Die Medienvielfalt als Aspekt der Wertesicherung der EU [1 ed.] 9783428556953, 9783428156955

Die Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, in welcher Weise die EU Einfluss auf die Medienvielfaltsicherung der Mi

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German Pages 419 [420] Year 2019

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Die Medienvielfalt als Aspekt der Wertesicherung der EU [1 ed.]
 9783428556953, 9783428156955

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Schriften zum Europäischen Recht Band 187

Die Medienvielfalt als Aspekt der Wertesicherung der EU Von Jan Nielsen

Duncker & Humblot · Berlin

JAN NIELSEN

Die Medienvielfalt als Aspekt der Wertesicherung der EU

Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 187

Die Medienvielfalt als Aspekt der Wertesicherung der EU

Von Jan Nielsen

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-15695-5 (Print) ISBN 978-3-428-55695-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85695-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Ehefrau



Vorwort Die vorliegende Arbeit (Stand der Bearbeitung: 30.11.2017) wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg im Herbst 2018 als Dissertation angenommen. Herzlich danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute für die überaus engagierte, aber zugleich unkomplizierte Betreuung meines Promotionsvorhabens. Stets stand er mir mit wertvollen Einschätzungen und Anregungen zur Seite, sodass er mir während der gesamten Bearbeitungszeit das unerlässliche Gefühl gegeben hat, auf dem richtigen Weg zu sein. Als besonders beeindruckend habe ich seine Offenheit gegenüber verschiedenen vertretbaren rechtlichen Sichtweisen empfunden. Gedankt sei ebenfalls Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schulz für die Erstellung des Zweitgutachtens und das sehr angenehme Prüfungsgespräch. Besonders dankbar bin ich zudem meinen Eltern, Renate Finck und Rüdiger Nielsen. Sie sind mir immer ein großer Rückhalt gewesen, auf den ich mich stets verlassen konnte. Meinen Kindern Emily, Lasse und Anton möchte ich herzlich dafür danken, dass sie mich mit ihrer kindlichen Wissbegier und Neugier angesteckt und damit auch meine Freude an der Wissenschaft und Forschung befördert haben. Durch den intensiven Umgang mit meinen Kindern während der Promotionszeit, konnte ich einen unschätzbaren Gewinn an Lebensfreude und -sinn erzielen. Mein größter Dank gilt meiner Ehefrau Mirja, der ich dieses Buch widmen möchte. Sie hat nicht nur diese Arbeit angeregt und überhaupt erst ermöglicht, sondern mich auch in anderen Lebensbereichen stets zu guten Taten angespornt, wodurch sie unseren Hochzeitsspruch in die Tat umgesetzt hat. Sie hat sich immer unvergleichlich aufopfernd für mich und unsere Familie eingesetzt, sodass sich die Dankbarkeit und Liebe die ich für sie empfinde, an dieser Stelle gar nicht angemessen zum Ausdruck bringen lässt! Hamburg, im Januar 2019

Jan Nielsen

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Frage- und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Ausgangslage: Einigkeit über das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung . 19 2. Problem: Erfordernis und Identifizierung europäischer Vielfaltstandards . . . 21 3. Die Bedeutung der Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Bedeutung und Aktualität der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Möglichkeiten und Notwendigkeit der Vielfaltsicherung durch die EU . . . . . 24 2. Bedeutungszuwachs der europäischen Wertesicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Vorgehensweise zur Auflösung der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Medienvielfalt als Aspekt der Medienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union . . . . . . . . . . . . 35 1. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Arten und Bereiche von Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Anforderungen an die Auswahl der Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung durch die EU . . . 47 1. Keine medienspezifische Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Querschnittskompetenzen zur Binnenmarktharmonisierung . . . . . . . . . . . . . 48 3. Gewährleistungsauftrag aus Art. 11 Abs. 2 GrCh? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Rechtfertigung von Eingriffen in Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Art. 31 Universaldienstrichtlinie (UDRL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Ausnahme vom Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle . . . 102 5. Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

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Inhaltsübersicht I. Die sog. Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Sinn und Zweck der Homogenitätsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Erfordernis und Methoden der Konkretisierung des Werteinhalts . . . . . . . . . 113 II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung der Medienvielfalt . . . . . . . . 127 1. Art. 11 Abs. 2 GrCh und die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Art. 10 EMRK und die Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Verfassungsüberlieferungen ausgewählter Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Zuordnung der Medienvielfalt zu den Werten i. S. d. Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . 156 1. Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Einschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Die Verzahnung mitgliedstaatlicher und europäischer Gestaltungsgrenzen . . 166 3. Legitimation der Einflussnahme seitens der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Schwierigkeit der Festlegung europäischer Mindestanforderungen . . . . . . . . 175 2. Gesellschaftliche Grundbedingungen der Medienvielfaltsicherung . . . . . . . . 183 3. Notwendigkeit einer positiven Regulierung der Medienvielfalt . . . . . . . . . . . 223 4. Abwehr staatlicher Einflussnahmen auf Medieninhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 I. Zu den Möglichkeiten einer Vielfalt sichernden Rechtsetzung durch die EU . . . 387 II. Zur Identifizierung der Medienvielfalt als Bestandteil der europäischen Wertebasis 389 III. Zu den europäischen Mindeststandards der Vielfaltsicherung . . . . . . . . . . . . . . . 390 1. Staatliche Gewährleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 2. Staatliche Pflicht zur Inhaltsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 F. Kurzzusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Frage- und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Ausgangslage: Einigkeit über das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung . 19 2. Problem: Erfordernis und Identifizierung europäischer Vielfaltstandards . . . 21 3. Die Bedeutung der Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Bedeutung und Aktualität der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Möglichkeiten und Notwendigkeit der Vielfaltsicherung durch die EU . . . . . 24 2. Bedeutungszuwachs der europäischen Wertesicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Vorgehensweise zur Auflösung der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Medienvielfalt als Aspekt der Medienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union . . . . . . . . . . . . 35 1. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Begriff und Bedeutung für die Rechtsnatur der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 d) Implied powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Arten und Bereiche von Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Ausschließliche Zuständigkeit der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Geteilte Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 c) Ergänzungs-, Unterstützungs-, und koordinierende Zuständigkeit . . . . . . 41 3. Anforderungen an die Auswahl der Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung durch die EU . . . 47 1. Keine medienspezifische Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Querschnittskompetenzen zur Binnenmarktharmonisierung . . . . . . . . . . . . . 48 a) Medienprodukte im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten . . . . . . . . . 48 b) In Betracht kommende Rechtsgrundlagen zur Medienvielfaltregulierung 51 aa) Art. 114 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (1) Binnenmarktbezogene Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

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Inhaltsverzeichnis (2) Rechtsfolge der Berechtigung zur Rechtsangleichung . . . . . . . . . 54 bb) Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV (i. V. m. Art. 62 AEUV) . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Art. 50 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Grenzen einer binnenmarktbezogenen Medienregulierung . . . . . . . . . . . . 60 aa) Geltung des Subsidiaritätsprinzips? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 bb) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 cc) Pflicht zur Achtung der nationalen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 dd) Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . 71 ee) Einfluss des Art. 167 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (1) Die Medien und deren Vielfaltsicherung als Kultur i. S. d. Art. 167 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (2) Möglichkeiten und Grenzen der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . 75 d) Stellungnahme zur Tragweite der Ermächtigungsgrundlagen . . . . . . . . . . 79 aa) Erfordernis einer binnenmarktbezogenen Motivation . . . . . . . . . . . . 79 bb) Medienvielfaltsicherung als Kernbereich nationaler Identität? . . . . . . 83 (1) Gebot der Zurückhaltung bei der Bestimmung von Kerngehalten 83 (2) Einfluss des Amsterdamer Rundfunkprotokolls . . . . . . . . . . . . . 84 (3) Erhalt des Staatscharakters der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Gewährleistungsauftrag aus Art. 11 Abs. 2 GrCh? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Auftrag zur Medienvielfaltsicherung durch die EU? . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Bindung der Mitgliedstaaten an Art. 11 Abs. 2 GrCh? . . . . . . . . . . . . . . . 93 IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Rechtfertigung von Eingriffen in Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Aktuelle Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Art. 31 Universaldienstrichtlinie (UDRL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Ausnahme vom Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle . . . 102 5. Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Die sog. Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Sinn und Zweck der Homogenitätsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Blickwinkel der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Blickwinkel der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Inhaltsverzeichnis

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2. Erfordernis und Methoden der Konkretisierung des Werteinhalts . . . . . . . . . 113 a) Die rechtliche Dimension der Wertenormierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Rechtliche Bedeutung für die Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Rechtliche Bedeutung für die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Methoden zur Inhaltsbestimmung der Werte des Art. 2 EUV . . . . . . . . . . 119 aa) Problem der Grenzziehung mitgliedstaatlicher Entwicklungsfreiräume 119 bb) Annäherung im Wege der Abgrenzung und Intention . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Annäherung über die Funktion der Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 dd) Erkenntnisquellen zur positiven Bestimmung des Werteinhalts . . . . . 122 (1) Mitgliedstaatliche Verfassungsüberlieferungen . . . . . . . . . . . . . . 122 (2) Unionsrecht und Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (3) EMRK und Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Verhältnis von Art. 2 S. 1 EUV zu Art. 2 S. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung der Medienvielfalt . . . . . . . . 127 1. Art. 11 Abs. 2 GrCh und die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Fehlende Anknüpfungspunkte einer Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Herausstellung der Bedeutung der Medienvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Art. 10 EMRK und die Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Art. 10 EMRK als Medienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Verpflichtung zur Medienvielfaltsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Verfassungsüberlieferungen ausgewählter Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Medienvielfalt im Rundfunkbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Medienvielfalt im Pressebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 cc) Medienvielfalt in den Online-Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 dd) Gemeinsame Kernaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 d) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Zuordnung der Medienvielfalt zu den Werten i. S. d. Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . 156 1. Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

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Inhaltsverzeichnis 1. Einschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Die Verzahnung mitgliedstaatlicher und europäischer Gestaltungsgrenzen . . 166 a) Verbot der Bundesstaatlichkeit der EU als Entwicklungsgrenze . . . . . . . . 166 b) Art. 2 EUV als Kennzeichen für die Bundesstaatlichkeit der EU? . . . . . . 168 c) Das Verhältnis von Art. 2 S. 1 EUV und Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV . . . 170 3. Legitimation der Einflussnahme seitens der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot? . . . . . . . . . . . . . 172 b) Verletzung der Volkssouveränität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Schwierigkeit der Festlegung europäischer Mindestanforderungen . . . . . . . . 175 a) Problem der inhaltlichen Bestimmbarkeit der Medienvielfalt . . . . . . . . . . 175 aa) Struktursicherung statt normativer Festlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Positive Annäherung über Dimensionen der Vielfalt . . . . . . . . . . . . . 177 b) Anerkennung mitgliedstaatlicher Gestaltungsspielräume . . . . . . . . . . . . . 181 c) Typische Regulierungspraktiken und -empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Gesellschaftliche Grundbedingungen der Medienvielfaltsicherung . . . . . . . . 183 a) EMRK als normativer Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Gedanken- und Meinungsbildungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Geschütztes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Einschränkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (a) Die demokratische Gesellschaft i. S. d. EMRK . . . . . . . . . . . 190 (b) Beurteilung der Notwendigkeit eines Eingriffs . . . . . . . . . . . 191 c) Medienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Medienfreiheit als Teilgewährleistung der Meinungsfreiheit . . . . . . . 196 bb) Ausgeprägte Schutzgehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (1) Quellenschutz und Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (2) Schutz vor Gewalt infolge medialer Berichterstattung . . . . . . . . 197 (3) Schutz der inhaltsunabhängigen Informationsverbreitung . . . . . . 198 (4) Gewährleistung eines vielfältigen Medienangebots . . . . . . . . . . . 199 (5) Innere Pressefreiheit und Grundrechtsbindung Privater . . . . . . . . 201 d) Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Aktive Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (1) Pflicht zur Regelung eines Gegendarstellungsrechts . . . . . . . . . . 205 (2) Zugang zu Sendemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Passive Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Inhaltsverzeichnis

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e) Weitere Grundlagen von Demokratie und Medienvielfalt . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 bb) Vereinigungsfreiheit und Schutz politischer Parteien . . . . . . . . . . . . . 216 (1) Bezug der Vereinigungsfreiheit zu Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . 216 (2) Besonderer Schutz demokratischer politischer Parteien . . . . . . . 217 cc) Freie Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Notwendigkeit einer positiven Regulierung der Medienvielfalt . . . . . . . . . . . 223 a) Ökonomische Situation der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Begriff und Erscheinungsformen der Konzentration . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Ursachen der Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 cc) Auswirkungen der Konzentration auf die Medienvielfalt . . . . . . . . . . 228 b) Ökonomischer Wettbewerb als hinreichende Vielfaltsicherung? . . . . . . . . 233 aa) Pressebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Rundfunkbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 cc) Publizistische Online-Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Notwendige Regulierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 aa) Erfordernis einer medienspezifischen Konzentrationskontrolle? . . . . 241 bb) Erfordernis einer öffentlichen Medienförderung . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (1) Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (2) Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (3) Publizistische Online-Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 cc) Erfordernis einer öffentlich-rechtlichen Inhaltsbeauftragung . . . . . . . 260 (1) Lineare Rundfunkangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (2) Im Wesentlichen textbasierte Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (3) Audiovisuelle Abrufdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4. Abwehr staatlicher Einflussnahmen auf Medieninhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Rechtlicher Rahmen öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter . . 280 aa) Die öffentlich-rechtliche Beauftragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (1) Notwendigkeit und Grenzen der Konkretisierung . . . . . . . . . . . . 280 (2) Kontrolle der Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 bb) Strukturelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (1) Organisatorische Verselbständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (2) Unabhängigkeit des Leitungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (3) Aufsichtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (4) Journalistische Freiheit der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 cc) Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (1) Allgemeine Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (2) Anforderungen an die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln . . . 304

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Inhaltsverzeichnis (3) Anforderungen an kommerzielle Finanzierungsarten . . . . . . . . . 308 b) Unabhängigkeit der Medienaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 aa) Gegenstand der inhaltlichen Beaufsichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 bb) Anforderungen an die Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (1) Erfordernis und Bezugspunkte der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . 316 (2) Organisatorische Verselbständigung und Weisungsfreiheit . . . . . 319 (3) Regelungen zur personellen Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . 321 (4) Befugnisse der Regulierungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (5) Finanzielle Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 c) Einführung von Maßnahmen der Ko- und Selbstregulierung . . . . . . . . . . 329 d) Förderung privater Medienanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 aa) Der Konflikt zwischen Vielfaltverantwortung und Neutralitätspflicht 332 bb) Wettbewerbsrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (1) Audiovisuelle Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (2) Presse und presseähnliche Online-Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . 338 cc) Grundrechtliche Maßgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 (1) Allgemeine Förderungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 (2) Sonderfall der gezielten Steuerung von Werbeentgelten . . . . . . . 348 e) Neutralitätspflicht bei staatlichen Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 f) Begrenzung der medialen Aktivitäten staatlicher Akteure . . . . . . . . . . . . . 354 aa) Beschränkungen medialer Angebote unter staatlicher Steuerung . . . . 354 bb) Begrenzung der staatlichen Beteiligung an privaten Medien . . . . . . . 358 (1) Möglichkeit der Umgehung des Verbots staatlicher Einfluss­ nahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 (2) Europäische Grenzen der Einflussnahme durch Medieneigentum 359 (a) Seitenblick auf das deutsche Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . 359 (b) Grundrechtliche Anforderungen aus der EMRK . . . . . . . . . . 361 (c) Adressaten der Beschränkungen medialer Aktivitäten . . . . . 364 (d) Mediale Aktivitäten politischer Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . 366 g) Zulässigkeit des Verbots privater politischer Werbung . . . . . . . . . . . . . . . 368 aa) Die Relevanz im Hinblick auf Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 bb) Schutzrichtung der Werbeverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 (1) Bedeutung der Wirkmacht des Mediums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (2) Andere Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Diskurs . . 374 (3) Entwicklung zur generellen Unzulässigkeit von Werbeverboten? 375 h) Einflussnahme auf die Nutzung von Informationsquellen . . . . . . . . . . . . 381 aa) Einfluss und Bedeutung von Informationsdienstleistungen . . . . . . . . 381 bb) Gefahr der Verengung und Beeinflussung des medialen Angebots . . 382

Inhaltsverzeichnis

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E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 I. Zu den Möglichkeiten einer Vielfalt sichernden Rechtsetzung durch die EU . . . 387 II. Zur Identifizierung der Medienvielfalt als Bestandteil der europäischen Wertebasis 389 III. Zu den europäischen Mindeststandards der Vielfaltsicherung . . . . . . . . . . . . . . . 390 1. Staatliche Gewährleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 2. Staatliche Pflicht zur Inhaltsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 F. Kurzzusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht ABl. Amtsblatt Abs. Absatz a. E. am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV AfP Archiv für Presserecht Alt. Alternative AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art. Artikel Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste AVMD-RL BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter Begr. Begründer BVerfG Bundesverfassungsgericht ders. derselbe dies. dieselben DÖV Die Öffentliche Verwaltung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt ECLI European Case Law Identifier EG Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR EKMR Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention EMRK EU Europäische Union EuG Gericht Erster Instanz bzw. Gericht der Europäischen Union EuGRZ Europäische GRUNDRECHTE-Zeitschrift EuR Europarecht EUV Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht FKVO Verordnung (EG) 139/04 (EG-Fusionskontrollverordnung) Fn. Fußnote GG Grundgesetz Charta der Grundrechte der Europäischen Union GrCh Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz insb. insbesondere im Rahmen der / des i. R. d. i. S.  d. im Sinnes des / der im Sinne einer / eines i. S.  e. i. V. m. in Verbindung mit Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, neue Folge JöR

Abkürzungsverzeichnis Juristische Ausbildung JURA Juristische Schulung JuS JZ Juristenzeitung Kammergericht Berlin KG Kommunikation und Recht K&R LPG Landespressegesetz mit anderen Worten m. a. W. MultiMedia und Recht MMR Neue Juristische Online-Zeitschrift NJOZ Neue Juristische Wochenschrift NJW Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungs-Report NVwZ-RR Österreichische Juristen-Zeitung ÖJZ RL Richtlinie Rn. Randnummer Rs. Rechtssache RStV Rundfunkstaatsvertrag S. Satz siehe auch s. a. Sammlung der Rechtsprechung des EuGH Slg. sogenannter / sogenanntes sog. unter anderem bzw. und andere u. a. UAbs. Unterabsatz Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie) UDRL Urt. Urteil unter Umständen u. U. v. vom verb. verbunden vgl. vergleiche VO Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVDStRL Wirtschaft und Wettbewerb WuW Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZaöRV Zusatzprotokoll zur EMRK ZP Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht ZUM

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A. Einleitung I. Frage- und Problemstellung Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit liegt darin, zu ermitteln, in welcher Weise und ggf. mit welchem Inhalt die Europäische Union verbindliche Maßstäbe für die Sicherung der Medienvielfalt entwickeln kann. Insbesondere da die EU in den letzten Jahren zahlreiche Aktivitäten auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung entfaltet und zudem die Entwicklung der Medienvielfalt in den Mitgliedstaaten intensiv beobachtet hat, erscheint die Frage relevant, inwieweit diese überhaupt verbindliche rechtliche Maßstäbe der Medienvielfaltsicherung entwickeln kann. Neben der Problematik, welchen konkreten Inhalt diese Maßstäbe haben könnten, ist bedeutsam, an welche Adressaten sich diese richten könnten. So ist denkbar, dass die Union die zu entwickelnden übergeordneten Maßstäbe der Medienvielfaltsicherung bei der eigenen Rechtsetzung zu beachten hat. Dies setzt voraus, dass die EU selbst dazu berechtigt ist, Vielfalt sichernde Regelungen zu treffen. Ebenso kommt es in Betracht, dass die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der EU an unionsrechtliche Maßstäbe der Vielfaltsicherung gebunden sein könnten. Sollten unionsrechtliche Maßstäbe auf die Mitgliedstaaten einwirken können, so fragt sich, auf welche Weise und mit welchem Inhalt die Kompetenz der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung durch Unionsrecht überwunden werden kann. 1. Ausgangslage: Einigkeit über das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung Das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf die ihr zugrunde liegende freie Meinungsbildung sind unbestritten wesentliche Merkmale einer Demokratie. Die Frage indessen, welche konkreten Handlungs- und Unterlassungspflichten einem Staat zukommen, um den Prozess der Meinungsbildung frei und möglichst unbeeinflusst zu gestalten, wird hingegen höchst unterschiedlich beantwortet. Einigkeit herrscht jedoch insoweit, als den Medien eine erhebliche Bedeutung bei der Meinungsbildung zugesprochen wird. Ebenso unbestritten ist, dass die Medien aus diesem Grund in ihrer Gesamtheit ein breites und möglichst umfassendes Spektrum der in der Gesellschaft vertretenen Meinungen abbilden müssen. Den Medien kommt in dieser Hinsicht eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu. Diese den Medien zukommende Aufgabe wird vom EGMR regelmäßig besonders herausgestellt. So beschreibt er, stellvertretend für alle Medienarten, die Aufgabe der Presse dahingehend, dass sie Informationen und Ideen, welche auf der politischen Bühne er-

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A. Einleitung

örtert werden, ebenso mitzuteilen hat wie solche, welche sonstige Angelegenheiten von öffentlichem Interesse betreffen.1 Die solchermaßen beschriebene Aufgabe der Medien beschränkt sich nicht lediglich auf eine Verpflichtung des Staates, eine freie und vielfältige Medienlandschaft zu gewährleisten, sondern es wird zugleich ein Anspruch der Öffentlichkeit auf vielfältige und umfassende Information entwickelt.2 Weiterhin führt der EGMR aus, dass die Freiheit der Medien eines der besten Mittel ist, um die Vor- und Einstellungen der Politiker kennen zu lernen und zu beurteilen.3 Bemerkenswert ist, dass die Aufgabe der Medien als gleichsam neutrale Mitteilung von Informationen und Ideen umschrieben wird und dass die Öffentlichkeit in die Lage versetzt werden soll, auf Grundlage dieser Informationsvermittlung eine eigenständige Beurteilung der politisch Handelnden vorzunehmen. Natürlich wird nahezu jede einzelne mediale Mitteilung eine politische Tendenz verfolgen. Indem aber die Medien in ihrer Gesamtheit sämtliche relevanten politischen Auffassungen zu vermitteln imstande sein sollen, kommt diesen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gleichwohl eine gewissermaßen neutralisierte Mitteilungsfunktion zu. Es liegt auf der Hand, dass ein durch die Medien umfassend informierter Bürger in besonderem Maße kompetent ist, das politische Handeln von Regierungen und Staatsorganen kritisch zu überprüfen und das Ergebnis seiner Überprüfung in eine freie Wahlentscheidung einmünden zu lassen. Nur eine freie, d. h. eine von unzulässigen Beeinflussungsversuchungen fern gehaltene, Wahlentscheidung ist geeignet, den Staatsorganen die notwendige demokratische Legitimität zu vermitteln. Dass die Medien in die Lage versetzt werden müssen ein inhaltlich vielfältiges Angebot hervorzubringen, um den Meinungsbildungsprozess frei zu gestalten, kann als gemeinsame Überzeugung sämtlicher EU-Mitgliedstaaten angesehen werden. Dies ergibt sich bereits aus der faktischen Bindungswirkung der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMR. So sind sämtliche Mitgliedstaaten der EU als Mitglieder des Europarats an die EMRK gebunden. Damit erzeugt die Rechtsprechung des die EMRK auslegenden EGMR eine starke Leitbildwirkung für alle Mitgliedstaaten. Wenngleich die Rechtsprechung des EGMR nur die Vertragsparteien bindet, lassen sich dieser gleichwohl übergeordnete Maßstäbe entnehmen, welche für alle Konventionsstaaten gleichermaßen Geltung beanspruchen. Dies gilt jedenfalls für die Demokratie, welche der EGMR als das einzige politische Modell bezeichnet, welches mit der EMRK vereinbar ist.4 Weiterhin hat der EGMR festgehalten, dass es ohne Pluralismus keine Demokratie gibt und dass es aus diesem Grunde die Frei 1

EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 131 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, NJW 1987, 2143, 2144, § 41 (Lingens / Österreich). 2 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 131 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, NJW 1987, 2143, 2144, § 41 (Lingens / Österreich). 3 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 131 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, NJW 1987, 2143, 2144, § 42 (Lingens / Österreich). 4 EGMR, Urt. v. 30.01.1998, Nr. 19392/92, § 45 (Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei u. a. / Türkei).

I. Frage- und Problemstellung

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heit der Meinungsäußerung zu schützen gilt.5 Ohne die gleichzeitig gewährleistete Meinungsbildungsfreiheit wäre die Meinungsäußerungsfreiheit wertlos und könnte ihre Funktion für die Demokratie und den Pluralismus nicht erfüllen. Da ein inhaltlich vielfältiges mediales Angebot wiederum eine wesentliche Voraussetzung für die Freiheit der Meinungsbildung und die Herausbildung eines gesellschaftlichen Pluralismus darstellt, ist ein solches für die Demokratie i. S. d. EMRK unverzichtbar. Auch in die Rechtsordnung der EU hat das Erfordernis der Sicherung der Medienvielfalt bereits Eingang gefunden. So achtet die Union gem. in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh neben der Freiheit auch die Pluralität der Medien. Wichtiger als dieses zaghafte Bekenntnis zur Medienpluralität erscheint indessen die Bedeutung der EMRK für die Herausbildung unionsrechtlicher Grundrechtsstandards, welche u. a. in Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 EUV zum Ausdruck gebracht wird. Es besteht jedenfalls kein Zweifel daran, dass die inhaltliche Vielfalt der Medien als unverzichtbare Voraussetzung für die Freiheit der Meinungsbildung und damit auch die Funktionsfähigkeit der Demokratie sichergestellt werden muss. 2. Problem: Erfordernis und Identifizierung europäischer Vielfaltstandards Damit ist indessen noch nicht geklärt, welche gemeinsamen europäischen Vorstellungen sich in der Frage herausgebildet haben, auf welche Weise das Ziel der Sicherstellung der Medienvielfalt zu erreichen ist. So kann die gemeinsame europäische Überzeugung, dass ein inhaltlich vielfältiges Medienangebot sicherzustellen ist, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mitgliedstaaten der EU unterschiedliche Maßnahmen für erforderlich halten, um die gebotene Medienvielfalt zu erzielen.6 Ein Beispiel für unterschiedliche mitgliedstaatliche Bewertungen hinsichtlich des notwendigen Regulierungsbedarfs liefert die Frage, ob bezahlte politische Werbung im Rundfunk zulässig sein sollte.7 Das Nichtbestehen vollständig deckungsgleicher europäischer Überzeugungen in Bezug auf die staatlichen Handlungs- und Unterlassungspflichten zur Sicherung der Medienvielfalt erschwert die Identifizierung von europäischen Mindestanforderungen. Diese Schwierigkeit gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob die EU oder die Mitgliedstaaten dazu berufen sind, die Medienvielfalt sicherzustellen. So wird es der EU nicht möglich sein, völlig losgelöst von mitgliedstaatlichen bzw. gemeinsamen europäischen Rechtstraditionen, eigene grundrechtliche Maßstäbe zu entwickeln. Vielmehr ergibt sich aus Art. 6 Abs. 3 EUV, dass die EMRK und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten die wesentlichen Rechtserkenntnisquellen des Grundrechtsschutzes der EU darstellen und darüber 5

EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 89 (Refah Partisi u. a. / Türkei). Vgl. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 218 ff. 7 EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 67 (TV Vest u. a. / Norwegen); Venedig-Kommission des Europarats, Opinion 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 24, Ziffer 100. 6

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A. Einleitung

hinaus als allgemeine Grundsätze selbst Teil des Unionsrechts sind. Sollte die EU befugt sein, Maßnahmen zur Medienvielfaltsicherung zu ergreifen, so wird sie sich bei ihrer Rechtsetzung an diesen übergeordneten Maßstäben, welche durch die EMRK und die Verfassungen der Mitgliedstaaten ausgeprägt wurden, zu orientieren haben. Auch Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh wird seine eigene inhaltliche Ausprägung nur unter Beachtung der in Art. 6 Abs. 3 EUV genannten Rechtserkenntnisquellen erhalten können. Die Mindeststandards der Medienvielfaltsicherung, welche die EMRK und die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten vorgeben, wird die EU im Falle einer eigenen Rechtsetzung jedenfalls nicht unterschreiten dürfen. Wäre die EU regelungsbefugt, so käme indessen ein weitergehender Schutz der Medienvielfalt in Betracht, als ihn bereits der Art. 6 Abs. 3 EUV zwingend vorsieht. Andererseits werden Regelungen zur Sicherstellung der Medienvielfalt regelmäßig auch die Handlungsfreiheiten der Medienanbieter und damit die ebenfalls grundrechtlich gewährleisteten Medienfreiheiten einengen. Somit würde ein erhöhtes Schutzniveau der Medienvielfaltsicherung i. d. R. zugleich eine Verkürzung individueller Medienfreiheiten zur Folge haben. Maßnahmen zur Sicherung der Medienvielfalt sind von der Besonderheit geprägt, dass verschiedene Gewährleistungsgehalte desselben Grundrechts miteinander zum Ausgleich gebracht werden müssen. So weist die Meinungs- bzw. Medienfreiheit einerseits einen individuellen Schutzgehalt auf, welcher den Grundrechtsträgern das Recht vermittelt, Meinungen medial zu verbreiten. Andererseits soll ein inhaltlich vielfältiges Medienangebot die Bürger dazu befähigen, Meinungen frei zu bilden und zu äußern. Im Rahmen der durch das Recht gezogenen Grenzen ist einzig der demokratisch legitimierte Gesetzgeber befugt, die schwierige Abwägung vorzunehmen, welchen Interessen in bestimmten zu typisierenden Situationen der Vorzug zu geben ist. Somit ist der Handlungsspielraum der EU zur Sicherung der Medienvielfalt dann besonderes groß, wenn ihr insoweit auch eine Regelungskompetenz zukommt. Sie kann dann die auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung bestehenden Gestaltungsfreiräume in ihrem Sinne ausprägen. Gleichwohl wäre es auch im Falle der Regelungskompetenz der EU lohnenswert, die sich aus Art. 6 Abs. 3 EUV ergebenden rechtlichen Mindeststandards der Medienvielfaltsicherung zu ergründen. So wird die Gestaltungsbefugnis der Union jedenfalls durch europäische Mindeststandards i. S. d. Art. 6 Abs. 3 EUV begrenzt sein. Im Falle der Missachtung dieser Mindeststandards würde der Unionsgesetzgeber gegen übergeordnetes primäres Unionsrecht verstoßen. Das gegen die allgemeinen Grundsätze i. S. d. Art. 6 Abs. 3 EUV verstoßende Unionsrecht wäre im Falle der Einleitung eines entsprechenden Verfahrens durch den EuGH für nichtig zu erklären. Aber auch dann, wenn die EU nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang befugt sein sollte Regelungen auf dem Gebiet der Vielfaltsicherung zu erlassen, wäre die Ermittlung europäischer Mindeststandards unverzichtbar. So wird die EU die sich aus Art. 6 Abs. 3 EUV ergebenden und die Medienvielfalt betreffenden allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts auch im Rahmen einer nicht vordergründig die Medienvielfalt regelnden, diese aber berührenden Rechtsetzung zu beachten haben.

I. Frage- und Problemstellung

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Sollte die Aufgabe der Medienvielfaltsicherung eine solche der Mitgliedstaaten sein, so fragt sich, ob Maßstäbe des Unionsrechtes deren Gestaltungsfreiraum eingrenzen können. Dies ist insofern problematisch, da die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer eigenen Befugnisse grundsätzlich souverän sind. Rechtlicher Anknüpfungspunkt des Interesses der Union, dass die Medienordnungen der Mitgliedstaaten europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung genügen müssen, könnte indessen Art. 2 EUV sein. Dieser benennt die gemeinsame Wertebasis der EU und der Mitgliedstaaten. Die Verbindlichkeit dieser Werte ergibt sich für die Mitgliedstaaten aus der Verknüpfung mit dem Sanktionsverfahren des Art. 7 EUV. So kann im Falle der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden mitgliedstaatlichen Verletzung der Werte des Art. 2 EUV das in Art 7 EUV geregelte Sanktionsverfahren in Gang gesetzt werden. Die Werte des Art. 2 EUV werden im Hinblick auf den Grundrechtsschutz durch die allgemeinen Grundsätze i. S. d. Art. 6 Abs. 3 EUV, welche sich wiederum aus einem europäischen Kernbestand gemeinsamer Vorstellungen speisen, konkretisiert.8 Wenn es der Union möglich sein sollte, im Wege des Art. 2 EUV auf die Ausgestaltung der Medienordnung der Mitgliedstaaten einzuwirken, so fragt sich, welche Mindestanforderungen sie in Bezug auf die Medienvielfaltsicherung von den Mitgliedstaaten einfordern kann. Es zeigt sich also, dass die sich aus der EMRK und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergebenden allgemeinen europäischen Grundsätze unabhängig von der Frage der Regelungskompetenz eine verbindliche Richtschnur bei der Ausgestaltung der Medienordnung vorgeben. Deshalb erscheint dessen Konkretisierung als ein erstrebenswertes Ziel. 3. Die Bedeutung der Regelungskompetenz Jedoch kann die Kompetenz zur Rechtsetzung, wie bereits oben angedeutet, von erheblicher Bedeutung sein. So ist in den Blick zu nehmen, dass der Gesetzgeber zur Regelung eines bestimmten Sachbereichs demokratisch legitimiert sein muss. Da den Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Staatsqualität gewissermaßen eine Allkompetenz zukommt, können diese überhaupt kein kompetenzwidriges Medienrecht erlassen. Das mitgliedstaatliche Recht kann jedoch im Wege des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts durch dieses verdrängt sein, sofern es Bereiche betrifft, welche auch durch die Union geregelt wurden. Anders als das am Ziel der Medienvielfaltsicherung ausgerichtete mitgliedstaatliche Recht kann das mit dieser Zielrichtung erlassene Unionsrecht unter Missachtung der Zuständigkeitsordnung zustande gekommen sein. Ungeachtet der Frage, welche Konsequenzen sich aus einem kompetenzwidrig erlassenen Unionsrecht ergeben, ist die eigene Gestaltungsbefugnis der Union rechtlich durch ihre Kompetenz begrenzt.

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Von der Groeben / Hatje / Schwarze-Bengt Beutler, Art. 6 EUV, Rn. 9.

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A. Einleitung

Die Regelungskompetenz ist weiterhin deshalb von Bedeutung, da die durch Art. 6 Abs. 3 EUV gezogenen Grenzen der Gestaltungsbefugnis eine gewisse Elastizität aufweisen. Allein die Problematik, dass im Rahmen der Rechtsetzung verschiedene grundrechtlich geschützte Interessen miteinander zum Ausgleich gebracht werden müssen, legt einen Gestaltungsfreiraum des zur Abwägung befugten Hoheitsträgers nahe. Vertretbare Prognose- und Abwägungsentscheidungen werden angesichts des nur annäherungsweise bestimmbaren Inhalts der Grundsätze des Art. 6 Abs. 3 EUV respektiert werden müssen. Aufgrund dessen erscheint es wichtig, zu bestimmen, welcher Ebene innerhalb des unionalen Verbunds das Recht zukommt, bestehende Gestaltungsspielräume der Medienvielfaltsicherung auszufüllen. Auch das Nichtbestehen einer einheitlichen europäischen Überzeugung, durch welche staatlichen Handlungen oder Unterlassungen die Medienvielfalt gesichert werden muss, trägt zu einer Erweiterung des Gestaltungsfreiraums des zur Rechtsetzung befugten Gesetzgebers bei. So hat der EGMR in seiner Rechtsprechung zur Regelung politischer Rundfunkwerbeverbote darauf hingewiesen, dass das Nichtbestehen eines europäischen Konsenses bewirken kann, dass Erwägungen einzelner mitgliedstaatlicher Gesetzgeber ein stärkeres Gewicht bekommen.9

II. Bedeutung und Aktualität der Problematik 1. Möglichkeiten und Notwendigkeit der Vielfaltsicherung durch die EU Die Frage, inwieweit die Kompetenzgrundlagen für die EU tragfähig sind, um Regelungen zur Sicherung der Medienvielfalt erlassen zu können, ist vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen und Aufsätze gewesen.10 Bereits seit vielen Jahren wird die Frage der Reichweite der EU-Kompetenzen im Bereich der Medienpolitik kontrovers diskutiert.11 Auch verschiedene Organe der EU haben seit etwa 35 Jahren immer wieder Bestrebungen eingeleitet, das Problem der Sicherung der Medienvielfalt auf europäischer Ebene zu lösen.12 Besonders im Hinblick auf den Erlass einer sog. Medienkonzentrationsrichtlinie wurde die Kompetenzfrage intensiv beleuchtet. Bemerkenswert ist, dass noch immer sehr unterschiedliche Auffassungen zur Frage der Reichweite der EU-Kompetenzen im Medienbereich eingenommen werden. Teilweise wird angenommen, dass der EU grundsätzlich eine Kompetenz zukommt, Regelungen zu erlassen, durch welche mitgliedstaatliche Bestimmungen zur Begrenzung der Unternehmenskonzentration im Medien­ bereich angeglichen werden.13 Von anderer Seite wird die Kompetenz der EU zum 9

EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 67 (TV Vest u. a. / Norwegen). Vgl. z. B. die Dissertationen von Helwig und Schüll. 11 Schwarze, ZUM 2000, 779, 798. 12 Zagouras, AfP 2007, 1, 2. 13 Gounalakis / Zagouras, ZUM 2006, 716, 725; Helwig, S. 277; Schüll, S. 166 f. 10

II. Bedeutung und Aktualität der Problematik

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Erlass einer Medienkonzentrationsrichtlinie, welche zwangsläufig neben der Binnenmarktharmonisierung auch maßgeblich am Ziel der Vielfaltsicherung ausgerichtet sein wird, bestritten.14 Die Bemühungen einzelner Organe der EU, einen Rahmen für ein unionsweit gültiges Medienkonzentrationsrecht in Kraft zu setzen, wurden jedenfalls aufgrund kompetenzieller Bedenken aktuell auf Eis gelegt.15 Ungeachtet der zurückliegenden Diskussion über den Erlass einer Medienkonzentrationsrichtlinie werden weiterhin Aktivitäten der EU entfaltet, welche sich mit dem Thema der Medienvielfalt auseinandersetzen.16 Dabei geht es nicht in erster Linie darum, europäische Regelungen einzuführen, sondern es soll der Blick auf die Medienvielfaltsicherung in den Mitgliedstaaten gerichtet werden, um eventuellen Handlungsbedarf auf dieser Ebene ausmachen zu können.17 Unter den in jüngster Zeit erfolgten Aktivitäten der Union auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung ist besonders die Einrichtung und Beauftragung der Hochrangigen Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien durch die Europäische Kommission hervorzuheben. Der Auftrag dieses Gremiums bestand darin, Empfehlungen zu verschiedenen Themen, welche mit dem Schutz, der Achtung sowie der Förderung und Unterstützung der Medienfreiheit und -vielfalt im Zusammenhang stehen, zu erarbeiten.18 Grundsätzlich erkannte die Hochrangige Gruppe die vorrangige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Medienregulierung an.19 Sie stellte im Hinblick auf die mitgliedstaatliche Wahrnehmung dieser Aufgabe indessen fest, dass sich in jüngerer Vergangenheit zahlreiche Ausprägungen von Verletzungen bzw. Missbräuchen der Medienfreiheit und der Medienvielfaltsicherung gezeigt haben.20 Auch von anderer Seite wird die jüngste Entwicklung der Freiheit und Vielfalt der Medien in einigen Mitgliedstaaten mit Sorge betrachtet.21 Um künftig die Medienfreiheit und -vielfalt effektiv schützen zu können, muss die Frage der notwendigen Regulierung der Medien nach Auffassung der Hochrangigen Gruppe aktuell besonders dringlich erörtert werden.22 Sofern die Union Mitgliedstaaten, welche Mindestanforderungen an die Freiheit und Vielfalt der Medien missachten, gewähren lässt, wird sie sich selbst dem Vorwurf aussetzen, ihre Werte innerhalb ihrer eigenen Grenzen nicht wirksam schützen zu können.23 Dass sie hierzu aber wirksam in der Lage sein muss, ergibt sich bereits aus den Regelungen zur europäischen Wertesicherung (vgl. Art. 2 und Art. 7 EUV). Darüber hinaus lassen sich mit dem Schutz des Status der Unions 14

Fink / Cole / Keber, S. 18, Rn. 20; Hain, AfP 2007, 527, 531 ff.; Jungheim, S. 370. Fink / Cole / Keber, S. 18, Rn. 20. 16 Vgl. Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 21 f. 17 Fink / Cole / Keber, S. 18, Rn. 20. 18 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 10. 19 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 20. 20 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 18. 21 Von Bogdandy / Kottmann / Antpöhler / Dickschen / Hentrei / Smrkolj, ZaöRV 72 (2012), 45, 50 f. Zur aktuellen Lage der Medienfreiheit in verschiedenen Staaten Ost- und Südosteuropas, Hamann, AfP 2017, 208 ff. 22 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 18. 23 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 18. 15

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A. Einleitung

bürgerschaft und der demokratischen Legitimation des Handelns der EU weitere Anknüpfungspunkte für ein Interesse der Union an einer effektiven Sicherung der Medienvielfalt auf der Ebene der Mitgliedstaaten ausmachen.24 Gerade in Bezug auf das Grundrecht der Medienfreiheit wird erwogen, aus dem Unionsbürgerstatus Ansprüche des Einzelnen auf eine bestimmte Ausgestaltung der Medienordnung in den Mitgliedstaaten herzuleiten.25 Um im Falle einer Verletzung europäischer Werte angemessen reagieren zu können, muss die Union jedenfalls dazu befähigt sein, die Situation der Medien in den Mitgliedstaaten realistisch einschätzen zu können. Aus diesem Grund wurden und werden durch die Europäische Kommission zahlreiche wissenschaftliche Studien unterstützt, welche sich mit Themen befassen, die einen Zusammenhang zur Sicherung der Medienvielfalt aufweisen. Hervorzuheben ist in dieser Hinsicht die Entwicklung des sog. Medienpluralismus-Monitor, welche auf eine von der Europäischen Kommission finanzierte wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2009 zurückgeht. Es handelt sich bei dem Medienpluralismus-Monitor um ein Instrument, welches Risiken für die Medienvielfalt sichtbar machen und schrittweise in allen Mitgliedstaaten zur Anwendung gebracht werden soll.26 Neben dieser lediglich beobachtenden Tätigkeit ist auch die Diskussion über die Reichweite der Regelungskompetenzen der EU im Medienbereich noch immer von anhaltender Bedeutung. Wenngleich die EU davon Abstand genommen hat eine Medienkonzentrationsrichtlinie in Kraft zu setzen, finden sich bereits in der noch aktuellen Fassung der AVMD-RL Regelungen, welche am Ziel der Informationsvielfalt ausgerichtet sind. Erwähnt sei in dieser Hinsicht nur das in Art. 15 AVMD-RL geregelte Recht auf Kurzberichterstattung, welches sicherstellen soll, dass ein möglichst breites Publikum mit Informationen von großem öffentlichen Interesse versorgt werden kann. Ob die Regelung des Kurzberichterstattungsrechts von der Kompetenz der EU erfasst ist, lässt sich durchaus bezweifeln.27 Die Vornahme der Regelung zeigt jedenfalls, dass die Organe der EU sich als befugt ansehen, Regelungen zu treffen, welche die Themen der Informations- und Medienvielfalt zum Gegenstand haben. Ein im Jahr 2016 durch die Europäische Kommission erarbeiteter Entwurf zur Änderung der AVMD-RL benennt in seinem Art. 30 Abs. 2 sogar ausdrücklich den Medienpluralismus als eines der Ziele der Richtlinie.28 Zudem macht der Richtlinienentwurf verbindliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Unabhängigkeit der Medienaufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten. Die zwingende Festlegung der Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden verfolgt u. a. den Zweck, die Medienaufsicht gegenüber staatlichen Einflussnahmen abzuschirmen. Die Verhinderung staatlicher Einflussnahmen erfolgt wiederum im Interesse der für die Freiheit der 24

Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 23. Dies andeutend, von Bogdandy / Kottmann / Antpöhler / Dickschen / Hentrei / Smrkolj, ZaöRV 72 (2012), 45, 64. 26 Nähere Informationen hierzu unter https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/mediapluralism-monitor-mpm (letzter Zugriff: 30.11.2017). 27 Offen lassend, Schulz, EuZW 2008, 107, 111. 28 Europäische Kommission, COM(2016) 287 final. 25

II. Bedeutung und Aktualität der Problematik

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Meinungsbildung unerlässlichen Medienvielfalt. Im Hinblick auf die verbindliche Vorgabe von Anforderungen an die Strukturierung der Medienaufsichtsbehörden seitens der EU wird mit Widerständen der Mitgliedstaaten zu rechnen sein. Insbesondere dürfte die diesbezügliche Kompetenz der EU in Frage gestellt werden. Der Deutsche Bundesrat hat bereits entsprechende Bedenken angemeldet.29 Es zeigt sich also, dass die Frage, in welcher Weise die EU auf dem Gebiet der Sicherung der Medienvielfalt tätig werden sollte und tätig werden darf, ein Thema ist, welches die Organe der EU bereits seit mehreren Jahrzehnten anhaltend beschäftigt. Neue Brisanz hat die Kompetenzfrage dadurch erfahren, dass die Europäische Kommission eine zunehmende Bereitschaft zeigt, angenommenen Gefährdungen der Medienvielfalt in den Mitgliedstaaten entschieden entgegenzutreten. Zu Beginn des Jahres 2011 beanstandete die Europäische Kommission Änderungen des ungarischen Medienrechts insofern erfolgreich, als die beanstandeten Punkte umgehend geändert wurden.30 Bereits die für notwendig erachtete Intervention der Europäische Kommission im Falle Ungarns führte zu einer Aktualisierung der Frage, inwiefern und inwieweit die Sicherung der Medienvielfalt eine Regelungsmaterie ist, welche die Rechtsordnung der EU betrifft.31 Die Mediengesetzgebung Ungarns stand auch in der Folge weiterhin im Fokus internationaler Beobachtungen. Die auf Druck der Europäischen Kommission erfolgten Änderungen betrafen lediglich den Anwendungsbereich der AVMD-RL, sodass andere problematische Regelungen, welche insbesondere die Zusammensetzung und Tätigkeit der Medienaufsichtsbehörde betreffen, unverändert geblieben sind.32 Zuletzt im Jahr 2015 hat die Venedig-Kommission des Europarats eine Stellungnahme zur Vereinbarkeit der ungarischen Mediengesetzgebung mit europäischen Maßstäben der Medienfreiheit und -vielfalt veröffentlicht.33 Im Jahr 2016 äußerte die Europäische Kommission Zweifel, ob die jüngsten Änderungen des polnischen Medienrechts, welche eine Umstrukturierung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beinhaltet haben, mit den europäischen Werten der Freiheit und Vielfalt der Medien vereinbar sind.34 Da zudem die wirksame verfassungsgerichtliche Kontrolle der neuen Mediengesetze und weiterer als solcher bezeichneter „sensibler Gesetze“ bestritten wird, betreibt die Europäische Kommission aktuell ein Verfahren nach dem sog. EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips gegen Polen.35

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Deutscher Bundesrat, Drucksache 288/16 (Beschluss) (2), S. 2, Nr. 3. Cornils, FS Schröder, S. 125, 126. 31 Cornils, FS Schröder, S. 125, 126. 32 Yamato / Stephan, DÖV 2014, 58, 61. 33 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion 798/2015, CDL-AD(2015)015. 34 Europäische Kommission, Empfehlung 2016/1374, ABl. der EU, L 217/53, Rn. 67. Siehe hierzu auch, Hofmeister, DVBl. 2016, 869, 871. 35 Europäische Kommission, Empfehlung 2016/1374, ABl. der EU, L 217/53, Rn. 66. 30

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A. Einleitung

2. Bedeutungszuwachs der europäischen Wertesicherung Die Absicherung europäischer Werte durch einen Sanktionsmechanismus hat erstmals im Jahr 1997 mit dem Amsterdamer Vertrag Eingang in die europäischen Verträge gefunden. In jüngerer Vergangenheit wurde angeregt, zumindest das in Art. 7 Abs. 1 EUV geregelte sog. Frühwarnverfahren, welches lediglich die Feststellung einer eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Werte des Art. 2 EUV zur Folge haben kann, gegen Ungarn zur Anwendung zu bringen.36 Trotz solcher Appelle wurde das Verfahren des Art. 7 EUV selbst im Hinblick auf seinen Abs. 1 bisher noch nicht formal zur Anwendung gebracht.37 Die im Jahr 2000 gegenüber Österreich durchgeführten Sanktionen erfolgten nicht auf Grundlage des Art. 7 EUV, sondern durch ein abgestimmtes Verhalten der damals 14 EU-Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Völkerrechts.38 Umstritten ist, ob bereits der Rückgriff auf das Völkerrecht eine Missachtung und Umgehung des Verfahrens nach Art. 7 EUV darstellt. So könnte angenommen werden, dass das Verfahren nach Art. 7 EUV im Hinblick auf eine beabsichtigte Sanktionierung eines Mitgliedstaats wegen einer schwerwiegenden Verletzung der Werte der Union eine abschließende Regelung darstellt.39 Ungeachtet dieser Streitfrage zeigt die Union mit der Schaffung der Regelung des Art. 7 EUV, dessen Fassung seit seiner Einführung mehrfach überarbeitet wurde, dass sie selbst die Bereitschaft aufweist, ihre Werte gegenüber den Mitgliedstaaten wirksam zu verteidigen. Darüber hinaus kann die schrittweise Präzisierung des Art. 7 EUV auch als Argument dafür herangezogen werden, dass zwischenstaatliche Sanktionsmaßnahmen unter den einzelnen Mitgliedstaaten ausgeschlossen werden sollen.40 Im Hinblick auf Art. 7 EUV wird indessen vertreten, dass das dort geregelte Verfahren aufgrund seiner Komplexität Probleme in der Anwendung mit sich bringt.41 So seien neben den verfahrensmäßigen auch die materiellen Voraussetzungen sehr hoch angesetzt, sodass nicht zeitnah auf sich abzeichnende Verletzungen der Werte der Union reagiert werden könne.42 Weiterhin muss in den Blick genommen werden,

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Yamato / Stephan, DÖV 2014, 58, 65. Vgl. auch Hummer, EuR 2015, 625, 640. Dieser erhebt dieselbe Forderung in Bezug auf den neu geschaffenen EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips. 37 Hummer, EuR 2015, 625, 639. 38 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schorkopf, Art. 7 EUV, Rn. 58 f. (EL 41: Juli 2010). 39 So Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schorkopf, Art. 7 EUV, Rn. 59 (EL 41: Juli 2010). Ähnlich und mit Blick auf die Möglichkeit eines Ausschlusses aus der EU, Hofmeister, DVBl. 2016, 869, 872; a. A. Schmahl, EuR 2000, 819, 832 f. Eine Ausnahme vom Ausschließlichkeitscharakter des Art. 7 EUV dürfte jedenfalls der 2014 eingeführte EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips darstellen, welcher bereits im Vorfeld des Verfahrens nach Art. 7 EUV zur Anwendung gebracht werden kann. 40 Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 7 EUV, Rn. 31 (5. Auflage 2016). 41 Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 7 EUV, Rn. 33 (5. Auflage 2016). 42 Hummer, EuR 2015, 625, 635; Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 844 f.

II. Bedeutung und Aktualität der Problematik

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dass das Verfahren nach Art. 7 EUV ein politisches Verfahren darstellt.43 Angesichts zu erwartender politischer Rücksichtnahmen gegenüber solchen Regierungen, welche demselben Parteibündnis auf europäischer Ebene angehören, werden die nach Art. 7 EUV erforderlichen Mehrheiten kaum jemals erreicht werden können.44 Teilweise wird auch generell die Eignung von Sanktionen im Hinblick auf die Förderung rechtsstaatlicher mitgliedstaatlicher Institutionen in Frage gestellt.45 Um die Werte des Art. 2 EUV trotz der hohen formellen und materiellen Anforderungen des Art. 7 EUV wirksam schützen zu können, wurde angeregt, die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und Rechtspraktiken durch europäische Organe laufend beobachten zu lassen.46 Sofern sich der dringende Verdacht der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 EUV abzeichnet, könne ein Hinweis auf dieses Verfahren dem betroffenen Mitgliedstaat die Möglichkeit geben, frühzeitig zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.47 Der Erkenntnis Rechnung tragend, dass bereits vor der vollständigen Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des Art. 7 EUV ein Eingreifen der EU notwendig sein kann, um einer Vertiefung systematischer Verletzungen der Werte des Art. 2 EUV vorzubeugen, wurde im März 2014 der sog. EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips eingeführt.48 Das Verfahren soll eine Lücke für solche Fälle schließen, in denen die Verstöße gegen die Werte des Art. 2 EUV insofern ein Verhaltensmuster erkennen lassen, als sie über Einzelverletzungen weit hinausreichen, aber gleichwohl die Einleitung des Art. 7 EUV noch nicht für politisch opportun gehalten wird.49 Die alleinige Verfahrensherrschaft dieses neu eingeführten Instruments zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit liegt bei der Europäischen Kommission, welche nicht auf die Mitwirkungen anderer Organe oder Verbände angewiesen ist.50 Umstritten ist, ob die Europäische Kommission überhaupt über die erforderliche Kompetenz verfügt, im Alleingang ein Verfahren im Vorfeld des Art. 7 EUV zu etablieren, welches zudem ausschließlich ihr selbst eine Verfahrensherrschaft zubilligt.51 43 Vgl. zum politischen Charakter des Verfahrens, Holterhus / Kornack, EuGRZ 2014, 389, 400. Diese sehen die bisher fehlende Verrechtlichung der Werte des Art. 2 S. 1 EUV als einen der Gründe an, weshalb Art. 7 EUV bisher noch nicht zur Anwendung gebracht wurde. 44 Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 518; Hofmeister, DVBl 2016, 869, 872. 45 Hofmeister, DVBl 2016, 869, 872. 46 Schmahl, EuR 2000, 819, 831 f. 47 Schmahl, EuR 2000, 819, 832. 48 Europäische Kommission, COM(2014) 158 final, S. 3. 49 Da es sich bei Art. 7 EUV um ein politisches Verfahren handelt, dessen materielle Voraussetzungen nach Art. 269 AEUV nicht justiziabel sind, werden insbesondere politische Erwägungen über die Frage der Einleitung entscheiden. 50 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 323. 51 Die Kompetenz nahezu als unproblematisch bejahend, von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 324; Hummer, EuR 2015, 625, 636; Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 854. Die Kompetenz unter ausführlicher Begründung bezweifelnd, Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 532 ff. Siehe hierzu auch Hummer, EuR 2015, 625, 637. Dieser weist darauf hin, dass der Juristische Dienst des Rates der EU in einem unveröffentlichten Dokument eine Kompetenz der Europäischen Kommission bestreitet.

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A. Einleitung

Ungeachtet der streitigen alleinigen Organkompetenz der Europäischen Kommission zeigt die Einführung des neuen Verfahrens zur Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten jedenfalls das verstärkte Bemühen der Union, die Einhaltung der gemeinsamen Werte durch die Mitgliedstaaten zu überwachen und einzufordern. Dieses Bestreben manifestiert sich weiterhin darin, dass die Europäische Kommission im Jahr 2016 erstmals das von ihr selbst geschaffene Instrumentarium zur Sicherung der Werte des Art. 2 EUV gegenüber Polen zur Anwendung gebracht hat.

III. Vorgehensweise zur Auflösung der Problematik Die wesentliche Fragestellung dieser Arbeit besteht darin, die Möglichkeiten und Grenzen der Medienvielfaltsicherung durch die EU aufzuzeigen. Da die Frage der Kompetenz zur Rechtsetzung die Einflussmöglichkeiten in großem Umfang vorprägt, soll sich ein erster Schwerpunkt dieser Arbeit mit der Kompetenzfrage befassen. Ausgehend von der Klärung der Kompetenzfrage können europäische Mindeststandards entwickelt werden, welche durch die zur Regelung befugte Ebene zu berücksichtigen sind. Sollten die Mitgliedstaaten zur Rechtsetzung befugt sein, so muss zunächst die vorgelagerte Frage geklärt werden, auf welche Weise und mit welcher Legitimation die Union als gleichsam übergeordnete Ebene berechtigt sein kann, den im Grundsatz souveränen Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben der Medienvielfaltsicherung aufzuerlegen. In dieser Hinsicht muss herausgearbeitet werden, dass die Medienvielfalt nach der gemeinsamen Überzeugung der Mitgliedstaaten und der Union ein unerlässlicher Wert ist, welchen es stets dann zu berücksichtigen gilt, wenn im Rahmen der Rechtsetzung Gesichtspunkte des Medienrechts berührt werden. Im Anschluss an die Ermittlung der Notwendigkeit der Existenz unionsrechtlicher Mindeststandards zur Sicherung der Medienvielfalt soll eine möglichst präzise Annäherung an deren Inhalt erfolgen. In dieser Hinsicht muss vorangestellt werden, dass die Sicherung der Medienvielfalt bereits für sich genommen ein überaus komplexes Regulierungsfeld darstellt. Gleichwohl wird sich, zumindest durch die Formulierung von Anforderungen an bestimmte mit der Meinungs- und Medienvielfalt im Zusammenhang stehender Freiheitsrechte, deutlich konturiert ein gesellschaftliches Umfeld skizzieren lassen, welches als notwendige Voraussetzung für die Entwicklung von Medienvielfalt angesehen werden muss. Auf diese Erkenntnis aufbauend wird zu klären sein, ob dem Gesetzgeber darüber hinausgehend regulatorische Handlungspflichten erwachsen, damit das Ziel der Medienvielfalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann. Zur Klärung dieser Frage wird auf die ökonomische Situation der Medien einzugehen sein. Soweit die Ökonomie der Medien den Gesetzgeber dazu verpflichtet positive Maßnahmen der Medienvielfaltsicherung zu ergreifen, so eröffnet sich hierdurch das Problem, dass der Staat bzw. die EU zugleich Garant und Gefährder der Medien-

III. Vorgehensweise zur Auflösung der Problematik

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vielfalt sein kann. Aus diesem Grund muss nicht nur dargestellt werden, in Bezug auf welche Medien und auf welche Weise der Gesetzgeber durch eigene Aktivitäten in den Wettbewerb der Medienanbieter eingreifen muss, sondern es müssen ebenso die Gefahren für die Medienvielfalt aufgezeigt werden, welche aus hoheitlicher Regulierung erwachsen können. Aus der ambivalenten Stellung des Staates bzw. der EU als Garant und Gefährder der Medienvielfalt werden sowohl Handlungs- und auch Unterlassungspflichten hergeleitet werden können. Dabei wird aufgrund der Komplexität des Regulierungsfelds der Medienvielfaltsicherung und der Schwierigkeit der Identifizierung gemeinsamer europäischer Überzeugungen auf diesem Gebiet nicht erwartet werden können, dass sich staatliche Verhaltenspflichten zur Medienvielfaltsicherung stets eindeutig beschreiben lassen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es nicht Ziel dieser Arbeit ist, Vorschläge für eine ideale Vielfaltsicherung auszuarbeiten. Vielmehr sollen europäische Mindeststandards entwickelt werden. In dieser Hinsicht sollen auf typischen Aktionsfeldern staatlicher Medienregulierung Verhaltensweisen aufgezeigt werden, welche jedenfalls auch unter europäischen Maßstäben als Verletzung der herauszuarbeitenden Pflicht zur Sicherung der Medienvielfalt angesehen werden müssen.

B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union I. Medienvielfalt als Aspekt der Medienfreiheit Zentrales Schutzgut dieser Untersuchung ist die Medienvielfalt. Der Begriff der Medienvielfalt steht in engem Zusammenhang mit dem der Medienfreiheit. Die Medienfreiheit beinhaltet ein Individualgrundrecht, welches alle mit der Medienarbeit verbundenen Tätigkeiten von der Beschaffung der Information bis zu deren medialer Verbreitung schützt.1 Der Begriff der Medien ist funktional und entwicklungsoffen zu verstehen, indem er die gesamte an die Allgemeinheit gerichtete Kommunikation erfasst.2 Indessen ist zu berücksichtigen, dass der spezielle Schutz der Medienfreiheit in Abgrenzung zur Meinungsfreiheit nur betroffen ist, wenn es medienspezifische Tätigkeiten zu beurteilen gilt. So dürfte etwa der Inhalt einer geäußerten Meinung stets der Meinungsäußerungsfreiheit unterfallen, unabhängig davon, ob es sich um eine massenmediale Äußerung handelt.3 Im Gegensatz zur Meinungsäußerungsfreiheit, welche vordergründig die Individualkommunikation schützt, kommt der Medienfreiheit zudem die übergeordnete Aufgabe zu, der öffentlichen Meinungsbildung zu dienen.4 Betrachtet man diese über die individuelle Freiheit der medialen Verbreitung hinausgehende Dimension der Medienfreiheit, so gewinnt der Gesichtspunkt der Medienvielfalt Bedeutung. So können die Medien die ihnen insgesamt zukommende Aufgabe, der freien Meinungsbildung zu dienen, nur erfüllen, wenn dort alle für die Meinungsbildung relevanten Informationen und Meinungen abgebildet werden. Die inhaltliche Beantwortung der Frage, welche Meinungen und Informationen in diesem Sinne relevant sind und nicht ausgespart werden dürfen, damit sich die öffentliche Meinungsbildung frei vollziehen kann, birgt die Gefahr der subjektiven politischen Betrachtungsweise. Dabei gilt es im Interesse der Freiheit des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses zu verhüten, dass politische Entscheidungsträger Einfluss auf den Inhalt der Medien nehmen können. Eine allgemeingültige positive Definition des Begriffs der Medienvielfalt erscheint vor dem Hintergrund einer damit einhergehenden Gefahr der Inanspruchnahme einer Deutungshoheit bezüglich dessen, was ein vielfältiges Medienangebot 1

Jarass, Art. 11 GrCh, Rn. 18. Meyer-Bernsdorff, Art.  11 GrCh, Rn.  17; Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 108, Rn. 13. 3 Jarass, Art. 11 GrCh, Rn. 18. 4 BVerfGE 73, 118, 156; Feise, S. 99 f. 2

I. Medienvielfalt als Aspekt der Medienfreiheit

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ausmacht, nicht sinnvoll. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es weder objektiv noch quantitativ fassbare Maßstäbe dafür gibt, wie viele Standpunkte der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden müssen, damit das Ziel der Medienvielfalt als erreicht angesehen werden kann.5 Es wird daher die überzeugende Auffassung vertreten, sich dem Begriff der Medienvielfalt nicht im Wege einer Definition, sondern durch die Beschreibung ihrer Funktionen zu nähern.6 Die wesentliche Funktion der Medienvielfalt besteht darin, die Willensbildung der Bürger innerhalb einer demokratischen Gesellschaft frei und offen zu gestalten. Dies geschieht dadurch, dass der Öffentlichkeit, vermittelt über die Gesamtheit der Medien, ein derart umfassendes Angebot an verschiedenen Inhalten bereitgestellt wird, dass darin die Vielzahl der in der Gesellschaft vorhandenen Informationen und Auffassungen zum Ausdruck kommt.7 Treffend wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Medienvielfalt kein Selbstzweck ist, sondern vielmehr einen Beitrag zu einer funktionsfähigen Demokratie, welche eine freie Willensbildung des Bürgers voraussetzt, leisten soll.8 Das durch die Medienvielfalt verfolgte publizistische Ziel wird in der deutschen Rundfunkordnung auch als Meinungsvielfalt bezeichnet (vgl. §§ 25 ff. RStV).9 Berücksichtigt man, dass sich das Ziel der Meinungsvielfalt auch auf andere Weise als durch Anbietervielfalt, nämlich im Wege einer sog. binnenpluralen Ausrichtung eines einzelnen Anbieters, erreichen lässt, so erscheint der Begriff der Meinungsvielfalt gegenüber dem der Medienvielfalt als der präzisere.10 Gleichwohl findet der Begriff der Medienvielfalt im unionsrechtlichen Kontext Verwendung (vgl. etwa Art. 21 Abs. 3 FKVO).11 Wenn aber auf europäischer Ebene Regelungen zum Schutz der Medienvielfalt ergehen, dann deshalb, um das angesprochene Ziel der Meinungsvielfalt zu erreichen. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der unionsrechtlichen Perspektive der Vielfaltsicherung. Daher wird im Folgenden nicht auf den deutschen Rechtsbegriff der Meinungsvielfalt, sondern auf den auf europäischer Ebene gebräuchlicheren Begriff der Medienvielfalt zurückgegriffen. Der Gewinn der sprachlichen Präzisierung des publizistischen Ziels der Vielfaltsicherung ist ohnehin gering, wenn man bedenkt, dass sowohl der Begriff der Meinungsvielfalt als auch der der Medienvielfalt keiner exakten positiven Definition zugänglich ist. Die Verwendung des Begriffs der Medienvielfalt sollte jedoch nicht zu dem Missverständnis führen, dass eine Vielzahl von Medienanbietern automatisch zum Erreichen des Ziels der Meinungsvielfalt führt.12 Vielmehr ist durch die schlichte Anzahl der Anbieter oder der Angebote noch keine Aussage darüber getroffen, ob 5

BVerfGE 73, 118, 156; Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 44. Bär, S. 248 f. 7 Holznagel, S. 252. 8 Bär, S. 250. 9 Feise, S. 101. 10 Mailänder, S. 92. 11 Frey, S. 25; Helwig, S. 15; Mailänder, S. 92. 12 So aber Schüll, S. 11. 6

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

dadurch der Öffentlichkeit auch ein für die freie Willensbildung ausreichendes und hinreichend vielfältiges Medienangebot offeriert wird.13 Ebenso wenig kann angenommen werden, dass neue Übertragungstechniken und die damit einhergehende Vereinfachung der Verbreitung von Informationen im Bereich der audiovisuellen Medien bereits für sich genommen ein hinreichendes Umfeld dafür schaffen, dass sich Meinungsvielfalt gleichsam automatisch einstellen wird.14 Sofern Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh auf die Pluralität statt auf die Vielfalt der ­ edien Bezug nimmt, so ist damit gegenüber dem Begriff der Meinungsvielfalt M kein anderer Bedeutungsgehalt verbunden.15 Teilweise wird mit Blick auf das Medium des Rundfunks auch der Begriff des audiovisuellen Pluralismus verwendet. Dieser Begriff soll aber, ebenso wie diese der Medienvielfalt, der Medienpluralität oder der Meinungsvielfalt nur die Zielvorgabe eines inhaltlich vielfältigen Medienangebots beschreiben und weist daher keinen abweichenden Bedeutungsgehalt auf.16 Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass das hier relevante Schutzgut, unabhängig von der konkreten Begriffswahl, die massenmediale Informationsvielfalt im Sinne einer vermittelten Vielfalt von Ideen, Programmen, Mitteilungen und Inhalten ist.17 Damit sichergestellt werden kann, dass die Vielfalt der Medien ihre Funktion für die demokratische Willensbildung auch erfüllt, muss die Medienfreiheit u. U. einer gewissen Beschränkung durch Regulierung unterliegen. Hierdurch soll die Meinungsfreiheit der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen geschützt und zugleich erreicht werden, dass die Medien insgesamt ein möglichst breites Spektrum an Meinungen und Informationen aufzeigen.18 Für die deutsche Rundfunkordnung fordert das BVerfG die Errichtung einer sog. „positiven Ordnung, welche sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit zum Ausdruck kommt und dass auf diese Weise umfassende Information geboten wird“.19 Bei der Ausgestaltung dieser Ordnung wird dem Gesetzgeber zwar ein gewisser Spielraum eingeräumt; es müssen indessen Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung real möglich ist.20 Die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates gesetzliche Regelungen zu schaffen, welche die Rundfunkfreiheit absichern und ausgestalten, ist der im deutschen

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Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 19. Trute, VVDStRL 57 (1998), 216, 233. 15 Feise, S. 101; Schellenberg, AöR 119 (1994), 427 f. 16 Frey, S. 25. 17 Von Wallenberg, WuW 1993, 910, 912. 18 Schwarze, ZUM 2000, S. 779 f. 19 BVerfGE 57, 295, 320; 74, 297, 324. 20 Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 18 f. 14

II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union

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Recht überaus ausgeprägten und von der subjektiven Rundfunkveranstaltungsfreiheit abzugrenzenden objektiv-rechtlichen Funktion des Grundrechts zuzuordnen.21 Sicherlich kann die deutsche Verfassungsrechtsprechung nicht für sämtliche Mitgliedstaaten und erst recht nicht für die Union den verbindlichen Maßstab der Medienvielfaltsicherung darstellen. Jedoch ist in jüngeren Entscheidungen des EGMR in Bezug auf die Ausgestaltung des Rundfunkrechts dessen zunehmende Bereitschaft zu beobachten, positive Handlungspflichten zur Absicherung der Funktion des Art. 10 EMRK an den Gesetzgeber zu adressieren.22 Ungeachtet der aus Art. 6 Abs. 3 1. Alt. EUV folgenden Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR für die Unionsrechtsordnung ist auf der Ebene der Union die Tendenz festzustellen, dass zunehmend konkrete Erwartungen an die mitgliedstaatliche Medienvielfaltsicherung gerichtet werden.23 Es fragt sich daher, inwieweit die Schaffung und Aufrechterhaltung der Medienvielfalt eine Aufgabe der EU ist.

II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union 1. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung a) Begriff und Bedeutung für die Rechtsnatur der EU Die EU ist im Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten kein übergeordneter Bundesstaat. Unter Geltung der gegenwärtigen demokratischen Entscheidungsverfahren auf Unionsebene wären die deutschen Staatsorgane wegen des nach Art. 23 Abs. 1 i. V. m. Art 79 Abs. 3 GG zu wahrenden Legitimationsniveaus politischer Entscheidungen auch daran gehindert, an einer Entwicklung mitzuwirken, deren Folge ein europäischer Staat wäre.24 Gleichwohl weist die EU insofern bereits „staatsähnliche Züge“ auf, als sie in vielen Politikbereichen berechtigt ist, gegenüber den Unionsbürgern verbindlich Recht zu setzten.25 Nicht nur der Umfang, sondern auch die Qualität des von der EU gesetzten Rechts legt den Vergleich mit einem Staat nahe.26 Dass die EU, trotz deren inzwischen weitreichenden und wichtigen Kompetenzen, keine Staatsqualität aufweist, ergibt sich indessen daraus, dass diese aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 EUV) über keine umfassende, originäre Hoheitsgewalt gegenüber den Unionsbürgern ver-

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Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 300 f. Cornils, FS Schröder, S. 125, 142. 23 Als Beispiele hierfür sind die Einsetzung der Hochrangigen Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien durch die Europäische Kommission zu nennen als auch deren aktuelle Beanstandung der Neuorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Polen. 24 BVerfGE 123, 267, 364 f. (Lissabon). 25 Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 23 GG, Rn. 2. 26 Nettesheim, JZ 2002, 157, 159. 22

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

fügt.27 Art. 5 Abs. 2 S. 1 EUV umschreibt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung dahingehend, dass die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV stellt dabei klar, dass die nicht an die Union übertragenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Diese negative Kompetenzvermutung hat weiterhin zur Folge, dass kompetenzielle Zweifelsfragen zugunsten der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit zu entscheiden sind.28 Die fehlende originäre Rechtsetzungsgewalt wird gemeinhin als fehlende „Kompetenz-Kompetenz“ beschrieben und macht deutlich, dass die Mitgliedstaaten die „Herren der Verträge“ bleiben.29 Handelt die EU außerhalb einer ihr übertragenen Kompetenz, so sind die in Art. 2 EUV niedergelegten Verfassungsprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie verletzt. So gebietet es das Rechtsstaatsprinzip, dass ein Hoheitsträger ohne Rechtsgrundlage nicht handeln darf. Zudem ist ein Rechtsakt der EU, welcher kompetenzwidrig erlassen wurde, insofern nicht demokratisch legitimiert, als insoweit Kompetenzübertragungsgesetze der nationalen Parlamente fehlen.30 Überschreitet die EU die ihr im deutschen Zustimmungsgesetz übertragenen Hoheitsrechte, so erlangt ein gleichwohl erlassener Rechtsakt für den deutschen Rechtsraum keine Verbindlichkeit.31 Die vom BVerfG in Anspruch genommene Überprüfung der Hoheitsrechtsübertragung an die EU darf indessen nicht den Blick darauf verstellen, dass die Überprüfung der Kompetenzgrenzen an sich dem EuGH zugewiesen ist (vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV).32 Gleichwohl darf die EU ohne Zuweisung einer Einzelermächtigung nicht Recht setzend tätig werden. Wie sich aus Art. 2 Abs. 6 AEUV ergibt, begründen die in den Artikeln 3 bis 6 AEUV genannten Kompetenzsachbereiche nur in Verbindung mit einer bereichsbezogenen Einzelermächtigung eine Zuständigkeit der EU.33 Art. 2 Abs. 6 AEUV realisiert die bereits im gescheiterten Verfassungsentwurf erhobene Forderung nach der strikten Trennung von Unionszielen und Unionszuständigkeiten.34 Die in Art. 3 EUV genannten Vertragsziele stellen damit nach dem Willen der vertragschließenden Mitgliedstaaten für sich genommen keine hinreichende Rechtsgrundlage für ein Handeln der Union dar.35 Unionsziele können jedoch dann kompetenzbegründend wirken, wenn eine vorhandene Einzelermächtigung einen zielbezogenen Tatbestand aufweist. 27

Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 6. Callies / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 7. 29 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 4. 30 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 5. 31 BVerfGE 123, 267, 354 f. (Lissabon); BVerfGE 89, 155, 188 (Maastricht). 32 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 18. 33 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 10. 34 Görlitz, DÖV 2004, 374, 376; Oppermann, DVBl. 2003, 1165, 1169. 35 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 8. 28

II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union

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b) Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV Weiterhin können Vertragsziele i. R. d. Art. 352 AEUV von kompetenzieller Bedeutung sein. Diese Vorschrift ermöglicht der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereichen ein Tätigwerden, wenn dies zur Verwirklichung von Vertragszielen erforderlich ist und hierfür in den Verträgen keine besonderen Befugnisse vorgesehen sind. Art. 352 AEUV stellt, trotz seiner nicht sachgebietsbezogenen Ermächtigung, keine Ausnahme vom Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung dar, sondern kann vielmehr selbst als Ermächtigung i. S. d. Art. 5 Abs. 2 EUV angesehen werden.36 Neben den in Art. 352 Abs. 1 AEUV genannten Voraussetzungen darf ein hierauf gestützter Rechtsakt nicht eine Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU zur Folge haben. Anderenfalls würde das in Art. 48 EUV eigenständig geregelte Verfahren zur Vertragsänderung umgangen.37 Problematisch ist indessen, die Abgrenzung einer Vertragsänderung i. S. d. Art. 48 EUV von einer durch die Verträge gedeckten Vertragsergänzung i. S. d. Art. 352 AEUV. Der EuGH stellt maßgeblich auf die Folgen einer Maßnahme und die Frage ab, ob diese eine derart grundlegende Auswirkung auf die Union und die Mitgliedstaaten hat, dass hierfür das Verfahren nach Art. 48 EUV anzuwenden wäre.38 Damit ist freilich noch keine Aussage darüber getroffen, bei welchen Maßnahmen derart grundlegende Auswirkungen auf die Verträge anzunehmen sind, dass diese als Vertragsänderung anzusehen wären. In der Literatur wird vorgeschlagen, eine Vertragsänderung dann anzunehmen, wenn die Funktion des Art. 352 AEUV überschritten wird.39 Berücksichtigt man indessen, dass die Funktion des Art. 352 AEUV in einer „vertragsimmanenten Fortentwicklung des Unionsrechts unterhalb der Grenze der Vertragsänderung“40 besteht, so erscheint auch die Betrachtung der Funktion des Art. 352 AEUV wenig erhellend. Damit wird in jedem Einzelfall zu prüfen sein, ob die jeweilige Maßnahme durch die auf Grundlage der Verträge übertragenen Hoheitsrechte bereits hinreichend demokratisch legitimiert ist.41 Angesichts der Befürchtung des BVerfG, dass durch die Anwendung des Art. 352 AEUV die Vertragsgrundlagen der EU ohne Beteiligung der mitgliedstaatlichen Parlamente substantiell geändert werden können, verlangt dieses für die Inanspruchnahme des Art. 352 AEUV ein Zustimmungsgesetz nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG.42 Diese Rechtsprechung ist in der Literatur mit der Begründung auf Kritik gestoßen, dass Art. 352 AEUV eine begrenzte Einzelermächtigung und damit be-

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Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 17; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meinhard Schröder, Art. 352 AEUV, Rn. 12. 37 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meinhard Schröder, Art. 352 AEUV, Rn. 42. 38 EuGH, Gutachten 2/94 vom 28.03.1996, ECLI:EU:C:1996:140, Rn. 30 (Gutachten EMRK Beitritt); Calliess / Ruffert-Rossi, Art. 352 AEUV, Rn. 75. 39 Calliess / Ruffert-Rossi, Art. 352 AEUV, Rn. 74. 40 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meinhard Schröder, Art. 352 AEUV, Rn. 9. 41 Calliess / Ruffert-Rossi, Art. 352 AEUV, Rn. 75. 42 BVerfGE 123, 267, 395 (Lissabon).

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

reits einen Bestandteil der bestehenden Verträge darstellt, welcher aber im Übrigen keine weitere Änderung der vertraglichen Grundlagen erlaubt.43 Trotz aller Kritik wurde die Rechtsprechung des BVerfG in § 8 des Integrationsverantwortungs­ gesetzes umgesetzt. Die Vorschrift legt dem deutschen Vertreter des Rates der EU die Verpflichtung auf, eine auf Art. 352 AEUV gestützte Maßnahme abzulehnen, wenn nicht zuvor ein Gesetz auf Grundlage des Art. 23 Abs. 1 GG in Kraft getreten ist. c) Effet utile Im Rahmen der teleologischen Auslegung bedient sich der EuGH des Grund­ satzes des sog. „effet utile“. Es geht hierbei um eine Auslegungsmethode, welche dem Unionsrecht möglichst zu einer praktischen bzw. nützlichen Wirksamkeit verhelfen soll.44 Größtmögliche Wirksamkeit kann eine Bestimmung des Unionsrechts dann entfalten, wenn einer Auslegung der Vorzug gegeben wird, welche die Verwirklichung eines Unionsziels am meisten fördert.45 Da eine Auslegung anhand des „effet utile“-Grundsatzes an bestehende Einzelermächtigungen der EU anknüpft und nicht wie die Regelung des Art. 352 AEUV planwidrige Regelungslücken schließen will, ist Art. 352 AEUV unanwendbar, soweit sich bereits anhand einer zielgerichteten Auslegung eine Kompetenz der EU herleiten lässt.46 d) Implied powers Der EuGH nutzt zur Begründung von Unionskompetenzen die Lehre von den „implied powers“. Er beschreibt die Auslegungsregel der „implied powers“, welche er als allgemein anerkannten völkerrechtlichen und innerstaatlichen Rechtsgrundsatz bezeichnet, dahingehend, dass „die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages oder Gesetzes zugleich diejenigen Vorschriften beinhalten, bei deren Fehlen sie sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung gelangen könnten“.47 Die aus der „implied powers“-Lehre hergeleiteten Kompetenzen sind mit der aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Kompetenz kraft Sachzusammenhangs vergleichbar.48 Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs ist anzunehmen, wenn ein in die Kompetenz des regelnden Hoheitsträgers fallendes

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Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meinhard Schröder, Art. 352 AEUV, Rn. 11 f., 51. Calliess / Ruffert-Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 16; Calliess / Ruffert-Rossi, Art. 352 AEUV, Rn. 61. 45 Haratsch / König / Pechstein, S. 83, Rn. 172. 46 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meinhard Schröder, Art. 352 AEUV, Rn. 18. 47 EuGH, Urt. v. 22.11.1956, Rs. C-8/55, ECLI:EU:C:1956:11, Slg. 1956, 297, 312. 48 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 15; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 11. 44

II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union

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Sachgebiet ohne zwangsläufiges Übergreifen in andere Sachgebiete nicht vernünftig geregelt werden kann.49 Die Anwendung impliziter Kompetenzen ist gegenüber der Anwendung des Art. 352 AEUV vorrangig.50 Dies wird verbreitet damit erklärt, dass die aus der „implied powers“-Lehre hergeleiteten Kompetenzen, solche im Sinne des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung sind.51 Aufgrund der zwingenden Verknüpfung mit einer der EU zugewiesenen Kompetenz wird das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nicht durchbrochen.52 2. Arten und Bereiche von Zuständigkeiten Seit dem Vertrag von Lissabon sind die Arten und Bereiche der Zuständigkeiten der Union in den Artikeln 2 bis 6 des AEUV geregelt. Wie bereits erwähnt, begründet die dort vorgenommene gegenständliche Benennung bestimmter Politikbereiche für sich genommen noch keine Zuständigkeiten der Union. Die Kompetenzbegründung der EU erfolgt weiterhin allein nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Dies wird aus der Formulierung des Art. 2 Abs. 1 S. 1 AEUV deutlich, wonach es den Verträgen vorbehalten bleibt, bestimme Politikbereiche auf die EU zu übertragen.53 Hieraus ergibt sich, dass selbst dann, wenn ein Regelungsbereich sich einer Materie der Artikel 2 bis 6 AEUV zuordnen lässt, eine Rechtsgrundlage i. S. e. Einzelermächtigung, welche Verfahren und Form der Hoheitsausübung im Einzelnen regelt, die EU zum Handeln ermächtigen muss.54 Gestützt wird diese Erkenntnis durch die Regelung des Art. 2 Abs. 6 AEUV, welche aussagt, dass der Umfang der Zuständigkeiten der EU und die Einzelheiten ihrer Ausübung sich aus den Bestimmungen der Verträge zu den einzelnen Bereichen ergeben.55 Im Hinblick auf die Arten von Zuständigkeiten sind die ausschließliche Zuständigkeit der EU, die geteilte Zuständigkeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, sowie die Zuständigkeit der EU zur Unterstützung, Koordinierung und Ergänzung von mitgliedstaatlichen Maßnahmen zu unterscheiden.

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Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 11. Calliess / Ruffert-Rossi, Art. 352 AEUV, Rn. 62. 51 Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 5 EUV, Rn. 16 f.; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meinhard Schröder, Art. 352 AEUV, Rn. 19. Anzumerken ist jedoch, dass auch Art. 352 AEUV als begrenzte Einzelermächtigung anzusehen ist. Die Subsidiarität des Art. 352 AEUV dürfte sich vielmehr daraus ergeben, dass dieser an in den Verträgen nicht vorgesehene Kompetenzen anknüpft. 52 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 11. 53 Geiger / Khan / Kotzur-Kotzur, Art.  2 AEUV, Rn.  2; von der Groeben / Schwarze / Hatje-­Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 51. 54 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 51. 55 Streinz-Streinz, Art. 2 AEUV, Rn. 17. 50

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

a) Ausschließliche Zuständigkeit der EU Die in Art. 2 Abs. 1 AEUV geregelte ausschließliche Zuständigkeit der EU hat zum Inhalt, dass in diesen Bereichen grundsätzlich nur die EU Recht setzen darf und dass die Mitgliedstaaten insoweit von der Regelungsbefugnis ausgeschlossen sind.56 Die Mitgliedstaaten dürfen gem. Art. 2 Abs. 1 2. Hs. 1. Alt. AEUV nur dann Recht setzend tätig werden, wenn sie durch die EU hierzu ermächtigt wurden. Eine weitere Ausnahme wurde durch die Rechtsprechung des EuGH entwickelt und gilt für den Fall, dass die Mitgliedstaaten als „Sachwalter des gemeinsamen Interesses“ auftreten.57 Eine solche Reservekompetenz der Mitgliedstaaten ist indessen inhaltlich und zeitlich begrenzt.58 Sie kommt nur in Betracht, wenn der allein zuständige Unionsgesetzgeber trotz dringenden Handlungsbedarfs nicht tätig geworden ist und hat sich auf eng mit der Europäischen Kommission abzustimmende „Erhaltungsmaßnahmen“ zu beschränken.59 Das für die Rechtssetzung der EU grundsätzlich zu beachtende und in Art. 5 Abs. 3 EUV geregelte Subsidiaritätsprinzip findet nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Regelung im Falle der ausschließlichen Zuständigkeit keine Anwendung. Anderes gilt hingegen für das Verhältnismäßigkeitsprinzip i. S. d. Art. 5 Abs. 4 EUV.60 b) Geteilte Zuständigkeiten Der Bereich der geteilten Zuständigkeit ist gem. Art. 2 Abs. 2 AEUV dadurch gekennzeichnet, dass grundsätzlich sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten verbindliche Rechtsakte erlassen können. Der Unionsebene gebührt insoweit der Vorrang, als die mitgliedstaatliche Wahrnehmung von Zuständigkeiten voraussetzt, dass die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat (Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV). Jedoch verdrängt das Unionsrecht die mitgliedstaatliche Kompetenz bezüglich eines Regelungsbereiches, anders als im Falle der ausschließlichen Unionszuständigkeit, nicht vollständig. So regelt Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV, dass die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit wahrnehmen, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat. Damit bleibt es möglich, dass eine Sachmaterie teilweise durch das Unionsrecht und ergänzend durch mitgliedstaatliches Recht geregelt wird. Bei der Frage, inwieweit die EU berechtigt ist, im Rahmen der geteilten Zuständigkeit gesetzgeberisch tätig zu werden, erlangt das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 3 56

Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 15, 16. EuGH, Urt. v. 05.05.1981, Rs. C-804/79, ECLI:EU:C:1981:93, Rn. 30 (Kommission / Verei­ nigtes Königreich). 58 Geiger / Khan / Kotzur-Kotzur, Art. 2 AEUV, Rn. 3. 59 EuGH, Urt. v. 05.05.1981, Rs. C-804/79, ECLI:EU:C:1981:93, Rn. 30 (Kommission / Verei­ nigtes Königreich). 60 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 22. 57

II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union

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EUV besondere Bedeutung. Nach diesem Grundsatz wird die Union nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können. Durch diesen Grundsatz relativiert sich der Aussagegehalt des weithin anerkannten Vorrangs des Unionsrechts zumindest im Bereich der geteilten Zuständigkeiten. So ist es nicht in das freie Ermessen des Unionsgesetzgebers gestellt, durch eine Recht setzende Tätigkeit auf dem Gebiet der geteilten Zuständigkeiten den sachlichen Anwendungsbereich, auf welchen sich der Anwendungsvorrang erstreckt, beliebig auszuweiten. Allein aus der Zuordnung eines Sachbereichs zur Kompetenzart der geteilten Zuständigkeit lassen sich damit noch keine Folgerungen bezüglich des Umfangs der Zuständigkeit der Union ziehen.61 Diesbezüglich wird es immer auf eine Einzelfallprüfung ankommen.62 Allerdings greift die Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten auch im Falle von kompetenzwidrig erlassenen Unionsrecht erst dann wieder ein, wenn der EuGH den entsprechenden Rechtsakt für ungültig oder nichtig erklärt hat.63 Die geteilte Zuständigkeit stellt den Regelfall der Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union dar.64 Sie gilt auch für den Fall, dass eine Sachmaterie nicht ausdrücklich einer anderen Kompetenzart zugewiesen ist.65 c) Ergänzungs-, Unterstützungs-, und koordinierende Zuständigkeit Sofern die Verträge dies vorsehen (vgl. Art. 2 Abs. 6 AEUV), ist die EU nach Art. 2 Abs. 5 S. 1 AEUV zuständig, Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung mitgliedstaatlicher Maßnahmen durchzuführen. Da in diesen Bereichen an mitgliedstaatliche Kompetenzen angeknüpft wird, wird diese Art der Zuständigkeit verbreitet auch als „parallele Zuständigkeit“ bezeichnet.66 Der Begriff darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei dieser Kompetenzart die Rechtsetzungsbefugnis bezüglich des Sachbereichs als solchem allein bei den Mitgliedstaaten verblieben ist. Dies ergibt sich aus Art. 2 Abs. 5 S. 1 2. Hs. AEUV, wonach die koordinierende, ergänzende oder unterstützende Zuständigkeit der EU nicht zur Folge hat, dass die Zuständigkeit der Union für diesen Sachbereich an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tritt. Indessen können auch im Rahmen dieser Art von Zuständigkeit verbindliche Rechtsakte durch die EU ergehen, sofern

61

Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 AEUV, Rn. 14. Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 AEUV, Rn. 13. 63 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 22; Streinz-Streinz, Art. 2 AEUV, Rn. 10. 64 Geiger / Khan / Kotzur-Kotzur, Art.  2 AEUV, Rn.  4; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 32. 65 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 32. 66 Geiger / Khan / Kotzur-Kotzur, Art.  2 AEUV, Rn.  6; Lenz / Borchardt-Lenski, Art. 2 AEUV, Rn. 13; Streinz-Streinz, Art. 2 AEUV, Rn. 35. 62

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

diese einen koordinierenden, unterstützenden oder ergänzenden Charakter gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht haben.67 Dabei darf aber gem. Art. 2 Abs. 5 S. 2 AEUV keine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften erfolgen. Die verbindliche Rechtsetzungsbefugnis der Mitgliedstaaten kann mithin i. R. d. in Art. 2 Abs. 5 AEUV genannten Zuständigkeit nicht ausgeschlossen werden, wenngleich es die in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Loyalitätspflicht gebietet, dass nützliche und im Rahmen ihrer Kompetenz ergangene Maßnahmen der EU nicht durch die Mitgliedstaaten konterkariert werden.68 Ein für das Medienrecht überaus bedeutsames Beispiel für eine Zuständigkeit der EU i. S. d. Art. 2 Abs. 5 AEUV ist in Art. 167 AEUV für den Bereich der Kultur geregelt. 3. Anforderungen an die Auswahl der Rechtsgrundlage Da der Union nur in begrenztem Umfang Hoheitsrechte durch die Mitgliedstaaten übertragen wurden, muss jeder Rechtsakt der Union eine genaue Angabe der Einzelermächtigung, auf welche dieser gestützt wird, enthalten.69 Einem Rechtsakt, welcher sich nicht auf die richtige Rechtsgrundlage gründet, fehlt die durch die Mitgliedstaaten zu vermittelnde demokratische Legitimation.70 Die richtige Wahl der Rechtsgrundlage ist nicht nur für die Frage der Verbandszuständigkeit der Union von Bedeutung, sondern ebenso für die Organzuständigkeit, die Wahl der Handlungsform und das zu beachtende Verfahren.71 Weiterhin kann der Rechtsakt unter einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften i. S. d. Art. 263 UAbs.  2 AEUV leiden, wenn die nach Art. 296 UAbs. 2 AEUV erforderliche Begründung sich auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage bezieht.72 Die Wahl der Rechtsgrundlage muss auf objektiven und gerichtlich nachprüf­ baren Umständen, wie insbesondere Ziel und Inhalt des Rechtsakts, beruhen.73 Stehen für einen Rechtsakt mehrere in Betracht kommende Rechtsgrundlagen zur Verfügung, so ist darauf zu achten, dass dieser auf die speziellere Norm gestützt wird.74 Trotz dieser scheinbar objektiv bestimmbaren Kriterien bereitet die Zuordnung der Rechtsgrundlage nicht selten erhebliche Probleme. Dies insbesondere dann, wenn ein Rechtsakt mehrere Sachmaterien berührt. In diesem Falle müssen Zuordnungskriterien gefunden werden, die eine möglichst hohe Rechtssicherheit ermög 67

Geiger / Khan / Kotzur-Kotzur, Art. 2 AEUV, Rn. 6. Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 2 AEUV, Rn. 36. 69 Schwartz, Christina, S. 78. 70 Trüe, ZaöRV 64 (2004), 391, 396. 71 Nettesheim, in: von Bogdandy / Bast, S. 389, 435. 72 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 20. 73 EuGH, Urt. v. 06.11.2008, Rs. C-155/07, ECLI:EU:C:2008:605, Rn. 34 (Parlament / Rat); EuGH, Gutachten 2/00 vom 06.12.2001, ECLI:EU:C:2001:664, Rn. 22. 74 EuGH, Urt. v. 06.11.2008, Rs. C-155/07, ECLI:EU:C:2008:605, Rn. 34 (Parlament / Rat). 68

II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union

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lichen. Ein alleiniges Abstellen auf das nach dem Willen des Unionsgesetzgebers verfolgte Hauptziel sollte jedenfalls als entscheidendes Abgrenzungskriterium ausscheiden. Wäre allein die Intention des Unionsgesetzgebers maßgebend, so wäre die vom EuGH geforderte gerichtliche Nachprüfbarkeit der Wahl der Rechtsgrundlage nicht möglich und weiterhin ist zur Wahrung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung zu fordern, dass von der objektiv richtigen Rechtsgrundlage Gebrauch gemacht wird.75 Gleichwohl kann wiederum die Frage nach der objektiv richtigen Rechtsgrundlage mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Der EuGH grenzt die anzuwendende Rechtsgrundlage i. d. R. nach dem Schwerpunkt der Regelungsmaterie bzw. nach der größeren Sachnähe ab.76 Maßgebliche Kriterien für diese Schwerpunktbildung sind das Hauptziel und der Inhalt des Rechtsakts, welches bzw. welcher aus den Erwägungsgründen, der Rechtsetzungshistorie und dem Wortlaut der Vorschrift erschlossen werden soll.77 Der EuGH sieht sich teilweise dem Vorwurf ausgesetzt, die von ihm entwickelten Abgrenzungskriterien selbst nicht konsequent zur Anwendung zu bringen.78 Diese Einschätzung mag dem Umstand geschuldet sein, dass unklar ist, ob der EuGH die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt nur in Falle horizontaler Kompetenzkonflikte, d. h. solcher zwischen verschiedenen Organen der EU, oder auch im Falle vertikaler Kompetenzkonflikte, d. h. solcher zwischen den Mitgliedstaaten und der Unionsebene, zur Anwendung bringt.79 Jedenfalls differenziert der EuGH im Rahmen seiner Kompetenzkontrolle nach horizontalen und vertikalen Kompetenzkonflikten.80 Insbesondere im Hinblick auf die Regelung des Art. 114 AEUV wird die Auffassung vertreten, dass es hier vertikale Kompetenzkonflikte nicht geben kann.81 So komme es allein darauf an, dass die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sind. Wenn dies der Fall ist, sei jedenfalls eine Kompetenz der Unionsebene gegeben.82 Aufgrund der Eigenschaft des Art. 114 AEUV als „finale Querschnittskompetenz“ komme es dann nicht mehr darauf an, ob im Schwerpunkt Regelungsbereiche betroffen sind, für welche keine Hoheitsrechte übertragen wurden.83 Tatsächlich deutet die Rechtsprechung des EuGH teilweise darauf hin, dass dieser es bei Erfüllung der Voraussetzungen einer begrenzten Einzelermächtigung nicht

75

Schwartz, Christina, S. 93. EuGH, Urt. v. 06.11.2008, Rs. C-155/07, ECLI:EU:C:2008:605, Rn. 35 (Parlament / Rat); Nettesheim, in: von Bogdandy / Bast, S. 389, 437; Schwartz, Christina, S. 97 f. 77 Schwartz, Christina, S. 99. 78 Nettesheim, in: von Bogdandy / Bast, S. 389, 437 f. 79 Schwartz, Christina, S. 80 f., 123 f. 80 EuGH, Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-301/06, ECLI:EU:C:2009:68, Rn. 56 (Vorratsdatenspeicherung); Schwartz, Christina, S. 80. 81 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 125 (EL 59: Juli 2016). 82 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 125 (EL 59: Juli 2016). 83 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 126 (EL 59: Juli 2016). 76

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

weiter darauf ankommen lässt, ob im Schwerpunkt Kompetenzen berührt sind, welche bei den Mitgliedstaaten verbliebenen sind.84 Dem Abgrenzungskriterium des Schwerpunkts der Regelungsmaterie wird generell entgegengehalten, dass bei der Inanspruchnahme von Querschnittskompetenzen wie Art. 114 AEUV stets schwerpunktmäßig bisher von den Mitgliedstaaten wahrgenommene Regelungskompetenzen betroffen sein werden. Es sei aber der Zweck des Art. 114 AEUV, dass dieser unter der Zielrichtung der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarkts gerade auch solche Regelungsmaterien ergreifen können muss, welche bislang in die mitgliedstaatliche Kompetenz gefallen sind.85 Von anderer Seite wird indessen angeregt, die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt der Regelungsmaterie auch im vertikalen Verhältnis zur Anwendung zu bringen.86 Als Begründung für diese Auffassung lässt sich anführen, dass auch die Auswahl der Rechtsgrundlage auf horizontaler Ebene nicht ohne Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung von Mitgliedstaaten und EU bleibt.87 So können je nach Wahl der Rechtsgrundlage auf horizontaler Ebene unterschiedlich große Handlungsspielräume für die Mitgliedstaaten verbleiben.88 Weiterhin wird argumentiert, dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ausgehöhlt würde, wenn es zur Begründung der Unionszuständigkeit ausreichte, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 114 AEUV erfüllt sind.89 Darüber hinaus wird darauf aufmerksam gemacht, dass nach der Rechtsprechung des EuGH zur horizontalen Kompetenzverteilung auch nicht diejenige Rechtsgrundlage heranzuziehen ist, welche nur beiläufig bzw. zweitrangig betroffen ist.90 Es leuchtet nicht unmittelbar ein, weshalb diese Maßstäbe dann keine Geltung beanspruchen sollten, wenn es um die noch vorgelagerte Frage geht, ob der Union als Verband überhaupt eine Zuständigkeit zukommen kann. Gegen die Zuweisung von Kompetenzen nach finalen Gesichtspunkten spricht zunächst die Regelung des Art. 3 Abs. 6 EUV. In der Formulierung, dass die Union ihre Ziele u. a. entsprechend den Zuständigkeiten, welche ihr in den Verträgen übertragen sind, verfolgt, könnte eine generelle Absage an zielorientierte Zuständigkeitsbegründungen zu erblicken sein. Andererseits stellt auch Art. 114 AEUV eine begrenzte Einzelermächtigung und damit eine Zuständigkeit i. S. d. Art. 5 Abs. 2 S. 1 84

EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 39 (Tabakwerbung II); EuGH, Urt. v. 10.12.2002, Rs. C-491/01, ECLI:EU:C:2002:741, Rn. 62, 75 (British American Tobacco u. a.); EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 88 (Tabakwerbung I). 85 Möstl, EuR 2002, 318, 327. 86 Calliess, JURA 2001, 311, 315; Seidel, S. 40; Schwartz, Christina, S. 124; Stein, EWS 2001, 12, 15. 87 Schwartz, Christina, S. 80. 88 Schwartz, Christina, S. 80. 89 Seidel, S. 40 f. 90 Seidel, S. 40 f.

