicht m e h r defensiv v o n der W e l t w a h r n e h m u n g her, s o n d e r n ist Z u e i g n u n g der Christusgerechtigkeit des Evangeliums d u r c h den Geist i m Gewissen des i n n e r e n M e n s c h e n . Heilig u n d rein v e r w e n d e t L u t h e r jetzt s y n o n y m . Innerhalb dieses R a h m e n s überträgt er die Logik des Glaubens auf das Sakrament u n d negiert m i t der E i n b e t t u n g des Sakraments in die G r u n d b e w e g u n g Gottes z u m M e n s c h e n , w i e sie der Glaube w a h r n i m m t , eine d e m Sakrament eigene Handlungsstruktur. Dies f ü h r t zur Kritik an der Vorstellung, das Sakrament w i r k e bereits auf G r u n d seines äußerlich-sichtbaren Vollzugs. M i t dieser Voraussetzung fallen auch die B e h a u p t u n g e n , das P r o p r i u m der n e u t e s t a m e n t l i c h e n Sakramente bestehe in ihrer Selbstwirksamkeit u n d das Sakrament wirke, w e n n kein H i n d e r n i s in Gestalt einer T o d sünde vorliege. Insbesondere ü b t L u t h e r massive Kritik an der g e g e n w ä r t i g e n P r a xis der Sakramentsvorbereitung. D i e konstruktive D i m e n s i o n seines Sakramentsverständnisses entfaltet L u t h e r a n h a n d des Testamentsbegriffs, dessen p r o f a n - j u r i dischen K o n n o t a t i o n v o n n u n an als Leitvorstellung firmiert. D e r Z u s a m m e n h a n g zwischen Tod des Erblassers u n d A u s h ä n d i g u n g des Erbes f u h r t i h n zur Identifizier u n g v o n testamentum u n d der i m Christusgeschehen d e m M e n s c h e n g e g e b e n e n V e r h e i ß u n g der S ü n d e n v e r g e b u n g . Anders als die traditionelle V e r w e n d u n g des Bildes h e b t L u t h e r bei seiner Ü b e r t r a g u n g dieses Z u s a m m e n h a n g s auf die Einsetzungsworte nicht auf die v o n den E r b e n e i n z u h a l t e n d e n Auflagen (= G e b o t s e r f ü l l u n g d u r c h die K o m m u n i k a n t e n ) ab, s o n d e r n setzt an diese Stelle d e n G l a u b e n .

222

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

Nicht der Charakter des Testaments als einer gesetzlichen Verfügung unter Auflagen wird so akzentuiert, sondern die allein empfangende Haltung der Erben. Z u gleich vollzieht sich hier eine innere Emanzipation vom traditionellen Opferverständnis des Sakraments. Wo von Christus als einer Opfergabe die R e d e ist, da weist Luther eine Aktivität der Gläubigen zurück, u n d wo die Gläubigen opfern, da steht das Kreuzesopfer in einer grundsätzlichen Distanz. Die Messe selbst ist kein Opfer, sondern Gedächtnis des Selbstopfers Christi, das auf eine M e h r u n g des Glaubens zielt. Die Opferaktivität der Kirche ist identisch mit dem Glauben, der durch das Gotteswort gewirkt wird. Darin entspricht sie der Handlungsstruktur des Sakraments. Luther verabschiedet also keineswegs die Messopfervorstellung. Allerdings kennt er keinen allein der Messhandlung vorbehaltenen Opferbegriff.

§ 4 Messopfertheologische Elemente in Schriften der Jahre 1518 bis 1520 Mit der plötzlichen Publizität der Person Luthers wandelt sich auch das Genus seiner Publikationen. Nun geht es nicht mehr um Texte, die in der universitären Vorlesung beheimatet sind und ihre Gesprächspartner in der akademischen Diskussion und Ausbildung von Theologen suchen. Luther wendet sich jetzt an alle Gläubigen und entwickelt seine Theologie in der Auseinandersetzung mit deren Lebensumständen und Fragestellungen. U m das zentrale Thema des persönlichen Glaubens kreisend entwickelt er Alternativkonzeptionen, welche die gesamte Bandbreite der Frömmigkeit anvisieren.1 Für die Messopfertheologie bedeutet dies, dass die in der Hebräerbriefvorlesung entwickelte Grundkonzeption nun deutlicher als bisher auf die vorfindliche Messwirklichkeit hin entfaltet und fortgeschrieben wird. Dass Luther seine Messopfertheologie fortan in kritischere Worte fasst, ist also nicht nur Zeichen seines theologischen Fortschreitens, sondern auch in der neuen Aufgabenstellung und dem veränderten Adressatenkreis begründet. Schon die erste bedeutsame Publikation dieser Monate, der ,Sermo D e digna praeparatione', zeigt dies.

1 Der ,Sermo De digna praeparatione'

(1518)

Diese Schrift 2 geht wohl zurück auf eine am Gründonnerstag 1518 gehaltene Predigt, 3 der schon bald eine deutsche Ubersetzung folgte. Da seit dem Lateranum IV die Pflicht zur jährlichen Osterkommunion bestand, 4 war Luther das Thema der Vorbereitung auf das Sakrament also vorgegeben. In acht Abschnitten, von denen der vierte, fünfte und sechste jeweils mit einem Anhang versehen sind, gibt Luther Anleitung für die rechte Vorbereitung auf diesen Höhepunkt des Jahres. Er gruppiert seine Anleitung um die Pole Sünde (1—4) und Glaube (5—8), der Duktus folgt also dem Beieinander von Gesetz und Evangelium, insofern der mithilfe des G e setzes aufgedeckten Sünde das im Glauben wahrgenommenen Verheißungswort begegnet.

1

V g l . T h . HOHENBERGER, R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e ,

62.

W A 1, 329(325)—334. D e r vollständige Titel lautet: ,Sermo de digna praeparatione cordis pro suscipiendo sacramento eucharistiae'. 3 Vgl. W A 1, 3 2 5 . 2

4

Vgl. dazu den Kanon ,Omnis utriusque', zitiert unter § 2 . 3 . 1 . 2 .

224

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

Zunächst leistet Luther eine Dekonstruktion des mitgebrachten Selbstverständnisses durch einen Aufweis der grundsätzlichen Sündhaftigkeit des Menschen. Ausgehend von der gängigen Praxis, alle bewussten Todsünden seien zu beichten (1), nennt er Beispiele dieser Sünden (2). Deren ärgste sieht er in der discordia. Sie widerstreitet der Commwni'o-Dimension des Sakramentes am heftigsten, 5 denn das Sakrament stellt j a in Gestalt des aus vielen Körnern gewordenen Brotes und aus einzelnen Trauben gewonnenen Weines das Modell einer Einheit dar. 6 Angesichts dieser Vorhaltungen bleibt dem Menschen nur noch eines: zu verzweifeln 7 (3) und Gott seine geöffnete und hungrige Seele 8 darzubringen (4). In den folgenden Corollarien wird dies nun der gängigen Vorbereitung entgegengesetzt. Gerade die beste (herkömmliche) Vorbereitung erscheint Luther als die erdenklich schlechteste, 9 denn gerade dann, wenn er sich am elendsten und gnadenbedürftigsten wähnt, dann ist der Mensch für den Empfang der Gnade am geeignetsten. 1 0 U n d umgekehrt ist eine Sakramentsteilnahme dann am gefährlichsten, 5 W A 1, 3 2 9 , 1 2 - 1 5 : „ N o n est enim aliud peccatum eque huic sacramento adversum, atque discordia. Contrarium est enim et nomini et rei huius sacramenti. N o m e n est C o m m u n i o , R e s unitas cordium, sicut una fides, unum baptisma, unus dominus, una spes, ac prorsus omnia eadem et c o m m u n i a . " Außerdem benennt er den Neid, die Unzufriedenheit und die Erbitterung. All dies sind unmittelbar die Gemeinschaft mit dem Nächsten gefährdende Verhaltensweisen. 6 W A 1, 3 2 9 , 15—18: „ Q u o d et figuratur in speciebus sacramenti, in quibus multa grana, amissa singulorum differentia, in unum panem, Item uve multe, amissa sua quoque difFerentia, in unum vinum redacte sunt." Die Interpretation dieses Bildes ist nicht einheitlich. Während O. BAYER („Preisgabe und Wandlung der Individualität", a.a.O., 231 f) und H . HILGENFELD („Verlust ihres spezifischen Eigenseins", a.a.O., 2 8 6 ) auf das destruktive Element hinweisen, geht es für STOCK um das „Sich-Wandeln als Annehmen der Gestalt, der leiblichen Gebrechen, der Gestalt und N o t aller anderen Christen [...] also um die Identifikation der Liebe gerade im Äußersten, Leiblichen als Verlieren des isolierten ,Für-sich' oder ,An-Sich-Seins'." A.a.O., 195, A n m . 2 9 5 . Dahinter steht, wie unschwer zu erkennen ist, die Frage, wie Luthers Verständnis des Abendmahls als Sakrament der Liebe und Gemeinschaft sich in den Dual Glaube-Werke einfügt. 7 W A 1, 3 3 0 , 3—5 „[...] nullus est qui non inveniat, aut certe non advertit vel ignorat sese invenire in aliquibus vel aliquo quod sibi displiceat, desperandum est tibi de tuo studio, quod non poteris o m n e m erga omnes amaritudinem deponere." 8 Die besondere Affinität der Hungrigen zum Sakrament und die Schwierigkeiten der sich selbst lobenden Satten schildert bereits AUGUSTIN, Ennarationes in Psalmos 21, 2, 27 (PL 36, 178). Dieses Motiv kann dann leicht in einen quantifizierenden R a h m e n eingezeichnet werden, so dass der am meisten erhält, welcher den großen Hunger mitbringt. Vgl. etwa Wessel GANSFORT, ,De sacramento eucharistiae et audienda missa', a.a.O., 8 1 7 : „Effectus enim sacramentorum sunt secundum dispositionem suscipientis et secundum requisitam illi intentioni dispositionem. Dispositio vero requisita huic sacramento, ut efficax fiat, est fames et sitis hujus vivifici cibi et potus. Vnde quanto minus eum esurit et sitit, pro tanto minorem etiam effectum consequitur." Eine kritische Haltung zu diesem Bild nimmt TAULER ein: „Fändest du, daß das Sakrament dir eine Hilfe sei für die Entäußerung, so könntest du es zwei - oder dreimal in der W o c h e oder sogar täglich empfangen, du sollst aber nicht zum Tisch des Herrn gehen mit hungrigem Verlangen, sondern nur, wenn du findest, daß dies deiner Entäußerung helfe." Predigten 6 0 f , 3 1 4 , 27—30, zitiert nach B. WEISS, Eucharistie, 239. Es ist für Luthers Messtheologie im Folgenden charakteristisch, dass mit der Ausrichtung der Seele auf die Extra-Dimension des Verheißungswortes auch ein Starren auf die eigene Verfasstheit und deren Bewertung entfällt. 9 W A 1, 3 3 0 , 24. 1 0 THOMAS etwa fragt in S T h 3, q.79, a.3 (30, 200f), ob die Eucharistie die Todsünde nachlasse. Seine Antwort fällt differenziert aus: Das Sakrament hat an sich sehr wohl die Kraft, j e d e erdenkli-

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

225

wenn man sich sicher und des Empfanges würdig glaubt. Die R e u e wäre daher besser nach dem Sakrament zu leisten und nicht vorher, 11 denn in einem großen Irrtum bleibt befangen, ja zum Gericht isst und trinkt sich, wer im Vertrauen auf seine vorausgeschickte Vorbereitung in Gestalt von Beichte, Gebeten und Frömmigkeitsübungen als vermeintlich würdig und rein zum Sakrament geht. D e m allen setzt Luther im konstruktiven Teil des Sermons den Glauben an das Wort Christi, die Mühseligen und Beladenen wolle er erquicken, entgegen (5). Darin sieht er die einzige und beste Vorbereitung, die sich nicht auf Werke oder eigene Möglichkeiten stützt, 12 sie allein macht rein u n d des Sakramentsempfanges würdig. Die Frage nach der falschen und der wahren Reue, sonst Gegenstand der Sakramentsvorbereitung, tritt demgegenüber ganz zurück. 1 3 Aber existiert nicht auch dann noch das M o m e n t des Unzureichenden, nun nicht auf die Werke, sondern eben auf den Glauben bezogen? Luther gibt einen zweifachen Rat: Der Zweifelnde soll einmal Christus seine Armut und seine Angst bekennen, u m Gnade bitten u n d voller Zuversicht auf Christi Barmherzigkeit zum Sakrament gehen. 1 4 Dies ist der Angst, ja Folter des Gewissens ebenso entgegenzuhalten wie der falschen Sicherheit. 15 Offensichtlich rechnet Luther nicht damit, dass der Mensch

c h e S ü n d e nachzulassen „[...] s a c r a m e n t u m h a b e t v i r t u t e m ad r e m i t t e n d u m q u a e c u m q u e peccata ex passione C h r i s t i [...]." A b e r aus d e r Perspektive des S ü n d e r s ist e n t s c h e i d e n d , o b hier ein „ i m p e d i m e n t u m p e r c i p i e n d i " , zu d e m n a t ü r l i c h eine T o d s ü n d e zählt, b e s t e h t . D a n n gilt: „ t u m quia n o n vivit spiritualiter, et ita n o n d e b e t spirituale n u t r i m e n t u m suscipere, q u o d n o n est nisi viventis. [...] U n d e h o c s a c r a m e n t u m in e o qui i p s u m percipit in c o n s c i e n t i a peccati mortalis, n o n o p e r a t u r r e m i s s i o n e m p e c c a t i . " E i n e V e r g e b u n g d e r S ü n d e ist allerdings d a n n m ö g l i c h , w e n n j e m a n d z u m ersten M a l v o n e i n e r T o d s ü n d e gereinigt w i r d ( „ n o n actu, sed v o t u " ) , sich i h r e r n i c h t b e w u s s t ist o d e r a b e r g e n ü g e n d R e u e a u f b r i n g t . In j e d e m Falle w i r d h i e r also d e r Status d e r f r o m m e n S u b j e k tivität z u r B e d i n g u n g e i n e r g e l i n g e n d e n S a k r a m e n t s t e i l n a h m e . 11

W A 1, 3 3 0 , 3 2 - 3 4 . W A 1, 3 3 1 , 11—15. D e r G l a u b e als V o r a u s s e t z u n g des S a k r a m e n t s e m p f a n g e s ist ein v e r b r e i t e tes spätmittelalterliches M o t i v . Indes k o m m t er h i e r v o r n e h m l i c h als i n n e r e Z u s t i m m u n g zu e i n e m L e h r g e h a l t in d e n Blick. Vgl. etwa G. BIELS P r e d i g t ,In C o e n a d o m i n i ' , S e r m o III, N r . 21, in: S e r m o n e s de festivitatibus C h r i s t i , H a g e n a u 1520, H e i n r . G r a n . M ü . SB: 4 P. lat. 184, zitiert n a c h W. MASSA, a.a.O., 68—70. D e n G e d ä c h t n i s a u f t r a g d e r verba b e z i e h t BIEL d o r t e i n m a l auf die e i n m a l i g e D a r b r i n g u n g C h r i s t i an d e n Vater als das G e d ä c h t n i s o b j e k t . V o n d e n A k t a n t e n d e r M e m o r i a l h a n d l u n g w i r d d a n n d e r als h e i l s n o t w e n d i g a p o s t r o p h i e r t e G l a u b e g e f o r d e r t : Z u g l a u b e n sei, dass G o t t existiere, dass er vergelte, dass das H e i l e i n e n M i t t l e r e r f o r d e r e u n d dass G o t t d r e i p e r s ö n l i c h sei, dass d e r M e n s c h a u f G r u n d seiner E r b s c h u l d z u m B ö s e n neige, deshalb d e r M e d i z i n d e r Sakram e n t e b e d ü r f e u n d C h r i s t u s n a c h d e r W a n d l u n g w i r k l i c h g e g e n w ä r t i g sei. BIEL v e r b i n d e t also e i n e satisfaktorische W a h r n e h m u n g des K r e u z e s o p f e r s m i t e i n e m k o g n i t i v a u s g e r i c h t e t e n G l a u bensbegriff. 13 W A 1, 3 3 1 , 19—25 ( A n h a n g zu 5). H i e r t h e m a t i s i e r t L u t h e r a u c h d e n U n g l a u b e n als G e g e n stück z u m G l a u b e n , j a z u r B l a s p h e m i e . D i e s e r D u a l G l a u b e — U n g l a u b e besitzt i m H i n b l i c k a u f die massenpublizistische W i r k s a m k e i t L u t h e r s g r o ß e B e d e u t u n g , vgl. dazu T h . HOHENBERGER, R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e , 71 f. 12

14

W A 1, 3 3 1 , 2 9 - 3 5 . L u t h e r n i m m t d a m i t die bereits in d e r R ö m e r b r i e f v o r l e s u n g , W A 56, 2 8 2 , 33—283, 5, a u s g e f ü h r t e H e r l e i t u n g s o w o h l falscher Gewissensangst w i e a u c h — Sicherheit aus e i n e r F e h l b e s t i m m u n g d e r M e s s v o r b e r e i t u n g auf, d o r t als S ü n d e z u r R e c h t e n u n d S ü n d e z u r L i n k e n b e z e i c h n e t . U . STOCK, a.a.O., 2 3 2 , weist a u f die D i f f e r e n z zu STAUPITZ h i n , d e r in seiner P r e d i g t ,Von d e r e m p f a h u n g des heiligen S k a r a m e n t s ' auf die S k r u p e l d e r Laien e i n g e h t , n i c h t a b e r die G ü l t i g k e i t d e r 15

226

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

von sich aus der von Gott trennende Sünde entkommen kann und rät, von sich selbst wegzublicken. 1 6 Er macht deutlich, wie eng für ihn die eucharistische Hauptsünde der discordia, konkret fassbar in der Sektenbildung, und die R e c h t f e r tigung aus den Werken zusammenhängen. Beide setzen die Vorstellung einer dem Menschen eigenen Gerechtigkeit voraus. So wie die auf ihre eigene Vorbereitung blickenden Menschen meinen, gerecht zum Sakrament zu gehen, so verbuchen auch die Sekten Christus umstandslos für sich. Beide Male triumphiert die menschliche Selbstgerechtigkeit über den sich selbst verdächtigenden Zweifel, beide Male wird übersehen, dass es bei der Gottesbeziehung des Menschen um eine fremde Gerechtigkeit geht, die von außen kommt. Letztlich steht dahinter der Wunsch, Gott gleich zu sein, der Urgrund der Sünde. 1 7 Diese Ausführungen zeigen, dass die Communio-Dimension

des Abendmahles

für Luther auf das Engste mit der Rechtfertigung aus dem Glauben zusammenhängt. 1 8 D e r Mensch bleibt nie bei seinen eigenen Werken oder Gedanken und schließt sich nicht isolatorisch von Gott und seinen Mitmenschen ab, sondern wird durch das Externum der Rechtfertigung in die Gemeinschaft mit Christus und den Christen eingegliedert. 1 9 Für Luther geht es Paulus in 1 Kor 11 gerade nicht um eine erst durch die tatsächliche Sakramentswürdigkeit beendete Selbstprüfung (6), denn dann widerspräche er seiner eigenen, in R o m 3 entfalteten Rechtfertigungslehre, nach der alle Sünder sind und nur durch den Glauben, nicht aber aus eigenen Kräften Gewissheit erlangen. 2 0 In einem zweiten, seelsorgerlich motivierten 2 1 Beicht- und Bußpraxis tangiert. Zwar ist er sich mit Luther darin einig, dass die Berufung auf Christi Einladung die einzig mögliche Vorbereitung darstellt, doch wendet er diese Einsicht dort nicht kritisch gegen die Praxis. 1 6 Diese Frage stellte sich, wenn man den Zusammenhang zwischen Vorbereitung im Glauben und empfangener Gnade quantifizierend formuliert, wie das auch bei Luther begegnen kann: „Tantum enim accipes quantum credis te accepturum" (WA 1, 331, 6f). O b hier eine Anspielung auf die gängige Lehre, die Wirkung einer Messe hänge ab vom Grad der Disposition des Messhörers, vorliegt? Als schlagwortartige Zusammenfassung des gesamten sakramentstheologischen Ansatzes Luthers eignet sich das Dictum jedenfalls nicht, denn es bringt weder Luthers Kritik an der Quantifizierung von Gnade noch die extrinsische Ausrichtung des Glaubens auf das Verheißungswort zum Ausdruck. E. MUIR, Ritual, 172, sieht darin „Luthers famous doctrine" und meint, dieser Satz kennzeichne eine(n) „shift toward faith and the inner psycho-spiritual State o f the believer". O b Luther mit „Glauben" hier tatsächlich den inneren seelischen Status des Menschen beschreiben will? Zeigt nicht der Zusammenhang, dass es ihm beim Sakramentsempfang gerade nicht auf die fromme Befindlichkeit ankommt? 17 „Ideo sibiipsis faciunt angustiam et carnificiam conscientie discutiendo, conterendo, confitendo non solum venialia, sed ea quae non sunt peccata. Et hiis factis (quod est horrendum barathrum presumptionis) iam secure accedunt, nec de fide sua quicquam solliciti. Völunt enim iusti et digni venire et similes deo sicut Lucifer, quum deberent velle iusti et digm fieri et redire a deo. Igitur illud verbum dictum est contra eos, qui Christum dividebant in diversas sectas [...]." WA 1, 332, 2 - 8 . 1 8 Vgl. auch T h . HOHENBERGER, Rechtfertigungslehre, 60. 1 9 U. STOCK, a.a.O., 2 3 4 formuliert: „[...] der Hochmut eigener durch Leistungen erbrachter Würdigkeit steht der Verheißung Christi an die Betrübten und Angefochtenen entgegen, und er steht auch, in der Gemeinde, dem Den-Leib-des-Herrn-Unterscheiden entgegen." 2(1 Anhang zu Abschnitt 6, W A 1, 332, 2 6 - 3 6 . 2 1 Vgl. WA 1, 333, 3 0 - 3 6 .

§4

Messopfertheologische

Elemente

227

(1518-1520)

Ratschlag (7) legt Luther nahe, sich von Arm und Obhut der Mutter Kirche tragen zu lassen. 22 Diese Stellvertretung im Glauben leitet sich aus M t 9,2 2 3 und der Praxis der Kindertaufe her. Freilich bindet Luther diesen Glauben der Kirche nicht institutionell und bedient sich nicht der Vorstellung, die Amtskirche verwalte die heilsame Wirkung dieses Glaubens. Vielmehr kann neben der Kirche in ihrer Gesamtheit auch ein einzelner Gläubiger die Schwäche seines Mitbruders tragen. 24 Z u letzt hebt er dann die Bedeutung der Passionsbetrachtung besonders hervor. Sie gründet auf Christi Befehl („in mei memoriam facietis") und vollbringt, worauf die Vorbereitung abzielt. Deshalb darf keine Messe ohne Evangelium gelesen werden. So hat Luther auf wenigen Seiten den Zusammenhang zwischen Sakramentsempfang und solafide beschrieben: Nicht der Blick auf die eigene Verfassung, sondern allein der auf Christus gerichtete Glaube ist die rechte Vorbereitung auf das Abendmahl. Dieses gläubige Vertrauen unterscheidet sich grundsätzlich von einer Orientierung an der eigenen Disposition und Moralität, insofern es von sich weg auf die Einladung Christi blickt und seine Mitchristen bewusst in diese Perspektive hineinnimmt. Eben diesen Sachverhalt entfaltet dann der Abendmahlssermon.

2 Fides et Communio — Der Gemeinschaftscharakter im Abendmahlssermon (1519)

der Messe

Nach der ekklesiologisch bedeutsamen Leipziger Disputation spitzt Luther die Zielgruppe seiner Schriften noch einmal zu 25 und konzentriert sich auf Themen des christlichen Lebens. 26 Auch seine drei Sakramentssermone zielen auf interessierte Laien. Luther versucht, in und fur deren Lebenswelt die Bedeutung des Sakraments zu entfalten. 27 Praxis und Lehre bilden dabei einen gegenseitigen Verweiszusammenhang. ,Ein Sermon von dem Hochwürdigen Sacrament' 28 dürfte 2 2 W A 1, 333, 13—16: „Si tandem adeo infirmus es in fide, ut nec illa te satis iuvent aut non possis ea praestare, adprehende illud novissimum infirmorum remedium et permitte te sicut infantem gestari in ulnis et sinu matris Ecclesie." 2 3 Dort wird der Gelähmte j a auf Grund des Glaubens seiner Begleiter und nicht seines eigenen Glaubens geheilt, heißt es doch ausdrücklich, Jesus heilte, weil er ihren (xf|v jiitrav avrwv) Glauben sah. 2 4 WA 1, 333, 16—18: „Immo cum paralytico in lectulo, ut dominus fidem illorum saltem intueatur, quando tua nulla, id est ut in fide vel universalis Ecclesie vel hominis fidelis tibi non accedas et audacter dicas domino Ihesu [...]." 2 5 Vgl. LStA 1, 270f; U. STOCK, Bedeutung der Sakramente, 2 3 - 7 8 . 26

V g l . R . SCHWARZ, L u t h e r ,

72.

Vgl. U. STOCK, a.a.O., 281. 2 8 Der vollständige Titel lautet: ,Ein Sermon von dem Hochwürdigen Sacrament des Heyligen Leychnams Christi U n d von den Bruderschaften Doctoris Martini Luther Augustiners', WA 2, 7 4 2 - 7 5 8 . Vgl. dazu: V. VAJTA, Reformation und Gottesdienst, in: Ö R 12 (1963), 145f; DERSELBE: Die Kirche als geistlich-sakramentale Communio mit Christus und seinen Heiligen in der T h e o logie Luthers, in: LuJ 51 (1984), 1 0 - 6 2 ; P. ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, 319f; O. BAYER, Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, 226—241; J. 27

228

Zweiter

Teil: Genese

und

Gestalt

Anfang Dezember 1519 erschienen sein 29 und ist wie die Schriften zu Buße und Taufe der Herzogin MARGARETHE VON B R A U N S C H W E I G - L Ü N E B U R G gewidmet. Er entfachte wegen seines hussitisch verstandenen Vorschlags, den Laienkelch wiedereinzuführen, 30 große Aufregung. 31 Seine Bedeutung für die Messtheologie liegt vor allem im Verständnis der Zeichen und der Gemeinschaftsdimension des Abendmahles gegenüber einer Konzentration auf das Individuum. 2. i

Duktus

und

Aufbau

Der Charakter eines Sermons und Luthers durchgängige Zählung der Sinnabschnitte verleihen dieser Schrift einen klaren und einsichtigen Aufbau, zumal Luther durch Zusammenfassungen des Ausgeführten Neueinsätze hervorhebt und die Gliederung der vorausgehenden Sakramentssermone in die augustinische Trias Zeichen, Bedeutung und Glauben beibehält. Seine zu Beginn skizzierte sakramentstheologische Grundbestimmung (1) entfaltet der Autor unter zwei Aspekten. Zunächst (2) expliziert er den Gemeinschaftsaspekt des Abendmahls in T h e o rie (solidarisierende und verpflichtende Wirkung des Sakraments) und Praxis (Missstände im Messwesen, privatistischer Egoismus), dann (3) den Glaubensaspekt (Verheißung und Sakrament, Missstände im Messwesen, Sakrament und Eschatologie), um in einem Anhang (4) das erarbeitete Leitbild schließlich mit der Lebenswirklichkeit der Bruderschaften zu kontrastieren.

LORTZ, Sakramentales D e n k e n b e i m j u n g e n Luther, in: LuJ 3 6 ( 1 9 6 9 ) , 2 2 f ; H . GRASS, D i e A b e n d mahlslehre bei L u t h e r und Calvin. E i n e kritische U n t e r s u c h u n g , 19—25; W. SCHWAB, E n t w i c k lung und Gestalt der S a k r a m e n t e n t h e o l o g i e bei M a r t i n Luther, 162—188; E . BIZER D i e E n t d e k k u n g des Sakraments durch Luther, in: E v T h 17 ( 1 9 5 7 ) , 7 9 - 8 1 ; J.F. MCCUE, Luther and R o m a n Catholicism on the mass as sacrifice, in: J E S , 2 / 2 ( 1 9 6 5 ) , 2 0 9 - 2 1 3 . 2 3 0 f ; M . RATHEY, E u c h a r i s t i sche E t h i k in Luthers A b e n d m a h l s s e r m o n von 1 5 1 9 , in: Luther 6 3 ( 1 9 9 2 ) , 66—73. 29

D i e s m a c h t eine N o t i z Luthers in e i n e m B r i e f an Spalatin v o m 2 9 . 1 1 . 1 5 1 9 wahrscheinlich,

vgl. L S t A 1, 2 7 0 . 30

D e n E n t z u g des Laienkelches datiert M . RUBIN, C o r p u s Christi, 7 0 f , auf den Verlauf des 12.

Jahrhunderts. E r wurde philosophisch e r m ö g l i c h t durch das aristotelische K o n z e p t der K o n k o n n tanz, das es erlaubte, eine reale Verbindung zu nicht z u m Wesen g e h ö r i g e n , aber untrennbar mit einer Realität verbundenen Entitäten zu denken. B e i der B e g r ü n d u n g ist eine T h e o l o g i s i e r u n g erkennbar, welche z u n e h m e n d die Sonderstellung des Priesters i m Sakrament hervorhebt. W i r d zunächst ein rein praktisches Motiv, nämlich die G e f a h r des unangemessenen U m g a n g s genannt, so verweist THOMAS, S T h 3, q . 8 0 , a . 1 2 , ad 3 . (30, 2 7 6 ) , dann bereits a u f die stellvertretende K o m m u n i o n durch den Priester:,, [...] potest autem a populo corpus sine sanguine sumi; n e c exinde sequitur aliquod d e t r i m e n t u m , quia sacerdos in persona o m n i u m sanguinem offert et sumit; et sub utraque specie totus Christus c o n t i n e t u r [ . . . ] . " Das hussitische B e h a r r e n auf der communio sub utraque lässt sich schließlich als Kritik e b e n dieser ekklesiologischen Vorstellung verstehen. Als solche wird sie 1 4 1 5 in Konstanz untersagt. Vgl. ferner A. PETERS, K o m m e n t a r , 4, 4 3 f , vor allem zur Spannung zwischen Testamentskonzept und K o n k o m i t a n z . 31

Angesichts der damit verbundenen G e r ü c h t e u m Luthers H e r k u n f t und Ausbildung sah sich

dieser dann veranlasst, eine .Verklärung D . M a r t i n Luthers etlicher Art. in seinem s e r m o n von dem heiligen Sakrament' zu veröffentlichen, die sich allerdings ganz a u f die Frage des Laienkelchs, die B e u r t e i l u n g der Hussiten und Luthers B i o g r a p h i e beschränkt und somit für unsere Fragestellung nichts austrägt.

§4

Messopfertheologische Elemente

(1518-1520)

229

Im ersten Teil weist der R e f o r m a t o r auf die Grundbestandteile des Sakraments hin: Das äußerliche, sichtbare Zeichen (Brot und Wein) und die innerliche und geistliche Bedeutung dieses Zeichens (Gemeinschaft mit Christus und seinen H e i ligen). Die W a h r n e h m u n g des Sakraments vollziehe sich im Glauben. Dieses triadische Grundmodell appliziert Luther dann auf die kirchliche Situation. Aus der Einsetzung durch Christus 3 2 und aus G r ü n d e n der Ganzheitlichkeit des Zeichens 3 3 schlägt er die freilich nicht unabdingbare Wiedereinführung des Laienkelches durch ein allgemeines Konzil vor. Hier begegnet zum ersten Mal die zentrale Aufgabenstellung dieser Schrift: Was bedeutet der Gemeinschaftscharakter des A b e n d mahls für die kirchliche Wirklichkeit? Luther illustriert diese Gemeinschaft m e h r fach am Beispiel des Corpus-Bildes, das er sowohl in seiner körperlich-organischen 3 4 als auch in seiner politisch-soziologischen (Stadtgemeinschaft) 35 Ausprägung benützt, u m die wechselseitige Gewiesenheit der Glieder bzw. Bürger aufeinander auszudrücken. 3 6 32 L u t h e r k a n n die Einsetzungsworte hier g e g e n die Messwirklichkeit stellen. In dieser K o n traststellung unterscheidet er sich von d e m B e m ü h e n der mittelalterlichen Messauslegungen, w e l che die A u f g a b e der Messtheologie gerade in der theologischen A u s d e u t u n g des G e g e b e n e n seh e n . Paradigmatisch fassbar w i r d dieses P r o g r a m m bereits in der Vorrede z u m d r i t t e n B u c h v o n AMALARS , D e ecclesiasticis officiis' (PL 105, 1101): „ D o m i n o opitulante, i n t e r c e d e n t e beato M e dardo confessore, cujus festivitas h o d i e a p u d nos celebratur in g a u d i o s a n c t o r u m , p r o m p t i sumus a n i m o ad suscipiendum D e i m u n u s , si tarnen ipse dignatur purgare et serenare o c u l u m , in q u o discamus de officio missae, q u i d rationis in se contineat diversitas illa, quae ibi agitur: c u m satis esset, sine cantoribus et lectoribus, et caeteris quae ibi aguntur, sola b e n e d i c t i o e p i s c o p o r u m , aut presbyt e r o r u m ad b e n e d i c e n d u m p a n e m et v i n u m , q u o reficeretur p o p u l u s ad a n i m a r u m salutem: sicut primaevis t e m p o r i b u s fiebat a p u d apostolos: ac ideo p r i m u m d i c e n d u m est de signis." 33 Diese b e g r ü n d e t L u t h e r m i t der Analogie Z e i c h e n — Bezeichnetes. So w i e das Sakrament ganze Vereinigung u n d ungeteilte G e m e i n s c h a f t der H e i l i g e n b e d e u t e t , so soll a u c h das Z e i c h e n ganz u n d n i c h t n u r fragmentarisch g e ü b t w e r d e n (WA 2, 742, 31—743, 2). Bereits THOMAS hatte darauf verwiesen, dass es — v o m Sarament aus gesehen — angemessener sei, beides zu e m p f a n g e n : „ E x parte q u i d e m ipsius sacramenti convenit q u o d u t r u m q u e sumatur, sicilicet et c o r p u s et sanguis, quia in u t r o q u e consistit perfectio sacramenti, et i d e o quia ad sacerdotem p e r t i n e t h o c sacram e n t u m consecrare et perficere, nullo m o d o d e b e t c o r p u s Christi s u m e r e sine sanguine." S T h 3, q.80, a.12 (30, 275). D a m i t w i r d die D i f f e r e n z i e r u n g zwischen Priester u n d Laie a u c h sakramentstheologisch gestärkt. 34 Er b e r u f t sich auf 1 K o r 10, 17 u n d 12, 2 5 f (WA 2, 743, 24 u n d 743, 3 8 bis 744, 7). 35 M e h r f a c h b e g e g n e t diese Analogie, vgl. W A 2, 743, 12 u n d 23; 747, 3 6 - 3 8 ; 749, 15f. Vgl. bereits R o m 12,5 u n d 1 Kor 12,12. A u c h in der Adelsschrift r e k u r r i e r t L u t h e r auf die Lebensverhältnisse einer Stadt, u m die B e r e c h t i g u n g der weltlichen O b r i g k e i t , ein Konzil e i n z u b e r u f e n , zu verdeutlichen: Breche ein Feuer in der Stadt aus, stehe auch n i e m a n d still, n u r weil er n i c h t der B ü r g e r m e i s t e r sei. W A 6, 413, 3 3 - 3 9 . 36 In der traditionellen eucharistischen F r ö m m i g k e i t k o m m t der K ö r p e r m e t a p h o r i k eine b e sondere B e d e u t u n g zu, insbesondere bei Fronleichnamprozessionen. W ä h r e n d M . JAMES, R i t u a l , 6—10, v o r allem die integrative Kraft dieses Bildes h e r v o r h e b t , veranschlagt M . RUBIN, S y m b o l wert, 316—318, die gesellschaftseinende Kraft der M e t a p h e r geringer. Für sie leistet vor allem das M o m e n t der Prozession selbst einen Beitrag zur gesellschaftlichen Identität. In j e d e m Falle aber setzt sich L u t h e r hier von einer V e r w e n d u n g des Bildes ab, die „das Patriziat m i t d e m H a u p t eines friedlichen u n d g e s u n d e n Stadtkörpers in B e z i e h u n g setzte, der, ausgestattet mit H a u p t , H e r z u n d G l i e d e r n , die wechselseitige A b h ä n g i g k e i t der einzelnen Mitglieder der städtischen G e m e i n s c h a f t symbolisieren sollte." M . R u b i n , S y m b o l w e r t , 316. D i e Solidarität der Glieder w i r d hier c h r i s t o logisch b e g r ü n d e t .

230

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Diese Gewiesenheit entfaltet sich im folgenden Abschnitt (2) doppelt. Einmal bietet die Gemeinschaft Solidarität im K a m p f gegen die auch nach der Taufe verbleibende Sünde. So ist das Sakrament Z e i c h e n für die Hilfe u n d den Beistand, welche aus der Erkenntnis k o m m t , nicht auf sich gestellt der A n f e c h t u n g ausgeliefert zu sein, sondern in der Gemeinschaft mit anderen Christen u n d d e m angef o c h t e n e n Christus zu stehen. Dieser Gemeinschaft mit Christus u n d den Gläubigen entspricht n u n auch eine Verpflichtung. Luther konkretisiert sie in drei großen Bereichen: der T h e o l o g i e i m engeren Sinne (Eintreten f ü r Gottes Wahrheit), der Kirchenpolitik (Elend der Christenheit) u n d der Sozialethik (Eintreten für U n schuldige u n d zu U n r e c h t Leidende). Zusammenfassen lässt sie sich in der B e zeichnung des „Sakraments der Liebe". D e m stellt Luther n u n zwei Missstände der Praxis gegenüber: das Messwesen u n d die egoistische Inanspruchnahme allein der Gabe, nicht auch der Verpflichtung der Christusgemeinschaft, u m schließlich in e i n e m leitbildartigen E n t w u r f n o c h einmal das Ziel der Gemeinschaft u n d den durch sie herbeigeführten Wandel von E l e m e n t e n u n d S ü n d e r n zu thematisie37

ren. I m dritten Teil 38 setzt Luther dann n o c h einmal n e u an. Hatte er bisher Wesen u n d B e d e u t u n g des Sakraments als Gemeinschaft u n d Wechsel behandelt, so w e n det er sich n u n d e m Empfangsmodus, d e m Glauben zu. D i e Brücke zwischen B e d e u t u n g u n d E m p f a n g bildet das M o t i v des Wechsels zwischen Christus u n d C h r i sten. Dieser Wechsel wird persönlich w a h r g e n o m m e n im Glauben u n d erlaubt den E m p f a n g der Verheißung. Deutlich grenzt Luther dieses Modell gegen die theologische Konzentration auf die U m s t ä n d e der Realpräsenz ab. 39 Dabei b e h a n delt er ähnliche T h e m e n w i e im ersten Teil, freilich n u n aus der d e m Glauben entsprechenden Perspektive, der Personalität. Analog d e m ersten Teil beginnt er mit der Gabendimension des Sakramentes, die für den Einzelnen in der Freude über den Beistand Christi in aller Betrübnis u n d Gefahr besteht. D i e entsprechende Verpflichtung sieht Luther in der Gemeinschaftstreue u n d d e m Verzicht auf Hass oder Z o r n ; negativ grenzt sich Luther gegen den privatistischen Egoismus einer gemeinschaftszerstörenden Ü b u n g von G e b e t u n d Andacht ab. Das Vertrauen auf die göttliche Zusage der Sündenvergebung ist entscheidend, nicht das tägliche Messehören oder die Andacht. Von hier aus ergibt sich die Kritik an der Vorstellung einer mechanistisch-automatischen W i r k u n g der Sakramente, welche Luther mit der Konzeption des opere operato identifiziert. D e m g e g e n ü b e r will das Sakram e n t gerade Hilfe in einer existenziellen Notsituation leisten, ja Trost i m Sterben spenden. 37

Vielleicht m e i n t E. MUIR diese Passagen w e n n er (ansonsten m e r k w ü r d i g reduktionistisch) formuliert: „ T h e r e f o r m e r s w a n d t e d practical results. In their v i e w rituals , w o r k e d ' only w h e n they improved t h e morals of t h e p e o p l e . " R i t u a l , 150. 38 W A 2, 749, 23ff. 39 Diese Fixiertheit auf die R e a l p r ä s e n z u n d der Verlust des Gemeinschaftsgedankens, in der meist n u r einmal pro J a h r stattfindenden Eucharistieteilnahme der Laien d o k u m e n t i e r t , ergab sich aus der B e d r o h u n g der Realpräsenz d u r c h BERENGAR sowie die H e r a u s f o r d e r u n g der aristotelischen Philosophie. W e n n L u t h e r d e m g e g e n ü b e r d e n E m p f a n g i m G l a u b e n akzentuiert, so darf dies n i c h t g e g e n d e n Gemeinschaftsaspekt ausgespielt w e r d e n .

§4 Messopfertheologische Elemente

(1518-1520)

231

Diese Kritik an einem als objektive Größe vorgestellten Messwert ist gegenüber dem Spätmittelalter nichts Neues. So lehrte schon Wessel G A N S F O R T , dass der Grad der Compassio mit dem Leiden Christi den Grad der Teilhabe an dessen Früchten bestimme. 40 Diese existenzielle Ausrichtung der Messe ermöglicht einmal keine Portionierung eines objektiv geschaffenen Messwertes mehr. Daher vergleicht Wessel den Ausschluss anderer Begünstigter bei der Stiftung einer Messe mit einem Menschen, der das Sonnenlicht genießt und sich darüber beschwert, dass auch andere daran teilhaben. Zum anderen lässt sich die existenzielle Ausrichtung der Messe kaum vereinbaren mit ihrer Zuwendbarkeit an Dritte. So ist es konsequent, wenn Wessel sich gegen die Behauptung stellt, die zeitlichen Sündenstrafen der Seelen im Fegefeuer könnten durch die Messfeier getilgt werden, denn eine Läuterung der Seelen hänge ab von deren Verlangen nach Gott. FRANZ4' sieht klar, dass in Wessels Modell weder das für die Messe aufgewendete Geld noch die Intention des Zelebranten 4 2 Relevanz für die Messwirkung besitzen. Er hält dem folgendes entgegen: Es sei ein „allgemein angenommene[r] Grundsatz, daß eine für viele zelebrierte Messe dem einzelnen nicht so viel gewährt, als wenn sie allein für diesen gelesen worden wäre. [...] Unter diesen Anschauungen verflüchtigt sich die Lehre von der Messe ex opere operato als Sühnopfer fast vollständig, zumal Wessel auch den Fortbestand zeitlicher Sündenstrafen nach Erlaß der Sünde leugnete." Wenn Wessel also Kritik an der Vorstellung eines objektiv vorhandenen und von der Kirche zuwendbaren Messwertes übt, so lässt sich, wie noch zu zeigen sein wird, seine Messtheologie doch nicht ganz mit der Luthers identifizieren. Denn für letzteren begründete sich die Wirkung der Messe im äußeren Verheißungswort. Sie war damit nicht nur unabhängig von der Höhe des Messstipendiums oder der Intention des Zelebranten, sondern auch von der Disposition des einzelnen Gläubigen. In e i n e m Anhang aktiviert der R e f o r m a t o r das Kritikpotenzial seines Sakramentsverständnisses schließlich gegen die Bruderschaften: 4 3 D i e Gemeinschaftsdimension des Sakraments widerspricht deren selbstabschließendem Egoismus, der nur die eigenen Mitglieder im B l i c k hat. Alkoholische und gastronomische Exzesse verunehren Christus und die Kirche. Statt dessen sollte eine Ausrichtung nach der himmlischen Bruderschaft des Leibes Christi und eine Konzentration auf gute Werke (Armenhilfe, Fasten und B e t e n ) erfolgen. 4 4 Dieser Z u s a m m e n h a n g lässt sich schematisch folgendermaßen fassen: 40

W e r k e 8 1 8 f , T h e s e 18: „Missa suffragatur per passionem, sed solum compatientibus pro

mensura compassionis." Dezidiert w e n d e t er sich gegen einen Einfluss der Moralität des Z e l e branten. 41

Messe, 3 1 2 .

42

Vgl. dazu Werke, 8 1 8 : „ H a b e t e n i m unicuique, q u a n t u m spiritualiter immutatur et proficit,

n o n q u a n t u m desiderat, qui celebrat." Zitiert nach FRANZ, Messe, 3 1 2 , A n m . 2 . 43

D i e s e in der Karolingerzeit entstandenen und i m Spätmittelalter prosperierenden V e r b i n -

dungen unterschieden sich v o m oft initiativ wirkenden M ö n c h t u m durch das Fehlen m o n a s t i scher Gelübde. Sie verbanden (häufig zu ungleichen Teilen) Nächstenhilfe, Geselligkeit und F r ö m m i g k e i t , wirtschaftliche und gesellschaftliche Z i e l e sowie S o r g e u m das Seelenheil, nicht selten mit einer anti-klerikalen Abgrenzung. D i e monatlich e r h o b e n e n B e i t r ä g e finanzierten Z u sammenkünfte, Messen und B e e r d i g u n g e n , A l m o s e n und Landerwerb. Vgl. R . STUPPERICH, Art. Bruderschaften / Schwesternschaften / K o m m u n i t ä t e n , 195—206; A. ANGENENENDT, Heilige und R e l i q u i e n , 1 9 7 f ; I. WILHELM-SCHAFFER, Gottes B e a m t e r , 1 4 7 - 1 4 9 . 44

D i e Adelsschrift n i m m t in ihrem 2 3 . Abschnitt ( W A 6, 4 5 2 , 2 7 - 4 5 4 , 16) K r i t i k und R e -

formvorschläge auf.

232

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

(1) S a k r a m e n t s t h e o l o g i s c h e s G r u n d m o d e l l (1—5) (2) Grundfigur Sozialität G e m e i n s c h a f t u n d Wechsel als Z e i c h e n u n d B e d e u t u n g des Sakraments (6—16)

(3)

1. Positive Entfaltung 1.1 Gemeinschaft und Sünde: Solidarität (Gabe) 1.2 Gemeinschaft und Ethik: Beistand (Pflicht)

1. Positive Entfaltung 1.1 Glaube und Sünde: Freude in Betrübnis (Gabe) 1.2 Glaube und Ethik: Hassverzicht (Pflicht)

G r u n d f i g u r Personalität Glaube als E m p f a n g s m o d u s des Sakraments (17-22)

2. Abgrenzung gegen 2. Abgrenzung gegen 2.1 Messwirklichkeit ( N o r m Christus, Urkirche) 2.1 Falsche Subjektivität: Privatist. Frömmigkeit 2.2 Egoismus (Gabe ohne Verpflichtung) 2.2 Falsche Objektivität: Ex-opere-operato 3. Leitbild: Wandel durch Gemeinschaft 3.1 Gemeinschaft mit Christus 3.2 Wandel durch den fröhlichen Wechsel

3. Leitbild: Eschatologische Vollendung des Glaubens 3.1 Todesbedrängnis als O r t des Sakraments 3.2 Glaube und ewiges Leben

(4) Konkretion Bruderschaften

2.2

Der theologische Ort der Schrift

Der Sermon ,Von dem hochwürdigen Sakrament' nimmt, verglichen mit Luthers nachfolgenden Publikationen zum Abendmahl, 4 5 eine Sonderstellung ein, insofern er die Gemeinschaft als Leitperspektive des Abendmahls wählt und die Einsetzungsworte ethisch auslegt. 46 Diese Besonderheit findet nun unterschiedliche Erklärungen in der Forschungsgeschichte. 47 Eine reformierte Position 48 würdigt den Sermon als eine gemeinsame Basis der Anfangszeit. Entgegen seiner späteren Konzeption lehrt Luther demnach im 45 Vgl. die schon w e n i g e M o n a t e später veröffentlichten A u s f u h r u n g e n in , D e captivitate B a bylonica'. 46 Bereits hier ist darauf zu verweisen, dass die i m , S e r m o de digna praeparatione' e i n g e f ü h r t e „ h u n g r i g e Seele" als Voraussetzung des rechten Messempfanges nicht v o n einer S e l b s t p r ü f u n g des Verhältnisses z u m N ä c h s t e n dispensiert. In ,Von b e i d e r Gestalt des Sakraments', i m m e r h i n aus d e m Jahre 1522, rät L u t h e r : „Steht die p r u ( o ) f f u n g d a r y n n , das du ansehest deyn euszerlich weszen, o b du a u c h liebe gegen d e y n e n nehisten beweyssist u n n d y h m dienst, findistu nu solche pru(o)ffe nicht in dyr, s o n d e r n lebist w i e vorhyn, stickist n o c h voll untrew, hasz, t z o r n , u n g l a w bens. O lieber, szo bleyb ia v o n diszem sacrament, bisz d u eyn ander m e n s c h werdist, lasz dich n i c h t d e n hauffen n o c h Bapsts gesetz n o c h g e w o n h e y t h y n t z u t r e y b e n . " W A 10 II, 39, 1—6. Allein schon dieser späte Beleg n ä h r t die Skepsis an einer isolierten B e t r a c h t u n g des S e r m o n s , die in i h m Luthers Abendmahlsauffassung n o c h nicht vorliegen sieht. 47 Vgl. dazu U. STOCK, B e d e u t u n g der Sakramente, 1 - 2 3 u n d WISLOFF, A b e n d m a h l , 3 0 - 3 3 . D e r S e r m o n besitzt zwar g r o ß e B e d e u t u n g für die Mess- w e n i g e r aber für die M e s s o p f e r t h e o l o g i e Luthers. Es erscheint m i r daher nicht plausibel, w e n n MCCUE Luthers ausführliche A u s e i n a n d e r setzung mit d e m M e s s o p f e r k o n z e p t seiner Zeit n u r a m R a n d e , d e n S e r m o n aber besonders ausf ü h r l i c h behandelt. Dass L u t h e r das hier G e ä u ß e r t e n i c h t z u r ü c k n i m m t , rechtfertigt j a n o c h keine isolierte B e t r a c h t u n g . 48 Als Vertreter n e n n t U. STOCK die an Z w i n g l i anschließende Z ü r i c h e r T h e o l o g i e u n d die C h r o n i k Hospinians.

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

233

Abendmahlssermon die geistige Nießung und die Gemeinschaft des Leibes Christi als geistige Frucht dieser Nießung. Die Wahrnehmung der Sonderstellung verbindet sich also mit einer positiven Wertung der Schrift. Die lutherische Betrachtungsweise indes versucht, die Kontinuität zum späteren Luther, etwa in der Frage der Realpräsenz, 4 9 herauszustellen, ohne die Differenz zwischen dem Sermon und Luthers späterer Position völlig einzuebnen. 5 0 Insbesondere das Zeichenverständnis des Sermons bleibt hier umstritten. 51 Demnach wandert die Realpräsenz von ihrer anfänglichen Randstellung in das Zentrum der Abendmahlslehre, nachdem Luther seit 1520 die Einsetzungsworte neu versteht. Der „echte" Luther in seinem gegen reformierte wie römische Theologie klar abgegrenztem Profil wäre demnach erst 1520 zu fassen. In diesem Modells spielt der Abendmahlssermon folglich die R o l l e eines Vorläufers. Jenseits dieser beiden konfessionellen Interpretationslinien bilden sich auch individuelle Deutungen heraus. So beleuchtet Karl HOLL52 den sozialgeschichtlichen Hintergrund des Sermons und versteht die Gemeinschaft als ekklesiologische Grundkategorie Luthers. Gemeinschaft und Individuum sieht er einander so zugeordnet, dass die als Liebesgemeinschaft aufgefasste Gottesgemeinschaft die persönliche Erfahrung des Einzelnen bestimmt. Durch diese Zentralstellung der Liebesgemeinschaft erscheinen Gottesgedanke und ethische Forderung bei Luther eng verknüpft. Karl BARTH53 unterstreicht anders als die klassische reformierte Position die Kontinuität zwischen dem Sermon und Luthers späterer Abendmahlslehre und hebt besonders Luthers Verbindung von Glaube und Ethik in dieser Schrift hervor, ohne allerdings auf eine Abgrenzung gegen die reformierte Position zu verzichten. Insgesamt zeigt die Diskussion um die Einordnung dieser Schrift also drei ineinanderliegende Problemkreise: Aus einer biographischen Perspektive geht es um die Frage nach der Kontinuität in Luthers Abendmahlstheologie. Unter soteriologischer Fragestellung steht die Verbindung von Glaube und Ethik infrage. Und in sakramentstheologischer Hinsicht ist das Verhältnis von Zeichen, Bedeutung und Glaube zu bestimmen. Im Folgenden sollen die beiden profiliertesten der neueren Zugänge, die Interpretation Oswald BAYERS54 und der Entwurf Ursula STOCKS, nebeneinander gestellt werden. So H . GRASS, Abendmahlslehre, 7 - 9 . Vgl. F. GRAEBKE, Die Konstruktion der Abendmahlslehre Luthers in ihrer Entwicklung dargestellt. Eine dogmengeschichtliche Studie, Leipzig 1908, 16—29. Er sieht im Sermon eine Signum-Theorie vorliegen, die später von einer Vehikel-Theorie abgelöst wird. 49

:1l)

5 1 So stellt E. SOMMERLATH, D e r Sinn des Abendmahls nach Luthers Gedanken über das Abendmahl 1527—1529, Leipzig 1930, gegen GRAEBKE zwar zwei unterschiedliche Zeichenverständnisse bei Luther fest, bringt sie aber gerade nicht in eine chronologische Abfolge, sondern weist sie schon im Abendmahlssermon als nebeneinander stehend nach. 5 2 In den beiden Aufsätzen ,Die Entstehung von Luthers KirchenbegrifF (1915) und ,Der Neubau der Sittlichkeit' (1919), beide in: Luther. Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Tübingen 6 1 9 3 2 , 1, 4 6 8 - 5 4 3 bzw. 1 5 5 - 2 8 7 . 5 3 Ansatz und Absicht in Luthers Abendmahlslehre, Z d Z 1 (1923), H.4, 1 7 - 5 1 und DERSELBE, Die Lehre von den Sakramenten, Z d Z 7 (1929), 4 2 7 - 4 6 0 . 5 4 BAYERS Arbeit datiert zwar aus den frühen Siebzigern, beeinflusst aber auch neuere D e u t u n gen der Sakramentstheologie Luthers. Vgl. etwa den Katechismuskommentar PETERS'.

234 2.2.1

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Der Sermon als Vertreter vorreformatorischer Theologie (Oswald

Bayer)

Oswald BAYER legt das von i h m e r h o b e n e reformatorische Wortverständnis, wie Luther es in der Hebräerbriefvorlesung entwickelt hat, als Messlatte an den Serm o n an u n d k o m m t so zu der Auffassung, „daß der reformatorische Ansatz hier nicht wirklich zur Geltung g e k o m m e n ist." 5 5 Dieses markante Urteil b e g r ü n d e t er, d e m A u f b a u der Schrift folgend, mit Luthers Verständnis u n d Z u o r d n u n g von Zeichen, B e d e u t u n g u n d Glaube. Schon Luthers Einsatz nicht mit d e m Wort, sondern mit den E l e m e n t e n (Brot u n d Wein) u n d der H a n d l u n g (Essen u n d Trinken) gilt BAYER hierfür als Indikator. D i e Qualifikation des Zeichens als „gewiß tzeychen von gott selber gegeben durch den priester, das er mit Christo u n d seynen heyligen soll alßo voreynigt u n d alle ding gemeyn seyn" 5 6 ü b e r n e h m e zwar die spezifische O r t s b e s t i m m u n g der G n a denmitteilung aus d e m B u ß s e r m o n , b e n e n n e aber eine andere Instrumentalursache: N i c h t wie dort das bestimmte Wort, sondern Element u n d H a n d l u n g v e r m i t telten hier die Gnade. 5 7 D i e R e d e von der B e d e u t u n g des Zeichens stehe dann der Identität von signum u n d res entgegen. D e n n die B e d e u t u n g habe das n o c h einmal zu vermitteln, was später das W o r t selbst leiste. W i r k u n g u n d B e d e u t u n g des W o r tes fielen hier also n o c h nicht in eins. 58 Im Verfolg dieser These arbeitet BAYER dann zwei komplementäre Vermittlungsmodelle heraus: Einmal beschreibt er das thomistische Verständnis des Zeichens. Das Z e i c h e n werde hier als ein Symbol der Gabe verstanden u n d setze einen Verweiszusammenhang zwischen Z e i c h e n u n d Gabe voraus, der bereits vor d e m Sakramentsgeschehen bestanden habe. D e m gegenüber stehe die spiritualisierende Auffassung v o m Zeichen. N a c h ihr verweise das Z e i c h e n auf eine innere Bezeugung, die jenseits aller äußeren Affinitäten zwischen Gabe u n d Zeichen angesiedelt sei. Das erste M o d e l l formuliere Luther in 748, 6. 5 9 D i e hier vorliegende symbolische Verbindung von Z e i c h e n u n d B e d e u t u n g konkretisiere sich dreifach: Einmal in der Forderung nach d e m Laienkelch, denn „diß sacrament bedeutet ein gantz voreynung u n d unvorteylete g e m e y n schafft der heyligen [,..]", 6 0 z u m anderen in d e m Hinweis auf das Christusgesche-

55

Promissio, 240. BAYER steht damit in der Linie konfessionell bestimmter Interpretation, welche die Distanz zwischen dem Abendmahlssermon von 1519 und der späteren Sakramentstheologie Luthers besonders herausstellt. 56 WA 2, 744, 8-10. 57 A.a.O., 228f. Als Indiz hierfür gilt BAYER die Verwendung des Begriffes Zusage, der „sich nicht sinnvoll in seine neue Umgebung einfügt, kann er doch unmöglich seine Herkunft aus dem solo verbo strukturierten Bußsakrament verleugnen", a.a.O., 228. Schon für BIZER, Entdeckung, 79, machte Luther den Übergang vom Zeichen zur Zusage nicht deutlich genug. 58 Vgl. BIZER, a.a.O., 81, der von einer „Bedeutungstheologie" spricht, wie er sie bei Zwingli und Bullinger zu entdecken meint. 59 „Czum viertzehenden. Solch Gemeinschaft zu bedeuten, hat gott auch solch zeychen dißes sacraments eyngesetzt, die sich allethalben da hyn fugen und mit yhren formen unß zu solcher gemeynschaft reytzen und bewegen." WA 2, 748, 6—8. 60 WA 2, 742, 33—743, 1. BAYER weist daraufhin, dass der Laienkelch also nur am Rande exegetisch mit der Einsetzung Christi begründet wird, hauptsächlich aber symbolisch mit der Ganzheit des Zeichens.

§4

Messopfertheologische

Elemente

(i5i8-1520)

235

hen (Fleisch = Inkarnation, Blut = Kreuzestod) 61 und schließlich in der Aufhebung der Einzelgestalt in die Gemeinschaft analog dem aus zermahlenen Körnern bestehenden Brot. 6 2 D o c h nicht nur die Elemente, auch die Sakramentshandlung selbst werde zum Symbol: So wie die Speise eine Natur mit dem Gespeisten werde, indem sie sich in ihn hineinverwandle, so bedeute die Sakramentshandlung des Essens und Trinkens die innigst mögliche Vereinigung. 63 Die Bedeutung des Sakraments werde hier also vom Zeichen her bestimmt. Demgegenüber gehe das zweite Vermittlungsmodell von der Bedeutung aus und betone die Differenz zwischen Bedeutung (Gemeinschaft der Heiligen) und Zeichen (Brot und Wein): 6 4 Gemeinschaft werde zwar im Sakrament zuteil, doch nicht schon mit dem Zeichen. Folglich fielen die Wandlung des natürlichen (Zeichen) und des geistlichen (Gemeinschaft der Kirche) Leibes Christi auseinander. Das Interesse liege in diesem zweiten Modell stärker bei Ekklesiologie und Ethik als bei der Christologie. 6 5 Die Gemeinschaft bestehe nun im gnädigen Wechsel mit Christus und sei vor allem durch das Moment der Liebe gekennzeichnet. Diese Liebe sei freilich allererst Forderung und nicht Gabe. Dadurch erscheine Christus vor allem als Exempel, was insbesondere die Auslegung der Einsetzungsworte zeige. 6 6 BAYER sieht darin ein Motiv der Kreuzestheologie: Im Unterschied zu einem früheren Stadium löse im Abendmahlssermon zwar das Mitleiden mit dem Nächsten die individuelle mortificatio ab. Aber auch hier bleibe die Selbstverleugnung ein Heilsweg, das zeige die Forderung nach der Betrübnis als notwendiger Disposition und der Austausch geistlicher Güter nach dem do-ut-des-Prinzip. So werde ausgehend von einer Exemplum-Christologie die Liebe zur Bedeutung des Heilsgutes. Der Glaube erscheine dann nur noch im Dienste dieses Modells. Auf das Zeichen gerichtet, meine er ein Fürwahrhalten der Wandlung, überdies tue er „den Schritt 6 1 W A 2, 749, 17£F: „Darumb hat er auch nit allein eyn gestalt gesetzt, sondern unterscheidlich seyn fleysch unter dem brott, seyn blut unter dem weyn, an zu tzeygen, das nit allein sein leben und gute werck, die er durch das fleysch antzeygt und ym fleysch gethan hatt, sondern uch seyn leyden und marter, die er durch seyn blutt antzeygt, yn wilcher seyn blutt vergossen ist, alles unser sey, und wir dreyn getzogen des nießen und prauchen mugen." 6 2 W A 2, 748, 8 - 1 4 : „Dan zu gleych als aus vielen kornlin, zusammen gestossen, das brot gemacht wirt, und vieler korner leybe eyns brots leyb werden, daryn eyn iglich kornleyn seyn leyb und gestalt verleuret und den gemeynen leyb des brots an sich nympt, Desselben gleychen auch die weyn kornlyn mit vorlust yhrer gestalt werden eyns gemeyn weyns und trancks leyb, Alßo sollen und seyn wir auch, ßo wir diß sacrament recht prauchen [...]." 6 3 WA 2, 748, 29—32: „dann keyn ynniger tiefer unzuteyliger voreynigung ist ubir die voreynigung der speyß mit dem, der gespeyßet wirt, Syntemal die speyß geht und wirt vorwandelt yn die natur und wirt eyn weßen mit dem gespeyßten." 6 4 WA 2, 742, 10—13: „Das Sacrament muß eußerlich und sichtlich seyn, yn eyner leyplichen form odder gestalt. Die bedeutung muß ynnerlich und geystlich seyn, yn dem geyst des menschen." W A 743, 7: Czum Vierden. Die bedeutung odder das werck dißes sacraments ist gemeynschaft, und Communicare aufflatein heyßt diß gemeynschafft empfahen [...]." 6 5 W A 2, 751, 13—17: „Drumb schaw aufF, es ist dir mehr not, das du des geystlichen, dan des naturlichen corpers Christi acht habist, und noetter der glaub des geistlichen dan des naturlichen corpers. Dan der naturlich an den geistlichen hilft nichts in dissem sacrament, es muß ein vorwandlung da geschehen und geübt werden durch die lieb." 6 6 Vgl. WA 2, 745, 3 6 - 7 4 6 , 5.

236

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

vom Signum zur res und damit den Griff nach der Bedeutung, nach der ihn erst erfüllenden Liebe." 6 7 So durchzieht für BAYER die gesamte Schrift eine Spannung im Verständnis des Zeichens: Benenne das erste Modell einen festen Ort der Gnadenmitteilung, indem es dem Zeichen eine eigene Wirkkraft zuspreche, so stelle das zweite das Gnadenwirken dem unbestimmtem Geistwirken anheim, indem es das Zeichen der Bedeutung unterordne. Christus erscheine beide Male deutlich als Exempel, wodurch die Liebe als Heilsgut bestimmt werde und das Schwergewicht nicht auf der Christologie, sondern auf der Ekklesiologie und auf der Ethik zu ruhen komme: „Vom Wort wird in diesem Sermon völlig geschwiegen." 6 8 Sucht man Bayers Interpretation mithilfe der drei die Diskussion um den Sermon bewegenden Fragekreise zuspitzend zusammenzufassen, so ergibt sich: Das Zeichen bestimmt Luther hier von den Elementen und nicht vom Wort aus, wodurch der Glaube als eine Vermittlungsinstanz erscheint. Die Bedeutung der Ethik (Liebe, Werke) wird auf Kosten des Glaubens hervorgehoben, was eine deutliche Spannung zu Luthers späteren Abendmahlsschriften anzeigt, die das Zeichen vom Wort her verstehen und die Werke dem Glauben folgen lassen. Insgesamt lenkt für Bayer daher der Sermon „mit starkem Systemzwang in traditionelle Bahnen zurück". 6 9 Dieses profilierte Urteil 7 0 kann freilich nicht ohne Widerspruch bleiben. Deutlich wird einmal, dass Bayers Betrachtung das Prädikat „reformatorisch" mit einem bestimmten Wortverständnis identifiziert. Dies führt dazu, dass dort, wo sich diese Wortkonzeption nicht aufweisen lässt, automatisch eine Einheit mit der Tradition vermutet wird. 71 Gerade die messtheologischen Äußerungen Luthers werden in ihrer kritischen Kraft dann aber nicht genug gewürdigt. Besonders deutlich zeigt dies das Thema der Messvorbereitung. BAYER formuliert knapp: „Gleichwohl bleibt die mortificatio sui Heilsweg — weil Weg der Liebe. [...] Die R e d e von der tribulatio als notwendiger dispositio in diesem Zusammenhang kann den ganzen Gedankenkreis nur noch abrunden." 7 2 Es ist aber keineswegs so, dass Luther hier

6 7 A.a.O., 238. Vgl. E. BIZER, a.a.O., 80: „In der Tat hat sich gegenüber der früheren Auffassung von der Kreuzigung Christi als Sakrament nur dies geändert, dass Luther jetzt von der Handlung der kirchlichen, .institutionellen' Sakramente ausgeht. Was diese Handlungen bedeuten, das wird durch den Glauben realisiert, und sofern es realisiert wird, ist es Tatsache und ist also das Sakrament wirksam." 6 8 A.a.O., 240. 6 9 A.a.O., 240, 227f. 7 0 In komprimierter Form findet sich dieselbe Interpretation des Sermons auch bei W. NEUSER, Abendmahlslehre, 53f. Er referiert vor allem E. BIZER. 7 1 Mit T h . HOHENBERGER ist vielmehr darauf zu verweisen, dass „sich Luthers Rechtfertigungstheologie nicht auf den promissionalen Charakter des Wortes Gottes beschränken läßt [...], sondern stets dort zur Sprache gebracht wird, wo von Christi Gerechtigkeit die R e d e ist, die im Glauben zugeeignet wird und dem Sünder somit gnädig begegnet. Hier ist es der Gemeinschaftsgedanke, dem aber deutlich das theologische Profil der Rechtfertigungsethik zugrundegelegt wird." A.a.O., 78, Anm. 106. Vgl. auch W. FÜHRER, Wort Gottes, 246, Anm. 15: „O. Bayers Analyse des Sermons greift ins Leere, weil er in ihm etwas sucht, das zu behandeln Luther sich nicht vorgenommen hat." 7 2 A.a.O., 236.

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518—1520)

237

die Zerknirschung als notwendige Vorbereitung forderte. Es geht ihm vielmehr darum, den besonderen Adressatenkreis des Sakraments deutlich zu machen, zu zeigen, dass sich die Gabe des Abendmahls gerade an die Geplagten richtet, nicht aber, dass der Mensch sich erst in diesen Zustand versetzen müsste, damit er das Sakrament würdig empfangen kann. 7 3 Weiters kann das Motiv des „fröhlichen Wechsels" zwar nicht einfach mit dessen Bedeutung und Stellenwert in der Freiheitsschrift identifiziert werden, doch eine glasklare Kontrastierung beider Verständnisse, wie Bayer sie vornimmt, 7 4 deckt die Quellenlage nicht. Bayer sieht den Unterschied zur Vorstellung vom „Fröhlichen Wechsel" der Freiheitsschrift darin, dass dort im strengen Sinne von Christus und dem Glauben die R e d e sei, während Luther hier von der Liebe und der Gemeinschaft der Heiligen, in welcher Christus nur die Position eines primus inter pares einnehme, spreche. Der Unterschied bestünde also vor allem hinsichtlich der Differenz von Christus und seinem geistlichen Leib, die im Sermon nivelliert würde. Indes kann die Position Christi hier wohl nicht ohne weiteres als „primus inter pares " beschrieben werden. Zwar werden Christus und die Heiligen in engen Zusammenhang gebracht, wenn von der seelsorgerlichen Dimension der Gemeinschaft gegenüber der „beschwerung seyns hertzen" die R e d e ist. 75 Der soteriologische Grund dieses Trostes aber wird streng christologisch bestimmt, die Gerechtigkeit des Menschen besteht für Luther auch hier allein in der Gerechtigkeit Christi, die Heiligen und Engel erscheinen als flankierender Beistand und keinesfalls als eine Mitursache. 7 6 Auch wenn Luther C h r i stus häufig als ein „Exempel" bezeichnet, so macht er mit der Benennung der B e trübten als der Zielgruppe des Sakraments die Selbstverleugnung noch nicht zum Heilsweg. 77 Fraglos stellt er in dieser Schrift deutlicher als andernorts das ethische Beispiel Christi vor Augen. Dieser Akzent auf dem munus propheticum lässt sich aber nicht als Konkurrenz zum munus sacerdotale begreifen, denn die ethische Vorbildfunktion Christi setzt die durch ihn ermöglichte Gemeinschaft voraus. 78 Die Ar7 3 Das wird gerade an der Belegstelle (WA 2, 746, 23—29) deutlich, die BAYER für seine diesbezügliche Behauptung (a.a.O., 236, Anm. 73) wählt. Dort sind es eben nicht die Jünger selbst, die sich durch fromme Praktiken auf den Empfang vorbereiten. Vielmehr schafft Christus allein die würdige Vorbereitung. Vgl. auch U. STOCK, a.a.O., 205.

A.a.O., 234. W A 2, 745, 1 - 1 8 . 7 6 Vgl. auch M . LIENHARD, a.a.O., 52, der die Figur des fröhlichen Wechsels bereits in der R ö m e r briefvorlesung nachweist: „Dieses Grundmotiv der Schrift ,Von der Freiheit eines Christenmenschen' (1520) ist schon im Römerbriefkommentar zu finden." Bereits in den ,Dictata' begegnet die zeitgenössisch anstößige Rede, dass Christus zu unserer Sünde gemacht worden sei: „Christus pro nobis factus est peccatum, maledictum, excommunicatio et anathema." W A 3, 236, 33f. Auch im Abendmahlssermon, LStA 1, 274, 15—34, spricht Luther davon, dass es bei der Gemeinschaft von Christus und den Heiligen darum gehe, dass „alle leyden und sund / auch gemeyn werden vnd alßo liebe gegen liebe antzundet wirdt." 74 75

Vgl. E. BIZER, a.a.O., 79. Vgl. dazu vor allem den Abschnitt sechs, W A 2, 744, 8—18. Auch Luthers Auslegung der Einsetzungsworte stützt BAYERS Interpretation nicht. Letzterer meint, a.a.O., 235: „Christi Bedeutung ist die eines Exempels und seine ,commemoratio' eine ,Adhortatio ad imitationem exempli', nicht Verkündigung, die den Glauben wirkt, sondern Ermahnung, die die Liebe fordert. Dies wird deutlich an der den schlichten Wortlaut eigenartig umbiegenden und die Bahnen des ganzen 77

78

238

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

gumentation geht von der Christusgemeinschaft aus und entfaltet dann erst deren ethische Konsequenz. Sie versteht also die Gemeinschaftstreue nicht als Vorbedingung, sondern als Implikat der Christusgemeinschaft. Deutlich zeigt sich dies bei Luthers positiver Entfaltung der Gemeinschaftsdimension: 79 Er formuliert hier zunächst seine Grundthese (6), zeigt dann die Hilfe der Gemeinschaft (8) gegen die Anfechtung des Einzelnen (7) auf und kommt schließlich zur Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft (9). Bayers Interpretation berücksichtigt hier also Voraussetzung und Kontext der Rede von Christus als dem Exempel nicht ausreichend. So geht es Luther in diesem Sermon auch um alles andere als um eine Strukturierung des Sakraments nach dem do-ut-des-Prinzip. Als Beleg für diese These nennt B A Y E R WA 2, 748, 1-3. 8 0 Die hier angegebene Reihenfolge, nach der menschliches Sozialverhalten eine Sanktion Christi bzw. der Heiligen allererst provoziert, scheint ihm auf den ersten Blick auch Recht zu geben. Doch bereits der Nachsatz kehrt die Denkrichtung um: „Dan wo die lieb nit teglich wechst und den menschen alßo wandelt, das er gemeyn wirt yederman, da ist diß sacraments frucht und bedeutung nicht." 81 D e m entspricht auch die prinzipielle Z u ordnung von Sakrament und Ethik in der einleitenden Grundbestimmung. 8 2 Es geht Luther also darum, gemeinschaftsstärkendes Verhalten als notwendiges Implikat der Communio-Dimension des Abendmahls aufzuzeigen. Er will keineswegs das gemeinschaftstreue Verhalten als ein im Voraus zu leistendes Werk gegenüber der Sakramentsgabe profilieren. Die Sozialität wird nicht - etwa im Sinne der ciceronisch-stoischen (und später von H O B B E S wirkmächtig aufgenommenen) Staatsbegründung — als „utilitaristische" Vernunftbeziehung verstanden. Eine solche befragte nach dem do-ut-des-Prinzip die Gemeinschaftstreue nur daraufhin, was sie zur Entfaltung der je eigenen Individualität beizutragen vermöchte und spräche der Sozialität folglich gar keinen Wert an sich zu, sondern bestimmte sie rein funktional. Diese, die Sozialität auf ihren Beitrag zum Erhalt der Individualität reduzierende Sichtweise, liegt bei Luther gerade nicht vor. Vielmehr geht er von einer grundsätzlichen Gewiesenheit und vor allen zu leistenden Werken bestehenden Wechselbeziehung beider aus. Das zeigt sehr deutlich die gleichnishafte Illustration Sermons lenkenden Exegese der Einsetzungsworte." Für E. BIZER, a.a.O., 79, f ü h r t Luther die Einsetzugsworte hier nur beiläufig an u n d macht sie erst im .Sermon von d e m N e u e n Testament' z u m Ausgangspunkt seiner Auslegung (a.a.O., 87). Auch w e n n ein deutlicher Akzent auf der W a h r n e h m u n g Christi als Exempel ruht, so ist doch mit LIENHAED, a.a.O., 21, d a r a u f h i n z u w e i sen, dass „Christus für den Menschen nur Vorbild sein kann, w e n n er für ihn auch u n d zuerst Sakrament ist." Vgl. auch LIENHARD, a.a.O., 31: „Bevor Christus das nachzuahmende Beispiel ist, ist er für Luther der Erlöser, mit d e m der Mensch im Glauben verbunden sein soll [...]. Christus ist zuerst .Sakrament' u n d danach erst .Exempel' ". 79 Im Z u s a m m e n h a n g der Abschnitte 6 - 1 1 (WA 2, 744, 8 - 7 4 7 , 3). Die folgenden Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Abschnitte des Sermon. 80 „ N e y n , wir m u ß e n der andernn ubell widder u n ß e r lassen seyn, wollen wir, das Christus u n d seyn heiligen u n ß e r ubel sollen yhr lassen sein, ßo wirt die gemeynschaft gantz und geschieht d e m Sacrament genug." 81 WA 2, 748, 3 - 5 . 82 743, 34f: „ D a n n wer mit genießen will, der m u ß auch mit gelten u n d lieb mit lieb vergleichen."

§4

Messopfertheologische Elemente

239

(1518-1520)

WA 2, 743, 35-744, 7, wo Luther die Beziehung von Individualität und Sozialität eben nicht funktional, sondern höchst affektiv (mitleiden, Gunst, Dank) beschreibt. 83 2.2.2

Der Sermon als Zeugnis reformatorischer Theologie (Ursula

Stock)

Erwies sich die Einordnung des Abendmahlssermon in die mittelalterliche Tradition als Konsequenz einer Reduktion des Reformatorischen auf eine bestimmte Worttheologie, so sucht Ursula STOCK Bayers gleichwohl beeindruckende Beobachtungen aufzunehmen und ohne diese Verengung weiterzufuhren. Sie stellt deshalb die Eigenart von Luthers Argumentation stärker heraus. Dabei zielt sie nicht darauf ab, die Formeln und Definitionen des Sermons in ein stimmiges systematisch-theologisches Gesamtmodell zu bringen. Sie will Luthers Schrift von dem ihr eigenen Ort, der täglichen Glaubenserfahrung, her verstehen und erst von hieraus fragen, wie Luthers Sakramentskonzept zur bisherigen Lehre und Praxis zu stehen kommt. 84 Bei der Einteilung des Sermons folgt sie der Trias Zeichen und Bedeutung (Abschnitt 1—16) sowie Glaube (17—22) und versteht den Anhang über die Bruderschaften als Schilderung der zu beobachtenden Lebenspraxis, wie Luther sie auch schon in den vorausgegangenen Sakramentssermonen — wenngleich nicht ebenso ausfuhrlich — geboten habe. 85 2.2.2.1

Der Zusammenhang

Zeichen -

Bedeutung

Anders als BAYER fasst STOCK den Zusammenhang von Zeichen und Bedeutung im ganzen Sermon nicht als Etablierung eines der ausgeführten Worttheologie entgegenstehenden Vermittlungsmodells auf, sondern als den Versuch, so vom Sakrament zu reden, wie die Bibel es tut. 86 Das Zeichen (Brot und Wein) und seine Bedeutung (Gemeinschaft Christi und seiner Heiligen) ließen sich deshalb immer neu und stets nur als Ganzes87 in der jeweiligen Lebens- und Erfahrungswelt lokalisieren.88 Die Verbindung von Zeichen und Bedeutung sieht Stock in den Ab83 Vgl. auch die Beispiele bei W. SCHWAB, E n t w i c k l u n g , 164, A n m . 30 u n d 167, A n m . 53. D i e ser m a c h t auf die Differenz des Sermons zu N M A aufmerksam. D o r t ist der Communio-Aspekt Voraussetzung f ü r die Teilhabe an der Gabe der Messe. A.a.O., 168, A n m . 55. 84 A.a.O., 10. 85 A.a.O., 217. 86 „ W i e im ganzen ersten Hauptteil des S e r m o n s nicht streng v o n e i n a n d e r zu unterscheiden ist, w a n n v o m Z e i c h e n u n d w a n n von der B e d e u t u n g des Sakraments die R e d e ist, da die B e d e u t u n g n e u e Zeichenaspekte finden läßt u n d n e u e Gleichnisaspekte zugänglich macht, so deutet das Fragen nach der , B e d e u t u n g ' des Sakraments in j e d e m Fall an: Es soll so v o m Sakrament die R e d e sein, w i e in der Bibel von i h m gesprochen wird, das Sakrament soll in d e m Z u s a m m e n h a n g b e schrieben werden, den es mit all seinen Z e i c h e n bezeugt, u n d das heißt überraschenderweise: so, dass in der d e m M e n s c h e n b e k a n n t e n Erfahrungswelt selbst das G e s c h e h e n z u m Z e i c h e n w i r d . " A.a.O., 204. 87 A.a.O., 199. Daraus resultiert die F o r d e r u n g nach d e m Laienkelch. 88 A.a.O., 201: „ M i t diesem Ausgangspunkt ist v o n A n f a n g an die E r f a h r u n g , in die dieses Sak r a m e n t gehört, als ein Ganzes, als ein geschichtlich w i r k e n d e r Z u s a m m e n h a n g der Gemeinschaft

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

240 s c h n i t t e n 14—17

89

in vier A s p e k t e n ausgeführt: E i n m a l w e r d e die E i n h e i t C h r i s t i

m i t u n s i m Bild des aus vielen z e r m a h l e n e n 9 0 K ö r n e r n zu e i n e r E i n h e i t g e f o r m t e n B r o t e s d e u t l i c h . Z w e i t e n s w e r d e C h r i s t u s so m i t u n s eins, w i e sich die Speise m i t d e m V e r z e h r e n d e n v e r b i n d e . C h r i s t u s h a b e Fleisch u n d B l u t in B r o t u n d W e i n g e g e b e n , was drittens unsere H i n e i n v e r w a n d l u n g in die G e m e i n s c h a f t seines Leibes u n d viertens in sein L e i d e n u n d S t e r b e n m e i n e . D i e g r u n d s ä t z l i c h e V e r b i n d u n g v o n E r f a h r u n g u n d Sache des S a k r a m e n t s , d e r Bildhälfte u n d d e r in d e n Z e i c h e n g e g e n w ä r t i g e n S a c h e , b e g r ü n d e t s i c h f ü r STOCK d a b e i i n d e r b i b l i s c h e n R e d e w e i s e . 9 1 A l s s o l c h e s t r a g e das Z e i c h e n stets d e n C h a r a k t e r e i n e r A n r e d e , 9 2 es b e s t e h t d e m n a c h also d u r c h a u s e i n e V e r b i n d u n g z w i s c h e n W o r t u n d Z e i c h e n . 9 3 N i c h t d i e K o n f o r m i t ä t m i t d e r T r a d i t i o n i m p l i z i e r t dieses Z e i c h e n v e r s t ä n d n i s , s o n d e r n e i n e zwischen Christus und den Seinen angesprochen. Das Sakramentszeichen begegnet nicht isoliert, es zeigt nicht in einer andersartigen Weltwirklichkeit eine jenseitige Gnadenwirklichkeit an, sondern es spricht aus dem heraus, was in der Geschichte schon da ist, aus der Wirklichkeit des .Leibes Christi'. Hierher gehört für STOCK auch das wiederholt gebrauchte Gleichnis von der Stadtgemeinschaft. 89 WA 748, 6-749, 22. 90 Während HILGENFELD, Elemente, 286, im Verlust der Eigengestalt von Körnern und K o m munikanten ein Proprium Luthers gegenüber der Tradition sieht, urteilt BAYER, Promissio, 231, Anm. 42 und 237, Anm. 81, unter Berufung auf Augustin, Petrus Lombardus und BIEL, das traditionelle Verständnis der Messe werde nicht gesprengt, das Abendmahl als Sakrament der Liebe sei völlig traditionskonform. STOCK wendet gegen ersteren ein, dass es Luther hier nicht um „Preisgabe und Wandlung der Individualität" oder „Verlust ihres spezifischen Eigenseins und Unterschiedes" gehe, sondern u m das „Verlieren des isolierten ,Für-Sich' oder ,An-Sich-Seins"'. Die Erfahrungsgemeinschaft der Liebe werde von den Zeichen des Sakraments bezeugt. Gegen BAYER sei diese nicht als eine hinter die reformatorische Wende zurückfallende Verbindung von Sakrament und Forderung sondern als eine Beschreibung der Liebeserfahrung zu verstehen. A.a.O., 195, Anm 295. 91 Die Sachhälfte mit der Bedeutung .Gemeinschaft mit Christus und den Heiligen', werde daher in biblischen Worten beschrieben (204 f, Abschnitt ß) und habe den Charakter einer persönlichen Trostzusage an die Betrübten (207, Abschnitt y). Dabei trage die Erfahrung stets das Doppelgesicht von Genießen und Selber-Mittragen. „So fuhrt der Weg des Verstehens in diesem Sermon in der Erfahrung des Sakraments der Liebe zum Verstehen der Einsetzung Christi [WA 2, 745, 32— 28]. Wahrzeichen und Erkennungszeichen in der Erfahrung und für die Erfahrung: so sei die .Bedeutung des Sakraments' einstweilen umschrieben." A.a.O., 206f. 92 Die Sprache der Zeichen des Abendmahls ist als ein Teil dieser für sich sprechenden Werke, mit denen Gott die Welt und den Glauben der Menschen trägt und erhält, gleichnishafter Art, wie alles Geschaffene, nicht im Sinne einer im Intellekt hergestellten Beziehung zwischen .Zeichen' und einer von ihm entfernt, in einem anderen Bezugsganzen, existierenden ,Sache', sondern im Sinne des den Menschen in der Erfahrung Ansprechenden. A.a.O., 314, vgl. auch 307. 93 „[...] wie der sensus litteralis der Schrift in den Einsetzungsworten festzuhalten ist gegen Wegnahme des Rechtes der Laien, u m die communio sub utraque specie zu bitten, gegen die als glaubensnotwendig bezeichnete Transsubstantiationslehre und gegen die Lehre von der Darbringung eines guten Werkes in der Messe, so ist, mit dem Sermon von 1519 gesprochen, die Einsetzung des Sakramentes des Leibes Christi nach seiner ursprünglichen Intention innerhalb der von Christus begründeten Gemeinschaft der Liebe, d.h. um des geistlichen Leibes Christi willen zu gebrauchen; im Zusammenhang mit diesem Anliegen wird das Wort Bruderschaft im Umkreis solcher christlichen Gemeinschaft wieder für seine ursprüngliche Bedeutung reklamiert und werden die, die es in den M u n d nehmen, beim Wort genommen. .Sprachpflege' ist also das Amt, das der Glaube hier vom Sakrament aus wahrnimmt für die soziale U m g e b u n g dieses Sakramentsgebrauchs." A.a.O., 311.

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

241

Kritik am h e r k ö m m l i c h e n Brauch durch den R e k u r s auf die ursprüngliche, vitale B e d e u t u n g des Zeichens. 9 4

2.2.2.2

Glaube und Gemeinschaft als Ausgangspunkt

der Messkritik

D e r Glaube werde dann zunächst einmal abgegrenzt gegen objektivierende O p e rationen w i e unpersönliches Wissen oder spekulative Verwissenschaftlichung in Gestalt der scholastischen Diskussion u m die Realpräsenz. Dabei zähle er als stetig neu zu ü b e n d e r Brauch nicht zu den natürlichen Möglichkeiten des M e n s c h e n , weshalb er oft u n d mit Freude zu ü b e n sei. N e b e n dieser eigenen E b e n e der G e meinschaft im Glauben (Abschnitte 1 7 u n d 1 8 ) sieht S T O C K n o c h eine zweite Hälfte der Gemeinschaft: Das eigene G e n i e ß e n u n d den Genuss des Nächsten ( 1 9 — 2 0 ) . H i e r wird eine Linie der Frömmigkeits- u n d Messkritik Luthers fassbar, die zu den Eigenheiten dieses Sermons zählt: die Kritik der Messpraxis im N a m e n der Gemeinschaft. Es schält sich hier n e b e n der soteriologisch motivierten eine von der Soteriologie natürlich nicht unabhängige aber doch eigenständig formulierte, sakramentstheologisch b e g r ü n d e t e Kritik gegenüber der Messwirklichkeit heraus, welche es erlaubt, die vorfindliche Messfrömmigkeit in ihrer Individualfixiertheit zu entlarven: 9 5 gute Werke der Reue als optima dispositio zum Sakrament bezieht Luther nun auf das fehlende Sich-Identifizieren mit dem Nächsten. [...] Die Frömmigkeit, die sich mit einem solchen Verhalten verbinden kann, beschreibt Luther so: man sucht nur den im Sakrament gegenwärtigen Christus zu ehren mit Gebet und Andacht und übersieht dabei, daß Christus in der Einsetzung des Sakraments seines Leibes die Übung der Gemeinschaft und die Verwandlung der Liebe, die Identifikation der Liebe mit dem Anderen im Auge gehabt hat, konkret im Darbieten der eigenen Kräfte, Fähigkeiten und des Vermögens als sei es das des Anderen. Diesen ,Körper Christi', dessen Glied im vitalen Sinne jeder Einzelne ist, sehen diejenigen Frommen nicht, die nur täglich Messe hören, selbst aber nicht affiziert sind vom Geschehen der Wandlung in ihrem profanen Leben außerhalb der Andacht. 96 versteht den Z u s a m m e n h a n g n u n aber nicht so, als o b die R e d e von Liebe u n d Gemeinschaft im Sinne einer ethischen Forderung Vorbedingung des Heils STOCK

94

A.a.O., 308. Diese Dimension der Sakramentstheologie Luthers findet bei S. KARANT-NUNN, R e f o r m a tion, 132, keine Berücksichtigung. Vielmehr vereinfacht sie sein theologisches Konzept, w e n n sie Sakramentstheologie u n d die im täglichen Leben erforderlichen Werke gegeneinander stellt: „ N o h u m a n activity could affect or effect outcomes. This theologically based conclusion, however, is hardly useful in the m u n d a n e sphere. [...] Thus, sensitive educated mortals could have been torn between the teaching that works availed t h e m nothing, and the socially influences value that works were essential to the individual as well as the collective wellbeing." Als eine Folge findet sich der Abendmahlssermon zwar in ihrer Auflistung der für Luthers Messtheologie relevanten Schriften (a.a.O., 249, Anm. 125), er wird zur Erhellung der Sakramentstheologie Luthers aber überhaupt nicht herangezogen. Die sozialen Implikationen des Abendmahles behandelt Luther zwar nicht m e h r so ausführlich wie in diesem Sermon, er gibt sie aber nie auf. So tönen sie auch an in der doch ganz der Kanonauslegung gewidmeten Schrift ,Vom Greuel der Stillmesse' aus d e m Jahre 1525, vgl. WA 18, 27, 16f. 96 A.a.O., 210f. 95

242

Zweiter

Teil: Genese

und

Gestalt

wäre. Sie unterscheidet sorgfältig zwischen der Irrelevanz der Liebeswerke in der Frage nach dem Heil des Menschen und der notwendigen Verbindung von Liebe und Sakrament in der Erfahrung des Glaubens, die zweifelsohne an das Wort gebunden bleibt. BAYERS soteriologischer Fragestellung (Liebe als Bedingung oder Folge des Heils) stellt sie ihre Ortsbestimmung des Sermons als eine Hermeneutik des Sakraments für die praktische Situation gegenüber. 97 Luthers Akzent auf der Gemeinschaftstreue ist dann keine Ethisierung des Sakraments, sondern ein Hineinsprechen in die Erfahrungswirklichkeit der Adressaten. 98 Sein Verständnis der Einsetzungsworte belegt deshalb nicht wie für BAYER, dass die Liebe hier als Heilsweg verstanden werde, 99 sondern zeigt an, wie Christus auch in der Not des Nächsten in der irdischen Lebenswirklichkeit gegenwärtig wird. 1 0 0 Versucht man, STOCKS Interpretation des Sermon mithilfe der drei Fragen zu erfassen, so ergibt sich: Das Zeichen verbindet sich, indem es seine Bedeutung in die Wirklichkeit der Sakramentsteilnehmer hineinspricht, eng mit deren Lebens- und Erfahrungswelt und wird so zur Anrede. Der Glaube wird gerade nicht auf Kosten der Soteriologie ethisiert, 101 sondern artikuliert sich in die Situation der Leser hinein als Praxisanalyse und Kritik des Vorfindlichen. 102 Damit rückt der Abendmahlssermon enger an die nachfolgenden Sakramentsschriften heran. Luthers Position von 1519 ist kein Rückfall hinter den im Bußsermon bereits gewonnenen Erkenntnisstand. Es handelt sich um eine eigenständige Fortentwicklung. 1 0 3

97

Deshalb erscheint ihr Bayers Kritik an d e m S e r m o n als eine R ü c k p r o j e k t i o n der späteren

Frontstellung gegen die ,,isolierte[n] Innerlichkeit mystischer Erlebnisse" bei den Spiritualisten (a.a.O., 2 8 3 , A n m . 4 6 9 ) . Vgl. auch DIESELBE, a.a.O., 3 0 8 f , gegen BAYER, Promissio, 2 3 7 sowie R . SCHWARZ, Angelpunkt, 3 4 5 , für den L u t h e r hier den Laien v o m Z e i c h e n aus einen Z u g a n g zu d e ren geistlichem Sinn erschließen will. 98

„ E i n e Ethisierung des Sakramentsverständnisses wird man darin nur dann sehen dürfen,

w e n n bereits die B e z i e h u n g a u f die Wahrheit irdisch — sozialer E r f a h r u n g des , I m - L e i b - S e i n s ' und Mitbetroffenseins von S c h m e r z und Freude der mitgeschaffenen G e s c h ö p f e etwas wäre, das zum G l a u b e n in K o n k u r r e n z treten k ö n n t e , was wohl n i e m a n d behaupten w i r d . " A . a . O . , 3 1 2 , H e r v o r h e b u n g bei STOCK. Z u r K r i t i k an Bayer vgl. auch W. SCHWAB, E n t w i c k l u n g , 163, A n m . 2 5 . 99 100

Promissio, 2 3 6 . A . a . O . , 2 0 6 f : „ S o fuhrt der W e g des Verstehens in diesem S e r m o n in der E r f a h r u n g des S a -

kraments der L i e b e z u m Verstehen der Einsetzung Christi [ W A 2, 7 4 5 , 32—38], W a h r z e i c h e n und E r k e n n u n g s z e i c h e n in der E r f a h r u n g und für die Erfahrung: so sei die . B e d e u t u n g des Sakraments' einstweilen u m s c h r i e b e n . " D i e D o p p e l h e i t von M i t g e l t e n und M i t n i e ß e n (in dieser l o g i schen R e i h e n f o l g e ! ) garantiert somit gerade, dass die G l a u b e n d e n sich nicht in einer isolierten I n nerlichkeit verschließen. 101

Vgl. a.a.O., 3 0 8 .

102

Vgl. a.a.O., 3 0 9 .

103

A u c h E . GRÖTZINGER, Luther und Zwingli 2 6 , A n m . 7 7 , folgt der O r t s b e s t i m m u n g STOCKS

und stellt den Z u s a m m e n h a n g des S e r m o n s mit der späteren Abendmahlstheologie deutlicher heraus als seine B e s o n d e r h e i t . Insbesondere die Verwendung des Verheißungsbegriffes sieht er nicht in e i n e m Spannungsverhältnis zur T h e o l o g i e des S e r m o n s stehen. G e g e n eine G e g e n ü b e r stellung von „ B e d e u t u n g s t h e o l o g i e " des Jahres 1 5 1 9 und „reformatorischer W o r t t h e o l o g i e " der 2 0 e r J a h r e w e n d e t er ein, „dass gar nicht m e h r erklärbar ist, inwiefern Luther auch 1 5 1 9 häufig von der Zusage und inwiefern er auch n o c h 1 5 2 0 von der Bedeutung

des Sakraments reden k a n n . "

(Ebd). Kritik an Bayers E i n o r d n u n g übt auch W. FÜHRER, W o r t Gottes. 2 4 6 , A n m . 15, d e m sich R . MESSNER, M e ß r e f o r m , 1 8 6 f , anschließt.

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

243

STOCKS Einordnung der Schrift vermag nicht nur die zeitgenössische Wahrnehmung einfühlsamer als Bayer zu beschreiben, sie entspricht auch der aus den frühen Vorlesungen erhobenen Entwicklungslinie. Sogar ein zeitgenössischer G e währsmann ist für ihre Position anzuführen. Im ,Underricht wie sich ain Christen mensch halten sol das er frucht der Mesz erlang vnd Christlich zu(o) gotz tisch ganng' (1522) verbindet Urbanus RHEGIUS104 Aussagen der späteren Messschriften und den Abendmahlssermon so bruchlos miteinander, dass eine sachliche Zäsur nicht zu erkennen ist. Nachdem der Ort des Abendmahlssermons bestimmt werden konnte, ist nun nach seiner Messtheologie zu fragen.

2.3

Die Bedeutung

der Schrift für die

Messtheologie

2.3.1

Die Messkritik innerhalb der Gesamtkonzeption

STOCK sieht also in der Konfrontation der bis dahin entwickelten Sakramentstheologie mit der vorfmdlichen Sakramentspraxis eine Kontinuität zu den vorausgehenden Sakramentssermonen: 1 0 5 W i e schon im Taufsermon führe für Luther eine allzu gesetzliche Predigt auch hier zu einer Werkfixiertheit, die nicht die Gemeinschaft, sondern den Einzelnen in das Zentrum der Wahrnehmung stelle und damit die Intention des Sakraments verfehle. Demgegenüber weise Luther auf die B e gründung für den Brauch des Sakraments, die gemeinsam getragene Anfechtung und die Beispielfunktion Christi gegenüber der Gemeinschaft hin und konfrontiere die kirchliche Wirklichkeit mit der Kollektenpraxis der Urkirche. STOCK beschränkt sich bei ihrer Darstellung des fraglichen Passus 106 also auf die Wiedergabe des Gedankenganges und verweist darauf, dass Luther die Messwirklichkeit an einer anderen Stelle des Sermons 1 0 7 ausführlicher behandle. Damit lässt sie aber offen, weshalb Luther seine Messkritik nicht zusammenhängend darlegt. Der zwölfte Abschnitt erscheint als bloß andeutendes Vorspiel seiner späteren Ausführungen in den Abschnitten 19f. Berücksichtigt man hingegen die Gesamtkonzeption des Sermons, so erschließt sich der Sinn dieser getrennten B e handlung. W i e aus dem Aufbau ersichtlich ist, entfaltet Luther seine Sakramentstheologie um die elliptischen Pole Gemeinschaft 1 0 8 (Sozialität) und Glaube (Personalität), wobei er der Darstellung seiner Theologie stets eine Konfrontation mit der Praxis folgen lässt. Zunächst (6—16) konzipiert Luther von der Gemeinschaftsdimension des Abendmahls her auf den Einzelnen hin. Folglich stellt er die Gedanken über die verfehlte Gemeinschaftspraxis in der Messe (Abschnitt 12) vor seine Ausführungen zum einseitig egoistischen Gebrauch der Gemeinschaft (13). Der Abschnitt zwölf befindet sich also am Ubergang von der positiven Entfaltung hin

104 105 106 107 108

87 f.

Siehe dazu § 9 . 2 . 3 . A.a.O., 249f. W A 2, 747, 4 - 2 5 (Abschnitt 12). Nämlich 751, 1 8 - 7 5 2 , 3; Bedeutung, 249. Z u m Verhältnis von Christus und den Heiligen in dem Sermon vgl. M . LIENHARD, a.a.O.,

244

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

zur Abgrenzung gegen die Praxis, und zwar unter der ersten Perspektive der Gemeinschaft. 1 0 9 Deshalb k o m m e n hier diejenigen Praktiken zur Sprache, die der vorher ausgeführten Gemeinschaftsdimension entgegenstehen. Erst entwickelt Luther von Christus aus das Wesen der christlichen Gemeinschaft, danach befragt er die Messwirklichkeit auf die dahinter liegende Gemeinschaftsvorstellung hin. D e m negativen Befund stellt Luther dann ein positives Gegenbeispiel in Gestalt der urkirchlichen Kollektenpraxis gegenüber. Später (17-22) wählt er den zweiten Brennpunkt seiner Sakramentstheologie, den Glauben (und damit die Grundfigur der Personalität), als Ausgangspunkt seiner Messkritik und kommt von daher zunächst auf die verfehlte Individualität (Kritik an der privatistischen Frömmigkeit in Abschnitt 19) und dann erst auf die transpersonale Dimension der Messkritik (Kritik an der Ex-opere-operato-Vorstellung in Abschnitt 20) zu sprechen. Beide Abschnitte sind einander also chiastisch zugeordnet.

2.3.2

Der Zusammenhang

zwischen Soteriologie und Gemeinschaft

Luther legt in diesem Sermon das Gewicht vor allem auf den Gemeinschaftscharakter des Abendmahls, den er allerdings stets als Folge des Christusgeschehens versteht. Besonders deutlich wird dies - gerade im Vergleich mit seinen späteren Interpretationen — an der Auslegung der Einsetzungsworte. 1 1 0 Hier stellt er nicht wie etwa im , Sermon von dem N e u e n Testament' die Sündenvergebung in den Mittelpunkt, 1 1 1 sondern konzentriert sich auf die Gemeinschaftsdimension des „Sakraments der Liebe". Schon aus dem eingangs entfalteten sakramentstheologischen Grundmodell ergeben sich dann wesentliche Folgen für Luthers Messverständnis. Allererst begreift er das Sakrament als Hilfe gegen die Sünde. Diese zunächst keineswegs originelle Grundbestimmung entfaltet sich aber in der für die reformatorische Soteriologie typischen Weise, wenn sich die Betrachtung auf die Wirkungsweise des Sakraments fokussiert. 112 Das Sakrament zeigt die Solidarität Christi und der Gemeinde mit dem Sünder auf. Diese Solidarität besteht in einem pastoral-psychologischen und einem soteriologischen M o m e n t : zum einen in der Stärkung durch das Wissen, nicht allein gegen die Sünde kämpfen zu müssen, zum anderen in der Fürbitte bei Gott, uns die Sünde nicht zuzurechnen. Es begegnet also eine soteriologische 109 N a t ü r l i c h geht es hier u m eine U n t e r s c h e i d u n g nach perspektivischen S c h w e r p u n k t e n , nicht u m eine T r e n n u n g von G l a u b e u n d G e m e i n s c h a f t . In seiner sakramentstheologischen G r u n d l e g u n g (Abschnitte 1—5) hat L u t h e r j a d e n unlösbaren Z u s a m m e n h a n g b e i d e r dargelegt. 110

,, ,das ist m e i n leyb, der f ü r e u c h g e b e n w y r d t , das ist m e y n blutt, das für e u c h vorgossen w i r t , szo offt y h r das t h u t , szo g e d e n c k t m e y n dabey'. Als Sprech er ,ich b i n das h e u p t , ich will der erst sein, der sich für e u c h gibt, will e w r leyd u n d Unfall m i r g e m e y n m a c h e n u n d f ü r e u c h tragen, auff das y h r a u c h w i d d e r u m b m i r u n d u n t e r e y n a n d e r szo t h u t u n d alles last yn mir u n d m i t m i r g e m e y n seyn, u n n d lasz e u c h disz sacrament des allisz zu e y n e m gewissen warzeichen, das y h r m e y n nit vorgesset, S o n d e r n n e u c h teglich dran ü b e t u n d v o r m a n e t , was ich für e u c h than hab u n d t h u , damit y h r e u c h stercken m u g e t , u n d a u c h eyner d e n a n d e r n n alszo trage.' " W A 2, 745, 3 6 - 7 4 6 , 5. 1,1 Diese bildet zwar n i c h t d e n S c h w e r p u n k t dieser Schrift, bleibt aber nicht unthematisiert. 112 W A 2, 744, 1 9 - 3 0 .

§4

Messopfertheologische Elemente

(1518-1520)

245

Figur, welche die Sündhaftigkeit des Menschen auch nach der Taufe und die j u r i dische Kategorie der Rechtfertigung bleibend hervorhebt. Der an seiner Sünde verzagende Mensch soll gerade deshalb fröhlich zum Sakrament gehen u n d hier sein Leid auf die Gemeinde und auf Christus legen. 1 1 3 Soteriologischer Grund ist nun nicht eine gnadengewirkte menschliche Moralität und Gerechtigkeit im Sinne einer Eigenschaft, sondern Christi Gerechtigkeit im Himmel. Damit werden aber Sakramentstheologie und reformatorische Rechtfertigungslehre auf das E n g ste verknüpft, insofern Gabe und Funktion des Sakraments sich als Vergewisserung der extern allein in Christus bestehenden Gerechtigkeit bestimmen, die im Modus der Christusteilhabe kommuniziert wird. 1 1 4 Für die Messtheologie bedeutet dies, dass der bloße Verweis auf Gemeinschaftsaspekt und Sündenvergebung an sich noch nicht ausreicht, u m die Eigenart von Luthers Position zu charakterisieren, solange deren Mitteilungsmodus und die sie umgebende soteriologische Rahmenvorstellung ausgeblendet bleiben. Dies gilt erstens für die Vorbereitung auf das Sakrament: Wenn die Rechtfertigung den Blick vom Menschen und seiner Moralität weg hin auf Christi Gerechtigkeit lenkt, dann kann die rechte Vorbereitung nicht im Erforschen eben dieser Moralität liegen, sondern sie muss in der Vergewisserung der gerade externen Gerechtigkeit bestehen. 1 1 5 Zweitens betrifft das M o m e n t des Externum auch die Opfervorstellung: Luther bestimmt nämlich im nur wenige Monate danach geschriebenen ,Sermon von dem N e u e n Testament' das Opfer ebenfalls als ein „Legen auf Christus". Wenn hier aber dieses „Legen auf Christus" so eng mit dem Gedanken der fremden G e rechtigkeit verknüpft wird, so führt die Identität der Formulierung zu dem Schluss, dass Luther mit dem Opfer der Gläubigen nicht nur eine im Einzelnen u n terschiedlich explizierbare Christusteilhabe meint, die etwa auch in einer von Kirche (Priester) und Christus kooperativ getragenen Feier aktualisiert würde. Vielmehr versteht sich dieses „Legen auf Christus" als messopfertheologische Konkretion des Konzeptes: unsere Gerechtigkeit = Christi Gerechtigkeit. Luther meint mit Opfer dann auch hier die Wahrnehmung der reformatorischen Grundfigur einer auch im Rechtfertigungsgeschehen bleibenden Sündhaftigkeit des Menschen, der einzig Christi Gerechtigkeit gegenübersteht. Diese Grundfigur kann opfertheologisch aber nur dann durchgehalten werden, wenn entweder allein Christus als Subjekt des Opfergeschehens firmiert — dann verbietet sich die R e d e von der in Christus mitopfernden Kirche ebenso wie die R e d e von einer Darbringung durch die Kirche —, oder aber wenn die menschlich-kirchliche Handlung im Opferge-

113 W A 2, 745, 1 - 1 8 . B e s o n d e r s lOff: „ B y n ich eyn sunder, hab ich gefallen, trifft m i c h diß o d der das u n g l u c k , wolan szo gehe ich daher z u m sacrament u n d n y m eyn tzeichen v o n gott, das Christus gerechtickeit, seyn leben u n d leyden f ü r m i c h steht m i t allen heyligen Engelln u n d seligen y m hymell u n d f r u m m e n m e n s c h e n auff e r d e n . " 114 Vgl. MEYER, Luther, 157, A n m . 3, der d e m S e r m o n bereits eine Position attestiert, nach der die Messe n i c h t m e h r O p f e r an G o t t , s o n d e r n G a b e an d e n M e n s c h e n ist. 115 D i e W ü r d i g k e i t des Sakramentsempfangs besteht folglich nicht in einer f r o m m e n G e s t i m m t h e i t o d e r Heiligung, s o n d e r n i m Begehr. W A 2, 747, 2.

246

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

schehen zwar herausgehoben, jeglicher soteriologisch-sakramentalen Konnotation aber entkleidet wird. Freilich erschließt sich dieser Zusammenhang nur vom Testamentssermon her. WISL0FFN6 und MCCUE" 7 ist darin R e c h t zu geben, dass Luther im Abendmahlssermon noch nicht explizit die traditionelle Messopfervorstellung angreift. Gleichwohl gilt für diese Schrift dasselbe wie für die Hebräerbriefvorlesung: Das Fehlen einer ausgeführten Kritik bedeutet noch nicht die Ubereinstimmung mit der Tradition. 1 1 8 Die Basiselemente der späteren Messopferkritik sind bereits hier zu finden. So beschreibt Luther die Messe als ein Handeln Gottes am Menschen und die Gottesbeziehung der Sakramentsteilnehmer folglich nicht anders als reine Rezeption: ß o w i r d i ß s a c r a m e ( n ) t r e c h t p r a u c h e n / C h r i s t u s m i t allen h e y l i g e n / d u r c h seyne liebe / n y m p t v n ß e r gestak an / streit m i t v n ß w i d d e r die s u n d / t o d / v ( n ) d alles vbel d a u o n w i r y n lieb e n t z ü n d e t n e m e n seyn gestalt / vorlassen v n ß aufFseyn g e r e c h t i c k e i t / l e b e n / v n d selickeit / v n d seyn alßo d u r c h g e m e y n s c h a f f t s e y n e r g u t e r / vn(d) v n ß e r s v n g l u c k s / eyn k u c h e / e y n b r o t t / e y n leib / e y n t r a n c k / v n d ist alls g e m e y n . 1 1 9

Ausdrücklich wird hier Christus als der alleinige Aktant des Sakraments benannt. Eben diese Wahrnehmung der sakramentalen Geschehensrichtung wird im Testamentssermon dann zu einem Hauptargument der Messopferkritik werden. Luther greift hier zwar noch nicht explizit das Sakrament als ein an Gott gerichtetes Opfer an. Aber er legt die Grundlagen dafür, indem er die Messe eindeutig als ein H a n deln Gottes am Menschen bestimmt. Auch wenn die spätere Kritik hier noch fehlt, so stimmt Luther der gegenwärtigen Messpraxis keineswegs mehr zu. Gerade aus einer Position, welche das Sakrament als eine durch Christus hergestellte Gemeinschaft versteht, erscheinen ihm die zahlreichen Messen in mehrerlei Hinsicht als defizient. 120 Dieser auf den eigenen Heilsvorteil fixierten Messpraxis stellt er die ursprüngliche Hochschätzung der Gemeinschaft in 1 Kor 11 entgegen, welche in der Sammlung („Collecta") von Speisen und Gütern und deren Austeilung an die Bedürftigen ihren Niederschlag gefunden habe. Die Gemeinschaft der Gläubigen ist also ein von der Soteriologie nicht unabhängiges, aber doch eigenständig formuliertes zweites Motiv von Luthers Messkritik.

1.6

A.a.O., 20. A.a.O., 210: „he [sc. Luther] develops his analysis of the mass in such a way that the question of the mass as a sacrifice really does not arise. T h e work is for that reason of special interest to us." Weshalb nun ausgerechnet degenigen Schrift, welche der Messopfer am wenigsten R a u m gewährt, besondere Aufmerksamkeit gelten sollte, ist mir nicht einsichtig. 1.8 N . M . HALMER, Kampf, 64, stellt sowohl den Z u s a m m e n h a n g zwischen d e m Abendmahlssermon und den späteren Messschriften als auch die traditionskritische Kraft des Sermons deutlicher heraus, w e n n er den pro me-Charakter u n d Luthers Kritik am Ex-opere-operato als gegen die traditionelle Opfervorstellung gerichtete Grundgedanken von Luthers Messtheologie versteht. 119 WA 2, 748, 13—18. Vgl. auch die Zusammenfassung, die Luther selbst für den zweiten Teil gibt, WA 2, 749, 2 3 - 2 9 . 120 ,,[...] als wir itzt leyder sehen, das vill messen gehalten werden und doch die Christliche gemeynschaft, die da solt geprediget, geübt und yn Christi exempell furgehalten werden, ganz untergeht, ßo gar, das wir fast nit m e h r wissen, wa zu diß sacrament diene u n d wie man seyn prauchen solle [...]." W A 2, 747, 7 - 1 1 . 1.7

§4

Messopfertheologische Elemente

(15i8-i520')

247

D i e Ursachen der verflachenden Vermassung der Messe sieht Luther dann auf mehreren Ebenen: 1 2 1 Z u m einen bei den Predigern, welche nicht das Evangelium, sondern „ M e n s c h e n g e d i c h t e " predigten. D i e Messkritik ist also einmal Folge der fundamentaltheologischen U n t e r s c h e i d u n g von Schrift u n d Tradition bzw. göttlichem, schriftgestütztem u n d menschlichem G e b o t . 1 2 2 Das wird deutlich an der strikten B i n d u n g der Sakramentstheologie an die Einsetzungsworte. Sie e r m ö g licht ein kritisches G e g e n ü b e r von Schrift u n d gelebter Frömmigkeit. Z u m a n d e ren werden diese „ M e n s c h e n g e d i c h t e " als Werke bezeichnet. D a m i t ist der soteriologische Dual Glaube — Werke angesprochen. Bei der Messe k o m m t für Luther alles auf die H a l t u n g des Glaubens, das alleinige Vertrauen auf Gottes zusagende Verheißung an. N i c h t die äußerliche D o k u m e n t a t i o n der Frömmigkeit, das Werk, zählt. Folglich ist für den rechten E m p f a n g nichts anderes als eine „betrübte, h u n g rige Seele" 1 2 3 nötig. Im Glauben geschieht dabei eine Verwandlung durch die Liebe Christi, welche die guten Werke allererst ermöglicht. O h n e diese Verwandlung erscheinen Luther das Messhören u n d die Andacht als Fall in die Blindheit. Diese soteriologisch-sakramentale Grundposition erlaubt i h m dann eine Kritik an der Vorstellung, die Messe sei ein Werk, das von sich aus Gott gefalle. 124 In eben diesem G e d a n k e n sieht Luther die Grundlage für die gegenwärtige quantifizierende W a h r n e h m u n g der Messe, unabhängig von ihrer würdigen Feier. D e m g e g e n ü b e r will er den Gabencharakter des Sakraments festhalten: Gerade u m des M e n s c h e n willen w u r d e es eingesetzt, nicht zu Gottes Wohlgefallen. Deshalb ist es kein opus operatum, das gemacht, sondern ein opus operantis,125 das gebraucht wird.

121 „Das ist schult der Prediger, die nit das Evangelium noch die sacrament predigen, ß o n d e r n yhre menschen geticht von manicherley wercken und weyßen woll zu leben." WA 2, 747, 12—14. 122 E. M u i r , a.a.O., 150, kann Luthers B e r u f u n g auf die Schrift auch aus der Perspektive des übergeordneten Prozesses der Rationalisierung betrachten. So habe die (bürgerliche) Oberschicht versucht, sich von der Unterschicht dadurch abzugrenzen, dass sie deren spektakelhaft inszenierten u n d exzessiven Ritualen, wie etwa d e m Karneval, die Wertschätzung von U m g a n g s f o r m e n entgegenstellt habe, welche die Kontrolle u n d die Abstraktion von konkreter Emotionalität kultiviert hätten. Parallel erscheint E. M u i r Luthers Kritik an der zu Exzessen u n d Kuriositäten neigenden vorfindlichen Messfrömmigkeit unter B e r u f u n g auf das abstraktere, äußere Wort der Schrift dann als „Rationalisierung". W e n n dieses Konzept M u i r s auch nicht das Motiv von Luthers Theologie zu erfassen vermag, so gibt es doch einen Hinweis auf die Affinitäten zwischen reformatorischer Theologie des Wortes u n d bürgerlicher Mentalität. Vgl. dazu ausfuhrlicher: B. Hamm, B ü r g e r t u m u n d Glaube, 63—128. 123 WA 2, 752, 19. Vgl. dazu oben A n m . 8 . 124 „Es seynd yhr vill, die dißes wechseis der heb u n d des glaubens ungeachtet sich darauff vorlassen, das die mess odder das sacrament sey, als sie sagen, O p u s gratum opere operati [sie!], das ist, eyn solch werck, das von y m selb gott wohlgefellet, ob schon die nit gefallen, die es t h u n . " W A 2, 751, 18-21. 125 I m m e r wieder wird behauptet, der ursprüngliche Sinn der Opws-operaiwm-Vorstellung liege in der Unabhängigkeit der Sakramentswirkung von der Moralität des vollziehenden Priesters. Wenn auch zwischen ursprünglicher Intention und tatsächlicher W i r k u n g eines Konzeptes zu u n terscheiden ist, so muss d e n n o c h die offene Flanke dieses Modells gegenüber einem routinisierten Vollzugsautomatismus hervorgehoben werden. Gleiches gilt m . E . für die von Luther zuweilen gebrauchte Formulierung eines opus operantis. Sie sichert zwar den existenziellen Einbezug in das Sakramentsgeschehen, vermag aber - jenseits des hier vorliegenden Kontextes - der Gemeinschafts-

248

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Neben soteriologischen entdeckt Luther auch spezifisch sakramentstheologische Wurzeln der gegenwärtigen Messmisere: Z u stark fixierte man sich auf die Elemente u n d stellte dabei den Gemeinschaftsaspekt zurück. 1 2 6 Das Verhältnis von Kreuzesopfer u n d Altarsakrament streift Luther in nur einem einzigen Satz. 127 Er zeichnet es ein in den Dual machen — brauchen bzw. Z u w e n d u n g an Gott (opus operatum) - Empfang von Gott (opus operantis). Das Kreuzesopfer war ein „gemachtes" Werk, das Gott wohlgefiel. Beim Sakrament aber handelt es sich u m ein „brauchliches" Werk, das sich an uns richtet. Damit bestimmt Luther die H a n d lungsrichtung von Kreuzesopfer und Sakrament als gegenläufig: Während das Kreuzesopfer Gott adressierte, wendet sich das Sakrament an den Menschen. Diese Z u o r d n u n g wird er bereits im Testamentssermon anders treffen.

2.3.3

Die Kritik am ,Ex-opere-operato' von Wort und Zeichen

2.3.3.1

Die Vorstellung eines Messwertes als Folge des Ex-opere-operato

im Horizont des Verhältnisses

Die Aussage, die Messhandlung wirke unabhängig von der Disposition des Spenders, zielt nun nicht nur auf einen Schutz vor der Abhängigkeit von der frommen Subjektivität, etwa im Sinne des lutherischen Exfemwm 128 und damit auf Heilsgewissheit. Vielmehr umfasst die Qualifikation als opus operatum auch die Vorstellung, die Messe besitze einen Wert in sich selbst. 129 Diese Identifikation der transpersonalen Dimension der Messe mit dem quantitativen Wertbegriff 1 3 0 ermöglicht dimension des Abendmahls vor privatisierenden u n d psychologisierenden Frömmigkeiten nicht ausreichend zu schützen. Vgl. auch W. JOEST, Ontologie, 402, Anm. 15. 126 „Das k o m p t alls da her, das sie m e h r Christus natuerlichen corper ansehen yn diesem Sakrament, dan die gemeynschaft, den geistlichen Körper." WA 2, 752, 4f. 127 „Christus am Creutz war auch eyn gemacht werck, das gott woll gefiel, aber es seyn drob gefallen die J u d e n biß auff dissen tag, d a r u m b das sie nit ein prauchlich werck y m glauben drauß machten. D r u m b sich zu, das das sacrament dir sey eyn opus operantis, das ist ein prauchlich werck, und gotte gefalle nit u m b seyn Weßens willen, ß o n d e r n n u m b deins glaubens und guten prauches willen. Das wort gottis ist auch Gott gefellig in y m selbs, es ist mir aber schedlich, w o es got nit auch yn mir gefeilet." WA 2, 752, 6—12. 128 M a n vergleiche etwa die Ausfuhrungen BIELS, L.27 (1, 258): „Quamvis enim sacerdos malus sit, neque in se habeat ut possit sacrificium deo placere, ab eoque in ordine ad spiritualia bona conferenda acceptari, quia tarnen nuncius et procurator est ecclesie deo dilecte, in hac oblatione que ex officio sibi incumbit, respicit deus ad ecclesiam principaliter Offerenten! et petentem n o n obstante malicia nuncii offerentis. Et si per impossibile in ecclesia tota militante nullus esset deo acceptus, obsecratio huius sacrificii nihil a deo impetraret in ratione oblationis, quia sie nullus esset in ecclesia offerens et petens sibi gratus. U n d e oblatio illa posset esse sibi grata, placita et aeeepta, inq u a n t u m habet efficaciam ex institutione Christi." 129 V. REINBURG, Liturgy, 545 f, sieht gerade in der reformatorischen Absage an eine ö k o n o m i sche Rationalität als Artikulationshorizont der Messtheologie einen Bruch mit der spätmittelalterlichen Laienfrömmigkeit vollzogen. Sie unterscheidet allerdings nicht zwischen einer prinzipiellen Kritik, wie Luther sie übt, und einer relativen Kritik, wie sie sich etwa bei den romtreuen R e f o r m e r n findet. 13() Dieses Implikat der opus-operatum-Konzeptiori berücksichtigt W. SCHWAB, Entwicklung, 196—205, nicht. Die Objektivierung der Messe versteht er allein als Absicherung gegen eine A b -

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

249

dann wieder ihre Verrechnung im Heilsgeschehen: Eine als „Wert" verstandene Messe ist übertragbar und zuwendbar, kann deponiert und bei Bedarf eingesetzt werden. Werte sind gegeneinander verrechenbar und lassen sich in Hierarchiebildungen einordnen, im Unterschied zur W ü r d e kann man einen Wert austauschen und ersetzen sowie teilen und portionieren. Zwei G r u n d m o m e n t e liegen damit der Wertvorstellung zu Grunde: Die Abstraktion von der jeweiligen Eigenwirklichkeit 131 zu Gunsten einer nivellierenden Austauschbarkeit des j e individuellen Propriums und darauf aufbauend die verfugende Objektivierung durch diejenigen Autoritäten, welche über die H ö h e des Wertes entscheiden. Innerhalb Luthers Kontrastierung der Messe als Gabe Gottes oder als Werk des Menschen bedingt die Vorstellung eines Messwertes dann das Verständnis der Messe als menschliches Werk. D e n n nur über das eigene menschliche Werk kann der Mensch verfügen, sein Bezug zur Gabe Gottes ist ausschließlich im Modus des Empfangs zu beschreiben, welcher ein objektivierendes Verrechnen ausschließen muss. Deshalb impliziert der Empfang des Sakraments im Glauben auch keine Abhängigkeit des Sakraments von einer menschlichen Haltung, denn der Glaube selbst bestimmt sich ja als A n n e h m e n einer vor — gesetzten Heilswirklichkeit, die er nicht erst in das Sakrament hineinträgt, sondern „sie als im Sakrament sich darbietende wahrnimmt und sich auf sie einläßt [.. .]." 132 Damit ist die Kritik an einer Vorstellung eines Wertes der Messe logische Folge des solagratia und des solaßde. Nicht nur den unwürdigen Handel mit geistlichen Gütern und nicht nur die inflationäre H ä u f u n g der Messfeiern hat Luther hier im Blick, sondern auch das theologische Konzept, welches die Zuwendbarkeit von Messen überhaupt ermöglichte. W i e in der Soteriologie der Mensch coram deo nur als Empfänger und niemals als Akteur erscheint, so tritt er auch im Sakrament nur als Adressat, niemals aber als Aktant ins Blickfeld theologischer Beschreibung. 1 3 3 So h ä n g i g k e i t v o m m e n s c h l i c h e n Verdienst. D a m i t w i r d a b e r die P o i n t e d e r K r i t i k L u t h e r s verfehlt. F o l g e r i c h t i g w e r t e t SCHWAB (202) diese K r i t i k d a n n a u c h als i r r t ü m l i c h e W e n d u n g g e g e n eine so nie v e r t r e t e n e k a t h o l i s c h e Lehre. Vgl. s c h o n die K r i t i k v o n V. VAJTA, T h e o l o g i e , 78, A n m . 124 u n d WERBECK, a.a.O., 164, A n m . 8, a n d e r g l e i c h l a u t e n d e n B e h a u p t u n g ISERLOHS, Eucharistie, 174. 131 L u t h e r s K r i t i k a n dieser I m p l i k a t i o n d e r Ex-opere-operato-Vorstellung f u g t sich b r u c h l o s in STOCKS I n t e r p r e t a t i o n des S e r m o n s als T h e o l o g i e d e r E r f a h r u n g : „ D i e L e h r e v o m o p u s o p e r a t u m ist i n s o f e r n ein M i ß v e r s t ä n d n i s des W e r k e s G o t t e s , d e r A b s i c h t u n d d e r E r f ü l l u n g , die es i n t e n diert, in d e r G e s c h i c h t e d e r M e n s c h e n a u f E r d e n : das M i ß v e r s t ä n d n i s eines geschichtslosen A n Sich-Seins des e i n m a l (einstmals) v o n G o t t G e s c h a f f e n e n , das n u n gleichsam in die V e r w a l t u n g des M e n s c h e n , des Priesters, d e r Kirche, ü b e r g e g a n g e n ist [...] u n d n a c h b e s t i m m t e n G e s e t z e n w i r k t u n d zu bestätigen ist. D a m i t a b e r steigt in d e r Vorstellung das o p u s h o m i n i s , M e n s c h e n w e r k , z u m H ö c h s t e n auf, das es in dieser Z e i t g i b t . " A . a . O . , 2 6 7 . Stocks Verständnis des S e r m o n s als e r f a h r u n g s b e z o g e n e „ S p r a c h e des L e b e n s " e r ö f f n e t die M ö g l i c h k e i t , L u t h e r s K r i t i k a m Ex-opere-operato v o n seiner I n k a r n a t i o n s t h e o l o g i e h e r zu b e g r e i f e n . Das W o r t G o t t e s will sich i m L e b e n selbst e r weisen, s o w o h l seine intellektuelle F i x i e r u n g als a u c h seine m e c h a n i s t i s c h e A u t o m a t i s i e r u n g e r s c h e i n e n d a n n als g n o s t i s i e r e n d e T e n d e n z . A . a . O . , 2 8 5 , A n m . 4 7 0 . 132 W. JOEST, O n t o l o g i e , 4 0 3 , A n m . 17. W e n n L u t h e r v o m opus operantis spricht, so g e h t es d a h e r n i c h t u m ein W e r k des M e n s c h e n , w e l c h e s in i r g e n d e i n e r Weise Einfluss auf d e n G r a d d e r Z u w e n d u n g G o t t e s n ä h m e . V i e l m e h r steht die W e n d u n g f ü r die Personalität des G l a u b e n s . „ d a n es [sc. das S a k r a m e n t ] ist nit v m b seynet w i l l e n eyngesetzt / das es g o t t gefalle / ß o n -

250

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

übt Luther hier zwar noch keine explizite Kritik an der Opferqualifikation der Messe, durch seine Festlegung auf Gott als Subjekt und den Menschen als Adressaten des Sakraments lässt sich die Messe aber nicht mehr als eine an Gott gerichtete Opferhandlung des Menschen erfassen. Die in der Ex-opere-operato-Vorstellung mitgesetzte Wertqualifikation der Messe führte nun aber in das Zentrum der (spät)mittelalterlichen Messwirklichkeit. 134 Sie durfte gerade in einer Zeit, die mit der Einführung der Geldwirtschaft den abstrakten Wert zum Zentrum aller ökonomischen Handlungsvollzüge machte, auf hohe Plausibilität hoffen. Analog zum Geld, welches immer stärker über den Zugang zu gesellschaftlicher Macht und Geltung entscheidet, vermag auch die Messe, als Wert verstanden, den Zugang zum Heiligen zu regulieren. 135 Die Ex-opere-operatoVorstellung leistet in diesem Zusammenhang ein Zweifaches. Einmal sichert sie dieses Regulationsmodell gegen eine Abhängigkeit von der moralischen Subjektivität des Priesters, und schließt so ein nahe liegendes Einfallstor möglicher Kritik am gesamten System, indem Person und Amt getrennt werden. Z u m anderen kann unter dieser Voraussetzung das Heilige dann vom Amtsträger verwertet werden. Die genaue Bestimmung des Messwertes bleibt im Einzelnen umstritten. Sie wird nie für alle verbindlich arithmetisch präzisiert und damit auch der Kritik entzogen. Dass aber die Messe als Wert verrechenbar ist, daran gibt es keinen Zweifel. Soziologisch erscheint die religiöse Kernhandlung dann weniger als aufhebende Nivellierung der mitgebrachten sozialen Differenzen, 136 denn als deren Zementierung, kann doch ein Reicher mehr Messen lesen lassen als ein Armer.

d e m vmb vnßer wille(n) / d(aß) wir seyn recht brauchen / den glaube(n) dran vben / vn(d) durch dasselb gott gefellig werde(n)." W A 2, 7 5 1 , 3 1 - 3 1 . 1 3 4 A. GÖTZE, Begriffe, 103, weist daraufhin, dass das Verbum „lesen" am häufigsten mit dem B e g r i f f „Messe" verbunden wird. E r sieht darin den syntaktischen Niederschlag einer „Veräußerlichung des Inhalts" der Messe. Vgl. dazu die Ausfuhrungen über den Wert der Messe ( § 2 . 2 . 3 . 2 ) . 1 3 5 STOCK ordnet in diesen Gedankengang die Absage Luthers an die Gemeinschaftsform der Bruderschaften ein: „Luthers Auseinandersetzung mit den Bruderschaften am Ende des Sermons kann u.U. in diesem Zusammenhang so gedeutet werden, dass er solchem frühbürgerlichen Wertdenken von seinem Verständnis der christlichen Gemeinschaft aus die soziale Dimension der j e dermann aufgeschlossenen Brüderlichkeit hinzufügte, besser: entgegenstellte, und zum Kriterium des rechten Gebrauchs der Messe und der christlichen Gemeinschaft erhob. D e r Glaube des Einzelnen, fides specialis, gegenüber dem Sakrament und der in ihm gegebenen Verheißung hat dabei freilich eine entscheidende Funktion, die im Sinne des solafide näher zu explizieren ist." A.a.O., 261, Anm. 4 2 8 . 1 3 6 Wobei damit noch nichts über die gesellschaftskritische Kraft einer solchen Nivellierung gesagt wäre, kann doch gerade die zeitweilige, bewusst im sakralen und nicht profanen R a u m vollzogene Aufhebung sozialer Differenzen eine Festigung dieser sozialen Unterschiede bedeuten, insofern hier gesellschaftsverändernde Kräfte und Sehnsüchte kanalisiert werden, wie dies etwa bei den Satyrspielen im alten R o m geschah. D o r t übernahmen an nur einem Tag im Jahr die Sklaven die R o l l e der Herren. Indikator einer solchen politischen Instrumentalisierung des Sakralen ist das damit einhergehende Interesse an einer scharfen Trennung von Sakralität und Profanität. Genau dieser Trennung wehrt aber Luthers ausgebildete Z w e i - R e i c h e - L e h r e .

§4

2.3.3.2

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

251

Die Kritik am Ex-opere-operato im Namen der Handlungsrichtung der Messe

Diese Kritik am Ex-opere-operato erhellt nun auch die so umstrittene Verhältnisbestimmung von Wort und Zeichen, 1 3 7 gewährt sie doch Einblick in die Motivation Luthers. Diese bestand darin, den theologischen Hintergrund der gegenwärtigen Messpraxis herauszuarbeiten und ihm ein eigenes Modell entgegenzustellen. D a bei zeigt sich der Zusammenhang zwischen dem Ex-opere-operato und einer isolierten Betrachtung des Zeichens. D e n n beide verhindern das rechte Verständnis der Messe, objektivieren sie die Messe doch zu einer Handlung, die in sich und für sich bleibend Gott gefällt. Die Bedeutung der Messe liegt für Luther in ihrem E m p fangscharakter, in ihrer Ausrichtung auf den Menschen. 1 3 8 Zwar können das Exopere-operato und die Konzentration auf die Elemente die Gegenwart Christi in Fleisch und Blut festhalten. Aber sie versagen da, wo diese Gegenwart als Gegenwart für uns, als zu empfangende Gegenwart bestimmt werden soll. Das erreicht erst das Wort, welches die Gegenwart näher und eindeutig zu qualifizieren vermag. Luthers Betonung des Wortes gegenüber dem Zeichen und des geistlichen Körpers gegenüber dem natürlichen hat also genau darin ihren Grund, dass sie die Geschehensrichtung der Messe sichern soll, entgegen einer Messwirklichkeit, die das Sakrament nicht empfängt („braucht"), sondern anbetet. Das Wort k o m m t hier von vornherein anders zu stehen als etwa in einer aristotelisch konzipierten Sakramententheologie. Dort bedingen/orma (Wort) und materia (Zeichen bzw. Element) einander. Das Zeichen kann, wie etwa bei T H O M A S , schon ohne das Wort auf das im Sakrament gegenwärtige Heil von sich aus, auf Grund einer natürlichen Analogie verweisen. Bei Luther aber begründet sich eben dieser Verweischarakter aus dem Wort, welches dem Zeichen ungleichgewichtig

137

V g l . W . JOEST, O n t o l o g i e , 4 1 1 .

138

WA 2, 751, 1—10: „Fallen darnach yn die blindheit, das sie nit mehr wissen yn diszem sacrament tzu thun dan wye sie Christum kegenwertig furchten und eeren mit yren bettlyn und andacht. Wan das geschehen ist, szo achten sie, es sey woll ausz gericht, So doch Christus seynen leyb darumb geben hatt, das des sacraments bedeutung, die gemeynschafft und der lieb wandeil geübt wurde, Und seynen eygen naturlichen corper geringer achtet, dan seynen geystlichen corper, das ist die gemeynschaft seyner heyligen, yhm auch mehr dran gelegen ist, sonderlich yn dyssem sacrament, das der glaub seyner und der heyligen gemeynschafft woll geübt und starck yn unsz wird, und wir der selben nach auch unszer gemeynschafft woll üben." Wenn MCCUE, a.a.O., 21 lf, Luthers Unterscheidung zwischen Sakrament und Glauben mit der Unterscheidung zwischen opus operantis und operatum bei Karl RAHNER identifiziert, dann mag dies hinsichtlich der Rahnerschen Differenzierung zutreffen. Fraglich bleibt aber, ob Karl Rahner hier in Kontinuität zu Luther oder zu der mittelalterlichen Messtheologie steht. Luther nimmt das Moment der Personalität so auf, dass der von sich und seiner inneren Disposition wegblickende Mensch im äußeren Verheißungswort neu konstituiert wird. Die Personalität hat hier also einen vorgängig extrinsischen Charakter. Demgegenüber kann für die (spät)mittelalterliche Messtheologie die mitgebrachte Personalität gerade so in die Sakramentswirkung einbezogen werden, dass die Frucht der Messe sich nach der Disposition der Messteilnehmer bzw. des Priesters richtet. Wenn Luther vom opus operantis spricht, so versteht er den Begriff uneigentlich, analog der Rede vom Glauben als das erste Werk. Vgl. dazu G . EBELING, L u t h e r 1 7 5 - 1 7 7 .

252

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

vorgeordnet ist. 139 Damit lässt sich der Abendmahlssermon, welcher den Glauben als Wahrnehmungsmodus der Sakramentsverheißung beschreibt, komplementär 1 3 9 Vgl. R . HEMPELMANN, Sakrament, 57 und W A 2, 750, 2 7 - 7 5 1 , 17 (Szum neuntzehenden). M i r scheint hier eine wichtige Differenz zur Bedeutung der Konsekrationsworte in der mittelalterlichen T h e o l o g i e zu liegen. THOMAS etwa kann in S T h 3, q.78, a.l (30, 159) ein Dictum des AMBROSIUS aufnehmen: „Consecratio fit verbis et sermonibus D o m i n i Jesu [ . . . ] " . Die Einsetzungsworte versteht er als forma des Sakraments: „consecratio solis verbis Christi conficitur." S T h 3, q.83, a.4. a d l . (30, 352). Die Eucharistie hebt sich nun in zwei Punkten von den anderen Sakramenten ab: Einmal besteht hier der Vollzug des Sakramentes in der Weihe des Stoffes und nicht im Gebrauch eines geweihten Stoffes (in consecratione materiae — in usu materiae consecratae). Z u m anderen unterscheidet sich die Weihe der eucharistischen Gestalten von der bloßen Segnung der M a t e rie, wie sie in anderen Sakramenten, etwa dem Taufwasser, geschieht (consecratio-benedicitio). Die Konsekration besteht hier in der „quadam miraculosa conversio[ne] substantiae, quae a solo D e o perfici potest [ . . . ] . " D i e Tätigkeit des Priesters beschränkt sich damit auf das Aussprechen der Perba, welche die Transsubstantiation bewirken: „[...] forma hujus sacramenti importat solam consecrationem materiae, quae in transsubstantiatione consistit, puta cum dicitur: , H o c est corpus m e u m ' vel: ,Hic est calix sanguinis m e i ' . " — W i e fiir Thomas smd auch für Luther die Einsetzungsworte der Schlüssel zum Wesen der Messe. Diese Ubereinstimmung darf nun aber nicht vorschnell so verstanden werden, als ob Luther hier die mittelalterliche Konzentration auf die Verba als forma sacramenti und die damit verbundene Fixierung des Konsekrationsmomentes zu ihrem Ende brächte oder ganz im Banne eines Erbes stünde, dessen Problematik er nicht erkannt hätte. Eine solche Betrachtungsweise nimmt nicht aufmerksam genug wahr, dass ähnliche Aussagen sich oft gerade in ihrer Herleitung unterscheiden. So geht es Luther nicht nur um die Wirkung der Formel, sondern vor allem um den Gehalt der Worte, die Verheißung der Sündenvergebung. Nicht ein magischer Verbalismus steht deshalb hinter seinem Beharren auf den Einsetzungsworten, sondern deren Funktion, die Summa Evangelii in die Sakramentstheologie zu übersetzen. Nicht weil sie ein übernatürliches Wunder bewirkten, sondern weil sie das Christusgeschehen brennglasartig auf den Punkt bringen und die Handlungsrichtung der Messe auf den Menschen hin festlegen, wählt Luther sie als messtheologisches Paradigma. R . HEMPELMANN, Sakrament, 23, fasst dies so zusammen: „ D i e verba testamenti zitieren in diesem Geschehen nicht den über alle H i m m e l erhöhten Herrn in die Welt des Sichtbaren, vielmehr erschließen sie die heilvolle Nähe des bereits Anwesenden." W i e Hempelmann, ebd., ausführt, ergibt sich dieses Verständnis Luthers aus dem Konzept der Allgegenwart Christi, also der Anteilhabe Christi an den göttlichen Eigenschaften. A u f Grund dieser christologischen Bestimmung sieht O. KOCH, Gegenwart, 69, keine M ö g l i c h keit, Luthers Sakraments — und Gottesdienstkonzept mithilfe der Repräsentationsvorstellung zu formulieren, da diese ein Anwesendmachen Gottes impliziere. Jedenfalls sind die verba für Luther die Brücke, die von der stets vorauszusetzenden Anwesenheit Christi zur Anwesenheit für den empfangenden Gläubigen führt. D i e solchermaßen auf Gehalt und Grammatik achtende Zentralstellung der verba kann dann zu den von THOMAS genannnten Eigenheiten des Altarsakramentes gerade in Gegensatz treten: W o T h o m a s die Konsekration und nicht den Gebrauch in den Mittelpunkt stellt, da k o m m t für Luther alles auf den Gebrauch des Sakramentes an. U n d wo Luther Verheißung und Zeichen als Grundbestimmung aller Sakramente wählt, da lehrt Thomas eine besondere Weihe des Zeichens in der Eucharistie, gerade gegenüber dem Wasser der Taufe. So nimmt sich beider Konzentration auf die Einsetzungsworte innerhalb der Sakramentstheologie durchaus unterschiedlich aus. Das wird deutlich an der Zuordnung von Taufe und Abendmahl, für Luther gleichrangige Ausdrucksformen der Verheißung der Sündenvergebung, von Thomas aber in ein Nacheinander gebracht. Luthers Konzept des simul iustus et peccator rechnet nicht mit einer verlierbaren oder in F o r m der Liebe erst Gestalt gewinnenden Taufgnade: „Quare dum a peccatis resurgimus sive poenitemus, non facimus aliud quam quod ad baptismi virtutem et fidem, unde cecideramus, revertimur et ad promissionem tunc factam redimus, quam per peccatum deseruamus." W A 6, 528, 13—16. Thomas aber kennt einen sachlichen Unterschied zwischen der Eucharistie und den anderen Sakramenten, vgl. etwa den Kommentar der deutschen Thomasausgabe zur q.78 (30, 516): „Dieser doppelte Unterschied [vgl. a . l , W.S.] in der Form entspricht durchaus dem

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

253

z u m Präparationssermon verstehen: W ä h r e n d dort der Glaube u n d eine h u n g r i g e Seele die A u s r i c h t u n g des G l a u b e n s a u f das ä u ß e r e W o r t g e g e n ein S t a r r e n a u f d i e i n n e r e D i s p o s i t i o n festhalten sollen, w i r d hier das p e r s o n a l e M o m e n t des G l a u b e n s g e g e n e i n e n s a k r a m e n t a l e n V o l l z u g s a u t o m a t i s m u s u n d die Applikabilität des Sakraments auf Dritte mobilisiert.140

2.3.4

Der Zusammenhang

Gemeinschaft

— Glaube —

Christus

Das G e w i c h t , w e l c h e s L u t h e r a u f die p e r s o n a l e A u s r i c h t u n g des S a k r a m e n t s legt, ließ angesichts d e r L e h r e v o n e i n e r objektiv, d u r c h Vollzug g ü l t i g e n M e s s e d e n Verdacht a u f k o m m e n , h i e r h a b e m a n es m i t e i n e m w u r z e l h a f t subjektivistischen K o n z e p t zu t u n . Indes greift e i n e d e r a r t i g e W a h r n e h m u n g zu k u r z , d e n n L u t h e r s S a k r a m e n t s v e r s t ä n d n i s kreist u m die F i x p u n k t e G e m e i n s c h a f t , G l a u b e u n d C h r i stus. D e r e n Z u o r d n u n g vollzieht sich n u n so, dass keines d e r drei G l i e d e r i s o l a t o risch v e r s t a n d e n w e r d e n k a n n . D e m G l a u b e n teilt sich C h r i s t u s n u r in d e r F o r m d e r Sozialität (das h e i ß t n i c h t s c h o n d e r A m t s k i r c h e ! ) m i t . D i e V e r b i n d u n g G l a u b e - C h r i s t u s k a n n also n i c h t f ü r sich, u n a b h ä n g i g v o n d e r Sozialität b e s t e h e n . D i e s e , allein a u f d e n n a t ü r l i c h e n Leib C h r i s t i g e r i c h t e t e F r ö m m i g k e i t vereinseitigt d e n W e c h s e l b e z u g v o n N i e ß e n u n d G e l t e n zu G u n s t e n eines f r o m m e n Individualitätskults. 1 4 1 U m g e k e h r t fallen w e d e r C h r i s t u s u n d G e m e i n s c h a f t in eins ( n a t ü r l i c h e r u n d geistlicher K ö r p e r w e r d e n j a u n t e r s c h i e d e n ) n o c h h e b t die G e m e i n s c h a f t d e n G l a u b e n als p e r s o n a l e F o r m d e r G o t t e s g e m e i n s c h a f t in sich auf. V i e l m e h r f o r d e r t die Sozialität d e n G l a u b e n g e r a d e z u als unerlässlichen M i t t e i l u n g s m o d u s des Sak r a m e n t s . L u t h e r s B e t o n u n g des „opus operantis" ist d a n n n i c h t als e i n e privatisier e n d e I n d i v i d u a l i s i e r u n g u n d als Verlust d e r G e m e i n s c h a f t s d i m e n s i o n d e r M e s s e zu lesen, so als h i n g e d i e W i r k u n g d e r M e s s e ganz a m e i n z e l n e n f r o m m e n S u b j e k t , s o n d e r n g e r a d e als d e r W i e d e r g e w i n n d e r Sozialität v o m G l a u b e n aus. E b e n w e i l d e r G l a u b e u n d n i c h t das zählbare f r o m m e W e r k M i t t e i l u n g s m o d u s des S a k r a m e n t s ist, w e i t e t sich d e r Blick des E m p f a n g e n d e n ü b e r die m i t d e m S a k r a m e n t v e r b u n d e n e n i n d i v i d u e l l e n Verdienste hinaus a u f die G e m e i n s c h a f t . D i e B e d r o h u n g des S a k r a m e n t s d u r c h das J u n k t i m v o n Selbstfixiertheit u n d W e r k v o r s t e l l u n g sachlichen Unterschied, der zwischen der Eucharistie und den anderen Sakramenten besteht. Denn diese, wie Taufe, Firmung, enthalten nur eine werkzeugliche Kraft, die vom Vollzieher des Sakramentes dem Stoff auf werkzeugliche Weise mitgeteilt wird und die unmittelbar hingeordnet ist auf die im Empfänger hervorzubringende Gnade." 140 Insofern liegt hier bereits eine Weichenstellung für die Ekklesiologie vor, denn mit der Wahl des Glaubens als Wahrnehmungsmodus der Sakramentsverheißung ist die Kirche als Vermittlungsinstanz ausgeschaltet. MCCUE, a.a.O., 213, meint zu Luthers Paraphrase der Einsetzungsworte, ein Leser mit römisch-katholischen Augen „expects Luther to go on to speak of the Church as participating in the sacrificial action of Calvary through the sacrifice of the mess". Dieses Urteil trägt m.E. fremde Voraussetzungen in den Sermon ein. 141 „Fallen darnach yn die blindheit, das sie nit mehr wissen yn dißem sacrament tzu thun, dan wye sie Christum kegenwertig furchten und eeren mit yrem bettlyn und andacht. Wan das geschehen ist, ßo achten sie, es sey woll auß gericht, So doch Christus seynen leyb darumb geben hatt, das des sacraments bedeutung, die gemeynschafft und der lieb wandell geübt wurde." WA 2, 751, 1-5.

254

Zweiter

Teil: Genese

und

Gestalt

wird so abgewendet. Der Glaube nimmt entgegen der abstrahierenden Wertvorstellung das j e eigene Proprium des Gläubigen auf, ohne es zu absolutieren. Denn er ist gerade nicht in den eigenen, mitgebrachten Möglichkeiten begründet, sondern wächst von außen zu. U n d er richtet sich nicht auf die eigene Disposition oder fromme Gestimmtheit, sondern auf die extrinsische Verheißung. Damit bringt Luther die beiden Pole seiner Sakramentsauffassung in einen gegenseitigen Interdependenzzusammenhang: W i e der Glaube nicht bei sich bleibt, sondern sich auf denselben Christus richtet, welcher die Gemeinschaft ermöglicht (munus sacerdotale) und ihr Gestalt verleiht (munus propheticum), so besteht diese Gemeinschaft ihre Nagelprobe erst im Umgang mit dem Einzelnen. 1 4 2 Luthers Abweis der Vorstellung, man könne Messfeiern verrechnen, besitzt dabei eine logische (und zeitliche 1 4 3 ) Parallele in seiner Kritik an der Geld- und Zinswirtschaft, sieht der R e f o r mator doch klar, dass hier der Mensch nicht als ganzer, sondern allein in seinen ökonomisch relevanten Handlungsvollzügen in den Blick kommt, von seiner sozialen Wirklichkeit aber abstrahiert wird. Damit ist er auf seinem Weg zu einer eigenständigen Messopfertheologie weiter vorangekommen. Allerdings wurde noch nicht einsichtig, wie das eigene Konzept und die Kritik an der vorfindlichen Messwirklichkeit zusammengehören. Eben diese Verbindung bereitet die nächste Schrift, der ,Sermon von den guten Werken', vor.

3 Der Sermon von den guten Werken 3.1

(1520)

Die Grundbestimmung der Soteriologie: Glaube und Werke

In dem Ende Mai abgeschlossenen 144 und Anfang Juni gedruckt vorliegenden ,Sermon von den guten Werken' 1 4 5 konzipiert Luther, ausgehend vom Glauben, der das „erste und höchste, aller edlist gut werck ist" 1 4 6 , das Verhältnis von Glaube und Werken in Gestalt einer Auslegung des Dekalogs. Die Werke entspringen für Luther aus einem Glauben, der ausdrücklich nicht als habitus verstanden und von den Tugenden abgrenzt 147 wird. Sie sind logisch der Rechtfertigung nachgeordnet und damit per se nicht unterschiedlichen Werts, ein Werk ist so gut wie das andere.

142

Es ist daher bezeichnend, dass Luther, u m Aufgabe und Funktion der Gemeinschaft zu b e -

schreiben, die Zuflucht, die sie dem Einzelnen bietet, am Beispiel von B ü r g e r und Stadtgemeinde bzw. Glied und K ö r p e r illustriert. Z u r Affinität zwischen sakramentaler Liebesgemeinschaft und dem städtischen Kommunalismus vgl. B . HAMM, U r b a n R e f o r m a t i o n , 2 1 2 f . D i e hier getroffene Verhältnisbestimmung von Sakramentsgemeinschaft und E i n z e l n e m wird in der Diskussion u m die praktische U m s e t z u n g von Luthers Messopferkonzept a u f g e n o m m e n werden. 41

Vgl. die Schrift ,Ein S e r m o n von dem W u c h e r ' aus dem J a h r 1 5 1 9 bzw. 1 5 2 0 und seine

Aufnahme in den wirtschaftsethischen Schriften der folgenden Jahre, besonders ,Von Kaufshandlung und W u c h e r ' ( 1 5 2 4 ) . 144

W A 6, 197, l f .

145

W A 6, 2 0 4 (197)—276.

146

W A 6, 2 0 4 , 2 5 .

147

W A 6, 2 0 6 , 1 8 - 2 7 .

§4 Messopfertheologische Elemente (1518-1520)

255

Die G r u n d f r a g e lautet daher, ob ein Werk aus d e m Glauben heraus getan wird. 1 4 8 Für die Messe ist dies insofern entscheidend, als die wesentliche Grenze damit nicht zwischen sakralen (Gebete, Messfeiern, Stiftungen) u n d profanen (Arbeit, tägliche Verrichtungen) Werken, sondern zwischen einem aus Glauben u n d ein e m nicht aus Glauben getanen W e r k verläuft. 1 4 9 D a m i t steht zugleich ein gewaltiges Kritikpotenzial gegenüber einer Werkfrömmigkeit bereit, k ö n n e n doch auch die f r ö m m s t e n Werke „nichts seyn, dan ein lauter gleissen, scheinen, ferben u n d nichts dahinden [...].". Insbesondere die Massenhaftigkeit f r o m m e r Werke erscheint Luther sinnlos, die Vielzahl der Messen allein nützt n o c h nichts. 1 5 0 Z w a r kann m a n d e m ersten G e b o t durch Messehören u n d Stiftungen n a c h k o m m e n , doch „sein szie löblich, nit yrher tugent, sundern desselben glaubens halben". D i e se G r u n d b e s t i m m u n g durchzieht dann die sich anschließende Einzelauslegung der Gebote.

3.2

Die Grundbestimmung

der Messe:

3.2.1

Das messtheologische Grundmodell:

Das dritte

Gebot

Einsetzungsworte

und

Testamentsbild

Auf die Messe u n d ihren Testamentscharakter k o m m t Luther bei seiner Auslegung des dritten Gebots zu sprechen. Dieses zählt er unter die G e b o t e der ersten Tafel, welche das R e g i m e n t Gottes zur R e c h t e n ausgestalten u n d so das unmittelbare Gottesverhältnis des M e n s c h e n bestimmen. 1 5 1 W ä h r e n d das erste G e b o t auf das H e r z u n d seine G e d a n k e n Gott gegenüber, u n d das zweite auf den M u n d u n d seine W o r t e zielt, gebietet das dritte „wie wir uns gegen got sollen halten in werckenn". 1 5 2 Luther unterscheidet näherhin drei Werke dieses Gebots: Die M e s se, die Predigt u n d das Gebet. 1 5 3 Seine Auslegung orientiert sich dann a m eingangs vorgestellten G r u n d m o d e l l des auf ein W o r t Christi gerichteten Glaubens. Die er148 WA 6, 212, 14: „Dan die weil er [sc. der Glaube] unter den werckenn nit unterscheit hat, szo mag nit neben y h m besteen einerley wercks für den andern szo grosz auffblaszen u n n d treibenn: dan er wil allein gottis dinst sein, u n d den namen u n d ehre keinem andern werck lassen [•••]•" 149

WA 6, 205, 14-26, Luther beruft sich auf Ecc 9, 7ff. W A 6, 209, 15-19. 151 „[...] das ist die erste und rechte taffei Mosi, in wilcher diesze drey gebot beschriebenn sein, und den menschen regieren auff der rechten seyten, das ist in den dingen, die got anlangen, u n n d in wilchen got mit y h m u n d ehr mit got zuthun hat on mittel yrgent einer Creature." WA 6, 229, 24-27. 152 Damit findet sich Luthers Z u o r d n u n g von Glaube u n d Werken auch in der A n o r d n u n g des Dekalogs wieder: Erst ist vom Herzen als O r t des Glaubens zu reden, dann von den Konkretionen dieses Glaubens in verbaler (zweites Gebot) und operativer (drittes Gebot) Hinsicht. Entsprechend kann Luther alle anderen Gebote als praktische U m s e t z u n g des ersten Gebotes begreifen, vgl. WA 6, 233, 35—234, 3 u n d 249, 7—9, steht also unbewusst voll in der jüdischen Auslegungstradition. 153 W A 6, 230, 8 f. Einer grundsätzliche Bestimmung der Messe als Testament schließt sich damit eine katabatische (dass Gott anheb) u n d eine anabatische (dass wir mit ihm reden) Linie an. Ind e m die Anabatik mit d e m Gebet identifiziert wird, bleiben sämtliche anderen Werke des M e n schen ausgeschlossen. Das O p f e r kann in diesem Modell nur katabatisch oder als Gebet verstanden werden. 150

256

Zweiter

Teil: Genese

und

Gestalt

ste Entität, der Glaube, fordert ein innerliches Empfangen mit dem Herzen, nicht nur eine äußerliche, oberflächliche Wahrnehmung. 1 5 4 Für das Volk bedeutet dies, seine reduzierungswürdigen Jahrtage weniger als volksfestartiges Spektakel denn als geistliche Gelegenheit zu verstehen. 1 5 5 Der Klerus ist gehalten, die Predigt des Evangeliums als Anleitung zum rechten Messehören zu begreifen. Entspricht die innerliche Vertiefung statt oberflächlicher Ableistung dem Charakter des Glaubens im Unterschied zum bloßen Werk, so ergibt sich das Verständnis der Messe als Testament aus der Ausrichtung des Glaubens auf ein Verheißungswort, womit die bereits in der Hebräerbriefvorlesung beobachtete Verbindung von testamentum und promissio wieder aufgenommen wird. Das Verheißungswort für die Messe findet Luther in den Einsetzungsworten Christi, 1 5 6 die ihm fortan als normative Grundlage des Altarsakramentes gelten. 1 5 7 Sie sind der rechte, weil von Christus selbst geordnete Jahrtag. Die Bedeutung der Messe illustriert Luther dann mit Hilfe der durch die verba vorgegebenen Testamentsvorstellung. Danach fungiert Christus als Testator, das Erbgut besteht in ewigem Leben und der Sündenvergebung, 1 5 8 die Unumkehrbarkeit der Verheißung bestätigt der Kreuzestod und 154

W A 6, 2 2 9 , 3 2 - 2 3 0 , 5.

155

Kritik an turbulenten Festen übte Luther bereits in der R ö m e r b r i e f v o r l e s u n g , freilich n o c h

o h n e den hier vorhandenen theologischen H i n t e r g r u n d , vgl. W A 5 6 , 4 9 7 , 6—11. 156 p

e r

Wortlaut i s t angesichts der Version des Messkanons bedeutsam: „ , N e m e t hyn und es-

set, das ist m e i n l e i c h n a m , der für e u c h g e b e n n w i r t ' , dessen gleichen ubir den kelch , N e m e t hyn und trincket alle drausz, das ist ein newes ewiges testament in m e i n e m blut, das für e u c h und für viel vorgossen w i r t zu Vergebung der sund, das solt yhr thun, als offt yhrs thut, zu m e i n e m g e dechtnis.' " W A 6, 2 3 0 , 13—17. — D i e D i m e n s i o n einer W a h r n e h m u n g der Einsetzungsworte als Verheißung der Sündenvergebung an den G l a u b e n wird i m Vergleich mit der Interpretation des L o m b a r d e n , D e Sent. IV, d . X I I , c.6, deutlich. Dieser sieht das Sakament eingesetzt „in a u g m e n t u m virtutis, scilicet caritatis, et in m e d i c i n a m quotidianae infirmitatis", zitiert nach G . KOCH, Sakramentenlehre, 2, 6 6 . 157

W A 6, 2 3 0 , 17—25: „In diessen Worten hat Christus y h m ein begencknisz odder jartag g e -

m a c h t , teglich y h m nach tzuhalten in aller Christenheit, und hat ein herlich, reich, grosz testament datzu g e m a c h t , darinnen bescheiden und verordnet, nit tzintz, gelt odder zeitlich gut, sondern vorgebung aller sund, gnad und barmhertzickeit tzum ewigen leben, das alle, die zu dissem b e gencknisz k o m m e n , sollen haben dasselb testament [...]. E . GRÖTZINGER, Luther und Z w i n g l i , 2 1 , behauptet, vor d e m , S e r m o n von d e m N e u e n Testament' habe L u t h e r die Einsetzungsworte nur als G e b o t s w o r t e und die Messe als diesen entsprechendes W e r k verstanden. M i r scheint aber aus d e m Zitat und der G r u n d b e s t i m m u n g von Glauben und W e r k e n im W e r k s e r m o n hervorzugehen, dass das Verständnis der Einsetzungsworte als i m Glauben zu ergreifende Verheißung schon hier zu finden ist. D i e K o n z e n t r a t i o n a u f die verba, verbunden mit der K r i t i k an den übrigen M e s s g e b e t e n , und der liturgischen Prachtentfaltung findet sich bereits vor Luther, vor allem in B e w e g u n g e n , die der Amtskirche kritisch gegenüberstanden, vgl. dazu I. DÖLLINGER, B e i t r ä g e zur S e k t e n g e s c h i c h te, 2, 2 9 8 - 3 1 0 . S o wird J o h a n n e s VON WESEL 1 4 7 9 i m Inquisitionsbericht folgender Vorhalt g e macht: „Christus nulluni festum praecepit celebrare, I t e m nullam o r a t i o n e m docuit nisi d o m i n i c a m n e q u e mandavit sacerdotibus canere vel legere Septem horas canonicas, iam longas, iam breves matutinas. Sic Missa iam est gravata in Christianitate. D u m e n i m beatus Petrus legeret missam, praemisso solo Pater noster consecravit et se et alios c o m m u n i c a v i t , tunc t o t u m fuit expeditum: n u n c vero oportet sacerdotem stare in Missa ad h o r a m vel ultra, sustinendo frigus, q u o d noceat ei ad a n n u m vel amplius. E t sie h o m o interimit se i p s u m . " Zitiert nach FRANZ, Messe, 3 1 1 . Freilich wird diese B e o b a c h t u n g n o c h nicht gegen die Tradition gewendet, sondern durch sie ergänzt. 158

L u t h e r konzipiert den Z u s a m m e n h a n g zwischen Messe und Sündenvergebung in seinem

Testamentskonzept anders als etwa T h o m a s . D i e s e r behandelt die T h e m a t i k in S T h 3, q . 7 9 (30,

§4

Messopjertheologische Elemente

(1518-1520)

257

das Zeichen in Gestalt von Leib und Blut bzw. Brot und Wein bekräftigt dieses „Begängnis". Für die Gläubigen ergibt sich daraus ein sicheres Zutrauen, denn im Glauben besteht gerade kein Zweifel, ob dem Menschen seine Sünden vergeben sind. Andernfalls machen sie Christus zum Lügner und erzürnen Gott. 1 5 9 Die Frucht der Messe wird näherhin denen zuteil, die „in betrubnisz und begirden gotlicher gnaden" 1 6 0 zum Sakrament gehen und sich unter der Messe wandeln lassen. 161 D a n n füllt das Testamentswort das Herz der Betrübten mit göttlicher Gnade, Freude und Liebe, 162 die in Lob und Dank münden. 1 6 3 Diese aus der Ausrichtung des Glaubens auf ein Verheißungswort gewonnene Theologie der Messe findet Luther in der zeitgenössischen Messtheologie und -praxis nicht, 1 6 4 weshalb er eine eigene einschlägige Schrift beabsichtigt:

190—217), wobei er zwischen Todsünden (a.3, 199—202) u n d lässlichen Sünden (a.4, 202—205) unterscheidet. Letztere werden nicht unmittelbar durch das Verheißungswort, sondern unter E i n bezug der Liebeswerke der Sakramentsteilnehmer vergeben: „ A D P R I M U M [...] etsi non contrarientur charitati q u a n t u m ad habitum, contrariantur tarnen ei q u a n t u m ad fervorem actus, qui excitatur per hoc sacramentum, ratione cujus peccata tolluntur. A D S E C U N D U M dicendum quod illud verbum non est intelligendum, quin aliqua hora possit h o m o absque o m n i reatu peccati venialis [...]." 159 WA 6, 230, 2 6 - 3 4 . 160 W A 6, 230, 35f. 161 Luther fuhrt seine Kritik an der Vorstellung einer Wandlung im Sinne der Transsubstantiation zwar erst einige M o n a t e später aus, hinzuweisen ist aber dennoch auf die subtile Vorabschatt u n g j e n e r Kritik an dieser Stelle. Das Wandlungsmotiv wandert hier nämlich von seiner traditionellen elementenorientierten Fassung in die persönliche Ethik der Gläubigen. Geht man davon aus, dass auf d e m Lateranum IV die sakramentale Repräsentation Christi, im Modell der Transsubstantiation formuliert, die Machtstellung seines vicarius (Papst) bzw. dessen vicarii (Priester) festigt (vgl. C. ANDRESEN/A.M. RITTEE, Geschichte, 166), so liegt hier eine Emanzipation vom A m t vor, insofern sowohl Subjekt (Priester) als auch O b j e k t (Brot u n d Wein) dieser Wandlung nun von den Gläubigen her bestimmt werden. 162 Die CommMKio-Dimension des Abendmahles k o m m t also auch in diesem Sermon z u m Ausdruck. Luther verbindet das Wandlungsmotiv mit d e m Element der Öffentlichkeit, indem er den Ausschluss notorischer, öffentlicher Sünder fordert. Im Sakrament erscheint der Einzelne also nicht nur in seiner Eigenwirklichkeit, sondern auch in seiner Sozialität. In Luthers Ausfuhrungen zum zweiten Werk dieses Gebots, der Predigt, wird dies noch deutlicher. Hier klingt das E i n gangsmotiv des Bruderschaftsermon an, w e n n Luther warnt, dass die Einheit der Christen nicht an der Vielheit der Z e r e m o n i e n scheitern dürfe, und er Christi Einsetzung allen Zeremonien entgegen stellt. Luther steht zu dieser „Sozialität zur Linken" in einem durchaus gebrochenen Verhältnis: Einerseits wird mit d e m Einzug der Sozialkontrolle in das Sakrament die mitgebrachte Sozialität perpetuiert, ja theologisch legitimiert. Andererseits kann das Sakrament als Sakrament der Liebe nicht nur auf die Eigenwirklichkeit beschränkt bleiben, soll die Extrinsizität der Person im Sakrament gewahrt bleiben. Luther behilft sich mit der gesetzestheologisch erarbeiteten U n t e r scheidung zwischen zivilem u n d geistlichem Nutzen. 163 W A 6, 231, 4 - 9 . 164 Vgl. als deren Ausdruck etwa den H y m n u s .Sacris sollemniis', der das letzte Mahl Jesu an die Priester gerichtet sieht u n d darin das Messopfer eingesetzt findet: „Noctis recolitur coena novissima / Q u a Christus creditur agnum et azygma / Dedisse fratribus juxta legitima / Priscis indulta patribus. [...] Sic sacrificium istud instituit / Cujus officium committi voluit / Solis presbyteris, quibus sie congruit / U t sumant et dent cetris." Zitiert nach M . RUBIN, C o r p u s Christi, 194, A n m . 206.

258

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

W i e wol es Christo vil mal geht gleich wie denen, die mit yhrem testament etlich reich machen, die yhr nimmer gedencken, noch lob, noch danck sagen, alszo gehen itzt unsere meszsenn, das sie nur gehaltenn werden, wisenn nit, wotzu odder worumb sie dienen, drumb wir auch widder dancken, noch lieben, noch loben, bleyben durr und hart da bey, lassens bey unsern gebetlin bleybenn. Davonn ein ander mal mehr. 1 6 5

Luther sieht die Messwirklichkeit also nicht nur als Folge einer verfehlten Frömmigkeit. Für ihn gründen die Missbräuche in einem eklatanten messtheologischen Mangel. Bei seiner Entfaltung des Testamentskonzeptes geht er nun formal wie inhaltlich eigenständig vor. Er erhebt nicht mehr zuerst die Elemente eines Testaments und überträgt sie dann auf die Sakramentstheologie, wie er es noch in der Hebräerbriefvorlesung tat. Er übernimmt auch nicht die Auslegung des C H R Y S O S T O M U S , um ihr Punkt für Punkt zu folgen, ohne sie geringfügig zu variieren. Vielmehr geht er aus von seinem soteriologischen Modell Glaube — Verheißungswort und nimmt von dort aus die Testamentsvorstellung in Dienst. 3.2.2

Predigt und Gebet als Werke des dritten Gebots

Das zweite Element dieses Gebotes, die Predigt, wird nun ebenfalls ganz vom Testament Christi her erschlossen, ist sie doch nichts anderes als dessen Verkündigung. 1 6 6 Doch auch hier wird für Luther das Gut gesehen, ohne es zu genießen. 1 6 7 Die Unkenntnis des Testamentscharakters der Messe führt zu ihrem Fehlverständnis als „ein gemein gut werck für sich selb". 1 6 8 So verknüpft Luther die grundsätzliche Unterscheidung von Glaube und Werk bzw. Gesetz und Evangelium mit seiner Messtheologie. Die Messe gewährt dem an seiner Sünde verzweifelnden Menschen die Sündenvergebung in Gestalt des im Glauben wahrgenommenen Verheißungswortes, dies ist die Auflösung der abkürzenden Formel „Messe = Testament". Folglich erscheinen Luther all diejenigen MessaufFassungen als Depravationen des ursprünglichen Sinnes, die dem Evangelium oder dem Glauben zuwiderlaufen. Hierzu gehört der Zweifel (als Antipode des Glaubens) und das Gesetz im Mantel des Werkes (als Gegenüber zum Evangeliums). Das Gut der Sündenvergebung ermöglicht nicht nur die Gemeinschaft des Einzelnen mit Gott, sondern auch die Einheit der Glieder untereinander 169 und lässt die Messe im Unterschied zu anderen, bloßen Werkcharakter tragenden Zeremonien, als Evangelium begegnen. Das dritte Element, das Gebet, ordnet sich nun ganz in diese Grundbestimmung ein, setzt es doch als besondere „Übung des Glaubens" 1 7 0 die Wahrnehmung des Verheißungswortes im Glauben und damit das erste Gebot voraus. Dieser ZusamWA 6, 231, 9 - 1 5 . WA 6, 231, 16. 167 Entsprechend ist das Thema des Bruderschaftsermons das Genießen ohne das Gelten. 1 6 8 WA 6, 231, 24. 1 6 9 WA 6, 231, 29—33. Luther nimmt also erneut die Communio-Thematik des Abendmahlssermons auf. 1 7 0 WA 6, 232, 22. 165

166

§4

Messopfertheologische Elemente (i

259

518-1520)

m e n h a n g mit der R e c h t f e r t i g u n g zeigt sich einmal in Luthers Verständnis des Bittgebetes. Analog der grundsätzlichen Bestimmung von Sünde u n d Gnade kann für Luther auch der bittende Mensch zur Linken (Skrupulosität als Misstrauen) wie zur R e c h t e n (Selbstüberschätzung) sündigen. 1 7 1 Die d e m Glauben i n n e w o h n e n d e Gewissheit, das Gebet werde erhört, sieht er sowohl durch Zweifel als auch durch vermessene Vorschriften, wann u n d wie Gott d e m Gebet zu entsprechen habe, zerstört. Das Dankgebet leitet Luther als ein Paradoxon konsequent aus seiner S ü n d e n - u n d Gnadenlehre her: Gerade dann, w e n n sich der Mensch der Schwachheit seines Glaubens bewusst wird, soll er für diese O f f e n b a r u n g danken. 1 7 2 Die Diagnose der Missstände ergibt sich schließlich aus der G r u n d v e r o r t u n g des G e b e tes im Glauben: N i c h t die Masse, sondern der Ernst, nicht der Status sündloser Reinheit, sondern das Vertrauen auf Gottes H u l d sind entscheidend. Die G e b e t sanliegen rät Luther im Spiegel des Dekalogs w a h r z u n e h m e n , 1 7 3 wobei er die geistlichen Gebrechen über die rein körperlichen stellt. D a n e b e n gilt ihm das G e bet auch als ein O r t der Z u w e n d u n g z u m Nächsten. So k o m m t er im R a h m e n des gemeinsamen Gebets erneut auf den Gottesdienst zu sprechen. 1 7 4 Hier hebt er den Communio-Aspekt gegenüber einer egoistischen Vereinzelung hervor 1 7 5 und versteht das Gebet als eine Bewegung des M e n s c h e n auf Gott hin. 1 7 6 W e n n Luther das Gebet in der im Anschluss behandelten Schrift als O p f e r bezeichnet, so ist eben diese G r u n d b e s t i m m u n g des Gebetes als Ü b u n g des Glaubens zu berücksichtigen.

Zusammenfassung I m ,Sermo

de digna praeparatione

des vierten Paragraphen

cordis pro suscipiendo

sacramento

eucharistiae'

(1518)

verbindet Luther die Sündhaftigkeit des Menschen mit dessen Verfehlung der Einheit unter den Christen, die Brot u n d Wein als Sammlung von K ö r n e r n u n d Trauben bezeichnen. Luther kombiniert das traditionelle Zeichenverständnis, nach welchem Zeichen u n d Bezeichnetes in einem natürlichen Verweiszusammenhang stehen, mit der Perspektive der Sozialität. Keine der traditionellen Praktiken kann den M e n s c h e n des Sakramentsempfangs würdig machen. Aus diesem G r u n d m o 171 Diese Figur begegnete bereits in der Römerbriefvorlesung (vgl. oben §3.3.2.3) und im ,Sermo de digna praeparatione'. 172 WA 6, 234, 16-20. 173 WA 6, 236, 21-237, 2. 174 WA 6, 238, 10-239, 19. 175 „Dann wie steht unnd reymet sichs, das wir leyplich zusammenn in ein bethaus kommen, damit angetzeigt wirt, wir sollen für die gantzen gemein in gemeyn ruffen unnd bitten, szo wir die gebet vorstrawen und also teylen, das ein iglicher für sich selb nur bittet, und niemandt sich des anderen annympt, noch sich mit yemandts notdurft bekümmert? Wie mag das gebet nutz, gut, angenehm und gemein odder ein werck heissen des feyrtags und der vorsamlung, wie die thun, die yhr eigen gebetlin halten, der für disz, disser für das, und haben nichts, dan eygen nutzige eygen niessige gebet, den got feind ist?" WA 6, 238, 17-25. 176 „ O wen got wolt, das yrgent ein hausse disser weyse noch mesz höret unnd bettet, das in gemein ein ernst hertzen geschrey des gantzen volcks tzu got auffgynge, wie unmeszlich tugent und hulffsolt ausz dem gebet folgenn!" WA 6, 238, 35-37.

260

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

dell ergeben sich zwei Konsequenzen für die Vorbereitungspraxis: Einmal die Kritik an jedweder Vorleistung. Weder die Introspektion in Gestalt von R e u e und Beichte noch die Operativität, konkretisiert in Frömmigkeitsübungen und guten Werken, kann die rechte Vorbereitung gewährleisten. Einzig der auf die Verheiß u n g gerichtete Glaube ist die Weise, in welcher der Mensch das Sakrament e m p fangen soll. Dessen Außendimension weist den Gewissensskrupeln einen Ausweg und zerstört eine falsche Sicherheit. Der Präparationssermon nimmt insofern eine Zwischenstellung ein: Elemente, die in den späteren Sakramentsschriften zurücktreten (wie der natürliche Verweischarakter des Zeichens, die Interpretation der Passionsbetrachtung als Erfüllung des Gedächtnisauftrages Christi und die Bergung des Schwachen in A r m und O b h u t der Mutter Kirche) stehen hier noch neben den konstanten Indikatoren seiner reformatorischen Position (wie der dynamisch ausgreifenden Christusgerechtigkeit und dem extrinsisch bestimmten C h r i stusglauben). Der , Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen Leichnams Christi und von den Bruderschaften' (1519) entfaltet diese Indikatoren dann für die kirchliche W i r k lichkeit. Die Einsicht in die Grundstruktur (Abschnitte 1—5) des Sakramentsgeschehens, die er als Wahrnehmung des Zeichens im Glauben bestimmt, entwickelt Luther unter zwei Aspekten. Einmal entfaltet er sie für die Sozialität, das andere Mal für die Personalität. Erstere konkretisiert sich (6—16) im fortan häufig verwendeten Vergleich der Sakramentsgemeinde mit einem organischen oder munizipalen Corpus, in der Forderung nach dem Laienkelch und in der Wahrnehmung der Sakramentsgemeinde als Hilfsgemeinschaft gegen die Sünde. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, für die Wahrheit, die R e f o r m der Kirche und die leidenden Mitchristen einzutreten. Die Perspektive der Personalität (17-22) richtet den Blick dann auf den Sakramentsempfang im Glauben, in welchem sich der Wechsel mit Christus vollzieht. Aus dem Beistand Christi in der j e persönlichen N o t und aus seiner Verheißung der Sündenvergebung leiten sich die Gemeinschaftstreue, der Hassverzicht und die Absage an eine privatistische, auf das eigene Heil fixierte Frömmigkeit ab. Die Messwirklichkeit wird damit auf ihre Verhältnisbestimmung von sakramentaler Communio und im Glauben konstituierter Personalität hin befragt. Luther verhandelt die Thematik unter der Voraussetzung, dass es im Sakrament u m das G o t teshandeln am von sich auf Christus und die Christengemeinschaft blickenden Menschen geht. Die Kritik an der gegenwärtigen Messe motiviert sich folglich aus seiner eigenen Verhältnisbestimmung von Personalität und Sozialität: Die Vermassung der Messe lehnt er ab, weil sie auf dem Fehlverständnis eines werthaften, in sich selbst Gott wohlgefälligen Werkes beruht und die Gemeinschaftsdimension ebenso wie die gegenwärtige Fokussierung auf die Elemente ausblendet. Anders als beim Kreuzesopfer handelt es sich bei der Messe aber nicht u m ein Gott gefälliges Werk, sondern um ein von Gott her an die Menschen gerichtetes und von ihnen zu gebrauchendes Werk. Der ,Sermon von den guten Werken' (1520) ordnet die Messthematik dann in den R a h m e n seiner Aufgabenstellung ein, die in einer Verhältnisbestimmung von

§4

Messopfertheologische

Elemente

(1518-1520)

261

Glaube u n d Werken besteht. Die Messe k o m m t hier als „ W e r k " des dritten G e bots, welches das H a n d e l n des M e n s c h e n im Gottesverhältnis beschreibt, n e b e n der Predigt u n d d e m Gebet zu stehen. Das G r u n d m o d e l l des auf das Verheißungsw o r t gerichteten Glaubens lässt Luther eine innere Beteiligung anstelle veräußerlichter Messspektakel aus der Perspektive des Glaubens fordern. D i e W o r t t h e o l o gie richtet den Blick auf die verba. Diese fuhren Luther zur Testamentsmetapher. I m Unterschied zur Hebräerbriefvorlesung kann Luther sie n u n als Z u s a m m e n f a s sung seiner Sakramentstheologie explizieren u n d verfugt damit über ein plausibles Artikulationsmodell f ü r sein Abendmahlverständnis. Insofern dieses Bild eine systematisierende Zusammenschau ebenso wie eine m n e m o t e c h n i s c h eindrückliche Illustration ermöglicht, schafft es die Voraussetzung für eine massenwirksame R e zeption der bislang e r h o b e n e n Einzelcharakteristika seines Sakraments- u n d Messverständnisses. So vereint es die B e r u f u n g auf die Schrift (für das Altarsakrament die verba), die Subjektrolle Christi (Testator) u n d die Rezeptivität der o h n e eigenes Z u t u n e m p f a n g e n d e n Gläubigen (Erben), die Z u w e n d u n g der eschatologisch gültigen Sündenvergebung im (und nicht vor) d e m Sakrament u n d demzufolge die Unabhängigkeit der Sakramentsgabe von der Vorbereitung der Empfänger.

§ 5 Die Entfaltung der Messopfertheologie in den Messschriften der Jahre 1520 bis 1522 i Sola gratia — Das Grundkonzept im ,Sermon von dem Neuen Testament' (1520) Die im Werksermon angekündigte 1 ausführliche Auseinandersetzung mit der vorfindlichen Messtheologie fuhrt Luther im ,Sermon von dem Neuen Testament', 2 der Ausarbeitung einer Osterpredigt. 3 Wann Luther mit seiner Arbeit an der Schrift zu Ende gekommen ist, lässt sich nicht genau bestimmen. 4 MELANCHTHONS B r i e f an HESS5 vom April 1520 versteht CLEMEN6 als Indiz für die Vollendung der Schrift, unverständlich bleibt dann aber, weshalb Luther mit der Publikation bis August wartete 7 . Will man beide Daten vermitteln, so bleibt einmal die Möglichkeit, dass Luther den Druck der Schrift bewusst hinauszögerte. Weshalb die Situation für eine Veröffentlichung im August anstelle des April günstiger gewesen wäre, lässt sich aber nicht ersehen. Eine andere Lösung bestünde darin, dass Luther den Sermon nochmals überarbeitete und H E S S von MELANCHTHON gewissermaßen ein Vorexemplar 1

Vgl. W A 6, 2 3 1 , 9 - 1 5 .

2

E r ist a u f den August 1 5 2 0 zu datieren. Vgl. zum S e r m o n H . B . MEYER, Luther, 156—160;

R . SCHWARZ, A n g e l p u n k t , 3 4 7 - 3 4 9 ; E . GRÖTZINGER, L u t h e r , 3

15-45.

Dies geht aus einem B r i e f an den späteren Breslauer R e f o r m a t o r J o h a n n HESS hervor, vgl.

W A 9, 445—449. D a viele Laien am Osterfest das einzige M a l im J a h r das Sakrament empfingen, lag es nahe, die Messe in der Predigt zu thematisieren. Z u den Inhalten der Osterpredigt vgl. das ausfuhrliche R e f e r a t bei W. NEUSER, Abendmahlslehre, 58—63. D i e Problematik von Neusers Hochschätzung der Osterpredigt liegt freilich darin, dass seine Darstellung von M e l a n c h t h o n s Sakramentenlehre ganz auf Bizers Konzept einer bestimmten T h e o l o g i e des Wortes als K r i t e r i u m des R e f o r m a t o r i s c h e n basiert. D a m i t gilt fiir Neusers Darstellung dasselbe, was schon über Bizers und Bayers Konzept zu sagen war. Vgl. auch M e l a n c h t h o n s B r i e f vom 2 7 . April 1 5 2 0 , L S t A 1, 2 8 8 und W A 6, 3 4 9 . W A B r 2, 86, 7 - 1 0 : „Institutionem sacerdotalem, quantum ad ceremonias pertinet, tui de collegae docebunt; quantum vero ad spiritum fidei, nonnihil confert sermo g e r m a n i cus, cui statim addetur alius a m e habitus de usu missae." Vgl. MELANCHTHONS B r i e f v o m selben Tag: „Insignem interim, dum abes, (Martinus) l o c u m tractavit de sacramento Eucharistiae, q u e m mitto coactum in capita. Faciet enim ad institutum tuum. Ipse e u n d e m tractabit copiose G e r m a n i ca oratione. Interim nolui te carere." C R 1 , 1 5 9 . Z u r B e d e u t u n g des Briefes flir M e l a n c h t h o n s T h e o l o g i e vgl. W. NEUSER, a.a.O., 4 1 - 4 3 . 4

Vgl. LStA, ebd.

5

C R 1, 164f: „Habes c o n c i o n e m de Eucharistia."

6

B o A 1, 2 9 9 , 11 f. Ihm folgt U. STOCK, 2 8 5 , A n m . 4 7 1 , dagegen E . GRÖTZINGER, Luther und

Zwingli, 18, A n m . 10. 7

Vgl. die U b e r s e n d u n g eines Exemplars an J o h a n n VOIGT in Magdeburg ( W A B r 2, 162, 5f).

§5

Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

263

erhielt. Dies ließe sich insofern vorstellen, als es sich bei dem Sermon um die Überarbeitung einer Predigt und keine völlig neu konzipierte Schrift handelt, so dass ein Luthers gesamte Position in ihren Grundzügen umfassendes Gerüst wohl stets vorlag und eine vorzeitige Ubersendung daher Sinn ergab. A m einfachsten löst sich die Problematik allerdings, wenn man die unbestimmte Äußerung M e lanchthons nicht so versteht, dass Luther hier bereits ein Exemplar des Sermons, sondern seine Osterpredigt vom 8.April verschickte. 8 D a n n besteht nämlich überhaupt keine Notwendigkeit, zwei Daten zu vermitteln. Die Schrift erlebte seit A u gust 1520 insgesamt 14 Nachdrucke, was auf eine hohe Breitenwirkung schließen lässt.

i. 1

Duktus

und

Außau

Luther nimmt den im Abendmahlssermon vorliegenden Basisentwurf auf, u m ihn argumentativ und konkretisierend weiter auszudifferenzieren. Die Abfolge der T h e m e n lässt erkennen, dass die Osterpredigt Luthers der Schrift zu Grunde liegt. D o r t setzt er erstens mit einer gesetzestheologischen H i n f l i h r u n g ein (WA 9,445,3-20), zitiert dann die Einsetzungsworte (445,26—446,2) u n d k o m m t so zweitens z u m Verständnis der Messe als Testament. Er betrachtet sie im R a h m e n des Duals Verheißung Gottes — Glaube der M e n s c h e n (446, 7 - 1 1 ) , der f ü r ihn die Gottesbeziehung grundsätzlich strukturiert, was in einem heilsgeschichtlichen Exkurs (Adam u n d Eva, N o a h , Abraham, Mose) belegt wird (446, 12—29). D i e Testamentsqualifikation wird so zum Inbegriff des Gotteshandelns am Menschen. Drittens hebt der Prediger die Differenz zum alten Testament h e r vor (447, 1 - 1 5 ) . Er stellt die als Zeichen der Sündenvergebung verstandene Messe der gängigen Vorbereitungspraxis (447,16—30) u n d den daraus resultierenden Skrupeln hinsichtlich der Würdigkeit (447,31-448,5) gegenüber. Die Auffassung, die Messe sei ein gutes Werk (448,6—21), lehnt er ab. Viertens thematisiert er die Unerlässlichkeit dieses Zeichens (Setzung Gottes, Vereindeutigung der Verheißung im Wort; 448,23—449,8) u n d schließt mit einem Hinweis auf die Inkarnation als das basale Z e i c h e n (449,9-27). Einzig die Ausf ü h r u n g e n über das Zeichen wechseln also ihren O r t , sonst behält Luther den Duktus bei.

Die in 40 Abschnitte gegliederte Schrift ist zwar nicht frei von thematischen D o p pelungen, 9 verrät im Ganzen aber einen luziden dreiteiligen Aufbau: Zunächst entwickelt Luther seine Messtheologie (Abschnitt 1—12), konfrontiert sie dann mit der vorfindlichen Praxis und Theorie (13—32) und fugt schließlich praktische R e formvorschläge an (33—39).10 Eine Auswertung dieser Schrift folgt also am besten dieser Abfolge. 8

Dafür entscheidet sich auch R . S C H W A R Z , Angelpunkt, 347, Anm.26 und 28, vgl. auch E. Luther und Zwingli, 18, Anm. 10. 9 So kritisiert Luther die nichtöffentliche Rezitation der Einsetzungsworte, den Kelchentzug und die Opferqualifikation mehrfach. 10 Eine Grobgliederung bietet auch W. NIESEL, Literarkritischer Vergleich von Luthers .Sermon von dem neuen Testament' mit dem über die Messe handelnden Abschnitt aus „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium", in: N K Z 35 (1924), 480f. Nach ihm behandelt Luther in 5-12 die Messe als Testament, in 13-15 die „subjektive Seite des Testaments", nämlich den Glauben und in 16—35 die Verkehrungen der Messe. GRÖTZINGER,

264

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Im ersten Teil setzt Luther mit einer gesetzestheologischen Hinfuhrung ein (1—2), die er dann auf die Einsetzungsworte als das „Hauptstück" der Messe hin ausfuhrt. Negativ grenzt er sie gegen die menschlichen Zusätze der Väter ab (3—7), positiv entfaltet er sie in Gestalt des Testamentskonzeptes (8-12), dessen sechs Elemente ihm zum Aufweis des Gabecharakters der Messe im Sinne seines soteriologischen Neuansatzes dienen. 1 1 Deutlich zeigen sich hier Worttheologie (allein Christus, wie er in der Schrift bezeugt wird) und die erkenntnistheoretische Seite der Kreuzestheologie (die Beziehung Gott — Mensch ist als Ermöglichung durch Gottes Wort, nicht durch menschliche Vernunft zu denken) als Paten der Messtheologie Luthers. Im zweiten Teil konfrontiert Luther die so gewonnene Theologie der Messe mit der gegenwärtigen Messpraxis und -theorie seiner Zeit. 1 2 Ein erster Streitpunkt liegt in der rechten Vorbereitung auf die Messe (13—15). Luther folgt hier seiner Argumentation aus früheren Sermonen: Fordern die spätmittelalterlichen T h e o l o gen Gebete, Fasten und Beichte, so ergibt sich aus dem Testamentskonzept allein das Zutrauen auf die vermachte Verheißung, eine hungrige Seele und ein fester, fröhlicher Glauben des Herzens entgegen aller Anfechtung. Dann wendet sich Luther der Messe selbst zu (16—32). Als Grundkategorie seiner Theologie firmiert dabei das von außen zugesprochene und im Glauben wahrgenommene Verheißungswort. Für die Messe konkretisiert sich dieses Wort im nun sechsfach 13 entfalteten Testamentskonzept. Mithilfe der Testamentsmetapher argumentiert Luther anschließend gegen drei große Missbräuche: Einmal ging das Hauptgut der Messe, eben die testamentarische Verheißung Christi, verloren. Die Messe wird nur noch als Sakrament (im Sinne eines äußeren Zeichens), nicht aber als Testament gehandelt. Die egalitär-öffentlichkeitsschaffende Dimension des Wortes steht hier gegen die allein dem Priester vorbehaltene, 14 unhörbare Rezitation der Einsetzungsworte (16-18). Aus diesem Verlust des Hauptgutes ergeben sich zwei weitere Missbräuche: Die Messe als Werk und die Messe als Opfer. Der Werkcharakter (19-20) entstand aus dem Hinfall von Glaube und Wort und machte aus der Gabe an den 11 Dabei folgt seine Auslegung streng dem Wortlaut der Einsetzungsworte. Erst wird der B e griff,Testament" entfaltet (8), dann seine Qualifikation als „neu und ewig" (9) und schließlich die Aussage, dieses Testament bestünde in Christus durch Christi Blut (10), vgl. GRÖTZINGER, a.a.O., 23. Das gilt auch für die Osterpredigt. 1 2 Die Untergliederung verrät Luther am Ubergang zum zweiten Hauptteil: „Ausz disem allen [nämlich der in 1—12 ausgeführten Messtheologie, W.S.] ist nu leichtlich zu mercken, was ein messe sey, wie man sich dartzu bereytten soll, wie man sie halten und yhr brauchen soll, und wie vil mißpreuch hyrynnen geschehen [...]" WA 6, 360, 3—5. 1 3 Nämlich: Christus (Testator), Christen (Erben), Einsetzungsworte (Testament), Brot und Wein bzw. Leib und Blut Christi (Siegel), Sündenvergebung (vermachtes Gut) und Gedenken in der Feier (aufgetragene Pflicht). 1 4 Dies begründet sich aus dem Verständnis der verba als Priesterweihe. Vgl. THOMAS, STh 3, q.82, a.l (30, 293): „Sicut autem baptizato conceditur a Christo potestas sumendi hoc sacramentum; ita sacerdoti, cum ordinatur, confertur potestas hoc sacramentum consecrandi in persona Christi. Per hoc enim ponitur in gradu eorum quibus dictum est a Domino Lucae 22: ,Hoc facite in meam commemorationem.' Et ideo dicendum est quod proprium est sacerdotum conficere hoc sacramentum."

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

265

Menschen eine vermeintliche Gabe an Gott. Die nur im Modus des vertrauenden Empfangs wahrnehmbare Gaben- und Zuspruchsdimension des Wortes steht also gegen die Vorstellung, die Messe sei ein menschliches Werk, das folglich auch anderen zuwendbar sei. Breitere Ausfuhrung erfährt die Opferqualifikation der Messe (21—28). Nach ihrer historischen Herleitung (aus Kollekten und Speiseopfer) bringt der Reformator seine Kritik wie Würdigung des Opfergedankens zur Sprache und zieht die Linien der Messopferproblematik bis hin zur Christologie (Christus als sich selbst opfernder Mittler) und Soteriologie (alle sind Priester und „opfern") aus. Der ursprüngliche Testamentscharakter steht für ihn also gegen die O p fervorstellung. Die Rolle des Glaubens im Testamentskonzept wird anschließend zweifach aktualisiert: Einmal hebt Luther dessen rezeptive Dimension hervor: Wenn das Gut der Messe, die Sündenvergebung, im Glauben empfangen wird, dann kann die Messe weder auf Grund ihres Vollzugs allein (ex opere operato) wirken noch selbstmächtig anderen nutzbar gemacht werden. Aber auch das andere E x trem, eine privatistische Auflösung der Messe in den individuellen Verheißungsglauben, lehnt der Wittenberger ab: Die menschliche Angewiesenheit auf Stärkung durch die Glaubensgeschwister und ihre Einsetzung durch Christus fordern die Messe als leibliches, öffentliches Begängnis der Gemeinschaft. 1 5 In einem dritten Teil fasst Luther die über die gesamte Schrift verstreuten praktischen Reformvorschläge zusammen. So wendet er sich gegen die stille Rezitation der Einsetzungsworte in lateinischer Sprache, allzu materiell orientierte Messfrüchtelehren, die Differenzierung der Messwirkung nach bestimmten Messtypen, äußerliche Auflagen für den Sakramentsempfang und den Ausschluss Behinderter und fordert die öffentliche Zitation der Einsetzungsworte auf deutsch, die Sündenvergebung als Frucht der Messe, die Reduzierung der Messhäufigkeit auf eine Messe pro Tag sowie die Zulassung Stummer zum Abendmahl, um mit einem R e kurs auf die eingangs angeschnittene Gesetzesproblematik und der Hoffnung, die Werke würden dem Glauben folgen, die Schrift zu beschließen. Der Duktus der Schrift ist damit klar: Die bisherige Grundbestimmung der Messe als Opfer wird auf Grund der Identifikation von Opfer = Gabe an Gott innerhalb der theologischen Basalrelation Gesetz - Evangelium auf der Seite des fordernden Gesetzes verortet. D e m wird vom Christusgeschehen her das wahre G e 15 Daher ist die Messe selbst Zeichen der Verheißung, denn sie konkretisiert die Verheißung leiblich und richtet sich auf die Schwachheit des Menschen. W i e das Zeichen stützt sich die Messe auf Christi Einsetzung. Sie hängt in ihrer Wirkung ab vom Wortgeschehen, das sich auch außerhalb der Messe vollzieht. Damit entsprechen sich Messe und Glauben auf der einen, Wort und Zeichen auf der anderen Seite. Gleichwohl ist gegen MUIR, Ritual, 172, festzuhalten, dass Luther das Sakrament nicht aus einer Inadäquenz des Wortes begründet. Das Sakrament gibt für ihn nichts, was das Wort nicht auch gäbe. Wenn Muir, ebd., formuliert,,[...] ritual was still necessary for him [sc. Luther], precisely because God must reach our bodies as well as Our souls, and immaterial words are insufficient to the task", dann verkürzt er hier Luthers Wortverständnis auf seine signifikative Dimension. Entsprechend lehrt Luther keine Konsubstantiation, sondern stellt die sakramentstheologische Eignung der ontologischen Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz überhaupt infrage. Zumindest für die Zeit der Grundlegung seiner Sakramentstheologie 1519—21 liegt die Pointe der Realpräsenz für Luther nicht in einem „persistent materialism", sondern in der Qualifikation des Zeichens durch das Wort.

266

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

setz Christi 1 6 in Gestalt des zusagenden Evangeliums in den Einsetzungsworten („Testament") als neue Grundbestimmung der Messe entgegengesetzt und auf die Messwirklichkeit hin entfaltet. 17 Dies ergibt das Schema auf nächster Seite. Der Duktus zeigt damit klar, dass Luthers Messkritik aus der Auseinandersetzung mit der vorfindlichen Praxis und deren theologischen Voraussetzungen besteht. Luther beschäftigt sich nicht nur mit den Symptomen und Phänomenen, sondern stößt tiefer bis zu deren theologischen Begründungen und Hintergründen vor, u m diesen dann sein Messopferkonzept entgegenzustellen. Es erscheint von hier aus unangemessen, dieses Ineinander von Theologie und Frömmigkeit bei Luther nach einer Seite hin aufzulösen. Weder lässt er sich zum großen, im Grunde unverstandenen Denker stilisieren, noch verfehlt er als Praktiker die Theoriebildungen der Zeit u n d Tradition. SCHWAB versteht Luthers R i n g e n u m die Messe als „Kampf gegen den Missbrauch". Das ist insofern richtig, als Luthers Messtheologie stets auf die Praxis bezogen bleibt. Wenn allerdings damit die theologische Bedeutung und Implikation

16

Insofern das Gesetz hier menschliche Verirrung u n d Gottesferne aufweist, k ö n n t e m a n sogar von einem usus elenchticus der Einsetzungsworte sprechen: Das Einsetzungswort Christi entlarvt den durch die Opferqualifikation vollzogenen E i n b e z u g der Messe in die menschliche Verfügungsgewalt ( „ O p f e r der Kirche") als heimliches Selbstrechtfertigungsstreben, welches Gottes Gabe an die M e n s c h e n zu einer vermeintlichen Gabe an G o t t verkehrt u n d so die R e c h t f e r t i g u n g selbst in die H a n d n i m m t , anstatt sie sich glaubend gefallen zu lassen, m i t h i n als Ausdruck g r ö ß t e n H o c h m u t s u n d Misstrauens g e g e n ü b e r G o t t gelten darf. „Gesetz" begegnet hier also zweifach: Einmal als menschliches Gesetz, welches durch die Transformation des pro me in ein pro deo die Messe zu e i n e m letztlich selbstrechtfertigenden menschlichen Werk pervertiert; u n d z u m anderen als die D i m e n s i o n des Wortes, welche das Menschengesetz gerade destruiert. D i e Schrift wäre dann auch i h r e m Aufbau nach nichts anderes als eine Entfaltung des Christusgeschehen als Verheißungswort in seiner kritisch — destruktiven (Gesetz) u n d schenkend — konstruktiven (Evangelium) Dimension. 17 Versteht m a n den G e d a n k e n g a n g der Abschnitte 1—5 u n t e r d e m Vorzeichen der U n t e r s c h e i d u n g von Gesetz u n d Evangelium, so muss Luthers gesetzestheologischer Einstieg nicht „unverständlich" u n d „gar nicht z u m T h e m a g e h ö r i g " (GRÖTZINGER, a.a.O., 19) erscheinen. L u t h e r zeigt dann die Folgen einer rein gesetzlichen u n d damit auch systematisch vor-christlichen Bestimm u n g des O p f e r g e d a n k e n s auf (1) u n d weist auf ihre sozialen Fehlfolgen in Gestalt eines isolatorischen Heilsegoismus hin, der die Communio-Dimension des Sakraments gerade zerstört (2). So k o m m t erneut Luthers Verbindung v o n Sozialität u n d Soteriologie z u m Ausdruck: Gerade weil das Heil geschenkt wird, muss der M e n s c h bei seinen Werken nicht auf sich selbst starren, s o n d e r n kann sie d e m N ä c h s t e n übereignen, d e n n G o t t wird v o m f o r d e r n d e n Adressaten z u m vorgängigs c h e n k e n d e n Initiator der Werke. W e n n aber die Messe allererst Evangelium ist, dann verlieren die liturgischen Gesetze ihre u n b e d i n g t e B e d e u t u n g , d e n n das Evangeliumswort schafft eine Einheit jenseits der menschlichen Ausdifferenzierungen (3) u n d bietet i h n e n g e g e n ü b e r eine nicht n u r einigende, s o n d e r n auch kritische (4) Instanz, die nicht n u r allgemein abstrakt, s o n d e r n k o n k r e t b e n e n n b a r in Gestalt der Einsetzungsworte (5) vorliegt. Dass Luthers Messtheologie sich lesen lässt als W i e d e r g e w i n n der Evangeliumsdimension einer z u m Gesetz erstarrten Messe, zeigt auch die Verbindung v o n Gesetzesthematik u n d Messe im das T h e m a d o c h n u r in den nötigsten G r u n d z ü gen b e h a n d e l n d e n W e r k s e r m o n , vgl. o b e n § 4.3.2.2. A u c h die Adelsschrift kündigt in W A 6, 411, 12—16 eine Auseinandersetzung mit d e m geistlichen R e c h t an. — Z u r Gesetzesthematik als R a h m e n des Testamentssermons vgl. auch STOCK, a.a.O., 292. Bereits i m A b e n d m a h l s s e r m o n hatte L u t h e r auf die Gefahr einer die Sakramentsgemeinschaft b e d r o h e n d e n Sektenbildung verwiesen, vgl. W A 2, 750, 2 7 - 3 0 .

§5

1

Die

Entfaltung

der Messopfertheologie

267

(1520-1522)

E r s t e r Teil

Z w e i t e r Teil

D r i t t e r Teil

G r u n d l i n i e n einer

Konfrontation mit der vorfind-

Praktische

T h e o l o g i e der Messe

lichen Messtheologie

Reformen

Die Einsetzungsworte

Das Testament 4

Gesetzestheologische Rahmung

Messvorbereitung und Testaments-

Verlauf und

konzept

Wirkung der

(1)

Das Opfer als Gesetz

(13)

Ableitung aus dem Testamentscharakter

(2)

Gesetz gegen Gemeinschaft

(14)

Vorfindliche Vorbereitung

(15)

Anfechtungen

2

Das eine Gesetz Christi:

2.1

Die Differenz Einsetzung

Die Freilegung der -

verba

Messe (34) Im Messverlauf (Inflation, leise Rezitation,

5

Messe und Testamentskonzept

5.1

E r s t e r M i s s b r a u c h : D e r Verlust ihres

Kelch entzug) (35) Bei der Messwirkung (Falsche

Hauptgutes

Zusätze

(3)

Das eine Gesetz Christi

(16)

Unverständlichkeit (laut, deutsch)

Früchte, Ö k o n o -

(4)

Stellenwert der Zusätze

(17)

Überlagerung der Verheißung

misier ung)

2.2

Soteriologisches Grund-

(18)

Verlust des Hauptgutes

modell

5.2

Gottes Handeln im Wort

(6)

Verheißung — Glaube - Heil (19)

(7)

At.liche Beispiele

(8)

Die Messe als einziges nd.

3

Inhalt d e r v e r b a : D i e M e s s e ist T e s t a m e n t 1 8

(9)

Differenz zur AT-Verheißung gebung Blut

(12) Elemente des T.: sechs

den Glauben)

Unvertretbarkeit im Glauben

5.3

D r i t t e r Missbrauch: Ihr Fehlver-

5.3.1

Das leibliche Opfer in der Messe

(21)

Geschichtlicher Ursprung

(22)

Liturgischer Restbestand

5.3.2

Das vermeintlich sakramentale

ständnis als O p f e r

7

Vorbereitung a u f die M e s s e

(37) T.konzept statt frommer Werke (38) Sakrament und Gewissensangst Opfer in der

Messe

8

Zulassung zur Messe

(23)

Missbrauch des Ursprungs

(24)

Haltlosigkeit d. O.qualifikation

5.3.3

Das geistliche Opfer in der Messe

(25)

D e r Antwortcharakter des geistlichen

Setzung Chri-

Opfers

sti u n d die

(26) (27)

(39) Zulassung S t u m -

Die Gläubigen als Gabe des einzigen

Gesetze der

Priesters Christus

Kirche

Das Allgemeine Priestertum der Gläubigen

(40) Zusage und Glaube gegen

(28)

Zusammenfassung (Glaube an Christus)

Gesetze und

5.3.4

Explikation:

Der Glaube gegen äußere

Werke

Zuwendung

und innere

(29)

Wahrnehmung: D i e Seelenmessen und

Isolation

das Ex-opere-operato (30)

Konstruktion: Glaube, allgemeines

(31)

Wahrnehmung: D i e Messe zwischen

Priestertum, Opfer heilig und profan (32)

Konstruktion: Begründung der Messe in Einsetzung und Sozialität des Menschen

(33)

18

Ausrichtung auf

Die Messe ist kein Werk

(20)

(10) Zusage des T.: Sündenver(11) Zeichen des T.: Fleisch und

ge (Reduktion,

Zweiter Missbrauch: Die Verkenn u n g ihres W e s e n s

(5)

Beispiel

(36) R e f o r m vorschla-

Zusammenfassung

I m Folgenden bezeichnet T = Testament(s).

268

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

d e r M e s s k r i t i k p r a k t i s c h n i v e l l i e r t w e r d e n soll, so als sei es b e i d e m g a n z e n S t r e i t i m G r u n d e n u r u m einige M i s s b r ä u c h e g e g a n g e n , n i c h t aber u m die G e l t u n g der g e s a m t e n s c h o l a s t i s c h e n T h e o l o g i e , d a n n trifft d e r S a t z n i c h t zu. SCHWAB s c h e i n t i h n f r e i l i c h so z u v e r s t e h e n , d e n n e r s i e h t L u t h e r s M e s s k r i t i k „in erster Linie Messpraxis

und

Messfrömmigkeit

der

Zeit"19

gerichtet

und

gegen

betrachtet

mit

J . LORTZ 2 0 d i e P r a x i s als A u s g a n g s p u n k t u n d A n l i e g e n v o n L u t h e r s t h e o l o g i s c h e n B e m ü h u n g e n überhaupt. Diese säuberliche T r e n n u n g von theologischer R e f l e x i o n u n d p r a k t i z i e r t e r F r ö m m i g k e i t lässt s i c h a b e r w e d e r b e i L u t h e r n o c h b e i d e n v o n i h m a n g e g r i f f e n e n A u t o r e n a u f r e c h t e r h a l t e n . W o h l ist SCHWAB R e c h t zu g e b e n , w e n n e r s c h r e i b t : „ S e i n [sc. L u t h e r s ] t h e o l o g i s c h e r P r o t e s t g e g e n d i e M e s s e als O p f e r , g e g e n das o p u s o p e r a t u m w i r d n i c h t v e r s t ä n d l i c h o h n e d e n H i n t e r g r u n d d e r r e l i g i ö s e n P r a x i s . " 2 1 D o c h w i r d b e i SCHWAB d i e s e r H i n t e r g r u n d z u m e x k l u s i v e n V e r s t e h e n s h o r i z o n t v e r d i c h t e t . E s gilt e b e n a u c h das U m g e k e h r t e : D i e s e P r a xis w i r d n i c h t v e r s t ä n d l i c h , o h n e d i e sie b e g l e i t e n d e , j a m i t i h r v e r w o b e n e T h e o l o g i e . A n s o n s t e n e n t s t e h t e i n L u t h e r b i l d , n a c h d e m d e r an n i c h t g e n u g z u t a d e l n d e n Defizienzen und Missbräuchen der spätmittelalterlichen F r ö m m i g k e i t

leidende

L u t h e r i n s e i n e m Ü b e r e i f e r d i e „ e c h t e " r ö m i s c h e T h e o l o g i e z w a r k e n n t , a b e r zu U n r e c h t a n g r e i f t , h ä t t e sie d o c h , r e c h t v e r s t a n d e n , L u t h e r s A n l i e g e n

Rechnung

g e t r a g e n u n d so e i n e n B r u c h v e r h i n d e r t . 2 2 D u r c h e i n e v o r g ä n g i g e T r e n n u n g i n Entwicklung, 171, Hervorhebung W.S. Reformation, 1, 9 6 - 1 2 5 . 2 1 A.a.O., 172. Das von ihm angeführte Lutherzitat, nach welchem der Reformator seinen Kampf gegen R o m als einen Kampf um Glauben oder den rechten Brauch, nicht aber um das obiectumßdei, die Realpräsenz, führte (WA 19, 482f), trägt hier nichts aus. Denn es belegt nur, dass die Realpräsenz zwischen Luther und R o m unumstritten war, nicht aber, dass Luthers Kritik rein praktisch ausgerichtet gewesen wäre. 2 2 Vgl. W. SCHWAB: „Deren [sc. der religiösen Praxis] unbestreitbare Werkfrömmigkeit sieht Luther in der scholastischen Theologie grundgelegt; was er jedoch der theologischen Tradition an Meinungen über das Messopfer unterstellt, haben die Theologen nie behauptet." A.a.O., 172, unter Berufung auf LORTZ, Reformation 1, 398. Vgl. auch ebd., Anm. 25: ,,[...] gerade in Luthers Kampf gegen die Messe zeigt sich, dass er in echter Sorge um die rechte Praxis ein theologisches Feindbild aufbaut, das sich historisch nicht halten läßt." Ahnlich votiert MCCUE, Luther, 232, der sogar im Blick auf das Tridentinum behauptet: „Thus far I have argued that the position which Luther attacked was not the one which R o m a n Catholicism was defending, and that in substance Luther was actually holding the R o m a n Catholic position [...]; and one might conclude that Luther's differences with R o m e concern practice rather than doctrine." Diese Trennung zwischen korrekter Theologie und verfehlter Frömmigkeit, die Luthers Kritik dann enttheologisieren kann, scheitert einmal an der mittlerweile vielfach nachgewiesenen praktischen Ausrichtung gerade der Theologie auf die gelebte Frömmigkeit, sichtbar im Begriff der „Frömmigkeitstheologie". Wenn etwa BIEL in L.27L (2, 265) argumentiert, die Messe müsse einen endlichen Wert haben, sonst wären die vielen von der Kirche verordneten Messfeiern sinnlos, dann wird hier nichts anderes deutlich als ein in diesem Falle freilich problematisches Junktim von vorfmdlicher Frömmigkeit und Theologie. Die erdrückende Masse derartiger Beispiele zeigt m.E., dass MCCUE'S These einer „indifference o f R o m a n Catholic theologians to the problem o f the relation o f theology to the concrete life o f the Church" nicht zutrifft. Mit dieser Ausblendung der praktischen Implikationen einer Theologie hängt wohl auch die Reduzierung von Luthers Kritik auf die praktischen Missstände und die Unterschätzung seiner theologischen Motivation zusammen. Paradigmatisch deutlich wird dies in der Abwertung der für Luthers Theologie doch entscheidenden Jahre 1519—21, wie sie sich bei E. ISERLOH findet: „Nach meiner Meinung kommen wir hier wie mit Luther über19

20

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

269

fehlgeleitete Frömmigkeit und Nominalismus auf der einen und intakter T h e o l o gie auf der anderen Seite kann die theologische Theoriebildung der reformatorischen Kritik enthoben werden. Eine derartige Sicht findet freilich gerade katholischen Widerspruch. So urteilt MESSNER: Es geht nicht an, diese irregeleitete Frömmigkeit praktisch als irrelevant abzutun, da die Theologie ja das, wogegen Luther so scharf kämpfte, niemals vertreten habe. Da die Theologie in dieser Frage so gut wie versagt hat, ist die Frömmigkeit von größerer Bedeutung für die Feststellung der damals geltenden .katholischen Lehre' als die Theologie. Luthers Kampf gegen das Meßopfer als Kampf gegen die Meßfrömmigkeit ist daher kein Kampf gegen ein selbsterrichtetes Feindbild, sondern voll und ganz ernsthaftes Ringen um die Mitte des Glaubens.23 Problematisch an der von M e ß n e r kritisierten Trennung von T h e o l o g i e und Frömmigkeit ist überdies, dass hier der Opfercharakter der Messe von vornherein feststeht, wobei Begründung und Inhalt offensichtlich wechseln k ö n n e n . 2 4 Damit wird der B e g r i f f Messopfer aber zu einer Chimäre, und die Differenz zwischen der Messopfervorstellung der Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts und den heutigen ökumenischen Neukonzeptionen droht zu verschwimmen. Dieser Unterschied ist aber nicht nur im N a m e n theologiegeschichtlicher Redlichkeit, sondern gerade aus ökumenischen Rücksichten wichtig. D e n n die heute unumgängliche, nicht selten befreiende Suche nach einer ökumenischen Verständigung konterkariert j a dann die eigene Intention, wenn sie die Differenzen der Reformationszeit als bloße Missverständnisse oder als Absolutierung von Teilwahrheiten verharmlost und folglich zu Lösungen kommt, welche die gestellte Aufgabe notwendig verfehlen müssen. Gerade der historischen Rekonstruktion k o m m t es daher zu, die einzelnen Konzepte so scharf wie nur irgend möglich gegeneinander zu profilieren, nicht nur, um den theologiegeschichtlichen R e i c h t u m christlichen Denkens aufzuzeigen, sondern auch, um einen Beitrag zu einer adäquaten Erfassung des der dogmatischen Bearbeitung aufgegebenen Problems zu leisten und dem Dialog der Kirchen Brücken zu ermöglichen, die nicht auf tönernen Füßen stehen.

haupt nur zurecht, wenn wir die polemischen Positionen Luthers von 1 5 1 9 / 2 1 als situationsbedingt relativieren und als von ihm wie von den Bekenntnisschriften nicht durchgehalten aufzeigen. Dann müssen wir es uns aber verbieten, immer wieder auf die Auffassungen des Luther von 1 5 1 9 / 2 1 zurückzugreifen, auf Ansichten, die vom späteren Luther, erst recht aber von der Confessio Augustana, längst überwunden sind." Luther und die Kirchenspaltung, 84f, zitiert nach R . MESSNER, Meßreform, 19. 2 3 Meßreform, 176f. 2 4 So sieht F. PRATZNER, Messe und Kreuzesopfer 16, ein „wirklichkeitserfulltes, sakramentales Gedächtnis" und eine Bestimmung des Messopfers vom Sakrament her von den nachtridentinischen Opfertheorien an bis zur Liturgischen Bewegung des 20. Jahrhunderts nicht gegeben. Nimmt man die von ihm dem gesamten von der Frühscholastik bis zum Tridentinum reichenden Zeitraum attestierten „Krise der Sakramentalen Idee" mit hinzu, so bleiben allein die Alte Kirche, ein wohlwollend interpretiertes Tridentinum und O d o CASEL als Belege für die Messe als G e dächtnisopfer.