II. Grundsätzliches zur Rechtsetzung durch die Europäische Union

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EUV dar. Dass diese Zuständigkeit für sich genommen zielorientiert ist, vermag hieran nichts zu ändern. Auch Art. 5 Abs. 2 S. 1 EUV nimmt auf die zielorientierte Inanspruchnahme von Kompetenzen Bezug, wenn es darin heißt, dass das kompetenzgemäße Tätigwerden der Union zur Verwirklichung der Vertragsziele erfolgt. Somit relativiert sich die Aussagekraft des Art. 3 Abs. 6 EUV und es lassen sich keine durchgreifenden Einwände gegen eine zielorientierte Inanspruchnahme von Kompetenzen erheben, sofern auf entsprechende Ermächtigungsgrundlagen zurückgegriffen werden kann. Tatsächlich steht der EU damit aber die Möglichkeit offen, im Wege der Konstruktion eines Binnenmarktbezugs in umfassender Weise Regelungsbefugnisse an sich zu ziehen. Zwar leuchtet das Argument ein, dass bei Inanspruchnahme einer Kompetenz aus Art. 114 AEUV regelmäßig im Schwerpunkt eine andere Regelungsmaterie betroffen sein wird. Dies liegt jedoch im Wesen einer jeden Querschnittsmaterie. Das vorgenannte Argument lässt sich indessen auch in der Weise umkehren, dass nahezu jede Sachmaterie einen Bezug zum Binnenmarkt aufweisen kann. So sind kaum Waren und Dienstleistungen denkbar, welche nicht irgendeiner Weise Gegenstand von innerunionalen Handelsbeziehungen sein können und auch bereits Regelungsgegenstand einer mitgliedstaatlichen Rechtsvorschrift geworden sind. Über den Binnenmarktbezug unterliegen diese mitgliedstaatlichen Regelungen grundsätzlich dem Zugriff des Unionsgesetzgebers. Die Möglichkeit des extensiven Gebrauchmachens von Art. 114 AEUV wir daher von kritischen Stimmen auch als „Einfallstor einer systematisch betriebenen strukturellen Veränderung der EU“ angesehen.91 Wenn nun aber über die Binnenmarktkompetenz in umfassender Weise Rechtsmaterien harmonisiert werden, so steht dies im Widerspruch zu dem mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verfolgten Ziel, die übertragenen Hoheitsbefugnisse für die Mitgliedstaaten sichtbar und vorhersehbar zu machen. Jedenfalls dann, wenn eine sachbezogene Vorschrift des AEUV ausdrücklich einen Harmonisierungsausschluss vorsieht, sollte es als unzulässige Missachtung des mitgliedstaatlichen Willens angesehen werden, diesen Ausschluss im Wege der Anwendung des Art. 114 AEUV zu umgehen.92 Eine solche Umgehung eines Harmonisierungsverbots sollte indessen erst dann angenommen werden, wenn die EU bewusst im Schwerpunkt eine dem Harmonisierungsverbot unterfallende Regelungsmaterie regelt und sich im Bewusstsein dieses Verbots gewissermaßen nur zum Schein einer binnenmarktbezogenen Querschnittskompetenz bedient. Zwar haben die Mitgliedstaaten die nicht auf Sachmaterien begrenzte Regelung des Art. 114 AEUV zu verantworten und müssen sich insofern auch bewusst sein, dass diese eine weitreichende Harmonisierung auch solcher Rechtsmaterien nach sich ziehen kann, welche im Grundsatz in der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit verblieben sind. Allerdings haben die Mitgliedstaaten mit sachgebietsbezogenen

91

Simitis, NJW 2009, 1782, 1784. Zweifelnd, von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 15.

92

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Harmonisierungsverboten ebenso eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie in diesen Bereichen ihre Hoheitsrechte zumindest schwerpunktmäßig weiterhin eigenständig wahrnehmen möchten. Auch ist zu berücksichtigen, dass selbst diejenigen, welche die Schwerpunkttheorie im Rahmen der vertikalen Kompetenzverteilung ablehnen, nicht gänzlich ohne Betrachtung eines Regelungsschwerpunktes auskommen.93 So sehen es auch die Kritiker der Schwerpunkttheorie als Voraussetzung der Anwendung des Art. 114 AEUV an, dass es Hauptziel der Regelung sein muss, zum Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen und dass der Binnenmarktbezug nicht nur „beiläufiges oder ergänzendes Ziel“ sein darf.94 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob ein den Anwendungsbereich des Art. 114 AEUV eröffnender Binnenmarktbezug vorliegt, sich nach objektiven, gerichtlich nachprüfbaren Umständen beantworten lassen muss.95 Als solche Umstände werden insbesondere Ziel und Inhalt des Rechtsakts genannt.96 Damit werden also für die Frage der Anwendbarkeit des Art. 114 AEUV genau diejenigen Kriterien maßgebend, welche auch im Rahmen horizontaler Kompetenzkonflikte herangezogen werden. Mithin macht es im Ergebnis inhaltlich keinen Unterschied, ob man die Schwerpunktheorie im vertikalen Verhältnis ablehnt oder nicht. Die Kriterien, nach denen die horizontale Kompetenzabgrenzung bzw. die Anwendbarkeit des Art 114 AEUV beurteilt wird, lassen sich ohnehin kaum voneinander unterscheiden. Damit erscheint es vorzugswürdig, die Kompetenzen auch im vertikalen Verhältnis nach dem Schwerpunkt der Regelungsmaterie abzugrenzen. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass das Herausarbeiten eines Regelungsschwerpunkts eine erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringen kann.97 Der Versuch, anhand des Ziels und des Inhalts eines Rechtsakts scheinbar objektive Maßstäbe aufzustellen, täuscht darüber hinweg, dass es dem Unionsgesetzgeber möglich ist, im Wege der Beschreibung der Wahl der Rechtsgrundlage diese politisch zu beeinflussen.98 Weiterhin unterliegt die Beurteilung des Regelungsschwerpunkts naturgemäß einer subjektiven Wertung des Gesetzgebers, sodass es nicht möglich sein wird, den Schwerpunkt eines Rechtsaktes rein objektiv zu bestimmen.99 Gleichwohl wird vom EuGH erwartet werden können, dass er auch bei vertikalen Kompetenzkonflikten eine unbefangene und intensive Überprüfung der Wahl der 93

Schwartz, Christina, S. 128. EuGH, Urt. v. 09.11.2001, Rs. C-377/98, ECLI:EU:C:2001:523, Rn. 27 f. (Niederlande /  Parlament und Rat); Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 129 (EL 59: Juli 2016). 95 EuGH, Urt. v. 13.05.1997, Rs. C-233/94, ECLI:EU:C:1997:231, Rn. 12 (Deutschland / Parlament und Rat); EuGH, Urt. v. 11.06.1991, Rs. C-300/89, ECLI:EU:C:1991:244, Rn. 10 (Titandioxid); Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 96 (EL 59: Juli 2016). 96 EuGH, Urt. v. 13.05.1997, Rs. C-233/94, ECLI:EU:C:1997:231, Rn. 12 (Deutschland / Parlament und Rat); Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 96 (EL 59: Juli 2016). 97 Nettesheim, in: von Bogdandy / Bast, S. 389, 437. 98 Breier, EuR 1995, 46, 52; Schwartz, Christina, S. 125. 99 Schwartz, Christina, S. 125. 94

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Rechtsgrundlage vornimmt. Dabei wäre es wünschenswert, wenn er sich in Zweifelsfällen um eine von der Einschätzung des Unionsgesetzgebers unabhängige Bestimmung des Regelungsschwerpunktes bemüht. Die Abstützung eines Rechtsakts auf mehrere Rechtsgrundlagen kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn mehrere Regelungsschwerpunkte betroffen sind, ohne dass der eine gegenüber dem anderen nachrangig wäre.100 Eine rechtmäßige Mehrfachabstützung setzt weiterhin voraus, dass die Voraussetzungen aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen erfüllt sind und dass im Falle divergierender Rechtsetzungsverfahren alle in Betracht kommenden Organe in dem Umfang beteiligt werden, wie dies die Rechtsgrundlage regelt, welche ihre intensivste Beteiligungsform vorsieht.101

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzungdurch die EU 1. Keine medienspezifische Einzelermächtigung Eine begrenzte Einzelermächtigung, welche die EU zu einem Tätigwerden allein unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Medienvielfalt ermächtigt, existiert nicht.102 Sowohl im EUV als auch im AEUV fehlen Vorschriften, welche sich mit dem Ziel der Medienvielfalt auseinandersetzen.103 Mithin kann die EU keine sachbezogene Kompetenz zur Regelung der Medienvielfalt für sich in Anspruch nehmen.104 In Betracht kommt indessen, dass die EU durch die Inanspruchnahme von Querschnittskompetenzen berechtigt ist, harmonisierende Rechtsvorschriften zu erlassen, welche Aspekte der Medienvielfalt berühren. So wurde, trotz des Fehlens einer medienspezifischen Kompetenz der EU, in der Vergangenheit lebhaft diskutiert, inwieweit diese berechtigt ist, ein unionsweites Medienkonzentrationsrecht zu regeln.105 Ungeachtet dieser rechtspolitischen Diskussion ist es in der Rechtswirklichkeit bereits zu einer teilweisen Harmonisierung des Rundfunkrechts in Gestalt der AVMD-RL gekommen.

100

EuGH, Urt. v. 20.05.2008, Rs. C-91/05, ECLI:EU:C:2008:288, Rn. 75 (Kommission / Rat). Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 20. 102 Gounalakis / Zagouras, JZ 2008, 652, 655; Hain, AfP 2007, 527, 531. 103 Helwig, S. 154; Schüll, S. 48. 104 Mailänder, S. 94. 105 Vgl. hierzu, Gounalakis / Zagouras, ZUM 2006, 716 ff.; Hain, AfP 2007, 527 ff. und die Dissertation von Helwig. 101

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

2. Querschnittskompetenzen zur Binnenmarktharmonisierung Ein wesentlicher Zweck des Zusammenschlusses der Mitgliedstaaten in der EU ist die Verwirklichung des Binnenmarkts. So ist die Errichtung eines Binnenmarkts in Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV als Ziel der Union genannt. Art. 26 Abs. 2 AEUV definiert den Binnenmarkt als einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Neben dieser in Art. 26 Abs. 2 AEUV zum Ausdruck kommenden und auf die Realisierung der Grundfreiheiten bezogenen Komponente umfasst das Funktionieren des Binnenmarkts ebenso den Aspekt eines funktionierenden Wettbewerbs zwischen den Marktteilnehmern.106 Für die Realisierung des Binnenmarktziels stehen der EU verschiedene Ermächtigungsgrundlagen im AEUV zur Verfügung.107 Die Medien werden heute gemeinhin sowohl als Kultur- als auch als Wirtschaftsgut angesehen.108 Soweit die Medien in ihrer Dimension als Wirtschaftsgut betroffen sind, unterfallen sie grundsätzlich dem Zugriff des die Verwirklichung des Binnenmarkts anstrebenden Unionsgesetzgebers.109 Regelungen, welche die Verwirklichung des Binnenmarktziels zum Inhalt haben, berühren regelmäßig auch andere Regelungsmaterien. Sie können daher als Querschnittskompetenzen bezeichnet werden. a) Medienprodukte im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten Das Funktionieren des Binnenmarkts setzt u. a. die uneingeschränkte Verwirklichung der Grundfreiheiten voraus.110 Ausgangspunkt der binnenmarktbezogenen Beeinflussung der Medien durch das europäische Recht war folgerichtig ein Urteil des EuGH, welches sich mit der Anwendbarkeit von Grundfreiheiten in Bezug auf bestimmte Medienprodukte auseinandersetzte.111 In der sog. Rechtssache Sacci entschied der EuGH, dass die Ausstrahlung einer Fernsehsendung als Dienstleistung i. S. d. entsprechenden Grundfreiheit zu qualifizieren ist.112 Der Handel mit körperlichen Erzeugnissen, welche für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen benutzt werden, soll dagegen den Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit unterfallen.113 106

Geiger / Khan / Kotzur-Khan, Art.  114 AEUV, Rn.  13; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114, Rn. 81 (EL 59: Juli 2016). 107 Vgl. hierzu, Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 15. 108 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 35, Rn. 3; Schwarze, ZUM 2000, 779, 780. 109 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 35, Rn. 3. 110 Geiger / Khan / Kotzur-Khan, Art. 114 AEUV, Rn. 13. 111 EuGH, Urt. v. 30.04.1974, Rs. C-155/73, ECLI:EU:C:1974:40 (Sacci); Schwarze, ZUM 2002, 89, 91 (Fn. 19). 112 EuGH, Urt. v. 30.04.1974, Rs. C-155/73, ECLI:EU:C:1974:40, Rn. 6 (Sacci). 113 EuGH, Urt. v. 30.04.1974, Rs. C-155/73, ECLI:EU:C:1974:40, Rn. 7/8 (Sacci).

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Generell erfolgt die Abgrenzung von Warenverkehrsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit nach dem Merkmal der Körperlichkeit. Abgrenzungsschwierigkeiten können sich indessen ergeben, wenn bei einem Produkt nicht der verkörperte Gegenstand als solcher, sondern vielmehr die auf dem Gegenstand verkörperte Leistung im Vordergrund steht. Die Abgrenzung sollte in diesen Fällen danach vorgenommen werden, ob der Schwerpunkt des Werts des Medienprodukts in dem Gegenstand selbst oder in der immateriellen Leistung zu sehen ist.114 Ausgehend von diesen Prämissen ist die Warenverkehrsfreiheit betroffen, wenn der grenzüberschreitende Vertrieb von gedruckten Presseerzeugnissen innerhalb der EU in Rede steht.115 Elektronische Medien lassen sich mangels Körperlichkeit als Dienstleistungen einordnen.116 Insgesamt ist festzuhalten, dass sich sämtliche gewerblich produzierten Medienprodukte entweder als Waren oder Dienstleistungen einordnen lassen und damit geeignet sind, den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten zu eröffnen.117 Freilich muss hierzu ein grenzüberschreitender Bezug hinzutreten, welcher im Falle der Dienstleitungsfreiheit indessen bereits dann anzunehmen ist, wenn lediglich die Dienstleistung selbst eine mitgliedstaatliche Grenze innerhalb der EU überschreitet.118 Weiterhin muss im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit das Merkmal der Entgeltlichkeit erfüllt sein. Dies bedeutet, dass die selbständige Tätigkeit erwerbswirtschaftlicher Art sein muss.119 Mittlerweile ist anerkannt, dass das Merkmal der Entgeltlichkeit im Falle der Ausstrahlung von Rundfunksendungen selbst dann erfüllt ist, wenn hierfür seitens der Rezipienten kein Preis zu zahlen ist.120 Darüber hinaus kann als weitere Grundfreiheit die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV betroffen sein. Die Niederlassungsfreiheit gewährt Selbständigen und Unternehmen das Recht, einen dauerhaften Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zu nehmen, sofern dies zu dem Zweck erfolgt, dort dauerhaft einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu inländergleichen Bedingungen nachzugehen.121 Die Abgrenzung zwischen der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit kann sich im Einzelfall schwierig gestalten.122 Maßgebend wird jedoch auf das Kriterium der Dauerhaftigkeit der Einrichtung abzustellen sein, wobei auch die Gesichtspunkte der Häufigkeit, der regelmäßigen Wiederkehr und der Kontinuität der Leistungserbringung für die Einordnung als Niederlassung sprechen können.123 114

Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 42 f., Rn. 13. Schwarze, ZUM 2002, 89, 91. 116 Gounalakis / Zagouras, JZ 2008, 652, 653 (Fn. 3). 117 Gounalakis / Zagouras, JZ 2008, 652, 653. 118 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 51, Rn. 42. 119 Geiger / Khan / Kotzur-Kotzur, Art. 57 AEUV, Rn. 6. 120 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 51, Rn. 41. 121 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 48, Rn. 30. 122 Vgl. hierzu, Roider, S. 38 ff. 123 EuGH, Urt. v. 30.11.1995, Rs C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411, Rn. 27 (Gebhard); Paschke /  Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 48, Rn. 33 f. 115

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Problematisch ist die Abgrenzung zwischen der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit im Falle der Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen aus einem anderen Mitgliedstaat, wenn der Rundfunkveranstalter davon absieht, in dem Land, auf welches das Programm ausschließlich ausgerichtet ist, eine Niederlassung zu nehmen. Für die Anwendung der Niederlassungsfreiheit könnte die Rechtsprechung des EuGH sprechen, welche in Erwägung zieht, unabhängig vom Bestehen einer Niederlassung das Niederlassungsrecht anzuwenden, wenn der Leistungserbringer seine grenzüberschreitende Tätigkeit „ganz oder vorwiegend“ auf das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausrichtet.124 Hintergrund dieser Erwägung des EuGH ist die Befürchtung, dass die Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit nur zu dem Zweck erfolgen könnte, sich innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu entziehen.125 Indessen ist zu berücksichtigen, dass ein klassischer Anwendungsfall der Dienstleistungsfreiheit vorliegt, wenn lediglich die Dienstleistung die Grenze überschreitet.126 Weiterhin kann es grundsätzlich nicht als Rechtsmissbrauch angesehen werden, wenn ein Rundfunkveranstalter von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch macht, denn er nimmt lediglich den Regelungszweck dieser Grundfreiheit für sich in Anspruch und es besteht zudem kein faktisches Erfordernis sich im Empfangsstaat niederzulassen.127 Wenn hingegen ein innerstaatlicher Rundfunkanbieter sich allein zu dem Zweck an der Gründung einer ausländischen Rundfunkgesellschaft beteiligt, um nationale, die Medienvielfalt sichernde Rechtsvorschriften nicht beachten zu müssen, so ist der betroffene Mitgliedstaat nicht gehindert, solchen Vorgängen entgegenzuwirken.128 Mithin kann den seltenen Fällen eines Missbrauchs wirksam begegnet werden, ohne dass es erforderlich wäre den Sachverhalt als solchen des Niederlassungsrechts qualifizieren zu müssen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in gleicher Weise rechtfertigungsbedürftig sind, wie solche der Dienstleistungsfreiheit.129 Insofern bedarf es vor dem Hintergrund des vergleichbaren Schutzniveaus beider Grundfreiheiten überhaupt keiner Konstruktion der Betroffenheit der Niederlassungsfreiheit. Damit ist die Ausstrahlung von Rundfunksendungen aus einem anderen Mitgliedstaat als Vorgang der Dienstleistungsfreiheit einzuordnen, sofern der Rundfunkveranstalter keine Niederlassung im Empfangsstaat errichtet. Im Übrigen wurde inzwischen versucht, die Problematik, dass mittels des Niederlassungsrechts nationale rundfunkrechtliche Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Rundfunkrechts rechtsmissbräuchlich umgangen werden könnten, sekundärrechtlich zu regeln. Die dem betroffenen Mitgliedstaat zur Verfügung stehenden Maßnahmen wurden in einem komplexen Verfahren geregelt, welches in Art. 4 Abs. 2 bis 4 AVMD-RL niedergelegt ist. 124

EuGH, Urt. v. 03.12.1974, Rs. C-33/74, ECLI:EU:C:1974:131, Rn. 13 (van Binsbergen). EuGH, Urt. v. 27.09.1989, Rs.  C-130/88, ECLI:EU:C:1989:349, Rn. 26 (van de Bijl); EuGH, Urt. v. 03.12.1974, Rs. C-33/74, ECLI:EU:C:1974:131, Rn. 13 (van Binsbergen). 126 Petersen, S. 46. 127 Petersen, S. 47 f.; Roider, S. 41. 128 EuGH, Urt. v. 03.02.1993, Rs. C-148/91, ECLI:EU:C:1993:45, Rn. 12 f. (Veronica Omroep Organisatie). 129 Schüll, S. 108. 125

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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b) In Betracht kommende Rechtsgrundlagen zur Medienvielfaltregulierung aa) Art. 114 AEUV (1) Binnenmarktbezogene Voraussetzungen Art. 114 Abs. 1 AEUV ermächtigt den Unionsgesetzgeber grundsätzlich zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Da Art. 114 Abs. 1 S. 1 AEUV nur anwendbar ist, soweit die Verträge nichts anderes bestimmen, kann eine Harmonisierung im Bereich der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit aufgrund der insoweit bestehenden Sonderregeln der Artikel 53 Abs. 1 AEUV und 62 AEUV nicht auf Art. 114 AEUV gestützt werden.130 Derartige Sonderregeln stehen im Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit nicht zur Verfügung, sodass Art. 114 AEUV besonders in diesem Bereich Relevanz zukommen kann.131 Medienprodukte, welche Waren i. S. d. Grundfreiheit der Warenverkehrsfreiheit darstellen, sind insbesondere gedruckte Presseerzeugnisse. Zudem wird vertreten, dass Art. 114 AEUV dann als Ermächtigungsgrundlage für eine europäische Medienkonzentrationsrichtlinie in Betracht kommt, wenn diese sog. crossmediale, d. h. über mehrere Mediengattungen entfaltete Meinungsmacht, berücksichtigt.132 Damit Art. 114 AEUV als zutreffende Ermächtigungsgrundlage eingreifen kann, muss die angestrebte Maßnahme auf der Tatbestandsseite die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Hierfür ist in subjektiver Hinsicht erforderlich, dass sich aus den Erwägungsgründen des Rechtsakts erkennen lässt, dass dem Unionsgesetzgeber daran gelegen ist, Binnenmarktziele zu verwirklichen.133 Damit lässt sich bereits festhalten, dass es dem Unionsgesetzgeber bei einer auf Art. 114 AEUV gestützten Maßnahme zumindest nicht vordergründig darum gehen darf, die Medienvielfalt im Rechtsraum der EU zu schützten. So haben die Mitgliedstaaten der Union durch Art. 114 AEUV lediglich insoweit Hoheitsrechte übertragen, als diese die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Ziel haben. Hoheitsrechte, welche bereits von ihrer Zielrichtung her zur Sicherung der Medienvielfalt beitragen sollen, wurden der Union jedenfalls i. R. d. Art. 114 AEUV nicht übertragen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass ein mit der Zielsetzung der Binnenmarktrealisierung erlassener Rechtsakt nach der Rechtsprechung des EuGH durchaus maßgebend solche Sachgebiete tangieren darf, welche, wie die Aufrecht 130

Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 122 (EL 59: Juli 2016). Schüll, S. 133 f. 132 Helwig, S. 233. 133 Geiger / Khan / Kotzur-Khan, Art.  114 AEUV, Rn.  14; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 95 (EL 59: Juli 2016). 131

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

erhaltung der Medienvielfalt, keinen Bezug zu den Grundfreiheiten oder den Wettbewerbsbedingungen in der EU aufweisen.134 Es gilt weiterhin zu berücksichtigen, dass die Union, wenn sie gestützt auf Art. 114 AEUV im Interesse des Binnenmarkts tätig wird, nunmehr auch Sachmaterien regelt, welche vormals dem Regelungszugriff der Mitgliedstaaten unterlagen.135 Allein vor dem Hintergrund der Grundrechtsgebundenheit der Union liegt es auf der Hand, dass diese bei der Rechtsangleichung eines Sachbereichs zwingende Gemeinwohlerfordernisse nicht ignorieren darf. So ist die Union in Bezug auf die Sicherung der Medienvielfalt aus Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh grundrechtsgebunden.136 Deshalb muss die Union bereits aufgrund ihrer eigenen Grundrechtsgebundenheit befugt sein, nunmehr selbst vormals durch die Mitgliedstaaten geregelte und regelmäßig (grund-)freiheitsbeschränkende Einzelregelungen zu treffen, soweit die Gesamtregelungen insgesamt noch ein System bilden, welches der Verwirklichung von Grundfreiheiten dient.137 Wird ein Rechtsakt gestützt auf Art. 114 AEUV erlassen, so ist es unerheblich, ob ein durch mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften erfolgter Eingriff in Grund­ freiheiten wegen des Schutzes zwingender Allgemeininteressen gerechtfertigt wäre.138 So soll Art. 114 AEUV gerade auch solchen Beschränkungen bei der Ausübung von Grundfreiheiten entgegentreten, welche dadurch entstehen, dass unterschiedliche mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften bestimmte Gemeinwohlbelange überhaupt oder unterschiedlich intensiv grundfreiheitsbeschränkend berücksichtigen. Die rechtsangleichenden Maßnahmen können dann, trotz der vordergründig wirtschaftsbezogenen Intention, legitime Gemeinwohlinteressen nicht völlig außer Betracht lassen. Vielmehr müssen sie die vormals in unterschiedlicher Intensität geregelten Gemeinwohlbelange aufgreifen und, soweit dies aus Gründen der Binnenmarktharmonisierung nötig ist, auf ein unionsweit zu beachtendes Niveau heben. Die Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen von Grundfreiheiten werden regelmäßig nichtwirtschaftlicher Art sein. Müssen nun diese nichtwirtschaftlichen Interessen von der Union im Rahmen der Rechtsangleichung aufgegriffen werden, so lässt sich ein Übergreifen auch in solche Sachmaterien, welche für sich genommen in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben sind, nicht vermeiden.139 Der Union ist es aber aufgrund der subjektiven Komponente i. R. d. Art. 114 AEUV versagt, aus dieser gleichsam unbeabsichtigten aber notwendigen Berührung einer anderen Sachmaterie seine Motivation zum Erlass des Rechtsakts zu ziehen.

134

EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 88 (Tabakwerbung I). Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 85 (EL 59: Juli 2016). 136 Praktische Bedeutung kann die Bindung der EU an die Medienpluralität indessen nur erlangen, soweit die EU auch befugt ist, Vielfalt sicherndes Recht zu setzen. 137 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 99 (EL 59: Juli 2016). 138 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 47. 139 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 155. 135

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Zu der subjektiv binnenmarktsbezogenen Komponente muss eine objektive hinzutreten. Der EuGH setzt hierbei voraus, dass der Rechtsakt „tatsächlich den Zweck haben muss, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern“.140 Der EuGH weist zudem darauf hin, dass die erforderliche gerichtliche Nachprüfbarkeit der Wahl der richtigen Rechtsgrundlage nur dann gewahrt werden kann, wenn nicht bereits die abstrakte Gefahr der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten den Anwendungsbereich des Art. 114 AEUV eröffnet.141 Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass Art. 114 AEUV insofern auch zu präventiven und am Binnenmarktziel ausgerichteten Maßnahmen berechtigt, als bereits die Gefahr verfälschter Wettbewerbsbedingungen ausreicht, um diese Vorschrift zur Anwendung bringen zu dürfen.142 Eine lediglich hypothetische Gefährdung der Binnenmarktrealisierung kann indessen nicht als ausreichend angesehen werden, um einen Rechtsakt auf Art. 114 AEUV stützen zu können.143 Vielmehr müssen Hindernisse für den Handel im Binnenmarkt wahrscheinlich sein und der angestrebte Rechtsakt muss ihre Verhinderung bezwecken.144 Anderenfalls würde der Union eine ihr nicht zustehende alleinige Kompetenz zur Regelung der Binnenmarktverhältnisse zugewiesen, denn hypothetische Gefahren für die Verwirklichung von Grundfreiheiten ließen sich stets bereits durch unterschiedliche nationale Vorschriften begründen.145 Jedoch ist Art. 114 AEUV als Ermächtigungsgrundlage zur Rechtsangleichung grundsätzlich dann in Betracht zu ziehen, wenn unterschiedliche Rechtsvorschriften verfälschte Wettbewerbsbedingungen bewirken können.146 So umfasst der Binnenmarktbegriff neben einer auf die Verwirklichung der Grundfreiheiten bezogenen Komponente auch die Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs.147 Es ist aber umstritten, ob das Vorliegen von Wettbewerbsverzerrungen zu einer Behinderung der Grundfreiheiten hinzutreten muss, damit die Ermächtigung des Art. 114 AEUV eingreifen kann, oder ob die Wettbewerbsverzerrung als alternatives Tatbestandsmerkmal anzusehen ist.148 Zunächst deutete die Rechtsprechung des EuGH darauf hin, dass beide Voraussetzungen kummulativ vorliegen müssen.149 Indessen 140

EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 84 (Tabakwerbung I). EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 84 (Tabakwerbung I). 142 EuGH, Urt. v. 11.06.1991, Rs.  C-300/89, ECLI:EU:C:1991:244, Rn. 15 (Titandioxid); Ress / Bröhmer, S. 29. 143 Schüll, S. 138. 144 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 37 (Tabakwerbung II). 145 Geiger / Khan / Kotzur-Khan, Art. 114 AEUV, Rn. 16. 146 EuGH, Urt. v. 13.07.1995, Rs.  C 350/92, ECLI:EU:C:1995:237, Rn. 32 (Spanien / Rat); EuGH, Urt. v. 11.06.1991, Rs. C-300/89, ECLI:EU:C:1991:244, Rn. 15 (Titandioxid). 147 Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 26 AEUV, Rn. 12; Streinz-Schröder, Art. 26 AEUV, Rn. 24. 148 Für ein alternatives Verhältnis, Calliess / Ruffert-Korte, Art. 114 AEUV, Rn. 42; Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 12. Kritisch insofern, Schwarze, FS Hirsch, S. 165, 167. 149 EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 95 (Tabakwerbung I). 141

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

stellte der EuGH in seiner neueren Rechtsprechung klar, dass er es als ausreichend ansieht, wenn entweder die Verwirklichung von Grundfreiheiten beeinträchtigt ist, oder spürbare Wettbewerbsverzerrungen vorliegen.150 Würden allerdings bereits geringfügige Wettbewerbsverzerrungen ausreichen, um die Kompetenz der EU zu begründen, so wären „der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers praktisch keine Grenzen gezogen“.151 Die binnenmarktbezogene Allzuständigkeit des Unionsgesetzgebers wäre indessen ein Verstoß gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung.152 (2) Rechtsfolge der Berechtigung zur Rechtsangleichung Liegen die Voraussetzungen des Art. 114 Abs. 1 AEUV vor, so sind die zuständigen Organe der EU unter Beachtung des einzuhaltenden Verfahrens zur Rechtsangleichung berechtigt. Der Begriff der Rechtsangleichung ist ein Synonym des Begriffs der „Harmonisierung“ bzw. der „Koordinierung“.153 Unter dem Begriff der Rechtsangleichung ist eine sachbezogene Annäherung von mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften zu verstehen, welche die zumindest teilweise Beseitigung von Unterschieden derselben zum Inhalt hat.154 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsangleichung funktional zu verstehen ist, also i. R. d. Art. 114 AEUV dem Ziel zu dienen hat, Hindernisse für die Verwirklichung oder das Funktionieren des Binnenmarktes zu beseitigen.155 Die Rechtsangleichung ist nicht darauf gerichtet, unionsweit gültiges Einheitsrecht zu schaffen, sondern es soll das mitgliedstaatliche Recht, wenn auch durch den Unionsgesetzgeber angeglichen, als solches bestehen bleiben.156 Aufgabe der Rechtsangleichung ist es, einen unionsrechtlichen Rahmen vorzugeben, welcher den Mitgliedsstaaten einen Spielraum bei der Einpassung in nationales Recht belässt.157 Es ist aber nicht Voraussetzung, dass mitgliedstaa­tliches Recht vor der Rechtsangleichung durch die Union überhaupt schon bestanden hat. Es ist auch möglich, dass im Zuge der Rechtsangleichung mitgliedstaatliche Vor-

150

EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 67 (Tabakwerbung II); EuGH, Urt. v. 10.12.2002, Rs. C-491/01, ECLI:EU:C:2002:741, Rn. 60 (British American Tobacco). 151 EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 107 (Tabakwerbung I). 152 EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 83, 107 (Tabakwerbung I). 153 Calliess / Ruffert-Korte, Art. 114 AEUV, Rn. 22; Streinz-Leible / Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 19. 154 Calliess / Ruffert-Wolfgang Kahl, 4. Auflage, Art. 114 AEUV, Rn. 13 (besonders gelungene Darstellung in dieser Vorauflage); Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 29. 155 Calliess / Ruffert-Wolfgang Kahl, 4. Auflage, Art. 114 AEUV, Rn. 13 (besonders gelungene Darstellung in dieser Vorauflage); Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 30. 156 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Classen, Art. 114, Rn. 10 f. 157 Streinz-Leible / Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 18.

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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schriften erstmals geschaffen werden müssen.158 Sogar eine präventive Rechtsangleichung zur Verhütung einer Störung des Binnenmarkts kann zulässig sein.159 Im Zuge der erstmaligen Schaffung mitgliedstaatlicher Regelungen durch unionsrechtliche Vorgaben ergeben sich dann keine wesentlichen Unterschiede zwischen Einheitsrecht und Rahmenrecht, wenn der Rahmen so detailliert vorgegeben wird, dass kaum noch ein mitgliedstaatlicher Spielraum bei der Umsetzung verbleibt.160 Art.  114 AEUV schreibt die möglichen Handlungsformen der EU nicht vor, sodass in dieser Hinsicht die allgemeine Vorschrift des Art. 296 S. 1 AEUV Anwendung findet. Nach Art. 296 S. 1 AEUV ist bei der Wahl der Art des Rechtsakts der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nach diesem ist die Art des Rechtsakts vorzuziehen, welche die Souveränität der Mitgliedstaaten möglichst weitgehend schont.161 Berücksichtigt man weiterhin, dass es das Ziel des Art. 114 AEUV ist Rechtsangleichung und nicht die Schaffung von Einheitsrecht zu bewirken, wird i. d. R. die Richtlinie die geeignete Art des Rechtsakts sein.162 Die besondere Eignung der Richtlinie zur Rechtsangleichung ergibt sich daraus, dass diese der innerstaatlichen Umsetzung bedarf. Im Rahmen der Umsetzung ist gem. Art. 288 AEUV lediglich das zu erreichende Ziel verbindlich, wohingegen den Mitgliedstaaten bei der Wahl der Mittel und der Form Spielräume belassen werden.163 Indessen wird grundsätzlich auch der Erlass einer auf Art. 114 AEUV gestützten Verordnung als möglich angesehen.164 Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass eine Angleichung von Rechts­ vorschriften im Bereich der verkörperten Medienprodukte auf Grundlage des Art. 114 AEUV nur dann möglich ist, wenn in Bezug auf diese Produkte unterschiedliche mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften dazu führen, dass die Verwirklichung des Binnenmarktziels nicht nur völlig hypothetisch gefährdet wird. Die Annahme einer solchen Situation erscheint indessen sehr hypothetisch, da Rechtsvorschriften, welche die Sicherung der Medienvielfalt zum Ziel haben, zumeist lediglich im Bereich des Rundfunkrechts verortet sind. Somit wäre es vor allem in Bezug auf diese Rechtsmaterie denkbar, dass der Unionsgesetzgeber vormals von den Mitgliedstaaten geregelte Vielfaltanforderungen nunmehr im Rahmen seiner eigenen Rechtsetzung berücksichtigt. Tätigkeiten im Rundfunkbereich unterfallen jedoch nicht dem sachlichen Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit, sodass 158

Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 30; Streinz-Leible / Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 21. 159 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 38 (Tabakwerbung II); EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs.  C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 86 (Tabakwerbung I); EuGH, Urt. v. 13.07.1995, Rs. C 350/92, ECLI:EU:C:1995:237, Rn. 35 (Spanien / Rat); StreinzLeible / Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 22. 160 Streinz-Leible / Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 18. 161 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 296 AEUV, Rn. 5. 162 Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 53. 163 Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 53. 164 Calliess / Ruffert-Korte, Art. 114 AEUV, Rn. 66 f.; Schwarze EU-Kommentar-Herrnfeld, Art. 114 AEUV, Rn. 54.

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

auch nicht Art. 114 AEUV zur Anwendung gebracht werden kann. Gleichwohl können anhand des Art. 114 AEUV auch mit Blick auf andere Ermächtigungsgrundlagen allgemeine Probleme der Reichweite der Unionskompetenzen zur Binnenmarktharmonisierung anschaulich gemacht werden. Art. 114 AEUV kann in diesem Sinne, trotz seines überschaubaren Anwendungsbereichs in Bezug auf das Medienrecht, als die zentrale Norm der Binnenmarktharmonisierung angesehen werden. Vorstellbar wäre es zudem, dass der Unionsgesetzgeber im Zuge des Inkraftsetzens einer am Binnenmarktziel ausgerichteten Medienkonzentrationsrichtlinie auch solche Meinungsmacht berücksichtigt, welche über verkörperte Presseprodukte vermittelt wird. In diesem Falle könnte auch Art. 114 AEUV als Ermächtigungsgrundlage einer Medienkonzentrationsrichtlinie herangezogen werden.165 Weiterhin wäre es denkbar, dass Pressesubventionen, welche zur Sicherung der Medienvielfalt geleistet werden, zu unionsrechtlich relevanten Wettbewerbsverfälschungen führen. Dies könnte die Union dazu veranlassen, im Bereich der Vielfalt sichernden Presseförderung harmonisierendes Recht zu erlassen. Ob jedoch tatsächlich eine Kompetenz der EU bestehen könnte, kann indessen nicht umfassend beantwortet werden, ohne festzustellen, welche Art von Zuständigkeit Art 114 AEUV begründet und welche kompetenzbegrenzenden Rechtsgrundsätze bei der Inanspruchnahme einer die Medienvielfaltsicherung berührenden Unionskompetenz möglicherweise zu beachten sind. Weiterhin könnte der Kulturartikel des Art. 167 AEUV die Regelungsmöglichkeiten der EU beeinflussen. bb) Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV (i. V. m. Art. 62 AEUV) Um die Niederlassungsfreiheit zu realisieren, sind der Rat und das Europäische Parlament gem. Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV ermächtigt, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (vgl. Art. 289 Abs. 1 und Art. 294 AEUV) Richtlinien zur Koordininierung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten zu erlassen. Soweit hingegen die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit angestrebt wird, gilt die gleiche Ermächtigung aufgrund des Verweises in Art. 62 AEUV u. a. auf Art. 53 AEUV. Voraussetzung für den Erlass von sog. Koordinierungsrichtlinien ist zunächst, dass diese die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten erleichtern soll.166 Die Erwägungen zum notwendigen Binnenmarktbezug als Voraussetzung für das Eingreifen der Ermächtigung des Art. 114 AEUV können auf die Regelung des Art. 53 AEUV übertragen werden, und zwar i. R. d. Frage, ob der Rechtsakt eine Erleichterung der Aufnahme oder Ausübung einer selbständigen Tätigkeit bewirkt.167 165

Helwig, S. 233. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Forsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 8 (EL 46: Oktober 2011). 167 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Forsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 12 (EL 46: Oktober 2011); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Tiedje, Art. 53 AEUV, Rn. 63. 166

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Mithin muss die auf Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV gestützte Richtlinie dazu beitragen, dass Hemmnisse bei der Inanspruchnahme von Grundfreiheiten oder Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden.168 Dabei muss es die Zweckrichtung des koordinierenden Rechtsakts sein, die selbständige Tätigkeit von Akteuren im Binnenmarkt konkret zu erleichtern.169 Die bloße Feststellung von Unterschieden der nationalen Rechtsvorschriften reicht für sich genommen jedenfalls nicht aus, um eine auf Art. 53 Abs. 1 Alt. 2 AEUV gestützte Regelungsbefugnis der EU zu begründen.170 Jedoch gilt etwas anderes, wenn unterschiedliche Rechtsvorschriften dazu beitragen, dass die Ausübung von Grundfreiheiten und damit das Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigt wird.171 Liegen die Voraussetzungen des Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV vor, so ist der Unionsgesetzgeber zum Erlass von Richtlinien, nicht hingegen auch zum Erlass von unmittelbar innerstaatlich wirksamen Verordnungen i. S. d. Art. 288 S. 2 AEUV ermächtigt.172 Der Begriff der Koordinierung ist im AEUV nicht definiert und findet dort nur im Niederlassungsrecht Erwähnung. Er ist jedoch inhaltlich übereinstimmend mit den anderer Stelle im AEUV verwendeten Begriffen der „Harmonisierung“, „Angleichung“, „Abstimmung“ oder der „Vereinheitlichung“.173 Deshalb kann auf die obigen Ausführungen zum Begriff der Rechtsangleichung i. S. d. Art. 114 AEUV verwiesen werden. Als zulässige Koordinierungsmaßnahmen kommen somit neben der bloßen Abstimmung der mitgliedstaatlichen Vorschriften auch Maßnahmen der Angleichung bzw. der Vereinheitlichung mitgliedstaatlichen Rechts in Betracht.174 Der Erlass von Koordinierungsrichtlinien ist inhaltlich nicht auf solche Maßnahmen beschränkt, welche die gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen i. S. d. Art. 53 Abs. 1 1. Alt AEUV zum Inhalt haben. Vielmehr reicht es aus, wenn die Koordinierungsmaßnahme darauf gerichtet ist, die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten zu erleichtern.175 Eine koordinierende Richtlinie ist nicht darauf beschränkt, nur Sachverhalte mit grenzüberschreitenden Bezug zu regeln, sondern sie beansprucht auch Geltung bei

168

EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 195 (Tabakwerbung I). Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Tiedje, Art. 53 AEUV, Rn. 65. 170 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 37 (Tabakwerbung II); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Tiedje, Art. 53 AEUV, Rn. 63. 171 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 37 (Tabakwerbung II). 172 Streinz-Müller-Graf, Art. 53 AEUV, Rn. 13. 173 Calliess / Ruffert-Korte, Art.  53 AEUV, Rn.  11; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Forsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 18 (EL 46: Oktober 2011); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Tiedje, Art. 53 AEUV, Rn. 49. 174 Calliess / Ruffert-Bröhmer, 4. Auflage, Art.  53 AEUV, Rn.  10; Grabitz / Hilf / NettesheimForsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 19 (EL 46: Oktober 2011); Streinz-Müller-Graf, Art. 53 AEUV, Rn. 13. Zurückhaltend zum Begriff der Vereinheitlichung, Calliess / Ruffert-Korte, Art. 53 AEUV, Rn. 11. 175 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Forsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 3 (EL 46: Oktober 2011); StreinzMüller-Graf, Art. 53 AEUV, Rn. 14. 169

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rein innerstaatlichen Sachverhalten.176 Hierdurch soll verhindert werden, dass hinsichtlich der gleichen Sachmaterie zwei Rechtsordnungen Anwendung finden und Inländer diskriminiert werden können.177 Bedeutung erlangen koordinierende Richtlinien dann, wenn durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber vorgesehene Eingriffe in Grundfreiheiten aufgrund des Eingreifens übergeordneter Gemeinwohlbelange gerechtfertigt wären.178 So sollen durch Koordinationsrichtlinien, unabhängig von etwaigen Rechtfertigungsgründen, Hemmnisse bei der Ausübung von Grundfreiheiten abgebaut werden. Ebenso wie i. R. d. Art. 114 AEUV können Allgemeininteressen bei der koordinierenden Rechtssetzung durch die EU nicht außer Betracht bleiben, sondern die Berücksichtigung derselben verlagert sich von der mitgliedstaatlichen auf die Unionsebene. Aus dem Erfordernis des Erleichterns der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten wird teilweise gefolgert, die Union dürfe ein Allgemeininteresse nicht auf einem höheren Niveau berücksichtigen, als es ein Mitgliedsstaat bisher getan hat.179 Auf den ersten Blick scheint diese Argumentation zu überzeugen, wird die stärkere Berücksichtigung eines Allgemeininteresses doch regelmäßig auch zu einer intensiveren Beeinträchtigung der Grundfreiheit führen. Dabei muss es i. R. d. Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV die Motivation des Unionsgesetzgebers sein, die Ausübung von Grundfreiheiten zu erleichtern. Indessen ist zu berücksichtigen, dass die Union aufgrund des Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV zur eigenständigen Rechtssetzung befugt ist. Es ist nicht einzusehen, weshalb das niedrigste Schutzniveau eines Allgemeininteresses auf Gemeinschaftsebene den Ausschlag geben sollte. Damit würde der Union und den übrigen Mitgliedstaaten der niedrigste Schutzstandard innerhalb der Union aufgezwungen. Dies könnte im Extremfall dazu führen, dass das zu schützende Rechtsgut nicht so hinreichend berücksichtigt werden kann, wie europäisches Primärrecht dies erfordert. Berücksichtigt man zudem die Rechtsetzungskompetenz des Unionsgesetzgebers, so ist es vorzuziehen, dass sich das Schutzniveau, welches der Unionsgesetzgeber eigenständig zu regeln berechtigt ist, weder nach dem niedrigsten noch nach dem höchsten Schutzstandard richten muss.180 Vielmehr ist unter Beachtung

176 Calliess / Ruffert-Bröhmer, 4. Auflage, Art.  53 AEUV, Rn.  9; Grabitz / Hilf / NettesheimForsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 20 (EL 46: Oktober 2011). A. A. Calliess / Ruffert-Korte, Art. 53 AEUV, Rn. 13. Letzterer schlägt die Lösung des Problems einer möglichen Inländerdiskriminierung über den nationalen Grundrechtsschutz vor. 177 Calliess / Ruffert-Bröhmer, 4. Auflage, Art.  53 AEUV. Rn.  9; Grabitz / Hilf / NettesheimForsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 20 (EL 46: Oktober 2011). 178 EuGH, Urt. v. 13.05.1997, Rs. C-233/94, ECLI:EU:C:1997:231, Rn. 16 f. (Deutschland /  Parlament und Rat); Grabitz / Hilf / Nettesheim-Forsthoff, Art. 53 AEUV, Rn. 4 (EL 46: Oktober 2011). 179 Calliess / Ruffert-Bröhmer, 4. Auflage, Art.  53 AEUV. Rn.  10; Calliess / Ruffert-Korte, Art. 53 AEUV, Rn. 15. 180 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Tiedje, Art. 53 AEUV, Rn. 11.

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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primärrechtlicher Vorgaben ein angemessenes Schutzniveau in das Ermessen des Unionsgesetzgebers zu stellen.181 Es bleibt festzuhalten, dass Art. 53 Abs. 1 2. Alt AEUV im Falle der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und Art. 53. Abs. 1 2. Alt. i. V. m. Art. 62 AEUV im Falle der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit seitens der Union grundsätzlich herangezogen werden können, um Aspekte der Medienvielfalt bei der den Binnenmarkt harmonisierenden Rechtssetzung selbständig zu berücksichtigen. Dies setzt indessen voraus, dass unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelungen, welche das Allgemeininteresse der Medienvielfalt in den Blick nehmen, dazu führen, dass die Aufnahme und Ausübung grenzüberschreitender selbständiger Tätigkeiten beeinträchtigt wird. Im Wege der Rechtsangleichung müsste die EU dann ihrerseits die Erfordernisse der Medienvielfalt auf einem von ihr festzulegenden Niveau mit berücksichtigen. Die Anforderungen an den erforderlichen Binnenmarktbezug unterscheiden sich hierbei nicht von denen i. R. d. Art. 114 AEUV. Eine abschließende Beurteilung der Regelungsmöglichkeiten der EU lässt sich aber auch hier erst vornehmen, wenn die Art der Kompetenz der EU festgestellt und die sich daraus möglicherweise ergebenden Begrenzungen der Kompetenzwahrnehmung in den Blick genommen werden. Weiterhin kann der Kulturartikel des Art. 167 AEUV und die Verpflichtung zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV die Regelungsmöglichkeiten der EU beeinflussen. cc) Art. 50 Abs. 1 AEUV Mit Art. 50 Abs. 1 AEUV steht der Union eine weitere Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung, um die Niederlassungsfreiheit verwirklichen zu können. Art. 50 Abs. 2 AEUV benennt, ohne selbst Ermächtigungsgrundlage zu sein, nicht abschließend verschiedene Bereiche, auf welche sich die Ausübung der Kompetenz nach Abs. 1 erstrecken kann.182 Aufgrund des nicht abschließenden Charakters des Art. 50 Abs. 2 AEUV lässt sich der Anwendungsbereich des Art. 50 Abs. 1 AEUV und des Art. 53 Abs. 1 AEUV kaum voneinander abgrenzen.183 Es wird daher vorgeschlagen, beide Normen künftig zu einer einheitlichen Regelung zusammenzufassen.184 Das Erfordernis nach einer Abgrenzung von Art. 50 Abs. 1 AEUV und Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV könnte sich daraus ergeben, dass lediglich Art. 53 181

EuGH, Urt. v. 13.05.1997, Rs. C-233/94, ECLI:EU:C:1997:231, Rn. 17 (Deutschland / Parlament und Rat); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Tiedje, Art. 53 AEUV, Rn. 11; Streinz-Müller-Graf, Art. 53 AEUV, Rn. 7. 182 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Forsthoff, Art. 50 AEUV, Rn. 2, 4 (EL 46: Oktober 2011). 183 Calliess / Ruffert-Bröhmer, 4. Auflage, Art. 50 AEUV, Rn. 3. Auf kaum abgrenzbare Überschneidungen zwischen Art. 50 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1 2. Alt AEUV hinweisend auch, Calliess / Ruffert-Korte, Art. 53 AEUV, Rn. 4. 184 Calliess / Ruffert-Korte, Art. 53 AEUV, Rn. 27; Streinz-Müller-Graf, Art. 50 AEUV, Rn. 4.

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Abs. 1 2. Alt. AEUV verfahrensrechtlich die Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses vorsieht.185 Weiterhin ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 AEUV, dass auf dessen Grundlage lediglich Richtlinien erlassen werden dürfen. Es bietet sich an, die Unterschiede der beiden auf die Realisierung der Niederlassungsfreiheit gerichteten Rechtsgrundlagen dadurch zu überwinden, dass der Wirtschafts- und Sozialausschuss vorsorglich bei jeder die Niederlassungsfreiheit beschränkenden Maßnahme angehört wird. Auch sollte im Zweifel stets die Richtlinie als das geeignete Koordinierungsinstrument gewählt werden. Im Hinblick auf die Anforderungen an den notwendigen Binnenmarktbezug dürften sich zwischen Art. 50 Abs. 1, Art. 53 Abs. 1 2. Alt. und Art. 114 Abs. 1 AEUV keine Unterschiede ergeben.186 Folglich unterscheidet der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Niederlassungsfreiheit nicht zwischen Art. 50 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV und es lässt sich auch kein Vorrangverhältnis einer dieser beiden Normen ausmachen.187 Mithin kommt Art. 50 Abs. 1 AEUV als Ermächtigungsgrundlage zur Regelung von Aspekten der Medienvielfalt i. R. der niederlassungsbezogenen Binnenmarktharmoniserung ebenso in Betracht, wie Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV. c) Grenzen einer binnenmarktbezogenen Medienregulierung aa) Geltung des Subsidiaritätsprinzips? Die Feststellung der Art der Zuständigkeit ist insofern von Bedeutung, als dass das bei der Rechtsetzung zu beachtende Subsidiaritätsprinzip gem. Art. 5 Abs. 3 EUV nur dann eingreift, wenn die Zuständigkeit der Union keine ausschließliche ist. Nach Art. 4 Abs. 2 a) AEUV ist der Hauptbereich des Binnenmarkts der geteilten Zuständigkeit zugeordnet. Demgegenüber unterfallen nach Art. 3 Abs. 1 b) AEUV die für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln der ausschließlichen Zuständigkeit der Union. Die Reichweite der in Art. 3 Abs. 1 b) AEUV genannten ausschließlichen Zuständigkeit wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, dass sämtliche binnenmarktbezogenen Ermächtigungen des AEUV der ausschließlichen Zuständigkeit der Union zuzuordnen sind und dass folglich das Subsidiaritätsprinzip keine Anwendung findet.188 Begründet wird diese Ansicht vor allem damit, dass nur die EU eine unionsweite Hoheitsgewalt besitzt, sodass auch nur sie rechtsangleichende Regelungen treffen kann, welche 185

Helwig, S. 200. Dies in Bezug auf Art. 114 AEUV andeutend, Streinz-Müller-Graf, Art. 50 AEUV, Rn. 8. 187 Calliess / Ruffert-Bröhmer, 4. Auflage, Art.  50 AEUV, Rn.  3; Calliess / Ruffert-Bröhmer, 4. Auflage, Art.  53 AEUV, Rn.  1. A. A. Calliess / Ruffert-Korte, Art. 53 AEUV, Rn. 27. Dieser nimmt eine vorrangige Anwendbarkeit des Art. 50 Abs. 1 AEUV an. 188 Schlussanträge des Generalanwalts Fenelly zur Rs. C-376/98 (Deutschland / Parlament und Rat) v. 15.06.2000, ECLI:EU:C:2000:324, Rn. 136 ff.; Schwartz, Ivo E., AfP 1993, 409, 413 ff.; ders., FS Everling, S. 1331, 1340; Pescatore, FS Everling, S. 1071, 1084. 186

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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den gesamten Binnenmarkt umfassen.189 Auch verbleibe den Mitgliedstaa­ ten aufgrund der funktionalen, d. h. auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnen­ marktes bezogenen, Ausrichtung der diesbezüglichen Ermächtigungen kein Spielraum für eigene Maßnahmen.190 Mithin seien die binnenmarktbezogenen Kompetenzen bereits ihrem Wesen nach solche, welche in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen.191 Schließlich wird argumentiert, dass die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten und die schwierige Abgrenzung zwischen Art. 4 Abs. 2 a) und Art. 3 Abs. 1 b) AEUV für eine Zuordnung sämtlicher Binnenmarktkompetenzen zum Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit spricht.192 Die vorgenannte Ansicht übersieht indessen das Wesen der Angleichungs- bzw. Koordinierungsmaßnahmen, zu welchen Art. 114 AEUV bzw. Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV ermächtigen. So ist zu berücksichtigen, dass es bei der Rechtsangleichung bzw. Koordinierung nicht um die Schaffung unionsweit gültigen Einheitsrechts geht. Vielmehr sollen mitgliedstaatliche Vorschriften, welche auch nach der Angleichung bzw. Koordinierung als solche bestehen bleiben sollen, aneinander angeglichen werden, um Hindernisse für den Binnenmarkt abzubauen.193 Die Angleichung bzw. Koordinierung kann sich nur auf solche Sachbereiche beziehen, welche auch durch die Mitgliedstaaten geregelt werden dürfen, da sie in deren Kompetenz fallen.194 Hingegen zeichnet sich die ausschließliche Zuständigkeit der Union gem. Art. 2 Abs. 1 AEUV gerade dadurch aus, dass es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, in diesen Bereichen gesetzgeberisch tätig zu werden, es sei denn, sie sind ausnahmsweise hierzu durch die Union ermächtigt worden. Auch das Argument, dass im Falle der Ausübung binnenmarktbezogener Kompetenzen durch die EU den Mitgliedstaaten insoweit kein eigener Gestaltungsspielraum mehr verbleibt, spricht nicht für die Zuordnung als ausschließliche Zuständigkeit. So ist es gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 und S. 3 AEUV auch ein Wesensmerkmal der geteilten Zuständigkeit, dass ein mitgliedstaatliches Tätigwerden nur dann erfolgen darf, wenn die Union diesbezüglich nicht von der auch ihr zustehenden Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Der in Art. 4 Abs. 3 AEUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit kann die Mitgliedstaaten aber dazu verpflichten, dem Unionsrecht entgegenstehende nationale Vorschriften nicht zu erlassen, bzw. bereits bestehende nicht anzuwenden.195 Jedoch lässt auch diese aus der Loyalitätspflicht hergeleitete 189

Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 59 (EL 59: Juli 2016). Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 59 (EL 59: Juli 2016). 191 Schlussanträge des Generalanwalts Fenelly zur Rs. C-376/98 (Deutschland / Parlament und Rat) v. 15.06.2000, ECLI:EU:C:2000:324, Rn. 142. 192 Müller-Graf, Integration 26 (2003), 301, 306. 193 Calliess / Ruffert-Kahl, 4. Auflage, Art. 114 AEUV, Rn. 12. In der aktuellen Auflage wird unter geänderter Autorenschaft ebenfalls eine geteilte Zuständigkeit angenommen. Dies indessen mit abweichender Begründung. Siehe hierzu, Calliess / Ruffert-Korte, Art. 114 AEUV, Rn. 8. 194 Calliess / Ruffert-Calliess, Art.  4 AEUV, Rn.  9; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 11; Müller-Graf, EuR 1989, 107, 129. 195 Calliess / Ruffert-Kahl, 4. Auflage, Art. 4 EUV, Rn. 98. 190

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Sperrwirkung des Unionsrechts im Falle des Erlasses von Sekundärrecht aus der geteilten Zuständigkeit keine ausschließliche werden.196 So ist es ein Wesensmerkmal der ausschließlichen Zuständigkeit, dass die Mitgliedstaaten in diesen Bereichen von der Gesetzgebung generell ausgeschlossen sind.197 Demgegenüber kann es nur im Rahmen der geteilten Zuständigkeit darauf ankommen, ob der tätig gewordene mitgliedstaatliche Gesetzgeber gegen eine durch Sekundärrecht geschaffene Sperrwirkung verstoßen hat.198 Damit bleibt festzuhalten, dass sich bereits aus dem Regelungszweck der binnenmarktbezogenen Angleichungs- bzw. Koordinierungskompetenzen zwingend ergibt, dass es mitgliedstaatliches Recht geben muss, welches einer Harmonisierung bedarf. Wären die Zuständigkeiten der EU indessen ausschließlich, so wäre das Tätigwerden der Union auf das Setzen von Einheitsrecht gerichtet. Dass die Mitgliedsstaaten von einem durch Sekundärrecht geschaffenen Rahmen aufgrund von Loyalitätspflichten nicht abweichen dürfen, steht der Charakterisierung von Art. 114 AEUV und Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV bzw. Art. 50 Abs. 1 AEUV als geteilte Zuständigkeit nicht entgegen. Auch der EuGH ist der Auffassung, dass Art. 114 AEUV nicht der ausschließlichen Zuständigkeit zuzurechnen ist, sodass im Rahmen dieser Bestimmung der Subsidiaritätsgrundsatz Anwendung findet.199 Diese Rechtsprechung dürfte sich wegen der übereinstimmenden binnenmarktbezogenen Zweckrichtung auf Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV und Art. 50 Abs. 1 AEUV übertragen lassen. Trotz der formalen Geltung des Subsidiaritätsprinzips darf indessen bezweifelt werden, ob dieses im Falle der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale einer binnenmarktbezogenen Kompetenznorm der EU überhaupt noch eine kompetenzbegrenzende Wirkung entfalten kann. So spricht allein die Erfüllung des Tatbestands, welcher Hindernisse für die Verwirklichung des Binnenmarkts voraussetzt, für die Notwendigkeit eines Tätigwerdens der Union.200 bb) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Weiterhin muss ein Rechtsakt der EU den in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Dies gilt auch in Kompetenzbereichen, welche der ausschließlichen Zuständigkeit der EU zuzuordnen sind.201 Nach 196

Calliess / Ruffert-Kahl, 4. Auflage, Art. 114 AEUV, Rn. 12; Jarass, AöR 121 (1996), 173, 187. Gleichwohl sind die Mitgliedstaaten faktisch nicht daran gehindert, auch in den Bereichen der ausschließlichen Unionszuständigkeit weiterhin eigenes Recht zu setzen. Anders als im Falle der geteilten Zuständigkeit geschieht dies indessen stets unter Missachtung der Kompetenzordnung. 198 Jarass, AöR 121 (1996), 173, 187. 199 EuGH, Urt. v. 10.12.2002, Rs. C-491/01, ECLI:EU:C:2002:741, Rn. 179 (British American Tobacco). 200 Ähnlich, Grabitz / Hilf / Nettesheim-Tietje, Art. 114 AEUV, Rn. 59 (EL 59: Juli 2016). 201 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 43. 197

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfen Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das für die Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betrifft die Frage, auf welche Weise, d. h. durch welche Handlungsform, in welchem Umfang und in welcher Intensität die EU handeln darf.202 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt die Handlungsmöglichkeiten der Union nicht nur mit Blick auf subjektive Rechte des Einzelnen, sondern er entfaltet als objektiver Verfassungsgrundsatz auch Wirkung im Verhältnis der Union gegenüber den Mitgliedstaaten.203 In diesem Verhältnis begrenzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Berechtigung zur Kompetenzausübung durch die EU.204 In inhaltlicher Hinsicht prüft der EuGH i. R. d. Verhältnismäßigkeit stets, ob die fragliche Maßnahme der EU geeignet und erforderlich ist, wobei der Schwerpunkt der Prüfung regelmäßig bei der Erforderlichkeit liegt.205 Die Prüfung der Angemessenheit, welche eine Abwägung zwischen dem angestrebten Ziel und den damit verbundenen Nachteilen beinhaltet, erfolgt durch den EuGH hingegen nur vereinzelt.206 cc) Pflicht zur Achtung der nationalen Identität Gem. Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV achtet die Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Der Begriff der nationalen Identität wurde durch den EuGH bisher nicht definiert.207 Eine rechtliche Zuordnung eines Wertes als Teil der mitgliedstaatlichen nationalen Identität ist aber dadurch möglich, dass nur solche Werte i. R. d. Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV berücksichtigungsfähig sind, welche in den grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einen Ausdruck gefunden haben.208 Sichtbar werden zumindest die verfassungsmäßigen Strukturen neben dem geschriebenen Verfassungsrecht auch anhand der Rechtsprechung der nationalen Verfassungs- bzw. Höchstgerichte.209 Gerade solche Bestimmungen, deren Änderung sogar dem Gesetzgeber entzogen ist oder welche zumindest nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich sind, können erhellenden Aufschluss darüber 202

Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 43. Von Danwitz, EWS 2003, 393, 394; Pache, NVwZ 1999, 1033, 1036 f.; Zuleeg, DVBl. 1992, 1329, 1334. 204 Von Danwitz, EWS 2003, 393, 394. 205 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 44. 206 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 44; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Classen. Art. 114 AEUV, Rn. 110. 207 Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 11. 208 Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 14. 209 Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 12; Streinz-Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14. 203

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

geben, welche Rechtsgüter oder -prinzipien den verfassungsmäßigen Kern eines Mitgliedstaats ausmachen.210 Da nur „grundlegende“ verfassungsmäßige Strukturen Teil der zu achtenden nationalen Identität sind, können lediglich die Grundprinzipien der Staatsorganisation und die Grundwerte des Staates gemeint sein.211 Würde das gesamte Verfassungsrecht der nationalen Identität zugerechnet werden können, so liefe dies insoweit auf eine Aushöhlung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts, welcher auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht Geltung beansprucht, hinaus.212 Aufgrund der textlichen Bezugnahme der nationalen Identität auf die Mitgliedstaaten, liegt es nahe, dass deren Identität zumindest darin gesehen werden muss, dass ihre Staatlichkeit erhalten bleibt.213 Aus deutscher Perspektive dürften die grundlegenden verfassungsmäßigen Strukturen dem entsprechen, was das BVerfG als unantastbare, die europäische Integration begrenzende Verfassungsidentität herausgearbeitet hat.214 Der Begriff der Verfassungsidentität, welcher aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG hergeleitet wird, umfasst neben der Garantie des Bestands der souveränen Staatlichkeit Deutschlands weiterhin ein Kompetenzübertragungsverbot bestimmter besonders identitätsstiftender Regelungsmaterien.215 Das BVerfG sieht es als ein Erfordernis des gem. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 S. 3 und Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlich geschützten Demokratieprinzips an, dass den Mitgliedstaaten „ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen, und sozialen Lebensverhältnisse verbleibt“.216 Im Hinblick auf die die Medien betreffende Regelungszuständigkeit ist bedeutsam, dass das BVerfG u. a. die Ordnung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit als einen unübertragbaren Kern der deutschen Verfassungsidentität ansieht.217 In der Literatur wird verbreitet auch die mitgliedstaatliche Entscheidung, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu unterhalten, als Teil der nationalen Identität angesehen.218 Darüber hinausgehend wird bisweilen auch die gesamte Rundfunkordnung als Beispiel des Ausdrucks nationaler Identität genannt.219 Zur Begründung dieser Auffassung

210

Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 12. Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 30; Streinz-Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14. 212 Haratsch, EuR 2016, 131, 136. 213 Doehring, FS Everling, S. 263, 264. 214 Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 17; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 13. 215 Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 13. 216 BVerfGE 123, 267, 358 (Lissabon). 217 BVerfGE 123, 267, 358 (Lissabon). 218 Dörr, K&R 1999, 97, 101; ders., Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, S. 20; Geiger / Khan / Kotzur-Geiger, Art. 4 EUV, Rn. 3; Schüll, S. 57; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 13. 219 Blechschmitt, S. 167; Hilf, GS Grabitz, S. 157, 168. 211

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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wird u. a. auf das Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten verwiesen, welches die besondere Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse einer jeden Gesellschaft herausstellt.220 Der Schutz politischer Strukturen dürfte mitgliedstaatliche Besonderheiten in den Bereichen der Sozial- und Kulturpolitik umfassen.221 Jedenfalls kommt das Anliegen des Schutzes der Kulturen der Mitgliedstaaten und die Wahrung der nationalen und regionalen Vielfalt primärrechtlich u. a. in Art. 167 AEUV zum Ausdruck. Die Achtung der nationalen Identität bezweckt den Erhalt der Besonderheiten mitgliedstaatlicher Völker innerhalb der EU. Da dieser Aspekt im Rahmen des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips keine Berücksichtigung findet, kommt Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV insoweit eine eigenständige, kompetenzbegrenzende Bedeutung zu.222 Rechtswirkungen kann die Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität der Mitgliedstaaten in zwei Fallkonstellationen erzeugen. Zum einen kann die Missachtung der Verpflichtung die Rechtswidrigkeit einer unionalen Maßnahme bewirken.223 Andererseits kann Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV die Mitgliedsstaaten in eng umgrenzten Ausnahmefällen dazu berechtigen, eine sich aus dem Unionsrecht ergebende Pflicht nicht zu beachten.224 So ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass mitgliedstaatliche Regelungen, welche deren nationaler Identität zuzurechnen sind, Einschränkungen von Grundfreiheiten rechtfertigen können.225 Zudem kann ausnahmsweise auch die teilweise Nichtbeachtung sekundärrechtlicher Pflichten gerechtfertigt sein.226 Die konkretisierende Auslegung der nationalen Identität kann sinnvollerweise nur durch die mitgliedstaatlichen Gerichte erfolgen.227 Auch ist zu bedenken, dass die Achtungsverpflichtung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV dann besonders wirkungsvoll ist, wenn den Mitgliedstaaten selbst die Definition ihrer nationalen Identität vorbehalten bleibt. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich selbst den Inhalt ihrer nationalen Identität festlegen sollten.228 Gleichwohl wird der Begriff der nationalen Identität als unionsrechtlicher Rechts-

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Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 13. Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 31; Streinz-Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14. 222 Geiger / Khan / Kotzur-Geiger, Art. 4 EUV, Rn. 3; Schüll, S. 56. 223 Von Bogdandy / Schill, ZaöRV 70 (2010), S. 701, 726; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 16. 224 Von Bogdandy / Schill, ZaöRV 70 (2010), S. 701, 726; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 16. 225 EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-208/09, ECLI:EU:C:2010:806, Rn. 83 (Sayn-Wittgenstein). 226 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Von Bogdandy / Schill, Art. 4 EUV, Rn. 38 (EL 51: September 2013). 227 Streinz-Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 13. 228 Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 22; Epiney, EuR 1994, 301, 307. 221

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

begriff angesehen.229 So obliegt auch die Definition und Überprüfung der Einhaltung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV dem EuGH.230 Indessen ist der EuGH auch gehalten, den in Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV angelegten mitgliedstaatlichen Definitionsfreiraum im Grundsatz zu respektieren.231 Problematisch ist, wie der EuGH den Konflikt zwischen der notwendig mitgliedstaatlichen Konkretisierung der nationalen Identitäten und der eigenen Zuständigkeit bezüglich der verbindlichen Auslegung des unionsrechtlichen Rechtsbegriffs aufzulösen hat. Es wird vertreten, dass der EuGH die durch die Mitgliedstaaten vorgenommene Konkretisierung der die nationale Identität prägenden Strukturen im Zweifel zu akzeptieren hat. Damit würde sich der Achtungsanspruch der Mitgliedstaaten in einem Konfliktfall gegenüber dem Kompetenzanspruch der EU durchsetzen.232 Teilweise wird dem Begriff der nationalen Identität auch eine Integrationsgrenze entnommen. So dürfe der weitere Integrationsprozess nicht dazu führen, dass die politische und rechtliche Lage in den Mitgliedstaaten so weit verändert wird, dass die Völker der Mitgliedstaaten sich nicht mehr mit ihrem Staat identifizieren können.233 Daher verbiete sich eine Kompetenzverlagerung an die EU in den Bereichen, welche den Kernbereich des Ideengehaltes ausmachen, mit welchen sich die mitgliedstaatlichen Völker identifizieren.234 Angesichts des weithin anerkannten Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht, wird das Achtungsgebot der nationalen Identität, soweit hierunter eine grundsätzlich umfassende hoheitliche Kompetenz der Mitgliedstaaten verstanden wird, von kritischer Seite als Fiktion angesehen.235 Die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten könne aber gleichwohl wirksam zur Geltung gebracht werden, wenn im Falle kompetenzwidrig erlassenen Unionsrechts die innerstaatliche Bindungswirkung auf Betreiben der Mitgliedstaaten außer Kraft gesetzt werden kann.236 In diese Richtung argumentiert auch das BVerfG, wenn es ausführt, dass die Achtungsverpflichtung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV nur dann gewahrt werden könne, wenn es selbst berechtigt ist, ein Handeln der Union darauf hin überprüfen zu können, ob die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen der europäischen Integration eingehalten wurden.237

229

Grabitz / Hilf / Nettesheim-von Bogdandy / Schill, Art. 4 EUV, Rn. 13 (EL 51: September 2013); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 30; Haratsch, EuR 2016, 131, 138; Pernice, AöR 136 (2011), 185, 195; Streinz-Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14. 230 Haratsch, EuR 2016, 131, 138 f.; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 17; Streinz-Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 19. 231 Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 19. 232 Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 22. 233 Bleckmann, JZ 1997, 265, 266. 234 Bleckmann, JZ 1997, 265, 266. 235 Doehring, FS Everling, S. 263, 266, 268. 236 Doehring, FS Everling, S. 263, 268 ff. 237 BVerfGE 123, 267, 354 (Lissabon).

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Demgegenüber gehen andere Autoren davon aus, dass die Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität gegenüber einem Tätigwerden der Union keinen absoluten Schutz vermittelt.238 Dass die nationale Identität der Mitgliedstaaten nicht unantastbar ist, wird dem zurückhaltenden Begriff des „Achtens“ entnommen.239 Die Auslegung unionsrechtlicher Begriffe könne zudem ausschließlich durch den EuGH erfolgen.240 Anderenfalls könne der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht nicht wirksam zur Geltung gebracht werden. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Teilnahme am europäischen Integrationsprozess bereits für sich genommen die nationale Identität verändere.241 Ausgehend von diesen Prämissen wird vorgeschlagen, Zielkonflikte zwischen der Achtung der nationalen Identität und dem Kompetenzanspruch der Union im Wege einer Abwägung i. S. e. Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ausgleich zu bringen.242 Auch die Rechtsprechung des EuGH deutet darauf hin, dass dieser die Achtungspflicht bezüglich der nationalen Identität grundsätzlich lediglich in einen Abwägungsvorgang mit unionsrechtlichen Interessen einstellt.243 Ein grundsätzlicher Vorrang soll der Achtung der nationalen Identität mithin nach dieser Auffassung nicht zukommen.244 Indessen deuten auch die Verfechter einer Abwägungsentscheidung an, dass Eingriffe in den Kernbereich der nationalen Identität regelmäßig unzulässig sein dürften.245 Festzuhalten bleibt, dass die Achtungsverpflichtung Eingriffe der Union in den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Identität weithin anerkannt ausschließt. Andererseits sind nur die grundlegenden verfassungsmäßigen und politischen Strukturen geschützt. Dabei ist nicht zu bestreiten, dass diese grundlegenden Strukturen eng ausgelegt werden müssen, um die einheitliche Geltung und Anwendung des Unionsrechts nicht zu gefährden. In der Sache macht es aber kaum einen Unterschied, ob man den Bereich der von der nationalen Identität geschützten Rechtsgüter und -prinzipien stark einengt, dann aber einer Abwägung mit europäischen Interessen entzieht, oder ob man einen absoluten Schutz derselben zunächst verneint, dann aber gleichwohl einen abwägungsfesten Kernbereich herausschält. Mit der sicherlich zutreffenden dogmatischen Feststellung, dass die nationale Identität 238 Grabitz / Hilf / Nettesheim-von Bogdandy / Schill, Art. 4 EUV, Rn. 35 (EL 51: September 2013); Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 18. 239 Hilf, GS Grabitz, S. 157, 164; Pernice, AöR 136 (2011), 185, 194 (Fn. 34). 240 Pernice, AöR 136 (2011), 185, 195. 241 Hilf, GS Grabitz, S. 157, 164. 242 Von Bogdandy / Schill, ZaöRV 70 (2010), 701, 725; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 18. 243 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Rs. C-391/09, ECLI:EU:C:2011:291, Rn. 87 (Runevic-Vardyn u. Wardyn); EuGH, Urt. v. 16.04.2013, Rs. C-202/11, ECLI:EU:C:2013:239, Rn. 27 (Anton Las). 244 Von Bogdandy / Schill, ZaöRV 70 (2010), 701,725; Hilf, GS Grabitz, S. 157, 165; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 18. 245 Grabitz / Hilf / Nettesheim-von Bogdandy / Schill, Art. 4 EUV, Rn. 35 (EL 51: September 2013); Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 18.

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

ein unionsrechtlicher Begriff ist, ist kaum ein Erkenntnisgewinn verbunden, wenn die Konkretisierung dieses Begriffs notwendigerweise weitgehend von der mitgliedstaatlichen Rechtsprechung abhängig ist. Damit aber einzelne Mitgliedstaaten die Entwicklung des Unionsrechts sowie den Zweck des Verbundes der Mitgliedstaaten nicht ohne zwingende Gründe beeinträchtigen können, sollte die Berufung auf Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV nur in absoluten Ausnahmefällen durchgreifen. In dieser Hinsicht besteht aber unabhängig davon Einigkeit, ob man eine Abwägung nationaler und europäischer Interessen für erforderlich hält oder nicht. Schließlich ist den Blick zu nehmen, dass viele der Werte, welche die mitgliedstaatliche nationale Identität ausmachen, über Art. 2 EUV auch Werte der Union darstellen. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass die Union bei eigenen Maßnahmen diese Werte missachten wird, zumal die Union auch an die GrCh gebunden ist. Man könnte daher die Auffassung vertreten, dass es für die Achtung der nationalen Identität nicht von Bedeutung ist, ob bestimmte Grundrechte oder Allgemeininteressen auf europäischer oder auf nationaler Ebene geschützt werden, sofern diese, unerheblich auf welcher Ebene des unionalen Verbundes, nur überhaupt Berücksichtigung finden. Bedeutung erlangt die Achtung der nationalen Identität aber auch dann, wenn die Eigenstaatlichkeit der Mitgliedstaaten durch eine Fülle von Aufgabenübertragungen an die EU in Gefahr geraten könnte. Mithin wird der Zweck des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV u. a. auch darin gesehen, dass von Seiten der Union garantiert wird, dass die Mitgliedsstaaten als solche fortbestehen werden.246 Ein wesentliches Merkmal eines Staates besteht darin, dass er zur Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber seinen Bürgern berechtigt ist. Natürlich ist hierbei in Rechnung zu stellen, dass diese Hoheitsausübung infolge der Übertragung von Hoheitsrechten an die EU nicht mehr umfassend sein kann. Gleichwohl stellt das BVerfG überzeugend fest, dass die Integrationsgrenze überschritten sein muss, wenn „den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr verbleibt“.247 In dieser Hinsicht gilt es zu berücksichtigen, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt der demokratischen Legitimation bedarf, welche in erster Linie durch die mitgliedstaatlichen Völker vermittelt wird. Dem in längerer Legitimationskette gesetzten Unionsrecht sollte es daher aus Gründen des aus dem Demokratieprinzip (vgl. Art. 2 EUV, welcher die Demokratie als Wert der Union benennt) folgenden notwendigen Legitimationsniveaus hoheitlichen Handelns verwehrt sein, verfassungsrechtliche Grundsätze der Mitgliedstaaten, welche von diesen in besonderem Maße als identitätsprägend angesehen werden, ohne zwingende Notwendigkeit zu übergehen. Es liegt auf der Hand, dass der EuGH das Überschreiten der Integrationsgrenze eines Mitgliedstaats im Rahmen der kompetenziellen Überprüfung des Handelns der Union nicht von sich aus berücksichtigen kann. Deshalb muss es als eine Aufgabe der Mitgliedstaaten angesehen werden, das Überschreiten der Integrationsgrenze geltend zu machen. 246

Bleckmann, JZ 1997, 265; Streinz-Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 19. BVerfGE 123, 267, 358 (Lissabon).

247

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Indessen sollten strenge Anforderungen an eine substantiierte Darlegung der durch unionales Handeln beeinträchtigten nationalen Identität gestellt werden.248 Wären die Mitgliedstaaten hingegen gezwungen, ein Urteil des EuGH zu akzeptieren, welches nach Auffassung des Verfassungs- bzw. Höchstgerichts des betreffenden Mitgliedstaats die nationale Identität nicht hinreichend wahrt, so liefe der Achtungsanspruch des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV Gefahr inhaltlich entleert zu werden. Mithin sollte dem EuGH, zumindest bei der inhaltlichen Konkretisierung des Kerngehalts nationaler Identität, kein eigener Entscheidungsfreiraum zukommen. So steht zu befürchten, dass die freiwillige Mitgliedschaft eines Mitgliedstaats in der EU in Frage gestellt werden könnte, sofern dieser sich hinsichtlich des Schutzes des Kernbereichs seiner nationalen Identität durch den EuGH übergangen fühlt.249 Auch kann nicht angenommen werden, dass die Mitgliedstaaten, auf dessen Betreiben die Achtungsverpflichtung in den EUV Eingang gefunden hat, es dem EuGH zubilligen wollten, dass dieser ohne Bindung an die mitgliedstaatliche Rechtsprechung gleichsam autonom über die Reichweite des Schutzes der jeweiligen nationalen Identitäten zu befinden berechtigt sein soll. Anders als im Verhältnis von Bund und Ländern stellt die EU gegenüber den Mitgliedstaaten keine übergeordnete staatliche Ebene dar. Der EuGH sollte als Organ der EU, anders als ein mitgliedstaatliches Verfassungs- bzw. Höchstgericht, auch nicht mit der Autorität ausgestattet sein, den Mitgliedstaaten einen unfreiwilligen Identitätsverlust aufzwingen zu können. Wenn mitgliedstaatliche Identitätsinteressen durch den EuGH in einen Abwägungsvorgang einbezogen würden, so bestünde zumindest die abstrakte Gefahr, dass der EuGH den Interessen der Union, dessen Organ er ist, stärkeres Gewicht zukommen lässt, als denen des betroffenen Mitgliedstaats. Es ist dann ein Konflikt in der Weise denkbar, dass der EuGH ein unionales Interesse in der Abwägung als gewichtiger bewertet als dem Schutz der nationalen Identität, obgleich der betroffene Mitgliedstaat seinen abwägungsfesten nationalen Identitätsvorbehalt als betroffen ansieht.250 Aus diesem Grund führt auch der in der Literatur gemachte Vorschlag, dass ein Mitgliedstaat erst dann die Integrationsgrenze der eigenen Verfassungsidentität zur Geltung bringen darf, wenn er vorab den EuGH im Wege des Verfahrens nach Art. 267 AEUV mit der Sache befasst hat, nicht weiter.251 Er bleibt nämlich die Antwort schuldig, welchem Gericht die Letztentscheidungsbefugnis zukommen soll, wenn die gewünschte „dialogisch kontruktiv-kooperative Struktur“ zwischen dem mitgliedstaatlichen Gericht und dem EuGH kein einvernehmliches Ergebnis zeitigt.