270

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

1.2

Das Hauptstück

der Messe: Die

Einsetzungsworte

1.2.1

Die Grundkategorie des Verheißungswortes

Der skizzierte Aufbau der Schrift zeigt die Logik von Luthers Gedankengang: Seine Messtheologie versteht sich als Auslegung der Stiftungsworte Christi, folgt also deutlich den Grundprinzipien seines gesamten theologischen Ansatzes: Jedes Theologumenon ist als Entfaltung des Wortes Christi, ja Christi in Gestalt seines Wortes, zu begreifen. Im Wort 25 vollzieht sich die Vermittlung von Gott und Mensch, von Geist und Welt entsprechend der christologischen Grundregel ,unvermischt und ungetrennt'. 26 Luther vermag es, durch die Wahl des sakramental verstandenen Wortes als Grundgestalt seiner Theologie Differenz und Bezogenheit zugleich auszudrücken. Das Wort bleibt einmal (auch als inneres!) stets das Gegenüber des Menschen, Gottes Handeln an ihm. Als solches behauptet es sich als unverfugbares, geistgewirktes Geschehen und entzieht sich bemächtigendem Objektivierungsstreben:27 Gott wirkt sub contrario im Unvermuteten, Dunklen, Unberechenbaren. 28 Das Wort wird so zum kritischen Stachel gegen alle selbstentworfenen offenbaren Kontinuitäten, alle projektiven Konzeptionen von Gott, Mensch und Welt, alle Verendgültigungen des Vorletzten, es ist Aktionsgestalt des Kreuzes. In dieser Hinsicht stärkt es das Bewusstsein einer bleibenden Distanz zwischen Gott und Mensch, Geist und Welt, „Natur" und Gnade. Zugleich aber firmiert das Wort als Vehikel der Selbstmitteilung Gottes an die Welt, verschmelzen Christus und Wort bis zur Identität. Durch das Wort schafft Gott das Heil, teilt seine Gnade aus und wirkt die Sündenvergebung. Diese konkrete, ja intime Nähe des externen Wortes lässt die Inkarnation als Zentrum der Theologie Luthers29 er-

Vgl. J. DIERKEN, Art. /Wort Gottes', 1 3 2 9 - 1 3 3 3 . Den Zusammenhang des basalen Gesetz — Evanglium — Duals mit einer bewahrten Zwei — Naturen - Lehre zeigt die Indikationsfähigkeit dieses Duals gegenüber christologischen Häresien, insofern sich ein christologischer „Arianismus" fundamentaltheologisch als Isolierung der Gesetzesdimension reformulieren lässt. Vgl. dazu M . LIENHARD, a.a.O., 126. 2 7 Dieses Bemächtigungsstreben gegenüber dem Wort geht stets mit einem Verlust an kritischem Potenzial einher, etwa wenn die Figur der Institution theologisch ungebrochen übernommen und so das bleibende Gegenüber von Christus und Kirche verwischt wird (objektivierende Bemächtigung). Das Postulat eines institutionalisierten Auslegungsmonopols lässt sich dann als Folge einer depravierten Worttheologie begreifen. Oder aber das Gegenüber von Wort und Subjektivität bzw. deren Entitäten (z.B. Gewissen) geht verlustig, so dass die Neuschöpfung der Personalität durch das Wort eigentlich nicht mehr ausgesagt werden kann, weil die mitgebrachte Personalität in Gestalt der Subjektfigur unhintergehbar bleibt (subjektivierende Bemächtigung). Dies fällt umso leichter, wenn der Bedeutungscharakter des Wortes gegenüber dem Wirkungscharakter die Uberhand behält. 2 8 Vgl. bereits Luthers Deutung von 1 Kor l,18£Fauf das Gotteshandeln überhaupt in der Ersten Psalmenvorlesung, Scholion zu Ps 91(92), 6, WA 4, 82, 1 4 - 3 1 . Die Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem wird hier in der Subkontrarizität des Gotteshandelns gegenüber der menschlichen Wirklichkeit begründet. 2 9 Hier wird nur das Resultat von Luthers christologischer Entwicklung in den Blick genommen. Unbestritten bleibt natürlich der Einfluss der ockhamistischen Christologie auf den frühen Luther, die ein großes Interesse an der Differenz von Gottheit und Menschheit Christi hat, vgl. R . SCHWARZ, Gott ist Mensch, 3 4 5 - 3 4 8 , und im Anschluss daran M . LIENHARD, a.a.O., 26. 25 26

§5

Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

271

scheinen. Die Diastase von Gott und Welt wird gerade so durchbrochen und allen gnostischen Modellen und Trennungschristologien eine Absage erteilt. Diese beiden Linien, der kritische Stachel des Kreuzes wie die intime Leiblichkeit der Inkarnation, m ü n d e n in den LeitbegrifF der Verheißung. Sie hält Nähe wie Distanz gleichermaßen fest, indem sie einerseits den einzelnen, konkreten Menschen zum Adressaten des Heilshandelns Gottes macht, aber andererseits das Wort nie zu einer inhärenten Eigenschaft oder gar zum Besitz des Menschen werden lässt. Für den Menschen wird dieses Verheißungswort wahrnehmbar im Glauben. Hierbei ist die besondere Bedeutung des Glaubensbegriffes bei Luther zu berücksichtigen: Es geht nicht um eine fides im Sinne der bloßen Zustimmung zu Glaubenswahrheiten, die ihr eigentliches Ziel nicht in sich selbst, sondern in den Liebeswerken hätte, oder u m ein gefordertes, vom Menschen aufzubringendes Vertrauen im Sinne eines vorab zu leistenden Werkes. 30 Dann würde die als Differenzbezug gedachte Vermittlung von Gott und Welt ja in ein kooperativ geordnetes Miteinander aufgelöst. Vielmehr ist es die Verheißung selbst, die den Glauben schafft, wodurch jeglicher theologischer Ü b e r h ö h u n g frommer Subjektivität oder Gestimmtheit widersprochen wird. Für die Messtheologie bedeutet dies eine Konzentration auf die Einsetzungsworte Christi 31 als Hauptstück der Messe, nicht etwa auf die sinnlichen, optischen Dimensionen der Messe oder die späteren Z u sätze zum Wort Christi. Hier zeigt sich deutlich die kraftvolle kritische Implikation von Luthers Theologie: Die Zentralstellung der Elemente Wort und Externität schafft eine große Sensibilität für die Fraglichkeit alles Vorfindlichen. 32 Diese Konzentration auf die biblischen Einsetzungsworte als Basis der Sakramentstheologie wäre nun missverstanden, wenn sie als bloß formale Folge des sola scriptum aufgefasst würde. Luther begründet diese Konzentration auf die Einsetzungsworte vielmehr explizit theologisch: 30 So k a n n e t w a BIEL v o n e i n e m solaßde des S a k r a m e n t s s p r e c h e n . D e r K o n t e x t zeigt aber, dass es i h m h i e r u m d i e d e r e m p i r i s c h e n R a t i o n a l i t ä t e n t z o g e n e n M y s t e r i e n h a f t i g k e i t des S a k r a m e n t e s g e h t , d e r G l a u b e ist das G e g e n ü b e r z u m a l l g e m e i n - m e n s c h l i c h e n Intellekt u n d e b e n d i e j e n i g e H a l t u n g , i n w e l c h e r die u n s i c h t b a r e n D i n g e zu v e r s t e h e n sind: „ Q u a m v i s e t i a m i n ó m n i b u s sacram e n t i s sit aliquid o c c u l t u m et s e c r e t u m fide c r e d e n d u m [...] ita et s a c r a m e n t u m eucharistie. Est s a c r a m e n t u m a u t misteriumfidei, q u i a t o t u m fidei est q u o d in h o c s a c r a m e n t o c o n t i n g i t , et sola fide c o m p r e h e n s u m in c o n v e r s i o n e , i n c o n t e n t o , i n a c c i d e n t i b u s , i n s u m p t i o n e . " L . 5 3 P (2, 327). D i e ses Z i t a t zeigt e i n m a l m e h r , dass e i n E i n v e r s t ä n d n i s m i t L u t h e r n i c h t s c h o n d a n n b e s t e h t , w e n n e i n e Partícula exclusiva b e m ü h t w i r d . 31 I n w i e f e r n d i e B e r u f u n g a u f die E i n s e t z u n g C h r i s t i d e r n o m i n a l i s t i s c h e n U n t e r s c h e i d u n g v o n potentia dei absoluta u n d potentia dei ordinata v e r p f l i c h t e t ist, lässt sich w o h l s c h w e r e i n d e u t i g b e s t i m m e n . M i t d e m N o m i n a l i s m u s stärkt L u t h e r sicher d e n G e d a n k e n d e r U n a b l e i t b a r k e i t G o t t e s aus d e n m e n s c h l i c h - w e l t l i c h e n W i r k l i c h k e i t s v o l l z ü g e n . Z u g l e i c h a b e r e n t s p r i c h t bei L u t h e r d i e ser H i a t v o n G o t t u n d W e l t d e r E i n s i c h t i n die radikale S ü n d h a f t i g k e i t des M e n s c h e n , i n d i e v ö l l i g e V e r d e r b t h e i t a u c h seines W i l l e n s h i n s i c h t l i c h G o t t e s u n d des Heils. 32 D i e G e g e n ü b e r s t e l l u n g v o n s c h l i c h t e r erster M e s s e C h r i s t i u n d l i t u r g i s c h e r P r a c h t e n t f a l t u n g i n d e r g e g e n w ä r t i g e n M e s s e e r g i b t sich n i c h t erst aus L u t h e r s T h e o l o g i e , s o n d e r n findet sich b e reits i m Spätmittelalter, vgl. M . RUBIN, C o r p u s C h r i s t i , 2 1 8 , w e l c h e h i e r d e n v e r b r e i t e t e n , S e r m o d e c o r p o r e C h r i s t i ' , v o n i h r z w i s c h e n 1 3 2 5 u n d 1 3 5 0 datiert, r e f e r i e r t . A n d e r s als L u t h e r w e r t e t d e r S e r m o n diese l i t u r g i s c h e E n t w i c k l u n g a b e r positiv. S o h ä t t e n d i e H e i l i g e n d i e A u f n a h m e in die M e s s l i t u r g i e v e r d i e n t , seien sie d o c h f ü r das S a k r a m e n t a u c h g e s t o r b e n .

272

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

Wen der Mensch soll mit gott zu werck kummen und von yhm ettwas empfahen, ßo muß es also zugehen, das nit der mensch anheb und den ersten steyn lege, sondern gott allein on alles ersuchen und begeren des menschen muß zuvor kummen und yhm ein zusagung thun. Dasselb Wort gottis ist das erst, der grund, der felß, darauffsich ernoch alle werck, wort gedancken des menschen bawen, wilchs wort der mensch muß danckbarlich auffnehmen und der gotlichen zusagung trewlich gleuben und yhe nit dran zweyffeln, es sey und gescheh also, wie er zusagt. Diße trew und glaub ist der anfang, mittel und end aller werck und gerechtickeit, dan die weyl er gott die eere thut, das er yhn widderumb eeret und warhafftig bekennet und helt, alsßo das nit muglich ist, das ein mensch auß seyner vornunfft und vormugen solt mit wercken hinauffgenn hymel steygen und gott zuvorkummen, yhn bewegen zur gnade, sondern gott muß zuvorkummen alle werck und gedancken, und ein klar außgedruckt zusagen thun mit Worten, wilch den der mensch mit eynem rechten, festen glauben ergreyff und behalte, ßo folgt den der heilig geyst, der yhm geben wirt umb desselben glaubens willen. 33 D e u t l i c h w i r d hier, dass es L u t h e r nicht auf die Fixierung eines K o n s e k r a t i o n s m o m e n t e s a n k o m m t , s o n d e r n auf die in d e n verba v o r g e g e b e n e Handlungsstruktur. N i c h t weil sie eine magisch w i r k e n d e W a n d l u n g s f o r m e l enthielten, besitzen die W o r t e so g r o ß e B e d e u t u n g f ü r die Sakramentstheologie, s o n d e r n weil sie u n u m kehrbar festhalten, „daß i m Sakrament der gnädige Gott selbst die handelnde Person ist" 3 4 . Diese theologische Beschreibung der Messe sieht G o t t als Subjekt des G e schehens gerade dadurch gewahrt, dass die m e n s c h l i c h e n rituellen Aktivitäten nicht in e i n e m A t e m z u g u n d auf einer perspektivischen E b e n e mit d e m G o t t e s h a n d e l n zu stehen k o m m e n . D e r M e n s c h ist hier allein ein Glaubender, u n d das heißt: Er sieht v o n sich selbst, seiner Disposition u n d seiner Aktivität ab u n d richtet sich ganz auf die V e r h e i ß u n g aus. Z u g l e i c h w i r d hier auch der Wechselbezug z w i schen r e f o r m a t o r i s c h e r Soteriologie u n d W a h r n e h m u n g der Schrift deutlich. L u t h e r sammelt nicht die in sich ja durchaus vielfältigen gottesdienstlichen Zeugnisse des N e u e n Testaments, s o n d e r n er entfaltet v o n seiner Soteriologie aus eine T h e o logie der Messe. So erfasst er die Messe v o n v o r n h e r e i n u n t e r der B e z i e h u n g G l a u be u n d W e r k bzw. Gesetz u n d Evangelium. Dies hat zur Folge, dass G e b e t e u n d Lieder g e g e n ü b e r d e m H a u p t s t ü c k der Messe, der Verheißung, z u r ü c k t r e t e n u n d n u r als soteriologisch n a c h g e o r d n e t e A n t w o r t auf das eigentliche G r u n d g e s c h e h e n zur Sprache k o m m e n . D e r Ansatz v o n Luthers Messtheologie lässt sich also nicht anders d e n n als A u s d r u c k seiner theologischen G r u n d f i g u r verstehen. D e r A u s gangspunkt d e r Messtheologie bei der V e r h e i ß u n g ist zugleich eine O p t i o n f ü r das solus Christus u n d dessen Implikate sola scriptum u n d solafide. E r n e u t zeigt sich also, dass Luthers Messopferkritik nicht auf d e n K a m p f gegen b l o ß e praktische Missb r ä u c h e reduziert w e r d e n k a n n , s o n d e r n als a u t o c h t h o n e r A u s d r u c k seiner T h e o logie gelten muss.

33 34

WA 6, 356, 3-19 [Szum sechsten]. Vgl. schon die Osterpredigt, WA 9, 446, 7ff. E. J Ü N G E L , Kirche, 439.

§5

Die Entfaltung

1.2.2

Die Einsetzungsworte

1.2.2.1

Fassung und Stellung der

der Messopfertheologie

als

(1520-1522)

273

Verheißungswort Einsetzungsworte

In den so bestimmten Verstehensrahmen dieser T h e o l o g i e ordnen sich dann die Einsetzungsworte ein. Innerhalb des Testamentskonzeptes zählen sie nun als eigenständiges Element. Das entspricht der theologischen Schlüsselstellung des Wortes. D e m korrespondiert auch ihr Wortlaut. Luther zitiert nun nicht mehr die Version des Messkanons, sondern wählt eine enger an die Evangelientexte angelehnte Fassung. 3 5 D i e Schrift tritt also gegenüber der Tradition hervor. D e r zitierte Text selbst verrät dann Luthers theologische Akzente. B e i m Brotwort lässt er neben der Verbindung mit enim einmal das ex hoc omnes fort, wodurch seine Forderung nach dem Laienkelch schärfer profiliert wird und fugt zudem ein „der für euch gegeben w i r t " ein. B e i m Kelchwort entfällt neben dem enim das mysterium fidei, das sanguinis mei ändert er zu „in meinem B l u t " . Allerdings handelt es sich insgesamt noch nicht um die bloße Zitation der Bibelworte, sondern um einen Mischtext. 3 6 So übernimmt Luther die Testamentsqualifikation als „neu und ewig" und die Z u sammenstellung „für euch und für die vielen" aus dem Kanon. Eine Synopse der Texte macht dabei deutlich, wie gering die Abweichungen zwischen der Version des Werksermons und der des Testamentssermons sind:

Messkanon

Q u i pridie quam pate-

Abendmahlssermon (WA 2,745, 36-38)

Werksermon (WA 6,230,12-17)

Alszo do Christus H i e mussenn wir die wort Christi ertzelen,

Testamentssermon (WA 6,355,26-32)

D a r y n n e n ligt die mesz

retur, accepit panem in

das sacrament

gantz mit all yhrem

sanctas ac venerabiles

eyngesetzet,

da er die mesz einsetzt

weszen, werck, nutz

manus suas, et elevatis

sprach er:

und spricht:

und frucht, on wilche

oculis in c o e l u m ad te

nichts von der mesz

D e u m Patrem suum

empfangen wirt. Das

o m n i p o t e n t e m , tibi gra-

sein aber die wort:

tias agens, benedixit, fregit, deditque discipulis suis, dicens: Accipite et manducate

, N e m e t hyn und esset,

N e m e t hyn und esset

,das ist mein leyb,

das ist m e i n leichnam,

das ist mein leichnam,

der fur euch geben wyrdt,

der fur euch gebenn wirt',

der fur euch geben wirt.

ex h o c omnes. H o c est enim corpus meum.

35

Vgl. H . HILGENFELD, a.a.O., 17f. D a b e i ist die Behauptung nicht richtig, Luther tue dies im

Testamentssermon zum ersten Mal. S c h o n im W e r k s e r m o n zitierte Luther diese Fassung (mit g e ringfügigen A b w e i c h u n g e n , siehe die Tabelle), vgl. § 4 . 3 . 2 . 1 . Vgl. auch SCHWAB, a.a.O., 1 7 4 . D i e Behauptung, Luther zitiere die Einsetzungsworte nach dem Messkanon (LStA 2 9 1 , A n m . 19) b e zieht sich wohl nicht a u f die gesamte Textgestalt, sondern nur a u f die W o r t e „neu und e w i g " . 36

Insofern ist es nicht ganz korrekt, w e n n STOCK, a.a.O., 2 9 0 davon spricht, hier lägen die E i n -

setzungsworte „in der bekannten und später ausschließlich das Interesse beanspruchenden F o r m nach M t 2 6 , 2 6 f f p a r r . ; 1 K o r 11, 2 3 f i " vor.

274

Zweiter Teil: Genese und

Messkanon

Abendmahlssermon (WA 2,745, 36-38)

Gestalt

Werksermon (WA 6,230,12-17)

Testamentssermon (WA 6,355,26-32)

Simili modo postquam coenatum est, accipiens et hunc praeclarum C a licem in sanctas ac venerabiles manus suas: item tibi gratias agens, b e n e dixit, deditque discipulis suis, dicens:

dessen gleichen ubir den kelch

Accipite et bibite ex eo omnes. H i c es enim calix sanguinis mei,

, N e m e t hyn und trincket alle drausz,

N e m e t hyn und trinckt daraus allesampt,

das ist ein newes ewiges testament in m e i -

nem blut,

das ist der kilch des n e wen und ewigen Testaments yn meinem bluet,

das für euch vergossen wirt

das für euch und für viel vorgossen wirt zu Vergebung der sund,

das fur euch und fur viele vorgossen wirt zu vorgebung der sund.

Haec quotiescumque fe- szo offt yhr das ceritis, in mei m e m o r i - thut, szo geam facietis." 3 7 denckt meyn dabey' 3 8

das solt yhr thun, als offt yhrs thut, zu m e i nem gedechtnis.'

novi et aeterni testamenti: mysterium fidei: qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum.

1.2.2.2

Die Diskussion

das ist meyn blutt,

um die

Einordnung

D i e Beurteilung dieser Veränderungen ist nun umstritten. Eine profilierte Position bezieht BIZER. Innerhalb seines Modells der sakramentstheologischen E n t w i c k lung Luthers folgt auf den nicht eigentlich „lutherischen" Abendmahlssermon der das Wort erstmals aus der Perspektive des Sakraments wahrnehmende Werkserm o n und der die Thematik abschließende Testamentssermon. Erst hier habe Luther „endlich die schon im Hebräerbriefkolleg gewonnenen exegetischen Einsichten auf das Sakrament anzuwenden gelernt, und damit ist seine Auffassung zum Ziel g e k o m m e n . " 3 9 BIZER begründet diese Einschätzung mit der neuen Stellung 3 7 Zitiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 80. D i e Spendeworte sind dort in Kapitälchen gesetzt. Die Zusätze gegenüber der Tradition fuhrt z.B. Thomas, S T h 3, q.83, a.4, ad 2. (30, 3 5 2 ) auf die Existenz mündlich überlieferter Jesusworte zurück. 3 8 Entscheidend ist die anschließende interpretierende Paraphrasierung: „Als sprech er ,ich bin das heupt, ich will der erst sein, der sich für euch gibt, will ewr leyd und Unfall mir gemeyn machen und für euch Christi tragen, auff das yhr auch widderumb mirund untereynander szo thut und alles last yn mir und mit mir gemeyn seyn, unnd lasz euch disz sacrament des allisz zu eynem gewissen warzeichen, das yhr meyn nit vergesset, Sondernn euch teglich dran übet und vormanet, was ich für euch than hab und thu, damit yhr euch stercken muget und auch eyner den andernn alszo trage." W A 2, 7 4 5 , 3 8 - 7 4 6 , 5. 39

Entdeckung, 87.

§5

Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

275

der Einsetzungsworte als Ausgangspunkt der Argumentation, welche den Testamentsbegriff zum durchgängigen Interpretament der Auslegung mache. Der Fortschritt gegenüber dem Abendmahlssermon bestünde dann vor allem darin, dass Luther nun „Wort Gottes" mit dem Testament und „Glaube" mit der Wahrnehmung dessen Inhalts identifiziert, wohingegen bisher eine „Bedeutungstheologie" Wirkung und Wort noch nicht in eins zu sehen vermochte. Dagegen wendet STOCK 4 0 mit Recht ein, dass B I Z E R den Begriff „Bedeutung" hier nicht im Sinne Luthers gebraucht, sondern als „.Realisieren' eines Musters im Sinne bloßer Reproduktion nach einer vorhandenen Schablone" (exemplum), welches letztlich die menschliche ratio zum Subjekt dieser Realisation macht." Sie dagegen versteht die Bedeutung als „(noch) offene Seite eines dem Glauben zugesagten Geschehens, und ihr Ergreifen in der Liebe, die die Gestalt des Nächsten annimmt", welche an dem Ort geschieht „an dem nur Christus für den Glauben verborgen gegenwärtig ist. Nicht um einen Kopierauftrag geht es bei der Bedeutung des Sakraments, sondern um das Gegenwärtigwerden der Ursprungssituation des Glaubens. Die Zuordnung von Abendmahls- und Testamentssermon hängt damit von der Bestimmung des Verhältnisses Wort — Zeichen ab. Nach BIZERS Modell bricht im Testamentssermon erstaunlich unvermittelt Luthers „eigentliche" Auffassung vom Sakrament hervor. Dieses Urteil birgt insofern Probleme, als diese so plötzlich auftretende Neubestimmung auch sofort schon zu ihrem Ziel gelangt wäre und die Jahre von 1518 bis 1520 als bloße „sakramentstheologische Latenzphase" in den Blick kämen. Es scheint, als werde hier eine ganz bestimmte Theologie des Wortes an die Quellen herangetragen und zu deren Maßstab gemacht. Wie schon bei der Einordnung des Abendmahlssermons ist daher STOCK ZU folgen, die auf Grund ihrer einfühlsamen Interpretation des Quellentextes selbst eine differenziertere Entwicklung in diesen Jahren nachzuzeichnen vermag. 1.3

Das Basisinterpretament Die

der

Einsetzungsworte:

Testamentsvorstellung

Wie sich Luthers Theologie der Verheißung die Einsetzungsworte zur Grundlage und zum Korrektiv der Messtheologie wählt, so gilt das Testamentskonzept wiederum als Grundstruktur der Einsetzungsworte. In diesem Sermon vermag es Luther nun voll zu entfalten. In unterschiedlicher Ausprägung hatte es ihm ja bereits seit der Hebräerbriefvorlesung als Illustrât seiner Messtheologie gedient und war ihm seit dem ,Sermon von den guten Werken' zum Schlüssel für die Einsetzungsworte und damit auch für die Messe geworden. Als Grundbestimmung bezeichnet es die konstruktive Dimension von Luthers Messtheologie, und auf seiner Basis entwickelt sich die Absage an das herkömmliche Messopferkonzept. Damit firmiert das „Testament" als positiver Gegenbegriff zur abgelehnten Messopfervorstellung, beide sind antithetisch aufeinander bezogen, ohne freilich ein exklusives 40

A.a.O., 291, Anm 488.

276

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Gegenüber zu beschreiben, wie Luthers R e d e vom legitimen Messopfer belegt. W i e jedes Bild hinkt natürlich auch der Vergleich mit dem Testament, 41 u n d nicht alle Einzelzüge des Bildes lassen sich hier auf die Messe übertragen. Diesen illustrativen Charakter gilt es im Auge zu behalten, insbesondere bei der Kritik an Luthers Testamentskonzept. 1.3.1

Die Ausdifferenzierung

nach innen (konstruktiver

1.3.1.1

Die Präzisierung des Testamentsbegriffes

Aspekt)

Gegenüber der früheren Verwendung des Testamentsgedankens in der Hebräerbriefvorlesung und im Werksermon weist die Version des Testamentssermons nicht nur formale Unterschiede auf. 42 Löste sich Luther im Werksermon von der schematischen Aufschlüsselung der Hebräerbriefvorlesung, u m von dem Glauben an das Verheißungswort aus seine Messtheologie darzulegen, so kehrt er nun wieder zu einer schematisierenden Darstellungsweise zurück, ohne freilich das Erreichte aufzugeben. Der R e i h e nach legt er durch Übertragung der Elemente des Testaments auf das Abendmahl seine Auffassung von der Messe dar. Dies tut er weder wie in der Hebräervorlesung in engem Anschluss an CHRYSOSTOMUS noch wie im Werksermon in der Glaube - Werke — Terminologie. Luther verbindet vielmehr beide Modelle, indem er seine nun weiter ausgebildete Messtheologie wieder im Bild des Testaments formuliert. Anders als bei Chrysostomus besteht sein Testamentskonzept nicht mehr aus vier, sondern nun aus sechs Elementen, die Testamentspflicht und das Testament selbst zählt er eigenständig. Diese Änderung präzisiert die Entsprechung von Bild- und Sachhälfte noch einmal. Indem Luther nämlich die Testamentsverpflichtung nicht mit dem Gut des Testaments zusammenfasst, macht er deutlich, dass das von Gott verheißene Gut nicht von einer vom Menschen zu leistenden Pflicht abhängt. Gottes Verheißung und menschliches Werk werden so in ihrer Entkoppelung sichtbar. Dass er anders als Chrysostomus nun die Zeichen des Sakraments und nicht mehr die Jünger bzw. den Heiligen Geist als Testamentssiegel benennt, zeigt, dass die Vorordnung des Wortes nicht mit einer Abwertung des Zeichens einherzugehen braucht. Auch der Testamentsbegriffselbst wird noch einmal zugespitzt. Er ist nicht nur zufälliges Illustrât des Sakraments, sondern es „ist alßo das klein wo(e)rtlein ,Testament' ein kurtzer begriff aller wunder und gnaden gottis durch Christum erfu(e)llet." 43 Luther sieht in der Testamentsqualifikation der Messe also die Verbindung von Christologie, Sakramentstheologie und Messtheologie gewährleistet: Wie sich die Christologie im sola gratia der Rechtfertigung entfaltet, so folgt auch das Geschehen der Messe der

41 Das wird z.B. daran deutlich, dass die A u f e r s t e h u n g zwar ein wichtiges Implikat der A b e n d mahlstheologie darstellt, insofern der E r h ö h t e i m M a h l g e g e n w ä r t i g wird, sie i m R a h m e n des Testamentskonzeptes aber n u r indirekt ausgesagt w e r d e n k a n n , da dieses ganz auf d e n Tod des Erblassers b e z o g e n bleibt. Vgl. W A 6, 357, 23. 42 G e g e n WISLOFF, a.a.O., 34, der von „ u n b e d e u t e n d e n Variationen" spricht. 43 W A 6, 357, 2 6 f .

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

277

Einsicht in das alleinige Gotteshandeln z u m Heil des M e n s c h e n . Das Wesen der Messe u n d die Kritik gegenwärtiger Missbräuche werden deshalb von diesem A x i o m hergeleitet. Luther n i m m t also das bereits in der Hebräerbriefvorlesung b e obachtete Motiv, der Testamentsbegriff schließe Kreuz u n d Auferstehung bereits in sich, wieder auf.

1.3.1.2

Der Tod Christi

Allerdings verleiht er i h m hier einen n e u e n Akzent, was den Tod Christi a n b e langt. Verband Luther bisher M e n s c h w e r d u n g u n d Kreuzesopfer mit Hilfe der traditionellen Metaphysik (weil Gott nicht sterben kann, musste er M e n s c h werden, u m sich kreuzigen lassen zu k ö n n e n ) 4 4 so löst Luther diese Vorstellung zwar n o c h nicht ab, 45 deutet daneben aber bereits eine andere Linie an, die unbefangen v o m Tode Gottes 4 6 spricht. Dieser Tod markiert den Unterschied zu der nur zeitlichen Zusage, die sich an das zeitliche, vergängliche T i e r bindet. Christus starb aber als „ewige, gotliche person" 4 7 u n d beschied damit gerade ein ewiges u n d unvergängliches Gut. In nichts anderem bestand der Sinn dieses Todes. 4 8 Für die O p f e r t h e o l o g i e schafft Luther damit neue Voraussetzungen. D e n n jetzt wird nicht m e h r nur der Adressat des Kreuzesopfers mit d e m Gottesprädikat ausgezeichnet, so dass G o t t in satisfaktorischer Absicht sein S o h n geopfert wird. Vielmehr erlaubt es diese Ansatz n u n , Gott auch an die Stelle der Opfergabe zu setzen. 4 9 Explizit wird diese Konstellation dann gegen die menschliche Vorstellung einer G e n u g t u u n g an sich 50 ins Feld geführt. D a m i t eröffnet sie die Aussicht auf eine Christologie, welche den O p f e r t o d Christi ganz auf den M e n s c h e n gerichtet sieht 5 1 u n d auch die Gläubigen als Adressaten des Kreuzesopfers w a h r 44

Vgl. die entsprechende Position von N M A , zitiert oben unter §2.3.1.3. W A 6, 357, 25. 46 W A 6, 357, 33. 47 W A 6, 358, 6. 48 „[...] szo [..] sollen wir uns gegen der mesz halten, wilch nit anders, dan ein aller reychist ewiges guttes testament ist, von Christo selb uns bescheyden, und also bescheyden, das er keyn andere ursach hatt zu sterben gehabt, dan das er ein solch testament machen mocht, szo heyß begirig ist er gewesen, seyne gu(e)tter ausz zu schu(e)tten [...]." WA 6, 356, 7—11. Die R e d e v o m Tod der göttlichen Person drängt zugleich die Satisfaktionsvorstellung zurück, welche ja vor allem das Sterben der Menschheit Christi hervorhob. 49 N o c h die Argumentation des Abendmahlssermons bewegte sich in dieser Nähe, w e n n sie Gott als den Adressaten des Kreuzesopfers u n d den Menschen als den Adressaten des Sakraments benannnte, vgl. oben §4.2.3.2. 50 W A 6, 372, 1—4: „[...] wirst auch ausz eynem sacrament odder testament gottis n y m m e r m e h r ein opffer oder werck der g n u g t h u u n g machen, szo auch die g n u g t h u u n g a n y h r s e l b s m e h r ein menschlich dan gotlich g e s e t z ist." H e r v o r h e b u n g W.S. Es geht hier also nicht nur u m die satisfactio als drittes M o m e n t der Buße, sondern u m die Vorstellung einer G e n u g t u u n g überhaupt. 51 E. GRÖTZINGER blendet diese christologischen Z u s a m m e n h ä n g e aus, w e n n er, allerdings auffällig vage, formuliert: „Auch wird der Sinn des Todes Jesu wohl kaum hinreichend beschrieben sein, w e n n man in ihm nicht m e h r als die formale Bedingung dafür sieht, dass das Testament C h r i sti in Kraft treten kann." A.a.O., 29. Er verkennt, dass die Pointe dieses Satzes hier nicht in der o h 45

278

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

nimmt. 5 2 Die Ansätze zu einer nicht-satisfaktorischen Wahrnehmung des Todes Christi in dieser Schrift sind also weniger Folge einer unglücklichen Divergenz von Bild- und Sachhälfte, wie sie jedes mehrgliedrige Gleichnis aufweist, sondern resultieren aus einer Emanzipation der Christologie von der klassischen Metaphysik. 53 Der Zusammenhang zwischen fundamentaltheologischer Funktion der Christologie (solus Christus versus philosophische Vorabbestimmungen) und ihrer propitiatorischen Bestimmung (wem gilt das Opfer Christi?) wird hier transparent. Gibt die überkommene Metaphysik den R a h m e n theologischer R e d e vor, dann fuhren Apathieaxiom sowie eine letztlich exkarnatorisch gedachte Vorstellung von der Ewigkeit Gottes zu einer Opfertheologie, welche Gott als den Ewigen und Leidensunfähigen nur als Adressaten des vom Sohn vollzogenen Opfers zu denken erlaubt. Startet die theologische R e d e aber vom Christusgeschehen aus, dann wird Gott gerade in der R o l l e der Opfergabe und mithin der Mensch als eigentlicher Adressat des Kreuzesopfers kenntlich. 54 So lässt sich diese hier erst angedeutete Christologie auch als ein Schritt hin zur fundamentaltheologischen ne Zweifel von Luther vorausgesetzten Begründung der Sündenvergebung im Kreuzesopfer b e steht. Luther geht es hier vielmehr um die Perspektive auf diesen Tod. 5 2 Schon im ,Sermon von der Bereitung zum Sterben' (1519, W A 2, 685—697) begegnet eine Präzisierung des Verhältnisses von Sohn und Vater im Kreuzesgeschehen gegenüber der R ö m e r briefvorlesung. Zwar stellt Luther dort die Verlassenheit des Sohnes und den Z o r n des Vaters deutlich heraus. Aber der entscheidende Gedanke besteht nun darin, dass es eben der Sohn dieses G o t tes ist, der den durch die Sünde evozierten Z o r n trägt. D e r Z o r n Gottes erscheint so als Indikator der Differenz von Sünde und Gott, der durch G o t t selbst überwunden wird. Keinesfalls sind Z o r n und Liebe Gottes einander also gleichgewichtig zugeordnet, so dass die Struktur des Wortes (Gesetz und Evangelium) in Gott selbst hineinverlagert werden könnte. Vielmehr gilt Marc LIENHARDS Zuordnung: „Der Sohn überwindet den Zorn des Vaters. Der Sohn bringt die Liebe des Vaters zum Ausdruck. Gerade indem er den Z o r n des Vaters erträgt, wie er es tut, offenbart Jesus die Liebe Gottes in ihrer ganzen T i e f e . " A.a.O., 84. Damit ist eine Differenz zur traditionellen Satisfaktionslehre im Sinne Anselms angezeigt, insofern hier nicht das Leiden eines schuldlosen (Gott)menschen Verdienste vor Gott verschafft. Die Paradoxie eines von Gott verlassenen Jesus einerseits und der gänzlichen Gegenwart Gottes eben in diesem Leidenden sieht LIENHARD im Zusammenhang mit dem grundsätzlichen simul in Luthers Theologie, a.a.O., 92—96: „So hat das anthropologische ,simuP seinen Ursprung im christologischen ,simul'." A.a.O., 96. Ahnlich urteilt auch U. RIESKEBRAUN, Duellum mirabile, 76, der auf der Grundlage des Gal-Kommentars gegen RITSCHLS R e d e vom „nur .scheinbaren' Z o r n G o t t e s " die „unauflösliche Komplementarität" von Z o r n Gottes und Christusglauben hervorhebt und gegen ALTHAUS den Z o r n Gottes nicht als eine remoto Christo aus einem allgemeinen Gottesbegriff abgeleitete Größe versteht: „ D e r Versuch, Gottes Majestät und seinen Z o r n aus einem theologischen Apriori zu deduzieren, ist für Luther zum Scheitern verurteilt [ . . . ] . " Ebd. 5 3 Erneut zeigt sich hier der Zusammenhang mit der gesetzestheologischen Hinfuhrung am Eingang der Schrift, beruht die Satisfaktionsvorstellung doch gerade auf einer in die Metaphysik katapultierten Vorstellung ökonomischen Ausgleichsdenkens, gehört also auf die Seite der vielen menschlichen Gesetze. Wenn dem das eine Gesetz Christi entgegengestellt wird, so wird damit deutlich, dass sich das Versöhnungsgeschehen in Christus nicht durch herangetragene menschliche Kompensationsmechanismen erfassen lässt, sondern seine Aussagestrukturen aus sich heraus setzt. 5 4 Allerdings soll Luther damit kein Patripassianismus unterstellt werden, gegenüber einer m o dalistischen Vermischung der Personen hält er die Unterscheidung zwischen dem Leiden Gottes in der Person Christi und dem Leiden des Vaters fest, vgl. LIENHARD, a.a.O., 130 zu W A 10 III, 73, 23.

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

279

Explikation des solus Christus begreifen, die in der Ubiquitätslehre ihre spätere Ausformulierung gefunden hat: Die Opfertheologie wird also zum Indikator der Gotteslehre.

1.3.1.3

Testamentsbild und

Realpräsenz

Auch das Verhältnis von Testamentsbild und Realpräsenz ist in diesen Zusammenhang einzuordnen. HILGENFELD55 weist mit R e c h t auf eine Spannung hin: Setzt die Eröffnung des Testaments die Abwesenheit des Testators voraus, so geht es bei der Realpräsenz doch gerade um Christi Anwesenheit. D e r Tod erscheint innerhalb der Testamentsbildes nur als bekräftigende Bestätigung, aus der sich gerade die unwiderrufliche Gewissheit des Erbes ergibt. Wenn Christus also in Brot und Wein gegenwärtig gedacht wird, birgt dies die Möglichkeit einer Revokation der Zusage. Luther selbst, so Hilgenfeld, habe diese Unvereinbarkeit wahrgenommen und seit 1 5 2 3 das Testamentskonzept aufgegeben. 5 6 Dagegen 5 7 ist schon formal darauf zu verweisen, dass Luther auch nach 1 5 2 3 seine Messtheologie im Bild des Testaments formuliert. Sicher bleibt auch dann das Reservoir an Analogien, welches dieses Interpretament bietet, begrenzt. D o c h auch innerhalb dieser Illustrationsmöglichkeiten lässt sich Christus als Subjekt der Handlung bestimmen, so dass von einer Untauglichkeit des Begriffes selbst nicht die R e d e sein kann. 5 8 Z u d e m ist zu beachten, dass Luther nicht von einem vorgegebenen B e g r i f f her seine Messtheologie entfaltet, sondern zur Illustration seiner Einsicht das Testamentsbild heranzieht. D e r TestamentsbegrifFwiO also von v o r n herein metaphorisch und nicht literal verstanden sein, 5 9 Divergenzen sind selbstverständlich. Dies gilt umso mehr, als bei der Realpräsenz Christi das handelnde Subjekt streng g e n o m m e n j a ohne Analogie bleibt, denn die Wahrnehmung der Person Christi als Irdischer und Erhöhter gehört nun einmal zur Eigenart der christologischen Theoriebildung. D i e Inkongruenz liegt daher in der Natur der Sache, j a theologischer R e d e überhaupt. Das Handeln Christi lässt sich so von vornherein Elemente, 95 f. Elemente, 95f: „Ab 1523 — also im Zuge der bewußten Hervorkehrung der Realpräsenz — läßt Luther den TestamentsbegrifFals Deutekategorie ganz fallen, das [sie!] ist eine deutliche Bestätigung dafür, dass der Begriff und seine Explikation zur Darlegung einer Abendmahlskonzeption, die an der Realpräsenz festhält, untauglich ist." A.a.O., 95. 5 7 O h n e ihn namentlich zu nennen, übt auch GRÖTZINGER, a.a.O., 30, Kritik an Hilgenfelds Verständnis des Testamentsbegriffes bei Luther. 5 8 So versteht GRÖTZINGER, a.a.O., 29 die Metapher des Testaments gerade als Verdeutlichung der geheimen Subjektfunktion Christi im Mahlgeschehen: W i e der Testator selbst durch den N o tar sein Testament vollstrecken lasse, so handle auch Christus durch den Amtsträger. GRÖTZINGER sieht so gerade die verwaltende und nicht eigenständige R o l l e des Amtsträger hervorgehoben. Dabei fällt der Zusammenhang mit dem Verständnis der Beziehung Zeichen — Wort auf: Wenn auch das Zeichen Verheißungsträger ist, dann kann über seine Qualifikation als Leib und Blut Christi die Gegenwart Christi deutlicher zum Ausdruck kommen als bei einer reduzierten Wahrnehmung des Zeichens als bloßer Tribut an die menschliche Sinnengebundenheit, der theologisch dann ohne selbstständigen Belang bleibt. 5 9 Vgl. auch GRÖTZINGER, a.a.O., 29. 55 56

280

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

nur in Analogie zu menschlichen Wirklichkeitsvollzügen aussagen. Seine Bezeichnung als „Subjekt" ist als uneigentlich R e d e zu verstehen, welche die Sackgasse einer apophatischen Theologie zu vermeiden sucht. 1.3.2

1.3.2.1

Die Aktualisierung nach außen: Kritik an den Missbräuchen (destruktiver Aspekt) Theologie des Wortes und Communio-Dimension

des Sakramentes

als Argumentationsbasis Dieser inneren Ausdifferenzierung korrespondiert nun eine Konfrontation mit der vorfindlichen Praxis. Luther k o m m t zu einem harten Urteil: In der Praxis bleibt die Messe in Missbräuchen gefangen, die aus einem theoretischen Manko herzuleiten sind. 60 Im Einzelnen erhebt er den Vorwurf eines dreifachen Missbrauches der Messe. Der erste besteht im Verlust ihres Hauptgutes, konkret im Ausfall der Testamentsgabe durch die Geheimhaltung der Einsetzungsworte. Zugleich verdunkelt dieser Verlust die Einsicht, dass die Messe allein im Glauben zu empfangen sei. 61 Wieder geht Luther also von einer Korrespondenz von Praxis und Lehre aus. 62 Das Verschweigen ist für ihn nicht nur Versäumnis, sondern auch Ausdruck einer grundsätzlich irrigen Theologie u n d insofern Indikator tiefer liegender Ubelstände. Seine Argumentation folgt nun den im ersten Teil der Schrift erhobenen messtheologischen Grundsätzen: Die Verheißung, aus Wort (Testament) und Zeichen (Sakrament) bestehend, will zur Sprache kommen, denn Gott handelt durch sein Wort am Menschen. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer öffentlichen und verständlichen Rezitation der Einsetzungsworte. Sie dürfen nicht nur dem Klerus vorbehalten werden, sondern sind auch den Laien in der Volkssprache mitzuteilen. Hier werden zwei Implikate der Worttheologie sichtbar. Einmal ihre gemeinschaftsstiftend-dialogische Dimension, denn zur mit dem Wortgeschehen zugleich gesetzten Kommunikation gehören mindestens zwei Größen. Das Evangelium teilt sich kommunikativ mit und schafft per se eine Öffentlichkeit. Z u m zweiten zeigt sich die antihierarchisch-egalisierende Dimension der Worttheologie, insofern das Amt, nun seines geheimen Spezialwissens beraubt, vom Besitzer des Wortes zu seinem Diener geworden ist. 63 Erneut 6 4 nimmt Luther die im Abendmahls60

Luther fuhrt also mit ISERLOH die missbräuchliche Praxis auf ein theologisches M a n k o zurück. Anders als dieser erblickt Luther das M a n k o aber nicht im Fehlen einer Messtheologie, sondern in der falschen Messtheologie. 61 W A 6, 364, 3f. 62 Vgl. WA 6, 362, 14f: „ Z u m ersten haben sie uns disze wort des testaments vorporgen, und geleret, man sol sie den leyen nit sagen, es seyen heymliche wort, allein in der messe von d e m priester zu sprechen." H e r v o r h e b u n g W.S. 63 Vgl. auch W A 6, 367, 3 4 - 3 7 . 64 Die wiederholte Behandlung des Communio-Themas in den Messschriften auch nach 1519 lässt es m . E . nicht geraten sein, von einem „Wandel" in der Position Luthers zu sprechen. Anders A . PETERS, K o m m e n t a r , 4, 3 5 .

§5

Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-i522)

281

sermon so ausfuhrlich dargelegte Communio-Dimension des Sakramentes auf, indem er auf die im Sakrament konstituierte, jenseits mitgebrachter Rangordnungen und Differenzen liegende Einheit der Christen hinweist. 65 Genau diese klassenlose Einheit aller Christen „priester und leyen, mann und weyben, j u n g und allt" 66 würde ja durch eine Hierarchisierung des Wissens zerstört, indem nun nicht nur die Differenzen und Hierarchien der Weltrelationen in das Sakramentsgeschehen Eingang fänden, sondern im Sakrament der Einheit selbst die Gottesrelation schon immer hierarchisch in Wissende und Unwissende unterschieden gedacht würde. Die CommMMi'o-Dimension des Sakraments wird aus dieser Perspektive zum kritischen Argument gegen ein Weihepriestertum. Wenn aber das Evangelium durch das Verheißungswort zuteil wird, so liegt es auf der Hand, dass eine aus Sicht der Worttheologie derart depravierte Messtheologie nicht Trost, sondern Furcht für die Gläubigen bereithält. 67 So wird die gegenwärtige Auffassung von der Messe gewissermaßen zur Gegenprobe auf die Soteriologie Luthers.

1.3.2.2

Die Überbewertung des Zeichens

Luthers sakramentstheologische Grundbestimmung einer in Wort und Zeichen mitgeteilten Verheißung erlaubt nun eine Analyse der theologischen Vorstellungen, die jenen Missbräuchen zu Grunde liegen. Die seit dem Abendmahlssermon gültige sakramentstheologische Trias Wort — Zeichen — Glaube wird also zum diagnostischen Instrumentarium der Messtheologie. Kann für Luther das Wort wohl ohne das Zeichen, nie aber das Zeichen ohne das Wort sein, so erscheint ihm die herkömmliche Verhältnisbestimmung als eine U m k e h r u n g dieses Zusammenhanges, weil das Sakrament ohne das Testament gehandelt wird. 6 8 Z u beachten ist hierbei, dass Luther bei aller Kritik an einer Fixiertheit auf die Elemente auch jetzt nicht das Wort gegen das Zeichen ausspielt oder Zeichen und Verheißung trennt. Es geht ihm innerhalb des Zusammenhangs von Zeichen und Wort u m die Unverzichtbarkeit des Verheißungswortes. Diese stärkt er gegen ein Sakramentsverständnis, welches ganz auf das Zeichen fixiert bleibt und das Zeichen durch Verschweigen des Wortes verselbstständigt, damit seines externen Verheißungscharakters, ja seiner Sprachfähigkeit überhaupt entkleidet und es schließlich in die Verfügbarkeit des Menschen übergibt. 6 9 So wird deutlich, dass Luthers Kritik an der Kanonstille 65

Z u g l e i c h wird hier die eschatologische A u s r i c h t u n g des Mahles kenntlich, d e n n a u c h d e n Auferstehungsleib der C h r i s t e n sieht L u t h e r nicht in Kontinuität zu seinem gesellschaftlichen Status. Vgl. etwa seine Predigt ü b e r 1 K o r 15 aus d e m Jahre 1532, W A 36, 634, 8: „bauer n o n erit bauer, princeps n o n princeps, praedicator n o n praedicator et tarnen h o m o . " 66 W A 6, 362, 24f. 67 W A 6, 362, 20f. 68 W A 6, 363, 24. 69 Es besteht ein Z u s a m m e n h a n g zwischen einer isolierten Zentralstellung des Z e i c h e n s auf Kosten des Wortes u n d d e m E i n z u g der m e n s c h l i c h e n A k t i o n s m ö g l i c h k e i t e n in die W a h r n e h m u n g des sakramentalen Geschehens. Dieses G e s c h e h e n b e s t i m m t L u t h e r als Selbstmitteilung Christi i m M o d u s des Verheißungswortes. E. JÜNGEL, Kirche, 439 f o r m u l i e r t dies f o l g e n d e r m a ßen: „ D i e R e l a t i o n solo v e r b o — sola fide w a h r t d e n C h a r a k t e r des Sakramentes als einer göttli-

282

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

tiefer zielt als auf einen liturgischen fauxpas. Es geht um nichts weniger als die U n kenntnis des Wesens der Messe überhaupt, welches Luther als Verheißung der Sündenvergebung bestimmt. 7 0 Die in den Messpredigten und -auslegungen vielfach behandelten und bis ins Kuriose gesteigerten Vorstellungen von den Früchten der Messe marginalisiert Luther gegenüber der einen Frucht der Sündenvergebung, er schenkt ihnen aber keine größere Beachtung. 7 1 Der zweite Missbrauch besteht für Luther in dem Missverständnis der Messe als eines menschlichen Werkes an Gott. Auch dies sieh er als Folge der Fehlbestimmung von Wort und Zeichen. Denn wenn das Verheißungswort nicht zur Sprache kommt, dann kann es auch keinen Glauben wirken. Ohne den Glauben aber konstruiere der Mensch sich ein werkreguliertes Gottesverhältnis, innerhalb dessen die Messe nur noch als gutes Werk an Gott erscheine. 72 So bilden die Wortgewiesenheit des Zeichens, der Testamentscharakter und die Messe als im Glauben empfangenes Evangelium und nicht als Gesetz einen durchgängigen Zusammenhang in

chen Handlung und bewahrt es vor seinem Mißverständnis und Mißbrauch als einem menschlichen Werk. D i e These ,sacramenta non implentur, dum fiunt, sed dum creduntur' [...] und die damit verbundene — und nur in dieser Verbindung überhaupt sinnvolle — Polemik gegen die scholastische Behauptung, die Sakramente wirkten ex opere operato, hat bei Luther keine andere B e deutung als sicherzustellen, daß das Sakrament als Gottes Handeln am Menschen verstanden und gefeiert wird und nicht zu einer Behandlung Gottes durch den Menschen in Gestalt eines frommen W e r kes pervertiert wird." M . STUFLESSER, M e m o r i a passionis, 2 7 3 , formuliert, freilich unter liturgiewissenschaftlicher Zielsetzung, als die „zentrale Frage": „Kann in den Darbringungsaussagen so von den Gaben gesprochen werden, daß deutlich wird, daß sie Zeichen der Lebenshingabe Jesu und der Hingabebereitschaft der Gemeinde sind? U n d kann dies so in Worte gefaßt werden, daß dabei weder das Mißverständnis des Speiseopfers genährt wird, noch der Eindruck entsteht, die Kirche opfere Christus in j e d e r eucharistischen Feier aufs neue?" Diese Sätze verschieben m . E . die Fragestellung. Denn bei Luther erscheint das Zeichen als Träger der Verheißung. Es richtet sich damit an den Menschen, dem es Sündenvergebung und Gottesgemeinschaft bedeutet. Als solches ist es nur im Glauben wahrnehmbar. Insofern die Sündenvergebung eine Frucht des Kreuzesgeschehens ist, bringt es - bestenfalls mittelbar - auch Jesu Lebenshingabe zum Ausdruck. Keinesfalls aber ist es zugleich auch ein Zeichen menschlicher Hingabebereitschaft, denn dann würde mit der Adressatenrolle des Menschen auch die prinzipielle Unterscheidung von göttlicher und menschlicher A k tivität im Sakrament aufgegeben. Die von Stuflesser als zentral bezeichente Fragestellung ist also Ausdruck eines vorgängig bestimmten Zeichenverständnisses. 7 0 Vgl. E . GRÖTZINGER, a.a.O., 3 1 f , der nicht die Kanonstille sondern die gezielte Unkenntnis des Verheißungswortes als Angriffspunkt von Luthers Kritik benennt: „ D e r fundamentale . M i ß brauch' der Messe, den Luther hier anprangert, besteht nicht darin, dass die Laien die Konsekrationsworte bei der Feier nicht hören können, sondern dass sie diese überhaupt nicht wissen dürfen [ . . . ] . " A.a.O., 32. Das Anliegen, die Messtexte allgemein verständlich zu machen, ergibt sich zwar aus Luthers Theologie, setzt diese aber nicht voraus. Auch die Nürnberger Ausgabe von N M A bot die verhaja auf deutsch. Luther steht hier also in Kontinuität mit dem Spätmittelalter. 7 1 Ausfuhrlicher referiert er diese Vorstellungen W A 6, 3 7 5 , 5—29. 7 2 Hier zeigt sich sehr deutlich der Sinn der „Vorordnung" des Wortes vor das Zeichen bei Luther. Weil nur das Wort allein die Verheißung eindeutig tragen kann und damit die Handlungsrichtung festlegt, fuhrt eine Verselbstständigung des an sich sprachlosen Zeichens zu einer irrigen Sakramentstheologie, die der menschlichen Selbstrechtfertigung eine offene Flanke bietet. Das ändert aber nichts daran, dass das Zeichen, bleibt es mit dem Wort verbunden, als Träger der Verheißung firmiert.

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(t520-i522)

283

Luthers Messtheologie. 7 3 Und ebenso wie die messtheologische Basistrias Verheißung — Zeichen - Glaube nicht nur die persönliche Gottesrelation sondern auch die Sozialität des Menschen berührte, so ergeben sich die Fehlgestalten der Sozialität auch aus der Verletzung dieses dreistelligen Zusammenhangs. So werde die G e meinschaft in Gebet und Gütern nicht als Folge des empfangenden Glaubens b e griffen, sondern als selbstmächtige Verfugung über die Messe, die sich in einer gegenseitigen Zuwendung von Messen konkretisiere. Luther nimmt hier abermals die Communio — Dimension des Abendmahlssermons auf und stellt den Zusammenhang von Sakrament und Gemeinschaft heraus. Nicht die Gemeinschaft verfüge über das Sakrament, sondern das Sakrament schaffe allererst Gemeinschaft, indem es vom Einzelnen im Glauben empfangen werde. 74 Diesen Empfang im Glauben identifiziert er gerade nicht mit einem solipsistischen Selbstabschluss. Sakrament und Testament werden in Gemeinschaft empfangen, die Versammelten beten zusammen um den Glauben. 7 5 Aber diese Gemeinschaft bleibt stets empfangende Gemeinschaft, und verfugt nicht über die Messe. Das persönliche pro me begründet sich also nicht aus einem Heilsindividualismus, sondern aus dem durchgehaltenen Empfangscharakter und einer Absage an alle Versuche, sich des auf den Menschen zukommenden Heilszuspruches selbst zu bemächtigen: Gerade weil die Messe Gottes Werk am Menschen ist, lässt sie sich nicht vom Menschen Dritten applizieren, denn dann wäre nicht mehr Gott, sondern der Mensch Subjekt des Heilsgeschehens. 76 Luther formuliert zuspitzend: „Dan welch vornunfft mags ley-

7 3 W A 6, 3 6 4 , 16—21: „ N u meynn ich, szo wir die vorigen ding recht vorstandenn habenn, das die mesz nit anders sey, den eyn testament und sacrament, darynnen sich gott vorspricht gegen uns unnd gibt gnad und barmhertzickeit, szo wirt sichs nit fugen, das wir ein gutt werck odder vordienst sollten drausz machen, den ein testament ist nit beneficium acceptum, sed datum, es nympt nit wohlthat von uns, szondern bringt uns wolthat." 7 4 In der spätmittelalterlichen Messe kam vor allem in der PAX die Sozialität zur Darstellung. D e r Friedenskuss avancierte hier zum Ersatz der K o m m u n i o n , vgl. J. BOSSY, mass, 54; J. A. JUNGMANN, M S 2, 3 9 4 f . Virginia REINBURG, Liturgy, 5 3 9 , hebt dabei nicht nur die friedensstiftende Funktion des Ritus hervor, sondern stellt auch heraus, dass durch die Festlegung einer R e i h e n f o l ge, in welcher das Osculatorium zu küssen war, die soziale Hierarchie befestigt wurde: Zunächst küsste der Priester den Altar, dann das Osculatorium. D e r Akolyth trug letzteres dann durch die Gemeinde, welche in der Reihenfolge ihrer sozialen Stellung küssen durfte. Gerade deshalb k o n terkarierte dieses liturgische Element mehr und mehr seine Funktion und gab Anlass zu R a n g streitigkeiten, vgl. BOSSY, mass, 56. Wenn für Luther die Gemeinschaft Folge und nicht Voraussetzung des Sakramentes ist, wird also noch einmal ein Kritikpotenzial gegenüber der mitgebrachten Sozialität bereitgestellt. Die Gemeinschaft Christi wird erst durch das Wort geschaffen und nicht schon mit vorfmdlichen, sichtbaren Gruppen identifiziert. Luther löst also nicht die CommunioDimension des Sakramentes in einen spiritualistischen Individualismus auf, sondern versteht die Gemeinschaft als Konstitut des Wortgeschehens. Dieses Konzept weist nicht nur eine hohe Sensibilität für die Selbstgefährdungen und Vergesetzlichungen der mitgebrachten Gruppenverständnisse auf, sondern vermag auch Person und Gemeinschaft so einander zuzuordnen, dass weder die Personalität sich zum blanken Egoismus verhärtet und so ihrer Sozialität verlustig geht noch die Gemeinschaft zu einer gesichtslosen Masse mutiert und damit die Personalität der Einzelnen preisgibt. 7 5 W A 6, 3 6 4 , 3 2 - 3 4 . 76 [...] eyn yglicher sein szo vill nympt und empfehet für sich allein, szo vil er glaubt und trawet, gleych als ich für niemant, auch niemant zu gutt magk das sacrament der tauff, der pusz, der

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Zweiter Teil: Genese und Gestalt

den, das der solt heyssen ein gut werck für eynem andern thun, der do her kumpt, gleich den andern, als ein du(e)rftiger und holet für sich selb die wort und das zeychen gottis f...]?" 77 Dabei kann er durchaus von den „Werken der Messe" reden, die er im Gebet um den Glauben und der Sammlung von Nahrungsmitteln für die Armen konkretisiert sieht. 78 Aber diese Werke sind nicht das Hauptgut der Messe, betreffen nicht ihr Wesen als ein Sakrament, sondern sind als Gabe an Gott bzw. die Nächsten „ein ander dingk". 7 9 1.4

Der „fast ergist" Missbrauch:

Die Messe als Opfer

Eine zweite Folge, die sich aus dem Verlust des Hauptgutes der Messe ergibt, besteht neben dem Verständnis der Messe als Werk in ihrer Qualifikation als Opfer. Die Verbindung beider in der Wendung „Werk und Opfer" fand Luther bereits vor. 80 Eine für die Gewichtung seiner Messopfertheologie bedeutsame Frage besteht in der Zuordnung beider Begriffe: Meint Luther beide Male dasselbe oder gibt es eine dem Werk gegenüber eigenständige Bedeutung des Opferinterpretaments? Natürlich geht es hier nicht um eine absolute Abgrenzung, der Zusammenhang der beiden Topoi wird von Luther ja oft genug thematisiert. Wohl aber trägt diese Beobachtung etwas aus für die von WISLQFF und VAJTA unterschiedlich beantwortete Frage nach der Selbstständigkeit der Messopferkritik gegenüber der Kritik der Messe als Werk. Während VAJTA beide Begriffe in eins setzt, 8 ' differenziert WISL0FF: Die Messe als Werk kennzeichne die Absicht, mit ihr Gottes Gnade zu verdienen, die Messe als Opfer begreife hingegen das Sakramentsgeschehen als die Darbringung der Gabe Leib und Blut Christi an den Vater. 82 Infrage steht also der Zusammenhang zwischen Soteriologie, Christologie und Sakramentstheologie bei Luther. Meint Luther mit Opfer und Werk dasselbe, so erscheint seine Messopferkritik allein als Folge der Soteriologie. Die Auseinandersetzung hätte sich dann auf das Verhältnis von Glauben und Werken in der Rechtfertigungslehre im engeren Sinne 83 zu konzentrieren. Besitzt die Opferqualifikation aber auch eio(e)lung e m p f a h e n o d d e r geben, s o n d e r n ich n y m f ü r m i c h allein die wolthat d a r y n n e n von gott, u n d ist hie nit officium, sed b e n e f i c i u m , keyn werck o d d e r dienst, s o n d e r n allein geniesz u n d gewinst, also m a g a u c h n i e m a n t f ü r d e n a n d e r n mesz halten o d e r ho(e)ren, s o n d e r n ein yglicher f ü r sich selb allein, dan es ist da lauter geniesz u n d n e h m e n . " W A 6, 365, 6—13. 77 W A 6, 365, 1 7 - 1 9 . 78 W A 6, 365, 1—3. D a b e i ist auf Luthers unterschiedliche V e r w e n d u n g des Werkbegriffes zu achten. Einmal k a n n er W e r k i m eigentlichen Sinne m e i n e n , d a n n geht es u m die A k z e n t u i e r u n g der soteriologischen Irrelevanz m e n s c h l i c h e n H a n d e l n s gegen G o t t . In diesem Sinne ist das W e r k G e g e n s t ü c k z u m G l a u b e n . Z u m a n d e r e n k a n n er a u c h — etwa w i e i m W e r k s e r m o n — von d e m G l a u b e n als W e r k sprechen, d a n n g e b r a u c h t er d e n Begriff uneigentlich u n d m e i n t menschliches Verhalten o d e r R e a g i e r e n ü b e r h a u p t . 79 W A 6, 365, 5. 8(1 So spricht N M A 134, 10 von der Messe als „ o p p f e r u n d gut w e r c k " . 81 A.a.O., 105. 82 A.a.O., 58, A n m . 19. 83 In A n b e t r a c h t der kriteriologischen F u n k t i o n der R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e lässt sich natürlich j e d e r theologische Sachverhalt in diesem Sprachspiel r e f o r m u l i e r e n .

§ 5 Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

285

nen theologischen Eigenwert, so ist zudem nach den sakramentstheologischen und christologischen Voraussetzungen zu fragen, insbesondere die Versöhnungslehre beansprucht dann als mögliches M o t i v der Kritik Luthers eigene A u f m e r k samkeit. D i e hier gewählte zweite O p t i o n rechtfertigen schon methodische G r ü n de, denn eine vorgängige Identifikation der beiden Sachverhalte „ O p f e r " und „ W e r k " verhinderte von vornherein eine mögliche differenziertere W a h r n e h m u n g der Messopfertheologie. Z u d e m behandelt Luther selbst beide M o t i v e j a eigenständig. In diesen Z u s a m m e n h a n g ist zunächst der O p f e r b e g r i f f Luthers zu klären, zumal Eberhard GRÖTZINGER hier nicht weniger als die Wurzel des Abendmahlsstreites zwischen Luther und Zwingli freigelegt sieht. E r geht davon aus, dass Zwingli unter „ o p f e r n " stets das T ö t e n der G a b e zum Z w e c k e der Sühne verstand, 8 4 L u ther aber „ o p f e r n " mit „ g e b e n " gleichsetzte. 8 5 W e n n sich diese idealtypische U n terscheidung auch nicht für alle Belegstellen verifizieren lässt, 86 so illustriert sie doch, dass die gemeinsame Ablehnung einer Position n o c h nicht Einverständnis in der Sache bedeuten muss. GRÖTZINGER kommt zu dem Ergebnis, dass als eine Konsequenz aus Zwingiis enger gefasstem Opferbegriff die Opferqualifikation Jesu Kreuzestod vorbehalten bleibt. Das Konzept einer Messe als Sühnopfer scheidet dann aus zwei Gründen aus: Einmal weil in der Messe niemand getötet wird (defmitorisches Argument), zum anderen, weil sich gemäß dem Eqjotjiai; das Sühnegeschehen exklusiv am Kreuz und durch Christus vollzog (christologisches Argument). Zwingiis Kritik am Messopfer lässt sich aus heutiger Sicht relativieren, denn die (spät)mittelalterlichen Messopferkonzepte arbeiteten ja durchgängig mit einem Opferbegriff, der sich durch das Moment der Darbringung und nicht erst durch den Tod der Opfergabe konstituierte. Das erste Argument verfängt also nicht, da es auf einer schlichten Äquivokation basiert. Bei der Beurteilung des christologischen Arguments ist 84

Als Belegstelle dient Zwingiis Auslegung des 18.Artikels seiner Schlussreden in .Auslegen

und G r ü n d e der Schlussreden', Z 2, 118, 3—12: „Das wordt ,opfren', der gstalt wir es von C h r i s t o hie b r u c h e n d , heißt den H e b r e i e r n zaba (l"DT), das ist als viel als: getödt, darumb, das die hostien für die sünd getötdt wurdend, und ward die sünd nit o n blut vergeben Hebr. 9 [...] D i e G r i e c h e n n e n n e n d das, so wir opfren heyssen, thyein (0i3u>), heißt o u c h : töden [...] D i e Latiner sacrificare, mactare, heisset derglychen. [...] A b e r unser w o r t .opfren' heißt by uns nit töden, sunder: schencken, eeren ( = verehren), m i e t e n ( = g e b e n ) . " Vgl. auch Z 2, 1 1 7 , 10—17. 85

A . a . O . , 4 1 , insbesondere A n m . 1 9 1 . Z u den von GRÖTZINGER beigebrachten Belegstellen

vgl. o b e n § 2 . 3 . 1 . 86

S o kritisiert GRÖTZINGER, a.a.O., 1 4 2 , A n m . 1 1 3 , C.F. WISLOFF, a.a.O., 9 5 , weil dieser die

Verknüpfung von O p f e r und T o d auch für L u t h e r behauptet. Grötzinger muss indes zugestehen, dass L u t h e r b e i m Kreuzesopfer und dessen Aktualisierung i m „geistlichen O p f e r " der Gläubigen durchaus das T ö t e n der G a b e als Charakteristikum des Opfers thematisiert. D i e Differenz z w i schen Luthers und Zwingiis O p f e r b e g r i f f s t e l l t sich also nicht so glasklar dar, w i e dies zunächst e r scheinen mag. Ausführlich thematisiert Luther den Z u s a m m e n h a n g zwischen O p f e r und T ö t e n in der von Grötzinger nur in A n m e r k u n g e n zitierten Schrift , V o m Missbrauch der M e s s e ' , W A 8, 4 9 2 , 21—39. Allerdings ist auch m i r gerade angesichts der a u f den folgenden Seiten abgedruckten L u t h e r - Z i t a t e nicht einsichtig, w i e C . E WISLOFF, ebd., zu seiner B e h a u p t u n g k o m m t , Luthers Satz „ D e n n was geopffert wird, das mus getödtet w e r d e n " ( W A 17 II, 8, 4) besitze allgemeine

Gel-

tung für seine Verwendung des Opferbegriffes. L u t h e r spricht eindeutig auch dort v o m „ O p f e r " , wo nicht getötet wird. O b W i s l o f f h i e r vereinfacht, u m sein G e g e n ü b e r von r ö m i s c h e m und ref o r m a t o r i s c h e m O p f e r b e g r i f f zu plausibilisieren?

286

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

indes eine Näherbestimmung erforderlich: Wenn der Fall Aktant Priester -

Opfergabe

Hostie — Adressat Vater mitursächlich in das Sühnegeschehen einbezogen wird, dann trifft die Kritik Zwingiis dieses Konzept. Bestimmt sich aber die Sühnewirkung der Messe aus dem in ihr Platz greifenden Kreuzesopfer, dann kann auch Zwingiis zweite Bedingung eingehalten werden. D e r Verständigungsweg ist hier also klar zu erkennen, er liegt in der Prüfung derjenigen Vorstellungen, welche die Gegenwart des Kreuzesopfers im Messgeschehen formulieren können, der repraesentatio

und der memoria.

D i e durch die T ö t u n g

mitgesetzte Sühnekonnotation ermöglicht dann ein schnelles Einverständnis bei der Q u a lifikation der Messe als Dankopfer. Anders verhält es sich bei Luther. D e n n seine Terminologie, die unter „ O p f e r " eine G a be an Gott versteht, kennzeichnet in der Tat das, was die (spät)mittelalterlichen Quellen unter dem „Messopfer" verstanden. Seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die ohnehin kaum vertretene Behauptung, das Kreuzesopfer würde faktisch wiederholt; und ihr ist nicht schon dann begegnet, wenn die Sühnewirkung der Messe aus der Gegenwart des G e kreuzigten abgeleitet wird. 8 7 Sie kritisiert vielmehr die Auffassung, die Messe sei ein auf Gott gerichtetes Handeln des Menschen und stellt so die Frage nach Subjekt und Adressaten der Messhandlung. Luthers Kritik am herkömmlichen Messopfer speist sich damit deutlich aus den oben erhobenen Grundstrukturen seiner Sakramentstheologie, welche den Menschen nicht als handelndes Subjekt, sondern stets als Adressaten des Sakraments wahrnimmt. Dieser Unterschied in der Messopferkritik fügt sich dann in der Tat gut zu den im späteren Abendmahlsstreit entscheidenden christologischen Differenzen zwischen beiden R e formatoren. D e n n Zwingiis Anliegen besteht hier darin, den Unterschied zwischen C h r i sti Versöhnungshandeln im Kreuzesopfer und den menschlichen Möglichkeiten festzuhalten: D i e Messe ist menschliche Unternehmung, weil die menschliche Aktivität nicht vergöttlicht werden soll. Dieses christologisch motivierte Interesse an einer Distanz zwischen Gott und M e n s c h 8 8 motiviert also die Behauptung, der Mensch sei das Subjekt des Messgeschehens. 8 9 Luther indes lehnt gewiss die Relevanz menschlicher Aktivität für das Heil 8 7 Vgl. E. GRÖTZINGER, a.a.O., 63: „Luthers Argumentation gegen die Auffassung, die Messe sei ein Opfer, setzt aber noch grundsätzlicher an: Sie gilt auch dann, wenn das Opfer der Messe so definiert wird, daß die Würde des am Kreuz erbrachten Opfers Christi gewahrt bleibt, wenn etwa die Einheit von Meßopfer und Kreuzesopfer postuliert und der Messe propitiatorische Wirkung nur auf Grund dieser Einheit zugeschrieben wird. Auch ein so verstandenes Opfer ist eine Gabe, die Gott dargebracht wird, wenn auch nicht von der Kirche allein, sondern von dem durch die Kirche handelnden Christus, dem sacerdos principalis." 8 8 U. GÄBLER, Huldrych Zwingli, 69, urteilt über die gerade für Zwingiis Ablehnung des Messopfers zentrale Schrift .Auslegung und Gründe der Schlussreden': „Die gesamte Wirklichkeit durchzieht ein scharfer Gegensatz zwischen Gott und Kreatur, der auch durch die Menschwerdung Christi nicht aufgehoben ist. Diese steht im Zeichen der Versöhnung Gottes (Satisfaktionslehre)." Es liegt also nahe, dass die christologische Option für eine Trennung der Naturen auch die Einheit von Vater und Sohn im Kreuzesgeschehen zurückstellen wird und folglich eine Affinität zu einer satisfaktorischen Interpretation des Kreuzes besitzt. Die Präsenz Christi in der Messe kommt dann nicht als verwechselbare Selbstvergegenwärtigung Gottes inmitten der Welt (Zeichen) zum Ausdruck, sondern als Hinwendung der Sakramentsteilnehmer auf das Kreuzesopfer im Geist (und gerade nicht im Fleisch). Es ist daher bezeichnend, dass sich die Belege fiir eine satisfaktorische Wahrnehmung des Kreuzesopfers dort häufen, wo Zwingli die sakramentale Gegenwart Christi als geistig beschreibt, vgl. Z 2, 142ff. Die Messopferkritik Zwingiis liegt nicht im Rahmen unserer Fragestellung. Seine Position kommt daher nur dort zur Sprache, wo sie im Zusammenhang der Lutherrezeption begegnet. Vgl. dazu die Ausfuhrungen zu Andreas KELLER unter §10.3.2. 8 9 ZWINGLI begründet die Identifikation von Tod und Opfer aus Hebr 9, 24—26, wo das Einge-

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

287

(1520-1522)

ab, sein Bestreben liegt aber darin, die tatsächliche Zuwendung Gottes zum Menschen und das R e c h t des Glaubens, Gottes Nähe im Verheißungswort zu erwarten, festzuhalten. Dies nötigt ihn dazu, Gott als den im Sakrament Handelnden zu bestimmen. - Z u fragen bleibt, inwiefern beide Positionen nicht in Analogie zur christologischen Lehrbildung als k o m plementär verstanden werden können. D e n n bei allem B e m ü h e n , eine Kreaturvergötterung zu vermeiden, steht die Zwinglische Position doch unter dem Verdacht, durch die Bestimmung des „rein Menschlichen" via negationis doch mehr über Gott zu sagen als das diese auf den ersten Blick „bescheidenere" Position vermuten lässt. Hier besteht ein Z u sammenhang zwischen einer „Trennungschristologie" und dem Zutrauen zu den vom Gekreuzigten unbehelligten Möglichkeiten theologischer Rationalität, wie sie sich in Zwingiis Affinität zum Humanismus artikuliert. Umgekehrt kann Luther zwar durch sein Konzept der Subkontrarizität die Inkarnation und das Kreuz fester verbinden, doch steht seine Konzentration auf das Handeln Gottes im Sakrament vor dem Problem, dass sie, bei allem B e m ü h e n , die Inkarnation als Vorgabe der Messtheologie ernstzunehmen, die Messe nicht auch als eine menschliche Unternehmung würdigen kann. D i e Aktivität der G e meinde erscheint stets als Paradoxon, insofern sie sich als Sich-Gefallen-Lassen des Gotteshandelns bestimmt. Damit droht sie aber zu verdunkeln, dass die verba formal einen Handlungsauftrag an die Gemeinde darstellen („Solches tut . . . " ) . 9 0 L u t h e r s K r i t i k an d e r v o r f i n d l i c h e n M e s s o p f e r q u a l i f i k a t i o n tritt i m f o l g e n d e n , die R e f l e x i o n e i n l e i t e n d e m Satz h e r v o r : Derhalben die weyl nu fast alle weit auß der messe hatt ein opffer gemacht, das sie got opffern, wilchs antzweyffel der dritte fast der ergist mißprauch ist, ßo muessen wir hie weyßlich unterscheydt haben, was wir hie opffern oder nit opffern. 9 1 H i e r finden sich bereits die e n t s c h e i d e n d e n I n h a l t e s e i n e r P o s i t i o n : D i e O p f e r q u a l i i i k a t i o n d e r M e s s e e r f o l g t e n a c h t r ä g l i c h , ihr G r u n d p r o b l e m b e s t e h t in d e r V e r k e h r u n g v o n G o t t e s G a b e in m e n s c h l i c h e L e i s t u n g v o r G o t t , d e n n o c h g i b t es a b e r e i n e l e g i t i m e R e d e v o m M e s s o p f e r . D i e s gilt es i m F o l g e n d e n zu e n t f a l t e n .

1.4.1

Die sozialethische

Bestimmung

des Opferbegriffes

als Folge

des

Testaments-

konzeptes L u t h e r w o l l t e z e i g e n : D i e M e s s e 9 2 ist zuallererst T e s t a m e n t C h r i s t i , die Z u s a g e d e r S ü n d e n v e r g e b u n g an seine E r b e n u n d d a m i t die Z u e i g n u n g des e w i g e n L e b e n s . hen des Gekreuzigten in den Himmel und seine dortige Gegenwart vor Gott für uns thematisiert wird, vgl. Z 2, 117, 10—20. Auch R o m 6, 9 kann die Argumentation stützen: „Wenn C h r i s t u s stirbt, wenn C h r i s t u s sein blu(o)t vergüßt, das er denn sich selbs opfret. Nun stirbt er nümmen Ro.6; so würt er ouch nümmen ufFgeopfret [...]." Z 2, 130, 33—131, 1. 9 0 Vgl. zum Ganzen GRÖTZINGER, a.a.O., 6 1 - 6 5 . 9 1 WA 6, 365, 2 3 - 2 6 . 9 2 An dieser Stelle ist auf eine Doppelkonnotation des MessbegrifFes bei Luther hinzuweisen. Er versteht unter „Messe" einmal im formalen Sinne den gesamten Gottesdienst, in den auch die Werke und Opfer der Gläubigen einbezogen sind. Zum anderen bezeichnet der Begriff aber auch das Wesen der Messe als ein Testament, als Verheißung und Zusage des Evangeliums vor allen Werken des Menschen. Luther kann also zugleich von den Werken der Messe (nämlich wenn es um den gesamten Gottesdienst geht) und dem Missbrauch der Messe als Werk (nämlich wenn es um das Wesen, das „Hauptstück" geht) sprechen. Vgl. dazu V. VAJTA, Reformation und Gottesdienst, 1 4 0 ; R . MESSNER, M e ß r e f o r m , 163.

288

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

I m m e r w i e d e r b e n e n n t er als Gegenposition zu seinem Testamentskonzept das Verständnis der Messe als Opfer. Dies nötigt dazu, herauszuarbeiten, inwiefern d e n n diese Opfervorstellung mit d e m Testamentskonzept in Spannung steht. Welche K o n n o t a t i o n e n des in sich ja vielfältig difFerenzierbaren Opferbegriffes f u h r e n Luther zu dieser Einschätzung, welche sind w o m ö g l i c h mit d e m Testamentskonzept vereinbar? i.4.t.i

Die Grundstruktur

des sozialethisch verstandenen

Messopfers

Luther weist zunächst nach, dass die Messe nicht von A n f a n g als O p f e r galt. 93 Dies ist notwendiger Bestandteil der Argumentation. Sollen nämlich das solus Christus wie das sola scriptura durchgehalten werden, so ist eine A b l e h n u n g des O p f e r c h a rakters nur schlüssig, w e n n dieser sich als nachträglicher Zusatz erweisen lässt. D e n U r s p r u n g der Messopfervorstellung sieht Luther n u n in der urchristlichen Kollektenpraxis: 9 4 D i e Gläubigen sammeln Güter, u m sie außerhalb der Messe an B e dürftige zu vergeben. Es handelt sich also zunächst u m einen sozialethischen O p ferbegriff: Aktant ist der Mensch, der Gottes Gaben seinem Nächsten zuwendet. Adressat u n d N u t z n i e ß e r des Opfers fallen damit in eins. Zugleich ist dieser O p f e r b e g r i f f s e h r profan ausgerichtet, d e n n G o t t k o m m t innerhalb der klassischen R o l lenverteilung im Opfergeschehen (Aktant, Gabe, Adressat, Nutznießer) überhaupt nicht vor. Lediglich als ursprünglicher Spender der Opfergabe wird er w a h r g e n o m m e n , G o t t erscheint also als Schöpfer, nicht aber als Erlöser. In einem zweiten Schritt 9 5 bettet Luther das sozialethische O p f e r dann in die gottesdienstlichen H a n d l u n g e n ein. D e r Blick wendet sich hier einmal dankend zurück (Gratias) u n d b e n e n n t so den eigentlichen Eigentümer, nämlich Gott. 93

WA 6, 365-367. Dagegen sehen die vorreformatorischen Messerklärungen den Begriff Collecta von den vom Priester gesammelten Gebetsanliegen der Gläubigen wurzeln, vgl. GOERTZ, a.a.O., 322. 170. Luthers Herleitung zeigt seine Verbindung von Amts- und Opferkonzept. D e n n die traditionelle B e griffserklärung lässt den Priester als vermittelnde Instanz zwischen Volk und Gott erscheinen. B e reits im Abendmahlssermon, W A 2, 747, 14-25, sieht Luther in der urchristlichen Kollektenpraxis den Grundgedanken des Sakraments ja zutreffend z u m Ausdruck gebracht. 95 D e r Gedankengang in d e m fraglichen Abschnitt 21 lässt sich in zwei Schritte gliedern. Erst erklärt Luther die H e r k u n f t der Verbindung Messe-Opfer mittels des Kollektenbegriffes (WA 6, 365, 23—33). D a n n thematisiert er D a n k u n d Segen für die geopferten Gaben (365, 33—366, 6). Diese sind aber n u n streng g e n o m m e n nicht m e h r selbst Opfer, sondern liturgischer U m g a n g mit d e m Opfer. So findet sich in der besagten Passage ebenso wie in der messtheologischen G r u n d b e stimmung in WA 6, 354, 30f keine Opferterminologie. Ebenso geht es in d e m zu G r u n d e liegenden Paulustext (1 Kor 10, 31) ja nicht u m ein Dankopfer, sondern u m die Schöpfungsgaben, welche zu Gottes Verherrlichung zu gebrauchen seien. D e r weitere Kontext im 1 Korintherbrief sucht gerade die theologische Unabhängigkeit vom heidnischen Opferbegriff aufzeigen u n d nicht ein christliches Dankopfer zu etablieren. Luther will hier also nicht zwei gleichgewichtig n e b e n einanderstehende Dimensionen (nämlich die sozialethische und die eucharistische) des O p f e r b e griffes entfalten, sondern er versteht unter O p f e r die Sammlung der Schöpfungsgaben, für deren Empfang Gott zu danken und deren Verwendung Gottes Segen zu erbitten ist. Erst hier erscheint die Figur der durch einen menschlichen Aktanten Gott als d e m Adressaten dargebotenen Güter unter den Vorzeichen des Dankes (Adressat Gott) bzw. des Segens (Adressat Nächster). Allerdings werden Dank u n d Opfervorstellung nicht explizit geschieden. 94

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

289

Dann richtet er sich nach vorn auf die gelingende Verwendung der Gaben (Benedicite). Hier bietet zwar ein menschlicher Aktant Gott als dem Adressaten die eingesammelten Güter dar, jedoch nicht um ihn zu versöhnen oder an die Versöhnung zu erinnern, sondern um die Herkunft dieser Güter deutlich zu machen. Dies geschieht, indem er Gott für sie dankt und seinen Segen für den Nächsten (und gerade nicht für sich selbst!) erbittet. Ausdrücklich verweist Luther darauf, dass auch Christus für Brot und Wein gedankt habe, unterscheidet den Dank an Gott aber vom Wesen der Messe als Sakrament und Testament Gottes für den Menschen. 9 6 Dieses Opfergeschehen vollzieht sich damit ganz auf der Ebene des äußeren M e n schen, das Opfer erscheint an dieser Stelle nur in der Werkdimension und hat darin seinen Sinn, dass es dem Nächsten dient. Der innere Mensch, das Gottesverhältnis, kommt hier nur als Voraussetzung in den Blick.

1.4.1.2

Der Ort des sozialethischen

Opfers in der Messe

Entscheidend für unsere Fragestellung ist nun der Einbezug des solchermaßen bestimmten Opfers in die Messe. Zunächst gilt es, eine Spannung zu erkennen: Wenn das Hauptstück, das Wesen der Messe, Testament Gottes an uns ist, dann hat das sozialethisch aufgefasste Opfer hier keinen Platz. Es kann nur als Folge, nicht aber als Inhalt dieses Testaments verstanden werden. Innerhalb des Gottesdienstes erscheint dieses Opfer daher nicht im Sakramentsteil, 97 sondern in der auch etymologisch darauf zurückgeführten Kollekte 9 8 und dem logisch allerdings nicht mit ihm identischen, sondern nur verbundenen Dankgebet. 9 9 Nicht zur Verheißung Gottes an den Menschen gehören die Kollekten, sondern zu den aus dem Glauben an die Verheißung kommenden Werken des Menschen. Dieser sozialethische O p ferbegriff vermag also ein Zweifaches zu leisten. Einmal hält er die Unterscheidung zwischen Glaube und Werken ohne jede Vermischung fest. Erst handelt Gott am Menschen, er „legt den ersten Stein", dann handelt der Mensch mit Gott und an seinem Nächsten. Zugleich wertet Luther die Liebeswerke aber nicht ab, indem er sie aus der Messe verbannte. Dann wäre die Messe j a ein Randphänomen, das die menschliche Existenz nur in Teilbereichen erfasste, eine Reduktion auf den inneren Menschen. Soll sie dem Menschen aber Genüge bieten an Leib und Seele, so 9 6 WA 6, 366, 4—6: „Auch Christus selbs, wie S. Lucas schreybt, hub den kilch aufFund danckt got, tranck und gab den andern, ehe er das sacrament und testament eynsetzet." Diese Unterscheidung Luthers zwischen der Messe als Sakrament, die nur als Gabe an den Menschen verstanden werden kann und dem Opfer in der Messe übersieht MCCUE. 9 7 Luther verweist darauf, dass bei der zweiten Elevation der konsekrierten Elemente gerade keine Opferterminologie zu finden ist. Adressat dieser zweiten Elevation ist nun nicht Gott, dem der Leib seines Sohnes als Gabe vom priesterlichen Aktanten als Opfer dargebracht würde, sondern es geht um einen an die Gläubigen gerichteten Zeigegestus, der ihnen den Leib Christi vor Augen stellt, um sie so des Testaments zu erinnern und sie zum Glauben zu reizen, WA 6, 366, 19— 25. 9 8 Das sachliche R e c h t dieser liturgiegeschichtlichen Herleitung mag hier außer Acht bleiben. Vgl. dazu GRÖTZINGER, a.a.O., 40, Anm. 187. 9 9 Vgl. dazu Luthers Ausfuhrungen zum Gebet im Werksermon, oben § 4 . 3 . 2 . 2 . Dort unterscheidet er Messe, Predigt und Gebet.

290

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

gehören die Werke - und mit ihnen das sozialethische Opfer — zur Messe dazu. Ihr Ort ist nur nicht die Verheißung des Testaments Christi, sondern die Antwort des Menschen darauf. Luther erstrebt eine Messe, welche die ganze menschliche Existenz erfasst und umschließt und die Gemeinschaft mit Gott wie mit dem Nächsten gleichermaßen ermöglicht. 1 0 0 Dabei sind die urkirchlichen Opfergaben zu modifizieren, für das 16. Jahrhundert aktualisiert sie der Reformator: Denn nu an statt solcher opffer und Collecten [sc. der Urkirche] stifft kirchen, klo(e)ster und spittal auffgericht seyn, und erhalten sollten werden allein dazu, das den du(e)rfftigen in eyner yglichen statt von und bey den selben all yhr notdurfft geben wurdt, und also keyn betteler noch darbloser [= ein vom Notwendigsten entblößter Mensch] unter den Christen bliebe, sondern allesampt von der messe gnug hetten an leyb und seele.101

1.4.2

Die Kritik am sakramentalen

Opferbegriff als Folge des

sozialethischen

Opferbegriffes i.4.2.1

Sozialethisches

Opfer und

Dankopfer

Die Gegenwart sieht Luther nun in Kontinuität wie Wandel zu dieser sozialethischen Opfervorstellung. Drei „Wahrzeichen" des sozialethischen Opfers weise die Messe noch auf: Die Kollekten als erstes und letztes Messgebet, den Opfergang nach dem Evangelium und die Elevation von nichtkonsekriertem Brot und Wein. 1 0 2 In Luthers Wahrnehmung tritt jeweils die sozialethische Komponente des Geschehens deutlich hervor. Das gilt auch fiir das dritte am ausfuhrlichsten behandelte „Wahrzeichen". Luther schreibt: WA 6, 366, 13-18

Struktur

Das dritte, das der priester mit der patenen aufhebt und opfFert

1.

gott die ungesegnete hostien,

Aufnahme der traditionellen Bestimmung

eben die selben zeyt, wen man singt das offertorium und die leut opffern,

2. Einordnung in den liturgischen Interpretationsrahmen

damit angezeygt wirt, das nit

sondern allein

3. Gegenüberstellung von Vorgabe und Transformation

das sacrament

dieselben Collecten und opfer der vorsamleten speyß und gu(e)tter

— Opfergabe

got

das da gott

- Rolle Gottes

geopffert wirt von uns

für gedanckt wirt und sie gesegnet

— Qualifikation des Vorgangs

auszutheylen allen du(e)rfftigen.

- Adressat

10(1 Deutlich wird hier die schon im Abendmahlssermon beobachtete Verbindung von Gabe Gottes an den Menschen und dessen Wandel hin zur Gemeinschaftsfähigkeit. 1 0 1 W A 6, 3 6 6 , 3 3 - 3 6 7 , 2. 1 0 2 Insofern hat Luther eine bereits in der Psalmenvorlesung ausgeführte Grundfigur beibehalten. Dort bezeichnet er Christus als altare nostrum und versteht damit den soteriologischen wie liturgischen O r t des Opfers als angewandte Christologie. Vgl. oben § 3 . 2 . 2 . 4 .

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

291

Zunächst übernimmt Luther also die traditionelle Formulierung, der Priester opfere Brot und Wein und bestimmt Gott so als den Adressaten dieses Opfers. Die anschließende Näherbestimmung tritt dazu aber in eine nicht artikulierte Spannung. Gott wird nicht geopfert, sondern gedankt und die Opfergaben richten sich gerade nicht an Gott, sondern an die Bedürftigen. Somit liegen hier Dankopfer und sozialethisches Opfer ineinander, ohne dass diese Spannung klar artikuliert würde. 1 0 3 Luther kann sowohl davon sprechen, dass die Menschen einander das zum Leben Notwendige opfern als auch Gott als den Opferadressaten von Gebeten benennen. Beide ineinander liegende Opfermodelle grenzt Luther aber von einem sakramentalen Opfer ab. So trennt er das Wesen der Messe als ein Sakrament von ihrer legitimen Qualifikation als Opfer. 1 0 4 Gott wird in der Messe geopfert, aber die Messe ist ihrer Grundbestimmung nach kein Opfer, sondern Sakrament an den Menschen. Energisch verweist Luther darauf, dass es sich bei den Opfergaben nicht um konsekrierte Elemente handle, die Interpretation als ein sakramentales Opfer wird also in einem ersten Schritt ausgeschlossen (Werkdimension des Opfers). Damit grenzt sich Luther einmal von dem Opfermodell einer somatischen Realpräsenz ab, denn Leib und Blut Christi werden gerade nicht geopfert, sondern empfangen. Aber auch die eucharistische Aktualpräsenz differiert von Luthers Modell, denn das Sakrament teilt sich für ihn nicht im Modus der dankenden Aktivität der Gemeinde mit, der Dank wird gerade vor dem Sakrament situiert. 105 Andererseits kann Luther den Priester hier als Aktanten und Gott als den Adressaten benennen. Die Messe ist also insofern ein Opfer, als Gott Gebete und dem Nächsten Naturalien zugewendet werden. 1 0 6

Vgl. dazu die Weiterentwicklung in ,De captivitate', unten § 5 . 2 . 4 . 3 . D i e Unterscheidung von Sakrament und Opfer auf Grund ihrer unterschiedlichen Handlungsrichtung findet sich schon bei THOMAS, vgl. S T h 3, q.79, a.5 (30, 206): ,,[...] hoc sacramentum simul est et sacrificium et sacramentum; sed rationem sacrificii habet inquantum offertur; rationem autem sacramenti inquantum sumitur. Et ideo efFectum sacramenti habet in eo qui offert vel in his pro quibus offertur." 1 0 5 Vgl. dazu V.VAJTA, R e f o r m a t i o n und Gottesdienst, 146: „ D e r Glaube nimmt also Gestalt an und übt sich in den opera missae, die um des Glaubens willen als die rechten christlichen Opfer bezeichnet werden dürfen. Aber diese opera missae sollen nicht n u r innerhalb der Meßfeier selbst, sondern auch außerhalb derselben in täglicher Ü b u n g geschehen. Deshalb können sie nicht als konstitutive Elemente der eigentlichen Messe betrachtet werden." Hieraus ergibt sich also für die Verhältnisbestimmung zwischen Luthers Messopfertheologie und dem Modell der eucharistischen Aktualpräsenz die Frage, inwiefern der ausdrücklich nicht sakramentsspezifische D a n k o p ferbegriff Luthers mit dem Dankopfer als basalem Interpretament des Messgeschehens abgeglichen werden kann. 1 0 6 Vgl. den Aufsatz von Sigrid BRANDT, Hat es sachlich und theologisch Sinn, von .Opfer' zu reden? In: Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, ed. B e r n d Janowski und Michael Welker, in: stw 1454, Frankfurt a . M . 2 0 0 0 , 247—281. Das von ihr entwickelte „Wahrnehmungs- und Beobachtungsschema" (249) besteht aus 5 Größen. Die gegenüber dem vorliegenden Untersuchungsinstrumentarium überzählige eine G r ö ß e ergibt sich aus ihrer Unterscheidung zwischen Opfer und Gabe: U m ein Opfer handelt es sich, „wenn mit ihr [sc. der Darbringung] eigene, zum eigenen Selbsterhalt wichtige Lebensressourcen (nicht einfach nur gegeben, sondern) vergeben werden." (249f). Diese systematisch sinnvolle Unterscheidung legt sich für eine historische B e trachtung nicht nahe, da die untersuchten Quellen Opfer und Gabe identifizieren. 103 104

292 1.4.2.2

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Das sozialethische

Opfer als Aktivität

des äußeren

Menschen

D a n n fragt Luther weiter nach d e m liturgischen R a h m e n der Elevation. 1 0 7 Es ist die Kollekte, der liturgische O r t des sozialethischen Opfers. Z u r gleichen Zeit, zu der die Gläubigen ihre Gaben für die Bedürftigen opfern, dankt der Priester u n d bittet u m den Segen dieser Gaben. In e i n e m dritten Schritt ordnet Luther n u n die Elemente der Elevation dementsprechend neu. Einzig das Subjekt, die G e m e i n d e bzw. der Priester, bleiben an ihrem O r t . Das zeigt die grundsätzliche Fragestellung hinter der Elevationsproblematik an: W i e ist die Aktivität der G e m e i n d e bzw. des Priesters innerhalb des Opfers zu beurteilen? Luthers N e u k o n f i g u r a t i o n von menschlicher Gabe u n d Adressaten lässt sich auch hier als Ausdruck seiner Soteriologie begreifen. I n d e m er den Opfervorgang v o m Sakrament trennt, schließt er die Vorstellung, der M e n s c h habe Gott etwas zu geben, von vornherein aus. Entsprec h e n d bestimmt sich die R e l a t i o n M e n s c h — Gott, dargestellt in der Elevation durch den Priester, gerade nicht als Opfer, sondern als Gebet, welches das stets auf den Nächsten gerichtete O p f e r begleitet, i n d e m es die gegenwärtig gesammelten Gaben rückblickend in den H o r i z o n t des vor aller menschlichen Aktivität liegenden Schöpfungshandelns Gottes stellt (Dank) u n d vorausschauend ihre gelingende Verwendung z u m Wohle des Nächsten erbittet (Segen). Luther weist die O p f e r qualifikation also ab, w e n n sie in irgendeiner Weise eine menschliche Aktivität in das Gottesverhältnis des M e n s c h e n einzutragen scheint. D i e syntaktische Struktur f u h r t die hier geleistete Transformation des bisherigen Opfermodells deutlich vor Augen: D i e Gabe besteht in den Schöpfungsgaben, nicht i m sakramentalen Leib Christi. Diese adressieren nicht Gott, sondern die Bedürftigen, u n d die H a n d l u n g insgesamt wird nicht m e h r als Opfer, sondern als D a n k bzw. Segensbitte beschrieben. Dieser positiven Kontinuität zur Urkirche stehen für Luther n u n aber kritikwürdige Veränderungen innerhalb u n d außerhalb der Messe gegenüber. A u ß e r halb der Messe w u r d e n die Kollekten bis auf den Brauch des Osterpfennigs abgeschafft u n d die an die Stelle der urkirchlichen O p f e r getretenen Stiftungen fallen nicht den Bedürftigen zu, sondern Kirchen u n d Klöstern anheim. 1 0 8 D a m i t wird der Adressat des sozialethischen Messopfers verfehlt, die Kirche tritt an die Stelle des Nächsten. Aber nicht nur der Adressat, auch die Z u o r d n u n g von Messopfer u n d Hauptstück der Messe wird falsch getroffen, d e n n die Opferqualifikation

107 Bereits vor Luther findet sich Kritik an der Elevation. So tadeln H u s und WYCLIF den Ritus im N a m e n des Communio-Aspektes der Messe, vgl. M.RUBIN, C o r p u s Christi, 70. 108 WA 6, 366, 29—367, 7. Bereits das .Poenitentiale R e m e n s e ' aus d e m frühen S.Jahrhundert ermöglicht es den Poenitenten, das Almosen an die A r m e n durch Landschenkungen an die Kirchen zu ersetzen, vgl. ANGENENDT, Missa specialis, 164f. Eine ähnliche Klage über die Ö k o n o m i sierung der Messe fuhrt der .Spiegel des menschlichen Lebens': „Sy [sc. die Pfarrer] lesent mesz u m b gelt. Sy verkauffent den leichnam cristi als Judas. Sy verkauffent alle sacrament u m b das gelt. Sy kauffent u n d verkauffent die heyligkeit. Aber sy giessend die gnad der sacrament nit ein, wan sie habent selber keyne. Sy sprechen: wir haben nichts umbsunst empfangen, wir geben auch nichts umbsunst. U n d was wir kaufft haben, daz verkauffen wir." Hain * 13948, M ü n c h e n , Staatsbibliothek, Inkunabel s.a. 2°.1264, zitiert nach FRANZ, Messe, 295.

§5

Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

293

rückt in den Mittelpunkt der Messe. Nicht das Testament, sondern das Opfer wird zum zentralen Interpretament des Messgeschehens. Luther verbindet beide Fehlentwicklungen durch die anthropologische Unterscheidung von Leib und Seele109: gleych wie den seien die mesz nit recht wirt vorbracht, sondern als ein opfer vorstanden, nit als ein testament, alszo widderumb, was das opfer ist und seyn solt, das ist, die gu(e)tter der kirchen und klo(e)ster, sein nymmer opffer, werden auch nit den du(e)rfftigen, da sie yhn gehören, gereycht mit dank und gebenedeyung gottis. 110

Wo der innere Mensch im Glauben empfangen soll, da meint er, Gott etwas geben zu können. Wo er aber geben kann, nämlich bei den äußeren Werken, da verwechselt er Gott und den Nächsten. So zeigt sich ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen der Rechtfertigung im Glauben und der durch sie ermöglichten freien und vorbehaltlosen Zuwendung zum Nächsten. Gerade weil Gott nichts zu geben ist, sondern allein die Rezeptivität die Aktivität des Menschen im Gottesverhältnis kennzeichnet, kann der Mensch dem Nächsten alles geben. Liturgisch kommt daher alles darauf an, dass diese Wahrnehmung von Christi Verheißungswort und Zeichen im Glauben von der menschlichen Aktivität unterschieden bleibt, die ,,gepeette[n] und geperden" 11 ' als uneigentliche Zusätze der Väter von den Einsetzungsworten abgehoben werden. Der Reformator versucht dabei, nicht nur den Verheißungscharakter der Messe als Folge seines theologischen Ansatzes zu entfalten, sondern darüber hinaus diese Messtheologie als die ursprüngliche zu erwei-

1.4.3

Die geistliche Bestimmung des

des Opferbegriffes

als Folge

Testamentskonzeptes

Luther 113 lässt es nun aber nicht bei dieser sozialethischen Bestimmung des OpferbegrifFes bewenden. Bisher versuchte er, die Differenz des Opfers zum Hauptgut der Messe deutlich zu machen, wollte zeigen, dass das leibliche Opfer nicht als Sa-

109 Vgl. dazu die erhellenden Ausfuhrungen von W. JOEST, Freiheit, 129f und Dogmatik 2, 349, Anm. 1. Er illustriert anhand der Magnifikat-Auslegung Luthers aus der Adventszeit 1520 (WA 7, 544—609) dessen anthropologische Figur kommunizierender Totalperspektiven. Luther nimmt die traditionelle anthropologische Trias auf, bestimmt aber den Leib als das äußerlich Sichtbare, die Seele als das Wollen und Denken und den menschlichen Geist als das Personzentrum. Eben hier, im Zentrum seiner Lebensvollzüge, bleibt der Mensch angewiesen auf den Empfang des Gottesgeistes, hier vollzieht sich die Unterscheidung zwischen geistlich und fleischlich. 110 WA 6, 367, 3-7. 1,1 WA 6, 367, 20. 112 So vergleicht er das Verhältnis von Einsetzungsworten und Zusätzen mit dem von Hostie und Monstranz und fuhrt an, dass bei der doch vollgültigen Krankenkommunion auch niemand von einem Opfer spreche. Zur Krankenkommunion im Spätmittelalter vgl. M. RUBIN, Corpus Christi, 77-82. 1,3 Vgl. zu den Berührungspunkten dieses „geistlichen Opfers" mit der altkirchlichen Liturgie R . MESSNER, a.a.O., 180f.

294

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

krament, sondern als Kollekte zu verstehen sei, 114 mithin nicht zum Glauben, sondern zum Werk und nicht zum inneren, sondern zum äußeren Menschen gehöre. Gott erschien hier nur als Adressat des Dankes, nicht aber der Opfergabe selbst, die doch dem Nächsten galt. Diese Differenz war nötig, um das Hauptgut der Messe, Christi Verheißung der Sündenvergebung in Wort und Zeichen, als Gabe an den Menschen festzuhalten und die Transformationen des sozialethischen Messopferbegriffes klar kennzeichnen zu können. Nun aber nähert Luther sich dem Zusammenhang gewissermaßen von der anderen Seite, stärkt nicht mehr die Differenz, sondern die Einheit, will zeigen, inwiefern auf der so geschaffenen Grundlage beides zusammengehört: das Opfer und der Glaube, der Gottesbezug des inneren Menschen und das Opfer. 1 1 5 Jetzt erst kommt der innere Bezug des Messopfers zum Christusgeschehen überhaupt zur Sprache, 116 wird das Opfer nicht mehr unter der remoto Christo möglichen, 1 1 7 rein sozialethischen Fragestellung behandelt, sondern nach dem Zusammenhang von Messopfer und Christologie gefragt.

i.4.3.

i Das geistliche Opfer als Aktivität

der Gläubigen:

Der Mensch als Aktant

und Gabe vor Gott In einem ersten Schritt 1 1 8 liefert Luther eine Grundbestimmung dieses geistlichen Opfers. Ausgangspunkt der Reflexion ist auch hier das Verständnis der Messe als Gabe Gottes an den Menschen, dies schließt eine Gabe des Menschen an Gott aus. 119 Sogleich differenziert aber der Reformator: Dennoch kann der Mensch 1 , 4 „Darumb mag und kann die mesz nit heyssen noch sein ein opffer des sacraments halben, sondern der speyß und gepett zusammen getragen, darynnen gott gedanckt und sie gesegnet werden." WA 6 , 366, 2 5 - 2 8 . 115 Auch hier zeigt sich die Messopferthematik als Teilelement der grundsätzlichen Bestimmung von Gottes Handeln und menschlicher Aktivität. Der erste große Schritt, die Trennung des Werkes vom Glauben, wendet sich gegen das Missverständnis des Glaubens als Werk. Dies wird aber dann fatal, wenn die Alleinwirksamkeit Gottes derart betont wird, dass gar nicht mehr deutlich wird, wie der Mensch in das Gotteshandelns einbezogen wird. Dann würde das Gotteswirken nicht mehr in der Dimension des sub contrario bestimmbar, sondern allein in einer traditionellen totalitären AUmachtsfigur erfasst. 116 Natürlich war auch bei der Entfaltung des Opfers als Werk das Christusgeschehen implizit vorausgesetzt, da sich das zu Grunde liegende Verständnis des Werkes eben aus der Abgrenzung zum Christusglauben bestimmt. Aber der Glaube selbst war so nur mittelbar, gewissermaßen „von außen" Thema der Opfertheologie. 117 Bezeichnenderweise nimmt Luther in den bisher behandelten Abschnitten 21 bis 24 stets auf das alttestamentliche Opfer (WA 6, 365, 28.36) bzw. dessen Weiterleben im Neuen Testament Bezug. Auf Christusglauben und Evangelium kommt er erst ab dem Abschnitt 25 zu sprechen. Die innere Gliederung der Messopferabschnitte dieses Sermons nimmt also die traditionelle Zuordnung von alttestamentlichem Opfer und Kreuzesopfer auf. Dabei lässt bereits der Aufbau erahnen, daß er das geistliche Opfer nicht wie Thomas aus einem allgemeinen, mit der Schöpfungswirklichkeit gegebenen Verehrungsbedürfnis des Menschen ableitet. Vgl. dazu STh 2, 2 q.85, a.l. 118 WA 6, 368, 1 - 2 5 (Abschnitt 25). 119 Anders kozipierte etwa THOMAS in STh 3, q.82, art.l, ad 2 (30, 294). Nachdem er die besondere Konsekrationsvollmacht des Priesters festgehalten hat, entkräftet er den Einwand, dies widerspreche dem allgemeinen Priestertum mit dem Argument, auch der Laie könne Gott opfern.

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

295

Gott opfern. Was er opfern kann, ist indes nicht ein von ihm unterschiedenes O b jekt, sondern er selbst. 120 Wie schon beim leiblichen, sozialethischen Opfer durchbricht Luther also auch hier die herkömmliche Opferrelation. Nicht die U m w i d m u n g der Gabe an die Bedürftigen statt an Gott, sondern die Identifikation von Aktant und Gabe steht bei diesem geistlichen Opfer zunächst im Z e n t r u m . Dabei kann er erneut auf Vorgaben und Modelle der Tradition zurückgreifen, denn eine ethisierende Spiritualisierung des äußeren Opfers als Hingabe fand sich ja bereits im Modell der eucharistischen Aktualpräsenz und motivierte die Kritik am antiken Opferkult. 1 2 1 Luther radikalisiert nun diese geistige Opferauffassung, indem er als Opfergabe nicht nur Teilbereiche menschlicher Existenz wie den Geist, die Moralität oder die Operativität benennt, sondern den ganzen Menschen als Opfergabe erfasst. Damit fallen Gabe und Aktant bei Luther völlig in eins und verlieren ihre sachliche Selbstständigkeit. Zugleich schließt Luther mit dieser Identifizierung ein wichtiges M o m e n t der Opferlogik aus, nämlich die schon durch bloßen Ritusvollzug mitgesetzte Stellvertretung. Die Opfergabe kann gerade nicht anstatt des Aktanten die Folgen von Fehlverhalten oder Normverletzung tragen und so das Weiterleben des Aktanten bzw. Nutznießers ermöglichen. Dies entspricht Luthers Kritik an mechanistischen Regulativen des Gottesverhältnisses, die in Gestalt von Werken oder Institutionen eine gelingende Gottesrelation zu gewährleisten versprachen und damit auch die letzte Unwägbarkeit menschlicher Existenz ausschalten wollten. Auch das (Sühn)opfer kann diese Gefährdungja subtil aufnehmen, wenn es eine Zerrüttung des Gottesverhältnisses durch Schuld und Verfehlung zwar voraussetzt, die damit verbundene Strafe aber anderen Objekten zuweist und somit durch den bloßen Vollzug schon eine Kompensation verspricht. Dieser Stellvertretungsgedanke des Opfers impliziert mithin genau das, was Luthers Grundbestimmung der Messe als Testament widerspricht, nämlich die Vorstellung, der Mensch könne Gott etwas geben und so die Gottesbeziehung objektivieren. 1 2 2 So resultiert diese erste Beschreibung des geistlichen Opfers aus der Rezeptivbestimmung des Gottesverhältnisses, 123 messtheologisch fassbar im EmpfangschaDieses aus Ps 51 (50), R o m 12,1 u n d 1 Petr 2,5 abgeleitete geistige O p f e r betrifft d a n n aber die b l o ß e Innerlichkeit: „[...] laicusjustus unitus est C h r i s t o u n i o n e spirituali per fidem et charitatem, n o n a u t e m per sacramentalem potestatem; et i d e o habet spirituale sacerdotium ad o f f e r e n d u m spirituales hostias [...]." 12,1 W A 6, 368, 5—10: „Was sollen w i r d e n opffern? U n s selb u n d allis was w i r h a b e n m i t vleyssig e m gepeet, w i e w i r sagen ,dein wille geschehe a u f f d e r e r d e n al y m hymel', H i e m i t w i r uns darg e b e n sollen g o t t l i c h e m willen, das er v o n u n d ausz uns mache, was er will nach seynem gottlichen wolgefallen, dartzu y h m lob u n d danck o p f f e r n aus gantzem h e r t z e n für sein unaussprechliche su(e)sse g n a d e u n d b a r m h e r t z i c k e i t die er uns in diesem sacrament zugesagt u n d g e b e n h a t . " 121 „ D i e f r ü h e christliche T h e o l o g i e hatte m i t N a c h d r u c k , sogar mit Polemik darauf bestanden, dass das O p f e r der C h r i s t e n ein geistig-geistliches sei u n d nicht ein materielles. D i e alte B e z e i c h n u n g .Eucharistie' brachte z u m A u s d r u c k , dass i m G e d e n k e n an das Heilswerk Jesu Christi als A n t w o r t ü b e r h a u p t n u r eine G e g e n g a b e m ö g l i c h sei: der D a n k [...]." A. ANGENENDT, G e schichte, 491. 122 Vgl. o b e n § 3 . 2 . 2 . 3 . 123 Das wird deutlich, w e n n m a n etwa TERTULLIANS K o n z e p t heranzieht, das d o c h ebenfalls ei-

296

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

rakter des Sakraments. 124 Die durch den Opferritus geschaffenen menschlichen Möglichkeiten einer Einholung der Gottesbedrohung durch eine routinisierte Sakralhandlung („Ritus") sowie der Selbstdistanzierung vom Gottesverhältnis durch Kommunikation über ein Drittes (Gabe) werden abgewiesen. D e n n das Gottesverhältnis des inneren Menschen lässt sich für Luther einzig in einem Konfrontationsmodell beschreiben, dies schließt den Gottesbezug objektivierende und versachlichende Strategien aus. Durch den Verzicht auf eine äußere Gabe bezieht Luther das Opfer auf die Person des Opfernden und transformiert die dreistellige R e lation Mensch — Gabe — Gott in das nackte Gegenüber von Gott und Mensch, innerhalb dessen menschliche Vermittlungsgaben und -Institutionen 1 2 5 keinen Platz mehr haben. Dieses personal bestimmte Selbstopfer kann Luther dann noch näher beschreiben. Er versteht darunter, dass die Gläubigen Gott „lob und danck opffern ne Spiritualisierung der O p f e r v o r s t e l l u n g propagiert: „ N o s s u m m u s ueri adoratores et ueri sacerdotes, qui spiritu orantes spiritu sacrificamus o r a t i o n e m hostiam D e i p r o p r i a m et acceptabilem, q u a m scilicet requisiuit, q u a m sibi prospexit. [4.] H a n c de t o t o corde d e u o t a m , fide pastam, u e r i t a te curatam, i n n o c e n t i a integram, castitate m u n d a m , agape c o r o n a t a m c u m p o m p a o p e r u m b o n o r u m inter psalmos et h y m n o s d e d u c e r e ad D e i altare d e b e m u s o m n i a nobis a D e o i m p e t r a t u r a m . " D e oratione 28, 3 f ( C C h r . SL 1,1, 273). MCCUE v e r k e n n t m . E . die S t o ß r i c h t u n g des geistlichen O p f e r s bei Luther, w e n n er es umstandslos m i t der h e r k ö m m l i c h e n „ H i n g a b e " der Messteilnehm e r identifiziert. L u t h e r richtet das geistliche O p f e r j a ganz gegen die Vorstellung einer s a k r a m e n talen Aktivität der Kirche, w e n n er zunächst die G e s c h e h e n s r i c h t u n g u m k e h r t (nicht w i r o p f e r n Christus, s o n d e r n Christus opfert uns) u n d innerhalb dieser Frontstellung dann das „ w a h r e O p fer" beschreibt. G e n a u g e n o m m e n will diese Passage nicht d e n sakramentalen O p f e r g e d a n k e n rehabilitieren o d e r den G l a u b e n an Christus als soteriologisch verzinsbare H i n g a b e i m Sinne der h e r k ö m m l i c h e n O p f e r l o g i k verstehen, welche die Messgnade n a c h d e m Grad der D e v o t i o n b e misst. Sie will v i e l m e h r d e n Blick von der eigenen f r o m m e n Aktivität, welche d u r c h G e b e t e , L o b u n d O p f e r vor G o t t zu bestehen m e i n t , w e g w e n d e n hin auf das Christusgeschehen. A n a l o g seinen F o r m u l i e r u n g e n v o m „ G l a u b e n als W e r k " o d e r der „Predigt als O p f e r " zielt a u c h die R e d e v o m G l a u b e n als O p f e r n i c h t auf d e n E i n z u g des Glaubens in die O p f e r l o g i k , s o n d e r n will an die Stelle, w o bisher das O p f e r stand, d e n G l a u b e n setzen: „ N i c h t eigenes B e m ü h e n ist relevant [...] s o n d e r n i m Gegenteil die Einsicht in die eigene Hilflosigkeit u n d das alleinige Vertrauen auf d e n Heilswillen Gottes [...]" Harald GOERTZ, Allgemeines P r i e s t e r t u m , 124. Er zeigt auf, dass L u t h e r d e n B e griff O p f e r m e t a p h o r i s c h v e r w e n d e t , w o d u r c h er, analog d e m „allgemeinen P r i e s t e r t u m " , stets eine kritische A u s r i c h t u n g erhält. D i e O p f e r m e t a p h e r „dient L u t h e r hier zwar n o c h (in gesprengter F o r m ) zur Illustration der P r i e s t e r w ü r d e ' bzw. des Glaubens, zeigt aber zugleich deren konstituier e n d e F u n k t i o n f ü r d e n ,Priesterdienst' bzw. die ,guten W e r k e ' a u f " (ebd.). D a m i t löst sich das von MCCUE, a.a.O., 213, attestierte „paradoxical result" des S e r m o n , der die Messe als O p f e r k r i tisieren u n d zugleich v o m geistlichen O p f e r in der Messe sprechen k a n n , auf. 124 W A 6, 368, 1—3: „ D r u m b sollen w i r des Wortes ,opffer' w o l w a r n e h m e n , das w i r nit v o r messen, etwas gott zu geben yn d e m sacrament szo er uns d a r y n n e n alle dingk g i b t . " Dabei ist der K e r n seiner A r g u m e n t a t i o n soteriologisch motiviert, anders als etwa die antike O p f e r k r i t i k kritisiert er die O p f e r v o r s t e l l u n g nicht auf G r u n d ihrer A n t h r o p o m o r p h i s m e n , w i e etwa CLEMENS v o n Alexandrien, Stromateis, 7, 14, 5 o d e r verweist auf die ethische H ö h e r w e r t i g k e i t eines O p f e r s des reinen u n d k e u s c h e n Selbst w i e etwa TERTULLIAN, A p o l o g e t i c u m , 30, 5f. 125 M . OHST, Pflichtbeichte, 124, sieht bei WILHELM VON AUVERGNE eine n e u e Station in ein e m bußgeschichtlichen Prozess erreicht. H i e r w e r d e die zunächst e r h o b e n e F o r d e r u n g nach ein e r h i n r e i c h e n d e n R e u e zu G u n s t e n der kirchlichen Hierarchie minimalisiert. D i e Kirche avanciert so zur Garantin einer W i e d e r h e r s t e l l u n g des Gottesverhältnisses: „Das B u ß s a k r a m e n t verspricht d e m j e n i g e n S ü n d e n v e r g e b u n g u n d ewiges Heil, der sich hinsichtlich seines Gottesverhältnisses der E i n s c h ä t z u n g u n d d e m U r t e i l der hierarchischen Kirche u n t e r w i r f t u n d d e n Vorsatz hat, u m seines e i g e n e n Heils willen ihren G e b o t e n vertrauensvoll Folge zu leisten."