248

Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 20. Vgl. auch von Bogdandy, EuR 2017, 487, 505. Dieser weist darauf hin, dass sogar der politisch gebilligte Nichtvollzug von Unionsrecht sinnvoll sein kann, um Konfrontationen zu verhüten, welche den Zusammenschluss als solchen gefährden. 250 Haratsch, EuR 2016, 131, 141. 251 Walter, ZaöRV 72 (2012), 177, 197. 249

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Dabei soll nicht verkannt werden, dass die Bindung des EuGH an die mitgliedstaatliche Rechtsprechung einen gewissen Systembruch im Umgang mit einem Rechtsbegriff des Unionsrechts darstellt. Grundsätzlich kommt dem u. a. aus der Loyalitätspflicht des Art. 4 Abs. 3 EUV hergeleiteten Prinzip der einheitlichen Geltung und Anwendung des Unionsrechts besondere Bedeutung zu.252 Nach diesem müssen unionsrechtliche Begriffe grundsätzlich einheitlich ausgelegt werden, damit es nicht in das Belieben der Mitgliedsstaaten gestellt wird, durch eigene Definitionen die Reichweite des Unionsrechts zu begrenzen.253 Dass hier aber ausnahmsweise die Sichtweise der Mitgliedstaaten maßgeblich sein muss, ist indessen auf den erkennbaren Willen der die Union tragenden Mitgliedstaaten zurückzuführen. Die Einfügung der Achtungsverpflichtung in die Unionsverträge deutet darauf hin, dass der eigenständigen Entwicklung des Unionsrechts hier eine äußerste Grenze gesetzt werden sollte. In der Vergangenheit ist zutreffend darauf hingewiesen worden, dass die Mitgliedstaaten nur noch in ihrer Gesamtheit „Herren der Verträge“ sind.254 Seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ist indessen die gegenläufige Tendenz zu beobachten, dass jeder Mitgliedstaat für sich allein wieder die Herrschaft über die Reichweite seiner eigenen vertraglichen Bindungen zurückgewinnen möchte.255 Diese Entwicklung zeigt sich auch in verschiedenen Vorschriften des Primärrechts. Hervorzuheben ist hier Art. 48 EUV, welcher einer Vertragsänderung gegen den Willen auch nur eines einzigen Mitgliedstaats entgegensteht.256 Zum anderen besteht nunmehr die in Art. 50 EUV geregelte Möglichkeit des Austritts eines Mitgliedstaats aus der EU. Insofern kann der Begriff der nationalen Identität als unionsrechtlicher Begriff eigener Art angesehen werden, da er untypischerweise auf die verschiedenen mitgliedstaatlichen Konkretisierungen angewiesen ist. Im Ergebnis sollte die Achtungsverpflichtung daher als absolute Schranke der Kompetenzbegründung der EU angesehen werden. Zwar lässt der EuGH auch in jüngerer Rechtsprechung keinen Zweifel daran aufkommen, dass er an dem Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht festhalten wird.257 Zudem hat der EuGH deutlich gemacht, dass er es ist, welcher über das Eingreifen vorübergehender Ausnahmen vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu befinden hat.258 Gerade aber die Inanspruchnahme des letzten Wortes hinsichtlich der Frage der Kompetenzabgrenzung ist es, welche die Gefahr der Verletzung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten heraufbeschwört. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich ein Konflikt mit dem 252

Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 29. Dörr, K&R 1999, 97, 99. 254 Doehring, FS Everling, S. 263, 267. 255 Ebenso einen schwindenden politischen Integrationswillen feststellend, von Bogdandy, EuR 2017, 487, 492. 256 Calliess / Ruffert-Hans-Joachim Cremer, Art. 48. EUV, Rn. 19. 257 EuGH, Urt. v. 08.09.2010, Rs. C-409/06, ECLI:EU:C:2010:503, Rn 61 (Winner Wetten); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 37. 258 EuGH, Urt. v. 08.09.2010, Rs. C-409/06, ECLI:EU:C:2010:503, Rn 67 (Winner Wetten); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 37. 253

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Anwendungs­vorrang des Unionsrechts gar nicht stellen kann, wenn die Betroffenheit des Kern­bereichs der nationalen Identität bereits der Hoheitsübertragung an die EU entgegensteht. Um gleichwohl die einheitliche Geltung des Unionsrechts zu gewährleisten, sollte eine Unionsmaßnahme, welche den Kernbereich der nationalen Identität auch nur eines Mitgliedstaats verletzt, im gesamten Unionsgebiet als kompetenzwidrig angesehen und im Falle der Einleitung eines entsprechenden Verfahrens durch den EuGH für nichtig erklärt werden. Andererseits findet die Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität durch das Unionsrecht insoweit ihre Grenzen, als diese sich im Rahmen der Werte des Art. 2 EUV bewegen muss.259 dd) Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV In Art. 4 Abs. 3 EUV ist der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verankert. Es ist anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht nur Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Union sondern u. a. auch der Union gegenüber den Mitgliedstaaten begründet.260 Die Loyalitätspflicht der EU gegenüber den Mitgliedstaaten umfasst insbesondere die Verpflichtung, bei der Kompetenzausübung auf die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten Bedacht zu nehmen.261 So kann die Loyalitätspflicht eine Kompetenzausübungsschranke der Union darstellen, welche sie im Einzelfall daran hindert, eine ihr zustehende Kompetenz in Anspruch zu nehmen.262 Die Loyalitätspflicht ergänzt die Achtungsverpflichtung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV bezüglich der nationalen Identität insoweit, als über diese auch solche Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten geschützt sind, welche nicht zu deren nationaler Identität zu rechnen sind.263 Allerdings lässt sich ein praktischer Anwendungsbereich der Loyalitätspflicht im Hinblick auf die Kompetenzausübung der Union angesichts der primärrechtlichen Verankerung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips bezweifeln. So ist bei der Anwendung des Loyalitätsprinzips in der Dimension der Kompetenzausübungsschranke, ähnlich wie beim Verhältnismäßigkeitsprinzip, eine Güterabwägung vorzunehmen.264 Mithin wird das aus der Loyalitätspflicht folgende Gebot der Rücksichtnahme auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten auch

259

Pernice, AöR 136 (2011), 185, 190. Calliess / Ruffert-Wolfgang Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 109; Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 75. 261 Schwarze EU-Kommentar-Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 75. 262 Epiney, EuR 1994, 301, 314. 263 Calliess / Ruffert-Wolfgang Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 110. Kahl erkennt Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt EUV darüber hinausgehend, gegenüber der umfassenderen und in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Rücksichtnahmepflicht, nur deklaratorische Wirkung hinsichtlich des Ausschnitts der nationalen Identität zu. M. a. W. wird die nationale Identität nach dieser Auffassung konstitutiv bereits durch Art. 4 Abs. 3 EUV geschützt. 264 Calliess / Ruffert-Wolfgang Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 111; Heintzen, JZ 1991, 317, 321. 260

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

als besondere Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgefasst.265 Die Güterabwägung wiederum weist Ähnlichkeiten mit der nach Art. 5 Abs. 3 EUV durchzuführenden Subsidiaritätsprüfung auf.266 Somit kann dem Loyalitätsgrundsatz neben der Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität sowie dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine eigenständige kompetenzbegrenzende Wirkung zugesprochen werden.267 ee) Einfluss des Art. 167 AEUV (1) Die Medien und deren Vielfaltsicherung als Kultur i. S. d. Art. 167 AEUV Für Aktivitäten der Union mit kulturellem Bezug ist die Regelung des Art. 167 AEUV von Bedeutung. Art. 167 AEUV bestimmt in seinem Absatz 1, dass die Union einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt unter gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes leistet. Bevor in der Gesamtschau der verschiedenen Absätze des Art. 167 AEUV eine Aussage darüber getroffen werden kann, inwieweit Art. 167 AEUV eine Rechtsetzung der EU im kulturellen Bereich ermöglicht oder diese begrenzt, muss indessen zunächst geklärt werden, inwieweit Medienprodukte dem Kulturbegriff des Art. 167 AEUV und damit dessen Anwendungsbereich unterfallen. Eine primärrechtliche Definition des Kulturbegriffs i. S. d. AEUV existiert nicht.268 Der Kulturbegriff lässt sich aber insoweit einengen, als die an anderer Stelle im AEUV speziell geregelten Bereiche der Bildung, Forschung und technologischen Entwicklung aus dem Kulturbegriff ausgeklammert werden können.269 Art. 167 Abs. 2 AEUV nennt verschiedene kulturelle Dimensionen, in welchen die Union durch ihre Tätigkeit die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten fördert und erforderlichenfalls die mitgliedstaatliche Tätigkeit unterstützt und ergänzt. Im 4. Spiegelstrich des Art. 167 Abs. 2 AEUV werden künstlerisches und literarisches Schaffen einschließlich des audiovisuellen Bereichs genannt. Die dort genannten Bereiche können, trotz aller Schwierigkeiten den Begriff der Kultur zu definieren, jedenfalls als vom Kulturbegriff des Art. 167 AEUV umfasst angesehen werden.270 265

Hailbronner, JZ 1990, 149, 152. Heintzen, JZ 1991, 317, 321. 267 Etwas anderes gilt freilich, wenn man die Kompetenzgrenze, welche sich aus der Achtungspflicht gegenüber der nationalen Identität ergibt, als Ausprägung des Loyalitätsgrundsatzes betrachtet. 268 Calliess / Ruffert-Blanke, Art.  167 AEUV, Rn.  3; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, vor Art. 167 AEUV, Rn. 15. 269 Lenz / Borchardt-Fischer, Art. 167 AEUV, Rn. 4; Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 27. 270 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, vor Art. 167 AEUV, Rn. 15. 266

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Mit der ausdrücklichen Erwähnung des audiovisuellen Bereichs wird u. a. der Rundfunk einschließlich des Hörfunks in Bezug genommen.271 Dabei wird der audio­visuelle Bereich von Art. 167 Abs. 2 4. Spiegelstrich AEUV aber nur insoweit erfasst, als dieser einen künstlerischen oder literarischen Bezug hat.272 So stellt Art. 167 Abs. 2 4. Spiegelstrich AEUV, auch soweit es um den audiovisuellen Bereich geht, allein auf das literarische und künstlerische Schaffen als Prozess der Entstehung von Kunst und Literatur ab.273 Übertragen auf literarische Werke lässt sich festhalten, dass nur der belletristische Bereich in den Anwendungsbereich des Art. 167 Abs. 2 4. Spiegelstrich AEUV fällt, wohingegen Sach- und Fachliteratur hiervon grundsätzlich ausgenommen ist.274 Die Tatsache, dass Beiträge in Medienprodukten mit informierenden und unterhaltenden Charakter nicht dem 4. Spiegelstrich des Absatz 2 unterfallen, bedeutet indessen nicht, dass diese medialen Äußerungsformen dem Kulturbegriff des Art. 167 AEUV insgesamt entzogen sind.275 Art. 167 Abs. 2 AEUV regelt lediglich, für welche kulturellen Bereiche Ergänzungs-, Förder- und Unterstützungsmaßnahmen in Betracht kommen. Damit ist aber nicht gesagt, dass insbesondere i. R. d. Art. 167 Abs. 4 AEUV nicht von einem weiteren Kulturbegriff ausgegangen werden kann, als i. R. d. Art. 167 Abs. 2 AEUV.276 Mithin bleibt zu klären, ob die Gesamtheit der Medienprodukte, unabhängig von von ihrer Einordnung als Kunst oder Literatur, einem weiteren Kulturbegriff i. S. d. Art. 167 AEUV unterfallen. Bei der Konkretisierung des Kulturbegriffs ist bereits umstritten, ob der dieser ein solcher des Unionsrechts ist. Dass es sich bei diesem um einen autonom auf unionsrechtlicher Ebene auszulegenden Begriff handeln soll, wird teilweise kritisch ge­ sehen, da es gerade Zweck der Vorschrift sei, die Vielfalt der Kulturen zu erhalten.277 Überwiegend wird der Kulturbegriff jedoch als solcher des Unionsrechts angesehen.278 Aber selbst wenn man den Begriff der Kultur als solchen des Unionrechts ansieht, kann er gleichwohl nicht in völliger Unabhängigkeit von den mitgliedstaatlichen Vorstellungen bestimmt werden.279 So gilt der Bereich der Kultur als Aus 271

Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 12. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 128 (EL 55: Januar 2015); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, vor Art. 167 AEUV, Rn. 25. 273 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 124, 128 (EL 55: Januar 2015). 274 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 125 (EL 55: Januar 2015); a. A. Schwarze EU-Kommentar-Sparr, Art. 167 AEUV, Rn. 31. 275 Hain, AfP 2007, 527, 532. 276 Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 28. 277 Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 3; Hochbaum, BayVBl. 1997, 641. 278 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, vor Art.  167 AEUV, Rn.  15; Lenz / BorchardtFischer, Art. 167 AEUV, Rn. 4; Schwarze EU-Kommentar-Sparr, Art. 167 AEUV, Rn. 4; Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 26. 279 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, vor Art. 167 AEUV, Rn. 18; Schwarze EUKommentar-Sparr, Art. 167 AEUV, Rn. 4. 272

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

druck der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, welche, wie oben gezeigt, durch die Union geachtet werden muss.280 Durch die Bezugnahme auf die mitgliedstaatlichen Kulturen wird die formale Eigenständigkeit des unionsrechtlichen Kultur­ begriffs nicht in Frage gestellt, sondern es wird lediglich die Tatsache berücksichtigt, dass unionsrechtliche Begriffe häufig einen mitgliedstaatlichen Ursprung haben.281 Auch bringt die Ausrichtung an den mitgliedstaatlichen Kulturen den subsidiären und lediglich ergänzenden Charakter der Kulturpolitik der Union zum Ausdruck.282 Es bietet sich daher an, den Kulturbegriff auch unter Rückgriff auf die klassischen kulturellen Betätigungsfelder der Mitgliedstaaten zu bestimmen.283 Nimmt man diese in den Blick, so wurde jedenfalls der Rundfunk z. B. in der Rechtsprechung des BVerfG seit jeher „zumindest auch als kulturelles Phänomen“ aufgefasst.284 Dabei wird die kulturelle Aufgabe des Rundfunks in Deutschland in einem weiten Sinne verstanden, damit ein möglichst umfassendes Bild vom geistigen Leben in Deutschland vermittelt werden kann.285 In diesem Zusammenhang hat das BVerfG herausgestellt, dass auch Beiträge mit unterhaltenden Charakter Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben können.286 Aber auch in vielen anderen Mitgliedstaaten ist die Kulturpolitik nicht auf die sog. Hochkultur beschränkt, sondern es sind vielmehr auch die Massenmedien Gegenstand nationaler Kulturpolitik.287 Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass die Existenzberechtigung des staatlich organisierten Rundfunks in Italien u. a. daran geknüpft ist, dass dieser die kulturelle Entwicklung des Landes fördert.288 Weiterhin kommt die kulturelle Dimension der Massenmedien im Allgemeinen und des Rundfunks im Besonderen im Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten zum Ausdruck. So heißt es darin, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk u. a. unmittelbar mit den kulturellen Bedürfnissen einer jeden Gesellschaft verknüpft ist. Es erscheint daher überzeugend, i. R. d. Art. 167 AEUV von einem erweiterten Kulturbegriff auszugehen, welcher die gesamten Massenmedien umfasst.289 Eine Differenzierung nach einzelnen Arten von Medien erscheint aufgrund der gleichartigen Funktion sämtlicher Medienprodukte nicht sinnvoll. Es ist daher ein dynamischer, d. h. für neue Formen der Kommunikation aufgeschlossener Kulturbegriff zu Grunde zu legen.290 Für eine umfassende Einbeziehung sämtlicher Medien in 280

Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 3. Helwig, S. 170; Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 29. 282 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167, Rn. 89 (EL 55: Januar 2015). 283 Hain, AfP 2007, 527, 532; Helwig, S. 170; Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 29. 284 BVerfGE 12, 205, 229. 285 Dörr, K&R 1999, S. 97, 100. 286 BVerfGE 12, 205, 260. 287 Hain, AfP 2007, 527, 532. 288 Corte costituzionale, EuGRZ 2003, 499, 500, Ziffer 4. 289 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 89 (EL 55: Januar 2015); Hain, AfP 2007, 527, 532; Helwig, S. 170. 290 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 89 (EL 55: Januar 2015). 281

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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den Anwendungsbereich des Art. 167 AEUV spricht auch, dass sich in den einzelnen Medien Beiträge mit künstlerischen und literarischem Anspruch kaum von solchen mit lediglich unterhaltenden oder informierenden Charakter trennen lassen.291 Die Regulierung der Medien durch die Mitgliedstaaten ist deren Kulturpolitik zuzuordnen, sodass insbesondere auch Maßnahmen der Vielfaltsicherung im Medienbereich dem Kulturbegriff des Art. 167 AEUV unterfallen.292 Damit müssen sich auch etwaige Aktivitäten der Union auf diesem Gebiet an Art. 167 AEUV messen lassen. (2) Möglichkeiten und Grenzen der Harmonisierung Bereits Art. 167 Abs. 1 AEUV bringt zum Ausdruck, dass die Union lediglich berechtigt ist, einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten zu leisten. Dabei soll die nationale und regionale Vielfalt gewahrt werden. Es soll zwar auch das gemeinsame kulturelle Erbe herausgestellt werden, jedoch wird in erster Linie die kulturelle Entfaltung der Mitgliedstaaten und der Regionen in Bezug genommen. Daraus lässt sich folgern, dass der Beitrag der Union nicht auf die Schaffung einer europäischen Einheitskultur gerichtet sein darf.293 Weiterhin kommt durch die Formulierung des „Beitrag-Leistens“ zum Ausdruck, dass die primäre Zuständigkeit zur Regelung kultureller Sachverhalte bei den Mitgliedstaaten liegt.294 Die Zuständigkeit der EU im Kulturbereich lässt sich aufgrund ihres ergänzenden Charakters als parallele Zuständigkeit bzw. als Ergänzungs-, Unterstützungs-, und Koordinierungszuständigkeit i. S. d. Art. 2 Abs. 5 AEUV charakterisieren.295 Eine Konkretisierung des Beitrags der Union i. S. d. Art. 167 Abs. 1 AEUV erfolgt in Abs. 2 und Abs. 3 der Vorschrift.296 Dabei ist umstritten, ob Abs. 2 und Abs. 3 abschließend die Handlungsbefugnisse der EU benennen, oder ob darüber hinausgehend Maßnahmen allein auf Art. 167 Abs. 1 AEUV gestützt werden können.297 Unabhängig von dieser Streitfrage wird aufgrund der Einordnung der Kulturkompetenz der EU als Ergänzungs-, Unterstützungs-, und Koordinierungskompetenz bereits deutlich, dass die Kulturpolitik der Union diese der Mitgliedstaaten keinesfalls ersetzen kann. So bleibt die Union neben dem Erlass von Fördermaßnahmen (Art. 167 Abs. 5 1. Spiegelstrich AEUV) darauf beschränkt, rechtlich nicht bindende Empfehlungen abzugeben (Art. 167 Abs. 5 2. Spiegelstrich AEUV).298 291

Schwarze, ZUM 2002, 89, 91. Blechschmidt, S. 167. 293 Von Danwitz, NJW 2005, S. 529, 531; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 3. 294 Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 42. 295 Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 42. 296 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 4; Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 42. 297 Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 4. 298 Von Danwitz, NJW 2005, S. 529, 531. 292

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Die Handlungsmöglichkeiten der Union könnten aufgrund des Harmonisierungsverbots des Art. 167 Abs. 5 AEUV noch weiter beschränkt sein. Art. 167 Abs. 5 1. Spiegelstrich AEUV regelt ein Verfahren, nach welchem das Europäische Parlament und der Rat zur Verwirklichung der Ziele des Art. 167 AEUV einen Beitrag im Wege von Fördermaßnahmen leisten können. Die Frage, welche Erscheinungsformen von Fördermaßnahmen in Betracht kommen, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird angenommen, dass nur finanzielle Anreize gesetzt werden dürfen.299 Überwiegend wird indessen vertreten, den Begriff der Fördermaßnahmen in einem weiteren Sinne zu interpretieren, sodass eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen in Betracht kommen.300 Angesichts des offenen Wortsinns des Begriffs der Fördermaßnahmen erscheint es überzeugend, hierunter jede Maßnahme zu fassen, welche die Erreichung der Ziele des Art. 167 Abs. 1 bis 3 AEUV befördern soll.301 Von Bedeutung ist weiterhin, dass Fördermaßnahmen nach Art. 167 Abs. 5 1. Spiegelstrich AEUV unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erfolgen haben. Umstritten ist angesichts des Harmonisierungsverbots bereits, ob Fördermaßnahmen in Gestalt eines allgemein verbindlichen Rechtsakts (d. h. einer VO oder einer RL im Gegensatz zu einem nicht an die Allgemeinheit gerichteten Beschluss) ergehen dürfen. Dies wird teilweise mit dem Argument bestritten, dass die Union auf bloße Fördermaßnahmen beschränkt ist.302 Zudem wird darauf hingewiesen, dass es seltsam anmutet, einen Mitgliedstaat zur Inanspruchnahme einer Fördermaßnahme zu verpflichten.303 Hiergegen wird überzeugend eingewendet, dass Fördermaßnahmen nach Art. 167 Abs. 5 1. Spiegelstrich AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.304 Das Ergebnis eines solchen Gesetzgebungsverfahrens ist in Art. 289 Abs. 1 AEUV entweder als Beschluss, Richtlinie oder Verordnung, mithin in Gestalt eines verbindlichen Rechtsakts, vorgezeichnet.305 Weiterhin erscheint die in Art. 167 Abs. 5 1. Spiegelstrich AEUV vorgesehene Anwendung des komplexen ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nur im Falle des Erlasses eines verbindlichen Rechtsakts sinnvoll, da insbesondere nicht einzusehen wäre, weshalb das Europäische Parlament auch nicht verbindliche Maßnahmen blockieren können sollte.306 Sämtliche nicht verbindlichen Maßnahmen lassen sich gesetzes­ 299

Berggreen-Merkel, S. 15. Calliess / Ruffert-Blanke, Art.  167 AEUV, Rn.  18; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 176 (EL 55: Januar 2015); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 45. 301 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 176 (EL 55: Januar 2015). 302 Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 18. Einschränkend, von der Groeben / Schwarze /  Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 45. Dieser hält zumindest solche Aktivitäten der EU für unzulässig, welche schwerpunktmäßig Regelungscharakter aufweisen. Vgl. auch Bergreen-Merkel, S. 15. Diese schließt jedenfalls die Handlungsformen der Richtlinie und der Verordnung aus. 303 Bergreen-Merkel, S. 15. 304 Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 51. 305 Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 51. 306 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 177 (EL 55: Januar 2015). 300

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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systematisch vielmehr unter Art. 167 Abs. 5 2. Spiegelstrich AEUV zusammenfassen, wenngleich dort nur ausdrücklich die Empfehlung als Beispiel einer unverbindlichen Maßnahme genannt wird.307 Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass verbindliche Maßnahmen in Abgrenzung zum 2. Spiegelstrich des Art. 167 Abs. 5 AEUV dem Art. 167 Abs. 5 1. Spiegelstrich unterfallen und mithin möglich sein müssen. Ist der Begriff der Fördermaßnahme also weit zu verstehen und kann dieser auch rechtsverbindliche Maßnahmen umfassen, so fragt sich, welche kompetenzbegrenzende Funktion dem in Art. 167 Abs. 5 AEUV geregelten Harmonisierungsverbot überhaupt noch zukommen kann. Jedenfalls ist dem Harmonisierungsverbot die Bedeutung zu entnehmen, dass es der EU verwehrt ist, zur Verwirklichung der Ziele des Art. 167 Abs. 2 AEUV auf binnenmarktbezogene und sonstige Rechtsangleichungskompetenzen zurückzugreifen.308 Eine unzulässige Umgehung des Harmonisierungsverbots liegt somit vor, wenn nur vordergründig, d. h. mit eigentlich kultureller Zielrichtung, eine Rechtsangleichungskompetenz außerhalb des Art. 167 AEUV in Anspruch genommen wird, um auf diese Weise kulturelle Aspekte regeln zu können.309 Darüber hinaus ist dem Harmonisierungsverbot die Bedeutung beizumessen, dass Art. 167 AEUV der EU nicht als Ermächtigungsgrundlage zur unionsweiten Angleichung mitgliedstaatlicher Regelungen mit kulturellem Bezug zur Verfügung steht.310 Teilweise wird dem Art. 167 Abs. 5 1. Spiegelstrich AEUV weiterhin das Verbot entnommen, Eingriffe in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten im kulturellen Bereich vorzunehmen.311 Auch wird es als Zweck des Verbots angesehen, den Mitgliedstaaten ihre Gesetzgebungssouveränität im kulturellen Bereich zu erhalten.312 In dieser Absolutheit vermögen die beiden letztgenannten Auffassungen zur Reichweite des Harmonisierungsverbots jedoch allein aufgrund des Bedeutungsgehalts der in Art. 167 Abs. 4 AEUV geregelten sog. Querschnittsklausel nicht zu überzeugen. Nach Art. 167 Abs. 4 AEUV trägt die Union bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen der Verträge den kulturellen Aspekten Rechnung, insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt der Kulturen. Diese Regelung macht deutlich, dass es der Union gestattet sein muss, im Rahmen der Inanspruchnahme nicht kultureller Kompetenzen kulturelle Aspekte zu berühren. Bei Regelungen, welche das Funktionieren des Binnenmarkts im Bereich der Medienprodukte gewährleisten sollen, werden regelmäßig kulturelle Aspekte 307

Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 177 (EL 55: Januar 2015). Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 19. 309 Streinz-Niedobitek, Art. 167 AEUV, Rn. 53 und Art. 165 AEUV, Rn. 60. 310 Blechschmidt, S.  167; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 42; Helwig, S. 172. 311 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 179 (EL 55: Januar 2015); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 42. 312 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 181 (EL 55: Januar 2015). 308

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

mit zu berücksichtigen sein. Würde nun aber das Harmonisierungsverbot des Art. 167 Abs. 5 AEUV dahingehend interpretiert, dass es der Union generell verwehrt ist, kulturelle Aspekte im Wege der Rechtsangleichung zu berühren, so machte die Regelung des Art. 167 Abs. 4 AEUV keinen Sinn.313 Zudem ist weder dem EUV noch dem AEUV eine Bereichsausnahme zu entnehmen, welche es der Union verbieten würde, kulturell geprägte Regelungsmaterien zu berühren.314 Somit muss es der Union also gestattet sein, bei der Verfolgung anderer als kultureller Ziele aufgrund anderer als kultureller Ermächtigungsnormen kulturelle Aspekte gleichsam mit zu regeln. Art. 167 Abs. 4 AEUV begründet für die Union sogar die Verpflichtung, bei der Regelung anderer Rechtsbereiche Bedacht auf kulturelle Gesichtspunkte zu nehmen, sofern diese notwendigerweise berührt werden müssen.315 Gleichwohl darf Art. 167 Abs. 4 AEUV nicht dahin verstanden werden, dass diese Regelung der Union eine eigenständige Kulturpolitik ermöglicht.316 Dies folgt aus den Absätzen 1 und 2 des Art. 167 AEUV, welche verdeutlichen, dass die Union gegenüber den Mitgliedstaaten im Kulturbereich überhaupt nur ergänzend zuständig sein kann. Die Verpflichtung des Art. 167 Abs. 4 AEUV hat die Union zu erfüllen, indem sie eine Güterabwägung zwischen dem mit der Maßnahme verfolgten nicht kulturellen Ziel und den kulturellen Aspekten vornimmt.317 Dabei kommt weder dem von der Union verfolgten Ziel, noch den kulturellen Aspekten ein genereller Vorrang zu.318 Teilweise wird angenommen, dass Art. 167 Abs. 4 AEUV der Schonung der mitgliedstaatlichen Kulturkompetenz im Rahmen der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips i. S. d. Art. 5 Abs. 4 EUV besonderes Gewicht verleiht.319 Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob die hinreichende Erfüllung der Pflicht zur Berücksichtigung der kulturellen Aspekte der mitgliedstaatlichen oder der unionalen Beurteilung unterliegt. Teilweise wird angenommen, dass es aus mitgliedstaatlicher Sicht zu beurteilen ist, ob der Verpflichtung des Art 167 Abs. 4 AEUV hinreichend Rechnung getragen wurde. So stelle Art. 167 Abs. 4 AEUV eine immanente Schranke jeder Kompetenzausübung durch die EU dar.320 Von anderer Seite wird eingewendet, dass Art. 167 Abs. 4 AEUV weder die Befugnisse noch die Ziele der Union einschränkt, da sich dieser Regelung ein mitgliedstaatlicher Kulturvorbehalt nicht entnehmen lasse.321 313

Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 19. Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 19; Schwarze, ZUM 2002, 89, 91. 315 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 148 (EL 55: Januar 2015); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 36; Schwartz, Ivo E., AfP 1993, 409, 417. 316 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 37; Schwartz, Ivo E., AfP 1993, 409, 418. 317 Calliess / Ruffert-Blanke, Art.  167 AEUV, Rn.  15; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 36. 318 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 154 (EL 55: Januar 2015); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 38. 319 Schwarze, ZUM 2002, 89, 94 f. 320 Eberle, AfP 1993, 422, 426. 321 Schwartz, Ivo E., AfP 1993, 409, 418. 314

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Für die erstgenannte Auffassung lässt sich argumentieren, dass Art. 167 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck bringt, dass gerade die vielfältigen kulturellen Besonderheiten der Mitgliedstaaten geschützt werden sollen.322 Andererseits wäre die einheit­ liche Wirkung und Anwendung des Unionsrechts gefährdet, wenn die verschiedenen mitgliedstaatlichen Sichtweisen hinsichtlich der Reichweite der aus Art. 167 Abs. 4 AEUV folgenden unionalen Rücksichtnahmeverpflichtungen maßgeblich wären. Berücksichtigt man indessen, dass die mitgliedstaatlichen Kulturen auch im Wesentlichen die verschiedenen nationalen Identitäten prägen, so bietet sich ein Vergleich mit der Achtungsverpflichtung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV an. Bezogen auf den kulturellen Bereich sollte es der Union daher verwehrt sein, den Kernbereich der kulturellen Identität der Mitgliedstaaten anzutasten. Was diesen Kernbereich ausmacht, sollten die Mitgliedstaaten im Grundsatz autonom für sich entscheiden dürfen. Dabei werden aber strenge Anforderungen an die substantiierte Darlegung bestimmter kultureller Aspekte als Teil der unantastbaren nationalen Identität zu stellen sein. Jedenfalls darf die mitgliedstaatliche Berufung auf die Missachtung kultureller Aspekte im Zuge der mit anderer Zielsetzung erfolgten Rechtssetzung der Union nicht insofern rechtsmissbräuchlich erfolgen, als sich hierdurch ohne zwingenden Grund unionsrechtlichen Verpflichtungen entzogen werden soll. Die Zusammenschau der Absätze 4 und 5 des Art. 167 AEUV ergibt, dass es der Union zwar gestattet ist, gleichsam unbeabsichtigt, kulturelle Aspekte im Rahmen von Maßnahmen, welche mit anderer Zielsetzung getroffen werden, zu berühren. Dabei hat sie jedoch eine eine absolute Kompetenzschranke dahingehend zu beachten, dass sie den Kernbereich von im Grundsatz selbst zu definierender kultureller Identität der Mitgliedstaaten unangetastet lassen muss. Wäre es der Union gestattet, allein aufgrund einer binnenmarktbezogenen Zielrichtung den Kernbereich mitgliedstaatlicher Kulturen zu überwinden, so würde dies einer Entwicklung zu einem europäischen Bundesstaat Vorschub leisten. Dass die Mitgliedstaaten zu einer solchen Entwicklung aber nicht bereit sind, zeigt sich gerade an Vorschriften wie Art. 167 AEUV und Art. 4 Abs. 2 EUV, welche auf den Erhalt der mitgliedstaatlichen Vielfalt in Europa gerichtet sind. d) Stellungnahme zur Tragweite der Ermächtigungsgrundlagen aa) Erfordernis einer binnenmarktbezogenen Motivation Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, ist die EU bei der Inan­ spruchnahme binnenmarktbezogener Rechtsangleichungskompetenzen grundsätzlich dazu berechtigt und sogar verpflichtet, nicht wirtschaftliche und für sich 322 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 153 (EL 55: Januar 2015); von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 38.

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

betrachtet in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verbliebene Allgemeinwohlinteressen in diesem Zuge mit zu regeln. Zur Regelung dieser Allgemeinwohlinteressen kann sie indessen nur befugt sein, wenn die Motivation ihres Handelns nicht allein diese Allgemeininteressen selbst sind. In der Literatur wird vertreten, dass die Rechtsangleichung auf den Gebiet des Medienkonzentrationsrechts und insoweit die Sicherung der Medienvielfalt auf europäischer Ebene bereits dann erfolgen muss, wenn der demokratische Kommunikationsprozess abstrakt gefährdet ist.323 Die rechtspolitische Frage, ob angesichts der ins Feld geführten fortgeschrittenen Meinungsmacht europaweit agierender Medienkonzerne ein unionsweites Medienkonzentrationsrecht wünschenswert wäre, soll hier jedoch nicht erörtert werden. Vielmehr soll allein die rechtliche Perspektive in den Blick genommen werden. Für diese gilt, dass ohne Kompetenz ein Handeln der Union nicht erfolgen darf. Wenn jedenfalls von binnenmarktbezogenen Kompetenzen der EU Gebrauch gemacht werden soll, um damit den angenommenen Handlungsbedarf im Hinblick auf die unionsweite Medienvielfaltsicherung zu erfüllen, so müsste dies als Umgehung des Harmonisierungsverbots des Art. 167 Abs. 5 AEUV angesehen werden. Dagegen kann das Tor zur Medienvielfaltsicherung durch die EU dadurch aufgestoßen werden, indem auf Hemmnisse des Binnenmarkts hingewiesen wird, welche durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelungen auf diesem Gebiet entstehen. Manche Autoren sehen bereits das bloße Bestehen von Unterschieden in der mitgliedstaatlichen Vielfaltsicherung als ausreichend an, um eine mittelbare, d. h. auf die binnenmarktbezogenen Harmonisierungskompetenzen zurückzuführende, Zuständigkeit der EU anzunehmen.324 An dieser Stelle ist nochmals in Erinnerung zu rufen, dass das bloße Bestehen von unterschiedlichen Rechtsvorschriften allein nicht ausreicht, um stets ein binnenmarktbezogenes Tätigwerden der Union zu legitimieren. Anderenfalls stünde es im politischen Ermessen der Union, nahezu sämtliche Rechtsunterschiede in Regelungsmaterien, welche einen wirtschaftlichen Bezug aufweisen, zu vereinheitlichen. Ein derart weitreichender Regelungsanspruch der EU wäre mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nicht vereinbar und würde zudem die Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität der Mitgliedstaaten verletzten. Dagegen darf nicht übersehen werden, dass es der Union nach der Rechtsprechung des EuGH bei der finalen Inanspruchnahme ihrer Binnemarktkompetenzen gestattet ist, weitreichend in Regelungsmaterien überzugreifen, welche für sich genommen in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben sind. Insbesondere in seiner Rechtsprechung zum Tabakwerbeverbot hat der EuGH zum Ausdruck gebracht, dass die Inanspruchnahme einer binnenmarktbezogenen Harmonisierungs­ 323

Gounalakis / Zagouras, JZ 2008, 652, 654 f. (insb. Fn. 41). Gounalakis / Zagouras, ZUM 2006, 717, 725.

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III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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kompetenz bereits dann rechtmäßig erfolgt, wenn dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Dabei ist es nach dem EuGH sogar unerheblich, wenn die Zielrichtung des Gesundheitsschutzes ebenso maßgeblich berührt wird, wie diese der Herstellung des Binnenmarkts.325 Somit ist die Stärke des Bezugs zu anderen Regelungsmaterien für den EuGH nicht von Bedeutung.326 Es fragt sich, ob sich diese Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis zwischen europäischer Binnenmarktharmonisierung und dem mitgliedstaatlichen Gesundheitsschutz auf den Kulturbereich übertragen lässt. Zunächst sprechen strukturelle Ähnlichkeiten der Regelungen des Art. 167 AEUV und des Art. 168 AEUV für diese Annahme. So handelt es sich auch bei der Zuständigkeit der EU im Bereich des Gesundheitswesens lediglich um eine solche zur Unterstützung, Koordinierung, und Ergänzung i. S. d. Art. 2 Abs. 5 AEUV.327 Zudem sieht auch Art. 168 Abs. 5 AEUV ein Harmonisierungsverbot vor. Dieses wird bei beiden Regelungen von einer Querschnittsklausel (Art. 168 Abs. 1 AEUV bzw. Art. 167 Abs. 4 AEUV) flankiert, welche es ermöglicht, dass im Zuge der Binnenmarktharmonisierung der vom Harmonierungsverbot umfasste Sachbereich gewissermaßen mit geregelt werden kann. Gegen eine Gleichbehandlung von Art. 168 AEUV und Art. 167 AEUV wird eingewendet, dass die Vorschrift des Art. 167 AEUV, anders als Art. 168 AEUV, in besonderer Weise auf die Erhaltung der Vielfalt der verschiedenen Kulturen der Mitgliedstaaten gerichtet ist.328 Dies werde vor allem an der Fassung der Querschnittsklausel des Art. 167 Abs. 4 AEUV deutlich, welche die Union zur Wahrung und Förderung der Vielfalt der Kulturen verpflichtet.329 Tatsächlich weisen die beiden Querschnittsklauseln einen bedeutenden Unterschied auf. Die Querschnittsklausel des Art. 168 Abs. 1 AEUV verpflichtet die Union zu einem hohen Gesundheitsschutzniveau, welches sie sicherzustellen hat, wenn sie primär aus anderen Gründen als dem Gesundheitsschutz tätig wird und hierbei gleichwohl Gesundheitsschutzbelange berührt. Ergebnis eines Tätigwerdens der Union kann jedenfalls zulässigerweise ein punktuell unionsweit vereinheitlichtes Gesundheitsrecht mit hohem, nunmehr durch die EU vorgegebenem Schutzstandard sein. Dagegen ist im Anwendungsbereich des Art. 167 AEUV zumindest die Schaffung einer vereinheitlichten europäischen Kultur unzulässig. Dem wird entgegengehalten, dass ein unionsweit vereinheitlichtes Medienkonzentrationsrecht die kulturelle Vielfalt eher befördern als beeinträchtigen wird.330 Jedoch wird von anderer Seite bezweifelt, ob es im Rahmen einer unionsweiten Sicherung der Medienvielfalt gelingen kann, auch regionale Vielfaltsaspekte zur Geltung zu bringen.331 325

EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 92 (Tabakwerbung II); EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 88 (Tabakwerbung I). 326 Hain, AfP 2007, 527, 533, Helwig, S. 181 f. 327 Calliess / Ruffert-Kingreen, Art. 168 AEUV, Rn. 4. 328 Hain, AfP 2007, 527, 533. 329 Hain, AfP 2007, 527, 533. 330 Helwig, S. 189. 331 Ritlewski, S. 230.

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Gerade das unbestrittene Erfordernis der Berücksichtigung mitgliedstaatlicher und regionaler Vielfalt ist es aber, welches zu einer Behinderung des Binnenmarkts durch unterschiedliche Regelungen der Vielfaltsicherung führen kann.332 Diese unterschiedlichen Regelungen erscheinen aber notwendig, um den Anforderungen, welche Art. 167 AEUV an die kulturelle Vielfalt stellt, zu genügen. Während ein Gesundheitsschutz auf hohem Niveau auch auf europäischer Ebene denkbar ist, scheinen im Bereich der Kultur die Mitgliedstaaten und Regionen die geeignetsten Akteure zu sein, um ihre erhaltenswerten Besonderheiten wirkungsvoll zur Geltung bringen zu können. So werden auch die Mitgliedstaaten am besten beurteilen können, welche Regelungen erforderlich sind, um ihre kulturelle Vielfalt zu bewahren. Ein einheitlicher europäischer Standard erscheint im Hinblick auf das Ziel, die Vielfalt der Kulturen zu fördern und zu erhalten, hingegen „geradezu abträglich“.333 Natürlich bleibt abzuwägen, ob die Erfordernisse des Binnenmarkts im Einzelfall eine Zurückstellung kultureller Erscheinungsformen gebieten. Bei dieser Abwägung sollte indessen die Querschnittsklausel des Art. 167 Abs. 4 AEUV aufgrund ihrer eindeutigen Bezugnahme auf die Vielfalt der Kulturen als Leitlinie zur bestmöglichen Kulturentfaltung aufgefasst werden.334 Der Schutz der Vielfalt regionaler und mitgliedstaatlicher Kulturen lässt sich naturgemäß am besten auf der Ebene zur Geltung bringen, auf welcher er gefährdet erscheint. Diese Erwägungen gelten nicht im gleichen Maße für den weitaus weniger identitätsprägenden Gesundheitsschutz. Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung des EuGH zum Tabakwerbeverbot auf Aspekte der Medienvielfalt wurde auch damit begründet, dass es beim Schutz der Medien- und Meinungsvielfalt nicht nur um einen kulturellen, sondern auch um einen wirtschaftsbezogenen und demokratiebezogenen Aspekt gehe.335 Diese Auffassung vermag indessen nicht zu überzeugen. Dass andere Aspekte für das Handeln der Union motivationsleitend sind, ist überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass diese kulturelle Gesichtspunkte berühren darf und dass nicht bereits das Harmonisierungsverbot des Art. 167 Abs. 5 AEUV ein Tätigwerden der Union ausschließt. Ebenso verlangt die Querschnittsklausel des Art. 167 Abs. 4 AEUV dass es nicht primär kulturelle Erwägungen sind, welche die EU zum Handeln veranlassen. Dass aber das Ziel der Sicherstellung der Medienvielfalt ein kultureller Aspekt i. S. d. Art. 167 Abs. 4 AEUV ist, dürfte indessen unbestritten sein.336 Weiterhin ist in Rechnung zu stellen, dass Maßnahmen der Medienvielfaltsicherung in höherem Maße geeignet sind, die nationale Identität der Mitgliedsstaaten zu berühren, als dies im Bereich des Gesundheitsschutzes der Fall ist. So kann die 332

Gounalakis / Zagouras, JZ 2008, 652, 657 ff. Lenz / Borchardt-Fischer, 4. Auflage, Art. 151 EGV, Rn. 18 (in aktuelleren Auflagen wird auf die zitierte Formulierung verzichtet). 334 Lenz / Borchardt-Fischer, Art. 167 AEUV, Rn. 11. 335 Helwig, S. 191. 336 So bescheinigt auch Helwig der Medien- und Meinungsvielfaltsicherung eine deutliche kulturelle Prägung. Siehe Helwig, S. 191. Siehe hierzu auch Blechschmidt, S. 167; Schwartz, Ivo E., AfP 1993, 409, 417. 333

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Kulturpolitik als Ausdruck der nationalen Identität der Mitgliedstaaten angesehen werden.337 Damit gilt es im Falle eines Tätigwerdens der Union auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung die Verpflichtung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV zu beachten. Allein diese Verpflichtung würde inhaltsleer, wenn es, wie im Falle des Konflikts mit dem Gesundheitsschutz, unerheblich wäre, dass im Zuge der binnenmarktharmonisierenden Rechtsetzung der EU maßgeblich auch der kulturelle und identitätsprägende Aspekt der Medienvielfaltsicherung berührt wird. Daher sollte es im Konflikt mit kulturellen Aspekten der Mitgliedstaaten nicht lediglich auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einer binnenmarktorientierten Kompetenz ankommen. Zusätzlich sollten Art. 167 Abs. 4 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV als den Anwendungsbereich der Binnenmarktkompetenzen begrenzende Pflichten der Union mit in die Betrachtung einbezogen werden. Mithin lässt sich die auf Art. 168 AEUV bezogene Rechtsprechung des EuGH zum Tabakwerbeverbot nicht auf die Berührung kultureller Aspekte i. S. d. Art. 167 Abs. 4 AEUV übertragen. Es gilt vielmehr zu untersuchen, ob nicht die Regelungen zur Vielfaltsicherung als Kernbereich des Ausdrucks nationaler Identität dem Zugriff der Union schlechthin entzogen sind. bb) Medienvielfaltsicherung als Kernbereich nationaler Identität? (1) Gebot der Zurückhaltung bei der Bestimmung von Kerngehalten Zunächst ist hervorzuheben, dass grundsätzlich Zurückhaltung bei der Zuordnung einer bestimmten politischen oder verfassungsmäßigen Besonderheit eines Mitgliedstaats zu dessen Kernbereich nationaler Identität geboten ist. Dies hat vor allem dann zu gelten, wenn man anerkennt, dass ein Kernbereich nationaler Identität dem Regelungszugriff durch die EU schlechthin entzogen ist. So haben sich die Mitgliedstaaten freiwillig einem Verbund angeschlossen, welcher sich das Erreichen bestimmter Ziele zur Aufgabe gemacht hat. Dabei ist das Errichten des Binnenmarkts gem. Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV ein Ziel des Zusammenschlusses. Unter den verschiedenen Zielen der EU kommt dem Binnenmarktziel eine herausragende Bedeutung zu.338 Dafür, dass dieses Ziel erreicht werden kann, tragen alle Mitgliedstaaten Verantwortung. Allein schon wegen der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU ist es diesen versagt, die Erreichung der gemeinsamen Ziele ohne zwingenden Grund zu beeinträchtigen. Indessen ist auch in den Blick zu nehmen, dass die EU über keine umfassende und originäre Hoheitsgewalt verfügt. Sie ist vielmehr dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung unterworfen. Wäre es ihr stets möglich, Rechtsunterschiede mit 337

Calliess / Ruffert-Blanke, Art. 167 AEUV, Rn. 1. Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 3 EUV, Rn. 22.

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dem Verweis auf das Erfordernis der Errichtung des Binnenmarkts zu beseitigen und dabei noch die bisher von den Mitgliedstaaten wahrgenommenen Allgemeininteressen gleichsam mit zu regeln, so würde das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung weitgehend ausgehöhlt. Deshalb muss der Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität auch mit Blick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung eine kompetenzbegrenzende Wirkung zukommen. Jedoch muss auch die EU wirksam in die Lage versetzt werden, ihre Kompetenzen zielgerichtet wahrnehmen zu können, um auf diese Weise den Zweck des Verbunds zu befördern. Deshalb müssen Kerngehalte nationaler Identitäten, welche einem Regelungszugriff der Union schlechthin entzogen sind, auf wenige Ausnahmefälle begrenzt werden. (2) Einfluss des Amsterdamer Rundfunkprotokolls Die Protokollerklärung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten339 wurde am 02.10.1997 aufgenommen und als Protokoll dem damaligen EG-Vertrag von Amsterdam beigefügt.340 Beweggrund für dieses Protokoll war die kritische Überprüfung der Vereinbarkeit der Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem europäischen Wettbewerbsrecht durch die Europäische Kommission. Mit dem Protokoll verfolgten die Mitgliedstaaten das Ziel, Funktion und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besonders zu würdigen.341 Das Protokoll ist ein solches i. S. d. Art. 51 EUV, sodass es Bestandteil des EUV und des AEUV ist.342 Damit nimmt der Inhalt des Protokolls den Rang des Primärrechts ein, mit der Folge, dass Verstöße gegen den Protokollinhalt Vertragsverletzungen darstellen.343 Allerdings handelt es sich bei dem Protokoll lediglich um eine auslegende Bestimmung mit welcher keine inhaltliche Veränderung der Verträge verbunden ist.344 Das Protokoll bringt zum Ausdruck, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Mitgliedstaaten unmittelbar mit den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen jeder Gesellschaft sowie mit dem Erfordernis verknüpft ist, den Pluralismus in den Medien zu wahren. Konkret wird dieser Erkenntnis dadurch Rechnung getragen, dass den Mitgliedstaaten die Befugnis eingeräumt wird, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren. Hierzu muss die Finanzierung dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dienen. Die Finanzierung darf weiterhin nicht

339

Abgedruckt im Amtsblatt der EU vom 26.10.2012, Nr. C 326/312. Bär, S. 92. 341 Eberle, AfP 2001, 477. 342 Jury, S. 448. 343 Calliess / Ruffert-Schmalenbach, Art. 51 EUV, Rn. 3. 344 Frey, ZUM 1999, 528, 530; Jury, S. 448 f.; Schwarze, ZUM 2000, 779, 796. 340

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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dazu führen, dass die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufen. Bei der Berücksichtigung des gemeinsamen Interesses ist wiederum den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags Rechnung zu tragen. Der Aussagegehalt des Protokolls hinsichtlich der Auflösung des Konflikts zwischen europäischen Wettbewerbs- und mitgliedstaatlichen Vielfaltsicherungs­ interessen wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird dem Protokoll die Aussage entnommen, dass europäisches Wettbewerbsrecht im Hinblick auf die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur noch im Ausnahmefall zur Anwendung kommen kann.345 Tatsächlich bestätigt das Protokoll, dass die Union es zu akzeptieren hat, wenn Mitgliedstaaten dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei der gemeinhin als unerlässlich anerkannten Medienvielfaltsicherung eine wesentliche Rolle zusprechen. In dieser Hinsicht soll es weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu definieren und für die funktionsgerechte Finanzierung der beauftragten Medienanbieter zu sorgen. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass dieser Gestaltungsfreiraum unter dem Vorbehalt steht, dass ein Mindestmaß an Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Handels- und Wettbewerbsinteresse sichergestellt ist. Teilweise wird aus diesem Erfordernis gefolgert, dass der Korridor der mitgliedstaatlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Beauftragung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch das Unionsrecht vorgegeben wird.346 Tatsächlich wird durch das Protokoll der Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht generell von den Vorschriften über das europäische Wettbewerbsrecht ausgenommen.347 Dagegen könnte der auf das gemeinsame Handels- und Wettbewerbsinteresse bezogene Vorbehalt auch lediglich als Missbrauchskontrolle aufgefasst werden.348 Ein Missbrauch könnte etwa dann vorliegen, wenn durch die Aufgabenzuweisung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks private Konkurrenz, insbesondere aus dem EU-Ausland, offensichtlich stärker behindert wird, als dies die Aufgabe der Vielfaltsicherung erfordert. Angesichts der im Übrigen erfolgten Betonung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten erschiene es widersprüchlich, den Organen der EU eine engmaschige wettbewerbsrechtliche Kontrolle der Beauf­ tragung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zuzubilligen. Daher sollte der Union lediglich die Befugnis zukommen, im Falle evidenten Missbrauches der Aufgaben- und Finanzzuweisung einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht festzustellen. So bringt auch die Europäische Kommission zum Ausdruck, dass sie angesichts des Rundfunkprotokolls darauf beschränkt ist, die Definition

345

Eberle, AfP 2001, 477. Frey, ZUM 1999, 528, 530. 347 Jury, S. 452. 348 Jury, S. 452. 346

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf offensichtliche Fehler zu überprüfen.349 Würde die Union umfassenden Einfluss auf die Beauftragung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nehmen können, so stünde dies im Widerspruch zu den oben gefundenen Ergebnissen im Hinblick auf die Verpflichtungen der Union aus Art. 167 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt EUV zur Förderung und Wahrung der Vielfalt der Kulturen bzw. zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. Was die kulturelle Vielfalt eines Mitgliedstaats ausmacht und wie diese durch Vielfalt sichernde Rechtsvorschriften gesichert werden kann, wird sich am besten auf mitgliedstaatlicher Ebene beurteilen lassen. Dasselbe gilt für die Definition des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, welche in Deutschland nach § 11 RStV u. a. darauf verpflichtet sind, einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Es liegt auf der Hand, dass zumindest die Notwendigkeit des umfassenden Überblicks über das nationale und regionale Geschehen weder europäischen Vorgaben unterliegen noch durch das europäische Wettbewerbsrecht überlagert werden sollte. Mit dem Rundfunkprotokoll wollten die Mitgliedstaaten offenbar deutlich machen, dass die Aufgabe der Sicherung der Medienvielfalt als solche, welche nach den mitgliedstaatlichen Konzeptionen zu einem wesentlichen Anteil durch öffentlich-rechtlich beauftragte Medienorganisationen erzielt werden soll, eine Aufgabe ist, welche in der Kompetenz der Mitgliedstaaten zu verbleiben hat. Dabei wird den Unterzeichnern des Protokolls bewusst gewesen sein, dass mitgliedstaatlichen Gestaltungsfreiräumen stets die Gefahr des Missbrauchs inne wohnt. Dies vor allem dann, wenn die Organe der EU keine Möglichkeit haben, diesem Freiraum wirksame und durchsetzbare Grenzen zu setzten. Daher liegt es nahe, dass mit der Bezugnahme auf die gemeinsamen Handels- und Wettbewerbsinteressen herausgestellt werden sollte, dass illoyales und damit Art. 4 Abs. 3 EUV widersprechendes Verhalten bei der Ausübung der primären kulturellen Kompetenzen der Mitgliedstaaten seitens der Union nicht akzeptiert werden muss. Gleichwohl deutet das mehrfache Betonen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten darauf hin, dass diese, welche bei der Ausarbeitung des Protokolls in ihrer Gesamtheit als „Herren der Verträge“ aufgetreten sind, festgehalten wissen wollten, dass die Befugnis zur grundlegenden Ausgestaltung der Medienordnung als Ausprägung ihrer nationalen Identität ausschließlich ihnen zukommt. Die Sicherung der Medienvielfalt ist insofern eng mit dem Demokratieprinzip verwoben, als sie einen Kommunikationsprozess ermöglichen soll, welcher Voraussetzung für eine freie Meinungsbildung und eine daran anknüpfende freie Wahl von Staatsorganen und sonstigen Vertretungskörperschaften ist. Die Frage, welche 349

Mitteilung der Europäischen Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Amtsblatt der EU Nr. C 257/1 vom 27.10.2009, Rn. 48.

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Regelungen erforderlich sind, um einen solchen freien Kommunikationsprozess zu ermöglichen, ist für jedes Gemeinwesen eine Frage von zentraler Bedeutung. Dabei kommt in der Art und Weise, wie dieser eine funktionsfähige Demokratie überhaupt erst ermöglichende Kommunikationsprozesses abgesichert wird, die jeweilige nationale Identität eines Mitgliedstaats zum Ausdruck.350 Zudem variiert auch die Ausgestaltung des Demokratieprinzips in den Mitgliedstaaten erheblich.351 In der konkreten Ausgestaltung des Demokratieprinzips entfaltet sich zulässigerweise die nationale Identität eines jeden Mitgliedstaats. Grenzen dieser Ausgestal­ tung markiert lediglich der Wert der Demokratie i. S. d. Art. 2 EUV. Dessen inhaltliche Ausfüllung sollte an die demokratischen Mindeststandards, welche der EGMR bereits umfassend entwickelt hat und welche als gemeinsame europäische Überzeugung bezeichnet werden können, angelehnt werden. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass sicherlich nicht jede Regelung, welche einen Bezug zur Sicherung der Medienvielfalt aufweist, als Kernbereich der nationalen Identität geltend gemacht werden kann. So wird sich beispielsweise nicht tragfähig begründen lassen, dass Regelungen zur Häufigkeit und Dauer von Werbeunterbrechungen der nationalen Identität eines Mitgliedstaats zuzurechnen sind. Aus dem Rundfunkprotokoll lässt sich aber insoweit ein Kernbereich herausschälen, als die Existenz und Aufgabenbeschreibung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein den Mitgliedstaaten vorbehaltener Bereich bleiben soll. Berücksichtigt man, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen wesentlichen Beitrag für die vielfältige Medienberichterstattung in den Mitgliedstaaten leisten soll, so erscheint es überzeugend, dem Rundfunkprotokoll implizit die weitere Aussage zu entnehmen, dass die mitgliedstaatliche Regelung der Vielfaltsicherung umfassend, und nicht nur bezogen auf den Aspekt der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verbleiben soll. Als unantastbarer Kernbereich der nationalen Identität sollte zumindest die grundsätzliche Regelung der Frage angesehen werden, durch welchen Ordnungsrahmen die Medienvielfalt sichergestellt werden soll. Aus der Anerkennung der Befugnis zur Beauftragung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Mitgliedstaaten kommt über den eigentlichen Anwendungsbereich des Protokolls hinausweisend somit zum Ausdruck, dass grundsätzlich nur die Mitgliedstaaten selbst befugt sein sollen, die Maßnahmen festzulegen, welche als notwendige Voraussetzung für ein vielfältiges Medienangebot angesehen werden. Es spricht weiterhin nichts dafür, dass die Mitgliedstaaten nur dann zur Fest­ legung der Grundzüge der Medienordnung befugt sein sollten, wenn sie mit der Aufgabe der Vielfaltsicherung in herausgehobener Stellung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beauftragen. Dass die Aufgabe der Vielfaltsicherung auch auf andere Weise als durch Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks verwirklicht 350

Ress / Bröhmer, S. 68 f. Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 EUV, Rn. 20.

351

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

werden kann, hat der EGMR in seiner rundfunkbezogenen Rechtsprechung ausdrücklich in Betracht gezogen.352 Es ist daher anzunehmen, dass die Mitgliedstaaten, trotz der ausschließlichen wörtlichen Bezugnahme auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, durch das Rundfunkprotokoll festgestellt wissen wollten, dass die Regelung des grundsätzlichen Ordnungsrahmens der Medienvielfaltsicherung weiterhin ihnen obliegen soll. Die Frage welche Rolle hierbei dem öffentlich-rechtliche Rundfunk zukommt, sollte jedenfalls nicht den Ausschlag darüber geben, inwieweit die Art und Weise der Medienvielfaltsicherung als solche Ausdruck des Kernbereichs nationaler Identität und damit Regelungsgegenstand des Unionsrechts sein kann. (3) Erhalt des Staatscharakters der Mitgliedstaaten Von der Achtungsverpflichtung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV erfasst ist der Erhalt der Staatlichkeit und der Souveränität der Mitgliedstaaten.353 Das BVerfG sieht den Erhalt der Staatlichkeit Deutschlands auch darin bedroht, dass die schlichte Vielzahl von Hoheitsübertragungen oder aber deren Qualität den Staatscharakter Deutschlands aushöhlen könnte.354 Es formuliert, dass der europäischen Vereinigung insoweit Grenzen gesetzt sind, als „den Mitgliedstaaten ausreichender Raum zur Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse verbleiben muss.“355 Zu den wesentlichen Bereichen, welche zur Wahrung der Verfassungsidentität nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben müssen, zählt das BVerfG auch die Frage der Ordnung der Meinungs-, Presse-, und Versammlungsfreiheit.356 Nimmt man in den Blick, dass die vorgenannten Grundrechte sämtlich darauf abzielen, einen freien Meinungsbildungsprozess in der Gesellschaft zu ermöglichen, so liegt es nahe, dass auch grundsätzliche Fragen der Medienvielfaltsicherung, welche dieselbe Zielrichtung verfolgen, einen unübertragbaren kulturellen Kernbereich darstellen. Zwar mag es bedenklich erscheinen, dass ein nationales Verfassungsgericht dem Integrationsprozess dadurch Grenzen setzen kann, dass es sich vorbehält, über die innerstaatliche Bindungswirkung einer Hoheitsrechtsübertragung zu befinden. Andererseits gilt es zu bedenken, dass die Mitgliedstaaten, welche zumindest in ihrer Gesamtheit als „Herren der Verträge“ bezeichnet werden können, die Verträge inhaltlich so ausgearbeitet haben, dass deren nationale Identität seitens der Union zu achten ist und dass einer sog. Kompetenz-Kompetenz der EU durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ein Riegel vorgeschoben wurde. Zudem sollte in Rechnung gestellt werden, dass die EU einen Verbund darstellt, welcher im 352

EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 16. 354 So die Einschätzung von Grabitz / Hilf / Nettesheim-von Bogdandy / Schill, Art. 4 EUV, Rn. 28 (EL 51: September 2013). 355 BVerfGE 123, 267, 357 f. (Lissabon). 356 BVerfGE 123, 267, 358 (Lissabon). 353

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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Interesse der Mitgliedstaaten geschaffen wurde. Bereits aus diesem Grund müssen einer von den Mitgliedstaaten nicht beabsichtigten Verselbständigung der Union Grenzen gezogen sein. Wenngleich die einzelnen Mitgliedstaaten zur Förderung der Ziele des unionalen Verbunds verpflichtet sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV), sollte diese Pflicht nicht so weit reichen, dass ein Mitgliedstaat zur Übertragung auch solcher Kompetenzen gezwungen werden kann, welche dieser nach seiner Verfassungsordnung als unübertragbar ansieht. Die Grenzen der Verselbständigung der EU kommen primärrechtlich durch das in Art. 48 EUV verankerte Einstimmigkeitserfordernis im Falle einer Vertragsänderung zum Ausdruck. Zwar kann nicht geleugnet werden, dass Einstimmigkeitserfordernisse die eigenständige und dynamische Entwicklung der Union lähmen können; eine solche ist indessen von den Mitgliedstaaten gerade nicht gewollt. Würde die Union darauf bestehen, dass binnenmarktbezogene Querschnittskompetenzen sogar solche verfassungsmäßigen Strukturen eines Mitgliedstaats überwinden können, die dieser als Kernbereich seiner nationalen Identität ansieht, so würde dies die Bereitschaft zur Akzeptanz unionsrechtlicher Vorgaben erheblich beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechung des BVerfG, welche nahelegt, dass grundlegende Fragen der Medienvielfaltsicherung als Teil der Verfassungsidentität, bzw. europarechtlich ausgedrückt der nationalen Identität der Bundes­ republik Deutschland, nicht an die Union übertragen werden dürfen, nicht als Verletzung der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Loyalitätspflicht gegenüber der EU anzusehen.

cc) Zusammenfassung Bei der Verbreitung von Medienprodukten ist der Anwendungsbereich verschiedener Grundfreiheiten und damit auch dieser der auf sie bezogenen Querschnittskompetenzen zur Binnenmarktharmonisierung eröffnet. Im Zuge der Rechtsangleichung ist die Union darüber hinaus grundsätzlich ermächtigt, nicht wirtschaftliche Allgemeinwohlziele, wie beispielsweise die Medienvielfaltsicherung, mit zu regeln. Jedoch sind der Rechtsetzung der Union in Bezug auf die Medienvielfaltsicherung besondere, über die allgemeinen Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit hinausweisende Grenzen gesetzt. Diese ergeben sich einerseits daraus, dass es sich bei der Medienvielfaltsicherung um einen kulturellen Aspekt i. S. d. Art. 167 Abs. 4 AEUV handelt, welchem bei der binnemarktbezogenen Harmonisierung Rechnung zu tragen ist. Im Besonderen ist dabei die Wahrung und Förderung der Vielfalt der Kulturen in den Blick zu nehmen. Die Vielfalt der Kulturen lässt sich indessen am wirkungsvollsten auf mitgliedstaatlicher Ebene zur Geltung bringen. Weiterhin darf das Harmonisierungsverbot des Art. 167 Abs. 5 AEUV nicht dadurch umgangen werden, dass in dem Bestreben kulturelle Aspekte zu regeln nur zum Schein auf eine binnenmarktbezogene Kompetenz zurückgegriffen wird. Der Schutz der kulturellen Vielfalt, welcher in Art. 167 AEUV zum Ausdruck kommt,

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

steht im Zusammenhang mit der in Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV geregelten Verpflichtung zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. Um die Achtungsverpflichtung zur Geltung bringen zu können, sollte ein im Grundsatz von den Mitgliedstaaten zu definierender Kernbereich der nationalen Identität in dem Sinne als absolut geschützt gelten, als er nicht zum Regelungsgegenstand des Unionsrechts gemacht werden darf. Die Auslegung des Protokolls über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten streitet dafür, dass die Grundentscheidungen über die Art und Weise der Sicherung der Medienvielfalt von den Mitgliedstaaten als Kernbereich ihrer nationalen Identität aufgefasst werden. Auch die Rechtsprechung des BVerfG zur sog. Identitätskontrolle deutet darauf hin, dass dem Integrationsprozess aus deutscher Perspektive insoweit Grenzen gesetzt sind, als grundlegende Entscheidungen der Medienvielfaltsicherung in der Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland verbleiben müssen. Damit lässt sich festhalten, dass die binnenmarktbezogenen Querschnittskompetenzen der EU diese allenfalls ermächtigen können, Randbereiche der Medienvielfaltsicherung, welche die Mitgliedstaaten nicht hinreichend schlüssig dargelegt als Kernbereich ihrer nationalen Identität geltend machen, zu regeln. 3. Gewährleistungsauftrag aus Art. 11 Abs. 2 GrCh? a) Auftrag zur Medienvielfaltsicherung durch die EU? Art. 11 Abs. 2 GrCh regelt, dass die Freiheit der Medien und ihre Pluralität geachtet werden. Mit der gesonderten Erwähnung der Pluralität der Medien wird zum Ausdruck gebracht, dass neben der Freiheit der Veranstaltung und Verbreitung von Medieninhalten auf der europäischen Ebene ebenso die Medienvielfalt als schützenswertes Gut angesehen wird. Mit der Bezugnahme auf den Medien­pluralismus wird eine Grundrechtsdimension benannt, welche ausschließlich objektiv-recht­ liche Wirkung entfaltet.357 Dies bedeutet, dass nicht etwa ein Individuum Träger eines subjektiven Rechts auf eine vielfältige Medienordnung ist, sondern dass vielmehr der zuständige Hoheitsträger verpflichtet ist, Regelungen zu treffen, welche eine solche gewährleisten.358 Wenn im Unionsrecht ein Gewährleistungsauftrag zum Ausdruck gebracht wird, so fragt sich, ob dieser sich an die Union selbst richten kann. Mit der Achtung der Pluralität der Medien ist im Gegensatz zu Art 11 Abs. 2 1 Alt. GrCh nicht die abwehrrechtliche Dimension eines Medienfreiheitsgrundrechts angesprochen, sondern es wird hierin eine Leistungsdimension des Grundrechts benannt. Grundrechte in ihrer Funktion als Leistungsrechte beinhalten für

357

Feise, S. 125. Demgegenüber betont der EGMR, dass Art. 10 EMRK der Öffentlichkeit auch einen Anspruch vermittelt, mit Informationen und Ideen von allgemeinem Interesse versorgt zu werden. Siehe z. B. EGMR, NVwZ-RR 2014, 48. 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 358

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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den an sie gebundenen Hoheitsträger die Verpflichtung, durch positives Tun als Garant für dieses Grundrecht einzutreten.359 Fraglich ist, ob die Verankerung der Medienvielfalt und die damit einhergehende Herausstellung einer Leistungsdimension der Medienfreiheit in der Grundrechtecharta zur Folge haben kann, dass es der Union gestattet ist, trotz ihrer oben festgestellten eingeschränkten Zuständigkeit, Regelungen zum Schutz der Pluralität der Medien zu erlassen. Eine Antwort auf diese Frage liefert bereits Art. 51 GrCh, welcher den Anwendungsbereich der Charta festlegt. Art. 51 Abs. 1 S. 2 GrCh bringt zum Ausdruck, dass Achtungspflichten bezüglich der in der Charta festgelegten Grundrechte sich nur auf solche Zuständigkeiten beziehen können, welche der Union durch die Verträge bereits übertragen worden sind. Indem auf bereits übertragene Zuständigkeiten Bezug genommen wird, wird klargestellt, dass die Charta selbst keine Zuständigkeiten begründen kann. Dieser Befund wird von Art. 51 Abs. 2 GrCh nochmals klargestellt. So ist dort festgehalten, dass die Charta den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben der Union begründet. Die Zuständigkeitsordnung, welche in den Verträgen festgeschrieben wurde, bleibt durch die Charta also unberührt. Dass die Entwicklung der Unionsgrundrechte keinen Einfluss auf die Zuständigkeitsordnung haben kann, ergibt sich weiterhin aus Art. 6 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 EUV. Damit stellt bereits das Primärrecht mehrfach klar, dass die Formulierung von Grundrechten auf Unionsebene keine kompetenzbegründende Wirkung haben kann.360 Vielmehr verlaufen Grundrechtsschutz und Kompetenz in der Weise parallel, dass die Wirksamkeit von Grundrechten bestehende Kompetenzen voraussetzt.361 Damit bleibt es bei der sich aus der Anwendung der Verträge ergebenden grundsätzlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Medienvielfaltsicherung. Dies ergibt sich zudem aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, welches, wie die o. g. primärrechtlichen Bestimmungen mehrfach klarstellen, durch die Installierung eines europäischen Grundrechtsstandards nicht durchbrochen wird.362 Um dies zum Ausdruck zu bringen, hätte es also des zurückhaltenden Begriffs des „Achtens“ in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh gar nicht bedurft.363 Es bleibt festzuhalten, dass Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh für die Union keinerlei kompetenzbegründende Wirkung hat. Vielmehr muss die Union im Grundsatz die mitgliedstaatliche Ausgestaltung der Medienordnung akzeptieren und die Sicherung der Medienvielfalt dem nationalen Gesetzgeber überlassen.364 359

Calliess / Ruffert-Kingreen, Art. 51 GrCh, Rn. 25. Lindner, DÖV 2000, 543, 547. 361 Calliess / Ruffert-Kingreen, Art. 51 GrCh, Rn. 25; Pernice, DVBl. 2000, 847, 852. 362 Lindner, DÖV 2000, 543, 548. 363 Zur Auslegung des Begriffs des „Achtens“ i. R. d. Art. 11 Abs. 2 GrCh, siehe Stock, EuR 2002, 566, 578 f. 364 Meyer-Bernsdorff, Art. 11, Rn. 19. 360

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Es zeigt sich also am Beispiel von Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh dass auf Unionsebene auch solche Grundrechte geregelt werden, welche nicht in die Zuständigkeit der EU fallen. Dass trotz grundsätzlicher Unzuständigkeit bezüglich eines Sachbereichs Grundrechte geregelt werden, ist in der Literatur auf Kritik gestoßen. So wurde die Befürchtung geäußert, dass die Regelung von Grundrechten zumindest faktisch „kompetenzansaugend“ wirke.365 Auch wird kritisiert, dass die Regelung von Grundrechten in der vagen Erwartung einer künftigen Zuständigkeitserweiterung zu Gunsten der Union der herausragenden Bedeutung der Grundrechte nicht gerecht werde.366 Zudem würden Erwartungen geweckt, welche die Union nicht erfüllen könne.367 Schließlich wird auch die Befürchtung der Mitgliedstaaten, die Union könne über die GrCh ihr mittels der Verträge nicht übertragene Kompetenzen an sich ziehen, angesichts der jüngeren Rechtsprechung des EuGH teilweise für berechtigt gehalten.368 Demgegenüber wird der Charta insoweit eine Signalwirkung zugesprochen, als sie ein Bekenntnis der Union zu den Grundwerten der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte beinhaltet und diese inhaltlich ausfüllt.369 Damit könne ihr Relevanz im Rahmen des Sanktionsverfahrens nach Art. 7 EUV zukommen.370 Berücksichtigt man indessen, dass sich Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh lediglich entnehmen lässt, dass die Union die Pluralität der Medien achtet, so ist der Beitrag zur Konkretisierung der Anforderungen an die Medienvielfalt i. R. d. Art. 2 EUV gering. Dies gilt vor allem deshalb, da es keine konkretisierende Rechtsprechung des EuGH zu Grundfragen der Medienordnung gibt.371 Die binnenmarktbezogenen kompetenziellen Anknüpfungspunkte, welche nach hier vertretener Auffassung medienvielfaltsichernde Fragen nicht im Kern berühren dürfen, lassen auch nicht erwarten, dass der EuGH sich künftig dazu veranlasst sehen kann hierauf näher einzugehen.372 Relevanz könnte Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh aber gleichwohl zukommen, wenn zumindest die Mitgliedstaaten bei ihrer Rechtsetzung an das dort verankerte Bekenntnis zur Vielfalt der Medien gebunden wären.

365

Lindner, DÖV 2000, 543, 549 (Fn. 43). Broß, JZ 2001, 429, 433. 367 Broß, JZ 2001, 429, 433. 368 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schorkopf, Art. 6 EUV, Rn. 55 (EL 51: September 2013). 369 Nicolaysen, EuR 2002, Beiheft 3, 41, 42. 370 Nicolaysen, EuR 2002, Beiheft 3, 41, 42. 371 Streinz-Streinz, Art. 11 GrCh, Rn. 11. 372 A. A. wohl Streinz-Streinz, Art. 11 GrCh, Rn. 11. 366

III. Anknüpfungspunkte für eine Vielfalt sichernde Rechtsetzung 

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b) Bindung der Mitgliedstaaten an Art. 11 Abs. 2 GrCh? Die Frage, inwieweit der objektiv-rechtliche Gehalt des Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh die Mitgliedstaaten verpflichtet, auf nationaler Ebene Maßnahmen zu ergreifen, welche die Medienvielfalt sichern, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh so weit reicht, dass diese hieraus verpflichtet sind, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, welche die Medienvielfalt sicher­ stellen.373 Insbesondere wird dem Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh eine mitgliedstaatliche Verpflichtung entnommen, einer übermäßigen, d. h. der Verwirklichung der Meinungsvielfalt entgegenstehenden, Medienkonzentration Einhalt zu gebieten.374 Bevor aber solche Verpflichtungen aus Art. 11 Abs. 2 2. Alt. CrCh an die Mitgliedstaaten adressiert werden, muss in den Blick genommen werden, dass solche aus Grundrechten hergeleiteten Schutzpflichten stets anderweitig zugewiesene Kompetenzen voraussetzen.375 Legen Grundrechte eine Leistungspflicht nahe, welche der Hoheitsträger aber mangels Kompetenz nicht erfüllen kann, so muss der Schutzgehalt des Grundrechts insoweit leer laufen.376 Dass der Union grundsätzlich keine Kompetenz zur Regelung von Grundfragen der Medienordnung zukommt und dass die Grundrechtecharta ihre Zuständigkeiten auf diesem Gebiet nicht erweitern kann, wurde oben bereits erläutert. Es kommt aber in Betracht, dass die Mitgliedstaaten, trotz der fehlenden Rechtsetzungsbefugnis der EU im Bereich der Medienvielfalt, ihrerseits an die Vorgaben der GrCh gebunden sein könnten. Ansatzpunkt dieser Überlegung ist, dass eine Bindung der Mitgliedsstaaten dadurch eintreten könnte, dass die EU den Mitgliedstaaten im Rahmen eigener, nicht primär auf die Medienvielfalt bezogener, Rechtsetzung nationale Umsetzungsspielräume belassen hat. Bei der Ausfüllung dieser Spielräume könnten die Mitgliedstaaten dann an Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh gebunden sein. Auf diese Weise könnte sich die Einflussnahme der Union bezüglich der Regelung von Grundfragen der Medienordnung, vermittelt über mitgliedstaatliche Verpflichtungen aus der GrCh bei der Ausfüllung nationaler Gestaltungs­freiräume, erweitern. Art. 51 Abs. 1 S. 1 2. Alt. GrCh erklärt diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union für anwendbar. Anwendungsbeispiele der mitgliedstaatlichen Durchführung von Unionsrecht sind die Umsetzung einer Richtlinie oder der administrative Vollzug einer Verordnung.377 I. R. d. Frage des mitgliedstaatlichen Anwendungsbereichs der Grundrechtecharta ist umstritten, 373

Meyer-Bernsdorff, Art. 11, Rn. 19; Streinz-Streinz, Art. 11 GrCh, Rn. 17. Meyer-Bernsdorff, Art. 11, Rn. 19. 375 Jarass, Art. 11 GrCh, 2. Auflage, Rn. 39 (vgl. auch die entsprechende Rn. 25 der 3. Auflage, welche diese Aussage nicht mehr mit gleicher Prägnanz zum Ausdruck bringt). 376 Calliess / Ruffert-Kingreen, Art. 51 GrCh, Rn. 25. 377 Calliess / Ruffert-Kingreen, Art. 51 GrCh, Rn. 8. 374

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

ob diese eine mitgliedstaatliche Bindung auch dann entfaltet, wenn ein Grundrechtseingriff bei der Ausübung eines mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums erfolgt.378 Ebenso wird kontrovers diskutiert, inwieweit mitgliedstaatliche Maßnahmen, welche Grundfreiheiten einschränken, ihrerseits an den Grundrechten der Charta zu messen sind (sog. Schranken-Schranken der Grundfreiheiten).379 Ungeachtet dieser Streitfragen der Anwendbarkeit der Grundrechtecharta für die Mitgliedstaaten gilt es im Hinblick auf die Grundfragen der Sicherstellung der Medienvielfalt zu bedenken, dass es nach hier vertretener Auffassung überhaupt kein Unionsrecht geben kann, welches die Mitgliedstaaten lediglich durchzuführen hätten. Zwar kann es im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarkts zu Regelungen kommen, welche in Teilbereichen eine Vereinheitlichung des Medienrechts in Europa bewirken. Jedoch kann die Rechtsangleichung unter Kompetenzgesichtspunkten nur dann zulässig sein, wenn diese einen wirtschaftlichen Schwerpunkt hat.380 Hierzu muss die EU aber auf ihre wirtschaftsbezogenen Kompetenzen zurückgreifen. Im Zuge der Ausübung dieser Kompetenzen kann es ihr allenfalls möglich sein, für sich betrachtet in mitgliedstaatlicher Kompetenz verbliebene Allgemeinwohlbelange mit zu regeln. Indessen wird es der Union aufgrund der Achtungspflicht bezüglich der nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten nicht möglich sein, diesen auch nur einen ausfüllungsbedürftigen Medienordnungsrahmen vorzugeben. Sofern die Union hingegen berechtigt wäre, den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Ausgestaltung der Medienordnung verbindliche Vorgaben zu machen, so hätte dies zur Folge, dass die nationale Umsetzung als Durchführung des Unionsrechts anzusehen und mithin auch Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh zu beachten wäre. Damit würde die in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh angelegte Schutzpflicht zu einer unionsrechtlich vorgegebenen Verpflichtung der Mitgliedstaaten werden. Auf diese Weise wäre es der Union möglich, über die Grundrechtecharta mittelbar Einfluss auf den Kernbereich der Medienordnungen der Mitgliedstaaten zu nehmen. Dieses Ergebnis stünde jedoch nicht nur im Widerspruch zur Charta selbst, welche insb. in Art. 51 Abs. 2 GrCh verdeutlicht, dass durch sie, auch nicht vermittelt über an die Mitgliedstaaten adressierte Schutzpflichten, eine Zuständigkeitserweiterung der Union nicht erfolgen kann. Es würde weiterhin mittels der inhaltlichen Ausfüllung von Unionsgrundrechten in Bereichen mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten die Achtungspflicht der nationalen Identitäten i. S. d. Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV verletzt. Mithin bleibt festzuhalten, dass eine etwaige Leistungsdimension des Grundrechtes des Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh jedenfalls ins Leere gehen muss, da der Union für eine Regulierung der Medienpluralität als solcher grundsätzlich die Zuständigkeit fehlt und sie ihre fehlende Kompetenz auch nicht durch eine ausufernde Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Charta für die Mitgliedstaaten umgehen darf. 378

Siehe zu dieser Problematik, Calliess / Ruffert-Kingreen, Art. 51 GrCh, Rn. 10 ff. Streinz-Streinz / Michl, Art. 51 GrCh, Rn. 13 ff. 380 Schladebach / Simantrias, EuR 2011, 784, 794. 379

IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU

95

IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU Dass die EU im Hinblick auf die Medienvielfalt nicht umfassend zur Rechtssetzung befugt ist, bedeutet nicht, dass diese Gesichtspunkte der Sicherstellung der Medienvielfalt bei ihrer Rechtsetzung generell unberücksichtigt lassen darf. Zum einen ist die EU sogar dazu aufgerufen, bei der binnenmarktbezogenen Harmonisierung des Medienrechts die besonderen Erfordernisse der Medienvielfalt mit in den Blick zu nehmen und diese insoweit auch zu regeln, als damit nicht der Kernbereich der nationalen Identität berührt wird. Die Grundfragen der Medienvielfaltsicherung dürften indessen diesem Kernbereich zuzurechnen sein, sodass eine aktive Rolle der Union auf diesem Gebiet aus kompetenziellen Gründen nicht möglich ist.381 Dass die Union den Medienpluralismus ihrerseits als Ziel ihrer Politik betrachtet, wird nicht nur in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh deutlich, sondern auf all ihren Handlungsfeldern, welche typischerweise Berührungspunkte zur Medienvielfaltsicherung aufweisen. 1. Rechtfertigung von Eingriffen in Grundfreiheiten Neben den geschriebenen Schranken des Art. 36 AEUV lassen sich seit der sog. Cassis de Dijon-Rechtsprechung des EuGH Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit grundsätzlich auch durch andere aus Sicht der Mitgliedstaaten zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls rechtfertigen.382 Die Rechtfertigungsmöglichkeit aus Gründen des zwingenden Allgemeinwohls lässt sich auf die anderen Grundfreiheiten übertragen.383 Als zwingendes Allgemeinwohlinteresse, welches die Beschränkung einer Grundfreiheit rechtfertigen kann, hat der EuGH mit Bezug zur Dienstleistungsfreiheit die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens anerkannt.384 Mit Blick auf die Warenverkehrsfreiheit hat der EuGH allgemein die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt als Rechtfertigungsgrund eines Eingriffs in Betracht gezogen.385 Dass die Medienvielfalt einen gewichtigen und berücksichtigungsfähigen Gemeinwohlbelang der Unionsrechtsordnung darstellt, wird seit Inkrafttreten der Grundrechtecharta besonders anschaulich an deren Art. 11 Abs. 2 2. Alt. sichtbar. Auch wenn die Gesichtspunkte der Medienvielfalt grundsätzlich geeignet sind, Beschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen, so müssen diese weiterhin im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.386 381

Feise, S. 136. EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. C-120/78, ECLI:EU:C:1979:42, Rn. 8 (Cassis de Dijon). 383 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 45, Rn. 26. 384 EuGH, Urt. v. 05.10.1994, Rs. C-23/93, ECLI:EU:C:1994:362, Rn. 18 f. (TV10); EuGH, Urt. v. 25.07.1991, Rs. C-288/89, ECLI:EU:C:1991:323, Rn. 22 f. (Gouda). 385 EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C-369/95, ECLI:EU:C:1997:325, Rn. 18 (Familiapress). 386 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 45, Rn. 28; dies., S. 49, Rn. 37; dies., S. 53, Rn. 49. 382

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Es darf die Bedeutung der Anerkennung der Medienvielfalt als Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in Grundfreiheiten aber deshalb nicht überschätzt werden, da es im Falle einer zulässigen Inanspruchnahme einer binnenmarktorientierten Harmonisierungskompetenz (z. B. Art. 114 Abs. 1 AEUV, Art. 53 Abs. 1 2. Alt. AEUV) nicht darauf ankommt, ob eine mitgliedstaatliche Maßnahme im Einzelfall eine gerechtfertigte Beschränkung der Grundfreiheiten darstellte. Der Zweck der Harmonisierungskompetenzen besteht gerade darin, solche Handelshemmnisse zu beseitigen, welche durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Schutzniveaus im Hinblick auf ein bestimmtes Allgemeininteresse entstehen. Um diese Handelshemmnisse zu beseitigen, kann der Union i. R. d. Inanspruchnahme einer binnenmarktbezogenen Querschnittskompetenz sogar die Befugnis zukommen, dieses als legitim erkannte Allgemeininteresse selbst zu harmonisieren. Damit schützt die Anerkennung der Medienvielfalt als ein Allgemeininteresse, welches grundsätzlich geeignet ist, Eingriffe in Grundfreiheiten zu rechtfertigen, die diesbezügliche mitgliedstaatliche Kompetenz nicht umfassend. Zur Begrenzung des Regulierungsanspruchs der EU auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung bedarf es vielmehr des Rückgriffs auf weitere Bestimmungen des Primärrechts, welche die kulturelle Vielfalt (Art. 167 AEUV) bzw. die Achtung der nationalen Identität (Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV) schützen. 2. Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) a) Aktuelle Richtlinie Zielrichtung der Richtlinie 2010/13/EU (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste – AVMD-RL)387 ist Errichtung eines Binnenmarkts für alle audiovisuellen Mediendienste, welche dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterfallen.388 Das mit der Richtlinie verfolgte binnenmarktorientierte Ziel ergibt sich bereits aus den in Anspruch genommenen Rechtsgrundlagen der Artikel 53 Abs. 1 und 62 AEUV. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst werden nicht nur das Fernsehen, sondern alle sog. audiovisuellen Mediendienste, welche Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a) der Richtlinie definiert. Aus der grundfreiheitsbezogenen Zielrichtung, welche sich aus der in Anspruch genommen Ermächtigungsgrundlage ablesen lässt, folgt, dass nur dienstleistungs- bzw. niederlassungsfreiheitsrelevante Medienleistungen von der Richtlinie erfasst sind. Somit fallen nicht entgeltlich produzierte Inhalte (z. B. private Internetauftritte und private Internetkommunikation) nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift.389 Weiterhin findet die AVMD-RL keine Anwendung auf elektronische Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften, auf Such-

387

Veröffentlicht im ABl. der EU vom 15.04.2010, Nr. L 95/1. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 214 (EL 55: Januar 2015). 389 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 83, Rn. 8. 388

IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU

97

maschinen sowie auf den Hörfunk.390 Auch ist die Richtlinie gem. Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a)  Ziffer  i) nicht auf solche audiovisuellen Inhalte anwendbar, deren Hauptzweck nicht die Bereitstellung von Sendungen zur Information, Unterhaltung oder Bildung der allgemeinen Öffentlichkeit ist. Der Grund für diesen Ausschluss wird in Erwägungsgrund Nr. 22 der Richtlinie näher ausgeführt. Hiernach soll die Richtlinie für ihre Zwecke die Massenmedien in ihrer informierenden, unterhaltenden, und die breite Öffentlichkeit bildenden Funktion erfassen. Es sollen m. a. W. nur solche Medien reguliert werden, welche einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten. Auch in Erwägungsgrund 45 der Richtlinie wird der Einfluss der audiovisuellen Medien auf die Meinungsbildung herausgestellt. Offenbar tritt zu dem vordergründig am Binnenmarkt orientierten Ziel noch die weitere Zielrichtung hinzu, das Allgemeininteresse der Integrität der als besonders meinungsbildungs­ relevant erachteten Massenmedien auf ein unionsweit angeglichenes Mindestniveau zu heben.391 Die Mitregelung an sich in mitgliedstaatlicher Kompetenz verbliebener Allgemeininteressen ist bei der Rechtssetzung durch die Union geboten, da diese ihrerseits an die Grundrechte der GrCh gebunden ist und daher Belange des Gemeinwohls bei der Regelung wirtschaftlicher Sachverhalte nicht außer Betracht lassen darf. Gerade aber wenn die unionsweite Vorformung der Medienordnungen der Mitgliedstaaten durch das Unionsrecht in Rede steht, ist es ein schmaler Grat zwischen der notwendigen Berücksichtigung von Allgemeinwohlinteressen und der Verletzung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. Die AVMD-RL nimmt indessen grundsätzlich Rücksicht auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten. Einerseits verzichtet die AVMD-RL darauf, Fragen der Medienvielfaltsicherung insoweit zu tangieren, als sie europäische Vorgaben zur Begrenzung der Medienkonzentration aufstellen würde.392 Zudem regelt Art. 4 Abs. 1 AVMD-RL, dass es den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht verwehrt ist, für die ihrer Rechtshoheit unterfallenden Anbieter strengere nationale Rechtsvorschriften in den von der Richtlinie harmonisierten Regelungsbereichen vorzusehen. Selbst einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung dieser strengeren nationalen Vorschriften soll durch die Regelung des Verfahrens nach Art. 4 Abs. 2 bis 5 AVMD-RL vorgebeugt werden. Die von der Richtlinie koordinierten Bereiche, wie etwa die Regelungen zu Werbung, Sponsoring und Produktplatzierung dürften kaum den zu schützenden Kernbereich nationaler Identitäten tangieren. Zudem wird kulturellen Unterschieden dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass die Richtlinie lediglich Mindeststandards vorschreibt.393 Den Mitgliedstaaten verbleibt mithin genügend Spielraum, die Vorgaben der Richtlinie ihrer kulturellen Tradition entsprechend auszufüllen. 390

Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 83, Rn. 8 f. Zur parallelen Zielrichtung von Binnenmarktrealisierung und Medienpluralismus s. a. Erwägungsgrund 34 AVMD-RL. 392 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 214 (EL 55: Januar 2015). 393 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 217 (EL 55: Januar 2015). 391

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

Dass die Richtlinie auf die primäre Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Ausgestaltung der Vielfaltsicherung Bedacht nimmt, kommt in den Erwägungsgründen an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. So heißt es in Erwägungsgrund Nr. 19, offenbar auch mit Blick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dass die Richtlinie nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation und Finanzierung der Sendungen sowie der Programminhalte berührt. Weiter heißt es, dass eigenständige kulturelle Entwicklungen in den Mitgliedstaaten und die Bewahrung der kulturellen Vielfalt damit möglich bleiben. Erwägungsgrund 94 räumt den Mitgliedstaaten entsprechend ihren Rechtstraditionen und etablierten Strukturen einen Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie ein. Auch bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, die Form ihrer unabhängigen Regulierungsstellen zu wählen. Die Förderung des Medienpluralismus wird indessen ausdrücklich als Zielvorgabe der mitgliedstaatlichen Umsetzung genannt. Eine über Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GrCh hinausgehende Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta kann damit jedoch, wie oben ausgeführt, nicht verbunden sein. Insofern kann die in den Erwägungsgründen angelegte Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf den Medienpluralismus, von den sich aus Art. 2 EUV ergebenden Mindestanforderungen an einen freien Meinungsbildungsprozess abgesehen, rechtlich nur eine Appellwirkung entfalten. Jedoch finden sich in der AVMD-RL auch Regelungen, welche darauf gerichtet sind, eine Informationsvielfalt für die Allgemeinheit zu gewährleisten. Zur Wahrung der Vielfalt an Nachrichten und Programmen wurde den Mitgliedstaaten in Art. 14 AVMD-RL die Möglichkeit eingeräumt, Maßnahmen zu ergreifen, mit welchen die allgemeine Empfangbarkeit der Fernsehübertragung bestimmter Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung sichergestellt werden kann. Wie sich aus Art. 14 Abs. 1 der AVMD-RL ergibt, erfolgt die Bestimmung der Ereignisse von herausgehobener Bedeutung durch die Mitgliedstaaten. Zudem wurde den Mitgliedstaaten in Art. 15 AVMD-RL aufgegeben, den in der Union niedergelassenen Fernsehveranstaltern ein Kurzberichterstattungsrecht bei exklusiv übertragenen Ereignissen von großem öffentlichen Interesse einzuräumen. Ob diese an dem Ziel der Informationsvielfalt ausgerichteten Regelungen zu Recht auf die in Anspruch genommen binnenmarktbezogenen Ermächtigungsgrundlagen gestützt werden durften, ist zweifelhaft.394 Zusammenfassend lässt sich gleichwohl festhalten, dass die Richtlinie lediglich inhaltliche Mindestanforderungen formuliert, welche im Wesentlichen die Werte des Art. 2 EUV zur Geltung bringen sollen. Da diese Werte ohnehin allen Mitgliedstaaten gemeinsam und deren Achtung Voraussetzung der Mitgliedschaft in der EU ist, ist hiermit kein relevanter Eingriff in mitgliedstaatliche Kompetenzen

394 Eine Kompetenz der EU zur Regelung des Art. 15 AVMD-RL verneinend, Fink / Keber / Roguski, ZUM 2011, 292, 296. Zweifel andeutend aber offen lassend, Schulz, EuZW 2008, 107, 111.

IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU

99

verbunden. Aus den Erwägungsgründen (insb. Nr. 34, 48. 94) geht hervor, dass das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung bei dem Erlass der Richtlinie als wichtiger Belang erkannt wurde. Die Richtlinie trägt zur Förderung der Medienvielfalt u. a. dadurch bei, indem sie den Mitgliedstaaten mit den Regelungen der Artikel 14 und 15 Möglichkeiten an die Hand gibt, bzw. im Falle des Kurzberichterstattungsrechts diese sogar verpflichtet, ausschließliche Übertragungsrechte zu Gunsten der Informationsvielfalt der breiten Öffentlichkeit zu beschränken. Dass die Union sich bei der Regelung von Aspekten der Medienvielfalt Zurückhaltung auferlegt hat, obgleich sie die Bedeutung derselben erkannt hat, ist offenbar der Respektierung der primären Zuständigkeit der Mitgliedstaaten geschuldet. b) Entwicklungstendenzen Die Europäische Kommission hat am 25.05.2016 einen Vorschlag für eine Neufassung der AVMD-RL veröffentlicht.395 Mit Blick auf das Ziel der Medienvielfaltsicherung ergeben sich in diesem einige Änderungen, welche in nicht unerheb­ lichem Maße die mitgliedstaatlichen Kompetenzen tangieren. So macht Art. 30 des Richtlinienentwurfs den Mitgliedstaaten konkrete Vorgaben bezüglich der Unabhängigkeit ihrer für die Beaufsichtigung der audiovisuellen Medien zuständigen Regulierungsstellen. Es werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine oder mehrere unabhängige nationale Regulierungsstellen zu benennen. Dabei werden auch Mindestanforderungen an die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden dahingehend formuliert, dass diese rechtlich getrennt und funktionell unabhängig von anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen sein müssen (Art.  30 Abs. 1). Zudem müssen die Regulierungsstellen ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausüben sowie ihre Tätigkeit auf die Ziele der Richtlinie, als welche u. a. der Medienpluralismus und die kulturelle Vielfalt verankert werden sollen, ausrichten (Art. 30 Abs. 2). Weiterhin müssen die Mitgliedstaaten die Zuständigkeiten und Befugnisse der unabhängigen Regulierungsstellen eindeutig gesetzlich regeln und sie mit angemessenen Durchsetzungsbefugnissen ausstatten (Art. 30 Abs. 3 und 4). Auch ist hervorzuheben, dass nach dem Richtlinienvorschlag die Regulierungsstellen bei der Durchführung des Unionsrechts weisungsunabhängig sein müssen und dass deren Leitungen einen Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen genießen (Art.  30 Abs. 2 S. 2, Art. 30 Abs. 5). Art. 30a des Entwurfs setzt eine Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA) ein, deren Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, die Europäische Kommission in Angelegenheiten der audiovisuellen Medien zu beraten und zu unterstützen sowie die Zusammenarbeit der nationalen Regulierungsstellen zu fördern (vgl. Erwägungsgrund 35). Diese Gruppe wurde durch

395

Europäische Kommission, COM(2016) 287 final.

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

die Europäische Kommission bereits mit Einsetzungsbeschluss vom 03.02.2014 gegründet.396 Ihre Grundlagen sollen nunmehr auch in der AVMD-RL verankert werden. Die vorgenannten Regelungen sind darauf gerichtet, den staatlichen Einfluss auf die Medienaufsicht zurückzudrängen. Es soll der Gefahr begegnet werden, dass eine kritische Berichterstattung über politische Entscheidungsträger durch eine in die staatliche Machtorganisation eingebundene Medienaufsicht sachlich ungerechtfertigt sanktioniert werden könnte. Die Unabhängigkeit bezieht sich aber auch auf mögliche Einflüsse durch die Medienbranche (vgl. Erwägungsgrund 33). Somit dient die angestrebte Unabhängigkeit sowohl einer unparteiischen Ausübung der Medienaufsicht durch die Regulierungsstellen als auch der Sicherstellung der Medienvielfalt. Dass die Medienvielfalt ein Ziel der Richtlinie ist, wird in Art. 30 Abs. 2 des Entwurfs ausdrücklich benannt. Auch wenn das Ziel der Medienvielfalt inhaltlich zu begrüßen und die Unabhängigkeit der Regulierungsstellen hierfür ein wichtiges Instrument ist, so fragt sich doch, ob die Union hierfür eine entsprechende Regelungskompetenz besitzt. Der Richtlinienentwurf wird erneut auf die binnenmarktbezogenen Harmonisierungskompetenzen der Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV gestützt. Wenn der Entwurf den Medienpluralismus und die kulturelle Vielfalt in gleicher Rangfolge wie den Binnenmarkt in Art. 30 Abs. 2 S. 2 als Ziele der Richtlinie benennt, so drängt sich der Verdacht der Umgehung des in Art. 167 Abs. 5 AEUV geregelten Harmonisierungsverbots auf. Jedenfalls werden weitere für die Mitgliedstaaten verbindliche Regelungen in die AVMD-RL aufgenommen, welche die Zielrichtung der Sicherstellung der Medienvielfalt verfolgen. Es liegt auch nicht auf der Hand, weshalb die Unabhängigkeit von Regulierungsstellen die Realisierung des Binnenmarkts befördern soll. Zwar wird eine kompetente, gut ausgestattete, unparteiische und verlässliche Verwaltung stets das Geschäftsumfeld der Unternehmen, welche der Medienaufsicht unterliegen, verbessern. Wenn Vollzugsdefizite bei der Umsetzung europäischen Unionsrechts in Rede stehen, ist dies aber in erster Linie ein Problem der Rechtsstaatlichkeit des betroffenen Mitgliedstaats. Vollzugsdefizite, welche die Medienvielfalt und damit auch die Funktionsfähigkeit der Demokratie und des Rechtsstaats beeinträchtigen, sind jedoch bereits unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV relevant. Auf derartige Verletzungen kann die Union im äußersten Fall mit dem Verfahren nach Art. 7 EUV reagieren. Jedoch ist es nicht von der binnenmarktbezogenen Angleichungskompetenz der Union gedeckt, dass mit Blick auf die Medienvielfalt präventiv Anforderungen an die Strukturierung der nationalen Medienaufsicht im audiovisuellen Bereich formuliert werden. Bedenkt man, dass nach hier vertretener Auffassung die Ausgestaltung der Medienordnung im Grundsatz in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, so wäre es als Umgehung der Achtungsverpflichtung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV und des Harmonisierungsverbots

396

Europäische Kommission, C(2014) 462 final.

IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU

101

des Art. 167 Abs. 5 AEUV anzusehen, wenn die EU, gestützt auf Binnenmarktkompetenzen, verbindliche Vorgaben für die Organisation der mitgliedstaatlichen Medienaufsicht macht. Erst wenn die Inanspruchnahme der Kompetenzen der Mitgliedsstaaten zu einer Verletzung der Werte des Art. 2 EUV führt, ist die Unionsebene berechtigt, Verpflichtungen zur Abstellung der Verstöße an die Mitgliedstaaten zu adressieren. Art. 2 EUV begründet jedoch ähnlich wie Art. 11 Abs. 2 2. Alt GrCh für die EU keine weiteren Kompetenzen auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung. 3. Art. 31 Universaldienstrichtlinie (UDRL) Art. 31 Abs. 1 der Richtline 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie – UDRL)397 ermächtigt die Mitgliedstaaten den Betreibern elektronischer Kommunikationsnetze, mittels derer Hör- und Fernsehrundfunkdienste öffentlich verbreitet werden, bestimmte Übertragungspflichten aufzuerlegen. Die Auferlegung solcher Übertragungspflichten setzt voraus, dass diese zumutbar sind und dass die in Rede stehenden Kommunikationsnetze von einer erheblichen Anzahl von Endnutzern als Hauptmittel zum Empfang von Hörfunk- und Fernsehrundfunksendungen genutzt werden. Übertragungspflichten kommen damit für die Verbreitungswege Kabel, Satellit und Terrestrik in Betracht.398 Unter Berücksichtigung der sich vervielfältigenden Übertragungsmöglichkeiten von Rundfunkprogrammen wird das Abstellen auf das Kriterium des Hauptmittels zum Empfang jedoch als nicht mehr sach­ gerecht kritisiert.399 Weiter setzt die Anordnung von Übertragungspflichten voraus, dass diese zur Erreichung eines von den Mitgliedstaaten transparent formulierten Ziels von allgemeinem Interesse erforderlich und verhältnismäßig sind. Ziel des Art. 31 UDRL ist es, sicherzustellen, dass die Meinungsvielfalt sowie die regionale und kulturelle Vielfalt für die breite Öffentlichkeit im Rundfunk zum Ausdruck kommt.400 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung die Erhaltung des pluralistischen Rundfunkwesens als Ziel von allgemeinem Interesse i. S. d. Art. 31 Abs. 1 UDRL anerkannt.401 Auch wenn der Wortlaut des Art. 31 UDRL scheinbar strenge Vorgaben an die Verhältnismäßigkeit der Auferlegung einer Übertragungspflicht zu stellen scheint, misst der EuGH einem vielfältigen Rundfunkangebot einen so hohen Stellenwert

397

Veröffentlicht im ABl. der EG vom 24.04.2002, Nr. L 108/51. Wille, ZUM 2007, 89, 91. 399 Wille, ZUM 2007, 89, 95. 400 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 87, Rn. 29. 401 EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-336/07, ECLI:EU:C:2008:765, Rn. 38 (Kabel Deutsch­ land). 398

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

bei, dass bei Kapazitätsengpässen sogar eine Vollbelegung eines Übertragungswegs durch hoheitliche Stellen in Betracht kommt.402 Weiterhin bringt der EuGH zum Ausdruck, dass Art. 31 UDRL kein Recht begründet, die zu übertragenden Kanäle frei zu wählen, sondern dass in den mitgliedstaatlichen Regelungen zur Aufrechterhaltung eines vielfältigen Rundfunkangebots vielmehr eine Grenze der binnenmarktorientierten Harmonisierung von Telekommunikationsdienstleistungen zu erblicken ist.403 Art. 31 UDRL gilt damit als weiteres Beispiel dafür, dass die Union sich der Bedeutung der Medienvielfalt bewusst ist und sich zum Zwecke der Realisierung derselben seitens der als zuständig erkannten Mitgliedstaaten Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme binnenmarktorientierter Querschnittskompetenzen auferlegt. Gerade unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich aus Art. 31 UDRL eine Stärkung mitgliedstaatlicher Handlungsbefugnisse im Hinblick auf die Berücksichtigung von Erfordernissen der Medienvielfaltsicherung.404 4. Ausnahme vom Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle Eine Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme von Kompetenzen seitens der Union kommt auch im europäischen Recht der Unternehmenszusammenschlüsse zum Ausdruck. So sieht Art. 21 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 139/2005 (Fusions­kon­ trollverordnung – FKVO)405 grundsätzlich vor, dass die Mitgliedstaaten ihr inner­ staatliches Recht nicht auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung anwenden dürfen. Nach Art. 21 Abs. 4 Unterabs. 1 können die Mitgliedstaaten jedoch geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen als der­ jenigen treffen, welche in der FKVO berücksichtigt werden. Da es sich um Interessen außerhalb des Regelungszwecks der FKVO handeln muss, können nur solche Interessen Berücksichtigung finden, welche nicht das Funktionieren des wirtschaftlichen Wettbewerbs betreffen.406 Damit müssen im nationalen Wettbewerbsrecht verortete Sonderregeln selbst dann unberücksichtigt bleiben, wenn sie, wie im Falle der Pressefusionskontrolle, einen Bezug zu nicht wirtschaftlichen Zielen aufweisen.407

402 EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-336/07, ECLI:EU:C:2008:765, Rn. 56 (Kabel Deutsch­ land). 403 EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-336/07, ECLI:EU:C:2008:765, Rn. 34 (Kabel Deutsch­ land). 404 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 88, Rn. 29. 405 Veröffentlicht im ABl. der EG vom 29.01.2005, Nr. L 24/1. 406 Immenga / Mestmäcker-Körber, Art. 21 FKVO, Rn. 25. 407 Immenga / Mestmäcker-Körber, Art. 21 FKVO, Rn. 31.

IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU

103

Voraussetzung der Berücksichtigungsfähigkeit mitgliedstaatlicher Interessen ist weiterhin, dass diese mit den allgemeinen Grundsätzen und übrigen Bestimmungen des Unionsrechts vereinbar sind. Art. 21 Abs. 4 Unterabs. 2 2. Alt. FKVO erkennt die Medienvielfalt ausdrücklich als ein Interesse an, welches mitgliedstaatliche Schutzmaßnahmen erlaubt. Damit bleiben mitgliedstaatliche Maßnahmen, welche zum Schutz der Medienvielfalt ergehen, anwendbar, sodass die FKVO keine Einschränkung der nationalen Handlungsspielräume auf diesem Gebiet bewirken kann.408 Es bleibt den Mitgliedstaaten somit unbenommen einen Unternehmenszusammenschluss aus Gründen der publizistischen Vielfaltsicherung zu verbieten, auch wenn dieser aus der Perspektive des europäischen Wettbewerbsrechts als unbedenklich einzustufen ist. Da das Schutzgut der Medienvielfalt geeignet ist Eingriffe in Grundfreiheiten zu rechtfertigen und zudem seinen Niederschlag in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh gefunden hat, kann grundsätzlich angenommen werden, dass mitgliedstaatliche Fusionsverbote zum Schutz des publizistischen Wettbewerbs auch im Übrigen mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Auch die ausdrückliche Anerkennung des Interesses der Medienvielfalt in der FKVO selbst deutet darauf hin, dass den Mitgliedstaaten ein erheblicher Spielraum bei der Beurteilung der Frage eingeräumt werden sollte, ob ein Unternehmenszusammenschluss mit nicht hinnehmbaren negativen Folgen für die Medienvielfalt verbunden ist. Insofern kann der Vorbehalt, dass die Berücksichtigung eines mitgliedstaat­ lichen Interesses im Übrigen mit dem Unionsrecht vereinbar sein muss, als Missbrauchskontrolle in dem Sinne aufgefasst werden, dass die Mitgliedstaaten nicht ohne substantiierte Darlegung des anerkannten Interesses die Verwirklichung des europäischen Wettbewerbsrechts vereiteln dürfen. Jedenfalls wird auch anhand der FKVO deutlich, dass die Union das Schutzgut der Medienvielfalt als ein derart wichtiges Allgemeinanliegen erkannt hat, dass dieses sogar der Verwirklichung der einheitlichen Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts entgegenstehen kann. Dies ist insofern bemerkenswert, da die Errichtung des Binnenmarkts, zu deren Verwirklichung auch die Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts zu rechnen sind, in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EUV als Ziel der Union benannt wird. Trotz dieser Zielsetzung erkennt die Unionsebene die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten an, als zwingend erachtete Erfordernisse der Medienvielfaltsicherung unbeeinflusst von Binnenmarkterwägungen regeln zu können.

408

Bär, S. 109.

104

B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

5. Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Die ehemalige Gebühren- und heutige Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war Gegenstand eines durch die Europäische Kommission eingeleiteten beihilferechtlichen Prüfverfahrens.409 Im Rahmen dieses Verfahrens war die Frage zu beurteilen, inwieweit die Gebühren- bzw. Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland eine nach Art. 107 Abs. 1 AEUV unzulässige Beihilfe darstellt. Art. 107 Abs. 1 AEUV formuliert ein grundsätz­ liches Verbot staatlicher oder aus staatlichen Mitteln gewährter Beihilfen, welche den Wettbewerb durch eine Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige verfälschen und damit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Zumindest im Zeitpunkt des gegen Deutschland eingeleiteten beihilferechtlichen Prüfverfahrens war die Frage, ob die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem Staat zurechenbaren Mitteln erfolgt, noch umstritten.410 Mittlerweile dürfte sich die staatliche Zurechenbarkeit i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV angesichts der Rechtsprechung des EuG, welche darauf abstellt, dass der Staat den Abgabe­ tatbestand, die Art und Weise des Einzugs und die Verteilung der Rundfunkabgaben kontrolliert, kaum noch bestreiten lassen.411 Die seitens der EU notwendige Respektierung der die Medienvielfalt sichernden Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter kann indessen in zwei­facher Hinsicht zu Ausnahmen in der Anwendung des europäischen Beihilferegimes führen. Einerseits kann in Zweifel gezogen werden, ob das für die tatbestandliche Annahme einer Beihilfe konstituierende Merkmal der Begünstigung vorliegt. Weiterhin könnte die Finanzierung der an Allgemeininteressen orientierten Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Ausnahme in der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts nach Art. 106 Abs. 2 AEUV erfordern. Die Aufgabendefinition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist insofern für die tatbestandliche Annahme einer Begünstigung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV von Bedeutung, als eine Begünstigung nur dann vorliegt, wenn durch den staatlich veranlassten Geldzufluss für das betroffene Unternehmen ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne einer Besserstellung gegenüber anderen Unternehmen erzielt wird.412 Problematisch ist, ob im Falle der Beauftragung eines Unternehmens mit einer Gemeinwohlaufgabe eine Begünstigung überhaupt angenommen werden kann, wenn durch die staatlich gewährten Mittel lediglich die finanziellen Belastungen,

409

Siehe hierzu, Hahn / Vesting-Eifert, § 11 RStV, Rn. 10a ff. Siehe zu dieser Problematik, Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 73 f., Rn. 117 ff. 411 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-329/04, T-336/04, ECLI:EU: T:2008:457, Rn. 158 f. (TV2/Danmark). Zustimmend, Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 74 f., Rn. 119. 412 Immenga / Mestmäcker-Mestmäcker / Schweitzer, Band 3, Art. 107 AEUV, Rn. 39. 410

IV. Berücksichtigung der Medienvielfalt durch die EU

105

welche durch die Aufgabenübertragung entstehen, ausgeglichen werden sollen.413 Man könnte die Auffassung vertreten, dass die Finanzierung des öffentlich-recht­ lichen Rundfunks lediglich die finanziellen Nachteile ausgleicht, welche durch die Erfüllung des öffentlichen Auftrags entstehen. Die Anforderungen, welche an den Ausschluss einer Begünstigung zu stellen sind, hat der EuGH in seiner sog. Altmark Trans-Entscheidung präzisiert.414 Eine Voraussetzung des Ausschlusses einer Begünstigung wegen der bloßen Kompensation einer Belastung ist diese, dass das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein muss. Weiterhin müssen diese Verpflichtungen klar definiert sein.415 Das Erfordernis einer deutlichen Beschreibung der Gemeinwohlverpflichtung ergibt sich auch im Falle der Anwendung des Art. 106 Abs. 2 AEUV. Hiernach kann unter bestimmten Voraussetzungen für Unternehmen, welche mit einer Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, eine Freistellung von der Anwendung der Beihilfevorschriften erfolgen. Von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sind solche Tätigkeiten, mit welchen bestimmte von der Union oder den Mitgliedstaaten auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen verbunden sind.416 Es muss sich indessen auch um eine wirtschaftliche und nicht lediglich um eine Tätigkeit mit ausschließlich karitativer, sozialer oder kultureller Zweckrichtung handeln.417 Dass die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine solche von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV darstellt, wird nicht in Zweifel gezogen.418 Die Frage der Abgrenzung zwischen dem Nichtvorliegen einer Begünstigung und dem Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 106 Abs. 2 AEUV kann sich im Einzelfall schwierig gestalten, wobei strengere Anforderungen an die tatbestandliche Verneinung einer Beihilfe zu stellen sind, als an eine Rechtfertigung nach Art. 106 Abs. 2 AEUV.419 Festhalten lässt sich, dass die Nichtanwendung des europäischen Beihilferegimes, unabhängig davon, ob man bereits das tatbestandliche Vorliegen einer Beihilfe verneinen oder das Eingreifen der Ausnahmevorschrift des Art. 106 Abs. 2 AEUV annehmen möchte, jedenfalls voraussetzt, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lediglich die Kosten der Beauftragung abdeckt. Grundsätzlich verlangt das Beihilferecht diesbezüglich eine klare Aufgabendefinition. Hier entsteht indessen ein Konflikt mit dem deutschen Rundfunkverfassungsrecht, welches eine weitgehende Staatsferne bei der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfordert.420 Es stünde dem Prinzip der Staatsferne entgegen, wenn

413

Immenga / Mestmäcker-Mestmäcker / Schweitzer, Band 3, Art. 107 AEUV, Rn. 124. EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00, ECLI:EU:C:2003:415, Rn. 89 ff. (Altmark Trans). 415 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00, ECLI:EU:C:2003:415, Rn. 89 (Altmark Trans). 416 Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 59, Rn. 73. 417 Bartosch, EuZW 1999, 176, 179 f.; Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 59, Rn. 74. 418 EuG, Urt. v. 26.06.2008, Rs. T-442/03, ECLI:EU:T:2008:228, Rn. 197 ff. (SIC); Bartosch, EuZW 1999, 176, 178; Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 59, Rn. 75. 419 Immenga / Mestmäcker-Mestmäcker / Schweitzer, Band 3, Art. 107 AEUV, Rn. 131. 420 Hahn / Vesting-Eifert,§ 11 RStV, Rn.  17; Paschke / Berit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 72, Rn. 114. 414

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B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

der Gesetzgeber im Rahmen der Beauftragung die durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu liefernden Inhalte detailliert festlegte. Es fragt sich daher, inwieweit die Organe der EU bereit sind, die mitgliedstaatlichen Medienordnungen als Begrenzungen des europäischen Wettbewerbsrechts zu akzeptieren. Zur der Beantwortung dieser Frage ist das Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten heranzuziehen. In diesem wird ausgeführt, dass es in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt, den öffentlichen Auftrag, welcher den Rundfunkanstalten übertragen wird, festzulegen. Im Rahmen dieses Auftrags sind die Mitgliedstaaten auch befugt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren. Indessen kann dem Protokoll, welches lediglich eine auslegende und keine vertragsändernde Bestimmung darstellt, nicht die Wirkung entnommen werden, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Wege einer generellen Bereichsausnahme dem europäischen Beihilferegime generell entzogen ist.421 Daher sind seitens der Union nur solche aus der Beauftragung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks resultierenden Wettbewerbsverzerrungen hinzunehmen, welche sich auf das zur Zweckerreichung unumgängliche Maß beschränken.422 Berücksichtigt man indessen, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich selbst befugt sind, festzulegen auf welche Weise sie ihre Kultur mittels des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wahren und fördern möchten, so reduziert sich die beihilferechtliche Kontrollbefugnis der Europäischen Kommission auf eine bloße Missbrauchskontrolle.423 Die Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union (EuG, vor dem Vertrag von Lissabon als Gericht Erster Instanz bezeichnet) geht ebenfalls von einem weiten Gestaltungsfreiraum der Mitgliedstaaten aus, im Rundfunkbereich Dienstleistungen von allgemeinem Interesse festzulegen. So ist es den Mitgliedstaaten unbenommen, ein breit gefächertes Rundfunkprogrammangebot selbst dann insgesamt als Dienstleistung i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV zu definieren, wenn über die Sendetätigkeit hinaus noch kommerzielle Tätigkeiten wie insbesondere der Verkauf von Werbeblöcken ausgeübt werden.424 Obgleich der öffentlich-rechtliche Rundfunk neben der öffentlichen Finanzierung weiterhin Werbeeinnahmen verzeichnet, ist er nicht darauf beschränkt, ausschließlich nicht rentable Sendungen auszustrahlen.425 Das EuG verweist zwar auf die Wichtigkeit, dass die Einhaltung der aus dem öffentlich-rechtlichen Auftrag resultierenden Anforderungen wirksam kontrolliert wird. Denn nur wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk die an ihn gestellten qualitativen Anforderungen tatsächlich erfüllt, kann eine Ausnahme von der Anwendung des 421

Paschke / Berlit / Meyer-Oeter / Dienelt, S. 71, Rn. 112. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 165 (EL 55: Januar 2015). 423 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ress / Ukrow, Art. 167 AEUV, Rn. 165 f. (EL 55: Januar 2015). 424 EuG, Urt, v. 26.06.2008, Rs. T-442/03, ECLI:EU:T:2008:228, Rn. 204 (SIC). 425 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-329/04, T-336/04, ECLI:EU: T:2008:457, Rn. 109 (TV2/Danmark). 422

V. Zusammenfassung

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europäischen Wettbewerbsrechts sachlich gerechtfertigt sein.426 Andererseits macht das Gericht deutlich, dass diese Kontrolle nur durch die Mitgliedstaaten selbst erfolgen kann.427 Auch die Europäische Kommission, welche die Beihilfeaufsicht ausübt, erkennt an, dass die Definition des öffentlichen Auftrags der Rundfunkanstalten in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.428 Insgesamt lässt sich damit auch im Bereich des europäischen Wettbewerbsrechts das Bemühen der Unionsorgane erkennen, mitgliedstaatliche Kompetenzen im Bereich der Medienvielfaltsicherung unangetastet zu lassen. Jedoch sind die Mitgliedstaaten gehalten, plausibel zu machen, weshalb bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Beihilfevorschriften ausnahmsweise keine Anwendung finden sollen. Indem das Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten auf das gemeinsame Interesse der Handels- und Wettbewerbsbedingungen hinweist, wird verdeutlicht, dass die Beauftragung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Mitgliedstaaten nicht dahin missbraucht werden darf, dass die Wettbewerbsbedingungen der privaten Medienanbieter ungerechtfertigt beeinträchtigt werden. So sind nur solche Wettbewerbsverzerrungen legitimiert, welche notwendig sind, damit der öffentlichrecht­liche Rundfunk seinen Auftrag erfüllen kann. Da indessen die Mitgliedstaaten allein für die Auftragsdefinition ihres öffentlich-rechtlichen Rundfunks zuständig sind, muss die Beihilfeaufsicht insofern aber auf eine Missbrauchskontrolle beschränkt bleiben.

V. Zusammenfassung Der EU steht keine begrenzte Einzelermächtigung zum Zwecke der Regelung von Aspekten der Medienvielfaltsicherung zur Verfügung. I. R. d. Art. 167 AEUV ist sie auf Fördermaßnahmen zur Ergänzung der mitgliedstaatlichen Kulturpolitik beschränkt. Indessen darf sie, soweit unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelungen die Verwirklichung des Binnenmarkts beeinträchtigen, Maßnahmen zur Rechtsangleichung erlassen. Dabei ist es ihr, wie in Art. 167 Abs. 4 AEUV zum Ausdruck kommt, erlaubt, auch kulturelle Angelegenheiten zu berühren. Motivation zum Erlass eines harmonisierenden Rechtsakts muss jedoch die Realisierung des Binnenmarkts selbst sein. Würden kulturelle Erwägungen, wie die Sicherstellung der Medienvielfalt, leitendes Motiv sein, so wäre hierin eine unzulässige Umgehung des in Art. 167 Abs. 5 AEUV geregelten Harmonisierungsverbots zu sehen. Aber selbst wenn die Union zur Verwirklichung des Binnenmarkts kulturelle Allgemeinwohlbelange mit regelt, sind ihr diesbezüglich Grenzen gesetzt. So muss 426

EuG, Urt, v. 26.06.2008, Rs. T-442/03, ECLI:EU:T:2008:228, Rn. 211 (SIC). EuG, Urt, v. 26.06.2008, Rs. T-442/03, ECLI:EU:T:2008:228, Rn. 212 (SIC). 428 Mitteilung der Europäischen Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ABl. der EU vom 29.10.2009, Nr. C 257/1, Rn. 44. 427

108

B. Die Medienvielfalt im Rechtsraum der Europäischen Union 

sie nach Art. 167 AEUV die kulturelle Vielfalt der Mitgliedstaaten wahren und darüber hinaus wird ihre Regelungskompetenz durch die Achtungspflicht bezüglich der nationalen Identität der Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV begrenzt. Im Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten kommt zum Ausdruck, dass die Mitgliedstaaten die Aufgabenbeschreibung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Teil Ihrer nationalen Identität auffassen. Es lässt sich hieraus der weitere Schluss ziehen, dass auch die Regelung der Grundfragen der Vielfaltsicherung den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben soll. Dass die Mitgliedstaaten zumindest in ihrer Gesamtheit als Vertragsparteien befugt sind, den Regulierungsanspruch der von ihnen gegründeten und weiter zu entwickelnden Union zu begrenzen, kann jedenfalls nicht bezweifelt werden. Insofern steht die Inanspruchnahme einer auf den Binnenmarkt bezogenen Rechtsangleichungs­kompetenz unter dem Vorbehalt der Achtung der nationalen Identität, zu deren Konkretisierung die Mitgliedstaaten durch das Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten einen Beitrag geleistet haben. Auf der anderen Seite gebietet die Loyalitätspflicht des Art. 4 Abs. 3 EUV dass die Mitgliedstaaten sich nicht ohne zwingende Gründe auf die Wahrung ihrer nationalen Identität berufen. Ein missbräuchliche Geltendmachung nationaler Identitätsinteressen kann jedoch nicht bereits darin gesehen werden, dass die Mitgliedstaaten sich die ihre Eigenstaatlichkeit zum Ausdruck bringende Regelung der Grundordnung der Kommunikationsverfassung vorbehalten. Im Ergebnis kann die EU also allenfalls befugt sein, Randbereiche der Vielfaltsicherung im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung aufzugreifen. Demgegenüber muss die Regelung der grundsätzlichen Organisation und verfahrensmäßigen Absicherung der Medienvielfalt jedoch in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben. In Betracht kommt indessen, dass die gemeinsamen Werte der Union gleichwohl ein Mindestmaß an Funktionsfähigkeit der Medienvielfaltsicherung voraussetzen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt solcher Mindeststandards könnte Art. 2 EUV sein. Es wird daher im Folgenden darum gehen, herauszuarbeiten inwieweit die Medienvielfalt einen Wert i. S. d. Art. 2 EUV darstellt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben können.

C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV I. Die sog. Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV 1. Sinn und Zweck der Homogenitätsklausel a) Blickwinkel der Union Die Regelung des Art. 2 EUV bringt das Gebot der Verfassungshomogenität der verschiedenen Mitgliedstaaten zum Ausdruck.1 Die prinzipielle Übereinstimmung von Kernfragen der Verfassungsordnung ist, wie die historische Erfahrung lehrt, eine notwendige Voraussetzung für das Funktionieren und den Fortbestand eines politischen Mehrebenensystems.2 Dabei darf nicht verkannt werden, dass die einseitige Vorgabe solcher Prinzipien durch die Unionsebene kaum geeignet sein wird, den beabsichtigten Zusammenhalt der Mitglieder der Union zu fördern. So kann die europäische Integration nur dann funktionieren, wenn sie auf Konsens und gemeinsamen Interessen beruht.3 Müsste die Durchsetzung der Werte des Art. 2 EUV im Wege des Zwangs erfolgen, so würde dieses Ereignis vermutlich die Teilnahme des betroffenen Staates am europäischen Integrationsprozess beenden.4 Art. 2 EUV verfolgt den Zweck, den Mitgliedstaaten aufzuzeigen, dass eine weitere Teilnahme am Integrationsprozess ihnen fortdauernd die freiwillige Achtung bestimmter Grundwerte und Verfassungsprinzipien abverlangt. Weiterhin kommt Art. 2 EUV in Verbindung mit Art. 49 EUV die Funktion zu, für beitrittswillige Staaten sichtbar zu machen, worin der gemeinsame politische Konsens der Mitgliedsstaaten und der Unionsebene besteht. Obgleich die EU mangels sog. Kompetenz-Kompetenz keinen Bundesstaat darstellt, handelt es sich bei ihr um einen stark integrierten Verbund. So setzt sie sich, vergleichbar einem Bundesstaat, aus mehreren mit Hoheitsrechten ausgestatteten Ebenen zusammen, welche miteinander in einer Wechselbeziehung stehen. Die Ebene der Union hat sich im Rahmen dieses Verbunds bereits teilweise verselbstständigt. Die Verselbständigung wird vor allem anhand des Prinzips des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts deutlich. Zum Erlass von den Anwendungsvorrang auslösenden Sekundärrecht in Gestalt von Richtlinien und Verordnungen ist regelmäßig nicht die Zustimmung sämtlicher Mitgliedstaaten erforderlich (vgl. zu 1

Schorkopf, EuR 2016, 147, 149. Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 506; Schorkopf, Homogenität, S. 36 f., Ziffer 26. 3 Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295, 318. 4 Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295, 318. 2

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

Beschlüssen der i. d. R. als gemeinsame Gesetzgeber tätigen Organe des Rats und des Europäischen Parlaments Art. 16 Abs. 3 EUV bzw. Art. 231 AEUV sowie zum Regelfall des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens Art. 289 und Art. 294 AEUV). Auch einmal ausgehandeltes Unionsprimärrecht kann nur durch die Gesamtheit der Mitgliedstaaten im Verfahren nach Art. 48 EUV verändert werden. Indem der Vollzug des Unionsrechts weitgehend durch die Mitgliedstaaten erfolgt und diesen oftmals ein gewisser Spielraum bei der Umsetzung von Unionsrecht belassen wird, kommt es zu einer engen Verflechtung der mitgliedstaatlichen und der unionalen Ebene. Berücksichtigt man, dass das Unionsrecht Teil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wird, so wird auch das Interesse der Union an der rechtsstaat­ lichen Vollziehung dieses Rechts augenfällig.5 In dieser Hinsicht soll das Homogenitätsgebot aber nicht bewirken, dass den Mitgliedstaaten ein bestimmter Inhalt des Rechtsstaatsprinzips vorgegeben wird; es soll jedoch sicherstellt werden, dass ein Mindestmaß an Funktionsfähigkeit und Effizienz dieses Prinzips gewahrt bleibt.6 Die EU, welche oftmals als Rechtsgemeinschaft beschrieben wird, kann nur dann als solche wirken, wenn die Behörden sämtlicher Mitgliedstaaten willens und fähig sind dem eigenen wie auch dem Unionsrecht effektive Geltung zu verschaffen.7 Generelle Mängel bei der effektiven Umsetzung staatlichen Rechts wirken sich zwangsläufig auch als Defizite bei der Umsetzung unionsrechtlicher Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaats aus.8 Weiterhin dürfte die in den Art. 20 ff. AEUV geregelte Unionsbürgerschaft das Recht umfassen, dass das Unionsrecht für alle Unionsbürger tatsächlich effektiv zur Anwendung gebracht wird.9 Auch ist zu berücksichtigen, dass Art. 9 Abs. 1 S. 1 EUV einen die Unionsorgane bindenden allgemeinen Gleichheitsgrundsatz formuliert.10 Dass die Gleichheit einen fundamentalen Wert des Unionsrechts darstellt, wird darüber hinaus durch seine Erwähnung in Art. 2 EUV deutlich. Vor diesem Hintergrund dient die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV auch dazu, dass die Union ihre eigene Verpflichtung, die Gleichheit der Unionsbürger vor dem Unionsrecht sicherzustellen, erfüllen kann.11 Die Festlegung gemeinsamer Werte soll schließlich dazu beitragen, die Gemeinsamkeiten der europäischen Völker herauszustellen, um ihnen auf diese Weise ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl im Sinne einer europäischen Identität zu vermitteln.12 Die Akzeptanz der hoheitlichen Tätigkeit der EU wird zudem dadurch gestärkt, dass diese an Werte gebunden ist, welche der Erwartungshaltung 5

Ipsen, FS Düring, S. 159, 174. Ipsen, FS Düring, S. 159, 174 f. 7 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 289 f. Nunmehr kritisch zum Begriff der Rechtsgemeinschaft von Bogdandy, EuR 2017, 487, 491 f. 8 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 290. 9 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 304. 10 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Marcel Haag, Art. 9 EUV, Rn. 5. 11 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 290. 12 Schorkopf, Homogenität, S. 41, Ziffer 34. 6

I. Die sog. Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV

111

der Gewalt unterworfenen Bürger entspricht.13 Generell lässt sich dem Recht die Funktion zuschreiben, normative Erwartungen zu schaffen und zu stabilisieren, damit die Gewalt unterworfenen Bürger ihr Verhalten verlässlich planen können.14 Die anhaltende und systematische Missachtung dieser durch das Recht begründeten Erwartungen bewirkt einen tiefgreifenden Vertrauensverlust in öffentliche Institutionen und kann folglich der Ausbildung rechtsfreier Räume Vorschub leisten.15 Bereits aus diesem Grund hat die Union ein erhebliches Interesse daran, dass in allen Mitgliedstaaten die Werte des Art. 2 EUV eingehalten werden. b) Blickwinkel der Mitgliedstaaten Das in Art. 2 EUV verankerte Homogenitätsgebot soll indessen nicht nur die Interessen der Union wahren. Auch für die Mitgliedstaaten ist es von erheblicher Bedeutung, dass sowohl die anderen Mitglieder des Verbunds als auch die Union an die in Art. 2 S. 1 EUV geregelten Werte gebunden sind. So sind die räumliche Nähe der Mitgliedstaaten und der bereits sehr fortgeschrittene Stand der Integration als Gründe dafür heranzuziehen, dass sich die Missachtung von Werten i. S. d. Art. 2 EUV auch auf andere Mitgliedsstaaten auswirken kann.16 Besonders deutlich sind die Auswirkungen des Versagens einzelner Mitgliedstaaten für andere Mitgliedstaaten i. R. d. Verteilungssystems von Asylbewerbern innerhalb der EU geworden. So hat der EuGH entschieden, dass eine nach EU-Recht grundsätzlich vorgesehene Überstellung eines Asylbewerbers an einen anderen Mitgliedstaat dann nicht erfolgen darf, wenn konkrete Tatsachen darauf hindeuten, dass dieser dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.17 Anderenfalls würden sowohl die Union als auch der betroffene, die Überstellung des Asylbewerbers erwägende, Mitgliedstaat ihre grundrechtlichen Verpflichtungen verletzten.18 Insofern hat das europäische Asylverteilsystems ein anschauliches Beispiel dafür geliefert, dass die Mitgliedstaaten auch zur gegenseitigen Kontrolle der Werte des Art. 2 EUV verpflichtet sein können, um ihrerseits die Unionsrechtskonformität ihres eigenen Handelns abschätzen zu können.19 Indem der EuGH europäische Grundrechtsstandards bei der Behandlung von Asylbewerbern als beachtlich ansieht, erweitert er auf diese Weise den Anwendungsbereich der 13

Schorkopf, Homogenität, S. 39, Ziffer 30. Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 299. 15 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 300. Ähnlich von Bogdandy, EuR 2017, 487, 507. 16 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 302 f.; Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 842. 17 EuGH, Urt. v. 21.12.2011, verb. Rs.  C-411/10 und C-493/10, ECLI:EU:C:2011:865, Rn. 94, 106 (N. S. u. a.). 18 EuGH, Urt. v. 21.12.2011, verb. Rs.  C-411/10 und C-493/10, ECLI:EU:C:2011:865, Rn. 94, (N. S. u. a.); Canor, ZaöRV 73 (2013), 249, 261. 19 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 322. 14

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

GrCh auch auf solche Bereiche, die nicht in Art. 51 GrCh zum Ausdruck kommen und vielmehr in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben sind.20 Art. 2 EUV bewirkt mithin, dass die vor allem in der GrCh angelegten Grundrechtsstandards durch die Mitgliedstaaten nicht in schwerwiegender Weise missachtet werden dürfen. Dies gilt selbst dann, wenn die Mitgliedstaaten eigenes und nicht europarechtlich beeinflusstes Recht anwenden.21 Indessen stellt die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, eine EU-Verordnung im Einzelfall unangewendet zu lassen, um höherrangige Verpflichtungen aus der GrCh nicht zu verletzen, die Ausnahme dar. Bedenkt man, dass die EU eine Rechtsgemein­ schaft darstellt, so sollte im Regelfall vielmehr die vorbehaltlose gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen und Verfahrensweisen anderer Mitgliedstaaten ein Ausdruck dieser Charakterisierung sein. In der Praxis relevant sind gegenseitige Anerkennungen insbesondere dann, wenn die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats oder die Überstellung eines in einem Strafverfahren Beschuldigten an einen anderen Mitgliedstaat in Rede steht.22 In Anlehnung an die o. g. Rechtsprechung des EuGH in der sog. Rechtssache N. S. zur Überstellung eines Asylbewerbers an einen anderen Mitgliedstaat dürfte die Anerkennung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten indessen voraussetzen, dass der andere Mitgliedstaat die Werte des Art. 2 EUV im Grundsatz einhält. Die EU kann aber nur dann als Rechtsgemeinschaft wirksam funktionieren, wenn die Mitgliedstaaten grundsätzlich vermuten dürfen, dass die anderen Mitglieder der Union auch beim Vollzug ihres eigenen Rechts Art. 2 EUV beachten. Die widerlegliche Vermutung, dass alle Mitgliedstaaten die Werte des Art. 2 EUV beachten, stellt die rechtliche Grundlage des für die mitgliedstaatliche Zusammenarbeit unentbehrlichen gegenseitigen Vertrauens dar.23 Sofern aber diese Vermutung durch einen Mitgliedstaat nachhaltig erschüttert wird, so ist die Union gehalten, unter Androhung des Verfahrens nach Art. 7 EUV Abhilfe zu schaffen, um die Funktionsfähigkeit der Unionsrechtsordnung zu schützen. Eine dauerhafte Delegation der Verantwortung zur Überprüfung der Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV an die anderen Mitgliedstaaten erscheint angesichts des allein der Union zur Verfügung stehenden Instrumentariums zur Sanktionierung der Mitgliedstaaten nicht sachgerecht. Auch in politischer Hinsicht wird nur die Union selbst mit der Autorität ausgestattet sein, Mitgliedstaaten auf die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV zu verpflichten. Die wirksame Werteüberwachung seitens der Union ist eine unerlässliche Voraussetzung für eine vertrauensvolle und unionsrechtskonforme Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten innerhalb des gemeinsamen Verbunds. Dass die Mitgliedstaaten

20

Canor, ZaöRV 73 (2013), 249, 264 f. Canor, ZaöRV 73 (2013), 249, 294. 22 Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 842 f. 23 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 319. Vgl. auch von Bogdandy, EuR 2017, 487, 505. Letzterer sieht die rechtliche Grundlage der Vermutung, dass alle Mitgliedstaaten der Rechtsstaatlichkeit genügen, in Art. 49, 7, 2 EUV. 21

I. Die sog. Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV

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an einer solchen interessiert sind, haben sie durch ihre freiwilligen Beitritt zur EU zum Ausdruck gebracht. 2. Erfordernis und Methoden der Konkretisierung des Werteinhalts Art. 2 S. 1 EUV nennt als Werte, auf welche sich die Union gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Personen, die Minderheiten angehören. In Art. 2 S. 2 EUV wird ausgeführt, dass diese Werte allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam sind, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Männern und Frauen auszeichnet. Aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Mitgliedstaaten in Art. 2 S. 2 EUV ergibt sich, dass die in Satz 1 genannten Werte nicht nur das Handeln der Union anleiten, sondern auch gleichermaßen verbindliche Maßstäbe für die mitgliedstaatlichen Verfassungen formulieren.24 Dabei entfalten die Werte des Art. 2 EUV gegenüber den Mitgliedstaaten sogar in solchen Regelungsbereichen Wirkung, welche in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind.25 Art. 2 EUV setzt ein gewisses Maß an Homogenität zwischen den Verfassungsstrukturen der Union und den Mitgliedstaaten voraus, wobei mit Homogenität die Gleichartigkeit bestimmter Rechtsprinzipien gemeint ist.26 Die in Art. 2 S. 1 EUV genannten übergeordneten Grundsätze hoheitlichen Handelns prägen einen für Union und Mitgliedstaaten gleichermaßen verbindlichen „Verfassungskern“ bzw. eine gleichermaßen verbindliche „Wertebasis“ aus.27 Anforderungen an die Homogenität bestimmter grundlegender Verfassungsprinzipien, welche die übergeordnete Ebene an die nachgeordnete stellt, sind ein wesentliches Merkmal eines Bundesstaats.28 Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur die Frage aufgeworfen, ob die Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV, insbesondere wegen ihrer Vergleichbarkeit mit Art. 28 Abs. 1 GG, die Mitgliedstaaten zu Gliedstaaten der Europäischen Union herabstuft und gleichzeitig bewirkt, dass die EU, aufgrund der verbindlichen Vorgabe von Verfassungsprinzipien an die Mitgliedstaaten, bereits den Charakter eines Bundesstaats angenommen hat.29 Bemerkenswert und legitimationsbedürftig ist jedenfalls die Tatsache, dass Art. 2 EUV auch die mitgliedstaatliche Inanspruchnahme von eigenen Kompetenzen verbindlichen unionsrechtlichen Maßgaben unterwirft. Art. 2 EUV bewirkt zwar keine Kompetenzverschiebung von den Mitgliedstaaten an die Union; das Unionsrecht gibt aber 24

Von Bogdandy, EuR 2017, 487, 505; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 9 (EL 51: September 2013); Murswiek, NVwZ 2009, 481, 482. 25 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 9 (EL 51: September 2013). 26 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 EUV, Rn. 7. 27 Calliess, JZ 2004, 1033, 1036; Murswiek, NVwZ 2009, 481, 483. 28 Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295, 296; Schorkopf, Homogenität, S. 28 f., Ziffer 14. 29 Murswiek, NVwZ 2009, 481, 483.

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den Rahmen vor, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten ihre hoheitlichen Gestaltungsbefugnisse ausüben dürfen. Bezogen auf die innerstaatliche Ausgestaltung der Medienordnung könnten sich somit aus den verbindlichen Werten des Art. 2 EUV bestimmte Mindestanforderungen an die Medienvielfaltsicherung ergeben. a) Die rechtliche Dimension der Wertenormierung aa) Rechtliche Bedeutung für die Union Auf die Werte des Art. 2 EUV wird an verschiedenen Stellen in den Verträgen Bezug genommen. So ist es gem. Art. 3 Abs. 1 EUV u. a. ein Ziel der Union ihre Werte zu fördern. Nach Art. 13 Abs. 1 EUV besteht der Zweck des institutionellen Rahmens der EU darin, ihren Werten Geltung zu verschaffen. Auch in Art. 21 Abs. 1 EUV werden einige der Werte des Art. 2 EUV genannt, welche das außenpolitische Handeln der Union anleiten sollen. Im Hinblick auf die vorgenannten Regelungen des EUV erscheinen die Werte des Art. 2 EUV wenig konturiert und können für sich genommen schwerlich als rechtlich verbindliche Maßstäbe herangezogen werden. Rechtliche Relevanz gewinnen die Werte des Art. 2 EUV jedoch bei der Auslegung einzelner Sachgebiete der Verträge.30 Sie strahlen insoweit in die gesamte Unionsrechtsordnung ein, als sie, soweit entsprechender Interpretationsspielraum besteht, zur wertekonformen Auslegung sowohl des Primär- als auch des Sekundärrechts herangezogen werden können.31 Die Möglichkeit der wertekonformen Auslegung des Unionsrechts setzt indessen voraus, dass die Werte des Art. 2 EUV ihrerseits inhaltlich näher bestimmt werden.32 Dass die Werte aber nicht lediglich bedeutend für die Auslegung einzelner Bestimmungen der Verträge sind, wird an der Regelung des Art. 7 EUV deutlich, welche ein Sanktionsverfahren für solche Mitgliedstaaten etabliert, welche schwerwiegend die Werte des Art. 2 EUV verletzen. Aufgrund ihrer Funktion als Tatbestandsmerkmal des Art. 7 EUV bedürfen die Werte des Art. 2 EUV somit der Konkretisierung.33 Anderenfalls wäre die materielle Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbeschlusses nicht überprüfbar. Man könnte dem entgegenhalten, dass die Frage, ob ein Verfahren nach Art. 7 EUV eingeleitet wird, ohnehin einen erheblichen politischen Einschätzungsspielraum voraussetzt.34 Auch bestimmt Art. 269 AEUV, dass der EuGH lediglich die in Art. 7 EUV geregelten Verfahrensschritte überprüfen darf. Mithin ist ihm die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit, in dessen Rahmen 30

Schwarze EU-Kommentar-Schwarze, Art. 2 EUV, Rn. 2. Vertiefend zur wertekonformen Auslegung des Unionsrechts, Potacs, EuR 2016, 164, 167 ff. 32 Potacs, EuR 2016, 164, 170. 33 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 20 (EL 51: September 2013); Holterhus / Kornack, EuGRZ 2014, 389, 390. 34 Streinz-Pechstein, Art. 269 AEUV, Rn. 1. 31

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zu erörtern wäre, ob eine schwerwiegende Verletzung von Werten i. S. d. Art. 2 EUV tatsächlich vorliegt, entzogen.35 Ungeachtet der Frage, ob die Weite des politischen Ermessens sachlich gerechtfertigt ist, ist zu berücksichtigen, dass Sanktionsmaßnahmen unterhalb der Schwelle des Art. 7 EUV, trotz eingeschränkter Justiziabilität durch den EuGH, jedenfalls nicht erfolgen dürfen.36 Auch ist im Blick zu behalten, dass Sanktionen schwere Nachteile für die Mitgliedstaaten und sogar für Unionsbürger und Unternehmen des betroffenen Mitgliedstaats mit sich bringen können.37 Die mögliche Betroffenheit von Privatpersonen vermag auch die in Art. 7 Abs. 3 S. 2 EUV geregelte Pflicht zur Berücksichtigung der Auswirkungen einer Sanktion auf natürliche und juristische Personen nichts vollends auszuschließen.38 Die Regelung des Art. 7 Abs. 3 S. 2 EUV bewirkt aber, dass als mildere Mittel vorrangig nur solche Maßnahmen ergriffen werden dürfen, welche lediglich in die Rechtssphäre der Mitgliedstaaten eingreifen.39 Entscheidend für das Erfordernis einer Konkretisierung der Werte des Art. 2 S. 1 EUV spricht zudem der Inhalt der Regelung selbst. So nennt Art. 2 EUV u. a. die Rechtsstaatlichkeit als grundlegenden Wert der EU. Bei aller Schwierigkeit den genauen Inhalt des Rechtsstaatsprinzips festzulegen, kann diesem Grundsatz zumindest die Bedeutung beigemessen werden, dass die Ausübung hoheitlicher Gewalt rechtlich insoweit gebunden ist, als der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes zu beachten sind.40 Die rechtliche Bindung der Hoheitsausübung wiederum verlangt, dass im Falle der Inanspruchnahme einer Rechtsgrundlage, welche zu Eingriffen in die Rechtssphäre anderer Rechtssubjekte ermächtigt, dessen Voraussetzungen in inhaltlicher Hinsicht auch tatsächlich vorliegen müssen. Dies muss auch gelten, wenn lediglich in die Rechte anderer Mitgliedstaaten eingegriffen wird. Zudem gebietet es die in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten untereinander sowie diese der Union gegenüber den Mitgliedstaaten, dass i. R. d. Art. 7 EUV nur materiell rechtmäßige Beschlüsse gefasst werden. Mithin bleibt festzuhalten, dass es die Loyalität und der rechtsstaatliche Anspruch der EU, welcher nicht zuletzt in Art. 2 EUV selbst zum Ausdruck kommt, voraussetzen, dass handhabbare und verbindliche Kriterien für die Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbeschlusses entwickelt werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass den materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 EUV auch deshalb eine große Bedeutung zukommt, da der Gefahr 35

Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 269 AEUV, Rn. 3. Schorkopf, DVBl. 2000, 1036, 1041. 37 Schorkopf, DVBl. 2000, 1036, 1041. 38 Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 837; Stein, FS Jaenicke, S. 871, 895. 39 Schorkopf, Homogenität, S. 170, Ziffer 281. 40 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 EUV, Rn. 26; Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 837. Vgl. auch von Bogdandy, EuR 2017, 487, 506. Letzterer weist auf die Wichtigkeit hin, dass das Recht auch tatsächlich befolgt und im Streitfall durch unparteiische Institutionen öffentlich überprüft wird. 36

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des politischen Missbrauchs des Sanktionsverfahrens vorgebeugt werden muss. Zwar kann die europäische Demokratie, wie nicht zuletzt Art. 7 EUV zeigt, als sog. „wehrhafte Demokratie“ bezeichnet werden.41 Jedoch kann die von Pernthaler / Hilpold als solche bezeichnete „Politikkontrolle“ nur dann zulässig sein, wenn nicht nur das Verfahren des Art. 7 EUV eingehalten wird, sondern wenn auch tatsächlich eine schwerwiegende Verletzung der Werte des Art. 2 EUV vorliegt. Würde eine demokratisch gewählte mitgliedstaatliche Regierung allein wegen ihrer politisch missbilligten Zusammensetzung sanktioniert, so wäre dies ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip, welchem, wie u. a. Art. 2 EUV sichtbar macht, auf Unionsebene eine herausragende Bedeutung zukommt.42 Besonders dann, wenn die Inanspruchnahme mitgliedstaatlicher und nicht unionsrechtlich beeinflusster Kompetenzen den Anlass für die Einleitung des Verfahrens liefert, ist die Einhaltung der materiellen Voraussetzungen des Art. 7 EUV besonders wichtig. Würde nämlich ein Verfahren nach Art. 7 EUV eingeleitet, obgleich keine Werte i. S. d. Artikel 2 und 7 EUV schwerwiegend verletzt sind, so wäre hierin eine verbotene Einmischung in die den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Angelegenheiten zu erblicken.43 Somit bedarf es auch zur Verhütung ungerechtfertigter Eingriffe in die Souveränität der Mitgliedstaaten, einer Konkretisierung der Werte des Art. 2 EUV. Dabei darf nicht verkannt werden, dass der Frage, ob Werte des Art. 2 EUV hinreichend qualifiziert verletzt werden, notwendigerweise eine politische Bewertung zugrunde liegt.44 Diesem politischen Bewertungsspielraum müssen indessen durch das Recht Grenzen gezogen werden. Politische Bewertungen dürfen jedenfalls nicht dazu genutzt werden, gegen politisch unliebsam zusammengesetzte Regierungen in den Mitgliedstaaten vorgehen zu können.45 Von der offiziellen Unionshaltung abweichende politische Standpunkte eines Mitgliedstaats sind vielmehr Ausdruck der vielfältigen politischen Zusammensetzung der Union.46 Die Pflicht zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten beinhaltet zudem die Pflicht der Union, den „Verfassungspluralismus“ der Mitgliedstaaten innerhalb eines weiten aber nicht grenzenlosen Rahmens, welcher von Art. 2 EUV gesetzt wird, zu akzeptieren.47 Insofern gilt es, den Inhalt der Werte im Voraus und losgelöst vom Einzelfall zu präzisieren, um dem Vorwurf eines politischen Missbrauchs vorzubeugen und der Pflicht zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten zu genügen.

41

Pernthaler / Hilpold, Integration 23 (2000), 105, 112. Streinz-Pechstein, Art. 2 EUV, Rn. 4. 43 Serini, S. 37 f. 44 Schorkopf, EuR 2016, 147, 156 f. 45 Schorkopf, EuR 2016, 147, 161. 46 Schorkopf, EuR 2016, 147, 161. 47 Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 512. Vgl. auch von Bogdandy, EuR 2017, 487, 506. Letzterer macht darauf aufmerksam, dass Art. 4 Abs. 2 EUV einer engen Interpretation eines gemeinsamen europäischen Rechtsstaatsverständnis entgegensteht. 42

I. Die sog. Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV

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Eine weitere Perspektive, welche eine inhaltliche Präzisierung der Werte des Art. 2 EUV erforderlich machen kann, ist diese der Unionsbürgerschaft i. S. d. Art. 20 AEUV. In der sog. Rechtssache Ruiz Zambrano hat der EuGH entschieden, dass Art. 20 AEUV mitgliedstaatlichen Maßnahmen entgegensteht, welche die Inanspruchnahme des Kernbestands der Rechte, welche die Unionsbürgerschaft verleiht, verhindern.48 Ausreichend ist bereits, dass die Inanspruchnahme des Kernbestands der Unionsbürgerrechte „de facto“ unmöglich gemacht wird, weil, wie in Falle der Rechtssache Ruiz Zambrano, auch ein Verlassen des Unionsgebiets durch das minderjährige und unterhaltsbedürftige Kind des Klägers zu erwarten ist, sofern dieser selbst das EU-Gebiet verlassen muss.49 Problematisch ist, in welchen Fällen eine Kernbereichsverletzung des Unionsbürgerstatus anzunehmen ist. Jedenfalls kann der Unionsbürgerstatus nicht bewirken, dass der in Art. 51 GrCh geregelte und begrenzte Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte erweitert wird.50 Anderenfalls würde über den Status der Unionsbürgerschaft, entgegen Art. 51 GrCh, eine unionsweite Standardisierung des Grundrechtsschutzes erreicht werden.51 In Betracht kommt aber, dass im Falle einer Verletzung der Werte des Art. 2 EUV zugleich der Kernbereich der Unionsbürgerschaft verletzt sein könnte.52 So wären die mit der Unionsbürgerschaft verknüpften Rechte praktisch bedeutungslos, wenn der Mitgliedstaat, dessen Hoheitsgewalt ein Unionsbürger unterliegt, systematisch die Werte des Art. 2 EUV verletzt. Somit ergibt sich aus dem Unionsbürgerstatus die Herausforderung für die EU, den Werten des Art. 2 EUV Konturen zu verleihen, ohne dabei die im Grundsatz zu tolerierenden unterschiedlichen Ausprägungen der Grundrechte in den Mitgliedstaaten zu übergehen. Schließlich haben die Werte der Union für diese insoweit eine Bedeutung, als eine Aufnahme neuer Mitglieder nach Art. 49 EUV u. a. voraussetzt, dass diese die Werte des Art. 2 EUV achten und sich für deren Förderung einsetzen. In Bezug auf die inhaltliche Überprüfung, ob die sich hieraus für den beitrittswilligen Staat ergebenden Anforderungen tatsächlich erfüllt sind, ist der politische Entscheidungsspielraum der beteiligten Organe zu berücksichtigen.53 Da auch im Falle eines abgelehnten Beitrittantrags die Souveränität des beitrittswilligen Staates unberührt bleibt, lässt sich hier der politische Entscheidungsfreiraum in einem größerem Umfang rechtfertigen als im Falle einer Sanktionen. Zudem sollte der Union und den Mitgliedstaaten kein neues Mitglied aufgezwungen werden können.

48

EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-34/09, ECLI:EU:C:2011:124, Rn. 43 (Ruiz Zambrano). EuGH, Urt. v. 15.11.2011, Rs. C-256/11, ECLI:EU:C:2011:734, Rn. 65 f. (Dereci u. a.); EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Rs. C-34/09, ECLI:EU:C:2011:124, Rn. 44 (Ruiz Zambrano). 50 EuGH, Urt. v. 15.11.2011, Rs. C-256/11, ECLI:EU:C:201:734, Rn. 71 (Dereci u. a.). 51 Cornils, FS Schröder, S. 125, 138. 52 Cornils, FS Schröder, S. 125, 138. 53 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Werner Meng, Art. 49 EUV, Rn. 37. 49

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bb) Rechtliche Bedeutung für die Mitgliedstaaten Die besondere Bedeutung des Art. 2 EUV für die Mitgliedstaaten ergibt sich daraus, dass die dort verankerten Werte die mitgliedstaatliche Ausübung von Hoheitsgewalt auch in Bereichen bindet, in welchen diese eigene Kompetenzen wahrnehmen.54 Die Möglichkeit der Einflussnahme der Union auf die Ausübung mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten im Wege der Wertesicherung bringt stets die Gefahr mit sich, dass die Union ihre Befugnisse überschreiten könnte.55 Für die Union ergibt sich darüber hinaus aus Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV die Verpflichtung, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten. Daraus folgt für die EU die komplexe Spannungslage, die gemeinsamen europäische Werte ebenso wahren zu müssen, wie die nationale Identität der Mitgliedstaaten. Dieses Spannungsfeld sollte in der Weise aufgelöst werden, dass seitens der Unionsebene nur gemeinsame Mindeststandards vorgegeben werden, welche dann aber für die Mitgliedstaaten verbindlich den Rahmen abstecken, innerhalb dessen sich die nationalen Identitäten entfalten dürfen.56 Die Mitgliedstaaten müssen sich bewusst machen, dass die Ausgestaltung ihrer nationalen Rechtsordnung nicht nur in den durch europäisches Sekundärrecht beeinflussten Rechtsmaterien in einen unionsrechtlichen Rahmen gekleidet ist. Vor diesem Hintergrund formuliert Murswiek plakativ, dass sich die Unionsverträge aufgrund des Art. 2 EUV bereits zur „Oberverfassung“ der Mitgliedstaaten entwickelt haben.57 Weiterhin können auch verfassungsrechtliche Vorgaben der Mitgliedstaaten eine Wertenormierung und eine effektive Wertesicherung auf europäischer Ebene erfordern. So finden sich in allen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten verfassungsrechtliche Anforderungen für die Teilnahme am europäischen Integrationsprozess.58 Betrachtet man aus deutscher Perspektive die Regelung des Art. 23 Abs. 1 GG, so wird deutlich, dass die Bundesrepublik Deutschland am Integrationsprozess nur teilnehmen darf, wenn die EU die dort genannten Strukturmerkmale erfüllt. Die Anforderungen, welche Art. 23 Abs. 1 GG an die EU adressiert, sind inhaltlich vergleichbar mit denen, welche die EU in Art. 2 EUV an sich selbst und an die Mitgliedstaaten richtet. Mithin ist die allseitige Einhaltung der Vorgaben des Art. 2 EUV Voraussetzung dafür, dass die Mitgliedstaaten sich im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Maßgaben dauerhaft am Integrationsprozess beteiligen dürfen.

54

Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 18 (EL 51: September 2013); Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 838. 55 Schorkopf, EuR 2016, 147, 160. 56 Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 512. 57 Murswiek, NVwZ 2009, 481. 58 Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295, 304.

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b) Methoden zur Inhaltsbestimmung der Werte des Art. 2 EUV aa) Problem der Grenzziehung mitgliedstaatlicher Entwicklungsfreiräume Die in Art. 2 S. 1 EUV genannten Werte sind in hohem Maße unbestimmt und können von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Pflicht der Union zur Achtung der nationalen Identität (Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV) gebietet, dass die Verfassungen der Mitgliedstaaten, welche sich historisch unterschiedlich entwickelt haben, weiterhin vielfältig ausgestaltet bleiben dürfen. Der mitgliedstaatliche Gestaltungsspielraum ist indessen durch die Mindest­ vorgaben des Art. 2 EUV begrenzt.59 Gerade die seitens der Union im Grundsatz zu akzeptierende unterschiedliche Ausgestaltung der in Art. 2 EUV genannten Werte bereitet Schwierigkeiten, diese inhaltlich näher zu bestimmen. Andererseits wird es möglich sein, auch aus den unterschiedlichen Ausdifferenzierungen einen gemeinsamen Kerngehalt auszumachen, dessen Verbindlichkeit Art. 2 EUV festschreibt.60 Es wird hierbei um das Herausschälen eines elementaren Kernbestands von Regeln gehen, welche die Grundbedingungen dafür schaffen, dass sich die in Art. 2 EUV genannten Werte auf allen Ebenen des Verbunds verwirklichen können.61 Auch der Wertebegriff selbst legt nahe, dass es sich i. R. d. Art. 2 EUV nur um von der Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam getragene Überzeugungen handeln kann. So werden Werte sozialwissenschaftlich und bezogen auf den Menschen als Grundeinstellungen bezeichnet, welche sich durch besondere Festigkeit und der Überzeugung von ihrer Richtigkeit auszeichnen.62 Grundwerte, auf welchen eine Rechtsordnung basiert, lassen sich als Fundament derselben bzw. als dessen Menschenbild, welches aus ihnen spricht, charakterisieren.63 Die gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen der Mitgliedstaaten, zu welchen insbesondere die Weltkriege und Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu rechnen sind, haben gewisse „kollektive Präferenzen“ ausgebildet.64 Diese „kollektiven Präferenzen“ kommen insbesondere in Art. 2 EUV zum Ausdruck. Die Mitgliedstaaten haben, durch die Einführung der Regelung des Art. 2 EUV in die Verträge, auch bereits zu einer Verselbständigung europäischer Werte auf Unionsebene beigetragen. Die in Art. 2 EUV genannten Werte bilden nunmehr einen Teil der euro­päischen Identität, welche auch die Mitgliedstaaten in die Pflicht nimmt.65 Dass die einmal herausgebildete und in Art. 2 EUV festgeschriebene Werteordnung nicht mehr verlassen

59

Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 512. Auf die Gemeinsamkeiten der Verfassungsprinzipien in Westeuropa hinweisend, Müller, BayVBl. 1993, 513, 516 f. 61 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 20 (EL 51: September 2013). 62 Di Fabio, JZ 2004, 1, 3. 63 Broß, JZ 2003, 429, 430. 64 Calliess, JZ 2004, 1033, 1041 f.; Speer, DÖV 2001, 980, 982. 65 De Quadros, FS Badura, S. 1125, 1127. 60

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werden darf solange die Mitgliedschaft in der EU fortbesteht, wird insbesondere anhand des in Art. 7 EUV geregelten Sanktionsverfahrens deutlich. Gleichwohl können sich die gemeinsamen europäischen Werte nur aus den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen schöpfen.66 Dass diese verschiedenen Verfassungsordnungen indessen inhaltliche Differenzen aufweisen, ist, wie die Regelung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV zeigt, grundsätzlich legitim.67 Es gilt somit den Kerngehalt des Art. 2 EUV, welcher sich gegenüber Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV stets durchzusetzen vermag und welcher als gemeinsame Verfassungsidentität bezeichnet werden kann, zu identifizieren.68 bb) Annäherung im Wege der Abgrenzung und Intention Nimmt man die gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen der europäischen Staaten des vorigen Jahrhunderts in den Blick, so erscheint es zielführend sich der Konkretisierung der Werte i. S. d. Art. 2 EUV dadurch anzunähern, indem man diesen eine Abgrenzungsfunktion gegenüber autoritären und totalitären Entwicklungen zuspricht.69 Autoritäre und totalitäre Strukturen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie die in Art. 2 EUV genannten Werte systematisch verletzen. Eine erste Annäherung zur Bestimmung des Werteinhalts kann also dadurch erfolgen, dass man ein bestimmtes einem Mitgliedstaat zurechenbares dauerhaftes Verhalten als undemokratisch, übermäßig freiheitsbeschränkend, die Menschenwürde bzw. die Menschenrechte oder die Rechtsstaatlichkeit missachtend, charakterisieren kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einzelne Verstöße gegen einen in Art. 2 EUV genannten Wert noch nicht zu der Feststellung führen können, ein Mitgliedstaat habe gegen den in Art. 2 EUV festgelegten Konsens verstoßen. Gerade bezogen auf das Rechtsstaatsprinzip kann kein Zweifel daran bestehen, dass einzelne Rechts­verletzungen eine nicht vollständig zu vermeidende Erscheinung einer jeden Rechtsordnung sind.70 Gerade die Art und Weise der juritischen Aufarbeitung einzelner behaupteter Rechtsverstöße ist geeignet, das Vertrauen der Bürger in die generelle Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats zu festigen.71 Damit ein Wert i. S. d. Art. 2 EUV als verletzt angesehen werden kann, bedarf es daher vielmehr einer generellen Infragestellung der Werte des Art. 2 EUV als solcher.72 Für ein mitgliedstaatliches Verhalten, welches darauf schließen lässt, dass der betroffene Mitgliedstaat sich von einem der Werte des Art. 2 EUV abkehrt, wurde der Begriff des „sys 66

Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295, 298. Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 836. 68 Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 836. 69 Schorkopf, Homogenität, S. 79 f., Ziffer 101. 70 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 284; Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 840. 71 Von Bogdandy, EuR 2017, 487, 506. 72 Schmahl, FS Torsten Stein, S. 834, 840. 67

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temischen Defizits“ entwickelt.73 Dieser Begriff wiederum ist insofern der Kritik ausgesetzt, als sich keine verbindlichen Maßstäbe für sein Vorliegen finden lassen, sodass der Annahme eines systemischen Defizits notwendigerweise ein politische Bewertung zugrunde liegen muss.74 Tatsächlich wird sich schwerlich eine Definition finden lassen, mittels derer sich systematische Verletzungen des Art. 2 EUV zuverlässig identifizieren lassen.75 Andererseits hilft bereits die Annäherung im Wege der Abgrenzung zu totalitären bzw. autoritären Bestrebungen weiter, wenn man die Intention des handelnden Mitgliedsstaats mit in die Betrachtung einbezieht.76 So können beispielsweise Handlungen, die darauf gerichtet sind, den eigenen Machterhalt auf Kosten demokratischer Prozesse zu sichern, unschwer als systemische Defizite angesehen werden. Indessen reicht die Annäherung im Wege der Abgrenzung nicht aus, um die Werte des Art. 2 EUV hinreichend konkretisieren zu können. So erscheint die Kritik berechtigt, dass die Möglichkeit einer trennscharfen Abgrenzung notwendig darauf angewiesen ist, dass das jeweilige Gegenstück trennscharf konkretisiert werden kann, sodass die Problematik einer positiven Definition lediglich verlagert wird.77 Ob aber ein Staat noch als demokratisch legitimiert oder bereits als autoritär geführt zu gelten hat, obliegt wiederum einer politischen Bewertung. Vor diesem Hintergrund wird man nicht umhin kommen, den Kerngehalt des von den Mitgliedstaaten in das Unionsrecht transformierten Mindeststandards an Werten i. S. d. Art. 2 EUV positiv zu umschreiben. cc) Annäherung über die Funktion der Werte Eine inhaltliche Annäherung an den Kerngehalt des Art. 2 EUV kann weiterhin durch die Ergründung des Menschenbilds, welches aus den Werten spricht, erfol­ gen. Es kann angenommen werden, dass sich, unabhängig von der konkreten mitgliedstaatlichen Ausgestaltung bestimmter Verfassungswerte, eine gemeinsame hinter ihnen stehenden Idee ermitteln lässt.78 Die in Art. 2 EUV geregelten Werte betreffen jedenfalls sämtlich das Verhältnis von Hoheitsträger und Privatpersonen.79 Die Funktion des Art. 2 EUV kann in dieser Hinsicht darin gesehen werden, dass den Hoheitsträgern verbindliche Regeln bezüglich der Ausübung hoheitlicher Gewalt auferlegt werden sollen. Mit der Benennung des Werts der Demokratie wird zum Ausdruck gebracht, dass die aus-

73

Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 285. Schorkopf, EuR 2016, 147, 156 f. 75 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 298. 76 Schorkopf, EuR 2016, 147, 156 f. 77 Serini, S. 42. 78 Serini, S. 45. 79 Schorkopf, DVBl. 2000, 1036, 1039. 74

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geübte Hoheitsgewalt ein bestimmtes Legitimationsniveau aufweisen muss. Darüber hinaus sollen die Werte dazu beitragen, dass die Ausübung der legitimierten Hoheitsgewalt rechtsstaatlichen Anforderungen genügt und den Individuen eine Freiheitssphäre durch Grundrechtsschutz zugesichert wird.80 Über das Maß des erforderlichen Legitimationsniveaus ist damit indessen ebenso wenig ausgesagt, wie über die mindestens zu gewährende Freiheitssphäre und die Mindestanforderungen an das europäische Rechtsstaatsprinzip. Daher müssen diese Anforderungen über die Auswertung maßgeblicher Erkenntnisquellen erschlossen werden. dd) Erkenntnisquellen zur positiven Bestimmung des Werteinhalts (1) Mitgliedstaatliche Verfassungsüberlieferungen Um den Kerngehalt der Werte des Art. 2 EUV ermitteln zu können, bietet es sich an, im Ausgangspunkt die Gemeinsamkeiten der Verfassungsprinzipien auf mitgliedstaatlicher Ebene zu ermitteln.81 Berücksichtigt man, dass die Mitgliedstaaten selbst die Union gegründet bzw. diese im Wege ihres Beitritts erweitert haben, so müssen auch deren gemeinsame Überzeugungen von obersten Verfassungsprinzipien dem Art. 2 EUV inhaltliche Konturen verleihen. Dass den mitgliedstaatlichen Ausprägungen in dieser Hinsicht besondere Bedeutung zukommt, wird auch anhand der Regelung des Art. 6 Abs. 3 2. Alt. EUV deutlich. Hiernach sind die Grundrechte, welche sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Art. 6 EUV, welcher u. a. ausdrücklich auf die Gemeinsamkeiten der Mitgliedstaaten Bezug nimmt, sollte somit im Hinblick auf den Grundrechtsschutz zur Konkretisierung der Werte des Art. 2 EUV herangezogen werden.82 Es bietet sich weiterhin an, die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten auch zur Ermittlung von weiteren Kerngehalten des Art. 2 EUV fruchtbar zu machen. Die Vielzahl der Mitgliedstaaten der EU lässt eine Ermittlung gemeinsamer Kerngehalte schwierig erscheinen.83 Teilweise wird der Anspruch der EU, über Art. 2 EUV eine Homogenität von Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten sicher­ zustellen, bereits als Fiktion angesehen.84 Jedoch ergibt sich für die Ermittlung eines unionsweit verbindlichen Kerngehalts nicht das Erfordernis sämtliche Verfassungen der Mitgliedstaaten zu analysieren, um deren Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.85 So gilt es im Blick zu behalten, dass die Teilnahme am europäischen 80

Schorkopf, DVBl. 2000, 1036, 1039. So auch Holtershus / Kornack, EuGRZ 2014, 39, 392. Diese bezeichnen die Verfassungen der souveränen Mitgliedstaaten prägnant als „Ursprung aller unionsrechtlichen Maßstäbe“. 82 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Bengt Beutler, Art. 6 EUV, Rn. 9. 83 Schorkopf, Homogenität, S. 81, Ziffer 105. 84 Schorkopf, EuR 2016, 147, 160. 85 Serini, S. 45. 81

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Integrationsprozess schon frühzeitig an die Anerkennung demokratischer, rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen gebunden war.86 Auch im Zuge der großen Osterweiterung wurden mit den sog. Kopenhagener Kriterien Beitritts­ bedingungen formuliert, die sich im Wesentlichen auf die Garantie rechtsstaatlicher und demokratischer Grundsätze und den Menschenrechtsschutz fokussiert haben.87 Zudem entspricht es der gemeinsamen liberalen Tradition der frühen Mitglieder des europäischen Integrationsprozesses Grundrechte möglichst weitgehend zu gewähren und Freiheitsrechte nur insoweit einzuschränken, als dies zur Verfolgung öffentlicher Interessen zwingend geboten ist.88 Es spricht weiterhin nichts dafür, dass die EU aufgrund ihrer Erweiterung ihren eigenen demokratischen und rechtsstaatlichen Anspruch in der Weise absenken wollte, dass nunmehr dem in der EU anzutreffenden niedrigsten Standard Maßgeblichkeit zukommen soll. Vielmehr haben die beigetretenen Staaten sich einem bereits bestehenden Konsens angeschlossen, ohne diesen ihrerseits inhaltlich zu beeinflussen.89 Bei der Herleitung von Unionsgrundrechten greift der EuGH seit jeher nicht stets auf den unter den Mitgliedern der EU anzutreffenden niedrigsten Grundrechtsstandard zurück, sondern er nimmt eine Anlehnung an diejenige Rechtsordnung vor, welche sich am besten in die Ziele und Strukturen der EU einfügt.90 Dass der einmal erreichte rechtsstaatliche Anspruch der EU nicht abgesenkt werden soll, wird auch an der Beitrittsregelung des Art. 49 EUV deutlich, welcher die Achtung und Förderung der Werte des Art. 2 EUV zur Beitrittsvoraussetzung macht. Ausgehend von diesen Überlegungen erscheint es als ausreichend, die wesentlichen Gemeinsamkeiten derjenigen Mitgliedstaaten herauszuarbeiten, welche sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt am Integrationsprozess beteiligt haben und welche zudem gemeinsam einen großen Anteil der Unionsbürger ausmachen. Es wird sich kaum bestreiten lassen, dass vor allem die frühen Mitglieder des europäischen Integrationsprozesses den unionalen Verbund in Übereinstimmung mit ihren eigenen Rechtsordnungen in besonderer Weise ausgeprägt haben. Indessen darf nicht verkannt werden, dass die Fokussierung auf einzelne Staaten, welche den europäischen Standard im Hinblick auf die Werte des Art. 2 EUV maßgeblich vorgeben sollen, in einen Konflikt mit der in Art. 4 Abs. 2 S. 1 1. Alt. EUV geregelten Gleichheit der Mitgliedstaaten geraten kann. Jedoch dürfte sich aus Art. 4 Abs. 2 S. 1 1. Alt. EUV für keinen beigetretenen Staat ein Anspruch darauf ergeben, dass der eigene Standard im Hinblick auf die in Art. 2 S. 1 EUV genannten Rechtsprinzipen die bis dahin bestehenden europäischen Maßstäbe modifiziert. Art. 2 EUV ist im Zusammenspiel mit Art. 7 EUV und Art. 49 EUV vielmehr ein

86

Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 508. Griegerich, FS Torsten Stein, S. 499, 508. 88 Bleckmann, FS Börner, S. 29, 33. 89 Serini, S. 45. 90 Bleckmann, FS Börner, S. 29, 30. 87

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

Hinweis darauf, dass der einmal erreichte hohe Anspruch an die europäischen Werte unantastbar sein soll. Zudem werden die Mitgliedstaaten insofern gleichbehandelt, als der herausgebildete gemeinsame europäische Standard alle Mitgliedstaaten gleichermaßen bindet. Es gilt im Folgenden zu ermitteln, ob die Medienvielfalt einen Teilaspekt der in Art. 2 EUV genannten Werte darstellt. Hierzu muss geprüft werden, ob die Medienvielfalt notwendige Bedingung für die Verwirklichung zumindest eines Wertes i. S. d. Art. 2 EUV ist. Ist die Medienvielfalt in den Rechtsordnungen der bevölkerungsreichsten und integrationsprägenden Mitgliedsstaaten als hochrangiges Rechtsgut geschützt, so lässt sich feststellen, dass diese auch i. R. d. Art. 2 EUV geschützt ist. Diese Feststellung ist vor allem dann kaum zu erschüttern, wenn die Medienvielfalt in diesen Mitgliedstaaten aus Werten hergeleitet wird, welche in Art. 2 EUV ausdrücklich benannt sind. (2) Unionsrecht und Rechtsprechung des EuGH Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass die europäischen Werte, trotz ihrer Herleitung aus dem mitgliedstaatlichem Verfassungsrecht, mittlerweile einen eigenständigen Gehalt aufweisen.91 Dieser wird beispielsweise daran sichtbar, dass der EuGH im Wege der „wertenden Rechtsvergleichung“ allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts aus mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entwickelt.92 Die aus mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hergeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze werden dann ihrerseits Regeln des Unionsrechts.93 Vor diesem Hintergrund kann auch die Rechtsprechung des EuGH Anhaltspunkte dafür liefern, welchen Stellenwert die Medienvielfalt innerhalb des Unionsrechts einnimmt. Zudem kann die GrCh, trotz ihres eingeschränkten Anwendungsbereichs, im Hinblick auf eine mögliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Sicherung der Medienvielfalt Bedeutung gewinnen. I. R. d. Art. 2 EUV, welcher unabhängig davon Geltung beansprucht, ob mitgliedstaatliche Kompetenzen oder solche der Union betroffen sind, können die in der GrCh verankerten Rechte zumindest Indizien dafür liefern, welche unverzichtbaren Werte es auf allen Ebenen des unionalen Verbunds zu schützen gilt. Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh liefert in dieser Hinsicht einen Anhaltspunkt für die Bedeutung der Medienvielfaltsicherung in der Unionsrechtsordnung.

91

Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 EUV, Rn. 14. Zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze aus mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, siehe Bleckmann, FS Börner, S. 29, 30. 93 Schüll, S. 82. 92

I. Die sog. Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV

125

(3) EMRK und Rechtsprechung des EGMR Schließlich kommt der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR eine wichtige Bedeutung bei der Konkretisierung europäischer Werte zu.94 So sind zum einen alle Mitglieder der EU Konventionsstaaten und zum anderen sind die Grundrechte der EMRK gem. Art. 6 Abs. 3 1. Alt. EUV als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Es ist allen Mitgliedstaaten der EU bereits völkerrechtlich untersagt, die von der EMRK vorgezeichneten Grundrechtsmaßstäbe zu unterschreiten. Somit lässt sich der EMRK und der sie konkretisierenden Rechtsprechung des EGMR ein europäischer Mindeststandard an grundrechtlichen Gewährleistungen entnehmen.95 Dies gilt unabhängig davon, welchen Rang die EMRK im nationalen Verfassungsrecht einnimmt.96 Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK wird nicht zuletzt aufgrund ihrer Verbindlichkeit für alle Mitgliedstaaten der EU auch als Basis einer europäischen Medien- und Kommunikationsverfassung bezeichnet.97 Als solche steckt die Rechtsprechung des EGMR den völkerrechtlich zulässigen Rahmen ab, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten ihre Verfassungen medienspezifisch ausgestalten dürfen.98 c) Verhältnis von Art. 2 S. 1 EUV zu Art. 2 S. 2 EUV Während Art. 2 Abs. 1 EUV die Werte nennt, auf welche sich die Union gründet, heißt es in Art. 2 S. 2 EUV, dass diese Werte allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam sind, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auszeichnet. Indem Art. 2 S. 2 EUV inhaltlich auf die Werte des Art. 2 S. 1 EUV Bezug nimmt und diese als Gemeinsamkeiten aller Mitgliedstaaten beschreibt, kommt diesem insoweit rechtliche Bedeutung zu, als er klarstellt, dass die genannten Werte nicht nur bei der Setzung und Anwendung von Unionsrecht von Bedeutung sind, sondern auch im Bereich des autonomen mitgliedstaatlichen Handelns.99 Problematisch ist indessen die rechtliche Bindungswirkung der im zweiten Halbsatz des Art. 2 S. 2 EUV vorgenommenen Gesellschaftsbeschreibung. Die Frage nach der rechtlichen Verbindlichkeit stellt sich vor allem deshalb, da es grundsätzlich in Betracht gezogen werden könnte, die Nichteinhaltung der Gesellschaftsbeschreibung 94 Kritisch, Holterhus / Kornack, EuGRZ 2014, 389, 391 f. Diese vertreten die Auffassung, dass die Auswertung völkerrechtlicher Verträge wegen der vielfältigen Mitgliederstruktur der vertragsschließenden Staaten gegenüber der Verfassungsvergleichung der EU-Mitgliedsstaaten nur ergänzend herangezogen werden sollte. 95 Thum, DÖV 2008, 653, 660. 96 Häberle, EuGRZ 1991, 261, 271. 97 Holoubek, AfP 2003, 193. 98 Holoubek, AfP 2003, 193. 99 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 40 (EL 51: September 2013); de Quadros, FS Badura, S. 1125, 1127.

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

des Art. 2 S. 2 EUV zum Gegenstand eines Sanktionsverfahrens nach Art. 7 EUV zu machen.100 Art. 7 EUV nimmt lediglich auf die Werte des Art. 2 EUV Bezug, ohne nach dessen S. 1 und S. 2 zu differenzieren. Problematisch ist die Unbestimmtheit der in S. 2 verwendeten Gesellschaftsbeschreibung und die Tatsache, dass dieser, je nach politischer Verortung, ein unterschiedlicher Bedeutungsgehalt beigemessen werden kann.101 Gleichwohl wird vertreten, dass die in Art. 2 S. 2 EUV genannten Attribute Rechtspflichten begründen, welche mit Ausnahme der „Solidarität“ und „Gerechtigkeit“ auch justitiabel sind.102 Zudem lässt sich argumentieren, dass Art. 2 S. 2 EUV zur Konkretisierung der Werte des Art. 2 S. 1 EUV beiträgt, indem die dort vorgenommene Gesellschaftsbeschreibung den Sinngehalt des Art. 2 S. 1 EUV näher ausfüllt.103 Überwiegend wird die Beschreibung des Art. 2 S. 2 EUV jedoch als rechtlich unverbindlicher Programmsatz angesehen.104 Für die Unverbindlichkeit der in Art. 2 S. 2 EUV genannten Beschreibung einer jeden mitgliedstaatlichen Gesellschaft, spricht bereits der Aufbau der Norm selbst. So benennt Art. 2 S. 1 EUV ausdrücklich auch als solche bezeichnete Werte. Art. 2 S. 2 1. Hs. EUV greift diese Werte auf und erklärt sie auch für die Mitgliedsstaaten als verbindlich. Art. 2 S. 2 2. Hs. EUV nimmt demgegenüber lediglich den Versuch einer vagen Charakterisierung einer Gesellschaft vor, in welcher die Werte des Art. 2 S. 1 EUV realisiert sind. Dabei werden Begriffe genutzt, welche, anders als diese des Art. 2 S. 1 EUV, durch die Rechtswissenschaft noch nicht hinreichend konturiert wurden und vielmehr in politischen Zusammenhängen Verwendung finden. Dies spricht dafür, dass es sich bei den Begriffen des Art. 2 S. 2 EUV um nicht mehr als eine Art „Selbstqualifikation“ handelt.105 Dass die Beschreibung der mitgliedstaatlichen Gesellschaft keine rechtlich relevanten Sanktionen auslösen kann, legt bereits Art. 7 EUV selbst nahe. Diese Norm nennt in ihrem Tatbestand zwar undifferenziert die Werte des gesamten Art. 2 EUV. Andererseits nimmt sie auf die dort verankerten Werte Bezug. Fasst man, was der Wortlaut der Vorschrift indiziert, lediglich diejenigen Strukturmerkmale eines Hoheitsträgers als Werte auf, welche Art. 2 S. 1 EUV als solche benennt, so kann Art. 7 EUV auch nur bei deren Verletzung zur Anwendung gebracht werden. Mangels rechtlicher Relevanz des Art. 2 S. 2 2. Hs. EUV kann mithin auch die Medienvielfalt nicht dem dort genannten Attribut des Pluralismus zugeordnet werden. Vielmehr muss eine Zuordnung über die in Art. 2 S. 1 EUV genannten Werte erfolgen.

100

Streinz-Pechstein, Art. 2 EUV, Rn. 8. Streinz-Pechstein, Art. 2 EUV, Rn. 8. 102 Murswiek, NVwZ 2009, 481, 482. 103 Potacs, EuR 2016, 164, 171 (siehe insb. Fn. 37). 104 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 42 (EL 51: September 2013); Schwarze EU-Kommentar-Schwarze, Art. 2 EUV, Rn. 3; Streinz-Pechstein, Art. 2 EUV, Rn. 8. 105 Schwarze EU-Kommentar-Schwarze, Art. 2 EUV, Rn. 3. 101

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung der Medienvielfalt 1. Art. 11 Abs. 2 GrCh und die Rechtsprechung des EuGH a) Fehlende Anknüpfungspunkte einer Konkretisierung Unionsweit verbindliche Maßstäbe für Mindestanforderungen, welche i. R. d. Art. 2 EUV an die Medienvielfalt zu stellen sind, wurden durch den EuGH bisher nicht entwickelt. Dies verwundert kaum, wenn man berücksichtigt, dass der Schutz der Medienvielfalt im Grundsatz in die mitgliedstaaliche Kompetenz fällt. Zudem kann die Erwähnung der Medienpluralität in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh die Zuständigkeitsverteilung in diesem Bereich nicht -auch nicht im Wege der Entfaltung einer objektiv-rechtlichen Dimension eines Medienfreiheitsgrundrechts- zu Gunsten der EU verschieben. Angesichts der Kompetenzverteilung im Bereich des Medienrechts ist es auch in Zukunft kaum vorstellbar, dass der EuGH an den Unionsgesetzgeber Anforderungen bezüglich notwendiger Maßnahmen zur Sicherstellung der Medienvielfalt adressieren wird.106 Auch eine gerichtliche Überprüfung etwaiger Vielfalt sichernder mitgliedstaatlicher Verpflichtungen aus Art. 11 Abs. 2 GrCh bzw. Art. 10 EMRK kommt durch den EuGH nicht in Betracht, da derartige nationale Verpflichtungen grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Unionsrechts entzogen sind.107 Nur in der Ausnahmesituation, dass sich der Schutz der Meinungs- und Medienfreiheit in einem Mitgliedstaat auf einem derart niedrigen Niveau bewegt, dass hierdurch die gesamte EU-Rechtsordnung in ihrer Funktion beeinträchtigt wird, sollte eine Überprüfung des nationalen Grundrechtsschutzes durch den EuGH erwogen werden.108 Aus dieser Perspektive wäre es aber denkbar, dass aus Art. 2 EUV Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, welche die Gewährleistung der Medienvielfalt sicherstellen sollen, hergeleitet werden können. Indessen steht auch insoweit Art. 269 AEUV einer inhaltlichen Konkretisierung der Werte des Art. 2 EUV im Allgemeinen und der Medienvielfalt im Besonderen entgegen. So ist die Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit eines aufgrund des Art. 7 EUV ergangenen Sanktionsbeschlusses der Rechtsprechung durch den EuGH entzogen.109 Mithin wird der EuGH derzeit keine Veranlassung haben können, sich näher mit dem Inhalt der Werte des Art. 2 EUV zu befassen. Damit bleibt festzuhalten, dass eine nähere Bestimmung der Mindestanforderungen, welche die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Sicherstel­ lung der Medienvielfalt einzuhalten haben, durch den EuGH überhaupt nicht erfolgen kann. 106

Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 371. Skouris, MMR 2011, 423, 426. 108 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro zur Rs.  C-380/05 (Centro Europa 7) v. 12.09.2007, ECLI:EU:C:2007:505, Rn. 22. 109 Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 269 AEUV, Rn. 3. 107

128

C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

b) Herausstellung der Bedeutung der Medienvielfalt Die fehlende Möglichkeit des EuGH Mindestanforderungen an die Medien­ vielfalt zu formulieren, hat ihn jedoch nicht daran gehindert, die Bedeutung des Schutzguts der Medienvielfalt herauszustellen. Mitgliedstaatliche Vorschriften, welche zum Zwecke der Verwirklichung der Medienvielfalt ergangen sind und zu einer Beschränkung der Grundfreiheiten führen, haben den EuGH dazu veranlasst, sich zu dem Stellenwert der Medienvielfalt in der Unionsrechtsordnung zu äußern. Besonders bemerkenswert ist, dass der EuGH sogar ein Fernsehmonopol als nicht schlechterdings mit der Unionsrechtsordnung unvereinbar angesehen hat.110 Erstmals ausdrücklich hat sich der EuGH im Jahr 1991 zu der herausragenden Bedeutung der Medienvielfalt geäußert, indem er die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens in Anlehnung an Art. 10 der EMRK in den Rang eines von der Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechts gehoben hat.111 Dabei hat er bereits in dieser Entscheidung herausgestellt, dass Regelungen, welche zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt ergehen, zwar zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen und damit Beschränkungen von Grundfreiheiten rechtfertigen können.112 Jedoch hat er ebenso verdeutlicht, dass die Möglichkeit der Einschränkung von Grundfreiheiten aus Gründen der Sicherstellung der Medienvielfalt unter dem Vorbehalt der Unerlässlichkeit bzw. Erforderlichkeit steht.113 Dass der Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt nicht stets gegenüber der Verwirklichung der Grundfreiheit als der gewichtigere Belang anzusehen ist, hat der EuGH weiterhin besonders anschaulich in der sog. Rechtssache Familiapress verdeutlicht. Vielmehr ist im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen, dass die Erfordernisse der Medienvielfalt im Einzelfall eine Zurückstellung der Belange des Binnenmarkts gebieten.114 Aus dieser Rechtsprechung lassen sich Rückschlüsse auf die grundrechtsdogmatische Einordnung der Medienvielfalt durch den EuGH ziehen. Offenbar folgt der EuGH der sog. Ausgestaltungsdogmatik des BVerfG, welches in Regelungen zur Aufrechterhaltung der Medienvielfalt keine Eingriffe in das Individualgrundrecht der Rundfunkfreiheit erblickt, nicht.115 Gleichwohl scheint der EuGH den als notwendig erkannten Schutz der Medienvielfalt als einen von der Eingriffsabwehr abzugrenzenden objektiv-rechtlichen Schutzgehalt eines Kommunikations- bzw. Meinungsfreiheitsgrundrechts anzusehen.116 Dabei ist der EuGH sich bewusst, dass Regelungen, welche zum Schutz der Medienvielfalt ergehen, zugleich Eingriffe in dasselbe Grundrecht dar-

110

EuGH, Urt. v. 18.06.1991, Rs.  C-260/89, ECLI:EU:C:1991:254, Rn. 10 (ERT / DEP); EuGH, Urt, v. 30.04.1974, Rs. C-155/73, ECLI:EU:C:1974:40, Rn. 14 (Sacci). 111 EuGH, Urt. v. 25.07.1991, Rs. C-288/89, ECLI:EU:C:1991:323, Rn. 23 (Gouda). 112 EuGH, Urt. v. 25.07.1991, Rs. C-288/89, ECLI:EU:C:1991:323, Rn. 23 (Gouda). 113 EuGH, Urt. v. 25.07.1991, Rs. C-288/89, ECLI:EU:C:1991:323, Rn. 24 f. (Gouda). 114 EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C-368/95, ECLI:EU:C:1997:325, Rn. 34 (Familiapress). 115 Bär, S. 35 f.; Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 368. 116 Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 366.

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

129

stellen, aus dessen Gehalt sich die Notwendigkeit des Schutzes der Medienvielfalt ergibt.117 Um das Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen der Eingriffsabwehr und der notwendigen Sicherstellung der Medienvielfalt auflösen zu können, bedarf es einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen der Rechtsposition desjenigen, in dessen Kommunikationsfreiheitsraum eingegriffen wird und der Notwendigkeit einen solchen Eingriff im Allgemeininteresse der Medienvielfaltsicherung vorzunehmen. Auch wenn Gesichtspunkte der Medienvielfalt im Wege der Abwägung als Eingriffe in Grundfreiheiten bzw. Grundrechte gerechtfertigt werden müssen, kommt ihnen nach der Rechtsprechung des EuGH wegen ihrer Herleitung aus den Grundrechten des Art. 10 EMRK und nunmehr auch des Art. 11 Abs. 2 GrCh ein erhebliches Gewicht zu. Dass die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens als Teilaspekt der Medienvielfalt Grundfreiheiten beschränken kann, bezeichnet der EuGH mittlerweile als seine ständige Rechtsprechung.118 Die Herleitung der grundrechtlichen Bedeutung der Medienvielfalt durch den EuGH erfolgte ursprünglich in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 der EMRK.119 Seit dem rechtlich verbindlichen Inkrafttreten der GrCh wird der Stellenwert der Medienvielfalt bereits anhand des Art. 11 Abs. 2 GrCh sichtbar. So benennt Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh, anders als die EMRK, ausdrücklich die Verpflichtung zur Achtung des Medienpluralismus. Diese Verpflichtung kann freilich nur insoweit rechtliche Bindungswirkung entfalten, als der Anwendungsbereich der GrCh für ein hoheitliches Handeln maßgeblich ist. Zwar steht die eingeschränkte Zuständigkeit der EU auf dem Gebiet des Medienrechts einer Rechtsprechung des EuGH entgegen, welche aus Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh konkrete Verpflichtungen an den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber zur Sicherung der Medienvielfalt adres­ sieren kann. Auf der anderen Seite macht Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh aber auch ohne eine ihn konkretisierende Rechtsprechung deutlich, dass die Medienvielfalt nach dem übereinstimmenden Willen der die Grundrechtecharta in Kraft setzenden Mitgliedstaaten einen Wert darstellt, welcher im Rahmen der Mediengesetzgebung, auch wenn diese auf nationaler Ebene und insofern außerhalb des Anwendungsbereichs der Charta erfolgt, Beachtung finden muss.

117

Feise, S. 66. EuGH, Urt. v. 13.12.2007, Rs. C-250/06, ECLI:EU:C:2007:783, Rn. 41 (United Pan-Europe Communications Belgium u. a.). 119 Bär, S. 35. 118

130

C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

2. Art. 10 EMRK und die Rechtsprechung des EGMR a) Art. 10 EMRK als Medienfreiheit Die Rechtsprechung des EGMR, welche einen Bezug zum Erfordernis der Medienvielfaltsicherung aufweist, hat insb. Art. 10 EMRK zur rechtlichen Maßstabsnorm.120 Art. 10 EMRK räumt in seinem Abs. 1 S. 1 jeder Person ein Recht auf freie Meinungsäußerung ein. Zudem wird in Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK ein nicht nur auf die Äußerung bezogenes Recht auf Meinungsfreiheit sowie ein Recht zum freien Empfang und zur Weitergabe von Informationen und Ideen begründet. Keine Erwähnung findet in der EMRK eine Rundfunk-, Presse- oder, mediumübergreifend formuliert, eine Medienfreiheit. Gleichwohl schützt Art. 10 EMRK sowohl alle Formen der medialen Verbreitung von Inhalten als auch die Arbeitsweise der Medien als solche.121 Insofern kann also die Presse- und Rundfunk-, bzw. die Medienfreiheit, nicht zuletzt aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe zur Meinungs- und Informationsfreiheit, als von Art. 10 EMRK mit geschützt angesehen werden. b) Verpflichtung zur Medienvielfaltsicherung Problematisch ist indessen, ob Art. 10 EMRK auch eine positive Verpflichtung der Konventionsstaaten zur Sicherung der Medienvielfalt entnommen werden kann. Eine solche Verpflichtung könnte grundrechtsdogmatisch einerseits in der Weise hergeleitet werden, dass man dem Staat eine Ausgestaltungskompetenz im Hinblick auf die Sicherung der Medienvielfalt zubilligt. Dann würden Maßnahmen, welche der Sicherung der Medienvielfalt dienen, nicht als Eingriffe in die von Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützten Freiheiten anzusehen sein.122 Vielmehr wäre der Gesetzgeber bei dieser Sichtweise berechtigt, die Medienordnung unter dem Gesichtspunkt der Medienvielfalt auszugestalten. Subjektive Medienfreiheitsgrundrechte könnten überhaupt erst infolge dieser Ausgestaltung entstehen. Aber auch ohne eine Anlehnung an die deutsche Ausgestaltungsdogmatik könnte sich aus einer staatlichen Schutzpflicht im Hinblick auf die von Art. 10 EMRK geschützten Rechte die Notwendigkeit ergeben, dass der Staat positive Maßnahmen zur Sicherung der Medienvielfalt ergreifen muss. Zwar wären Vielfalt sichernde Maßnahmen bei dieser Betrachtungsweise als Eingriffe anzusehen. Die Abwägung zwischen den subjektiv-rechtlichen und den objektiv-rechtlichen Gehalten des Art. 10 Abs. 1 EMRK könnte jedoch gleichwohl eine Pflicht zur Pluralismussicherung begründen. Normativer Anknüpfungspunkt der Diskussion, ob die Konventionsstaaten berechtigt sind, Fragen der Medienvielfaltsicherung zu regeln, ohne dass darin ein Eingriff in die subjektiven Freiheiten des Art. 10 Abs. 1 EMRK liegt, ist Art. 10 120

Zu weiteren Gewährleistungen mit Bezug zur Medienvielfalt, siehe D. II. 2. Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 100, Rn. 19. 122 Roider, S. 167. 121

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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Abs. 1 S. 3 EMRK, welcher die Möglichkeit eines Genehmigungsvorbehalts u. a. für Rundfunkunternehmen vorsieht.123 Zum Teil wird angenommen, dass die Möglichkeit des Genehmigungsvorbehalts zum Ausdruck bringt, dass die Rundfunkordnung im Wege der gesetzlichen Ausgestaltung durch den jeweiligen Konventionsstaat regelbar bleibt, ohne dass darin bereits ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Freiheiten des Art. 10 Abs. 1 zu sehen wäre.124 Nur soweit gesetzliche Regelungen andere Rechtsgüter als einen freien Kommunikationsprozesses schützen sollen, seien diese an den Anforderungen der Schrankenregelung des Art. 10 Abs. 2 EMRK zu messen.125 Indessen wird teilweise wiederum die Einschränkung gemacht, dass auch solche Regelungen, welche die Rundfunkordnung der Eingriffsebene gleichsam vorgelagert ausgestalten, i. S. d. Schrankenregelung des Art. 10 Abs. 2 EMRK in einer „demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein müssen.126 Überwiegend wird die Berechtigung zur Ausgestaltung der Rundfunkordnung in der Weise, dass mögliche Beeinträchtigungen der in Art. 10 Abs. 1 EMRK angelegten individuellen Freiheiten nicht an den Grundrechtsschranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK gemessen werden müssen, als im Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR stehend bzw. als nicht auf die EMRK zu übertragende Besonderheit des deutschen Rechts abgelehnt.127 Nach einer extremen Gegenmeinung wird dem Staat sogar in jeder Hinsicht das Recht abgesprochen, regulierend auf ein ausgewogenes Meinungsspektrum, welches in den Medien zum Ausdruck kommen soll, einzuwirken.128 Gegen die letztgenannte Auffassung spricht indessen die Rechtsprechung des EGMR, welche eine die Eingriffsabwehrfunktion ergänzende, objektiv-rechtliche Bedeutung der durch Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützten Medienfreiheiten zum Ausdruck bringt. So hat der EGMR frühzeitig betont, dass im Interesse des Pluralismus, wenngleich unter Beachtung des Schrankenvorbehalts des Art. 10 Abs. 2 EMRK, auch solche Meinungen frei geäußert werden können müssen, die „den Staat oder irgendeinen Bevölkerungsteil verletzten, schockieren oder beunruhigen“.129 Den Pluralismus, dessen Teilaspekt aufgrund des inhaltlichen Bezugs zur Meinungsäußerungsfreiheit insbesondere auch die Meinungsvielfalt darstellen dürfte, sieht der EGMR als eine notwendige Bedingung einer demokratischen Gesellschaft an.130 In weiteren Entscheidungen erkannte der EGMR den Pluralismus, insbesondere unter dem Blickwinkel der Meinungsvielfalt, als legitimen Zweck an, dessen Verfolgung grundsätzlich geeignet ist, Eingriffe in die Freiheiten des Art. 10 Abs. 1 S. 1 und 2 123

Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10 EMRK, Rn. 95 (15. Lieferung – Juni 2013). Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 186 f. 125 Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 188; Petersen, S. 296. 126 Petersen, S. 297. 127 Bär, S. 23; Frey, S.  56 f.; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10 EMRK, Rn. 95 (15. Lieferung – Juni 2013); Roider, S. 186. 128 Engel, Privater Rundfunk vor der EMRK, S. 75 f. und S. 314. 129 EGMR, EuGRZ 1977, S. 38, 42, § 49 (Handyside / Vereinigtes Königreich). 130 EGMR, EuGRZ 1977, S. 38, 42, § 49 (Handyside / Vereinigtes Königreich). 124

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

EMRK zu rechtfertigen.131 Die Bedeutung des Pluralismus wurde auch in der Entscheidung des EGMR zur Zulässigkeit des österreichischen Rundfunkmonopols hervorgehoben, wenngleich das Monopol im Ergebnis als nicht gerechtfertigt erachtet wurde. Zwar wurde auf die herausragende Bedeutung der Medien im Hinblick auf die Verbreitung von Nachrichten und Meinungen von allgemeinem Interesse eingegangen. So wurde der Empfang derselben als Anrecht der Öffentlichkeit bezeichnet.132 Auch machte der EGMR deutlich, dass die Medien nur dann ihre Aufgabe, die ihnen im Zusammenhang mit der Meinungsäußerungsfreiheit und dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit im Hinblick auf Nachrichten und Meinungen von allgemeinem Interesse zukommt, erfüllen kann, wenn der Grundsatz des Pluralismus gilt.133 Als Garant des Pluralismus bezeichnet der EGMR, zumindest in Bezug auf die audiovisuellen Medien, in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung den Staat.134 Bereits die Bezeichnung des Staates als Garant des Pluralismus sowie die Herausstellung der Rolle der Medien im Hinblick auf die Verbreitung der Informationen und Ideen von allgemeinen Interesse, auf dessen Empfang die Öffentlichkeit ein Anrecht hat, legen eine staatliche Schutzpflicht zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Funktion des Art. 10 EMRK nahe. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Staat zumindest im Falle konkreter Gefährdungen der Medienvielfalt aus Art. 10 EMRK objektiv-rechtlich verpflichtet ist, diese durch positives Handeln zu sichern.135 Dass der Staat zur Sicherung der Medienvielfalt im audiovisuellen Bereich nicht lediglich auf das Unterlassen von Eingriffen in die Freiheiten des Art. 10 Abs. 1 EMRK beschränkt ist, bringt der EGMR in seiner jüngeren Rechtsprechung unmissverständlich zum Ausdruck. So trifft den Staat nach Auffassung des EGMR die Verpflichtung, in den audiovisuellen Medien, soweit notwendig auch durch positives Handeln, für einen wirksamen Pluralismus zu sorgen.136 Durch den EGMR erstmals ausdrücklich und besonders instruktiv herausgearbeitet wird die staatliche Verpflichtung zur Sicherstellung eines vielfältigen Medienangebots in einem Urteil, welches sich mit der Einflussnahme einer damals allein regierenden moldawischen politischen Partei auf den dortigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu befassen hatte.137 Der EGMR nahm in diesem Fall eine Verletzung von Art. 10 EGMR an und hob hervor, dass eine wirksame Ausübung der Meinungs­ freiheit nicht nur die Verpflichtung des Staates zur Unterlassung von Eingriffen 131 EGMR, EuGRZ 2003, S. 488, 490, §§ 34, 37 (Demuth / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1990, S. 255, 258, § 69 (Groppera Radio AG u. a. / Schweiz). 132 EGMR, EuGRZ 1994, S. 549, 550, § 38 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 133 EGMR, EuGRZ 1994, S. 549, 550, § 38 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 134 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 99 (Manole u. a. / Moldawien); EGMR, EuGRZ 1994, S. 549, 550, § 38 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). Hinweis: Entscheidungen des EGMR ohne Angabe einer Zeitschriftenfundstelle sind über die Suchfunktion der Internetseite des EGMR, http://hudoc.echr.coe.int, dauerhaft abrufbar. 135 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 285. 136 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro 7 Europa u. a. / Italien); EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 99 (Manole u. a. / Moldawien). 137 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02 (Manole u. a. / Moldawien).