§ 5 Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

297

ausz gantzem hertzen für sein unaussprechliche su(e)sse gnade und barmhertzikkeit die er uns in diszem sacrament zugesagt und geben hat." 1 2 6 Luther zeigt auf, dass das geistliche Opfer der Gläubigen reaktiv bestimmt ist. Nicht für das allgemeine Heilshandeln Gottes, in dem sich dann die sakramentale Gegenwart Gottes für den Einzelnen erst realisieren müsste, sondern für das im Sakrament j e Verheißene wird gedankt. Die Aktivität des Menschen im geistlichen Opfer ist damit mit seiner Aktivität im Rechtfertigungsgeschehen überhaupt identisch, denn das geistliche Opfer setzt die dem Christusgeschehen zugewiesenen Momente der Stellvertretung und der Versöhnung stets voraus. Damit eignet dem geistlichen Opfer dieselbe Struktur wie der Unmittelbarkeit des Glaubens. 1 2 7 Auch der Glaube ist für ihn nicht der menschliche Anteil an einer Konstitution der Gottesbeziehung, er wird, anders als die Werke, durch das Verheißungswort gewirkt und hat daher eine responsorische Ausrichtung und keine eigene Subjektität. Erst wenn er sich auf den Mitmenschen richtet, dann wird er zum cooperator dei.nH Das geistliche Opfer kann deshalb nicht als Beteiligung am Versöhnungsgeschehen verstanden werden, es ist als Handeln des Menschen vielmehr die Antwort auf die stets vorausliegende Versöhnung. Anders als im Modell der eucharistischen Aktualpräsenz individuiert sich das Heilsgeschehen nicht in dem geistlichen Opfer der Gemeinde, sondern das geistliche Opfer blickt auf die j e schon ergangene persönliche Zusage im Sakrament zurück. 1 2 9 Entsprechend äußert sich das Selbstopfer neben dem retrospektiv ausgerichteten Dank auch als Konformität mit dem Willen Gottes, deren Ort nun gerade nicht im Sakrament, sondern im Gebet — und damit nicht einmal notwendig in der Messe selbst! 130 - liegt. Luther nimmt hier also den bereits in der Psalmenvorlesung beobachteten tropologischen Zugang zum Sakrament wieder auf, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Schon dort 1 3 1 verband er ja Opfer und Christologie, und sprach von einem „geistlichen Opfer". Zwar bestimmte er alle Elemente des Opfers von Christus her, doch ohne das opferkritische Potenzial dieser Bestimmung zu nutzen. Dort kam Christi Kreuzestod in den Blick als Deutehorizont menschlicher Niedrigkeitserfahrungen. Die Hingabe war nicht so sehr Antwort auf das bereits geschehene Heil als vielmehr Wahrnehmungsmodus des Heils. 1 3 2 So versteht sich dort die WA 6, 368, 9 f. Luther verweist in WA 6, 368, 12 auch auf den zweiten Missbrauch, der sich durch das G e genüber von Glaube und Werken strukturierte. Die Parallelität wird dann im 26. Abschnitt, der die Aktanz Christi im geistlichen Opfer beschreibt, vollends erkennbar. Vgl. dazu die unter § 5 . 1 . 4 . 3 . 2 zitierten Passagen. 1 2 8 Vgl. W. JOEST, Ontologie, 385. 1 2 9 Vgl. dazu WA 6, 368, 5—10 (zitiert unter §5.1.4.3.1). Allerdings ist daraufhinzuweisen, dass Luther im gesamten Abschnitt W A 6, 368, 9—18 dann recht missverständliche Formulierungen wählt, welche die mediatorische Aktivität des Erhöhten scheinbar vom menschlichen Glauben abhängig machen: „Solcher glaub für war macht, das Christus sich unser annympt, uns selb, unser gepet und lob furtregt, und sich selbs auch für uns dar gibt im hymel." 1 3 0 Vgl. W A 6, 368, 11—16. Luther begründet erneut den Sinn der Messe nicht in einer Gabe, die diese exklusiv vermitteln würde, sondern in der Gemeinschaftsgewiesenheit des Glaubens. 1 3 1 Vgl.WA 3, 646, 1 3 - 3 1 , zitiert unter § 3 . 2 . 2 . 4 . 1 3 2 Die illustrative Funktion Jesu Hingabe am Kreuz wird dort grammatikalisch deutlich an der 126

127

298

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

Hingabe als Wirksamwerden des Kreuzestodes, als Kreuzesnachfolge, hier aber konkretisiert sie sich in der Anerkennung des Gotteswillens, als Lob und Dank für die bereits erwiesen Barmherzigkeit und als daraus sich ergebende zuversichtliche Bitte. Bedeutsam ist auch die Differenz zur Verhältnisbestimmung von Opfer und Dank innerhalb der sozialethischen Opfervorstellung. Dort rückten das Opfer für den Nächsten und der Dank an Gott auseinander. Der Dank selbst verband sich nicht mit der Opferterminologie. Hier, beim geistlichen Opfer, spricht Luther unumwunden vom Dankopfer. Damit wird deutlich: Das geistliche Opfer als Selbsthingabe wird von einer parallelen, letztlich nur äußerlichen Zuordnung zur Hingabe Christi am Kreuz zu einer Antwort auf das in dieser Hingabe sich ereignende Heil. Als solche kann Luther dieses „geistliche Opfer" der vorfindlichen Ablasspraxis gerade gegenüberstellen und die Verwechslung von göttlicher und menschlicher Aktivität im Messgeschehen beklagen. 1 3 3 Diese Grundbestimmung, die das Opfer des Menschen Gott gegenüber stets als existenzielle Antwort, nicht als Anfang, sondern als Folge erfasst, führt in einem zweiten Schritt nun folgerichtig zu der Erhellung dessen, was dieser Antwort logisch stets vorausgeht, nämlich der Aktivität Christi in diesem geistlichen Opfer.

1.4.3.2

Das geistliche Opfer als Aktivität

Christi: Christus als

Opferaktant,

der Mensch als Gabe und Gott als Adressat Auch hier kann Luther auf die Psalmenvorlesung zurückgreifen. Dort bestimmte er Christus als den Opferpriester (sacerdos), die Opfergabe (hostia) und den Opferort (altare), auf dem die Gläubigen als Gabe geopfert würden. 1 3 4 Die genaue Konstruktion weist dann aber einen gewichtigen Unterschied auf, was die R o l l e Christi angeht. 1 3 5 Gab Christus für Luther damals nur den Altar ab, auf dem die Gläubigen als Opferaktanten ihre eigenen Opfer dann Gott darbringen, so firmiert im Testamentssermon Christus als wahrer Opferaktant und die Gemeinde als seine Gabe. 1 3 6 Eine Zwischenstellung nahm dabei der Abendmahlssermon ein. Hier begleichordnenden Verbindung sicut Christus - ita et nos und durch die Betonung der Notwendigkeit dieser Selbsthingabe („omnes oportet offerri"). 1 3 3 „ W i r du(e)rfften nit viel ablas brieffe, wo wir hie recht fu(e)ren, es sollten auch die seelen ausz dem fegfewr leychtlich erlo(e)szet werden und untzehlich gu(e)tter folgen. Aber es gaht leyder nit szo zu, es ist doch allis vorkeret: Was der mesz eygen ist zuthun, geben wir uns und wollens selber thun, Was wir thun sollen, geben wir der mesz zu thun, das machen alles ungelerte, falsche predigere." W A 6, 3 6 8 , 2 0 - 2 5 . W A 3, 6 4 6 , 13. GRÖTZINGERS isolierte Behandlung des Testamentssermons muss diesen Bezug außer Acht lassen. Erst durch den Vergleich mit dem jungen Luther zeigen sich m . E . aber Profil und Gewicht von Luthers christologischer Opferkritik. 1 3 6 W A 3, 6 4 6 , 13: „Primum altare nostrum est Christus, ipse sacerdos et hostia et altare n o strum, super quem nos impositi offerimur deo patri, et in ipso omnia nostra sacrificia offerimus." Vgl. dagegen W A 6, 3 6 8 , 26—28: „Das ist war, solch gepeet, lob, danck und unser selbs opffer sollen wir nit durch uns selbs für tragen für gottis äugen, sondern aufFChristum legen und yhn lassen dasselb furtragen [ . . . ] . " 3 6 9 , 3—9: „Auß welchen Worten wir lernen, das wir nit Christum, sondern Christus uns opffert, und nach der weyß ist es leydlich, yha nu(e)tzlich, das wir die mess ein opffer 134

135

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

299

stimmte Luther auch nicht die Gläubigen selbst, sondern Christus (bzw. seine G e meinde) als Subjekt, verwendete das Motiv aber nicht im Zusammenhang mit der Opferterminologie, sondern mit dem fröhlichen Wechsel. 1 3 7 Im Testamentssermon wird nun auch die opfertheologische Konsequenz gezogen. D i e Eigenart dieses „Legens auf Christus" besteht hier darin, dass die exklusive Mittlerposition des Erhöhten hervorgehoben wird, der Lob und Bitte im Himmel vor den Vater bringt. So macht erst dieser zweite, sachlich aber vorgeordnete Schritt deutlich, wo das eigentliche Motiv der Opferkritik Luthers zu suchen ist: in der Christologie. 1 3 8 D e r Fortschritt des Testamentssermons liegt nicht schon in der B e h a u p tung, Christus sei der alleinige Mittler dieser exklusiven Vermittlung, das zeigen die Ausfuhrungen der Dictata. Das N e u e besteht vielmehr darin, dass diese B e z i e hung von Opfer und Mittlerschaft Christi als ein Konkurrenzverhältnis wahrgen o m m e n wird: Nicht die Gläubigen opfern die Gabe Christus (und treten somit selbstständig mit dem Vater in Kommunikation), sondern Christus „opfert" die Gläubigen. D i e Opferqualifikation der Messe kann sich nicht aus einem menschlichen Handlungsvollzug gegenüber Christus begründen, sondern muss allein auf der mediatorischen Aktivität Christi beruhen. Damit besteht das geistliche Opfer letztlich in nichts anderem als der Inanspruchnahme der Mittlerfunktion C h r i sti. 1 3 9 D e r Mensch erscheint nicht in der R o l l e des über das Christusgeschehen verfugenden Subjektes, sondern er wird stets vom Christusgeschehen erfasst. Nicht die Kirche bzw. der Priester bringt im Messopfer Christus dem Vater dar, 140

heyssen, nit um yret willen, sondern das wir uns mit Christo opffern, das ist, das wir uns aufFChristum legen mit eynem festen glauben seynes testaments, und nicht anders mit unserm gepeet, lob und opffer für gott erscheynen, den durch yhn und seyn mittel, und wir nit dran zweyfFeln, er sey unser pfarrer oder pfafFym hymel für gottis angesicht." Diese Grundbestimmung des geistlichen Opfers als Aktivität Christi lässt eine Bestimmung des hier von Luther vertretenen Opfermodells wie sie MCCUE, a.a.O., 2 3 3 vornimmt, als reduktionistisch erscheinen. Er konzentriert sich nur auf den zweiten Schritt und kommt so zu dem Schluss: „in The New Testament Luther was still asserting everything that a R o m a n Catholic asserts when he says that the mass is the sacrifice o f Christ and the Community, then there would seem to be grounds for hoping that the present impasse will not be permanent." W A 2, 745, 1.9. Vgl. § 4 . 2 . 3 . 2 . Eine weitere Präzisierung ergibt sich, wenn man nach dem Zusammenhang von Inkarnation und Mittlerstellung Christi fragt. D e r starke Akzent auf dem Inkarnationsgedanken fuhrt zu einem Ausschluss von Konzeptionen, welche die Gottesrelation mystisch oder spiritualistisch vom Menschen aus zu etablieren suchen. Dagegen ist für Luther nicht der Aufstieg des Menschen, sondern der Abstieg Gottes das erste T h e m a der Christologie. D e n in der Inkarnation geschenkten Mittler gilt es wahrzunehmen, alle religiösen Aufstiegsversuche, welche von den menschlichen Möglichkeiten (Werk, Zeremonie, religiöse Praktiken) eine Vermittlung erwarten, stehen dem entgegen. Vgl. dazu ausfuhrlicher Marc LIENHARD, a.a.O., 117f. 137

138

1 3 9 „Aus welchen W o r t e n [sc. R o m 8, 34] wir lernen, das wir nit Christum, sondern Christus uns opfFert und nach der weysz ist es leydlich, yha nu(e)tzlich, das wir die mesz ein opffer heyssen, nit umb yret willen, sondern das wir uns mit Christus opffern, das ist, das wir uns auff Christum legen mit eynem festen glauben seynes testaments, und nichts anders mit unserm gepeet, lob und opffer für gott erscheynen, den durch yhn und seyn mittel, und wir nit dran zweyfFeln, er sey unser pfarrer oder pfaff ym hymel für gottis angesicht." W A 6, 3 6 9 , 3 - 9 . 1 4 0 Dabei ist auf eine Differenzierung in der spätmittelalterlichen Messopfertheologie hinzuweisen. Obschon die Mehrzahl der Messausleger die Kirche als die principalis offerens betrachtet, ist

300

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

sondern das genaue Gegenteil 141 gilt: Im Messopfer bringt Christus dem Vater die Gläubigen dar, ist alleiniges Subjekt u n d niemals Objekt des Geschehens. Das geistliche Opfer ist also Aktualisierung des Solus Christus. Luther ersetzt damit die Dreierkonstellation Mensch — Gabe - Gott durch die Beziehung Mensch - C h r i stus — Vater, wodurch die Interzession des Erhöhten an die Stelle des Ritusvollzuges der Menschen tritt. 142 Damit speist sich die Messopferkritik Luthers aus derselben Quelle wie seine Bestimmung des Verhältnisses von Wort und Sakrament. Auch hier ging es ja u m den unmittelbaren Christusbezug, den der R e f o r m a t o r durch das Ex-opere-operato gefährdet sah. 143

1.4.3.3

Das geistliche Opfer als Konsequenz

der Sakramentstheologie

Wenn nun aber das geistliche Opfer identisch ist mit Dank und Bitte, die sich aus dem Glauben an das verheißende Testament Christi herleiten, dann sprengt dies zwei vorfindliche Bindungen des Opferbegriffes. Einmal die Bindung an das Sakrament. Da Lob u n d Bitte als Aktivitäten des inneren Menschen Folge und nicht Mitursache der Versöhnung in Christus sein sollen, das Sakrament aber eben diesen Zuspruch der Sündenvergebung austeilt, kann das Sakrament nicht geistliches die Vorstellung von Christus als d e m principalis offerens (wenn auch vereinzelt, vgl. H . B . MEYER, Luther, 152, A n m . 10) vorhanden. D e r entscheidende Unterschied liegt - wie so oft! - also nicht darin, dass Luther eine völlig neue Vorstellung vertreten hätte, sondern dass er von seinem christologisch-soteriologischen Ausgangspunkt aus vorhandene T h e o l o g u m e n a neu kombiniert u n d kritisch gegeneinander richtet. O b sich eine ,,wirksame[r] Abwehr des reformatorischen Angriffes" (H.B. MEYER, ebd.) also bereits aus d e m unendlichen Wert des Messopfers u n d der damit verb u n d e n e n primären Subjektrolle Christi ergibt, wie sie etwa CAJETAN lehrt, sei dahingestellt. 141 GRÖTZINGER, a.a.O., 41 ebnet diese Entgegensetzung Luthers m . E . zu schnell ein, w e n n er schreibt: „Auch in diesem Z u s a m m e n h a n g meint das Wort .opfern' nichts anderes als .geben' oder .darbringen'. U n d eben dieser Sprachgebrauch macht es Luther sogar möglich, der Redeweise, in der Messe werde Christus geopfert, einen guten, theologisch durchaus vertretbaren Sinn abzugew i n n e n . " Vgl. auch LIENHARD, a.a.O., 101. 142 Insofern ist es also nur aus ekklesiologischer Perspektive richtig, w e n n PRATZNER, a.a.O., 27 so großes Gewicht darauflegt, dass für Luther das Kreuzesopfer aufgehört habe. D e n n christologisch setzt sich das munus sacerdotale ja in der Fürbitte des Erhöhten fort. Aus Luthers Sicht dürfte die Pointe o h n e h i n nicht in einem „Aufhören", sondern in der alle menschliche Selbstbeteiligungsversuche frustrierenden Entzogenheit liegen. Dieses starke Interesse an einer strikten Trenn u n g zwischen Christusgeschehen und menschlichen Selbstvollzügen ist gegen PRATZNER m . E . weniger aus einer ererbten „Krise der sakramentalen Idee" abzuleiten als vielmehr Ausdruck der eigenständigen Theologie Luthers. Einmal ergibt sich aus der Christologie die Herrschaft des Erh ö h t e n allein durch das Wort im Geiste (vgl. dazu LIENHARD, a.a.O., 131). Z u m anderen trägt die Messopfertheologie Luthers seiner Verbindung von Soteriologie u n d Ekklesiologie R e c h n u n g , denn durch die Attribution der Fortsetzung des Kreuzesopfers allein z u m erhöhten Christus und nicht zu einer Kooperation von Christus u n d Kirche im Sakrament wird eine Zugangsmöglichkeit für den Einzelnen jenseits kirchlicher Handlungsvollzüge, nämlich im Glauben, geschaffen. In Luthers Messopfertheologie k o m m t also einmal seine christologisch verankerten Worttheologie, z u m anderen sein Konzept eines allgemeinen Priestertums zur Darstellung. Vgl. auch oben §3.4.3.2. 143 Vgl. JOEST, Ontologie, 387. MCCUE, a.a.O., 216f, sieht hinter Luthers Beharren auf d e m äußeren Wort u n d nicht auf d e m Glauben des Einzelnen als Wirkursache der Christusgegenwart eine Spielart des Ex-opere-operato-Gedankens.

§5

Die Entfaltung der Messopfertheologie

(1520-1522)

301

O p f e r sein. U n d so wie die Verheißung sich nicht nur im Sakrament, sondern im Wortgeschehen überhaupt mitteilt, so ist auch das geistliche O p f e r nicht an das Sakrament gebunden. Luther versteht also nicht nur das Sakrament nicht als O p f e r (soteriologische Motivation), sondern beschränkt das O p f e r auch nicht auf das Sakrament, weil das Sakrament nichts anderes bringt als das Wort (sakramentstheologische Motivation). Deutlich zeigt sich hier der Z u s a m m e n h a n g von Messopfertheologie u n d Sakramentstheologie. D e r R e f o r m a t o r braucht im Testamentsserm o n nur die seit der Hebräerbriefvorlesung g e w o n n e n e n Z u o r d n u n g von Glaube, W o r t u n d Sakrament auf das O p f e r anzuwenden. Z u m zweiten entfällt damit auch die B i n d u n g dieses geistlichen Opfers an ein bestimmtes A m t , d e n n die christologische Exklusivbestimmung des O p f e r a k t a n ten erlaubt keine ekklesiologische Kooperation in Gestalt eines irdischen Priesters. Christus allein ist Priester, damit aber zugleich alle Christen, insofern sie im Glaub e n an Christus teilhaben. So weist Luthers Messopfertheologie zwei Trends auf: Einmal w e n d e t sie sich gegen ein Verständnis des Messopfers v o m Sakrament her, trennt also ganz bewusst O p f e r u n d Sakrament, 1 4 4 z u m anderen „demokratisiert" sie das Opfer, i n d e m sie die Differenz Priester — Laien aufhebt.

1.4.3.4

Das geistliche Opfer als aktive Passivität des inneren

Menschen

Die entscheidende Differenzierung besteht d e m n a c h zwischen der legitimen R e de v o m O p f e r als leibliches O p f e r des äußeren M e n s c h e n u n d v o m O p f e r als geistliches O p f e r des inneren M e n s c h e n einerseits u n d d e m abzulehnenden O p f e r als Sühnopfer an Gott andererseits. W i r d das O p f e r als Folge der Versöhnung in Glaube (geistliches Opfer) u n d Werken (leibliches Opfer) begriffen, dann stimmt L u ther zu. W i r d es aber in irgendeiner Weise in Gottes Gnadenhandeln an uns eingetragen, so erntet es schärfsten Widerspruch. Das entspricht Luthers grundsätzlic h e m Dual Glaube — Werke: D i e Werke selbst sind selbstverständlich nicht abzulehnen, w o h l aber ihr Einbezug in die Soteriologie. 1 4 5 Es geht Luther also nicht u m eine generelle Absage an jegliche R e d e v o m Messopfer. Fraglich scheint i h m nicht, dass die Messe O p f e r sei, sondern vielmehr was an ihr in w e l c h e m Sinne als O p f e r bezeichnet werden darf. U n d hier zieht er die Fronten messerscharf: Jegliche Verwendung der h e r k ö m m l i c h e n Opfersyntax für das Sakrament, welches 144 N a t ü r l i c h steht hier i m H i n t e r g r u n d die G r u n d b e s t i m m u n g des Sakramentes als Gottes H a n d e l n a m M e n s c h e n u n d das Verständnis des O p f e r s als eine an G o t t g e r i c h t e t e Aktivität. D a m i t wird e r n e u t die H a n d l u n g s s t r u k t u r , insbesondere der jeweilige Adressat des G e s c h e h e n s als entscheidendes K r i t e r i u m kenntlich. 145 B e s o n d e r s deutlich wird dies an Luthers D e u t u n g der Elevation. Er u n t e r s c h e i d e t scharf zwischen d e m E m p o r h e b e n v o n B r o t u n d W e i n u n d Fleisch u n d Blut Christi. D i e erste Elevation leitet sich aus Lk 22, 17 h e r u n d wird als D a n k g e b e t an G o t t verstanden. U m die Differenz zu der Vorstellung, die Kirche biete d e m Vater das O p f e r des S o h n e s in Gestalt des Leibes Christi dar, festzuhalten, legt L u t h e r n u n allen W e r t darauf, dass es sich hier u m die n o c h u n k o n s e k r i e r t e H o stie handle. D i e zweite Elevation i m eigentlichen Sinne richtet sich n u n gerade n i c h t an d e n Vater, s o n d e r n an die Gläubigen, u m sie an das Testament Christi zu e r i n n e r n u n d z u m G l a u b e n zu reitzen. W A 6, 366, 22f.

302

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Gottes Handeln an uns beschreibt, wird abgelehnt. 1 4 6 Geht es aber um des M e n schen Handeln Gott gegenüber, so ist die Opfervorstellung legitim, sie setzt dann aber die Versöhnung (christologische Perspektive) und die Rechtfertigung des Sünders (soteriologische Perspektive) bereits voraus. Deutlich wird das in der Verbindung zur liturgischen Kernhandlung der Messe, dem Abendmahl. Luther ordnet es strikt Gottes Handeln an uns zu und scheidet jegliche Opferterminologie aus. Größten Wert legt er darauf, dass die urkirchliche Opferqualifikation der M e s se sich gerade nicht auf den Sakramentsteil beziehe. I m systematischen Uberblick ergibt sich damit für das Opfer im Verhältnis zum Hauptgut der Messe, der Verheißung:

Testament und Sakrament Gott handelt am Menschen durch die Verheißung in Wort und Zeichen

2

Opfer Der Mensch antwortet auf die Verheißung in Glauben und Werken Leibliches Opfer aus Christus

—>

Werk äußerer Mensch —> in Nächstenrelation

Geistliches Opfer in Christus Glaube innerer Mensch in Gottesrelation Gebet, Dank

Kollekte Communio, Sozialität

T

—>

pro me, Individualität

1 4 6 Die Verankerung von Luthers Kritik an der vorfmdlichen Messopfertheologie im reformatorischen Neuansatz kommt m . E . bei A N G E N E N D T , Missa specialis, 216—221, nicht deutlich heraus. O h n e Zweifel kann Luther auf eine „kritische Tradition" (217) zurückgreifen. D o c h ob Luthers Konzept eines „geistlichen Opfers" und sein „Legen auf Christus" gleichbedeutend ist mit den Eingang aller in das Opfer Christi (220), scheint mir zweifelhaft. Trifft Luthers Kritik wirklich nur eine Messopfervorstellung, bei welcher der Priester den Christus praesens dem Vater aufopfert und lässt sich seine Kritik folglich nur auf diese karolingische Neubildung begrenzen? Ist Luthers Konzept des allgemeinen Priestertums schon dann entsprochen, wenn mit dem Priester auch die G e meinde Gott opfert? Freilich liegt in der oben aufgewiesenen Strukturanalogie von geistlichem Opfer und Glauben eine Möglichkeit, auch das Sakramentsgeschehen mithilfe der Opferterminologie zu formulieren.

§5

Die Entfaltung

2 Fides et promissio Messkapitel

der Messopfertheologie

— Die sakramentstheologische von ,De captivitate

303

(1520-1522)

Babylonica'

Einbindung

im

(1520)

Blieb Luthers Interesse im Sermon auf die Messe selbst konzentriert, so verzahnt er in der Hauptschrift 147 das Messopfer noch einmal stärker mit seiner Theologie des Sakraments. Die Messe erscheint deutlich als ein Brennpunkt des Verheißungshandelns Gottes am glaubenden Menschen, sie ist Beispiel und Konkretion des Evangeliums überhaupt. Dies stellt unserer Untersuchung einmal die Frage, inwiefern sich Luthers Messopferkonzept aus einer grundsätzlichen sakramentstheologischen Reflexion ableiten lässt. Z u m anderen sind die Folgen, die sich aus dieser Einbindung in den theologischen Makrokontext für die innere und inhaltliche Gestalt der Messopfertheologie ergeben, in den Blick zu nehmen. Innerhalb unserer Fragestellung ist vor allem die Weiterbildung und Differenz zur bisherigen Messopfertheologie von Interesse, zumal der Sermon und die Hauptschrift nicht selten zusammen behandelt werden, wodurch die Unterschiede in beiden nicht deutlich genug zum Ausdruck kommen. Eine Ubersicht 148 über die vorkommenden Motive belegt sowohl die Abhängigkeit des Messkapitels vom Sermon als auch die besondere Ausrichtung und Weiterbildung. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass die Schriften sich an unterschiedliche Adressaten wenden, was schon die jeweilige Sprachwahl anzeigt. Der Sermon adressiert gebildete Laien und bemüht sich um eine plastische und allgemeinverständliche Argumentation, die Hauptschrift hingegen hat Theologen, 1 4 9 vor allem Priester, 150 im Blick und bietet den Stoff in gedrängter Form, ohne freilich ganz auf Beispiele zu verzichten.

147

Sie ist aufJuli 1520 zu datieren. Vgl. dazu R . SCHWARZ, Angelpunkt, 349; A. PETERS, Kommentar, 4, 22—65. 148

W . NIESEL h a t i n N K Z 3 5 ( 1 9 2 4 ) , 4 7 8 - 4 8 1 b e i d e T e x t e b e r e i t s l i t e r a r k r i t i s c h v e r g l i c h e n .

Ich nehme seinen Ertrag auf und weise an geeigneter Stelle auf die Abweichungen hin. Parallele Motive, die in der Hauptschrift in einem anderen Kontext zu stehen kommen, werden hier kursiv gesetzt. Zusätze zum Sermon sind mit +, Auslassungen mit — gekennzeichnet; der Doppelpfeil () zeigt eine Differenz an. 149 Das bedeutet nicht, dass es Luther hier nur um eine rein systematische Darlegung seiner Messopfertheologie ging, die Praxis wird stets in die Reflexion einbezogen. Dass der Reformator vor allem an eine klerikale Leserschaft denkt, belegen die vielfältigen Bezugnahmen auf die priesterliche Praxis, insbesondere die Ratschläge, wie mit den Messbestellungen umzugehen sei, WA 6, 524, 36-525, 18. 150 Vgl. WA 6, 516, 19f, wo Luther die Verehrung des Sakraments statt seinen Brauch im Glauben ganz selbstverständlich „uns Priestern" anlastet.

304

2.1

Zweiter Teil: Genese und

Literarkritischer

Vergleich

Sermon von dem Neuen Testament (1-2)

(3)

353, 1 -

Gesetzestheologi-

3 5 4 , 17

sche Hinfuhrung

354, 1 8 - 2 4

Gestalt

Gemeinsam

De captivitate Babylonica

5 1 2 , 7—15

Messopfer und f r o m m e r Handel

Das einzige Gesetz

16—25

Christi: die Messe

Christi W o r t gegen Missstände in Lehre und Praxis

Die Einsetzungsworte 24-

Unterscheidung Einsetzung — Zusätze

3 5 5 , 21SI

26—35 5 2 3 , 21—29

— Comnluniomotiv ~ + Gegensatz G o t t e s handeln - menschlicher Fleiß + Zuspitzung auf O p fergedanken 1 ' 3

(4)

3-20

N i c h t alle Zusätze sind abzutun

(5)

28-32

Wortlaut

512, 3 6 513, 5

sas s i , 2'54

als Fels bzw. Hauptstück

— Grundlage für rechte Vorbereitung + W e n d u n g gegen gottlose M e n s c h e n lehre + Hintanstellung fuhrt zu Gottlosigkeit. O p u s operatum, Messopfer

151 NIESEL grenzt 3 5 4 , 25 bis 355, 4 ab. Nach oben ist dies nicht einsichtig, denn dann beginnt der Abschnitt mit einem Relativum, das ohne Bezugsnomen bleibt. Sinnvoller erscheint es daher, die Zeile 24 noch mit hinzuzunehmen. Die Einteilung nach unten ist literarkritisch sinnvoll, da 3 5 5 , 3 f b e i n a h e wörtlich in 523, 2 5 f wiederkehrt, setzt sich aber über Luthers eigene Zuordnung hinweg. Ich folge der Einteilung der Quelle. 1 5 2 D e r Passus 512, 2 6 - 5 1 3 , 4 nimmt nicht nur den 5.Abschnitt des Sermons auf, sondern hat auch eine Entsprechung in 354, 2 5 f und 354, 2 7 , wo die Differenz Einsetzung Christi — menschliche Zusätze sowie eine Aufzählung äußerlicher Werke thematisiert werden. 1 5 3 Dass im Testamentssermon die Einsetzungsworte allgemein den menschlichen Zusätzen, in ,De captivitate' aber einer Bestimmung des Wesens der Messe als Opfer entgegengestellt werden, versteht NIESEL, a.a.O., 481, als Beleg für die Ursprünglichkeit des Sermons. Luther habe „den vorliegenden Stoffdes Sermons' formell gekürzt [...] sachlich [...] sonst oft erweitert und [...] besser geordnet." D i e Gleichung sachliche Erweiterungen und logische Glättungen = spätere Stufe setzt indes eine Fortschritts- und Entwicklungsvorstellung voraus, die heute nicht nur in der E x e gese zurecht als umstritten gilt. Muss eine Weiterbearbeitung denn notwendig eine Verbesserung bedeuten? 1 5 4 NIESEL, a.a.O., 4 7 9 weist 3 5 5 , 3 3 - 3 5 6 , 2 als Parallele zu 513, 6 - 7 und 9 - 1 1 aus. W i e aus der Tabelle ersichtlich, besteht die Ubereinstimmung aber nur hinsichtlich der Grundlagenfunktion der Einsetzungsworte als Hauptstück bzw. als Fels. Im Sermon geht es näherhin um die Vorbereitung, in ,De captivitate' wird auf die Herkunft aus 1 Kor 11 rekurriert und ihre Normativität gegenüber der Lehre herausgestellt.

§5

Die Entfaltung

S e r m o n von d e m N e u e n

der Messopfertheologie

(t

305

520-1522)

Gemeinsam

D e captivitate B a b y l o n i c a

• Grundmodell:

514, 11-

Testament Als N e u e s T e s t a m e n t (6)

3-10

Verheißung - Glaube

25 155

- Liebe 10-13

Glaube als Anfang und Ende der Werke

14-19

Glaube gegen Vernunft, menschl. Vermögen

(7)

• At.licher Aufweis des

20357, 9

Zusammenhangs

26515, 7

Glaube — Verheißung (8)

• Christi Verheißung:

10-13

Das Neue Testament 14-20

513, 1420 i(

,>

Tod als Differenz von Testament und Gelübde • Christologische Lesart

21-24

d. Prophetie

513, 3 7 -

+ Alle Verheißungen

514, 4

+ Gültig erst durch Christus

• Tod als Implikat des

24-27

7-10

Testaments,

- Testament als Summe des Christusgeschehens

(9)

28-32 32-

Aufhebung des AT • Zeitlichkeit des AT

515, 9-10

• Ewigkeit des N T

515, 9 - 1 0

358, 5 5-13

+ 10-11: geistlichleiblich + 12-16: Testament Blut analog Verheißung - Opfer

155

Vgl. auch die Wiederholung (516, 30: „ut dixi") dieses Zusammenhanges in 516, 30—517,

6. 156 Die Stelle lässt sich zweifach zuordnen. Weist man sie mit NIESEL, a.a.O., 479, dem Passus 513, 14—33 zu, dann erhält man einen relativ geschlossenen Zusammenhang. Luther hätte dann in

5 1 2 , 2 6 bis 5 1 5 , 2 6 die A b s c h n i t t e 5 bis 10 ( 3 5 7 , 2 1 - 3 5 8 , 2 4 ) in der R e i h e n f o l g e

5 - 8 - 6 - 7 - 9 -

10 übernommen und erst mit der Zusammenfassung der Zeichenproblematik zu einem Themenblock den Schriftduktus geändert. Die Crux dieser Zuordnung liegt aber in der Verbindung von 357, 10—13 mit 513, 14—33. Denn der Sermon behandelt die besondere Verheißung Christi im Anschluss an das Grundmodell Verheißung — Glaube, ,De captivitate' aber die Testamentsqualifikation gegenüber gottlosen Zusätzen, was sich inhaltlich leichter zu 359, 13—360, 2 ordnet. Zwar geht es beide Male um das Kelchwort, doch eben in anderem Zusammenhang. Es fragt sich daher, ob die Zuordnung der Abschnitte so einfach und glatt vorgenommen werden kann. Luther dürfte weitaus freier konzipiert haben.

306

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

Sermon von dem Neuen Testament

Gemeinsam

De captivitate Babylonica

(10)

• Sündenvergebung als

515, 7

14-16

Inhalt des Testaments • Paraphrase der Einset-

16-24

16-26

zungsworte in wörtlicher R e d e 24-28

Christusgedenken analog Seelenmesse

28-34

Gedenken dient Glaube, Hoffnung, Liebe

Das Zeichen (11)

358,35-37

Stärkung des Glau-

• D i e Grundfunktion

bens 37-

des Zeichens

517, 3 8 -

xa0ionia vor allem die mit einer Bitte verbundene Gabe des Menschen an die Gottheit versteht. Für Luther bringt die Bezeichnung eùxapixma j a vor allem die alleinige Aktivität Gottes zum Heil des Menschen zum Ausdruck. Genauso kann der B e g r i f f aber auch die genau entgegengesetzte Handlungsrichtung, nämlich eine menschliche Darbringung an Gott beschreiben. Vgl. dazu J . A . JUNGMANN, Eucharistia, 30. 4 9 5 „So ist auch darynn, das er brott und weyn gebenedeyet odder danckgesagt hatt, keyn opffer angetzeygt: sonst hett er auch die funff gersten brot unnd tzwene fisch geopffert, welche er yn seyn hand nam, gebenedeyet odder dancksagt unnd gab sie den Jungern [...]." W A 8, 513, 14—18. 4 9 6 „Suscipe, sancta Trinitas, hanc oblationem, quam tibi offerimus [ . . . ] . " Danach fordert der Priester die Gläubigen auf: „Orate fratres: ut meam ac vestrum sacrificium acceptabile fiat apud D e u m Patrem omnipotentem." Zitiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'Ordinaire, 72.

384

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

W e r do opffert, der bett u n n d bitt gott, das er wolt von y h m seyn opffer mit gnaden a n n e h m e n etc. W e r aber dancksagt, der bett nicht, dasz es a n g e n e h m e sey, sunder frawet sich, das y m etwas g e g e b e n sey u n d er esz entpfangen habe [ . , . ] . " 4 9 7

So stellt Luther das Opfer und die Bitte als an Gott gerichtete und mit einer Intention verbundene menschliche Handlungsvollzüge auf die eine, den Dank als absichtsloses Gotteslob aber auf die andere Seite. Die Legitimität des sakramentalen Dankes erweist sich daher in seiner Vereinbarkeit mit dem Verständnis der Messe als Handlung Gottes am Menschen, die sich in der Austeilung an die Gemeinde als der einzigen Adressatin der Messe konkretisiert: szo musz keyn messe, soll sie anders Christus eynsatzung und exempell gemesz seyn, gehalden werden, es werde denn das sacrament g e b r o c h e n und v o m priester unter vill auszgeteilt. W i r t t aber yrgent eyne anders gehalden, szo ist dasselbige nitt eyn Christliche messe, sondern ganz stracks wider Christus Ordnung und eynsatzung. 4 9 8

Das vorfindliche Messopfermodell weist für Luther die Struktur Aktant Priester — Gabe Leib und Blut Christi — Adressat Gott auf. Seine Kritik zielt aber nun nicht allein auf die falsche Besetzung der Opfergabe (Leib und Blut statt Brot und Wein), sondern auf die syntaktische Struktur. Wie Luther zur Opferqualifikation der Messe steht, entscheidet sich nicht erst daran, ob der menschliche Dank, Brot und Wein als dessen Ausdruck oder aber Leib und Blut Christi Gott im Sakrament dargebracht werden. Sondern sobald die Reflexion auf die Handlungsstruktur des Sakraments ein menschliches Handeln gegenüber Gott in die Wesensbestimmung des Sakramentes hineinnimmt, ist sein Modell der Rezeptivität aufgelöst: Es ist nit genug das man schwetzt und spricht: Christus wirt von uns geopffert unter brot und weyn. N e h m e n w y r d o c h unter brot und weyn C h r i s t u m tzu uns, szo d o c h von d e m opffer des h e r r n nichts soll g e n o m m e n w e r d e n . 4 9 9

3.3.3.2

Die Irrelevanz der Opfergabe für die

Messopferkritik

Die Geschehensrichtung der Messe 500 erscheint damit eindeutig als das entscheidende Kriterium für den Abweis eines Verständnisses des Sakraments als Opfer: E y n opffer ist eyn werck, das w y r gott von dem unszern reychen und geben. A b e r die tzusagung ist gottis wort, wilchs d e m m e n s c h e n gottis gnad und barmherzickeit gibt, das es nit alleyn yrrig, sondern auch von m e n s c h e n vernunfft unbegreyfflich ist, ausz gottis Verheiß u n g eyn m e n s c h l i c h opffer und auusz d e m wortt gottlicher majestet eyn werck eyner ar-

WA 8, 513, 2 2 - 2 5 . WA 8, 513, 3 5 - 5 1 4 , 3. 4 9 9 WA 8, 515, 3 9 - 5 1 6 , 3. 5 0 0 Vgl. dazu auch die scharfe Erfassung der Problemstellung bei M . S T U F L E S S E R , Memoria passionis, 273: „Doch liegt das Problem der Darbringungsaussagen primär nicht in der Frage nach dem rechten Verständnis des Objekts, sondern in der Frage nach dem rechten Verständnis des Prädikats begründet: es geht also um das mit ,Darbringung' umschriebene Handeln der Kirche." In dieser Konzentration auf die Geschehensrichtung und nicht die Opfergabe liegt m.E. das R e c h t der Kritik Stuflessers an R . M E S S N E R S Konzept. 497

498

§5

Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

385

m e n creaturn zu machen: szo doch keyn gleichnisz ist tzwischen dem wortt gottis und unszerm werck, ich schweyg, das sie eyn ding seyn sollen. 501

D e r von Luther als Interpretament des Sakraments abgelehnte O p f e r b e g r i f f weist also zwei charakteristische M o m e n t e auf: Einmal besteht er in einer menschlichen Handlung, die sich an G o t t richtet, z u m anderen motiviert sich diese H a n d l u n g aus der Erwartung, G o t t werde dieser auf ihn gerichteten H a n d l u n g positiv e n t sprechen. Für Luther sind menschliches H a n d e l n u n d Wortgeschehen als sakramentstheologische Reflexionsobjekte streng zu unterscheiden u n d lassen sich nicht als Teilmomente eines Ineinanders erfassen. Dieses Element der Opferkritik ergibt sich daher aus d e m Paradigma Verheißung — Glaube, das allein die R e z e p t i vität des M e n s c h e n beschreibt. [...] eyn tzeychen und getzeugnusz, das ettwas von gott entpfangen und gegeben ist, nicht das wyr gott ettwas opfierten odder geben. Wer do opffert, der bett und bitt gott, das er wolt von y h m seyn opffer mit gnaden annehmen etc. Wer aber dancksagt, der bett nicht, dasz esz angenehme sey, sunder frawet sich, das ym ettwas gegeben sey und er esz entpfangen habe: das du sihest, wie alle wortt da widder streben, das die messe eyn opffer sey, gott gegeben, und tzeygen, das es eyn gnad und gab gottis sey, den menschen geschanckt, welches sie von gott n e h m e n u n d entpfahen sollen, ym dancksagen, loben und gebenedeyen, nicht bitten, das es gott wolt annehmen. 5 " 2

Deutlich wird hier erneut, dass Luther den D a n k durchaus als die d e m Sakramentsgeschehen entsprechende menschliche H a l t u n g verstehen kann. Aber er ist nicht der menschliche Anteil am Sakramentsgeschehen, sondern spontane R e a k t i o n . Das hält die Differenzierung zwischen D a n k u n d O p f e r fest: Sobald der D a n k als eine menschliche Aktivität so in das Sakramentsgeschehen eingezeichnet wird, dass Christus nicht m e h r als der allein H a n d e l n d e u n d in dessen Folge Gott als Adressat bestimmt wird, ist Luthers rein rezeptiv bestimmte R o l l e des M e n s c h e n i m Sakrament erweitert. 5 0 3

Zusammenfassung

des fünften

Paragraphen

Im ,Sermon von dem Neuen Testament' (1520) f u h r t Luther seine bis dahin ausgebildete Messtheologie bruchlos zu einer ausführlichen Kritik der vorfindlichen Messpraxis. Dieser Z u s a m m e n h a n g strukturiert auch den Aufbau der Schrift, welche sich in eine theologische G r u n d l e g u n g (Abschnitte 1—12), Konfrontation mit der durch drei Missbräuche gekennzeichneten Messpraxis (13—33) u n d Praktische R e formvorschläge (33-39) gliedert. Luther setzt ein mit einer Erläuterung des Z u -

501 WA 8, 512, 13f. Luther kann den Gegensatz zwischen Verheißung und Opfer auch beschreiben, ohne die Opfergabe auch nur zu erwähnen, vgl. WA 8, 512, 29: „Sie geben gott, Christus vorheysst den menschen." 502 WA 8, 513, 20-28. 503 Diese Bestimmung des Dankes weist auch die im Anschluss behandelte Schrift ,Vom Greuel der Stillmesse' auf. Vgl. etwa WA 18, 24, 12.16.

386

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

sammenhanges von Opfer und Gesetz und stellt der gemeinschaftsgefährdenden Uberschätzung des Menschengesetzes das eine Gesetz Christi, die Einsetzungsworte gegenüber. Sie versteht er als mess- und sakramentstheologische Konkretion der Schriftbindung, des Gotteshandelns im Wort und des im Glauben an die Verheißung vermittelten Heils. Durch die Wahl einer enger an die Evangelientexte angelehnten Fassung der Einsetzungsworte anstelle der Version des Messkanons wird die innere Konsistenz dieses Ansatzes gegenüber den früheren Sakramentsschriften erhöht. Diese Entwicklung weist auch der zweite Gedankenschritt auf, bei dem Luther die verba anhand der nun in sechs Elementen entfalteten Testamentsmetapher konstruktiv expliziert. Insbesondere die Handlungsstruktur des Kreuzesopfers wird nun nicht mehr als gegenläufig zur Geschehensrichtung der Messe aufgefasst, sondern durch die R e d e vom „Tod Gottes" als Handeln Gottes am Menschen interpretierbar. Seine den zweiten Hauptteil bestimmende Kritik entfaltet Luther als Schilderung dreier Missbräuche. Der erste, der Verlust der Messverheißung, ist dabei die Voraussetzung für die beiden anderen, das Fehlverständnis der Messe als Werk und als Opfer. So zeigt sich erneut die Grundfigur der im Glauben an das Verheißungswort wahrgenommenen Sündenvergebung als Kern der Messtheologie Luthers. Im Verlust dieses Hauptgutes sieht er die Wurzel der hier erneut abgelehnten vorfmdlichen Vorbereitungspraxis und fordert im Namen der Verheißungstheologie das Deutsche als Messsprache. Die allgemeine Verständlichkeit der verba soll das Hauptgut wiedergewinnen und damit sowohl die Gleichrangigkeit der Sakramentsgemeinschaft vor Gott gegen eine geistliche Hierarchiebildung als auch die tröstende Ausrichtung des Sakraments gegen skrupulöse Furcht sichern. Auch die Kritik an einer Fixierung auf das Zeichen, wie sie seine Schilderung des zweiten Missbrauchs thematisiert, ergibt sich aus der sakramentstheologischen Grundfigur. Wird die Verheißung nämlich verschwiegen, so tritt das Zeichen in den Verfugungsbereich des Menschen und wird als Dritten zuwendbare Gabe an Gott von ihm zur Selbstrechtfertigung eingesetzt. Eine Wahrnehmung der Verheißung im Glauben aber versteht sie als Gabe an den Menschen, bei deren Empfang niemand vertretbar ist. Die aus der urchristlichen Kollektenpraxis hergeleitete Messopfervorstellung wird schließlich keineswegs kategorisch abgelehnt, sondern differenzierend aufgenommen, gleichwohl aber im Sinne der Grundfigur transformiert. So kennt Luther drei legitime Opferkonstellationen: Zunächst das äußere leibliche Opfer im Sinne eines Werks (Aktant: äußerer Mensch — Gabe: Gottes Schöpfungsgaben — Adressat und Begünstigter: Nächster), dann das innere, geistliches Opfer, das sich in zwei Typen gliedert. Der erste besteht im Selbstopfer des ganzen M e n schen (Aktant: Mensch — Gabe: Lob, Dank und Willenskonformität mit Gott — Adressat: Gott). Es ist die Antwort auf die im Sakrament zugesprochene Gnade, und insofern ein Analogiegebilde zum Glauben. Der zweite Typus versteht unter dem geistlichen Opfer die Wahrnehmung der Mittleraktivität Christi im Sinne des allgemeinen Priestertums (Aktant: Christus - Gabe: Glaubende - Adressat: Vater), wodurch Christus als das wirkende Subjekt auch des geistlichen Opfers analog dem Rechtfertigungsgeschehen kenntlich wird. Aus dieser exklusiven Besetzung

§5

Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

387

der Aktantenrolle mit Christus in der Perspektive des inneren Menschen folgt n o t wendig der Abweis eines Opfermodells, welches das Sakrament in einer Weise zum Opfer macht, die seine von Luther als Vergebungshandeln Gottes am M e n schen beschriebene Geschehensrichtung in ihr Gegenteil verkehrt. Das mithilfe dieser drei Konstellationen beschriebene Messopfermodell fordert dann praktische R e f o r m e n im Bereich der Messvorbereitung, des Messverlaufs (öffentliche Rezitation der verba, Laienkelch), der liturgischen Totenfiirsorge und der Messhäufigkeit. In der vornehmlich an Theologen und Klerus gerichteten reformatorischen Hauptschrift ,De captivitate babylonica praeludium' (1520) illustriert Luther seine Sakramentstheologie zuerst am Taufsakrament. Der Vergleich mit dem laikalen Lesern zugedachten Testamentssermon offenbart den polarisiernd-kontroverstheologischen Charakter der Schrift. Dies zeigt sich in der schärferen Profilierung der praxis- u n d traditionskritischen Implikate des messtheologischen Ansatzes, die gliederungstechnisch durch eine Anordnung in Themenblöcken unterstützt wird. Luther verzichtet nun auf die Zitation der verba nach der Kanonfassung, er leitet das Testamentskonzept nicht induktiv her, sondern setzt es deduktiv voraus und bejaht die liturgische Totenfiirsorge nicht mehr modifizierend, sondern kritisiert sie. Eine polarisierende Tendenz kennzeichnet auch seine Ausfuhrungen über das Zeichen. Bei der Verhältnisbestimmung zwischen alttestamentlichen und neutestamentlichen Zeichen löst das Kriterium der Verheißungsbindung das spätmittelalterliche Unterscheidungsmerkmal der selbstmächtigen Wirkung ab und schafft so eine Distanz zum Ex-opere-operato. Die Abhängigkeit des Zeichens vom Wort wird dabei gegen die vorfindliche Elementenfixiertheit so sehr betont, dass die Trägerfunktion des Zeichens für die Verheißung verblasst. Die Messopferqualifikation steht dem Testamentskonzept nun disjunktiv gegenüber; Verheißung, Glaube und Rezeptivität sind die Antipoden einer Applikabilität der Messe und eines sakrifiziellen Sakramentsverständnisses. Die im Testamentssermon noch in Opferterminologie beschriebenen Gebete werden jetzt aus der Opferthematik ausgegliedert, so dass insgesamt eine gegenüber dem Testamentssermon an inneren Differenzierungen ärmere Darstellung entsteht. Im Zuge dieser Entwicklung versteift sich die implizite Spannung zwischen Dank und Opfer nun zu einer Trennung und der Begriff des „geistlichen Opfers", wie er in den Abschnitten 25—28 des Testamentssermons entfaltet wurde, entfällt. Eine christologische Vertiefung seines Messopferkonzeptes erreicht Luther dann in der den Wittenberger Augustinern gewidmeten Schrift ,De abroganda missa privata', die er unter dem Titel ,Vom Missbrauch der Messen' (1521) auch ins Deutsche übersetzt. Die dreiteilige Publikation lässt einer christologischen G r u n d legung eine Gegenüberstellung von Testamentskonzept und Opferqualifikation folgen, ehe sie im abschließenden Teil den Zusammenhang zwischen Priestertum, Gesetz und Opfer entfaltet. Die Grundlegung (I) bläst zu zwei „Stürmen": im N a men des Priestertums Christi und aller Gläubigen gegen ein äußerlich-institutionelles Priestertum (1) und unter Berufung auf das Selbstopfer Christi und der Gläubigen gegen ein äußerlich-sakramentales Messopfer (2). Dann sucht Luther

388

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

die Predigt als wahres Opfer des Amtsträgers zu erweisen (3) und kontrastiert ein aus dem Neuen Testament erhobenes Amtskonzept gegen das vorfindliche Modell (4). Im zweiten Teil (II) profiliert Luther in Form einer kursorischen Auslegung der verba seine Kritik am sakramentalen Messopfer (1) und sucht drei für dieses Konzept beigebrachte Argumente zu entkräften (2). Der dritte Teil (III) leistet dann eine Anwendung auf die kirchliche Wirklichkeit, indem er nach einem allgemeinen Aufweis des Zusammenhanges zwischen Priestertum, Gesetz und Opfer (1) die Struktur des neutestamentlichen Priestertums Christi dem gegenwärtigen Priesterverständnis (2) und das im Dekalog konkretisierte alttestamentliche Gesetz den Bestimmungen des geistlichen Rechts (3) entgegenstellt. Die anschließende Zusammenfassung (4) versucht die alttestamentliche Kritik an den Priestern der altorientalischen Umwelt allegorisch auf die Kleriker der Gegenwart zu deuten (5). Ein Rekurs auf die Wittenberger Situation schließt die Schrift ab. Die Konzentration auf die Einsetzungssituation der verba fuhrt hier zur Wahl des vor dem Kreuzesopfer situierten Mahles als Interpretament des Sakramentsgeschehens. Dieses Verständnis tritt dann in Spannung zu einem Messopfermodell, welches die Opferqualifikation in dem im Abschiedsmahl antizipiert gedachten Kreuzesopfer begründet. Neben der Herleitung des Opfercharakters wird nun insbesondere der Väter als Opferadressat problematisiert. So führen die für seine T h e o logie in den Jahren 1 5 2 1 / 2 2 zentralen christologischen Überlegungen Luther zu einer Betonung der Einheit von Vater und Sohn im Wort bzw. der Gottheit und Menschheit Christi auch im Kreuzesopfer und zu einer unauslöslichen Einbettung des Kreuzesopfers in das gesamte Christusgeschehen. Diese Überlegungen stehen in Spannung zu einer satisfaktorischen Wahrnehmung des Kreuzestodes als notwendiges Sohnesopfer an den Vater, welche auf das Leiden der Menschheit Christi abhebt. Die traditionellen Vergegenwärtigungsmodi des Kreuzesopfers, die Zeit („Gedächtnis") und das Bild („Repräsentation"), erfahren von hier aus eine charakteristische Prägung, insofern Luther als Gedächtnis die Zusage der Sündenvergebung in der Verheißung und als Gegenwart des Erhöhten das Wortgeschehen und nicht eine das Kreuzesgeschehen abbildenden Handlung benennt. So wird nicht das Kreuzesopfer, sondern der Erhöhte im Verheißungswort gegenwärtig, der eine schlichte, alltägliche Handlung zur Sakralhandlung erklärt und damit erneut das Wort und nicht etwa den Handlungsvollzug selbst zum Ort der Gotteszuwendung erklärt. Damit hält Luther die alleinige Subjektrolle des Erhöhten im sakralen Mahl gegen eine Delegation an die Kirche fest. Diese fortgesetzte Priestertum des Erhöhten bedeutet für den Zusammenhang von Messe und Opfer die B e setzung von Aktanten- und Gabenrolle mit Christus, so dass das menschliche O p ferhandeln stets aus der Perspektive des Danach, der durch Christus immer schon eröffneten Gotteskommunikation, wahrzunehmen ist. Eine öffentlich institutionalisierte Vermittlungsinstanz in Gestalt eines äußeren Priestertums lehnt Luther daher als Konkurrentin ab. Der Konzentration auf das Opfersubjekt Christus entspricht eine Extension der Rezeptionssubjekte („allgemeines Priestertum"). D e ren Opfer besteht in einem nicht institutionalisierbaren, inneren Selbstopfer, welches, wo es sich veräußert, nicht als zeitliche Koinzidenz mit, sondern als ethische

§ 5 Die Entfaltung

der Messopfertheologie

(1520-1522)

389

Analogie zum Kreuzesopfer kenntlich wird. Wo Luther das Wort als Vermittlungssubjekt thematisiert, spricht er auch von einem besonderen Opfer des Amtsträgers, welches in der Predigt an die Gemeinde besteht. Sie richtet sich nicht an Gott, sondern an die Mitchristen und ist nicht durch Weihe oder Status personal gebunden, sondern aus der praktischen Erfordernis einer geordneten Verkündigung in der Öffentlichkeit abgeleitet. Sie steht somit am Schnittpunkt zwischen innerem und äußerem Menschen. D e n Dank bestimmt Luther als Indiz der Rezeptivhaltung des Menschen im Sakrament und mithin nicht als Voraussetzung, sondern als Folge des Geschehens. Als solche steht er der absichtsvollen Bitte und dem Opfer an Gott gegenüber. Damit weist auch diese Schrift die Geschehensrichtung des Sakraments als den zentralen Indikator für Luthers Urteil über die Legitimität einer Messopferkonzeption aus.

§6 Ausblick: Die Messopfertheologie nach 1522 Luther hatte die Grundkonzeption seines Verhältnisses von Abendmahl und Opfer in den Jahren 1520 bis 1522 ausgebildet. Mit den innerprotestantischen Auseinandersetzungen um die Realpräsenz tat sich in den folgenden Jahren eine neue G e genposition auf, welche die bisherige Frontstellung zurücktreten ließ. Dass das Messopferthema als wichtiger Bestandteil der Sakramentstheologie Luthers erhalten blieb, zeigt allerdings ein Ausblick auf die nach 1522 entstandenen Schriften. Ihre Bedeutung liegt indes nicht nur in dem Nachweis, dass das Messopferthema durchgängig die theologische Aufmerksamkeit Luthers beanspruchen konnte, sondern vor allem in der Wiederaufnahme des im Testamentssermon formulierten Messopferkonzeptes. Zwei Modi bestimmen nun die Behandlung der Thematik: Der Zusammenhang zwischen Opfer und Bitte und das Verständnis des Opfers als Dank.

1 Opfer und Bitte — Luthers Kanoninterpretation in ,Vom Greuel der Stillmesse'

(1525)

In den bisher behandelten Messopferschriften Luthers hatte der Kanontext eine Randstellung eingenommen. Luther erwähnte ihn summarisch oder ließ Einzelformulierungen in die Argumentation einfließen. 1 Eine explizite Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der Gebete blieb damit einer eigenen Schrift vorbehalten. Ihr liegen zwei Predigten gegen die altgläubigen Stiftsherren 2 zu Grunde. Aus dieser Frontstellung erklärt sich der polemische Ton, welcher das sachliche Anliegen der Argumentation nicht immer glücklich zu vermitteln vermag und das Aufspüren der theologisch interessierenden Zusammenhänge erschwert. Deshalb sucht man eine Interpretatio ad bonam partem in dieser Schrift vergebens, Luther erstrebt eine griffige und schlagende Kritik und nicht eine einfühlsame und erschöpfende Exegese. So fällt sein Kommentar oft weitaus kürzer aus als der zu interpretierende Text. Zugleich darf diese äußere Form aber nicht dazu verleiten, den Sachgehalt der Schrift abzuwerten. Natürlich ist die Situation in Rechnung zu stellen: Luther 1 So in ,De captivitate babylonica', W A 6, 5 2 3 , 8. Dort zitiert Luther aus dem Te igitur, dem Hatte igitur und dem Supra quae. Vgl. auch ,De abroganda missa privata' W A 8, 4 4 9 , 5. 2 Nämlich vom 2 . 8 . 1523, W A 11, 1 5 7 - 1 5 9 (Rörer) und W A 1 2 , 6 4 5 - 6 5 1 ( R o t h ) sowie vom 2 7 . 1 1 . 1524, W A 15, 7 6 4 (758)—774. Zu einem literarkritischen Vergleich zwischen den Predigten in Rörers Nachschrift und ,Vom Greuel der Stillmesse' vgl. W A 18, 12f.

§ 6 Ausblick: Die Messopfertheologie nach

1522

391

wendet sich hier ungeduldig gegen die reformunwilligen Stiftsherren, will die praktischen R e f o r m e n beschleunigen und malt gerade deshalb den „Frevel" der gegenwärtigen Messfeier in besonders dunklen Farben aus. Gegenüber den „Verstockten" riet er ja bereits in der ,'Treuen Vermahnung' zu einem wenig diplomatischen Vorgehen, indem er sie vor den Kopf zu stoßen empfahl. 3 Auch die Ausfälle gegen die nach Luthers Meinung mangelnde innere Konsistenz der Kanongebete 4 gehören hierher. Z u fragen bleibt daher, inwiefern die knappen Zuspitzungen Luthers die Problematik auf den Punkt bringen oder aber verkürzen. Die Schrift selbst weist einen dreiteiligen Aufbau auf: Auf die Vorrede, 5 welche Luthers Grundkonzept schlagwortartig zusammenfasst, folgt der Hauptteil, 6 der aus einer Exegese der Kanongebete nach der Chronologie der Messe besteht. Der Schluss 7 kehrt zu den Eingangsüberlegungen zurück und fordert zur Abschaffung der alten Messe auf. 1.1

Duktus

und

Auflau

Die Vorrede trägt zunächst der Wittenberger Situation R e c h n u n g . Luther verwahrt sich gegen den Vorwurf, er lehre leiblichen Aufruhr, 8 und nimmt dann erneut die Unterscheidung zwischen Schwachen (hier Einfältige und Ungelehrte) und Verstockten (Gelehrte) auf. 9 D a n n erläutert er sein Vorhaben, die wortgetreue Auslegung des Kanons. 1 0 In einer theologischen Grundlegung entfaltet er zunächst die „Summa des Euangelii" 1 1 , indem er noch einmal die soteriologische und die christologische Linie seiner Messtheologie aufzeigt: Der Vater habe den Sohn gesandt, dem allein eine Mittlerstellung zukomme. Das Kreuzesopfer sei allein im Glauben wahrzunehmen, wer mit Werken und Gesetzen vor den Vater k o m m e n wolle, der strafe Gott selbst Lügen. So ergebe sich aus dem kcpämiq die

3 „ W e n n d u aber sihest / das die selbigen lugner / y h r l u g e n v n n d gifft a u c h y n n andere leutt schencken / da soltu sie getrost f ü r d e n kopff stossenn / v n n d w i d d e r sie streytten / gleych w i e Paul(us) stiesz E l i m a m act. xiij. M i t harten scharffen w o r t t e n / v n n d Christus die Phariseos n e n n e t otter getzichte / das soltu nit v m b y h r e n n willen t h u n d e n n sie h ö r e n nitt / s z o n d e r n v m b der w i l len / die sie vorgifften / alszo g e p e u t . S(ankt) Paulus Tito. E r soll solche v n n u t z e plauderer v n n d seel vorfurer / hertticklich straffenn." LStA 3, 25, 1—8. Vgl. zu dieser Schrift die A u s f u h r u n g e n unter §8.1. 4 Vgl. die g e g e n w ä r t i g e Kritik an der Gestalt des ersten H o c h g e b e t s , referiert bei STUFLESSER, m e m o r i a passionis, 3 0 0 f . H i e r w i r d f o r m a l die literarische Vereinzelung der G e b e t e u n d inhaltlich die P r ä p o n d e r a n z der epikletischen u n d interzessorischen G e b e t e g e g e n ü b e r der L o b - u n d D a n k m o t i v i k beklagt. 5

W A 18, 22, 1 - 2 4 , 30. W A 18, 24, 31—36, 2. Dabei lässt sich 36, 3—8 auch als A u s l e g u n g des Schlussgebetes versteh e n . D e r R e k u r s auf d e n B e g i n n der Messe u n d der zusammenfassende C h a r a r a k t e r dieses A b schnitts spricht aber fiir eine Z u w e i s u n g z u m Schlussteil der Schrift. 6

7 8 9 10 11

W A 18, 36, 3 - 3 5 . W A 18, 22, 1 - 2 1 . W A 18, 22, 2 2 - 2 3 , 6. W A 18, 23, 7 - 1 2 . W A 18, 23, 1 2 - 2 4 , 7, das Zitat findet sich in 23, 25.

392

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

Absage an andere Opfer. 1 2 Diesen destruktiven Aspekt seiner Messtheologie skizziert Luther nun als ausschließliches Gegenüber zu den Opferaussagen des Kanon. 1 3 Mit dieser Gegenüberstellung von Kreuzes- und Messopfer ist aber zugleich über die theologische Legitimität des Kanons entschieden, denn so erscheint jede seiner Opferaussagen als Verletzung des ecpotJiaä;, eine gelingende Verhältnisbestimmung zum Kreuzesopfer kommt gar nicht mehr in den Blick. Insbesondere die Besetzung der Aktantenrolle mit den Gläubigen und die Bezeichnung von Brot und Wein als Opfer und Gabe an Gott findet Luthers Kritik. 1 4 Die Schärfe seines Widerspruches ergibt sich also aus dem Verständnis des Kreuzesopfers als einer Tat Gottes, welche dessen Ergänzung durch Menschen als Angriff auf Gott selbst erscheinen lässt.15 Der Hauptteil der Schrift gliedert sich dann nach den Gebeten des Messkanons 1 6 und entfaltet die eingangs skizzierte Grundposition Luthers. Als Intention des Te igitur erhebt er ein vegetabiles Sühnopfer, das der Priester stellvertretend für die ganze Christenheit darbringen wolle. 17 Dann fuhrt er die Trennung zwischen Kreuzesopfer Christi und den Opferaussagen des Kanontextes durch. Sein Beharren auf dem eqxirtat lässt ihn letztere ausschließlich als Konkurrenz zum Christusopfer wahrnehmen. Zwei Aporien 1 8 enthält für Luther dieses Gebet: Einmal werde das Brot als heilig und unbefleckt (sancta sacrißcia illibata) bezeichnet und den1 2 „Derhalben haben und wissen wyr keyn opffer mehr, denn das er am creutz than hat, daran er eyn mal gestorben ist, wie die Epistel zun Ebreern sagt, und damit ausgeschepft hat aller m e n schen sunde, und uns auch damit heylig gemacht ynn ewickeyt." W A 18, 34—37. 1 3 „Ist nu dis Euangelion war, so mus alles erlogen sein, was eyn andere weyse und opffer füret." W A 18, 24, 8f. 1 4 „ N u thun die papistischen pfaffen ynn der Messe nichts anders, denn das sie on unterlas mit solchen Worten faren, ,Wyr opfern, wyr opfern', und ,dise opfer, dise gaben' etc. und schweygen des opffers gar still, das christus than hat, dancken yhm nicht, ia verachtens und verleuckens, und wollen selbs für Got komen mit yhrem opfer." W A 18, 24, 9—13. 1 5 Luther beschreibt dies in einer Form, die an die alttestamentliche Prophetie erinnert, in der direkten Gottesrede: „,Mus ich denn deyn Narr und lu(e)gner seyn? Ich hab dyr ein opffer g e schenckt, meynen eynigen son, das soltistu mit danck und allen freuden annemen, so tharstu für mich tretten, und schweygst des stille, gleych als durffistu seyn nicht, und verachtist den aller ho(e)histen schätz, den ich ynn hymel und erden habe." W A 18, 24, 15—19. 1 6 Insofern herrscht in dieser Schrift wie in ,De abroganda' das Gliederungsprinzip der H o m i lie vor: D o r t bestimmen die Einsetzungsworte, hier der Messkanon den Gang der Argumentation. Dabei hält sich Luther in ,De abroganda' enger an die Struktur des auszulegenden Textes und zeigt sich sensibler für dessen Architektur. E r beginnt mit dem Te igitur (WA 18, 24, 31—26, 14) und lässt dann die übrigen Gebete folgen: Memento Domine (26, 15—39), Communiccmtes (WA 27, 1—24), Hanc igitur (27, 25—36), Quam oblationem (28, 1—23), Qui pridie (28, 24—29, 10), Unde et memores (29, 17—36), Supra quae (30, 1—21), Supplices (30, 22—37), Memento mortuum (31, 1—15), Nobis quoque peccatoribus (31, 16—35), Per quem (31, 36—32, 7), Oremus (32, 8—10), Paternoster (32, lOf, [nur Titel]), Libera nos (32, 12—33), Pax (32, 35—33, 14 [das Agnus dei wird ausgelassen]), Domine Jesu Christi (33, 1 5 - 3 4 , 12), Perceptio Corporis (34, 1 3 - 3 5 , 18), Quod ore sumpsimus (35, 1 9 - 2 9 ) , Entlassung (35, 3 0 - 3 6 , 35). 1 7 „Sihe, da steht der Pfaff und hat eyne hostien oder oblat von lauter brot, und eyn kylch mit weyn für sich, und redet mit Gott, das er das ansehen solle, und solle so ko(e)stlich seyn, und so viel gelten, das es für die gantze Christenheyt eyn opffer sey für G o t . " W A 18, 25, 5—8. D e r ganze G e dankengang Z Z 5—14. 18

W A 18, 25, 1 4 - 2 2 .

§6

Ausblick: Die Messopfertheologie nach

Ì522

393

n o c h u m Akzeptanz u n d S e g n u n g der G a b e n d u r c h G o t t g e b e t e n (uti accepta habeas et benedicas). Z u m a n d e r e n w ü r d e n B r o t u n d W e i n als O p f e r an G o t t verstanden, schließlich aber v o m A k t a n t e n selbst verzehrt. In e i n e m zweiten G e d a n k e n g a n g stellt L u t h e r dieses vegetabile S ü h n o p f e r d a n n d e m Kreuzesopfer Christi k o n k u r rierend gegenüber. A u c h in der anschließenden Auslegung des Memento vivorum setzt L u t h e r dieses M e s s o p f e r k o n z e p t voraus. H i e r findet insbesondere die Bitte der G l a u b e n d e n u m die Erlösung ihrer Seelen seine Kritik. I h m erscheint es als ein W i d e r s p r u c h , d e n G l a u b e n zu h a b e n u n d d o c h nicht erlöst zu sein. In der b e h a u p teten Differenz zwischen G l a u b e n u n d n o c h ausstehender Erlösung sieht er das Bestreben, sich selbst d u r c h ein vegetabiles S ü h n o p f e r erlösen zu wollen. I m Z u s a m m e n h a n g m i t d e m Communicantes19 thematisiert L u t h e r die M i t t l e r f u n k t i o n Christi. E r kontrastiert Christus u n d die Heiligen u n t e r den A s p e k t e n des G e dächtnisses u n d der Vermittlung zwischen G o t t u n d M e n s c h . D a b e i k o m m t e r n e u t das solus Christus z u m Austrag. L u t h e r will hier nicht die G e m e i n s c h a f t m i t d e n G l ä u b i g e n aller Z e i t e n u n d W e l t g e g e n d e n a u f k ü n d i g e n . W i e die Analyse v o n , D e abroganda' zeigte, versteht er d e n Gedächtnisauftrag als Austeilung v o n Leib u n d Blut Christi an die G e m e i n d e . E b e n dieses G e b o t sieht er d u r c h das H e i l i g e n gedächtnis aber verletzt, insofern hier das f ü r seine Messtheologie so wichtige M o m e n t der Austeilung entfällt u n d der E m p f a n g d u r c h die m e m o r i a l e Aktivität der G e m e i n d e ersetzt w i r d . 2 0 So stehen die Heiligen hier an d e m O r t , der f ü r L u t h e r allein Christus z u k o m m t : der V e r m i t t l u n g zwischen G o t t u n d M e n s c h . 2 1 D i e B e d e u t u n g der verba f ü r das M o m e n t der Konsekration zeigen dann die A u s f ü h r u n gen z u m Quam oblationem. L u t h e r verweist darauf, dass bereits i m Te igitur Brot u n d W e i n als „heilig" u n d „ u n b e f l e c k t " b e z e i c h n e t w ü r d e n . W e n n n u n die entsprec h e n d e n Adjektiva des Quam oblationem erst m i t Leib u n d Blut v e r b u n d e n w e r d e n , so setzt die W a h r n e h m u n g beider Q u a l i f i k a t i o n e n als eine A p o r i e voraus, dass in der Messe die E l e m e n t e vor d e n verba Brot u n d W e i n u n d danach als Leib u n d Blut zu b e t r a c h t e n sind. E n t w e d e r Brot u n d W e i n o d e r aber Leib u n d Blut k o m m t nach

19 „ C o m m u n i c a n t e s et m e m o r i a m venerantes, in primis gloriosae semper Virginis Mariae, G e nitricis Dei et D o m i n i nostri Iesu Christi: sed et beatorum Apostolorum ac M a r t y r u m t u o r u m , Petri et Pauli, Andreae, Iacobi, Ioannis, T h o m a e , Iacobi, Philippi, Bartholomaei, Matthaei, Simonis et Thaddaei: Lini, Cleti, Clementis, Xysti, Cornelii, Cypriani, Laurentii, Chrysogoni, Ioannis et Pauli, Cosmae et Damiani: et o m n i u m sanctorum t u o r u m ; q u o r u m meritis precibusque concedas, ut in omnibus protectionis tuae m u n i a m u r auxilio. Per e u n d e m Christum D o m i n u m n o strum. A m e n . " Zitiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 77f. 20 Dass diese Kritik Luthers eine zeitgenössische Interpretation des Communicantes trifft, zeigt N M A 136, 11—17: „ H i e r i n n e werden gemeldet vier ding in gedechtnuß u n d anrueffung dy hilfe der heyligen, in der erwirdikeit wir auffopfernn unser oppfer. Des ersten der seligen junckfrawen Marie: zu d e m andernn der seligen apostelnn: zu d e m dritten der seligen marter; zu d e m Vierden aller heyligen; zu dem letzsten wirt zugelegt u n d zugefuegt die begerung des heilwerdens durch das gebet u n d verdienen der heyligen, als das in d e m text stat." 21 „So macht dieser N a r r eyn gedächtnis u n d gemeynschafft der verschiednen heyligen draus, u n d setzt sie zu furbitter u n d mittler, eben zu der stund u n d ampt, da er von d e m eynigen mitler Christo handelt, u n d handeln soll, füret uns also voncHristo auffdie heyligen." WA 18, 27,17—21.

394

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

Luther das Attribut der Heiligkeit bzw. des Gesegnetseins zu, 22 ein IneinanderUbergehen, welches die liturgische Gesamthandlung in den Blick nähme, findet sich hier nicht. Das Hauptproblem besteht für Luther bei diesem Gebet indes in der Zuordnung von menschlicher Aktivität und Christusgeschehen. Beider Verbindung durch ut versteht er als eine Kausalverbindung, so dass die menschliche Bitte zur Ursache für des Vaters Akzeptanz des Christusgeschehens wird: Weil der Mensch bitte, sei der Vater seinem Sohn erst gnädig. 23 Damit werden für Luther Geschehensrichtung sowie Kausalität vertauscht, nicht Christus erwirbt dem Menschen Gnade, sondern der Mensch bittet für Christus. 24 Die im Qui pridie gebotene Version der Einsetzungsworte interpretiert Luther dann als Ausdruck eben dieser Verkehrung: Anstatt das Abendmahl als eine Gabe an den Menschen aufzufassen, wird es als Gabe des Menschen an Gott missverstanden. Kennzeichen dessen ist Luther die Auslassung des Satzteiles „der für euch gegeben wird". So blende man das Opfer Christi und mit ihm die Vergebung der Sünden aus. 25 Die Kritik an dem Entzug des Laienkelches und der damit verbundenen die Auslassung der an alle gerichteten Aufforderung zu trinken entspricht der bereits in ,De captivitate' geäußerten Form. Die Opferaussagen nach den K o n sekrationsworten bezieht Luther seiner Zeit gemäß dann auf Leib und Blut Christi. So wird das Unde et memores als das priesterliche Opfer von Leib und Blut Christi an den Vater aufgefasst. U m die Mittlerrolle Christi geht es Luther dann noch einmal in der Interpretation des Supra quae. Erneut versteht er die Bitte um Gottes versöhnten Blick auf das Messopfer als Konkurrenz zur Versöhnung im Christusgeschehen. 26 In der Zuordnung des Messopfers zu den alttestamentlichen Opfern (.sicuti) sieht Luther eine Relativierung der Besonderheit des Kreuzesopfers. 27 Die Interpretation des Supplices nimmt das Gegenüber von stets vorausliegender Ver-

2 2 W A 18, 28, 8—11: „Aber denn aller erst, wenn der leyb und blut Christi wird, und denn auch .angeschrieben und gesegnet' seyn, so er doch oben schon bereyt das brod und weyn eyn heylig unbefleckt Opfer hat genennet." 2 3 „Das wird Gott freylich wolgefallen, das ich bitte, er solle meyne bitte ansehen, und dadurch seynem Son erst gnedig seyn, yhn segnen und angeneme machen, durch wilchen doch wyr gesegnet und geheyliigt werden." W A 18, 28, 1 1 - 1 4 . 2 4 „Wenn das stu(e)ck alleyne ynn dem verfluchten Canon stu(e)nde, were es noch grewels mehr denn zuviel, das sie sich thu(e)ren unterwinden Christum un seyn reynis heyliges blut zuversunen, durchwilchs alle sunde vertilget und ausgesossen ist [ . . . ] . " W A 18, 28, 15—18. 2 5 „Da gehen nu an die edlen wort, die Christus selb geredt hat, die haben sie auch hynzu geschmirt, Lassen aber dennoch aussen, das Christus hynzu setzt ,der für euch geben wird', denn daranch fragen sie nicht, weyl sie etwas bessers für sich zu geben wissen, nemlich eyn stu(e)ck brods und trunck weyns [...]. U n d lassen doch selbs die besten tewrsten wort aussen, das sie nur des opfers, so Christus than hat, geschweygen, das ist ablas und keyne sunde." WA 18, 28, 31—39. 2 6 „Da bittet er abermal für das opfer, das Got seynem son gnedig seyn wolt, und yhm wolgefallen lasse, U n d wird der elende mensch ein mittler zwischen Gott und Christo seynen lieben son. [...] Damit bekennen sie ia öffentlich gnug, das das fleysch und blut Christi unreyne sey, D e n n weyl sie dafür bitten, und eyn ernst gepet ist, mu(e)ssen sie yhe sagen, das es ynn Ungnaden ist, W e re es ynn gnaden, was durfft man dafür bitten?" W A 18, 30, 8—10. 2 7 „Dazu soll es [sc. das Blut Christi] dennoch nicht mehr gelten, denn Abels, Abrahams und Melchisedechs opffer, wilche doch alle durch dis opfer Christi gereynigt sind." W A 18, 30, 17—19. Vgl. dazu bereits die Erste Psalmenvorlesung, Scholion zu Ps 109(110), 6 in WA 4, 2 3 4 , 33—235, 1.

§6

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

1522

395

söhnung im Christusgeschehen und auf Ausstehendes gerichteter Bitte auf und weist auf die Differenz zwischen allein agierendem Priester und der pluralischen Formulierung des Gebetes hin. 2 8 Das Moment der irdischen Austeilung stellt Luther hier gegen die Vorstellung einer Anabasis von Leib und Blut Christi zum himmlischen Altar. 29 Bei seiner Interpretation des Memento Mortuum hebt er das ökonomische Motiv der Priester bei den Totenmessen hervor und thematisiert erneut den Zusammenhang von Glaube und Seligkeit. 30 Eine Konkurrenz zum solus Christus liegt für ihn in der Bitte um die Gemeinschaft mit den Heiligen, wie sie das Nobis quoque peccatoribus31 formuliert. Auf die Differenz zwischen pluralischer Formulierung des Gebetes und einer faktischen Begrenzung der Kommunion auf den Priester weist Luther dann bei seiner Interpretation des Per quem32 hin. Diese Beobachtung wiederholt er bei seiner Behandlung der Commixtio33, nachdem er sich bei Pater noster, Libera nos und Pax weitgehend auf die Mitteilung des (abgekürzten) deutschen Textes beschränkt hat. Ausfuhrungen über d i e ß d e s provoziert dann der Text des ersten Domine Iesu Christe34, der vom „Glauben der Kirche" spricht. Luther sieht darin eine Objektivierung des Glaubens und stellt ihm die personale Ausrichtung seines Glaubensverständnisses entgegen. Diese sieht er gegen die Vorstellung eines ex opere operato gottgefälligen Werkes gerichtet. 3 5 Nach der summarischen Aufzählung und Kritik 3 6 der Schlussgebete und der Priesterkommunion gibt Luther eine Kurzcharakteristik der vorfindlichen Messopfer28

„ D a sihestu, das er gar keynen glawben hat auffs opfer Christi, E r wills alles selbs thun, alley-

n e durch seyn gepet, und redet gleych als n e m e die g e m e y n e das Sacrament mit y h m , wie es denn auch seyn solt [ . . . ] . " W A 18, 3 0 , 3 0 - 3 2 . 29

„ U n d lesst y h m t r e w m e n , das für G o t t eyn altar ist y m hymel, darauf? soll es der engel mit

seynen henden tragen, wilchs er d o c h h e r n a c h isset und trinckt, w i e es auch Christus eyngesetzt hat [ . . . ] . " W A 18, 3 0 , 2 3 - 2 5 . 30

„ E r bittet für die da schlaffen y m schlaff des frids, und rügen ynn Christo, und das zeychen

des glawbens haben. Ist das war, was bittestu denn für sie? Bistu nicht toll und to(e)richt? H a b e n sie rüge und fride, w a r u m b odder w i e soll er sie erquicken und fride schaffen?" W A 18, 3 1 , 10—14. 31

„ N o b i s q u o q u e peccatoribus famulis tuis, de multitudine miserationum tuarum sperantibus,

partem aliquam et societatem donare digneris, c u m tuis sanctis Apostolis et Martyribus: c u m I o a n ne, Stephano, Matthia, B a r n a b a , Ignatio, Alexandra, Marcellino, Petro, Felicitate, Perpetua, A g a t ha, Lucia, Agnete, Caecilia, Anastasia, et o m n i b u s Sanctis tuis: intra q u o r u m nos c o n s o r t i u m , n o n aestimator meriti, sed veniae, quaesumus, largitor admitte. Per C h r i s t u m D o m i n u m n o s t r u m . " Zitiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 8 4 . 32

„Per q u e m haec omnia, D o m i n e , Semper b o n a creas, sanctificas, vivificas, benedicis et prae-

stas nobis. Per ipsum, et c u m ipso, et in ipso, est tibi D e o Patri o m n i p o t e n t i , in unitate Spiritus Sancti, omnis h o n o r , et gloria. Per o m n i a saecula saeculorum. A m e n . " Zitiert nach BOTTEMOHRMANN, L'ordinaire, 8 4 . 33

W A 18, 3 3 , 5 - 1 4 .

34

D o m i n e Iesu Christe, qui dixisti Apostolis tuis: P a c e m relinquo vobis, p a c e m m e a m do v o -

bis: ne respicias peccata mea, sed fidem Ecclesiae tuae; eamque s e c u n d u m voluntatem tuam pacificare et adunare digneris: Q u i vivis et regnas D e u s per o m n i a saecula saeculorum. A m e n . Pax t e c u m . E t c u m spiritu t u o . " Zitiert nach BOTTE-MOHRMANN, L'ordinaire, 8 8 . 35

„ D a z u sagen sie, das opfer und w e r c k gefalle G o t t an y h m selbs wol, o b schon die person

nicht a n g e n e m e ist, so sey d o c h das opfer a n g e n e m e . D a m i t sie sich selbs urteylen, das sie das S a c rament unwirdiglich y m unglawben, als die hunde, empfahen [ . . . ] . " Luthers Kritik begründet sich hier deutlich aus der Identifikation von Disposition und Glauben. 36

„Das sind alles unzeytige wort, die v o m glawben auffs w e r c k f ü r e n . " W A 18, 3 4 , 2 5 .

396

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

theologie, 37 die durch die Vorstellung eines noch zu versöhnenden Gottes die Versöhnung einem Werk, nämlich dem Bittgebet der Kirche, nicht aber Christus zuschreibe. Die Einsicht in diesen Zusammenhang versteht er als gnädiges Wirken des Gotteswortes. Sie erfordere eine Abschaffung dieses „Greuels". 3 8 Da die O b rigkeit gegen Gotteslästerung vorzugehen habe, sei sie zum Eingreifen aufgerufen. 3 9 1.2

Die Verquickung von Opfer und Bitte als Verfehlung des etpcuta^

Bei aller Polemik zeigt die Schrift doch ein theologisch markantes Profil. Die immer wiederkehrenden Basiselemente der Argumentation benennt bereits die theologische Grundlegung des Vorworts. Als „Summa des Euangelii" fasst sie zusammen: So hastu nu y m Euangelio geho(e)ret und gelernet, das unser sache von sundern, tod, teuffei, bösen gewissen erredtet zu werden, und zu rechtschaffener frumkeyt für G o t t und ewigem leben zu komen, ynn keynem wege zuraten noch zu helffen sey mit wercken noch gesetzen, wie sie y m m e r seyn und genant werden künden, D e n n Gott will keyn ander mittel noch mittler leyden, denn seynen eynigen son, wilchen der vater alleyn darumb ynn die weit gesandt, und seyn blut hat lassen kosten, das er damit uns den schätz des glawbens erwu(e)rbe. 4 0

Die dreifache Fragestellung der Untersuchung wird hier klar benannt: Der Kanon soll in Beziehung gesetzt werden zu Luthers Hamartiologie, welche die Verderbtheit des ganzen Menschen festzuhalten bemüht ist. Dies impliziert zunächst ein kritisch-destruktives Moment gegenüber der äußeren wie inneren Aktivität de Menschen (Werke) und der damit verbundenen Vorstellung, die Observanz von Strukturen (Gesetz) könne aus dieser pervertierten Grundrichtung menschlichen Lebens heraushelfen. Dabei ist diese Einsicht nicht schon identisch mit der alltäglichen Erfahrung misslingenden Lebens, sondern sie entsteht erst aus dem Hören des Evangeliums. Diese empirische Unableitbarkeit kann sich dann natürlich nicht empirisch aufzeigen lassen, sondern wurzelt („Denn") zweitens im Christusgeschehen, dem zuwendend-konstruktiven Moment des Evangeliums. Wie die christologischen Ausfuhrungen zu ,De abroganda' zeigten, versteht Luther dieses ganz als Aktivität Gottes gegenüber dem Menschen. Aus der Begründung einer gelingenden Gottesbeziehung in der Christologie ergibt sich eine Konkurrenzstellung von Christi Aktivität und der des Menschen in der Vermittlung zwischen Gott und WA 18, 36, 3 - 8 . WA 18, 36, 9 - 1 8 . 3 9 WA 18, 36, 18-35. 4(1 WA 18, 23, 17—24. Ein Vergleich mit der Bestimmung ZWINGLIS zeigt den unterschiedlichen Akzent in der Wahrnehmung des Kreuzesopfers. Dieser versteht unter der Summe des Evangeliums, dass „unser Herr, Christus Jesus, wahrer Gottessohn, uns den Willen seines himmlischen Vaters kundgetan und uns mit seiner Unschuld vom Tode erlöst und mit Gott versöhnt hat. Deshalb ist Christus der einzige Weg zur Seligkeit für alle, die j e waren, sind und sein werden." Z 1, 458, 13—17. Während Luther das Kreuzesopfer als Aktivität des Vaters schildert, erscheint bei Zwingli allein der Sohn als Subjekt, das Gottesprädikat steht auf der Seite des Adressaten. 37

38

§6

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

1522

397

Mensch. Der Mensch wird hier folglich niemals in seiner Aktivität adressiert, sondern stets rezeptiv eingeführt. Ihm fällt damit drittens allein die Haltung des Glaubens zu. So nimmt Luther hier den Zusammenhang zwischen dem destruktiven (Sünde) und dem konstruktiven (Glaube) Aspekt des Menschseins auf, die er aus dem zu Grunde liegenden Christusgeschehen heraus bestimmt. Die R o l l e Gottes als Subjekt dieses Geschehens lässt den Eintrag menschlicher Handlungsmöglichkeiten in das Vermittlungsgeschehen dabei als Misstrauen und direkten Angriff auf Gott verstehen. Diese alternative Zuordnung von Christusaktivität und menschlicher Aktivität in der Gottesperspektive reformuliert sich opfertheologisch dann in der Reservierung der Opferqualifikation für das Kreuzesopfer. 41 Im folgenden ist nun zu fragen, wie dieses allgemeine Verdikt zu den konkreten Modi des Opfers, dem Dank und der Bitte, zu stehen kommt. Luther kann j a gerade in der Vorrede den Dank als die dem Menschen zukommende Verhaltensweise dem Opfer positiv gegenüberstellen. 42

1.2.1

Das vegetabile Sühnopfer als Konkurrent

des

Christusereignisses

Als ein erstes Opfermodell benennt Luther die Vorstellung, der Priester bzw. die Gemeinde 4 3 opferten dem Vater Brot und Wein zur Vergebung ihrer Sünden und für die gesamte Christenheit. Vor allem im Te inline sieht Luther dies zum Ausdruck gebracht. Dieses Gebet nimmt die menschliche Aktivität zweifach in den Blick: als Bitte und als Opfer. Beide Aktivitäten richten sich an Gott. Sie sind verbunden, insofern um die Annahme der Opfergabe durch Gott gebeten wird. Als Begünstigte des Opfers wird die gesamte Kirche benannt. Die für sie erbetene Zuwendung des göttlichen Opferadressaten besteht in der Abwendung äußerer Bedrohung (Friede, Schutz) und dem Verleih innerer Stabilität und Geschlossenheit (Einheit, hierarchisch gegliederte Leitung). Luther interpretiert diese Aktivität nun nicht als legitimen Ausdruck des C h r i stusgeschehens, 44 sondern als dessen Konkurrentin. Das Gebet ist für ihn nichts anderes als der Versuch, Gott mit einem vegetabilen Opfer zu versöhnen. 4 5 Die Q u a lifikation der Opfergaben versteht Luther hier 4 6 also nicht aus ihrem antiken K o n 41 „Derhalben haben und wissen wyr keyn opffer mehr, denn das er am creutz than hat, daran er eyn mal gestorben ist, wie die Epistel zu Ebreern sagt, und damit ausgeschepft hat aller m e n schen sunde, und uns auch damit heylig gemacht ynn ewickeyt." W A 18, 23, 34—37. 4 2 „ N u thun die Papistischen pfaffen ynn der Messe nichts anders, denn das sie on unterlas mit solchen worten faren, ,Wyr opfern, wyr opfern', und ,dise opfer, dise gaben' etc. und schweygen des opffers gar still, das Christus than hat, dancken yhm nicht, ia verachtens und verleuckens, und wollen selbs für Got komen mit yhrem opfer." W A 18, 24, 9—13. 4 3 A u f die Differenz zwischen vorfindlichem Handlungsmonopol des Priesters und der im K a nontext vorausgesetzten Gemeinde als M i t - S u b j e k t des Sakramentsgeschehens weist Luther mehrfach hin, vgl. W A 18, 26, 22—25; 30, 30—32. D e r Kanon wird hinsichtlich seiner Mitbeteiligung der Laien also der gegenwärtigen Messpraxis kontrastiv gegenübergestellt. 4 4 A u f die Wendung Per Christum geht Luthers Interpretation nicht ein. 4 5 Dass diese Deutung des Gebetes keine endgültige Interpretation darstellen muss, gleichwohl aber Anhalt am Text hat, verdeutlicht auch die Kritik M.STUFLESSERS am Te igitur, vgl. oben § 2 . 1 . 3 . 4 6 Dieselbe Interpretation gilt auch für das Hatte igitur. „Da opfert er abermal brod und wein,

398

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

text, welcher die Selbsthingabe der Gemeinde zum Ausdruck bringen wollte, 47 sondern ganz im Sinne eines herkömmlichen vegetabilen Opfers. Dieses Opfer will für ihn nicht der Mitteilungsmodus der allein heilsamen Gegenwart Christi sein, sondern Christi Werk ersetzen. Die Darbringung von Brot und Wein ist für Luther also nicht wahrnehmende Reaktion des Menschen auf die Versöhnung am Kreuz, sondern eine Alternative zu ihr. Die Einheit dieses Messopfermodells mit dem Kreuzesopfers liegt flir ihn in beider Bestimmung als Sühnopfer, die Differenz aber in der unterschiedlichen Besetzung der Rollen: Während am Kreuz Gott sich in seinem Sohn für den Menschen opfert, meint in der Messe der Priester Gott Brot und Wein opfern zu müssen. Die Konkurrenzstellung beider Opfer ergibt sich damit aus der Einheit in der Intention und der Differenz in der Rollenbesetzung. Das priesterliche Opfer schafft hier die Versöhnung zwischen Gott und Mensch und setzt sie nicht voraus. Die Darbringung von Brot und Wein wird also nicht als ein Dankopfer, sondern ausschließlich als Sühnopfer verstanden. Dabei begründet sich die Opferqualifikation nicht in einer Repräsentation des Kreuzesopfers, sondern in der Opferhandlung des Priesters. Zugleich ist aber festzuhalten, dass sich Luthers Interpretation nicht nur aus dem Missverständnis der ursprünglichen Aussageabsicht des Kanons ergibt, sondern eine Konsequenz seines theologischen Neuansatzes darstellt. So ist diese auf den ersten Blick ungerechte, j a abstoßende Weise der Kritik erst wirklich ernstgenommen, wenn nicht nur die Differenz zwischen „eigentlicher" Intention des Kanontextes und der hier erhobenen ausgewiesen ist, sondern auch die tiefer liegenden und jenseits polemischer Abgrenzungsbemühungen angesiedelten theologischen Motive dieser Interpretation ans Licht treten. Als ein entscheidendes Motiv ergab sich unter dieser Fragestellung bereits Luthers Verständnis des Christusgeschehens als des alleinigen Ortes der Versöhnung zwischen Gott und Mensch. Dieses M o ment erlaubte für die Soteriologie kein anderes handelndes Subjekt als Christus zu denken. Sollte diese Soteriologie nun mithilfe des Opfersprachspiels beschrieben werden, so musste Christus als alleiniger Opferaktant erscheinen. 4 8 Luthers Entsetzen ergibt sich also aus der vermuteten Depotenzierung der soteriologischen W i r kung des Christusgeschehens: Ist es nicht eben soviel gesagt, Gott soll sich lassen mit brod und weyn versunen, das doch nichts mehr, denn eyn ander brod ist, davon yderman ysset, un du sprichst, es soll heylig seyn und ein opfer Gotte gegeben, und yssest es hernach selbs, und willt dazu solchs opfern für die gantze heylige Christliche kirche und alle glewbigen?49

und eben darumb, das sie von der ewigen verdamnis erlo(e)set werden, und unter die ausserwelten gezelt werden." W A 18, 27, 3 1 - 3 3 . 4 7 Vgl. dazu die Ausfuhrungen zum altkirchlichen Messopferkonzept unter § 2 . 1 . 4 8 Hier ist an die Messopfertheologie des,Testamentssermons' zu erinnern. Luther nahm dort den Opfergedanken so auf, dass er entweder ohne soteriologische Bedeutung blieb (leibliches O p fer) oder aber in uneigentlicher Verwendung rein rezeptiv als „Legen auf Christus" im Glauben bestimmt wurde (geistliches Opfer). D i e Opferaussagen des Kanons tragen für Luther deshalb die Aktivität des Menschen in die Versöhnung ein und verletzen damit das solus Christus. 49

W A 18, 2 5 , 1 8 - 2 2 .

§6

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

1522

399

Erneut zeigt sich die Differenz zwischen Luthers .«»/¡«-Konzeption und den spätmittelalterlichen Figuren eines kombinatorischen Gradualismus. Die liturgische Aktivität des Menschen konnte in Luthers Messtheologie nicht als gnadengewirkte Mitwirkung an der personalen Vermittlung des Heils erscheinen, sondern entfiel in der soteriologisch-sakramentalen Perspektive ersatzlos. Die exklusive Stellvertretung Christi erlaubte keine R e d e von einem priesterlichen Opfer, das anderen Christen zugewendet werden konnte. Denn diese Zuwendung setzte eine Verfügungsgewalt voraus, die der Reformator nur Christus selbst zubilligte. Das stellvertretende Handeln des Priesters für die ganze Christenheit im Messopfer erscheint Luther deshalb als Ablösung des einzigen Mittlers Christus durch die Kirche. 5 0 Nicht das Moment der Fürbitte für andere gibt dabei den Ausschlag, sondern das Junktim der mit einer Gabe an Gott verbundenen Bitte, welche das lebensförderliche Gotteshandeln als Reaktion auf eine menschliche Aktivität vor Gott erscheinen lässt. Für Luther verletzt dieses Modell eines vegetabilen Sühnopfers also die im Vorwort zusammengefassten Grundmomente des Evangeliums. Für ihn wird hier weder die Sündhaftigkeit des Menschen ernst genommen, noch die Einsicht in den Glauben als alleinige, rezeptive „Aktivität" des Menschen im Sakramentsgeschehen festgehalten. Unter der Prämisse, dass der Mensch Gott nichts opfern kann, weil das einzig mögliche Opfer am Kreuz für den Menschen stattfand, gibt es kein äußeres Opfer mehr. 5 1 Luthers Kritik am Kanon ergibt sich freilich noch aus einem zweiten Moment, nämlich seiner Vorstellung, bei der Sünde handle es sich um eine die menschliche Existenz bleibend bestimmende Macht, die als solche nicht quantifizierend abzustufen sei, sondern nur in ihrer auch die ganze Person des Gerechtfertigten beanspruchenden Herrschaft anerkannt werden könne. Der Zusammenhang zwischen diesem hamartiologischen Konzept und Luthers Kritik am vorfmdlichen Messopfer ist also nun in den Blick zu nehmen. 5 2 1.2.2

Die Differenz

zur Hamartiologie

des

Kanontextes

Mit der spätmittelalterlichen Messauslegung bezieht Luther die nach dem Qui pridie situierten Opferaussagen auf Leib und Blut Christi. Damit tritt neben das vegetabile Sühnopfer ein zweites Opfermodell. Das Messopfer besteht nach diesem im

Vgl. dazu die in ,De abroganda' abgelehnte ekklesiologische Figur der Delegation. „Soltistu für die gantze Christenheyt opffern, das Gott sich seynes eygenen Sons blut hat k o sten lassen? Was wollen odder künden sie opfern? Ist doch schon das opffer für die gantze weit durch Christum geschehen?" W A 18, 25, 25—28. Deutlich wird hier Luthers Beharren auf der transformativen Kraft des Kreuzesopfers gegenüber der herkömmlichen Opferlogik. Er selbst konnte zwar vom leiblichen und geistlichen Opfer sprechen, sah diese Opfer aber entweder als eine sich aus dem Gottesverhältnis ergebende Zuwendung zum Nächsten analog dem Verhältnis Glaube — Werke oder aber (in uneigentlicher Verwendung) als Neubestimmung des Opferbegriffes als „Legen auf Christus". 5 2 „Ist nu das nicht gelestert und geschendet genug, das sich da eyn sundiger mensch unterstehet, brod und weyn zunemen und opfern für die gantze heylige Christenheit?" W A 18, 25, 23—25. 5(1 51

400

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

O p f e r v o n Leib u n d B l u t C h r i s t i an d e n Vater. D a s zeigt b e s o n d e r s L u t h e r s I n t e r p r e t a t i o n des Unde et memores: Sihe, da kompt er widder auffs Opfer, als nu das brod ist Christus leyb worden, U n d nennets eyn heylig brod, und eyn kilch der selickeyt. [...] Er opfert den H e r r n Christum aber eyn mal, der sich nur eyn mal geopfert hat, wie er nur eynis gestorben ist, und nicht mehr kan sterben noch geopfert werden, D e n n durch das eynige hat er alle sunde hynweg genomen u n d verschlungen, N o c h faren sie zu, und opfern yhn alle tage mehr denn hundert tausent mal ynn der weit, Damit sie mit der that und von hertzen verleugnen, das Christus die sunde vertilget habe, und gestorben und aufferstanden sey.53 M o t i v i e r t e sich L u t h e r s A b w e i s des M e s s o p f e r s als vegetabiles S ü h n o p f e r aus e i n e r d r o h e n d e n K o n k u r r e n z des O p f e r s z u m C h r i s t u s g e s c h e h e n , so g e h t es i h m j e t z t n i c h t u m ein G e g e n ü b e r v o n O p f e r u n d C h r i s t u s , s o n d e r n u m die r e c h t e R e d e v o n d e r G e g e n w a r t C h r i s t i in d e r Messe. Z u n ä c h s t w e n d e t sich L u t h e r g e g e n e i n e W i e d e r h o l u n g des K r e u z e s o p f e r s . D i e s e n t s p r a c h , w i e d e r z w e i t e P a r a g r a p h dieser A r b e i t zeigte, a u c h d e r A b s i c h t d e r m i t t e l a l t e r l i c h e n Messausleger. A u c h sie b e t o n t e n j a , dass C h r i s t u s n i c h t n o c h e i n m a l g e k r e u z i g t w e r d e , dass er n i c h t n o c h e i n m a l leide o d e r sein B l u t v e r g i e ß e . 5 4 Das Verhältnis v o n K r e u z e s o p f e r u n d M e s s o p f e r b e s t i m m t e n sie so, dass n i c h t n u r b e i d e r E i n h e i t , s o n d e r n a u c h i h r e D i f f e r e n z festg e h a l t e n w u r d e . D e n n o c h b e s t e h t ein U n t e r s c h i e d zu L u t h e r . D e n n dieser l e h n t h i e r ein Verständnis des S a k r a m e n t s als O p f e r n i c h t n u r deshalb ab, weil d a n n ein historisches Ereignis als w i e d e r h o l b a r g e d a c h t w ü r d e . E b e n das legte j a d e r erste A b s c h n i t t n a h e : H i e r a r g u m e n t i e r t L u t h e r m i t d e r n a h e l i e g e n d e n E i n s i c h t , dass V e r g a n g e n e s n i c h t historisch g e g e n w ä r t i g w e r d e n k ö n n e . D i e m i t „ d e n n " e i n g e leitete B e g r ü n d u n g i m z w e i t e n A b s c h n i t t liefert d a n n a b e r k e i n e o n t o l o g i s c h e n o d e r h e r m e n e u t i s c h e n Ü b e r l e g u n g e n , s o n d e r n a r g u m e n t i e r t ganz v o n d e r W i r k u n g des K r e u z e s o p f e r s h e r : D a s O p f e r v o n L e i b u n d B l u t C h r i s t i d u r c h d e n P r i e ster ist deshalb a b z u l e h n e n , weil hier d i e W i r k u n g des C h r i s t u s g e s c h e h e n s , die V e r s ö h n u n g z w i s c h e n G o t t u n d M e n s c h v e r d u n k e l t w i r d . L u t h e r a r g u m e n t i e r t also m i t d e m Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n C h r i s t o l o g i e u n d H a m a r t i o l o g i e : D i e S ü n d e n v e r g e b u n g w a r f ü r i h n ganz u n d gar m i t d e m C h r i s t u s g e s c h e h e n i d e n t i s c h . A u s d i e s e m ließ sich e i n m a l das K r e u z e s o p f e r n i c h t isolieren. D a r i n lag, w i e s c h o n die Analyse v o n , D e a b r o g a n d a ' zeigte, ein erstes M o t i v seiner K r i t i k an d e r v o r f m d l i c h e n M e s s o p f e r k o n z e p t i o n . 5 5 Z w e i t e n s zeigt sich h i e r die S t r u k t u r v o n L u t h e r s S ü n d e n b e g r i f f . E r l e h r t die Perseveranz d e r S ü n d e bis in d e n Tod, die e i n z e l n e n 53 WA 18, 29, 27—33. Die Aufteilung des Textes in zwei Absätze stammt von mir. Der Text des Kanongebets ist zitiert unter §2.1.3. 54 Insofern trifft K. BEYSCHLAGS Charakterisierung nicht den Kern. Er meint, Grundriß 2/2, 377, Anm. 130: „Die heutige katholische Theologie besteht nicht mehr auf einer,Wiederholung' des Golgathaopfers in der Messe, sondern lediglich auf der christologischen Identität [...]." 55 Entsprechend weist er auch in dem oben zitierten Abschnitt eigens auf die Auferstehung Christi hin. Dies wäre im Rahmen einer traditionellen Konzentration auf das Verhältnis von Kreuzes- und Messopfer nicht nötig. Erst die Einsicht in die christologische Linie seiner Messopfertheologie erklärt, weshalb hier die Auferstehung eigens genannt wird: Dies dokumentiert die Unteilbarkeit des Christusgeschehens.

§6

Ausblick: Die Messopfertheologie nach

401

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k o n k r e t e n S ü n d e n illustrieren diesen Sachverhalt n u r u n d lassen sich, anders als in der scholastischen T h e o l o g i e , nicht als selbstständige A k t e i m G e g e n ü b e r zur E r b sünde erfassen. 5 6 Dies hat Folgen f ü r die S ü n d e n v e r g e b u n g . Sie k a n n d a n n nicht so b e s t i m m t w e r d e n , dass der E r b s ü n d e die V e r s ö h n u n g in Christus entspräche, d e n einzelnen Tatsünden d a n n aber eine g e g e n ü b e r d e m Christusgeschehen relativ selbstständige kirchliche Aktivität zugewiesen w e r d e n k ö n n t e . D e n n das Kreuzesopfer lässt sich nicht f ü r die jeweilige K o n k r e t i o n der m e n s c h l i c h e n S ü n d e i m m e r n e u mobilisieren. N i c h t das Kreuzesopfer aktualisiert sich j e f ü r d e n M e n s c h e n , s o n d e r n der M e n s c h k e h r t i m G l a u b e n i m m e r w i e d e r z u m einmaligen C h r i s t u s g e s c h e h e n zurück. Diese B u ß e ist eine das ganze L e b e n des M e n s c h e n begleitende existenzielle D i m e n s i o n , die nicht m i t e i n e m kirchlichen Institut zu identifizieren ist. 57 G e g e n ü b e r einer quantifizierenden D i f f e r e n z i e r u n g der S ü n d e besteht L u ther deshalb darauf, dass alle S ü n d e n d u r c h das stets vorausliegende Versöhnungsg e s c h e h e n vergeben sind. Das Bestreben einer Aktualisierung des Christusereignisses selbst ergibt sich also aus einer Hamartiologie, die Einzelsünden g e g e n e i n a n der v e r r e c h n e n k a n n . So g e h ö r e n solus Christus u n d simul iustus et peccator z u s a m m e n : W i e die S ü n d e ein bleibendes G r u n d p h ä n o m e n des M e n s c h e n ist, das nicht in ein zeitliches u n d qualitatives N a c h e i n a n d e r v o n Einzelakten aufgelöst w e r d e n kann, so besitzt auch die S ü n d e n v e r g e b u n g eine einmalige, allein i m Christusgeschehen erwirkte b l e i b e n d e Gültigkeit. D i e Vergebung der so verstandenen S ü n d e besteht d a n n nicht in einer n o t w e n d i g portionshaft zu d e n k e n d e n habituellen Verä n d e r u n g , die d u r c h den sakramentalen N a c h v o l l z u g des Kreuzesopfers gewirkt w ü r d e , s o n d e r n sie ist nichts anderes als derfavor dei, der Liebesblick Gottes, in dessen Perspektive der M e n s c h auch als peccator u n d trotz vieler Einzelsünden g e r e c h t fertigt wird. So w i r d das Kreuzesopfer f ü r L u t h e r nicht sakamental aufs N e u e nachvollzogen o d e r wirksam, s o n d e r n die Botschaft eines einmaligen, in sich abgeschlossenen Ereignisses eignet die V e r h e i ß u n g i m W o r t (und nicht das Ereignis selbst!) zu.