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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beinhaltet, sondern dass dieser als „ultimativer Garant des Pluralismus“ auch verpflichtet sein kann, positive Schutzmaßnahmen zu ergreifen.138 Für den Bereich des Rundfunks formuliert der EGMR eine Verpflichtung des Staates, sicherzustellen, dass die Bevölkerung Zugang zu unabhängigen und korrekten Informationen sowie zu den verschiedenen innerhalb eines Landes vertretenen Meinungen hat.139 Weiterhin muss der Staat sicherstellen, dass die Mitarbeiter in den Rundfunkanstalten nicht an der Vermittlung dieser Informationen und Meinungen gehindert werden.140 Im Hinblick auf die Frage, durch welche Maßnahmen der Staat diesem Gewährleistungsauftrag nachkommt, ist diesem indessen ein Ermessensspielraum eingeräumt.141 Über die generelle Anerkennung einer objektiv-rechtlichen Dimension, welche mit einer Verpflichtung zur Vielfaltsicherung in Gefährdungslagen einhergeht, hinausgehend könnte Art. 10 EMRK sogar dahingehend gedeutet werden, dass dieser, vergleichbar der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, ein sog. Funktionsgrundrecht beinhaltet. Als Funktionsgrundrecht könnte die dem Art. 10 EMRK zukommende Aufgabe der Gewährleistung einer vielfältigen und umfassenden Information der Öffentlichkeit der ebenso in Art. 10 Abs. 1 EMRK angelegten individuellen Inanspruchnahme von Medienfreiheitsgrundrechten generell übergeordnet sein.142 Indessen hat der EGMR stets betont, dass die Ausgestaltung der Rundfunkordnung durch den Gesetzgeber, welche beispielsweise im Wege von Genehmigungsvorbehalten i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK erfolgen kann, auch den Anforderungen des Schrankenvorbehalts gem. Art. 10 Abs. 2 EMRK genügen muss.143 Indem der EGMR Vielfalt sichernde Regelungen, trotz des Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK, welcher einen Ausgestaltungsvorbehalt nahe legen könnte, an den Grundrechtsschranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK misst, macht er deutlich, dass das Ziel der Vielfaltsicherung nicht von vornherein den individuellen Kommunikationsfreiheiten übergeordnet ist. Vielmehr muss im Einzelfall abgewogen werden, ob das gesetzgeberische Ziel der Vielfaltsicherung in verhältnismäßiger Weise die Freiheiten des Art. 10 Abs. 1 EMRK einschränkt. Damit lässt sich festhalten, dass der EGMR die Möglichkeit einer Vielfalt sichernden Ausgestaltung der Rundfunkordnung durch den Gesetzgeber ablehnt, sofern diese nicht die gegenläufigen öffentlichen und privaten Interessen in verhältnismäßiger Weise zum Ausgleich bringt.144 Andererseits hat der EGMR aber 138

EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 99 (Manole u. a. / Moldawien). EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 140 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 141 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 142 In diese Richtung argumentierend, Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 285. 143 EGMR, EuGRZ 1994, S. 549, 550, § 33 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich); EGMR, EuGRZ 1990, S. 255, 257, § 61 (Groppera Radio AG u. a. / Schweiz). 144 Bär, S. 25. 139

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

auch die herausragende Bedeutung des Pluralismus i. S. d. Meinungsvielfalt besonders hervorgehoben und deutlich gemacht, dass eine hierauf gerichtete Zielsetzung Einschränkungen der Kommunikationsfreiheiten rechtfertigen kann, obwohl dieser Gesichtspunkt bei den Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Einschränkungsmöglichkeiten keine ausdrückliche Erwähnung findet.145 Die Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK bleiben aber insoweit beachtlich, als Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK zwar die Rechtfertigungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Erfordernisse der Medienvielfalt erweitert, nicht aber von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entbindet.146 Insofern müssen Regelungen welche der Medienvielfalt dienen i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein. Dass aber die Medienvielfalt eine notwendige Voraussetzung für die Existenz einer solchen Gesellschaft ist, hat der EGMR mehrfach betont. Insofern reduziert der EGMR Art. 10 Abs. 1 EMRK nicht lediglich auf die Dimension der Eingriffsabwehr.147 Zwar ist zu berücksichtigen, dass der EGMR den Konventionsstaaten im Hinblick auf die Beurteilung der Frage der Notwendigkeit einer Vielfalt sichernden Maßnahme einen gewissen Beurteilungsspielraum zuerkennt.148 Gerade bei den audiovisuellen Medien, deren starken Einfluss auf die Öffentlichkeit der EGMR herausstellt, gewinnt der Gesichtspunkt der Qualität und Ausgeglichenheit der Inhalte in der Abwägung mit den individuellen Freiheiten des Art. 10 Abs. 1 S. 1 und S. 2 EMRK aber ein besonderes Gewicht.149 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Rechtsprechung des EGMR eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates begründet, Regelungen zu treffen welche sicherstellen, dass die Medienvielfalt in Gefährdungslagen gewährleistet bleibt. Würden die Konventionsstaaten nicht gehalten sein, im Falle von Gefährdungen der Medienvielfalt regulierend einzugreifen, so liefe die vom EGMR vorgenommene Herausstellung der besonderen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft leer. So muss gesehen werden, dass die einer Meinungsäußerung vorgelagerte Meinungsbildung nur dann frei erfolgen kann, wenn der Öffentlichkeit ein vielfältiges mediales Informationsangebot zur Verfügung steht. Der EGMR hat vielfach betont, dass die in der EMRK garantierten Rechte nicht nur illusorisch und theoretisch wahrnehmbar sein sollen.150 Vielmehr sollen sie prak 145

EGMR, EuGRZ 2003, S. 488, 490, § 33 (Demuth / Schweiz). Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10 EMRK, S. 80, Rn. 105 (15. Lieferung – Juni 2013). 147 Vgl. auch Gersdorf, AöR 119 (1994), 400, 414. Dieser nahm bereits vor der ausdrücklichen Feststellung seitens des EGMR eine grundrechtliche Verpflichtung nicht nur der Konventionsstaaten, sondern auch der EU an, sich schützend vor das Schutzgut der Medienvielfalt zu stellen. 148 EGMR, EuGRZ 2003, S. 488, 490, § 40 (Demuth / Schweiz). Die Problematik, welche konkreten Maßnahmen aus der Pluralismusverpflichtung herzuleiten sind, deutet Gersdorf an. Siehe, Gersdorf, AöR 119 (1994), 400, 414. 149 EGMR, EuGRZ 2003, S. 488, 491, § 43 (Demuth / Schweiz). 150 EGMR, Urt. v. 02.02.2010, Nr. 25196/04, § 25 (Christian Democratic People’s Party / Moldawien, No. 2). 146

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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tikabel und effektiv zur Geltung gebracht werden können.151 Daher wird überzeugend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR vertreten, dass der Staat aufgrund des Art. 10 EMRK dazu verpflichtet ist, durch gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit mit vielfältigen politischen Auffassungen versorgt wird.152 Diese gesetzlichen Regelungen müssen sich jedoch auf ein notwendiges Maß beschränken, um die subjektiven Freiheitsrechte des Art. 10 Abs. 1 EMRK nicht zu entwerten. Entsteht aber eine Meinungsdominanz wirtschaftlicher Unternehmen oder politischer Gruppierungen, so muss der Staat regulierend eingreifen, um die erforderliche Medienvielfalt gewährleisten zu können.153 3. Verfassungsüberlieferungen ausgewählter Mitgliedstaaten a) Deutschland aa) Medienvielfalt im Rundfunkbereich Das Schutzgut der Medienvielfalt findet, anders als in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh, im GG keine ausdrückliche Erwähnung. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schützt seinem Wortlaut nach lediglich die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film. Da das GG die Freiheit verschiedener medialer Äußerungsformen in seinem Grundrechtsteil schützt, hätte es nahe gelegen, hierin in erster Linie Abwehrrechte gegen staatliche Beschränkungen der als solcher bezeichneten Freiheiten zu sehen.154 Gerade in Bezug auf die Rundfunkfreiheit hat das BVerfG indessen eine umfassende Dogmatik entwickelt, welche eine Überordnung der objektiv-rechtlichen Dimension des Grundrechts gegenüber der dem Wortlaut nach gewährten Individualfreiheit zum Inhalt hat.155 Die objektiv-rechtliche Dimension des Grundrechts verpflichtet den Gesetzgeber dazu, durch gesetzliche Ausgestaltung eine sog. „positive Ordnung“156 zu errichten, welche die Meinungsvielfalt bzw. die in dieser Arbeit als solche bezeichnete Medienvielfalt gewährleisten soll.157 Es soll hier nicht darauf ankommen, die einzelnen Anforderungen, welche das BVerfG an die Ausgestaltung der „positiven Ordnung“ richtet, im Einzelnen darzustellen. Vielmehr reicht es aus, den Stellenwert, welchen die Medienvielfalt im deutschen 151 EGMR, Urt. v. 02.02.2010, Nr. 25196/04, § 25 (Christian Democratic People’s Party / Moldawien, No. 2). 152 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10 EMRK, Rn. 9, 29 (Zitat der Vorauflage wg. Bearbeiterwechsel und völliger Neubearbeitung der Kommentierung). 153 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, Urt. v. 17.09.2009, § 98 (Manole u. a. / Moldawien); Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10 EMRK, Rn. 29 (Zitat der Vorauflage wg. Bearbeiterwechsel und völliger Neubearbeitung der Kommentierung). 154 Roider, S. 188 f. 155 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 132, Rn. 68; Roider, S. 193. 156 BVerfGE 57, 295, 320. 157 Dörr, ZUM 1997, 337, 353.

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

Verfassungsrecht einnimmt und wie dieser dogmatisch hergeleitet wird, zu verdeutlichen. So kann die Rechtsprechung eines Mitgliedstaats der EU zwar einen wichtigen Anhaltspunkt dafür liefern, dass ein bestimmter Verfassungswert, welcher auf nationaler Ebene hochrangigen Schutz genießt, auch einen Wert i. S. d. Art. 2 EUV darstellen könnte. Indessen können die einzelnen Anforderungen, welche ein mitgliedstaatliches Verfassungsgericht an den betroffenen Staat adressiert, nicht zugleich als die für alle Mitgliedstaaten verbindliche Ausprägung eines von Art. 2 EUV erfassten Schutzguts gelten. Gleichwohl kann eine Betrachtung verschiedener mitgliedstaatlicher Verfassungen einen erhellenden Aufschluss über die dogmatische Herleitung des Erfordernisses der Medienvielfalt liefern. Eine solche erscheint erforderlich, da Art. 2 S. 1 EUV die Medienvielfalt als solche nicht ausdrücklich benennt. Sie kann mithin nur einen Ausschnitt bzw. eine notwendige Voraussetzung der Verwirklichung der dort genannten Werte darstellen. Das BVerfG stellt die Rundfunkfreiheit in einen Zusammenhang mit der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegten Meinungsäußerungsfreiheit, indem es ausführt, dass beide Garantien der freien und öffentlichen Meinungsbildung dienen.158 Das BVerfG verweist darauf, dass sich freie Meinungsbildung in einem Kommunikationsprozess vollzieht, welcher voraussetzt, dass Meinungen zum einen frei geäußert und verbreitet und zum anderen auch frei zur Kenntnis genommen werden können.159 Die Absicherung eines Kommunikationsprozesses, welcher eine freie Meinungsbildung ermöglicht, sieht das BVerfG als vorrangige Aufgabe der Rundfunkfreiheit an, indem er dieses Grundrecht in Bezug auf die Meinungsbildung als „dienende Freiheit“ bezeichnet.160 Unter Berücksichtigung des Einflusses, welchen der Rundfunk auf die öffentliche Meinung ausübt, bezeichnet das BVerfG den Rundfunk nicht nur als „Medium“ sondern auch als „Faktor“ der öffentlichen Meinungsbildung.161 Zum Faktor der öffentlichen Meinungsbildung wird der Rundfunk dadurch, dass sich die Meinungsbildung der Öffentlichkeit auf Grundlage der durch den Rundfunk vermittelten Informationen vollzieht. Dabei wird die öffentliche Meinungsbildung durch den Rundfunk bereits dadurch beeinflusst, dass eine Auswahl darüber zu treffen ist, welche Inhalte vermittelt werden.162 Damit die öffentliche Meinungsbildung sich aber frei und in einem demokratischen Prozess vollziehen kann, bedarf es einer möglichst umfassenden Darstellung der vielfältigen in der Gesellschaft existierenden Meinungen.163 Es ist die Aufgabe der durch den Gesetzgeber auszufüllenden „positiven Ordnung“, Regelungen zu treffen, welche sicherstellen, dass die Vielfalt der gesellschaftlich relevanten Themen im Rundfunk zum Ausdruck gebracht wird.164 In dieser Hinsicht kommt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk 158

BVerfGE 57, 295, 319. BVerfGE 57, 295, 319. 160 BVerfGE 57, 295, 320. 161 BVerfGE 12, 205, 260. 162 Thum, DÖV 2008, 653, 655. 163 BVerfGE 57, 295, 320. 164 BVerfGE 83, 238, 296. 159

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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die Funktion zu, die sog. „Grundversorgung“ sicherzustellen.165 Unter dem Begriff der „Grundversorgung“ versteht das BVerfG eine umfassende Informa­tion der Bevölkerung, welche bereits ohne Berücksichtigung des Programmange­bots privater Veranstalter sicherstellt, dass der Rundfunk die ihm zugewiesene Aufgabe im Hinblick auf die Gewährleistung der Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung auch erfüllen kann.166 Das BVerfG erklärte frühzeitig einen neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestehenden privaten Rundfunk für zulässig.167 Auch wenn die „Grundversorgung“ ausschließlich Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, muss zudem im privaten Rundfunk ein gewisses Maß an vielfältiger Berichterstattung erzielt werden, damit das Angebot des Mediums Rundfunk insgesamt ausgewogen bleibt.168 Indessen dürfen die Vielfaltanforderungen an den privaten Rundfunk nicht derart überspannt werden, dass dessen Veranstaltung faktisch unmöglich gemacht wird.169 Sowohl in Bezug auf den privaten als auch öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss sichergestellt sein, dass eine Beherrschung des jeweiligen Sektors von Seiten des Staates oder von sonstigen gesellschaftlichen Gruppen ausgeschlossen wird.170 Würde der Schutz der Rundfunkfreiheit allein auf die Dimension der Abwehr von staatlichen Eingriffen bei der Inanspruchnahme einer denkbaren individuellen Rundfunkveranstaltungsfreiheit bezogen sein, so wäre nicht sichergestellt, dass der Rundfunk seine Funktion im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung auch tatsächlich erfüllen kann.171 Insofern steht die individuelle Inanspruchnahme der Rundfunkfreiheit durch einen Rundfunkveranstalter vordergründig im Dienst eines von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG angestrebten freien Meinungsbildungsprozesses und ist erst nachrangig darauf gerichtet, eine individuelle Freiheitssphäre zu begründen.172 Diese durch das BVerfG entwickelte dogmatische Konstruktion des Grundrechts der Rundfunkfreiheit, welche den Auftrag an den Gesetzgeber, eine positive Rundfunkordnung auszugestalten, einer ebenso in Betracht zu ziehenden individuellen Rundfunkveranstaltungsfreiheit überordnet, hat Auswirkungen auf den Umfang des Freiheitsraums der Rundfunkveranstalter. Gesetzliche Regelungen, welche den Freiheitsraum eines Rundfunkveranstalters einengen, können entweder Gesetze zur Ausgestaltung der positiven Rundfunkordnung oder solche sein, welche als Eingriffe in die Rundfunkfreiheit an den Grundrechtsschranken des Art. 5 Abs. 2 GG zu messen sind.173 Dabei werden als Ausgestaltungsgesetze solche Regelungen qualifiziert, welche zu dem Zweck gesetzt 165

BVerfGE 73, 118, 157. BVerfGE 83, 238, 297 f. 167 BVerfGE 73, 118, 157; Feise, S. 81. 168 BVerfGE 83, 238, 297. 169 BVerfGE 83, 238, 297. 170 BVerfGE 83, 238, 296; BVerfGE 12, 205, 262. 171 BVerfGE 83, 238, 296; BVerfGE 57, 295, 320. 172 Roider, S. 193. 173 Ladeur / Gostomzyk, JuS 2002, 1145, 1151. 166

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werden, dass die Rundfunkfreiheit ihre Aufgabe im Zusammenhang mit der Gewährleistung der öffentlichen Meinungsbildung erfüllen kann.174 Solche Ausgestaltungsgesetze werden als Ausformungen der von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Rundfunkfreiheit und nicht als Eingriffe in dieselbe angesehen, sodass sie auch nicht den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegen.175 Eine Beschränkung der Rundfunkfreiheit und damit einen gem. Art. 5 Abs. 2 GG rechtfertigungsbedürftigen Eingriff nimmt das BVerfG nur bei solchen Regelungen an, welche nicht auf die Funktion der Rundfunkfreiheit bezogen sind.176 Regelungen, welche die Zweckrichtung verfolgen, die Vielfalt der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen abzubilden, sind indessen als das Grundrecht der Rundfunkfreiheit konkretisierende Ausgestaltungsgesetze anzusehen.177 Die Zuordnung eines Gesetzes als eine die Rundfunkordnung ausgestaltende Regelung befreit den Gesetzgeber von der Einhaltung der Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG und damit einhergehend von einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung gegenüber Individualinteressen. Die Besonderheit der Ausgestaltungsgesetze liegt darin, dass sie die Freiheit des Rundfunks überhaupt erst ausfüllen und den Grundrechtsbereich festlegen.178 So ist es die Aufgabe der ausgestaltenden Gesetze die Bedingungen für die Ausübung der Rundfunkfreiheit festzulegen.179 Dabei müssen die verschiedenen Gesichtspunkte, welche eine freie Meinungsbildung ermöglichen und damit die Verwirklichung der Rundfunkfreiheit bewirken sollen, gegeneinander abgewogen werden.180 Freie Entfaltungsmöglichkeiten im Rundfunkbereich können überhaupt erst infolge der Ausgestaltung der Rundfunkordnung entstehen.181 Dies bedeutet indessen nicht, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Rundfunkordnung keinen verfassungsrechtlichen Bindungen unterläge. So setzt eine zulässige Ausgestaltung zunächst voraus, dass diese allein der Sicherung der Rundfunkfreiheit dient.182 Auch muss durch das ausgestaltende Gesetz erreicht werden, dass das Ziel der Rundfunkfreiheit, die freie Meinungsbildung zu ermöglichen, möglichst gefördert aber zumindest nicht beeinträchtigt wird.183 Weiterhin müssen die verschiedenen kommunikationsbezogenen Aspekte, welche im Rahmen Ausgestaltung der Rundfunkordnung zu beachten sind, in angemessener Weise zum Ausgleich gebracht werden.184 Im Rahmen der Abwägung ist indessen zu berücksichtigen, dass die Medienvielfalt, welche im Interesse der Meinungsbildungsfreiheit sichergestellt werden muss, verfassungsrechtlich einen höheren Rang einnimmt, als 174

Ladeur / Gostomzyk, JuS 2002, 1145, 1151. Petersen, S. 196. 176 BVerfGE 73, 118, 166. 177 BVerfGE 73, 118, 166; Ladeur / Gostomzyk, JuS 2002, 1145, 1151. 178 Ladeur / Gostomzyk, JuS 2002, 1145, 1151. 179 Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304, 315. 180 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 151, Rn. 140. 181 Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304, 315 f. 182 BVerfGE 74, 297, 334; BVerfGE 73, 118, 166. 183 BVerfGE 74, 297, 345; Ladeur / Gostomzyk, JuS 2002, 1145, 1152. 184 Ladeur / Gostomzyk, JuS 2002, 1145, 1152. 175

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die Freiheit der Nutzung von Massenkommunikationsmitteln.185 Es gelten für ausgestaltende Gesetze allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze wie z. B. der Bestimmheitsgrundsatz.186 Indessen besitzt der Gesetzgeber im Rahmen der aufgezeigten Grenzen einen erheblichen Gestaltungsspielraum.187 Die dogmatische Besonderheit, dass das BVerfG im Falle der Ausgestaltung der positiven Rundfunkordnung keine Eingriffe in eine ebenso denkbare subjektivrechtliche Dimension der Rundfunkfreiheit annimmt, unterscheidet seine Rechtsprechung grundlegend von dieser des EGMR oder auch der des EuGH. So erkennen die beiden letztgenannten Gerichte Gesichtspunkte der Medienvielfalt lediglich als Rechtfertigungsmöglichkeit bei der Beschränkung von individuellen Grundrechten bzw. Grundfreiheiten an. Zwar hat auch das BVerfG mittlerweile subjektiv-rechtliche Gehalte der Rundfunkfreiheit anerkannt, indem er Bewerbern um eine Rundfunklizenz eine „rundfunkspezifische, über das Willkürverbot hinausreichende Rechtsposition“ zuerkennt.188 Diese Andeutung einer subjektiven Rechtsposition des Bewerbers kann aber insofern nur als eine abgeleitete angesehen werden, als diese erst bei der Auslegung und Anwendung derjenigen einfachen Gesetze zum Tragen kommt, welche in Ausgestaltung der Rundfunkordnung ergangen sind.189 Insofern entsteht ein Raum für subjektive Rechte des Bewerbers erst dann, wenn zuvor durch den Gesetzgeber erfolgreich sichergestellt wurde, dass der Rundfunk seine Funktion im Hinblick auf die Meinungsbildung zu erfüllen in der Lage ist.190 Indem das BVerfG bei der Ausgestaltung der Rundfunkordnung keine Abwägung mit individuellen Grundrechtsgewährleistungen verlangt, verschafft er dem Gesichtspunkt der Medienvielfalt ein weitaus stärkeres Gewicht als diesem nach der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH zukommt.191 bb) Medienvielfalt im Pressebereich Diese vorgenannte rundfunkbezogene sog. Ausgestaltungsdogmatik des BVerfG lässt sich indessen nicht auf den Bereich der Presse übertragen. Anders als im Anwendungsbereich der Rundfunkfreiheit steht bei der Pressefreiheit die abwehrrechtliche Dimension des Grundrechts im Vordergrund, sodass die Verwirklichung von objektiv-rechtlichen Gehalten des Grundrechts höheren Rechtfertigungsanforderungen genügen muss, als im Falle der Ausgestaltung der Rundfunkordnung.192 185

Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304, 316. BVerfGE 73, 118, 163 f.; Ladeur / Gostomzyk, JuS 2002, 1145, 1152. 187 BVerfGE 73, 118, 153; BVerfGE 57, 295, 321. 188 BVerfGE 97, 298, 314. 189 BVerfGE 97, 298, 314; Thum, DÖV 2008, 653, 656. 190 Thum, DÖV 2008, 653, 656. 191 Roider, S. 197. 192 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 114, Rn. 2. 186

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Trotz der Betonung der abwehrrechtlichen Dimension der Pressefreiheit wird jedoch auch dieser eine „öffentliche Aufgabe“ zugeschrieben, deren Erfüllung in einer modernen Demokratie als unerlässlich angesehen wird.193 Die „öffentliche Aufgabe“ wird vom BVerfG vor allem darin gesehen, den Bürger, welcher politische Wahlentscheidungen treffen soll, umfassend über die in der Gesellschaft gebildeten Meinungen zu informieren.194 Es soll von der Presse insgesamt die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiedergegeben und es sollen von den Presseorganen selbst Meinungen gebildet und vertreten werden.195 Die Aufgabe, welche der Presse im Zusammenhang mit der Meinungsbildung zukommt, ist also durchaus vergleichbar mit der des Rundfunks. Grundlegend unterschiedlich ist indessen der organisatorische Rahmen, innerhalb dessen die Presse ihre Aufgabe nach Auffassung des BVerfG erfüllen soll. So soll die umfassende Vermittlung der Vielfalt der bestehenden Meinungen, auch nicht ergänzend, durch öffentlich-rechtlich organisierte Medienanbieter und eine Zulassungskontrolle für private Veranstalter gewährleistet werden. Vielmehr soll den Erfordernissen der Medienvielfalt im Grundsatz bereits dadurch Genüge getan sein, dass sich „Presseunternehmen im gesellschaftlichen Raum und in privatrechtlicher Organisationsform frei bilden können“.196 Bereits in seinem ersten Rundfunkurteil ging das BVerfG davon aus, dass in Deutschland eine große Zahl politisch unterschiedlich ausgerichteter Presseerzeugnisse existiert.197 Ihre Aufgabe, die freie Meinungsbildung zu ermöglichen, kann die Presse nach Auffassung des BVerfG bereits dadurch erfüllen, dass die verschiedenen Pressunternehmen in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander stehen.198 In diesen Konkurrenzkampf einzugreifen ist dem Staat grundsätzlich verwehrt.199 Auf der anderen Seite kommt der Pressefreiheit insofern eine objektiv-rechtliche Bedeutung zu, als der Staat gewährleisten muss, dass die Presse ihre „öffentliche Aufgabe“ stets erfüllen kann. Der Staat hat somit nicht nur inhaltliche Einflussnahmen und Eingriffe grundsätzlich zu unterlassen, sondern er muss auch sicherstellen, dass die Presse zudem von nichtstaatlichen Einflüssen so weitgehend freigehalten wird, dass sie ihre meinungsbildende Funktion zu erfüllen in der Lage ist.200 Daher kann die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit den Staat im Falle von Gefährdungen der Medienvielfalt berechtigen und auch verpflichten, wirtschaft­liche Bedingungen festzulegen, die einer Gefährdung der Meinungsvielfalt im Pressebereich entgegenwirken sollen.201

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BVerfGE 20, 162, 174 f. BVerfGE 20, 162, 174. 195 BVerfGE 52, 283, 296. 196 BVerfGE 20, 162, 175. 197 BVerfGE 12, 205, 261. 198 BVerfGE 20, 162, 175. 199 BVerfGE 52, 283, 296; BVerfGE 20, 162, 175. 200 BVerfGE 52, 283, 296. 201 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 115, Rn. 6 f. 194

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cc) Medienvielfalt in den Online-Medien Seit dem Aufkommen der über das Internet verbreiteten Medien fällt die Abgrenzung von Rundfunk und Presse zunehmend schwer.202 Das GG nennt naturgemäß nur die zum Zeitpunk seines Inkrafttretens existierenden Erscheinungsformen der Massenmedien. Wenngleich der in der Literatur verbreitete Vorschlag, dass Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG allgemein eine Kommunikations- bzw. Medienfreiheit beinhalte, im Grundsatz überzeugend erscheint, müssen gleichwohl die unterschiedlichen grundrechtsdogmatischen Ausprägungen der Rundfunk- und Pressefreiheit im Blick behalten werden.203 Gerade in Bezug auf die Stärke der Ausprägung der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension ergeben sich folgenreiche Unterschiede, welche besonders anschaulich daran sichtbar werden, dass für den Bereich des Rundfunks ein umfassendes öffentlich-rechtliches Angebot sowie ein Zulassungsvorbehalt für die private Veranstaltung für erforderlich gehalten werden. Demgegenüber ist die Presse zulassungsfrei und mit Ausnahme von begrenzt zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit von öffentlich-rechtlicher Konkurrenz weitgehend freizuhalten. Die Notwendigkeit der Zuordnung neuer und über das Internet verbreiteter Mediendienste zur Rundfunk- oder Pressefreiheit erscheint vor allem mit Blick auf den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht gänzlich entbehrlich. Die verfassungsrechtlich gebotene Reichweite des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Bezug auf Online-Medien wird streitig diskutiert. Teilweise wird eine Anpassung des Auftrags an neue Medienkonsumgewohnheiten befürwortet.204 Von anderer Seite werden die Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisch gesehen, da im Bereich der über das Internet verbreiteten Medien bereits durch das Angebot Privater eine hinreichende Medienvielfalt verwirklicht ist.205 Ungeachtet der strittigen Frage, durch welches Verhalten der Staat die Verwirklichung der Medienvielfalt auf dem Gebiet Online-Medien zu fördern hat, folgt aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG jedenfalls, dass auch diese Medien durch ihre inhaltliche Vielfalt einen Beitrag zur Freiheit der Meinungsbildung leisten können müssen. dd) Gemeinsame Kernaussagen Es bleibt festzuhalten, dass das BVerfG die Medienvielfalt, unabhängig von der konkreten Erscheinungsform des Mediums, als unverzichtbare Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie ansieht. Dabei wird das Erfordernis der Medienviel 202

Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 117, Rn. 15. Zu den Begriffen der Kommunikations- und Medienfreiheit, vgl. Gersdorf / Paal-Kühling, Art. 5 GG, Rn. 10 (15. Edition, Stand: 01.02.2017); Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 114, Rn. 1. 204 Siehe zu denkbaren neuen Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 943 ff. 205 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 145, Rn. 115. 203

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

falt aus einer objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG hergeleitet. Für den Bereich des Rundfunks wird angenommen, dass sich der Prozess freien Meinungsbildung, welchen die Medienvielfalt gewährleisten soll, nur dann hinreichend unbeeinflusst vollziehen kann, wenn durch gesetzliche Regelungen sichergestellt ist, dass allen relevanten gesellschaftlichen Meinungen Ausdruck verliehen wird. Die Freiheit der Veranstaltung des Rundfunks wird dabei weitgehend in den Dienst der Verpflichtung des Staates, eine freie Meinungsbildung zu ermöglichen, gestellt. Im Bereich der Pressfreiheit geht das BVerfG hingegen davon aus, dass sich die auch diesbezüglich nicht minder wichtige Medienvielfalt grundsätzlich durch den Wettbewerb verschiedener privater Anbieter einstellt. Deshalb sind die Verhaltenspflichten des Staates vordergründig auf die Eingriffsabwehr bezogen, wenngleich auch Schutzpflichten zugunsten der freien Presse als solcher bestehen.206 Insgesamt sollte die unterschiedliche Ausgestaltung der Presse- und der Rundfunkfreiheit durch das BVerfG im Hinblick auf den grundsätzlichen Stellenwert der Medienvielfalt als solchen jedoch nicht überbetont werden. Dass auf den unterschiedlichen Verbreitungswegen insgesamt eine hinreichende Meinungsvielfalt vermittelt werden muss, hat allein deshalb zu gelten, da anderenfalls der vom BVerfG herausgearbeitete und für eine funktionierende Demokratie als unerlässlich angesehene Kommunikationsprozess, welcher eine freie Meinungsbildung ermöglichen soll, nicht verwirklicht werden kann. Dabei ist die Gewährleistung der freien Meinungsbildung durch die Presse nicht deshalb weniger bedeutend, da die objektiv-rechtliche Dimension des Grundrechts weniger stark ausgeprägt ist als im Bereich der Rundfunkfreiheit. Bedenkt man den Beitrag, den die Sicherstellung der Medienvielfalt für eine funktionierende Demokratie leisten soll, so muss diese auch Geltung für die Online-Medien beanspruchen. Die Bedeutung der Medienvielfalt für die freie Meinungsbildung in einer Demokratie bleibt als solche jedenfalls davon unberührt, ob eine neuartige mediale Äußerungsform einer durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten einheitlichen Medien- bzw. Kommunikationsfreiheit oder explizit der Rundfunk- oder Pressefreiheit zugeordnet wird.207 Problematisch, aber an dieser Stelle nicht klärungsbedürftig, bleibt allein die in Bezug auf einzelne mediale Erscheinungsformen differenziert zu beurteilende Frage nach den staatlichen Verhaltenspflichten im Hinblick auf die Erreichung des Ziels hinreichender Medienvielfalt.

206

Zu den aus der Pressefreiheit folgenden Schutzpflichten, siehe Paschke / Berlit / Meyer-­ Ladeur, S. 115, Rn. 6 f. 207 Vertiefend zur Problematik der Abgrenzung von Rundfunk- und Pressefreiheit in Bezug auf Online-Medien, siehe Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 117 f., Rn. 15 f.

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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b) Frankreich In der französischen Verfassung vom 04. Oktober 1958 ist kein Grundrechtskatalog verankert, sodass dort auch die Grundrechte der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit keine ausdrückliche Erwähnung finden.208 Jedoch verweist die Präambel der Verfassung auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte aus dem Jahre 1789. Inzwischen ist anerkannt, dass der Verweis die Wirkung entfaltet, dass es sich bei den Menschen- und Bürgerrechten um verbindliche Normen des französischen Verfassungsrechts handelt.209 Normativer Anknüpfungspunkt der Rechtsprechung des französischen Verfassungsgerichtes, des Conseil constitutionnel, zur Bedeutung der Medienvielfalt im französischen Verfassungsrecht ist damit Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, welche folgenden Wortlaut hat: „Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte. Jeder Bürger kann also frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.“210 Anerkannt ist, dass Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung ein einheitliches Kommunikationsgrundrecht enthält, welches u. a. auch die Freiheit umfasst, mittels audiovisueller Medien Meinungen und Gedanken zu verbreiten.211 Zudem wird der Schutz der Pressefreiheit durch den Conseil constitutionnel aus Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechts­erklärung hergeleitet.212 Das französische Grundrechtsverständnis ist von der Besonderheit geprägt, dass Grundrechte nicht als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe interpretiert werden.213 Vielmehr ist der Parlamentsgesetzgeber gehalten, aktiv gesetzgeberisch tätig zu werden, um die jeweiligen Grundrechte auszugestalten.214 Hergeleitet wird dieses Grundrechtsverständnis vom Conseil constitutionnel aus Art. 34 der französischen Verfassung, welcher, über eine Zuständigkeitszuweisung an das Parlament hinausgehend, einen Ausgestaltungsauftrag hinsichtlich der Bürger- und Grundrechte enthält.215 In Art. 34 1. Spiegelstrich der französischen Verfassung heißt es, dass die Gesetze vom Parlament beschlossen werden. Weiterhin ist dort niedergelegt, dass die Bürgerrechte und die den Staatsbürgern zur Ausübung ihrer Grundrechte gewährten grundlegenden Garantien durch Gesetze geregelt werden.216 Den Wert der Medienvielfalt unter dem Gesichtspunkt eines vielfältigen Angebots an Tageszeitungen hat der Conseil constitutionnel anlässlich der Kontrolle 208

Feise, S. 82; Holznagel, S. 105. Herdegen, ZaöRV 46 (1986), 34, 40; Roider, S. 198; Uwer, S. 285. 210 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 192. 211 Conseil constitutionnel, décision no.  82–141 DC v. 27.07.1982, Journal Officiel v. 29.07.1982, 2422, 2423. Diese Aussage entnehmen Holznagel und Roider der vorgenannten Entscheidung. Siehe Holznagel, S. 105; Roider, S. 109. 212 Uwer, S. 286. 213 Feise, S. 83; Holznagel, S. 106; Mailänder, S. 60. 214 Arnold, JöR 38 (1989), 197, 200. 215 Arnold, JöR 38 (1989), 197, 200 f. 216 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 176. 209

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eines Pressegesetzes aus Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechteerklärung hergeleitet und diesem somit Verfassungsrang zukommen lassen.217 Dabei stellt der Conseil constitutionnel die Medienvielfalt in einen Zusammenhang mit den Kommunikationsfreiheiten des Einzelnen. So kann nach seiner Auffassung die freie Kommunikation nicht wirksam ausgeübt werden, wenn der Leser bei Publikationen mit den Schwerpunkten politische und allgemeine Information nicht ausreichend in der Lage ist, frei von staatlicher oder privater Beeinflussung zwischen solchen mit unterschiedlicher politischer Grundrichtung zu wählen.218 Der Conseil constitutionnel stellt in seiner Rechtsprechung heraus, dass die Rezipienten der Medienprodukte zu den wichtigsten Adressaten des Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechteerklärung zu rechnen sind.219 So wurde aus Art. 11 der Menschenrechteerklärung ein Recht des Rezipienten auf eine vielfältige Informationsvermittlung entwickelt.220 Dabei muss beachtet werden, dass dieses Recht der französischen Grundrechtsdogmatik folgend kein subjektives Grundrecht der Rezipienten begründet, sondern dass vielmehr der Gesetzgeber aufgefordert ist, durch gesetzliche Regelungen der Rezipientenfreiheit zur Wirksamkeit zu verhelfen.221 Das Erfordernis einer vielfältigen Berichterstattung, welches der Conseil constitutionnel für den Bereich der Presse aus Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechteerklärung herausgearbeitet hat, übertrug er auch auf den Bereich des Rundfunks.222 Dabei hob er den Stellenwert der Medienvielfalt auch dadurch hervor, dass er deren Achtung als notwendige Voraussetzung der Demokratie bezeichnet.223 Besonderes Augenmerk legt der Conseil constitutionnel in Bezug auf sämtliche Kommunikationsmedien auf das Erfordernis der Verhinderung von Konzentrationstendenzen in der Medienbrache, welche der Verwirklichung struktureller Medienvielfalt entgegen stehen könnten.224 So erklärte er sowohl im Presse- als auch im Rundfunkbereich Gesetze deshalb für verfassungswidrig, da diese den Einfluss indirekter Be-

217 Conseil constitutionnel, décision no.  86–210 DC v. 29.07.1986, Journal Officiel v. 30.07.1986, 9393, 9394; Conseil constitutionnel, décision no. 84–181 DC v. 11.10.1984, Journal Officiel v. 13.10.1984, 3200, 3202. Diese Aussage entnimmt Schellenberg den vorgenannten Entscheidungen. Siehe Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 431 f.; Uwer, S. 287. 218 Conseil constitutionnel, décision no. 84–181 v. 11.10.1984, Journal Officiel v. 13.10.1984, 3200, 3202, sinngemäße Übersetzung durch Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 431. 219 Conseil constitutionnel, décision no.  86–210 DC v. 29.07.1986, Journal Officiel v. 30.07.1986, 9393, 9394, sinngemäße Übersetzung durch Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 432; Uwer, S. 290. 220 Roider, S. 201. 221 Roider, S. 201. 222 Conseil constitutionnel, décision no.  86–217 DC v. 18.09.1986, Journal Officiel v. 19.09.1986, 11294, 11295. So unter Bezugnahme auf die vorgenannte Entscheidung, Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 433. 223 Conseil constitutionnel, décision no.  86–217 DC v. 18.09.1986, Journal Officiel v. 19.09.1986, 11294, 11295, sinngemäße Übersetzung durch Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 433; Uwer, S. 290. 224 Holznagel, S. 109.

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teiligungen an Medienunternehmen sowie den Einfluss crossmedialer Verflechtung nicht hinreichend beachtet hätten.225 Im Übrigen betrachtet der Conseil constitutionnel es für den Bereich des privaten Rundfunks grundsätzlich als ausreichend, wenn die Medienvielfalt sich im Wege des wirtschaftlichen Wettbewerbs einstellt.226 Jedoch muss der Gesetzgeber im Rahmen des Zulassungsverfahrens sicherstellen, dass der Verfassungswert der Medienvielfalt im Gesamtprogramm gewährleistet wird, ohne dass indessen an den privaten Rundfunk dieselben Vielfaltanforderungen wie an den öffentlich-recht­lichen Rundfunk zu stellen wären.227 So ist es in erster Linie die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die für die freie Meinungsbildung unerlässliche Darstellung der in der Gesellschaft bestehenden Vielfalt an Meinungen vorzunehmen.228 Im Jahre 1986 hatte der Conseil constitutionnel über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu befinden, welches die Privatisierung des bis dahin größten öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders vorsah.229 Das Gericht hob bei dieser Gelegenheit den Stellenwert der Pluralität des Ausdrucks der verschiedenen soziokulturellen Strömungen besonders hervor, indem er dieser Verfassungsrang zuerkannt hat.230 Seiner Verantwortung für die Garantie des Pluralismus der Strömungen soziokulturellen Denkens muss der Gesetzgeber auch durch einige Regelungen, welche den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffen, gerecht werden.231 Unter soziokulturellen Strömungen dürften in Abgrenzung zu rein wirtschaftlichen Interessen, von gesellschaftlichen Gruppen geteilte Ansichten zu religiösen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Themen zu verstehen sein.232 Im Hinblick auf eine denkbare unzulässige politische Beeinflussung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurde verfassungsrechtlich nicht beanstandet, dass die Regierung in sog. Pflichtenheften (cahier des charges) inhaltliche Anforderungen an die Erfüllung des Programmauftrags festlegt.233 Jedoch müssen in dieser Hinsicht die wesentlichen Grundsätze des „service public“, zu welchen insb. diese der Gleichheit und Neutralität zu rechnen sind, beachtet werden.234 225

Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 432 f.; Uwer, S. 290. Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 433. 227 Holznagel, S. 108. 228 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 96. 229 Conseil constitutionnel, décision no.  86–217 DC v. 18.09.1986, Journal Officiel v. 19.09.1986, 11294 ff. Siehe hierzu, Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 432 f. 230 Conseil constitutionnel, décision no.  86–217 DC v. 18.09.1986, Journal Officiel v. 19.09.1986, 11294, 11295, sinngemäße Übersetzung des Verfassers. 231 Conseil constitutionnel, décision no.  86–217 DC v. 18.09.1986, Journal Officiel v. 19.09.1986, 11294, 11295, sinngemäße Übersetzung des Verfassers. 232 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 430. 233 Conseil constitutionnel, décision no.  86–217 DC v. 18.09.1986, Journal Officiel v. 19.09.1986, 11294, 11295 f. Dies folgert Holznagel aus der vorgenannten Entscheidung. Siehe Holznagel, S. 108. 234 Conseil constitutionnel, décision no. 86–217 DC v. 18.09.1986, Journal Officiel v. 19.09. 1986, 11294, 11296. Sinngemäße Übersetzung des Verfassers in Anlehnung an Holznagel, S. 108. 226

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Die Anerkennung der Medienvielfalt als Wert von Verfassungsrang, zu dessen Gewährleistung der Parlamentsgesetzgeber verpflichtet ist, hat indessen nicht zur Folge, dass dieser bei der Ausgestaltung der Medienordnung nicht ebenfalls andere und ggf. widerstreitende verfassungsrechtliche Bindungen zu beachten hat. So beinhaltet Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechteerklärung als Schutzgehalte auch die individuellen Freiheiten der audiovisuellen Kommunikation und der aktiven Pressefreiheit im Sinne einer Veröffentlichungsfreiheit.235 Zwar wird ebenso der Schutz der Medienvielfalt, welchen der Conseil constitutionnel als „Schutz des pluralistischen Charakters der soziokulturellen Strömungen“ umschreibt, als ein Belang angesehen, welcher durch den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der durch Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechteerklärung geregelten Kommunikationsfreiheit zu berücksichtigen ist.236 Indessen dürfen positive Maßnahmen zur Ausgestaltung der Kommunikationsfreiheit nur insoweit erfolgen, als dies notwendig ist, um die Ausübung derselben zu gewährleisten.237 M. a. w. ist die freie Ausübung massenmedialer Aktivitäten so weitgehend zu ermöglichen, als dies unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Medienvielfaltsicherung hingenommen werden kann.238 Die Rechtmäßigkeit der Ausgestaltung der Kommunikationsfreiheit wird somit davon abhängen, ob die verschiedenen im Rahmen des Art. 11 der Menschenund Bürgerrechteerklärung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte zueinander in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Zum einen gilt es bei der Ausgestaltung die Freiheit der medialen Kommunikation zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite müssen die Belange der Rezipienten im Hinblick auf ein inhaltlich vielfältiges Medienangebot Beachtung finden. Indem der Conseil constitutionnel der Medienvielfalt nicht nur als Voraussetzung der Gewährleistung der Kommunikationsfreiheit Bedeutung beimisst, sondern diese darüber hinausgehend auch als unerlässliche Voraussetzung einer Demokratie ansieht, lässt er den Erfordernissen der Medienvielfalt bei der Abwägung mit anderen individualbezogenen Belangen desselben Grundrechts ein besonderes Gewicht zukommen.239 Berücksichtigt man wiederum, dass der Gesetzgeber die Grundrechte mit dem Ziel regeln soll, diesen zur Wirksamkeit zu verhelfen, so ist die individuelle Freiheit der medialen Kommunikation in einem so weitem Umfang zu ermöglichen, als hierdurch nicht eine übermäßige Einschränkung der Informationsvielfalt für die Rezipienten zu besorgen ist.240 Mithin ist der Gesetzgeber nur dann, wenn die subjektive Inanspruchnahme der Kommunikationsfreiheiten nicht dazu führt, dass eine hinreichende Medienviel 235 Bezüglich der Freiheit der audiovisuellen Kommunikation, Conseil constitutionnel, décision no. 82–141 DC v. 27.07.1982, Journal Officiel v. 29.07.1982, 2422, 2423. Dies entnimmt Roider der vorgenannten Entscheidung. Siehe Roider, S. 202. Bezüglich der aktiven Pressefreiheit, Uwer, S. 286, 291. 236 Conseil constitutionnel, décision no.  82–141 DC v. 27.07.1982, Journal Officiel v. 29.07.1982, 2422, 2423, Übersetzung durch Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 430. 237 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 430. 238 Bezogen auf die Pressefreiheit, Uwer, S. 291. 239 Roider, S. 203; Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 446. 240 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 446.

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falt hervorbracht wird, dazu aufgerufen, durch Vielfalt sichernde Regelungen den individuellen Kommunikationsfreiheiten Grenzen zu setzen. c) Italien Durch das italienische Verfassungsgericht, die Corte costituzionale, wurde insb. im Zusammenhang mit der Veranstaltung von Rundfunk eine eigenständige Dogmatik zum Erfordernis der Medienvielfaltsicherung entwickelt. Rechtlicher Anknüpfungspunkt der Rechtsprechung, welche das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung herausarbeitet, ist Art. 21 der italienischen Verfassung. Hierin heißt es, dass jedermann das Recht hat, die eigene Meinung in Wort, Schrift und in jeder sonstigen Weise frei zu äußern und zu verbreiten.241 Dabei gilt der Rundfunk als „sonstiges Verbreitungsmittel“ i. S. d. Art. 21 der Verfassung.242 Da der Ausgangspunkt der Dogmatik der Corte costituzionale zur Pluralismussicherung die Überprüfung des staatlichen Rundfunkmonopols gewesen ist, wurden auch die Artikel 41 und 43 der Verfassung in die Betrachtung einbezogen.243 Während Art. 41 der Verfassung die Freiheit der privatwirtschaftlichen Initiative garantiert, kann nach Art. 43 ein staatliches Monopol in solchen Bereichen unternehmerischer Tätigkeit gerechtfertigt sein, welche lebenswichtige öffentliche Dienste zum Gegenstand haben, oder die für die Allgemeinheit eine hervorragende Bedeutung besitzen.244 Daran, dass die Rechtfertigung des staatlichen Monopols zunächst an Art. 41 gemessen wird, wird deutlich, dass die Freiheit der privatwirtschaftlichen Initiative grundsätzlich auch die Freiheit umfasst, privaten Rundfunk zu veranstalten.245 In seinem ersten Fernsehurteil vom 13.07.1960 erklärte die Corte costituzionale das staatliche Rundfunkmonopol unter den damals herrschenden technischen Bedingungen als mit der Verfassung für vereinbar.246 Das Gericht bezog im Anschluss an die angenommene Rechtfertigung der Einschränkung der privatwirtschaftlichen Initiative auch Art. 21 der Verfassung in die Betrachtung ein. Dabei wurden erste Ansätze eines objektiv-rechtlichen Verständnisses des Grundrechts sichtbar. So stellte die Corte costituzionale heraus, dass Art. 21 der Verfassung gewährleisten muss, dass möglichst viele Personen in die Lage versetzt werden, ihre Meinungen im Rundfunk zu äußern.247 Wenn es aber aufgrund technischer Engpässe nur wenigen Personen vorbehalten sein kann sich im Rundfunk zu äußern, so muss es auch mit Art. 21 der Verfassung vereinbar sein, dass das staatliche Monopol den Zugang zum Rundfunk mit dem Ziel ordnet, dass es gleichwohl möglichst vielen Personen 241

Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 291. Roider, S. 205. 243 Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 121. 244 Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 121. 245 Hartwig, ZaöRV 47 (1987), 665, 667; Roider, S. 206. 246 Hartwig, ZaöRV 47 (1987), 665, 670 f. 247 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 436. 242

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ermöglicht werden kann, ihre Meinung im Rundfunk zu verbreiten.248 Würden die Rechte aus Art. 21 der Verfassung auf die Dimension eines Abwehrrechts, welches u. a. die freie und vom Staat unbeeinflusste Veranstaltung von Rundfunk garantiert, begrenzt sein, so ließe sich das staatliche Monopol nicht rechtfertigen.249 In einer 1974 ergangenen Entscheidung hielt die Corte costituzionale das Rundfunkmonopol weiterhin aufrecht und ergänzte die Rechtfertigung um die Erwägung, dass der Rundfunk eine große Bedeutung für das demokratische Leben einnimmt.250 Die Allgemeininteressen im Hinblick auf die Informationsvielfalt könnten aufgrund der technischen Gegebenheiten, welche einer freien Konkurrenz privater Anbieter entgegenstünden, besser durch einen staatlichen Monopolanbieter wahrgenommen werden.251 Damit indessen der staatliche Monopolanbieter tatsächlich besser die Vielfalt der gesellschaftlichen Meinungen zum Ausdruck bringen konnte als die damals nur wenigen in Betracht kommenden privaten Anbieter, musste dieser pluralistisch zusammengesetzt und beaufsichtigt sein.252 Aufgabe des staatlichen Rundfunks ist die Garantie des maximalen Zugangs zum Rundfunk für alle relevanten Gruppen, in denen sich soziale Vielfalt ausdrückt.253 Dabei überrascht, dass die Forderung nach einer Staatsfreiheit des Rundfunks nicht ausdrücklich erhoben wurde.254 Vielmehr wurde lange Zeit sogar die Zusammensetzung des Parlaments als geeignetes Vorbild für die Zusammensetzung der Organe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angesehen, was einen starken Einfluss der Parteien auf das Programm zur Folge hatte.255 Indessen ist der öffentliche Rundfunk verfassungsrechtlich zur strikten Unparteilichkeit gegenüber den verschiedenen politischen Richtungen des Landes verpflichtet.256 Dass die Corte costituzionale aber auch ein mögliches Individualrecht auf Rundfunkveranstaltung in seine Betrachtung zur Rechtfertigung des Monopols einbezogen hat, wird anhand der Rechtsprechung zur schrittweise eingeführten Befreiung vom Monopolvorbehalt sichtbar. In Fällen, in welchen das Monopol nicht zu mehr Pluralismus führt (z. B. bei der Wiedergabe von Sendungen aus dem Ausland), ist dieses wegen des Überwiegens des aus Art. 21 der Verfassung folgenden Individualrechts nicht zu rechtfertigen.257 Die Frage, ob die italienische Verfassung ein subjektives Recht auf die Veranstaltung von Rundfunksendungen gewährt, galt indessen lange Zeit als nicht geklärt.258 Dabei bringt die Corte costituzionale in einem 248

Hartwig, ZaöRV 47 (1987), 665, 671 f. Hartwig, ZaöRV 47 (1987), 665, 672. 250 Hartwig, ZaöRV 47 (1987), 665, 672; Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 437. 251 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 437. 252 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 437. 253 Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 123. 254 Feise, S. 86; Hartwig, ZaöRV 47 (1987), 665, 689. 255 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 437. 256 Corte costituzionale, EuGRZ 2003, 499, 500, Ziffer 4. 257 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 437 f. 258 Siehe hierzu, Feise, S. 85; Hartwig, ZaöRV 47 (1987), 665, 683 ff.; Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 124 ff. 249

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Urteil aus dem Jahr 1976, welches sich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Rundfunkmonopols auseinandersetzte, deutlich Ansätze eines subjektiven Rechts auf Meinungsäußerungfreiheit mittels privater Rundfunkveranstaltung zum Ausdruck. So hat das Gericht das staatliche Rundfunkmonopol im lokalen Bereich für verfassungswidrig erklärt, da das Entstehen privater Monopole oder Oligopole in diesem Bereich nicht zu erwarten sei.259 Dabei hätten nur derartige Konzentrationstendenzen die durch ein staatliches Monopol erfolgende Einschränkung der in Art. 21 der Verfassung gewährten Meinungsäußerungsfreiheit rechtfertigen können.260 Allein die Annahme, dass ein staatliches Monopol einen rechtfertigungsbedürftigen schweren Eingriff in die Rechte aus Art. 21 der Verfassung darstellt, macht deutlich, dass das Gericht die Rundfunkveranstaltungsfreiheit, mittels derer Meinungen und Informationen verbreitet werden können, als verfassungsrechtlich geschütztes subjektives Recht ansieht.261 Mittlerweile hält die Corte costituzionale die Existenz des staatlich organisierten Rundfunks nur noch deshalb für gerechtfertigt, da diesem eine spezifische Funktion im Hinblick auf die bestmögliche Befriedigung des Informationsanspruchs der Öffentlichkeit sowie in Bezug auf die Kulturförderung zugesprochen wird.262 Die Rechtfertigungsbedürftigkeit der Existenz des öffentlichen Rundfunks kann nur vor dem Hintergrund eines anerkannten subjektiven Rechts auf die freie Veranstaltung von Rundfunk bestehen. In der Folge der Aufhebung des Monopols auf lokaler Ebene hat sich landesweit ein privater Rundfunk mit zahlreichen Veranstaltern, welche ohne staatliche Zulassung und Frequenzzuteilung sendeten, etabliert.263 Für die landesweite Verbreitung blieb das Monopol zunächst weiterhin bestehen. Dieses wurde jedoch nach dem Wegfall des lokalen Monopols dadurch umgangen, dass sich die lokal zugelassenen Anbieter zu sog. Senderketten zusammenschlossen und im Wege der Kooperation gleichwohl eine landesweite und zeitgleiche Ausstrahlung derselben Inhalte vornahmen.264 Die Voraussetzungen für den Wegfall des landesweiten Monopols wurden anschließend von der Corte costituzionale zwar formuliert,265 aber vom Gesetzgeber lange Zeit nicht umgesetzt.266 Die Aufgaben des staatlichen und des privaten Rundfunks im Zusammenhang mit der Medienvielfaltsicherung präzisierte die Corte costituzionale erstmals in einem Urteil aus dem Jahre 1988. Während darin für den staatlichen Bereich eine umfassende Information und eine objektive sowie unparteiische Berichterstattung gefordert wird, soll im Bereich des privaten Rundfunks ein möglichst großer Außen-

259

Corte costituzionale, EuGRZ 1976, 334, Ziffer 7. Corte costituzionale, EuGRZ 1976, 334, Ziffer 7. 261 Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 127. 262 Corte costituzionale, EuGRZ 2003, 499, 500, Ziffer 4. 263 Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 128. 264 Serini, S. 229; Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 438. 265 Siehe hierzu, Corte costituzionale, EuGRZ 1976, 334 f., Ziffer 8. 266 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 439. 260

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pluralismus durch eine Vielzahl von Anbietern erreicht werden.267 Neben der Aufgabe der umfassenden, professionellen und unparteilichen Berichterstattung kommt dem staatlich organisierten Rundfunk zudem die Aufgabe der Kulturförderung zu.268 Bezüglich des privaten Rundfunks legt das Gericht besonderes Augenmerk auf die Verhinderung von Konzentrationstendenzen, da es die Medienvielfalt als über­ ragendes Schutzgut i. R. d. Art. 21 der Verfassung erachtet.269 Die Informationsfreiheit der Rezipienten gebietet, dass neben dem pluralistischen staatlichen Sektor auch ein außenplural zu organisierender privater Rundfunk, welcher nicht zu übermäßig konzentriert sein darf, zur Vielfalt der Berichterstattung beiträgt.270 Im Rahmen der Sicherstellung der Medienvielfalt durch die Verhinderung übermäßiger Konzentration von Medienunternehmen müssen auch faktische und indirekte Einflüsse ebenso betrachtet werden, wie Verflechtungen zwischen den einzelnen Medienarten.271 Anders als beim Rundfunk wird im Bereich der Presse die Funktion der Pressefreiheit als Abwehrrecht in den Vordergrund gestellt, wenngleich eine über die Eingriffsabwehr hinausgehende Grundrechtsdimension daran sichtbar wird, dass sich die von der Corte costituzionale geforderten Antikonzentrationsbestimmungen auch auf die Presse beziehen.272 In Art. 21 S. 2 der italienischen Verfassung ist niedergelegt, dass die Presse weder dem Genehmigungszwang noch der Zensur unterworfen sein darf.273 Das Zensurverbot beschränkt sich dabei auf die Vorzensur.274 Die Tätigkeit der Presse sieht die Verfassung und die sie konkretisierende Rechtsprechung eindeutig als in der Privatwirtschaft verortet an.275 In seinem Urteil, in welchem die Corte costituzionale das lokale Rundfunkmonopol für verfassungswidrig erklärte, wies sie darauf hin, dass auch im Pressebereich niemand wage, ein staatliches Monopol zu fordern.276 Im Hinblick auf eine geplante Pressesubventionierung in Sizilien hob die Corte costituzionale die Unabhängigkeit der Presseunternehmen hervor und brachte zum Ausdruck, dass das aus Art. 21 der Verfassung folgende Allgemeininteresse an einer umfassenden Information durch eine von staatlicher Beeinflussung freie Presse zu verwirklichen ist.277 267

Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 439 f. Corte costituzionale, EuGRZ 2003, 499, 500, Ziffer 4. 269 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 439 f. 270 Die Corte costituzionale spricht in diesem Zusammenhang vom „Prinzip externer Vielfalt der Informationen“. Siehe Corte costituzionale, EuGRZ 2003, 501, Ziffer 8. Vgl. zu den Vielfaltanforderungen in Bezug auf den privaten Rundfunk weiterhin, Feise, S. 86; Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 440, ders., Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 130. 271 Feise, S. 86; Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 440. 272 Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 130. 273 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 291. 274 Uwer, S. 314. 275 Schellenberg, Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 125. 276 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 438; ders., Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 130. 277 Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 438 f. 268

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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Bemerkenswert ist, dass das die Corte costituzionale den gegenüber der Presse erhöhten Handlungsbedarf des Staates auf dem Gebiet des Rundfunks ebenso wie das BVerfG aus der angenommenen besonderen Beeinflussungswirkung dieses Mediums im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung herleitet.278 Auch der EGMR spricht den audiovisuellen Medien i. S. v. Radio und Fernsehen eine stärkere Beeinflussungswirkung als den Printmedien zu.279 d) Spanien Die spanische Verfassung vom 29.12.1978 liefert für den Schutz der Medienvielfalt mehrere Anknüpfungspunkte. Art. 20 Abs. 1 a) der Verfassung bestimmt, dass das Recht auf freie Äußerung und Verbreitung von Gedanken und Meinungen in Wort, Schrift und jedem anderen Medium anerkannt und geschützt wird.280 Dabei werden die Presse und der Rundfunk als „andere Medien“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen.281 Als weiteres Grundrecht nennt Art. 20 Abs. 1 d) S. 1 der spanischen Verfassung aus der Perspektive der Rezipienten das Recht auf freie und wahre Berichterstattung sowie deren Empfang über jedwedes Verbreitungsmedium.282 Diese in der spanischen Verfassung niedergelegten Grundrechte stellen nach der Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts, des Tribunal Constitucional, vordergründig durchsetzbare subjektive Rechte dar.283 Der subjektive Gehalt des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit verlangt grundsätzlich einen von staatlicher Beeinflussung freien Kommunikationsprozess.284 Auf der anderen Seite werden die Kommunikationsgrundrechte des Art. 20 Abs. 1 a) und d) der spanischen Verfassung in fortgesetzter Rechtsprechung des Tribunal Constitucional auch als Anerkennung und Garantie der politischen Institution einer freien öffentlichen Meinung aufgefasst.285 Der Tribunal Constitucional führt weiter aus, dass „die freie öffentliche Meinung unauflöslich mit dem politischen Pluralismus verbunden ist, welcher einen Grundwert und eine Voraussetzung für das Funktionieren des demo-

278 BVerfGE 90, 60, 87; Schellenberg, AöR 119 (1994), 427, 43; ders., Rundfunk-Konzentrationsbekämpfung, S. 130 f. Vgl. auch Uwer, S. 316 f., welcher im Hinblick auf die Differenzierung der Regelungsanforderungen zwischen Presse und Rundfunk eine Verwandtschaft der deutschen und italienischen Verfassungsrechtsprechung feststellt. 279 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52 f., § 132 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 280 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 792. 281 Holznagel, S. 116. 282 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 793. 283 Holznagel, S. 116; Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 338. 284 Tribunal Constitucional, Urteil 12/1982 v. 31.03.1982, ECLI:ES:TC:1982:12, Ziffer II. 3., Übersetzung durch Sommermann, S. 159. Hinweis: Die Entscheidungen des Tribunal Constitucional sind über die Suchfunktion der folgenden Internetadresse dauerhaft abrufbar: http:// hj.tribunalconstitucional.es. 285 Tribunal Constitucional, EuGRZ 1991, 173, 175; Tribunal Constitucional, Urteil 12/1982 v. 31.03.1982, ECLI:ES:TC:1982:12, Ziffer II. 3., Übersetzung durch Sommermann, S. 159 f.

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

kratischen Staates darstellt.“286 Weiterhin bringt der Tribunal Constitucional zum Ausdruck, dass Art. 20 der spanischen Verfassung den Zweck verfolgt, die Gewährleistung der freien öffentlichen Kommunikation aufrecht zu erhalten.287 Besonders prägnant bringt das Gericht den Zusammenhang von freier öffentlicher Kommunikation und dem Erfordernis der Medienvielfaltsicherung zur Anschauung. So weist es darauf hin, dass ohne eine freie öffentliche Kommunikation die anderen in der Verfassung gewährten Rechte inhaltslos wären und den Vertretungskörperschaften nicht die notwendige demokratische Legitimität verschafft werden könnte.288 Eine freie Meinungsbildung und eine verantwortliche Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten sei nur dann möglich, wenn der Bürger umfassend informiert ist und die unterschiedlichen in der Gesellschaft vertretenen Meinungen prüfen kann.289 Berücksichtigt man, dass Art. 20 der spanischen Verfassung nicht nur Individualgrundrechte garantieren, sondern auch einen freien Meinungsbildungsprozess gewährleisten soll, so wird deutlich, dass die Kommunikationsgrundrechte auch eine objektiv-rechtliche Dimension aufweisen. Dass der Gesetzgeber verpflichtet ist einen freien Meinungsbildungsprozess zu gewährleisten, wird auch anhand der Stellung, welchen der politische Pluralismus in der Verfassung einnimmt, deutlich. So bestimmt Art. 1 Abs. 1 der spanischen Verfassung, dass sich Spanien u. a. zum politischen Pluralismus als den obersten Wert seiner Verfassung bekennt.290 Die spanische Verfassung bringt weiterhin zum Ausdruck, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Zusammenhang mit der Wahrung des politischen Pluralismus eine wichtige Rolle zugedacht ist. In Art. 20 Abs. 3 der spanischen Verfassung heißt es, dass das Gesetz die Organisation und die parlamentarische Kontrolle der vom Staat oder irgendeiner öffentlichen Einrichtung abhängigen sozialen Kommunikationsmedien regelt und den bedeutenden sozialen und politischen Gruppen den Zugang zu diesen Medien unter Wahrung des Pluralismus der Gesellschaft und der verschiedenen Sprachen Spaniens garantiert.291 Diese Verfassungsbestimmung verdeutlicht, dass die Verwirklichung des obersten Verfassungswerts der Wahrung des politischen Pluralismus in einem engen Zusammenhang mit dem Zugang der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu den in öffentlicher Trägerschaft befindlichen Kommunikationsmedien gesehen wird. Aus Art. 20 Abs. 3 der spanischen Verfassung lässt sich ein verfassungsrechtlicher Auftrag an den Gesetzgeber entnehmen, den Zugang zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu regeln.292 Dem Gesetzgeber ist es mithin verwehrt, allein darauf zu vertrauen, dass sich die Medienvielfalt, welche als notwendige Voraussetzung der freien Meinungsbildung 286 Tribunal Constitucional, EuGRZ 1991, 173, 175; Tribunal Constitucional, Urteil 12/1982 v. 31.03.1982, ECLI:ES:TC:1982:12, Ziffer II. 3., Übersetzung durch Sommermann, S. 160. 287 Tribunal Constitucional, EuGRZ 1991, 173, 175 f. 288 Tribunal Constitucional, EuGRZ 1991, 173, 175 f. 289 Tribunal Constitucional, EuGRZ 1991, 173, 176. 290 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 789. 291 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 793. 292 Petersen, S. 242.

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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und des politischen Pluralismus anzusehen ist, bereits durch die subjektive Inanspruchnahme von Kommunikationsfreiheiten einstellt. Der Ausgestaltungsauftrag aus Art. 20 Abs. 3 der spanischen Verfassung bezieht sich indessen nur auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.293 Der private Rundfunk wurde in Spanien 1989 im Zuge des Privatrundfunkgesetzes vom 03.05.1988 eingeführt.294 Die inhaltlichen Anforderungen an den privaten Rundfunk werden aus der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 20 Abs. 1 der spanischen Verfassung, welche die Sicherstellung der freien und öffentlichen Meinungsbildung verlangt, hergeleitet.295 Im Rahmen der Ausgestaltung der privaten Rundfunkordnung müssen die in Art. 1 Abs. 1 der spanischen Verfassung genannten obersten Verfassungswerte der Freiheit, Gleichheit und des politischen Pluralismus Beachtung finden.296 Wichtige Bedeutung kommt im spanischen Medienrecht auch dem Art. 10 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR zu. So sind Normen, welche sich auf die in der spanischen Verfassung anerkannten Grundrechte und Grundfreiheiten beziehen, in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den in Bezug auf Grundrechte und -freiheiten von Spanien ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen auszulegen (Art. 10 Abs. 2 der spanischen Verfassung).297 Mithin dient u. a. die EMRK als Auslegungskriterium bei der Festlegung der grundrechtlichen Gewährleistungsgehalte, sodass diese damit auf die spanische Kommunikationsverfassung einwirkt.298 Zudem werden nach Art. 96 Abs. 1 S. 1 der spanischen Verfassung gültig abgeschlossene internationale Verträge nach ihrer offiziellen Ver­ öffentlichung in Spanien Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung.299 4. Zusammenfassung Dem EuGH wurde aufgrund der eingeschränkten Kompetenz der EU auf dem Gebiet des Medienrechts und des damit einhergehenden begrenzten Anwendungsbereiches der GrCh nur am Rande Gelegenheit gegeben, sich zum Stellenwert der Medienvielfalt zu äußern. Indem er aber u. a. die Facette eines pluralistisches Rundfunkwesen in Anlehnung an Art. 10 EMRK als einen von der Unionsrechtsordnung geschützten Wert anerkennt, welcher sogar Beschränkungen von Grundfreiheiten rechtfertigen kann, hat er der Medienvielfalt in der Unionsrechtsordnung die größtmögliche Bedeutung zukommen lassen. Zudem hat der EuGH in Bezug auf die Meinungsfreiheit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er dieses Grundrecht, welches

293

Feise, S. 93; Laguna de Paz, DÖV 1995, 501, 506 (Fn. 34). Laguna de Paz, DÖV 1995, 501. 295 Feise, S. 93; Holznagel, S. 119. 296 Feise, S. 93; Holznagel, S. 119. 297 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 791. 298 Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 339; Laguna de Paz, DÖV 1995, 501, 502. 299 Übersetzung durch A. Kimmel / C. Kimmel, S. 809. 294

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

er als Grundlage einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft bezeichnet, zu den Werten i. S. d. Art. 2 EUV rechnet.300 Dass der EuGH indessen Gesichtspunkte der Medienvielfaltsicherung nicht stets durchgreifen lässt, um Beschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen, kann kaum als Relativierung der Bedeutung der Medienvielfalt aufgefasst werden. So muss in Rechnung gestellt werden, dass Regelungen zur Medienvielfaltsicherung sich regelmäßig belastend auf Personen auswirken werden, welche Grundfreiheiten bzw. subjektive Kommunikationsgrundrechte in Anspruch nehmen möchten. Dass belastende Maßnahmen der sachlichen Rechtfertigung bedürfen, ist jedoch ein Gebot des Rechtsstaates. Insofern wird die Bedeutung der Medienvielfalt durch den EuGH nicht dadurch geschmälert, dass dieser der Medienvielfaltsicherung dienende Maßnahmen nur dann als gerechtfertigt ansieht, wenn diese sich gegenüber den hierdurch eingeschränkten Grundfreiheiten als verhältnismäßig darstellen. Bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen ist der EuGH vor die schwierige Aufgabe gestellt, einerseits den Vorrang des Unionsrechts nicht in Frage zu stellen und andererseits die Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität, welche in der Medienvielfaltsicherung einen Ausdruck finden kann, nicht zu verletzen. Anders als der EuGH hatten der EGMR und die betrachteten mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichte bereits Veranlassung, sich eingehender mit der dogmatischen Herleitung des Erfordernisses der Medienvielfaltsicherung zu befassen. Dem Schutzgut der Medienvielfalt kommt sowohl nach der Rechtsprechung des EGMR als auch nach dieser der Verfassungsgerichte der betrachteten Mitglied­ staaten ein herausragendes Gewicht zu. Es wird übereinstimmend herausgestellt, dass die Existenz und Sicherung der Medienvielfalt unerlässlich dafür ist, dass sich eine freie Meinungsbildung vollziehen kann. Darüber hinaus wurde von allen Gerichten festgestellt, dass das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nur dann wirksam ausgeübt werden kann, wenn der Rezipient in die Lage versetzt wird, sich Informationen aus inhaltlich vielfältigen Medien beschaffen zu können. Die Herleitung des Wertes der Medienvielfalt seitens des EGMR und der ausländischen Verfassungsgerichte weist deutliche Parallelen zur deutschen Dogmatik auf. In den jeweiligen Rechtsordnungen wird das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Kommunikationsgrundrechte hergeleitet. Es wird zudem ein Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit der Demokratie hergestellt. Hierdurch gewinnt der Gesichtspunkt der Medienvielfalt­ sicherung ein besonderes Gewicht in der Abwägung mit etwaigen subjektiven Rechtspositionen. Der an den französischen Gesetzgeber gerichtete Ausgestaltungsauftrag im Hinblick auf Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechteerklärung erinnert an die Pflicht des deutschen Gesetzgebers zur Schaffung einer „positiven Rundfunkordnung“. 300

EuGH, Urt. v. 06.09.2011, ECLI:EU:C:2011:543, Rn. 31 (Patriciello).

II. Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung

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In beiden Rechtsordnungen sind jedenfalls die widerstreitenden kommunikationsbezogenen Gesichtspunkte, welche einen freien Meinungsbildungsprozess ermöglichen sollen, bei der Grundrechtskonkretisierung verhältnismäßig gegeneinander abzuwägen. Auch im französischen Recht steht der Gesichtspunkt der Freiheit der Nutzung von Massenkommunikationsmitteln unter dem Vorbehalt, dass diese auch tatsächlich ein vielfältiges mediales Gesamtangebot zum Ergebnis hat. Demgegenüber erkennen der EGMR und das spanische Verfassungsgericht ein subjektives Recht auf die Veranstaltung von Rundfunk ausdrücklich an und betrachten Maßnahmen, welche im Interesse der Medienvielfalt ergehen, mithin als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in dieses Recht. Auch die italienische Verfassungsrechtsprechung legt die Existenz eines subjektiven Rechts auf Rundfunkveranstaltung nahe.301 Die Anerkennung eines solchen subjektiven Rechts stellt indessen das Erfordernis der Medienvielfalt nicht als solches infrage. Vielmehr wird lediglich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zum Zwecke der Medienvielfaltsicherung dadurch eingeschränkt, dass dieser einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt. Aber auch in den Rechtsordnungen, in welchen der Gesetzgeber einem Ausgestaltungsauftrag nachzukommen hat, muss dieser den abzusichernden Kommunikationsprozess in der Weise regeln, dass die Medienvielfalt gefördert und nicht beeinträchtigt wird. Der Gesetzgeber ist im Rahmen der Ausgestaltung also insoweit rechtfertigungsbedürftig, als er darlegen muss, weshalb eine die freie mediale Kommunikationstätigkeit beschränkende Maßnahme notwendig ist, um die Medienvielfalt sicherzustellen. An die dem Gesetzgeber obliegende Prognose, ob die angestrebte Maßnahme die Medienvielfalt tatsächlich fördern wird, dürfen dabei keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.302 Damit bleibt festzuhalten, dass es für den verfassungsrechtlichen Stellenwert der Medienvielfalt kaum einen Unterschied macht, ob im Bereich des Rundfunks eine subjektive Veranstaltungsfreiheit anerkannt oder die Berechtigung des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Rundfunkordnung angenommen wird. So dürften notwendige Maßnahmen zur Sicherung der Medienvielfalt regelmäßig auch zu Eingriffen in subjektive Grundrechte bzw. -freiheiten berechtigen. Auf der anderen Seite ist es auch dem ausgestaltenden Gesetzgeber verwehrt, die Möglichkeit der Anerkennung einer Rundfunkveranstaltungsfreiheit und ihren denkbaren Beitrag zur Medienvielfaltsicherung völlig außer Betracht zu lassen. Sofern die freie und unreglementierte private Veranstaltung von Rundfunk mit hinreichender Wahrscheinlichkeit besser geeignet wäre, das notwendige Maß an Medienvielfalt herzustellen, so wäre auch der Berechtigung zur regelnden Ausgestaltung der Rundfunkordnung die Grundlage entzogen. Im Bereich der Presse wird die Dominanz der abwehrrechtlichen Dimension und die Rechtfertigungsbedürftigkeit von Beschränkungen der Pressetätigkeit von 301

Roider, S. 210. Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304, 316 (insb. Fn. 48).

302

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keinem der betrachteten Gerichte bestritten. Gleichwohl kommt auch der Presse in allen betrachteten Rechtsordnungen eine objektiv-rechtliche Dimension zu, welche den Staat u. U. dazu verpflichten kann, ein inhaltlich vielfältiges Angebot durch positive Maßnahmen sicherzustellen. Jedoch wird im Grundsatz darauf vertraut, dass sich ein hinreichend vielfältiges Angebot bereits unter Marktbedingungen einstellen wird. Im Falle von Vielfalt gefährdenden Konzentrationstendenzen ist der Staat indessen gehalten, regulierend einzugreifen. Eine Vielfalt steuernde Zulassungskontrolle ist hingegen im Bereich der Presse ebenso wenig vorgesehen wie ein ergänzendes öffentlich-rechtliches Inhaltsangebot.

III. Zuordnung der Medienvielfalt zu den Werten i. S. d. Art. 2 EUV 1. Demokratie Die Anforderungen an das durch die Mitgliedstaaten und die Union einzuhaltende Demokratieprinzip lassen sich kaum allgemeingültig definieren.303 So unterscheiden sich nicht nur die Anforderungen an die demokratische Legitimität des Handelns der Union von denen der Mitgliedstaaten, sondern es lassen sich auch unter den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bei der Ausprägung des Demokratieprinzips ausmachen.304 Gleichwohl lassen sich auch unverzichtbare Wesensmerkmale einer Demokratie feststellen, welche vorliegen müssen, damit die Ausübung hoheitlicher Befugnisse als hinreichend legitimiert gelten kann. Im Wesentlichen zeichnet sich eine Demokratie dadurch aus, dass die Bürger in regelmäßig abzuhaltenden Mehrheitsentscheidungen, welche nach den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit verlaufen müssen, die öffentliche Gewalt personell und sachlich festlegen.305 Das Erfordernis der Medienvielfalt steht dabei in einem Zusammenhang mit der Freiheit der zu treffenden Mehrheitsentscheidungen. So kann eine Wahl nur dann als frei gelten und demokratische Legitimation vermitteln, wenn nicht nur der Wahlvorgang selbst, sondern auch die vorgeschaltete Entscheidungsfindung frei verläuft.306 Das Demokratieprinzip stellt in dieser Hinsicht Mindestanforderungen an die politische Willensbildung auf, welche sich in einem Prozess der freien und offenen Meinungsbildung vollziehen muss.307 Grundlage der freien und offenen Meinungsbildung sind wiederum die Kommunikationsgrundrechte, welche es überhaupt erst ermöglichen, dass unterschiedliche Meinungen in die öffentliche Kommunikation eingeführt werden.308 Sie bewirken mithin, dass die 303

Serini, S. 82. Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 EUV, Rn. 20; Streinz-Pechstein, Art. 2 EUV, Rn. 4. 305 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 26 (EL 51: September 2013). 306 Maunz / Düring-Grzeszick, Art. 20 GG, II., B., Rn. 17 (Lfg. 57: Januar 2010). 307 Maunz / Düring-Grzeszick, Art. 20 GG, II., B., Rn. 15 (Lfg. 57: Januar 2010). 308 Serini, S. 69.

304

III. Zuordnung der Medienvielfalt zu den Werten

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Wahlentscheidungen der Bürger insofern frei verlaufen können, als sie ohne ungleichgewichtige Beeinflussung durch den Staat oder gesellschaftliche Gruppen erfolgen. Es ist nicht die öffentliche Meinung als solche, welche als unverzichtbar für eine freiheitliche Demokratie anzusehen ist, sondern vielmehr der freie Prozess ihrer Entstehung.309 Den Zusammenhang zwischen der Willensbildung des Volkes und der des Staates hat das BVerfG in der sog. Spiegel-Entscheidung anschaulich herausgearbeitet. Darin weist es darauf hin, dass die Staatsorgane durch den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes überhaupt erst hervorgebracht werden und dass sich deshalb der Staat grundsätzlich in diesen den Wahlen vorgelagerten Willensbildungsprozess nicht einschalten darf.310 So sei es ein Erfordernis der Demokratie, dass sich die „Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin vollziehen muss“.311 Ebenso wenig wie der Staat dürfen in einer Demokratie auch gesellschaftliche Gruppen den Prozess der freien Meinungsbildung, etwa im Wege medialer Meinungsherrschaft, zu verzerren in der Lage sein. Eine freie Meinungsbildung als notwendiges Kernelement einer Demokratie setzt zum einen voraus, dass den Bürgern grundsätzlich keine Informationen vorenthalten werden und dass zum anderen eine geistige Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen in der Gesellschaft vertretenen Meinungen erfolgen kann.312 Es ist daher eine für das Funktionieren der Demokratie notwendige Voraussetzung, dass die Bürger durch die Medien mit Informationen aus einem breiten Meinungsspektrum versorgt werden können. Berücksichtigt man, dass alle betrachteten Verfassungsgerichte und der EGMR die Medienvielfalt als notwendige Voraussetzung einer demokratischen Gesellschaft herausgestellt haben, so wird man diese als unverzichtbares Element des Demokratiebegriffes i. S. d. Art. 2 EUV aufzufassen haben. 2. Schutz der Menschenrechte Die Einordnung der Medienvielfalt als Menschenrecht erscheint auf den ersten Blick fernliegend, da vor allem im Bereich der Rundfunkordnung Maßnahmen, welche der Vielfaltsicherung dienen sollen, die subjektive Inanspruchnahme der Rundfunkfreiheit beschränken und nicht ermöglichen.313 Indessen wird das Erfordernis der Medienvielfalt durch die betrachteten Verfassungsgerichte sowie durch den EGMR aus der objektiv-rechtlichen Dimension der 309

Kloepfer, in: Isensee / Kirchhoff, § 42, S. 395 f., Rn. 12. BVerfGE 20, 56, 99 (Spiegel-Entscheidung). 311 BVerfGE 20, 56, 99 (Spiegel-Entscheidung). 312 BVerfGE 74, 297, 332; BVerfGE 7, 198, 208 (Lüth). 313 Vgl. Uwer, S. 102 f. Dieser bestreitet den Grundrechtscharakter der Medienvielfalt insb. mit dem Argument, dass diese i. R. d. Art 10 EMRK lediglich als Einschränkungsziel zur Beschränkung von menschenrechtlichen Freiheiten herangezogen wird. A. A., Gersdorf, AöR 119 (1994), 400, 413 f. 310

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

Kommunikationsgrundrechte hergeleitet. Zudem wird der Inhalt des Menschenrechtsschutzes gem. Art. 2 EUV verbreitet als deckungsgleich zu dem in Art. 6 EUV erwähnten Grundrechtsschutz angesehen.314 Art. 6 Abs. 3 EUV bestimmt, dass die Grundrechte, welche durch die EMRK gewährleistet werden und diejenigen, welche sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind. Zudem kommt den in der GrCh gewährten Rechten über Art. 6 Abs. 1 EUV für das Handeln der Union rechtliche Verbindlichkeit zu. Sofern man den Gewährleistungsgehalt des Menschenrechtsschutzes i. S. d. Art. 2 EUV mit dem des Grundrechtsschutzes i. S. d. des Art. 6 EUV als inhaltsgleich betrachtet, wäre das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung auch ein solches des Menschenrechtsschutzes i. S. d. Art. 2 EUV. So haben der EGMR und die betrachteten mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichte, welche allein aufgrund ihrer Repräsentation eines Großteils der EU-Bevölkerung in besonderer Weise geeignet sind, Werte der Union zu prägen, die Notwendigkeit der Medienvielfaltsicherung aus Kommunikationsgrundrechten hergeleitet. Zudem findet das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh ihren Ausdruck. Die Deckungsgleichheit zwischen dem Grundrechtsschutz nach Art. 6 EUV und dem Menschenrechtsschutzes nach Art. 2 EUV kann jedoch auch in Frage gestellt werden. So bezieht sich Art. 6 EUV den Begriff nach auf Grundrechte, wohin­gegen in Art. 2 EUV Menschenrechte verankert sind. In der Literatur wird mitunter inhaltlich zwischen Menschenrechten, welche der Staat als gegeben vorfindet und achtet, sowie Grundrechten, welche er selber schafft, unterschieden.315 Betrachtet man den Zweck des Art. 2 EUV, welcher darin besteht, ein notwendiges Maß an Wertehomogenität zwischen den Mitgliedstaaten und der Union rechtlich abzusichern, so können die jeweiligen und zum Teil zulässigerweise inhaltlich divergierenden Grundrechte der Mitgliedstaaten für die Konkretisierung des Menschenrechtsschutzes i. R. d. Art. 2 EUV jedenfalls nicht in all ihren Ausprägungen maßgeblich sein.316 Würden sämtliche in Art. 6 genannten Grundrechtsquellen, d. h. GrCh, EMRK und gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als Menschenrechtsschutz i. S. d. Art. 2 EUV gelten, so würde dies die Funktion des Art. 2 EUV, als Tatbestandsmerkmal für Sanktionen nach Art. 7 EUV zu dienen, überfordern.317 So ist zu beachten, dass in der GrCh auch solche Grundrechte geregelt sind, für 314 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Jacqué, Art. 2 EUV, Rn. 5; Potacs, EuR 2016, 164, 171; Streinz-Pechstein, Art. 2 EUV, Rn. 7. 315 Müller, BayVBl. 1993, 513, 514; a. A. Schorkopf, Homogenität, S. 92, Ziffer 124. Letzterer hält diese historisch begründete Unterscheidung für überholt. 316 Serini, S. 117. 317 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 36 (EL 51: September 2013); a. A. Streinz-Pechstein, Art. 2 EUV, Rn. 7. Letzterer sieht die rechtliche Bedeutung der Erwähnung des Menschenrechtsschutzes in Art. 2 EUV darin erschöpft, die inhaltlich für deckungsgleichen gehaltenen Grundrechte i. S. d. Art. 6 EUV zum Gegenstand eines Sanktionsverfahrens nach Art. 7 EUV machen zu können.

III. Zuordnung der Medienvielfalt zu den Werten

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welche die EU keine Zuständigkeit besitzt. Die dortige Verankerung von Grundrechten darf aufgrund der zu beachtenden Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten jedenfalls nicht zur Folge haben, dass den Mitgliedstaaten ebenfalls die Regelung sämtlicher in der GrCh enthaltenen Grundrechte aufgezwungen wird, da anderenfalls ein Verfahren nach Art. 7 EUV drohte. Hierdurch würde der in Art. 51 GrCh geregelte enge Anwendungsbereich der Charta umgangen. Weiterhin sind in der GrCh teilweise sehr weitgehende Rechte geregelt, deren Nichteinräumung kaum als sanktionswürdige Menschenrechtsverletzung aufgefasst werden kann. Es erscheint daher geboten, den Bereich der Rechte, welche als Menschenrechte i. S. d. Art. 2 EUV anzusehen sind, einzugrenzen. Es wird vertreten, dass unter Menschenrechten lediglich die elementaren Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum sowie die Verpflichtung auf die Menschenwürde zu fassen sind.318 Eine andere Auffassung bevorzugt die Heranziehung der in der EMRK verbürgten Rechte.319 Ebenso wird die Maßgeblichkeit der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten vertreten.320 Nimmt man den Sinn und Zweck des Homogenitätsgebots in den Blick, so erscheint es jedenfalls nicht ausreichend, den Menschenrechtsschutz auf diejenigen Rechte zu reduzieren, welche die Würde des Menschen ausmachen (vgl. die Grundrechte des Titels I der GrCh, welcher die Überschrift „Würde des Menschen“ trägt). Hiergegen spricht bereits in systematischer Hinsicht die gesonderte Erwähnung der Menschenwürde in Art. 2 EUV. Die EU wird sich nur dann als Wertegemeinschaft bezeichnen und die praktische Durchsetzung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten gewährleisten können, wenn sichergestellt ist, dass das Handeln sämtlicher Mitgliedstaaten zumindest den grundrechtlichen Standards, welchen die EMRK für diese vorgibt, genügt. Dass die EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten schon immer ein hohes Niveau an Menschenrechtsschutz vorausgesetzt hat, wurde bereits vor Inkrafttreten der Beitrittsregelung des Art. 49 EUV anhand der praktizierten Aufnahmepraxis deutlich. So maß die Europäische Kommission bei der Beurteilung der Beitrittsfähigkeit der osteuropäischen Staaten in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte u. a. der Gewährleistung der freien Meinungsäußerung einschließlich der Unabhängigkeit von Hörfunk und Fernsehen erhebliches Gewicht bei.321 Zwar ist es ebenso überzeugend, die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als den von Art. 2 EUV geforderten Mindeststandard an Menschenrechtsschutz heranzuziehen. Indessen ist zu berücksichtigen, dass die Heraus-

318

Pforr, S. 91. Kassner, S. 113; Schorkopf, Homogenität, S. 93, Ziffer 126; a. A. Serini, S. 116. 320 Serini, S. 118. 321 Europäische Kommission, AGENDA 2000 – Eine stärkere und erweiterte Union, Bulletin der EU, Beilage 5/97, S. 45. 319

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

arbeitung gemeinsamer Verfassungsüberlieferungen weitaus weniger Rechtssicherheit in der Anwendung des Art. 2 EUV bietet, als die Analyse der Rechtsprechung der EMRK. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch der EuGH zur Ermittlung der gemeinsamen mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen ohnehin im Wesentlichen die durch die Mitgliedstaaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge und unter diesen insbesondere die EMRK heranzieht.322 Das Problem, dass einzelne Mitgliedstaaten Zusatzprotokolle unterzeichnet haben und dadurch unterschiedliche Schutzstandards entstanden sind, erscheint überwindbar, indem man den für alle Mitgliedstaaten maßgeblichen Schutzstandard heranzieht.323 Die Befürchtung, dass bei dieser Vorgehensweise nicht sämtliche fundamental wichtigen Menschenrechte Beachtung finden, erscheint unbegründet. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten Menschenrechte hervorgebracht haben, welche durch die EMRK, ungeachtet der Zusatzprotokolle, nicht ebenso geschützt sind.324 Insofern überzeugt die Auffassung, dass die in der EMRK verbürgten Rechte den Menschenrechtsschutz i. S. d. Art. 2 EUV konkretisieren. Wie bereits herausgearbeitet wurde, folgert der EGMR aus der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 10 EMRK eine Pflicht des Staates zur Sicherung der Medienvielfalt. Jedoch erscheint es zweifelhaft, ob aus der objektiv-rechtlichen Dimension eines Grundrechts Menschenrechte folgen können. So ist grundsätzlich zu differenzieren zwischen staatlichen Handlungspflichten, welche aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt eines Grundrechts erwachsen und subjektiven Rechten, welches ein Grundrecht für Einzelpersonen begründet. In diesem Zusammenhang sei aber an das französische Grundrechtsverständnis erinnert, welches Grundrechte stets als objektiv-rechtliche Freiheiten auffasst.325 Gleichwohl kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es sich bei den in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 verankerten Rechten weitgehend um Menschenrechte handelt. Das BVerfG stellte frühzeitig und unter Bezugnahme auf Art. 11 der französischen Menschen- und Bürgerrechteerklärung von 1789 heraus, dass das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt ist“.326 Zu berücksichtigen ist in dieser Hinsicht, dass die aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Kommunikationsgrundrechte folgenden staatlichen Handlungspflichten mit dem subjektiven Recht der Meinungsfreiheit in einem nicht zu trennenden Zusammenhang stehen. Ohne ein durch den Staat zu gewährleistendes inhaltlich vielfältiges 322

EuGH, Urt. v. 18.06.1991, Rs. C-260/89, ECLI:EU:C:1991:254, Rn. 41 (ERT). A. A., Serini, S. 116. 324 Eine Ausnahme in dieser Hinsicht stellt das Fehlen einer Regelung in der EMRK und ihren Zusatzprotokollen zur Berufsfreiheit dar. Die Freiheit in Ausübung eines Berufs mediale Inhalte zu erstellen und zu verbreiten wird indessen über Art. 10 EMRK geschützt. Vgl. zum Schutz der Berufsfreiheit durch die EMRK, Grabenwarter / Pabel, § 25, Rn. 37. 325 Feise, S. 83. 326 BVerfGE 7, 128, 208 (Lüth). 323

III. Zuordnung der Medienvielfalt zu den Werten

161

Medienangebot kann die individuelle Meinungsbildung nicht frei erfolgen. Ebenso ist davon auszugehen, dass die Meinungsbildung durch ein verengtes Medien­ angebot unzulässig beeinflusst wird. Die sich an eine beeinflusste Meinungsbildung anschließende Meinungsäußerung kann dann kaum noch als wirksame Inanspruchnahme des zu gewährleistenden Freiheitsgrundrechts bzw. Menschenrechts aufgefasst werden. Mithin kann die Medienvielfalt, zu dessen Sicherstellung sämtliche Mitgliedstaaten aus Art. 10 EMRK verpflichtet sind, auch als ein Erfordernis der Achtung der Menschenrechte i. S. d. Art. 2 EUV angesehen werden. 3. Rechtsstaatlichkeit Der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit ist in der Union und den jeweiligen Mitgliedstaaten unterschiedlich verwirklicht.327 Die Ausformungen sind teilweise rein formal auf die Rechtsdurchsetzung und die Rechtssicherheit bezogen.328 Andere Ausprägungen wiederum erweitern das Rechtsstaatsprinzip um materielle Gehalte, indem sie u. a. auch den Grundrechtsschutz und die Achtung der Demokratie als hiervon mit erfasst ansehen.329 Die gesonderte Erwähnung der Wahrung der Menschenrechte in Art. 2 EUV legt die Ausklammerung des Grundrechtsschutzes aus dem Rechtsstaatsprinzip nahe.330 Nach anderer Auffassung umfasst das Rechtsstaatsprinzip i. S. d. Art. 2 EUV auch die Grundrechte und deren effektive Gewährleistung.331 Auch der EuGH scheint von einem materiellen Verständnis des Rechtsstaatsprinzips unter Einbeziehung der Grundrechte auszugehen. So beschreibt er die EU als eine „Rechtsgemeinschaft“, welche die Handlungen ihrer Organe, u. a. auf die Vereinbarkeit mit Grundrechten überprüft.332 Im Übrigen wurde durch den EuGH der Grundsatz der Rechtssicherheit und der aus ihm folgende Bestimmtheitsgrundsatz als Bestandteil des für die Unionsrechtsordnung geltenden Rechtsstaatsprinzips anerkannt.333 Aber selbst wenn man den Grundrechtsschutz als solchen in das Rechtsstaatsprinzip mit einbezieht, läge es nahe, die Verletzung bzw. Versagung einzelner in-

327

Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 35 (EL 51: September 2013). Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 288. 329 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 288; Hofmeister, DVBl. 2016, 869, 873; Schorkopf, Homogenität, S. 95, Ziffer 132. 330 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 288; Schorkopf, Homogenität, S. 96, Ziffer 133. 331 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 EUV, Rn. 25; Serini, S. 106. 332 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/2000, ECLI:EU:C:2002:462, Rn. 38 (Unión de Pequenos Agricultores / Rat). 333 EuGH, Urt. v. 09.07.1981, Rs. C-169/80, ECLI:EU:C:1981:171, Rn. 17 (Gondrand und Grancini). 328

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C. Die Medienvielfalt als Schutzgut i. R. d. Art. 2 EUV

haltlich bestimmter Grundrechte dem ebenfalls in Art. 2 EUV verankerten Schutz der Menschenrechte zuzuordnen.334 Die Europäische Kommission, welche spätestens seit der Einführung des EU-Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips335 die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV systematisch überwacht, stellt den engen Zusammenhang zwischen dem Rechtsstaatsprinzip und der Achtung der Demokratie sowie der Grundrechte heraus. So führt sie aus, dass die Demokratie sowie die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte nur unter Geltung des Rechtsstaatsprinzips verwirklicht werden können.336 Ebenso könne umgekehrt in einem Staat, in welchem Demokratie und Grundrechte nicht zur Geltung gebracht werden, die Rechtsstaatlichkeit nicht verwirklicht werden.337 Stellt man auf diese Weise einen Zusammenhang zwischen der Achtung der Grundrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit her, so könnte die anhaltende Missachtung des Erfordernisses der Medienvielfalt auch als Rechtsstaatsdefizit aufgefasst werden. Tatsächlich wendet die Rechtspraxis der Europäischen Kommission den Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips u. a. auch dann an, wenn sie Bedenken hinsichtlich der Sicherstellung der Medienvielfalt in einem Mitgliedstaat hat.338 Die Herausstellung des Zusammenhangs zwischen der Achtung der Grundrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit erscheint in der Sache überzeugend. Da indessen die Menschenrechte und die Demokratie in Art. 2 EUV gesondert benannt sind, sollten Defizite der Medienvielfaltsicherung gleichwohl hierunter gefasst werden, um die Möglichkeit einer trennscharfen Abgrenzung der Werte des Art. 2 EUV nicht unnötig preiszugeben. Zu berücksichtigen ist indessen, dass der als Vorverfahren zur Anwendung des Art. 7 EUV ausgestaltete Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips auch nur bei Gefährdungen des Rechtsstaatsprinzips zur Anwendung gebracht werden kann.339 Somit müsste bei Gefährdungen der Demokratie oder des Menschenrechtsschutzes Art. 7 EUV direkt zur Anwendung gebracht werden. Die durch die Europäische Kommission beabsichtigte Anwendung des Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips auch im Falle von Menschenrechtsbeeinträchtigungen und Demokratiedefiziten kann indessen kein überzeugendes Argument dafür liefern, die Zuordnung des Grundrechtsschutzes wahlweise beim Rechtsstaatsprinzip oder bei der Wahrung der Menschenrechte vorzunehmen. Berücksichtigt man die Funktion 334 Zum Verhältnis der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung des Menschenrechtsschutzes i. R. d. Art. 2 EUV, siehe Serini, S. 120. 335 Europäische Kommission, COM (2014) 158 final. 336 Europäische Kommission, COM (2014) 158 final, S. 4 f. 337 Europäische Kommission, COM (2014) 158 final, S. 4 f. 338 Europäische Kommission, Empfehlung zur Rechtsstaatlichkeit in Polen, C(2016) 5703 final, S. 21, Ziffer 67. Es muss jedoch auch gesehen werden, dass die Mediengesetzgebung in Polen nur einen Teilaspekt der Beanstandungen darstellt und diese insb. vor dem Hintergrund der bezweifelten Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts problematisiert wurde. 339 Von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 (2014), 283, 322.