1.2.3

Das ,Memento

vivorum' als Verfehlung der Eigenart des

Glaubens

N e b e n der A b l e h n u n g eines ä u ß e r e n O p f e r s an G o t t gewährt Luthers K a n o n i n t e r pretation auch Einblick in das Verhältnis v o n G l a u b e n 5 8 u n d Messopfer. Ein histo56

Vgl. dazu LOHSE, Luthers T h e o l o g i e , 266. Für das Verhältnis v o n Taufe u n d B u ß e illustrierte L u t h e r diese D e n k f i g u r i m Bild des Schiffbruches. Traditionell k o n n t e die B u ß e m i t H i e r o n y m u s als die rettende Planke, n a c h d e m Schiffb r u c h der Taufe d u r c h die S ü n d e verstanden w e r d e n . L u t h e r sah in der T a u f v e r h e i ß u n g aber das eine unzerstörbare u n d u n ü b e r w i n d l i c h e Schiff, das auch die S ü n d e nicht auflösen k ö n n e . 58 Vgl. zu Eigenart u n d Zentralstellung des Glaubensbegriffes Luthers: R e i n h a r d SCHWARZ, Fides, spes u n d Caritas b e i m j u n g e n Luther, u n t e r b e s o n d e r e r B e r ü c k s i c h t i g u n g der mittelalterlichen Tradition, Berlin 1962: Elisabeth GÖSSMANN, Art. .Glaube. V.Mittelalter', in: T R E 13 (1984), 3 0 8 - 3 1 8 ; R e i n h a r d SLENCZKA, Art. .Glaube. VI. R e f o r m a t i o n / N e u z e i t / Systematisch-theologisch', in: T R E 13 (1984), 3 1 8 - 3 6 5 ; B e r n d t HAMM, W a r u m w u r d e für L u t h e r der G l a u b e z u m Z e n t r a l b e g r i f f des christlichen Lebens? In: D i e f r ü h e R e f o r m a t i o n in D e u t s c h l a n d als U m b r u c h . Wissenschaftliches S y m p o s i o n des Vereins f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e 1996, ed. S.Buckwalter / 57

402

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

irischer Z u g a n g zu Luther wird dabei auf das Verhältnis seiner T h e o l o g i e z u m spätmittelalterlichen Glaubenskonzept zu achten haben, soll j e n e nicht in eine ihr unangemessene Zeitlosigkeit entlassen oder gar absolutiert werden. In der spätmittelalterlichen T h e o l o g i e u n d Frömmigkeit n a h m d i e f i d e s n u n keineswegs eine u n b e d e u t e n d e Randstellung ein. Sie war vielmehr ein f ü r das Christsein konstitutives Fundamentalcharakteristikum, d e n n d e m Glauben teilte sich die Wahrheit der christlichen R e l i g i o n mit. Als eine Folge dieser Ausrichtung auf die Wahrheit ergab sich eine N ä h e r b e s t i m m u n g , die sich wie eine Vorwegnahme typisch r e f o r m a torischer G r u n d b e s t i m m u n g e n liest: der Glaube blickt von sich w e g hin auf die Wahrheit, der Glaube bezieht sich auf das Wort, insofern er die göttliche Wahrheit in Gestalt kirchlicher Lehre v e r n i m m t u n d der Glaube bestimmt sich als Empfang, weil diese Wahrheit nicht durch menschliche Werke u n d B e m ü h u n g e n hergestellt werden kann. Beinahe jedes Element von Luthers Glaubensbegriff scheint bereits vor Luther zu begegnen. Zielten die Motive u n d Interessen Luthers also doch nur auf die Praxis u n d eine verfehlte, von der T h e o l o g i e unbeaufsichtigte Frömmigkeit ab? M i t der Einsicht in die Kontinuität zwischen Luther u n d der theologischen Tradition scheint zur G e n ü g e aufgezeigt, dass auch seine Verurteilung der vorfindlichen Messopferkonzeption vor allem den mit ihr v e r b u n d e n e n Missständen galt. D o c h darf das E i n v e r n e h m e n zwischen Luther u n d der Tradition auch nicht überstrapaziert werden. D e n n ein Konsens ist ja nicht schon dann erreicht, w e n n das V o r k o m m e n gleichlautender Formulierungen oder Schlagwörter in zwei theologischen K o n z e p t e n aufgewiesen ist. Vielmehr geht es u m den Kontext u n d die innere Vernetzung der einzelnen T h e o l o g u m e n a . Eine bloße R e d u k t i o n der reformatorischen T h e o l o g i e auf in Partícula exclusiva gefasste Schlagwörter w ü r d e ihrem Sachgehalt u n d auch ihrem Anspruch nicht gerecht. Ein auf dieser Basis h e r gestelltes E i n v e r n e h m e n beginge dieselben Fehler w i e ein allein u m die eigene Identität besorgter, schlichter Konfessionalismus: Vom historischen Kontext u n d der inneren Architektur einer T h e o l o g i e wird abgesehen, ihr Inhalt wird vermeintlich zugespitzt u n d auf den P u n k t gebracht, letztlich aber eine Fehlabstraktion geboten, die durch eine vereinfachende Formalisierung die Z u s a m m e n h ä n g e m e h r verdunkelt als erhellt. So ist auch f ü r den GlaubensbegrifFLuthers darauf zu achten, innerhalb welchen Gesamtgefüges die einzelnen Verbindungslinien verlaufen. Das gilt einmal f ü r den O r t des Glaubens. D i e (spät)mittelalterliche Tradition sah ihn vor allem im Verstand, d e m intellectus. Diese durchgängig kognitive Ausrichtung ergab sich aus der Affinität von Glaube u n d Lehre. 5 9 Das M o m e n t der Personalität des Gläubigen B.Moeller, Gütersloh 1996, 103-127; DERSELBE: Von der Gottesliebe des Mittelalters z u m Glauben Luthers. Ein Beitrag zur Bußgeschichte, in: LuJ 65 (1998), 19-44; Reinhard SCHWARZ, Die U m f o r m u n g des religiösen Prinzips der Gottesliebe in der frühen R e f o r m a t i o n . Ein Beitrag z u m Verständnis von Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen", in: Die frühe R e f o r mation in Deutschland, 128—148. 59 So kann etwa BIEL, L.27D (1, 260), vom Abendmahl als einem „Sakrament des Glaubens" sprechen. Dass er aber unter der fides hier den intellektuellen Lehrgehalt des Christentums versteht, wird daraus ersichtlich, dass er sie nicht etwa den Werken, sondern den Häretikern als den Vertretern einer Irrlehre entgegenstellt: „ H o c sacramentum enim est sacramentum fidei, ideo re-

§6

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

1522

403

bleibt hier zwar nicht unberücksichtigt, zeigt sich aber allein in der willentlichen Zustimmung zu der von der Kirche vorgelegten Lehre. 60 Der daraus resultierende Wortbezug des Glaubens nimmt folglich das Wort in seiner rein signifikativen, nicht aber sakramentalen Dimension in den Blick. Das Wort erscheint hier allein unter der informationellen Perspektive einer Mitteilung des Lehrgehaltes. Als solches streitet es gegen den Irrtum, nicht aber gegen die Sünde. Dieser so verstandene Glaube kann dann sehr wohl die Grundlage der Rechtfertigung abgeben. Die personale wie die innerliche, existenzielle Dimension des Christseins kann er aber nur als fides caritate formata, als ein durch die Liebe geformter und individuierter Glaube zum Ausdruck bringen. Damit war im Glauben zwar die Gewissheit darüber zu erlangen, wie das Heil zugeeignet werde, der Glaube gewährte gewissermaßen Einblick in die Spielregeln Gottes. Er wusste auch, dass diese Spielregeln gnädig, barmherzig und gerecht seien. Aber ob er selbst in diesem Spiel dann reüssieren würde, das war mit der Vorgabe der Regeln keineswegs ausgemacht Denn das Moment der Personalisierung verband sich j a mit den Liebeswerken und deren Verdiensten. Und ob diese zur Seligkeit ausreichten, blieb allerdings ungewiss. So kennzeichnet die personal-affektive Gottesbeziehung gerade die Demut und die Einsicht in die Unfähigkeit des Menschen, Gottes gute Spielregeln einzuhalten. Dies ist die einzige Gewissheit, welche die personale Perspektive zu formulieren erlaubt. Zugleich kann sich mit dieser Einsicht dann wieder eine Hoffnung verbinden, so dass die Selbstanklage zum Verdienst avanciert. Die Ausgangslage für den jungen Luther bestand also in einem Glaubensbegriff, welcher die objektiv-allgemeine Dimension des Glaubens und nicht das personal-unvertretbare Moment akzentuierte und für die Frage nach der Seligkeit eben dieser einzelnen Person wenig austragen konnte. Luthers Neubestimmung des Glaubens bestand nun nicht darin, dass er den Glauben als das Fundament der Rechtfertigung erkannt hätte. Auch der unerlässliche Bezug des Glaubens auf das Wort und die Einsicht, dass der Mensch die Wahrheit Gottes nur empfangen könne, dass es beim Glauben also nicht um eine menschliche Unternehmung, sondern um die Offenbarung Gottes gehe, konnte Luther voraussetzen. Die Differenz lag vielmehr in zwei Momenten: der existenziellen Fassung des Glaubens und der damit hergestellten Verbindung zwischen der objektiven Wahrheit des Gotteswortes und der persönlichen Heilsgewissheit. Luther sagte Personalität nun nicht mehr als eine qualitative Beschaffenheit des Einzelmenschen aus, die an dessen einzelnen Liebeshandlungen ablesbar wäre. Er wählte statt dessen die Perspektive der Beziehung als Aussagemodus der Personalität. Damit konnte die äußere, sichtbare Operativität des Menschen als Aktualisierung einer vorgängig etablierten Grundbeziehung ausgesagt werden, sie wurde als pelluntur heretici defectum fidei patientes." Das gleiche Ergebnis liefert ein Blick auf Wessel GANSFORT, D e communione sanctorum, Opera omnia, 8 1 8 . Auch dort wird der Glaube als Lehrgehalt verstanden. 6 0 Vgl. HAMM, Luther, 106, Anm. 10: „Glauben ist daher die freiwillige Bewegung vom E r k e n nen des Glaubensinhalts über seine Kenntnis und Anerkenntnis zum rationalen Verstehen des G e glaubten."

404

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

(notwendige) Konsequenz u n d nicht m e h r als Konstitut christlicher Existenz b e trachtet. D i e Operativität des M e n s c h e n schob sich dann nicht m e h r zwischen Verheißung u n d Person u n d verlor ihre eschatologische B e d e u t u n g an den Dual Glaube - Verheißung, welcher das personale Element mit der jenseits der eigenen k o n t i n g e n t e n Existenz liegenden unverbrüchlichen Gewissheit verbinden konnte. E. J Ü N G E L formuliert: [...] der Glaube ist als Vertrauen auf Gottes Verheißung das genaue Gegenteil menschlicher Aktivität. Der Glaube ist selbst dann, wenn man ihn als die vornehmste menschliche Tat zu verstehen hat, gerade nichts anderes als die ganz und gar passive Tat, in der der Mensch sich als schlechthin abhängig von Gottes Gnade erfährt. Der Glaubende ist gemäß R o m 4,5 ein Hf) epyai;o|iivos. 61

Diese Differenz z u m spätmittelalterlichen Glaubensbegriff zeigt Luther in seiner Interpretation des Memento vivorum auf. 6 2 Für ihn lag in der Verbindung von Glaube, O p f e r u n d Erlösung der Seelen ein W i d e r s p r u c h . D e n n der Glaube ist für ihn die Weise, in welcher der M e n s c h sich die verheißene Vergebung seiner Sünden gefallen lässt. Er bestimmt sich nicht nur rezeptiv, sondern impliziert auch ein eschatologisches M o m e n t , insofern es hier nicht nur u m die R e c h t f e r t i g u n g sondern auch u m die mit der Sündenvergebung zugesprochene Seligkeit geht. 6 3 E b e n diesen Z u s a m m e n h a n g zwischen Glauben u n d Seligkeit, sieht Luther aber im Memento vivorum aufgelöst, d e n n hier wird der Glaube zwar vorausgesetzt (quorum tibi fides cognita est), u m die Erlösung der Seelen aber wird n o c h gebetet (pro redemptione animarum suaruni). Luther versteht dies dahingehend, dass zur Erlösung m e h r nötig sei als der Glaube, für ihn wird hier getrennt, was doch identisch ist. 64 Seine Kritik trifft damit nicht nur ein Fehlverständnis, sondern stellt zwei unterschiedliche B e stimmungen dessen heraus, was i m jeweiligen Konzept der Glaube bedeutet. M i t dieser Auslegung des Memento hat Luther die Frage nach d e m Lebendengedächtnis auf die soteriologische Grundfrage nach Glauben u n d Heilsgewissheit zugespitzt. So wird deutlich, dass es i h m nicht nur u m einen Abweis eines Messopfers geht, das als eine d e m Kreuzesopfer gegenüber selbstständige Heilsveranstaltung aufge61

Kirche, 440. Abendmahl 64, hebt bei seiner Interpretation der Stelle WA 18, 31, 10 darauf ab, dass bei einer Applikabilität der Messe an die Seelen im Fegefeuer die Lebenden mehr für sie tun könnten als Gott. 63 Vgl. die zwar spätere aber wohl eindrücklichste Darstellung dieses Zusammenhanges im .Kleinen Katechismus': „Was nützet denn solch Essen und Trinken? Antwort. Das zeigen uns diese Wort: ,für Euch gegeben' und .vergossen zur Vergebung der Sunden', nämlich, dass uns im Sakrament Vergebung der Sunde, Leben und Seligkeit durch solche Wort gegeben wird; denn wo Vergebung der Sünde ist, da ist auch Leben und Seligkeit." BSLEK 520, 22—30. 64 Luther selbst verwendet den spätmittelalterlichen und den reformatorischen Glaubensbegriff univok und formuliert die Trennung von Seligkeit und Glaube folglich als Aporie: „Sihe, ist das nicht eyn rasend toll und to(e)richt volck? Haben sie den glawben, wie du selbs sagst, wie sollen denn yhre seelen erloset werden? odder sind sie noch vom teuffel gefangen? [...] Die Christen sticken ynn sunden und sind nicht erloset, und sind doch on sunde und erlo(e)set? Oder die Christus mit seym blut erlo(e)set hat, alls Christen, sind nicht erlo(e)set, noch Christen, sondern wyr wollen uns selbs mit eym stuck brods und trunck weyns erlosen und zu Christen machen." WA 18, 26, 26-36. 62

WISL0FF,

§6

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

1522

4 0 5

fasst werden kann, sondern um die prinzipielle Begründung des Heils und die B e i tragsfähigkeit des Menschen zu seinem Heil. 6 5 Damit zeigt sich, dass der Glaube als ein „geistliches Opfer" der Gläubigen bei Luther nicht umstandslos mit einer Vorstellung von Selbstdarbringung harmoniert, nach der „die Kirche sich einbeziehen läßt in die Hingabebewegung Jesu Christi zum Vater und so sich selbst als heiliges und lebendiges Opfer Gott ,darbringt'." 6 6 Denn im Unterschied zur oblatio gewinnt der „Glaube" bei Luther nicht aus einem als Hingabe an den Vater verstandenen Kreuzesereignis seine innere Struktur, sondern aus der Verheißung an den Menschen. Er bestimmt sich damit rezeptiv und nicht aktiv, er ist extrinsisch und nicht introspektiv verfasst und ihm entspricht gerade deshalb eine retrospektivdankende Ausrichtung auf das von außen zugesprochene Heil. Der Glaube ist daher nahezu das Gegenteil eines Verweises auf die eigene Hingabebereitschaft, er nimmt den sich den Menschen hingebenden Gott wahr und versucht nicht, im Windschatten eines an Gott gerichteten Kreuzesopfers göttliche Akzeptanz für die eigene Disposition zu erlangen. 67 Luthers Kanoninterpretation weist sich also nicht nur durch ihre polemische Schärfe aus, sondern vermag durchaus auch theologisches Interesse zu wecken. Sie begründet ihre Kritik aus den zusammenhängenden Perspektiven einer alleinigen Mittlerstellung Christi (gegen das Te igitur), der bleibenden Sündhaftigkeit des Menschen (gegen das Linde et memores) und der eschatologischen Gültigkeit des Glaubens (gegen das Memento). Diese Kritik lässt sich zusammenfassen in der Wahrnehmung des Kanontextes als einer verfehlten Bitte. 6 8 Zwei Vorstellungen kritisiert Luther an dieser Aussageweise: Einmal werden hier Bitte und Opfer kombiniert. Es geht damit nicht mehr um das absichtslose, spontane Opfer aus

6 5 Auch M . STUFLESSER, memoria passionis, 3 0 3 , beklagt, dass in diesem Gebet „nicht ersichtlich wird, worin die Bitte um Erlösung und die Hoffnung auf Heil begründet liegen, nämlich in den immateriellen Opfergaben ,Hingabe' und .Glauben' (vgl. R o m 1 2 ) . " Dabei kommt auch in dieser Interpretation die Differenz zu Luthers Glaubens- und Messopferkonzept deutlich heraus. D e n n für den Wittenberger begründet sich die Hoffnung auf das Heil keineswegs in einer Haltung des Menschen, sondern in der Verheißung. D e r Glaube nimmt Gottes Heilshandeln wahr, aber er begründet keine Hoffnung. 6 6 So beschreibt M . STUFLESSER, memoria passionis, 3 0 6 , die Bedeutung des Begriffes oblatio bei seiner Interpretation des Haue igitur. 6 7 So fährt M . STUFLESSER fort: „Dies ist die oblatio rationalbilis [...] von der im Quam oblationem die R e d e ist; es ist die oblatio munda, das reine Opfer des Propheten Maleachi (Mal 1,11), das seit Justin, über Trient bis hin zum Postsanctus des H G [ = H o c h g e b e t , W.S.] III auf die Eucharistie b e zogen wird: die geistig-geistliche Selbstdarbringung der Gläubigen. Wird also in den Opferannahmebitten um die Annahme des so verstandenen ,Opfers der Kirche' gebeten, so kann dies nur das Verweisen auf die eigene Hingabebereitschaft bedeuten, mit der Bitte, Gott möge die Hingabe der Gläubigen ebenso annehmen, wie er das Opfer Christi am Kreuz ,ein für allemal' angenommen hat." A.a.O., 3 0 6 f . 6 8 D i e Verbindung von Opfer und Bitte um seine Annahme gehört zum Proprium des Kanons gegenüber den altkirchlichen Hochgebeten, vgl. R . MESSNER, Meßreform, 91. Das in anderer Hinsicht verheißungsvolle Konzept R . MESSNERS, Luthers Messopfertheologie auf Grund ihrer Vereinbarkeit mit der altkirchlichen Messtheologie als katholische Möglichkeit zu erweisen, fuhrt an dieser Stelle deshalb nicht weiter. R . MESSNER, a.a.O., 178, reduziert die Messopferkritik L u thers auf die Ablehnung eines Opfers von Leib und Blut Christi.

406

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

dem dankenden Glauben, sondern u m die Verbindung einer menschlichen Aktivität vor Gott mit einem menschlichen Anliegen an Gott. Diese Verquickung von Opfer und Bitte bringt deshalb beide u m ihre theologische Legitimität. D e n n die Formulierung eines Anliegens in der Bitte gründet sich fiir Luther allein auf die Aktivität Christi, dies ist Ausdruck des solagratia, welches die Möglichkeit des G o t teszuganges überhaupt erst eröffnet. U n d das Opfer als Aktivität des Menschen gilt entweder dem Nächsten und nicht Gott oder bestimmt sich in der Gottesperspektive allein als „Legen auf Christus". Wird die menschliche Aktivität aber in Gestalt des Opfers mit einem Anliegen so verknüpft, dass sie auf eine positive Sanktion Gottes hofft, dann werden die Möglichkeiten des Menschen maßlos überschätzt. Hinter den die Bitte begleitenden Opfergaben sieht Luther also ein vom Kreuz u n gebrochenes Selbstbewusstsein, welches dem Adressaten anders als mit leeren Händen nahen zu dürfen glaubt. Der Mensch verfehlt so gerade den rechten G o t tesbezug, w e n n er durch Begleitgaben hofft, Gott für das erbetene Anliegen günstig zu stimmen. Luther selbst stellt dem seine radikale Hamartiologie gegenüber. Für ihn wird der in Opferterminologie beschriebenen menschlichen Aktivität hier eine zumindest mitursächliche W i r k u n g für die Versöhnung zwischen Gott und Mensch zugetraut, welche mit dem Christusereignis konkurriert. Aus der Scharnierstellung des solus Christus zwischen Hamartiologie und Soteriologie ergibt sich dann die zweite Kritik am Modus der Bitte. D e n n gebeten wird ja u m etwas, das noch aussteht. N u n ist für Luther in Christus aber bereits alles getan. Die Bittgebete des Kanons werden deshalb nicht nur kritisiert, weil sie für Luther voraussetzen, dass der Mensch vor Gott etwas tun kann, sondern auch, weil sie glauben, dass der Mensch vor Gott etwas tun muss. Die Stellung des Menschen wird also nicht nur über- sondern auch unterschätzt. Hiergegen setzt Luther die bleibende eschatologische Gültigkeit des Verheißungswortes für den Glaubenden. Diese mit dem Verständnis des Messopfers als einer Bitte gegebene Problematik zeigt sich in anderer Weise auch in der Frage nach dem Messopfer als Dankopfer.

2 Opfer und Dank — die , Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes Christi' (1530) Die Auseinandersetzung mit Luthers Messopfertheologie wurde von altgläubiger Seite emsig geführt. 6 9 Dabei fehlte es nicht an Versuchen, Luthers Anliegen aufzunehmen. In besonderer Weise galt dies für das Verständnis der Messe als eines Dankopfers, das Luther in der ,Vermahnung' 7 0 noch einmal ausfuhrlich thematisiert. Freilich ist bei der Interpretation gerade die Intention dieser Schrift zu berücksichtigen. Es geht Luther hier nur noch am R a n d e u m die Auseinanderset-

69 Vgl. dazu E. ISERLOH: D e r K a m p f u m die Messe in d e n ersten J a h r e n der A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Luther, in: K L K 10, M ü n s t e r 1952. 70 Vgl. zur Interpretation auch WISL0FF, A b e n d m a h l , 7 2 - 8 0 ; SCHWAB, E n t d e c k u n g , 220; BRECHT, Luther, 2, 3 6 8 - 3 7 0 ; R . MESSNER, M e ß r e f o r m , 1 8 1 - 1 8 4 ; SCHWARZ, A n g e l p u n k t , 361f.

§6

Ausblick: Die Messopfertheologie

nach

Î522

407

zung mit der spätmittelalterlichen Messfrömmigkeit, die durch eine inflationäre Vielzahl von Messen die Ausgangsposition für das künftige Leben zu verbessern suchte. Vielmehr hat sich zehn Jahre nach den messtheologischen Hauptschriften eine Sakramentsmüdigkeit bei der Bevölkerung eingebürgert, die keineswegs Luthers Intentionen entsprach. Die Aufgabenstellung hatte sich also verschoben: Stellte der Luther der 20er Jahre gegen eine (in seinen Augen) falsch verstandene fromme Aktivität den Empfangscharakter des Sakraments heraus, so galt es nun, gegen eine falsch verstandene Passivität den Handlungscharakter der Messe zu stärken. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Luther hier die Aktivität der Messbesucher besonders hervorhebt. Diese veränderte Ausgangslage gilt es im Blick zu b e halten, wenn man diese als Musterpredigt für die Pfarrer gedachte Schrift richtig einordnen will. 71 Die Bedeutung der ,Vermahnung' liegt darin, dass Luther die Opferterminologie hier nicht nur verwendet, um die Werke für den Nächsten zu kennzeichnen. Jenes leibliche, sozialethische Opfer ließ sich leicht von einem M o dell abgrenzen, das die menschliche Aktivität in Gestalt von Werken in die Gottesrelation eintrug. In der ,Vermahnung' nimmt Luther indes das bereits im Testamentssermon begegnende Konzept des geistlichen Opfers wieder auf. Die Opferterminologie wird so zur Beschreibung der Gottesrelation und des Sakramentsgeschehens herangezogen. Stellte Luther bisher den Empfang des Sakraments gegen das Opfer, so will er ihn nun gerade als Opfer verstanden wissen, spricht vom Nutzen des Sakraments als einem „nutz, der Christo und Gott selber draus komet" 7 2 und vom Menschen, der ein „Gott macher" 7 3 werden solle. Die Brisanz der ,Vermahnung' ergibt sich nun daraus, dass Luther diese Aussagen nicht als einen N e u ansatz oder eine Retraktation, sondern als Ausdruck eines von ihm stets vertretenen Messopfermodells versteht. Die Schrift zeigt insgesamt einen dreiteiligen Aufbau. Nach einem Vorwort 7 4 beschäftigt sich Luther in einem ersten Teil mit der Aktivität des Gläubigen gegenüber Gott im Sakramentsgeschehen, 75 um dann erst deren theologische Voraussetzung, nämlich Gottes Selbstzuwendung zu den Menschen, darzustellen. 76 Aus unserer Fragestellung ergibt sich eine Konzentration auf den ersten Teil der Schrift.

7 1 R . MESSNER, a.a.O., 181, zieht die zeitlichen Umstände und die Adressatendifferenz für seine Interpretation der Schrift nicht heran. Er behandelt sie gleich im Anschluss an den Testamentssermon und sieht in ihr „die Luthersche Konzeption der Messe als Opfer (bzw. des Opfers in der Messe) noch deutlicher zum Ausdruck [kommen]." 7 2 WA 30 II, 601, 28. 7 3 WA 30 II, 602, 39. 7 4 WA 30 II, 595, 4 - 5 9 9 , 19. 7 5 Diese Themenstellung wird in der Zusammenfassung zu Beginn des zweiten Teiles benannt: „Bis daher haben wir nichts gesagt von unszerm nutz, so wir im Sacrament suchen und holen können, Sondern allein vom nutz, den du Gott selbs, Christo, dem nehesten, dem Euangelio und Sacrament, dazu der gantzen Christenheit thun kanst [...]." W A 30 II, 615, 2 9 - 3 2 . 7 6 WA 3 0 II, 615, 36—616, 3: „Dennoch, das wir ia sehen, welch ein vol, vol gnadenreich gestifFt Gottes es sey, damit wirs ia hertzlich lieb gewinnen und gern brauchen, wollen wir nu sehen, was fur nutz auch sonderlich uns selbs darinn angeboten und gegeben wird, Und wie Christus unser nicht vergessen hat inn diesem Sacrament."

408

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

Das Vorwort setzt ein mit einer Schilderung der gegenwärtigen Sakramentsverachtung. Für die Taufe 77 sieht Luther diese in der Ablehnung der Kindertaufe: Der Taufaufschub verführe zum Verzicht auf die Predigt und schließlich zum Verlust des Christentums. Hinsichtlich des Altarsakramentes 78 beklagt er die Vorstellung, eine Teilnahme am Abendmahl sei verzichtbar. 79 Diese beiden Fehlhaltungen zum Sakrament sieht Luther in einer falschen Lässigkeit der Prediger wurzeln, diese „schnarcken und schlaffen ia so sicher, als sie thun, dencken nicht weiter denn: wer da kompt, der kompt, Wer nicht kompt, der bleibe aussen [...] ." 8 0 Angesichts dieser Situation will Luther „den Pfarhern und Predigern Ursachen geben, ihr volck zu vermanen und zum Sacrament zu locken, und ettlich Sachen anzeigen, damit man sie bewegen sol, das sie williglich und on menschen zwang zum Sacrament gehen [,..]." 8 1 Die Schrift besitzt also eine grundsätzlich paränetische Ausrichtung, sie zielt auf eine vermehrte Teilnahme der Laien am Sakrament. Aus dieser Zielsetzung ergibt sich eine Konzentration auf die Aktivität der Gemeinde. Luther geht es in dieser Vermahnung weniger um die präzise Entfaltung eines neuen theologischen Konzeptes als um einen eindringlichen Appell, das Altarsakrament nicht zu verachten. So besteht das zentrale Anliegen dieser Schrift nicht in der Weiterentwicklung des theologischen Denkens, sondern in der Änderung des praktischen Verhaltens. Es ist erstaunlich, dass Luther dennoch nicht mit Zwang oder gesetzlichen Forderungen argumentiert. Nicht die Notwendigkeit, sondern die freie Spontaneität ist ihm die Voraussetzung einer menschlichen Aktivität im Sakrament. 8 2 So steht am Anfang des ersten Teils auch der Hinweis, dass Christus das Sakrament für den Menschen aus Liebe eingesetzt habe. 83 Aus diesen beiden Elementen, der Einsetzung durch Christus und der erst im zweiten Teil ausfuhrlich dargestellten Liebe als dem Motiv der Einsetzung leitet Luther dann seine Aufforderung zur regelmäßigen Teilnahme am Sakrament ab. 84

77

W A 3 0 II, 595, 4 - 5 9 6 , 28.

W A 3 0 II, 596, 2 9 - 5 9 7 , 7. „Lassen sich duncken, weil sie nun vom Bepstischen zwange frey sind worden, Sie seien gar nicht mehr schuldig dis Sacraments zu brauchen, Sondern mugen sein wol emperen und frey on alle sunde verachten, U n d wenn solch Sacrament nirgent gebraucht wurde odder gar untergienge, das were ihn gleich viel." W A 3 0 II, 596, 3 3 - 3 7 . 8 0 W A 3 0 II, 597, 13f. D e r ganze Abschnitt reicht von Zeile 8 bis 24. 8 1 W A 3 0 II, 599, 9 - 1 2 . 8 2 „Nicht, daß ich hiermit will geraten haben, die leute mit gesetzen auffbestimpte zeit und tage zum Sacrament zu treiben [ . . . ] . " W A 3 0 II, 5 9 8 , 2 2 f . „Niemand zwingen wir hie mit zum glauben, Aber wir zeigen an, was zum glauben gehöret, und wer ein Christ sein will, das er wisse, was und wie er gleuben solle [ . . . ] . " W A 3 0 II, 600, 3 2 - 3 4 . 8 3 W A 3 0 II, 599, 2 0 - 3 5 . 8 4 W A 3 0 II, 599, 36—601, 22. Damit nimmt er ein bereits im Testamentssermon ausgeführtes Motiv wieder auf. Auch das dort beigebrachte Argument eines gemeinschaftlichen Dankes begnet hier, vgl. W A 3 0 II, 604, 3 4 - 6 0 5 , 2. 78 79

§6

2.1

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

1522

409

Das Grundmodell: Opfer als Gedächtnis und Dank

Im Dienste dieser Aufforderung stehen nun auch die Einsetzungsworte, insbesondere der Gedächtnisauftrag. Diesen hatte Luther in ,De abroganda' noch ganz auf die Austeilung bezogen. 85 Jetzt will er das Gedächtnis aber nicht aus der Perspektive des Nutzens fiir den Gläubigen, sondern ganz als auf Gott gerichtete menschliche Aktivität verstehen! 86 Diese Aktivität ist freilich stets reaktiv bestimmt und kann nicht in einen Begründungszusammenhang mit dem Heil des Dankenden treten. 87 So ist hier nicht nur die unbestreitbare Differenz zu der zehn Jahre zurückliegenden Interpretation des Gedächtnisauftrages herauszustellen, sondern auch die von Luther selbst beanspruchte 88 Kontinuität aufzuweisen. 89 Einmal ergibt sie sich aus der Leitperspektive der Austeilung, denn wo die Kommunikanten fehlen, kann auch nichts ausgeteilt werden. Aber auch jetzt, da alles auf die Aktivität der Gläubigen im Sakrament abzielt, wird diese Aktivität nicht soteriologisch überhöht. Drei Charakteristika grenzen den Einzug der auf das menschliche Handeln reflektierenden Perspektive in das Gottesverhältnis gegen eine soteriologische Aufladung ab: Einmal wird vorgängig die Verbindung von menschlicher Aktivität und soteriologischem Nutzen getrennt. Das Gotteslob wird so nicht zum Mitteilungsmodus der Gnade, denn sobald die Aktivität des Menschen in den Blick kommt, tritt die Frage nach dem Nutzen für den Menschen zurück. 90 Opfertheologisch werden Aktant und Nutznießer nicht nur getrennt, sondern sobald der Mensch als Aktant erscheint, entfällt die Dimension des Nutzens für sich oder andere. Z u m zweiten formuliert sich die Opferaktivität des Menschen retrospektiv,

8 5 W A 8, 509, 34—39: „,Thutts, das yhr meyn gedenckt.' Was sollen sie thun? Das ich itzt mit euch thu. Was thut er aber? Gebenedeyet er brott und weyn ynn eynem gu(e)lden kilch odder gu(e)lden kaselin, ynn der tzyhr und schmuck, als wyr itzt thun? Neyn, tzwar er nympt brott und weyn und mit dem wort, wilchs er redt, macht er darauß seyn leyb und blutt und gibt es seyn j u n gern tzu essen." 8 6 Das Starren auf den eigenen Nutzen sieht er gerade als Eigenheit der altgläubigen Sakramentsauffassung an. Die Verhaftung an eben dieser Selbstfixiertheit trägt für Luther die Schuld daran, dass das zweckfreie, von sich selbst absehende Dankopfer nicht geübt werde, vgl. W A 3 0 II, 608, 1 9 - 2 5 . 8 7 Vgl. dazu die Ausführungen W A 3 0 II, 6 1 4 , 1 6 - 3 4 . E. JÜNGEL, Kirche, 448, sieht den Dank bei Luther als eine Wirkung des Wortgeschehens: „[das Wort des Evangeliums] versetzt ihn [sc. den an der gottesdienstlichen Handlung Beteiligten] nicht nur als melius informandus an, sondern es versetzt ihn, indem es ihn zum bene informatus macht, zugleich in den Zustand des dankbaren Empfängers der Wohltat Gottes. Evangelium efficit quod significat." 8 8 W A 3 0 II, 609, 3 0 f . 8 9 Vgl. etwa die ganz im Sinne der grundlegenden messtheologischen Schriften argumentierende Bestimmung des Gedächtnisses in W A 3 0 II, 609, 34—39. 9 0 „Ich rede aber itzt noch nicht von unserm nutz und not, so wir im Sacrament suchen mugen, Sondern vom nutz, der Christo und Gott selber draus komet, und wie wie not es ist zu seiner Gottlichen ehre und dienst, das mans vleissig brauche und ehre, D e n n du hörest hie, das er seine Gottliche ehre und Gottes dienst inn dis Sacrament stellet, das man sein hierin gedencken sol [ . . . ] " W A 3 0 II, 601, 2 6 - 3 1 .

410

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

sie ist D a n k u n d L o b f ü r das i m m e r s c h o n E m p f a n g e n e . 9 1 U n d s c h l i e ß l i c h w i r d e i n e Q u a n t i f i z i e r u n g d e r A k t i v i t ä t a u s g e s c h l o s s e n . 9 2 A n d e r s als b e i d e r W a l l f a h r t , d e m K l o s t e r e i n t r i t t u n d d e m F a s t e n h a n d l e es s i c h b e i d e m G e d ä c h t n i s d e s S a k r a m e n t s u m e i n e n v o n C h r i s t u s selbst e i n g e s e t z t e n D i e n s t a n G o t t , d e r n i c h t i n ä u ß e rer Prachtentfaltung, s o n d e r n i m schlichten m ü n d l i c h e n W o r t g e s c h e h e n bestehe. L u t h e r fasst z u s a m m e n : W i l t u n u G o t t e i n e n h e r r l i c h e n grossen Gotts dienst t h u n u n d Christus leiden recht e h r e n , so d e n c k e u n d g e h e z u m Sacrament, d a r i n n (wie d u hörest) sein gedechtnis ist, das ist: sein l o b u n d ehre, U n d ü b e d a m i t o d d e r hilffdas selbige gedechtnis m i t vleis ü b e n , so wirstu der selb e r w e l e t e n Gotts dienste w o l vergessen, D e n n (wie gesagt) d u kanst G o t t nicht zu offt o d d e r zu viel l o b e n u n d d a n c k e n f ü r seine g n a d e inn C h r i s t o erzeigt. 9 3 U n t e r diesen V o r g a b e n w e n d e t sich L u t h e r n u n d e m D a n k o p f e r zu. I m D a n k w e r d e G o t t s e i n e g ö t t l i c h e E h r e z u t e i l . E b e n a u s d i e s e r B e s t i m m u n g als E h r e r w e i s l e i tet sich die T r e n n u n g v o n D a n k o p f e r u n d Verdienst h e r : E i n verdienstlich v e r s t a n d e n e s O p f e r lasse G o t t g e r a d e n i c h t G o t t s e i n , s o n d e r n m a c h e i h n z u e i n e m G ö t z e n . 9 4 S o w i r d a u c h das D a n k o p f e r z u m A u s w e i s d e s d i e G n a d e n u r e m p f a n g e n d e n M e n s c h e n . D e r D a n k ist h i e r d i e W e i s e , i n w e l c h e r d e r M e n s c h a u f d i e i n C h r i s t u s für ihn geschehene, vorgängige Rechtfertigung zurückblickt.95 Dieser Rechtfertig u n g wird gerade eine eschatologische Gültigkeit zugesprochen, w o der K a n o n bittet, da d a n k e n f ü r L u t h e r d e r S a k r a m e n t s t e i l n e h m e r :

96

91 „Was ist aber sein gedenken anders, denn seine gnade und barmhertzigkeit preisen, zuho(e)ren, predigen, loben, dancken und ehren, die er uns inn Christo erzeigt hat?" WA 30 II, 601, 31-33. 92 „ U n d hat ihn (sc. den Dienst an Gott) also gestifft, das er nimer mehr kan ausgedienet noch gnug gehalten werden, D e n n wer kan Gottes gnugsam gedencken? Wer kan ihn zu viel loben? Wer kan ihm zu seer dancken? Wer kan Christus leiden zu viel ehren?" WA 30 II, 602, 5—8. 93 WA 30 II, 602, 14-20. 94 „DankopfFer gibt mir meine Gottliche ehre, Es macht mich zum Gott und behelt mich zum Gott, Gleich wie widdrumb die Werckopffer nemen ihm seine Gotliche ehre und machen ihn zum Go(e)tzen und lassen ihn nicht Gott bleiben, D e n n wer nicht danckt, sondern verdienen wil, der hat keinen Gott [...]." WA 30 II, 602, 30-35. Vgl. auch WA 30 II, 609, 1 - 6 : „Aber da gegen hat das liebe Sacrament müssen ein opffer und werck sein, damit ihr aller weit gut und ehre zu euch gekaufit. Wo ist hie blieben die lere vom Gedechtnis Christi? Wenn habt ihr das volck Unterricht, das sie solch sacrament solten aus liebe brauchen, als ein Gottes stifft ehren und Christum hierin preisen, loben und dancken, zu ehren seines leidens dasselbe empfahen und seine gnade erkennen, on unser werck und verdienst uns geschenckt? Ja ihr habt sie zu widder solchem gedechtnis leren eigen werck und den freien willen und aus dem Sacrament selbs auc ein werck gemacht und alles verkeret." 95 WA 30 II, 603, 8 - 1 0 ; 604, 33. 96 Es erscheint aus historischer Perspektive deshalb problematisch, über ein altkirchliches Konzept Luthers Messopferkonzept und das des Kanons zu harmonisieren. D e n n nicht nur die Gefahr von Anachronismen, sondern auch die ganz unterschiedlichen Modi (dort Dank, hier Bitte) siedeln diese Versuche jenseits der unserer Untersuchung zu Grunde liegenden historischen Z u gangsweise an. Bei allem durch das Konzept R . M E S S N E R S erzielten Fortschritt ist doch darauf zu verweisen, dass hier eine zeitenübergreifende Abstraktion vom jeweiligen Kontext geleistet werden muss, um eine Ubereinstimmung in Perspektiven und Formulierungen zu erzielen, welche die Quellen selbst explizit nicht bieten. Die Vermittlung zwischen dem Kanontext und Luthers Kritik daran über das Tertium des altkirchlichen Messopfermodells muss die Frage, inwiefern die

§6

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

1522

411

T h u s t u das, sihe, so bekennstu mit hertzen u n d munde, mit ohren u n d äugen, mit leib u n d seele, das du Gott nichts gegeben habest, n o c h mugest, Sondern alles u n d alles von i h m habest u n d nemest, sonderlich das ewige leben u n d unendliche gerechtigkeit in Christo. 9 7

Der Dank wird so zur Antwort des Menschen auf das Gotteshandeln an ihm. 9 8 G e rade indem er dankt, bringt der Menschen seine Angewiesenheit auf die allein von Gott getragene Versöhnung zum Ausdruck: D e n n das heisst ein rechter Gott, der da gibt u n d nicht nimpt, der da hilfft u n d nicht i h m helffen lesst, der da leret u n d regirt u n d sich nicht leren n o c h regieren lesst. Summa, der alles thut u n d gibt, u n d er niemands darff, u n d thut solchs alles umbsonst, aus lauter gnaden on verdienst, den unwirdigen und unverdieneten, ia den verdampten u n d verlornen, Solch gedechtnis, bekentnis u n d ehre wil er haben.

Dabei begegnet auch hier Luthers Verständnis des Kreuzesopfers als eine Tat G o t t e s . " Der Dank des Menschen konkretisiert sich dann im Lob und in der Predigt. 100 Die aus opfertheologischer Sicht zentrale Passage findet sich in WA 30 II, 610—615, denn Luther setzt sich hier mit den Vorschlägen auseinander, die ein Einvernehmen zwischen seinem und dem traditionellen Messopferkonzept suchten. Der Text gliedert sich in die Gegenüberstellung der Opfermodelle, 1 0 1 die Frage des äußeren und inneren Priestertums, 1 0 2 und eine Bestimmung der Zusammenhänge von Empfang und Opfer, 1 0 3 Stellvertretung und Opfer, 1 0 4 Sakrament und Gedächtnis 1 0 5 sowie eine Zusammenfassung. 1 0 6

2.2

Das Dankopfer

als geistliches

2.2. i

Dankopfer und Gedächtnis

Opfer im

Glauben

Zunächst greift Luther die Klage seiner Gegner auf, die ihm eine Inkonsequenz vorwerfen: Bei aller Kritik habe doch auch er selbst aus dem Sakrament ein Opfer gemacht. Luthers Entgegnung präzisiert nun seine Position. Einmal bestreitet er,

spätmittelalterliche Messwirklichkeit nicht durch Formulierung und Text des Kanons gedeckt oder gar initiiert wird, zurückstellen. Der Kanon muss als eine Größe „an sich" ( R . M E S S N E R , Meßreform, 84, allerdings in Anführungszeichen) betrachtet und so aus seinem historischen Makrokontext ausgelöst werden. Dass die Differenz des Kanontextes zum altkirchlichen Model] gerade in dem Punkt besteht, den Luther am heftigsten angreift, nämlich den mit einer soteriologischen Absicht verbundenen Bitten um die Annahme des Opfers, wird so nivelliert. 97 WA 30 II, 603, 7-10. 98 WA 30 II, 604, 20-33. 99 WA 30 II, 607, 32-608, 6. 100 WA 30 II, 603, 5-7; 604, 20-33. 101 WA 30 II, 610, 10-612, 5. 102 WA 30 II, 612, 6-613, 3. 103 WA 30 II, 613, 4-613, 35. 104 WA 30 II, 613, 36-614, 15. 105 WA 30 II, 614, 16-615, 12. 106 WA 30 II, 615, 13-27.

412

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

die Messhandlung insgesamt oder Leib u n d Blut Christi 1 0 7 als ein O p f e r verstanden zu haben. D a n n entfaltet er das Konzept eines Gedächtnisopfers: Ich mache wedder messe noch Sacrament zum opffer, Sondern das gedechtnis Christi, das ist die lere und glauben von der gnaden widder unser verdienst und werck, das ist ein opffer, Und ist ein Danckopffer, Denn mit dem selbigen gedechtnis bekennen und dancken wir Gott, das wir aus lauter gnaden durch Christus leiden erloset, frum und selig werden. 108 Dies erscheint zunächst i m W i d e r s p r u c h zu der bisherigen, seit der Hebräerbriefvorlesung nachweisbaren, Gegenüberstellung von Gedächtnis u n d O p f e r zu stehen. D i e inhaltliche N ä h e r b e s t i m m u n g des Gedächtnisses als D a n k für die in Christus zuteil gewordene R e c h t f e r t i g u n g zeigt dann aber die Kontinuität in L u thers Haltung, beschreibt sie doch die menschliche A n t w o r t auf das Gotteshandeln. D e r Gedankengang gliedert sich in drei Schritte: Zunächst weist Luther die Opfervorstellung als Basisinterpretament f ü r das Messgeschehen als Ganzes, insbesondere für die Abendmahlshandlung, ab („wedder messe n o c h Sacrament"). D a n n versteht er das Gedächtnis als Glauben („Glauben von der gnaden widder unser verdienst u n d werck") u n d identifiziert schließlich den Glauben mit d e m D a n k für die Erlösung in Christus. Das Gedächtnis der Erlösung wird hier also ern e u t so gefasst, dass das Erlösungsgeschehen selbst nicht gegenwärtig wird. Vielm e h r besteht das O p f e r aus d e m M o m e n t der rezeptiven W a h r n e h m u n g im Glaub e n u n d der dadurch ausgelösten Dankesfreude. Dabei wird die vierstellige O p f e r relation nur insofern a u f g e n o m m e n , als der M e n s c h als Aktant u n d G o t t als der Adressat erscheinen. Eine konkrete Gabe des M e n s c h e n b e n e n n t Luther nicht. D i e einzige Gabe wird von G o t t d e m M e n s c h e n zugewandt, nämlich die Vergeb u n g der Sünden. Entsprechend lässt sich dieses O p f e r auch nicht in der Perspektive eines Austauschs von Gabe u n d Gegengabe betrachten. Luther trägt hier nicht

107

Hier liegt ein Problem der Deutung R. MESSNERS. Für ihn meint Luther mit „Sakrament" Leib und Blut Christi. Luthers Abweis eines Verständnisses des Sakraments als Opfer begründet sich dann vor allem in der Besetzung der Opfergabe mit dem gegenwärtigen Christusleib, also der Vorstellung, dass der Priester Leib und Blut Christi dem Vater opfere. Seiner Kritik ist dann bereits begegnet, wenn nicht nur der Priester sondern auch die Gemeinde als Opferaktantin firmiert und die Opfergabe in Brot und Wein besteht. R. Meßners Verengung des Sakramentsbegriffes lässt aber außer Acht, dass es Luther nicht nur um die konsekrierten Elemente, sondern um die Abendmahlshandlung überhaupt geht (so auch R. SCHWARZ, Angelpunkt, 361). Dann entscheidet nicht schon der Status der Opfergabe über die Legitimität der Messopfervorstellung, sondern die Handlungsrichtung des Sakramentsgeschehens: Wird das Opfer (nicht als Gabe, sondern als Handlung!) zum Interpretament der gesamten Abendmahlshandlung, dann geht die Messe als „Summa Euangelii" verloren, denn eine menschliche Aktivität wird in die Heilszuwendung eingetragen. So ist Luthers Abweis eines Messopferkonzeptes, bei welchem Brot und Wein als Ausdruck des Glaubens dem Vater dargebracht werden, nicht nur ein Missverständnis der altkirchlichen Konzepton, sondern stellt die (aus deren Sicht freilich ananchronistische) Frage, inwiefern hier sakramentale Heilszuwendung und menschliche Aktivität in einen Bedingungszusammenhang treten. Versteht sich diese menschliche Aktivität aber als Antwort auf den Empfang des Heils, dann ist es auch legitim, vom Messopfer zu sprechen. Gegen R. MESSNERS Interpretation spricht auch, dass Luther dann sehr wohl von einem legitimen Opfer von Leib und Blut Christi sprechen kann, vgl. Anm. 112. 108 WA 30 II, 610, 13-18.

§6

Ausblick: Die Messopfertheologie nach

i522

413

die menschliche Operativität als konstitutives Merkmal in das Sakramentsgeschehen ein, sondern sagt nur, dass auf die Wahrnehmung der Verheißung im Glauben der Dank des Menschen für das Empfangene folge. 109 Anders als bisher stellt Luther diesen Dank nun aber besonders heraus, will er doch die Teilnahme am Sakrament als Ausdruck des Dankes und Bekenntnisses verstanden wissen und zum fleißigen Gebrauch des Sakraments anspornen. Die bleibende Kritik am vorfindlichen Opferbegriff zeigt sich also darin, dass Luther als den Nutzen des Opfers nicht die Frucht des Sakraments bestimmt. D a mit löst er die Vorstellung einer Korrelation von menschlicher (Dankes)aktivitat und göttlicher Sanktion auf. Das Dankopfer verbindet sich gerade nicht mit einer Bitte oder einem Wunsch an Gott, sondern ist vollkommen retrospektiv ausgerichtet. 1 1 0 Eben in dieser Ausrichtung erblickt Luther die Differenz zur vorfindlichen Gedächtnis- und Opferkonzeption, die durch die Verbindung von menschlicher Opferaktivität und einer positiven göttlichen Sanktion (Verdienst) in Konkurrenz zum Christusgeschehen trete. 111 Deshalb weist er erneut ein Messopferverständnis ab, bei welchem die Opfervorstellung das Sakramentsgeschehen überhaupt interpretieren soll. Ein derartiger Entwurf verfehlt für Luther nicht nur das legitime Opfer in der Messe, sondern legt auch ein völlig anderes Opfermodell zu Grunde. Dann werde gerade nicht auf eine Gabe des Menschen an Gott verzichtet, 1(19 Es ist daher missverständlich, das Dankopfer als Luthers Basisinterpretament des Sakramentsgeschehens aufzufassen. Wohl betrachtet er hier das Sakrament aus der Leitperspektive des Dankopfers. Aber dieses Dankopfer k o m m t auch unter diesem Umstand nur als Folge des eigentlichen Sakramentsgeschehens, der Z u w e n d u n g Gottes zum Menschen, in den Blick. N u r insofern es auf dieses Geschehen zurückblickt (und es nicht konstituiert!), zieht Luther das O p f e r als Interpretament des Sakraments heran. 110 Vgl. etwa die Verbindung im Memento Domine. D o r t ist das Lobopfer prospektiv ausgerichtet und versteht sich nicht als Dank für die Erlösung, sondern als Bitte u m die Erlösung. Luther formulierte: „ D e n n mit demselbigen gedechtnis bekennen u n d dancken wir Gott, das wir aus lauter gnaden durch Christus leiden erloset, f r u m und selig werden." Im Kanontext heißt es: „[...] qui tibi offerunt hoc sacrificium laudis, pro se suisque omnibus: pro redemptione animarum suarum, pro spe salutis et incolumitatis suae: tibi reddunt vota suae aeterno Deo, vivo et vero." D e r Dank k o m m t hier zwischen Rechtfertigung u n d A n n a h m e zur Seligkeit zu stehen, eine Konstellation die in Luthers soteriologischem Konzept nicht möglich ist. Luthers scharfe Unterscheidung zwischen katabatischer und anabatischer Linie ist daher alles andere als nur „polemisch bedingt"

(R. M E S S N E R , M e ß r e f o r m , 179). Wenn R . M E S S N E R behauptet: „ D a r u m sind die ,opera missae' kein beliebiger Zusatz zur ,Messe', der o h n e weiteres weggelassen werden könnte," dann hat er gewiss recht. W e n n er aber fortfährt: „ihr Fehlen wäre Indikator für das Fehlen des Glaubens, u n d damit wäre die Messe nutzlos", so bestimmt er das Werk so, dass es letztlich in die R e c h t f e r t i g u n g zurückschlägt u n d die Differenz zwischen spätmittelalterlicher Disposition zur Messe u n d Luthers Forderung nach d e m Glauben als einziger Voraussetzung unkenntlich macht. Dieser Rückschlag ist aber die Folge eines Modells, das menschliches u n d göttliches Handeln als zwei ungleichgewichtige Konstitute der Rechtfertigung betrachtet. 111 „Aber die Papisten haben solch gedechtnis verworffen, verdampt und gelestert. Verdammen es auch noch heutigen tages, denn sie wollen ihr werck u n d verdienst verteidigen, Kloster und opffer Messen behalten, welchs strebt widder solch gedechtnis Christi, wie wir denn wissen, das sie selbigen j h r e werck u n d messen verkeuffen und mitteilen j h r e n stifftern und b r u d e r n , das ihr werck, als der sie für sich selbs zu viel u n d übrig haben, auch andern leuten helffen sollen zur gnade. U n d thun also damit, das doch Christus allein durch sein leiden thut [...]." WA 30 II, 610, 18— 25.

414

Zweiter Teil: Genese und

Gestalt

würden menschliche Aktivität und Verdienst vor Gott eben nicht entschränkt, sondern Leib und Blut dem Vater geopfert in der Absicht, damit seine Gnade zu erwerben. 1 1 2 In dem wichtigen Abschnitt WA 3 0 II, 611, 1 - 6 1 2 , 5 setzt sich Luther dann mit dem Kompromissvorschlag auseinander, die Opferqualifikation des Messopfers aus der Gegenwart des Kreuzesopfers abzuleiten. 113 Es ist offensichtlich, dass er sich diesem Modell voreingenommen nähert, sieht er dahinter doch nur ein taktisches Manöver und den Versuch, sich um einen Widerruf der verfehlten Messopferqualifikation zu drücken, 1 1 4 um die ökonomischen Vorteile einer applikablen Messe zu wahren. 1 1 5 Zugleich darf diese Einsicht aber nicht so in den Vordergrund rükken, dass die theologischen Motive Luthers völlig außer Blick geraten, zumal er selbst zwischen den taktischen Motiven dieses Konzeptes und seinem theologischen Wert unterscheidet. Luther argumentiert zunächst damit, dass sich für dieses Konzept keine Schriftbegründung finde. 1 1 6 Dann hebt er hervor, dass ein solches Messopferverständnis sich mit dem Modell einer an Lebende und Tote zuwendbaren Messe nicht vereinbaren lasse, denn dieses setzte die Messe als applikables Werk voraus. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die kirchliche Praxis, sondern sieht dieses Konzept auch von der gegenwärtigen Theologie nicht gedeckt, findet er doch diese Auffassung eines nur auf die Messfeier beschränkten, nicht zuwendbaren Opfers nicht in „ihr bucher und schrifft". Als ein Beispiel dient hier die bekannte Erzählung G R E G O R S von dem durch Messfeiern aus dem Fegefeuer befreiten verstorbenen M ö n c h J U S T U S . 1 1 7 S O verfehlt auch das Verständnis der Messe als Gedächtnisopfer das Wesen des Sakraments. Entscheidend ist für Luther hier der Adressat des Sakramentsgeschehens, der dessen Handlungsrichtung festlegt. Denn

1,2 „Dazu halten sie Christus leib und blut nicht für ein danckopffer, sondern als ein werckopffer, damit sie nicht Gott dancken für seine gnade, Sondern ihn selbs und andern damit verdienen und gnad aller erst erwerben, das also nicht Christus uns gnade hab erworben, Sondern wir wollen die gnade uns selbs erwerben, durch unser werck, da mit wir Gott seins sons leib und blut opffern [ . . . ] . " W A 3 0 II, 6 1 0 , 32—37. Das Zitat zeigt, dass Luthers Aussagen über das Dankopfer nicht zu pressen sind. D e n n dem Wortlaut nach vertritt er hier eben das, was er sonst ablehnt, nämlich eine Interpretation des Sakramentsgeschehens als Opfer, indem er Leib und Blut als ein Dankopfer b e zeichnet. Dass hier der Dank für das Empfangene und nicht die Eigenaktivität akzentuiert werden soll, zeigt aber die Fortsetzung: „Widder solch lesterlich opffer hab ich gefochten und fechte noch, das wir das Sacrament nicht wollen weder opffer sein lassen noch opffer heissen, Sondern ein Sacrament odder gestifft Gottes, uns gegeben." W A 3 0 II, 610, 38—40. 1 1 3 „[...] wolten sich gern schmucken mit dem gloslin, das die Messe odder Sacrament sol Ein misteriale odder memoriale sacrificium, das ist ein deud opffer und merck opffer sein, Als damit man deutet und dencket an das opffer Christi, so er am Creutz gethan hat." W A 3 0 II, 6 1 1 , 4—7. M i t W A , ebd. Anm. 2, nehme ich eine Konjektur von „werck opffer" zu „merck opffer" vor. Luther versucht in der Apposition den Ausdruck memoriale sacrificium ins Deutsche zu übersetzen, das zeigt der B e g r i f f „ d e u d opffer". Das „werck opffer" wäre aber keine Ubersetzung, sondern bereits eine Kritik, die nicht im Kontext, sondern erst 6 1 1 , 19 ff begegnet. 1 1 4 W A 3 0 II, 6 1 1 , 1 - 5 . 1 1 5 W A 3 0 II, 6 1 1 , 8 - 1 2 . 1 1 6 „Ja wer siegel und brieve hette, das solch glose Gotte wolgefalle, Wer wil uns des versichern?" W A 3 0 II, 6 1 1 , 7f. 1 , 7 Vgl. dazu oben § 2 . 2 . 3 . 3 . 3 .

§6

Ausblick:

Die Messopfertheologie

nach

415

Ì522

wenn das Sakrament dem Menschen Gnade bringt und an Gott gerichtet ist, gewinnt die menschliche Aktivität Relevanz für das Heil. 1 1 8 Im Hintergrund dieser Ablehnung steht freilich die spätmittelalterliche Passionsfrömmigkeit. Wie der erste Teil dieser Arbeit zeigte, konnte hier eine Gleichzeitigkeit mit dem Kreuzesgeschehen durch die Versenkung in das Leiden Christi reklamiert werden. 119 Luther indes sieht hier die Eigenart des Glaubens bedroht. 1 2 0 2.2.2

Dankopfer

und äußeres Priestertum

Sein Konzept des Dankopfers wendet Luther in einem zweiten Gedankengang dann nicht nur gegen das vorfmdliche Messopferkonzept, sondern auch gegen das äußere Priestertum. 121 Er stellt nun einen Zusammenhang her zwischen der Zuwendbarkeit des Sakraments und dem Sonderstatus des Amtsträgers. Zwei Modelle stellt er gegenüber. Auf der einen Seite sieht er sein Dankopferkonzept, in welchem die ganze Gemeinde das Sakrament im Glauben dankbar empfängt; auf der anderen Seite den Priester als Opferaktanten, der das Sakrament nicht nur empfängt, sondern den anderen Christen auch zuwendet. 122 Die Differenz beider M o delle besteht also nicht nur darin, dass Luther die Gemeinde als Koaktantin des Opfers forderte, sondern erneut in der grundsätzlichen Ausrichtung des Sakramentsgeschehens als Zuwendung Gottes an die Menschen, die einen stellvertretenden Empfang ebenso ausschließt wie die mit einer Zuwendbarkeit der Messe verbundene Vorstellung des Sakramentes als soteriologische Verfügungsmasse. Luthers Dankopferkonzept rechnet nicht mit einer Differenz zwischen dem Opferaktanten und dem Begünstigtem, die Opferlogik kann niemals vierstellig besetzt 118

„Es hilfft auch solch gloslin nichts zur Sachen, D e n n weil sie das Sacrament damit wollen ein

deutopffer odder denckopffer n e n n e n , so m a c h e n sie gleichwol ein werck draus, das wir gegen G o t t thun u m b verdienst, U n d wird also gleich wol da mit unser w e r c k gegen G o t t , und nicht Gottes gnade gegen uns, gepreiset." W A 3 0 II, 6 1 1 , 19—23. 119

Vgl. den Ausspruch J o h a n n e s ' VON WERDEN: „ D e r C h r i s t befindet sich während der Messe

gleichsam a u f Kaivaria und erlebt das Leiden und den T o d des H e r r n m i t . " D o r m i Secure S e r m o 6 8 , ad 3, zitiert nach MASSA, Eucharistiepredigt, 8 4 . 120

„ E i n solch werk wurde aus d e m Sacrament auch, wenn es solt heissen ein deut opffer odder

d e n c k opffer, damit man allein die historia und geschieht des leidens Christi b e d e c h t , S o l c h w e r c k kan ein Gottloser und der teufel auch wol thun, D a r u m b hat Christus das Sacrament nicht dazu eignesetzt, sondern zu seinem gedechtnis, Das m a n von seiner gnade recht leren, gleuben, lieben und loben solle, welchs werck v e r m a g kein Gottloser n i c h t . " W A 3 0 II, 6 1 1 , 27—612, 2. 121

„Das m e r c k e da bey: Sie wollen, als die Priester, ein sonderlichs, hohers und bessers an d e m

Sacrament haben, für allen anderen C h r i s t e n , D e n n o b gleich die gantze C h r i s t e n h e i t das Sacram e n t gebraucht, empfehet, gleubet und danckt, S o mus es d o c h da selbs kein opffer heissen, U n d kan hie keiner das Sacrament brauchen odder handeln für einen anderen, sondern ein iglicher für sich selbs allein. A b e r w e n n es die Pfaffen handeln, so ists ein opffer, das sie nicht allein für sichselbs, auch nicht für dancksagunge, S o n d e r n für alle ander C h r i s t e n thun, damit i h n e n gnade und hulff zurlangen." W A 3 0 II, 6 1 2 , 4 - 1 3 . 122

Vgl. dazu den verbreiteten Vergleich zwischen d e m Priester, welcher durch die Z u w e n -

dung seines Opfers zwischen G o t t und M e n s c h vermittelt, und d e m R e c h t s a n w a l t , der zwischen R i c h t e r und A n g e k l a g t e m vermittelt. BIEL zieht diesen Vergleich

L.26B ( 1 , 240f):

„Est autem se-

cularis advocati officium, indigentiam partis pro qua advocat c o r a m iudice allegare, et iudicis anim u m ad m i s e r e n d u m inducere ac inclinare."

416

Zweiter

Teil: Genese und

Gestalt

w e r d e n , s o n d e r n w i r d n u r in T e i l m o m e n t e n ü b e r n o m m e n . 1 2 3 D a s e n t s c h e i d e n d e D i f f e r e n z k r i t e r i u m z u r h e r k ö m m l i c h e n O p f e r v o r s t e l l u n g ist also n i c h t n u r die Tatsache, dass diese d e n P r i e s t e r als alleinigen A k t a n t e n n o m i n i e r t e , s o n d e r n dass eine Verbindung zwischen d e m Aktanten u n d d e m N u t z n i e ß e r konstruiert wird, w e l c h e das A m t z w i s c h e n G l a u b e n u n d V e r h e i ß u n g s c h i e b t . 1 2 4 F ü r L u t h e r k o m m t i m S a k r a m e n t d a n n n i c h t das M o m e n t d e r E i n h e i t z u r D a r s t e l l u n g , s o n d e r n m a n f u h r t e i n e U n t e r s c h e i d u n g ein, es g i b t „ z w e i e r l e y S a c r a m e n t des A l t a r s " . 1 2 5

2.3

Die

Bedingungen

einer legitimen

Rede

vom

Messopfer

U m n i c h t u m b l o ß e W o r t e z u streiten, f o r m u l i e r t L u t h e r s e i n e n A n f o r d e r u n g s k a talog f ü r e i n e l e g i t i m e M e s s o p f e r t h e o l o g i e : Wolan, so wollen wir das ein reumen und nicht das Sacrament selbs, sondern empfahen odder brauch des Sacraments ein opffer nennen lassen, Mit solchem unterscheid und verstand, Erstlich: das es nicht ein deut opffer odder werck opffer, sondern ein danck opffer heisse, also, das wer das Sacrament empfehet, sol das, zum zeichen seiner dancksagung gethan haben, damit er anzeigt, das er Christo für sein leiden und gnade j n n seinem hertzen danckbar sey, für sich selbs. Z u m andern: das die priester auch kein ander opffer draus machen über dem altar, Sondern auch sie das selbige nicht anders noch anderer meinung empfahen, denn zum zeichen, damit sie anziegen, das sie Christo j m hertzen dancken für sich selbs, gleich wie die andern Christen, welchen sie es reichen vom altar, Auff das es einerley u n d ein gleich Sacrament sey, beide der priester und der leien, und die priester nicht bessers noch anders, noch mehr am Sacrament haben denn die leien, gleich wie sie nicht besser tauffe noch Euangelion haben, denn so man von j h n e n empfehet. Z u m dritten: das sie hin furt niemand das Sacrament odder messe als ein werck opffer verkeuffen noch für andere opffern, u m b gnade zurlangen, weder den todten noch den lebendigen, Sondern schlecht ein iglicher Priester, für sich selbs allein (wie ein ander Christ) damit Gott danck erzeige. Z u m Vierden (O thar ich das auch ruren?): Wenn der Messe odder Sacraments brauch nu also ein danck opffer ist worden, das sie wolten bussen und widder geben alle guter, siegel und brieve, dazu aller kloster und stifft renten [...] D e n n hettens konige u n d fursten gewust, das ein Priester mit dem Sacrament nichts mehr thet auff dem altar denn der leie, der es empfehet, nemlich, das er Gott für sich selbs allein danckt, meinstu, das sie so toi gewest weren, und solche guter dem gegeben, der nicht für sie opffert noch Gott versunet, sondern für sich selbst allein dancket? Weiter wil ich auch das ein reumen, das sie solch danckopffer mugen für andere auch thun, gleich wie ich auch ausser der messe mag Gott dancken, für Christo und alle seine heiligen, ia für alle Creaturn [...]. D a r u m b kann ichs wol leiden, das die Priester j n n der Messe Gott dancken für uns alle,

123 In dieser grundsätzlichen Gebrochenheit des Messopferkonzeptes Luthers liegt auch seine Grenze, etwa wenn es darum geht, den Anschluss an vorfindliche vierstellige Opferkonzeptionen herzustellen. 124 „Und kan hie keiner das Sacrament brauchen odder handeln für einen andern, sondern ein iglicher für sich selbs allein. Aber wenn es die Pfaffen handeln, so ists ein opffer, das sie nicht allein für sich selbs, auch nicht für dancksagunge, Sondern für alle ander Christen thun, damit ihnen gnade und hulff zurlangen. Sihestu und greiffestu hie nicht, das die wort Christi nicht ein opffer aus dem Sacrament machen, Und an ihm selbs auch kein opffer ist? Aber wenn die kasel und platte dazu kompt, so wirds ein opffer, [...]." WA 30 II, 612, 9—13. 125 WA 30 II, 612, 24.

417

§6 Ausblick: Die Messopfertheologie nach i522

Allein, das sie dasselbige n i c h t als ettwas sonderlichs u n d anders a c h t e n u e b e r der leien Sacrament. 1 2 6

Luther unterscheidet hier zunächst zwischen dem Sakrament selbst, der basalen Handlungsrichtung des Geschehens, und seinem Empfang aufseiten des M e n schen. Erst wenn feststeht, dass das Sakrament dem Menschen und nicht Gott zukommt, wird die menschliche Antwort auf dieses Geschehen thematisiert. Der Empfang des Sakramentes (und nicht das Sakrament selbst) ist dann als Opfer zu bezeichnen, wenn es nicht Deutopfer sondern Dankopfer ist. Die Dankesqualifikation soll damit das Opfer als Rückblick auf die geschehene Rechtfertigung ausweisen. So firmiert das Opfer nicht als Basisinterpretament der Rechtfertigung (das ist der Empfang). Es kennzeichnet einen Teilbereich. U n d auch als ein solches Kennzeichen wird nicht die gesamte vierstellige Opferrelation übernommen, sondern nur das Grundmodell: menschlicher Aktant und göttlicher Adressat. Diese Situierung und Reduzierung des Opfers ermöglicht dann keine Differenz zwischen dem Aktanten und dem Nutznießer, wodurch das Opfer nicht mehr als applikable Größe verstanden werden kann. Eben darin lag aber die opfertheologische Voraussetzung eines Amtskonzeptes, welches dem Amtsträger eine Verfügungsgewalt über die Sakramentswirkung zusprach. Die Ausschaltung dieser Z u wendungsmöglichkeit führt dann zu der Personalisierung des Sakramentsempfanges {pro me), wodurch die Konstitution der Sozialität als wichtiges Implikat des O p fers entfällt. Luther reduziert das Sakrament nun aber gerade nicht auf die N e u konstitution der Individualität in der Gottesperspektive, sondern verortet das Stellvertretungsmotiv im Dankgebet des Amtsträgers. Auch dieses weist aber eine retrospektive Ausrichtung a u f 2 7 und gehört nicht zum Proprium des Sakraments. 128

Zusammenfassung

des sechsten

Paragraphen

Einen gliederungstechnischen Gegenpart zu ,De abroganda' gibt , Vom Greuel der Stillmesse' (1525) ab, wendet Luther hier doch die Technik der fortlaufenden Auslegung auf die im Hauptteil dieser dreigliedrigen Schrift interpretierten Kanongebete an. Seine Kritik am Kanon lässt sich zusammenfassen als eine verfehlte Verbindung von Messopfer und Bitte, welche die Mittlerstellung Christi (Te igitur), die bleibende Sündhaftigkeit des Menschen (Unde et memores) und die eschatologische Gültigkeit des Glaubens (Memento mortuum) nicht mehr zu wahren vermag. D e m e n t s p r i c h t das i n d e r , Vermahnung

zum

Sakrament

des Leibes

und

Blutes

Christi'

(1530) entfaltete Verständnis der Messe als Dank, welches in Wiederaufnahme des Modells „geistliches Opfer" die Opferterminologie zur Beschreibung des Sakra126

WA 30 II, 613, 4-614, 8. Vgl. die Konkretion, die Luther in WA 30 II, 614, 2 - 6 bietet. 128 „Weiter wil ich auch das ein reumen, das sie solch danckoffer mugen für andere auch thun, gleich wie ich auch ausser der messe mag Gott dancken für Christo und alle seine heiligen [...]." WA 30 II, 613, 36-614, 1. 127

418

Zweiter Teil: Genese und Gestalt

mentsgeschehens verwendet. Der Gedächtnisauftrag der verba kann hier als menschliche Aktivität gegenüber Gott aufgefasst werden, bleibt aber insofern reaktiv bestimmt, als er für die im selbstmächtigen Wortgeschehen immer schon vermittelte Sündenvergebung in spontaner, nicht quantifizierbarer oder das Heil mitbedingender Weise dankt. Der Dank indiziert so gerade die allein im Christusgeschehen begründete und kenntliche Gottheit Gottes und steht dort, wo der Kanon erst bittet. Abschließend formuliert Luther die Kriterien einer recht verstandenen Messopfertheologie. Die Rezeptivität des Glaubens fordert hier den Ausschluss vor allem zweier Momente: der Zuwendbarkeit des Sakraments an Tote und Lebende und des Differenzbezugs zwischen Amtsträger und Laien im Sakrament.

D r i t t e r Teil

Die Rezeption der Messopfertheologie Martin Luthers innerhalb und außerhalb Wittenbergs und Luthers Reaktion

§ 7 Rezeption und Reform: Die Wittenberger Ereignisse in Luthers Abwesenheit In Wittenberg bestand seit Luthers Wormsreise ein Autoritätsvacuum, welches die ohnehin fragile Ordnung nicht eben stabilisierte. Die aus messtheologischer Sicht interessanteste Auseinandersetzung ergab sich hier aus den Reformbestrebungen im Augustinerkloster. Die dortigen Vorgänge besitzen fiir unsere Fragestellung große Relevanz, weil sie Aufnahme, Ablehnung und Adaption von Luthers Messtheologie beispielhaft vor Augen fuhren. Die M ö n c h e waren von Luther aus erster Hand unterrichtet, so dass alle in der Diskussion vertretenen Positionen in Kenntnis seiner Messopfertheologie bis zu den reformatorischen Hauptschriften ausgebildet wurden. Die Abwesenheit des spiritus rector stellte nun die Aufgabe einer eigenständigen Umsetzung des Erkannten in die Praxis. Luthers spätere Reaktion auf diese Ausdifferenzierung seiner theologischen Position zeigt zugleich seine eigenen Vorstellungen von einer Messreform. Ebenso wirft sein konkretes Vorgehen ein Licht zurück auf das theoretische Konzept, denn in Wittenberg war Luther w i e in keiner anderen Stadt selbst an der praktischen Neugestaltung der Messe beteiligt. Doch nicht nur als praktische Nagelprobe auf die im ersten Teil erhobene Struktur der Messtheologie Luthers verdient die Wittenberger Diskussion Beachtung. Löst man den Blick von einer Fixierung auf Luther, dann zeigt sich die Bedeutung auch anderer Wittenberger Zeugnisse und Quellen für den Gesamtverlauf der Reformation. So gewannen die Thesen und Stellungnahmen insbesondere Karlstadts 1 aber auch Melanchthons 2 und das Gutachten des Universitätsausschus1 ,Von Anbetung und Ehrerbietung der Zeichen des Neuen Testaments' bei H.-J. K Ö H L E R , a.a.O., Fiche 86, Nr. 232; Predigt ,Vom Empfang des heiligen sacraments', bei Köhler, a.a.O., Fiche 1000, Nr. 2535; ,Von beiden gestalten der heiligen Messe' bei H.-J. Köhler, a.a.O., Fiche 330, Nr. 930; ,Von dem Priestertum und Opfer Christi' bei Köhler, a.a.O., Fiche 67, Nr. 175. 2 ,Propositiones de missa', bei H.-J. KÖHLER, a.a.O., Fiche 152, Nr. 418.

420

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

ses3 als Flugschriften Einfluss auf eine größere Öffentlichkeit. Die Bedeutung der Wittenberger Messdiskussion geht damit über eine rein chronologische Vorreiterrolle hinaus. Entsprechend fand auch Luthers Kritik an der vollzogenen R e f o r m den Weg einer Veröffentlichung im Medium der Flugschrift. 4 Die Ausgangsfrage nach der Rezeption der Messtheologie Luthers erlaubt dabei keine Gesamtdarstellung der Wittenberger Ereignisse, 5 sondern verlangt eine Wahrnehmung des Geschehens unter dem Verhältnis theologisches Konzept — praktische Maßnahmen. Weder die Frage nach Luthers prinzipieller Stellung zu Obrigkeit und Aufruhr noch der Streit um die Bilder bestimmen also das Darstellungsinteresse. Vielmehr geht es um das Verhältnis von Messtheorie und Messreform. Dabei wird sich zeigen, dass damit ein weiterer Gedankenkreis, nämlich die Frage nach der Zuordnung von Person und Struktur, verknüpft ist. Der Messe als institutionellen Figur der Sozialität steht hier das persönliche Gewissen des Messbesuchers bzw. der Messbesucherin gegenüber. So richtet die Frage nach der praktischen Umsetzung der Messtheologie zugleich auch den Blick auf die Verhältnisbestimmung von Individuum und Gemeinschaft. Da dieser Dual, wie das Eingangskapitel zeigte, unlöslich mit der Opferproblematik verbunden ist, ergibt sich hieraus die Chance, das oben gewonnene Ergebnis an Luthers tatsächlichem Verhalten nochmals zu überprüfen. Im Gegensatz zu anderen Themen der Zeit, wie etwa den Reformen der Klöster und der Armenfursorge oder der Diskussion um die Bilder, implizierte die Frage, welche Konsequenzen der reformatorische Aufbruch für die Messe zeitigen solle, eine besondere theologische Problematik. Denn hier ging es nicht nur darum, dass sich die in der Gottesperspektive gewonnene Freiheit des Glaubens nun in der gebotenen Liebe zum Nächsten aktualisierte (Beutelordnung) oder, umgekehrt, einer Bedrohung dieser Freiheit durch den Eintrag der Werke in die Gottesperspektive der Boden entzogen würde (Klosteraustritte). Die Frage der Messreform produzierte vielmehr ein Dilemma innerhalb der Verhältnisbestimmung von Person und Struktur. Denn anders als bei den Bildern oder der Klosterreform ging es um eine Institution, der die Einsetzungsworte eine biblisch autorisierte Struktur vorgaben. Deshalb stand der Personalität des Glaubens nicht nur eine freie menschliche Ordnung, sondern das göttliche Gebot gegenüber. 6 Die Verbindung von R e f o r m und Heil spitzte sich hier also noch einmal zu. 3 ,Ein Unterricht dem Kurfürsten von Sachsen zugeschickt, warum die Augustiner zu W i t t e n berg nit M e ß halten' bei H.-J. KÖHLER, a.a.O., Fiche 4, Nr. 13. In einem Sammelband unter dem Titel .Ernstlich Handlung der Universitet zu(o) Wittenberg / an den durchleüchtigisten / H o c h geborenen Churfiirsten vn(d) herren Herr Friderich von Sachsen. Die Mesz betreffend', bei H.J. Köhler, a.a.O., Fiche 15, Nr. 63, wurden im Jahr 1 5 2 3 verschiedene D o k u m e n t e zur Wittenberger Messdiskussion publiziert. A u f sie wird an geeigneter Stelle hingewiesen. 4 ,Acht Sermone, gepredigt zu Wittenberg in den Fasten', bei H.J. KÖHLER, a.a.O., Fiche 20, Nr. 77. 5 Vgl. dazu James Samuel PRELIS, Carlstadt's Ordinaciones and Luthers Liberty: A study o f the Wittenberg Movement 1 5 2 1 - 2 2 , Harvard 1974. 6 Luther geht auf diese prinzipielle Verschiedenheit von Messreform einerseits und Bilderfrage

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

421

Eine Bestimmung dieser Relation konnte zunächst auf die Grundbestimmung der reformatorischen Soteriologie zurückgreifen. In ihrer einfachsten Form ließ sie sich unter dem Basisdual Glaube und Liebe verhandeln. Dabei bezeichnete der Glaube die rechte Gottesrelation, das Innen des Menschen, die Liebe die rechte Nächstenrelation, das Außen des Menschen. Diese Doppelperspektiven waren nun dergestalt miteinander verzahnt, dass die im Christusgeschehen vor Augen stehende Rechtfertigung im Glauben empfangen wurde und sich in den Werken gegenüber dem Nächsten aktualisieren sollte. Ein Rückschlag der Werke in die Soteriologie war durch die Einfuhrung der Unterscheidung notwendig — frei ausgeschlossen: Z u m Heil sei der Glaube als Vertrauen auf das Verheißungswort notwendig, die Werke aber wurden als frei im Sinne von nicht heilsrelevant betrachtet. Die durch die Verheißung dem Glauben zugesprochene innere Freiheit von äußeren Werken und Strukturen hatte dabei eine äußere Entsprechung in der Freiheit für die Anliegen des Nächsten. So lässt sich die soteriologische Grundposition in den Unterscheidungen Glaube — Werke, innen - außen und notwendig — frei darstellen. Eine Übertragung dieser soteriologischen Grundbestimmung auf die Messe wurde nun dadurch erschwert, dass die Messe einmal zum Bereich des Außen gehörte, insofern sie eine Öffentlichkeit herstellte. Es handelte sich zunächst einmal nicht um den Bereich des Innen, sondern um eine äußere Struktur, der als solcher keine Heilsrelevanz zuzuschreiben war. Damit fiele die Messe in die Kompetenz der weltlichen Obrigkeit, deren Aufgabe es wäre, innerhalb dieser Öffentlichkeit für den Schutz der Schwachen zu sorgen. Zugleich aber wurde diese äußere Ö f fentlichkeit von der inneren Wahrnehmung des Verheißungswortes in den Dienst genommen. Als solche war sie durch Gebot und Verheißung Gottes (Einsetzungsworte) qualifiziert und strukturiert. Insofern ging es hier nicht nur um äußere, vom Zugang zum Heil unabhängige Lebensvollzüge, sondern auch um die innere Freiheit des Glaubens. Anders als alle anderen äußeren Werke, Strukturen und Ö f fentlichkeiten sollte die Messe nicht nur einen äußeren geordneten Rahmen als leibliche Ermöglichung des Geistgeschehens garantieren, sondern hatte ihre spezifische Funktion in nichts anderem als der Zueignung des Heilswortes an den Glauben selbst. Als Öffentlichwerden des Glaubens war sie unverzichtbarer Bestandteil seiner Ausrichtung auf die Sozialität. 7 Damit standen die Reformwilligen vor dem Problem, wie eine allgemeine äußere Struktur verändert werden könnte, ohne die davon affizierte innere Personalität des Einzelnen zu verletzen. Diese der Institution Messe eigene Ausrichtung auf die innere Personalität ließ sich einerseits für eine Messreform mobilisieren: Gerade weil diese äußere Struktur das Heil und nicht nur innerweltliche Ordnungen betraf, konnte man ihre R e -

bzw. Klosteraustritt andererseits in den Jnvocavitpredigten' ein. Vgl. die präzise Systematisierung in LStA 2, 5 4 7 , 2 8 - 5 4 8 , 2. 7 Diese Verbindung wird vor allem im Abendmahlssermon Luthers ausgeführt, vgl. dazu oben §4.2.

422

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

form umso eindringlicher fordern. 8 Nicht Menschengesetz, sondern Gottes G e bot und Gesetz wurden j a durch die Missbräuche verletzt. Eine solche Argumentation akzentuierte dann vor allem die Figur der Struktur. Sie vermeinte, die besondere geistliche Ausrichtung der Messe dadurch zu wahren, dass sie diese einem b e sonderen Reformdruck aussetzte. W i e noch zu zeigen ist, speiste sich dieser R e formdruck aus einer Hamartiologie, die Sünde vor allem als Gebotsverletzung verstand. Die Gegenposition konzentrierte sich auf die Figur der Personalität. Daraus ergab sich eine besondere Vorsicht und Behutsamkeit gerade in der Frage der Messreform, denn hier ging es j a nicht nur um äußere und damit heilsirrelevante Strukturen, sondern um den persönlichen Glauben und um das Gottesverhältnis, die durch einen Eingriff" in die Messe irritiert werden konnten. Der zunächst erstaunliche Befund, dass in der Soteriologie benachbarte Positionen sich in der Frage der Messreform plötzlich entzweien, hat seinen Grund also in dem der Messe eigenen Dilemma zwischen Personalität und Struktur. Oft wird gegen Luthers Selbstwahrnehmung 9 eine Differenz zwischen seinen Reformforderungen in den Messschriften und seiner späteren Kritik an der W i t tenberger Messreform angenommen. James S. PREUS erklärt diesen Hiatus vor allem aus persönlichen und politischen Beweggründen. Im Verfolg dieses Ansatzes sieht Preus das entscheidende Motiv fur Luthers Rückkehr nach Wittenberg in der drohenden Abgabe der Führungsrolle an Karlstadt. 10 Theologisch nämlich hätten dessen R e f o r m e n durchaus Luthers bis dato gemachten Vorschlägen entsprochen. 11 Ungeachtet der partiellen Berechtigung von Preus' Beobachtung stellt sich allerdings die Frage, ob er nicht allzu selbstverständlich von einer Einheit zwischen Karlstadts und Luthers Messtheologie ausgeht und die politischen Beweggründe Luthers überbewertet. Es ist also bei der Darstellung besonders darauf zu achten, ob es nicht Luthers Messtheorie selbst ist, die ihn aus autochthon theologischen Motiven die praktische Neugestaltung kritisieren lässt. 8 Hierher gehört die R e d e von der alten Messfeier als Sünde. Sie begegnet nicht nur bei ZWILLING und KARLSTADT, sondern auch bei Luther: „liebe herrn oder pfafFen tret ab von der Messe / es ist nit recht / j r sündiget daran / das wil ich euch gesagt haben." LStA 2, 536, 8f. Freilich bestimmt sich für Luther auch hier die Messsünde personal. Nicht alle Teilnehmer der Messe sündigen, sondern nur die, welche die Messe in der Meinung feiern, Gott damit ein frommes Werk darzubringen. 9 Der Luther der Invocavitpredigten sieht sich in Kontinuität zu seinen Messschriften, insbesondere zu seinen Reformforderungen in ,De abroganda', vgl. StA 2, 535, 9 - 1 1 . 1 0 „Leadership was the fundamental cause and meaning o f Luthers return from the Wartburg. It is curious [...] that no one has taken seriously the simplest o f explanations, namely, that Luther returned to reclaim personal leadership [...]." A.a.O., 51. „Luther now interpreted the ordinances o f worship as Carlstadt's arrogant grab for authority, against which Luther now staked his own claim to leadership [...]." A.a.O., 66. Zum Verhältnis zwischen Karlstadt und Luther vgl. auch U.BUBENHEIMER, Gelassenheit und Ablösung. Eine psychohistorische Studie über Andreas B o denstein von Karlstadt und seinen Konflikt mit Martin Luther, in: Z K G 92 (1981), 2 5 0 - 2 6 8 , zu der Diskussion um die Messe 266. 11 „It is notable that in every single instance - reception o f both kinds, confession, removal o f images - he [sc. Luther] agrees in theory with Carlstadt's views. It is the policy, and the new polity, that has aroused his wrath." A.a.O., 63. Vgl. auch a.a.O., 57.

§7

Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

423

Abwesenheit

Gerade aus theologischer Perspektive nimmt hingegen Ulrich B U B E N H E I M E R 1 2 die Wittenberger Ereignisse wahr. Dabei geht es ihm weniger darum, eine theologische Differenz zwischen Luther und Karlstadt zu profilieren oder das Verhältnis von Messtheorie und Messreform zu untersuchen. Ziel seiner Argumentation ist vielmehr der Nachweis, dass die spätere Entwicklung hin zum landesherrlichen Kirchenregiment sich bereits aus Luthers eigener Theologie begründete. Als Kronzeugen benennt er die ,Treue Vermahnung an alle Christen' vom Dezember 1521, die — so seine These - ganz auf die Wittenberger Situation abziele. Luther wandte sich demnach aus prinzipiellen Gründen gegen die Wittenberger Messreform. Diese Ablehnung des Reformators erklärte sich aber weniger aus seiner Messtheologie als aus seiner Auffassung von der Obrigkeit. 1 3 Auch dieser Ansatz lässt sich innerhalb der Unterscheidung von Person und Struktur verhandeln, insofern sich die Kritik Luthers hier aus der Verletzung einer äußeren Struktur, nämlich der weltlichen Obrigkeit, ableitet. Bubenheimers Lösung gibt unserer Darstellung daher die Frage auf, inwiefern Luthers Kritik an den Messreformen nicht aus seiner Messtheologie, sondern aus einem ordnungstheologischen Verständnis der Obrigkeit herrührt.

1 Die Diskussionsphase (Oktober bis Dezember

1521)

Die durch Luthers Messtheologie angestoßenen Auseinandersetzungen um die praktische Umsetzung der Messreform werden erst vor dem Hintergrund des (kirchen)politischen Kräftespiels in der kurfürstlichen Stadt verständlich. Eine Skizze der wichtigsten Gruppierungen sei deshalb vorausgeschickt, um das Verständnis des Folgenden zu erleichtern. 1 4 Wittenberg fiel als kurfürstliche Stadt zwar unter die Jurisdiktion F R I E D R I C H S DES WEISEN, der R a t besaß aber umfangreiche legislative und jurisdiktioneile Freiheiten, so dass er eigene Beschlüsse nicht geringer Tragweite fassen konnte. 1 5 R e präsentiert waren hier neben den Patriziern die vier Hauptgilden. D o c h auch die 1 2 Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520—1522 und die frühreformatorischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments, in: Z S R G . 101, Kail. Abt. 71, 1985, 1 4 7 - 2 1 4 . 1 3 In seinerm Aufsatz ,Gelassenheit und Ablösung' (siehe Anm. 10) leitet Bubenheimer Luthers Kritik vor allem aus dem Konkurrenzverhältnis zu KARLSTADT ab: „Wo Bodenstein gelobt wurde und Terrain gewann, empfand Luther dies offenbar als eine eigene Zurücksetzung, als narzißtische Kränkung. Und desto heftiger und maßloser waren seine Reaktionen." A.a.O., 266. 1 4 Vgl. dazu James S. PREUS: Carlstadt'S Ordinaciones 5 - 9 ; Helmar JUNGHANS, Wittenberg als Lu-

t h e r s t a d t , 4 4 - 7 7 ; DERSELBE, L u t h e r i n W i t t e n b e r g , 1 1 - 3 8 ; K a r l h e i n z BLASCHKE, W i t t e n b e r g - d i e

Lutherstadt, Berlin (Ost) 1977 und derselbe, Wittenberg vor 1517. Vom Landstädtchen zur Weltgeltung, in: OEHMIG, Siebenhundert Jahre, 2 9 - 3 8 ; Manfred STRAUBE, Wittenberg in den Anfangsjahren der Universität und der Reformation. Wirtschaftliche Herausforderungen und soziale Probleme am Beginn einer Stadtentwicklung, in: Oehmig, Siebenhundert Jahre, 431—448. 1 5 NachJ.S.PREUS, a.a.O., 40, Anm. 109, erstreckten sich die R e c h t e des Kurfürsten auf die B e stätigung des neuen Rates, die Steuererhebung, die Truppenaushebung, Loyalitätsbekundungen und die Leistung des Treueides. Zur Bedeutung der rechtlichen Autonomie für die Städtische R e formation vgl. R . W . SCRIBNER, German Refomation, 26. Er beschreibt die Wittenberger Situa-

424

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Gesamtbevölkerung war an der Entscheidungsfindung beteiligt. Dies geschah einmal durch das Institut der „Vierzigmänner". Diesem von den jeweiligen Viertelmeistern mit zehn Mitgliedern beschickten Gremium wurden alle Beschlüsse größerer Tragweite (etwa die Besteuerung) vorgelegt. Daneben gab es eine Versammlung der Gesamtgemeinde, die aber eher formale Bedeutung besaß. Der 24-köpfige Gesamtrat setzte sich aus drei achtsitzigen Räten unter j e einem Bürgermeister zusammen. Ein R a t führte die Amtsgeschäfte („sitzender R a t " ) , den anderen bildete die Vorjahresregierung („ausgehender R a t " ) . Die dritte Gruppe („neuer R a t " ) bestand aus den Mitgliedern der künftigen Regierung, die jährlich am 2. Februar die Geschäfte vom bisherigen sitzenden R a t übernahm. Bei wichtigen Entscheidungen, wie etwa der Wahl eines Bürgermeisters, trat dann der ganze dreigliedrige R a t zusammen. Dies war auch bei der Entscheidung über eine Messreform der Fall. So wurde die ,Wittenberger Ordnung', das Resultat der Messdiskussion, von eben diesem Gremium beschlossen. W i e für viele Städte seiner Zeit war auch für Wittenberg eines der entscheidenden Themen die Ausweitung bzw. E r haltung der Kompetenzen gegenüber dem Landesherren. Dabei ermöglichte es die relative Selbstständigkeit der Stadt, die Reformen eigenverantwortlich in Angriff zu nehmen. Andererseits entstand bei den nicht detailliert geregelten Machtkompetenzen eine gewisse Rechtsunsicherheit, die besonders bei einer Umwälzung bisher nicht gesehenen Ausmaßes, wie sie die R e f o r m der Messe bedeutete, zu Tage trat. Eine besondere Rolle in der Messdiskussion sollte das Allerheiligenstift spielen. Das Kollegialkapitel umfasste mehr als 6 0 Kanoniker 1 6 und war für den Chordienst und die beträchtliche Reliquiensammlung des Kurfürsten zuständig. Schon diese Aufgabenstellung macht es verständlich, dass die Stiftsherren alles daran setzten, eine R e f o r m nach Kräften zu verhindern. Sie übernahmen also die Rolle der R e a k tion in den Auseinandersetzungen. Den Widerpart gab das Augustinerkloster ab. Die Mehrheit unter Führung des Predigers Gabriel Z W I L L I N G sprach sich dort für eine Messreform aus. Der Prior Konrad H E L T indessen sträubte sich gegen jegliche Neuerung. Zwischen diesen Fronten stand nun die Universität, denn die Mitglieder der theologischen Fakultät waren sowohl mit dem Stift als auch mit dem K l o ster verbunden. So gehörte Luther zum Augustinerkloster, KARLSTADT hingegen bekleidete mit dem Archidiakonat hinter dem Propst Justus JONAS das dritthöchste Amt des Stiftskapitels. Auch Johannes DÖLSCH, der Luther gegen das Urteil der Universitäten Köln und Löwen in Schutz genommen hatte, 17 gehörte als Custos tion allerdings sehr formal, w e n n er behauptet, j e d e r einzelne Schritt sei von der Z u s t i m m u n g des Landesherrn abhängig gewesen, ebd., 3 6 . Faktisch agierte der R a t weitaus selbstständiger. 16

D e r B e g r i f f des Kanonikers (clericus canonicus) dürfte sich aus der Messpraxis des Frühmittelal-

ters herleiten. I m canon wurden diejenigen Hauptamtlichen an g r o ß e n K i r c h e n verzeichnet, deren Dienst in nichts anderem als der Ableistung von G e b e t e n und Messen bestand. D e r Terminus kennzeichnet also die E n t w i c k l u n g hin zu einer sich ausdifferenzierende Professionalisierung. Vgl. dazu A. ANGENENDT, Missa specialis, 1 6 9 und R u d o l f SCHIEFFER, D i e E n t s t e h u n g von D o m k a p i teln in Deutschland, B o n n 1 9 7 6 , 9 7 - 1 3 1 . 17

Seine Stellungnahme erschien auch als Flugschrift unter d e m T i t e l , C o n t r a doctrinalem

q u o r u n d a m magistrorum d a m n a t i o n e m ' , bei H . J . KÖHLER, a.a.O., F i c h e 7 8 , Nr. 2 1 0 . In der E i n -

§ 7 Die Wittenberger

Ereignisse

in Luthers

Abwesenheit

425

des Stiftes und Dekan der theologischen Fakultät 18 (Wintersemester 1 5 2 1 / 2 2 ) beiden Körperschaften an, ebenso wie Nikolaus VON AMSDORFF, der an der Universität Vorlesungen über die Sentenzen hielt und sein Einkommen seit 1508 aus seiner Tätigkeit als Stiftsherr bezog. 1 9 Diese ineinander verschlungenen Kompetenzen und Personalunionen bildeten die Ausgangsbasis der folgenden Auseinandersetzungen.

i. 1

Die Initialzündung

im

Augustinerkloster

Im Augustinerkloster hatte der Prediger Gabriel Z W I L L I N G seit dem Sommer 2 0 immer wieder eine Neugestaltung der Messe angemahnt. Auch M E L A N C H T H O N setzte ein Zeichen, indem er am 29. September (Michaelistag) auf die herkömmliche Messfeier verzichtete, und mit seinen Anhängern das Abendmahl unter beiderlei Gestalt in der Pfarrkirche feierte. 21 Der nächste Schritt beschränkte die R e f o r m nicht auf einen Kreis Gleichgesinnter, sondern adressierte die Öffentlichkeit. 2 2 Das geschah in Zwillings vieldiskutierter Sonntagspredigt am Nachmittag des 6. O k t o ber. 2 3

leitung (fol. A 2 r bis B 2 v ) stellt DÖLSCH L u t h e r als einen durch seine imposante Persönlichkeit w i e sein ernsthaftes Q u e l l e n s t u d i u m b e e i n d r u c k e n d e n Forscher der U n e i n i g k e i t und m e t h o d i s c h e n R ü c k s t ä n d i g k e i t der universitären S c h u l t h e o l o g i e gegenüber. D a n n (fol. B 2 r bis F2v) setzt er sich auch inhaltlich mit der Lehrverurteilung auseinander, u m schließlich seine eigene Dankesschuld g e g e n ü b e r Luther, den er als seinen Lehrer b e z e i c h n e t , abzutragen (fol. F 2 v bis F 4 v ) . A u c h w e n n D ö l s c h bei seiner Lutherinterpretation sensibles Feingefühl an den Tag legt, so lässt d o c h bereits hier die Stilisierung Luthers zum H u m a n i s t e n die späteren Differenzen erahnen. 18

Das A m t des Dekans ging am 18. O k t o b e r 1 5 2 1 von KARISTADT an DÖLSCH über. Vgl. R . J .

SIDER, Karlstadt, 1 5 7 , A n m . 4 0 . 19

VGL-J- ROGGE, A r t . , A m s d o r f f , N i k o l a u s v o n ' ,

2(1

W A 8, 3 9 9 .

488.

21

Das bezeugt Sebastian HELMAN in seinem B r i e f an HESS v o m 8. 10., bei N . Müller, a.a.O.,

Nr. 4, 17. D o r t rät er Hess auch zum Verzicht a u f das Lesen von Messen, wie es alle W i t t e n b e r g e r G e l e h r t e n , die Priester seien, täten. D i e Forderung nach d e m Laienkelch erregte w o h l nicht so sehr Aufsehen, weil sie revolutionär gewesen wäre (so W. NEUSER, a.a.O., 1 3 1 ) , sondern weil sie als K e n n z e i c h e n der Hussiten galt. Das zeigte bereits die R e z e p t i o n von Luthers A b e n d m a h l s s e r m o n . Vgl. auch E . MUIR, R i t u a l , 1 8 5 . 22

D a HELMANS B e r i c h t nichts Gegenteiliges enthalte, versteht W . NEUSER, a.a.O., 1 2 9 , gegen

K . MÜLLER und H . BARGE die Michaelismesse bereits als öffentliche Messfeier sub utraque. Sein arg u m e n t u m e silentio kann indes k a u m überzeugen. D e n n als KARLSTADT später w e g e n seiner ö f fentlichen G e w ä h r u n g des Laienkelchs angegriffen wird, verweist er a u f die Augustiner, die bereits vor seiner M e s s r e f o r m den K e l c h heimlich gereicht hätten. Dieses D i c t u m ist gerade deshalb b e s o n ders glaubwürdig, weil die öffentliche E i n f u h r u n g des Laienkelches durch die Augustiner K a r l stadt entlastet hätte. Überdies kann N e u s e r nicht erklären, weshalb Karlstadts R e f o r m solch großes Aufsehen erregte und massenhaften Z u l a u f erhielt. W ä r e diese W i r k u n g denkbar, w e n n Karlstadt nur nachvollzogen hätte, was M e l a n c h t h o n und die Augustiner längst öffentlich praktizierten? 23

Insofern besitzt diese W i t t e n b e r g e r Initialzündung zur öffentlichen Messdiskussion paradig-

matischen Charakter, denn die Predigttätigkeit der M e n d i k a n t e n zählte zu den E i g e n h e i t e n der städtischen R e f o r m a t i o n . Vgl. dazu B . HAMM, U r b a n R e f o r m a t i o n , 1 9 3 - 2 2 7 , z u m Z u s a m m e n hang von Mendikantenpredigt und R e f o r m a t i o n v.a. 1 9 9 .

426 1.1.1

Dritter Teil: Die Rezeption Zwillings

Predigt

vom

6. Oktober

und Luthers

Reaktion

1521

Die größte Nähe zum Geschehen weist der Bericht des Studenten U L S C E N I U S auf. 24 N o c h am Predigttage von einem unmittelbaren Hörer verfasst, darf er größeres Gewicht beanspruchen als die folgenden, oft aus zweiter Hand unterrichteten Quellen. 2 5 Deshalb soll die Darstellung der Ereignisse mit einer Analyse dieses Textes 26 einsetzen: Es hat h e u t e hier irgendein Magister der A u g u s t i n e r gepredigt. E r hat uns m i t allen Kräften eindringlich e r m a h n t ,

1. Predigtstil

fortan n i c h t länger Messen zu h ö r e n , u n d das alsbald in die Tat u m z u s e t z e n .

2. Ermahnung: Baldige Einstellung der Messen

D e n n Fleisch u n d Blut Christi seien nichts anderes als ein

3. Systematische

Z e i c h e n der S ü n d e n v e r g e b u n g

3. t Zeichen der Sündenvergebung statt Anbetungsobjekt 3.2 Versöhnter statt zu versöhnender Gott

u n d insofern ein Z e i c h e n , dass G o t t versöhnt ist

aber kein O p f e r

oder etwas, das v o n uns angebetet w e r d e n müsste

Begründung

Das u n t e r m a u e r t e er m i t einer Folgerung, die er aus der E i n setzung der Eucharistie d u r c h Christus gezogen hatte: Im H e r r e n m a h l nämlich sei w e d e r v o n Christus n o c h v o n d e n A p o steln u n d schließlich auch nicht v o n ihren N a c h f o l g e r n Leib u n d Blut Christi verehrt o d e r g e o p f e r t w o r d e n .

4. Schriftgrundlage 4.1 NT: Keine Anbetung und Opferung des Zeichens

U n d ebenso litt es a u c h der H e r r nicht, dass i m alten [Testam e n t ] irgendein Z e i c h e n g e o p f e r t o d e r gar angebetet w u r d e .

4.2 AT: Keine Anbetung und Opferung des Zeichens

U m w i e viel w e n i g e r sollen w i r d a n n [das Z e i c h e n ] i m n e u e n [Testament], das d o c h geistlich ist, o p f e r n o d e r a n b e t e n .

4.3 Differenz

24

geistlich-leiblich

Brief an C A P I T O v o m 6. 1 0 . , bei N . M Ü L L E R , a.a.O., N r . 3, 14f. Etwa das Schreiben des Sebastian H E L M A N an H E S S v o m 8. 10. (bei N . M Ü L L E R , a.a.O., N r . 4, 15—19). A u c h B R Ü C K e r w ä h n t die Predigt in seinen B e r i c h t e n an d e n K u r f ü r s t e n m e h r f a c h (am 8. 10, bei N . Müller, a.a.O., N r . 5, 1 9 - 2 1 sowie a m 11. 10., bei N . MÜLLER, a.a.O., N r . 10, 2 8 - 3 0 ) : „ N a c h mittag desselben suntags i s t e y n a u g u s t i n e r m o n i c h , magister G a b r i e l i , aufgetretenn v n d mit vielen starcken v n d fast schrecklichen w o r t t e n n w i d e r das a m p t der messen gepredigt, geßaget zeu gotz v n d d e n heiligen in j e g e n w e r t i g h e y t eyner g r o ß e n samlung, er wolle n h u h i n f u r t h n h u m m e h e r m h e r k e y n e messe haltenn, ßol das volck v o r m a n t h haben, das es keyne messe dergestalt, w i e b i s d o h e r g e s c h e h e n n , h ö r e n wolle, v n d sunst vil seltzams. vnschicklichs dinghs g e ß a g e t . " Zitiert n a c h N . MÜLLER, a.a.O., 20. NEUSER, a.a.O., 120f a k k u m u l i e r t die Q u e l l e n o h n e Gewichtung. 26 „Est h o d i e c o n c i o n a t u m hic per m a g i s t r u m q u e n d a m A u g u s t i a n u m , q u i nos, q u a m p o tuit, v e h e m e n t e r adhortatus est, ne p o r r o auditores nos p r e b e a m u s Misse i d i p s u m q u e p r o x i m u m instruamus. Id a r g u m e n t o ab institutione Eucharistie, per C h r i s t u m d u c t o c o n f i r m a b a t . In C o e n a e n i m d o m i n i nec a C h r i s t o sua caro et sanguis, nec ab apostolis, d e n i q u e nec a posteris a d o r a t u m esse nec sacrificatum. N e c i t e m u l l u m in veteri i n s t r u m e n t o s i g n u m passus est d o m i n u s sacrificari, n e d u m adorari, M u l t o igitur m i n u s in n o u o , cuius, c u m spirituale sit, sacrificandum vel a d o r a n d u m a nobis esse. A d e o ferre n e q u i t deus ulla in re fidi p r e t e r q u a m se solo. O q u a m ludibrio est n o bis c o r p u s d o m i n i , e u m m e n d a t i i arguentes, acsi n o n satis piene nos redemisset, n o n solus ipse c e l u m nobis meruisset! Vult magister ille consciencias nostras esse grauatas. ne audientes missam t a n te jdolatrie adprobatores esse v i d e a m u r . Ipse e n i m p e r p e t u o n o n facturus est posthac ne v n u m q u i d e m sacrum, peritus certe et valde spiritualis vir." Zitiert n a c h N . MÜLLER, a.a.O., 14f. 25

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers So wenig k a n n G o t t im Bereich des Glaubens etwas n e b e n sich dulden. O, was f ü r ein Gaukelspiel hat m a n uns aus d e m Leib des H e r r n gemacht, den sie der Lüge zeihen, so als hätte er uns nicht voll u n d ganz erlöst [und] nicht allein er selbst uns den H i m m e l verdient!

427

Abwesenheit . Alleinwirksamkeit zum Heil

Dieser Magister wollte unser Gewissen beschweren, dass wir 6. keine Messen m e h r h ö r t e n u n d dadurch nicht den Anschein 6.1 erweckten, wir billigten diese Gotteslästerung. K ü n f t i g will er selbst nämlich beständig nicht einmal eine M e s - 6.2 se m e h r halten, ein gewiss gebildeter u n d sehr spiritueller Mann.

Gottes

Konsequenzen Beschwertes Gewissen Persönliche Konsequenz: Erfüllung der Forderung

Demnach wies die Predigt ZWILLINGS die Struktur einer begründeten Forderung auf. Zunächst verlangte er, sich am gegenwärtigen Messwesen nicht mehr zu beteiligen, begründete im zweiten Teil dieses Begehr und kehrte zum Schluss wieder zu seiner Forderung zurück, u m ihr mit der Bekanntgabe seiner persönlichen Entscheidung, keine derartige Messe mehr zu feiern, noch einmal vorbildhaft N a c h druck zu verleihen. Im Begründungsteil argumentiert der Prediger dann weitgehend mit der Kluft zwischen Messpraxis und schriftgemäßer Messe. Die Schrift wird hier als kritisches Instrumentarium gegenüber der kirchlichen Wirklichkeit eingesetzt, sie besitzt also nicht nur eine allgemein-affirmative Normativität. W i e Luther fuhrt den Prediger die Unterscheidung zwischen Schrift und Kirche zur kritischen Wahrnehmung der Vorfindlichkeit im Lichte der Schrift. Kristallisationspunkt seiner Forderung ist dann das jeweilige Zeichenverständnis. Zwilling geht es einmal u m die Handlungsrichtung in der Messe: Nach der Schrift bedeutet das Zeichen dem Gläubigen die Vergebung seiner Sünden, im Zeichen wendet sich damit Gott an den Menschen. In der Messe aber wird diese Geschehensrichtung gerade umgekehrt: Das Zeichen wird nun Anbetungsobjekt und damit Adressat, der Mensch wendet sich an Gott. D o c h nicht nur in der Handlungsrichtung, auch im Gottesbild differieren Schrift und Messwirklichkeit. Wird das Z e i chen als Opfer verstanden, so setzt dies einen unversöhnten Gott voraus. D e m g e genüber gilt die Alleinwirksamkeit Gottes zu unserem Heil. Die Messe, so die Konsequenz, ist in gegenwärtiger Form nichts anderes als ein Gaukelspiel, welches der Erlösung Gottes misstraut und eigene Werke an die Stelle von Gottes Handeln setzen will. Die praktische Folge dieser Diskrepanz muss daher ein Boykott derartiger Messen sein. Die Predigt zielte für ULSCENIUS dabei vor allem auf die Gewissen der einzelnen Zuhörer, die solchen Götzendienst nicht gutheißen sollten. Zwei Tage später, vom 8 . Oktober, datiert der Bericht BRÜCKS an den Kurfürsten. 27 Der ungleich knapperen Darstellung lässt sich entnehmen, dass Zwilling zum Messboykott aufforderte und selbst mit gutem Beispiel vorangehen wollte. Deutlich wird hier das alleinige Interesse des Berichterstatters an den politisch relevanten Auswirkungen, Zwillings theologische Motive bleiben hingegen unberücksichtigt.

27

B e i N . MÜLLER, a . a . O . , N r . 5, 2 0 .

428

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Diese referiert dann detailliert Sebastian H E L M A N in seinem Brief an Johannes HESS28 vom selben Tage. Vor allem der Begründungsteil wird hier ausfuhrlicher, 29 aber doch in sachlicher Ubereinstimmung mit Ulscenius geschildert: Das Zeichen wolle den Glauben stärken und die Gewissen der Güte Gottes versichern, nicht aber angebetet werden. Wer es anbete, mache es sich selbst zum Götzenbild und meine, Gott einen Dienst leisten zu müssen. Allerdings zeigt dieser in indirekter Rede abgefasste Bericht eine erste Differenz zu den beiden anderen Schilderungen. Der begeisterte Anhänger Zwillings, der ihn als zweiten Luther und Propheten feiert, verschärft nämlich dessen Forderung. So heißt es nun nicht mehr, dass Zwilling sich an das Gewissen gewandt und zum Messverzicht ermahnt habe, sondern lapidar, dass kein Mensch auch nur eine Messe hören dürfe. 30 Dieser Zuspitzung liegt ein härteres Urteil über die vorfindliche Messe zu Grunde. Nach Helman bezeichnete sie Zwilling als Sünde. 31 Damit hätte die Auseinandersetzung eine neue Qualität erreicht, denn so wird die Frage der Messform unmittelbar mit dem Heil verbunden. Da auch nach späteren, von dieser Darstellung unabhängigen Quellen Zwilling dieses Verdikt über die alte Messe aussprach, ist wohl davon auszugehen, dass Helman hier zutreffend informiert. Aber inwiefern ist eine nicht einsetzungsgemäß gefeierte Messe Sünde? Die vage Formulierung Helmans lässt dabei noch offen, ob der Priester oder die Laien in der Messe sündigen und ob der Vorwurf der Sünde sich auf den Vollzug (außen) oder das Gewissen der Feiernden (innen) bezieht. Die weitere Diskussion um die Messreform sollte von eben dieser Frage geprägt sein. 1.1.2

Die Rezeption

der Predigt Zwillings

Die Predigt erregte jedenfalls großes Aufsehen und erntete bei der Mehrheit der Augustiner begeisterte Zustimmung. So identifizieren die Quellen der folgenden Tage umstandslos Z W I L L I N G S Position mit der Haltung der Augustiner. Die M ö n che leisteten Zwillings Aufruf Folge und ließen seit dem Sonntag den Messbetrieb ruhen. Eine Minderheit indes blieb reserviert. Dazu zählte auch der Prior Konrad HELT.32 Er lehnte Neuerungen ab und wandte sich gegen die Einfuhrung des LaiBei N. Müller, a.a.O., Nr. 16f. HELMAN teilt die von Zwilling als Beispiele alttestamentlichen Umgangs angeführten Z e i chen mit, nämlich die Arche und die Beschneidung. Diese Beispiele wurden später gegen Zwilling ins Feld gefuhrt. So unterstellten die altgläubigen Stiftsherren dem missliebigen Zwilling, er vergleiche das Sakrament mit einem Regenbogen. (Brief an den Kurfürsten vom 4. 11., bei N. 28

29

MÜLLER, a . a . O . , N r . 2 5 , 5 8 - 6 7 , h i e r 5 9 ) .

„Nulluni hominem nullam debere missam audire [...].", Zitiert nach N. MÜLLER, a.a.O., 16. Kein Mensch dürfe mehr die (vorfindliche) Messe hören, „ [...] quod tarn atrociter in diuinam maiestatem peccaretur, ut nulla re posset eque commoueri deus atque abusu misse." Zitiert nach N. MÜLLER, a.a.O., 16. 3 2 Dies geht hervor aus einem Schreiben MELANCHTHONS an den Generalvikar Wenzeslaus LINCK vom 9.10. (bei N. Müller, a.a.O., Nr. 6, 2 1 - 2 3 ) . Darin heißt es: „Jam hoc superest, ut qui adstant altari, ita communiter manducaturi utraque specie utantur. In eo Pater Prior dissentit a Fratribus; nam in aliis satis convenit." A.a.O., 23. Anscheinend erstreckte sich die Zustimmung Helts zu den Reformen nicht so weit, wie Melanchthon dies zunächst dachte, denn BRÜCK 30 31

§ 1 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

429

enkelches. In seinem Brief an den Kurfürsten 3 3 stellt er die Sache zwar so dar, als sei die Einstellung auf seine Order hin geschehen: Da bei fortgesetzter Messfeier Neuerungen unvermeidlich Einzug gehalten hätten, habe er die Messfeier verboten. 3 4 D o c h spricht aus seinem Bericht deutlich das Bemühen, beim Kurfürsten den Eindruck zu erwecken, der Prior sei noch Herr der Lage. Eine glaubwürdigere Darstellung bietet der vom Kurfürsten mit der Untersuchung betraute 3 5 Kanzler BRÜCK, der die Einstellung der Messen dem R e f o r m f l ü gel der Augustiner zuschreibt. 36 In dem Bericht an seinen Auftraggeber versucht er, die wesentlichen Inhalte nochmals zusammenzufassen. D e m politischen Interesse entsprechend 3 7 geht es ihm vor allem u m die Reformforderungen. So lehnten nach Brück die Augustiner die Anbetung ab, weil sie der Einsetzung Christi und dem Charakter der Messe als Gedächtnismahl widerspreche. Die Sündhaftigkeit der alten Messfeier wird nun erstmals näher begründet: „ßo konde eyner alleyn ane sunde dergestalt, wie bisdoher geschehenn. nit messehalten, Sundern alledie bey der messe weren, sulthen des sacraments mit genießen und zcu gleich sub vtraque specie entpfahen." 3 8 Demnach sah Z W I L L I N G in der Verletzung des Austeilungsund Gemeinschaftscharakters der schriftgemäßen Messe eine Sünde und bestimmt die Sünde damit objektiv. Allerdings ging es ihm nicht u m eine passgenaue Kopie der Einsetzungsumstände, sondern u m die Bewahrung des Wesens der Messe. Folglich steht auch nicht die Forderung nach dem Laienkelch im Z e n t r u m seiner schreibt zwei Tage später an d e n Kurfürsten: „ Z c u m dritten ß o erfolgete daraus, das die m o n i c h e v n d a n d e r e n nit m o c h t e n g e d r u n g h e n w e r d e n . Das ein yder tegelich solt messe halten, w i e sy von y r e m p r i o r b i s d o h e r g e d r u n g h e n w e r e n w o r d e n n n [...]." Zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 28. A u c h f ü r die Fortsetzung der Privatmessen setzte sich der P r i o r ein (Ebd.). Vgl. zu d e m B r i e f U. BUBENHEIMER, S c a n d a l u m , 2 9 5 - 2 9 8 ; W . NEUSER, a . a . O . , 33

130-132.

V o m 30.10.: „Es g e d a u c h t m i c h , a u c h g e r a t h n e r sein v n n d leichter z u u e r a n t b o r t e n vor ewer c h u r f u r s t l i c h e n n g n n a d e n v n d g e m e i n der stat, das das alt nit gehalten w u r d t . dan das n e w c z u g e lassen w u r d t , welches r e i c h e n m o c h t zu v n g e d u l t h ewer churfurstlichen g n a d e n , ergernus des g e m e i n e n Volckes V n d velleichet auch, das got w e n d t , zu b e s c h e d i g u n g der lanndtschafft v n n d vnsers g a n c z e n n o r d e n s . " Z i t i e r t nach N . MÜLLER, a.a.O., 56. 34 D i e S c h i l d e r u n g N . MÜLLERS in W A 8, 402, der die Initiative auf HELT z u r ü c k f u h r t , ist d e m zufolge zu berichtigen. A u c h BUBENHEIMER, Scandalum, 313, A n m . 195, sieht offensichtlich i m P r i o r die treibende Kraft der Messeinstellung. NEUSER, a.a.O., 130, PREUS, a.a.O., 20 u n d BORNKAMM, Luther, 35, referieren diese Darstellung Helts, o h n e die Differenz zu B r ü c k s B e r i c h t zu b e merken. 35 Brief an BRÜCK v o m 10. 10., bei N . MÜLLER, a.a.O., N r . 8, 26f. Ich ü b e r n e h m e das von M ü l l e r selbst g e g e n ü b e r W A 8, 400, A n m . 1 (8.10.) k o r r i g i e r t e D a t u m . A u c h Universität u n d Stiftskapitel t r u g der Kurfürst a m selben Tag auf, B r ü c k Folge zu leisten, vgl. N . M ü l l e r , a.a.O., N r . 9, 27). 36 In s e i n e m B r i e f an d e n K u r f ü r s t e n v o m 11. 10., bei N . MÜLLER, a.a.O., N r . 10, 28. Weitere Belege bei K. MÜLLER, a.a.O., 8, A n m . 4. 37 BRÜCK hatte f o l g e n d e Weisung: „[...] wellest sie in d e i n e n r e d e n w i e d u weist, b e w e g e n , so vil möglich, die d i n g w o l zu b e d e n n c k e n . vf das die Sachen vf gute w e g e gericht, D o m i t zcwispaldigkait, a u f r u r v n d ander b e s w e r u n g verhut w e r d e n . " Instruktion an B r ü c k , zitiert n a c h N . MÜLLER, a.a.O., N r . 8, 27. 38 Zitiert n a c h N . MÜLLER, a.a.O., 28. D e m Gemeinschaftscharakter der Messe w i d e r s p r i c h t auch die tägliche Zelebrationspflicht: „ d a n d o d u r c h w u r d e das sacrament q u o ad finem c o m m unionis nit recht gebraucht; dan, ß o eyn j d e r m o n i c h selbst m e ß heldet. nutzet er das sacrament alleyn, das w i d e r christi v n d des ewangelii m a y n u n g seyn soll."

430

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Argumentation, sondern die Verteidigung des Communio-Charakters der Messe. 39 U m diesem Mangel abzuhelfen, schlug Zwilling vor, einige Brüder als Liturgen zu beauftragen, damit die anderen die empfangende Gemeinde bilden könnten. G e nau g e n o m m e n wird hier also nicht das Hören, sondern die Form der Messe als Sünde bezeichnet. Dass diejenigen, die für diese Messform nicht verantwortlich zeichnen, sündigen, lässt sich dem Text nicht entnehmen. Eine weitere nicht objektive, sondern personale Bestimmung 4 0 der Messfeier als Sünde ergibt sich aus der täglichen Zelebrationspflicht. 41 Nach Luther setzt der rechte Empfang des Sakramentes eine „hungrige Seele" voraus, die als menschlicher Affekt sich einer objektivierbaren Messverpflichtung entzieht. Damit wird nicht nur die Messfeier selbst, sondern auch die jeweilige persönliche Voraussetzung zum Einfallstor der Sünde. Eine ohne Rücksicht auf Gewissen u n d Bedürfnis des Einzelnen routinisierte Messfeier macht das freie Geschenk des Evangeliums zur verpflichtenden Forderung und verwechselt damit Evangelium und Gesetz. Dieselbe Figur liegt vor in einer dritten Bestimmung der Messsünde, bei der ebenfalls unter falschen Prämissen die Messe gefeiert wird. Sie lässt sich H E L M A N S Bericht entnehmen. Dieser fürchtet unter dem Eindruck der Predigt Z W I L L I N G S u m seine Eltern, die das Sakrament anbeteten. Entscheidend ist seine Begründung: Helman verwirft die Adoration nicht etwa deshalb, weil sie eine abzulehnende Realpräsenz voraussetzte, sondern weil seine Eltern meinten, mit ihrer Anbetung Gott einen Dienst zu erweisen. 42 So wird deutlich, dass Zwillings Absage an die Adoration soteriologisch und nicht sakramentstheologisch motiviert war. 43 Damit 39 Da die Mehrzahl der Augustiner Priester waren, spielte die Frage des Laienkelches innerhalb des Kloster ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. 40 Dass die Augustiner nicht einen rein objektiv-handlungsorientierten Sündenbegriff vertraten, sondern die personale Gewissenssünde durchaus kannten, geht auch aus der Formulierung Helts hervor. Demnach bezeichneten die Reformer nicht die bloße Form als Sünde, sondern sagen, dass es bei fortgesetzter Feier der alten Messe ohne Sünde nicht abgehen könne, vgl. N. MÜLLER, a.a.O., 55. Das Sündenverdikt hängt also nicht nur an der Struktur, sondern auch amjeweiligen Vollzug der Person. 41 Vgl. dazu D Ö L S C H S .Bedenken von der Messe', bei N . M Ü L L E R , a.a.O., 1 0 2 . Insbesondere der Prior scheint die Mönche zur Messfeier gezwungen zu haben, vgl. den Brief B R Ü C K S vom 1 1 . 1 0 . , bei N. MÜLLER, a.a.O., Nr. 10, 28. In den späteren ,Sechs Artikeln' begründet sich die Forderung nach einer Abschaffung der „bezwungen Meß" dann auch aus dem Widerspruch der verordneten Messe zum spontan-affektiven Motiv der Messfeier. Vgl. den Artikel 2, bei N. MÜLLER, a.a.O., Nr. 6 8 , 1 6 1 . 42 „Mira me tenet sollicitudo parentum meorum hac in re omnino securi et periculissime, qui, cum sacramentum Adorant, putant se deo officium exequi, [...]." Zitiert nach N. MÜLLER, a.a.O., 17. 43 Dass die Sorge um die Rechtfertigung allein aus dem Glauben gegenüber einer messtheologisch konkretisierten Werkgerechtigkeit die Augustiner umtrieb, zeigt auch ihr Verhalten bei der Diskussion vom 17.10., siehe dazu unten §7.1.2. Ein soteriologisches Motiv der Kritik legt sich gerade deshalb nahe, weil mancher sich vom anbetenden Anschauen der Hostie den Erwerb von Gnade und die Erhörung unterschiedlicher Gebetsanliegen erhoffte, vgl. A. A N G E N E N D T , Geschichte, 506. Die ,Sermones Meffreth' verbinden insbesondere die Verehrung des Kreuzesopfers mit der Opferqualifikation des Sakraments. So konsekriere der Priester, „Ut coleretur iugiter per mysterium quod semel offerebatur in precium." Sermo CC, col.21, in: Sermones Meffreth de tempore hyemalis, zitiert nach W. MASSA, a.a.O., 97, Anm. 2.

Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

431

ergeben sich aus der Predigt Zwillings drei Kristallisationspunkte der Messsünde. Die Messe wird dort zur Sünde, wo ihre Einsetzung als Gemeinschaft missachtet, wo die persönliche und ungezwungene Freiheit des Einzelnen verletzt und wo ihre Geschehensrichtung in menschliches Handeln an Gott verkehrt wird. Ordnet man diese drei Bestimmungen dem Verhältnis Person — Struktur zu, so finden sich sowohl personale als auch strukturelle Momente. Wie im Konfliktfall zwischen Personalität des Einzelnen und notwendiger Veränderung der Struktur zu gewichten sei, das ging aus dieser Predigt offensichtlich noch nicht hervor. So begnügte sich Zwilling mit einem Boykottaufruf, eine allgemeine R e f o r m der öffentlichen Wittenberger Pfarrmessen fordert er noch nicht. Im weiteren Verlauf der Messdiskussion ist deshalb darauf zu achten, welchem Kriterium die Augustiner den Vorzug geben. Zur weiteren Klärung des Sachverhalts berief Brück einen aus Professoren und Kanonikern gebildeten Ausschuss ein. Damit hatte sich die bislang nur in Schriften und Predigten betriebene R e f o r m s t i m m u n g institutionalisiert. Z u den Ausschussmitgliedern zählten sowohl Repräsentanten der Universität als auch des Stiftskapitels, mehrere von ihnen bekleideten ein Doppelamt. 4 4 Einige Ausschussmitglieder hatten die M ö n c h e bereits besucht, u m sich im Gespräch einen Eindruck von deren Absichten zu verschaffen. 45 Obzwar die Besucher zugestanden, dass die Auffassung der Augustiner „dem ewangelio nit mocht vngemeß seyn", 4 6 sahen sie doch keine Sünde darin, die Messe in der bisherigen Form zu feiern. Insbesondere die Auffassung, die Anbetung des Sakraments sei Sünde, fand ihren Widerspruch, denn sie sei ohne Schriftbeleg. So verlangten sie die Aufnahme des eingestellten Messbetriebes. 47 Diese Forderung entsprach nun ganz dem Auftrag des Ausschusses, der den alten Zustand wieder herstellen und jegliche R e f o r m ohne Erlaubnis der Obrigkeit verhindern sollte. 48 Dies gestaltete sich hingegen schwieriger, als der Kanzler es zunächst erwartet hatte. Das lag einmal an den unterschiedlichen Interessen der Parteien. Die Aufgabe der Stiftsherren war der Chordienst, dafür hatte man sie mit Pfründen ausgestattet. Entfielen die Messen, so waren sie ihrer eigentlichen Aufgabe beraubt. Daher hegten sie ein vitales Interesse am Fortbestand des 44 Z u n ä c h s t g e h ö r t e n d e m Ausschuss an: der Vizerektor u n d T h e o l o g e T i l m a n n PLETTNER, der Propst Justus JONAS, Andreas KARLSTADT, der T h e o l o g e u n d K a n o n i k e r J o h a n n e s DÖLSCH, N i k o laus AMSDORFF, der Jurist H i e r o n y m u s SCHURFF, der D e k a n der juristischen Fakultät, m e h r m a l i g e B ü r g e r m e i s t e r u n d Vertreter des K u r f ü r s t e n Christian BEYER u n d der Artist Philipp MELANCH-

THON. 45

N ä m l i c h MELANCHTHON, DÖLSCH, JONAS u n d KARLSTADT a m 8 . O k t o b e r . V g l . d e n B r i e f

BRÜCKS a n d e n K u r f ü r s t e n v o m 11. 10., b e i N . MÜLLER, a . a . O . , N r . 10, 2 8 . 46

So BRÜCK in seinem B e r i c h t an d e n K u r f ü r s t e n , bei N . MÜLLER, a.a.O., 28f. W i e aus s e i n e m B r i e f an Wenzeslaus LINCK v o m 9. 10. erhellt, trat MELANCHTHON, ebenfalls u n t e r B e r u f u n g auf Luther, sehr w o h l f ü r eine M e s s r e f o r m ein, wollte aber öffentliches A u f s e h e n v e r m e i d e n : „[...] ego n o n possum n o n probare, cur velint revocare p r i s c u m i n s t i t u t u m [...]. Sine scandalo res m u t a r i potest." Zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 23. A u c h KARLSTADT hatte sich bereits i m S o m m e r f ü r eine M e s s r e f o r m ausgesprochen. Z u r D a t i e r u n g des Schreibens vgl. N . Müller, a.a.O., 21, A n m . 4. W i e W. KÖHLER, a.a.O., 512, zu der Auffassung k o m m t , die B e s u c h e r h ä t t e n die Adorationskritik Zwillings geteilt, v e r m a g ich nicht nachzuvollziehen. 47

48

S o G r e g o r BRÜCK a m 1 1 . 1 0 . a n d e n K u r f ü r s t e n , b e i N . MÜLLER, a . a . O . , 2 9 .

432

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Messbetriebs 49 und suchten eine Messreform im Sinne Luthers 50 zu verhindern. Die Professoren hingegen hatte man zwar teilweise in das örtliche Messwesen eingebunden, 5 1 im Grunde aber waren sie unabhängig. So konnten sie frei nach ihrer jeweiligen theologischen Position entscheiden. U n d sowohl Karlstadt als auch M e lanchthon waren sehr wohl an einer Messreform interessiert. D o c h nicht nur die Interessendivergenz der Ausschussmitglieder, auch die Standhaftigkeit Zwillings erschwerte die Sache. Als er vor den Ausschuss zitiert wurde, der am 12. Oktober erstmals tagte, 52 beeindruckte ihn die Vorladung keineswegs. Schon wenige Tage nach seinem Verhör predigte er in scharfem und polemischem Ton erneut gegen die vorfindliche Messe 53 und erhielt so den R e f o r m d r u c k aufrecht. /. 1.3

Die Messthesen des Heinrich von

Zutphen

Nicht nur in mündlicher Predigt, auch schriftlich versuchten die Augustiner ihre Aktion zu rechtfertigen. Z u diesem Zweck verfasste H E I N R I C H VON Z U T P H E N eine Darlegung ihrer messtheologischen Position. Dass es sich bei dem Schriftstück 5 4 nicht um Disputationsthesen handelt, geht einmal aus der von Spalatin zugefugten Uberschrift 5 5 hervor. Z u m anderen deuten die häufige Verwendung der 1. Person plural und die Formulierung in Satz 71, es bestehe hinsichtlich der Communio sub utraque ein allgemeiner Konsens, daraufhin, dass es hier u m eine Skizze einer von mehreren Personen geteilten Position geht. 5 6 Einen klaren Bezug auf unsere Situation schafft zudem der letzte Satz. Darin bittet der Verfasser darum, dass vor einer endgültigen Beschlussfassung noch das Votum des Bruders Martinus eingeholt werde. So handelt es sich bei den Thesen Heinrichs u m eben die schriftliche Stel-

49

Vgl. dazu u n t e n § 7 . 2 . 1 . Dieser hatte das Allerheiligenstift als „ B e t h a v e n " u n d damit als einen O r t des Götzendienstes b e z e i c h n e t , vgl. W A B r 2, 409, 3 - 1 5 . 51 So war KARLSTADT zugleich A r c h i d i a k o n an der Stiftskirche. In dieser Eigenschaft f ü h r t e er d e n b e r ü h m t e n Weihnachtsgottesdienst 1521 durch, bei d e m o h n e v o r h e r i g e Beichte das Sakram e n t in beiderlei Gestalt gereicht w u r d e . D a z u u n t e n § 7 . 2 . 3 . 1 . 52 Vgl. BRÜCKS Brief v o m 11. 10. an d e n K u r f ü r s t e n , bei N . Müller, a.a.O., N r . 10, 29. 53 D a v o n erhält Beatus RHENANUS N a c h r i c h t v o n s e i n e m in W i t t e n b e r g befindlichen Famulus Albert BURER: „ D e c i m o tertio die O c t o b r i s , quae erat d o m i n i c a proxima post D i o n i s i i , cessat u m est a celebrandis missis in c o e n o b i o A u g u s t i n i a n o r u m W i t t e m b e r g e n s i u m . a c pro missis m o n a c h u s q u i d a m sane n o n indoctus, ut sunt plerique eius c o e n o b i i m o n a c h i , coepit c o n cionari ad p o p u l u m de Christiana fide per duas integras horas. I d e m fecit post p r a n d i u m , sed spatio t a n t u m unius horae. inibi de abusu missarum sie dixit, vt o m n e s , q u o t q u o t aderant (erat a u t e m sacellum pressim refertum) obstupescerent." Zitiert nach N . Müller, a.a.O., N r . 15, 33. Vgl. auch W A 8, 402. 54 Das D o k u m e n t e n t s t a m m t einer S a m m l u n g SPALATINS (Weimar, Z e n t r a l b i b l i o t h e k der d e u t schen Klassik, e h e m . T h ü r i n g . Landesbibliothek, Signatur Q 1 5 - 1 7 . 4"), vgl. W A Br 14, 142f. Ich zitiere nach J o h a n n E r h a r d KAPP, Kleine Nachlese einiger g r ö ß t e n Theils n o c h u n g e d r u c k t e r , U n d sonderlich zur E r l ä u t e r u n g D e r R e f o r m a t i o n s - G e s c h i c h t e nützlicher U r k u n d e n , Leipzig 1727, 2, N r . 22, 4 8 7 ( 4 8 4 ) - 4 9 4 . D i e N u m m e r i e r u n g der Sätze u n d der Verweis auf ihre Q u e l l e 5,1

s t a m m t v o n U . BUBENHEIMER. 55

KAPP, a.a.O., 484: „ D e r A u g u s t i n e r zu W i t t e n b e r g positiones v o n der M e ß 1521".

56

M i t BUBENHEIMER, a . a . O . ,

340.

§ 1 Die Wittenberger

Ereignisse

in Luthers

Abwesenheit

433

lungnahme der Augustiner, die der Kurfürst in seiner Instruktion an Christian Beyer erwähnt: „Darauffhette Berurter außschus mit den Augustinern gehandelt vnd entlich den abschied genomen, das die Augustiner ir furhaben, bewegknus unnd gründe den doctoribus inwendig zweien tagen schrifftlich ubergeben Sölten." 5 7 Dass die Mönche dieser Aufforderung auch tatsächlich entsprochen haben, ergibt sich aus dem Verweis des Ausschussberichtes auf einen mitgeschickten Z e t tel. 5 8 Auf Grund dieser äußeren Umstände ist das Gutachten Zutphens zwischen den Besuch der Ausschussmitglieder (12.10.) und den Ablauf der ihm gesetzten Frist (14.10.) zu datieren. 59 Heinrich setzt ein mit seiner Grundthese: Aus der gegenwärtigen Feier der Messe folgt die Auslöschung sowohl des Glaubens als auch der Liebe, denn an dem einen Anker, nämlich dem Verständnis der Messe als Werk und Opfer, hängen alle anderen Missbräuche. 60 Diese grundsätzliche Kritik illustrieren dann die folgenden Sätze (3—10). Zunächst geht es um die großen Aufwendungen fiir den Kirchbau. Für Heinrich übersteigt die Ausstattung die eigentliche Aufgabe der Bauten, der Gemeinde zur Zusammenkunft zu dienen und so R a u m für das Hören des Wortes zu bieten. 6 1 Seine Kritik zielt dabei tiefer, nämlich auf das messtheologische Motiv dieser Bautätigkeit. So sind große Kirchen dann nötig, wenn man viele Messen lesen will. Und hinter dem Wunsch nach vielen Messen sieht der Augustiner das Bestreben, Gott seine eigene Frömmigkeit und Hingabe zu zeigen. Eben diese Motivation widerstreitet für ihn aber dem Wort Gottes und dem Glauben. Heinrich kontrastiert also Wort und schlichten Glauben auf der einen sowie Prunk und zeremonielle Prachtentfaltung in Gotteshäusern, 62 Messen und Gesängen auf der anderen Seite. Die gegenwärtige Messpraxis entstellt durch ihre Opposition zu den Konstituta Wort und Glaube das Gesicht der Kirche und macht sie als Kirche nicht mehr erkennbar. Die Figur des Kontrastierung durchzieht auch den zweiten Gedankengang. Er stellt die kirchenspaltende Unterscheidung zwischen Priester und Laien der Schrift, näherhin der Einsetzung Christi, gegenüber. Argumentierte der erste Ab57

Instruktion für Christian BEYER v o m 2 5 . 10., zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 51.

58

N . MÜLLER, a.a.O.,

59

Vgl. BUBENHEIMER, Scandalum, 3 4 1 .

60

[1] „Celebratio missarum caput est et radix simul extincte fidei et totius charitatis." [2] „ N a m

40.

postquam missarum celebratio pro b o n o opere vel sacrificio (non moror) recepta est, ceperunt huic veluti vni atque eidem sacratissime anchore o m n e s simul adherere." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 487. 61

D i e Kritik am aufwendigen Kirchbau wird in die spätere W i t t e n b e r g e r O r d n u n g ü b e r n o m -

m e n : „ I t e m es so(e)llen auch die Stacionierer n o c h kainerley kirchenbitter nit geduldet werden, in ansehung das alle kirchen berayt vnd m e r dann zuuil gebaut seind." LStA 2, 5 2 6 f . 62

Kritik am immensen Aufwand für Kirchbauten und Gottesdienste übt auch Johannes

DÖLSCH in den T h e s e n zur P r o m o t i o n des T h o m a s NOVIDAGIUS vom 4. 10. N a c h d e m Dölsch D e mut und Dienstbereitschaft als K e n n z e i c h e n des Himmelreiches den gegenwärtigen kirchlichen Autoritäten gegenübergestellt hat, fährt er in der zehnten T h e s e fort: „ N e c tarnen ideo sequitur quod angelis sicut nec sanctis aliis templa sint construenda, aut alia sacrificia exhibenda, quos et Augustinus vult plus charitate quam seruitate venerari oportere." Zitiert nach T h . KOLDE, Disputationsthesen, 4 5 8 .

434

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

schnitt soteriologisch, so stehen hier also die ekklesiologischen Implikate der Messwirklichkeit zur Diskussion. Den Zusammenhang zwischen Priesterhierarchie und Einsetzungsworten stellt fiir Heinrich der Empfangscharakter der Messe her: Wenn nach den Einsetzungsworten der Empfang und nicht die Zelebration der Mitteilungsmodus des Mahles ist, dann wird die Differenz zwischen handelndem Amtsträger und empfangendem Laien messtheologisch bedeutungslos. 63 In drei Schritten entwickelt sich die Argumentation. Zunächst wird die Spaltung zwischen Priestern und Laien als eine Entstellung des Gesichtes der Kirche gebrandmarkt (11—15), dann eine innerpriesterliche Hierarchie abgewiesen (16-17) und schließlich der weltlich-politische Anspruch des Klerus verneint (18—30). B e sitzt die Messe nur als Empfang und nicht als Handlung theologische Relevanz, dann lässt sich ein besonderer Priesterstatus nicht mehr aus der Aktantenrolle des Amtsträgers in der Messe begründen. Heinrich sieht klar, dass mit dieser Zuordnung von geistlich und weltlich auch die bisherige politische Ordnung infrage steht. Insbesondere seine Kritik an der kirchlichen Jurisdiktion zeigt dies. So erscheint ihm nicht nur die Exemtion des Klerus von weltlicher Gerichtsbarkeit, sondern auch dessen Anspruch, über weltliche Machthaber zu Gericht zu sitzen, als haltlos. Letztlich gründen ihm alle Missstände auf der Vorstellung, die Messe sei verdienstlich. Denn daraus entstand eine Vielzahl an kirchlichen Bauwerken und somit die Voraussetzung für einen religiösen Geschäftsbetrieb. Zielte der erste Teil ganz auf eine Kritik der vorfindlichen Messpraxis ab, so entfaltet der anschließende Passus (31—43) das rechte Verständnis der Messe. Die grundlegenden Kriterien einer Messbeurteilung ergaben sich schon aus dem ersten Teil, nämlich Wort, Schrift, Glaube und Liebe. Der zweite Teil gießt diese Elemente dann zu einer Theologie der Messe. Da die Thesenreihe vor allem die Form der Privatmesse vor Augen hat, bestimmt das Communio-Motiv hier die Argumentation. 64 Heinrich gibt zunächst eine Beschreibung: Jeder wird in diesem Mahl an die Hoffnung des Glaubens erinnert, die in Christus gewiss ist. Diesen Christusbezug entfaltet Heinrich unter zwei kohärenten Aspekten, der Gemeinschaft und der Nächstenliebe. Hier zeigt sich deutlich die Patenschaft Luthers: Gerade weil gegenüber Gott kein Opfer oder Werk mehr zu erbringen ist, gelten alle Werke dem Nächsten und die Mahlgemeinschaft wird zur Basis der Sozialethik. Nicht in der Anhäufung von (frommen) Werken, sondern im sozialen und tätigen Gewissen gegenüber den Armen und Schwachen liegt daher die relevante Aktivität der Mahlteilnehmer. 65 Diese Gemeinschaft übergreift die Unterscheidung Klerus-Laie und bestätigt so die oben aus dem Empfangscharakter des Mahles gezoge-

6 3 [14] „Quandoquidem non qui celebrat, sed qui sumit, dominico satisfacit institutio, etiamsi sit laicus." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 488. 6 4 Insofern ähnelt die Ausgangssituation der Thesen HEINRICHS der des Abendmahlssermons Luthers von 1519, der sich gegen die (Privat)messen der Bruderschaften richtete. Beide haben eine Form der Messe vor Augen, welche vor allem die Beziehung Messe — Einzelner kultiviert und heben deshalb das Gemeinschaftsmoment der Messe besonders hervor. 6 5 [34] , J a m non opibus accumulandis, sed paueribus alendis episcopus inuigilabit, Jam vera et sancta, tum spiritualium tum temporalium erit communio." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 490.

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers Abwesenheit

435

ne amtstheologische Konsequenz. Heinrich nimmt hier den Zusammenhang zwischen innerem Gottesbezug des Menschen und seiner Sozialität wahr. Nicht die isolierte Gottesbeziehung des Einzelnen, sondern die Liebe zum Nächsten steht für ihn im Vordergrund des Mahles, denn Gottesgemeinschaft gibt es fiir ihn nicht an der Beziehung zum Nächsten vorbei. 66 Die Privatmessen erscheinen von hier aus als eine egoistische Okonomisierung der wahren Messfrüchte Glaube, Liebe und Gemeinschaft. 67 In einem dritten Teil (42-70) werden die praktischen Konsequenzen angesichts dieser aufgewiesenen Differenz zwischen Wahrheit und Wirklichkeit der Messe erwogen. Damit kommt Heinrich auf die gegenwärtige Diskussion um die Einstellung der Messen bzw. eine Messreform zu sprechen. Diese Debatte kristallisierte sich von Anfang an um die Frage des Ärgernisses (Scandalum). Schon der erste einschlägige Brief MELANCHTHONS68 hatte die Reformproblematik ja unter den konkurrierenden Momenten des öffentlichen Anstoßes (Scandalum publicum), den eine Messreform erregen würde, und der Verletzung des Gebotes Gottes (Scandalum in rebus divinis) erfasst. Damit stand die Reformproblematik zugleich unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses Öffentlichkeit — Gottesgebot und berührte das Verhältnis von theologischer Erkenntnis und politischer Praxis.69 Heinrich erweitert den Katalog der Scandala nun durch ein drittes Kriterium, nämlich den Anstoß, den eine Messreform bei den schwachen Gewissen erregen würde (Scandalum pusillorum) . 70 Das war ein naheliegender Einwand gegen die Einstellung der Messen, dessen Entkräftung den reformwilligen Kräften aufgegeben war. Wie beim ersten und zweiten Teil der Stellungnahme steht die Grundthese auch hier 66 [38] „ N e q u e enim tarn vt tu communices Christo per fidem solum, quam vt per charitatem communices proximo, videtur hec communicatio instituta." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 490. — Ich kann hier U. BUBENHEIMER, Scandalum, 300, nicht folgen, wenn er meint, in der Zuordnung von Liebesgemeinschaft mit dem Nächsten und Glaubensgemeinschaft mit Christus gehe HEINRICH über Luther hinaus. Versteht man dessen Abendmahlssermon als autochthonen Ausdruck der reformatorischen Theologie, so finden sich auch dort genügend Hinweise, welche die Liebesgemeinschaft der Teilnehmer als entscheidenden Bestandteil des Mahles hervorheben. Es geht ja gerade nicht u m die Werke als Bedingung der Seligkeit, sondern um die Werke als Indikator einer kommunikationsfähigen Egoität, welche die Messe als Konstitution von Gemeinschaft ernstnimmt und gerade nicht privatisierend in eine isolatorische Werkgerechtigkeit überfuhrt. 67 [40] „Fructus private cene cum manifesti sint, fidei charitatis et omnis Christiane c o m m u n i o nis ad privatum ventris questum contemplatio." [41] „Vel saltem (in sanctioribus ypocrisis) sue privateque salutis ratio." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 490. 68 Brief an LINCK vom 9. 10., bei N. MÜLLER, a.a.O., Nr. 6, 22. Melanchthon vertritt hier die Position, angesichts der Verletzung des göttlichen Gebotes sei auf die Offentlichkeitswirkung einer R e f o r m keine Rücksicht zu nehmen. Gleichwohl gilt ihm als Argument, dass eine E r n e u e rung der Messe öffentlichen Beifall fände, da die Wittenberger schon so lange das Evangelium gehört hätten. Diese logische Unausgeglichenheit unterscheidet ihn von der kompromissloseren Haltung der M ö n c h e und schattet bereits seine spätere Distanzierung von den Reformkräften ab, vgl. dazu unten §7.2.4.1. 69 Auf der Disputation am 17. 10. lehnten die Augustiner dann auch die Zuständigkeit des R a tes als des Repräsentanten des weltlichen Gesetzes für ihre Klosterkirche ab. 70 Damit greift er auf die scholastische Unterscheidung zwischen gebotene Rücksicht auf die Schwachen und erlaubter Vernachlässigung der Verstockten (scandalum pharisaeorum) zurück. Vgl. dazu BUBENHEIMER, Scandalum, 301.

436

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

am Beginn des Argumentationsganges: Das größte Scandalum ist die nicht einsetzungsgemäße Feier der Messe, denn aus ihr ergeben sich alle anderen Missstände. 71 Wer weiterhin Messen kauft, der unterstützt und prolongiert folglich einen menschlichen Brauch, der die Summe des christlichen Glaubens in ihr Gegenteil verkehrt, 72 ob er nun Messen zelebriert oder sie hört. Heinrich macht deutlich: Gleichgültig ob Priester oder Laie, alle sind verantwortlich für den Missstand der Privatmesse. Diese Einbindung der Laien in die Verantwortung für den Zustand der Kirche ist die Konsequenz aus der im ersten Teil vertretenen Statusidentität von Priestern und Laien. 7 3 Zugleich führt der Einbezug aller in die Haftung auch zu einer Verstärkung der Reformforderung, denn die Verantwortung für die Missstände kann nun nicht mehr nur einer Gruppe angelastet werden. Dieser R e f o r m druck erhöht sich nochmals durch die Applikation von M t 18,6 7 4 auf die gegenwärtige Situation. Den Bezug stellt der gemeinsame Begriff Scandalum her: Das größte Ärgernis ist die nicht einsetzungsgemäße Feier der Messe. Christus spricht aber, wer schon den Geringsten Grund zum Ärgernis gibt, der muss im Meer versenkt werden. Was wird dann erst mit denen geschehen, die nicht nur den Geringsten, sondern der gesamten Kirche das größte Ärgernis bereiten? 75 Wenn der Glaube in Gefahr ist, dann kennt Heinrich kein Zögern, dann fordert er entschlossenen Widerstand, wie Paulus ihn gegen Petrus leistete. 76 W i e solle denn jemals der Messmissbrauch korrigiert werden, wenn die für eine R e f o r m Verantwortlichen weiterhin dem Irrtum anhängen wollen? 77 O b die Form einer privaten Messfeier nun in anderen Situationen erlaubt ist oder nicht, als entscheidend gilt den Augustinern, dass jetzt öffentlich etwas vorgetäuscht wird, das in Wahrheit der Einsetzung Christi widerspricht. 78 Auch Jesus nahm nicht am Handel selbst, wohl

71 [44] „Omnium ergo scandalorum maximum est hujuscene dominice vsurpatio," [45] „Qua stante, manet privati sacerdotii, celebrationis, sacrificii et omnium papisticarum imposturarum opinio:" Zitiert nach KAPP, a.a.O., 491. 7 2 [46] „Quam confirmât, ac proinde pessimi scandali fimbrias prorogat, quisquis in manifesto cenam dominicam sibi parat." [47] „Confirmât enim consuetudinem illorum, qui ad missas siue celebrandas, siue audiendas summam christianismi detorserunt." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 491. 7 3 Insofern erinnert das Argument an Luthers Adelsschrift. 7 4 BUBENHEIMER, Scandalum, 301, verweist a u f M t 18,4. Ich kann keinen Zusammenhang zwischen diesem Vers und der vorliegenden Argumentation erkennen und nehme daher an, es handle sich um ein Versehen seinerseits. 7 5 [49] „Quodve illi in vniversa ecclesia tantum ofFendiculum fovet, alit, sustenat?" Zitiert nach KAPP, a.a.O., 491. 7 6 [50] „Qui cadens apertos habet oculos, videns periculum propter mercedem iniquitatis, currit in illud." [51] Videns fidem et omnem charitatem periclitantem dissimulatione sua." [52] „Paulus in faciem restitit Petro in periculum fidei non ambulanti, juxta veritatem Evangelii, et nos in illam simulationem intrabimus missarum, vbi naufragium perpessa est fides similiter tota?" Zitiert nach KAPP, a.a.O., 491. Das Argument, die gegenwärtige Messfeier stelle eine Gefahr für Glauben und die rechte Liebe dar, wiederholten die Augustiner auch auf der Disputation vom 17. 10., vgl.

§7.1.2.1. 7 7 [53] „Aut qui poterit abusus missarum corrigi, si ii, qui reduces esse deberent, adhuc a vestigiis non declinantur errorum?" 7 8 [54] „Sive ergo quis poterit licite, privatim celebrationes sibi parare, sive non, constat, quod non liceat publicis ritibus speciose ypocriseos sese assimulare."

§7

Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

437

aber an der Verkehrung des Gotteshauses in einen Wirtschaftsbetrieb 79 Anstoß. So vermag Heinrich durchaus zu unterscheiden zwischen der Form einer einsetzungsgemäßen Privatmesse, welche nicht auf den im ersten Teil kritisierten soteriologischen und ekklesiologischen Fehlbildungen beruht, und der Privatmesse im Kontext der gegenwärtigen Messtheologie. Den naheliegenden Einwand, die Einstellung solcher Messen belaste das Gewissen der Schwachen (1. Kor 8,3), sucht er durch Kombination mit der Tempelreinigung Jesu seinen Gegnern im Stile einer Confutatio zu entwinden: Das Ärgernis liegt nicht in der Verletzung des schwachen Gewissens, sondern in der Verkehrung der Funktion des Gotteshauses. So tritt der auf die Gewissen der Schwachen bedachte Paulus als Kronzeuge der Messreform auf. 8 0 Auch das Verständnis der Messe als Opfer, das sich nicht auf die Einsetzung Christi berufen kann, 8 1 fällt darunter. Eine zweite Konsequenz für die Praxis ergibt sich aus der Ausrichtung der Messe auf die Gemeinschaft. Christus wollte, so der Niederländer, die Einheit der Kirche in Gemeinschaft. Damit verbindet er nun die Austeilung als Konstitut des Sakramentes. 82 Sie lässt die Selbstkommunion des Priesters als Widerspruch zu dem einen Leib Kirche erscheinen. Den Gottesdienst versteht er als Dienst des einen an den anderen und nicht als Dienst an sich selbst. 83 Wer eine Privatmesse feiert, der reißt demnach an sich, was doch für die ganze Kirche bestimmt ist. 84 So bleibt als Haupteinwand gegen das Institut der Privatmesse die Ausrichtung der Messe auf die Gemeinschaft und auf den gegenseitigen Dienst der Glieder. Was die Messe ist, das fasst Heinrich mit Paulus am Ende des Abschnittes noch einmal zusammen: nämlich beim gemeinsamen Mahl die Wiederkunft Christi zu erwarten und so seinen Tod zu verkündigen. 85 W i e aber soll dieses Ärgernis in der Praxis vermieden werden? Hier rekurriert Heinrich auf Luthers Zuordnung von Wort, Sakrament und Glaube, welche die volle Teilhabe am Heil auch dem bloßen Hören des Wor-

79 [55] „Nulla in re videmus Christum tanto zelo fuisse c o m m o t u m , quanto movebatur, videns scandalum in domo patris sui parari." [56] „ N e q u e enim, quoniam vendebatur, sed quoniam sua occasione domum patris fecerunt mensam negotiationis, indignabantur." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 4 9 2 . 8 0 [57] „Paulus ne vel vnum fratrem offenderei, voluit non manducare carnem in eternum, dicens charitatem in eo non esse, qui a re, alioquin manifesto licita, respectu scandali, non abstinuisset." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 4 9 2 . 81 [59] „ N e c quemquam morari debet, saltem Christianum, scandalum sacrificiariorum." [60] „Constat enim îllorum plantationem non esse a pâtre, adeqoque eradicandam: Ceci enim sunt et duces c e c o r u m . " Zitiert nach KAPP, a.a.O., 4 9 2 . 8 2 Vgl. dazu W A 8, 5 1 4 , 2 1 - 2 6 . 83 [61] „Preterea constat, Christum venisse ad hoc, vt vnum corpus, vnam Ecclesiam, et Semper ac vbique Statueret c o m m u n i o n e m . " [62] „Hinc omnia ministeria ab aliis in alios voluit ministrari, nemine sibi ipsi ministrante." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 4 9 2 . 84 [65] „Quid est, quod cenam dominicam (que sola communio est) et pre omnibus sacramentis ecclesie symbolum habetur, présumât sibi quisque parare solus, manducans, c o m m u n i o n e m privatem usurpans." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 4 9 3 . 85 [67] „Et Paulus c o m m u n i o n e m in unum ad cenam dominicam fierei mandat," [68] „ M u t u o expectare, et pre omnibus, quotiescumque manducandum et bibendum est, m o r t e m D o m i n i annunciare." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 4 9 3 .

438

Dritter Teil: Die Rezeption und Luthers Reaktion

tes zuspricht, u m das Sakrament als einzigen Heilsweg zu entthronen. 8 6 Dieser sakramentstheologische R a h m e n ist also die Voraussetzung der Forderung nach Einstellung des Messbetriebes. 87 Der Frage des Laienkelches widmet die Stellungnahme nur einen einzigen Satz. Als Konsens wird festgehalten, dass die Einsetzung Christi beide Gestalten erfordert, die Commutiio sub una wird aber nicht als Sünde bezeichnet. 8 8 In seiner in pathetischem Ton vorgetragenen Zusammenfassung fuhrt Heinrich dann noch einmal alle Gründe gegen die Privatmesse auf: Die klare Einsetzung Christi, das Verbot der Privatmesse durch Paulus, die innere Logik der K o m m u n i o n (!) selbst, die Tatsache, dass dieses Ärgernis noch verfestigt würde, falls man den bisherigen Brauch beibehielte und die zahlreichen Missstände, welche aus diesem Übel resultieren. Insgesamt weist die Stellungnahme der Augustiner also folgende Struktur auf: D i e Wirklichkeit der Messe I—2

Grundthese

3—10

Soteriologische Argumentationslinie Aufwendigen Kirchbauten und zahlreichen Messen als Werken stehen die schlichte Gestalt des Glaubens und das Wort Gottes gegenüber.

II—29 Ekklesiologische Argumentationslinie Die Statusdifferenz zwischen Priester und Laie widerspricht dem Empfangscharakter des Mahles. Weder sind Priester den Laien gegenüberzustellen noch ist eine innere Priesterhierarchie zu etablieren. Die auf dieses (Mess)priestertum gegründeten weltlichpolitischen Ansprüche des Klerus bestehen zu Unrecht. D i e Wahrheit der Messe 30-39

D i e Messe ist eine durch Glaube und Liebe geprägte G e m e i n s c h a f t 30—32 Die Messe gründet auf dem einen Evangeliumswort, das Glaube und Liebe kennzeichnen. 33 Der Glaube gründet seine Gewissheit auf Christus. 33—37 Die Liebe tut ihre Werke im Blick auf den Gekreuzigten am Nächsten und nicht an Gott. 38—39 Die Gemeinschaft besteht nicht zwischen dem Einzelnen und Gott, sondern zeigt sich stets in der Liebe zum Nächsten.

40—41 D i e Privatmesse ist eine heilsegoistische Isolation D i e Verwirklichung der Wahrheit der Messe 42—60 D e r Widerstand g e g e n die Gefahrdung des Glaubens Für das größte Ärgernis einer nicht einsetzungsgemäß gefeierten Messe tragen auch die Laien Verantwortung. Diesem Ärgernis ist, da der Glaube in Gefahr ist, nach dem Vorbild Christi und Pauli ohne Umschweife Widerstand zu leisten. 86

[64] „Imo, si ministerium sacramenti desit, sola fide sine ministerio signi creditur quisque purificari." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 493. 87 Eine figürliche Auslegung der Abendmahlsworte hätte der Verzichtbarkeit des Zeichens zusätzliche Legitimation verleihen können. Dass Heinrich keinerlei Hinweis in diese R i c h t u n g gibt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass eine solche Auslegung bei den Augustinermönchen nicht nachgewiesen werden kann. 88 [71] „De utriusque speciei communione: quod non liceat vllo m o d o alterutram pretermittere communicare volenti, j a m o m n i u m consensu ex manifestissuma Christi institutione conclusum est." Zitiert nach KAPP, a.a.O., 493.

§ 7 Die Wittenberger

Ereignisse

in Luthers

Abwesenheit

439

61-70 Der Verzicht auf den Genuss des Sakramentes Angesichts des drohenden Verlustes der Messe als Gemeinschaft kann o h n e Gefahr a u f das Z e i c h e n verzichtet werden, da sich auch im b l o ß e n W o r t das H e i l mitteilt. 71

E i n f u h r u n g des Laienkelches als A n g l e i c h u n g an die Einsetzung Christi

72

Zusammenfassung der A r g u m e n t e und Aufforderung zum Anschluss an den W e g der Augustiner

73

B i t t e u m E i n h o l u n g der M e i n u n g Luthers

So hat Heinrich von Zutphen die beiden Säulen der Messeinstellung im Kloster klar dargelegt: Einmal die Wahrheit der Messe als Gabe an den allein im Glauben gerechtfertigten Menschen, die auf Gemeinschaft zielt und daher nicht isoliert empfangen werden kann. Z u m anderen die Wirklichkeit der Messe, die, als zuwendbares Werk und Opfer verstanden sich nicht der biblischen Einsetzung, sondern ökonomischer Logik verpflichtet weiß und folglich von Einzelnen gekauft und flir sich reserviert werden kann. Diese Spannung stellt ein Ärgernis dar, welches auf sofortige Beseitigung drängt, wie die Beispiele Christus (Tempelreinigung) sowie Paulus (antiochenischer Zwischenfall, Götzenopferfleisch in Korinth) nahe legen.

1.1.4

Das Verhältnis der Reformer zu Luthers Messtheologie

Diese Position unterscheidet sich messtheologisch nicht von der bisherigen Haltung Luthers. Auffällig ist allerdings, dass HEINRICH nicht wie der Verfasser von ,De abroganda' auf die persönlichen Gewissen der M ö n c h e eingeht, sondern auf einer rein transpersonalen Ebene argumentiert. N o c h deutlicher zeigt sich das bei seiner Bestimmung des gegebenen Ärgernisses. Dieses auf den Schutz der Personalität (Gewissen) zielende Argument wird bei ihm entpersonalisiert und versachlicht, indem er es auf die Funktion des Gotteshauses bezieht. So löst Heinrich den Bezug von Person und Struktur zwar noch nicht zu Gunsten letzterer auf, bietet aber doch eine offene Flanke gegenüber einer Position, welche die kritische Grenze, die das persönliche Gewissen der Durchsetzung von allgemeinen Strukturen setzt, missachtet. Dabei ist im Blick zu behalten, dass es den M ö n c h e n zunächst nur um die Messfeiern in der Klosterkirche ging. Eine allgemeine und öffentliche R e f o r m der Messe, wie KARLSTADT sie durchfuhren sollte, forderten sie hier nicht. U n d als Luther 1 5 2 3 seine Messreform ins Werk setzen will, da wird er ebenso argumentieren wie die Augustiner jetzt: D e n Schwachen ist genug gepredigt worden, wer jetzt n o c h an der alten Messe hängt, der ist eben verstockt. 8 9 Auch ZWILLINGS Predigttätigkeit war offensichtlich 9 0 durch Luther selbst, näherhin durch dessen B r i e f

89

W e n n BUBENHEIMER, Scandalum 3 0 3 , von e i n e m „rigoristischen R e f o r m e i f e r " der M ö n c h e

spricht, so trifft dies m . E . nicht die Situation. M a n muss b e d e n k e n , dass die M ö n c h e sich in einer Minderheitenposition befanden und sich deshalb besonders laut G e h ö r verschaffen mussten. 9(1

G e g e n BARGE, a.a.O., 1, 3 1 5 . Vgl. auch VON TILING, a.a.O., 1 2 9 ; NEUSER, a.a.O., 1 2 6 .

440

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

vom 1 . August, 91 motiviert. Das geht einmal aus dem Bericht H E L M A N S hervor, 9 2 zum anderen aus dem bei beiden in fast identischer Formulierung begegnendem Ansinnen, selbst keine Privatmessen mehr feiern zu wollen. 9 3 In diesem Brief weist Luther auf die fehlende Einsetzung des Mönchtums wie des Zölibats durch C h r i stus hin und wünscht sich, niemand möge mehr M ö n c h werden. Es gefällt dem Exulanten sehr, dass die Wittenberger die Einsetzung Christi wiederherzustellen beabsichtigten. Eben dies werde er bei seiner R ü c k k e h r als erstes ins Werk setzen. In Kenntnis der Tyrannei sei der erzwungenen K o m m u n i o n unter einer Gestalt Widerstand zu leisten. Er selbst werde sein Leben lang keine Privatmesse mehr feiern und bitte im Wissen u m die baldige Heimsuchung Deutschlands u m größere Geisteskraft, damit der Wille Gottes geschehe. 94 Luther begrüßte die praktische Umsetzung also nicht nur herzlich, 95 sondern er begriff sie auch als unumgängliche Konsequenz aus seiner Messtheologie. 9 6 Das ergibt einmal die sprachliche 91 O b aus diesem einen B r i e f v o m 1. August gleich auf einen ü b e r die W i t t e n b e r g e r Verhältnisse u n d Diskussionen bestens i n f o r m i e r t e n L u t h e r geschlossen w e r d e n k a n n , erscheint angesichts der schmalen Quellenbasis zweifelhaft. Karl MÜLLER, a.a.O., 5, folgert aus diesem Brief, L u t h e r sei „ ü b e r alle Fragen, die in d e n a k a d e m i s c h e n D i s p u t a t i o n e n u n d i m Kreis der F r e u n d e verhandelt w o r d e n waren, b e r i c h t e t w o r d e n [...]." Dieses w e i t r e i c h e n d e U r t e i l lässt sich meines Erachtens w e d e r aus diesem einen Brief n o c h aus Luthers Ä u ß e r u n g i m V o r w o r t v o n , D e abroganda', er sei m ü n d l i c h u n d schriftlich u n t e r r i c h t e t w o r d e n , b e g r ü n d e n . So w e i ß L u t h e r z u m Beispiel nicht, dass w ä h r e n d seiner A b w e s e n h e i t JONAS u n d n i c h t KARLSTADT z u m Propst des Allerheiligenstiftes b e r u f e n w u r d e . LStA 2, 539, 9. Vgl. dazu a u c h PREUS, a.a.O., 53. 92 „is [sc. Zwilling] per literas, ut audivi, M a r t i n i a d m o n i t u s c o n c i o n a t u s est [...]." Z i t i e r t nach

N . MÜLLER, a . a . O . , 16. 93

L u t h e r schrieb: „Sed et ego amplius n o n faciam missam privatam in a e t e r n u m . " W A Br 2, 372, 73. ULSCENIUS referiert Zwillings A n k ü n d i g u n g , keine h e r k ö m m l i c h e Messe m e h r feiern zu wollen m i t d e n W o r t e n : „Ipse [sc. Zwilling] e n i m p e r p e t u o n o n facturus est." Zitiert n a c h N . MÜLLER, a.a.O., 15. HELMAN gibt aus Zwillings Predigt folgenden Satz w i e d e r : „ N u l l u m h o m i n e m nullam debere missam audire, n e c ipse velle i n e t e r n u m legere [...]" Zitiert nach N . Müller, a.a.O., 16. Dasselbe bezeugt BRÜCK: „geßagt zcu gotz u n d d e n heiligen in j e g e n w e r t i g h e y t eyner g r o ß e n samlung, er wolle n h u h i n f u r t h n h u m m e r m h e r keyne messe halten [...]." zitiert nach N . MÜLLER, a . a . O . , 2 0 . 94 W A B r 2, 372, 6 9 - 8 1 : „Valde a u t e m placet, ut i n s t i t u t u m Christi integretis. N a m h o c erat, q u o d ante o m n i a c o g i t a b a m sollicitare, si ad vos reversus fuissem. N o s e n i m iam h a b e m u s scientia m tyrannidis huius, et possumus ei resistere, n e c o g a m u r alteram speciem accipere t a n t u m . Sed ego amplius n o n faciam missam privatam in a e t e r n u m . O b s e c r o o r e m u s D o m i n u m , ut festinet n o bis a m p l i o r e m spiritum s u u m dare. Suspicior e n i m fore, ut cito visitet D o m i n u s G e r m a n i a m , sicut m e r e t u r eius incredulitas, impietas et o d i u m evangelii [...] Fiat, fiat voluntas D o m i n i . A m e n . " 95 B e z e i c h n e n d ist auch, dass n i c h t der damals vorsichtigere KARLSTADT, s o n d e r n der r e f o r m e i f rige MELANCHTHON von L u t h e r als sein N a c h f o l g e r gesehen wird: „ E g o etiam sie peream, nihil peribit euangelio, in q u o tu n u n c m e superas, et succedis Helisaeus H e l i a m d u p l o spirito [...]." W A Br 2, 348, 48f. U n t e r diesem Aspekt ist auch Luthers Einsatz f ü r die B e r u f u n g M e l a n c h t h o n s als sein N a c h f o l g e r auf d e m Predigtstuhl zu sehen. 96 L u t h e r vertritt somit eine ähnliche Position w i e in der Frage der M ö n c h s g e l ü b d e u n d des Zölibats. A u c h d o r t lehnte e r j e d e n allgemeinen Z w a n g u n d j e d e Vergesetzlichung von R e f o r m e n ab, b e g r ü ß t e aber die ersten Schritte, die eine praktische U m s e t z u n g des theologisch E r k a n n t e n erstrebten. So w e n d e t er sich gegen d e n aus politischen R ü c k s i c h t e n z a u d e r n d e n Spalatin: „ O b s e cro, si veritas est, istum caelibatum et m o n a s t i c e n divinitus d a m n a r i , sicuti n o n est d u b i u m , cur n o n liceat diversum tentare et sequi? A n p e r p e t u o de verbis D e i d i s p u t a n d u m s o l u m est, et opere Semper a b s t i n e n d u m ? " W A B r 2, 412, 20—23. Vgl. dazu auch PREUS, a.a.O., 56. H e r v o r z u h e b e n

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

441

Struktur. Luther leitet nämlich seinen Abschnitt zur Messreform mit einem adversativen autem ein, das einen Gegensatz etabliert zu der im vorherigen Abschnitt thematisierten Absage an einen kollektiven Zwang zum Laienkelch. Es geht hier also nicht um ein Adiaphoron, sondern um ein Gebot Christi, das Einhaltung fordert, die allerdings nicht erzwungen werden darf. Zweitens verbindet Luther das Anliegen mit seiner Rückkehr, mithin setzt es seine physische Präsenz voraus. Diese wäre aber nur bei praktischen Reformmaßnahmen notwendig. Sodann weist er auf die baldige Heimsuchung Gottes hin. Infrage steht also nicht ein in ferner Z u kunft einmal umzusetzendes Prinzip, sondern das angesichts des drohenden G e richts gebotene praktische Handeln. Schließlich gibt Luther seinen Entschluss bekannt, in Zukunft keine Privatmessen mehr zu halten. Dies ist aber nichts anderes als die praktische Umsetzung des theoretisch Erkannten, deren Fanalcharakter Luther nicht verborgen bleiben konnte. 9 7 Auch Melanchthon 9 8 und Karlstadt hatten sich j a bereits für Änderungen ausgesprochen. So waren nicht die Notwendigkeit, wohl aber das konkrete Vorgehen strittig. Die heutige Diskussion um die Position Zwillings und seiner Augustiner kreist dann auch um die Frage, inwiefern ihre Reformforderungen sich auf Luthers Messtheologie berufen können. Die Antwort darauf besitzt insofern Bedeutung, als sich mit der Einschätzung der Initialzündung auch das Urteil über die nachfolgende Wittenberger Bewegung präformiert. Betrachtet man diese von ihrem E n de her, nämlich im Lichte der Invocavitpredigten, die Kritik an der Wittenberger Messreform üben, so wird man dazu neigen, eine von Anfang an bestehende Kluft zwischen Luther und dem Reformvorhaben zu sehen. Indes verbaut man sich so den Blick für gemeinsame Wurzeln und Ubereinstimmungen am Beginn der B e wegung. Karl MÜLLER99 neigt dazu, eine von Anfang an bestehende Distanz zwischen Luther und Zwilling hervorzuheben. 1 0 0 Zwei zusammenhängende Momente beist allerdings auch, dass Luther in beiden Fragen das personale Element der R e f o r m f o r d e r u n g zu wahren weiß. So handelt es sich bei den Eheschließungen der Priester j a stets um konkrete Einzelfälle, keine allgemeine Aufforderung oder ein generelles G e b o t . 9 7 Auch PREUS, a.a.O., 5 4 , weist auf das große Aufsehen hin, welches Luthers Ankündigung in Wittenberg erregte. 9 8 Etwa in seinem B r i e f an LINCK, vgl. oben Anm. 3 2 . D o r t beruft er sich nicht nur selbst auf Luther, sondern identifiziert dessen Position und die der M ö n c h e . 9 9 Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis, T ü b i n g e n 1907. W i e er im Vorwort schreibt, richtet MÜLLER seine Darstellung durchweg gegen BARGES B e m ü h e n einer „Rehabilitation" Karlstadts. D i e von letzterem so maßgeblich beeinflußte Wittenberger B e w e gung erscheint daher stets als theologisch minderwertig, weil „unlutherisch". Das Bild eines vor allem auf Ordnung und R u h e bedachten Luther, der ohne Zustimmung der Obrigkeit keine R e formen durchsetzen will, unterstützt diese Wahrnehmung. Vgl. dazu K . MÜLLERS Darstellung der R e f o r m e n in seiner Kirchengeschichte, 2, 280—300, vor allem 2 8 6 f . 1 0 0 A.a.O., 7: „Was er [sc. Zwilling] darin über das Wesen der Messe zu sagen wusste, stammte durchaus aus Luthers Schriften, insbesondere der Babyonischen Gefangenschaft. Aber das N e u e war, dass er seine Zuhörer aus dem Laienstand nunmehr aufforderte, künftig den Opfermessen fernzubleiben, den Priestern aber zur Pflicht machte, keine solchen Messen m e h r zu lesen. [...] Dabei war aber Zwilling bei der Art, mit der er seine Forderung anfasste, von Luther abgegangen und hatte sich deijenigen angeschlossen, die in den letzten M o n a t e n von Karlstadt an andern

442

Dritter Teil: Die Rezeption und Luthers Reaktion

stimmen dieses Urteil. Einmal profiliert er die Differenz zwischen der Messtheologie und ihrer praktischen Umsetzung bei Luther, zum anderen nimmt er von Luthers Theologie vor allem diejenigen Elemente wahr, welche die Freiheit des Einzelnen kultivieren. Die strukturell-politische Dimension im Denken Luthers tritt demgegenüber zurück. Das zeigt sich einmal bei seiner Interpretation von ,De captivitate Babylonica'. Von dieser Hauptschrift aus 101 versteht er den Augustbrief Luthers ohne die seit dem Reichstag veränderte Lage zu berücksichtigen. 1 0 2 Luther habe dort e i n e n W e g g e f u n d e n , n i c h t n u r die P f a r r m e s s e f ü r P r i e s t e r u n d G e m e i n d e , s o n d e r n a u c h die Privatmesse f ü r d e n h a n d e l n d e n P r i e s t e r auch auf dem Boden des Evangeliums

erträglich zu

machen.103

Er habe die Anleitung gegeben, w i e m a n e i n e r M e s s e a u c h i m e v a n g e l i s c h e n S i n n a n w o h n e n u n d w i e ein P r i e s t e r sogar P r i v a t m e s s e n , m i t d e n e n d e r O p f e r c h a r a k t e r g a n z u n l ö s b a r v e r k n ü p f t schien, i m selben S i n n lesen k ö n n e [...]. E r h a t t e a u c h auf a n d e r e n G e b i e t e n , b e i d e m Priesterzölibat, d e r B e i c h t e u . a . n u r d e n Z w a n g v e r w o r f e n , d e n das P a p s t t u m dabei ü b t e , u n d d e r Freiheit des E i n z e l n e n R a u m schaffen w o l l e n . 1 " 4

Luther erscheint hier als vorsichtiger, vor allem an der Freiheit des Individuums interessierter Theologe, während Zwillings Drängen auf allgemeine R e f o r m e n jene Freiheit des Einzelnen nicht mehr zu wahren vermag. Diese Position ist einmal von der Hauptschrift her zu hinterfragen. Zielten Luthers Ratschläge an die Schwachen denn auf eine bleibende theologische R e c h t fertigung einer verfehlten Messpraxis? Genau besehen dürften diejenigen Äußerungen Luthers, die auf einen Erhalt der gegenwärtigen Messform ausgehen, nur als eine Ubergangslösung, als ein Gewissensschutz der Schwachen zu werten sein. Sie richten sich insbesondere an Priester in Gewissensnot und sind daher als seelsorgerliche Hilfe und nicht als messtheologisches Programm zu verstehen. Eine zweite Voraussetzung dieser Interpretation ist die Beurteilung der Wartburgzeit. Sie erscheint bei Müller eher als Moratorium. 1 0 5 Dagegen sind aber vor allem Luthers im Augustbrief geäußerte Pläne zur baldigen Messreform geltend zu machen. Sie fügen sich ein in die großen Wittenberger Praxisprojekte dieser Monate, die R e f o r m e n im Bereich der Beichte, des Mönchtums sowie des Zölibats und der Messe. Luther begrüßte in mehreren Briefen die R e f o r m e n . Nicht der Tatsache, Punkten eingeführt worden war." I h m schließt sich W. KÖHLER, a.a.O., 508, an. KAWERAU, G ü t tel, 35 f, zeichnet das Bild des eifernden Karlstadtanhängers Zwilling. 101 A.a.O., 6. 102 Z u r Kritik an K. MÜLLER vgl. auch W. NEUSER, a.a.O., 128, A n m . 65. Überdies ist darauf zu verweisen, dass die von Müller kaum berücksichtigte Adelsschrift sehr präzise praktische Zielvorgaben fiir eine Messreform enthält. 11,3 A.a.O., 3. H e r v o r h e b u n g W.S. 104 A.a.O., 8. 105 „Das war ja überhaupt die Lage, als Luther auf der Wartburg verschwunden war. Geändert war an den kirchlichen Zuständen gar nichts. Auch die Absicht dazu bestand noch nicht für die nächste Zeit." K. MÜLLER, a.a.O., 5.

§ 1 Die Wittenberger

Ereignisse

in Luthers

Abwesenheit

443

sondern vielmehr dem Modus der Neugestaltung gilt daher sein primäres Interesse. Als in allen drei Bereichen wiederkehrendes Anliegen begegnet dabei die Sorge, die R e f o r m e n möchten keinen Zwangscharakter annehmen. Es geht Luther also nicht um eine Verschleppung der Reformen, sondern um ihre evangeliumsgemäße Durchführung. So droht M Ü L L E R S Darstellung zwei Interessen Luthers gegeneinander auszuspielen. Die Wahrung des Gewissensschutzes für die Schwachen (Perspektive der Personalität) steht derart im Vordergrund, dass überhaupt nicht mehr kenntlich wird, dass auch Luther auf eine Umgestaltung der Messe drang. Vor dem Hintergrund eines die Messwirklichkeit theologisch rechtfertigenden Luther muss der auf eine tatsächliche kirchenpolitische Umsetzung des Erkannten zielende Reformeifer Zwillings dann als vergesetzlichende Radikalisierung erscheinen. Wo Luther die Freiheit des Einzelnen gelehrt habe, da richte Zwillings Forderung neuen Zwang auf. 1 0 6 Dabei wird nicht mehr deutlich, dass auch für Luther diese Freiheit des Einzelnen nicht von dem aufgegebenen Ziel einer Messreform entbindet. Gewiss ist M Ü L L E R dahingehend R e c h t zu geben, dass es Luther nicht darum ging, eine Messreform gegen Willen und Empfinden der Wittenberger Gemeindeglieder zu erzwingen. In eben dem B r i e f vom 1. August, der nach Müller Zwillings Predigt motivierte, begrüßt Luther zwar eine Neuerung, jeden Zwang aber lehnt er kategorisch ab. 1 0 7 Nach Müller hätte Zwilling aber Luthers B r i e f nur sehr oberflächlich wahrgenommen. Seinen Wunsch nach einer Einstellung der Privatmessen hätte er als Auftrag verstanden, die unmittelbar damit verbundene Absage an jede Zwangshandlung aber missachtet. Die Zweifel an der Berechtigung von Müllers Gegenüberstellung von Zwilling und Luther verstärken sich, wenn man danach fragt, worin denn das „Gesetz- und Zwangmäßige der Zwillingschen Predigt" 1 0 8 bestanden habe. Die Berichte beschreiben seine Forderung nach Einstellung der alten Messe ja nicht als Zwang, der Ton liegt viel eher auf der Umsetzung des theologisch als richtig Erkannten in die Praxis. So finden sich in keinem Zeugnis die Begriffe necessitas bzw. necesse est. Zwilling band demnach nicht das Heil an die Einstellung der Messen, sondern er „ermahnte" das Volk, wie es im frühesten Bericht des ULSCENIUS heißt, den Messen fernzubleiben. 1 0 9 Es werde in der Messe gesündigt, aber dass die zu solchen Messen gezwungene Gemeinde sündige, das findet sich vornehmlich in den späteren Referaten seiner Predigt und wird vor allem von der Gegenpartei behauptet. Zudem kennzeichnete auch die schon bestehende Situation ein Zwang, nämlich die tägliche Messverpflichtung der M ö n che. 1 1 0 Sie konkurrierte mit der von Luther so oft geforderten „hungrigen See106

Vgl. K . MÜLLER, a.a.O., 8. W. KÖHLER, a.a.O., 5 0 8 , schließt sich i h m an.

107

W A B r 2, 3 7 2 , 70—73: „ N o s e n i m iam habemus scientiam tyrannidis huius, et possumus ei

resistere, ne cogamur alteram speciem accipere t a n t u m . " 108

W. KÖHLER, a.a.O., 5 0 8 .

109

A u f das Selbstverständnis der Predigt als M a h n u n g und nicht als Z w a n g geht auch W. NEU-

SER, a.a.O., 1 2 8 , A n m . 6 5 ein. Dass das V e r b u m mahnen i m S i n n e von . e r i n n e r n ' verwendet w e r den kann, belegt seine Verwendung in N M A 2 2 , 3 3 , w o der B e t e r Christus seiner G e i ß e l u n g e n ermahnt. 110

Vgl. dazu den Ausschussbericht über die M o t i v e der Augustiner, „Ernstlich h a n d l u n g " , fol.

444

Dritter

Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

l e " m als alleiniger und individueller Messmotivation. Es geht also nicht nur u m äußere Formen, denen mit einer gewandelten inneren Einstellung ein reformatorischer Sinn gegeben werden könnte, sondern u m den nicht vermittelbaren W i derspruch zwischen innerer Einstellung des Messpriesters und äußerer N o t w e n digkeit der Messfeier. Eine verpflichtend einzuhaltende äußere Struktur greift damit über ihren Kompetenzbereich hinaus, indem sie zur Messe zwingt und so in das Gottesverhältnis, welches dem persönlichen Glauben vorzubehalten ist, eingreift. 112 So wird m.E. deutlich, dass K. M Ü L L E R S einfache Kontrastierung von individueller Freiheit und kollektivem R e f o r m z w a n g eine Differenz zwischen Zwilling und Luther nicht profilieren kann, weil diese Unterscheidung verdeckt, dass bei beiden Personalität und Struktur aufeinander bezogen bleiben und die R e formforderung der Augustiner sich auch aus einem personalen Motiv speist. Eben darin stimmt sie auch mit Luthers Brief an Spalatin vom 7. Oktober überein. 113 Hier verleiht er seiner Furcht Ausdruck, der Priester auf der Wartburg betreibe durch seine tägliche Messfeier Abgötterei und hofft, solcher Missbrauch könne wenigstens gemindert, wenn nicht gänzlich abgeschafft werden. Präzise benennt er noch einmal das entscheidende Argument für seine Qualifikation der Privatmesse als Götzendienst: die konstitutive Zugehörigkeit des Gemeinschaftsmomentes zu einer stiftungsgemäßen Messe. Dieser Brief steht mithin nicht nur in zeitlicher Nähe zu Zwillings Predigt. Wenn letzterer davon spricht, dass in der vorfindlichen Messe gegen die Majestät Gottes gesündigt werde und Luther die Privatmesse des Burgpriesters als Götzendienst bezeichnet, dann lässt sich Zwillings Predigt die Vereinbarkeit mit Luthers Messtheologie kaum absprechen. 114 K. M Ü L L E R unterschätzt folglich das auf praktische Umsetzung drängende, wirklichkeitskritische Potenzial der Messtheologie Luthers. 1 1 5 Nicht die Distanz A3r bis A3v: „Darausz mag E.Chf.G. wol ermessen was für nutz oder frommen bringen mo(e)ge / wen(n) ain [...] frommer ausz zwangk der fundation on lust vn(d) lieb / auch offt wider sein gewissenmu(o)sz meszhakte(n)[...]." 111 Diese Wendung erscheint wörtlich in DÖLSCHS Sondervotum, bei N. MÜLLER, a.a.O., Nr. 17, 43. Vgl. auch das erste Ausschussgutachten: „Den es ist vnmoglich, das auch ein fromer vnd geistlicher priester ßo offt lust vnd lieb habe, messe zu halden, als offt er do zu durch die fundation vorbunden vnd vorpflicht ist." Zitiert nach N. Müller, a.a.O., 37. Auch im zweiten Gutachten wird dieses Anliegen aufgenommen, vgl. §7.2.2.1. 112 So wandte sich auch Luther vehement gegen die Pflicht zur Osterkommunion, weil hier mit äußerem Zwang geregelt werde, was Gewissen und Glauben des Einzelnen angehe. 113 WA Br 2, 394-396, Nr. 434. Dass Luther bereits einen Tag später Kenntnis von den Wittenberger Diskussionen um die Predigt Zwillings hatte, ist zwar prinzipiell möglich. Da der Brief aber mit keiner Silbe darauf eingeht, darf dies nicht vorausgesetzt werden. 114 Vgl. auch H. BORNKAMM, Luther, 34. W. KÖHLER, a.a.O., 511, sieht eine Differenz zwischen Zwilling und Luther darin, dass Luther nur die Privatmesse abgelehnt habe, Zwilling aber in Aufnahme von Luthers Abweis der Opferqualifikation die Messe überhaupt verworfen habe. Dagegen spricht m.E., dass Luther schon in den Messschriften von 1520/21 die Messe überhaupt adressiert und in ,De abroganda' mit der Privatmesse deutlich auch die allgemeine Messe trifft. Da eine Begrenzung der Messopferkritik auf die Privatmesse sachlich unmöglich ist, trägt die Unterscheidung Köhlers ohnehin nichts aus. 115 Ein drängendes Interesse an praktischer Umsetzung hatte Luther nicht nur in der Messfrage sondern auch hinsichtlich des Zölibats. Bezeichnenderweise gibt er hier den heiratswilligen M ö n -

§7

Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

445

zwischen dem auf R e f o r m e n drängenden Gabriel Zwilling und einem vorsichtigen Luther, sondern die Nähe Zwillings zu Luther ist daher hervorzuheben. Dies scheint auch der Eindruck der Wittenberger gewesen zu sein, die in Zwilling einen zweiten Luther sahen. 116 Deutlich ist ja auch im Programm Zwillings die Handschrift Luthers zu erkennen, denn keine der erhobenen Forderungen geht über die Vorschläge etwa des Testamentssermons hinaus. Das gilt auch für die u m strittene Frage der Sakramentsanbetung. Hier kann sich Zwilling eindeutig auf Luther berufen, der die Anbetung als Verkehrung der Geschehensrichtung der Messe kritisiert hatte. 117 Auch die Aufhebung der Differenz zwischen alttestamentlichen und neutestamentlichen Zeichen begegnet bereits bei dem Exulanten. W i e schon bei der Darstellung Luthers deutlich wurde, braucht dies nicht eine Abwertung des Zeichens zu bedeuten. Wilhelm NEUSER118 stellt im Gegensatz zu Müller die Einheit zwischen Zwillings Reformbestrebungen und Luthers Messtheologie deutlich heraus. Mit R e c h t weist er daraufhin, dass das eigentlich N e u e an der Oktoberpredigt ihre wiederholten Forderungen nach praktischen R e f o r m e n , u n d nicht inhaltliche Einzelheiten waren. 1 1 9 Dieses berechtigte Bemühen, gegen M Ü L L E R die Einheit von Zwillings und Luthers Forderungen zu betonen, führt aber zu einer Unterbewertung des Predigers, etwa wenn ihm die initiative Wirkung für die Wittenberger Messdiskussion abgesprochen wird. 1 2 0 Dabei müssen theologische Originalität und wirkungsgeschichtliche Bedeutung ja nicht zusammenfallen. Ungeachtet ihrer theologischen Abhängigkeit von Luther war es Zwillings Predigt, die öffentliches Aufsehen in der Stadt und am H o f erregte, eben weil sie durch die Wahl der Predigtform ein M e d i u m der Veröffentlichung wählte, damit aber, wie unten zu zeigen ist, ganz auf der Linie Luthers lag. Melanchthons Abendmahlsfeier vom 29. September, bei welcher in begrenztem Kreis auch die Laien sub utraque k o m m u n i zierten, ging zwar sachlich weiter, weil sie nicht nur forderte, sondern auch praktizierte, sorgte aber nicht für die Publizität dieses Ereignisses. Auch die von Neuser angeführten studentischen Ubergriffe gegen die Antonierboten lassen sich kaum als Initialzündung der Messreform verstehen, richteten sie sich doch gegen das Institut des Ablasses und betrafen die Messe nur sekundär. So kann m.E. kein Zweifel

c h e n nicht d e n R a t , u m die s c h w a c h e n B r ü d e r i m G l a u b e n nicht n o c h weiter zu verunsichern, die E h e aufzuschieben. V i e l m e h r freut er sich ü b e r die öffentliche W i r k u n g seiner T h e o l o g i e . Vgl. W A Br 2, 3 9 0 f u n d 404f. 116 Vgl. d e n B r i e f HELMANS an CAPITO, zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 16: „Ecce, D e u s suscitauit nobis alium p r o p h e t a m , M o n a c h u m e i u s d e m ordinis [...], qui adeo syncere. adeo candide E u a n g e l i u m predicat, ut ab o m n i b u s Alter M a r t i n u s N o m i n e t u r . " 117 Vgl. dazu d e n A b e n d m a h l s s e r m o n , w o L u t h e r die h e r k ö m m l i c h e Messtheologie kritisiert, weil sie sich auf das A n s c h a u e n des natürlichen K ö r p e r s k o n z e n t r i e r t habe u n d d e n E m p f a n g des Sakramentes gegen seine A n b e t u n g stellt. W A 2, 751, 1—10. 118 Abendmahlslehre, 119f. 119 A.a.O., 122. 120 A.a.O., 119: „ D e r a k u t e Anlaß für d e n A u s b r u c h des Messstreites ist aus d e n Q u e l l e n n i c h t sogleich ersichtlich. D i e Predigt des A u g u s t i n e r m ö n c h e s Gabriel Z w i l l i n g a m 6. O k t o b e r 1521 bildet keineswegs d e n A n f a n g . "

446

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

darüber bestehen, dass es die Oktoberpredigt Zwillings war, welche die Wittenberger Messdiskussion auslöste. 121 Ulrich BUBENHEIMER122 interpretiert die von ihm als „Erster Wittenberger Abendmahlsstreit" überschriebenen Geschehnisse unter der Voraussetzung, dass Zwillings Absage an eine Verehrung des Sakramentes durch die figürliche Abendmahlslehre des Cornelisz Hendrixz H O E N beeinflusst gewesen sei. 1 2 3 Dessen Abendmahlsbrief sei den Wittenberger Augustinern bekannt gewesen. Zwillings Ablehnung der Sakramentsverehrung begründe sich deshalb aus seiner Absage an die Realpräsenz, eine Anbetung des Sakramentes käme für ihn der Kreaturvergötterung gleich. Darin läge in der Tat ein gewichtiger Unterschied zu Luther. M e h rere Überlegungen führen Bubenheimer zu diesem Schluss: Einmal wendet sich KARLSTADT in seiner Anfang November verfassten Schrift ,Von beyden Gestalten der heyligen Messze' gegen eine figürliche Auslegung. B u benheimer sieht darin den Rekurs auf eine in Wittenberg vertretene Theologie, denn Karlstadt formuliert dort, man habe mit der Auslegung der Bibel genug Arbeit und es sei unnötig, sich „mit fremhden expositionen [zu] bekumern." 1 2 4 Dagegen ist einzuwenden, dass aus dem Karlstadtzitat nicht mehr hervorgeht als dessen Abweis einer figürlichen Auslegung überhaupt. Weder Gruppen noch Einzelne werden hier mit Namen genannt und auch das Adjektiv „frembd" muss im Sprachgebrauch der Zeit keineswegs geographisch aufgefasst werden. Vielmehr lässt es sich inhaltsbezogen als „sonderbar, entgegengesetzt" verstehen. Diese B e deutung fügt sich weitaus besser in den oben zitierten Satzteil. Karlstadt legt dann dar, dass bei der Auslegung des bloßen Bibeltextes noch so viel zu tun ist, dass die Beschäftigung mit einer nicht der Schrift selbst zu entnehmenden, sachfremden Lehre kostbare Zeit beanspruchte, die man besser auf die Auslegung der Bibel selbst verwendet. Auch der weitere Kontext des Satzes passt zu diesem Verständnis, weist Karlstadt doch mehrfach daraufhin, dass er sein Gewissen mit Zusätzen zur Schrift nicht belasten wolle, da es nicht erlaubt sei, etwas der Schrift zuzusetzen oder von ihr abzunehmen. Das zweite Argument Bubenheimers besteht in der Behauptung, Z W I L L I N G habe gelehrt, „daß man es bei Brot und Wein im strengen Sinn ,nur' mit Zeichen, nicht mit dem real gegenwärtigen Fleisch und Blut Christi zu tun habe." 1 2 5 Zwar gesteht er in Ermangelung expliziter Zeugnisse ein, dass Zwilling diesen Gedanken „mehr versteckt andeutete", doch aus den Quellen werde deutlich, dass in sei121

Indirekt stimmt NEUSER d e m auch zu, denn in seinem periodisierenden R ü c k b l i c k (a.a.O.,

181 f) k o m m t die O k t o b e r p r e d i g t Zwillings als erstes W i t t e n b e r g e r Ereignis nach d e m Augustb r i e f Luthers zu stehen. A u c h Luther weist in den Invocavitpredigten d a r a u f h i n , dass die ersten Feiern sub utraque in aller Stille stattfanden. N e u s e r glaubt darin einen I r r t u m Luthers zu erkennen. 122

Scandalum, 2 7 7 - 2 8 6 .

123

Scandalum, 2 7 8 : „ D i e Q u e l l e n zwingen unseres Erachtens zu d e m S c h l u ß , dass i m O k t o b e r

1 5 2 1 i m R a h m e n der ersten M a ß n a h m e n zur R e f o r m der Messe in W i t t e n b e r g auch ein solches [sc. figürliches] Abendmahlsverständnis plötzlich an die O b e r f l ä c h e drängte." Vgl. auch a.a.O., 282. 124

B l . d2v, zitiert nach B u b e n h e i m e r , a.a.O., 2 7 8 , A n m . 5 6 , H e r v o r h e b u n g U . B .

125

A.a.O., 279.

§7

Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

447

ner U m g e b u n g derartiges diskutiert wurde. D e m ist entgegenzuhalten, dass nach der Primärquelle, dem Bericht des ULSCENIUS, Zwilling sehr wohl von der Präsenz Christi in Fleisch und Blut predigte. 126 Zwar bezeichnete er die Anbetung als G ö t zendienst, doch liegt dies nicht in einer Leugnung der Realpräsenz begründet, sondern ergibt sich, wie oben ausgeführt, aus einer U m k e h r der Handlungsrichtung in der Messe, die auch Luther zur Kritik an der Sakramentsverehrung veranlasst hatte. 127 Z u d e m lässt sich die von Bubenheimer angeführte Aufhebung der Differenz zwischen den alttestamentlichen und den neutestamentlichen Zeichen nicht als eine Absage an die Realpräsenz verstehen, denn auch sie begegnete ja bereits bei Luther. Die von Bubenheimer zitierte 128 Passage aus Helmans Bericht zielt dann auch gar nicht auf eine Abwertung des neutestamentlichen Zeichens, sondern auf dessen Funktion, nicht Anbetungsobjekt, sondern Glaubensstärkung zu sein. Ein drittes Problem der These Bubenheimers besteht darin, dass keineswegs feststeht, ob H O E N S Abendmahlsbrief zu dieser Zeit in Wittenberg überhaupt bekannt war. Auch Bubenheimer muss hier zugeben, dass allein mit der Möglichkeit gerechnet werden kann. 1 2 9 Einen sicheren Beleg meint er mithilfe des bereits erwähnten 1 3 0 Briefes H E L T S an den Kurfürsten erbringen zu können. Darin verweist der Prior darauf, dass die Mehrzahl der missliebigen R e f o r m e r Niederländer seien. Diese Klosterbrüder, so folgert Bubenheimer, hätten die Wittenberger Augustiner mit der figürlichen Abendmahlsauffassung vertraut gemacht und die sakramentstheologische Grundlage für eine Ablehnung der Adoration gelegt. Dagegen ist zunächst der mindere Quellenwert des Briefes geltend zu machen. Schon bei der Frage, auf wessen Initiative die Messen eingestellt wurden, zeigte sich bereits, wie stark Helts Darstellung von seinen eigenen Interessen geleitet ist. Als Vorgesetzter, dem das R u d e r aus der Hand geglitten war, will er den Schaden für sich und seinen Orden begrenzen. In dieser Absicht versucht er sich nicht nur als den H e r r n der Lage zu präsentieren, sondern hebt auch mit taktischem Geschick hervor, wie gefährlich eine derartige Theologie für den politischen Frieden sei u n d weist auf die notwendige Abstimmung mit dem Kurfürsten in der Frage einer Messreform hin. U n t e r dieser Zielsetzung, sich den Kurfürsten günstig zu stimmen, ist auch seine sachlich kaum zutreffende Äußerung, die Mehrzahl der R e f o r m e r seien Niederländer, zu verstehen. 131 Eilfertig verweist er darauf, dass sie nicht in die Jurisdiktion des Kurfürsten fielen und bemüht sich, die Wittenberger Augustiner von den N i e derländern, die „hie nicht anders (zwen aus geschlossen) dan gest gehalten werden 126 „ I n C o e n a e n i m d o m i n i nec a C h r i s t o sua caro et sanguis, nec ab apostolis, d e n i q u e nec a posteris a d o r a t u m esse nec sacrificatum." Zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 15. n i Siehe dazu o b e n § 7 . 1 . 1 . 1 . 128 A.a.O., 279, A n m . 5 8 . 129 Vgl. zu dieser Frage H . A . OBERMAN, D i e „ E x t r a " - D i m e n s i o n in der T h e o l o g i e Calvins, in: Geist u n d G e s c h i c h t e der R e f o r m a t i o n : F G H a n n s R ü c k e r t , Berlin 1966, 336. 130 Siehe dazu o b e n § 7 . 1 . 1 . 2 . 131 W e n n , w i e aus allen einschlägigen Q u e l l e n u n d auch aus HELTS e i g e n e m Brief h e r v o r g e h t , der Großteil der Augustiner flir die R e f o r m eintrat u n d die M e h r h e i t der R e f o r m e r N i e d e r l ä n d e r waren, so hätte es in W i t t e n b e r g m e h r niederländische Gäste als H e i m a t m ö n c h e gegeben.

448

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

[...]", 1 3 2 zu distanzieren. Das wahre Motiv Helts, die R e f o r m als eine niederländische Invasion darzustellen, an der die einheimischen Augustiner schuldlos seien, offenbart sich dann auch in den Schlusssätzen seines Schreibens: „ E . C . G . wol es umb gottes willen weder den orden, noch das closter, hie czu W i t t e n b e r g gelegen. entgeltten lassenn." Deutlich wird damit, dass Helts Hinweis auf die Niederländer nicht für bare Münze zu nehmen, sondern als ein Manöver zu begreifen ist, das die beliebte 1 3 3 Strategie verfolgt, Fremden die Schuld zuzuschieben, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Zudem findet sich in der Stellungnahme H E I N R I C H VON Z U T P H E N S 1 3 4 kein Hinweis auf eine Leugnung der Realpräsenz. Dabei wäre doch zu allererst vom Kopf der niederländischen Fraktion zu erwarten, dass er die entscheidende sakramentstheologische Grundlage der Argumentation zumindest andeutungsweise behandelt. Auch ein Blick auf M E L A N C H T H O N kann keineswegs die Annahme Bubenheimers stützen, die Lehre von der Realpräsenz sei in jenen Tagen in Wittenberg nicht mehr selbstverständlich gewesen. 135 Denn dass der Magister noch in seiner Korintherbriefvorlesung die Realpräsenz deutlich akzentuiert, einen Monat später in den ,Propositiones' aber nicht erwähnt, kann gerade als Argument für die Selbstverständlichkeit der Realpräsenz herangezogen werden. 136 Als Verunsicherung Melanchthons in dieser Frage erscheint der Sachverhalt erst, wenn man die Problematisierung der Realpräsenz schon voraussetzt. So lässt sich eine figürliche Interpretation Zwillings aus den Quellen nicht nachweisen. Wäre es denn überhaupt denkbar, dass die Diskussion einer so weitreichenden Frage nur subtil und versteckt geführt worden wäre? Hätte die Leugnung der Realpräsenz nicht größeres Aufsehen erregt und hätte sie sich nicht viel deutlicher in den Quellen niedergeschlagen? So scheitert m . E . Bubenheimers Grundthese, Zwillings Ablehnung der Adoration setze eine figürliche Auslegung der Abendmahlsworte voraus. Wohl wird jede Leugnung der Realpräsenz zu einem Abweis der Sakramentsverehrung führen, da andernfalls die Differenz von Gott und Welt aufgehoben und die Kreatur vergottet würde. Aber der Umkehrschluss, aus der Kritik an der Adoration folge die Absage an die Realpräsenz, ist logisch unzulässig. Deshalb zeiht Bubenheimer NEUSER ZU

132

Zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 5 6 .

133

BUBENHEIMER, Luthers Stellung, 1 6 6 , bietet selbst zwei Analogien; einmal a u f die Universi-

tätsvertretung, die, vom Kurfürsten mit den Aufruhrbestrebungen ihrer Studenten konfrontiert, a u f den Hauptanteil Erfurter Studenten an den Geschehnissen verweist, zum anderen a u f den R a t , der nicht die ihm unterstellten Bürger, sondern die Studenten zu den Initiatoren der U n r u h e n macht. Vgl. dazu N . MÜLLER, a.a.O., Nr. 3 7 , 7 9 und Nr. 3 2 , 7 3 . 134

Vgl. dazu o b e n § 7 . 1 . 1 . 3 .

135

Das behauptet BUBENHEIMER, a.a.O., 2 8 4 .

136

Sie hängt zudem zusammen mit M e l a n c h t h o n s eigenständiger B e s t i m m u n g des Verhältnis-

ses von W o r t und Z e i c h e n , vgl. dazu W. NEUSER, a.a.O., 7 9 . In der Disputation am 17. 10. verteidigt MELANCHTHON überdies die Adoration mit dem A r g u m e n t der Realpräsenz: ,,is de A d o r a c i o ne sacramenti se c u m K a r o l o s t a d i o sentire adseruit, ydptü>XpiaxrömaxEraiv ubi vbi sit." Z i tiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 4 7 .

§7

Die Wittenberger

Ereignisse

in Luthers

Abwesenheit

449

Unrecht der Inkonsequenz, wenn dieser Zwilling als Gegner der Adoration, nicht aber der Realpräsenz charakterisiert.' 37

1.2

Die Messdisputation an der Universität

Der Vorstoß Zwillings hatte auch Auswirkungen auf die Universität. Das zeigt ein Blick auf die im Oktober veranstalteten Disputationen. Die hierfür bereitgestellten Thesen sind insofern für die Themenstellung bedeutsam, als sie nicht nur den Diskutanten halfen, ihre Positionen in der Messfrage zu profilieren und zu klären, 1 3 8 sondern auch in gedruckter Form veröffentlicht wurden und somit zur Verbreitung der neuen Theologie der Messe einen nicht geringen Beitrag leisteten. Insbesondere KARLSTADT entfaltete hier Wirkung, war er es doch, der die Thesen für die wichtigste der veranstalteten Disputationen formuliert hatte. 1 3 9

1.2.1

Karlstadts Thesen ,De Adoratione panis' und ,De celebratione Missarum'

1.2.1.1

Aufbau und Inhalt

Bereits im Mai hatte Karlstadt anlässlich der Promotion des Johannes CUELSAMER Thesen zur Messthematik aufgestellt. 140 Darin wendet er sich zunächst (Thesen 1—5) gegen die versöhnende und verdienstliche Wirkung von Gebeten, insbesondere gegen die Hören. 1 4 1 Der zweite Teil (9—12) thematisiert dann das Abendmahl. Hier betont Karlstadt den Gebrauch des Sakramentes in der Messe entgegen nachgottesdienstlichen Manipulationen (9), den Empfangscharakter des Mahles (10) und die Egalität von Priestern und Laien (11). Die pompöse Ausgestaltung der Messen möchte er abschaffen (12). Wenige Monate später nimmt er die hier nur angerissenen Themen dann in seine Thesen zur großen Messdiskussion 142 vom 17. Oktober auf. 137

G e g e n NEUSER, a.a.O., 1 2 2 , ist gleichwohl festzuhalten, dass Zwillings R e s e r v e gegen die

Adoration nicht neu ist, sondern sich a u f L u t h e r berufen kann. ,38

A u c h der Kurfürst drang j a mehrfach darauf, dass vor einer R e f o r m die Messproblematik

besser und gründlicher disputiert werde. Diese Forderung ist sicher nicht nur als taktisches M i t t e l zum Z e i t g e w i n n zu begreifen, sondern hat sachliche Gründe. 139

A m 14. O k t o b e r zur P r o m o t i o n T i l m a n n PLETTNERS und JONAS', am 17. O k t o b e r zur P r o -

m o t i o n GRÖPS und CRUSES. S c h o n am 19. 6. hatte KARLSTADT das Messthema anlässlich der P r o m o t i o n C h r i s t o p h HOFFMANNS behandelt. D a n e b e n gaben auch AMSDORFF (,Disputatio Circularis de Missa', vgl. W A 8 , 4 0 4 ) , MELANCHTHON (,Propositiones de Missa') und ein A n o n y m u s ( , D e scandalo et missa') Stellungnahmen zur Frage der M e s s r e f o r m ab. E i n e S a m m l u n g von W i t t e n b e r ger T h e s e n bietet T h . KOLDE, W i t t e n b e r g e r Disputationsthesen aus den J a h r e n 1516—1522, in: Z K G 1 1 / 3 (1890), 4 4 8 - 4 7 6 . 140

D i e z w ö l f T h e s e n sind abgedruckt bei KOLDE, a.a.O., 4 6 2 f . E r datiert sie a u f den 13. M a i .

141

„Errant n o n minus m o n a c h i et sacerdotes suarum h o r a r u m c a n o n i c a r u m m u r m u r e pro ac-

ceptis a deo beneficiis satisfieri arbitrantes." T h e s e 4, zitiert nach KOLDE, a.a.O., 4 6 3 . 142

Vgl. dazu: BAKGE, Karlstadt, 1, 3 1 6 - 3 2 4 ; derselbe, Frühprotestantisches G e m e i n d e c h r i s t e n -

t u m , 1 8 - 2 9 , M . v o n TILING, K a m p f ; W . K Ö H L E R , G G A 1 7 4 ( 1 9 1 2 ) , 5 0 5 - 5 5 0 ; W . N E U S E R , A b e n d m a h l s l e h r e , 1 1 4 — 2 1 3 , v . a . 1 3 2 - 1 3 9 ; R . J . S I D E R , K a r l s t a d t , 1 5 4 — 1 5 6 ; BUBENHEIMER, 2 8 5 f. 3 0 3 - 3 1 1 .

Scandalum,

450

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Zunächst gilt es zu bedenken, dass die von Karlstadt formulierten Sätze nicht ohne weiteres mit seiner eigenen Position zu identifizieren sind. 143 Nach dem Disputationsteilnehmer B U R E R nämlich suchte Karlstadt in der Disputation vor allem die Positionen der Anwesenden in der Messfrage zu erfahren. Es ist daher zu erwägen, ob seine Sätze nicht von vornherein als Provokation gedacht waren, wenn das auch im Einzelnen nicht festzustellen ist. Die insgesamt 138 Thesen 1 4 4 gliedern sich nach vier Themenbereichen: Depromissione etpraecepto Conclusio (I, 1—24), De Parte Christi (II, 2 5 - 4 2 ) , De Adoratione Panis (III, 43—58) und De Celebratione Missarum (IV, 5 9 - 1 3 8 ) . Der Verfasser fragt zunächst danach, wer die Verheißungen ererbe (1-10). Dies sind nicht schon deren Hörer, sondern diejenigen, welche der Verheißung auch Glauben schenken. Dann profiliert er den Unterschied zwischen schenkender Verheißung (promissio) und forderndem Gesetz (praeceptum), dem Schrecken und der Freude (11—24). Anhand einiger Schriftstellen 145 zeigt er den Zusammenhang zwischen Verheißung und Gesetz im Gotteshandeln. Gott gab seinen Sohn, damit die unter der Sünde verschlossenen Menschen nicht verdammt würden (23): „In summa, Promissio declarat promittentem id posse et uelle dare, quod promittens spondet. Deus unus iustificat." 146 Im zweiten Teil der Thesenreihe wird die Transsubstantiationsvorstellung als ein auf der aristotelischen Logik (31) fußender Traum bezeichnet (35). Unter Berufung auf die Einsetzungsworte („accipite panem") hebt Karlstadt den Verbleib des Brotes als solchen hervor (36). Die seit Zwillings Predigt so umstrittene Frage der Sakramentsanbetung thematisiert dann der dritte Thesenabschnitt. Hier wird die Adoration mit dem Argument der Realpräsenz verteidigt: Wenn Christus als Gott Anbetung gebührt, dann auch dem Brot, das Christus ist (44f). Brot und Wein nehmen daher gegenüber den alttestamentlichen Zeichen des Gesetzes eine Sonderstellung ein (49), denn sie sind aus sich heraus anbetungswürdig. Daraus ergibt sich freilich noch nicht die Legitimität der Elevation (50), denn das Brot ist nicht Opfergabe, sondern Speise, die Elevation stellt aber einen Opfergestus dar (51). Allen Zeichen eignet neben der Verheißung ein besonderes Handlungsmuster („forma", 56), das bei ihrem G e brauch zu beachten ist. Die Thesen über die Messfeier behandeln zuerst die konstituierenden Elemente des Sakramentes, nämlich Verheißung und Zeichen (59—63). Sowohl die Unver14;i Zwar sind wir über die Disputation nicht ausführlich unterrichtet, so dass Karlstadts Auftreten dort und der Gehalt seiner Thesen nicht gründlich verglichen werden können. Eine umstandslose Identifikation der Thesen mit Karlstadts Meinung, wie sie durchgehend bei K. MÜLLER begegnet, ist aus diesem Grunde allerdings auch nicht möglich. Vgl. zu BURERS Bericht N. MÜLLER, WA 8, 403. NEUSER, a.a.O., 138, Anm. 107, löst das Problem, indem er Burers Urteilsvermögen infrage stellt. Dagegen spricht die Spannung zwischen These 102 und Karlstadts Auftreten bei der Disputation. 1 4 4 Ich zitiere nach der von H. BARGE, Karlstadt, 1, 484—490, mitgeteilten Fassung. Von ihm stammt auch die Nummerierung der Thesen, auf die sich die Zahl in Klammern bezieht. 1 4 5 Nämlich Ez 36,27, Phil 2,13 (nicht 3), Jer 32,39, Joh 3,18, Joh 5,24 (nicht 6). 1 4 6 Zitiert nach BARGE, a.a.O., 485.

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

451

ständlichkeit der Einsetzungsworte als auch der Opfergestus der Elevation werden als Missstände diagnostiziert (61). D e r Autor fordert eine einvernehmliche und umgehende Abschaffung dieser Missbräuche ohne R ü c k s i c h t auf die skandalöse öffentliche Wirkung (62—63). Die Messe ist Gemeinschaftsmahl (64), wer allein kommuniziert, der sündigt, allerdings weniger als bei einer K o m m u n i o n unter nur einer Gestalt (65 f). D e m schließt sich eine ausfuhrliche Begründung des Laienkelches an. Dieser leitet sich aus den Einsetzungsworten her („bibite ex eo omnes"). Da den verba die communio sub una widerspricht, ist sie auch für den Empfänger Sünde (71), zumal das Blut konstitutiv zum neuen Testament gehört (72). Mit den zwei Z e i c h e n verbinden sich nämlich auch zwei Verheißungen (74—85): Das Brot ist Zeichen der Verheißung des Sieges über den Tod, der Auferstehung ( „ H o c est corpus m e u m , quod pro vobis traditur", 80). D e r Kelch hingegen trägt allein die Verheißung der Sündenvergebung (77). 1 4 7 Nicht im Laienkelch, sondern in dessen Verbot liegt daher ein Sakrileg (87). Folglich ist von der Teilnahme an der bisherigen Messfeier abzuraten (88), zumal die Verheißung auch ohne Zeichen (91), j a genau genommen vor dem Zeichen (93) im Herzen empfangen wird. 1 4 8 D e r Satz Christi, das Fleisch sei nichts nütze, gilt auch für das sichtbare Brot (95). So macht allein der Geist lebendig (96), äußere Materie ist für die Rechtfertigung unnötig (97). Es ist deshalb besser, das Sakrament nur geistlich zu n i e ß e n 1 4 9 und auf die Z e i chen zu verzichten (100), als es falsch zu gebrauchen. Dann wird die Problematik der Privatmessen nochmals aufgenommen (101—121). Im Unterschied zu ihrer Ablehnung in den Thesen 65 f werden sie hier legitimiert. Dazu dient die grundsätzliche Unterscheidung zwischen dem bloßen historischen Faktum (narratio historiae) und einer direkten Handlungsanweisung {gerendae constitutio, 102). Für den Laienkelch liegt das zweite vor, für die Gemeindemesse nur das erste. Daher ist es keineswegs sicher, dass Christus die Privatkommunion verbot (105). M a n fordert j a auch nicht eine Teilnehmerzahl von dreizehn Personen, wie dies b e i m ersten Mahl der Fall war 1 5 0 (106). Als Schriftgrundlage entschuldigt die Stelle J o h 6 die 1 4 7 Die dogmatische Tradition kennt eine anthropologische Deutung der Doppelgestalt des Mahles. So ordnet der Lombarde im vierten Buch, d.XI c.4 dem Brot den Leib und dem Wein die Seele des Menschen zu, vgl. G. KOCH, Sakramentenlehre 2, 59f. 1 4 8 Auch Luther lehrte, dass das Heil auch im Wort allein begegnet. Im Sakrament jedoch wird es nicht vor, sondern mit dem Zeichen zuteil. Damit wird in den Thesen die Relation von Wort und Zeichen in der Heilsvermittlung anders bestimmt als bei Luther. Für diesen band sich aus inkarnationstheologischen Motiven die Verheißung auch an das Zeichen. Hier jedoch werden die Elemente zum für die Heilsvermittlung verzichtbaren Begleitumstand reduziert. 1 4 9 KARLSTADT weist an dieser Stelle hin auf das verbreitete Logion „Crede et manducasti", das AUGUSTIN zugeschrieben wird. Vgl. dazu den ,Tractatus in euangelium Ioannis', 25, 12 (PL 35, 1602). 1 5 0 Das Referat N. MÜLLERS, WA 8,403 ist an dieser Stelle missverständlich. Er schreibt: „Auch die Privatmessen finden seine [sc. Karlstadts] Billigung, weil Christus dieselben nicht verboten habe und die Zahl der Communikanten das Wesen des Abendmahles in keiner Weise bedinge." Dies könnte man so verstehen, als wende sich Karlstadt nur gegen die spätmittelalterliche Auffassung, der Nutzen der Messe steige für den Einzelnen mit abnehmender Zahl der Mahlteilnehmer. Indes will Karlstadt mit dem Hinweis belegen, dass der Gemeinschaftscharakter der ersten Messe nicht zu ihrem Wesen (gerendae constitutio bzw. forma cognitionis), sondern zu den bloßen geschichtlichen Begleitumständen (narratio historiae) zähle und deshalb nicht zum Gesetz erhoben werden dürfe.

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Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Privatmesse. 151 Zwar bleibt die Gemeinschaftsmesse N o r m (111), doch sind diejenigen nicht zu verdammen, die alleine feiern (112). Wer die Einsetzungssituation zum Gesetz erhebt, der muss auch die Mahlteilnahme der Laien ablehnen, denn Christus lag j a nur mit den Bischöfen 1 5 2 („episcopi") zu Tische (113). Die prinzipielle Möglichkeit der Privatkommunion bedeutet fiir die Thesen allerdings nicht eine Zuwendbarkeit der Messe an Dritte. So nützt die bloße Anwesenheit bei einer Privatmesse den Dabeistehenden nichts (115), denn die Zeichen wollen verzehrt und nicht nur betrachtet (116f) sein. 1 5 3 Deshalb darf man auch nicht bei der (hier abermals thematisierten) Anbetung des Sakramentes stehen bleiben (122— 124). Diese ist zwar geboten (124), doch liegt die klare Anordnung Christi zum Verzehr vor (125). Daraus folgt freilich nicht ein Gegensatz zwischen Verzehr und Anbetung des Sakramentes (126). Ebenso wenig verfängt das Argument, Christus sei gekommen uns zu dienen und nicht um sich dienen zu lassen (128). Als Schriftbeleg dieser legitimen Verehrung Christi firmiert Jesu Salbung durch die Sünderin, die dieser ausdrücklich ein gutes Werk 1 5 4 nennt. So kann, obgleich Christus die Anbetung des Brotes nicht gebot, das Brot dennoch mit Ehrerbietung und Anbetung empfangen werden. Ungeachtet der Intentionen Karlstadts weisen die Thesen sowohl im Aufbau als auch in ihrer Argumentation Spannungen auf. Ein erster Hinweis liegt in der sprunghaft abgehandelten Zeichenthematik. Die Thesen 5 9 f stellen das Gotteshandeln in Verheißung und Zeichen heraus und indizieren Elevation sowie die unverständliche Rezitation der Einsetzungsworte als Missstände. Mit der Tradition wird den neutestamentlichen Zeichen Brot und Wein dabei eine Wirksamkeit aus sich heraus attestiert, welche die alttestamentlichen Zeichen nicht besessen hätten. 1 5 5 Das grundsätzliche Verhältnis zwischen Zeichen und Verheißung bestimmen aber erst die Thesen 91—97. Dort soll die soteriologische Irrelevanz des Zeichens die These unterstützen, eine Enthaltung vom sichtbaren Sakrament sei besser als durch den Missbrauch des Mahles Christus zu beleidigen (88). Zunächst

1 5 1 Das Argument besteht wohl darin, dass die Verheißung im Unterschied zu den synoptischen Einsetzungsworten dort nicht einer Gruppe gilt, sondern allgemein und ohne Numerusangabe formuliert ist („Qui edit hunc panem . . . " und gerade nicht „Nisi edideritis"). Damit schließt diese Formulierung eine Privatkommunion zumindest nicht aus. Luther hatte in ,De captivitate' bestritten, dass die Brotrede überhaupt auf das Sakrament zu beziehen sei. Er verstand J o h 6 als Hinweis auf das im Glauben wahrzunehmende Wort. Vgl. WA 6, 499, 2 2 - 5 0 0 , 18. 1 5 2 KARLSTADT interpretiert die Jünger also der Tradition gemäß als Repräsentanten der B i schöfe und nicht der Gläubigen überhaupt. Vgl. die gegenläufige Interpretation Luthers in ,De abroganda'! 1 3 3 Die These unterscheidet sich erst durch ihre Begründung von der traditionellen Argumentation. Denn auch in der herkömmlichen Messpraxis galt die Frucht einer Privatmesse j a dem bestellten Zweck und nicht den Umstehenden. Vgl. W. WERBECK, a.a.O., 1 6 3 - 1 8 4 und K. MÜLLER, a.a.O., 2. 1 5 4 M t 26,10. 1 5 5 Diese Wirksamkeit ist freilich christologisch begründet. Vgl. These 49, zitiert nach BARGE, a.a.O., 486: „Veteris legis signa, vt sie dicam, non sie erant vnita per se adorabili, sicut panis et poculum per se adorabili coniunguntur. Imo vnum efficiuntur cum eo, quod est proprie adorandum, qui est Christus dominus noster."