III. Zuordnung der Medienvielfalt zu den Werten

163

des Art. 2 EUV, welche u. a. darin besteht als Tatbestandsmerkmal des Art. 7 EUV zu dienen, so erscheint eine größtmögliche Bestimmtheit und randscharfe Abgrenzung der in Art. 2 S. 1 EUV genannten Werte geboten.340 Es sollte daher von einer Bedeutungsaufladung des Begriffs der Rechtsstaatlichkeit Abstand genommen werden, zumal die Möglichkeit besteht, die Medienvielfalt anderen ausdrücklich in Art. 2 Abs. 1 S. 1 EUV genannten Werten zuzuordnen.

340 Eine inhaltliche Reduktion und Präzisierung in Bezug auf den Wert des Menschenrechtsschutzes befürwortend, Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 36 (EL 51: September 2013).

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV Nach hier vertretener Auffassung besitzt die EU grundsätzlich keine Kompetenz zur Regelung der Medienvielfalt in den Mitgliedstaaten. Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung verbleibt die Kompetenz zur Medienvielfaltsicherung damit auf mitgliedstaatlicher Ebene. Es wurde jedoch aufgezeigt, dass Art. 2 EUV für die Mitgliedstaaten verbindliche Werte formuliert, welche ohne Gewährleistung der Medienvielfalt als verletzt anzusehen wären. Indessen kann Art. 2 EUV nicht selbst als eine Einzelermächtigung zugunsten der EU betrachtet werden, da Art. 2 EUV die Union nicht dazu berechtigt, selbst Recht setzend tätig zu werden. Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Hoheitsausübung die Werte des Art. 2 EUV berücksichtigen. Insofern beschränkt Art. 2 EUV den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten auch in solchen Bereichen, für welche keine Hoheitsrechte übertragen wurden. Der Umstand, dass das Unionsrecht über Art. 2 EUV auch auf solche Kompetenzbereiche der Mitgliedstaaten einwirken kann, welche Ausdruck von deren nationaler Identität sind, bedarf der näheren Betrachtung. Es stellt sich vor allem die Frage, ob die verbindliche und durch das Verfahren nach Art. 7 EUV auch durchsetzbare Vorgabe von Werten seitens der Union eine Überschreitung von mitgliedstaatlich oder unionsrechtlich vorgegebenen Entwicklungsgrenzen der EU zur Folge hat. 1. Einschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität Der Begriff der Souveränität kennzeichnet eine Eigenschaft der Staatsgewalt.1 Dabei muss im Blick behalten werden, dass die Staatsgewalt vom Volk, oder, wenn man den Begriff der Souveränität nicht zwingend bezogen auf ein Volk im Sinne einer Nation verstanden wissen möchte,2 von den Menschen ausgeht, welche ein Hoheitsgewalt unterworfenes Gemeinwesen bilden. Der Staat fungiert nur deshalb als „treuhänderischer Verwalter“ der Staatsgewalt, da ein Volk bzw. ein sonstiges Gemeinwesen politisch nicht handlungsfähig ist.3 Die innere Souveränität bezeichnet die Fähigkeit auf dem eigenen Staatsgebiet eine Ordnung zu errichten (Verfassungsautonomie).4 Die äußere Souveränität hin 1

Ipsen, Knut, Völkerrecht-Epping, S. 110, Rn. 138. So Kassner, S. 293; Oeter, ZaöRV 55 (1995), 659, 683 f. 3 Oeter, ZaöRV 55 (1995), 659, 674 f. 4 Ipsen, Knut, Völkerrecht-Epping, S. 110, Rn. 137. 2

I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV

165

gegen beschreibt die rechtliche Unabhängigkeit des Staates von anderen Staaten, welche es ihm ermöglicht, unter Beachtung des Völkerrechts, nach außen selbständig zu handeln.5 Die Eingehung völkerrechtlicher Verpflichtungen lässt die äußere Souveränität so lange fortbestehen, als diese freiwillig erfolgt und die internationale Organisation nicht völlig autonom und in eigener Machtvollkommenheit die inneren Belange des Staates beeinflusst.6 Betrachtet man die Regelung des Art. 2 EUV, so lässt sich feststellen, dass diese die innere Souveränität des Staates insoweit beeinträchtigt, als sie verbindliche und durchsetzbare Mindestvorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung festlegt. Dass der Handlungsspielraum eines Staates durch völkerrechtliche Verpflichtungen eingeschränkt sein kann, liegt indessen im Wesen einer solcher Vereinbarungen. Unionsrechtliche Verpflichtungen gehen aber in ihrer Wirkung über sonstige völkerrechtliche Verpflichtungen hinaus.7 Zum einen ist der Anwendungsvorrang des Unionsrechts in den Blick zu nehmen. Anders als sonstiges besonderes Völkerrecht, welches in Deutschland gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG den Rang eines einfachen Bundesgesetzes inne hat, kann das Unionsrecht nationales Recht in seinem Anwendungsbereich verdrängen. Sonstige völkerrechtliche Vereinbarungen hingegen lassen das GG unberührt.8 Mit der Regelung eines Sanktionsverfahrens in Art. 7 EUV ist es der Union im Falle der Verletzung der Werte des Art. 2 EUV darüber hinaus möglich, aus eigenem Recht Stimmrechte des betroffenen Mitgliedstaats im Rat auszusetzen (Art. 7 Abs. 3 S. 1 EUV). Mithin kann die EU in der Folge ohne Mitwirkung des betroffenen Mitgliedstaats neues EU-Recht setzten, welches aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sogar nationales Verfassungsrecht zu verdrängen in der Lage ist. Hingegen ist es ein wesentliches Merkmal der inneren Souveränität eines Staates, dass dieser selbstbestimmt über die Ausgestaltung seiner Verfassungsordnung verfügen kann.9 Verstärkt wird der Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten weiter durch die politische Definitionsmacht der Unionsorgane, welche darüber zu befinden haben, ob der betreffende Mitgliedstaat die Werte des Art. 2 EUV verletzt hat.10 Zudem unterliegt die politische Sanktionsentscheidung der Unionsorgane keiner inhaltlichen Kontrolle durch den EuGH (vgl. Art. 269 AEUV). Ein durch Art. 2 EUV erfolgter Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten kann insbesondere aufgrund der Verknüpfung der Verpflichtung zur Einhaltung der dort genannten Werte mit dem Sanktionsmechanismus des Art. 7 EUV nicht bezweifelt werden.11 5

Ipsen, Knut, Völkerrecht-Epping, S. 110, Rn. 138. Oeter, FS Steinberger, 259, 276 f. 7 Kassner, S. 295. 8 Murswiek, NVwZ 2009, 481, 483. 9 Murswiek, NVwZ 2009, 481, 483. 10 Kassner, S. 285. 11 Holterhus / Kornack, DVBl. 2014, 389, 398; Kassner, S. 285. 6

166

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

2. Die Verzahnung mitgliedstaatlicher und europäischer Gestaltungsgrenzen a) Verbot der Bundesstaatlichkeit der EU als Entwicklungsgrenze Aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts sind der Entwicklung der EU Grenzen gesetzt. So verbietet Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. 79 Abs. 3 GG nach Auffassung des BVerfG der Bundesrepublik Deutschland den Eintritt in einen Bundesstaat.12 In dieser Hinsicht ist in den Blick zu nehmen, dass eine zwischen den Gliedstaaten und der Zentralebene geteilte gemeinsame Wertebasis, deren Einhaltung durch einen Sanktionsmechanismus der übergeordneten Ebene abgesichert wird, ein typisches Merkmal eines Bundesstaates ist.13 Die Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV wird teilweise als vergleichbar mit derjenigen des Art. 28 Abs. 1 GG, welche für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern gilt, angesehen.14 Die Existenz einer dem Art. 28 Abs. 1 GG entsprechenden Homogenitätsklausel auf Unionsebene hat nach Auffassung einiger Autoren bereits die vom BVerfG als unzulässig erachtete Herabstufung der Bundesrepublik Deutschland zu einem Gliedstaat eines europäischen Bundesstaates zur Folge.15 Dass das BVerfG die Entwicklung der EU zu einem Bundesstaat im Hinblick auf die deutsche Integrationsbeteiligung als unzulässig erachtet, kann indessen nicht beachtlich für die EU als solche sein. Die verfassungsrechtlichen Vorbehalte eines Mitgliedstaates hinsichtlich seiner Teilnahme am Integrationsprozess entfalten nur für den jeweiligen Mitgliedstaat Wirksamkeit. Auf der anderen Seite gibt aber auch das Unionsrecht Grenzen der Entwicklung der EU vor. So betrifft die Verpflichtung der Union zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten im Grundsatz auch den Erhalt der mitgliedsstaatlichen Souveränität.16 Dies folgt bereits aus dem völkerrechtlichen Ursprung des EU-Rechts und dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.17 Somit ist die Frage, ob die Homogenitätsklausel eine unzulässige Entwicklung zu einem europäischen Bundesstaat beinhaltet, auch aus unionsrechtlicher Sicht relevant. Die Verpflichtung zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten sollte zumindest die Unantastbarkeit eines absolut geschützten Kernbereichs umfassen.18 Der Schutz der nationalen Identität wird von Bleckmann sogar in dem Sinne aufgefasst, dass die Mitgliedstaaten diejenige Souveränität be-

12

BVerfGE 123, 267, 347 f., 354 (Lissabon). Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295, 296. 14 Maunz / Düring-Mehde, Art. 28 Abs. 1 GG, A., III., Rn. 15 (Lfg. 73: Dezember 2014); Murswiek, NVwZ 2009, 481, 483; a. A. Ipsen, FS Düring, 159, 160. Letzterer leitet aus der bundesstaatlichen Struktur der Bundesrepublik Deutschland ein zu differenzierendes Homogenitätsniveau ab. 15 Heintzen, EuR 1997, 1, 8; Murswiek, NVwZ 2009, 481, 483. 16 Schorkopf, Homogenität, S. 211 f., Ziffer 360. 17 Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 16. 18 Haratsch, EuR 2016, 131, 141. 13

I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV

167

halten müssen, welche sie am Beginn des Integrationsprozesses hatten.19 Bedenkt man, dass mit jeder Hoheitsrechtsübertragung an die EU ein Teil der Souveränität verloren geht, so überzeugt diese Auffassung in ihrer Absolutheit nicht. Würde die Souveränität der Mitgliedstaaten hingegen in einem so weiten Umfang auf die EU übertragen, dass diese die Form eines Bundesstaates annähme, so wären die Mitgliedsstaaten infolge dieser Entwicklung bereits im staatsorganisationsrechtlichen Sinne nicht mehr identisch mit denen am Anfang des Integrationsprozesses. Stellt man in Rechnung, dass die Mitgliedstaaten ursprünglich keine Gliedstaaten eines europäischen Bundesstaates gewesen sind, so liegt es nahe, dass diese durch die Regelung des Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV zumindest verhindert wissen wollten, dass eine solche Entwicklung unionsrechtlich zulässig wäre. Würde die EU sich zu einem Bundesstaat entwickeln, so wäre die in diesem Zuge eintretende Herabstufung der Mitgliedstaaten zu Gliedern eines übergeordneten Bundes als Verletzung des Kernbereichs nationaler Identität i. S. d. Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV anzusehen. Es wird indessen kaum zu erwarten sein, dass der EuGH und das BVerfG hinsichtlich der Frage des Kerngehalts der nationalen Identität bzw. der Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland in einen Konflikt geraten werden.20 Vielmehr wird man erwarten dürfen, dass die Gerichte Meinungsverschiedenheiten im Wege eines Dialogs ausräumen.21 Fest steht jedenfalls, dass das BVerfG Art. 79 Abs. 3 GG als unumstößliche Grenze des Integrationsprozesses ansieht.22 Zu berücksichtigen ist ferner, dass sich ähnliche Integrationsgrenzen auch im Verfassungsrecht anderer Mitgliedstaaten finden.23 Somit wäre es seitens des EuGH pragmatisch, diese Grenzen als absolut geschützten Kernbereich der nationalen Identitäten anzuerkennen, um den zumindest aus unionsrechtlicher Perspektive auf Freiwilligkeit basierenden weiteren Integrationsprozess (vgl. Art. 50 EUV) nicht zu gefährden.24 Damit sollte das Verbot der Bundesrepublik Deutschland, sich an einem europäischen Bundesstaat zu beteiligen, auch für die EU als korrespondierende Pflicht angesehen werden, den Kernbereich der nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten, welcher u. a in deren souveräner Eigenstaatlichkeit zum Ausdruck kommt, zu achten.25

19

Bleckmann, JZ 1997, 265, 266; a. A. Grabitz / Hilf / Nettesheim-von Bogdandy / Schill, Art. 4 EUV, Rn. 40 (EL 51: September 2013). Letztere erblicken in Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV keine Schranke in der Weiterentwicklung der EU. 20 Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 17. 21 Haratsch, EuR 2016, 131, 142. 22 BVerfGE 134, 366, 386 (OMT-Vorlagebeschluss); BVerfGE 123, 267, 348 (Lissabon). 23 BVerfGE 134, 366, 386 (OMT-Vorlagebeschluss). Einen anschaulichen Überblick über die mitgliedstaatlichen Integrationsvorbehalte bietet Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295, 304 ff. 24 In Betracht kommt indessen eine mitgliedstaatliche verfassungsrechtliche Verpflichtung am europäischen Integrationsprozess mitzuwirken. Vgl. etwa Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. 25 A. A. Maunz / Düring-Herdegen, Art. 79 GG, Rn. 169 (Lfg. 72: Juli 2014). Dieser lehnt die Fokussierung auf den Bundesstaat als Integrationsgrenze ab.

168

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

b) Art. 2 EUV als Kennzeichen für die Bundesstaatlichkeit der EU? Die Existenz einer Homogenitätsklausel ist jedenfalls ein Indiz, welches für die Entwicklung der EU hin zu einem Bundesstaat sprechen könnte. Die begriffs­ prägenden Merkmale eines Bundesstaats werden indessen nicht einheitlich beurteilt. Umstritten ist, ob die Souveränität bei einem Bundesstaat allein bei diesem liegen muss, oder ob die Souveränität zwischen der Zentralgewalt und den Gliedstaaten aufgeteilt sein kann.26 So zeichnet sich ein Bundesstaat nach einer Auffassung u. a. dadurch aus, dass die Souveränität allein bei der Zentralgewalt liegt.27 Die Souveränität der Zentralgewalt ist nach diesem Verständnis dadurch gekennzeichnet, dass es dieser möglich ist, unabgeleitete Staatsgewalt auszuüben.28 Die Existenz der Gliedstaaten ist lediglich Voraussetzung dafür, dass überhaupt von einem Bundesstaat gesprochen werden kann.29 Dagegen leitet die Zentralgewalt ihre Souveränität nicht von den Gliedstaaten her. Die Gegenauffassung nimmt in den Blick, dass der eigentliche Souverän das Volk ist, für welchen die im Gegensatz zum Volk rechtlich handlungsfähigen staatlichen Organe tätig werden.30 Ausgehend von dieser Erkenntnis ist es möglich, dass die vom Volk ausgehende Staatsgewalt zwischen den Gliedstaaten und dem Bundesstaat aufgeteilt wird, sodass beide Ebenen über unabgeleitete Staatsgewalt verfügen können.31 Unabhängig davon, ob die Zentralgewalt als alleiniger Inhaber der für das Volk wahrgenommen Staatsgewalt angesehen wird, ist im Falle der EU deren starke Abhängigkeit von den Mitgliedstaaten hervorzuheben. So wird anhand des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung augenfällig, dass die EU nur insoweit zur Ausübung von Hoheitsgewalt berechtigt ist, als ihr von den Mitgliedstaaten Hoheitsrechte übertragen worden sind. Mithin kann die EU auch nicht vergleichbar der Zentralebene eines Bundesstaats über originäre Hoheitsgewalt verfügen.32 Aufgrund der Unfähigkeit der EU, eigene Kompetenzen zu begründen, kann diese nicht einmal als Inhaberin einer zwischen den Mitgliedstaaten und der Zentralebene geteilten Souveränität aufgefasst werden. Hieran vermag auch die Vielzahl der übertragenen Kompetenzen und die Unfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten, einmal übertragene

26

Kassner, S. 286 ff. Jellinek, S. 291. In diese Richtung argumentierend auch Doehring, FS Everling, S. 263, 267. Dieser betrachtet die Auffassung, dass neben dem Bund auch die Mitglieder eines Bundesstaates über originäre Staatsqualität verfügen, als Fiktion. 28 Kassner, S. 286. 29 Jellinek, S. 291. 30 Oeter, ZaöRV 55 (1995), 659, 671. 31 Oeter, ZaöRV 55 (1995), 659, 676 f. 32 Ipsen, FS Düring, S. 159, 160. 27

I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV

169

Kompetenzen wieder an sich zu ziehen, nichts zu ändern.33 Wesentlicher Ausdruck der bei den Mitgliedstaaten verbliebenen Souveränität ist auch deren in Art. 50 EUV geregelte Möglichkeit des Austritts aus der EU.34 Die Austrittsmöglichkeit macht deutlich, dass die Mitgliedstaaten lediglich für die Dauer ihrer Mitgliedschaft in der EU auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten. Der freiwillige Souveränitätsverlust auf Seiten der Mitgliedstaaten führt aber nicht dazu, dass die abgegebene Souveränität der EU eine dauerhafte und alleinige Verfügungsgewalt über die von ihr regelbaren Materien verschafft. Vielmehr können die Mitgliedstaaten, wenn auch nur in ihrer Gesamtheit, gem. Art. 48 EUV Vertragsänderungen und damit auch Verschiebungen des Kompetenzgefüges herbeiführen. Anhand der Regelung des Art. 48 EUV wird deutlich, dass der Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten in dem von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägten europäischen Verbund aufgeht.35 Gegenseitige Abhängigkeiten und Souveränität schließen sich jedoch einander aus, sodass mit dem freiwilligen Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten zu Gunsten des europäischen Integrationsprozesses insgesamt ein Verlust an Volkssouveränität einhergeht. Die Aufgabe der alleinigen Letztentscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten in den an die EU übertragenen Regelungsbereichen und der damit notwendigerweise einhergehende Verlust an Volkssouveränität wird treffend als der Preis bezeichnet, welcher für die Kooperation auf der Ebene der EU zu zahlen ist.36 Ein grundsätzlich ebenso denkbarer europäischer Souverän kann sich derzeit lediglich über das Europäische Parlament artikulieren. Dessen Mitwirkungsrechte an der europäischen Gesetzgebung werden zwar zunehmend gestärkt, wenngleich diese noch immer unterentwickelt sind. Zwar ist nunmehr das Zustandekommen eines Rechtsakts im Regelfall u. a. an die Annahme durch das Europäischen Parlament gebunden (vgl. Art. 289 Abs. 1 AEUV).37 Eine weitgehend autonome Gesetzgebung des Europäischen Parlaments kommt jedoch weiterhin nicht in Betracht. Solange nämlich bezogen auf die Wahl zum Europäischen Parlament der Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht einmal i. S. e. Zählwertgleichheit aller zur Europawahl abgegebenen Stimmen verwirklicht ist, steht einer stärkeren Einbindung des Parlaments an der Gesetzgebung bereits das Demokratieprinzip entgegen. Dieses 33

Den Begriff der „geteilten Souveränität verwenden indessen Holterhus / Kornack, EuGRZ 2014, 389, 398; Jarass / Pieroth-Jarass, 13. Auflage, Art. 23 GG, Rn. 2 (in der 14. Auflage verzichtet Jarass auf den Begriff der „geteilten Souveränität“); Kassner, S. 294. 34 Die Möglichkeit des Austritts kann indessen für einzelne Mitgliedstaaten durch das nationale Verfassungsrecht versperrt sein. Siehe hierzu in Bezug auf Deutschland, Jarass / PierothJarass, Art. 23 GG, Rn. 12. 35 Das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis von EU und Mitgliedstaaten wird auch als „verschränkte Souveränität“ beschrieben. So etwa durch Maunz / Düring-Herdegen, Art. 79 GG, Rn. 169 (Lfg. 72: Juli 2014). 36 Doehring, FS Everling, S. 263, 267. 37 Fälle des besonderen Gesetzgebungsverfahrens gem. Art. 289 Abs. 1 AEUV, in denen Rechtsakte des Europäischen Parlaments verfahrensrechtlich nur an die Beteiligung des Rates gebunden sind, sind auf wenige, im Wesentlichen auf parlamentarische Angelegenheiten begrenzte, Ausnahmen beschränkt. Siehe hierzu, Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 289 AEUV, Rn. 4.

170

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

hat auf europäischer Ebene u. a. in Art. 2 EUV seinen Niederschlag gefunden. Damit bleiben die europäischen Völker und deren Souveränität weiterhin die wesentliche Legitimationsquelle für die Gesetzgebung der EU. Auch muss bei der Beurteilung der Bundesstaatlichkeit der EU in den Blick genommen werden, dass diese verpflichtet ist, mit der nationalen Identität der Mitgliedsstaaten auch deren Eigenstaatlichkeit und Souveränität zu achten. Hieraus folgt, dass die souveränen Mitgliedstaaten im Grundsatz weiterhin die maßgeblichen Völkerrechtssubjekte bleiben müssen.38 Die in Art. 47 EUV zum Ausdruck kommende Völkerrechtssubjektivität der EU ist insoweit limitiert, als diese sich nur auf solche Materien bezieht, welche ihr nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung übertragen wurden.39 Hingegen wäre es ein Merkmal eines Bundesstaates, dass die Zentralebene nach außen als alleiniges Völkerrechtssubjekt auftritt.40 Neben der unabgeleiteten Staatsgewalt der Zentralebene wird die Unterordnung des Volkes unter dieselbe als weiteres notwendiges Wesensmerkmal eines Bundesstaates aufgefasst.41 Die weitreichenden Möglichkeiten der EU zur verbindlichen Rechtssetzung für alle Unionsbürger liefern zwar einen Anhaltspunkt für das Vor­ liegen dieses Merkmals. Andererseits wird die EU gemeinhin nicht als Staat eingeordnet.42 Es fehlt hierfür bereits an einem europäischen Volk, welches einer europäischen Staatsgewalt unterworfen sein könnte.43 Vielmehr sind es in der derzeitigen Ausgestaltung der Union weiterhin die einzelnen mitgliedstaatlichen Völker auf dessen Willen die Übertragung der Hoheitsgewalt an die EU zurückzuführen ist. Von einer direkten Unterwerfung der europäischen Völker unter eine europäische Staatsgewalt kann indessen nicht die Rede sein. Im Ergebnis ist daher nicht erkennbar, dass die EU sich allein aufgrund der Existenz der Homogenitätsklausel des Art. 2 EUV bereits zu einem Bundesstaat entwickelt hat. Damit ist ebenso wenig ersichtlich, dass die EU durch eine solche Entwicklung die nationale Identität der Mitgliedstaaten verletzt haben könnte. c) Das Verhältnis von Art. 2 S. 1 EUV und Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV Sowohl Art. 2 EUV als auch Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV sind Regelungen des Primärrechts, sodass eine formale Vorrangstellung einer der beiden Regelungen nicht in Betracht kommt. Gleichwohl ist Art. 2 EUV für das Selbstverständnis und die Funktionsfähigkeit der Union von herausragender Bedeutung. Dass Art. 2 EUV 38

Maunz / Düring-Scholz, Art. 23 GG, Rn. 44 (Lfg. 56: Oktober 2009). Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 47 EUV, Rn. 7. 40 Maunz / Düring-Scholz, Art. 23 GG, Rn. 44 (Lfg. 56: Oktober 2009). 41 Jellinek, S. 291. 42 Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 6; Kassner, S. 287. 43 Maunz / Düring-Scholz, Art 23 GG, Rn. 44 (Lfg. 56: Oktober 2009); Pache, EuR 2002, 767, 782. 39

I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV

171

nicht lediglich einen unverbindlichen Programmsatz enthält, wird an der Verknüpfung mit den Beitrittsbedingungen (Art. 49 EUV) und dem Sanktionsverfahren des Art. 7 EUV deutlich. Eine Mitgliedschaft in der EU kommt nur in Betracht, sofern und solange die Werte des Art. 2 EUV im Grundsatz eingehalten werden. Zwar wird sich in Bezug auf jeden Mitgliedstaat ein für die Union unantastbarer Kernbereich nationaler Identität ausmachen lassen. Dieser darf indessen nur im Rahmen des Art. 2 EUV liegen. Die Achtung der in Art. 2 EUV genannten Werte ist für jeden Mitgliedstaat von Beginn der Mitgliedschaft an Voraussetzung zur Berechtigung der Teilnahme am Integrationsprozess. Daher darf die Union auch von jedem Mitgliedstaat erwarten, dass die in Art. 2 EUV genannten Werte Teil von dessen nationaler Identität sind und bleiben.44 Insofern markiert Art. 2 EUV die Grenze der mitgliedstaatlichen Entfaltungsmöglichkeiten im Rahmen der nationalen Identität.45 Ein Mitgliedstaat, welcher den Kernbereich seiner nationalen Identität außerhalb der Werte des Art. 2 EUV definiert, kann entweder mittels des Hinweises auf mögliche Sanktionen wieder auf die gemeinsamen Werte eingeschworen werden, oder er macht von seinem Austrittsrecht aus der EU Gebrauch. Etwaige Zugeständnisse seitens der EU kann es in einem solchen Fall nicht geben. Anderenfalls würde die EU es zulassen, dass ihr über Jahrzehnte entwickeltes und gefestigtes Selbstverständnis als Wertebzw. Rechtsgemeinschaft nachhaltig und vermutlich irreparabel erschüttert wird. Andererseits sollten die Organe der EU die Werte des Art. 2 EUV nicht inhaltlich übermäßig aufladen. So wird bereits überzeugend in Frage gestellt, ob es sinnvoll ist, dass das Verfahren nach Art. 7 EUV in materieller Hinsicht keiner Kontrolle durch den EuGH zugänglich ist und allein dem politischen Ermessen der Unionsorgane anheim gestellt wird.46 Eine politisch motivierte Aufladung der Werte des Art. 2 EUV würde die weitere freiwillige Teilnahme solcher Mitgliedstaaten am Integrationsprozess gefährden, deren Verfassungsordnungen nicht offenkundig den Werten des Art. 2 EUV widersprechen, deren aktuelle Regierungen aber grund­ legend andere politische Positionen vertreten, als die Mehrheit in den Unionsorganen. Es liegt im Wesen des Verbunds der EU, dass seitens der mitgliedstaatlichen Regierungen unterschiedliche politische Positionen vertreten werden dürfen, sofern diese sich noch im Rahmen des Art. 2 EUV bewegen. Daher gilt es zu verhüten, dass politische Sanktionsentscheidungen den Verbund in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung in Frage stellen, ohne dass eine evidente und systematische Verletzung des Art. 2 EUV dies zwingend erfordert.47 Hierzu bedarf es einer möglichst rechts­ 44

Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 2 EUV, Rn. 16; Haratsch, EuR 2016, 131, 142. Schorkopf, Homogenität, S. 211 f., Ziffer 360. 46 Kritisch zur Weite des politischen Ermessens i. R. d. Art. 7 EUV, Griegerich, FS Torsten Stein, S.  499, 518 f. Vgl. auch Geiger / Kahn / Kotzur-Kotzur, Art. 269 AEUV, Rn. 4. Dieser hält Kritik an der fehlenden Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle des materiellen Tatbestands des Art 7 EUV für berechtigt. 47 Siehe hierzu Schorkopf, EuR 2016, 147, 161. Dieser macht darauf aufmerksam, dass Maßnahmen im Vorfeld des Art. 7 EUV nicht dazu missbraucht werden sollten, unter Umgehung der Tatbestandsmerkmale des Art. 7 EUV gegen politisch unliebsame Regierungen der Mitgliedstaaten vorzugehen. 45

172

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

sicheren und auf die nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten Rücksicht nehmenden Konkretisierung der Werte des Art. 2 EUV. Diese Konkretisierung sollte durch eine Instanz vorgenommen werden, welche die Akzeptanz sämtlicher Mitgliedstaaten dadurch genießt, dass sie nicht in politische Zusammenhänge eingebunden ist und die Werte des Art. 2 EUV in rechtliche Kategorien überführt.48 3. Legitimation der Einflussnahme seitens der EU Sofern die EU über Art. 2 EUV i. V. m. Art. 7 EUV Einfluss auf mitgliedstaatliche Zuständigkeitsbereiche nimmt, so fragt sich, wie sich diese Einflussnahme legitimieren lässt. Schließlich wurden der Union insoweit keine Hoheitsrechte übertragen. Gleichwohl sind die Mitgliedstaaten, deren Regierungen eine demokratisch vermittelte Legitimität für sich in Anspruch nehmen können, nicht mehr völlig frei in der Ausgestaltung ihrer Rechtsordnung. Für die Dauer ihrer Mitgliedschaft in der EU müssen die Mitgliedstaaten den von Art. 2 EUV gesteckten Rahmen beachten und können auch in den Bereichen der bei ihnen verbliebenen Zuständigkeiten nicht mehr vollständig souverän agieren. a) Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot? In Betracht kommt, in dem Regelungssystem der Artikel 2 EUV und 7 EUV einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot zu erblicken. Dieses Verbot untersagt Staaten grundsätzlich die Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Völkerrechtssubjekts. Das Interventionsverbot kommt in der Charta der Vereinten Nationen zum Ausdruck, welche in Art. 2 Abs. 1 regelt, dass die Organisation auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit ihrer Mitglieder beruht. Zudem verbietet Art. 2 Abs. 7 der Charta ein Eingreifen der Vereinten Nationen in innerstaatliche Zuständigkeiten eines Staates. Über die genauen Voraussetzungen einer verbotenen Einmischung herrscht indes Uneinigkeit.49 Jedenfalls kann eine verbotene Einmischung dann angenommen werden, wenn die zugrunde liegende Maßnahme völkerrechtswidrig ist oder Druckmittel beinhaltet, welche in ihren Wirkungen eindeutig über das in internationalen Beziehungen übliche Maß hinausgehen.50 Der Bereich, welcher zur unantastbaren inneren Angelegenheit eines Staates (sog. domaine réservé) gehört, variiert danach, in welchem Umfang völkerrecht­liche Verpflichtungen durch diesen eingegangen worden sind.51 So reduzieren Staaten 48 Kritisch zur Eignung der der Wählerverantwortlichkeit weitgehend entzogenen Europäischen Kommission als Hüterin der Werte des Art. 2 EUV, Schorkopf, EuR 2016, 147, 158. 49 Serini, S. 34. 50 Hummer / Obwexer, EuZW 2000, 485, 490. 51 Kassner, S. 241.

I. Die kompetenzübergreifende Bedeutung des Art. 2 EUV

173

den Bestand der allein ihnen vorbehaltenen innerstaatlichen Angelegenheiten durch die Eingehung völkerrechtlicher Verpflichtungen.52 Daher kann ein Staat sich nicht auf das völkerrechtliche Interventionsverbot berufen, wenn die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen durch diejenige internationale Organisation eingefordert wird, welche mit der Beaufsichtigung des Vertrags betraut ist. In Art. 2 EUV haben sich die Mitgliedstaaten völkerrechtlich verpflichtet, die dort genannten Werte einzuhalten und haben weiterhin vereinbart, dass im Falle der systematischen Nichtbeachtung dieser Werte das Verfahren nach Art. 7 EUV gegen sie eingeleitet werden kann.53 Dabei ist die Verpflichtung zur Achtung der Werte des Art. 2 EUV nicht nur auf solche Rechtsmaterien bezogen, welche vom Unionsrecht beeinflusst sind. Vielmehr überlagert Art. 2 EUV die gesamte Rechtsordnung der Mitgliedstaaten.54 Eine völkerrechtlich verbotene Einmischung in innere Angelegenheiten liegt jedoch dann vor, wenn die formellen oder materiellen Voraussetzungen des Art. 7 EUV im Falle einer Sanktionsentscheidung nicht erfüllt sind.55 Die in Art. 269 AEUV geregelte Beschränkung der Justiziabilität eines Sanktionsbeschlusses nach Art. 7 EUV vermag nichts daran zu ändern, dass ein solcher auch den materiellen Anforderungen genügen muss. Anderenfalls sind Maßnahmen, welche aufgrund von Art. 7 EUV ergriffen werden, als völkerrechtswidrig einzustufen. Insofern kommt der präzisen Bestimmung der Werte des Art. 2 S. 1 EUV auch aus der völkerrechtlichen Perspektive eine erhebliche Bedeutung zu. b) Verletzung der Volkssouveränität? Eine Verfassungsbestimmung, deren Änderung für die Zukunft ausgeschlossen ist, beeinträchtigen in erheblichem Maße die Volkssouveränität.56 Selbst wenn man Art. 2 EUV durch die Gesamtheit der Mitgliedstaaten im Verfahren nach Art. 48 EUV für abänderbar hält, entfaltet die Wertenormierung dadurch eine erhebliche Bindungswirkung, dass zumindest einem einzelnen Mitgliedstaat die Möglichkeit entzogen ist, Änderungen an Art. 2 EUV vorzunehmen.57 Dabei normiert Art. 2 S. 1 EUV u. a. die Demokratie als einen ihrer grundlegenden Werte. Die Politik einer der parlamentarischen Verantwortlichkeit unterworfenen Regierung eines Mitgliedstaats ist im Vergleich zum Handeln der EU in besonderer Weise demokratisch legitimiert. So verwundert es nicht, dass Mitgliedstaaten im Vorfeld eines möglichen Verfahrens nach Art. 7 EUV auf ihre staatliche Souve 52

Serini, S. 36. Serini, S. 36. 54 Kassner, S. 241. 55 Serini, S. 38. 56 Kassner, S. 283 f. 57 Kassner, S. 284. 53

174

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

ränität und ihr demokratisches Mandat verweisen.58 Die Einschränkung der Volkssouveränität durch unabänderliche Verfassungsprinzipien ist ein Problem, welches sich auch im deutschen Verfassungsrecht anhand des Art. 79 Abs. 3 GG entzündet. Aber auch andere Verfassungen regelten und regeln sog. „Ewigkeitsklauseln“.59 Die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen der Absicherung eines unabänderlichen „Verfassungskerns“60 und der damit verbundenen notwendigen Einschränkung der Volkssouveränität sollte nach verbreiteter Auffassung im Wege einer einschränkenden Auslegung der geregelten Werte bzw. Verfassungsprinzipien erfolgen.61 Eine enge Auslegung erscheint vor allem in Bezug auf Art. 2 EUV geboten. So müssen die Werte der Union überhaupt erst aus anderen, vielfältigen Rechtserkenntnisquellen erschlossen werden. Dem gegenüber stehen die mit originärer Staatsgewalt ausgestatteten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, welche bereits über umfassend ausgeprägte und verfestigte Verfassungswerte verfügen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Werte der Union durch die verschiedenen Mitgliedstaaten, welche die Werte des Art. 2 EUV in unterschiedlicher Weise verwirklichen, überhaupt erst eine inhaltliche Aufladung erfahren haben. Deshalb legt Art. 2 EUV auch nur die grundsätzlich von allen Mitgliedstaaten geteilten Kerngehalte der dort genannten Werte als verbindlich fest. Andererseits ist in den Blick zu nehmen, dass die Werte des Art. 2 EUV, sofern diese einschränkend ausgelegt werden, nicht nur zu einer Beschränkung der mitgliedstaatlichen Volkssouveränität führen, sondern dieser vor allem durch die Verankerung des Wertes der Demokratie auch zur Verwirklichung helfen sollen. Sieht man Art. 7 EUV als einen Mechanismus an, welcher auf die Ausnahmesituation einer Verfassungskrise zugeschnitten ist, so wird deutlich, dass sein Zweck darin besteht, dass der betroffene Mitgliedstaat und mit ihm sein Volk die durch allgemeine Fehlfunktionen der öffentlichen Gewalt verlorene Souveränität zurückgewinnen kann.62 Dass Art. 2 EUV nur dann praktisch relevant wird, wenn nationale Sicherungsmechanismen versagt haben, ergibt sich bereits daraus, dass die Achtung der Werte des Art. 2 EUV unter der Geltung verfassungsgemäßer Zustände Teil der nationalen Identität der Mitgliedstaaten ist.63 Eine durch unerwünschte Einmischung erfolgende Einschränkung der staatlichen Souveränität könnte man nur dann in dem Regelungskomplex der Artikel 2 und 7 EUV erblicken, wenn man es für legitim hielte, dass im Rahmen eines demokratischen Prozesses die Werte des Art. 2 EUV zur Disposition gestellt werden.64

58

Diesen Einwand mit Blick auf die aktuelle Beaufsichtigung Polens durch die Europäische Kommission im Grundsatz als zutreffend bezeichnend, von Bogdandy, EuZW 2016, 441. 59 Maunz / Düring-Herdegen, Art. 79 GG, Rn. 71 (Lfg. 72: Juli 2014). 60 Der Begriff „Verfassungskern“ wurde geprägt von Pernthaler, vgl. Palermo, FS Pernthaler 2005, S. 295. 61 Vgl. Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 23 GG, Rn. 9. 62 Azpitarte-Sánchez, JöR 51 (2003), 553, 572. 63 Schorkopf, Homogenität, S. 212 f., Ziffer 361. 64 Azpitarte-Sánchez, JöR 51 (2003), 553, 572.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

175

Der Zweck der Medienvielfaltsicherung besteht aber gerade darin, auch für die Zukunft freie und demokratische Willensbildungsprozesse des Volkes zu ermöglichen, sodass es als wahrer Souverän wirken kann. Mithin kann auch eine demokratisch gewählte Regierung nicht legitimiert sein, die Bedingungen zu beseitigen, unter denen sich eine freie Willens- und Meinungsbildung vollziehen kann. Im Ergebnis können daher auch Bedenken bezüglich der Einschränkung der Volkssouveränität eines Mitgliedstaats der EU nicht die Berechtigung absprechen, mit dem Ziel der Wertesicherung aktiv zu werden, wenn die Medienvielfalt und damit die Freiheit der demokratischen Willensbildung in einem Mitgliedstaat akut gefährdet ist. Die Berufung des Mitgliedsstaats auf seine besondere demokratische Legitimation entbindet ihn nicht von seiner Verpflichtung, die freie Meinungsbildung auch für künftige Wahlen zu ermöglichen.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV 1. Schwierigkeit der Festlegung europäischer Mindestanforderungen a) Problem der inhaltlichen Bestimmbarkeit der Medienvielfalt Ob das Ziel der Sicherung der Medienvielfalt erreicht ist, lässt sich nicht nach objektiven Gesichtspunkten messen.65 Insbesondere lässt sich nicht bestimmen, wie viele verschiedene Sichtweisen in den Medien dargestellt werden müssen, damit dem Meinungspluralismus Genüge getan ist.66 Weiterhin kann die dem zeitlichen Wandel unterworfene Bandbreite des in der Gesellschaft vertretenen Meinungsspektrums weder dem Gesetzgeber noch den Medienregulierern stets vollständig bekannt sein.67 Das BVerfG hat angesichts dieser Probleme festgestellt, dass sich das Ziel der Meinungsvielfalt nur annäherungsweise erreichen lässt.68 aa) Struktursicherung statt normativer Festlegung Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum geeignet, die Medienanbieter in ihrer Gesamtheit zur Erreichung nicht messbarer Vielfaltziele zu verpflichten.69 Weiterhin ist zu bedenken, dass sich erst aus der von den Medien zu unterstützenden gesellschaftlichen Kommunikation ergeben soll, welche Themen und Gegenstände die zu schützende Vielfalt ausmachen.70 Ist also die sich stets im Fluss befindliche gesell 65

Hinrichsen, S. 18. Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 44. 67 Mailänder, S. 34. 68 BVerfGE 73, 118, 156. 69 Bezogen auf die privaten Rundfunkanbieter in Deutschland, Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 2. 70 Hahn / Vesting-Rossen-Stadtfeld, § 25 RStV, Rn. 27. 66

176

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

schaftliche Kommunikation der Ausgangspunkt der Vielfaltsicherung, so verbietet sich eine konkrete und dauerhafte normative Festlegung dessen, was als relevante Meinung oder Information i. R. d. Vielfaltsicherung zu gelten hat. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es nicht möglich erscheint, den durch alle Medien zu erreichenden Vielfaltzustand dauerhaft normativ und juristisch handhabbar zu beschreiben.71 Wenn der Gesetzgeber etwa einzelne Medienanbieter dazu verpflichtet „ausgewogen“ zu berichten und die Medienaufsichtsbehörde dazu noch mit umfassenden und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Aufsichtsbefugnissen ausstattet, um die Einhaltung dieser „ausgewogenen“ Berichterstattung zu überwachen, kann die vorgeblich intendierte Vielfaltsicherung in eine politische motivierte Vielfaltverengung umschlagen.72 Eine Vielzahl an bestehenden Rechtsvorschriften, welche entweder nicht umsetzbar sind oder im Einzelfall willkürlich gehandhabt werden, bezeichnet Arnold als ein typisches Merkmal für die von ihm entwickelte Kategorie eines klientelistischen Medienregulierungsstils.73 Das Attribut klientelistisch bezeichnet Verflechtungen von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern mit den Bediensteten der Medienaufsichtsbehörden, welche bewirken, dass die Begünstigung und berufliche Förderung letzterer an deren Wohlverhalten gegenüber den Machtträgern geknüpft ist.74 Wohnt also normativen Beschreibungen des zu erreichenden Vielfaltziels die Gefahr inne, in eine willkürliche und politisch beeinflussbare Medienregulierung umzuschlagen, so müssen andere Wege gefunden werden, um ein inhaltlich vielfältiges und umfassend informierendes Medienangebot sicherstellen zu können. Ein hinreichendes Maß an Medienvielfalt wird sich jedenfalls nicht allein durch die gesetzliche Fixierung bestimmter Vielfaltziele erreichen lassen. Vielmehr wird es darauf ankommen, Strukturen zu schaffen und erhalten, welche die dauerhafte Sicherung von Medienvielfalt erwarten lassen.75 Das Problem der Ausgestaltung eines Ordnungsrahmens, welcher die Einstellung einer hinreichenden Medienvielfalt wahrscheinlich macht, ist mit dieser Erkenntnis freilich noch nicht gelöst. Weiterhin muss gesehen werden, dass die grundsätzliche Ausgestaltung eines Ordnungsrahmens zur Erreichung Vielfalt sichernder Strukturen nach hier vertretener Auffassung eine Aufgabe der Mitgliedstaaten ist. Es kann kaum bezweifelt werden, dass unterschiedliche regulatorische Lösungswege zur Erreichung des Ziels der Medienvielfalt denkbar und vertretbar sind. Die europäische Werteaufsicht wird den demokratisch legitimierten mitgliedstaatlichen Gesetzgebern nicht das Recht streitig machen können, in dieser Hinsicht einen vertretbaren eigenen Lösungsansatz

71

Trute, VVDStRL 57 (1998), 216, 234. Vgl. die Kritik an der ungarischen Mediengesetzgebung von Meyer-Bernsdorff, Art. 11 GrCh, Rn. 19a. 73 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 289 f. 74 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 290. 75 Trute, VVDStRL 57 (1998) 216, 234. 72

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

177

zu finden. Somit wird es im Folgenden darum gehen müssen, die aus Art. 2 EUV resultierenden Grenzen mitgliedstaatlicher Gestaltungsbefugnisse bei der Sicherung der Medienvielfalt aufzuzeigen. Es müssen mithin nicht die Strukturen einer möglichst idealen Vielfaltsicherung herausgearbeitet werden. Vielmehr sollen staatliche Verhaltensweisen identifiziert werden, welche dem Ziel der Verwirklichung der Medienvielfalt mit einer solchen Wahrscheinlichkeit entgegenstehen, dass ein Einschreiten der europäischen Werteaufsicht erforderlich erscheint. Ungeachtet des eingeschränkten Einflusses der europäischen Ebene auf die Medienvielfalt­ sicherung in den Mitgliedstaaten kann es als eine geeignete und objektive Methode der Vielfaltsicherung angesehen werden, das Hauptaugenmerk auf die Beseitigung solcher Faktoren zu richten, welche der Verwirklichung eines vielfältigen Medienangebotes im Wege stehen.76 bb) Positive Annäherung über Dimensionen der Vielfalt Bezogen auf die Rechtsprechung des BVerfG zur deutschen Rundfunkordnung ist in der Versuch unternommen worden, die Medienvielfalt in verschiedene Dimen­ sionen zu unterteilen, um auf diese Weise ihren inhaltlichen Gehalt sichtbar machen zu können. Die Entfaltung der Vielfaltdimensionen kann aufgrund ihrer Anbindung an die Rechtsprechung des BVerfG nur bedingt auf einen europäischen Vielfalt­ mindeststandard übertragen werden. Indessen kann angenommen werden, dass einigen der Dimensionen, welche von Hoffmann-Riem entwickelt wurden, auch im europäischen Rechtsraum Relevanz zukommt, da anderenfalls die der Medienvielfalt zugedachte Funktion der freien Meinungsbildung nicht hinreichend erfüllt werden kann. So wird die inhaltliche und meinungsbezogene Vielfalt, welche sich auf eine möglichst umfassende Darstellung der in der Gesellschaft bestehenden Meinungen und den Ausschluss vorherrschender Meinungsmacht bezieht,77 auch für die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV unverzichtbar sein. Dasselbe dürfte für die von Hoffmann-Riem als solche bezeichnete personen-, gruppen-, und institutionenbezogene Vielfalt gelten. Diese betrifft die Möglichkeit der medialen Äußerung von gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen sowie die Berücksichtigung von Minderheitenauffassungen.78 Dass die bedeutsamen Gruppen und Minderheiten eine Möglichkeit haben sich selbst medial zu äußern, ist eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass die Öffentlichkeit sich aus originärer Quelle über die Vielfalt der bestehenden Meinungen informieren kann. Ohne die eigene Äußerungsmöglichkeit bestünde die Gefahr der verfälschten Wiedergabe oder gar einer Vorauswahl darüber,

76

Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 45. Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 18. 78 Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 18. 77

178

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

welche Auffassungen als relevant zu gelten haben. Eine solche Wertung über die Relevanz einer Meinung kann die Verengung der Meinungsvielfalt zur Folge haben und würde zudem missachten, dass sich die Relevanz einer Meinung erst aus einem freien gesellschaftlichen Kommunikationsprozess ergeben muss.79 Insofern kann die Sicherung der gruppenbezogenen Vielfalt auch als eine Bedingung der inhaltsund meinungsbezogenen Vielfalt angesehen werden. Weiterhin wird auch auf europäischer Ebene eine gegenständliche Vielfalt zu fordern sein. Diese Vielfaltdimension betrifft die thematische Breite des Medienangebots, welches Informationen und Ereignisse aus den verschiedenen Lebensbereichen erfassen soll.80 Berücksichtigt man, dass politische Entscheidungen sich auf nahezu alle regel- bzw. planbaren Lebensbereiche erstrecken, so müssen die wahlberechtigten Bürger auch die Möglichkeit haben, sich über alle Bereiche politischen Handelns kundig machen zu können. Demgegenüber dürfte der räumlichen Vielfaltdimension bezogen auf Art. 2 EUV nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommen. Die räumliche Vielfalt hat die Berücksichtigung von Meinungen und Informationen aus den Kommunikationsräumen auf lokaler, regionaler, überregionaler und internationaler Ebene zum Inhalt.81 Im Hinblick auf die regionale Vielfalt darf zwar nicht verkannt werden, dass umfassende lokale Informationen unerlässlich sind, damit auf dieser Ebene eine auf freier Willensbildung basierende Wahl der örtlichen Vertretungskörperschaften und exekutiven Leitungsorgane stattfinden kann. In den Blick genommen werden muss zudem die Regelung des Art. 22 Abs. 1 AEUV, welche Unionsbürgern ein Kommunalwahlrecht auch in dem ausländischen Mitgliedstaat gewährt, in welchem diese ihren Wohnsitz haben. Es liegt auf der Hand, dass die effektive Wahrnehmung dieses Unionsbürgerrechts nur dann möglich ist, wenn die Wahl insofern frei erfolgt, als die Bürger umfassend mit lokalen Informationen versorgt werden konnten. Jedoch werden die Bedingungen der Kommunalwahlen i. S. d. Art. 22 AEUV durch die Mitgliedstaaten festgelegt. Art. 22 AEUV zielt nicht auf eine Harmonisierung des Kommunalwahlrechts der Mitgliedstaaten, sondern allein auf eine Inländergleichbehandlung.82 Zudem erscheint es aufgrund der zu erwartenden mangelnden Kenntnis der Unionsorgane von den Verhältnissen regionaler Medienmärkte nahezu ausgeschlossen, dass die Union die mitgliedstaatliche Zuständigkeit zur Medienvielfaltsicherung und zur Ausgestaltung der kommunalen Wahlverfahren im Wege der europäischen Wertesicherung tangieren könnte. Ebenso wenig darf übersehen werden, dass die Rolle der Union in Angelegenheiten der Organisation der lokalen Gebietskörperschaften auch im Übrigen eine 79

Paschke / Berlit / Meyer-Paschke / Tacke, S. 270, Rn. 121. Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 19. 81 Hoffmann-Riem, Kommunikations- und Medienfreiheit, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 191, 229, Rn. 60. 82 Streinz-Magiera, Art. 22 AEUV, Rn. 11. 80

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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passive bleiben muss. Die in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV erwähnte regionale und lokale Selbstverwaltung wird lediglich als Ausdruck der nationalen Identität eines Mitgliedstaats in Bezug genommen.83 Als Träger der nationalen Identität erkennt die Union nur die Mitgliedstaaten selbst an, sodass es auch lediglich diesen obliegt, darüber zu befinden, ob die regionale und lokale Selbstverwaltung von der Achtungspflicht der Union gem. Art. 4 Abs. 2 S. 2 2. Alt. EUV umfasst ist.84 Hieraus folgt bereits, dass die Union ihrerseits keine Anforderungen an die Ausgestaltung der regionalen und lokalen Selbstverwaltung stellen kann. Dasselbe dürfte für die Anforderungen an die Informationsvielfalt auf diesen Ebenen hoheitlichen Handelns gelten. Die untergeordnete Rolle der EU auf regionaler und lokaler Ebene wird auch anhand der Regelung des Art. 167 Abs. 1 AEUV deutlich. Hiernach ist die Union auf die Leistung eines Beitrags zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten beschränkt. Die regionale Vielfalt wird hierbei als eine solche der Mitgliedstaaten bezeichnet. Die Formulierung des Art. 167 Abs. 1 AEUV legt nahe, dass die Förderung regionaler Besonderheiten im kulturellen Bereich in die Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten fällt und dass diese die Union allenfalls um eine Mitwirkung bei der Förderung regionaler Kulturen ersuchen können. Damit werden Defizite im Hinblick auf die Vielfältigkeit der Berichterstattung auf lokaler Ebene die EU nicht veranlassen können, hierin einen Verstoß gegen die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV zu erblicken. Ohnehin muss gesehen werden, dass eine Intervention der EU auf dem Gebiet der Medienvielfalt nur im Hinblick auf die Absicherung eines demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses in Betracht kommt. Kulturelle Ziele und Erwägungen finden in Art. 2 EUV hingegen keine hinreichende Stütze. Relevanz kann der räumlichen Vielfaltdimension jedoch im Hinblick, auf die Vielfältigkeit internationaler und insbesondere europäischer Informationen zukommen. Berücksichtigt man, dass auf europäischer Ebene in erheblichem Umfang unionsweit geltendes Recht gesetzt wird, so scheint es geboten, dass die mediale Aufmerksamkeit sich auch auf europäische Themen bezieht. Zu Recht wird beklagt, dass politische Entscheidungen auf europäischer Ebene einer geringeren politischen Kontrolle unterliegen als im mitgliedstaatlichen Bereich.85 Hierzu trägt auch die geringere mediale Aufmerksamkeit bezüglich der Entscheidungsprozesse auf der Ebene der EU bei. Der demokratische Legitimationsgrad der unionalen Rechtsetzung hängt jedoch auch davon ab, in welchem Umfang die Unionsbürger über die Politik auf der Ebene der EU informiert werden.86 Nur im Falle hinreichender Information über europapolitische Themen kann eine freie Willensbildung in Bezug auf die Wahl zum Europäischen Parlament erfolgen. Zudem muss auch das Verhalten der mitgliedstaatlichen Vertreter in den Organen der EU medial beleuchtet werden, damit die Bürger das europapolitische Verhalten derselben in ihre demokratische

83

Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 19. Calliess / Ruffert-Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 19. 85 Oeter, ZaöRV 55 (1995), 659, 696. 86 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 46. 84

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Willensäußerung bei nationalen Parlamentswahlen einfließen lassen können. Eine unzureichende Berichterstattung über europäische Themen untergräbt die mitgliedstaatlichen Demokratien ebenso wie diese auf Unionsebene.87 Die Möglichkeit der mitgliedstaatlichen Regierungen schwierige Entscheidungsvorgänge auf die Ebene der EU zu verschieben,88 wird nur dann zu einem Verlust demokratischer Verantwortlichkeit führen, wenn Entscheidungen auf europäischer Ebene nicht ebenso Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind, wie dies im nationalen Bereich üblich ist. Die EU hat also ein erhebliches Interesse daran, dass über die sie betreffenden Themen hinreichend berichtet wird. Anderenfalls wäre die freie Meinungsbildung in Bezug auf europäische Themen und Entscheidungsprozesse stark beeinträchtigt. Damit ist die räumliche Dimension der Vielfalt i. R. d. Art. 2 EUV zumindest insofern beachtlich, als sie die Berichterstattung über europäische Themen betrifft. Als weitere Dimension der Vielfalt wurde von Hoffmann-Riem die sog. Spartenvielfalt entwickelt. Diese umfasst insbesondere die Bereiche Information, Bildung, Unterhaltung und Beratung.89 Diese Vielfaltdimension lässt sich nur schwer von der gegenständlichen Vielfalt abgrenzen. Gleichwohl lässt sie deutlich hervortreten, dass zu einem vielfältigen Medienangebot auch der Bereich der Unterhaltung zu rechnen ist. Mediale Angebote, welche der Unterhaltung dienen, dürften sich indessen bereits unter Marktbedingungen einstellen. Jedenfalls ist es bereits mit Blick auf den Inhalt der Werte des Art. 2 S. 1 EUV ausgeschlossen, dass ein ange­ nommener Mangel an unterhaltenden Medien ein Einschreiten der EU auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung rechtfertigen könnte. Damit lässt sich festhalten, dass eine hinreichende Medienvielfalt zumindest voraus­setzt, dass sämtliche Themen, die Gegenstand einer freien öffentlichen Kommunikation sind, in den Medien ihren angemessenen Ausdruck finden müssen. Dabei werden auch europäische Themen einzubeziehen sein. Wichtig ist auch der Zugang von gesellschaftlichen Gruppen und Minderheitenauffassungen zum Gesamtangebot der Medien. Die Beschreibung der Dimensionen der Vielfalt kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese der näheren Konkretisierung bedürfen.90 Auf der anderen Seite macht die Beschreibung der Vielfaltdimensionen sichtbar, welch komplexe Aufgabe die Medienordnung zu bewältigen hat.91 Zudem veranschaulichen die Vielfaltdimensionen das Ziel, welches es i. R. d. Vielfaltregulierung zu erreichen gilt. Schließlich zeigen die verschiedenen Dimensionen der Vielfalt, dass es es sich

87

Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 46 f. Dieses Problem sieht Oeter, ZaöRV 55 (1995), 659, 695 f. 89 Hoffmann-Riem, Kommunikations- und Medienfreiheit, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 191, 229, Rn. 60. 90 Hoffmann-Riem, Kommunikations- und Medienfreiheit, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 191, 229, Rn. 61. 91 Hahn / Vesting-Rossen-Stadtfeld, § 25 RStV, Rn. 25. 88

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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bei der Medienvielfaltsicherung um ein inhaltliches Ziel handelt, welches nicht mit einer Vielzahl konkurrierender Anbieter gleichgesetzt werden darf.92 b) Anerkennung mitgliedstaatlicher Gestaltungsspielräume Die seitens der EU an die Mitgliedstaaten zu richtenden Anforderungen bezüglich der Medienvielfaltsicherung müssen Rücksicht darauf nehmen, dass die Gesetz­ gebungszuständigkeit auf diesem Gebiet im Grundsatz bei den Mitgliedstaaten liegt. Zum einen kann die Art und Weise der Medienvielfaltsicherung, zum anderen aber auch der Inhalt, welcher ein vielfältiges Angebot ausmachen soll, Ausdruck der nationalen Identität der Mitgliedsstaaten sein. Die Regelung des Art. 167 AEUV bringt weiterhin zum Ausdruck, dass es kein Bestreben der EU sein darf, eine europäische Einheitskultur anstelle der mitgliedstaatlichen Kulturen zu befördern.93 Vor diesem Hintergrund sind europäisch vereinheitlichte inhaltliche Vorgaben an die Medienvielfalt abzulehnen. Wichtiger ist vielmehr, dass die Medienvielfalt im mitgliedstaatlichen Bereich die ihr zugedachte Funktion erfüllen kann. Insofern müssen Einflussnahmen der EU auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung auf Ausnahmefälle begrenzt sein. Nur dann, wenn mitgliedstaatliches Recht oder dessen Anwendung offensichtlich zu einer derartigen Verengung der Medienvielfalt führt, dass die Demokratie bzw. der Anspruch der Bürger auf vielfältige Informationen nicht mehr hinreichend verwirklicht werden kann, erscheint ein Einschreiten der EU geboten. Dass den Mitgliedstaaten bei der Medienvielfaltsicherung ein erheblicher Gestaltungsspielraum zukommen muss, ergibt sich bereits aus der Materie selbst. Bedenkt man, dass sich die Zielerreichung nicht messen lässt und dass es vordergründig darum gehen muss, Strukturen zu schaffen, die ein inhaltlich vielfältiges Medienangebot begünstigen, so muss dem Gesetzgeber ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum zugestanden werden. Die schwierige Aufgabe, Vielfalt fördernde Strukturen auszugestalten, ist eine solche des demokratisch legitimierten Gesetzgebers und nicht eine solche der Gerichte. Die Gerichte können lediglich offensichtliche Fehlannahmen hinsichtlich der Vielfalt sichernden Wirkung einer Maßnahme oder ihrer Notwendigkeit auf Rechtsfehler überprüfen. Die Anerkennung einer Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung ist keine Besonderheit des deutschen Rechts.94 Auch in den anderen hier betrachteten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erkennen die 92 Hoffmann-Riem, Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, S. 19. Diese Erkenntnis teilt, zumindest bezogen auf die audiovisuellen Medien, auch der EGMR. Siehe diesbezüglich, EGMR, NVwZ-RR 2014. 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 93 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Fechner, Art. 167 AEUV, Rn. 3. 94 Zum Gestaltungsfreiraum des deutschen Gesetzgebers, siehe Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304, 312 ff.; Müller-Terpitz, AfP 2017, 380, 381; Schulz, AfP 2017, 373, 379.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Verfassungsgerichte eine Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers an.95 Schließlich gewährt auch der EGMR den Konventionsstaaten einen gewissen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit von Eingriffen in Art. 10 Abs. 1 EMRK aus Gründen der Medienvielfaltsicherung.96 Auch im Hinblick auf die Problematik, auf welche Weise der Staat seine aus Art. 10 EMRK folgende Garantenstellung in Bezug auf den Medienpluralismus zu erfüllen hat, ist diesem durch den EGMR ein Ermessensspielraum eingeräumt worden.97 Kommt den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern bereits gegenüber den nationalen Verfassungs- bzw. Höchstgerichten und dem EGMR ein Gestaltungsspielraum zu, so muss dies im besonderen Maße gegenüber den Organen der EU gelten. Diese haben lediglich darüber zu wachen, ob die Medienvielfalt insoweit als gewahrt angesehen werden kann, als diese die ihr zukommende Funktion im Hinblick auf die Werte des Art. 2 EUV erfüllen kann. Es lässt sich also festhalten, dass eine Intervention der EU in die mitgliedstaatliche Ausgestaltung der Medienvielfaltsicherung eine offensichtliche und schwerwiegende Funktionsstörung der Medienvielfalt voraussetzt. c) Typische Regulierungspraktiken und -empfehlungen Für die Schaffung eines Umfelds, innerhalb dessen sich eine hinreichende Medienvielfalt verwirklichen kann, verfolgen die Mitgliedstaaten unterschiedliche, zum Teil aber auch übereinstimmende Regulierungsansätze.98 Bei dem Vergleich der mitgliedstaatlichen Regulierungsinstrumente wird man davon auszugehen haben, dass die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber die verschiedenen Regulierungsziele im Rahmen ihrer Rechtstradition unterschiedlich stark gewichten.99 Dies muss als zulässige Entfaltung ihrer nationalen Identität angesehen werden, solange nur das Ziel der Medienvielfaltsicherung nicht in einer ihre Funktion erheblich beeinträchtigenden Weise untergewichtet wird. Eine Möglichkeit zur Bestimmung der aus Art. 2 EUV folgenden Mindestanforderungen könnte darin bestehen, die typischen in den Mitgliedstaaten geregelten Instrumente zur Vielfaltsicherung dahingehend zu untersuchen, ob diese zwingend notwendig erscheinen, damit die Medienvielfalt ihre Funktion im Hinblick auf die demokratische Legitimation der Staatsorgane und die Informationsansprüche der Bürger erfüllen kann. Dabei wird weiterhin zu berücksichtigen sein, dass nicht allein die Regelung von Vielfalt sichernden Maßnahmen und Zielen ein hinreichender Garant dafür ist, dass sich Medienvielfalt auch tatsächlich einstellen kann. Ebenso 95

Holznagel, S. 107 (Frankreich), S. 113 (Italien), S. 117 (Spanien). EGMR, EuGRZ 2003, 488, 490, § 40 (Demuth / Schweiz); EMRK, EuGRZ 1994, 549, 550, § 35 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 97 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 99 f. (Manole u. a. / Moldawien). 98 Einen Überblick über die Instrumente der Vielfaltsicherung bietet Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 186 ff. 99 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 62. 96

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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wichtig ist, dass Maßnahmen der Vielfaltsicherung auch tatsächlich und wirksam durch solche Regulierungsstellen überwacht und durchgesetzt werden, welche unabhängig und dem Ziel der Medienvielfalt verpflichtet sind. Anhaltspunkte für typische Maßnahmen der Medienvielfaltsicherung liefern neben der Regulierungspraxis der Mitgliedstaaten die Empfehlungen und Erklärungen des Ministerkomitees des Europarats. Zwar entfalten diese Dokumente keinerlei rechtliche Bindungswirkung.100 Damit der Inhalt von Empfehlungen rechtsverbindlich wird, bedürfte es des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags, welcher anschließend in nationales Recht transformiert wird.101 Weiterhin steht einer unionsrechtlich verbindlichen Maßstabsbildung entgegen, dass der Europarat nicht institutionell mit der EU verbunden ist. Auf der anderen Seite sind alle Mitgliedstaaten der EU auch Mitglied des Europarats. Zudem ist erkennbar, dass der EGMR bereit ist die Empfehlungen des Ministerkomitees in seine Rechtsprechung einzubeziehen.102 Weiterhin dürften die Empfehlungen des Ministerkomitees weitgehende Anerkennung bei allen Mitgliedstaaten finden. So setzt der Erlass von Empfehlungen gem. Art. 20 (a) i) der Satzung des Europarats doppelt qualifizierte Mehrheiten voraus. Zum einen muss die Mehrheit der Vertreter, die einen Anspruch auf einen Sitz im Ministerkomitee haben, dem Erlass der Empfehlung zugestimmt haben. Zum anderen wird die Einstimmigkeit der abgegebenen Stimmen vorausgesetzt. Im Hinblick auf die Sicherung der Medienvielfalt ist insbesondere die Empfehlung zum Medienpluralismus und der Vielfalt der Medieninhalte hervorzuheben.103 Aber auch weitere Erklärungen und Empfehlungen des Ministerkomitees liefern wichtige Anhaltspunkte zur Konkretisierung der den Konventionsstaaten aus Art. 10 EMRK erwachsenden positiven Handlungspflichten.104 Auch wenn die Empfehlungen des Ministerkomitees für sich genommen keine Bindungswirkung entfalten, sind sie gleichwohl geeignet, in Grundzügen einen europäischen Konsens der Medienvielfaltsicherung aufzuzeigen, welcher auch im Kontext des Art. 2 EUV fruchtbar gemacht werden kann. 2. Gesellschaftliche Grundbedingungen der Medienvielfaltsicherung Damit eine umfassende Vielfalt an Ideen, Meinungen und Informationen in den Medien dargestellt werden kann, muss diese sich zunächst im gesellschaftlichen Raum frei entwickeln und äußern können. Mithin gilt es, die rechtlichen Anforde 100

Uwer, S. 510. Holznagel, S 187. 102 Sie etwa EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 102 (Manole u. a. / Moldawien). Skeptisch zur Bedeutsamkeit der Empfehlungen des Ministerkomitees hingegen, Uwer, S. 510. 103 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM Rec(2007)2. 104 Grabenwarter, ECHR, Art. 10, S. 295, Rn. 66. 101

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

rungen an eine Gesellschaft herauszuarbeiten, in welcher die Vorbedingungen eines vielfältigen Medienangebots erfüllt sind, ehe auf möglicherweise erforderliche Instrumente der positiven Vielfaltsicherung eingegangen werden kann. a) EMRK als normativer Maßstab Die in der EMRK geregelten Menschenrechte und Grundfreiheiten sind in be­ sonderem Maße geeignet, einen europäischen Mindeststandard an Freiheiten zu umreißen, welche notwendige Voraussetzung für eine freie Meinungsbildung sind. Die Rechtsordnung der EU verweist im Primärrecht an verschiedenen Stellen auf die die EMRK. Welcher Stellenwert der EMRK beim Grundrechtsschutz in der Rechtsordnung der EU zukommt, wird vor allem am Zusammenspiel der Regelungen der Art. 52 Abs. 3 und Art. 53 GrCh deutlich. So bestimmt Art. 52 Abs. 3 GrCh, dass die in der GrCh geregelten Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben wie diese der EMRK, soweit es sich um inhaltlich entsprechende Rechte handelt. Dabei darf die GrCh gem. Art. 52 Abs. 3 S. 2 GrCh ein weitergehenden Schutz gewähren, das Schutzniveau der EMRK gem. Art. 53 GrCh jedoch nicht unterschreiten. An dieser Stelle muss im Blick behalten werden, dass insb. Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereichs der GrCh nicht die Maßstabsnorm sein kann, welche den Mitgliedstaaten verbindliche Verpflichtungen im Hinblick auf die Gewährleistung eines freien Meinungsbildungsprozesses auf­ erlegen kann. Völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen können sich in dieser Hinsicht vielmehr nur aus der EMRK ergeben. Gleichwohl ist die EU darauf angewiesen, ihre in Art. 2 EUV normierten Werte inhaltlich angelehnt an verschiedene Rechtserkenntnisquellen zu konkretisieren. Dass die Werte sich dabei neben den mitgliedstaatlichen Verfassungen vor allem aus der EMRK speisen sollen, wird anhand der Artikel 52 Abs. 3 und 53 GrCh sichtbar. Ebenso verdeutlicht Art. 6 Abs. 2 1. Alt. EUV, dass die in der EMRK geregelten Grundrechte als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind. Zudem ist die EU gem. Art. 6 Abs. 2 EUV bestrebt, der EMRK beizutreten. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass alle Mitgliedstaaten der EU der EMRK beigetreten sind. Somit ergeben sich für diese im Hinblick auf die Grenzen der Ausgestaltung der nationalen Medienordnung insbesondere aus Art. 10 EMRK völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen.105 Wie gezeigt, räumt auch die EU der EMRK einen herausragenden Stellenwert in ihrer Rechtsordnung ein. Deshalb bietet es sich an, die Mindeststandards, welche die EMRK für Grundrechte mit inhaltlichem Bezug zum Prozess der freien Meinungsbildung festlegt, auf Art. 2 EUV zu übertragen. Solche Mindeststandards wurden in den letzten Jahrzehnten durch 105

Cornils, FS Schröder, S. 125, 134.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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die Organe des Europarats umfangreich entwickelt.106 Die Unionsrechtsordnung hat hingegen kaum eigenständige grundrechtliche Standards im Hinblick auf die Ausgestaltung der Medienordnungen der Mitgliedstaaten entwickelt.107 Die alleinige Zugrundelegung der EMRK als Mindeststandard ist indessen problematisch, wenn verschiedene Grundrechtskataloge nebeneinander anwendbar und verschiedene widerstreitende Grundrechtspositionen miteinander in Einklang zu bringen sind. Zu einer solchen Konstellation, kommt es regelmäßig dann, wenn Persönlichkeitsrechte einer von einer medialen Berichterstattung betroffenen Person mit der Meinungs- bzw. Medienfreiheit des sich Äußernden zum Ausgleich zu bringen sind. Aber auch dann, wenn Maßnahmen der Medienvielfaltsicherung die Freiheit der medialen Kommunikation beschränken, wird es darauf ankommen, abzuwägen, auf welche Weise sich das angestrebte Vielfaltziel am wahrscheinlichsten erreichen lässt. Wird im Anschluss an eine Entscheidung des nationalen Verfassungs- bzw. Höchstgerichts der EGMR mit dieser Sache befasst, so ist eine erneute Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter vorzunehmen. Es liegt in der Natur des Abwägungsvorgangs, dass nur eine Rechtsposition sich wird durchsetzen können. Das sog. Prinzip der Meistbegünstigung, welches im Art. 53 EMRK und Art. 53 GrCH verankert ist, kann dann nicht für beide betroffenen Grundrechtsträger gleichermaßen gelten.108 Im Verfahren vor dem EGMR sind ungeachtet nationaler Entscheidungsfreiräume allein die Maßstäbe der EMRK anzuwenden und es ist denkbar, dass der EGMR den Ausgleich der Rechtsgüter mit einem anderen Ergebnis vornimmt, als das nationale Höchst- bzw. Verfassungsgericht. Tritt der geschilderte Konfliktfall im Verhältnis von nationalem Verfassungsrecht und GrCh auf, so wird mit Verweis auf den allgemeinen Vorrang des Unionsrechts vorgeschlagen, der Abwägung des EuGH den Vorzug zu geben.109 Gleichwohl muss gesehen werden, dass die Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität im Rahmen des Art. 2 EUV auch grundrechtlich relevante Wertungsunterschiede zulässt.110 Zudem bringt Art. 53 GrCh zum Ausdruck, dass die GrCh, ebenso wie im Verhältnis zur EMRK, keine Einschränkung des nationalen Grundrechtsschutzes nach sich ziehen darf. Das Prinzip der Meistbegünstigung wird sich in Dreieckskonstellationen gleichwohl nicht für jeden Grundrechtsträger realisieren lassen. Die Auffassung des Vorrangs der EU-Grundrechte ist vor allem dann zweifelhaft, wenn es, wie im Falle der Medienvielfaltsicherung um Regelungsmaterien geht, welche dem Anwendungsbereich der GrCh nicht unterfallen. In Bezug auf die 106

Cornils, FS Schröder, S. 125, 134. Cornils, FS Schröder, S. 125, 152. 108 Zu diesem Konflikt im Verhältnis von nationalem Verfassungsrecht und GrCh, JarassJarass, Art. 53 GrCh, Rn. 31. 109 Jarass-Jarass, Art. 53 GrCh, Rn. 32. Im Falle der Medienvielfaltsicherung durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber findet die GrCh keine Anwendung, sodass in dieser Hinsicht allein eine Kollision von nationalen Verfassungsrecht und EMRK eintreten kann. 110 Jarass schlägt deshalb vor, Situationen, in welchen sich der Vorrang des EU-Grundrechtsschutzes realisiert, möglichst zu vermeiden. Siehe Jarass-Jarass, Art. 53 GrCh, Rn. 32. 107

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Medienvielfaltsicherung ist es vielmehr denkbar, dass die Wertungen der EMRK über Art. 6 Abs. 3 1. Alt. EUV und Art. 2 EUV in die Unionsrechtsordnung einstrahlen. Es erscheint aber problematisch, entweder den engen Anwendungsbereich der GrCh über Art. 2 EUV zu umgehen oder den Rechten der EMRK über Art. 6 Abs. 3 1. Alt. EUV unmittelbar Eingang in die Unionsrechtsordnung zu verschaffen. Einerseits stellen auch die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen gem. Art. 6 Abs. 3 2. Alt. EUV eine im Vergleich zur EMRK gleichberechtigte Rechtserkenntnisquelle des Unionsrechts dar. Zum anderen würde eine inhaltlich unveränderte Transformierung der in der EMRK gewährten Rechte in das Unionsrecht den normenhierarchischen Stellenwert, welchen die EMRK in einigen Mitgliedstaaten einnimmt, aushebeln. So kommt der EMRK nicht in allen Mitgliedstaaten der EU ein Vorrang vor dem nationalen Verfassungsrecht zu. In Deutschland beispielsweise bildet vielmehr das nationale Verfassungsrecht die Grenze der völkerrechtsfreundlichen Auslegung.111 Deshalb erscheint es zweifelhaft, in Konfliktfällen zwischen Persönlichkeitsrechten und Äußerungsfreiheiten auch bezogen auf Art. 2 EUV stets die Rechtsgüterabwägung des EGMR als maßgeblich zu erachten. So ist nicht erkennbar, weshalb für die Ebene des Unionsrechts die EMRK die gegenüber den mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen vorrangige Erkenntnisquelle darstellen sollte. Andererseits sind die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen nur in ihrer Gesamtheit eine Rechtserkenntnisquelle des Unionsrechts, sodass den in der EMRK gewähren Rechten, zumindest gegenüber einer einzelnen mitgliedstaatlichen Verfassungsausprägung, in Bezug auf die inhaltliche Aufladung des Art. 2 EUV ein Vorrang zukommen dürfte. Der Achtungsverpflichtung bezüglich der nationalen Identität, welche in der Unionsrechtsordnung Geltung beansprucht, findet zudem eine in ihrer Zweckrichtung vergleichbare Entsprechung in der Rechtsprechung des EGMR. So räumt der EGMR aus der Erwägung der zu wahrenden Souveränitätsinteressen der Konventionsstaaten, diesen einen gewissen Spielraum in der Beurteilung der Frage ein, ob ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 EMRK als notwendig i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK zu erachten ist.112 Angesichts der Wichtigkeit der in Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährten Rechte für eine demokratische Gesellschaft dürfen durch einen Konventionsstaat indessen die Grenzen einer strengen „europäischen Kontrolle“, welche der EGMR sich vorbehält, nicht überschritten werden.113 Es erscheint überzeugend, den durch die „europäische Kontrolle“ vorgegebenen Korridor zulässiger mitgliedstaatlicher Entfaltung auf den Gebiet der Medien- und Meinungsfreiheit unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV auch als diesen des Unionsrechts zu betrachten. So sind, ungeachtet des Stellenwertes, welchen die EMRK in einer Rechtsordnung einnimmt, ohnehin alle Mitglied­staaten der EU völkerrechtlich an die Maßgaben des EMRK gebunden. Zudem wird es 111

Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 98, Rn. 6. EGMR, EuGRZ 2003, 488, 490, § 40 (Demuth / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550, § 35 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). Vertiefend hierzu noch D. II. 2. b) bb) (2) (b). 113 EGMR, EuGRZ 2003, 488, 490, § 40 (Demuth / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550, § 35 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 112

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kaum als zulässige nationale Identitätsentfaltung i. S. d. Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV aufgefasst werden können, wenn äußerungsrechtliche Maßstäbe der EMRK unterschritten werden. Deshalb sollten, sofern diese bereits inhaltlich hinreichend ausgeprägt sind, die Abwägungsleitlinien des EMRK in Konfliktfällen zwischen Persönlichkeitsrechten und Äußerungsrechten auch dem Art. 2 EUV Konturen verleihen. Anderenfalls wäre es den Mitgliedstaaten möglich, mit dem Verweis auf die Notwendigkeit des ebenfalls in Art. 2 EUV angelegten Schutzes von Persönlichkeitsrechten Meinungsäußerungen europäischen Maßstäben widersprechend übermäßig einzuschränken. Die Maßgeblichkeit der Abwägungsdirektiven des EGMR sollte im Grundsatz auch dann gelten, wenn, vor allem im Zuge Vielfalt sichernder Maßnahmen, verschiedene Gewährleistungsgehalte der Kommunikationsfreiheiten miteinander zum Ausgleich zu bringen sind. b) Meinungsfreiheit aa) Gedanken- und Meinungsbildungsfreiheit Der freien Meinungsäußerung voraus geht die freie individuelle Meinungs­ bildung, welche durch die Gedankenfreiheit des Art. 9 EMRK garantiert wird.114 Die Gewährleistung der Gedankenfreiheit beinhaltet die Verpflichtung des Staates, jede Indoktrinierung seiner Bürger zu unterlassen.115 Ebenso wenig dürfen einzelne Meinungen durch den Staat systematisch diskriminiert werden.116 Bezogen auf das Unterrichtsprogramm von Schulen hat der EGMR geurteilt, dass die dort vermittelten Informationen „sachlich, kritisch und pluralistisch verbreitet werden müssen“.117 Im Übrigen hat die Gewährleistung der Gedankenfreiheit keine große Bedeutung erlangt, da staatliche Einschränkungen derselben regelmäßig erst dann erfolgen, wenn die gebildeten Gedanken in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebracht werden.118 Im Falle der Äußerung von Gedanken- bzw. Meinungen ist indessen bereits der Anwendungsbereich des Art. 10 EMRK eröffnet.119 Der Schutz vor staatlicher Beeinflussung des Meinungsbildungsprozesses ist nicht nur im Bereich der Schule von Bedeutung. Insbesondere dann, wenn der Staat Einfluss auf Medieninhalte nehmen kann, besteht die Gefahr der Verfälschung des Meinungsbildungsprozesses. Auf der anderen Seite ist es wiederum der Staat, welcher als Garant des Pluralismus ein Umfeld schaffen muss, welches ein vielfältiges

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Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 99 Rn. 17. Pabel / Schmahl-Grabenwarter, Art. 9, Rn. 36 (8. Lieferung – Juli 2007). 116 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 9, Rn. 3 sowie Art. 10, Rn. 12. 117 EGMR, EuGRZ 1976, 478, § 53 (Kjeldsen u. a. / Dänemark). 118 Pabel / Schmahl-Grabenwarter, Art. 9, Rn. 35 (8. Lieferung – Juli 2007). 119 Pabel / Schmahl-Grabenwarter, Art. 9, Rn. 35 (8. Lieferung – Juli 2007). 115

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Medienangebot gewährleisten soll. Die auf die Erzielung von Medienvielfalt gerichteten Aktivitäten dürfen jedenfalls nicht bezwecken, die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Inwieweit die einzelnen Regulierungsins­ trumente, mit denen Medienvielfalt erzielt werden soll, geeignet sein können, eine unzulässige Indoktrination der Bevölkerung zu bewirken, soll anhand der einzelnen Instrumente gesondert untersucht werden. Zunächst soll das Augenmerk auf die sonstigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gelegt werden, welche das Entstehen und die Kundgabe vielfältiger Meinungen begünstigen sollen. bb) Meinungsäußerungsfreiheit (1) Geschütztes Verhalten Art. 10 Abs. 1 EMRK schützt in seiner deutschen Übersetzung in S. 1 die freie Meinungsäußerung und in seinem S. 2 u. a. die Meinungsfreiheit. Die Differenzierung zwischen Meinungsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit legt es nahe, dass die Meinungsfreiheit den der Äußerung vorgelagerten Bereich der unbeeinflussten Meinungsbildung betrifft.120 Andererseits kommt es bei dieser Deutung zu Überschneidungen mit der in Art. 9 EMRK geschützten Gedankenfreiheit. Dies lässt es vorzugswürdig erscheinen, den Prozess der freien Meinungsbildung, der im Wesentlichen vor staatlicher Indoktrination schützt, als von Art. 9 EMRK umfasst anzusehen. Indessen wird das Erfordernis der Sicherung der Medienvielfalt, welches durchaus auch als Aspekt der von Art. 9 EMRK geschützten Gedankenfreiheit aufgefasst werden könnte, seitens des EGMR dem Art. 10 EMRK und nicht dem Art. 9 EMRK entnommen. Nimmt man in den Blick, dass Art. 10 EMRK einen umfassenden und zusammenhängenden Kommunikationsprozess von der Meinungsbildung bis zu deren Äußerung schützen soll, so erscheint eine künstlich anmutende Aufspaltung einzelner Schutzgehalte, wie sie durch Art. 9 EMRK und Art. 10 S. 1 und S. 2 EMRK vom Wortlaut her vorgenommen wird, wenig sinnvoll. Vielmehr bietet es sich an, Art. 10 EMRK als umfassendes Recht der Meinungsfreiheit zu betrachten, dessen zentraler Schutzgehalt die Meinungsäußerungsfreiheit ist.121 Sachlich schützt die Meinungsäußerungsfreiheit sowohl Meinungen als auch Tatsachenbehauptungen und dies unabhängig von Form und Inhalt.122 Auch unwahre Tatsachenbehauptungen sind vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK umfasst.123 Jedoch können einzelne Meinungsäußerungen bereits aufgrund ihres Inhalts 120

Meyer / Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 12 (Die aktuelle Ausgabe unter neuer Autorenschaft nimmt eine Differenzierung von Meinungfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr vor). 121 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 9 f. (15. Lieferung – Juni 2013). 122 Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 99, Rn. 17. 123 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 27 (15. Lieferung – Juni 2013).

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vom Schutzbereich des Art. 10 EMRK ausgenommen sein. Die Ausklammerung aus dem Schutzbereich kann für solche Äußerungen in Betracht zu ziehen sein, die dem Geist der EMRK, welcher in dem Schutz demokratischer Werte zum Ausdruck kommt, widersprechen.124 So hat der EGMR Äußerungen, welche zum Hass gegen andere Bevölkerungsteile aufstacheln (sog. „hate speech“), bereits den Schutz des Art. 10 EMRK versagt.125 Angesichts der Problematik der generellen Festlegung von Äußerungen, welche aufgrund ihres Inhalts ausnahmsweise nicht dem Schutz des Art. 10 EMRK unterfallen sollen, wird überzeugend vorgeschlagen, die Grenzen der Meinungsfreiheit erst unter Einbeziehung der Grundrechtsschranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK festzulegen.126 Die Unzulässigkeit bestimmter Äußerungen sollte sich mithin nicht im Wege einer Ausklammerung aus dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK, sondern vielmehr erst aus dem notwendigen Schutz der Rechtsgüter i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK ergeben. Als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 10 EMRK kann jede staatlich veranlasste Maßnahme angesehen werden, welche sich tatsächlich als nicht unerhebliche Behinderung der Meinungsäußerungsfreiheit auswirkt.127 Als mögliche aber nicht abschließende Eingriffsfälle nennt Art. 10 Abs. 2 EMRK beispielhaft Form­ vorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafandrohungen. (2) Einschränkungsmöglichkeiten Besondere Bedeutung für die Freiheit des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses kommt den Möglichkeiten der Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsäußerungsfreiheit zu. Art. 10 Abs. 2 EMRK nennt Rechtsgüter die sich im Rahmen der Abwägung gegen die Meinungsäußerungsfreiheit durchsetzen können, sofern diese gesetzlich vorgesehen sind. Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK erweitert dabei die legitimen Zwecke, die eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit tragen können, um den Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung des Meinungspluralismus.128 Zentrale Bedeutung im Hinblick auf die Rechtfertigung von Eingriffen kommt dem Erfordernis der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft zu. Dies liegt vor allem daran, dass der EGMR die legitimen Ziele, welche einen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit rechtfertigen können, aufgrund der Respektierung eines Handlungsspielraums der Konventionsstaaten grundsätzlich weit aus-

124 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 29 (15. Lieferung – Juni 2013); Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 99, Rn. 17. 125 EGMR, NStZ 1995, 237, 239, § 35 (Jersild / Dänemark). 126 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 29 (15. Lieferung – Juni 2013). 127 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 35 (15. Lieferung – Juni 2013). 128 EGMR, EuGRZ 2003, S. 488, 490, §§ 34, 37 (Demuth / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1990, S. 255, 258, § 69 (Groppera Radio AG u. a. / Schweiz).

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legt, wenngleich der Ermessensspielraum je nach verfolgter Zielrichtung variieren kann.129 Ungeachtet des verfolgten Einschränkungsziels liegt der Schwerpunkt der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 10 EMRK jedoch regelmäßig darin, zu ermitteln, ob dieser unter Beachtung mitgliedstaatlicher Entscheidungsfreiräume in einer demokratischen Gesellschaft i. S. d. EMRK als notwendig angesehen werden kann. (a) Die demokratische Gesellschaft i. S. d. EMRK Die wesentlichen Leitgrundsätze die der demokratischen Gesellschaft i. S. d. EMRK zu Grunde liegen, wurden durch die Rechtsprechung des EGMR bereits entwickelt.130 Der EGMR hat sowohl den Pluralismus als auch die „Toleranz, Freiheit und Großzügigkeit der geistigen Einstellungen als fundamentale Wesensmerkmale einer demokratischen Gesellschaft“ herausgestellt.131 Das Recht der freien Meinungsäußerung bezeichnet er in diesem Zusammenhang als einen „Grundpfeiler“ einer demokratischen Gesellschaft.132 Ebenso hat der EGMR deutlich gemacht, dass das Recht der freien Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft auch gerade solche Meinungsäußerungen umfassen muss, welche „den Staat oder irgendeinen Bevölkerungsteil verletzen, schockieren oder beunruhigen“.133 Zudem hat der EGMR betont, dass in einer demokratischen Gesellschaft nicht stets den Anschauungen der jeweiligen Mehrheit gegenüber dem Individualinteresse an der Äußerung einer Minderheitsmeinung der Vorrang einzuräumen ist. Vielmehr gilt es einem Missbrauch der Meinungsführerschaft vorzubeugen.134 Damit lassen sich bereits aus der Charakterisierung der demokratischen Gesellschaft i. S. d. EMRK Rückschlüsse auf die Reichweite der Rechtfertigungsmöglichkeiten von Eingriffen in das Recht auf freie Meinungsäußerung ziehen. Indem das Grundrecht der freien Meinungsäußerung als wesentliches Merkmal einer durch die EMRK angestrebten demokratischen Gesellschaft bezeichnet wird, ist die Aushöhlung dieses Grundrechts durch eine ausufernde Anerkennung von Rechtfertigungsmöglichkeiten jedenfalls ausgeschlossen.

129

Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S.  1114, Rn.  84; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 43 (15. Lieferung – Juni 2013). 130 Calliess, EuGRZ 1996, 293. 131 EGMR, EuGRZ 1981, 559, 562, § 63 (Young, James und Webster / Vereinigtes Königreich). 132 EGMR, EuGRZ 1977, 38, 42, § 49 (Handyside / Vereinigtes Königreich). 133 EGMR, EuGRZ 1977, 38, 42, § 49 (Handyside / Vereinigtes Königreich). 134 EGMR, EuGRZ 1981, 559, 562, § 63 (Young, James und Webster / Vereinigtes Königreich).

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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(b) Beurteilung der Notwendigkeit eines Eingriffs Problematisch ist die Reichweite des Einschätzungsspielraums der Konventionsstaaten im Hinblick auf die Notwendigkeit eines Eingriffs in das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der Begriff der Notwendigkeit setzt das Vorliegen eines „dringenden sozialen Bedürfnisses“ voraus.135 In dieser Hinsicht ist in den Blick zu nehmen, dass die staatlichen Behörden und Gerichte in einem höherem Maße mit den politischen und sozialen Bedingungen in ihrem Land vertraut sind, als internationale Organe.136 Aus dieser Überlegung heraus räumt auch der EGMR den Konventionsstaaten grundsätzlich einen Entscheidungsfreiraum hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit eines Eingriffs ein.137 Der Entscheidungsfreiraum, welchen der EGMR als „margin of appreciation“ bezeichnet, soll es zudem ermöglichen, auf Souveränitätsinteressen und Traditionen der Konventionsstaaten Rücksicht nehmen zu können.138 Andererseits ist es die Aufgabe des EGMR sicherzustellen, dass die in der EMRK gewährleisteten Rechte auch tatsächlich zur Geltung gebracht werden.139 Um diese Aufgabe erfüllen zu können, behält sich der EGMR eine Letztentscheidungsbefugnis vor, welche er als „europäische Kontrolle“ bezeichnet.140 Im Hinblick auf diese „europäische Kontrolle“ hat der EGMR mehrfach ausgeführt, dass sich deren Prüfungsdichte nach den Umständen des Einzelfalls richtet.141 Beachtliche Einzelfallumstände sind i. R. d. Art. 10 EMRK insbesondere Art, Gegenstand und Zusammenhang der Äußerung sowie die Stellung des sich Äußernden und des von der Äußerung Betroffenen.142 In der Sache müssen die legitimen Ziele, welche die Meinungsäußerungsfreiheit begrenzen können, mit dieser in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden.143 Eine Einengung des Entscheidungsfreiraums der Konventionsstaaten ergibt sich aus dem Zusammenhang von Meinungsfreiheit und Demokratie. So ist die Meinungsfreiheit zum einen notwendige Bedingung einer Demokratie und zum anderen kann die Meinungsfreiheit in nicht demokratischen Strukturen regelmäßig als gefährdet angesehen werden.144

135

EGMR, NJW 2001, 1995, 1998, § 61 (Baskaya u. Okcuoglu / Türkei). Calliess, EuGRZ 1996, 293, 294. 137 EGMR, EuGRZ 1977, 38, 41 f., § 48 (Handyside / Vereinigtes Königreich). 138 Kühling, AfP 1999, 214, 217. 139 Calliess, EuGRZ 1996, 293, 294. 140 Calliess, EuGRZ 1996, 293, 294. 141 EGMR, EuGRZ 2003, 488, 490, § 40 (Demuth / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550, § 35 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 142 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 43. 143 Calliess, EuGRZ 1996, 293, 294; Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 43. 144 Frowein, EuGRZ 2008, 117 f. 136

192

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Der EGMR ist sich der Bedeutung einer offenen und freien Debatte für eine demokratische Gesellschaft bewusst.145 Die Bezugnahme in Art. 10 Abs. 2 EMRK auf eine demokratische Gesellschaft führt zu einer einschränkenden Auslegung der Beschränkungsmöglichkeiten des Rechts auf freie Meinungsäußerung.146 So legt der EGMR bei Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung regelmäßig einen strengen Maßstab bei der „europäischen Kontrolle“ an.147 Zur Begründung der erweiterten Kontrolldichte beim Recht auf freie Meinungsäußerung zieht der EGMR weiterhin das Anrecht der Öffentlichkeit zum Empfang von Nachrichten und Meinungen von allgemeinem Interesse heran.148 Dieses Anrecht bezieht sich nicht nur auf politische Debatten, sondern schließt auch andere Angelegenheiten von öffentlichem Interesse ein.149 Berücksichtigt man, dass Art. 10 Abs. 1 EMRK eine freie und offene Diskussion über Themen, welche die Öffentlichkeit bewegen, ermöglichen soll, so muss eine Vermutung für die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung gelten.150 Müssten die Bürger befürchten, dass ihnen aus Meinungsäußerungen Nachteile erwachsen, oder dass sie sich wegen dieser auch nur rechtfertigen müssen, so bestünde die Gefahr, dass Äußerungen häufig unterlassen werden.151 Nachteile wegen Meinungsäußerungen sind vor allem im Falle von Kritik an Machtträgern zu erwarten. Gerade die systematische und ausufernde Anwendung von Beleidigungsvorschriften stellt ein Mittel dar, mit welchem Kritik an Politikern wirksam unterbunden werden kann.152 Zwar genießen auch Politiker den Schutz des guten Rufs i. S. d. Art 10 Abs. 2 EMRK und dies selbst dann, wenn sie in amtlicher Funktion handeln.153 Andererseits sieht der EGMR die Freiheit der politischen Diskussion als den Kernbereich einer demokratischen Gesellschaft an, sodass das Interesse der Öffentlichkeit an einer freien politischen Diskussion in der Abwägung mit den Individualinteressen des Politikers ein besonders starkes Gewicht erhält.154 Bei der öffentlichen Auseinandersetzung über Politiker ist im Rahmen der Abwägung zudem zu berücksichtigen, dass diese sich willentlich und bewusst der öffentlichen Aufmerksamkeit stellen.155 Einen noch geringeren Spielraum zur Beschränkung von Meinungsäußerungen haben die Konventionsstaaten dann, wenn die Äußerungen sich auf solche Politiker 145

EGMR, EuGRZ 2003, 488, 490, § 40 (Demuth / Schweiz). Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, S. 358, Rn. 30. 147 EGMR, EuGRZ 2003, 488, 490, § 40 (Demuth / Schweiz). 148 EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550, § 38 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 149 EGMR, ÖJZ 1992, 810, 813 (Thorgeir Thorgeirson / Island). 150 Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, S. 360, Rn. 31. 151 Frowein, EuGRZ 2008, 117 f. 152 Frowein, EuGRZ 2008, 117, 118. 153 EGMR, EuGRZ 1986, 424, 428, § 42 (Lingens / Österreich). 154 EGMR, EuGRZ 1986, 424, 428, § 42 (Lingens / Österreich). 155 EGMR, EuGRZ 1986, 424, 428, § 42 (Lingens / Österreich). 146

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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beziehen, welche Regierungsverantwortung tragen.156 Der EGMR hebt hervor, dass in einem demokratischen System das Verhalten der Regierung nicht nur von der Legislative und der Judikative, sondern auch von der Presse und der öffentlichen Meinung genau überprüft werden können muss.157 Einen im Vergleich zu Privatpersonen eingeschränkten Schutz gegenüber kritischen Äußerungen haben auch öffentlich Bedienstete, wenngleich dieser weit­ reichender ist als bei Politikern, da letztere sich im Gegensatz zu gewöhnlichen öffentlich Bediensteten, welche nicht ausnahmsweise als sog. politische Beamte zu qualifizieren sind, bewusst der öffentlichen Auseinandersetzung stellen.158 Ein relevantes Abwägungskriterium für die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung ist zudem, ob es sich um eine individuelle Kundgabe oder um eine solche im Rahmen von Massenkommunikationsmitteln handelt. So erlangt die Unterscheidung von Individual- und Massenkommunikation im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs Bedeutung.159 Der EGMR hebt bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs regelmäßig zunächst die Bedeutung der Meinungsfreiheit und anschließend die besondere Funktion der Presse hervor.160 Im Hinblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit stellt der EGMR dessen Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft und die Selbstverwirklichung des Individuums heraus.161 Der Presse wird darüber hinausgehend die weitere gesellschaftliche Aufgabe zugeschrieben, Nachrichten und Ideen über politische Fragen sowie Themen von öffentlichem Interesse zu verbreiten.162 Sie darf keinesfalls entmutigt werden an Diskussionen über solche Angelegenheiten teilzunehmen, an welchen die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse hat.163 Zur Beschreibung der der Presse zukommenden gesellschaftlichen Aufgabe verwendet der EGMR den Begriff des „öffentlichen Wachhunds“ („public watchdog“).164 Weiterhin hebt der EGMR hervor, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, die Informationen zu empfangen, welche die Presse in Ausübung ihrer „öffentlichen Wachhundfunktion“ zu verbreiten beabsichtigt.165 Die journalistische Freiheit beinhaltet in den Grenzen des Art. 10 Abs. 2 EMRK auch das Recht zur Übertreibung

156

EGMR, ÖJZ 1992, 803, 806, § 46 (Castells / Spanien). EGMR, ÖJZ 1992, 803, 806, § 46 (Castells / Spanien). 158 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 58; Pabel-Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 85 (15. Lieferung – Juni 2013). 159 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 85 (15. Lieferung – Juni 2013). 160 Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, S. 355, Rn. 27; Pabel-Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 85 (15.Lieferung – Juni 2013). 161 EGMR, EuGRZ 1991, 216, 221 f., § 57 (Oberschlick / Österreich). 162 EGMR, EuGRZ 1986, 424, 428, § 41 (Lingens / Österreich). 163 EGMR, NJW 2000, 1015, 1017, § 64 (Bladet Tromsö u. a. / Norwegen). 164 So z. B. in EGMR, ÖJZ 1992, 810, 813 (Thorgeir Thorgeirson / Island). 165 EGMR, ÖJZ 1992, 810, 813 (Thorgeir Thorgeirson / Island). 157

194

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

und Provokation.166 Indem der EGMR im Falle massenmedialer Äußerungen neben der Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit auch die Aufgabe und Funktion der Presse für die Öffentlichkeit besonders betont, kommt massenmedialen Äußerungen in der Abwägung mit den Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 10 Abs. 2 EMRK ein besonderes Gewicht zu. Diese im Wortlaut zwar lediglich auf die Presse bezogenen Äußerungen des EGMR dürften sich auf sonstige Massenmedien übertragen lassen, da es im Hinblick auf die demokratische Funktion der Medien keinen Unterschied machen kann, durch welche technische Modalität Informationen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der EGMR hebt in neueren Entscheidungen bereits nicht nur die Bedeutung der Presse, sondern auch diese der anderen Informationsmedien hervor.167 Auch gesellschaftliche Gruppen, welche Themen von allgemeinem Interesse in die Öffentlichkeit tragen, leisten einen wichtigen Beitrag für die öffentliche Diskussion, sodass auch ihre Meinungskundgaben einen den massenmedialen Äußerungen zumindest angenährten Schutz genießen.168 Demgegenüber genießt die an einen begrenzten Personenkreis gerichtete Individualkommunikation selbst dann, wenn sie politische Fragen betrifft, kein vergleichbares Schutzniveau gegenüber Äußerungen, die über ein Massenmedium verbreitet werden.169 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Eingriffs nimmt der EGMR die Unterscheidung zwischen einem Werturteil und einer Tatsachenbehauptung vor. Die Unterscheidung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einem Werturteil ist bedeutungsvoll, da unterschiedliche Anforderungen an den Wahrheitsbeweis gestellt werden.170 Generell lassen sich Tatsachenbehauptungen von Meinungsäußerun­gen dadurch unterscheiden, dass erstere zumindest theoretisch dem Wahrheitsbeweis zugänglich sind.171 Trotz dieser scheinbar klaren Differenzierung kommt es in der Praxis immer wieder zu Abgrenzungsschwierigkeiten.172 Im Hinblick auf die Frage der Abgrenzung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einem Werturteil wird den Konventionsstaaten ein gewisser Beurteilungsspielraum zuerkannt, wenngleich der EGMR diese Frage auch selbständig prüft und u. U. auch Korrekturen vornimmt.173 166

Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, S. 355. Rn. 27; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 81 (15. Lieferung – Juni 2013). 167 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 131 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 168 In diese Richtung weisend, EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 112 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); EGMR, NJW 2006, 1255, 1258, § 89 (Steel und Morris / Vereinigtes Königreich). Vgl. hierzu weiterhin, Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1067, Rn. 17; Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 47. 169 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1152, Rn. 135; Kühling, AfP 1999, 214, 219. 170 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1138 f., Rn. 119. 171 EGMR, NJW 2006, 1645, 1648, § 76 (Pedersen u. Baadsgaard / Dänemark). 172 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 49. 173 EGMR, NJW 2006, 1645, 1649, § 76 (Pedersen u. Baadsgaard / Dänemark); Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 50, Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 83 (15. Lieferung – Juni 2013).

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Sofern eine Äußerung als Meinungskundgabe eingeordnet wird, ist es aufgrund der Unmöglichkeit der Erbringung eines Wahrheitsbeweises als Verletzung des Art. 10 EMRK anzusehen, wenn gleichwohl ein solcher verlangt wird.174 Die Unmöglichkeit der Erbringung eines Wahrheitsbeweises hat indessen nicht zur Folge, dass es für die Zulässigkeit der Meinungsäußerung bedeutungslos wäre, ob dieser eine hinreichende Tatsachengrundlage zugrunde liegt.175 Vielmehr kann die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit davon abhängen, ob ein Werturteil durch Tatsachen unterstützt wird.176 Ohne ausreichende Tatsachengrundlage läuft insbesondere scharf formulierte Kritik Gefahr, als „überzogen“ zu gelten.177 Die die Meinungsäußerung stützende Tatsachengrundlage muss indessen nicht in der Äußerung enthalten sein, sondern kann sich auch aus den Umstanden, wie beispielsweise aus allgemein bekannten Tatsachen, ergeben.178 Im Hinblick auf Tatsachenbehauptungen wurde durch den EGMR bisher nur angedeutet, dass wahre Tatsachenbehauptungen einen stärkeren Schutz genießen als unwahre.179 Jedenfalls kommt wahren Tatsachenbehauptungen, ebenso wie Meinungsäußerungen, welche mit hinreichender Tatsachengrundlage unterfüttert sind, grundsätzlich gegenüber dem Persönlichkeitsschutz ein Vorrang zu.180 Der Beweis einer Tatsachenbehauptung ist grundsätzlich dann zu verlangen, wenn diese geeignet ist, eine Person in ihrem Ansehen herabzusetzen.181 Insbesondere ist es mit Art. 10 EMRK nicht grundsätzlich unvereinbar, demjenigen, welcher ehrenrührige Tatsachenbehauptungen aufstellt, den Wahrheitsbeweis hierfür aufzuerlegen.182 Gerade Journalisten kommt regelmäßig die Verpflichtung zu, Tatsachenbehauptungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.183 Ihre Tätigkeit ist in besonderem Maße mit Pflichten und Verantwortungen i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK verbunden. Es wird vorausgesetzt, dass Journalisten sich um zuverlässige Informationen bemühen und diese nur verbreiten, wenn sie hinsichtlich ihrer Richtigkeit im guten Glauben sind.184 Auf der anderen Seite darf ein Journalist dann, wenn er lediglich darüber berichtet was Dritte ihm mitgeteilt haben, nicht mit einem praktisch kaum zu erfüllenden Wahrheitsbeweis hinsichtlich der Richtigkeit der durch ihn medial verbreiteten Tatsachen belastet werden.185

174

EGMR, EuGRZ 1991, 216, 222, § 63 (Oberschlick / Österreich). Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1140, Rn. 121. 176 EGMR, ÖJZ 2001, 693, 695 (Jerusalem / Österreich). 177 EGMR, NJW 2006, 1645, 1649, § 76 (Pedersen u. Baadsgaard / Dänemark). 178 EGMR, Urt. v. 12.07.2001, Nr. 29032/95, § 86 (Feldek / Slowakei); Dörr / Grote / MarauhnGrote / Wenzel, S. 1140, Rn. 121. 179 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1140, Rn. 121. 180 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1140, Rn. 121. 181 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 52. 182 EGMR, NJW 2006, 1255, 1258, § 89 (Steel und Morris / Vereinigtes Königreich). 183 EGMR, NJW 2000, 1015, 1018, § 65 (Bladet Tromsö u. a. / Norwegen). 184 EGMR, NJW 2000, 1015, 1018, § 65 (Bladet Tromsö u. a. / Norwegen). 185 EGMR, ÖJZ 1992, 810, 813 (Thorgeir Thorgeirson / Island). 175

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

c) Medienfreiheit aa) Medienfreiheit als Teilgewährleistung der Meinungsfreiheit Art. 10 Abs. 1 EMRK schützt in allgemeiner Form die Meinungsfreiheit. Dagegen wird der Schutz der Verbreitung von Meinungen und Informationen über die verschiedenen medialen Erscheinungsformen wie Rundfunk und Presse nicht eigenständig angesprochen. Die Nichterwähnung der verschiedenen Medienarten hat den Vorzug, dass es keine Probleme bei der Abgrenzung der Schutzbereiche geben kann, soweit der Inhalt einer Meinungsäußerung in Rede steht. Der Schutz der geäußerten Meinung als solcher kann jedenfalls nur Art. 10 Abs. 1 EMRK unterfallen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Äußerung der Individualkommunikation oder um eine solche handelt, welche über die Massenmedien erfolgt. Im Falle einer massenmedialen Äußerung verstärkt sich lediglich das Gewicht, welches der Meinungsäußerungsfreiheit in der Abwägung mit den in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten legitimen Einschränkungszielen zukommt.186 Als weiteres über Art. 10 Abs. 2 EMRK hinausreichendes Einschränkungsziel muss jedoch auch dieses der Medienvielfalt, welches in Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK angelegt ist, im Blick behalten werden. Dieses Einschränkungsziel kann auch als eigenständiger Gewährleistungsgehalt des Art. 10 EMRK aufgefasst werden, sodass das besondere Gewicht massenkommunikativer Äußerungen gegenüber dem Ziel der Medienvielfalt nicht zum Tragen kommen kann.187 Jedoch müssen Eingriffe zum Zwecke der Medienvielfaltsicherung stets dadurch gerechtfertigt werden, dass diese ein höheres Maß an Medienvielfalt erwarten lassen, als eine freie Tätigkeit der Massenmedien. bb) Ausgeprägte Schutzgehalte Der Schutzbereich der von Art. 10 EMRK mit geschützten Presse-, Rundfunkbzw. Medienfreiheit bezieht sich nicht lediglich auf die Verbreitung von Meinungen und sonstigen Informationen über Massenkommunikationsmittel. Vielmehr ist ein rechtliches Umfeld zu schaffen, welches eine freie und funktionsgerechte Tätigkeit der Medien ermöglicht. Es ist sicherzustellen, dass die Medien ihre Funktion, als „öffentlicher Wachhund“ durch die Verbreitung von Informationen und Meinungen von allgemeinem Interesse zu wirken, effektiv erfüllen können.

186

Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1152, Rn. 135. A. A. und eine Trennung von Einschränkungszielen und Gewährleistungsinhalten befürwortend, Uwer, S. 103. 187

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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(1) Quellenschutz und Informationsbeschaffung Eine über die Meinungsäußerungsfreiheit hinausgehende Bedeutung der Medien­ freiheit kommt dem Schutz vor Eingriffen in die journalistische Tätigkeit zu. Hervorzuheben ist in dieser Hinsicht der Quellenschutz, welcher den Journalisten das Recht gibt, die Herkunft ihrer Informationen zu verschweigen. Das Recht auf Quellenschutz wird vom EGMR als Bestandteil der Informationsfreiheit aufgefasst und ist somit kein an die Stellung eines Journalisten geknüpftes Recht.188 Den Grund für den Quellenschutz erkennt der EGMR darin, dass anderenfalls Informanten davon abgeschreckt werden könnten, die Öffentlichkeit, vermittelt über die anschließende Berichterstattung seitens der Medien, über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse zu informieren.189 Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Medien in ihrer „öffentlichen Wachhundfunktion“ sowie in ihrer Möglichkeit, die Öffentlichkeit mit genauen und verlässlichen Informationen zu versorgen, beeinträchtigt würden.190 Die Pflicht zur Offenlegung der Quelle kann nur durch übergeordnete öffentliche Interessen gerechtfertigt werden.191 Angesichts der wichtigen Bedeutung, welche der Funktionsfähigkeit der Massenmedien für eine demokratische Gesellschaft zukommt, dürften Eingriffe in den Quellenschutz nur in Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein. Jenseits der speziellen Ausprägung des Quellenschutzes lässt sich der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 10 Abs. 1 EMRK allgemein entnehmen, dass der Staat den Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse nicht ohne wichtigen Grund beeinträchtigen darf.192 Dass die Sammlung von Informationen ein wesentlicher Vorbereitungsschritt der journalistischen Arbeit und ein von der Presse­ freiheit geschützter Aspekt ist, hat der EGMR in seiner jüngeren Rechtsprechung wiederholt herausgestellt.193 Problematisch ist indessen weiterhin, unter welchen Voraussetzungen Art. 10 Abs. 1 EMRK ein Recht auf Zugang zu staatlichen Informationsquellen begründen kann. (2) Schutz vor Gewalt infolge medialer Berichterstattung Der grundrechtliche Schutz der Massenmedien ist nicht auf eine abwehrrechtliche Dimension, welche vor staatlichen Eingriffen in die Tätigkeit der Medien schützt, beschränkt. Vielmehr muss der Staat sämtliche Grundbedingungen eines 188

EGMR, NJW 2008, 2565, 2567, § 65 (Tillack / Belgien); Meyer / Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 39. 189 EGMR, ÖJZ 1996, 795, 796, § 39 (Godwin / Vereinigtes Königreich). 190 EGMR, ÖJZ 1996, 795, 796, § 39 (Godwin / Vereinigtes Königreich). 191 EGMR, ÖJZ 1996, 795, 796, § 39 (Godwin / Vereinigtes Königreich). 192 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1066 f., Rn. 17. 193 EGMR, Urt. v. 27.06.2017, Nr. 931/13, § 128 (Satakunnan Markkinapörssi u. a. / Finnland); EGMR, Urt. v. 08.11.2016, Nr. 18030/11, § 130 (Magyar Helsinki Bizottsag / Ungarn).

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

freien Medienwesens sicherstellen.194 Der EGMR hat zum Ausdruck gebracht, dass den Staat, auch mit Blick auf die Rechtsbeziehungen von Privatpersonen unterein­ ander, Schutzpflichten treffen können, um die Inanspruchnahme des Rechts auf Meinungsfreiheit zu ermöglichen.195 Hierzu gehört auch die Verpflichtung, sich schützend vor Medienunternehmen und Journalisten zu stellen, welche aufgrund ihrer Berichterstattung von Gewalt durch Privatpersonen bedroht sind.196 Es gilt in dieser Hinsicht jedoch nicht nur Autoren und Journalisten vor Übergriffen zu schützen, sondern auch Privatpersonen, welche zu Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Stellung nehmen möchten. So ist ein gesellschaftliches Umfeld zu schaffen, welches alle interessierten Personen ermutigt, sich ohne Furcht an öffentlichen Diskussionen zu beteiligen.197 Dies gilt auch dann, wenn Minderheitenmeinungen vertreten werden, welche irritierend oder schockierend für die Bevölkerungsmehrheit und Vertreter des Staates sind.198 (3) Schutz der inhaltsunabhängigen Informationsverbreitung Der Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK ist auch im Hinblick auf die von dieser Vorschrift mit geschützte Presse-, Rundfunk- bzw. Medienfreiheit weit zu verstehen.199 Als von Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützt können jedenfalls diese Tätig­ keiten im Medienbereich angesehen werden, welche unmittelbar auf die Herstellung von Nachrichten und Meinungen gerichtet sind.200 Dasselbe gilt für Tätigkeiten, deren Zweck darin besteht, die Verbreitung bzw. Vermittlung von inhaltlich bestimmten Meinungen i. S. d. Art. 10 Abs. 1 EMRK vorzunehmen.201 Problematisch ist indessen, ob auch die nicht auf einen bestimmten Inhalt bezogene Zurverfügungstellung der zur Verbreitung von Informationen notwendigen technischen Infrastruktur vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK umfasst ist. Solche wirtschaftlichen Dienstleistungen, welche keinen Bezug zu einer bestimmten Meinung aufweisen, lassen sich aufgrund ihrer Inhaltsneutralität nicht ohne Weiteres dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit zuordnen. Die Rechtsprechung des EGMR weist jedoch in die Richtung, den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK nicht nur mit Blick auf diejenigen Personen zu bestimmen, welche eine Meinung äußern möchten, sondern sie bezieht auch die Perspektive der Rezipienten ein. So führte der EGMR aus, dass Art. 10 EMRK sich nicht nur auf den 194

Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1067, Rn. 17. EGMR, Urt. v. 16.03.2000, Nr. 23144/93, § 43 (Özgür Gündem / Türkei). 196 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 77 (15. Lieferung – Juni 2013). 197 EGMR, NJOZ 2011, 1067, 1072, § 137 (Dink / Türkei). 198 EGMR, NJOZ 2011, 1067, 1072, § 137 (Dink / Türkei). 199 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 69, 99 (15. Lieferung – Juni 2013). 200 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1087, Rn. 44. 201 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1087, Rn. 44; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 76 (15. Lieferung – Juni 2013). 195

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Informationsinhalt bezieht, sondern auch auf die Übertragungs- und Empfangsmittel.202 Er wies darauf hin, dass Beschränkungen bei der Nutzung dieser technischen Mittel notwendigerweise auch in das Recht zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten eingreifen.203 Für die Einbeziehung von solchen technischen Dienstleistungen, welche notwendig sind, um Informationen verbreiten zu können, spricht auch die Tatsache, dass die EMRK keine Grundrechte auf Berufsfreiheit oder auf allgemeine Handlungsfreiheit regelt.204 Dabei machen es technische Dienstleistungen vor allem im Bereich des gemeinhin als besonders wirkmächtig erachteten Rundfunks erst möglich, dass Meinungen und Informationen verbreitet und empfangen werden können. Solche Tätigkeiten sollten nicht schutzlos gestellt werden, sondern sie sollten aufgrund ihres wichtigen Beitrags für die umfassende Information der Bürger sachgerecht dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK zugeordnet werden. (4) Gewährleistung eines vielfältigen Medienangebots Nach hier vertretener Auffassung, beinhaltet Art. 10 EMRK einen objektiv-rechtlichen Gehalt, welcher den Staat verpflichtet, den Meinungspluralismus in den Medien sicherzustellen.205 Zwar wurde die Frage, ob sich aus Art. 10 EMRK konkrete Pflichten zur Sicherung der Medienvielfalt und insbesondere zum Schutz vor Medienkonzentration herleiten lassen, lange Zeit als nicht geklärt bzw. als umstritten angesehen.206 Gerade aber im Bereich der audiovisuellen Medien lässt der EGMR keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass er die Verpflichtungen des Staates aus Art. 10 EMRK nicht auf die Dimension der Eingriffsabwehr begrenzt ansieht. Vielmehr sieht er den Staat als verpflichtet an, geeignete rechtliche und verwaltungsmäßige Regelungen zu treffen, um einen wirksamen Pluralismus zu schützen.207 Ein echter und wirksamer Pluralismus setzt voraus, dass nicht nur eine Programmvielfalt besteht, sondern dass die unterschiedlichen in der Gesellschaft bestehenden Meinungen so weit als möglich in den audiovisuellen Medien widergespiegelt werden.208 Um den Anforderungen an den echten Pluralismus zu genügen, sollen auch solche politischen Programme zum Ausdruck gebracht werden, welche die aktuelle Organisation des Staates infrage stellen, soweit diese sich nicht gegen die Demokratie richten.209 Es gilt zu verhüten, dass weder der Staat, noch wirtschaftliche oder 202

EGMR, EuGRZ 1990, 261, 262, § 47 (Autronic AG / Schweiz). EGMR, EuGRZ 1990, 261, 262, § 47 (Autronic AG / Schweiz). 204 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S.  1088, Rn.  44; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 101 (15. Lieferung – Juni 2013). 205 Siehe hierzu C. II. 2. b). 206 Vgl. Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 914, Rn. 19; Paschke / Berlit / MeyerSchulz, S. 102, Rn. 29. 207 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 208 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 209 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 129 f. (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 203

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politische Interessengruppen eine beherrschende Stellung in den audiovisuellen Medien erlangen. Anderenfalls stünde zu befürchten, dass durch solche Akteure auf die verbliebenen Betreiber freier Medien ein die redaktionelle Freiheit beschränkender Druck ausgeübt werden kann. Eine solche Entwicklung würde das Recht der Öffentlichkeit auf Versorgung mit Informationen und Ideen von allgemeinen Interesse beeinträchtigen und damit die Garantie des Art. 10 EMRK unterlaufen.210 Damit lässt sich festhalten, dass die Konventionsstaaten, zumindest im Bereich der audiovisuellen Medien, verpflichtet sind, Regelungen zu treffen, welche einen echten Pluralismus hinsichtlich der dort verbreiteten Inhalte sicherstellen. Fraglich ist, ob sich diese Verpflichtungen des Staates auf den Bereich der im Wesentlichen textbasierten Medien übertragen lassen. Der EGMR schreibt den „audio-visuellen“ Medien einen weitaus größeren Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu, als den sonstigen Medien.211 Auf der anderen Seite hat der EGMR immer wieder auch die herausragende Rolle der freien Presse für eine demokratische Gesellschaft betont. Die besondere Bedeutung der Presse hat zur Folge, dass der Pressefreiheit eine objektiv-rechtliche Dimension zukommen muss, wenngleich problematisch ist, welche konkreten Handlungspflichten sich hieraus für den Staat ableiten lassen.212 Es lassen sich in der Rechtsprechung des EGMR Ansätze dafür finden, dass der Staat in seiner Rolle als Garant des Pluralismus auch im Pressebereich zumindest dann zum Eingreifen verpflichtet ist, wenn der Meinungspluralismus allein aufgrund des ökonomischen Wettbewerbs der verschiedenen Presseorgane nicht mehr als gesichert gelten kann.213 In welcher Weise und durch welche Regulierungsinstrumente die Konventionsstaaten verpflichtet sein können die Medienvielfalt zu gewährleisten, soll in dieser Arbeit noch an gesonderter Stelle untersucht werden. Dass aber eine grundsätzliche Verpflichtung zur Vielfaltsicherung in allen Massenmedien besteht, dürfte angesichts des Zusammenhangs von Medienvielfalt und Demokratie als unzweifelhaft gelten.214 210

EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 133. (Centro Europa 7/Italien). EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 132 (Centro Europa 7/Italien); EGMR, NJW 2006, 1645, 1649, § 79 (Pedersen u. Baadsgaard / Dänemark). Zu den „audio-visuellen“ Medien rechnet der EGMR, im Gegensatz zu den audiovisuellen (kein Bindestrich) Medien i. S. d. AVMD-RL, auch den Hörfunk. So werden in der erstgenannten Fundstelle Radio und Fernsehen als Anwendungsfälle der „audio-visuellen“ genannt. Da die unionsrechtlichen Werte i. S. d. Art. 2 EUV auch durch das Recht des Europarats geprägt werden, lässt sich im Rahmen dieser Arbeit eine Trennung von audiovisuellen und „audio-visuellen“ Medien nicht strikt durchhalten. Regelmäßig wird daher der gebräuchlichere Begriff der audiovisuellen Medien verwendet. Dieser soll grundsätzlich auch das Medium des Hörfunks erfassen, sofern nicht ausnahmsweise ausschließlich auf die AVMD-RL Bezug genommen wird. 212 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 79 (15. Lieferung – Juni 2013). 213 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 914, Rn. 19. Ähnlich Probst, S. 26 f. 214 So auch die Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 309/2004, CDL-AD(2005) 17, Ziffer 262. 211

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Teilweise wird es indessen als problematisch angesehen, die Pflicht zur Pluralismussicherung als Aspekt der Gewährleistung des Art. 10 Abs. 1 EMRK anzusehen, da die Medienvielfalt sichernde Maßnahmen regelmäßig auch in die Freiheit der Meinungsäußerung eingreifen.215 Zweifelsohne sind Maßnahmen, welche der Medienvielfalt dienen sollen, nicht stets zulässig, sondern müssen dadurch gerechtfertigt werden, dass sie in verhältnismäßiger Weise mit subjektiv-rechtlichen Schutzgehalten des Art. 10 Abs. 1 EMRK zum Ausgleich gebracht werden.216 Auf der anderen Seite soll die Medienvielfalt bewirken können, dass Art. 10 EMRK seinen über die Individualitätsentfaltung hinausgehenden öffentlichen Zweck im Zusammenhang mit der in einer Demokratie notwendigen freien Meinungsbildung tatsächlich erfüllen kann. Zudem soll das vom EGMR regelmäßig herausgestellte Recht der Öffentlichkeit auf hinreichende Versorgung mit Informationen von allgemeinem Interesse verwirklicht werden. Entscheidend für eine Pflicht zur Medienvielfaltsicherung in Bezug auf sämtliche Mediengattungen sprechen die unterschiedlichen Gewohnheiten des Medienkonsums. So muss sichergestellt werden, dass alle Rezipienten, unabhängig von der von ihnen bevorzugt konsumierten Mediengattung, hinreichend vielfältig informiert werden können. Daher stellt die Medienvielfaltsicherung auf allen Gebieten medialer Erscheinungsformen eine wichtige Komponente der Garantien des Art. 10 Abs. 1 EMRK dar. Hieran vermag die Tatsache, dass Medienvielfaltsicherung sich häufig nur durch Beschränkungen der freien Tätigkeit von Medienunternehmen erreichen lässt, nichts zu ändern. (5) Innere Pressefreiheit und Grundrechtsbindung Privater Problematisch ist, ob die Freiheiten des Art. 10 Art. 1 EMRK auch die sog. innere Pressefreiheit umfassen. Unter innerer Pressefreiheit ist die Freiheit von inhaltlichen Weisungen an Redakteure und Herausgeber durch Verleger, insbesondere im Hinblick auf die meinungsmäßige Tendenz eines Medienprodukts, zu verstehen.217 Wenngleich der Gedanke der inhaltlichen Weisungsfreiheit häufig anhand der Presse entfaltet wird, kann dieser auch in Bezug auf andere Massenmedien zum Tragen kommen. So ist die Frage des erforderlichen Maßes an journalistischer Freiheit für diejenigen Personen, welche in wirtschaftlicher Abhängigkeit von dem sie beschäftigenden Medienunternehmer an der inhaltlichen Gestaltung eines Medienprodukts mitwirken, eine solche, welche nicht auf das Medium der Presse begrenzt ist. Die Problematik der inneren Pressefreiheit ist eng verknüpft mit dieser, inwieweit die in der EMRK gewährten Rechte im Wege einer Drittwirkung auch Private verpflichten können.218 Der EGMR und die ehemalige EKMR haben es 215

Klein, AfP 1994, 9, 16; Uwer, S. 103. Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 914, Rn. 19. 217 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1099, Rn. 61. 218 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1099, Rn. 61. 216

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bisher abgelehnt, eine Dogmatik zu einer möglichen Drittwirkung von Konventionsrechten zu entwickeln.219 Indessen hat der EGMR aus Art. 10 Abs. 1 EMRK folgende Schutzpflichten entwickelt, welche den Staat dazu verpflichten, die zum Schutz der Meinungsfreiheit erforderlichen Gesetze zu erlassen bzw. bestehende Gesetze im Einklang mit Art. 10 EMRK auszulegen.220 Unter Berücksichtigung dieser Schutzpflichtdimension des Art. 10 EMRK wurde beispielsweise eine Einzelfallentscheidung einer formal privatrechtlich organisierten Gesellschaft, welche die Ausstrahlung einer politischen Werbung im Fernsehen verbot, als in den Verantwortungsbereich des Staates fallend angesehen. Begründet wurde dies damit, dass der Staat, ungeachtet dessen, dass eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft formal entscheidungsbefugt ist, eine Gesetzeslage geschaffen hat, nach welcher die Ausstrahlung politischer Werbung im Fernsehen und Radio generell untersagt ist.221 Somit kann der Staat Art. 10 Abs. 1 EMRK auch dadurch verletzen, indem er Gesetze schafft, welche Privatpersonen zwingend zu Entscheidungen veranlassen, welche sich nicht mit Art. 10 EMRK in Einklang bringen lassen. Dadurch, dass der Verantwortungsbereich des Staates in bestimmten Situationen auch auf das Handeln Privater ausgedehnt wird, wird die Entwicklung einer Drittwirkungsdogmatik weitgehend entbehrlich. Im Hinblick auf die innere Pressefreiheit muss, unabhängig von der Frage der Drittwirkung und einer Schutzpflichtdimension des Art. 10 EMRK, in den Blick genommen werden, dass auch der Verleger eines Medienprodukts den Schutz des Art. 10 Abs. 1 EMRK für sich in Anspruch nehmen kann. Deshalb stellt eine staatlich veranlasste Verpflichtung zur inneren Pressefreiheit regelmäßig einen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit des Verlegers dar.222 Es stellt sich mithin die Frage, wodurch und inwieweit dieser Eingriff gerechtfertigt werden kann. Die Pressefreiheit i. S. d. Art. 10 Abs. 1 EMRK umfasst jedenfalls auch das Recht des Verlegers, die meinungsmäßige Tendenz im Sinne einer politischen Grundausrichtung des Presseproduktes festzulegen.223 Eingriffe in dieses Recht müssen folglich über Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden. Als legitimes Ziel zur Rechtfertigung von Reglungen, welche Verpflichtungen zur inneren Pressefreiheit enthalten, kommen die „Rechte anderer“ i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK in Betracht. Tatsächlich hatte der EGMR, zumindest in seiner frühen rundfunkbezogenen Rechtsprechung, festgestellt, dass Regelungen, welche die Meinungsvielfalt fördern sollen, dem Schutz der „Rechte anderer“ zuzuordnen sind.224 Diese Rechtsprechung ist jedoch in der Literatur auf Kritik gestoßen. So wird angeführt, dass objektive Wertvorstellungen wie der Pluralismus der Medien im Gegensatz zu Individualrechten, keine 219

EGMR, ÖJZ 2002, 855, 856, § 46 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz); Kloepfer, FS Friauf, S. 153, 159; Probst, S. 27. 220 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 948, Rn. 60. 221 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 856, § 47 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). 222 Engel, AfP 1994, 1, 6 f. 223 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1099, Rn. 61. 224 EGMR, EuGRZ 1990, 255, 258, § 69 f. (Groppera Radio AG u. a. / Schweiz), Probst, S. 26.

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„Rechte anderer“ darstellen können, da anderenfalls der Staat berechtigt wäre, unter Berufung auf diese Rechte weitreichende Eingriffe in die Pressefreiheit zu rechtfertigen.225 Auch die Entwicklung eines denkbaren Individualrechts auf ein vielfältiges Presseangebot sei verfehlt, da jeder Leser eine andere Vorstellung von einem ausgewogenen Presseangebot habe.226 Zudem könnte das zum Schutz des Individuums gewährte Recht auf vielfältige und umfassende Information wiederum durch den Staat dazu missbraucht werden, nahezu beliebige politische Vorstellungen abzubilden.227 In seiner neueren rundfunkbezogenen Rechtsprechung nimmt der EGMR nicht mehr Bezug auf die „Rechte anderer“, welche einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 EMRK rechtfertigen könnten. Vielmehr bringt er zum Ausdruck, dass der in Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK geregelte Genehmigungsvorbehalt die in Art. 10 Abs. 2 EMRK vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeiten um die Gesichtspunkte der Qualität und Ausgewogenheit der Programme ergänzt.228 Diese Argumentation wird sich freilich nicht ohne Weiteres auf die Presse übertragen lassen, da Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK die Möglichkeit eines Genehmigungsvorbehalts, in dessen Rahmen Vielfaltgesichtspunkte eine Rolle spielen könnten, nur für Hörfunk-, Fernseh-, und Kinounternehmen vorsieht. Indessen könnte man die Regelung des Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK auch als medienartübergreifende Möglichkeit der Berücksichtigung von Vielfaltgesichtspunkten auffassen. Auf der anderen Seite erkennt der EGMR für den Bereich der Presse bereits ohne Bezugnahme auf Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK das Anrecht der Öffentlichkeit an, Informationen von allgemeinem Interesse empfangen zu können.229 Angesichts dieser Rechtsprechung, welche die Notwendigkeit der Medienvielfalt auch für den Pressebereich impliziert, erscheint eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK entbehrlich. An dem generellen Erfordernis der Medienvielfaltsicherung kann unabhängig von seiner konkreten Herleitung jedenfalls kein Zweifel bestehen. So möchten auch diejenigen, welche in der Pluralismussicherung die Gefahr der politischen Einflussnahme erblicken, eine einseitige Beeinflussung der Rezipienten verhindert wissen, wenngleich sie das „Recht anderer“ auf den publizistischen Wettbewerb und nicht auf ein etwaiges Individualrecht auf umfassende Information stützen.230 Ob man nun aber die Notwendigkeit der Vielfaltsicherung aus dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit oder dem Recht auf einen publizistischen Wettbewerb herleitet, macht in der Sache keinen Unterschied. Dabei erscheint das Recht des Einzelnen auf eine vielfältige Information weitaus handgreiflicher als dieses auf einen abstrakten Wettbewerb. Auch kann sich das Interesse des Einzelnen an einem 225

Kloepfer, FS Friauf, 153, 175 f. Kloepfer, FS Friauf, 153, 175 f. 227 Engel, AfP 1994, 1, 7. 228 EGMR, EuGRZ 2003, 488, 490, § 33 (Demuth / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550, § 32 f. (Informationsverein Lentia u. a. Österreich). 229 EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550, § 32 f. (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich); EGMR, ÖJZ 1992, 810, 813 (Thorgeir Thorgeirson / Island). 230 Engel, AfP 1994, 1, 7; Kloepfer, FS Friauf, S. 153, 178. 226

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funktionierenden publizistischen Wettbewerb überhaupt nur aus dessen Interesse an vielfältiger Information speisen. Die Problematik, dass eine positive Regulierung der Medienvielfalt regelmäßig die Gefahr der politischen Beeinflussung beinhaltet, kann jedenfalls nicht zu deren Entbehrlichkeit führen, wenn der wirtschaftliche Wettbewerb privater Medienanbieter eine bedenkliche Vielfaltverengung befürchten lässt. Deshalb könnte der durch Regelungen zur inneren Pressefreiheit bewirkte Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit des Verlegers durch das legitime Ziel der Medienvielfaltsicherung gerechtfertigt werden. Auf der anderen Seite wird ein solch schwerer Eingriff in die Rechte des Verlegers nur dann zu rechtfertigen sein, wenn der im Pressebereich zur Gewährleistung von Meinungsvielfalt grundsätzlich als ausreichend betrachtete ökonomische Wettbewerb versagt.231 Als das „Recht eines anderen“ i. S. d. Art. 10 EMRK könnte auch das Recht des Journalisten auf freie Meinungsäußerung angesehen werden. Dieses Recht kann sich zwar mangels Drittwirkungsdogmatik des EGMR nicht gegen den Verleger selbst richten. Der Staat könnte aus Art. 10 Abs. 1 EMRK jedoch Schutzpflichten gegenüber dem Journalisten haben, dessen mediale Meinungsäußerung durch den Verleger unterbunden wird.232 Schutzpflichten zu Gunsten des Journalisten gegenüber dem Verleger wurden durch den EGMR bisher noch nicht entwickelt.233 Bringt man weiterhin die widerstreitenden Rechte auf Meinungsäußerungsfreiheit des Journalisten und des Verlegers miteinander zum Ausgleich, so erschließt sich nicht, weshalb dem Recht des Journalisten regelmäßig der Vorzug gegeben werden sollte. So beabsichtigt der Journalist die vom Verleger geschaffene Infrastruktur zu nutzten. Grundsätzlich verbleibt ihm zudem die Möglichkeit, seine journalistischen Meinungsäußerungen in Presseorganen mit anderer Tendenz vorzunehmen. Nur dann, wenn die Meinungsvielfalt im Pressebereich durch übermäßige Konzentration derart verengt ist, dass es einem Journalisten nicht mehr möglich ist, einen seiner Tendenz entsprechenden Verleger zu finden, kommen Maßnahmen zum Schutz von dessen Meinungsäußerungsfreiheit in Betracht. In diesem Fall ist indessen bereits der Informationsanspruch der Öffentlichkeit und die freie Willensbildung der Bürger derart gefährdet, dass gegensteuernde Maßnahmen bereits aus dieser Perspektive erforderlich sind. Dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit des Journalisten wird in einem solchen Fall dann kaum noch eine eigenständige Bedeutung zukommen. Eingriffe in die meinungsmäßige Ausrichtung der Presseprodukte eines 231

Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1099, Rn. 61. Kloepfer, FS Friauf, 155, 178. 233 Engel, AfP 1994, 1, 8; Kloepfer, FS Friauf, 155, 177. Es sollte jedoch angemerkt werden, dass der EGMR zwischenzeitlich zum Ausdruck gebracht hat, dass Journalisten, welche im Bereich der audiovisuellen Medien tätig sind, u. a. nicht daran gehindert werden dürfen, richtige und objektive Informationen zu verbreiten. Zur Verhinderung eines derartigen redaktionellen Drucks wird ausdrücklich der Staat in die Pflicht genommen. Siehe hierzu, EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 232

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Verlegers werden sich somit regelmäßig auf unabdingbare journalistische Sorgfaltsstandards zu beschränken haben.234 Festzuhalten bleibt, dass die innere Pressefreiheit unter regelmäßigen Umständen keinen eigenen Schutzgehalt der Presse- bzw. Medienfreiheit darstellt und nur in extremen Ausnahmesituationen zu Eingriffen in die Meinungsäußerungsfreiheit des Medieneigentümers berechtigen kann. d) Informationsfreiheit aa) Aktive Informationsfreiheit Art. 10 Abs. 1 EMRK begründet das Recht Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Das Recht Informationen und Ideen weiterzugeben, wird als aktive Informationsfreiheit bezeichnet. Die aktive Informationsfreiheit lässt sich nur sehr schwer von der Meinungsäußerungsfreiheit abgrenzen.235 Eine solche Abgrenzung erscheint aber auch nicht erforderlich, da Eingriffe jedenfalls an den Schranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK zu messen sind.236 Von Bedeutung kann es indessen sein, ob eine Information oder Idee im Wege eines Massenkommunikationsmittels verbreitet wird. In diesem Fall werden aufgrund der den Medien zugeschriebenen „öffent­ lichen Wachhundfunktion“ besonders strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs gestellt.237 (1) Pflicht zur Regelung eines Gegendarstellungsrechts Ein aus Art. 10 Abs. 1 EMRK folgendes Recht auf Zugang von Privatpersonen zu den Massenmedien zwecks dortiger Verbreitung von Informationen und Meinungen wird, zumindest bezogen auf die Presse, allgemein abgelehnt.238 Ein gewisser Zugang zu den Massenkommunikationsmitteln könnte sich indessen aus einer Verpflichtung des Staates zur Regelung eines Gegendarstellungsrechts ergeben. Eine solche Verpflichtung könnte aus der Schutzpflichtdimension 234 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1099, Rn. 61. In diese Richtung weist auch ein Urteil des EGMR, welches eine staatliche Schutzpflicht dahingehend entwickelt, dass Journalisten nicht an der Verbreitung richtiger und objektiver Informationen gehindert werden dürfen. Siehe hierzu, EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 235 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 55 (15. Lieferung – Juni 2013). 236 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 55 (15. Lieferung – Juni 2013). 237 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 55 (15. Lieferung – Juni 2013). 238 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1089, Rn. 45; Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, Rn. 16; Meyer / Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 38; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 78 (15. Lieferung – Juni 2013).

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des Art. 10 EMRK herzuleiten sein.239 Das Gegendarstellungsrecht beinhaltet im Falle der Betroffenheit von medialer Berichterstattung die rechtliche Möglichkeit, sich mittels der konkret berichtenden Massenmedien gegen eine aus der Sicht des Betroffenen unzutreffende Berichterstattung zur Wehr zu setzten.240 Angesichts des Zwecks der Gegendarstellung, dem Persönlichkeitsschutz und nicht der freien Kommunikation Geltung zu verschaffen, wird die Ableitung eines Gegendarstellungsrechtes unmittelbar aus Art. 10 EMRK, welcher andere Schutzzwecke verfolgt, überzeugend abgelehnt.241 Gleichwohl hat der EGMR betont, dass dem Staat im Hinblick auf Art. 8 EMRK die Pflicht zukommt, die Persönlichkeitsrechte der von einer medialen Berichterstattung betroffenen Personen ausreichend zu schützen.242 Betrachtet man die potentiellen Gefährdungen, welche dem Persönlichkeitsrecht aus medialen Berichterstattungen erwachsen können, so erscheint es geboten, die aus Art. 8 EMRK erwachsenden Schutzpflichten auch auf die Verpflichtung zu einer gesetzlichen Verankerung des Gegendarstellungsrechts zu erstrecken.243 Die Verpflichtung zur Regelung eines Gegendarstellungsrechts aus der Schutzpflichtdimension des Art. 8 EMRK bezieht sich auf alle Erscheinungsformen der Massenmedien.244 Für den Bereich des Fernsehens ist die praktische Relevanz der Frage, ob unmittelbar aus der EMRK eine Verpflichtung zur Regelung eines Gegendarstellungsrechts herzuleiten ist, insofern reduziert, als bereits die AVMD-RL in ihrem Art. 28 die Mitgliedstaaten der EU zur Regelung eines Gegendarstellungsrechts verpflichtet. (2) Zugang zu Sendemöglichkeiten Problematisch ist, ob und ggf. in welchem Umfang Art. 10 Abs. 1 EMRK Zugang zu Sendemöglichkeiten im Rundfunkbereich verschafft. Teilweise wird angenommen, dass Art. 10 EMRK Privatpersonen grundsätzlich kein Recht auf Zugang zu

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Eine Herleitung aus Art. 10 EMRK scheint der EGMR in Betracht zu ziehen. Siehe hierz­ u, EGMR, Entscheidung vom 05.07.2005, Nr. 28743/03, The Law, 2. (Melnychuk / Ukraine). Ebenso Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1089, Rn. 46. 240 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 939, Rn. 46. 241 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 938 f., Rn. 46 (eine andere Auffassung wird in der aktuellen Auflage vertreten, in welcher das Gegendarstellungsrecht als Teil der von Art. 10 EMRK geschützen Meinungsfreiheit bezeichnet wird. Siehe Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1089, Rn. 46); Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 78 (15. Lieferung – Juni 2013); a. A. Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10 EMRK, Rn. 11. Dieser sieht das Gegendarstellungsrecht als von Art. 10 EMRK mit erfasst an. 242 EGMR, EuGRZ 2004, 404, 412, § 57 (Caroline von Hannover / Deutschland); Pabel /  Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 78 (15. Lieferung – Juni 2013). 243 Frowein / Peukert-Frowein, Art.  10, Rn.  16; Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 939, Rn. 46 (a. A. in aktueller Auflage. Hier wird das Gegendarstellungsrecht Art. 10 EMRK entnommen). 244 Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, Rn. 22.

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Sendemöglichkeiten eröffnet.245 Dieser Auffassung kann entgegengehalten werden, dass der EGMR aus Art. 10 EMRK ein subjektiv-rechtliches Individualgrundrecht der Rundfunkfreiheit entwickelt hat.246 Dieses Individualgrundrecht kann aber ohne die Nutzung der zur Rundfunkübertragung notwendigen Infrastruktur überhaupt nicht in Anspruch genommen werden.247 Indem der EGMR ein staatliches Fernsehmonopol als Eingriff in das Recht zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen bezeichnet, erkennt er zugleich ein Individualrecht auf Zugang zu Sendemöglichkeiten an.248 Als weiterer Beleg für die Existenz des Individualrechts auf Rundfunkveranstaltung und damit auch auf die Inanspruchnahme von Sendemöglichkeiten kann die Forderung des EGMR angesehen werden, dass Eingriffe in diese Rechte, trotz der Existenz des Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK, gleichwohl den weiteren Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK (insb. Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft) genügen müssen.249 Das Individualrecht auf Zugang zu Sendemöglichkeiten darf indessen nicht in der Weise missverstanden werden, dass Jedermann berechtigt ist, seine Informationen und Meinungen über das Medieneigentum Dritter zu verbreiten. Sofern sich ein Medium in der Verfügungsgewalt Privater befindet, kann grundsätzlich ein Recht zur Nutzung dieses Mediums bereits aufgrund des damit einhergehenden Konflikts mit der Meinungsfreiheit des verfügungsberechtigten Unternehmers nicht hergeleitet werden.250 In Betracht kommt allenfalls die staatliche Anordnung von Übertragungspflichten aus Gründen der Medienvielfaltsicherung (vgl. Art. 31 Abs. 1 UDRL). Der Schutzgehalt des Art. 10 EMRK, welchem diese sekundärrechtlich verankerte Eingriffsmöglichkeit zugrunde liegt, ist jedoch vielmehr dieser des umfassenden Informationsanspruchs der Öffentlichkeit und nicht dieser eines subjektiven Rechts auf Zugang zu Sendemöglichkeiten seitens der Rundfunk­ veranstalter. Auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Medienanbietern lässt sich im Grundsatz ein individueller Anspruch auf die Gewährung von Sendezeit nicht begründen.251 Haben indessen öffentlich-rechtliche Medien Privatpersonen Sendezeit eingeräumt, so sind diese gegenüber anderen Privatpersonen, welche ebenfalls Sendezeit be­ gehren, zur Gleichbehandlung verpflichtet, sodass ausnahmsweise Sendezeitan-

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Meyer / Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 11. Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 94 (15. Lieferung – Juni 2013). 247 Folglich sieht der EGMR es auch als Eingriff in Art. 10 EMRK an, wenn zwar eine Rundfunkzulassung erteilt wurde, von dieser aber wegen der Nichtzuteilung von Sendefrequenzen überhaupt kein praktischer Gebrauch gemacht werden kann. Siehe EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 138 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 248 EGMR, EuGRZ 1994, 549, § 27 (Informationsverein Lentia u. a. Österreich); Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, Rn. 19. 249 EGMR, EuGRZ 1990, 255, 257, § 61 (Groppera Radio AG u. a. / Schweiz); Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, Rn. 20. 250 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1089, Rn. 45. 251 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1089, Rn. 45. 246

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sprüche aus Art. 10 EMRK (ggf. i. V. m. Art. 14 EMRK) in Betracht gezogen werden können.252 Besonderheiten gelten auch in Zeiten des Wahlkampfs. In dieser Phase wirkt Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls (ZP) der EMRK auf die Auslegung des Art. 10 EMRK ein.253 Art. 3 des 1. ZP der EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten dazu, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen ab­ zuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten. Die Freiheit der Wahl und die Freiheit der Meinungsäußerung sind Grundpfeiler eines demokratischen Systems und stehen in Wechselbeziehung zueinander.254 Sie können jedoch auch mitein­ander in Konflikt geraten.255 Ein solcher Konflikt kann etwa dann bestehen, wenn ein Rundfunkveranstalter dazu verpflichtet werden soll, Wahlwerbung im Vorfeld einer Wahl zu senden. In diesem Falle kann die sog. negative Meinungsäußerungsfreiheit des Rundfunkveranstalters betroffen sein. Diese schützt ihn u. a. davor, Meinungen äußern zu müssen oder sich Äußerungen in den Mund legen zu lassen.256 Ungeachtet der Problematik des Schutzumfangs eines teilweise in Zweifel gezogenen Rechts auf negative Meinungsfreiheit dürfte jedenfalls feststehen, dass Art. 10 EMRK Medienanbieter davor schützt, fremde Meinungen wiedergeben zu müssen. Jedenfalls kommt grundsätzlich dem Medieneigentümer das Recht zu, festzulegen, welche Inhalte über sein Medium verbreitet werden. Bei der Auflösung des Konflikts zwischen der Freiheit der Wahl und der Freiheit der Meinungsäußerung kann es notwendig sein, die Freiheit der Meinungsäußerung im zeitlichen Umfeld von Wahlen zu Gunsten der Freiheit der Wahl in höherem Maße zu beschränken, als dies in sonstigen Zeiten zulässig wäre.257 Im Hinblick auf den herzustellenden Ausgleich zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und der Freiheit der Wahl wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zuerkannt.258 Der Ermessensspielraum ist in Bezug auf die Regelung politischer Werbung in den Medien deshalb besonderes groß, da auf diesem Gebiet kein europäischer Konsens besteht.259 Gleichwohl kann dieser Ermessensspielraum nach 252 EKMR, Entscheidung v. 01.03.1982, Nr. 9297/81, THE LAW, 2. (X Association / Schweden); Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1089, Rn. 45. 253 EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 41 (Bowman / Vereinigtes Königreich); Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 48. 254 EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 42 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 255 EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 43 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 256 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 937, Rn. 44 (In der aktuellen Auflage wird es nunmehr als problematisch angesehen, ob die negative Meinungsfreiheit überhaupt von Art. 10 EMRK geschützt ist. Siehe Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1084, Rn. 39); Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 99, Rn. 17. 257 EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 43 (Bowman / Vereinigtes Königreich); Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 48. 258 EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 62 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 43 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 259 EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 67 (TV Vest u. a. / Norwegen).

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Auffassung des EGMR überschritten sein, wenn einer kleinen Partei, welcher im Übrigen wenig mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird, durch ein Verbot politischer Fernsehwerbung die Möglichkeit genommen wird, sich einem breiteren Publikum bekannt zu machen.260 Das generelle Verbot politischer Werbung im Rundfunk wird verbreitet als nicht mit Art. 10 EMRK vereinbar angesehen.261 Demgegenüber macht der EGMR deutlich, dass er die Erwägungen der Staaten, die ein solches Verbot regeln, im Grundsatz für berechtigte Gründe hält.262 Diese Auffassung des EGMR manifestiert sich insbesondere in einer Großbritannien betreffenden Entscheidung, welche das dort geltende generelle Verbot politischer Rundfunkwerbung für mit Art. 10 EMRK vereinbar erklärt hat.263 Angesichts der erheblichen Regelungsunterschiede bezüglich politischer Rundfunkwerbung in den Konventionsstaaten und des damit einhergehenden erhöhten Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten kann ein Verbot derselben jedenfalls nicht schlechthin als mit Art. 10 EMRK unvereinbar angesehen werden. Vielmehr ist mit dem EGMR auch die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass finanzstarke Gruppen mittels entgeltlicher politischer Werbung die Medien über finanzielle Zuwendungen beeinflussen und mithin ihre redaktionelle Unabhängigkeit gefährden können.264 Insofern wird es darauf ankommen, ein konkretes Werbeverbot unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der jeweiligen gesetzlichen Regelung des betreffenden Konventionsstaats auf seine Vereinbarkeit mit Art. 10 EMRK zu überprüfen. Die bisherige Rechtsprechung des EGMR zu der Frage, inwieweit Privatpersonen und insb. Parteien Zugang zu Sendemöglichkeiten zu gewähren ist, bezog sich indessen stets auf den Fall, dass eine bereits gegen Entgelt vereinbarte Ausstrahlung aufgrund eines gesetzlich angeordneten Verbots verhindert werden sollte. Eine andere Frage ist, ob Rundfunkveranstalter auch gegen ihren Willen dazu verpflichtet sein können, politischen Parteien vor Wahlen Sendezeiten einzuräumen. Der EGMR hat zwar betont, dass der freien Zirkulation von Meinungen und Informationen gerade im Vorfeld von Wahlen besondere Bedeutung zukommt.265 Diese Erkenntnis könnte die Verpflichtung nahelegen, dass Rundfunkveranstalter in Zeiten des Wahlkampfes ausnahmsweise verpflichtet sind, den an den Wahlen teilnehmenden Parteien Sendezeiten für Wahlwerbung einzuräumen. Tatsächlich haben einige europäische Länder nach ihrem innerstaatlichen Recht solche Sende­ zeiten eingeräumt.266 Andererseits wird das Zugangsrecht von Parteien zu Sendezeiten im Rundfunk sehr unterschiedlich geregelt.267 Es muss in den Blick genommen 260

EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 73 (TV Vest u. a. / Norwegen). Frowein / Peukert-Frowein, Art.  10, Rn.  23; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 99 (15. Lieferung – Juni 2013). Vgl. vertiefend hierzu die ausführliche Erörterung der Problematik (unter D. II. 4. g)). 262 EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 70 (TV Vest u. a. / Norwegen). 263 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08 (Animal defenders / Vereinigtes Königreich). 264 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, § 75 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). 265 EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 42 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 266 Holznagel, S. 285 ff. 267 EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 67 (TV Vest u. a. / Norwegen). 261

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

werden, dass die Verpflichtung zur Einräumung von Sendezeiten zur Wahlwerbung einen erheblichen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit der Rundfunkveranstalter nach sich zieht. Ein Verzicht auf die Regelung eines Zugangsrechts kann allein schon angesichts der zersplitterten Rechtslage in den europäischen Staaten und des daraus resultierenden großen Gestaltungsspielraums der Konventionsstaaten nicht als konventionswidrig angesehen werden. So lässt sich ein Zugangsrecht zu Sendezeiten beispielsweise aus dem deutschen Verfassungsrecht nicht herleiten, sodass die gleichwohl gewährten Sendezeiten lediglich auf einfachgesetzlicher Grundlage basieren.268 Auch existieren keine europarechtlichen oder völkerrechtlichen Vorgaben, welche ein etwaiges Zugangsrecht statuieren.269 Es ist ebenso wenig ersichtlich, dass die Regelung des Art. 2 EUV, welche lediglich den Bestand gemeinsamer europäischer Überzeugungen rechtlich absichern soll, die nationalen Verfassungsordnungen im Hinblick auf diese Detailfrage zu überlagern imstande wäre. Ein Zugangsrecht kann sich damit aus der EMRK allenfalls gegenüber öffentlichen Medienanbietern und nur unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aus Art. 10 i. V. m. Art. 14 EMRK ergeben, wenn bereits anderen Parteien eine entsprechende Sendezeit eingeräumt wurde.270 bb) Passive Informationsfreiheit Die passive Informationsfreiheit i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK bezieht sich auf die Möglichkeit des Empfangs von Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen.271 Die passive Informationsfreiheit steht in einem Zusammenhang mit der Freiheit der Medien. So haben die Medien in Erfüllung ihrer „öffentlichen Wachhundfunktion“ nicht nur die Aufgabe Informationen von allgemeinem Interesse zu verbreiten, sondern die Öffentlichkeit hat auch ein Recht darauf, durch die Medien entsprechend informiert zu werden.272 Problematisch ist der Umfang der passiven Informationsfreiheit. Unzweifelhaft bezieht die passive Seite der Informationsfreiheit sich auf allgemein zugängliche Quellen.273 Anders als Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Hs. GG macht Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK 268

BVerfGE 47, 198, 237. In der vorgenannten Entscheidung wird herausgestellt, dass die Gewährung von Sendezeit freiwillig oder aufgrund von Rundfunkgesetzen, nicht jedoch aufgrund von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG erfolgt. Sie hierzu auch, Hahn / Vesting-Flechsig, § 42 RStV, Rn. 6. 269 Gersdorf / Paal-Cornils, § 42 RStV, Rn. 4 (16. Edition, Stand: 01.11.2015); Hahn / Vesting-Flechsig, § 42 RStV, Rn. 11. 270 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1089, Rn. 45; Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 38. 271 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 58 (15. Lieferung – Juni 2013). 272 Vgl. bezogen auf die Rolle der Presse, aber verallgemeinerungsfähig in Bezug alle Massenmedien, Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 67 (15. Lieferung – Juni 2013). 273 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1091, Rn. 50.

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das Recht der Informationsfreiheit jedoch zumindest dem Wortlaut nach nicht davon abhängig, dass die Quellen allgemein zugänglich sind.274 Es kommt somit in Betracht, dass sich aus Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK gegenüber dem Staat ein Recht zur Öffnung einer Informationsquelle ergibt. Die ältere Rechtsprechung des EGMR wurde in der Literatur weitgehend dahin gedeutet, dass der Staat grundsätzlich nicht verpflichtet ist, seiner Verfügungsgewalt unterstehende Informationsquellen allgemein zugänglich zu machen.275 Dabei bezog sich die in Bezug genommene Rechtsprechung des EGMR ausdrücklich nur auf die gegebenen Umstände des vorliegenden Falles.276 Auch wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass das vom EGMR entwickelte Informationsrecht der Bürger völlig leerliefe, wenn der Staat aus Art. 10 Abs. 1 EMRK nicht verpflichtet wäre, ein offenes Informationssystem einzurichten.277 Die neuere Rechtsprechung des EGMR stellt den Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Informationen und dem Recht auf freie Meinungsäußerung heraus.278 Die Verweigerung des Informationszugangs und die damit einhergehende Beeinträchtigung der Meinungsäußerungsfreiheit muss sich folglich an den Schranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK messen lassen.279 Durch diese Rechtsprechung werden zwar die Grenzen zwischen der Informationsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit teilweise aufgelöst. Auf der anderen Seite kann eine freie Meinungsbildung und -äußerung nur auf der Grundlage umfassender und zutreffender Information erfolgen. Auch eine funktionsgerechte Aufgabenerfüllung der Massenmedien setzt insbesondere in Bezug auf behördlich verfügbare Informationen einen weitreichenden Informationszugang voraus. Dies hat der EGMR jüngst auch dadurch zum Ausdruck gebracht, indem er die Sammlung von Informationen als einen der Presse- bzw. Medienfreiheit innewohnenden und von ihr geschützten Teilaspekt herausgestellt hat.280 Die Rechtsprechung, welche den Zusammenhang aller in Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährten Freiheiten betont, fügt sich in die seit jeher vom EGMR vertretene Auffassung ein, wonach sämtliche Gewährleistungen der EMRK als ein sich gegenseitig beeinflussendes Ganzes anzusehen sind.281 Beeinträchtigt die Verweigerung des Informationszugangs zugleich auch die Meinungsund Medienfreiheit, so erscheint es unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Meinungs- und Inforamtionsfreiheit folgerichtig, die Schranke des Art. 10 Abs. 2 EMRK grundsätzlich auch schon in Bezug auf die der Informationsverbreitung vorgelagert Frage des Informationszugangs zur Anwendung zu bringen. Sofern die Auffassung vertreten wird, dass die Verweigerung der Öffnung einer in 274

Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1091, Rn. 50. Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1091 f., Rn. 50; Frowein-Peukert-Frowein, Art. 10, S.  348, Paschke / Berlit / Meyer-Schulz, S. 100 f., Rn. 23. 276 EGMR, Urt. v. 07.07.1989, Nr. 10454/83, § 52 (Gaskin / Vereinigtes Königreich); EGMR, Urt. v. 26.03.1987, Nr. 9248/81, § 74 (Leander / Schweden). 277 Frowein-Peukert-Frowein, Art. 10, S. 348. 278 EGMR, Urt. v. 26.05.2009, Nr. 31475/05, § 43 (Kenedi / Ungarn). 279 EGMR, Urt. v. 26.05.2009, Nr. 31475/05, § 43 (Kenedi / Ungarn). 280 EGMR, Urt. v. 27.06.2017, Nr. 931/13, § 128 (Satakunnan Markkinapörssi u. a. / Finnland). 281 EGMR, NJW 1977, 487, § 52 (Sexualkunde-Fall). 275

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

staatlicher Verfügungsgewalt befindlichen Quelle stets an den Schranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK gemessen werden muss, so folgt daraus zugleich ein grundsätzliches Recht auf Zugang zu staatlichen Dokumenten.282 Andererseits macht der EGMR auch in seiner jüngsten Rechtsprechung weiterhin deutlich, dass es in jedem Einzelfall einer gesonderten Beurteilung der Frage bedarf, ob die konkrete Verweigerung des Informationszugangs als Eingriff in die Rechte des Art. 10 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren ist und ob aus der fehlenden Rechtfertigungsfähigkeit eines angenommenen Eingriffs zudem ein Informationsanspruch folgen kann.283 Der EGMR hat sich jüngst um eine Klarstellung der Kriterien, welche für die Beurteilung der Frage, in welchen Fällen ein Anspruch auf Informationszugang aus Art. 10 Abs. 1 EMRK bestehen kann, bemüht.284 Als solche Kriterien sind der Zweck des Auskunftsbegehrens, die Natur der begehrten Information, die Frage in welcher Rolle die anfragende Person ihr Begehren stellt und die Verfügbarkeit der Information von Bedeutung.285 In Bezug auf das Kriterium der Verfügbarkeit der Information stellt der EGMR heraus, dass der Staat aus Art. 10 EMRK nicht verpflichtet ist, auf Antrag der informationsbegehrenden Person Informationen zu sammeln und diese zu verbreiten.286 Dies gilt vor allem dann, wenn die Sammlung von Informationen mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden wäre. Angesichts der herausragenden Bedeutung eines freien Informationsflusses für eine demokratische Gesellschaft sollten gerade in Bezug auf die Recherchetätigkeit einer Person, welche die recherchierten Informationen einer breiten und interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen möchte, strenge Anforderungen an die Rechtfertigung einer den Zugang verwehrenden hoheitlichen Entscheidung gestellt werden. Dieser Grundsatz sollte zumindest dann Geltung beanspruchen, wenn es sich um ein Informationsbegehren handelt, welches sich auf das berechtigte Informationsinteresse einer breiten Öffentlichkeit bezieht. Anderenfalls wäre es den Medien nicht in ausreichendem Umfang möglich, die Öffentlichkeit umfassend über Geschehnisse und Missstände im Bereich staatlicher Aktivitäten aufzuklären. Zudem ist im internationalen Menschenrechtsschutz eine Tendenz erkennbar, den Gehalt der völkerrechtlich geschützten Meinungsfreiheit auf den Schutzgehalt eines Informationsanspruches gegenüber staatlichen Stellen auszudehnen.287

282

In diese Richtung Richtung argumentierend, Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 63 (15. Lieferung – Juni 2013). 283 EGMR, Urt. v. 08.11.2016, Nr. 18030/11, § 157 (Magyar Helsinki Bizottsag / Ungarn). 284 EGMR, Urt. v. 08.11.2016, Nr. 18030/11, § 158 ff. (Magyar Helsinki Bizottsag / Ungarn). 285 Haug, AfP 2017, 139, 140. 286 Haug, AfP 2017, 139 f.; ders., AfP 2017, 212. 287 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1092, Rn. 50. Dass das Recht auf Informationszugang gegenüber dem Staat innnerhalb und außerhalb Europas auf einen breiten Konsens stößt, hat auch der EGMR herausgestellt. Siehe hierzu, EGMR, Urt. v. 08.11.2016, Nr. 18030/11, § 139 ff. (Magyar Helsinki Bizottsag / Ungarn).

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e) Weitere Grundlagen von Demokratie und Medienvielfalt aa) Versammlungsfreiheit Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EMRK garantiert das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln. Der Begriff der Versammlung wurde durch den EGMR bisher nicht definiert.288 Er hat den Schutzzweck der Versammlungsfreiheit jedoch zumindest insoweit beschrieben, als es Zweck der Veranstaltung sein muss, gemeinsam Meinungen und Interessen zu vertreten.289 Die Versammlungsfreiheit ist von der ehemaligen EKMR ebenso wie die Meinungsfreiheit als ein für die demokratische Gesellschaft fundamentales Recht bezeichnet worden.290 Diese herausragende Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft legt eine weite Auslegung des Versammlungsbegriffs nahe.291 In räumlicher Hinsicht bezieht sich das Recht der Versammlungsfreiheit auf privaten als auch auf öffentlichen Grund.292 Nicht erfasst sind virtuelle Versammlungen im Internet.293 Ein solches Verhalten kann aber in den Schutzbereich der Artikel 8 oder 10 EMRK fallen.294 Das Recht der Versammlungsfreiheit kann nicht nur von den einzelnen Teilnehmern, sondern zudem von Veranstaltern, welche auch juristische Personen sein können, in Anspruch genommen werden.295 Um der Versammlungsfreiheit einen umfassenden Schutz zu verschaffen, dürfen an das für den Schutz der Veranstaltung konstitutive Merkmal der Friedlichkeit keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Im Rahmen der Versammlung geäußerte Meinungen, welche aufgrund ihres Inhalts aller Voraussicht nach Gegendemonstrationen heraufbeschwören werden, können aufgrund des grundsätzlich zu respektierenden vielfältigen Meinungsspektrums nicht dazu herangezogen werden, um die Veranstaltung als unfriedlich zu bewerten.296 Werden durch Versammlungen Gegendemonstrationen ausgelöst, so kommt dem Staat vielmehr die Pflicht zu, die Ausgangsversammlung insoweit zu schützen, als die Versammlungsteilnehmer nicht aus begründeter Sorge vor Gewalt durch Gegendemonstranten von ihrer Versammlungsabsicht abgehalten werden.297 Indessen können im Rahmen der Versammlung geäußerte Meinungen, welche eine ablehnende Haltung gegenüber demokratischen Prinzipien zum Ausdruck bringen, 288

Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S.  1175, Rn.  23; Frowein / Peukert-Frowein, Art. 11, Rn. 2. EGMR, EuGRZ 1989, 522, 524, § 32 (Plattform „Ärzte für das Leben“/Österreich); Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1175, Rn. 23. 290 EKMR, EuGRZ 1980, 36, § 3 (Rassemblement jurassien / Schweiz). 291 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 11, Rn. 6. 292 EKMR, EuGRZ 1980, 36, § 3 (Rassemblement jurassien / Schweiz); Frowein / Peukert-Frowein, Art. 11, Rn. 3. 293 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1175, Rn. 25. 294 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1176, Rn. 25. 295 EKMR, EuGRZ 1981, 216, 217, § 4 (Christians against Racism and Facism / Vereinigtes Königreich). 296 EGMR, Urt. v. 02.10.2001, 29221/95 u. 29225/95, § 86 (Stankov u. a. / Bulgarien); Dörr /  Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1184, Rn. 42. 297 EGMR, EuGRZ 1989, 522, 524, § 32 (Plattform „Ärzte für das Leben“/Österreich). 289

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als Indiz für eine unfriedliche Versammlung herangezogen werden.298 Andererseits reicht auch in dieser Hinsicht die Gefahr, dass Extremisten, welche nicht mit dem Veranstalter in Verbindung stehen aber sich der Versammlung anschließen könnten, nicht aus, um die Veranstaltung dem Schutzbereich des Art. 11 EMRK zu entziehen.299 Das Merkmal der Unfriedlichkeit setzt bezogen auf die gesamte Veranstaltung vielmehr voraus, dass die beabsichtigte gewaltsame Durchsetzung politischer Ziele dem Verantwortungsbereich der Veranstalter bzw. Organisatoren zuzuordnen ist.300 Einem friedlichen Teilnehmer einer Versammlung können jedenfalls nicht gewaltsame Ereignisse am Rande einer Versammlung zugerechnet werden.301 Unter Berücksichtigung der herausragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft müssen strenge Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen gestellt werden. Die Auffassung der ehemaligen EKMR, dass formelle Anzeige- und Genehmigungsverfahren keine Eingriffe in Art. 11 Abs. 1 EMRK darstellen, dürfte mittlerweile als überholt anzusehen sein.302 Ungeachtet der Frage, ob bereits Anzeige- und Genehmigungspflichten als solche rechtfertigungsbedürftig sind, ist jedenfalls die Nichterteilung einer Erlaubnis ebenso wie ein Verbot als schwerwiegender Eingriff anzusehen.303 Ein Versammlungsverbot wegen fehlender Anzeige bzw. Genehmigung kann die vom EGMR anerkannte Möglichkeit der Spontanversammlung vereiteln und wird somit in Fällen der unmittelbaren Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 11 EMRK.304 Ein Versammlungsverbot wegen Nichtanmeldung nimmt insbesondere dann den Charakter einer sinnentleerten Formvorschrift an, wenn die zuständigen Behörden ohnehin Kenntnis von der Durchführung der Veranstaltung hatten.305 Im Übrigen ist im Rahmen der verhältnismäßigen Abwägung mit den in Art. 11 Abs. 2 EMRK abschließend genannten und eng auszulegenden Einschränkungszielen die herausragende Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine demokratische 298 EGMR, Urt. v. 02.10.2001, Nr. 29221/95 u. Nr. 29225/95, § 90 (Stankov u. a. / Bulgarien); Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1184, Rn. 42. 299 EGMR, Urt. v. 12.06.2014, Nr. 17391/06, § 155 (Primov u. a. / Russland); EKMR, EuGRZ 1981, 216, 217, § 4 (Christians against Racism and Facism / Vereinigtes Königreich); Frowein /  Peukert-Frowein, Art.  11, Rn.  4; Meyer-Ladewig / Nettesheim / von Raumer-Daibler, Art. 11, Rn. 5. 300 Frowein / Peukert-Frowein, Art. 11, Rn. 4. 301 Frowein / Peukert-Frowein, Art. 11, Rn. 4. 302 Zur ursprünglichen Auffassung der EKMR siehe, EKMR, EuGRZ 1980, 36, § 2 (Rassemblement jurassien / Schweiz). Nunmehr überzeugend, Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 11, Rn. 7. Gleichwohl ist anzumerken, dass der EGMR die Auffassung vertritt, dass Genehmigungs- bzw. Anzeigepflichten nicht stets Eingriffe in das Wesen der Versammlungsfreiheit darstellen oder deren Geist widersprechen. Siehe hierzu, EGMR, Urt. v. 07.10.2008, Nr. 10346/05, § 35 (Eva Molnar / Ungarn). 303 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1195, Rn. 62. 304 EGMR, Urt. v. 07.10.2008, Nr. 10346/05, § 36 (Eva Molnar / Ungarn); Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1203 f., Rn. 76; Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 11, Rn. 9. 305 EGMR, NVwZ 2010, 1139, 1140, § 45 (Barraco / Frankreich).

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Gesellschaft als Schranken-Schranke zu berücksichtigen.306 Besonders strenge Anforderungen sind an das Einschränkungsziel der „Rechte und Freiheiten anderer“ zu stellen, da Versammlungen im öffentlichen Raum regelmäßig mit solchen Beeinträchtigungen einhergehen.307 Die Abgrenzung der Versammlungsfreiheit von der Meinungsäußerungsfreiheit bereitet dann Probleme, wenn Meinungen im Rahmen einer Versammlung ge­äußert werden.308 Teilweise wird angenommen, dass auf Versammlungen geäußerte Meinungen dem Schutz des Art. 10 EMRK unterfallen.309 Ebenso käme es in Betracht, Art. 11 EMRK immer dann als die speziellere Vorschrift anzusehen, wenn es um kollektive Formen der Meinungsäußerung geht.310 Der Frage nach der Abgrenzung von Art. 11 und Art. 10 EMRK kommt indessen eine geringe praktische Relevanz zu, wenn man berücksichtigt, dass beide Rechte eng miteinander verbunden sind.311 So ist es ein wesentliches Ziel des Art. 11 EMRK, dass persönliche Meinungen geschützt und frei zum Ausdruck gebracht werden können.312 Insofern müssen Eingriffe in Art. 11 EMRK auch im Lichte des Art. 10 EMRK ausgelegt werden.313 Sowohl die Meinungsäußerungsfreiheit als auch die sie unterstützende Versammlungsfreiheit sind unverzichtbare Elemente einer demokratischen Gesellschaft.314 Daraus folgt, dass Einschränkungen sowohl der Versammlungs- als auch der Meinungsäußerungsfreiheit gerade dann, wenn Themen von öffentlichem Interesse erörtert werden sollen, nur in sehr engen Grenzen möglich sind.315 Dies gilt unabhängig davon, ob die Schrankenregelung des Art. 11 Abs. 2 EMRK oder des Art. 10 Abs. 2 EMRK zur Anwendung gebracht wird. Damit kann die schwierige Abgrenzungsfrage, welches Grundrecht im Falle einer im Rahmen einer Versammlung getätigten Meinungsäußerung betroffen ist, regelmäßig offen gelassen werden. Alternativ könnten auch beide Rechte parallel zur Anwendung gebracht werden. Ein solches pragmatisches Vorgehen ist teilweise der Rechtsprechung des EGMR zu entnehmen.316

306

Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1203 f., Rn. 76 f. EGMR, NVwZ 2010, 1139, 1140, § 43 (Barraco / Frankreich), Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1205, Rn. 77. 308 Siehe dazu, Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1228, Rn. 122. 309 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 11, Rn. 36. 310 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1228, Rn. 122. 311 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1227 f., Rn. 122; Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 10, Rn. 77. 312 EGMR, ÖJZ 2007, 79, 80, § 38 (Öllinger / Österreich); EGMR, NJW 1996, 375, 378, § 64 (Vogt / Deutschland). 313 EGMR, ÖJZ 2007, 79, 80, § 38 (Öllinger / Österreich). 314 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 11, Rn. 1. 315 EGMR, ÖJZ 2007, 79, 80, § 38 (Öllinger / Österreich). 316 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1228, Rn. 122. 307

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bb) Vereinigungsfreiheit und Schutz politischer Parteien (1) Bezug der Vereinigungsfreiheit zu Art. 10 EMRK Ebenso wie die Versammlungsfreiheit stellt auch die in Art. 11 Abs. 1 2. Alt. EMRK garantierte Vereinigungsfreiheit ein Mittel zur Verwirklichung des Schutzes von Meinungen dar.317 Sie ist damit ebenso wie die Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit notwendige Bedingung einer demokratischen Gesellschaft.318 Inhaltlich umfasst die Vereinigungsfreiheit das Recht, sich freiwillig mit anderen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks zusammenzuschließen.319 Anders als eine Versammlung muss der Zusammenschluss auf eine gewisse Dauer angelegt sein.320 Noch nicht eindeutig geklärt ist die Frage, ob die Vereinigungsfreiheit sich auch auf solche Zusammenschlüsse bezieht, welche einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen.321 Jedenfalls lässt die Rechtsprechung des EGMR solchen Vereinigungen eine besondere Bedeutung zukommen, deren Tätigkeit einen Bezug zu Art. 10 EMRK aufweist. So bezeichnet er den Schutz persönlicher Meinungen als einen Zweck der Vereinigungsfreiheit.322 Aus diesem Grunde müsse die Vereinigungsfreiheit im Lichte des Art. 10 EMRK ausgelegt werden.323 Ähnlich wie die Versammlungsfreiheit schützt die Vereinigungsfreiheit die besondere Modalität der Meinungsäußerung als organisierte Kundgabe durch eine Mehrheit von Per­sonen.324 Eine Auslegung im Lichte des Art. 10 EMRK kommt sinnvoller Weise aber nur dann in Betracht, wenn es zumindest auch ein Zweck der Vereinigung ist, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Gerade dann, wenn Vereinigungen aus dem Motiv der Einwirkung auf die Meinungsbildung heraus gegründet und aktiv werden, kommt ihnen eine herausragende Bedeutung für die Demokratie zu.325 Andererseits unterstreicht der EGMR, dass u. a. auch solche Vereinigungen, welche lediglich einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, wichtig für die Demokratie sind.326 Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch kommerziell motivierte Werbung regelmäßig eine menschenrechtlich relevante Meinungsäußerung darstellt und somit in den Schutzbereich des Art. 10 EMRK einzubeziehen ist.327

317

EGMR, NJW 1996, 375, 378, § 64 (Vogt / Deutschland). Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 11, Rn. 1. 319 Frowein / Peukert-Frowein, Art. 11, Rn. 8. 320 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1187, Rn. 49. 321 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1186 f., Rn. 47. 322 EGMR, NJW 1996, 375, 378, § 64 (Vogt / Deutschland); EGMR, NJW 1982, 2717, 2718, § 57 (Young, James und Webster). 323 EGMR, NJW 1982, 2717, 2718, § 57 (Young, James und Webster). 324 Pabel, ZaöRV 63 (2003), 921, 923. 325 Meyer-Ladewig, 3. Auflage, Art. 11, Rn. 1. 326 EGMR, NVwZ 2006, 65, 68, § 92 (Gorzelik u. a. / Polen). 327 EGMR, Urt. v. 19.02.2015, Nr. 53495/09, § 46 (Bohlen / Deutschland); Gersdorf / Paal-Cornils, Art. 10 EMRK, Rn. 16 (17. Edition, Stand: 01.05.2016); Uwer, S. 89 f. 318

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Schließlich macht der EGMR deutlich, dass die Teilnahme am demokratischen Prozess in einer gut funktionierenden Gesellschaft durch die gemeinsame Inte­ ressenverfolgung in einer Vereinigung erfolgt.328 Insofern ist die Vereinigungsfreiheit bereits für sich genommen ein unverzichtbares Element einer demokratischen Gesellschaft. Der EGMR formuliert prägnant, dass die Art und Weise, wie der Staat die Möglichkeit Vereinigungen zu bilden regelt und diese Möglichkeit durch seine Behörden praktisch umsetzt, den Zustand der Demokratie des betreffenden Staates widerspiegelt.329 (2) Besonderer Schutz demokratischer politischer Parteien Die EMRK hält keine dem Art. 21 GG vergleichbare Bestimmung zur Bedeutung und zum Schutz der politischen Parteien bereit.330 Auch auf der Ebene der EU ist die demokratische Funktion politischer Parteien insbesondere in Art. 10 Abs. 4 EUV und Art. 12 Abs. 2 GrCh ausdrücklich normiert. Jedoch bezieht sich der Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften ausschließlich auf sog. europäische politische Parteien, deren Aktionsfeld nicht die mitgliedstaatliche Ebene, sondern diese der Union sein muss.331 Die eigenständige Bedeutung des Art. 12 Abs. 2 GrCh ist im Hinblick auf den Schutz politischer Parteien auch deshalb gering, da im Falle eines europäischen Parteienverbotsverfahrens ohnehin maßgeblich die vom EGMR entwickelten Grundsätze zugrunde gelegt werden müssten.332 Im Regelungskomplex der EMRK unterfallen politische Parteien dem Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit i. S. d. Art. 11 EMRK.333 Ihnen kommt nach der Recht­ sprechung des EGMR eine wesentliche Rolle im Hinblick auf die Gewährleistung von Pluralismus und Demokratie zu.334 Aufgrund dessen genießen politische Parteien, zumindest gegenüber solchen Vereinigungen, welche lediglich wirtschaftliche Zwecke verfolgen, ein erhöhtes Schutzniveau. Sie unterscheiden sich aber auch von anderen politischen Organisationen dadurch, dass sie potentiell in der Lage sind, ihren umfassenden gesellschaftlichen Entwurf in Regierungsverantwortung praktisch umzusetzen.335 Der EGMR betrachtet die Tätigkeit der Parteien als wesentlich für das ordnungsgemäße Funktionieren einer Demokratie, sodass Eingriffe nicht nur die Vereinigungsfreiheit sondern auch die Demokratie als solche berühren.336 Aus diesem Grund sind die 328

EGMR, NVwZ 2006, 65, 68, § 92 (Gorzelik u. a. / Polen). EGMR, NJW 2008, 495, 496, § 73 (Scientoligy Kirche Moskau / Russland). 330 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1214, Rn. 95. 331 Calliess / Ruffert-Ruffert, Art.  10 EUV, Rn.  20; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Nettesheim, Art. 10 EUV, Rn. 111 (EL 55: Januar 2015). 332 Calliess / Ruffert-Ruffert, Art. 12 GrCh, Rn. 17. 333 Frowein / Peukert-Frowein, Art. 10, Rn. 9; Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1214, Rn. 95. 334 EGMR, NVwZ 2006, 65, 68, § 92 (Gorzelik u. a. / Polen). 335 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 87 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 336 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 87 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 329

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

gem. Art. 11 Abs. 2 EMRK bestehenden Einschränkungsmöglichkeiten bei politischen Parteien eng auszulegen und vermögen Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit der Parteien nur durch überzeugende und zwingende Gründe zu rechtfertigen.337 Der nationale Beurteilungsspielraum der Konventionsstaaten ist dabei aufgrund der wesentlichen Bedeutung der Vereinigungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft i. S. d. EMRK stark eingeschränkt.338 Die Anforderungen an ein konventionsgemäßes Parteiverbot sind mithin als hoch zu bewerten.339 Um den Schutz der Vereinigungsfreiheit genießen zu können, müssen die Parteien indessen die wesentlichen Strukturmerkmale einer Demokratie achten.340 Als wesentliches Strukturmerkmal der Demokratie gilt insbesondere die Anerkennung der Meinungsfreiheit in dem Sinne, dass selbst schwierige politische Probleme in einem gewaltfreien und offenen Diskurs zu lösen sind.341 Im Hinblick auf die Bandbreite der durch die Parteien vertretenen politischen Positionen ist dem Staat grundsätzlich eine große Toleranz auferlegt. So ist es den Parteien grundsätzlich gestattet, auch für eine Änderung der verfassungsrechtlichen Strukturen eines Staates einzutreten.342 Der Änderung der Verfassungsstruktur sind indessen auch Grenzen gesetzt. So muss eine Partei, um dem Schutz des der Vereinigungsfreiheit in Anspruch nehmen zu können, davon Abstand nehmen, zur Verfolgung ihrer Ziele zu Gewalt aufzurufen.343 Weiterhin muss die Partei die Demokratie als solche und die zu ihrer Verwirklichung anzuerkennenden Rechte achten.344 Im Hinblick auf die zu achtende Demokratie ist wesentlich, dass es nach Auffassung des EGMR ohne Pluralismus keine Demokratie geben kann.345 Die Achtung der Demokratie setzt damit voraus, dass die sich in einer freien Gesellschaft entwickelnde Vielfalt an Meinungen und der sie vermittelnden Medien akzeptiert und im Falle der Medienvielfalt u. U. sogar gefördert werden muss. Der zu achtende Pluralismus bezieht sich indessen nicht nur auf Meinungen im Sinne von Werturteilen zu einzelnen Sachthemen, sondern ist in einem umfassenderen Sinne zu verstehen. Gerade auch die in Art. 9 EMRK verankerte Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit muss als wesentliches Element einer demokratischen Gesellschaft angesehen werden.346 Der EGMR stellt einen Zusammenhang zwischen Art. 9 EMRK und Art. 11 EMRK 337

EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, § 100 (Refah Partisi u. a. / Türkei). EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, § 100 (Refah Partisi u. a. / Türkei); Pabel, ZaöRV 63 (2003), 921, 930. 339 Pabel, ZaöRV 63 (2003), 921, 929 f. 340 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1218 f., Rn. 104; Pabel, ZaöRV 63 (2003), 921, 930. 341 EGMR, Urt. v. 30.01.1998, Nr. 19392/92, § 57 (Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei u. a. / Türkei); Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1219, Rn. 104. 342 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, § 98 (Refah Partisi u. a. / Türkei); Pabel, ZaöRV 63 (2003), 921, 930. 343 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, § 98 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 344 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, § 98 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 345 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 89 (Refah Partisi u. a. / Türkei); Kugelmann, EuGRZ 2003, 533, 542. 346 EGMR, NVwZ 2009, 509, 510, § 61 (Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u. a. /  Österreich); Frowein / Peukert-Frowein, Art. 9, Rn. 1. 338

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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dadurch her, indem er darauf hinweist, dass die individuelle Religionsfreiheit auch das Recht umfasst, diese gemeinsam mit anderen zu bekennen.347 Da Religions­ gemeinschaften regelmäßig organisierte Strukturen ausbilden, ist Art. 9 EMRK nach Auffassung des EGMR im Lichte des Art. 11 EMRK auszulegen, zumal die Vereinigungsfreiheit dasjenige Menschenrecht darstellt, welches das Leben in Gemeinschaften gegen ungerechtfertigte staatliche Eingriffe schützt.348 Das unabhängige Bestehen von Religionsgemeinschaften bezeichnet der EGMR als unverzichtbar für die Verwirklichung des Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft.349 Somit werden auf Verfassungsänderungen gerichtete Aktivitäten der Parteien nur dann den Schutz der Vereinigungsfreiheit genießen können, wenn sie die Vielfalt an religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in einer Gesellschaft respektieren. Indessen kann die Religionsfreiheit gerade in solchen Staaten, in welchen mehrere Religionen nebeneinander bestehen, Einschränkungen unterworfen werden, um einen Interessenausgleich herbeizuführen und dafür zu sorgen, dass die jeweils andere Überzeugung ebenfalls geachtet wird.350 Dem Staat, welcher sich selbst in religiöser Hinsicht neutral und unparteiisch zu verhalten hat, wächst dabei die Aufgabe zu, dafür Sorge zu tragen, dass sich die verschiedenen religiösen Gruppen tolerieren.351 Er muss in seiner neutralen Rolle die Bedingungen dafür schaffen, dass die Möglichkeit der Wahrnehmung der Religionsfreiheit ge­währleistet ist.352 Die staatliche Machtausübung darf weder religiös motiviert sein, noch darf es einer Religion gestattet werden, den staatlichen Machtapparat zu vereinnahmen.353 Den Parteien kann hingegen selbstredend keine Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Fragen auferlegt werden. Sie müssen indessen ein Mindestmaß an Toleranz gegenüber anderen Bekenntnissen aufbringen, sofern diese nicht ihrerseits darauf gerichtet sind, die demokratische Gesellschaft zu beseitigen. Das der EMRK zugrunde liegende Leitbild der Pluralität der Gesellschaft kommt auch in Art. 14 EMRK zum Ausdruck, welcher den Genuss der in der EMRK anerkannten Rechte ohne Diskriminierung wegen der dort genannten Unterscheidungsmerkmale gewährleistet. Eine pluralistisch zusammengesetzte Gesellschaft ist nach Art. 2 S. 2 EUV ebenso eine Zielvorstellung der EU. Der EGMR hat aber auch die Möglichkeit des Missbrauchs der Rechte aus den Artikeln 9, 10 und 11 EMRK in der Weise erkannt, dass diese Freiheiten dazu ge 347

EGMR, NVwZ 2009, 509, 510, § 61 (Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u. a. /  Österreich); EGMR, NJW 2008, 495, 496, § 72 (Scientoligy Kirche Moskau / Russland). 348 EGMR, NVwZ 2009, 509, 510, § 61 (Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u. a. /  Österreich); EGMR, NJW 2008, 495, 496, § 72 (Scientoligy Kirche Moskau / Russland). 349 EGMR, NVwZ 2009, 509, 510, § 61 (Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u. a. /  Österreich); EGMR, NJW 2008, 495, 496, § 72 (Scientoligy Kirche Moskau / Russland). 350 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 91 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 351 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 91 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 352 Kugelmann, EuGRZ 2003, 533, 538. 353 Kugelmann, EuGRZ 2003, 533, 538.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

nutzt werden könnten, die demokratische Gesellschaft i. S. d. EMRK abzuschaffen.354 Indem er Parteien, welche die Beseitigung der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft anstreben, den Schutz der Vereinigungsfreiheit versagt, trägt er dazu bei, die Demokratie vor einer konventionswidrigen Abschaffung zu schützen. In dieser Hinsicht kann das der EMRK zugrunde liegende Demokratiemodell als „streitbar“ bzw. „wehrhaft“ bezeichnet werden.355 Auf der anderen Seite sieht der EGMR auch, dass Parteien grundsätzlich dazu beitragen, den angestrebten Pluralismus zu befördern. Aus diesem Blickwinkel könnten Parteiverbote auch dazu missbraucht werden, politisch missliebige Positionen zu unterdrücken. Deshalb behält sich der EGMR eine strenge „europäische Kontrolle“ vor, soweit ein staatlicher Eingriff Auswirkungen auf den für eine demokratische Gesellschaft erforderlichen Pluralismus haben kann.356 Ein weiterer Beleg dafür, dass die EMRK dem Grundsatz der „wehrhaften Demokratie“ folgt, ist deren Art. 17.357 Art. 17 EMRK stellt klar, dass die in der Konvention gewährten Rechte nicht dazu genutzt werden dürfen, diese in der Folge abzuschaffen oder stärker einzuschränken, als es die EMRK vorsieht. Es lässt sich mithin festhalten, dass die Vereinigungsfreiheit ein wesentliches Mittel zur Erreichung und Erhaltung des gesellschaftlichen Pluralismus ist und damit maßgeblich zur Verwirklichung einer demokratischen Gesellschaft beiträgt. Politischen Parteien kommt dabei in besonderem Maße die Aufgabe zu, die von der EMRK angestrebte Vielfalt an politischen Ideen aufzuzeigen und zu vermitteln. Die Vereinigungsfreiheit darf indessen nicht von solchen Gruppierungen missbraucht werden, die ihrerseits eine pluralistische Gesellschaft ablehnen und deren Beseitigung anstreben. Um deren Tätigkeit zu unterbinden, hält das System der EMRK und die es konkretisierende Rechtsprechung des EGMR verschiedene Sicherungsmechanismen bereit. Sofern die Vereinigungsfreiheit indessen unter grundsätzlicher Anerkennung demokratischer Kerngehalte genutzt wird, ist sie eine notwendige Voraussetzung zur Erreichung der gruppenbezogenen Dimension der Medienvielfalt. Nur dann, wenn sich gesellschaftliche Gruppen frei bilden und betätigen können, kann ein insgesamt betrachtet vielfältiges Spektrum an Meinungen gebündelt und in den Medien öffentlichkeitswirksam zur Darstellung gebracht werden. Die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen an der Beaufsichtigung und der inhaltlichen Gestaltung der öffentlichen Medien ist zudem ein verbreitet praktiziertes Mittel, um den inhaltlichen Einfluss des Staates in diesem Bereich gering zu halten und gleichzeitig vielfältige Perspektiven einzubringen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es 354 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, § 99 (Refah Partisi u. a. / Türkei); Kugelmann, EuGRZ 2003, 533, 535. 355 Kugelmann, EuGRZ 2003, 533, 544. 356 Kugelmann, EuGRZ 2003, 533, 544. 357 Pabel / Schmahl-Steiger, Art. 17, Rn. 1 (17. Lieferung – November 2014).