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

453

trennt der Verfasser Wort und Zeichen, indem er den Genuss der Verheißung im Herzen vor dem Empfang des Zeichens zur Bedingung rechten Sakramentsempfangs macht (93f). Dieser Trennung folgt dann (95—96) eine völlige Abwertung des Zeichens. Unter Berufung aufjoh 6,63 wird dem sichtbaren Brot jegliche soteriologische Bedeutung abgesprochen: Der Geist wirkt allein im Wort. Damit stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck des vormals als Anbetungsobjekt qualifizierten Zeichens überhaupt. Folgerichtig wird das Sakramentsgeschehen dann ganz als innerer Vorgang verstanden, der keiner Externität mehr bedarf. 156 Ein ähnlich spannungsreicher Befund ergibt sich bei der Behandlung der Communio-Dimension der Messe. Zunächst wird eine möglichst schnelle Einfuhrung der Gemeindemesse angemahnt. 157 Die Privatkommunion 158 erscheint als Sünde, 159 die freilich nicht so ins Gewicht fällt wie der Verzicht auf den von Christus gebotenen Laienkelch. KARLSTADT kommt es also vor allem auf den Laienkelch, nicht so sehr auf die Gemeindemesse an. 160 Die ganze nachfolgende Argumentation verfolgt dann auch das Ziel, die theologische Legitimität der Privatmesse zu erweisen, indem eine Ableitung der Gemeindemesse aus den Einsetzungsworten abgelehnt wird. Offen bleibt dabei, wie die Privatmesse überhaupt Sünde sein kann, wenn die Gemeindemesse nur zufälliger Begleitumstand und nicht konstituierendes Merkmal der Einsetzung Christi ist.

i.2.1.2

Das Verhältnis zu Luthers

Messtheologie

Der grundsätzliche Aufbau der Thesenreihe entspricht durchaus den Messschriften Luthers. Auch Luther hatte seine Messtheologie aus einer Verhältnisbestimmung von Zeichen und Verheißung entwickelt und schließlich der Praxis kritisch gegenübergestellt. Die Argumentationen selbst weisen aber doch markante Unterschiede auf.

156 „Porro qui sie commedit promissionem iste uere manducat, neque illi opus est qualibet re externa. Ergo citra panis et poculi sumptionem isutificatur." These 97, zitiert nach BARGE, a.a.O.,

489. 157 „Vellern quamque vt quam posset fieri celerius, nemo missam celebraret, nisi suae mensae socios compasceret." These 64, zitiert nach BARGE, a.a.O., 487. 158 Eine Privatmesse ist nicht per se identisch mit bloßer Priesterkommunion. Die missa privata impliziert nur, dass die in der Verfügungsgewalt der priesterlichen Intention stehende Messfrucht dem Stiftungszweck zugeführt wird. Deshalb kann es auch bei der Privatmesse theoretisch eine Kommunion der Gemeinde geben. Diese fand praktisch allerdings kaum statt, vgl. K. MÜLLER, a.a.O., 2f. 1 5 9 „Nimirum minus peccat, quia [dafür qui?] sie missas (vt dicitur) priuatim celebrat, quam is, qui vnam speciem aeeipit." These 66, zitiert nach BARGE, a.a.O., 487, Hervorhebung W.S. 160 Damit wiederholt er seine Position vom 19.7. 1521. W. NEUSER, a.a.O., 137, meint, KARLSTADT führe hier bewusst die Auseinandersetzung mit Luther. Die Kenntnis dessen Briefes an MELANCHTHON, in welchem er die Thesen Karlstadts ablehnt, ist indes für Karlstadt nicht nachzuweisen.

454

Dritter Teil: Die Rezeption

1.2.1.2.1

und Luthers

Reaktion

Luthers Brief vom 1. August

Die messtheologische Differenz zwischen Luther und Karlstadt trat bereits 161 in einem B r i e f hervor, den Luther am 1. August an Melanchthon schrieb. 162 Karlstadt hatte in seinen Abendmahlsthesen, 163 von denen Luther hier bereits Kenntnis besaß, behauptet: Wer allein das Brot genießt, der sündigt. 164 Das scheint zunächst ganz auf der Linie Luthers zu liegen. Denn dieser hatte j a den Kelchentzug mit starken Worten gegeißelt und sein Verbot als Sünde gebrandmarkt. 165 Auf den zweiten Blick aber sieht man, dass eben in der Frage, ob die Communio sub una Sünde sei, ein tiefgreifender Unterschied zwischen Karlstadt und Luther zu Tage tritt. Nach KARLSTADTS Argumentation ist der Laienkelch Konstitut der Einsetzung, der Verzicht darauf eine Handlung gegen das Gebot der Schrift, mithin Sünde. Sünde versteht sich damit als Verstoß gegen eine in der Schrift gebotene Ordnung. Dieser strukturell akzentuierte Sündenbegriff besitzt zwar eine hohe Sensibilität für die politische Dimension der Sünde, kann aber nicht in gleichem Maße das personale Moment festhalten. Wenn allein der Vollzug der vorfindlichen Feier schon Sünde ist, dann spielen die Begleitumstände, insbesondere Gewissen und Haltung der einzelnen Gemeindeglieder keine Rolle. 1 6 6 Eben darauf aber liegt bei Luther der Akzent. Er begründet die Messsünde nicht allein formal. Zwar widerspricht die Abendmahlsfeier in einer Gestalt der Einsetzung Christi, zwar liegt im Vorenthalt des Laienkelches die „erste Gefangenschaft" des Sakramentes, zwar ist die Messe als Opfer an Gott nichts anderes als Abgötterei, doch gilt es zu unterscheiden zwischen Opfern und Verantwortlichen dieses Miss-

161 Diese Tatsache spricht m . E . gegen die Erklärung PREUS', Luther habe Karlstadts Messreform abgelehnt, weil er seine eigene Leitungsposition durch sie gefährdet sah. D e n n Luther w e n det sich nicht erst gegen KARLSTADT, als dieser ihm seine Führungsrolle streitig macht. Z u m Z e i t punkt der Abfassung des Augustbriefes war j a noch gar nicht erkennbar, dass Karlstadt zum Haupt der Messreform avancieren würde. Vielmehr argumentiert er noch in seiner Messdisputation für eine Aufschiebung von R e f o r m e n . Folglich begründet sich Luthers Kritik ursprünglich theologisch, wollte er doch die durch die Wiederentdeckung des Evangeliums gewonnene Freiheit nicht an neue Z w ä n g e verlieren. E b e n dies tut nach Luthers M e i n u n g aber Karlstadt, der aus der Schrift ein Gesetz macht. 162 163

W A B r 2, 3 7 0 - 3 7 3 , Nr. 4 2 4 . Vgl. dazu H . BORNKAMM, Martin Luther, 3 3 . D i e Thesen datieren vom 20. 6. und vom 19. 7., vgl. BARGE 1, 2 6 5 und 2 9 0 .

1 6 4 „ Q u i solo pane vescitur, mea sententia p e c c a t . " These 9 der zweiten R e i h e , zitiert nach W A B r 2, 3 7 0 . Dies entspricht der Nr. 71 der Oktoberthesen. 1 6 5 W A 6, 5 0 7 , lOf. 1 6 6 BUBENHEIMER, Scandalum, 2 8 7 , weist daraufhin, dass dieses Interesse an einer objektivstrukturellen Bestimmung der Sünde ganz vom Tatbestand her ein Erbe des kanonistischen H i n tergrundes des Doktors beider R e c h t e sei. Messtheologisch von Belang ist dabei, dass Karlstadt die traditionelle Differenzierung zwischen alttestamentlichen und neutestamentlichen Z e i c h e n b e i behält und die Ex-opere-operato-Vorstellung in seinen T h e s e n nicht angreift. Seine Herleitung der Sünde als einer Verletzung des „göttlichen R e c h t s " lässt sich dann als hamartiologische Wendung des Ex-opere-operato-Gedankens lesen. Anders als bei Luther kann der Glaube des Einzelnen die göttlichen Rechtssetzungen nicht übergreifen. Aus dieser Differenz in der Bestimmung von G e setz und Evangelium ergibt sich dann das U n v e r m ö g e n , Luthers solafide konsequent durchzuhal-

ten. Ein Wiedereinzug der Werke in die Rechtfertigung ist dessen Folge.

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers Abwesenheit

455

standes. Diese Differenzierung k o m m t schon in ,De captivitate babylonica' klar heraus: N i c h t dass d i e j e n i g e n g e g e n C h r i s t u s s ü n d i g t e n , die n u r e i n e Gestalt g e b r a u c h e n , d e n n C h r i s t u s hat n i c h t g e b o t e n , i r g e n d e i n e Gestalt zu g e b r a u c h e n . V i e l m e h r ü b e r l i e ß er es d e m E r m e s s e n eines j e d e n E i n z e l n e n , i n d e m er sprach: ,Solches tut, so o f t ihr dies t u t , zu m e i n e m G e d ä c h t n i s . ' [...] A b e r dass d i e j e n i g e n s ü n d i g e n , die v e r b i e t e n , d e n e n zweierlei Gestalt zu g e b e n , die es n a c h i h r e m E r m e s s e n so g e b r a u c h e n w o l l e n . Es ist n i c h t die S c h u l d d e r Laien, s o n d e r n die d e r Priester. 1 6 7

Luther bestimmt Sünde also i m m e r auch personal, folglich wird nicht schon der formale Vollzug, sondern das jeweilige schriftgebundene Gewissen zu einem K r i t e r i u m f ü r die Sünde. 1 6 8 Diese Differenzierung, die nicht nur den bloßen Sachverhalt, sondern auch die R e f l e x i o n der handelnden Person mit einbezieht, erlaubt es Luther, bei aller Hartnäckigkeit in der Sache auf die Belastung der Einzelnen R ü c k s i c h t zu n e h m e n . A u c h beim U m g a n g mit der Schrift unterscheidet Luther genauer. Christus habe die communio suh utraque nicht ausdrücklich als (heils)notwendig bezeichnet u n d die communio sub una nicht als Sünde definiert. 1 6 9 167 WA 6, 507, 7 - 1 1 . Vgl. auch den entsprechenden Passus in der Adelsschrift, dort auf die böhmische Situation bezogen: „Ich wil auch nit radtenn, das m a n sie [sc. die B ö h m e n ] zwing, beyder gestalt des sacraments abtzuthun, die weyl dasselb nit unchristlich noch ketzerisch ist, szondern sie lassen bleyben, w o sie wollen, in derselben weysze, doch das der new bischoffdrob sey, das nit uneynickeit u m b solcher weysze sich erhebe, sondern sie gutlich unterweisz, das keinis nit y r t u m b sey [...]." WA 6, 456, 16-20. 168 M a n denke nur an das vielzitierte Schlusswort vor den Reichsständen in Worms. Dieselbe Differenz zu KARLSTADT findet sich bereits in der Diskussion u m die Mönchsgelübde. Damals forderte Karlstadt unter B e r u f u n g auf 1 T i m 5, 9.11, alle Priester müssten verheiratet sein. Diese W a h r n e h m u n g der Ehe als funktionales Äquivalent des Zölibats geht damit nur inhaltlich über die vorfindlichen Zustände hinaus. Strukturell kopiert sie dieselben gesetzlichen Anforderungen an das Amt u n d vermag die von Luther kritisierte Konstruktion gerade nicht zu überwinden. So fallen schärfste inhaltliche Kritik u n d strukturelle Kontinuität zusammen, weil nur die Inhalte (Ehe statt Ehelosigkeit) ausgewechselt, nicht aber die Struktur (Freiheit statt Zwang) verändert wird. Luthers Beharren auf den personalen K o m p o n e n t e n Glaube u n d Gewissen ermöglicht es seiner Sündenlehre hingegen, alte Z w ä n g e nicht durch neue zu ersetzen, sondern vielmehr den Z w a n g selbst aufzuheben. Zweitens verschärft Karlstadts Ausrichtung des Glaubens auf Struktur und G e setz zwar zunächst die W a h r n e h m u n g der Differenz zwischen Wirklichkeit u n d Wahrheit. Eine nachhaltige Kritik verhindert sie aber gerade durch den übergroßen, totalitär gewordenen R e formdruck, denn bei der praktischen U m s e t z u n g gefährden unvermeidliche Sachzwänge durch ihre Qualifikation als Sünde sofort das Heil. Bei einer Verzögerung oder praktischen U n d u r c h führbarkeit der R e f o r m bleibt dann nur noch die theologische Rechtfertigung des Istzustands, will man das Heil nicht verlieren. Luther kann seine theologische Kritik an der Wirklichkeit h i n gegen als Folge u n d nicht als Bedingung des Heils formulieren. Diese Voraussetzung verleiht ihr eine soteriologische Gelassenheit u n d ermöglicht eine Konzentration auf die Sache selbst. Karlstadts J u n k t i m von R e f o r m u n d Heil aber tendiert dazu, die Wirklichkeit theologisch zu überformen, u m des Heils nicht verlustig zu gehen. Die im Ergebnis konservative theologische R e c h t f e r t i gung der Privatmesse lässt sich also als Konsequenz einer Ubertribunalisierung der Messreform verstehen. Insofern ist Luthers auf den ersten Blick die vorfindlichen Zustände perpetuierende Position die kritischere. Dieses kritische M o m e n t gehört m . E . zu den elementaren Implikationen seiner Theologie u n d wird von ihm auch nach 1520 durchgehalten. Gegen J. M. STAYER, T h e R a dical R e f o r m a t i o n , in: H E u H 2, 252 u.ö. 169 „ C u m ergo n o n exigat necessario, et hic urgeat tyrannus, n o n video, q u o m o d o peccent

456

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Die Einebnung dieser Unterscheidung Luthers und die Qualifikation auch des Gebrauchs der einen Gestalt als Sünde hatten damit Folgen fiir die theologische Bewertung einer praktischen Messreform. Luther wendet sich theologisch eindeutig gegen die vorfmdliche Messe und behauptet die Notwendigkeit einer R e f o r m . Diese Unumgänglichkeit der R e f o r m wird bei Karlstadt aber zu einem R e f o r m druck, weil der gegenwärtige Zustand auch für die Messbesucher als Sünde qualifiziert wird. Dahinter steht letztlich eine divergente Bestimmung von Gesetz und Evangelium. Bei Luther hat der Freispruch des Evangeliums nicht nur den menschlich, sondern auch den göttlich gesetzten Strukturen und Ordnungen gegenüber das letzte Wort. W i e seine Messschriften zeigen, bedeutet dies alles andere als ein Desinteresse an praktischen Missständen. Aber die Einhaltung auch des göttlichen Rechtes ist ein Werk, das nicht selig machen kann. Deshalb kann Luther differenzieren zwischen dem Glauben (personales Moment) und dem göttlichen Gesetz in der Schrift (strukturelles Moment). Für die Messreform bedeutet dies die R ü c k sicht auf den Einzelnen (Dimension des Glaubens) bei aller Kritik an den äußeren Strukturen (Dimension des Gesetzes). Die Personalität des Glaubens ist dabei nicht als bloße Subjektivität misszuverstehen. Vielmehr beinhaltet sie die Dimension der Sozialität (diese stellte der Abendmahlssermon gegen den Heilsegoismus heraus) und der Individualität (diese sichert gegen einen Ubergriff der Struktur). Hinter KARLSTADTS Beharren auf der strukturellen Sünde und damit dem Gesetz steht sein Konzept eines ius biblicum. Mit Luther wendet er sich zwar gegen die traditionelle Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie, 1 7 0 er setzt aber, anders als dieser, die Jurisprudenz an die Stelle der Philosophie. 171 In einem zweiten Schritt wird das kanonische R e c h t dann durch das biblische R e c h t abgelöst, das Paradigma „göttliches R e c h t " bleibt somit durchgängig erhalten. 1 7 2 Durch ihre neue Funktion, das kanonische R e c h t zu ersetzen, werden die biblischen Aussagen fast zwangsläufig formalisiert und routinisiert, da sie nicht mehr nur als Basis der Rechtsnormen und -kategorien dienen, sondern selbst als Rechtskategorien herangezogen werden, ja sogar das prozessrechtliche Vorgehen selbst bestimmen sol-

unam accipientes. Quis enim per vim auferat invito tyranno? Itaque adhuc nihil urget, nisi ratio, quae dictat, institutum Christi non teneri; sed Scriptura nihil definit, sine qua peccatum pronuntiare non possumus. Institutum Christi est, sed liberum permissum, nec incarcerari in totum aut in partem potest [...]. In summa, quia Scriptura non urget, hic peccatum esse, peccatum non assero." W A Br 2, 372, 5 9 - 6 8 . 17(1 Vgl. BUBENHEIMER, Consonantia, 226f. 1 7 1 „Ein Vergleich des Inhalts der beiden Thesenreihen [sc. vom Mai 1518] zeigt, dass Karlstadt 1518 genau an die Stelle, die der Philosophie im scholastisch-theologischen Wissenschaftssystem zukam, die Jurisprudenz gesetzt hat." BUBENHEIMER, Consonantia, 227. 1 7 2 BUBENHEIMER, a.a.O., 234: „Zwar signalisiert der Begriff des ,ius biblicum' den Schlußstrich unter Karlstadts scholastisch-juristische Vergangenheit; nichtsdestoweniger zeigt sein G e brauch, dass Karlstadts Denken auch weiterhin stark juristisch' strukturiert bleibt, wenngleich es sich auf einer anderen Rechtsebene, nämlich der des göttlichen Rechts, vollzieht." Die Konzentration auf die Tathaftung gehörte zum juristischen Erbe des Frühmittelalters, vgl. A. ANGENENDT, Geschichte, 618f.

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

457

len. 173 Da das R e c h t eine objektive, nicht aber personale Größe ist, geht mit der Verrechtlichung der Schrift zugleich eine Gewichtsverlagerung im Gegenüber von Glaube und Schrift einher, insofern die Schrift als Rechtsquelle nun die Schrift als Trost für den Einzelnen verdrängt. Mit dieser neuen Rechtsgrundlage verbindet sich zudem eine Neubestimmung des Priesteramtes, dem nun richterliche Kompetenzen zuwachsen. Verbindet sich diese Bestimmung mit Karlstadts Akzent auf der Struktur statt auf der Person, so muss dies Luthers komplizierte Verhältnisbestimmung von allgemeinem Priestertum und Amt auflösen. Dann hebt das allgemeine Priestertum, das nun vor allem als äußere Struktur wahrgenommen wird, das Amt des Einzelnen in sich auf. 174 Es liegt auf der Hand, dass die Generalisierung dieses Priesterkonzeptes im Schlagwort des „Allgemeinen Priestertums" ohne das Gegenüber des Amtes dann politisch weitreichende Konsequenzen zeitigt. Für Karlstadt konkretisiert sich das Evangelium gerade in den göttlichen G e boten, eine Gegenüberstellung beider wird unmöglich. Dieser Differenzierungsverlust resultiert dann einmal in einer gewaltigen Politisierung des Glaubens, zum anderen geht dabei die kritische Instanz des Individuums als Maßstab und Korrektiv der äußeren Struktur verloren. So fuhrt ein unterschiedliches Schrift- und Sündenverständnis zu divergenten Positionen in der Frage der Messreform. 1 7 5 Doch nicht nur bei der Interpretation von Schrift und Sünde unterscheiden sich beide, sondern auch in der Christologie. Das zeigt die unterschiedlichen Begründung der Transsubstantiationskritik. Bei Luther begründete sich sowohl die Kritik an der Transsubstantiationslehre als auch die Bedeutung des Zeichens im Sakrament inkarnationstheologisch. Die Oktoberthesen hingegen argumentieren prinzipiell: der Verbleib das Brotes sei innerhalb der Transsubstantiationsvorstellung nicht zu erklären. 176 Hier führt KARLSTADT einmal den Wortlaut der Einsetzungsworte („accipite panem") an, das andere Mal verweist er auf die Pneumatologie (der Geist verbindet sich mit dem Wort). Mit dem Zeichen als Träger der Verheißung geht dann auch die Einsicht, dass Gott gerade inmitten elementarer, nicht erst zu wandelnder Lebensvollzüge begegnen will, verloren. In diesen Zusammenhang gehört auch das Verhältnis von Christus und Schrift. Bereits in der Psalmenvorlesung 177 war für Luther das Christusgeschehen zum Schlüssel des Alten Testaments geworden. Für die Messe bedeutete dies eine Aufhebung des Unterschiedes zwischen alttestamentlichen und neutestamentlichen Zeichen, denn bereits im alten Testament fand Luther Christuspredigt. Diese christologische Lesart der Schrift band die Gültigkeit alttestamentlicher Aussagen an ihre Vereinbarkeit mit dem Christuszeugnis, besaß also ein systematisches Kritik173

174

BUBENHEIMER, a . a . O . , 2 3 5 .

Es ist deshalb n u r folgerichtig, w e n n Karlstadt in seiner Weihnachtsmesse auf das liturgische G e w a n d , welches ihn von den Mitchristen unterscheidet, verzichtet. 175 Vgl. BUBENHEIMER, a.a.O., 244, zu Karlstadts Messtheologie: „Dass diese H a l t u n g [sc. der juristische Biblizismus'] v o n D e n k s t r u k t u r e n der juristo-theologischen Vergangenheit Karlstadts mitgeprägt ist, kann m a n v e r m u t e n . " 176 D e m Verbleib des Brotes galt ja auch das H a u p t a u g e n m e r k der spätmittelalterlichen A b e n d mahlstheologie, vgl. ISERLOH, Art. .Abendmahl', 99. 177 Siehe dazu o b e n § 3 . 2 .

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Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

Potenzial g e g e n ü b e r einer biblizistischen H e r m e n e u t i k . KAJRLSTADT h i n g e g e n vertrat m i t der Tradition die ontologische U n t e r s c h e i d u n g zwischen alttestamentlic h e n u n d n e u t e s t a m e n t l i c h e n Z e i c h e n . D a m i t löste er nicht n u r d e n Z u s a m m e n h a n g zwischen A l t e m u n d N e u e m Testament, s o n d e r n gestand d e m Alten Testam e n t auch eine jenseits des N e u e n gültige N o r m a t i v i t ä t f ü r den C h r i s t e n zu. 1 7 8 D a m i t stand Karlstadts H e r m e n e u t i k zwischen L u t h e r u n d der Tradition. M i t L u t h e r u n d gegen die Tradition las er die Schrift allein nach i h r e m literalen Sinn, b o t einer biblizistischen H e r m e n e u t i k aber anders als j e n e r eine offene Flanke dar, weil eine systematische Synthese, w i e sie die Tradition in Gestalt des Modells v o m vierf a c h e n Schriftsinn o d e r L u t h e r m i t seinem Prinzip „was C h r i s t u m treibet" ausfiel.179 So w u r d e der literale Sinn der Schrift zur h e r m e n e u t i s c h e n Leitperspektive. L u t h e r w i e Karlstadt vertreten also das sola scriptum. Dessen Verhältnis z u m solus Christus aber b e s t i m m e n sie unterschiedlich. A u c h die Elevation b e w e r t e n beide divergent. Bei KARLSTADT k o m m t sie n u r als Opfergestus in d e n Blick, L u t h e r h i n g e g e n hatte sie als Zeigegestus des g e g e n w ä r tigen Leibes Christi verstanden. L u t h e r w a n d t e sich in scharfem T o n gegen eine V e r e h r u n g des Sakraments. 1 8 0 Einmal, weil er darin eine u n a n g e m e s s e n e A k z e n t u i e r u n g des Z e i c h e n s g e g e n ü b e r d e m Verheißungswort sah, z u m a n d e r e n aber, weil so die H a n d l u n g s r i c h t u n g der Messe in ihr Gegenteil verkehrt werde. W e n n die Messe als Testament Christi vor allem die V e r h e i ß u n g Gottes an uns ist, d a n n e n t spricht ihr aufseiten des M e n s c h e n allein der E m p f a n g i m G l a u b e n . Alles G e w i c h t liegt auf d e m H a n d e l n Gottes an uns, das menschliche H a n d e l n g e g e n ü b e r G o t t k a n n allein Folge, nicht aber H a u p t m e r k m a l der Sakramentshandlung sein. So leugnet L u t h e r keineswegs die Realpräsenz Christi i m Sakrament, d o c h b e s t i m m t sich diese f ü r i h n stets als praesentia pro nobis. Christus w i r d nicht erst g e g e n w ä r t i g u n d ist d a n n f ü r uns da, s o n d e r n er w i r d allein i m M o d u s des g l a u b e n d e n E m p f a n gens f ü r uns gegenwärtig. E i n e A n b e t u n g der Hostie h i n g e g e n m a c h t d e n g e g e n wärtigen Christus z u m verehrbaren O b j e k t , i n d e m sie den W a h r n e h m u n g s m o d u s der Realpräsenz nicht ausschließlich rezeptiv, s o n d e r n auch adorativ b e s t i m m t . D a m i t n i m m t sie das f r o m m e H a n d e l n des M e n s c h e n in den G e b r a u c h des Sakram e n t s m i t h i n e i n u n d versteht es gerade nicht als n a c h g e o r d n e t e A n t w o r t auf das Sakrament.

178

Vgl. dazu SIDER, a.a.O., 1 0 8 - 1 1 2 . 1 4 6 . Allerdings lässt KARLSTADT die allegorische A u s l e g u n g d a n n zu, w e n n ein literales Verständnis keinen Sinn ergibt. Vgl. SIDER, a.a.O., 106, A n m . 15. 180 Vgl. in ,De captivitate' W A 6, 516, 19—23: „Sic e n i m insanimus et verba consecrationis (ut vocant) nobis sacerdotibus solis arrogamus occulte dicenda, sie tarnen, ut n e nobis q u i d e m prosint, c u m nec ipsi ea ut promissiones seu t e s t a m e n t u m habeamus ad f i d e m n u t r i e n d a m . sed nescio, qua superstitione et impia o p i n i o n e ea reveremur potius q u a m eis c r e d i m u s . " Als f r ü h e r e r Text vgl. W A 2 , 7 5 1 , 1 - 1 0 ( , S e r m o n von d e m H o c h w ü r d i g e n Sacrament') u n d W A 2, 750, 2 7 - 7 5 1 , 17 (Testamentssermon). K . MÜLLER, a.a.O., 9, ist also n i c h t R e c h t zu geben, w e n n er b e h a u p t e t , die Verteidiger einer S a k r a m e n t s a n b e t u n g hielten sich auf der Linie Luthers. 179

§7

1.2.1.2.2

Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

459

Die Thesen als Kontrapunkt zu Luthers Messtheologie

Diese tiefgreifende, schon seit den Sommermonaten sich ausbildende Differenz zwischen Karlstadts und Luthers Messtheologie, spiegelt sich nun in verschärfter Form in den Oktoberthesen wider: Der Laienkelch sei nicht nur geboten, weil die Kirche unter dem Gebot Christi in der Schrift stehe, sondern er gehöre konstitutiv zum Mahl hinzu. Wer nicht unter beiden Gestalten kommunizieren könne, der solle besser ganz darauf verzichten. 181 D e n beiden Zeichen werden nun auch zwei Verheißungen zugeordnet, so dass die communio sub una gar keine Vergebung mehr gewähren kann, da die Sündenvergebung allein mit der Kelchgabe verbunden ist. Die Austeilung in einer Gestalt wird so zum Sakrileg. Damit begründen die T h e sen den Laienkelch im Unterschied zu Luther nicht ekklesiologisch, sondern sakramentstheologisch. D o c h auch die schon in Luthers Brief vom 1. August kenntlich gewordene hamartiologische Differenz kommt hier erneut zum Austrag. Karlstadt hatte ein objektives Interesse an der Observanz einer biblisch gebotenen Struktur und betonte deshalb die Tathaftung. Luther nannte demgegenüber das (allerdings schriftgebundene) Gewissen des Einzelnen als Kriterium für die Sünde. Dieser Unterschied hat nun Folgen für die Beurteilung der vorfindlichen Messe unter hamartiologischer Fragestellung. Für Karlstadt war der Tatbestand der Sünde schon durch die nicht einsetzungsgemäße Feier der Messe gegeben. Daraus entstand ein gewaltiger R e f o r m d r u c k , da die Einhaltung der schriftgemäßen O r d nung nun Heilsrelevanz besaß. Als praktische Lösung schied deshalb eine vorsichtigere Reformhaltung, die Rücksicht auf das einzelne Gewissen nehmen konnte, aus. Sollte sowohl der strukturell ausgerichteten Hamartiologie als auch der Situation, die eine sofortige R e f o r m nicht zuließ, R e c h n u n g getragen werden, so blieb als einziger Ausweg die theologische Rehabilitation einzelner Messmissstände. 182 Das gelang KABLSTADT in der Frage der Privatmesse. Die Thesen bestreiten hier einmal, dass die Gemeinschaftsmesse durch den Einsetzungsbericht geboten sei, so dass die Privatmesse nicht als Sünde erscheinen muss. 183 Z u m anderen lässt sich die Privatmesse als nichtöffentliche Gemeinschaftsmesse interpretieren, wenn die Teilnehmer nicht nur der Wandlung beiwohnen, sondern an der Austeilung partizipieren. Dieser Weg der theologischen Rehabilitation scheitert indes beim Laien181

T h e s e 71. D i e objektiv-strukturelle B e s t i m m u n g der Sünde besitzt dabei eine Affinität zur Q u a n t i f i kation, die sich in der U n t e r s c h e i d u n g verschieden schwerer S ü n d e n niederschlägt (vgl. These 66, zitiert in A n m . 159). D i e mit Luthers personaler S ü n d e n b e s t i m m u n g mitgesetzte Figur k o m m u n i zierender Totalperspektiven (simul iustus et peccator) kennt hingegen n u r das Sündersein des ganzen M e n s c h e n , die Struktur erscheint hier weniger als b e s t i m m e n d e r Gradmesser d e n n als K o n k r e t i o n einer grundsätzlich stets v o r h a n d e n e n Sünde. M i t innerer Folgerichtigkeit löst sich in einer q u a n tifizierenden Sündenvorstellung d a n n das J u n k t i m von S ü n d e n v e r g e b u n g u n d e w i g e m Leben. D i e eschatologische D i m e n s i o n der R e c h t f e r t i g u n g geht verloren. KAELSTADTS Aufteilung der Verheiß u n g auf Brot (Sieg ü b e r den Tod) u n d Wein (Sündenvergebung) bietet dieser Gefahr zumindest eine offene Flanke, d e n n w i e soll die Identität von S ü n d e n v e r g e b u n g u n d e w i g e m Leben n o c h z u m Ausdruck gebracht werden, w e n n beide zwei verschiedenen Z e i c h e n z u z u o r d n e n sind? 183 Diese B e v o r z u g u n g des Laienkelches g e g e n ü b e r d e m G e m e i n s c h a f t s m o m e n t der Messe zeigte sich ja bereits b e i m Verhör der Augustiner. 182

460

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

kelch. H i e r fuhren Karlstadts Hamartiologie u n d sein Schriftverständnis zur B e h a u p t u n g der Heilsnotwendigkeit einer Messreform, w o d u r c h ein aktivistischer Z u g in die Messtheologie hineingerät. Luther hingegen kann unterscheiden zwischen der Person u n d der r e f o r m b e dürftigen Struktur. Dass diese U n t e r s c h e i d u n g nicht als Privatisierung der Ethik u n d als Desinteresse an einer strukturellen Sünde missverstanden werden darf, zeigt die H e r l e i t u n g des Messboykotts aus eben dieser Personsünde. D i e Messfeier wird nämlich dort zur Sünde, w o sie ihrer personalen K o m p o n e n t e beraubt wird. E b e n dies geschieht dann, w e n n den M ö n c h e n die tägliche Zelebration zur Pflicht gemacht wird. D a n n kann das von Luther gegenüber der h e r k ö m m l i c h e n Messvorbereitung so häufig h e r v o r g e h o b e n e einzige M o t i v der Messfeier, nämlich eine „ h u n g r i g e Seele", nicht m e h r gelten. Die Messe wird gefeiert, weil sie gefeiert werden muss u n d geht ihres Pro-me-Charakters verlustig. Sie wird objektiviert u n d z u m Gesetz. 1 8 4 Genau diese Verwechslung von Evangelium u n d Gesetz ist aber Kennzeichen der Sünde. So ist nicht so sehr umstritten, ob die gegenwärtige Messfeier Sünde sei, sondern vielmehr, aus w e l c h e m G r u n d sie Sünde sei. D a m i t ist die Differenz zwischen Luther u n d Karlstadt lesbar als eine unterschiedliche Verhältnisbestimmung von Person u n d Struktur. 1 8 5 A m deutlichsten tritt die Differenz Karlstadts zu Luther in der Beurteilung der Privatmesse zu Tage. Luther hatte hier schärfste Kritik geübt, die Thesen hingegen suchen sie zu legitimieren. Ihr M o t i v ist indes umstritten. K. MÜLLER186 meint, es handle sich hier u m Privatmessen evangelisch gesinnter Priester, die im R a h m e n dieser Messform auch den Laienkelch gewährten. D a m i t w ü r d e paradoxerweise der Fortbestand der Privatmesse die Möglichkeit eines einsetzungsgemäßen Sakramentsempfangs auch o h n e eine öffentliche u n d allgemeine Messreform garantieren. Genau dies sei auch die Intention Karlstadts gewesen. Dagegen ist aber einzuw e n d e n , dass der Fortbestand der Privatmesse als Voraussetzung des Laienkelches überhaupt nicht thematisiert wird u n d von einer mitfeiernden G e m e i n d e nirgends die R e d e ist. D i e Thesen legitimieren die Privatmesse dann auch nicht nur praktisch, sondern gerade theologisch. 1 8 7 Sie behaupten nicht nur die vorübergehende Geltung dieser Messform als geringeres Übel, sondern sprechen ihnen eine theologische Daseinsberechtigung zu. Insofern ist der Interpretation BARGES188 dahinge-

184 Diese B e s t i m m u n g der Messe als S ü n d e hält L u t h e r auch in d e n Invocavitpredigten d u r c h . Vgl. LStA 2, 536, 8f. 185 £ s e r s c h e i n t m i r deshalb n i c h t sinnvoll, die Einheit zwischen L u t h e r u n d KARLSTADT darin zu sehen, dass letzterer „in seinen theoretischen D a r l e g u n g e n fast durchaus in d e n W e g e n Luthers gegangen [sei]", die Differenz aber in der Frage „wieweit es d e m einzelnen freistehe, trotz seiner evangelischen Ü b e r z e u g u n g auf b e s t i m m t e R e c h t e , die i h m a u f g r u n d der Schrift zustehen (Ehe u n d Kelch), zu verzichten". D e n n e b e n diese Differenz b e g r ü n d e t sich j a theoretisch u n d t h e o l o gisch! G e g e n K. MÜLLLER, a.a.O., 28. 186 A.a.O., 13. 187 Diese explizit theologische R e h a b i l i t a t i o n der Privatmesse w i r d zumeist ü b e r s e h e n . 188 A.a.O., 321. I h m schließt sich auch W. KÖHLER, a.a.O., 513, an.

§ 1 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

461

h e n d zuzustimmen, dass die Thesen hier eine konservativere Position als Luther zur Privatmesse e i n n e h m e n . 1 8 9 Insgesamt teilen die T h e s e n damit zwar Luthers Kritik an einigen E l e m e n t e n der vorfmdlichen MessaufFassung, 190 weichen aber in G e w i c h t u n g u n d B e g r ü n d u n g dieser Kritik von seiner Auffassung ab. D a m i t stellt sich die Grundfrage nach d e m Verhältnis von Glaube u n d Werken. Für Luther verband sich die Identität von Sündenvergebung u n d Seligkeit mit der Absage an eine Positionierung der Werke zwischen Sündenvergebung (Bußsakrament) u n d A n n a h m e z u m Heil, wie er sie in der Soteriologie seiner Zeit vorfand. Gerade weil die Werke nichts z u m Heil beitragen, erscheinen sie bei i h m nur als Konsequenz aus der als endgültig begriffenen R e c h t f e r t i g u n g . Die Thesen hingegen trennen beide Verheißungselemente u n d behalten somit ein wichtiges Strukturelement der von Luther kritisierten Soteriologie bei. Die Folge ist eine unterschiedliche B e w e r t u n g der Sakramentsanbetung. Aus Luthers Soteriologie ergab sich die B e s t i m m u n g des Sakramentes als alleiniges Gotteshandeln am M e n s c h e n . Die A n b e t u n g der Elemente w u r d e als Verkehrung dieser Handlungsrichtung abgelehnt. 1 9 1 D i e T h e s e n hingegen rechtfertigen die A n b e t u n g bezeichnenderweise unter Hinweis auf M t 26,10 („opus bonum") u n d m ö c h t e n sie als Dienst des M e n s c h e n an G o t t in das Sakramentsgeschehen e i n b e zogen wissen. 1 9 2 D e m entspricht die nur untergeordnete R o l l e der Gemeinschaft. Im Z e n t r u m steht der ganz auf das W o r t ausgerichtete einzelne Laie, 1 9 3 jeglicher A u ß e n b e z u g bleibt ausgeblendet. 1 9 4 Dieser Missachtung der Sozialität des M e n schen korrespondiert n u n auch die A b w e r t u n g des Sakramentszeichens, denn beide verdeutlichen ja die äußere D i m e n s i o n des Sakramentsgeschehens. W e n n die Messe nur darin besteht, dass das H e r z die Verheißung „genießt" (These 94), dann ist mit der Kreatürlichkeit (Brot u n d Wein) auch die Sozialität (Gemeinschaft) des M e n s c h e n im Sakrament zu Gunsten eines bloßen inneren Geistgeschehens zwischen G o t t u n d d e m einzelnen Gläubigen ausgeblendet. Deutlicher als Luther ste-

189 O b das M o t i v KARLSTADTS allerdings darin lag, dass er s e i n e m G o t t in der stillen A b h a l t u n g der Privatmesse näher g e k o m m e n sei als bei der p o m p h a f t e n A b h a l t u n g des kirchlichen H o c h a m tes (H. BARGE, ebd.), bezweifelt K. MÜLLER (a.a.O., 13, A n m . 2) m i t R e c h t . 1911 N ä m l i c h der Transsubstantiation, der Elevation, der Unverständlichkeit der Einsetzungsworte, der Privatmesse u n d d e m E n t z u g des Laienkelches. 191 D a b e i verwarf L u t h e r selbstverständlich nicht die A n b e t u n g Christi o d e r die Realpräsenz. V i e l m e h r g i n g es i h m u m d e n O r t der f r o m m e n Aktivität des M e n s c h e n . Dieser k a n n nicht i m Sak r a m e n t selbst liegen, d e n n i m Sakramentsgeschehen reflektiert der M e n s c h j a gerade nicht auf die eigene (Hin)gabe an G o t t , s o n d e r n richtet d e n Blick ganz v o n seiner eigenen F r ö m m i g k e i t w e g h i n auf die V e r h e i ß u n g Christi. D e r E m p f a n g v o n G o t t u n d nicht die (Hin)gabe an G o t t ist also das e n t s c h e i d e n d e M o m e n t . 192 Dies zeigen die T h e s e n 1 3 0 - 1 3 2 , zitiert nach BARGE, a.a.O., 490: „(130) N o n reprehendit Christus M u l i e r e m quae pedes lavit et extersit. Lucae séptimo. (131) D e i n d e Christus p r o n u n c i a u it e f f u s i o n e m u n g e n t i b o n u m opus fuisse. M a t t h a e i X X V I . (132) Q u i s a u t e m potest negare, m i m sterium esse, si caput Christi unguas." 19;i E n t s p r e c h e n d w i r d auch die N o t w e n d i g k e i t des Laienkelches stärker herausgestrichen als die d o c h e b e n s o einsetzungsgemäße F o r m der G e m e i n d e m e s s e . 194 Vgl. T h e s e 97, zitiert in A n m . 156.

462

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

hen die Thesen dabei in Kontinuität zur herkömmlichen Sakramentstheologie, insofern sie nicht nur Privatmesse und Sakramentsanbetung theologisch rechtfertigen, sondern auch einen quantifizierenden SündenbegrifF, die Differenzierung in alttestamentliche und neutestamentliche Zeichen und die Analogie Jünger Jesu — Bischöfe beibehalten. Auf Grund dieser aufgewiesenen Divergenzen kann ich mich der Einschätzung K. MÜLLERS195 daher nicht anschließen. Er meint: „Karlstadt hält sich also in der Hauptsache vollkommen auf der bisherigen Linie Luthers." 1 9 6 Auch PREUS stellt vor allem die Einheit mit Luther heraus: „There is little in the theses than [sie!] cannot be found in Luthers wridngs o f 1519 and 1520, particularly in the Babylonian Captivity of the Church [.. ,]." 1 9 7 Wohl ist ihm zuzustimmen, wenn er gegen K. Müller geltend macht, dass die Führungsrolle, die Karlstadt innerhalb der Wittenberger Bewegung spielen sollte, nicht von dessen theologischer Originalität abhing. Gleichwohl bedeutet das noch kein Einvernehmen mit Luther. Wenn PREUS urteilt, es sei beim Wittenberger Streit um die Messe nicht so sehr um die Theologie, sondern vielmehr um die politische Führung gegangen, so verkennt er den theologischen Ernst, mit dem sowohl Karlstadt als auch Luther die Auseinandersetzung führten. Angesichts der präzisen Rezeption der Messtheologie Luthers etwa durch die Augustiner stellt sich ohnehin die Frage, ob Preus' Gegenüberstellung von abstrakter theologischer Lehre und Religionspolitik einen klaren Blick auf die Z u sammenhänge nicht eher verstellt als ermöglicht. 1 9 8 So rief diese Thesenreihe dann auch eine lebhafte Diskussion hervor. 199 Karlstadt übernahm wohl die R o l l e des advocatus diaboli und wies die Befürworter der Messreform auf argumentative Schwachstellen hin. 2 0 0 Als Diskussionsgrundlage

195

Luther und Karlstadt, 11.

196

Ahnlich urteilt BORNKAMM, Luther, 3 5 : „ W i e d e r hatte Karlstadt [...] T h e s e n aufgestellt, die

weithin Luthers Anschauungen aussprachen." 197

A.a.O., 17.

198

A.a.O., 2 4 : „It was these factors o f religious policy rather than o f abstract theological d o c t r i -

nes, and Luther's interpretation o f their implications, that led h i m to turn against Carlstadt and ,his' m o v e m e n t . " A u c h W. NEUSER, a.a.O., 136, profiliert die Differenz der T h e s e n zu Luthers Messtheologie. O b dies KARLSTADT allerdings bewusst und in Kenntnis des Augustbriefes tat, muss m . E . offen bleiben, zumal er sich n o c h im Februar darauf beruft, nichts anderes als Luther über die M e s se zu lehren. Vgl. PREUS, a.a.O., 4 8 . 199

Darüber berichten BURER in seinem B r i e f an Beatus RHENANUS vom 1 9 . 1 0 . (bei N . MÜL-

LER, a.a.O., Nr. 15, 31—35, besonders 33f) und ULSCENIUS in seinem Schreiben an CAPITO v o m 2 3 . 1 0 . (bei N . Müller, a.a.O., Nr. 18, 4 6 - 4 8 , besonders 4 7 ) . 200

E r n e u t ist deshalb erneut daraufhinzuweisen, dass die Thesenreihe nicht einfach mit KARL-

STADTS tatsächlicher Position zu identifizieren ist. Vgl. BURER, zitiert nach N . Müller, a.a.O., 3 4 : „ Q u i [missam, W.S.] abolendam censuerant, iis acriter restitit C a r o l o s t a d i u s adeo, vt h o m i n e m hue c o n d u c t u m putasses, tantum vt resisteret. Sed n o n h o c tantum agebat C a r o l s t a d i u s , ut resisteret, i m o potius hoc, vt, quid auilibet haberet animi, cognosceret, deinde, quid quisque sentiret. expiscaretur. Q u i d item adversarii pro et contra dicere possent, q u o r u m saepe in ea disputatione meminerat C a r o l s t a d i u s

[ . . . ] . " Das entgeht BORNKAMM, Luther, 3 5 . E r sieht in der

Diskussion „die R o l l e n seltsam vertauscht", weil der „sonst so reformeifrige Karlstadt" gegen, M e l a n c h t h o n und die Augustiner aber für die Abschaffung der Messe eingetreten seien.

§ 7 Die Wittenberger

Ereignisse

in Luthers

Abwesenheit

463

galt ihm allein die Schrift. Obgleich er die vorfindliche Messe abschaffen wollte, 2 0 1 ermahnte er dazu, dies nicht ohne die Zustimmung des Rates zu tun, damit beim Volk kein Anstoß erregt werde. 2 0 2 Sein Programm sah daher vor, zunächst vermehrt über den Messmissbrauch zu predigen und dann erst in einer Abstimmung unter allen Wittenbergern die Abschaffung der bisherigen Messe beschließen zu lassen. 203 Dagegen wandten sich die Augustiner und MELANCHTHON. Auch der Wittenberger Gräzist strebte die Einführung des Laienkelches 2 0 4 an und hielt die Sakramentsanbetung für legitim, 2 0 5 trat aber mit den Mönchen weiterhin 2 0 6 für eine sofortige Messreform im Augustinerkloster ein. Entscheidend für die jeweiligen theologischen Hintergründe dieser Haltung zur Reformfrage ist das Begriffspaar periculum fidei und periculum caritatis.207 Nach ULSCENIUS208 argumentierten M e lanchthon und die Mönche mit der unerträglichen Spannung zwischen vorfmdlicher Messe und der Bedeutung des Glaubens. Damit wird erneut die personale D i mension der Messproblematik akzentuiert. Melanchthon betrachtet einen weiteren Aufschub als unnötig. Es sei bereits ausreichend gegen die Messe gepredigt worden, so dass sie nun auch abgeschafft werden dürfe, wie auch Paulus die B e schneidung bei den Korinthern abgeschafft habe. Wer seine Hand an den Pflug lege, der dürfe nicht zurückschauen. W i e der Praeceptor Germaniae diese Position begründete, zeigt die im Folgenden behandelte Thesenreihe.

i.2.2

Melanchthons

Thesen ,De Propositione

Missarum'

Melanchthon hatte bereits in seinen Baccalaureatsthesen die gegenwärtige Messwirklichkeit, namentlich die Transsubstantiationslehre, angegriffen. 209 Insgesamt 201

„missam e medio quasi malam tollendam esse". BURER, zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 3 4 .

202

BURER, a.a.O., 3 4 . Vgl. auch ULSCENIUS, a.a.O., 48. Trifft dies zu, dann gibt insbesondere

die T h e s e 6 2 nicht die tatsächliche M e i n u n g Karlstadts wieder. Sie lautet: „ O m n e s v n o pectore, plenum spiritum contra pharisaeos effundere debemus, neque scandali curam habere." Zitiert nach BARGE, a.a.O., 4 8 7 . K . MÜLLER zitiert zwar beide B e r i c h t e , lässt aber den Widerspruch zur T h e s e 6 2 unbeachtet. 203

BUBENHEIMER, Scandalum, 3 0 8 , weist daraufhin, dass KARLSTADT hier d e m R e c h t s g r u n d -

satz „ Q u o d o m n e s tangit debet ab omnibus approbari" folge. Dasselbe A r g u m e n t wendet dann der Kurfürst gegen die R e f o r m b e s t r e b u n g e n , i n d e m er erst die W i t t e n b e r g übergreifende B e d e u tung der Messreform aufzeigt und dann den Einbezug überörtlicher Autoritäten fordert. 204

BURER, a.a.O., 3 4 .

205

ULSCENIUS, a . a . O . ,

206

S c h o n in seinem B r i e f an LINCK v o m 6. 10. (vgl. N . MÜLLER, a.a.O., 23) vertritt M e l a n c h -

47.

thon diese Position. Allerdings geht er dort n o c h davon aus, eine Messreform k ö n n e „nullo scandalo p u b l i c o " durchgeführt werden. 207

V g l . d a z u d i e S t e l l u n g n a h m e H E I N R I C H VON Z U T P H E N S , o b e n

208

A.a.O., 4 7 .

§7.1.1.3.

209

T h e s e n v o m 9 . 9 . 1 5 1 9 . Ich zitiere nach der Studienausgabe, ed. R . STUPPERICH, 1, 2 4 f . D i e

T h e s e 18 lautet: „ E r g o citra haeresis c r i m e n est n o n credere caracterem, transsubstantiationem et similia." MELANCHTHON argumentierte damals allein mit dem sola scriptum, eine inkarnationstheologisch motivierte Kritik der Transsubstantiationsvorstellung bietet zumindest diese Thesenreihe nicht.

464

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

stand er der Aktion der Augustiner wohlwollend gegenüber, wenn er sich auch nicht ganz mit ihr identifizierte. 210 So war er auch in der Disputation der Thesen Karlstadts an die Seite der Ordensleute getreten, indem er sich für die Abschaffung der Messen ausgesprochen hatte. 211 Gleichwohl ist seine Haltung nicht eindeutig. Schon in seinem B r i e f an L I N C K ist es ihm wichtig, dass die R e f o r m durchgeführt werden kann, ohne Ärgernis zu erregen: D a s kann o h n e öffentliches Ärgernis, j a sogar u n t e r d e m Beifall dieser Stadt g e s c h e h e n , die s c h o n so v i e l e J a h r e das E v a n g e l i u m h ö r t . F r e i l i c h ist i n g ö t t l i c h e n A n g e l e g e n h e i t e n o h n e h i n k e i n e R ü c k s i c h t a u f e i n Ä r g e r n i s zu n e h m e n . 2 1 2

Nimmt man diese Sätze ernst und versteht sie nicht als taktische Wendung, die LINCKS Zustimmung zu den Reformen erlangen soll, so dokumentieren sie das D i lemma, in dem Melanchthon sich befand. Einerseits drang er stärker als KARLSTADT auf die R e f o r m und hatte in kleinem Kreis bereits das Abendmahl sub utraque gefeiert, andererseits besaß die Frage des öffentlichen Ärgernisses trotz aller theologischen Versicherungen für ihn doch Relevanz. In den ,Propositiones' legt er seine bislang gründlichste Auseinandersetzung mit der alten Messe vor. 2 1 3 Da eben diese Thesen in ihrer deutschen Ubersetzung Breitenwirkung erlangen sollten, werden sie hier ausfuhrlicher dargeboten. 1.2.2.1

Aufbau und Inhalt

Der Gedankengang setzt ein mit einer Grundbestimmung: Das Evangelium entfaltet sich (tradit) in der dreistelligen Relation von Glaube, Werken und Zeichen ( l ) . 2 1 4 So ist der Glaube die Gerechtigkeit (2), die Werke deren Frucht (3), das Zeichen aber keines von beiden (4). 2 1 5 Melanchthon grenzt das Zeichen zunächst nach außen ab: Es handelt sich weder um die Gerechtigkeit im Glauben (also das Verhältnis zu Gott) noch ein Werk als Frucht dieser Gerechtigkeit (also das Verhältnis zum Nächsten, 4) und schon gar nicht um ein gutes Werk bzw. Opfer als Darbringung an Gott (5).

210

HELMAN berichtet, dass er keine von ZWILLINGS Predigten versäumte. B r i e f an HESS v o m 8.

10., bei N . MÜLLER, a.a.O., Nr. 4, 16. 211

MELANCHTHON verglich die Abschaffung der Messe mit der Abschaffung der B e s c h n e i d u n g

durch Paulus. Das Tertium liegt in der Verortung beider Institute i m Alten Testament und ihrer Transformation durch eine christologisch b e s t i m m t e N e u k o n z e p t i o n . O b w o h l NEUSER, a.a.O., 1 3 3 , a u f diese Ä u ß e r u n g M e l a n c h t h o n s hinweist, unterstellt er i h m eine anthropozentrische A r gumentation. 212

„Fieri h o c facile potest nullo scandalo publico, i m o applaudente hac urbe, quae iam tot a n -

nos audit Evangelium. Q u a n q u a m ne scandali q u i d e m in rebus divinis habenda sit ratio." Zitiert nach N . MÜLLER, a.a.O., 2 2 . 2,3

Vgl. NEUSER, Abendmahlslehre, 1 0 2 . E r datiert sie auf das E n d e des O k t o b e r s . Aa.a.O., 9 2 .

214

„1. Evangelium tria tradit: d o c t r i n a m fidei, d o c t r i n a m o p e r u m et signa promissionum seu

verbi fidei." M S t A 1, 1 6 3 . 215

„5. A d e o q u e nec b o n a opera, nec sacrificia sunt, quae pro remissione p e c c a t o r u m i m p e -

tranda offerantur." E b d .

§ 1 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

465

Diese Abgrenzung des Zeichens nach außen, sowohl gegenüber dem Glauben als auch gegenüber den Werken, entfalten dann die folgenden Thesen nach innen (5—6). Vom Werk bzw. Opfer 2 1 6 unterscheidet das Zeichen seine memorativ-rezeptive Funktion. Es wird nicht dargebracht, sondern es erinnert (admonere). G e genüber dem Glauben eignet dieser Erinnerung ein zweites Moment. Dies ist die assertorische Dimension des Zeichens. Sie ist streng an das Wort gebunden, insofern das Zeichen allein der Verheißung versichert und an sie erinnert. Dieses Grundmodell wird nun auf die beiden Zeichen 2 1 7 des Neuen Testaments, die Taufe und das Abendmahl (7), appliziert. 218 Auch hier grenzt Melanchthon zunächst nach außen ab: Das Sakrament ist kein Werk. Das ergibt sich aus den beiden Grundfunktionen des Zeichens (8). 2 1 9 Damit wird der Zeichenbegriff zum Schlüssel für den Abweis der Messe als Werk. Durch die exklusive Bestimmung des Gedächtnisses als Rezeption wird jede Möglichkeit eines menschlichen Werkes gegenüber Gott ausgeschlossen. Dieses stete Beieinander von Erinnerung und Empfang illustrieren dann Beispiele anderer, nicht-sakramentaler Zeichen (9—II). 2 2 0 Genauso wie sie nicht als Werk verstanden werden, ist auch die Messe kein Werk, sondern eine Erinnerung an die Gnade Gottes (12). Melanchthon wendet aber nicht einfach eine allgemeine Zeichentheorie auf das Sakrament an. Vielmehr unterscheidet er zwischen den menschlichen Zeichen und den von Gott eingesetzten Zeichen (13-15). Besitzen erstere in der Gottesperspektive rein memorative Funktion, so können letztere darüber hinaus auch der Gnade versichern. 221 Damit differenziert er nochmals: In alltäglichen, zwischen2 1 6 MELANCHTHON arbeitet hier mit zwei verschiedenen Bestimmungen des Begriffes Werk. Zunächst verwendet er den Terminus positiv im Sinne des reformatorischen Verständnisses der Werke als Frucht des Glaubens (3). Dann aber wird das Werk nicht als der Rechtfertigung folgende Aktivität zu Gunsten des Nächsten, sondern als in soteriologischer Absicht vollzogene D a r bringung an Gott verstanden, also in seinem vorreformatorischen Sinne (5). Diesen Aspekt einer Gabe an Gott hat es mit dem Opfer gemein, weshalb an dieser Stelle Opfer und Werk nicht unterschieden werden. 2 1 7 W i e schon beim WerkbegrifFoperiert Melanchthon auch bei der Behandlung der Z e i c h e n thematik mit zwei unterschiedlichen Begriffen. Zunächst identifiziert er Signum und sacramentum. Dann unterscheidet er zwischen dem Zeichen in täglichen Lebensvollzügen und dem Zeichen im Sakrament. Schon Luther verwandte in den Sakramentssermonen j a den B e g r i f f sacramentum im Sinne von „ Z e i c h e n " . 2 1 8 „7. D u o signa sunt Novi testamenti, id est promissae gratiae: Baptismus et participatio m e n sae domini." Ebd. 2,9 „8. Signa traduntur in hoc, ut admoneant et cor certificent de voluntate dei." Ebd. 2 2 0 Das assertorische M o m e n t illustriert das Siegel auf einem B r i e f (9), das memorative M o ment verdeutlichen die Meditation einer Kreuzesdarstellung (10) als Gedächtnis des Todes Christi und der Anblick der Sonne als Erinnerung an das Evangelium (11). Drei Wirklichkeitsbereiche kommen mit dieser Auswahl zur Sprache. Einmal die wahrnehmbare Schöpfungswirklichkeit (Sonne), dann die menschlichen Kommunikationsversuche, eine gemeinsame Struktur dieser Wirklichkeit zu schaffen (Brief, dabei ist die Affinität zur theologischen R e d e vom Gesetz zu b e achten) und schließlich die Versuche, die solchermaßen strukturierte Wirklichkeit mithilfe religiöser Kunst zu transzendieren (Kreuzigungsdarstellung). All diese Bereiche ordnet Melanchthon dem Bereich der nicht rechtfertigender Werke zu. 221 „13. Sed hoc difFert participatio mensae a pictae crucis aut solis conspectu, c u m sol, picta crux, non sunt signa a deo instituta, quibus certo significatur mihi donatam esse gratiam. 14. Signa

466

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

menschlichen Zusammenhängen besitzen Zeichen eine signifikative und eine assertorische Funktion. Im Gottesverhältnis aber entfällt das Moment der Vergewisserung. Dieses besitzen nur die von Gott selbst eingesetzten Zeichen. Diese Differenzierung unterscheidet sich nun darin von Luthers Zeichenverständnis, dass dieser nicht nur das assertorische, sondern auch das signifikative M o ment des sakramentalen Zeichens ganz aus der göttlichen Setzung bzw. der Wortbindung bestimmte, mithin einen natürlichen Verweischarakter des Zeichens auf das Bezeichnete für die Gottesperspektive ablehnte. 2 2 2 Genau wie Luther und anders als Karlstadt unterscheidet Melanchthon aber nicht wesentlich zwischen den alttestamentlichen. und den neutestamentlichen Zeichen, denn sowohl das alttestamentliche als auch das neutestamentliche Beispiel illustrieren denselben Sachverhalt. Damit ist die Weiche, welche die Zeichenlehre für die Messopfertheologie bedeutet, im Sinne Luthers gestellt. Die herkömmliche Unterscheidung zwischen den Zeichen sah die Besonderheit des neutestamentlichen Zeichens in seiner in sich selbst begründeten Wirksamkeit (signum efficax). Damit löste sich die Bindung an das Wort. Diese Verselbstständigung des Zeichens war dann die Voraussetzung der Lehre vom ex opere operato. Luther hingegen bestimmte, wie zumindest hier auch Melanchthon, 2 2 3 das Zeichen ganz vom Wort her. Nach dieser Abgrenzung gegenüber der Messe als Werk entfaltet der Verfasser dann das oben aufgewiesene Proprium des sakramentalen Zeichens, die Vergewisserung des Glaubens. 2 2 4 Das Zeichen verschafft Gewissheit über Gottes Willen. Damit antwortet es auf das ursprüngliche Misstrauen des Menschen gegen Gott (16—17). 225 Innerhalb dieser assertorischen Funktion der von Gott eingesetzten Zeichen kann Melanchthon dann nochmals differenzieren. Er unterscheidet zwischen einem allgemeinen Zeichen von Gottes Gnadenwillen und einem konkret persönlichen Zeichen. 2 2 6 Eben diese konkrete und persönliche Gnadenzusage leiste das Zeichen Messe. Der personalen Form der Gnadenvergewisserung entab hominibus reperta admonent tantum, Signa a deo tradita, praeter quam quod admonent, certificant etiam cor de volúntate dei." MStA 1, 164. 2 2 2 Da Melanchthon im 4. Abschnitt der Thesenreihe die Wortbindung des Zeichens stark betont, ja sogar behauptet, erst das Wort eröffne die Bedeutung des Zeichens, kann ihm nicht einfach unterstellt werden, er lehre eine analogía entis, wie NEUSER, Abendmahlslehre, 77, das tut. 2 2 3 W. NEUSER, a.a.O., 78f, weist daraufhin, dass Melanchthon anderwärts dem Zeichen eine selbstständige geistliche Bedeutung zuspricht. 2 2 4 Wenn NEUSER, Abendmahlslehre, 103, die assertorische Funktion der Messe gegenüber dem Glauben als einzigen Zweck der Messe herausstellt, so übersieht er, dass Melanchthon diese Äußerung in These 21 auf den Abschnitt begrenzt: ,,Unus ergo ac solus hic missae usus est, certificare fidem cordis per eam." MStA 1, 164, Hervorhebung W.S. 2 2 5 These 16, MStA 1, 164. Die Parallele zu den Baccalaureatsthesen wird damit deutlich. Auch dort ging Melanchthon von der aus falscher Selbstliebe resultierenden Furcht vor Gott aus, nahm von dieser Grundsatzdistanz aber die intellektuellen Möglichkeiten des Menschen aus. Dort war es das Naturgesetz, welches den Weg der rechten Gottesliebe bereits zu zeigen vermochte, hier ist es die signifikative Kraft des Zeichens in der Gottesperspektive. Vgl. dort die Thesen 1—3, MStA 1, 24. 2 2 6 Als Konkretionen dienen Gideons Schaffell, das für MELANCHTHON nicht nur eine allgemein ausgerichtete Hilfe Gottes angezeigt, sondern seine konkrete Zustimmung zu Gideons militärischer Führung (18f) und die zweitens die Wunder Jesu, welche zwar einen allgemeinen Gna-

§ 1 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers Abwesenheit

467

spricht dann aus anthropologischer Perspektive (22—28) ihre Ausrichtung auf das Gewissen (22—24) entgegen einer vermeintlichen Objektivierung der Messe zum Werk, welches vor Gott rechtfertigt (25—27).227 Wenn die Messe als Zeichen und damit rein rezeptiv bestimmt ist, dann kann sie nicht Werk vor Gott sein. Wenn sie aber kein Werk vor Gott sein kann, so vermag sie auch keine Genugtuung zu leisten (28-29). 2 2 8 Damit ist der Ubergang zur zweiten Abgrenzung, nämlich dem Abweis der O p ferqualifikation, hergestellt. Formal ist dieser zweite Abschnitt (30—42) analog dem ersten konzipiert. Auch hier folgt einer Grundbestimmung (30—31) eine U n t e r scheidung (32—36) und schließlich eine anthropologische Konkretion (37—42). Inhaltlich gliedern den Passus die beiden fast gleichlautenden Thesen 31 und 37. 2 2 9 Die entscheidende Differenz in der Formulierung beider Thesen strukturiert den Gedankengang. Einmal geht es um die Genugtuung in Christus (31—36), das andere Mal u m die Darbringung (37-42) des Menschen. Diese Unterscheidung wird im R a h m e n des Duals innerlich-äußerlich durchgeführt. Damit gliedert sich die Argumentation auch hier in menschliche Aktivität (Werke) und menschliche R e zeptivität (Glaube), beide Teile werden jetzt umgekehrt, so dass ein chiastischer Aufbau entsteht. N a c h d e m er das Ziel der Opferhandlung, die Gottesgemeinschaft (Versöhnung), in den Blick g e n o m m e n hat, behandelt Melanchthon den Vollzug der Opferhandlung. Im ersten Abschnitt liegt alles Gewicht auf dem solus Christus. Die Versöhnung wird empfangen, menschliche Aktivitäten sind gänzlich irrelevant. Stellte die Abgrenzung zur Messe als Werk den memorativen Aspekt gegen das Werk und den assertorischen gegen den Glauben, so expliziert dieser Abschnitt unter christologischer Fragestellung nun den rezeptiven Aspekt des Zeichens. 230 Daraus ergibt sich eine Absage an die Vorstellung, die Messe könne anderen zugewandt werden. Damit wird indirekt zugleich der personale Aspekt festgehalten. Eine Z u w e n d u n g an Dritte setzte ja eine menschliche Verfügungsgewalt über die in der Messe zuteil werdende Versöhnung voraus, die wiederum eine aktive Beteiligung am Versöhnungsgeschehen in sich schlösse. Der zweite Gedankengang (37—42) kreist u m die Opferhandlung selbst, die Darbringung. Aus der exklusiven Mittlerstellung des Versöhners Christi ergab sich denwillen Gottes aufweisen, nicht aber, ob er einem bestimmten Menschen seine Gnade zuwenden will (20). 227 Anders als NEUSER, Abendmahlslehre, 165, möchte ich unter der acceptio in These 26 nicht eine Erfahrung Gideons mit dem Schaffell, sondern seine Annahme des Schaffells verstehen. MELANCHTHON will hier die rezeptive Ausrichtung des Zeichens gegenüber dem Werk hervorheben. Eine Ubersetzung mit „Erfahrung" verdunkelt diesen Zusammenhang. 228 „28. Sicut intueri pictam crucem non est eiusmodi opus, quo vel pro nostris, vel pro aliorum peccatis satisfiat. 29. Sicut acceptio velleris Gedeoni non erat eiusmodi opus, quo pro peccatis eius satisfieret." MStA 1, 165. 229 „31. U n i c u m sacrificium, unica satisfactio Christus est, praeter hunc nullum est externum." „37. Unica oblatio pro peccatis nostris Christus est, praeter hunc nulla est externa." 2 10 ' NEUSER, a.a.O., 104 übersieht diesen Zusammenhang im Aufbau der Thesen und meint, Melanchthon argumentiere „im Ansatz nicht christologisch, sondern anthropozentrisch." Dass auch Luther von einem theologisch legitimen Opfer im Glauben sprechen kann, erwähnt Neuser nicht.

468

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

die allein rezeptive Haltung des Menschen im Versöhnungsgeschehen und die personale Ausrichtung des Zeichens. Gleichwohl kennt Melanchthon (wie schon Luther im ,Sermon von dem N e u e n Testament') eine Aktivität des Menschen, 2 3 1 die sich in der Vorstellung einer Darbringung artikulieren lässt. Sie ist, wie schon ihre R e i h u n g nach der Genugtuungsproblematik zeigt, als Folge der vorausliegenden Versöhnung zu verstehen. Sie besteht im Nachvollzug des Versöhnungsgeschehens, richtet sich also nicht an einen zu versöhnenden Gott, sondern verdeutlicht die von Gott her immer schon vollzogene Versöhnung. Die Opferterminologie zeigt hier also gerade die Abhängigkeit vom Christusgeschehen und nicht den aktiven Einbezug menschlicher Frömmigkeit in die Versöhnung. Damit vollzieht Melanchthon die gleiche christologische Transformation der Opferlogik wie es vor ihm Luther getan hatte. Das Tertium zur vorchristlichen Opfervorstellung liegt nun im M o m e n t der T ö t u n g der Opfergabe. Diese T ö t u n g wird aber nicht als Kompensat des Gotteszornes, sondern als Konkretion der vollzogenen Versöhnung verstanden. Bei der Gabe handelt es sich gerade nicht u m eine geistliche Pretiose, 232 sondern u m den alten sündigen Menschen, dem angesichts der neuen, gerechtfertigten Existenz vor Gott der Abschied gegeben wird. Eben dies zeigt die Durchbrechung der Opferlogik an. D e n n gegeben wird nicht das Beste (um das Beste zu erzielen), sondern das Schlechteste, das, was gerade überwunden werden soll. Wo die herkömmlichen Opfervorschriften die Makellosigkeit der menschlichen Opfergabe hervorheben, da steht bei Melanchthon der alte Mensch. Für einen auf ein Versöhnungszeichen wartenden Gott wäre eine solche Gabe eine Beleidigung. Als Antwort auf die Versöhnung verstanden, bringt sie hingegen das Vertrauen zum Ausdruck, dass das Versöhnungsgeschehen den ganzen Menschen durchdringen werde. N e b e n dieser U m k e h r u n g der Opferlogik hebt diese Bestimmung der menschlichen Opfergabe ein zweites M o m e n t hervor. D e n n der „alte Mensch" beschreibt die gesamte Existenz des Menschen und keinen objektivierbaren Teilaspekt. 233 Damit bestimmt sich diese Darbringung erneut streng personal. Eine versachlichende Objektivierung der Messe, wie sie in ihrer Quantifizierung zu einem begrenzten und deshalb durch Wiederholung akkumulierbaren Wert für das Seelenheil vorliegt, muss dazu notwendig in Konflikt geraten und wird deshalb ebenso abgewiesen 234 wie die Stellvertretungsfigur und damit die Applikabilität an Dritte. Mit der personalen Ausrichtung der Messe hängt nun eine zweite Unterscheidung zusammen, welche den R a h m e n für die Messopferthematik vorgibt, n ä m lich die A u ß e n - (30—37) und die Innenperspektive (38). Melanchthon ordnet die 231

„38. In C h r i s t o mortificatio vetustatis nostrae sacrificium est et oblatio." M S t A 1, 165. Vgl. THOMAS, S T h 2,2 q.85. a.3 ad 2: „[...] triplex est h o m i n i s b o n u m : primum q u i d e m est b o n u m animae, q u o d D e o o f f e r t u r interiori q u o d a m sacrificio p e r d e v o t i o n e m , et o r a t i o n e m , et alios h u j u s m o d i inferiores actus: et h o c est principale sacrificium: secundum est b o n u m corporis, q u o d D e o q u o d a m m o d o o f f e r t u r per m a r t y r i u m , et abstinentiam, seu c o n t i n e n t i a m : tertium est b o n u m e x t e r i o r u m r e r u m , de q u o sacrificium o f f e r t u r D e o ; directe q u i d e m q u a n d o i m m e d i a t e res nostras D e o oflferimus; m e d i a t e a u t e m , q u a n d o eas c o m m u n i c a m u s proximis p r o p t e r D e u m . " 232

233 234

„40. Sicut p r o se quisque baptizatur, ita p r o se quisque participat m e n s a e . " M S t A 1, 165. „39. N o n i t e m eiusmodi missa est, quae q u o saepius i n g e m i n e t u r , eo plus offerat d e o . "

§ 7 Die Wittenberger Ereignisse in Luthers

Abwesenheit

469

Darbringung des Menschen ganz der Innenperspektive zu. Damit wird erneut der rezeptive Charakter der äußeren Messhandlung festgehalten. So tragen zwei theologische Motive die Messkritik Melanchthons. In der Hauptsache argumentiert er christologisch: Als einzig gültiges äußeres und damit öffentliches Opfer gilt das Kreuzesopfer, denn allein Christus leistete Genugtuung. Mit dieser christologischen Kritik verbindet sich dann die Konsequenz aus den sakramentstheologischen Überlegungen: Wenn mit dem Zeichen Gnade empfangen wird, dann kann es nicht zugleich Gott dargebracht werden. Die Messopferkritik ergibt sich also christologisch aus der Exklusivstellung des Kreuzesopfers und sakramentstheologisch-soteriologisch aus der rezeptiven Ausrichtung des Zeichens, welche die Messe nicht als eine auf Gott hin gerichtete Handlung zu begreifen erlaubt. Dabei ist der Zusammenhang beider Argumentationslinien zu beachten. Sie treffen sich in der Kritik der Messe als einer Darbringung an Gott. Die soteriologisch-sakramentstheologischen Überlegungen weisen sie im N a m e n des rezeptiven Charakters des Zeichens ab. Die christologische Argumentation vertieft und begründet diese rezeptive Ausrichtung, indem sie die Exklusivität des C h r i stusgeschehens hervorhebt. Nach der Ausdifferenzierung des Zeichens in seine memorativ-assertorische und seine rezeptiv-personale Dimension kommt nun die einheitliche Ausrichtung dieser Aspekte auf das Verheißungswort zur Sprache (43), denn nichts anderes erinnert und vergewissert das Zeichen als die in der Verheißung zum Ausdruck k o m m e n d e Gnade Gottes. Die Verheißung artikuliert sich aber im Wort. 2 3 5 M e lanchthon bestimmt das Verhältnis zwischen Wort und Zeichen so, dass das Zeichen nie ohne das Wort, wohl aber das Wort ohne das Zeichen sein kann (44—47). Das Wort ist unverzichtbares Konstitut der Messe (44), es sichert erst die Bedeutung des Zeichens (47). D e m durch Wort und Zeichen strukturierten theologischen Teil schließen sich dann praktische Ausfuhrungen zum U m g a n g mit den grassierenden Missbräuchen an (48-60). N a c h d e m Melanchthon die Zuständigkeit des Rates bei der Abschaffung der R e f o r m e n unter Verweis auf die Kultreform Josijas (49) hervorgehoben hat, 236 zählt er die Missbräuche auf: Oberflächlicheren Verfehlungen wie der Applikation der Messe an Dritte, einem äußeren Zwang zur Messe 237 und der Inkompetenz der Zelebranten (50) liegen die schlimmeren grundsätzlichen Fehlbestimmungen der Messe als Werk oder genugtuendes Opfer zu Grunde. W i e bereits HEINEICH VON ZUTPHEN lastet auch Melanchthon die Übelstände nicht nur dem Klerus, sondern ebenso den Laien an (52-55). Die göttlichen Sanktionen auf den Messmissbrauch zeichnet er wie bereits im Gutachten für den Kurfürsten in drastischen Farben: Wenn in Korinth schon ein kleiner Missbrauch des Mahles zur Pest-

235 Das zeigte schon die G r u n d b e s t i m m u n g in T h e s e 1, welche das Z e i c h e n auf das W o r t b e zog. W i r d die Messe als Z e i c h e n verstanden, so impliziert das ihre W o r t b i n d u n g . 236 „48. Abusus missae per magistratus tolli debet." 237 M a n vergleiche die Ausschussgutachten u n d die Klagen der A u g u s t i n e r m ö n c h e !

470

Dritter Teil: Die Rezeption und Luthers Reaktion

plage führte, stehen angesichts der jetzigen Verfehlungen dann nicht Kriege, Krankheiten u n d Blindheit zu erwarten? (57). D e n Abschluss bilden die Ausfuhrungen über die Gebete. Hier thematisiert Melanchthon das allgemeine Priestertum, indem er die Gleichwertigkeit der priesterlichen mit den Laiengebeten hervorhebt. Das Priestertum besteht in der M ö g lichkeit zur Gotteskommunikation, der Interzession u n d der Darbringung (63). THOMAS und DUNS aber verdunkelten die Allgemeinheit des Priestertums und damit auch die Ursache des Messmissbrauches (64). Insgesamt weisen die Thesen also folgende Struktur auf:

1. T h e s e u n d G r u n d b e s t i m m u n g (1—6) 1.1 These: Das Evangelium entfaltet sich als Glaube, als Werk und als Verheißungszeichen (1) 1.2 Grundbestimmung des Zeichens (2—6) 1.2.1 Abgrenzung nach außen GLAUBE * MESSE ALS ZEICHEN* WERKE Gerechtigkeit Frucht der Gerechtigkeit/ Darbringung an Gott 1.2.2 Funktion nach innen: GLAUBE (Innenperspektive) 8 Anscheinend wird hier im urchristlichen Apostel der mittelalterliche Priester gesehen. 169 Fol. Blr.

§10

Einzelschriften

zur

Messopferthematik

679

Offensichtlich wird hier wie bei Luther ein sakrifizielles Verständnis des Sakraments zunächst abgewiesen. Zugleich macht der Autor aber Luthers Haupteinwand, die Perba bestimmten den Menschen, die herkömmliche Messopfervorstellung aber Gott als den Adressaten des Sakramentsgeschehens, nicht hinreichend deutlich. Das zeigt einmal die unscharfe Abgrenzung zum sozialethischen Opfertypus, die als Gegenüber von „unser opffer" zu „wahrer Gott" verhandelt wird. Dass, wie im Messopfermodell der somatischen Realpräsenz, der „wahre Gott" gerade als Opfergabe firmieren kann, wird dadurch weder ausgeschlossen noch behauptet. Auch die gegenüber einem menschlichen Opferaktanten „andere R e d e " vom Sakrament besteht dann, etwas undurchsichtig formuliert, allein in der Behauptung, Gott bleibe mit seiner Sündenvergebung beim Menschen. Inwiefern diese Bleiben Gottes menschliche Aktivitäten oder Dispositionen voraussetzt, lässt der Autor offen. Wie das erste Kapitel zeigte, ist mit der Bestimmung der Messe als Gedächtnis des Kreuzesopfers ja noch nicht ausgemacht, dass es sich beim Sakrament um ein vom Menschen nur im Glauben zu empfangendes Geschehen handelt. 170 Deshalb kann dieses Identifikat von Testament und Opfer auch mit dem Verständnis der Messe als Gabe an Gott prinzipiell harmonieren. Dass das behauptete Einvernehmen vornehmlich durch inhaltliche Unschärfe herbeigeführt wird, zeigen auch die Ausfuhrungen über den vierten Opfertypus, das geistliche Opfer. U n t e r Verweis auf Psalm 50,18 (=51,19) werden hier die menschliche „Blo(e)digkeit" (= Zaghaftigkeit), „ain benu(o)gter un(d) demu(o)tiger gayst" und ein „rewig und gedemu(o)ttiget hertz" als die Gaben des Menschen genannt. 1 7 1 Dies lässt sich einmal als eine passgenaue Aufnahme von Luthers K o n zept lesen. Dieser hatte in der vielfältig beschriebenen Grundfigur des „fröhlichen Wechsels" die absolute Wertlosigkeit der Opfergabe festgehalten. So wurde deutlich, dass das Gottesverhältnis sich gerade nicht im Modus der Ö k o n o m i e beschreiben lässt, sondern deren Logik umkehrt und so die herkömmliche Opferlogik transformiert. In den ,Hübsch argument' werden als Gaben des geistlichen Opfers aber nicht nur die menschliche Schwäche („Blo(e)digkayt"), sondern auch ein „demu(e)tiger gayst" und ein „zerknüst hertz" als die Gaben des geistlichen Opfers benannt. Diese Bestimmung des geistlichen Opfers bewahrt dann ohne Schwierigkeiten ihre Anschlussfähigkeit an die (spät)mittelalterliche Soteriologie, welche mit den Termini „Zerknirschung" und „ R e u e " den vom Menschen zu leistenden Beitrag zum Heil benennen konnte. 1 7 2 Damit kann dieses geistliche Opfer im U n 170 So k a n n dieses G e d ä c h t n i s w i e d e r u m verdienstlich verstanden w e r d e n . D e r Testamentscharakter der Messe b e s t ü n d e d a n n darin, dass Christus den G l ä u b i g e n in der Messe eine Verdienstmöglichkeit eröffnet. 171 Fol. B l r . 172 M a n vergleiche i m Kontrast dazu Luthers S c h i l d e r u n g des geistlichen O p f e r s , w e l c h e die Aktivität des M e n s c h e n i m Sakramentsgeschehen n u r retrospektiv beschreiben k a n n : „ D r u m b sollen w i r des w o r t s , o p f f e r ' w o l w a r n e h m e n , das w i r nit vormessen, etwas gott zu g e b e n y n d e m sacrament szo er uns d a r y n n e n alle dingk gibt. W i r sollen geystlich o p f f e r n , die weyll die leiplichen opifer abgangen u n d in kirchen, klo(e)ster, spital gu(e)tter v o r w a n d e l t seyn. Was sollen w i r d e n opffern? U n s selb u n d allis was w i r h a b e n m i t vleyssigem gepeet, w i e w i r sagen ,dein will geschehe auff der erden als y m h y m e l ' , H i e m i t w i r uns dargeben sollen gottlichem willen, das er von u n d

680

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

terschied zu Luther gerade nicht als die Gabe von etwas Wertlosem, sondern als ein Gott wohlgefälliges Gut betrachtet werden. Die bei Luther bewusst ins Absurde gewendete Vorstellung einer menschlichen Gabe an Gott begegnet ungebrochen als Widmung gottwohlgefälliger menschlicher Gemütszustände. 173 So nötigt die Doppeldeutigkeit mancher messopfertheologischer Verhältnisbestimmungen dazu, die Linien des Konzeptes bis in Soteriologie, Ekklesiologie und die Praxis der Messfrömmigkeit hinein weiter zu verfolgen. 3.1.4

Die Einbettung der Messopfertheologie

in Theologie und

Frömmigkeit

Gleich im Anschluss an den Abschnitt über das Messopfer ermöglicht die Frage des Edelmannes nach Luthers Konzept des „Allgemeinen Priestertums" einen Einblick in das Amtsverständnis des Autors. Auch hier erscheint auf den ersten Blick ein Konsens mit Luther zu bestehen: Das Christusgeschehen eröffnete die Gottesgemeinschaft im Glauben, wobei der Erhöhte in seiner Fürbitte und Vermittlung als der eine Hohepriester im Sinne des Hebräerbriefes beschrieben wird. 174 In der Inanspruchnahme dieses Priesterdienstes Christi besteht nun das mit 1 Petr 2,9 begründete Priestertum der Laien. Anders als Luther behauptet der Kurtisane darüber hinaus aber auch ein äußeres, sichtbares Priestertum. Dessen Vertreter sind zwar „der layen geordnete diener", ihre Berufung durch die Gemeinde wird aber abgewiesen. 175 Den Vorbehalt von Weihe und Berufung für das Amt leitet der Autor aus der traditionellen, von Luther in ,De abroganda' explizit zurückgewiesenen Vorstellung ab, als Jesus das Abendmahl den Jüngern reichte, habe er sich nicht an die Laien, sondern an „die Apostel als priester" gewandt. 176 Durch diese Identifikation von biblischen Aposteln und kirchlichem, äußerem Priestertum wird die sichtbare kirchliche Hierarchie nicht nur gestützt, sondern geradezu immunisiert, kann durch den Eintrag der Unterscheidung zwischen Klerus und Laien in die biblischen Texte der biblische Wortlaut doch für die klerikalen Interessen beliebig okkupiert werden. So verteidigt der Kurtisane das geistliche Recht als ein Produkt

ausz uns mache, was er wil noch seynem gottlichen wolgefallen, dartzu yhm lob und danck opffern ausz gantzem hertzen für sein unaussprechliche su(e)sse gnade und barmhertzickeit die er uns in diszem sacrament zugesagt und geben hat." WA 6, 368, 1—10. 1 7 3 „wan(n) nun d(er) sünd(er) hinder der mesz des priesters stat vnd sieht dz sacrament auffheben vnd wandlen / vn(d) bittet also got das er sein sünd hynem nachlaut seines zu(o)sagen / W z thut der selbig anders dan(n) dz er sein gantz zerknüst hertz in warem Christe(n)lichem glaube(n) got auff opffert vnd sich gantz in sein barmhertzigkait ergibt / sol so(e)llichs nit ain opfer sein / so waysz ich nit wie der mensch sein gayst basz solte got opffren." Fol. B l r — B l v . 1 7 4 Fol. B2r. 1 7 5 „die layern haben auch nit frey nach irem gefallen die selbigen diener zu(o) setzen oder abzu(o)setzen / als yetzund die grobe(n) layen sagen vnd disputieren / wan(n) so wir den vrsprung ansehen finden wir anders daruon geschribe(n)." Fol. B2v, es folgt der Hinweis auf E x 24, wo nicht das Volk, sondern der Priester Aaron seine Söhne als Priester vorschlägt. Die Relevanz dieses Beispiels schließt eine exklusiv christologische Bestimmung des Priesterbegriffes, wie Luther sie traf, aus. 1 7 6 Auch fol.C3v werden die „junger Christi als die rechten priester" bezeichnet.

§10

Einzelschriften

zur

Messopferthematik

681

des Heiligen Geistes, als der Edelmann dessen Gültigkeit infrage stellt. 177 Durch das Argument, die Priesterweihe habe sich an Ex 28f zu orientieren, 1 7 8 werden die oben getroffenen Aussagen über Christi Vermittlungsmonopol dann faktisch u n terlaufen. Die Behauptung eines neutestamentlichen äußeren Priestertums führt mithin zur Identifikation der institutionellen Kirche mit dem Geistwirken und zum Verständnis der Priesterweihe als eines Sakraments. 179 Eine ähnliche Kombination der Vorstellungen Luthers und der Tradition findet sich in der Behandlung der Werkthematik. Zunächst wird die von Bürger und Edelmann aufgestellte These zurückgewiesen, Luther lehre „man dürffe nit gu(o)te werck würck(e)n wan(n) man mo(e)g durch gu(o)te werck dz himelreich nit verdienen." 1 8 0 Trotz dieser notwendigen Differenzierung verfehlt der Kurtisane aber Luthers Verhältnisbestimmung von Glaube und Werken, wenn er zwar eingesteht, „dz man durch die werck die sa(e)ligkait nit überkom(m)en kan", aber doch die Werke als „not zu(o) der sa(e)ligkayt" versteht. 181 Dabei kann die Gnade Gottes als Ursache des Heils durchaus festgehalten werden, sie „kumpt allein ausz dem freyem geben gotes on vnser verdienen". 1 8 2 Aber diese Gnadenzuwendung Gottes kann nun nicht als alleinige Ursache der Rechtfertigung beschrieben werden, die Werke werden in dieser Perspektive nicht abgelehnt, weil sie per se die Problematik verfehlten, sondern weil sie nicht ausreichen. 183 Die in der Ekklesiologie wirksame Unterscheidung zwischen Priestern und Laien kennzeichnet dann auch die Ethik. Hier begegnet das klassische Modell der Zweistufigkeit, der Bürger sieht sich geringeren Anforderungen gegenüber als die „Vollkommenen". 1 8 4 Daraus ergibt sich auch eine differente Haltung zu den spezifischen mit dem Messopfer verbundenen frommen Werken. D e m Einwand des Edelmannes, Luther „haltet nichts von der pfaffen sing(e)n / lesen vn(d) vigilien oder jarta(e)gen / noch von vil mesz lesen vn(d) opffern" entgegnet der Kurtisane, Luther lehne das Singen, Beten und (Messe)lesen in der Kirche nicht prinzipiell ab, allein die Ver177 „Das seind die gepot d(er) christenlychen kirchen / D i e die Ba(e)pst v n d die hailigen C o n cilien. (on zweyfel.) Ausz einflusz des hailigen gayst g e o r d n e t vn(d) gepote(n) h a b e n . " Fol. E3r. 178 Fol. C3v. 179 Fol. E l v . 1811 Fol. B3v. 181 Fol. B4r. 182 Fol. B4v. 183 „ A b e r das ist D o c t o r Luthers. M a y n u n g dz die eüszerlichen werck / Als Fasten / k i r c h e n g o n / Almu(e)szen geb(e)n Wallfart t h u ( o ) n / Mesz v n n d p f r u ( e ) n d e n styfften / f ü r sich selbs nicht g e n u ( o ) g seyen zu(o) der salygkayt [...]." Fol. B4r. Gottes G n a d e tritt hier nicht an die Stelle der Werke, s o n d e r n ergänzt sie u m einen n o c h f e h l e n d e n Restbetrag. So kann der Kurtisane durchaus festhalten, dass der M e n s c h sich m i t allen seinen W e r k e n d e n H i m m e l nicht verdienen kann, die menschliche Operativität erscheint aber stets als ein „zu w e n i g " u n d nie als ein „nichts", sie reicht quantitativ nicht z u m Heil, steht aber in keiner grundsätzlichen qualitativen Verschiedenheit zur G n a d e . Deshalb steigert u n d v e r m e h r t die G n a d e die Werke, sie lässt „do(e)ster m e r vns in gu(o)t(e)n w e r c k e n u ( e ) b e n " (Fol. B4v). Dieser E i n z u g der Operativität in die G o t t e s b e z i e h u n g k a n n a u c h zu einer H ö h e r g e w i c h t u n g der f r o m m e n W e r k e f ü h r e n . W ä h r e n d f ü r L u t h e r die W e r ke in die Nächstenperspektive g e h ö r e n , zählt der Kurtisane das Fasten, B e t e n u n d B e i c h t e n zu d e n i m E v a n g e l i u m g e b o t e n e n W e r k e n , vgl. fol. B4rv. 184

Fol. D3v.

682

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

massung der Messe und ihre Feier in falschem Glauben finde seine Missbilligung, ja „Er glaub vestigklich dz ain fa(e)gfeür sey" und sehe die Schuldigkeit der Lebenden, den Toten dort zu Hilfe zu kommen. 1 8 5 Die ekklesiologische und bußtheologische Problematik der Fegefeuervorstellung, wie sie dem Luther der frühen 20er Jahre deutlich vor Augen stand, wird hier ausgeblendet. Stattdessen resümiert der Kurtisane: „Darum(m) wan(n) man spricht der Luther sage das kain fegefeür sey od(er) das man mit den messen den seelen nit auch zu(o) hilfTkom(m)e / thu(o)t man im vnrecht [...]." 1 8 6 So macht bei allem Bemühen um ein einfühlsames Verstehen des Wittenbergers gerade das Scheitern des Versuches, traditionelle und reformatorische Messopfertheologie zu harmonisieren, erneut das sola scriptum als den fundamentaltheologischen Maßstab der Messwahrnehmung deutlich. Denn gerade da, wo die .Hübsch argument' die Brisanz von Luthers Theologie verharmlosen, verletzen sie auch diese Prämisse seines Messopferkonzepts.

3.2

Das Messopfer im Zeichen innerprotestantischer Andreas Kellers ,Anzeigung, Mess ist'

Differenzen:

was für Gotteslästerung in der Papisten

(1524)

Die durch das Jahr 1523 markierte Grenze der Untersuchung soll nun ausblickend durch die Analyse der Schrift, Anzeigung, was für Gotteslästerung in der Papisten Mess ist' 187 überschritten werden. Kellers Beitrag indiziert eine Diversifikation der Messopferdiskussion, insofern er sich nicht mehr allein auf dem Boden von Luthers Sakramentskonzept bewegt, sondern diese Grundlage modifiziert und damit die Rezeption um einen weiteren Hauptast bereichert. Zugleich zeichnet sich hier bereits die innerprotestantische Auseinandersetzung um das Altarsakrament ab, welche die Messopferdiskussion in den folgenden Jahre zurückdrängen sollte. Als ein Zeuge dieser Entwicklung darf Andreas Keller (1503—1563), gelten. Er trat 1524 in Rottenburg mit drei Predigten an die Öffentlichkeit, in denen er die kirchliche Wirklichkeit auf der Grundlage der reformator ischen Rechtfertigungslehre einer schonungslosen Kritik unterzog. Deshalb musste er bereits im Mai desselben Jahres nach Straßburg fliehen. Im Jahr 1535 kam er nach Wildberg, wo er die Stelle eines Superintendenten übernahm. 1 8 8 W i e bereits ihr Titel zeigt, ging es 185 Fol. B 4 v bis C l r . Dies ist insofern richtig, als Luther im Testamentssermon W A 6, 368, 20f; 370, 3 5 - 3 7 1 , 2 und 371,27 die Existenz des Fegefeuers voraussetzt. Allerdings begegnet das Purgatorium dort beiläufig, von einem „festen Glauben" kann nicht die R e d e sein. Die spätere Kritik des Fegefeuers, etwa in ,De captivitate', wird hier ausgeblendet. 186 Fol. C l r . 187 „Ein anzeygung was für gottzlesterung in der Papisten Messz ist / vnd das sich alle fromen Christen daruor als vor der aller gro(e)sten gotzlesterung hyeten sollent / allenn Christen nutzlich zu(o) lesen". Ich zitiere nach dem Abdruck bei H.-J. KÖHLER, a.a.O., Fiche 67, Nr. 174. Auf dem Titelblatt wird R o m 12(,1) zitiert, gewidmet ist die Schrift „Der Edlen und tugensamen frawen / frow Rosina von Eschnaw", der Autor bezeichnet sich als „diener des worts in Wasselheym". 1 8 8 Vgl. BRECHT / EHMER, Reformationsgeschichte, 93. Ich ziehe zudem seine Predigt über Lk 19, 3 7 - 4 8 aus dem gleichen Jahr 1524 heran, sie findet sich unter dem Titel „Ain Sermon auff den zehen — // den Sonntag / Nach dem achtt —// enden der Pfingst(e)n / Vo(n) gsatz // vnd Euange-

§10

Einzeischriften zur

Messopferthematik

683

Keller in seiner .Anzeigung' keineswegs um eine irenische Verständigung. Er versucht vielmehr, den bereits in vielen Predigten kursierenden Vorwurf, die römische Messe sei Gotteslästerung, argumentativ zu belegen. Damit steht er exemplarisch für eine Phase der Messopferdiskussion, in welcher es nicht mehr darum ging, die traditionelle Messpraxis allererst zu problematisieren. Ein entsprechendes Bewusstsein und eine veränderte Einstellung zum spätmittelalterlichen Messwesen setzt Keller hier bereits voraus. Er nimmt den für die Zeitgenossen irritierenden Sachverhalt auf, dass das Zentrum spätmittelalterlicher Sakralität durch die Reformation eine diametral negative Wertung erfährt. Die reformatorische Neubestimmung der Sakralität hatte mancherorts zu einer demonstrativen Profanisierung des Heiligen gefuhrt, die sich auch in gewaltsamen Messstörungen oder destruktivem Verhalten gegenüber sakralen Objekten bzw. Personen eruptiv artikulierte. 189 Die in derartigen Aktionen greifbare Emotionalität konnte sich aber auch in Skrupeln und Zweifeln äußern. Eben diese Gruppe, welche zu einer radikalen Depotenzierung des bislang als heilig und heilswirksam Betrachteten noch nicht in der Lage war, weist das Vorwort 190 als die Adressaten dieser Schrift aus: „Auch das man vor dem Sathan beston mag ob er darin(n) anfechten wurde / wie man die messen die biszher ein gu(o)t ansehen gehabt haben als ob es Gott das aller gefelligst sey gewesen verwirfft [.,.]." 1 9 1 Aber auch robusteren Gewissen sucht Keller einen Dienst erweisen, indem er einer oberflächlichen, nicht auskunftsfähigen Ablehnung des Messopfers überzeugende Argumente zur Verfügung stellen will. 192

3.2.1

Das Sakrament als Werk des Menschen

Die Methodik der Schrift besteht in einem Vergleich zwischen der „vffsetzung des nachtmahls des herren" und der Messwirklichkeit bzw. ihrem theologischen Zentrum, dem Kanontext. Damit ist der Dual Gotteswort — Menschenwort als Leitkrilio / auch wie C h / / ristus die kauffer und ver / / kaufer ausz dem tempel / / hat trib(e)n / mit vil gwal / / tiger schryfFt befestti / / get / Geprediget zu(o) / / Rottenburg am Necker / Durch / / And r e j ) Keller." bei H.-J. KÖHLER, a.a.O., Fiche 43, Nr. 113. 1 8 9 Vgl. dazu Heinold FAST, Reformation durch Provokation. Predigtstörungen in den ersten Jahren der Reformation in der Schweiz, in: Umstrittenes Täufertum 1525—1975. Neue Forschungen, ed. Hans-Jürgen Goertz, Göttingen 2 1977, 7 9 - 1 1 0 . 1 9 0 Fol. A2r bis A3r. 1 9 1 Fol. A2r. Insbesondere für die Todesstunde wird dieser Zusammenhang zwischen innerer Anfechtung und äußeren Argumenten zugespitzt: „Dan(n) on zweyfFel wan(n) der todt daher fert / so kompt der teüffel mit allem dem dz er vff bringen mag da kompt er vnd sagt / Du hast die heyigen messz verachtet vnd keyn glauben daran gehapt / vnd deren geleych / das man wisz zu(o) antwurten / das sye nit heylig sey vnd vrsach zeüg warumb / damit man nit vffdem gemeynen geschrey vngewisz stand vnd amn keyn grund wisz." Fol. A2v. 1 9 2 „Auch das die / die yetzund daruon abgewent seind ein wissen haben / warumb j n e n solche messen nit gfallen / vnd warumb sye sich daruon entzyent / dan ich halt das deren gantz vil seient die yetzund von den messen enziehendt / vnd verachten sye vnnd mecht doch wol sein / das / wan(n) man sye fragte / vsz was vrsach sye es theten / kinden sye nit antwurten." Freilich muss auch der Ort dieser Schilderung einer allgemeinen, sachlich nicht auskunftsfähigen Messopferkritik berücksichtigt werden. So gehört es zu den konstitutiven Merkmalen eines Vorworts, die N o t wendigkeit der Publikation zu begründen.

684

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

terium der Auseinandersetzung eingeführt. Der Autor gewährt in einem ersten Teil 1 9 3 Einblick in sein aus den Einsetzungsworten hergeleitetes Verständnis des Abendmahls. Keller zitiert hier zunächst die neutestamentlichen Belegstellen der verba und resümiert anschließend ihren Gehalt. Als die zentralen Interpretamente wählt er das Gedächtnis und die Predigt vom Tod des Erlösers aus. Damit liegt, anders als bei Luther, der Akzent von vornherein nicht auf der Geschehensrichtung der Messe als Handeln Gottes am nur empfangenden Menschen. 1 9 4 Keller beleuchtet vielmehr die Frage nach der rechten Aktivität eben dieses Menschen im Sakrament. 3.2.1.1

Das Zeichen als Bekundung

des

Glaubens

Das Abendmahl wird näherhin als ein Zeichen verstanden. Luther stellte dessen rezeptiven Charakter heraus und verstand es als zwar wortgewiesenes, aber doch wirksames Element des Heilshandelns Gottes an den Menschen: 1 9 5 Durch das Zeichen eignet Gott dem Menschen die Vergebung seiner Sünden zu, wobei die Ausrichtung des Zeichens auf das Verheißungswort einer Verdinglichung dieses Geschehens wehrt. Das Zeichen gilt hier vor allem den einzelnen Sakramentsteilnehmern und -teilnehmerinnen, welche es die Vergebung der Sünden sinnlich erfahren lässt. Insofern ist es ein von Gott in Dienst genommenes Instrument der Heilsvermittlung. Wo die Communio als sakramentstheologische Leitperspektive diente, verstand Luther sie als Selbstwahrnehmung des Empfängers innerhalb der Christengemeinschaft und als Übernahme von Verantwortung für diese Gemeinschaft. Beides begründete er aus dem Zeichen, welches ihm nichts anderes als das Handeln Gottes am angefochtenen Menschen bedeutete. 1 9 6 Keller hingegen leitet seinen Abschnitt zum Zeichen folgendermaßen ein: Vsz w e l c h e m [sc. den verba] leichtlich mag g e m e r c k t werden was das nachtmal des herren für ein C e r e m o n i oder k i r c h e n b r u c h ist / N ä m l i c h ein zeychen oder kreyd des C h r i s t e n tumbs / das alle die / die von gantzem hertzen glauben / das sye mit d e m todt v n n d blu(o)tvergiessen Christi erlo(e)set seind / disz nachtmal öffentlich sollent essen v n n d trincken / zu(o) einer gedechtnusz / das Christus sein leyb für sye g e b e n / v n n d sein blu(o)t zu(o) abweschung der sünd vergossen hab / vnd zu(o) e i n e m zeychen / das sye wäre

Fol. A 3 r b i s B l v . Eine Zwitterstellung nimmt hier die Predigt ein. Insofern sie die Messe als Verkündigungshandlung der Feiernden qualifiziert, fugt sie sich in die horizontale Ausrichtung des Sakramentes ein. Zugleich aber ist hier eine Gemeinsamkeit mit Luthers Konzept gegeben, denn aus der Perspektive der Hörer wird die Messe tatsächlich zum Gotteshandeln am Menschen. Allerdings ist gerade angesichts des ausgeprägten Interesses Kellers an einer Unterscheidung zwischen Gott und Mensch damit noch nicht ausgemacht, inwiefern er Luthers inkarnationstheologisch begründetes Wortverständnis teilt. So verwendet er den Begriff,.Gedächtnis" stets im Sinne einer R ü c k w e n dung menschlichen Bewusstseins auf das Kreuzesgeschehen. 1 9 3 Vgl. dazu die Grundbestimmungen im Testamentssermon und ,De captivitate', WA 6, 363, 1 - 1 1 und 518, 1 3 - 2 2 . 193 194

196

Vgl. W A 2, 744, 1 9 - 3 0 .

§10

Einzelschriften

zur

Messopferthematik

685

glider seind des leybs Christi / v n d deszhalben als glider eins leyb / bru(o)derlich mit einander leben. 1 9 7

Das Zeichen richtet sich hier nicht an eine „hungrige Seele" und es antwortet nicht auf die Skrupel und Zweifel der Sakramentsteilnehmer. Vielmehr wird es zu einer Bekundung des Glaubens für die Mitchristen. 1 9 8 Es ist das äußere Erkennungszeichen, die „Kreide", 1 9 9 der sich im Glauben gerechtfertigt wissenden G e meinde. Damit besteht einmal eine Differenz zu Luthers Verständnis des Zeichens in der Frage nach dessen Adressaten. D e n n das Zeichen richtet sich hier an die kultische Öffentlichkeit, die Mitchristen, und nicht an den einzelnen Sakramentsempfänger. Konsequent wird als die Bedeutung des Zeichens nicht die aktuell gegenwärtige Vergebung der Sünden für den Kommunikanten herausgestellt. Vielmehr verdeutlicht das Zeichen zwei Momente: Einmal erinnert es das Kreuzesopfer als das stets vorgängige Heilsereignis, zum anderen weist es die Sakramentsteilnehmer als Glieder am Leib Christi aus. So firmiert hier als Subjekt des Gedächtnisses die feiernde Gemeinde, die sich „öffentlich auszfgibt] für kinder gottes / die durch Christi todt erlo(e)set seyent." 200 Diese Grundbestimmung kann Keller anschließend einem Konzept, welches die Sündenvergebung im Sakrament zugeeignet sieht, so entgegenstellen, dass die Rechtfertigung im Glauben und das Sakramentsgeschehen entkoppelt werden: Also mercken wir nun w a r u m b es [sc. das Nachtmahl] begangen werd / nit das man f r u m b vnd gerecht dardurch wo(e)ll werde(n) / das man sünd dardurch abdilken wo(e)ll / dann das mu(o)sz vorhyn geschehen sein / allein durch den glaubenn an C h r i s t u m J h e s u m / Sonder das man durch die nyeszung disz nachtmals als durch ein zeychen anzeygen / dz wir an C h r i s t u m glauben / vnd schon durch disen glauben f r u m b / gerecht / vnd selig seyent vnd in der gemeinschafft der heyigen. 2 0 1

Diese unterschiedliche Verhältnisbestimmung von Glaube und Sakrament zeigt sich auch in der Bestimmung der Gabe des Sakraments. Bei Luther war dies die Sündenvergebung, die geschenkt und nicht verdient werden konnte. Keller w e n det sich nun nicht nur gegen die Vorstellung, durch die Feier des Abendmahls k ö n ne der Mensch sich selbst vor Gott exkulpieren, sondern er bestreitet den Zusammenhang von Sündenvergebung und Sakrament überhaupt. Das Sakrament ist 197

Fol. A3v bis A4r. Vgl. etwa die Predigt über Lk 19,37—48 ,Ein Sermon auf den zehnten Sonntag nach dem achten der Pfingsten' aus dem gleichen Jahr, bei K Ö H L E R a.a.O., Fiche 43, Nr. 113: „Wa ain hertz ist / des des Ewangeliums fechig ist durch disen glauben / da mag es nicht verborgen bleyb(e)n sonder es prücht herausz vnd verkündtet öffentlich dey krafft dess / der es von der fynsternus in sein wunnderbarlich liecht beru(e)fft hat." Fol. A4r. 199 Unter „kreid(e)" gibt GÖTZE, Glossar, 141, an: „Losung(swort), Feldgeschrei, Erkennungszeichen, Schlachtruf." 200 Anzeygung fol. A4r: „welcher das nachtmol des herre(n) neysset / der gibt durch solichs zu(o)verston / das er glauben hab an den todt vnd blu(o)uergiessen Christi / das er auch in der selben gemeynsame sey / dan(n) so wir alle eins brots teylhafftig seind / zeygen wir damit an / das / wir vil vnser seind / die das nyessen / alle in eintrechtigkeyt der gemieter und des willens / alle ein brot und leyb seynd." 201 Fol. A4v. 198

686

Dritter Teil: Die Rezeption

und Luthers

Reaktion

nach seinem Verständnis nicht der O r t der Sündenvergebung, sondern die A n t wort des Menschen auf die Sündenvergebung im vor dem Sakrament anzusiedelnden Glauben. Diese Differenz zu Luthers sakramentstheologischem E n t w u r f wird zugespitzt deutlich im Verständnis der durch die Perba vorgegebenen Wendung „Leib und B l u t " . Während Keller wie Luther den „Leib Christi" als die G e m e i n schaft der Gläubigen identifiziert, gehen beide hier getrennte Wege. D i e jeweilige Bestimmung steht dabei unter der Leitfrage nach der Gegenwart Christi im Sakrament. Luther bezog Leib und Blut auf die anwesenden Elemente Brot und Wein. Die Brücke zwischen dem Heilsereignis am Kreuz und der Heilszuwendung in der Messe wird hier durch das wirkmächtige Verheißungswort geschlagen, welches das Zeichen zum Verheißungsträger macht. Keller indes versteht unter „Leib und B l u t " nichts anderes als den in der Messe abwesenden Körper Christi am Kreuz. 2 0 2 2 0 2 In der Messe soll gedacht werden, „das Christus sein leyb fiir sye geben / vnnd sein blu(o)t zu(o)abweschung der sünd vergossen hab" (fol. A4r), der Kommunikant soll glauben „das der leyb Christi fiir j n geben sey / vnnd das er durch das blu(o)t Christi erlediget sey von sünden" (fol. A4v). Diese Wahrnehmung der Sakramentsmaterie kann einmal in große Nähe zu den (spät)mittelalterlichen Überlegungen einer „natürlichen Verweiskraft" des Zeichens treten. Luther hatte den informationellen Gehalt des Zeichens von dessen Näherbestimmung durch das Wort abhängig gemacht und insofern christologisch und nicht von der Zeichenmaterie aus bestimmt. Mit der Entkoppelung von Wort und Zeichen halten bei Keller nun die scholastischen Deutungen des Zeichens Einzug. Zugleich begünstigt der Verzicht auf die Vorstellung, den Gläubigen werde im Sakrament Leib und Blut Christi gegeben, den Aufstieg des Satisfaktionsmodells. Die Gabe von Leib und Blut bezieht sich dann nämlich allein auf das Kreuzesgeschehen. Infolgedessen verengt sich das Bedeutungsspektrum des Begriffes „ B l u t " : Diejenigen Konnotationen, welche mit Blut den Sitz des Lebens, Lebenskraft und damit intime Personalität assoziieren, scheiden aus. Ü b r i g bleibt allein das Vergiessen von Blut als Kennzeichen tötender Gewalt. Wenn Leib und Blut am Kreuz „gegeben" werden, dann stellt sich zugleich die Frage nach dem Empfänger dieser Gabe mit besonderem Nachdruck und eine Nominierung des Vaters als Adressaten des Kreuzesopfers liegt nahe. — Wenn die Zwinglirezeption auch den R a h m e n der Untersuchung sprengt, so sei an dieser Stelle doch zumindest auf die .Auslegung und Gründe der Schlussreden' Zwingiis hingewiesen. Einerseits bezieht Zwingli dort die Hingabe von Leib und Blut, wie sie die verba thematisieren, auf das Kreuzesopfer, vgl. Z 2, 116, 1—4 und 117, 32—34. Andererseits macht er aber auch deutlich, dass Christus „sin eigen fleisch und blu(o)t zu einer spyß" in der Messe gibt und dass diese Gabe als eine „Sicherheit" fiir die Gläubigen zu verstehen sei, vgl. Z 2, 138, 30—139, 1. Diese Präsenz Christi in der Messe wird unter dem von Luther in ,De captivitate' abgelehnten R ü c k g r i f f auf die johanneische Brotrede als geistlich von einer fleischlichen Präsenz abgegrenzt: „Sich demnach, frommer C h r i s t , den lychnam und blu(o)t C h r i s t i nüt änderst sin weder das wort des gloubens, nämlich, daß sin lychnam, für uns getödet, unnd sin blu(o)t, für uns vergossen, uns erlößt und got versu(e)nt hat. So wir das vestenklich gloubend, so ist unser seel gespyßt unnd get r e n c k t m i t dem fleisch unnd blu(o)t C h r is t i . " Z . 2 , 143, 12—17. Hieran schließt sich eine völlige Abwertung des Zeichens, welches Christus „den einfältigen" gab, die „mit eim sichtbaren handel versichret wurdind". Die sichtbare, sinnliche Wirklichkeit ist hier deutlich vom K o m m e n Gottes in Wort und Glaube getrennt. GRÖTZINGER, a.a.O., 67 weist gegen NEUSER, Wende Z w i n glis, 2 7 , wohl mit R e c h t daraufhin, dass sich diejenigen Stellen der .Auslegung', welche „Leib und B l u t " als Sakramentsgabe beschreiben, im Horizont von Zwingiis Interpretation der Brotrede als geistige Speisung verstehen lassen. Zwingli liefert also in Z 1 4 2 f die Näherbestimmung einer Position, die seinem Verständnis von „Leib und Blut Christi" hier immer schon zu Grunde liegt: „In der R e g e l versieht Zwingli j e d o c h die R e d e vom Essen des Leibes und Trinken des Blutes Christi mit Zusätzen, die dem, der O h r e n hat zu hören, Andeutung genug sind, um zu verstehen, daß es sich dabei um eine geistige Speise und um einen geistigen Genuß handelt." A.a.O., 66. U. GÄBLER, Huldrych Zwingli 69, übersieht in Kenntnis der Arbeit Grötzingers die sakramentstheologische

§ iO Einzelschriften zur

687

Messopferthematik

Von einer Gegenwart Christi im Sakrament ist bei ihm in diesem Zusammenhang also gar nicht die Rede. So liegt bei Luther das Gewicht auf dem Moment des Empfangs der Sündenvergebung für den Einzelnen („pro me"), für Keller aber ist das Abendmahl allererst Proklamation der Gemeinschaft der Gläubigen an die Welt.

3.2.1.2

Der Glaube als Voraussetzung des Sakraments

Infolgedessen kommt auch der Glaube in beiden Konzepten unterschiedlich zu stehen. Luther hob durch die Bestimmung Gottes als des handelnden Subjekts das Wegblicken von der eigenen Disposition hervor: Weil Gott und nicht der Mensch im Sakrament handelt, gilt es, sich auf dieses Gotteshandeln auszurichten, nicht aber die eigene fromme Verfasstheit zu introspizieren. Keller hingegen weist die Subjektrolle den Feiernden zu. Ihr Glaube erscheint hier nicht als die von mitgebrachtem Zweifel und Skrupel befreiende Öffnung für das Verheißungswort, sondern er wird zur Voraussetzung des würdigen Sakramentsempfangs, die ein Bedingungsverhältnis nahe legt: „Darumb soll nyeman disz nachtmol empfahen / er glaube dann festiglich / das der leyb Christi für in geben sey / vnnd das er durch das blu(o)t Christi erlediget sey von sünden Vnd das er bru(e)derliche liebe mit seinem nechsten mitbru(o)der halten wo(e)ll." 2 0 3 Vergleicht man die hier getroffenen B e stimmungen mit den spätmittelalterlichen Strukturen und Luthers Konzept, dann erweisen sie sich als ein dritter, eigenständiger Typ des Sakramentsverständnisses:

Aktant Adressat Bedeutung

3.2.2

Spätmittelalter

Luther

Keller

Priester Gott Leib und Blut

Gott Mensch Leib und Blut, Gemeinschaft

Gemeinde Öffentlichkeit Gemeinschaft

Die Sündenvergebung im Messopfer ah Verletzung des

scpäjta£

In einem zweiten Schritt stellt Keller diese Bestimmung des Abendmahls als Zeichen dann der spätmittelalterlichen Messe gegenüber. Schon aus dem Leitkriterium, der Unterscheidung zwischen Einsetzung und „menschen fünd" ergibt sich der erste Greuel der Messe, denn ein Großteil der Messtexte hat für Keller keinen

Brisanz der .Auslegung', wenn er lapidar schreibt: „Die später so umstrittene Frage der leibhaften Gegenwart Christi im Sakrament beschäftigt Zwingli noch nicht." 2 0 3 Fol. A4v. Vergleicht man Keller mit Zwingiis Ausfuhrungen in der Auslegung des 18. Artikels, so zeigt sich auch bei dem Zürcher eine intrinsische Orientierung: „Aber der mensch sol sich selbs bewären, das ist: ee und er diß maß nemme, sol er sich selbs erinnern, was er von diser spyß halte, ob er den rechten glouben, den sy erforderet, habe, und demnach essen unnd trincken. Denn welicher unwirdiklich, das ist nit recht gloubend und underricht, ißt und trinckt, der ißt unnd trinckt im selbs ein verdamnus [...] . " Z 1 4 0 , 1 6 - 2 1 . Der Glaube richtet sich hier auf die Anerkennung eines Lehrgehalts („underricht") und nicht auf das selbst wirksame Verheißungswort.

688

Dritter Teil: Die Rezeption und Luthers Reaktion

Anhalt an d e r Praxis Christi o d e r der Apostel. D o c h m a n m e i n t nicht nur, G o t t m i t dieser allein auf M e n s c h e n w o r t b e r u h e n d e n Messe e i n e n Dienst zu erweisen, m a n sanktifiziert das M e n s c h e n w o r t auch, i n d e m m a n ein A b w e i c h e n v o m v o r g e g e b e n e n Messtext als S ü n d e qualifiziert. Bereits in dieser Kritik tritt also Kellers Interesse zu Tage, die Differenz zwischen G o t t u n d M e n s c h auch i m Sakrament nicht vers c h w i m m e n zu lassen. L u t h e r hatte sich j a ebenfalls dagegen gewandt, eine A b w e i c h u n g v o m K a n o n t e x t als S ü n d e aufzufassen. Er hatte aber seelsorgerlich a r g u m e n t i e r t u n d auf die dadurch evozierte Gewissensangst d e r Z e l e b r a n t e n h i n g e w i e sen.

3.2.2.1

Die Testamentsmetapher

als Illustrat der Treue zum

Gotteswort

A u c h die v o n L u t h e r die G a b e der S ü n d e n v e r g e b u n g illustrierende Testamentsmetapher k o m m t in einer Messtheologie, w e l c h e das Sakrament als D e m o n s t r a t i o n des Glaubens versteht, anders zu stehen. Sie w i r d hier a u f g e n o m m e n , u m die g e forderte Treue z u m G o t t e s w o r t zu veranschaulichen: W i e m a n bei e i n e m Testam e n t nach d e m T o d des Erblassers nichts ä n d e r n o d e r zusetzen darf, so auch nicht bei der auf den verba b e r u h e n d e n Messe. 2 0 4 E b e n das geschieht f ü r Keller aber in der g e g e n w ä r t i g e n Praxis, w e l c h e nicht zwischen M e n s c h e n w o r t u n d Gottes G e b o t unterscheidet u n d darin G o t t lästert. D i e Interpretation des testamentum-Begriffes verdeutlicht damit die grundsätzliche sakramentstheologische Differenz zu Luther. Bei diesem k e n n z e i c h n e t e die Testamentsqualifikation die Messe j a als v o m M e n s c h e n unabhängiges Heilshandeln Gottes. I m Bild v o m stinkenden, a b s t o ß e n d e n Bettler, d e m auf G r u n d des Testaments sein Erbe u n a n g e s e h e n eigener U n würdigkeit zugesprochen wird, brachte L u t h e r dies drastisch z u m A u s d r u c k . Keller ist sich in der Frage, dass der M e n s c h solagratia gerechtfertigt werde, zwar völlig einig mit Luther, versteht das Sakrament aber aus christologischen Prämissen als ein e menschliche U n t e r n e h m u n g . Folglich h e b t sein Verständnis des Testamentsbildes nicht auf die Gratuität einer f ü r ihn ja vor allem sakramentalem H a n d e l n liegend e n S ü n d e n v e r g e b u n g ab, s o n d e r n stellt die B i n d u n g an das G o t t e s w o r t g e g e n ü b e r n u r menschlich autorisierten G e b o t e n sicher.

204 Fol. B2r bis B2v. Dieses A r g u m e n t ließ sich auch gegen eine Abschaffung der Jahrtage anfuhren, denn diese implizierte ja einen Bruch mit d e m Willen der verstorbenen Stifter. Vgl. etwa die Argumentation FENERS (§ 10.1.1). Keller verfolgt also die rhetorisch erfolgversprechende Strategie, dem Gegner sein Argument zu entwinden u n d gegen ihn selbst zu richten. — Zwingli schloss sich zwar ausdrücklich Luthers Verständnis der Messe als Testament an, (Z 2, 137, 33—138, 3), er bestimmte aber das Verhältnis z u m gegenwärtigen Christus anders als dieser. Vgl. dazu GRÖTZINGER, a.a.O., 67: „Offenbar soll nicht die Vorstellung eines Testaments Christi durch die R e d e vom Essen u n d Trinken seines Leibes u n d Blutes veranschaulicht werden, sondern u m g e kehrt die R e d e vom Essen u n d Trinken durch die Vorstellung des Testaments verständlich werden: D e r Leib u n d das Blut Christi werden zur Speise der Seele, w e n n diese bedenkt, daß Christus durch die Hingabe von Leib u n d Blut sein Testament in Kraft gesetzt hat. Der am Kreuz hängende Leib ist ein ,sicher pfand und zeichen' dafür, daß, ,wenn ouch wir sterben werdind, wir das erb, des er uns hat erben gemacht, y n n e m e n werdend.'."

§10

Einzelschriflen

zur

Messopferthematik

689

Diese als „Menschenwort" denunzierten Zusätze werden im Folgenden thematisiert. Zunächst richtet Keller das Augenmerk auf die Messsprache. Die gegenwärtige Praxis, welche das Lateinische bei Todsünde verbindlich macht, kann sich nicht auf ein Gebot der Schrift berufen, da eine Sprachregelung in der Schrift nicht getroffen wird. Weil Christus das erste Abendmahl aber in einer allen verständlichen Sprache hielt, ist heute das Deutsche vorzuziehen. 205 Doch darf man daraus kein Gebot zu machen, sonst würde der alte Fehler ja wiederholt. Die zweite allein auf Menschenwort beruhende Vorschrift bezieht sich auf die Messkleidung. Keller argumentiert analog: Angesichts fehlender Schriftbegründung wird hier zur Sünde gemacht, wo keine Sünde ist und damit Gott gelästert. 3.2.2.2

Das etpajta^ als Wurzel der

Messopferkritik

Der dritte lästerliche Zusatz ist die Qualifikation der Messe als Opfer. Keller geht aus von dem klassischen spätmittelalterlichen Messopfermodell, nach welchem Leib und Blut Christi in der Messe dem Vater geopfert werden. Diese Vorstellung ist für ihn „ein greuwel über alle greüwel". Zur Begründung verweist er einmal auf die Anmaßung, die sich mit dem Anspruch, Christus zu opfern, verbindet. 206 Sein Haupteinwand besteht dann aber im i^äjtai; des Hebräerbriefes: „Christus hatt sich selbs ein mal vffgeopffert seynem vatter / vnd durch disz einig vffopifern seins selbs die sünd aller gla(e)ubigen vsz dilket [,..]." 2 0 7 Kellers Kritik am gängigen Messopfer hebt nun auf beide Aspekte des gOpfer< ein? In: Mitt. A. d. diak.-mission. Werk 16 (1979), 2 4 - 3 0 . OZMENT, STEVEN, Pamphlet Literature o f the German Reformation, in: Reformation E u rope. Guide to Research, ed. derselbe, St.Louis 1982, 8 5 - 1 0 5 . - , T h e Social History o f the Reformation: What can we learn from Pamphlets, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit: Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, ed. Hans-Joachim Köhler, in: S M A F N 13, Stuttgart 1981, 1 7 1 - 2 0 3 . PÄHL, IRMGARD, Die Feier des Abendmahls in den Kirchen der Reformation, in: Hans Bernhard Meyer: Eucharistie. Geschichte, Theologie, Pastoral. Z u m Gedenken an den 100. Geburtstag von Josef Andreas Jungmann SJ am 16. Nov. 1989, in: G D K 4, Regensburg 1989, 3 9 3 - 4 3 8 . PALLAS, KARL, D e r Reformationsversuch des Gabriel Didymus in Eilenburg und seine Folgen. 1 5 2 2 - 1 5 2 5 , in: A R G 9 (191 lf), 3 4 7 - 3 6 2 . PALMER, NIGEL F., Artikel ,Marquard von Lindau', in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, ed. K. R u h u.a., 6, Berlin - N e w York 2 1 9 8 7 , 8 1 - 1 2 6 . PANNENBERG, WOLFHART, Das Abendmahl - Sakrament der Einheit, in: Christen wollen das eine Abendmahl, Mainz 1971, 29—39. Jetzt in: derselbe: Ethik und Ekklesiologie, G ö t tingen 1977, 2 8 6 - 2 9 2 . —, Die Problematik der Abendmahlslehre aus evangelischer Sicht. Ein Beitrag zum ökumenischen Gespräch über das Abendmahl, in: Evangelisch-katholische Abendmahlsgemeinschaft? 1971, 9 - 4 5 . Jetzt in: Ethik und Ekklesiologie. Gesammelte Aufsätze, G ö t tingen 1977, 2 9 3 - 3 1 7 . - , Lima - pro und contra, in: K u D 32 (1986), 3 5 - 5 1 . - , Systematische Theologie, 3 Bde., Göttingen 1988—1993. PAUS, ANSGAR, Art. ,Priester, Priestertum' in: L T h K 8 (ed. Walter Kasper), Freiburg i.Br. Basel - W i e n 3 1 9 9 9 , 5 5 7 - 5 6 0 . - , Art. ,Sakrament. I. Religionsgeschichtlich', in: LThK 8 (ed. Walter Kasper), Freiburg i.Br. - Basel - W i e n 3 1 9 9 9 , 1 4 3 7 - 1 4 3 8 . PEGG, MICHAEL A., Short Title Catalogues Notes on Identity o f Texts, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit: Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, ed. H.-J. Köhler, in: S M A F N 13, Stuttgart 1981, 2 9 - 4 1 . PESCH, OTTO H . u n d PETERS, ALBRECHT, E i n f ü h r u n g in die L e h r e v o n G n a d e u n d R e c h t -

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Personenregister Unter Mitarbeit von Herta Simon Abaelardus, P. 353 Abel (Bruder Kains) 324, 693 Abraham (Patriarch) 263, 306, 308, 322, 693 Adam und Eva 263 Adam, A. 641 Addai und Mari 70 Adolf II. von Merseburg 669 Adorno, Th.W. 8 , 8 0 Agricola, St. 654-659, 663, 666, 668670, 672, 697 Ahn, G. 5 Albertus Magnus 85, 140, 204, 211 Albrecht von Mainz 514 Altenstaig, J. 18,676 Althammer, A. 480 Althaus, P. (d.J.) 227, 278 Alveldt, A. von 554, 636f Amalar von Metz 65, 70, 85, 229 Ambrosius von Mailand 36f, 61, 100, 105, 252, 489 Amsdorff, N. von 425, 431, 449, 481, 483, 504, 509, 514, 517 Andresen, C. 257 Angenendt, A. 10, 57f, 67, 71, 73f, 77, 86, 108f, llOf, 112f, 231, 292, 295, 302, 337, 424, 430, 456, 505 Anselm von Canterbury 188, 212, 278, 353, 356f, Aristoteles, aristotelische Philosophie 27, 29, 66, 72, 91, 97, 192 , 251, 265, 343, 558, 610, 618, 627, 660, 673 Athanasius von Alexandrien 609 Augustin, A. von Hippo 8, 36f, 61, 100, 105, 170-172, 176f, 203, 224, 240, 307, 313, 321, 451, 489, 558, 610 Aulen, G. 353, 356

Bächtold,J. 145 Balthasar, U. von 352, 357 Barge, H. 329, 425, 439, 441, 449f, 4 5 2 454, 460f, 463, 473, 475, 493, 498, 550 Barletta, G. 88f, 102, 104f, 106 Barth, K. 30, 233 Bataille, G. 18 Bauer, G.L. 35 Baumstark, A. 83 Bautz, W. 556 Bayer, O. 172f, 177, 179, 181, 185, 202, 212, 224, 227, 233 - 240, 242f, 262 Beckmann, O. 479, 483, 485f, 512, 535, 538f, 546 Beda Venerabiiis 100 Beleth, J. 136,160 Benedikt von Aniane 71 Benrath, G.A. 313 Bentzinger, R . 619, 623, 625, 629, 634 Berengar von Tours 230 Berger, K. 15, 46, 367,492 Berger, R . 48, 50, 58, 83, 108, 111 Bernhard von Clairvaux 100, 112, 203, 337, 353, 545 Bernhardi, B. 514 Bernhardin von Busti 102—106 Berthold von Chiemsee 505, 667 Berthold von Regensburg 91, 583 Beskau, M. 479, 483 Betz, J. 58 Beyer, Ch. 433, 478, 482f, 496-498, 503f, 507, 509-511 Beyschlag, K. 400 Biel, G. 9, 33, 36, 54, 89f, 93, 95-97, 99, 101, 104, 175, 179, 181, 188, 192, 198, 205f, 210f, 214f, 219, 225, 240, 248, 268, 271, 352f, 362f, 402, 415

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Personenregister

Bieritz, K.H. 635f Bizer, E. 171 f, 207, 214f, 219, 228, 234, 236-238, 262, 274f Blaschke, K. 4 2 3 , 4 8 0 Bloch, M. 11 Blochwitz, G. 555, 620 Bonaventura (Johannes Fidanza) 95, 558, 667 Bornkamm, H. 328, 429, 444, 454, 462, 476 Bossy, J. 1 1 , 1 0 8 , 1 1 3 , 2 8 3 Botte, B. 22, 25, 59, 64f, 73, 274, 383, 393, 395 Bradshaw, P.F. 76 Brandt, S. 291, 354 Brecht, M. 172, 346, 406, 516, 564, 600, 611 Bresen, F. von 496 Breytenbach, C. 367 Brilioth, Y.T. 212 Browe, P. 69, 91, 112, 124, 129, 138f, 150, 545, 667 Brück, G. 426-432, 440, 477f, 611 Bubenheimer, U. 422 f, 429, 432 f, 435 f, 439, 446, 448f, 454, 456f, 463, 478, 480, 484-486, 493, 496-498, 503, 507, 515-524, 526, 528-530, 535f, 5 3 8 540, 543, 546 Buchrucker, A.E. 30f Buckwalter, S. 173, 401, 571 Burer, A. 450, 462 f, 474 Burkert, W. 5, 16, 141 Caesarius von Heisterbach 80f, 127 Cajetan(us), Th. 206, 300, 371 Calvin,). 228,447 Cameron, E. 555 Capito, W. 426, 445, 462, 474, 480, 482, 498 f, 507 Caracciolo, R . 104 Casel, O. 30-35, 54, 63, 87, 269, 348, 366 Chrodegang von Metz 111 Chrysostomus —> Johannes Chrysostomus Cicero, M.T. 3 6 , 2 3 8 Clark, F. 30 Clemen, O. 262, 504, 592, 613, 619 Clemens von Alexandrien 57, 296

Cochläus, J. 554 Colpe, C. 8 Courtney, W.J. 36 Crehan,J.S. 37 Cruciger, K. 480 Cruse, G. 449 Cuelsamer, J. 449 Cyprian Th. C. von Karthago 50, 56f, 61, 67, 139, 393, 484f, 489, 647, 651 Cyrill —» Kyrillos von Jerusalem Dahm, A. 201 f, 355, 357f Dalferth, I.U. 55 Damerau, R . 37, 95, 181 David (König Israels) 306, 322 Delius, H.U. 619 Diepold, J. 5 6 1 , 5 9 9 - 6 0 8 , 6 4 3 Dierken,J. 270 Dillersberger, J. 87, 366 Dinstedt, U. von 479, 483 Dionysius von Rykel (Cartusianus) 205 Dix, G. 47, 56, 115, 128 Döllinger, I. von 116, 256, 381 Dölsch, J. 424f, 430f, 433, 444, 475, 477, 479, 483, 485-489, 494, 512, 546 Dölzig, H. von 509 Duchrow, U. 523 Dungersheim von Ochsenfurt, H. 474, 661 f, 669 Duns Scotus, J. 76, 95-99, 109, 149, 470, 558, 609, 617, 622 Durandus, W. 85, 127f Durkheim, E. 9-12, 17 Ebeling, G. 171, 251, 523 Eberlin, J. von Günzburg 84, 334, 484, 502, 554-571, 575-587, 599f, 608, 642 f, 710 Eck, J. 3 3 , 3 4 7 , 5 3 3 , 6 1 2 Eckhart, Meister 92, 126, 140, 664 Ehmer, H. 600, 682 Einsiedel, H. von 496, 502-504, 507, 509-511 Eisermann, J. 4 8 3 , 5 0 4 , 5 0 9 Eldred (König) 107 Einer, G. 479, 483 Emser, H. 347, 533 Enders, L. 84, 484, 556f, 562, 565, 568, 570, 577, 579, 580, 584f, 599

Personenregister

Erasmus Desiderius von Rotterdam 556, 558 Espezel, A. 357 Eva (Mutter des Lebens) —> Adam und Eva Faber-Stapulensis, J. 1 7 6 , 1 9 8 , 2 0 8 Fabn, F. 607 Fast, H. 482, 683 Feld, H. 203, 206, 215 Fener, G. 554, 646-654, 688, 697 Fischer, G. 556 Fitzpatrick, P.J. 13f, 20, 67, 85-87, 166 Florus von Lyon 18, 65, 74, 86 Frank, K.S. 17, 45f Franz, A. 18, 25, 65, 75f, 80-83, 85f, 91 f, 98, 102, 105-107, 113-117, 119122, 124, 127-129, 131f, 134, 142, 156, 166, 205, 231, 256, 292, 354 Freiwald, J. 220, 374 Freud, S. 6 Fridolin, St. 629 Friedrich III., der Weise Kurfürst von Sachsen 429, 433, 449, 463, 476, 478f, 482, 485, 487, 493, 496, 498, 503, 511, 536 Friedrich, G. 42 Führer, W. 176, 192f, 236, 242, 316 Gabler, U. 286, 686 Gansfort, W. —> Wessel Geiler von Kaisersberg, J. 88 Gengenbach, P. 557 Gerbel, N. 327 Gerhards, A. 52 Gerken, A. 3 4 , 7 2 Gerson, J. le Charlier de 106 Gertrud von Hackeborn 126 Gese, H. 41 f Gideon (Großer Richter) 466 f, 633 Girard, R . 6, 11, 113 Giraudo, C. 52 Glapion, J. 611 Goertz, Hans-Jürgen 482, 555, 683 Goertz, Hansjosef 9, 17-19, 22, 84, 122, 132f, 136, 144-146, 152f, 157f, 161, 208, 288 Goertz, Harald 296 Gollwitzer, H. 201

751

Gössmann, E. 401 Götze, A. 1 1 6 , 2 5 0 , 6 8 5 Graebke, F. 233 Grane, L. 201, 371, 637 Grass, H. 228, 233 Gregor I. (Papst) 20, 61, 75, 101, 107, 112, 118, 120, 127f, 151, 166, 310, 337f, 344, 414, 485, 488f, 491, 696 Gregor von Tours 80 Greshake, G. 18 Gritsch, K. 90 Grop, G. 449 Groß, Ch. 482, 496 Grötzinger, E. 132, 215, 242, 256, 262 264, 266, 277, 279, 282, 285-287, 289, 298, 300, 315, 553, 686, 688 Günther, F. 662, 669 Gutmann, H . M . 6f, 16 Güttel, K. 125, 327, 442, 553f, 603, 619-645, 670 Hacker, P. 203 f Hadrian I. (Papst) 71, 116 Hagen, K. 177, 198, 208f, 212 Hahn, F. 42f, 45 Halmer, N . M . 166, 186, 246 Hamm, B. 117, 173, 175f, 178, 185, 192, 247, 254, 353, 401, 403 Harnack, Th. 353 Hartmann, Ph. 635 Hasler, A. 185 Häussling, A.H. 108, Hebenstreit, H. 556 Hegel, G.W.F. 12, 185 Heinrich VIII, König v. England 334, 348 Heinrich von Kettenbach 599, 600, 6 0 8 619, 644 Heinrich von Langenstein (von Hessen) 81, 129, 156 Heinrich von Zutphen 432-439, 448, 463, 469, 472-474, 476f, 511 Heinz, A. 76, 635 Heinz-Mohr, G. 15, 129, 141 Heise, J. 662 Heisterbach, C. —» Caesarius von Heisterbach Helle, J. 9-12, 17, 19, 29 Helman, S. 425f, 428-430, 440, 445, 447, 464, 477, 508

752

Personenregister

Helt, K. 424, 428-430, 447f, 477, 4 7 9 481, 519 Hempelmann, R . 19, 36, 44, 51, 66, 252 Hendrix, S.H. 587 Herolt, J. 89, 102-105, 107 Herpf, H. 89, 104 Hess,J. (Reformator Breslaus) 262. 425f, 428, 464 Hieronymus 401, 558 Hilberath, B.J. 2 8 , 2 2 0 Hilgenfeld, H. 185, 204, 209, 21 l f , 214, 224, 240, 273, 279, 319, 356, 369 Hirsch, E. 215 Hobbes, Th. 238 Hoen, C.H. 446f HofTmann, Ch. 449 Hofius, O. 27, 43 f, 51, 361 Hohenberger, Th. 223, 225f, 236, 553f, 556, 579, 588, 596, 619-621, 627, 646, 651, 660 Hohenlandberg, Hugo von (Bischof von Konstanz) 572 Holl, K. 233 Hollaz, D. 546 Hollen, G. 17, 80, 90, 103-105, 107, 127f, 134 Homer 7 Hönig, E. 34, 43, 51, 372 Horkheimer, M. 9, 80 Huguccio von Pisa 93 Hus, J. 292,611 Hutten, U. von 556, 574, 675 Idelhauser, M. 600, 606, 613f Ignatius von Antiochien 47 Immenkötter, H. 587 Innozenz III. (Papst) —> Lothar von Segni Innozenz VI. (Papst) 130 Irenaus von Lyon 48, 57f Iserloh, E. 20, 33-35, 37, 67, 71f, 74, 85, 93-95, 98, 171-173, 182, 249, 268f, 280, 348, 361, 363, 406, 457, 554, 612 Ita von Hohenfels 145 Iumna 107 Jakob Perez von Valencia 178, 182 Jakob von Jüterbog 103-105 Jakob von Vitry 153

James, M. 229 Janowski, B. 5, 41, 291 Jauer, N. 107 Jeremias, Joachim 168 Jetter, W. 1 7 1 , 1 7 8 , 1 8 2 , 1 9 4 Jochanan ben Zakkai 48 Joest, W. 34, 248f, 251, 293, 297, 300, 695 Joestel, V. 499, 503 Johannes (Evangelist) 100, 636, 652, 686 Johannes (Seher der Apokalypse) 100 Johannes Chrysostomus 36, 54, 56, 198, 208, 209f, 214-216, 258, 276, 353, 558 Johannes der Täufer 592, 601 f Johannes von Bechhofen 89, 104f Johannes von Damaskus 61 Johannes von Werden 89, 103-106, 415 Johannes von Wesel 256 Jonas, J. 424, 4431, 440, 449, 479f, 483, 498f, 502, 504, 509 Juliana von Lüttich 635 Jüngel, E. 30f, 272, 281, 316, 352, 404, 409 Junghans, H. 423, 519 Jungmann, J.A. 7f, 19, 22-26, 52, 57f, 60, 63f, 71, 73, 83f, 111, 113f, 122124, 126, 136f, 141, 143, 145-148, 151-153, 155f, 159f, 283, 383, 485, 505 Justin 46f, 60f, 159, 405 Kant, I. 26 Kapp, J.E. 432-438 Karant-Nunn, S. 9, 76, 79, 133f, 241, 555 Karl, König der Franken 71 Karlstadt, A. 328, 419, 422-425, 431f, 439-441, 446, 449-464, 466, 471-479, 483, 486, 495-504, 506-514, 517, 521, 538, 542, 556, 565, 576, 609, 663 Kaufmann, Th. 571, 587 Kawerau, G. 442, 603, 619-621, 624, 634f, 637, 662, 670 Keller, A. 286, 646, 682-698 Kertzer, D. 17 Kilwardby, R . 205 Kippenberg, H.G. 10 Klauser, Th. 71

Personenregister

Klein, W. 1 1 , 1 8 Klinghardt, M. 44, 46f, 61 Koch, E. 592,619 Koch, G. 19, 46, 125, 256, 451 Koch, O. 29, 31 f, 252 Köhler, H.J. 419f, 424, 474f, 499, 516, 553, 556, 562, 570, 579, 588, 592, 596, 599, 601 f, 605, 608, 610, 617, 619-621, 635, 646, 655, 661, 665, 673, 682f, 685 Köhler, W. 431, 442-444, 449, 460, 543, 550f. Kolde, Th. 433, 449 Korsch, D. 365 Körsgen, A. 556 Kotiranta, M. 68 Kretschmar, G. 32, 44, 47-49 Kroeger, M. 176 Küchenmeister, S. 479, 483 Kühn, U. 32, 201 Kyrillos von Jerusalem 56 Lactantius 8 Lanczkowski, G. 9 Lang, B. 7-9, 11, 17, 19f, 42f, 61, 67, 113, 133, 135 Lang, J. 479, 498, 502 Lang, P. Th. 134 Liebmann, M. 587 Lienhard, M. 171, 176, 179, 186, 190, 212, 237f, 243, 270, 278, 299f, 350, 351-353, 355f, 369 Lies, L. 383 Lietzmann, H. 44, 504, 507 Linck, W. 428, 431, 435, 441, 463f, 477, 499, 508, 660, 662, 668 Lindemann, A. 45f Loewenich, W. von 592 Lohse, B. 172, 178, 193, 401 Lona, H.E. 45 Lortz, J. 33, 185, 228, 268 Lothar von Segni 76, 85 Lukas (Evangelist) 100 Lukian von Samosata 57 Luykx, B. 76 Maier, B. 5, 15f, 491 Manberger, J. 125, 554, 646, 651-654, 697

753

Mann, F. 171, 186, 220, 357, 372 Mari —> Addai und Mari Marius, A. 554 Markschies, Ch. 46 Massa, W. 21, 87-90, 100, 102-104, 131, 137-141, 225, 415, 430 Mau, R . 485, 515-517, 522, 553, 604 McCue, J. E 1, 228, 232, 246, 251, 253, 268, 289, 296, 299f, 322, 358 Mechthild von Magdeburg 666 Melanchthon, Ph. 15, 166, 262f, 327, 419, 425, 428, 431 f, 435, 440f, 445, 448f, 453f, 462-479, 481, 485, 497, 504, 506-509, 512-514, 556, 565, 576, 609 Mensching, G. 11 Mensing.J. 554 Merkel, H. 108 Messner, R . 19, 24, 26, 28, 41, 43f, 46, 48-59, 63-68, 70, 73, 75, 76, 78, 131, 155f, 168f, 217f, 220, 242, 269, 287, 293, 356f, 359, 361, 368, 379, 384, 405 - 407, 410-413 Metzger, M. 1 8 , 7 1 , 7 7 , 1 0 9 Meyer, H.B. 37, 63, 71, 95, 124-131, 166f, 216, 245, 262, 300, 325, 352, 578 Mildenberger, F. 50, 109, 546, 592 Minucius Felix 58 Moeller, B. 1, 173, 402, 555f, 571 Mohlberg, L.C. 110,115 Mohrmann, Ch. 22, 25, 59, 64f, 73, 147f, 274, 383, 393, 395 Möller, E.W. 507 Moltmann,J. 352 Mose 263, 339, 344, 489, 601, 627f Mowinckel, S. 43 Muir, E. 9-12, 15, 17, 67, 116, 121, 125, 127-129, 134, 137, 226, 230, 247, 265, 425 Müller, K. 316, 425, 429, 440-444, 450, 452f, 458, 460-463, 475, 493, 498f, 501, 504, 507 Müller, N. 122, 425-433, 435, 440, 444f, 447f, 450f, 462-464, 474, 4 7 7 490, 493f, 496-499, 502-504, 507511, 516, 536-539 Nestler, P. 608, 613f

754

Personenregister

Neunheuser, B. 31, 33, 35, 108 Neuser, W. 236, 262, 327f, 425f, 429, 439, 442f, 445f, 448-450, 453, 462, 464, 466f, 471 f, 475, 477, 485, 487f, 493, 497, 499, 501, 504, 506f, 517f, 531 f, 543, 686 Nider, J. 103-106,354 Niesei, W. 263, 303-305, 307f, 310, 317, 324 Nikolaus von Lyra 198, 208, 558 Noah 263, 633 Nübling, E. 599 Nussbaum, O. 108 Oberman, H.A. 36, 198, 447 Ochsenfarth —> Dungersheim von O c h senfurt, H. Ockham, W. von 33f, 171, 177, 190, 206, 269-271, 363 Odysseus 80 Oehmig, St. 423, 499 Oekolampad, J. 129, 556, 587, 604, 616 Ohst, M. 76, 91, 108f, 113, 127, 139, 184, 204f, 296 Origenes 558 Oswald von Lasko 89 Otto, R . 695 Overdick, W. 5 Ozment, St. 570 Pallas, K. 503 Paltz.J. von 103 Pannenberg, W. 31, 367 Paratus 104 Paschasius Radbertus 34, 68, 92 Paulsen, H. 45f Paulus von Tarsus 51, 61, 91, 100, 117, 198, 208, 226, 288, 341, 369, 391, 436-439, 463f, 474, 489, 491, 533, 566f, 573, 579, 583, 602, 609, 617, 621, 633, 651, 654, 665, 669, 696 Pelbart von Temesvar 103-106, 138 Pesch, O.H. 9 1 , 1 8 5 , 3 5 3 Peters, A. 201 f, 212, 228, 233, 280, 303, 334, 355, 372 Peters, Ch. 334, 556f, 563-568, 570, 572, 574-576, 578, 580, 599, 606 Petrus Damiani 147, 338, 393 Petrus Lombardus 21, 93, 137, 240, 256, 313, 451, 664

Petry, U. 557 Philippi, G. 327 Plathow, M. 695 Plato, Platonisches Denken 17, 28f, 36, 66-68, 117, 161, 364-366, 708 Plettner, T. 431, 449, 483 Poscharsky, P. 113 Poschmann, B. 35 Praepositinus von Cremona 93 Pratzner, F. 34f, 37, 68, 131, 166-168, 216-218, 220, 269, 300, 316, 363 Prenter, R . 29 Preus, J.S. 420, 422f, 429, 440f, 454, 462, 474, 483, 485, 493, 502f, 507f, 511, 517, 521 f Radlkofer, M. 565 Rahner, K. 1 9 , 3 2 , 2 5 1 Rappolt, W. 554 Rathey, M. 228 Ratramnus von Corbie 34 Ratzinger, J. 31 R e h m , J. 6 Reichert, F.R. 21, 131, 147 Reinburg, V. 81-84, 114, 128, 140, 158, 248, 283, 336 Reuchlin, J. 558 Rhegius, U. 243, 516, 554, 587-598, 643 Rhenanus, B. 432, 462, 474 Richard von St. Viktor 614 Rieske-Braun, U. 190, 278, 353, 355, 370 Ritsehl, A. 2 7 8 , 3 5 3 Ritter, A.M. 257 Ritter, S. 555 Roloff, J. 2 7 , 4 2 Römer, J. 652, 661, 664, 671f Roth, St. 390, 504 Rothkranz, J. 26 f Rubin, M. 12, 17, 26, 69, 74, 77, 82-85, 98, 107, 112f, 121 f, 124-130. 134. 136f, 139, 141, 149f, 153f, 156, 228f, 257, 271, 292f, 337, 375f, 635f, 640 R ü c k e n , H. 215, 447 Rummel, P. 587 Rupert von Deutz 74, 155 Schade, O. 660

Personenregister

Schatzgeyer, C. 348, 554 Schenk, R . 5, 7, 205, 211, 347, 357, 371, 548 Schieffer, R . 424 Schilson, A. 30-33 Schirlentz, N. 474 Schlamau, L. 479, 483, 538 Schiette, H . R . 140 Schlink, E. 30 Schmidt, G.L. 620 Schmidt-Lauber, H.- Chr. 30, 44, 47, 52, 60, 66, 165, 168f, 361, 375 Schneider, B. 121 Schneider, Th. 28, 34, 220 Schurff, A. 483 Schurff, H. 4 3 1 , 4 8 3 Schwab, W. 21, 171-173, 179, 181f, 193f, 199, 201 f, 204, 228, 239, 242, 248f, 266-269, 273, 347, 361, 363, 374, 406 Schwahn, B. 32 Schwarz, R . 169, 177f, 204, 212, 227, 242, 262f, 270, 303, 328, 335, 348, 401 f, 406, 412, 596 Schwenckfeld, C. 695 Scotus, D. —> Duns Scotus, J. Scribner, R . 79f, 114, 116, 133, 135f, 423, 480, 482, 503, 507, 514, 518, 523, 528, 530 Seeberg, E. 219, 695 Seegets, P. 381,629 Seitz, O. 587, 596 Seiwert, H. 6-8, 10 Semmelroth, O. 201 Seraphim, H. Chr. 43, 361 Severin von Köln, Heiliger 338, 344 Sickingen, Franz von 556, 660, 663 Sider, R.J. 425, 449, 458, 497f Simon Petrus (Jünger Jesu) 330, 341, 371, 436, 474, 491 Slenczka, R . 401 Smend, J. 596 Soccus 89 Söhngen, G. 32 Sommerlath, E. 201,233 Spaemann, R . 17, 20 Spalatin, G. 228, 327f, 432, 440, 444, 481, 485f, 496, 498, 514f, 517f, 520, 535, 538

755

Stählin, O. 57 Stählin, R . 31, 44, 46f, 51, 56, 65, 71, 77, 115, 156 Stapulensis —> Faber-Stapulensis, J. Staupitz, J. 1 7 5 , 2 2 5 , 6 2 7 Stayer, J.M. Stefan von Autun 92 Stegemann, W. 5, 13, 27, 42, 49 Stein, W. 374 Stifel, M. 660, 670 Stock, U. 224-227, 232f, 237, 239-243, 249f, 262, 266, 273, 275, 485 Strabo, W. 91 Straube, M. 423 Strauß, J. 665-667,669 Stuflesser, M. 43f, 52, 63f, 282, 347, 361 f, 384, 391, 397, 405 Stuhlmacher, P. 367 Stumpf, J. 662 Stupperich, R . 231, 463 Tauler, J. 92, 117, 140, 224, 665 Tellenbach, G. 102 Tentzel, W.E. 611 Tertullian, Q.S.F. von Karthageo 8, 29, 48, 61, 111, 295f Theissen, G. 42, 44 Theodulf von Orleans 110 Thesaurus Novus 102—105 Thomas von Aquin 9, 14f, 11, 26, 3 3 37, 68, 75, 94, 111, 125, 130, 132, 134, 138-140, 142, 156, 177, 198, 204f, 207f, 224, 228f, 234, 251 f, 256, 264, 274, 291, 294, 336, 347, 360, 365, 375-377, 380, 468, 470, 558, 609, 614f, 617, 622, 637 Thomas von Hasselbach 128 Thomas, G. 8 Thurian, M. 167 Tiling, M. von 329, 439, 449 Track, J. 9 Tüchle, H. 599 Tylor, E.B. Uhlhorn, G. 587 Ulhart, Ph. d.Ä. 474 Ulscenius, F. 426-428, 440, 443, 447, 462f, 474, 477, 480, 482, 498f, 507f

756

Personenregister

Vajta, V. 165, 212, 227, 249, 284, 287, 291, 331 Vogel, C. 108 Vogt, J. 496 Voigt, J. 262 Volmar, J. 4 7 9 , 4 8 3 Volp, R . 52, 60, 115, 635 Wagner, F. 8, 352, 548 Wann, P. 106 Weber, M. 11 Wegenaer, P. 35 Wegman, A. 187 Weismann, Ch. 556 Weiß, B. 70, 94, 224, 664-667 Welker, M. 55, 291, 354 Wendebourg, D. 1, 47, 51, 59-62, 555 Wenz, G. 19, 33, 66f, 352, 367 Werbeck, W. 95, 97, 249, 452 Wesel, J. von 256 Wessel (J.W., Gansfort) 91, 93, 224, 231, 349, 403 Westerburg, G. 660, 663f, 667, 670, 671 Wilckens, U. 51

Wilhelm von Auvergne 184, 204, 296 Wilhelm von Auxerre 129 Wilhelm-Schaffer, I. 108, 116f, 120, 231, 594 Wisloff, C.F. 64, 165f, 178, 182, 186, 199, 212, 215, 218f, 232, 246, 276, 284f, 318, 331, 334, 347 - 349, 351, 357, 404, 406 W y c l i f J . 292 Young, F.M. 45 Zeller-Werdmüller, H. 145 Zimmermann, B.W.A. 69, 167f Zinser, H. 7 Zöller, K. 505, 583, 667 Zschoch, H. 587f, 596 Zwilling, G. 422, 424-432, 439-450, 464, 477f, 480, 499, 503, 507, 509511, 535, 539, 542 Zwingli, H. 34, 232, 242, 285-287, 332, 367, 397, 554, 556, 686-690, 693-695, 698

Sachregister (qualifizierte N e n n u n g ) Abendmahl —> Herrenmahl Abendmahlsstreit — erster und zweiter 20 — zwischen Luther und Zwingli 285 f, 367, 553 - in Wittenberg 446, 462, 491, 500 Ablass -> Buße Absolution —> Buße Adoration der Hostie —> Verehrung der Hostie Akolyth 77, 84, 99, 283 Allgemeines Priestertum —» Priester und Laien Almosen —> Opfer, leibliches, —> Werke 93, 100, 109. 111. 121, 231, 292, 308, 559, 561, 584, 594, 643, 665, 674 Altar 6, 18, 21 f, 36, 49, 65, 75, 77, 79f, 83-86, 89, 92, 101, 113, 127, 132, 138, 143, 145, 151, 154, 159, 187, 195, 283, 296, 298, 333, 338, 354, 395, 416, 428, 502, 510, 541, 545f, 561, 572-574, 576, 583, 585, 595, 599, 618, 620, 624, 652, 660, 693 - Christus als Altar 181f, 186-189, 290, 298 Altartuch (Korporale) 81, 545 „Altes" Testament —> Bibel, —> Gedächtnis, —> Gesetz, —> Opfer, —> Priester, —> Propheten, —> Sakrament Anamnese —> Gedächtnis Anfechtung —» Sakramentsempfang, —» Würdigkeit 173, 185, 230, 238, 243, 264, 267, 307, 311, 317, 321, 329, 470, 515, 541, 546-548, 550, 570, 580f, 605, 613, 617, 642, 657, 666, 683 Antichrist 345, 526f, 579, 582, 620, 648, 655

Antiklerikalismus 231, 306-308, 322, 519, 524, 526, 571, 574 - 576, 609, 611, 619, 621, 651, 671f, 674, 676, 710f - gewaltsam 482, 502, 487, 575 Ärgernis 435-439, 464, 474, 508, 513, 522, 524, 532, 535f, 566, 572, 577, 610 Arme —> Opfer, leibliches 81, 93, 101, 103, 107, llOf, 120, 133f, 154f, 166, 231, 246, 250, 284, 288, 291 f, 295, 420, 434, 481 f, 504, 559, 561, 564, 573, 582, 585f, 595, 606f, 614f, 617f, 624, 640, 642, 644, 647, 658f, 668, 671, 678, 697, 711 Auferstehung —> Jesus Christus, Erhöhter, —» Leib - Jesu Christi 51, 85f, 171, 189, 194, 213, 276f, 356f, 361, 400, 451, 589, 654, 703f - der Gläubigen 85, 171, 194, 281, 315f, 664 Aufruhr —> Obrigkeit 391, 420, 423, 448, 478, 480, 482, 484, 487, 502f, 507, 515f, 519f, 522539, 548f, 551, 579, 655, 702 Bann und Interdikt —> Kirchenrecht 126, 134, 148, 330, 579, 584, 592, 618 Beichte —> Buße, —> Priester und Laien, —> Stellvertretung 127, 130, 134, 138f, 145, 149, 174, 182f, 189, 191, 194, 197, 207, 224f, 260, 264, 314, 422, 432, 442, 481, 499f, 506, 582, 593, 604, 610, 618, 652, 664, 667, 677, 681 f, 709f Bibel —> Wort, —» Priester als Amtsträger

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Sachregister

- Hermeneutik 176, 457f, 511f, 620, 662, 682, 700, 702 - „Altes" und „Neues" Testament 86, 176, 208f, 211, 213, 305, 315, 319, 322, 339, 343, 351, 388, 457, 464, 620, 627, 643, 693, 701 - Schrift und Tradition 247, 264, 288, 309-311, 318, 323, 329f, 331, 337f, 340f, 360, 414, 446, 462f, 487, 489, 491, 494, 513, 515, 538, 551, 574, 611, 616f, 643, 648, 652, 660 - Schrift und Gesetzlichkeit 454, 495, 497, 508, 511, 534, 573, 639, 700 - Schrift und Menschenwort 525, 527, 530f, 537, 558, 566, 575, 593, 602, 608f, 611, 614, 617, 620, 622, 634f, 637f, 644f, 647, 651, 660f, 676f, 683f, 687-689, 696f, 700, 702, 703, 709 Bilder —> Urbild und Abbild, —» Messopfer 195, 420, 504, 508, 606f, 613, 615, 628 Bischof 75, 125, 136, 142f, 145, 148, 159, 163, 328, 330, 339, 341, 452, 462, 501, 572, 576, 579, 605f, 625, 647 Bitte —> Canon actionis 67, 177, 383 - um Annahme des Opfers 24f, 58, 64, 78, 111, 152, 155, 159, 324, 383 - um Wandlung 49, 56, 62, 64, 70, 78, 156 - um Heiligen Geist (Epiklese) 47, 49f, 52, 55, 58-60, 65 - um Sammlung der Gläubigen 60 - Fürbitte für allgemeine Anliegen 25, 52, 58, 84, 92f, 103, 109-111, 118, 127f, 143, 147f, 151 f, 159-161, 244, 259, 288f, 292, 311, 390-406, 417, 487, 490, 530, 566, 576-579, 603f, 643, 658, 660 - Fürbitte für Verstorbene 119,121, 147f, 166, 337, 488, 491, 563f, 615, 624, 659 - Christus als Fürbitter beim Vater 218, 299f, 311, 680, 693 - Heilige als Fürbitter —» Heilige - Anzahl der Fürbitten 337f Bruderschaften 113, 121, 123, 227 f,

231 f, 239f, 250, 323, 335, 342, 434, 481, 494, 504, 598, 634, 636, 640, 658, 670 Bürger(tum) 80, 229, 247, 250, 254, 448, 48 lf, 492-496, 503, 509, 512, 559f, 597, 636, 642, 673f, 676f, 681, 705, 710f Buße —> Beichte 85, 108f, 112, 117, 120f, 149, 168, 170, 184, 202, 205, 214f, 226, 228, 277, 314, 492, 5 9 l f , 603, 643, 6 6 4 666f, 674, 676, 682 - Reue 76, 103, 153, 168, 184, 108f, 138, 168, 225, 240f, 260, 296, 314, 489, 593, 604, 607, 630, 664f, 667, 673, 679 - Absolutionswort 76, 91, 205, 234, 667 - Genugtuung 108-111, 139, 277, 467, 591 f, 604, 611, 664-666, 690, 696 - Ablass 104, 106, 110, 125, 128, 130, 141, 145, 166, 298, 313, 394, 445, 480f, 558f, 562, 576, 590-592, 597f, 619, 621, 634, 670, 673 - und Taufe 109-111, 313f, 316, 401, 593 - und Priesteramt 76, 91, 108f, 112, 139, 145, 150, 296, 583, 618, 665 Canon „non mediocriter" 93f Canon actionis 2, 52, 63-65, 138, 210, 336, 341, 343, 381, 390-406, 410f, 417, 476, 485, 488, 491, 497, 499f, 504f, 510, 513, 539, 551, 578, 600, 683, 691-694, 697, 702 - Te igitur (Bitte um Segen) 18, 24f, 64, 73f, 86, 123, 129, 138, 141, 147, 156, 159, 324, 390, 392f, 397, 405, 417, 612, 644, 653, 691 f, 698 - Memento domine (Gedächtnis der Lebenden) 25, 77, 123, 146, 148, 151, 160, 183, 392f, 401-406, 413 - Communicantes (Gedächtnis der Heiligen) 392 f - Hanc igitur (Bitte um Annahme) 24f, 148, 151, 390, 392, 397f, 405 - Q u a m oblationem (Bitte um Wandlung) 22, 25, 64f, 136, 156, 159, 324, 392 f, 405 - Qui pridie (Gebet mit Einsetzungswor-

Sachregister

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ten) 59, 61, 124. 136, 155, 273, 348, 392, 394, 3 9 9

-

des Priesters 76, 94, 231, 248, 251, 490, 578, 6 5 3

U n d e et m e m o r e s (Vollzug des G e dächtnisses) 64, 7 3 f , 76, 86, 392, 394, 400, 405, 417, 692, 6 9 8 - Supra q u a e (Bitte u m A n n a h m e ) 65, 324, 390, 392, 394, 693, 6 9 8 - Supplices ( G e m e i n s c h a f t mit h i m m l . Altar) 65, 78, 86, 159, 392, 3 9 4 f , 693, 698

-

der S a k r a m e n t s e m p f ä n g e r 8 3 f, 91, 139, 162, 204, 2 0 6 f , 214, 224, 2 2 6 f , 231, 235, 251, 2 5 3 f , 272, 337, 395, 405, 413, 593, 656, 664, 666, 679, 687, 698, 701, 7 0 9

-

M e m e n t o m o r t u u m (Gedächtnis der Toten) 1 4 7 , 3 9 2 , 3 9 5 , 4 1 7

E h e —» Priester als Person

-

Nobis q u o q u e peccatoribus (Gemeinschaft mit Heiligen) 86, 392, 395 Per i p s u m (Lobpreis) 392, 3 9 5

-

Corpus — Bild —> Leib D a n k —> O p f e r , geistliches —> Gedächtnis 239, 333, 409, 417, 642, 704 - u n d O p f e r 6, 23, 45, 48, 5 2 - 5 4 , 56, 111, 151, 288, 292, 298, 300, 302, 3 2 5 f , 379, 3 8 1 - 3 8 7 , 3 8 9 f , 397, 4 0 6 417 -

u n d H e i l s g e g e n w a r t 2 3 - 2 7 , 44, 48, 53, 55f, 59, 74, 149, 162, 169, 289, 291, 413, 6 3 0

D r e i t e i l u n g der H o s t i e 86, 154, 333, 341, 500, 654

142, 163, 445, 455, 460, 577, 623, 674 E i n s e t z u n g s w o r t e —> C a n o n actionis, —> Gedächtnis, —> H e r r e n m a h l - Situation der E i n s e t z u n g 2 1 1 , 3 3 2 , 336, 3 4 7 - 3 5 0 , 3 7 0 - 3 7 3 , 388, 429, 451 f, 486, 491, 512, 586, 589, 6 5 2 f , 663, 678, 698, 707 - Auslegung 1 9 8 , 2 1 0 , 2 1 3 - 2 1 5 , 2 3 2 , 235 - 2 4 0 , 244, 252, 256, 261, 2 6 3 f , 266, 2 7 0 - 2 7 5 , 3 0 4 - 3 0 6 , 3 1 7 f , 325, 328, 3 3 0 f , 341, 3 8 6 f , 420, 457, 459, 4 7 3 - 4 7 5 , 486, 4 9 9 f , 505, 509, 545, 5 8 9 f , 598, 600, 612, 637, 656, 684, 702 -

E i n s e t z u n g s w o r t e u n d W e s e n der Messe 47, 52, 5 8 - 6 3 , 74, 162, 198, 252, 2 5 5 - 2 5 8 , 2 6 3 f , 2 6 6 f , 2 7 0 - 2 7 5 , 304, 3 0 6 f , 311, 315, 3 1 7 f , 322, 328, 330, 3 3 1 - 3 3 8 , 3 4 5 f , 349, 3 6 0 f , 368, 421, 426, 434, 450, 453, 477, 486, 495, 589, 648, 662, 668, 702, 7 0 9

-

E i n s e t z u n g s w o r t e adressieren n u r P r i e ster 75, 214, 257, 264, 363, 653, 662, 669, 669, 6 8 0

-

f ü r die G a b e n der S c h ö p f u n g 55, 159, 2 8 8 f , 2 9 2 f , 309, 3 2 5 f - f ü r das e m p f a n g e n e H e i l 257, 295, 2 9 7 f , 3 2 5 f , 341, 385, 4 0 9 - 4 1 1 , 4 1 3 f , 418, 598,612, 620, 7 0 7 D a r b r i n g u n g —> Gedächtnis, —> O p f e r 6, 14, 2 4 f , 3 7 f , 4 1 - 6 5 , 68, 7 2 f , 7 5 - 7 8 , 83, 86, 90, 92, 9 4 - 9 6 , 98, 104, 110, 117, 1 1 9 - 1 2 1 , 1 2 3 - 1 2 5 , 129, 133, 141, 147, 149, 151f, 155, 1 5 9 - 1 6 1 , 168, 1 8 2 - 1 8 4 , 187, 198, 2 0 1 f , 216, 225, 240, 245, 282, 2 8 4 - 2 9 1 , 298, 300, 309, 327, 358, 363, 3 7 4 f , 3 7 9 f , 3 8 2 384, 392, 398, 405, 5 6 5 f , 4 6 7 - 4 7 1 , 584, 607, 692, 7 0 6 D e m u t 24, 154, 1 7 2 - 1 7 6 , 178, 403, 433, 530, 6 2 9 f , 664, 666, 6 7 9 - D e m u t s t h e o l o g i e 172f, 175 D i a k o n 86, 145 - A r c h i d i a k o n 424, 432, 497 - S u b d i a k o n 86 Disposition b e i m S a k r a m e n t s e m p f a n g —> Würdigkeit

-

(un)verständliche R e z i t a t i o n 75, 136f, 2 6 3 - 2 6 5 , 280, 282, 307, 312, 321, 331, 349, 3 8 6 f , 4 5 1 f , 461, 499, 504, 510, 584, 601, 6 1 5 f , 656, 663, 689, 706 - als Kritik der Messwirklichkeit 229, 234, 257, 264, 267, 271, 293, 304, 310, 312, 318, 321 f, 324, 341, 360, 386, 410, 433, 436, 438, 4 4 9 - 4 5 1 , 473, 504, 559, 6 5 9 -

Dies ist m e i n Leib —> Leib Solches t u t zu m e i n e m Gedächtnis —> Gedächtnis

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Sachregister

Elevation —> Verehrung der Hostie, —> Messopfer, Wert und Frucht der Messe 42, 83, 91, 104, 124-130, 149f, 156, 163, 289-290, 292, 301, 306, 309, 319, 325, 333, 336, 343, 348, 4 5 0 452, 458, 461, 499f, 506, 509, 589f, 601, 603, 678, 692 Epiklese —> Bitte Exemtion der Priester —> Priester und Gesetz Ex opere operato —> Sakrament Fasten und Nüchternheit 17f, 93, 105, 109-111, 114, 118, 129, 195f, 231, 264, 410, 500, 558, 560, 580, 594, 610, 617f, 624, 664, 665, 677, 681, 701 Fegefeuer(strafen) 90, 94, lOOf, 104, 107, 109, 112, 117-121, 123, 134, 148, 163, 231, 333, 337, 404, 414, 490, 492, 562, 575, 578, 591, 594, 615, 642, 644, 663-665, 667, 670, 674, 682, 696, 709 Firmung 143, 253, 674, 676 Freiheit 57, 104f, 107, 190, 195f, 312, 316f, 342, 420f, 423, 431, 442, 454f, 474, 494-496, 503, 508, 520-522, 529, 532, 543f, 546, 551, 565-570, 611, 677, 702 Frömmigkeitstheologie 268, 600, 670 Fronleichnamsfest 26, 104, 139, 143, 229, 343, 373, 588, 596, 621 635-642, 645, 652 Fürbitte —» Bitte Gebet —> Bitte, —> Canon actionis, —> Dank, —> Glaube, —> Kollektengebet Gedächtnis —> Canon actionis, —> Seelenmessen - im Alten Testament 33, 43, 216, 363 - Gedächtnisauftrag der Einsetzungsworte 39, 47, 51, 58f, 78, 85, 89, 214, 216, 220, 225, 227, 260, 318, 332, 347-349, 363, 409, 418, 455, 669, 684, 694, 696, 707 - des Christusgeschehens 13, 22, 27-29, 31, 35, 38,f, 43f, 47, 51, 54, 58, 64, 69, 87f, 90, 101-103, 161, 181, 215f, 220, 222, 320, 340, 347, 352, 362,

368, 465, 487, 639-645, 678, 684, 699, 707 - der Lebenden —> Canon actionis - der Toten 109, 118, 123, 160, 563, 658f, 670 - kultisch-sakramentales 26f, 33f, 43, 51, 70, 88f, 166f, 181 f, 218, 269, 333, 359, 361, 363, 410-412, 465, 639f, 645, 669, 679, 684, 696-699 - als Dank 53f, 58, 63, 74, 362f, 4 0 9 412, 465 - als Darbringung an Gott 42-44, 49f, 53-59, 64, 68, 225, 363 - als Hingabe 48, 51, 58, 347 - als Verkündigung an die Gemeinde 44, 220, 237, 341, 361-363, 388, 467. 470f, 531, 590, 598, 639f, 645, 669, 696, 698, 709 - als Austeilung an die Gemeinde 349, 362f, 393, 429, 465, 707 - als Pflicht des Testaments 320, 335 - Subjekt Gemeinde 28, 47-54, 64, 6 8 70, 72, 97, 393, 685 - Subjekt Einzelner 31, 35, 37f, 50, 6 8 70, 87-89, 168, 184, 216, 218, 220, 260, 264, 274, 349, 359, 362f, 465, 487f, 669, 679, 684 - und Heiliger Geist 47, 49f - und Opferqualifikation der Messe 167, 216, 219, 269, 340, 349, 363, 410, 413f, 471, 488, 490, 633, 650, 679 - und spezielle Anamnese 47-53, 58, 60, 62, 64 Geheimnis —» Mysterium, —» Gott, Verborgenheit Geist —> Bitte, —> Gedächtnis, —> Gesetz, —> Glaube, —> Kirche, —> Sakramentsempfang - Person der Trinität 130, 141, 185, 210, 214, 270, 276, 368, 489, 593, 598, 604, 620, 635, 652, 664 - und Jesus Christus 31, 47, 49, 67, 70, 73, 200, 205, 214, 221, 229, 236f, 240, 253, 286, 316, 347, 369, 378, 567, 609, 686, 693, 695 - und Wort 66, 72, 183, 270, 316, 368f, 453, 457, 466, 492, 524f, 537f, 548f, 570, 609, 620, 663, 695 - und Buchstabe 67, 176, 338, 381, 534, 620

Sachregister

- und Gemeinschaft / Kirche 45, 49f, 55, 61 f, 70, 97, 103, 106, 189, 2 1 7 220, 235, 248f, 253, 340, 377, 386, 461, 484, 510, 560, 609f, 640, 662, 680f, 706 - und Opfer —> Bitte, Epiklese 4 7 - 4 9 , 52, 54-59, 74, 93, 110, 124, 147, 149, 153f, 183f, 186, 199, 2 1 7 220, 267, 285 f, 2 9 3 - 3 0 2 , 310, 322, 326, 330, 340f, 344f, 373, 380, 386f, 398f, 405, 407, 4 1 1 - 4 1 7 , 468, 487f, 586f, 607, 644, 650, 652, 668, 678f, 697, 707, 710 - und Gesetz 434, 522-537, 568f, 643 - als Gegenüber zu Außen und Körper 102, 106f, 187, 211, 305, 354, 421, 426, 451, 486, 508, 522-539, 545, 548f, 551, 559, 569, 620, 643, 655, 681, 686, 698, 702 Geistliches Opfer —> Opfer, geistliches Geistliches R e c h t —> Kirchenrecht, —> Obrigkeit Gelasianum l l O f , 113, 115 Gelübde 120, 143, 231, 305, 314, 319, 339, 345, 440, 455, 535, 704 Gerechtigkeit - aus Gnade im Glauben 176, 178, 189— 199, 272, 308, 343, 353, 464, 470, 508, 547, 617, 624, 685, 688, 700f - simul iustus et peccator 117, 174, 190, 200, 252, 278, 293, 351, 401, 459, 468, 471 f, 700, 706 - äußere Christusgerechtigkeit 185, 189f, 193, 196f, 199f, 207, 221, 226, 236f, 245f, 260, 411, 547, 607, 615, 617, 626, 628, 665, 7 0 0 - 7 0 2 - distributive 191f, 202, 213, 245, 666, 700 Gericht 85, 108, 116-118, 122f, 128, 140, 162, 172, 176f, 193, 203, 207, 225, 434, 441, 482, 524f, 529, 563, 575, 627f, 644f Gesang —» Musik Gesetz —> Geist, —> Einsetzungsworte, —> Testament - Naturgesetz 14, 27, 466, 627 - Außere menschliche Ordnung 145, 147, 196, 208, 249, 283, 317, 340, 371, 386, 408, 422, 435, 443, 451,

761

454, 475, 484, 501, 521, 525, 527, 530f, 536f, 550, 558, 560, 567, 570, 582, 594, 617, 649, 658, 661 - und Evangelium 176f, 179, 184, 200, 202, 213, 221, 223, 243, 258, 2 6 3 267, 270, 272, 278, 282, 304, 313, 317, 339, 3 4 3 - 3 4 5 , 350, 355f, 380, 391, 396, 422, 430, 440, 450, 452, 454-457, 460, 465, 477, 508, 521, 523, 529, 534, 541, 549, 566-569, 594, 598, 620, 631, 633, 643, 655, 703 - im „Alten" Testament 339, 388, 450, 594, 610 - Zwingende, verpflichtende Dimension 443, 452, 456, 460, 473, 477, 508, 51 l f , 523, 531, 534, 545, 603, 649 - Setzung Gottes / Christi 234f, 247, 256, 273, 315, 348, 386, 395, 408, 410, 465f, 477, 504, 521, 527, 540, 565, 583, 633, 648, 688, 695 - und Testament 2 0 8 - 2 1 0 , 216, 222, 335, 703 - und Opferpriester 3 3 8 - 3 4 1 , 344f, 354, 371, 378, 387f Gewissen —> Schwache 139, 149, 189, 192, 195, 200, 221, 225, 260, 267, 270, 307, 312f, 322, 328, 335, 352, 362, 396, 420, 427f, 430, 434f, 437, 439, 4 4 2 - 4 4 4 , 446, 454f, 459, 467, 470, 4 7 3 - 4 7 6 , 491, 494-497, 500, 503, 511f, 514f, 520, 522-524, 529, 532-534, 537, 539, 541-543, 545f, 548, 550, 560, 5 6 2 574, 578, 586f, 592f, 595, 597, 613, 617, 624, 630, 633, 657, 666f, 683, 688, 694 Glaube 24, 53f, 58, 79, 84, 103, 106, 179, 202, 205, 268f, 306, 365f, 4 0 0 406, 415, 427, 433f, 436-438, 470, 490, 500, 511, 537, 579, 581, 588, 593, 620, 644, 692 - und Christuswort 189, 193, 202, 206, 217, 221, 225f, 242, 247f, 255, 257f, 264, 271, 282, 300, 3 0 3 - 3 1 4 , 3 2 1 - 3 2 4 , 332, 341, 354, 369, 385f, 4 0 1 - 4 0 6 , 438, 452, 532, 534, 582, 585, 596, 598, 6 0 0 - 6 0 5 , 617, 620, 640, 642, 654, 656, 663-667, 669, 695, 707

762

Sachregister

- extrinsische Bestimmtheit 58, 168, 185, 194, 206-208, 217, 220, 226f, 238, 249, 253, 260, 263, 267, 272, 305, 393, 401-406, 418, 435, 482, 552, 568, 570, 579, 581, 698, 700f, 709 - persönliches, inneres Gottesverhältnis 114, 175f, 191, 194-196, 200, 203-206, 213-215, 220, 223, 248-250, 253f, 256, 260, 272, 275, 283, 293, 302, 335, 346, 372, 374f, 383, 393, 395, 401-406, 420-422, 444, 454-456, 491, 520, 523, 528f, 531f, 539, 551f, 568, 579, 597, 617, 653, 697, 701f, 709 - und Hingabe 94, 123, 146f, 149, 168, 296, 347, 395, 412, 706 - Sozialität 241-243, 251, 253f, 265, 283, 297, 381, 421, 531, 551, 568 - und Eschatologie 66, 232, 356, 395, 401-406, 417, 683 - und Rechtfertigung 137, 176, 189, 194, 196-198, 202, 226, 236, 267, 284, 293, 378, 380, 413, 430, 439, 464, 520, 538, 552, 568, 586, 617, 685, 698, 700f - angefochtener 259, 316, 353, 445, 476, 504, 597 - und Gebet 258f, 310, 585 - und Liebeswerke 45, 126, 224, 232f, 236f, 242, 247, 251, 254-258, 261, 265, 267, 271 f, 276, 282, 284, 289, 291, 294, 297, 301 f, 305, 307f, 315, 341, 343, 358, 366, 381, 401-406, 413, 421, 433, 436, 438, 461, 465, 471, 501, 530, 538, 540-551, 579f, 596, 598, 603, 606, 617, 622-631, 644, 655, 681, 697, 711 - und Sündenvergebung 220, 223, 232, 256f, 265, 282, 316, 335, 342, 349, 401, 648, 700, 703, 709 - und Sakrament 126, 199-208,219, 221, 225, 228-244, 249, 252f, 260, 264, 271, 281, 301, 306, 313f, 320, 374, 415, 428, 435, 463-467, 499, 531 f, 580, 586-591, 597, 600-605, 632f, 644, 652, 679, 684-688, 697f, 701 f, 709 - und Testament 213, 221 f, 258, 263,

265, 276, 280, 299, 301, 319f, 321 f, 668, 703 - und Kirche 91, 206, 222, 227, 253, 300f, 317, 346, 395, 416, 433, 582, 610, 705 - und Lehrinhalt 21, 69, 80f, 122, 125, 137, 148f, 166, 175, 194, 206, 225, 235, 240, 271, 275, 332, 401, 412, 491, 580, 610, 654, 673-682, 687, 693, 697, 709 - und geistliches Opfer 297, 300, 302, 310, 386, 398f, 411-415, 467, 587, 668, 706f, 710 - und Stellvertretung 227, 267, 337 Gnade 19, 24f, 33, 56, 67, 91 f, 95, 178, 190, 193, 195, 259, 272, 276, 345, 385, 394, 465, 593 - als Relation zur externen Christusgnade 174, 178, 190, 197, 203, 205, 208, 213f, 225, 234, 240, 301, 316, 356, 365, 375, 394, 410, 416, 573, 627, 655 - gradualistisch 31, 55, 91f, 95, 101, 103, 126f, 129, 149, 163, 178, 226, 253, 296, 316, 347, 641 f, 664, 666, 681 - Vorbereitung auf (sakramentale) Gnade 139, 147, 149f, 163, 177, 224, 257, 643, 666 - Gnade(nstand) und Sakrament 79, 90, 96, 99, 105, 148, 156, 172, 182, 197, 199, 204, 207, 211, 215, 252, 295, 297, 313, 315f, 338, 386, 407, 415, 430, 466f, 469, 492, 566, 612, 650, 666, 680 - und (Neu)schöpfung 29, 270, 314, 317, 366, 705 - Gnadenschatz 75 - und Wort oder Zeichen 182,188, 197, 234, 236, 270, 315f, 381, 465f, 469, 544, 588, 611, 644, 666 - und Gesetz oder Werke 339, 343f, 381, 399, 404, 409-416, 578, 581, 620, 63lf, 649, 666, 681 Gott - Apathieaxiom 140, 164, 176, 212, 277f, 352, 354, 386, 548, 630, 690, 704 f - Ebenbildlichkeit 54, 351, 368, 695 - Zorn 8, 180, 278, 320, 334f, 342,

Sachregister

351-358, 468, 481, 524, 526, 529, 541, 563, 568, 575, 589-592, 612, 627-629, 635, 643f, 704 - Verborgenheit 19, 38, 62, 171, 179f, 200, 202, 275, 350, 484, 590, 592, 695 - Richter 122, 415, 528f, 666 Handkommunion 72, 76, 500, 505f, 509f, 545, 552 Heilig und Profan —> Sakralität Heilige —> Bitte, —> Canon actionis, —> Gedächtnis, —> Kirche 10, 63, 69, 86, 103, 108, 154f, 182, 229, 235, 237-240, 243, 271, 329f, 333, 337f, 343, 350, 393, 395, 416f, 426, 440, 480, 563, 576, 584-586, 597, 618, 636, 639f, 660, 662, 667, 696 Heilsgewissheit 90, 96, 107, 185, 206, 226, 244f, 248, 259, 274, 279, 329, 332-335, 342, 349, 355, 358, 360, 403f, 434, 438, 459, 466, 635, 663, 666 Herrenmahl —> Einsetzungsworte - Laienkelch bzw. Kelchentzug 125, 157, 228, 239, 260, 312, 387, 394, 425, 429, 432, 438-441, 445f, 451, 454f, 459f, 463f. 472f, 477, 480-482, 486f, 489, 491, 494f, 497, 499, 501, 506, 508, 510, 512f, 533, 545f, 552, 561, 602f, 609, 637, 643, 663, 703 - Konkomitanz 156, 228, 491, 637, 663 - Gemeinschaftsdimension —> Sakrament 229f, 235, 241-243, 257, 260, 318, 346, 372, 420, 434, 437, 444, 451, 473, 477, 488, 499, 597 - Konsekration(smoment) 38f, 48, 50, 58,-63, 67f, 72-74, 79-81, 86, 91, 128, 131, 143, 155f, 163, 252, 272, 282, 291, 294, 336, 366, 348, 380, 393f, 499, 506, 509, 584, 595 - Austeilung 42, 49, 149, 246, 300, 309, 332f, 341 f, 348f, 361, 363, 367, 382, 384, 393, 395, 409, 429, 437, 459, 472f, 477, 486, 499f, 506, 509, 51 l f , 574, 585, 600, 602, 642f, 658, 663, 694, 707 Hostienfrömmigkeit —> Adoration der Hostie

763

Humanismus 287, 425, 484, 558, 642, 658 Hussiten 116, 228, 425, 455, 637 Individuum / Individualität 7, lOf, 28, 36, 53, 56, 69, 84, 87, 102, 105-124, 150f, 159-161, 164, 185, 206, 224, 228, 233, 235, 238f, 241, 244, 249, 253, 265, 283, 297, 302, 369, 372, 403, 417, 420, 434, 438, 442-444, 456f, 497, 527-529, 541, 558-560, 564, 605, 625, 656f, 664, 672 - und Gedächtnis 68-71, 87, 89, 220 Inkarnation 185, 208, 212, 235, 263, 270, 286f, 299, 350, 354-357, 371, 457, 492, 545, 569, 626f, 644, 684, 690, 695, 704f Jesus Christus / Christologie —> Altar, —» Antichrist, —> Auferstehung, —> Bitte, —> Gedächtnis, —> Geist, —» Gerechtigkeit, —> Gesetz, —> Glaube, —> Gnade, —> Kirche, —> Kreuzesopfer, —> Leib und Blut Christi, —> Priester und Messe, —> Reinheit, —> Stellvertretung, —> Wort - Gottheit 127, 130, 141, 158, 270, 350-353, 365, 368, 383, 388, 418, 614f, 641, 650, 653, 663 - Communicatio idiomatum 352 - Ubiquität 279 - integrale Christologie 356f, 360f, 700, 703f, 707 - Zwei-Naturen-Lehre 164, 270, 286, 351-353, 360, 365, 627f - als Mittler Gott - Mensch 1 8 0 , 2 9 7 299, 393, 396f, 627f, 641, 645, 681, 693 - als Priester 187f, 202f, 267, 298, 301, 330, 340, 345f, 371-378, 387, 399, 591, 641, 645, 649f, 654, 680, 706 - gemacht zur Sünde 180 - fröhlicher Wechsel 51, 119, 153, 202, 230, 232 235, 237, 299, 623, 626, 679 - Wunden 128, 603 - als Richter 118, 128, 130, 192, 202, 605, 704 - als Vorbild 57, 106, 170-173, 181f, 214, 217, 235-238, 275, 243, 275, 340, 350, 369f, 378, 438, 531

764

Sachregister

- als Bräutigam 623, 626 - als Erhöhter 21, 45, 49, 68, 218, 252, 276, 279, 297, 299f, 355, 365-373, 388, 650, 654, 680, 693f, 7 0 5 - 7 0 8 Ketzer(ei) 60, 62, 118, 134, 270, 402, 455, 478, 485, 491, 501, 538, 549, 570, 575, 583, 588, 593, 609, 611, 620, 648, 611 Kind 26f, 69, 100, 132, 136f, 141, 207, 227, 314, 374, 408, 488, 541, 572, 591, 605, 620, 627, 630, 636, 638, 685 Kindertaufe —> Taufe Kirche —> Geist, —> Glaube, —» Jesus Christus / Christologie, —> Sakrament, —» Stellvertretung - und Gott / Jesus Christus 49, 61, 66, 76, 96f, 145, 159, 162, 179, 183, 2 1 6 220, 227, 270, 286, 300, 347, 355, 366f, 369, 371-373, 388, 396, 398f, 405, 459, 481, 492, 580, 582, 623, 641, 645, 653-655, 669, 692f, 706f - und Heiliger Geist 50, 55, 62, 78, 609 f, 681 - und Schrift 330f, 338, 343, 427, 459, 489, 492, 573f, 608f, 610, 618, 637, 661, 676f, 680 - und Heilsvermittlung 21, 75, 91, 96f, 105, 114, 126, 133f, 145, 173, 201, 204, 227, 249, 253, 296, 358, 367, 376, 380, 398f, 401, 582, 609, 617, 693, 696, 698 - Hierarchie und Autorität 75, 91, 94, 96, 103, 106, 125f, 136, 143, 145, 149, 163, 189, 196, 221, 256, 296, 317, 329-331, 388, 481, 484, 559f, 573, 575, 583, 593, 609-611, 618, 637, 644, 651-653, 661, 671 - als ganze 24, 115, 95-100, 159, 235, 397, 402f, 436f, 491, 503 - und Messopfer 21, 30, 39, 45, 47, 5 3 59, 6 2 - 6 5 , 70f, 76, 78, 87, 90, 95-100, 120, 134, 150f, 162f, 172, 188, 201f, 216-220, 222, 231, 236, 245, 260, 266, 268, 282, 286, 292, 296, 299, 301, 342, 347, 357, 359, 366f, 369, 371, 375, 382, 384, 401, 405, 433, 490, 492, 559, 595, 641, 673, 692f, 699, 706

- und Eschatologie —> Fegefeuer 51, 121, 126 - Lehre 8, 84, 206, 332, 395, 608f - Urkirche 232, 243 f, 290, 292, 302 - Alte Kirche 28, 30, 33, 4 1 - 6 5 , 67, 70, 72, 91, 97, 108f, 113, 123, 133, 155, 161, 168f, 196, 209, 269, 293, 302, 356, 398, 405, 410-412, 580, 595, 609, 668, 699 - Bau und Ausstattung von Kirchen 53, 75, 113, 130, 133f, 142, 183, 195, 433, 438, 559, 561, 606f, 618, 659f, 701 f - Finanzen —> Pfründe(nwesen), —> Priester 290, 292f, 342, 478, 504, 559, 572, 585, 606, 611, 647f, 661, 668, 672 Kirchenrecht 69, 92, 96, 105f, 112, 195f 221, 267, 329, 332, 339f, 371, 434, 545, 560, 566, 593f, 608 - 610, 613, 617f, 660, 673f, 677, 702 Kirchenväter 37, 42, 65, 125, 171, 264, 293, 309, 324, 329, 331, 336f, 343, 483, 485, 487f, 491, 558, 593f, 620, 652, 660, 702 Kleidung —> Priester und Messe 74, 200, 560, 666, 675 Kloster Mönchtum 83, 87, 108, 116, 290, 292, 320, 410, 413, 416, 420f, 425, 430, 478, 480, 484f, 490, 492, 513-515, 531, 535, 558-563, 577f, 580, 608, 613, 618, 621, 624, 658f, 661, 697, 710 - Augustinerkloster in Wittenberg 345, 419, 424-449, 479f, 482, 508, 511f, 535, 550f Kollekten(gebete) 6, 19, 49, 141, 161, 243f, 265, 2 8 8 - 2 9 0 , 292, 294, 302, 309f, 322, 324, 333, 386, 485, 487, 504, 585f, 595, 635, 668, 678, 707 Kommunion —> Gedächtnis, —» Handkommunion, —> Herrenmahl, —> Kranke und Krankheit, —> Priester und Messe, —» Sakramentsempfang Konkomitanz —> Leib und Blut Christi Konsubstantiation 265 Konzil - Forderung 229 - Autorität 331, 483, 489, 491, 609 Konzilien 489, 491, 609

Sachregister

- Frankfurt (794) 160 - Chalon-sur-Saone (813) 139f - Lateranum IV (1215) 139, 223, 257 - Lyon (1274) 121 - Florenz (1439) 37, 676 - Tridentinum (1545 - 1563) 81, 268f Korporale —> Altartuch Kranke und Krankheit 16, 77, 80, 107, 115f, 135f, 293, 470, 604 - Krankenkommunion 98, 136, 193, 293, 310, 341-343, 505f Kreuzesopfer —> Jesus Christus / Christologie —> Messe und Kreuzesopfer - als Gehorsam gegen Gott 297f, 340, 353 - adressiert den Vater 180, 188, 201, 265, 277, 352, 360, 388, 396, 488, 547, 591, 627f, 649, 653, 686, 697f - als Satisfaktion 184, 190, 192, 211, 225, 277f, 286, 311, 351-353, 3 5 5 357, 370, 388, 467, 469, 546f, 6 2 7 629, 649, 686, 689f, 696, 704f - als Handeln Gottes für den Menschen 277f, 352, 360, 397, 411, 547, 552, 690 Kreuzestheologie 180, 212, 235, 264, 270, 350, 352, 644, 665, 704 Krise der sakramentalen Idee —» Sakramentale Idee Laienkelch —» Herrenmahl Leib - als Tempel 138, 149f, 163, 184, 659, 664 - als Gemeinschaft der Gläubigen 11, 49, 70, 76, 141, 154, 179, 187f, 217, 226, 229, 231, 233, 235, 240, 242, 253f, 260, 363, 437, 640, 685f, 705 - und Auferstehung 85 f - und Geist bzw. Seele 91, 106f, 117, 134, 139, 170, 187, 214, 224, 289, 293, 302, 351, 451, 514, 522-524, 526, 531, 537, 549, 551, 620, 702 - der Sünde 199 Leib und Blut Christi - am Kreuz 38, 186, 332, 367f, 437, 590, 600, 686, 688, 696, 698 - Dies ist mein Leib 42, 59, 61, 79, 124, 127, 156, 244, 252, 273, 318, 325,

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765 332, 334, 342, 349, 451, 501, 589f, 598, 600, 616, 638, 649 Gegenwart in der Messe 31, 37, 61 f, 65, 67, 70, 80f, 89, 126, 136, 179, 228f, 289, 325, 341, 347f, 363, 369f, 393, 426f, 458, 498, 501, 588, 686 Verhältnis zu Brot und Wein (Wandlung) 29, 49f, 56, 59, 61, 72, 85, 128, 156f, 235, 332, 359, 501, 666 als Opfergabe an den Vater 21, 24, 39, 42f, 48, 50, 64f, 71, 73-75, 78, 88, 95, 104, 107, 123, 130, 140, 142, 151f, 155, 161 f, 169, 187, 217, 220, 284, 289, 291 f, 301, 332, 357-359, 362, 375, 377f, 380, 382, 384, 394f, 399f, 405, 412, 414, 426, 505, 608, 642, 678, 687, 689, 691 f, 698f als Zeichen für die Sakramentsempfänger 257, 264, 279, 306, 315, 321, 325f, 332, 349, 355, 363, 381, 393, 414, 632, 669 (Un)getrennter Bezug auf Elemente, Konkomitanz 156, 228, 472, 491, 637, 663

Messe - Geschehensrichtung 264, 282. 284, 291, 333f, 357-359, 373, 375, 384, 386f, 389, 394, 414-416, 427, 445, 447, 458, 461, 472, 612, 616, 632, 638f, 645, 648, 663, 669, 684, 692f, 700, 704, 706, 711 - Messpraxis als Sünde oder Götzendienst 422, 428f, 443f, 454-456, 472, 478, 484, 488, 495, 497, 500, 51 l f , 531, 682f, 697 Messe und Kreuzesopfer - Sakramentale Gegenwart in der Messe 168, 269, 286, 361 f, 388, 412, 414, 586, 653, 699, 707 - Einmaligkeit und Vollgenugsamkeit s p à n c i 13, 19-23, 26, 28-30, 32-37, 39f, 48, 54, 56, 68, 78, 90f, 168, 189, 194, 215, 218, 220f, 225, 285, 300, 339, 347, 352, 359, 362f, 376, 378, 391 f, 395-406, 469, 489f, 512, 612, 616, 632f, 644, 648f, 651, 687-694, 697f, 707, 709 - Wiederholung 20-23, 26, 30-33, 38f,

766

Sachregister

62, 66, 120, 215, 219, 282, 286, 358, 362f, 376, 400, 489f, 612, 632, 640, 649-651, 654, 689f, 709 - Repräsentation —> Urbild und Abbild 13, 22, 29-40, 49-51, 62, 65-67, 71, 87f, 90, 138, 214f, 252, 257, 286, 353, 359-362, 364-367, 376, 388, 398, 708 - Gedächtnis —> Gedächtnis Messkanon —> Canon actionis Messopfer - als Gedächtnis des Kreuzesopfers —> Gedächtnis - Vorbereitung der Gemeinde 206, 253, 255, 264, 283, 323, 335, 371, 386, 414f, 499f, 590, 601, 698, 701 f, 711 - Zuwendbarkeit an Dritte, Stipendien 467, 469, 475, 476, 481, 484, 487, 492, 532, 469, 490,494, 511, 541, 560, 574, 583, 598, 604, 618f, 643f, 652, 657, 664, 691, 696f, 700f, 706, 709 f, - als soteriologisch relevantes Werk —> Werke - Privatmesse 82, 107-113, 149f, 160, 163, 228, 231, 326, 345f, 429, 4 3 4 438, 440-444, 451-453, 459-461, 468, 473, 476-478, 486f, 500, 506, 51 l f , 544, 574, 578, 580, 613, 644, 659, 661, 663, 672, 696f, 705 - Wert und Frucht der Messe 20, 23, 36, 49, 82-84, 89-107, 117, 122, 126, 129, 134, 138f, 147-149, 151, 155, 162f, 184, 206, 231, 233, 238, 243, 248-251, 257, 260, 265, 267, 282, 308, 321, 352, 357, 364, 367, 413, 435, 452f, 468, 494, 591, 596-598, 603, 613, 615f, 628, 631, 644, 654, 663, 666, 670, 691, 698 - Messhäufigkeit 106, 139, 265, 312, 337f, 387, 407, 429, 460, 486, 488, 510, 612, 615, 647, 657f, 663, 666f, 674, 676, 681 f, 696f, 705, 709 - korrekte Ausfuhrung 331, 338, 372f, 548 - Votivmesse 107f, 114-116, 119, 122, 150f, 160, 163, 326, 494 Missa pro defunctis —> Seelenmesse Mönchtum —» Kloster 26, 113, 129, 142, 174, 195, 231, 330,

345, 440, 442f, 455, 460, 480, 487, 490, 514f, 519, 525, 534f, 539, 559, 561 f, 575, 611, 618, 621, 636, 661, 664, 670-672, 675 - Tonsur 145f, 195, 221, 416, 500f, 629, 701 Musik 17, 93, 101, 138, 145, 154, 195, 229, 290, 309, 364, 375, 490, 504, 559-562, 584f, 627, 629, 631, 634, 664, 681, 708 Mysterium —> Gott 21, 30-33, 35, 43, 59, 66, 76, 91, 112, 119f, 205, 271, 273f, 349, 430, 662 Mystik 190, 217, 369, 664f Nation 14, 558, 622, 642, 673, 710 Nominalismus 33f, 171, 177, 190, 206, 269-271, 363 Nüchternerheit —» Fasten Obrigkeit —> Aufruhr, —> Kirchenrecht 147, 159, 229, 340, 396, 420-423, 431, 441, 487, 489, 497f, 503, 507, 509f, 519-530, 535f, 539f, 549, 551, 560, 562, 565, 583, 660, 670-672, 674f, 677 Opfer allgemein —» Bitte, —> Dank, —> Gedächtnis, —> Geist, —> Gesetz, —> Glaube, —> Kirche, —> Kreuzesopfer, —> Leib und Blut, —> Messopfer 168, 288, 294-296, 323, 326, 338, 347, 412f, 416, 468, 490 Opfer im „Alten" Testament 26, 38, 41, 43f, 46, 48, 51, 57, 115, 129, 141, 195, 211, 215, 294, 324, 334, 336, 339, 378f, 394, 426, 588, 612, 632f, 649f, 678, 689, 693 Opfer und Bitte —> Bitte Opfer und Gewalt 6, 16, 90, 113, 134, 143, 163, 184, 187, 217, 285f, 468, 470, 525, 686, 689f, 698, 707 Opfer und Lob —> Dank 23-26, 31, 44f, 47f, 52f, 56-58, 6 1 63, 73f, 77, 86, 123f, 130, 149, 154, 156, 160, 167, 174, 182-186, 202, 220, 257f, 295-300, 340, 342, 363, 375, 378-380, 383, 384-386, 391, 409-411, 413, 471, 485, 587, 607f, 612, 644, 650, 659, 680, 706f

Sachregister Opfer und S ü h n e - allgemein 6, 285, 295, 3 6 7 — Kreuzestod und Sühnopfer 42, 49, 62, 78f, 285, 356, 360, 367, 546f, 653 — Messe und Sühnopfer 23—26, 29, 33, 3 9 - 4 2 , 57f, 64, 78f, 119, 151, 156, 231, 2 8 5 f , 301, 335, 355, 392f, 3 9 7 400, 698 Opfer, geistliches 199, 217, 294 - 302, 326, 330, 373, 378, 380, 3 8 6 f , 398, 405f, 417, 607, 650, 668, 678f, 697, 706f, 7 1 0 Opfer, leibliches 154, 2 8 7 - 2 9 5 , 267, 293, 298, 301 f, 326, 339, 381, 386, 398f, 407, 561, 5 8 5 - 5 8 7 , 595, 606, 617f, 634, 639f, 642, 644, 659, 668, 670, 678f, 706f, 7 0 9 - 7 1 1 Opferqualifikation der Messe - aufgrund Opfer des Priesters 35, 65, 71, 98, 167, 216, 359, 366, 398, 586, 699 Osculatorium 84, 114, 283, 584 Osterpfennig 292 Papst 125, 159, 187, 257, 312, 330, 337, 339f, 345, 371, 442, 483, 5 2 4 - 5 2 6 , 530, 609f, 618, 640, 673, 676 Patripassianismus 278, 353 Pax (als R i t u s in der Messe) 83f, 113f, 149f, 283, 5 8 4 f Pfründe(nwesen) 1 6 0 , 3 3 9 , 4 3 1 , 5 5 8 , 572f, 5 7 6 - 5 7 8 , 580, 602, 652, 658, 672, 674f, 677, 7 1 0 Prädestination 214, 560, 581 Predigt -> Bibel, - » Wort 68, 84, 86, 88, 114, 140f, 150, 166, 181, 198, 215, 220, 243, 247, 2 5 5 259, 261, 282, 289, 296, 311, 330, 340, 346f, 349, 365, 367f, 369, 380f, 3 8 8 - 3 9 0 , 408, 411, 425, 431, 457, 463, 476, 480, 482, 484, 486, 489, 492, 494f, 501, 503f, 506, 525f, 529, 5 3 3 - 5 3 8 , 544, 558, 563, 570, 574f, 5 7 8 - 5 8 0 , 6 0 1 - 6 0 3 , 639f, 643, 651, 655, 658, 663, 675, 684, 6 9 5 - 6 9 8 , 705 f, 708 Priester —> Buße, —> Disposition, —> Einsetzungsworte, —» Gesetz, —> Jesus Christus/Christologie, —> Kirche, —>

Ibi

Opferqualifikation der Messe, —» Stellvertretung, —> W e i h e Priester als Amtsträger - i m „Alten" Testament 195, 339, 371, 388, 627, 655 - und Schrift 339, 344 - als Diener 22, 94, 308, 317, 322, 333, 583f, 661, 680, 694, 705 - als Prediger 330, 340, 346, 380f, 388, 480f, 489, 491, 494, 574, 602, 639, 661, 663, 705 - als Vermittler zwischen Gott und M e n s c h 17, 2 1 - 2 3 , 76f, 92f, 99, 120, 126, 136, 145, 147, 155, 158, 161, 163, 206, 288, 314, 340, 346f, 374, 376f, 398, 490f, 520, 545, 694, 696, 698 - Amtsgewalt (Potestas) 68, 78, 91, 99, 120, 125, 154, 252, 294, 366, 372, 380 - als Stellvertreter —> Stellvertretung Priester als Person - Zölibat 142, 344, 440, 442, 444, 455, 505, 514, 533, 565, 5 7 1 - 5 7 3 , 575, 577, 609, 618, 662 - Bildung 75, 82, 647, 659, 697 - Gewissensnot 442, 476, 5 7 1 - 5 7 6 - Weihe 26, 49, 77f, 125, 144f, 162, 281, 377f, 434, 593, 681, 698 - Integrität und R e i n h e i t 18, 77, 137f, 1 4 2 - 1 4 4 , 146, 153f, 163, 505, 545, 571 f, 574, 578, 652, 6 6 0 - 6 6 2 , 665 - Fehlverhalten 69, 84, 124, 138, 142f, 146, 150, 611, 676 Priester und Gesetz 18, 99, 153, 330, 338, 344, 371, 387f, 415, 4 5 7 - Exemtion 74, 142, 434, 560, 618, 661 Priester u n d Laien - besonderes äußeres Priestertum 10, 70f, 75, 82f, 105, 123, 125f, 133, 137, 143, 145f, 149, 151, 153, 199, 214, 220, 229, 281, 294, 301, 317, 330, 333, 3 4 0 - 3 4 2 , 346, 359, 377, 387, 411, 415f, 434, 4 3 3 - 4 3 6 , 438, 484, 489f, 524, 539, 545, 560, 593f, 656, 670, 680f, 698, 7 1 0 - allgemeines Priestertum 48, 114, 123, 144, 189, 202f, 265, 267, 294, 296, 3 0 0 - 3 0 2 , 310, 330, 340, 346, 359, 3 7 2 - 3 7 4 , 377f, 386f, 388, 411, 436,

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Sachregister

438, 449, 457, 470f, 472, 495, 501 f, 524, 545, 551, 560, 660-662, 671 f, 674f, 677, 680, 698, 705 - Priesterwahl 674, 676 Priester und Messe Opfer 18f, 21, 228, 265, 280, 294, 301, 333, 344, 387 - Vorbereitung 184, 236f, 306f, 312, 322, 386, 490, 576, 701 f, 711 - Kleidung 79, 87, 89, 126, 143, 181, 183, 195f, 381, 499-501, 574, 669, 689, 698, 709 - Gestik 7, 37, 79, 85, 89, 146 - Geld 9, 19, 74, 80, 98, llOf, 122, 133, 150, 163, 327, 395, 476, 489, 491, 573, 584, 611, 619, 652, 674 - opfert Christus dem Vater 22, 27f, 39, 65, 78, 92, 96, 107, 133, 146, 158, 196, 286, 299, 323, 354, 362, 375, 380, 384, 394, 412, 490, 649, 653f, 687, 691, 698f - Selbstkommunion 75f, 333, 395, 437, 453, 473, 491, 495, 500, 505f, 586 - Morali tat und Messwert 94, 96f, 99, 147-149, 163, 247, 250f, 327, 444, 475, 488, 490, 648, 652f Privatmesse —» Messopfer Propheten im „Alten" Testament 48, 86, 177, 205, 209, 213, 305, 392, 405, 502, 601 f, 608, 610, 614, 620, 632, 672 Rechtfertigung 54-56, 76, 116, 174178, 188, 190-195, 202f, 206, 208, 215, 220f, 226, 236, 245, 254, 259, 266, 276, 284, 293, 297, 302, 313, 316f, 325, 334, 357, 374-378, 386, 399, 401, 403f, 410, 412f, 417, 421, 430, 439, 451, 454, 459, 461, 467, 471, 487, 492, 513, 520, 540f, 568, 582, 586, 613, 621, 625, 630, 642, 660, 673, 681 f, 685, 688, 698, 700f, 705-707 R e f o r m der Messe - öffentliche und allgemeine 326, 473, 476, 479-481, 496-503, 508, 512, 529f, 532-534-537, 546, 551, 600. 662 f, 700 - Träger der R e f o r m 474, 478, 481, 485, 489, 509, 529f, 536, 549, 675

Reinheit 15-17, 492, 505, 574, 649 - im Glauben an Christus 200, 207f, 221, 492, 545, 665f, 701 - und Messopfer 46, 73, 137-140, 154, 184, 225, 664f, 667 Reliquien 480, 636 Reue —> Buße Sakralität —> Weihe - Heilig und Profan 10-15, 18f, 26, 40, 74, 79f, 114, 127, 133-137, 143, 151, 158, 162f, 184f, 195f, 199f, 208, 221, 241, 250, 255, 267, 288, 337, 372, 524, 545, 586, 632f, 636 683, 700 - Defensive Heiligkeit 15, 74, 81, 136f, 142, 153, 196, 199, 221, 492, 569, 574, 664f, 701 Sakrament —> Gedächtnis, —» Glaube, —> Messopfer, —» Rechtfertigung, —> Reinheit 19, 25, 29f, 55, 104, 139, 171 f, 192f, 260, 654, 675, 701 - im „Alten" Testament 35, 204-206, 211, 294, 315, 319f, 334, 387, 426, 428, 445, 447 450, 452, 454, 457f, 462, 466, 470, 480, 512, 588, 643, 701 - und Opfer 22, 27, 33-35, 38, 43, 51, 59, 75, 85, 97, 107f, 132f, 141, 145, 152, 154f, 158, 161, 165-167, 292f, 300f, 324, 334, 341, 357, 380, 387, 595, 643, 678 - und Wortgeschehen 34, 68, 171, 178f, 182, 194, 201, 205, 236, 242, 264f, 300, 358, 438, 453, 494, 640 - und Zeichen 36, 67, 85, 87, 106, 157f, 228f, 234-236, 259, 263, 274f, 447, 451, 453, 684 - und Gemeinschaft / Öffentlichkeit lOf, 16, 110, 157-159, 224, 228, 232, 237 - 247, 259, 265f, 280f, 283, 290, 333, 421, 429, 434f, 438, 453, 492, 506, 511, 532f, 656, 663, 671, 684f, 687, 700, 29, 139, 705 - Anzahl 561, 593, 610f, 644, 673f, 676 - Ex opere operato 96, 114, 126, 142, 182f, 185, 203-206, 211, 230-232, 244, 246f, 248 - 253, 265, 267f, 282, 300, 304, 308, 310, 319, 323, 326f, 372, 387, 395, 454, 466, 615-617,

Sachregister

619, 644, 647f, 652f, 656f, 661, 663f, 697, 701, 709 Sakramentale Idee 34, 67, 131, 166f, 218, 266f, 269, 300, 359, 699 Sakramentsempfang - Einbezug der Disposition, Würdigkeit 92, 112, 126, 184, 204, 206f, 214f, 224-227, 231, 235 - 237, 241, 245, 253, 259 - 261, 263f, 331, 405, 597, 645, 656, 664 - 667, 679, 687, 698, 701, 709 - jährliche Pflicht (Osterkommunion) 11, 112, 139, 150, 153, 223, 230, 262, 444, 532, 560, 605, 664 - hungrige Seele als einzige Voraussetzung 224, 232, 247, 253, 260, 264, 430, 443f, 460, 494, 548, 580, 596, 633, 643, 657f, 666, 670, 685, 697, 702 - Skrupel —> Würdigkeit 76, 112, 140, 162, 225, 259f, 263, 281, 307, 322, 331, 386, 488, 499, 508, 571, 598, 603, 666, 670, 683, 685, 687f - geistlicher 103, 126f, 140, 233, 451, 486, 488, 584, 589, 603f, 643, 694f, 698 Satisfaktionschristologie —> Kreuzesopfer Schöpfung und Neuschöpfung 14f, 22, 27, 29, 36, 39, 53, 63, 124, 159, 169, 171, 242, 270, 288, 292, 294, 325, 350-352, 354, 364-366, 368, 465, 500, 700f, 705, 708 - Schöpfungsgaben 48, 39, 55 f, 64, 68, 154f, 159, 288, 292, 325f, 386, 607, 707 Schwache —> Gewissen 195, 259f, 265, 316, 391, 421, 434f, 437, 439, 442f, 459, 474, 476f, 497, 509, 513, 522-524, 526-529, 531-535, 541-543, 546, 565-567, 569, 579, 643, 657, 663, 695 Seelenmesse 166, 310f, 320, 335-338, 343f, 387, 414, 476, 480f, 487f, 489, 492, 513, 538, 557, 562-564, 574f, 578f, 613 - 617, 634, 643-645, 654, 658f, 670, 672, 674, 709 Simul iustus et peccator —> Gerechtigkeit Singen —* Musik

769

Stellvertretung —> Glaube, —> Messopfer - als Teilmoment der Opferlogik 22, 117, 295, 314, 415, 520, 706 - Jesus Christus vertritt Menschen vor Gott 26, 179, 190, 297, 351, 353, 355, 357, 399, 547, 581, 629 - Kirche vertritt Jesus Christus 97, 146, 189, 37 l f , 582 - Priester vertritt Gott 22, 75-78, 85, 87, 145f, 189, 202f, 371 f - Priester vertritt die Gemeinde 16-19, 26, 40, 70f, 75-77, 82-84, 87, 98, 109-111, 119, 125f, 132, 144-147, 149, 158, 162f, 228, 264, 295, 375, 392, 397, 399, 411, 417, 468, 490, 510, 572, 694f - Priester vertritt die Kirche 40, 97, 99, 145, 257, 382, 490, 669, 699 Störungen von Messfeiern 482, 493, 502, 683 Sühne Opfer als Sühne Sünde —> Glaube, —> Jesus Christus / Christologie, —> Leib, —> Messe, —> Versöhnung 192, 244f, 278, 337, 340, 345, 351, 354-356, 396, 422, 454, 459f, 462, 472f, 512, 645, 670, 700 - Erbsünde 14, 92, 116, 401, 634, 177 - radikal bleibende 174, 178, 183, 193, 197, 245, 259, 271, 339, 344, 396, 399-401, 406, 541, 622, 628, 642, 673, 700, 702, 704, 710 - Ursprungssünde 177, 197, 224, 634, 642, 645 - Einzelne Sündentaten 197,204,224, 401, 459, 462, 492, 512, 572, 594, 618, 664, 667, 700f - Todsünde 79, 101, 105, 114, 118, 148f, 154, 163, 204, 207, 224f, 257, 475, 572, 689, 701 - Vergebung 20, 23, 43, 46, 49, 54, 60, 70, 95, lOOf, 104, 107, 109f, 130, 138, 145, 154, 166, 197, 203f, 214, 224, 244, 252, 258, 261f, 265, 270, 335f, 341, 349, 361, 363, 368, 370, 394, 400f, 412, 427, 451, 459, 472, 486, 490, 512, 591, 596-598, 600, 603, 618, 633, 642, 653, 664, 667, 673, 679, 684, 687f, 691 f, 696, 698, 703

770

Sachregister

Taufe —> Sakrament, —» Buße 30, 56,85, 109, 143, 145f, 178, 193, 203, 207, 215, 227f, 230, 243, 245, 252f, 283, 306-308, 313-317, 330, 345, 387, 400f, 408, 416, 465, 476, 573, 581 f, 609, 631, 664, 673, 676, 695 - Kindertaufe 227, 408 Testament —> Bibel, —> Gedächtnis, —» Gesetz, —» Sakrament, —> Wort - allgemein 177f, 197f, 221 - als Messkonzept 208-215, 221, 228, 255-258, 261, 263,-267, 275-284, 287-290, 293-302, 305f, 308, 3 1 0 313, 319f, 321-323, 331, 333, 335f, 341-343, 349-358, 360f, 368f, 380f, 386f, 458, 499f, 587, 589-592, 595601, 605, 612, 615-617, 631-635, 643-645, 648, 653f, 657, 668, 679, 688f, 697f, 700, 703f, 709-711 Teufel 12, 180, 337f, 343, 353, 355, 371, 377, 396, 404, 415, 484, 522, 525, 529, 536f, 543, 547f, 573f, 592, 595, 597, 605, 609, 615, 622, 637f, 641, 657, 665, 670, 696, 709 Totenfursorge —> Bitte, —> Canon actionis, —> Gedächtnis, —> Leib, —> Seelenmesse Transsubstantiationslehre 240, 252, 257, 308f, 321, 336, 342, 450, 457, 461, 463, 589, 619, 702 Urbild und Abbild - » Bilder, -> Messe und Kreuzesopfer 27f, 29-39, 35-40, 43, 66-68, 70-72, 75, 87f, 211, 314, 351, 359-361, 3 6 4 366, 388, 420, 708 Verehrung der Hostie —> Elevation, —> Wunder 23, 80, 98, 103f, 112, 124-129, 150, 156f, 163, 251, 285, 303, 321, 337, 419, 426-431, 445-450, 452f, 458, 461-463, 477f, 486, 488, 511, 588, 614f, 635, 638, 640, 642 Vergebung —> Sünde Vernunft 12, 18, 139, 238, 264, 305, 329, 340, 365-367, 369, 496, 582, 589, 620, 622f, 627f, 640, 644, 650, 695

Versöhnung —> Jesus Christus/Christologie, —> Gnade, —> Rechtfertigung, —> Sünde 6, 21, 25, 46, 54, 56, 58, 78, 82, 116, 130, 153, 180, 185, 188, 190, 218, 278, 285f, 289, 297, 300-302, 334f, 342, 351 f, 355f, 360, 363, 367, 375f, 381, 394, 396-398, 400f, 406, 411, 426f, 449, 467f, 475, 546f, 581, 591 f, 616, 628f, 632, 653, 690, 704-707 Vorbereitung auf die Messe —> Messopfer Waldenser —> Ketzer(ei) 125, 485 Wallfahrt 410, 613, 665, 667, 673 Wandlung —» Bitte, —> Leib und Blut Christi, —> Transsubstantiationslehre Weihe —> Sakralität 134, 137, 145, 199 - von Dingen 83, 123, 252, 674, 677 - von Orten 134, 136, 142, 336 - Priester 26, 49, 67, 77f, 125, 143-145, 162f, 264, 281, 377f, 380, 389, 481, 500, 575f, 593, 651, 661, 669, 680f, 698 Werke —> Almosen, —> Glaube, —> Gnade 191, 195, 238, 240f, 249. 254 - 260, 263, 266, 276, 282, 284, 289f, 308, 341, 379, 382, 407, 421, 427, 434, 438, 456, 464-467, 471, 473, 475f, 481, 511 f, 541, 544, 564, 568, 579, 581, 583, 598, 603f, 614, 617, 623, 631, 644f, 647f, 653, 660, 665, 668, 674-676, 681, 698, 700, 710 Wittenberger Ordnung 424, 433 Wort —> Bibel, —> Canon actionis, —> Einsetzungsworte, —» Gedächtnis, —» Geist, —> Glaube, —> Gnade, —» Sakrament, —» Testament - und Christus 172, 201, 225, 270f, 283, 304, 307, 309, 329, 341, 346f, 351-353, 361-363, 369f, 389, 585 - und Zeichen 48, 162, 182, 233-236, 239f, 248-253, 263, 265, 279, 2 8 1 284, 294, 306f, 313-317, 319-321, 325, 334, 343, 355, 364, 371, 386, 427f, 438f, 450-453, 464-469, 471 f, 476, 512, 546, 588, 596, 602f, 684, 686, 695, 698, 701 f

Sachregister

— Externität des Wortes 185, 270, 300, 329, 656 — trinitarische und christologische B e gründung 186, 270, 300, 351, 364, 708 — Verheißung / wirklichkeitskritische Dimension 44, 49, 177f, 185, 205, 2 1 0 215, 220f, 223, 230, 2 3 4 - 2 3 6 , 261, 2 7 l f , 276, 301 f, 313f, 368, 370f, 381, 406, 450. 469, 490, 525, 546, 601 f, 648, 686, 702, 705, 709 Wunder 68f, 79f, 98, 112, 129, 141,

771

150, 181, 252, 276, 337, 356, 359, 466, 576, 589, 597, 632, 666 Würdigkeit und Sakrament —» Disposition 85, 92, 119, 121, 129, 138, 140, 143, 149, 162, 207, 225f, 237, 245, 247, 259, 263, 307, 31 l f , 331, 561, 5 7 1 573, 576, 578, 596f, 600f, 603f, 643, 647, 6 6 4 - 6 6 6 , 687f, 703 Zorn Gottes —> Gott Zwei-Reiche-Lehre 251, 523, 569

Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe Begründet v o n H e i k o A . O b e r m a n H e r a u s g e g e b e n v o n Berndt H a m m in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und H e i n z Schilling

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