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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auch zu bedenklichen Verflechtungen zwischen politischen Machtträgern und den Vertretern gesellschaftlicher Gruppen kommen kann. Gleichwohl ist die Vielfalt der sich im gesellschaftlichen Raum frei herausbildenden Vereinigungen eine notwendige Voraussetzung dafür, dass sich auch in den Medien ein vielfältiges Bild der demokratischen Gesellschaft zeigen kann. cc) Freie Wahlen Art. 3 des 1. ZP der EMRK gewährleistet u. a. das Recht auf freie Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften. Eine Wahl kann nur dann als frei gelten, wenn weder von Seiten des Staates noch von privater Seite unzulässiger Druck auf die Wahlentscheidung ausgeübt wird.358 Weiterhin muss ein gesellschaftliches Umfeld herrschen, welches ein hinreichendes Maß an Meinungs-, Medien-, Versammlungs-, und Vereinigungsfreiheit gewährleistet.359 Insofern stehen die vorgenannten Rechte neben der Individualitätsentfaltung auch im Dienste einer durch freie Wahlen zu bewirkenden demokratischen Legitimationsvermittlung. Der enge Zusammenhang zwischen Art. 10 EMRK und Art. 3 des 1. ZP der EMRK kommt darin zum Ausdruck, dass bei beiden Rechten bereits dem Wortlaut nach die Freiheit der Meinungsäußerung in Bezug genommen wird. Art. 3 des 1. ZP verdrängt Art. 10 EMRK jedenfalls in den Fällen, in welchen die Meinungsäußerung mittels einer Wahlentscheidung zum Ausdruck gebracht wird.360 Wahlwerbende Äußerungen von Personen, welche selbst nicht zur Wahl stehen, sind hingegen an Art. 10 EMRK zu messen.361 Problematisch ist indessen, ob die auf die Wahl bezogenen Äußerungen eines Wahlkandidaten an Art. 10 EMRK oder an dem anderen Beschränkungsregeln unterliegenden Art. 3 des 1. ZP EMRK zu messen sind. Diese Frage ist vom EGMR in der Weise beantwortet worden, dass Art. 10 EMRK im Vorfeld von Wahlen im Lichte des Art. 3 des 1. ZP auszulegen ist.362 Die parallele Anwendbarkeit beider Rechte verstärkt grundsätzlich die Schutzwirkung des Art. 10 EMRK aufgrund der zusätzlich zu berücksichtigen Freiheit der Wahl.363 Eine gleichzeitige Anwendung beider Rechte erscheint deshalb geboten, da die Freiheit der Wahl mit der Freiheit der Meinungsäußerung eng verknüpft ist und beide Gewährleistungen gemeinsam die Grundlage eines jeden demokratischen

358

Dörr / Grote / Marauhn-Richter, S.  1683, Rn.  28; Pabel / Schmahl-Wildhaber, Art. 3 des 1. ZP EMRK, Rn. 7 (1. Lieferung – September 1986). 359 Dörr / Grote / Marauhn-Richter, S.  1683, Rn.  28; Pabel / Schmahl-Wildhaber, Art. 3 des 1. ZP EMRK, Rn. 8 (1. Lieferung – September 1986). 360 Dörr / Grote / Marauhn-Richter, S. 1719, Rn. 110. 361 Dörr / Grote / Marauhn-Richter, S. 1719, Rn. 111. 362 EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 41 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 363 EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 61 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 42 (Bowman / Vereinigtes Königreich).

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Systems bilden.364 Deshalb müssen gerade im zeitlichen Zusammenhang zu einer Wahl Meinungen im Grundsatz frei verbreitet werden können.365 Jedoch kann das Recht auf freie Meinungsäußerung auch mit dem Recht auf freie Wahlen in einen Konflikt geraten. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn zwei jeweils aus Art. 10 EMRK stammende Rechtspositionen kollidieren und folglich zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden müssen, dabei aber nur eine von ihnen den über Art. 3 des 1. ZP EMRK verstärkten Schutz für sich in Anspruch nehmen kann.366 Ebenfalls ist denkbar, dass die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung im Vorfeld einer Wahl die Freiheit der Wahlentscheidung eher beeinträchtigen als fördern kann und deshalb durch den Gesetzgeber beschränkt wird.367 Zur Auflösung etwaiger Konfliktsituationen kann die Betroffenheit des Art. 3 des 1. ZP EMRK deshalb in Zeiten des Wahlkampfs u. U. auch in größerem Umfang Eingriffe in Art. 10 EMRK rechtfertigen.368 Das Erfordernis der Freiheit der Wahl weist erhebliche Parallelen zur Medienvielfaltsicherung auf. So setzt die Freiheit der Wahl ein solches gesellschaftliches Umfeld voraus, welches auch als Grundbedingung für ein hinreichendes Maß an Medienvielfalt erforderlich ist. Darüber hinausgehend erfordert die Freiheit der Wahl aber auch ein vielfältiges Medienangebot. Es soll im Folgenden untersucht werden, welche über die Erfüllung der dar­ gestellten gesellschaftlichen Grundbedingungen hinausreichenden Anforderungen an die Sicherung der Medienvielfalt zu stellen sind, damit das Ziel der Freiheit der Wahl und der damit erstrebten hinreichenden demokratischen Legitimationsvermittlung erreicht werden kann. Die Verwirklichung des Wertes der Demokratie i. S. d. Art. 2 EUV kann jedenfalls nur dann als erreicht angesehen werden, wenn alle Bedingungen einer freien Wahl i. S. d. Art. 3 des 1. ZP EMRK erfüllt sind. So speist sich der Bedeutungsgehalt des Demokratiebegriffs i. S. d. Art. 2 EUV u. a. aus der Regelung des Art. 3 des 1. ZP EMRK.369

364

EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 61 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 42 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 365 EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 61 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 42 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 366 Eine solche Konstellation ist beispielsweise denkbar, wenn ein Rundfunkveranstalter verpflichtet werden soll, Sendezeiten für Wahlwerbung einzuräumen. 367 Dörr / Grote / Marauhn-Richter, S. 1719, Rn. 111. 368 EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 61 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 1998, 875, 876, § 43 (Bowman / Vereinigtes Königreich). 369 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 28 (EL 51: September 2013).

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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3. Notwendigkeit einer positiven Regulierung der Medienvielfalt Die zuvor dargestellten gesellschaftlichen Grundbedingungen sind notwendige Voraussetzung dafür, dass eine Vielfalt sichernde Medienregulierung das mit ihr verfolgte Ziel überhaupt erreichen kann. In einer Gesellschaft, in welcher die kommunikationsbezogenen Freiheitsrechte unzulässigen Restriktionen ausgesetzt sind, können die Medien ihre öffentlichen Aufgabe, die Freiheit des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses zu befördern, nicht hinreichend verwirklichen. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in welchem die Meinungsfreiheit und die mit ihr im Zusammenhang stehenden Rechte systematisch verletzt werden, müssen Maßnahmen der Medienvielfaltsicherung zwangsläufig leer laufen. Es ist vielmehr zu befürchten, dass vordergründig am Ziel der Medienvielfalt ausgerichtete Maßnahmen in Wahrheit den Zweck verfolgen, die staatliche Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Kommunikationsprozess noch zu vertiefen. Da der EGMR die Tätigkeit der Medien als subjektives Recht schützt, könnte zweifelhaft sein, ob eine medienspezifische Vielfaltregulierung überhaupt erforderlich ist. So wirken Maßnahmen zum Zwecke der publizistischen Vielfaltsicherung regelmäßig freiheitsbeschränkend auf die Tätigkeit der Medien ein. Erkennt man ein subjektives Medienfreiheitsgrundrecht an, so bedürfen Einschränkungen dieses Rechts auch dann der Rechtfertigung, wenn sie das Ziel der Medienvielfaltsicherung verfolgen und damit zur Verwirklichung einer anderen Dimension desselben Grundrechts ergehen. In einem demokratischen Staat, in welchem Meinungs-, Medien-, Versammlungs-, und Vereinigungsfreiheit verwirklicht sind, ist es jedoch denkbar, dass sich ein hinreichendes Maß an Medienfreiheit bereits durch die Gewährleistung subjektiver Rechte einstellt. Würde dies angenommen, so wären freiheitsbeschränkende Maßnahmen zum Zwecke der Vielfaltsicherung nicht zu rechtfertigen. Es wären vielmehr medienspezifische regulierende Eingriffe in die freie Tätigkeit der Medienbetreiber zu unterlassen. Es ist indessen in den Blick zu nehmen, dass der EGMR den Staat in der Rolle des Garanten der Medienvielfaltsicherung sieht. Für den Bereich der audiovisuellen Medien hat der EGMR bereits entschieden, dass der Staat seiner Garantenrolle nicht allein dadurch gerecht werden kann, indem er Eingriffe in die Medienfreiheiten unterlässt.370 Auch wenn die Rechtsprechung des EGMR sich nicht unmittelbar auf den Rechtsraum der EU bezieht, muss gesehen werden, dass auch Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh die Achtung der Pluralität der Medien neben deren Freiheit gesondert erwähnt. Offenbar hat sich auch auf der Ebene der EU die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Pluralität der Medien sich nicht durch völlige Regulierungs- und Unternehmerfreiheit erreichen lässt. Aufgrund des dargestellten Bezugs der Medienvielfalt zu den in Art. 2 EUV genannten Werten der Demokratie und der Menschenrechte erscheint es aber unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten, soweit erforderlich, geeig-

370

EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien).

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

nete Maßnahmen ergreifen, um die Entstehung und Sicherung eines vielfältigen Medienangebots zu begünstigen. a) Ökonomische Situation der Medien aa) Begriff und Erscheinungsformen der Konzentration Als Gefahr für die Verwirklichung der Medienvielfalt gilt gemeinhin eine übermäßige Konzentration von Medienunternehmen. Unter ökonomischer Konzentration ist die Veränderung der Größenstruktur eines Unternehmens einschließlich der Verstärkung seiner Marktstellung zu verstehen.371 Dabei kann die Unternehmenskonzentration sowohl intern, d. h. aufgrund des Einsatzes eigener Produktionsmittel, oder extern im Wege von Unternehmensverbindungen erfolgen.372 Es werden in ökonomischer Hinsicht die horizontale, die vertikale und die konglomerate bzw. diagonale Konzentration unterschieden. Ausgangspunkt der begrifflichen Unterscheidung zwischen horizontaler und vertikaler Konzentration ist die Erkenntnis, dass ein Unternehmen auf verschiedenen Stufen der betriebswirtschaftlichen Wertschöpfungskette tätig werden kann.373 Horizontale Konzentration findet nicht nur auf derselben Stufe der Wertschöpfungskette, sondern zudem auch innerhalb desselben sachlich und räumlich relevanten Marktes statt.374 Die vertikale Konzentration bezeichnet die Vergrößerung der Machtstellung eines Unternehmens durch Verbindungen auf vor- und nachgela­ gerten Märkten.375 Verbesserungen der Marktstellung eines Unternehmens, welche sich weder der vertikalen noch der horizontalen Konzentration zuordnen lassen, werden als konglomerate bzw. diagonale Konzentration beschrieben.376 Konglomerate Konzentration findet im Gegensatz zur horizontalen Konzentration nicht auf demselben, dafür aber häufig auf verwandten Märkten statt.377 Im Zusammenhang mit der Medienbranche wird die konglomerate Konzentration auch als intermediäre Verflechtung oder crossmediale Konzentration bezeichnet.378 Neben den ökonomischen Begriffen der Unternehmenskonzentration finden im Zusammenhang mit dem Medienkonzentrationsrecht zudem die Begriffe der intramediären und intermediären Konzentration Verwendung. Dabei bezeichnet der 371

Helwig, S. 17; Krzywicki, S. 39. Helwig, S. 23; Hinrichsen, S. 11. 373 Hinrichsen, S. 10. 374 Krzywicki, S. 40 f. Zur Marktabgrenzung im Medienbereich siehe, ders., S. 52 ff. 375 Helwig, S. 17 f. 376 Helwig, S. 18. 377 Krzywicki, S. 42. 378 Hinrichsen, S. 11. 372

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Begriff der intramediären Konzentration Verflechtungen von Unternehmen, deren Geschäftsfeld sich auf dasselbe Medium bezieht, wohingegen die intermediäre Konzentration Verbindungen von Unternehmen beschreibt, welche unterschiedliche Arten von Medien betreiben.379 Die Begriffe der intermediären und intramediären Konzentration versuchen, anders als diese der horizontalen, vertikalen und konglomeraten Konzentration, eine publizistische und keine ökonomische Machtstellung zu beschreiben.380 Die publizistische Machtstellung bezieht sich auf die angenommene Wirkmacht, welche einem Medienanbieter im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung zukommt. Bei dem Ziel der Sicherung der Medienvielfalt geht es allein darum, zu verhindern, dass eine starke wirtschaftliche oder politische Gruppe eine beherrschende Stellung in den Medien einnimmt, um auf diese Weise die für die Demokratie unerlässliche freie Meinungsbildung und -äußerung zu untergraben.381 Nimmt man diese Zielrichtung in den Blick, so wird deutlich, dass eine Vielzahl von Programmen, Publikationen und Medieneigentümern noch keine hinreichende Bedingung dafür sein kann, dass sich ein „echter Pluralismus“ einstellt. Ein „echter Pluralismus“ lässt sich nach Auffassung des EGMR, zumindest im audiovisuellen Bereich, nur dadurch erreichen, indem die Programme in ihrer Gesamtheit so weit als möglich die Breite der in der Gesellschaft vertretenen Meinungen widerspiegeln.382 Möglicherweise stellt sich das Ziel der Medienvielfaltsicherung aber bereits durch einen funktionierenden ökonomischen Wettbewerb ein, sofern die gesellschaftlichen Grundbedingungen hierfür gewährleistet sind. Dabei ist jedoch im Blick zu behalten, dass das Medienkonzentrationsrecht mit dem Schutz der publizistischen Vielfalt gegenüber dem allgemeinen Wettbewerbsrecht, welches auf die Verhinderung übermäßiger ökonomischer Machtstellungen gerichtet ist, eigenständige Ziele verfolgt.383 bb) Ursachen der Konzentration Ökonomisches Konzentrationsstreben lässt sich in Wettbewerbswirtschaften bereits dadurch erklären, dass eine größere Marktmacht den Unternehmen einen größeren autonomen, d. h. von Wettbewerbszwängen unabhängigen, Entscheidungsfreiraum ermöglicht.384 Durch horizontale Konzentration können Größenvorteile aktiviert werden, welche beispielsweise durch geringere Stückkosten oder geringere Beschaffungskosten in Erscheinung treten können.385 Die vertikale Konzentration kann zudem bewirken, 379

Knothe / Lebens, AfP 2000, 125, 127. Knothe / Lebens, AfP 2000, 125, 127. 381 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 382 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 383 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. 384 Mailänder, S. 164. 385 Mailänder, S. 164. 380

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

dass die Transaktionskosten, welche im Rahmen von Austauschbeziehungen zu anderen Unternehmen entstehen, durch geringere Organisationskosten, welche innerhalb desselben Unternehmens anfallen, ersetzt werden.386 Die konglomerate Konzentration ermöglicht schließlich die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und ermöglicht Quersubventionen innerhalb der eigenen Unternehmensstruktur.387 Diese wenigen Beispiele verdeutlichen bereits, weshalb Unternehmen allein aufgrund ökonomischer Gesetzmäßigkeiten nach der Verwirklichung von Größen- und Verbundvorteilen durch Unternehmenskonzentration streben.388 Zu diesen allgemeinen Ursachen der Unternehmenskonzentration treten in der Medienökonomie noch weitere, Konzentrationstendenzen begünstigende Faktoren hinzu, welche auf die besonderen Eigenschaften der Medienprodukte zurückzuführen sind. Zu nennen ist hier in erster Linie die Besonderheit, dass hohe Fixkosten für die Produktion des ersten Medienprodukts anfallen, wohingegen für die weitere Verbreitung der Produkte nur in verhältnismäßig geringem Umfang weitere Kosten entstehen.389 Dieser extreme Abfall der Stückkosten bei erhöhter Produktionsmenge wird als Stückkostendegression bezeichnet.390 Sie bewirkt eine weitgehende Unabhängigkeit der Produktionskosten von der Zahl der Rezipienten.391 Das Interesse an einer möglichst großen Zahl an Rezipienten ist verknüpft mit der damit einhergehenden Aussicht auf die Erzielung erhöhter Werbeeinnahmen.392 So ist die Nachfrage nach Anzeigeflächen bzw. Sendezeit für Werbung abhängig von der Auflage bzw. der Reichweite des Medienprodukts.393 Sofern die Nachfrage seitens der Werbekunden gesteigert wird, können in der Folge ggf. die Kosten der Werbeplätze angepasst werden.394 Die erzielten Werbe-Mehreinnahmen können wiederum in die Qualität des Produkts investiert und auf diese Weise weitere Rezipien­ten erschlossen werden.395 Die Vermarktung von Medienprodukten ist von der Besonderheit geprägt, dass sich nicht voraussagen lässt, ob ein Inhalt aus Sicht der Rezipienten attraktiv sein wird.396 Gerade im Bereich des Rundfunks erscheint es als ökonomisch sinnvolle Strategie, durch Aktivitäten in verschiedenen Stufen der Wertschöpfung Kosten, die aufgrund von Transaktionen mit anderen Unternehmen anfallen, zu verringern.397 Neben der Verringerung der Transaktionskosten bietet die vertikale Integration 386

Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 4; Helwig, S. 24. Helwig, S. 24. 388 Von Danwitz, ZUM 2002, 769, 771. 389 Krzywicki, S. 33. 390 Krzywicki, S. 33. 391 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 3; Helwig, S. 26. 392 Zur Gefahr der inhaltlichen Beeinflussung von Medienprodukten durch die Zahlung von Werbeentgelten, siehe die Ausführungen unter D. II. 4. g). 393 Helwig, S. 26; Krzywicki, S. 29. 394 Hinrichsen, S. 38. 395 Hinrichsen, S. 38. 396 Helwig, S. 26. 397 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 4. 387

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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einem Rundfunkveranstalter den weiteren Vorteil, dass Unsicherheiten dahingehend, in welchem Umfang die eigenen Programme von den Rezipienten konsumiert werden, verringert werden können. Indem ein Unternehmen beispielsweise sowohl über Programminhalte als auch über die zu ihrer Verbreitung erforderliche Infrastruktur verfügt, kann es grundsätzlich die Entscheidung darüber treffen, welche Inhalte den Rezipienten überhaupt erreichen können.398 Freilich ist die staatliche Medienregulierung in dieser Hinsicht aufgerufen, zu verhindern, dass vertikal integrierte Medienunternehmen bestimmenden Einfluss darüber ausüben können, welche Inhalte im Rundfunk empfangbar sind. Gleichwohl wird sich die unternehmerische Freiheit auch nur insoweit einschränken lassen, als dies zur Aufrechterhaltung der Medienvielfalt unumgänglich ist. Jedenfalls ist im Blick zu behalten, dass sich durch eine Konzentration auf den der Programmveranstaltung vor- und nachgelagerten Märkten Einfluss auf die Programmgestaltung und das Konsumverhalten der Zuschauer ausüben lässt.399 Medienprodukte zeichnen sich durch die weitere Besonderheit aus, dass sie sich in zwei Bestandteile aufteilen lassen, nämlich zum einen in den geistig-kreativen Inhalt und zum anderen in das zu seiner Vermittlung genutzte Medium.400 Den eigentlichen Wert des Produkts macht dabei die geistig-kreative Dimension desselben aus.401 Wenn der Schwerpunkt des Wertes und der Kosten des Produkts auf der inhaltlichen Seite liegt, so bietet es sich an, den einmal teuer produzierten Inhalt auch in unterschiedlichen Medien zu nutzen.402 Die neueren technischen Entwicklungen der Digitalisierung und des Zusammenwachsens ursprünglich getrennter Medienarten begünstigen die Möglichkeit der Mehrfachverwertung.403 Sofern ein Unternehmen auf mehreren medialen Plattformen aktiv ist, besteht zudem die Möglichkeit der gegenseitigen kostengünstigen Bewerbung der konzerninternen Produkte.404 Die Medienmärkte sind durch ein hohes Maß an Substitutionskonkurrenz, d. h. an funktionaler Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen, gekennzeichnet.405 Bedenkt man, dass der geistige Inhalt eines Medienprodukts dessen eigentlichen Wert ausmacht, so hängt es allein von den wandelbaren Gewohnheiten der Rezipienten ab, in welcher medialen Darstellungsform die Inhalte konsumiert werden. Um der Gefahr des Aufmerksamkeitsverlusts im Zuge der schrittweisen Verlagerung der Konsumgewohnheiten zu begegnen, bietet es sich an, frühzeitig in

398

Janik, AfP 2002, 104, 108. Janik, AfP 2002, 104, 108. 400 Krzywicki, S. 28. 401 Krzywicki, S. 28. 402 Gounalakis / Zagouras, AfP 2006, 93. 403 Gounalakis / Zagouras, AfP 2006, 93. Zu den Grenzen der Mehrfachverwertung, siehe Hinrichsen, S. 45. 404 Gounalakis / Zagouras, AfP 2006, 93; Helwig, S. 29 f. 405 Hinrichsen, S. 39. 399

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

solche Märkte einzutreten, welche voraussichtlich zu Lasten gesättigter Märkte an Bedeutung gewinnen werden.406 Weiterhin kann im Rahmen der Erschließung weiterer Medienmärkte der Imagewert einer Marke auf andere Arten von Medien übertragen werden.407 Generell sind Medienprodukte als sog. Erfahrungsgüter einzuordnen. Erfahrungsgüter zeichnen sich dadurch aus, der Wert des Produkts vor dessen Konsum nicht eingeschätzt werden kann.408 Gerade bei Erfahrungsgütern können etablierte Marken die Auswahl unter Konkurrenzprodukten erleichtern, da die Rezipienten auf Qualitätsstandards vertrauen, welche ihnen bereits aus anderen Medienbereichen bekannt sind.409 cc) Auswirkungen der Konzentration auf die Medienvielfalt Die Auswirkungen der Unternehmenskonzentration im Medienbereich können sowohl unter einem ökonomischen Gesichtspunkt als auch unter einem publizistischem Gesichtspunkt betrachtet werden. Entsprechend können Regelungen, welche eine Unternehmenskonzentration begrenzen sollen, sowohl eine ökonomische als auch eine publizistische Schutzrichtung verfolgen. Aufgabe des Kartellrechts ist es, die Funktionen des Wettbewerbs zu schützen und die Entstehung wettbewerbs­ beschränkender Marktmacht zu verhindern. Die Medienbranche ist von dieser allgemeinen Wettbewerbsaufsicht nicht ausgenommen.410 Gegenüber dieser ökonomischen Perspektive der Wettbewerbssicherung verfolgt der Schutz der publizistischen Vielfalt mittels publizistischem Wettbewerb jedoch eine eigenständige, hiervon losgelöste Zielsetzung.411 Beobachtungsgegenstand der ökonomischen Wettbewerbssicherung ist die Marktmacht von Unternehmen, wohingegen Bestimmungen des Medienkonzentrationsrechts die Entstehung übermäßiger Meinungsmacht zu verhindern suchen.412 Das Schutzgut der Medienvielfalt bezieht sich einzig auf die publizistische Zielsetzung regulativer Maßnahmen, sodass für die Zwecke der Vielfaltsicherung lediglich die anzunehmenden Auswirkungen der Medienkonzentration auf die inhaltliche Vielfalt des Medienangebots in den Blick zu nehmen sind.

406

Hinrichsen, S. 39. Hinrichsen, S. 45. 408 Krzywicki, S. 31. 409 Hinrichsen, S. 45. 410 Helwig, S. 25. 411 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. Vgl. auch Schulz, AfP 2017, 373, 375. Letzterer regt sogar an, die Erfassung der zu verhütenden vorherrschenden Meinungsmacht in Anlehnung an allgemeine wettbewerbsrechtliche Maßstäbe zumindest in Frage zu stellen. So sei, anders als in Bezug auf allgemeine wettbewerbsrechtliche Zielrichtungen, keine ausreichende theoretische Grundlage vorhanden, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Aufschluss über eine die öffentliche Meinungsbildung beeinträchtigende Funktionsstörung des publizistischen Wettbewerbs gibt. 412 Janik, AfP 2002, 104, 107. 407

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Ausgangspunkt der Überlegungen, inwiefern Unternehmenskonzentration im Medienbereich die inhaltliche Vielfalt beeinflussen wird, muss dieser sein, dass das publizistische Ziel der Medienvielfalt bereits für sich genommen nicht messbar ist. So kann es kaum verwundern, dass aussagekräftige empirische Ergebnisse zu den Zusammenhängen von Medienkonzentration und Medienvielfalt nicht zu erzielen sind.413 Gleichwohl werden sich plausible Annahmen darüber treffen lassen, wie sich die Medienkonzentration höchstwahrscheinlich auf die inhaltliche Vielfalt des Medienangebots auswirken wird. Angesichts der Bedeutung der Medienvielfalt für die freie Meinungsbildung sollte es zur Rechtfertigung Vielfalt sichernder Maßnahmen bereits ausreichen, wenn die Prognose des Gesetzgebers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Notwendigkeit Vielfalt sichernder Regulierung erkennen lässt.414 Teilweise wird indessen ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen ökonomischen Machtstellungen und inhaltlicher Verengung des Medienangebots in Abrede gestellt.415 Bisweilen werden auch mögliche positive Auswirkungen der Medienkonzentration auf die Medienvielfalt herausgestellt.416 Als der Medienvielfalt fördernder Gesichtspunkt wird die Steigerung der Unabhängigkeit finanzstarker Medienkonzerne gegenüber potentiellen Geldgebern ins Feld geführt.417 Weiterhin sei die Möglichkeit der Querfinanzierung notwendig, um auch Themen bedienen zu können, welche mangels Massenattraktivität wirtschaftlich nicht tragfähig sind.418 Schließlich wird angeführt, dass die durch Unternehmenskonzentration bewirkten Effizienzgewinne in die Qualität des Inhalts investiert werden könnten, wohingegen in einer schwierigen Wettbewerbssituation Kostensenkungen zu Lasten der Qualität zu befürchten seien.419 Überzeugender erscheinen jedoch die Argumente, welche eine Verengung der inhaltlichen Vielfalt durch Unternehmenskonzentration nahelegen. Im Hinblick auf die horizontale Konzentration ist zunächst festzustellen, dass sich durch diesen Prozess die Zahl der Anbieter auf dem betreffenden Medienmarkt verringert.420 Gerade großen Medienkonzernen, welche eine Vielzahl von Medienprodukten verbreiten, ist es möglich, einen einmal produzierten Inhalt mehrfach zu verwerten.421 Augenscheinlich wird die Möglichkeit der Mehrfachverwertung beispielsweise dann, wenn ein Unternehmen, welches mehrere Rundfunkkanäle veranstaltet, denselben Inhalt in unterschiedlichen Programmen ausstrahlt. Auch wenn im Zuge 413

Mailänder, S. 176. Ähnlich jüngst, Schulz, AfP 2017, 373, 375. Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304, 316 f. 415 Scholz, AfP 1995, 357, 360. 416 Vgl. hierzu die Zusammenfassung der Argumente bei Hinrichsen, S. 78 f.; Mailänder, S. 178 f. 417 Hinrichsen, S. 79. 418 Hinrichsen, S. 79. 419 Mailänder, S. 179 f. 420 Janik, AfP 2002, 104, 107. 421 Helwig, S. 31. 414

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

diagonaler Konzentration mehrere medienartübergreifende Inhalteanbieter mit zumindest in der Meinungstendenz übereinstimmenden Inhalten desselben Unter­ nehmens bzw. Konzerns versorgt werden, bewirkt allein die Vervielfältigung der Verbreitungswege noch keine inhaltliche Bereicherung des Medienangebots.422 Gerade im Bereich der Nachrichtenübermittlung hat die medienartübergreifende Mehrfachverwertung großes Potential.423 Im Hinblick auf die weitreichende Versorgung mehrerer Rundfunkkanäle mit den in gleicher Weise aufbereiteten Nachrichten, welche zudem oftmals noch über das Internet verbreitet werden, wird bisweilen von einer bedenklichen „Gleichschaltung der Information“ gesprochen.424 Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Mehrfachverwertung im Rundfunkbereich ist darin zu sehen, dass gerade die Vielfalt fördernden lokalen Inhalte, sowie solche für gesellschaftliche Minderheiten, kaum geeignet für eine Mehrfachverwertung sind.425 Es steht mithin zu befürchten, dass solche Inhalte weniger produziert und ausgestrahlt werden, damit die ökonomischen Vorteile der Mehrfachverwertung in weitem Umfang genutzt werden können. Schließlich ist an den Mehrfachverwertungen problematisch, dass die umfassende Präsenz und Wiederholung der in derselben Weise dargestellten und aufbereiteten Inhalte einen verstärkten Einfluss auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit ausüben kann.426 Es kommt hinzu, dass dem Rezipienten aufgrund der scheinbar bestehenden Vielzahl an verschiedenen von einander unabhängigen Medienanbietern suggeriert wird, es bestehe insgesamt ein inhaltlich vielfältiges Angebot.427 Vor diesem Hintergrund wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die schwer überschaubaren Veranstalterstrukturen im Medienbereich für die Rezipienten sichtbar zu machen.428 Auch die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats sehen die Ermöglichung weitgehender Transparenz der potentiellen Einflussnahmen auf Medieninhalte als wichtiges Instrument der Medienvielfaltsicherung an.429 Das Problem der nur scheinbaren Medienvielfalt hat auch der EGMR erkannt, indem er darauf hinweist, dass „echter Pluralismus“ im Bereich der audiovisuellen Medien nicht allein durch eine Sendervielfalt zu erreichen ist.430 Vielmehr kommt es bei der Sicherung der Medienvielfalt darauf an, eine inhaltliche Breite zu erzielen, welche möglichst weitgehend die in der Gesellschaft bestehenden Meinungen widerspiegelt.431 Dass diesem Ziel das ökonomisch verständliche Streben konzentrierter Unternehmen nach Mehrfachverwertung nicht förderlich ist, erscheint offenkundig. Ebenso unbestreitbar dürfte sein, dass sich durch die im Zuge der Konzentration eintretende Verringerung der 422

Helwig, S. 31 f. Hinrichsen, S. 79. 424 Janik, AfP 2002, 104, 107. 425 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 3. 426 Hinrichsen, S. 79. 427 Helwig, S. 32. 428 Renck-Laufke, ZUM 2000, 369, 374. 429 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, Ziffer III. 430 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 431 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 423

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Zahl der Medienanbieter auch die Breite der dargestellten Meinungsrichtungen höchstwahrscheinlich verringern wird.432 Weiterhin muss in Betracht gezogen werden, dass die umfassende Präsenz der wenigen konzentrierten Medienanbieter zumindest potentiell dazu genutzt werden könnte, politische Ansichten oder sonstige Interessen einseitig zu befördern.433 Angesichts dessen erscheint die vage Hoffnung, dass selbst ein privater Monopolist ein inhaltlich vielfältiges Programm darbieten könnte, auch im Hinblick auf Art. 2 EUV als eine untermäßige Absicherung der Medienvielfalt.434 Nicht zuletzt um der Gefahr einer politischen Einflussnahme oder interessengesteuerten Berichterstattung entgegenzuwirken, ist auch nach Auffassung des Ministerkomitees des Europarats eine ausreichende Vielzahl voneinander unabhängiger Medienunternehmen anzustreben.435 Auch der EGMR betrachtet das Ergreifen positiver Maßnahmen zur Sicherung der Medienvielfalt im audiovisuellen Bereich insbesondere dann als wünschenswert, wenn sich, wie im Falle Italiens, unter Wettbewerbsbedingungen ein Duopol herausgebildet und verfestigt hat.436 Aber nicht nur auf horizontaler Ebene kann die Unternehmenskonzentration im Medienbereich eine Gefahr für die Vielfalt der Inhalte darstellen. So können im Rundfunkbereich vertikale Verflechtungen von Programminhalteanbietern und Programmveranstaltern dazu führen, dass eigene inhaltliche Vorstellungen schon auf der Ebene der Programmproduktion durchgesetzt werden können.437 Der Programmveranstalter kann sich hierdurch inhaltlich von anderen Programmveranstaltern und -herstellern unabhängig machen.438 So können andere Programmveranstalter durch einen vertikal integrierten Medienkonzern daran gehindert werden, selbst Programminhalte zu erwerben.439 Problematisch ist die vertikale Integration auch auf der der Programmveranstaltung nachgelagerten Ebene der Distribution. Durch die Entscheidung darüber, welche Programminhalte in das Verbreitungsnetz eingespeist werden und zu welchen Konditionen die eingespeisten Programme durch die Rezipienten empfangen werden können, besteht die Möglichkeit der Beeinflussung der empfangbaren Inhalte.440 Schließlich kann eine medienartübergreifende diagonale Konzentration bewirken, dass die in einem Medium bestehende Meinungsmacht auf andere Medien übertragen wird und sich hierdurch zu multimedialer Meinungsmacht ausweitet.441 Weiterhin kann sich die Zugehörigkeit zu einem großen Unternehmensverbund 432

Mailänder, S. 181. Mailänder, S. 181. 434 Anders wohl Scholz, AfP 1995, 357, 360. 435 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, Ziffer I. 2.1. 436 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 437 Mailänder, S. 183. 438 Janik, AfP 2002, 104, 108. 439 Mailänder, S. 183. 440 Janik, AfP 2002, 104, 108. 441 Helwig, S. 33. 433

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

negativ auf die Bereitschaft der Journalisten zu autonomer Berichterstattung auswirken. Je weiter ein Medienunternehmen verflechtet ist, desto größer ist der Raum für redaktionelle Rücksichtnahmen, welche der einzelne Journalist im eigenen beruflichen Interesse zu berücksichtigen hat.442 Es kommt hinzu, dass die unternehmensinterne Werteorientierung bestimmte inhaltlich-politische Festlegungen in der journalistischen Arbeit auferlegen kann, welche umso stärker auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken, je größer die mediale Präsenz des werteorientierten Unternehmens ist.443 Werden dieselben Inhalte infolge der medienartübergreifenden Konzentration auch medienartübergreifend verbreitet, so führt dies zu einer Vereinheitlichungstendenz der Medieninhalte insgesamt. Die damit einhergehende Verringerung der intermedialen Kritik wird verbreitet als „redaktionelle Gleichschaltung“ umschrieben.444 Auch muss in den Blick genommen werden, dass die ökonomischen Vorteile der Unternehmenskonzentration dazu genutzt werden können, Wettbewerber zu verdrängen und hohe Marktzutrittsschranken aufzustellen.445 Betrachtet man diese in hohem Maße wahrscheinlichen publizistischen Auswirkungen der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten folgenden Konzentration im Medienbereich, so müssen die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber grundsätzlich gehalten sein, einer übermäßigen Medienkonzentration entgegenzuwirken. Die Verhinderung übermäßiger Medienkonzentration lässt sich vorrangig im Wege des sog. Außenpluralismus, d. h. durch eine Vielzahl voneinander unab­ hängiger Medienanbieter, erreichen. Ebenso käme für den Fall, dass sich aufgrund besonderer Marktgegebenheiten eine Außenpluralität nicht erreichen lässt, ein sog. binnenpluralistisches Modell zum Schutz der Medienvielfalt in Betracht. Der binnenpluralistische Ansatz ist im Gegensatz zum außenpluralistischen Modell nicht dadurch gekennzeichnet, dass lediglich alle Anbieter in ihrer Gesamtheit Medienvielfalt abbilden sollen, sondern dadurch, dass bereits der in Bezug genommene einzelne Anbieter dieser Vorgabe genügen muss.446 Die außenplurale Vielfaltsicherung verdient gegenüber dem binnenpluralistischen Ansatz insofern den Vorzug, als sie in weitaus größerem Umfang die Ausübung von subjektiven Medienfreiheitsgrundrechten ermöglicht. Folglich sind in der mitgliedstaatlichen Regulierung des privaten Rundfunks vorrangig solche Regelungen verbreitet, welche Außenpluralismus bewirken sollen.447 Binnenplurale Modelle haben demgegenüber meist nur ergänzenden Charakter.448 In Betracht kommt, dass ein hinreichendes und durch Außenpluralität zu bewirkendes Maß an Medienvielfalt bereits durch den wirksamen Schutz des ökono­ 442

Hinrichsen, S. 83. Hinrichsen, S. 86 f. 444 Helwig, S. 33; Janik, AfP 2002, 104, 109; Mailänder, S. 185. 445 Helwig, S. 34. 446 Hinrichsen, S. 83. 447 Holznagel, S. 293. 448 Holznagel, S. 293. 443

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mischen Wettbewerbs erreicht werden kann. Wäre dies der Fall, so reichte es für die Einhaltung der aus Art. 2 EUV folgenden Anforderungen an die Sicherung der Medienvielfalt aus, eine von staatlichen Eingriffen weitgehend freizuhaltende Medienfreiheit i. S. e. Veranstaltungsfreiheit zu gewährleisten. Es müsste lediglich dafür Sorge getragen werden, dass der ökonomische Wettbewerb auf den einzelnen Medienmärkten funktionsfähig bleibt. Eine medienspezifische Regulierung wäre hingegen entbehrlich. b) Ökonomischer Wettbewerb als hinreichende Vielfaltsicherung? aa) Pressebereich Regelungen, welche den ökonomischen Wettbewerb schützen, kommen grundsätzlich auch als ein Instrument der Medienvielfaltsicherung in Betracht.449 Fraglich ist indessen, ob die Regeln des Wettbewerbsschutzes eine medienspezifische Vielfaltkontrolle ersetzten oder lediglich ergänzen können.450 Für die Berechtigung der lediglich den ökonomischen Wettbewerb sichernden Aufsicht spricht der im Hinblick auf die Anerkennung subjektiv-rechtlicher Schutzgehalte der Medienfreiheit zu bevorzugende außenplurale Ansatz der Medienvielfaltsicherung. Gerade im Bereich der gedruckten Presse wird weitgehend darauf vertraut, dass sich bereits durch den ökonomischen Wettbewerb eine ausreichende Vielzahl an unterschied­ lichen Meinungsrichtungen herausbildet. So wird das Grundrecht der Pressefreiheit von den Mitgliedstaaten der EU in erster Linie als Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen aufgefasst.451 Institutionelle Garantien der Pressefreiheit finden sich demgegenüber nur in einigen Mitgliedstaaten.452 Auch im Recht der EMRK kommt der Pressefreiheit vorrangig ein abwehrrechtlicher Charakter zu.453 Bisher gibt es lediglich Andeutungen der Konventionsorgane, dass die Mitgliedstaaten zu positiven Maßnahmen zum Schutz vor übermäßiger Pressekonzentration verpflichtet sein könnten.454 Die Pflicht zur Sicherung des Pluralismus in den Medien bezog der EGMR zumindest ausdrücklich bisher nur auf die audiovisuelle Inhalte.455 Ihnen schreibt der EGMR einen weitaus unmittelbareren und mächtigeren Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu, als den Printmedien.456 Angesichts der Dominanz der abwehrrechtlichen Dimension der Pressefreiheit und der Betonung ihrer subjektiv-rechtlichen Gehalte, dürfte bereits ein Zulassungsvorbehalt 449

Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. Für den ergänzenden Charakter des ökonomischen Wettbewerbs im Rundfunkbereich, Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. 451 Rübenach, S. 41. 452 Rübenach, S. 41. 453 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 77 (15. Lieferung – Juni 2013). 454 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 79, Fußnote 310 (15. Lieferung – Juni 2013). 455 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 456 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 132 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 450

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

als Anknüpfungspunkt einer pressespezifischen Konzentrationskontrolle kaum zu rechtfertigen sein.457 Die italienische Verfassung bringt sogar in deren Art. 21 S. 2 unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Presse keiner Genehmigung unterliegen darf. Hingegen sind in einigen Mitgliedstaaten der EU im Pressebereich Fusionskontrollen vorgesehen, die in ihrem Prüfungsumfang über das allgemeine Wettbewerbsrecht dadurch hinausreichen, dass im Rahmen der Genehmigung auch medienspezifische Belange der Vielfaltsicherung beachtlich sind.458 Überwiegend werden die Gesichtspunkte der Medienvielfaltsicherung indessen lediglich im Wege der rundfunkrechtlichen Lizenzvergabe berücksichtigt.459 Angesichts dieser Regelungsstrukturen wird sich unter Berücksichtigung der Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten keine Verpflichtung derselben aus Art. 2 EUV herleiten lassen, im Pressebereich eine über das allgemeine Wettbewerbsrecht hinausreichende Konzentrationskontrolle einzuführen. Ungeachtet dessen kann es im Bereich der Presse zu bedenklichen Konzentrationstendenzen kommen. So haben sich etwa in Deutschland die meisten lokalen und regionalen Märkte für Tageszeitungen zu Monopolen entwickelt.460 Der Erhalt der Pressevielfalt auf lokaler Ebene ist aber von dem Konflikt geprägt, dass gerade in Einzugsgebieten mit einer niedrigen Zahl an potentiellen Lesern ggf. nur durch einen Anbieter qualitativ hochwertiger Journalismus wirtschaftlich sinnvoll angeboten werden kann.461 Weiterhin besteht die Gefahr, dass etwaige Maßnahmen zum Zwecke der Vielfalt sichernden Verhaltenskontrolle als dem subjektiv-rechtlichen Charakter der Pressefreiheit widersprechende Inhaltskontrollen erscheinen könnten.462 Der meinungsbildende Einfluss der Presse kann jedoch im Rahmen der Medienkonzentrationskontrolle gleichwohl besondere Berücksichtigung finden, wenn die Vielfalt sichernde Regulierung einen sog. crossmedialen Ansatz wählt, indem sie die Aktivität eines Medienanbieters in den verschiedenen Medienarten insgesamt betrachtet.463 Anknüpfungspunkt der Erfassung der über den Pressebereich entfalteten Meinungsmacht wäre dann wiederum die Aufsicht über die Rundfunklizenzen.464 Zudem kann bei etwaigen Unzulänglichkeiten des ökonomischen Wettbewerbs im Pressebereich der Versuch unternommen werden, durch politisch neutrale Fördermaßnahmen in Gestalt von Subventionen und ähnlichen Leistungen inhaltliche Vielfalt zu begünstigen.465 Die Subventionierung der Presse ist in vielen Mitgliedstaaten

457

So auch Probst, S. 26. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 197 f. 459 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 197 f. 460 BGHZ 157, 55, 65 (20 Minuten Köln). 461 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 123, Rn. 34. 462 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 123, Rn. 34. 463 Siehe hierzu, Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 202 f.; Holznagel, S. 302 f. 464 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 202. 465 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 122, Rn. 30. 458

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der EU verbreitet.466 Angesichts der vorrangig abwehrrechtlichen Dimension der Pressefreiheit ist jedoch zweifelhaft, ob diese Subventionspraxis mit einer aus Art. 2 EUV folgenden staatlichen Verpflichtung einher gehen kann, durch bestimmte Zuwendungen aktiv in den ökonomischen Wettbewerb einzugreifen.467 Es kann jedenfalls festgehalten werden, dass im Bereich der Presse grundsätzlich auf das Funktionieren des ökonomischen Wettbewerbs auch im Hinblick auf die Erreichung des Ziels der publizistischen Vielfalt vertraut werden darf. Die Frage, ob dieses Vertrauen berechtigt ist, muss hier nicht vertieft werden. Jedenfalls entspricht es der gemeinsamen Rechtstradition der Mitgliedstaaten, dass die Tätigkeit der Presse weitgehend frei von staatlicher Inhalte- und damit auch Vielfaltregulierung zu halten ist. Angesichts dessen können sich aus Art. 2 EUV grundsätzlich auch keine generellen staatlichen Handlungspflichten zur gesonderten Förderung des publizistischen Wettbewerbs im Pressebereich herleiten lassen. Lediglich in Ausnahmesituationen kann ein Mitgliedstaat gehalten sein, geeignete Maßnahmen gegen eine übermäßige Pressekonzentration zu ergreifen. Zudem käme u. U. eine staatliche Verpflichtung in Betracht, bestimmte oder alle Presseunternehmen mit öffentlichen Mitteln wirtschaftlich zu fördern, um zumindest das Fortbestehen einer Anbietervielfalt oder die Bedienung bestimmter Themen durch die Presse zu gewährleisten. So muss im Blick behalten werden, dass die Pressebranche, insb. durch vielfach kostenlos angebotene Online-Inhalte, in wirtschaftliche Bedrängnis geratenen ist. Die meinungsbildende Wirkung der Presse kann aber noch nicht als so gering eingeschätzt werden, dass die inhaltliche Vielfalt auf diesem Gebiet der staatlichen Beobachtung vollständig entzogen werden könnte. Die Vervielfältigung der Informationsmöglichkeiten über das Internet lässt es indessen immer unwahrscheinlicher erscheinen, dass durch Printmedien eine nicht hinzunehmende einseitige Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu befürchten steht. bb) Rundfunkbereich Gerade im Zuge des Wegfalls der Knappheitssituation bezüglich der Übertragungskapazitäten ist vielfach angeregt worden, im Bereich des herkömmlichen Programmrundfunks auf publizistische Sonderregeln zu verzichten und lediglich das allgemeine Wettbewerbsrecht zur Anwendung zu bringen.468 Indessen muss gesehen werden, dass nach Wegfall der Frequenzknappheit neue Marktzutrittsschranken durch vertikal integrierte Medienkonzerne geschaffen werden können. Die einzelnen Stufen der zur digitalen Übertragung von Rundfunksignalen notwendigen Dienstleistungen könnten dazu genutzt werden, Wettbewerber zu diskriminieren.469 Dem ließe sich entgegenhalten, dass ein diskriminierungsfreier Zugang sich auch 466

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 186 ff. Siehe hierzu noch D. II. 3. c) bb) (2). 468 Hierauf weist Gounalakis hin. Siehe, ders., AfP 2004, 394, 395 hin. 469 Gounalakis, AfP 2004, 394. 467

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

im Rahmen einer ökonomischen Wettbewerbssicherung regeln lässt. Andererseits darf nicht aus dem Blick genommen werden, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht mit dem Schutz der ökonomischen Wettbewerbsfunktionen eine andere Zielrichtung verfolgt als die Medienvielfaltsicherung. Aus diesem Grund wäre der den Wettbewerb beaufsichtigen Behörde Zurückhaltung aufzuerlegen, wenn auf dem Rundfunkmarkt eine Vielzahl von wirtschaftlich unabhängigen Anbietern bestünde, diese in ihrer Gesamtheit aber kein umfassendes Bild der Meinungsvielfalt widerspiegelten. Dafür aber, dass die Vielzahl der Anbieter keine Gewähr für die inhaltliche Breite des Gesamtangebots liefert, spricht die ökonomische Situation der weitgehend werbefinanzierten privaten Rundfunkanbieter. Aufgrund der erhöhten Nachfrage einer Vielzahl von Anbietern nach massenattraktiven Angeboten ist zudem ein neuer Engpass auf den Märkten für Programminhalte zu erwarten.470 Das ausschließliche Vertrauen auf die Funktionsfähigkeit der Marktkräfte wird weiterhin nicht der überaus wichtigen Bedeutung der Medienvielfalt für die individuelle und gesellschaftliche Meinungsbildung sowie für die Erhaltung der kulturellen Vielfalt gerecht.471 Zudem muss die Kontrolle von Meinungsmacht präventiv angelegt sein, da die Beseitigung einer einmal entstandenen übermäßigen Meinungsmacht die Freiheit des Meinungsbildungsprozesses weniger effektiv schützt, als deren Verhinderung.472 Neben der lediglich reaktiven Handlungsweise der Wettbewerbsaufsicht weist das allgemeine Wettbewerbsrecht weitere Besonderheiten auf, welche mit Blick auf die notwendige Sicherung der Medienvielfalt im Bereich des Rundfunks nicht hingenommen werden können. So kann es im allgemeinen Wettbewerbsrecht gesamtwirtschaftlich sinnvoll sein, Wettbewerbsbeschränkungen kurzzeitig zu akzeptieren, um die Nutzung von Effizienzvorteilen zu ermöglichen.473 Auch bei der Regulierung der Medien muss grundsätzlich darauf Bedacht genommen werden, dass es den der nationalen Rechtsordnung unterliegenden Medienunternehmen nicht unmöglich gemacht werden darf, international konkurrenzfähig zu bleiben.474 In dieser Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass gerade große und vielfältig verbundene Unternehmen besonders konkurrenzfähig sind.475 Dass die Vielfalt sichernde Regulierung soweit als möglich nicht die Entwicklung technischer Innovationen behindern soll, hat auch das Ministerkomitee des Europarats im Hinblick auf die Zugangsregulierung elektronischer Kommunikationsnetze zum Ausdruck gebracht.476 Indessen dürfte unbestritten sein, dass die möglichst unbehinderte Ausübung wirtschaftlicher Freiheiten nicht die Grundvoraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft beeinträchtigen darf. Somit sind der Förderung technischer Innovation

470

Gounalakis, AfP 2004, 394, 396. Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. Kulturelle Zielsetzungen dürften jedoch nicht vom Schutz des Art. 2 EUV erfasst sein. 472 BVerfGE 95, 163, 172 f.; BVerfGE 57, 295, 323; Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. 473 Gounalakis, AfP 2004, 394, 396; Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. 474 Pelny, AfP 1998, 35, 39. 475 Pelny, AfP 1998, 35, 39. 476 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, Ziffer I. 5.3. 471

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

237

und internationaler Wettbewerbsfähigkeit Grenzen gezogen, wenn hierdurch eine übermäßige Verengung des Programmangebots zu befürchten steht. Um dauerhaft und effektiv Medienvielfalt sicherstellen zu können, muss eine medienspezifische Konzentrationskontrolle, anders als das allgemeine Wettbewerbs­ recht, im Rahmen der Aufsicht über zugelassene Rundfunkveranstalter auch übermäßiges inneres Wachstum zu verhindern in der Lage sein.477 Es muss ebenso berücksichtigt werden können, dass sich der Einfluss eines Anbieters auf die öffentliche Meinungsbildung auch durch das Ausscheiden eines Konkurrenten vergrößern kann.478 Weiterhin ist das allgemeine Wettbewerbsrecht aufgrund seiner markt­ bezogenen Betrachtungsweise nicht in der Lage, den Einfluss eines Unternehmens auf die öffentliche Meinungsbildung zu verhindern, welcher sich über verschiedene Medienmärkte entfaltet.479 Schließlich können die publizistischen Interessen nicht kommerziell agierender Medienanbieter, welche u. U. durch technische Vorkehrungen bezüglich der Auffindbarkeit ihrer Inhalte diskriminiert werden, im Rahmen der Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts keine Berücksichtigung finden, da es insofern an einem wirtschaftlichen Konkurrenzverhältnis mangelt.480 Es lässt sich mithin festhalten, dass zumindest in Rundfunkbereich die lediglich reagierende, marktbezogene Aufsicht über die Funktionsfähigkeit des ökono­ mischen Wettbewerbs nicht ausreicht, um ein vielfältiges Medienangebot sicherzustellen. Dem Rundfunk wird allgemein eine größere Wirkkraft als solchen Medien zugesprochen, welche nicht audiovisuell vermittelt werden. Dass der Rundfunk nach den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten der Vielfalt sichernden Regulierung im Wege einer Lizenzaufsicht zugänglich ist, macht auch die Regelung des Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK deutlich. Diese Bestimmung ist zwar eine solche aus dem Rechtsraum des Europarats, sie ist jedoch gleichwohl geeignet, die Verfassungswirklichkeit der Konventions- und Mitgliedstaaten zu reflektieren. Im Pressebereich steht hingegen traditionell die Freiheit der Pressetätigkeit im Vordergrund, wenngleich einige Mitgliedstaaten eine pressespezifische Fusionskontrolle eingeführt haben. Ein Vielfalt sichernder Zulassungsvorbehalt für Pressanbieter ist in den europäischen Rechtsordnungen jedenfalls nicht verwirklicht und widerspräche auch den gemeinsamen europäischen Vorstellungen einer freien Presse.481 Eine medienspezifische Konzentrationskontrolle ist aber dann besonders effektiv, wenn sie, neben dem Einfluss, welchen einem Veranstalter zurechenbare Fernsehprogramme auf die öffentliche Meinungsbildung entfalten, auch die meinungsbildungsrelevanten Aktivitäten dieses Veranstalters auf anderen Medienmärkten mit zu erfassen in der Lage ist. Die Effektivität der Konzentrationskontrolle kann weiter 477 Gounalakis, AfP 2004, 394, 396; Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8; Müller-Terpitz; AfP 2017, 380, 381 f. 478 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 8. 479 Gounalakis, AfP 2004, 394, 396. 480 Müller-Terpitz, AfP 2017, 380, 381. 481 Ähnlich auch, Probst, S. 26.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

hin dadurch gesteigert werden, indem Einflussfaktoren, welche auf der Programmveranstaltung vor- und nachgelagerten Märkten wirksam werden, im Rahmen der Rundfunklizenzaufsicht mit berücksichtigt werden. Indessen muss gesehen werden, dass es i. R. d. Art. 2 EUV nicht um eine möglichst optimale Sicherung der Medienvielfalt gehen kann, sondern es darf und muss seitens der EU nur die Einhaltung absoluter Mindeststandards überwacht werden. So ist einerseits die Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten zu respektieren, welche nicht zuletzt in ihrer nationalen Identität wurzelt. Ebenso lässt sich darüber streiten, auf welche Weise die Medienvielfalt, welche sich als solche nicht einmal messen lässt, effektiv gesichert werden kann. Bereits im Rahmen der medienbezogenen Gesetzgebung Deutschlands wurden und werden unterschiedliche Modelle der Erfassung und Begrenzung sog. Meinungsmacht diskutiert.482 Gegenwärtig ist die Rechtslage in Deutschland hinsichtlich der Verfolgung Medien­vielfalt sichernder Modelle nicht einheitlich.483 Auch die Mitgliedstaaten der EU, welche eine medienspezifische Konzentrationskontrolle eingeführt haben, verwen­den unterschiedliche Modelle, um eine Angebotsvielfalt zu erreichen und den meinungsbildenden Einfluss von privaten Medienveranstaltern zu begrenzen.484 Dies verdeutlicht, dass die EU, welche allenfalls im Rahmen der europäischen Wertesicherung Mindeststandards an die Mitgliedstaaten adressieren kann, diesen kein bestimmtes Modell der Vielfaltsicherung wird auferlegen können. Indessen müssen die Mitgliedstaaten aufgrund der von der allgemeinen Wettbewerbsaufsicht losgelösten und überragend wichtigen Zielsetzung der Erreichung von Medienvielfalt positive Maßnahmen zu deren Sicherung ergreifen. Diese Maßnahmen dürfen jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignet oder unzureichend sein, um ein vielfältiges Medienangebot zu gewährleisten. Den besonderen Eigenschaften der Medienprodukte ist es jedenfalls geschuldet, dass selbst bei funktionierendem ökonomischen Wettbewerb eine Tendenz zur Verengung des inhaltlichen Angebots besteht.485 Deshalb müssen Vielfalt sichernde Regelungen den ökonomischen Wettbewerb zumindest ergänzen. cc) Publizistische Online-Medien Die publizistischen Online-Medien sind ein verhältnismäßig junges Regulierungsfeld, dessen Bedeutung mit zunehmender Meinungsbildungsrelevanz der im 482

Vgl. hierzu, Müller-Terpitz, AfP 2017, 380, 382 ff.; Stockmann / Zigelski, ZUM 1995, 537, 540 f. Vgl. auch Schulz, AfP 2017, 373, 379. Letzter regt die Entwicklung neuer Modelle zur Bestimmung vorherrschender Meinungsmacht an und verweist zugleich auf den diesbezüglichen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. 483 Während beispielsweise der Rundfunkstaatsvertrag in § 26 im Ausgangspunkt die Zuschaueranteile als maßgebliches Kriterium der Meinungsmacht ansieht, begrenzt der Medienstaatsvertrag für Hamburg und Schleswig-Holstein in § 19 die Zahl der Programme, die veranstaltet werden dürfen. 484 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 204. 485 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 3.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

239

Internet verbreiteten Inhalte wachsen wird. Probleme bereitet bereits die Abgrenzung publizistisch relevanter Inhalte von sonstigen Inhalten.486 Derzeit stellt die regulatorische Einpassung der über das Internet verbreiteten Massenmedien in den bisherigen, d. h. den auf die Presse bzw. den Rundfunk bezogenen Rechtsrahmen, eine erhebliche Herausforderung der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber dar.487 Die AVMD-RL erzeugt hierbei einen gewissen europarechtlich vorgegebenen Regulierungsdruck, indem sie auch sog. audiovisuelle Medien auf Abruf, welche von herkömmlichen Fernsehprogrammen abzugrenzen sind, in ihren Anwendungsbereich einbezieht. Bei der Beurteilung der Regulierungsbedürftigkeit der über das Internet verbreiteten Inhalte sollte zunächst in den Blick genommen werden, dass neue technische Verbreitungswege keine neuen medialen Gestaltungsformen (Text, Bild, Ton) hervorgebracht haben. Insofern bieten die herkömmlichen Medien der Presse und des Rundfunks hinsichtlich ihrer charakteristischen Gestaltungsformen bereits eine gewisse Orientierung. Eine Anlehnung an traditionelle Medienformen nehmen auch verschiedene Gesetzgeber vor. So will der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich der AVMD-RL auf „fernsehähnliche“ Abrufdienste begrenzt wissen (vgl. Erwägungsgrund 24). Der deutsche Gesetzgeber möchte das Tätigkeitsfeld des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dadurch begrenzen, indem er nichtsendungsbezogene „presseähnliche“ Angebote für unzulässig erklärt (§ 11d Abs. 2 Nr. 3 a. E. RStV). Die Zuordnung von Online-Angeboten zum bisherigen Regulierungsrahmen anhand ihrer Gestaltungsform erscheint grundsätzlich als eine sachgerechte Erfassung neuer medialer Phänomene, wenngleich nicht übersehen werden darf, dass das Internet auch neuartige, nicht mit traditionellen Massenmedien vergleichbare Kommunikationsformen hervorgebracht hat. Gerade die neuartigen Kommunikationsformen werden zumindest seitens der Nutzer regelmäßig nicht aufgrund kommerzieller Zielsetzungen betrieben. Insofern kann sich für diese auch nicht die Frage stellen, inwiefern der insoweit ohnehin nicht existente ökonomische Wettbewerb zur Vielfalt der Online-Medien beitragen kann. Die Schaffung eines eigenständigen Rechtsrahmens für Online-Medien erscheint damit bereits aufgrund der Vielschichtigkeit der Internetkommunikation bei gleichzeitiger Vergleichbarkeit von diversen Inhalten mit herkömmlichen Medienformen als nicht zielführend. Es sollten vielmehr die kommerziell betriebenen Massenmedien, welche presse- oder fernsehähnlich sind, in den bisherigen Rechtsrahmen der Medien eingepasst werden, wohingegen für die übrigen Kommunikationsformen des Internets die allgemeinen Gesetze des Zivil- und Strafrechts ausreichend sein könnten. Nimmt man die Regulierungspraxis der Mitgliedstaaten in den Blick, so lässt sich feststellen, dass sich in keinem Mitgliedstaat ein originärer Rechtsrahmen für publizistische Online-Medien entwickelt hat.488 486

Siehe hierzu D. II. 3. c) bb) (3). Vgl. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 146 ff. 488 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 157.

487

240

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Betrachtet man den Bereich der herkömmlichen Presse, so ist festzuhalten, dass dort die Annahme vorherrschend ist, dass der ökonomische Wettbewerb grundsätzlich ausreicht, um ein hinreichend vielfältiges Angebot hervorzubringen. Diese Annahme dürfte sich auf die textbasierten Inhalte, welche professionell und kommerziell im Internet bereit gehalten werden, übertragen lassen. Weiterhin muss gesehen werden, dass im Bereich des Internets neben Online-Angeboten von herkömmlichen Zeitungen und Zeitschriften noch unzählige weitere Angebote hinzutreten, welche die dort anzutreffende Vielfalt bereichern. Sind also die Bedingungen für ein vielfältiges Angebot an textbasierten Medien im Internet sogar noch günstiger als im Bereich der Printmedien, so muss der ökonomische Wettbewerb für diese Medien erst recht als ausreichende Vielfaltsicherung angesehen werden. Fraglich ist, ob dies auch für audiovisuelle Medien, welche über das Internet verbreitet werden, zu gelten hat. In Bezug auf solche Dienste muss gesehen werden, dass die ursprüngliche technische Knappheitssituation im Hinblick auf die auf die Verbreitung von Rundfunksignalen ein wesentlicher Grund für die besondere Regulierung des Fernsehens gewesen ist. So war es zu Zeiten der Frequenzknappheit nur wenigen Anbietern möglich, ein Rundfunkprogramm zu veranstalten. Nach Einführung des Privatrundfunks war die Lizenzierung von Rundfunkveranstaltern das zentrale Instrument der Vielfaltsicherung in diesem Bereich. Eine Übertragung dieses Modells auf die Veranstalter von im Internet bereitgestellten audiovisuellen Inhalten erscheint angesichts der Unterschiedlichkeit der Angebote und der vielfältigen Möglichkeiten der kommunikativen Verknüpfung dieser Inhalte unan­ gemessen.489 Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass kommerzielle Anbieter audiovisueller Inhalte, welche dasselbe Publikum ansprechen wie herkömmliche Fernsehveranstalter, aufgrund ihrer werbe- bzw. nutzerentgeltabhängigen Finanzierung keine hinreichenden Garanten eines inhaltlich vielfältigen Angebots sein können. Zudem wird im Zuge der Verschiebung der Nutzergewohnheiten ein verstärkter Einfluss dieser Medien auf die öffentliche Meinungsbildung nicht bestritten werden können. Aus diesem Grund wäre die Einbeziehung des Einflusses dieser Medien in die auf den herkömmlichen Rundfunk bezogene Konzentrationskontrolle geeignet, um auch künftig eine effektive Begrenzung von Meinungsmacht sicherstellen zu können. Indessen muss gesehen werden, dass die Erfassung des meinungsbildenden Einflusses von Online-Medien in der Regulierungspraxis der Mitgliedstaaten bisher noch die Ausnahme darstellt.490 Weiterhin darf nicht verkannt werden, dass eine mit Grundrechten im Einklang stehende gesetzliche Regelung zur Erfassung dieses Einflusses eine überaus komplexe Aufgabe ist. Jedenfalls dürfen die Entfaltungsmöglichkeiten privater Anbieter nicht ohne überzeugende und zwingende Gründe eingeschränkt werden. Insofern erscheint es aus Sicht des zur Gesetzgebung berufenen mitgliedstaatlichen Gesetzgebers vertretbar und auch geboten,

489

Hoffmann-Riem, Gesetzliche Gewährleistung, S. 237, 253 f. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 161.

490

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

241

weitere Erfahrungswerte mit der über das Internet verbreiteten Massenkommunikation zu sammeln, bevor regulierend eingegriffen wird.491 Somit ist es auch aus der die Medienvielfalt der Mitgliedstaaten lediglich be­ aufsichtigenden Perspektive der EU nicht zu beanstanden, wenn im Bereich der Online-Medien inhaltliche Vielfalt dadurch erzielt werden soll, dass private Anbieter zulassungsfrei in einen funktionsfähigen ökonomischen Wettbewerb zueinander treten. Jedoch wird gesondert zu betrachten sein, inwieweit öffentlich-rechtlich beauftragte Medienanbieter gehalten sein werden, ihr Angebot ergänzend auf solche audiovisuellen Medien auszuweiten, welche nicht dem herkömmlichen Programmrundfunk entsprechen.492 c) Notwendige Regulierungsmaßnahmen aa) Erfordernis einer medienspezifischen Konzentrationskontrolle? Angesichts der Defizite, welche die alleinige Sicherung des wirtschaftlichen Wettbewerbs im Hinblick auf die Sicherung der Medienvielfalt aufweist, erscheint eine medienspezifische Konzentrationskontrolle unabdingbar. Tatsächlich existiert aber in einigen Mitgliedstaaten der EU weder eine medienspezifische Presse­ fusionskontrolle noch eine medienspezifische Konzentrationskontrolle im Rahmen der Rundfunklizenzaufsicht.493 Fraglich ist, ob bereits diese Tatsache für sich genommen als Verletzung der aus Art. 2 EUV folgenden Verpflichtung zur Medienvielfaltsicherung angesehen werden kann. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass Maßnahmen der Konzentrationsbegrenzung an die Größe und die spezifischen Gegebenheiten des zu betrachtenden Medienmarkts angepasst werden sollten.494 Gerade in kleineren Mitgliedstaaten besteht die Gefahr, dass ausländische Medieneigentümer übermäßigen Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen könnten.495 Um einen solchen Einfluss als problematisch erfassen zu können, sollte nicht die europäische sondern die nationale Ebene maßgeblich für die Betrachtung der Medienkonzentration sein.496 Gegen eine europäische Perspektive der Vielfaltsicherung spricht, abgesehen von der inso­weit fehlenden Kompetenz der EU, auch die Tatsache, dass der demokratische Willens- und Meinungsbildungsprozess weiterhin im Wesentlichen auf der Ebene

491

Ladeur, ZUM 2009, 906, 910 f. Siehe hierzu D. II. 3. c) cc) (3). 493 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 195 und S. 198. 494 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, Ziffer I. 2.2. 495 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 27. 496 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 27. 492

242

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

der Mitgliedstaaten stattfindet.497 Auch sind die Medienmärkte, trotz der Aktivitäten ausländischer Medienunternehmer, als solche durch Sprach- und Staatsgrenzen national stark voneinander abgegrenzt.498 Die Einführung von strengen Medienkonzentrationsbestimmungen kann gerade für kleinere Mitgliedstaaten mit Problemen verbunden sein. So ist in den Blick zu nehmen, dass die ökonomischen Rahmenbedingungen für Medienunternehmen in Mitgliedstaaten mit kleineren Medienmärkten weitaus ungünstiger sind, als in solchen mit hoher Bevölkerungs- und damit auch Rezipientenzahl.499 So können beispielsweise mit den in gleicher Höhe aufzubringenden Kosten für die Produktion von Inhalten weniger Rezipienten erreicht werden, was die Möglichkeit der Refinanzierung durch Werbeeinnahmen und Verkaufserlöse erschwert.500 Die beabsichtigte Begrenzung des meinungsbildenden Einflusses ausländischer Medieneigentümer durch Medienkonzentrationsbestimmungen wäre insofern problematisch, als sie es auch den nationalen Anbietern unmöglich machte, die ökonomischen Vorteile der Unternehmenskonzentration zu nutzen. So wäre es den nationalen Anbietern nicht möglich, die aus der geringen Marktgröße resultierenden Nachteile gegenüber solchen ausländischen Medienanbietern, welche bereits einen großen heimischen Markt bedienen können, zum Ausgleich zu bringen. Folglich kann eine Strategie zur Abwehr eines übermäßigen Einflusses ausländischer Medienanbieter auf die öffentliche Meinungsbildung auch darin bestehen, durch liberale Konzentrationsbestimmungen die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Medienunternehmen zu stärken.501 Jedenfalls haben die regulierenden Mitgliedstaaten bei der Frage, in welchem Maße eine Regulierung und Begrenzung der wirtschaftlichen Tätigkeit von Medienunternehmen im Interesse der Medienvielfalt notwendig ist, komplexe Abwägungsentscheidungen zu treffen.502 Der zu beobachtende Trend der Deregulierung von Vorschriften zur Beschränkung der Medientätigkeit kann in dem Bestreben erfolgen, starke und damit wettbewerbsfähige nationale Medienanbieter entstehen zu lassen.503 Im Hinblick auf die zu treffenden Abwägungsentscheidungen ist festzuhalten, dass diese nur durch den zuständigen und demokratisch legitimierten mitgliedstaatlichen Gesetzgeber erfolgen können. Dabei liegt es im Wesen schwieriger Abwägungsentscheidungen, dass diese in vertretbarer Weise mit unterschiedlichem Ergebnis vorgenommen werden können. Insofern muss den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern bei der zu treffenden Entscheidung, ob und inwieweit medienkonzentrationsrechtliche Bestimmungen erlassen werden, aus europäischer Perspektive ein weiter Entscheidungsspielraum zugestanden werden. Es kann also aus Art. 2 EUV 497

Hain, AfP 2007, 527, 531. A. A. offenbar Holznagel, S. 356. Dieser nahm bereits vor mehr als 20 Jahren die Existenz einer europäischen Öffentlichkeit an, deren Meinungsbildung durch multinationale Meinungsmacht beeinflusst werden könnte. 498 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 27. 499 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 113. 500 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 113. 501 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 113. 502 Schulz / Held / S. Arnold, S. 50. 503 Schulz / Held / S. Arnold, S. 50.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

243

nicht für alle Mitgliedstaaten eine einheitliche und verbindliche Vorgabe in Bezug auf das Medienkonzentrationsrecht hergeleitet werden. Selbst das völlige Fehlen medienkonzentrationsrechtlicher Bestimmungen kann seitens der EU nicht stets als unzureichende Sicherung der Medienvielfalt beanstandet werden. Auf der anderen Seite ist zumindest im Rundfunkbereich davon auszugehen, dass ökonomischer Wettbewerb nicht mit hinreichender Sicherheit ein ausreichendes Maß an Medienvielfalt zu bewirken in der Lage ist. Ein Mitgliedstaat kann angesichts der ökonomischen Situation der Medien seiner aus Art. 10 EMRK, bzw. im unionsrechtlichen Kontext aus Art. 2 i. V. m. Art. 6 Abs. 3 EUV folgenden Verpflichtung, im audiovisuellen Bereich als Garant des Pluralismus zu wirken, nicht gerecht werden, wenn er jegliche Vielfalt sichernde Regulierung unterlässt. Da die Sicherung der Medienvielfalt aufgrund ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung präventiv angelegt sein muss, reicht es auch nicht aus, zunächst ein Versagen des erforderlichen publizistischen Wettbewerbs abzuwarten, ehe regulierend eingegriffen wird. Im Hinblick auf geeignete Regulierungsinstrumente ist in den Blick zu nehmen, dass Medienvielfalt nicht messbar ist und deshalb vielmehr ein Umfeld geschaffen werden muss, welches die Einstellung eines hinreichend breiten Medienangebots wahrscheinlich macht.504 Ausgehend von dieser Erkenntnis erscheint eine durch ein medienspezifisches Konzentrationsrecht sichergestellte Vielfalt an voneinander unabhängigen Anbietern als ein besonders geeignetes Instrument zur Erreichung sog. struktureller Medienvielfalt.505 Vor diesem Hintergrund muss ein Verzicht auf medienkonzentrationsrechtliche Bestimmungen zumindest von gewichtigen Gründen getragen sein. Das Bestreben, nationale Medienunternehmen gegenüber ausländischen Anbietern konkurrenzfähig zu erhalten, kann als ein solcher Grund betrachtet werden. Gerade wenn dieses Ziel im Wege der Deregulierung erreicht werden soll, fügt sich ein solches Vorgehen harmonisch in das wirtschaftliche Freiheiten betonende Binnenmarktkonzept der EU ein. Im Übrigen ist das Ziel der Sicherung der Medienvielfalt ein solches, welches der Regelungsgewalt der EU nur sehr eingeschränkt zugänglich ist, wenngleich es in der Rechtsordnung der EU höchste Anerkennung genießt. Auch die Erhaltung der nationalen Kulturen und Sprachen innerhalb der EU ist, wie insbesondere Art. 167 AEUV verdeutlicht, ein Anliegen der EU. Insofern kann das durch ein liberales Medienrecht verfolgte Ziel der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit nationaler Anbieter auch aus europäischer Perspektive als legitim angesehen werden, sofern damit keine Diskriminierung von Anbietern aus anderen EU-Staaten einhergeht. Die Hoffnung, dass ein nationaler Anbieter, welcher der eigenen Rechtshoheit unterliegt, Belange, welche die Vielfalt einer mitgliedstaatlichen Gesellschaft nach dem Willen des Gesetzgebers ausmachen 504

Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 2. Vgl. Kuhlmann, AfP 2017, 384, 386. Diese macht darauf aufmerksam, dass die Anzahl wirtschaftlich voneinander unabhängiger Medienanbieter der einzig messbare Faktor vorhandener Meinungsvielfalt ist. 505

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

sollen, eher zur Geltung bringen wird als ein ausländischer Anbieter, erscheint nachvollziehbar. Im Falle einer strengen Regulierung besteht zudem die Gefahr der Abwanderung der heimischen Medienunternehmen. Dies hätte grundsätzlich zur Konsequenz, dass die nationalen Regelungen infolge des in der AVMD-RL verankerten Sendestaatsprinzips keine Anwendung mehr auf das abgewanderte Unternehmen finden, obgleich dieser sein Angebot weiterhin, nunmehr aber vom insoweit nicht reglementierten Ausland aus, auf seinen Ursprungsstaat ausrichtet.506 Einschränkend muss angemerkt werden, dass die AVMD-RL in Art. 4 Abs. 2 bis 5 ein Instrumentarium enthält, welches die rechtsmissbräuchliche Verlegung des Unternehmenssitzes zur Umgehung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, auf dessen Publikum das Programm ausgerichtet ist, verhindern soll. Probleme bereitet indessen bereits der zu erbringende Nachweis eines Mitgliedstaats, dass das Programm tatsächlich zumindest vorwiegend auf sein Hoheitsgebiet ausgerichtet ist. Aufschlussreiche Anhaltspunkte können zwar die ausschließliche Verwendung der Sprache des Empfangsstaats und die Bewerbung von Produkten sein, welche lediglich in diesem Staat erhältlich sind.507 Auf der anderen Seite muss gesehen werden, dass insbesondere solche Mitgliedstaaten, welche an einen größeren Mitgliedstaat mit gleicher Sprache angrenzen, Probleme haben, ihre kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren.508 Gerade in dieser Konstellation ist der Nachweis der Umgehung von Rechtsvorschriften erschwert, da der betroffene Mitgliedstaat ohnehin kulturell stark durch den benachbarten größeren Mitgliedsstaat beeinflusst wird. Zudem darf nicht übersehen werden, dass das in Art. 4 Abs. 2 bis 5 der AVMD-RL geregelte Verfahren, welches die missbräuchliche Umgehung von Rechtsvorschriften verhindern soll, u. a. wegen der notwendigen Beteiligung des Staates der Niederlassung und der Europäischen Kommission überaus komplex und schwergängig ist. Vor diesem Hintergrund muss die Praktikabilität dieses Verfahrens kritisch gesehen werden. Die mit der AVMD-RL eigentlich bezweckte Schaffung eines europäischen Binnenmarkts, dessen Hüterin die Europäische Kommission ist, kann in ein schwieriges Spannungsfeldverhältnis zu der nach Art. 4 Abs. 1 der AVMD-RL grundsätzlich möglichen Berücksichtigung kultureller Eigenständigkeiten der Mitgliedstaaten geraten. Die Schwierigkeit des Ausgleichs zwischen den mitgliedstaatlichen Vielfaltinteressen und den unionsrechtlichen Wettbewerbsinteressen kommt in der Komplexität des in Art. 4 Abs. 2 bis 5 AVMD-RL geregelten Verfahrens zum Ausdruck. Damit bleibt es, trotzdem der Unionsgesetzgeber die Problematik des Umgehens mitgliedstaatlicher Vielfaltanforderungen gesehen und auch geregelt hat, zumindest faktisch weiterhin möglich, den Empfangsstaat, auf dessen Publikum sich das Programm ausrichtet, zu erreichen, ohne dessen Vielfaltregulierung zu unterliegen. Ein Beispiel für die praktische Relevanz der Umgehungsmöglich 506

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 115 f. Mit Bezug auf den Tatbestand des § 20 Abs. 4 RStV, welcher in Umsetzung der inhaltlich vergleichbaren Regelung des Art. 24a des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen ergangen ist, Hahn / Vesting-Bumke, § 20 RStV, Rn. 110. 508 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 114. 507

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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keit nationaler Rechtsvorschriften liefern dänische Fernsehsender, welche sich in Großbritannien niedergelassen haben.509 Festzuhalten bleibt, dass ein von der Umgehung betroffener Mitgliedstaat jedenfalls nicht mehr eigenständig die Einhaltung seiner Medienordnung einfordern kann, sofern der Anbieter audiovisueller Medien sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar, dass kleinere Mitgliedstaaten zur Stärkung nationaler Anbieter teilweise auf medienspezifische Konzen­ trationsvorschriften verzichten. Konzentrieren sich die Zuschauerzahlen auf wenige Anbieter, so kommen im Falle der Unmöglichkeit des Erreichens von Außenpluralität auch binnenplurale Sicherungen der Medienvielfalt in Betracht. Indessen stellen auch binnenplurale Regelungen der Vielfaltsicherung erhebliche Eingriffe in die unternehmerische Tätigkeit dar. Damit steht zu befürchten, dass diese, ebenso wie Regelungen des Medienkonzentrationsrechts, geeignet sind, einer Abwanderung in das europäische Ausland Vorschub zu leisten. Es gilt weiterhin zu berücksichtigen, dass der Gefahr einer von Privatpersonen ausgehenden übermäßigen Meinungsmacht nicht allein durch die Schaffung eines Medienkonzentrationsrechts begegnet werden kann. Vielmehr können auch andere Instrumente der Vielfaltsicherung zur Anwendung gebracht werden. So werden auf Außenpluralität gerichtete Regelungsstrukturen häufig durch sog. Programmgrundsätze ergänzt, welche die Veranstalter auf Zielvorgaben wie Ausgewogenheit, Unabhängigkeit oder Vielfalt verpflichten.510 Jedoch kann die Vielfalt sichernde Tauglichkeit von solchen in ihrem Zielerreichungsgrad nicht objektiv messbaren normativen Verpflichtungen mit Recht bezweifelt werden.511 Auch können die Erfordernisse der Medienvielfalt im Rahmen der rundfunkrechtlichen Lizenzvergabe Berücksichtigung finden.512 Dies ist insbesondere in solchen Mitgliedstaaten der Fall, welche das allgemeine Wettbewerbsrecht nicht um Belange der Medienvielfaltsicherung ergänzen.513 Schließlich kommen in den Mitgliedstaaten der EU finanzielle Förderungen bestimmter Inhalte und Anbieter mit dem Ziel der Vielfaltsicherung zum Einsatz.514 Angesichts der großen Anzahl der in Betracht kommenden und in der Regulierungspraxis auch tatsächlich zum Einsatz kommenden Instrumente der Medienvielfaltsicherung kann aus der Perspektive der EU jedenfalls nicht für jeden Mitgliedstaat eine medienspezifische Konzentrationskontrolle gefordert werden. Auf der anderen Seite ist der Verzicht auf dieses wirksame Instrument der strukturellen 509

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 116. Holznagel, S. 358. 511 Hahn / Vesting-Trute, § 26 RStV, Rn. 2. Siehe hierzu auch die Ausführungen unter D. II. 1. a) aa). 512 Kritisch zur Vielfalt sichernden Eignung eines Lizenzverfahrens ohne flankierendes medienspezifisches Konzentrationsrecht, Trute, VVDStRL 57 (1998), 216, 237. 513 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 114. 514 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 114. 510

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Vielfaltsicherung zumindest durch andere Regulierungsinstrumente zum Ausgleich zu bringen. Die medienspezifische Konzentrationskontrolle bietet gegenüber den anderen Regulierungsinstrumenten den Vorteil, dass sie, ungeachtet der Probleme der Erfassung und Bemessung diagonaler und vertikaler Konzentration, im Grundsatz eine rechtssichere und Rechtsschutz gewährende Handhabung der Medienvielfaltsicherung ermöglicht. Gerade in solchen Mitgliedstaaten, deren wirtschaftliches Umfeld das Nebeneinander vieler Anbieter ermöglicht, sind Regelungen zur Erfassung und Begrenzung publizistischer Macht unverzichtbar. In Mitgliedstaaten jedoch, welche den Erhalt ihrer spezifischen kulturellen Eigenheiten durch das zunehmende Engagement ausländischer Medienanbieter bedroht sehen, kann es zur Förderung der Medienvielfalt ebenso geeignet sein, nationale Medienanbieter durch eine liberale Regulierungspraxis an ihrem Standort zu halten. Hierdurch kann gewährleistet werden, dass etwaige Vielfalt sichernde und Kultur schützende Vorschriften einen Regelungsadressaten haben. Zuzugeben ist, dass auch solche Regelungen einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit der nationalen Medienunternehmen darstellen. Möglicherweise können sich solche Regelungen gleichwohl medienpolitisch, etwa um den Preis nicht vorhandener Medienkonzentrationsbestimmungen, durchsetzten lassen. Zudem kann den privaten nationalen Medienanbietern vor Augen geführt werden, dass anderenfalls die publizistische Konkurrenz seitens öffentlicher Medienanbieter verstärkt werden muss. Das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung und die staatliche Verantwortung für diese kann jedenfalls auch in solchen Staaten, in welchen das wirtschaftliche Umfeld für die Tätigkeit einer Vielzahl von Anbietern ungünstig ist, keinen gravierenden Einschränkungen unterliegen. Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Frage, auf welche Weise sich das Ziel der Medienvielfalt am wirkungsvollsten erreichen lässt, grundsätzlich eine dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber vorbehaltene Abwägungsentscheidung ist. Die sich aus Art. 2 EUV ergebenden Grenzen der mitgliedstaatlichen Entscheidungsfreiräume müssen dabei im Hinblick auf das Erfordernis einer medienspezifischen Konzentrationskontrolle für jeden Mitgliedstaat gesondert betrachtet werden.

bb) Erfordernis einer öffentlichen Medienförderung Für den Staat bestehen eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Ergebnisse eines freien ökonomischen Wettbewerbs privater Anbieter zu korrigieren und zu beeinflussen. In dieser Hinsicht wird man eine Abstufung nach dem Grad der Intensität des Eingriffs in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der privaten Medienanbieter vornehmen können. Kaum als Eingriff zu werten wäre die finanzielle Förderung sämtlicher privater Anbieter zur Verbesserung ihres wirtschaftlichen Umfelds. Ziel einer solchen Förderung wäre es, das wirtschaftliche Überleben einer möglichst großen Vielzahl unterschiedlichen Medienanbieter zu fördern, um hierdurch sog. strukturelle Medienvielfalt zu erzielen. Bereits einen Eingriff stellte die selektive

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Förderung nur einzelner Medienanbieter dar. Hierdurch könnte gezielt die Verbreitung bestimmter nicht marktfähiger Inhalte gefördert werden. Den größten Rechtfertigungsaufwand erfordert es, wenn der Staat bestimmte Medienorganisationen damit beauftragt, am Gemeinwohl orientierte Medieninhalte anzubieten und sie zur Erreichung dieses Zwecks aus öffentlichen Mitteln finanziert. Ein solches Vorgehen beeinträchtigt die Betätigungsfreiheit privater Medienunternehmen in besonders hohem Maße. Im Folgenden soll, differenziert nach Medienarten, zunächst untersucht werden, ob der Staat verpflichtet ist, durch finanzielle Förderungen die Marktergebnisse zu korrigieren. Aufbauend auf diese Ergebnisse soll in den Blick genommen werden, in welchen medialen Bereichen eine öffentliche Beauftragung und Finanzierung bestimmter Medienorganisationen notwendig erscheint. (1) Rundfunk Die Darstellung der ökonomischen Situation der Medien hat gezeigt, dass diese aufgrund ihrer überwiegenden Finanzierung aus Werbeeinnahmen bestrebt sein werden, Inhalte anzubieten, welche ein breites Publikum ansprechen. Dasselbe wird im Falle der überwiegenden Finanzierung aus Nutzerentgelten zu gelten haben. Unabhängig von den zu erwartenden Auswirkungen der Unternehmenskonzentration im Medienbereich kommt hinzu, dass die Finanzierungsabhängigkeit privat finanzierter Rundfunkanbieter gegenüber der werbetreibenden Wirtschaft bewirken kann, dass das Programm teilweise auch an die Bedürfnisse der Werbekunden angepasst werden muss.515 Aufgabe der Medienvielfaltsicherung ist es indessen, eine umfassende Information zu gewährleisten und die Vielfalt der sich in der Gesellschaft frei bildenden Meinungen darzustellen. Dass ein einzelner privater Anbieter diese Aufgabe nicht wirtschaftlich sinnvoll erfüllen kann, liegt auf der Hand. Aus diesem Grund wird die den Medien insgesamt zukommende Aufgabe auch nicht von einem einzelnen Anbieter zu erfüllen sein, sondern es ist vorzugsweise ein Modell der Außenpluralität anzustreben. Ziel der Außenpluralität ist es, dass die gebotene Medienvielfalt durch alle Anbieter in ihrer Gesamtheit erreicht werden kann.516 Um eine solche Außenpluralität erzielen zu können, erscheinen insb. Vorschriften des Medienkonzentrationsrechts als ein geeignetes Instrument. Es fragt sich aber, ob der Staat seiner ihm vom EGMR auferlegten Rolle als Garant des Pluralismus im audiovisuellen Bereich bereits dann gerecht wird, wenn er sich allein auf die Verhinderung einer übermäßigen Meinungsmacht durch private Anbieter beschränkt. Aus dem Blickwinkel des deutschen Verfassungsrechts muss 515

Kuhlmann, AfP 2017, S. 384, 385. Hinrichsen, S. 20.

516

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

dies jedenfalls verneint werden. An den privaten Rundfunk werden zwar geringere Anforderungen an die Vielfalt und Ausgewogenheit des Programms gestellt, da zu berücksichtigen ist, dass private Anbieter keine staatlich zu gewährleistende Finanzierungsgrundlage für sich in Anspruch nehmen können.517 Andererseits ist die Absenkung der Programmanforderungen daran geknüpft, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine ihm verfassungsrechtlich zugedachte Aufgabe der Grundversorgung auch tatsächlich wirksam erfüllt.518 Die geringeren Programmanforderungen an den privaten Rundfunk sollen es diesem ermöglichen, im Bereich der audiovisuellen Medien erwerbswirtschaftlich tätig sein zu können.519 Die erwerbswirtschaftliche Orientierung von Medienunternehmen birgt aber die Gefahr, dass Programmentscheidungen nach ökonomischen Gesichtspunkten getroffen werden.520 Problematisch ist, ob sich auch aus europäischer Perspektive eine Verpflichtung ergibt, zumindest einzelne Medieninhalte oder -anbieter mit öffentlichen Mitteln zu fördern.521 Dies erscheint zunächst deshalb zweifelhaft, da die öffentliche Finanzierung von Medien in einen Konflikt mit dem europäischen Beihilferecht geraten kann. Ziel der durch die EU vollzogenen Harmonisierung von Rechtsvorschriften im Bereich der audiovisuellen Medien muss weiterhin, allein schon aus kompetenziellen Gründen, vordergründig die Förderung des Binnenmarkts sein. Die finanzielle Stärkung einzelner Medienanbieter durch die Zuführung von öffentlichen Mitteln führt jedoch auch zu einer Verzerrung und nicht stets zu einer Förderung des Wettbewerbs. Dies legt nahe, dass die aus der öffentlichen Förderung einzelner Medienanbieter resultierende Beeinträchtigung des Wettbewerbs aufgrund der damit verbundenen Vielfalt sichernden Zielsetzung unionsrechtlich zwar gerechtfertigt aber nicht geboten sein kann. Eine aktive Ermutigung der Mitgliedstaaten seitens der EU zur öffentlich veranlassten Förderung bestimmter Medieninhalte dürfte hingegen mit Ausnahme der in Kapitel VI der AVMD-RL geregelten Förderung der Verbreitung und Herstellung europäischer Werke nicht zu erwarten sein. So hat die EU die nationale Identität der Mitgliedstaaten, welche auch in der Förderung bestimmter Medieninhalte ihren Ausdruck finden kann, zu achten und kulturelle Besonderheiten der Mitgliedstaaten zu schützen. Direkte Einflussnahmen auf die durch die Mitgliedstaaten zu fördernden Inhalte wird die EU im Grundsatz vielmehr zu unterlassen haben. Auf der anderen Seite ist die EU nicht nur eine Wirtschafts- sondern auch eine Wertegemeinschaft. Wie nicht allein Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh zum Ausdruck bringt, ist die Pluralität der Medien ein hochrangiger Wert der EU. Dieser hat im 517

BVerfGE 83, 238, 297; BVerfGE 74, 297, 325; BVerfGE 73, 118,158 f.; Holznagel, S. 103. BVerfGE 83, 238, 297, 316; BVerfGE 74, 297, 325; BVerfGE 73, 118, 158 f.; Holznagel, S. 104. 519 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 354. 520 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 354. 521 Denkbar wäre grundsätzlich auch, dass im Gegensatz zu einer umfassenden öffentlichen Finanzierung und Trägerschaft des Rundfunkveranstalters nur einzelne Inhalte eines privaten Veranstalters aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. 518

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Recht der EU nicht generell gegenüber der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung von Unternehmen zurückzustehen. Jedoch sind die Kompetenzen der EU im Bereich der Medien allein auf ihre wirtschaftliche Dimension bezogen. Das Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten unterstreicht die Zuständigkeit derselben bei der Ausgestaltung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und stellt zudem heraus, dass dessen Existenz mit dem Erfordernis, den Pluralismus in den Medien zu wahren, verknüpft ist. Die den Wettbewerb beaufsichtigende Europäische Kommission stellt die herausragende demokratische, soziale und kulturelle Bedeutung, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch nach Auffassung anderer Organe der EU zukommt, anschaulich zusammen.522 Andererseits merkt sie ebenso an, dass auch der private Rundfunk und die Printmedien einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt der Medien insgesamt leisten.523 Weiterhin macht die Europäische Kommission darauf aufmerksam, dass, gerade im Zuge des Herausbildens neuer Erscheinungsformen von Medien, die öffentliche Förderung bestimmter Medienanbieter für die anderen Marktteilnehmer besonders spürbare Wettbewerbsverzerrungen eintreten lässt.524 Diese Ausführungen machen deutlich, dass der Fokus der Unionsorgane in Bezug auf die öffentliche Förderung von Medienanbietern vorrangig auf dem Wettbewerbsrecht und weniger auf dem Gesichtspunkt der Medienvielfalt liegt. So prüft auch der EuGH Eingriffe in wirtschaftliche Freiheiten aus Gründen der Sicherung der Medienvielfalt streng anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.525 Gleichwohl muss die Bedeutung der öffentlichen Förderung von Medien auch im Lichte des Art. 2 EUV und des ihn in Bezug auf grundrechtliche Standards zumindest teilweise konkretisierenden Art. 6 Abs. 3 EUV betrachtet werden. Art. 6 Abs. 3 EUV macht deutlich, dass auch das Recht des Europarats und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auf das Unionsrecht einwirken. Somit könnte es für die Ebene des Unionsrechts nicht ohne Auswirkung bleiben, wenn sowohl das Recht des Europarats als auch dieses der weit überwiegenden Anzahl der Mitgliedstaaten die Vielfalt der Medien nur durch die zumindest ergänzende Tätigkeit öffentlich geförderter Medien als gewährleistet ansieht. Zunächst ist festzuhalten, dass der EGMR dem Staat für den Bereich der audiovisuellen Medien die Verpflichtung auferlegt, durch positive Maßnahmen einen wirksamen Pluralismus sicherzustellen.526 Dagegen nimmt der EGMR davon Abstand, den Konventionsstaaten konkrete Vorgaben aufzuerlegen, auf welche Weise sie ihre aus Art. 10 EMRK folgenden positiven Verpflichtungen erfüllen müssen. Vielmehr wird diesen dahingehend ein weiter nationaler Entscheidungsfreiraum

522

Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 12–15. Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 16. 524 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 16. 525 Siehe oben zu C. II. 1. b). 526 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 523

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

zuerkannt.527 Die Errichtung öffentlicher Rundfunkorganisationen wird zwar als wirksames Instrument zur Erreichung von Medienvielfalt angesehen.528 Art. 10 EMRK begründet nach Auffassung des EGMR aber keine Verpflichtung des Staates, einen öffentlichen Rundfunk zu installieren, sofern das Ziel der Medienvielfalt auch mit anderen Mitteln erreicht werden kann.529 Auch das Ministerkomitee des Europarats hält sich damit zurück, eine konkrete Empfehlung zur Einsetzung eines öffentlichen Rundfunks an seine Mitglieder zu adressieren. Sofern indessen öffentliche Medienorganisationen bereits existieren, wird empfohlen, diesen auch mit Blick auf die Entwicklung neuer Medien einen sichtbaren Platz in der Medienlandschaft einzuräumen.530 Eine Betrachtung sämtlicher Medienordnungen der EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass keiner der Mitgliedstaaten auf eine durch den Staat veranlasste finanzielle Förderung bestimmter Medienprodukte bzw. -anbieter verzichtet.531 Dabei hat sich, mit Ausnahme von Luxemburg, wo derzeit lediglich ein öffentlich-rechtlicher Hörfunksender existiert, in allen Mitgliedstaaten ein duales Rundfunksystem, welches sich durch ein Nebeneinader von öffentlichen und privaten Anbietern auszeichnet, etabliert.532 Dem Medium des Rundfunks wird insbesondere von den frühzeitig am europäischen Integrationsprozess beteiligten Mitgliedstaaten eine wichtige Bedeutung für die Demokratie, die Meinungsbildung, die umfassende und ausgewogene Information als auch für die Förderung und Bewahrung der Kultur beigemessen.533 Der Rundfunk soll als zuverlässig empfundene Informationsquelle, welche zudem von einem Großteil der Bevölkerung als Hauptinformationsquelle genutzt wird, die angemessene Teilnahme aller Bürger am öffentlichen Leben ermöglichen.534 Diese dem Gemeinwohl verpflichtete Funktion des Rundfunks wird im europäischen Rechtsraum gemeinhin als Public-Service-Funktion umschrieben.535 Mit der Ausführung der Public-Service-Funktion werden regelmäßig die im Wesentlichen aus dem staatlichen Haushalt oder durch sonstige staatlich veranlasste Abgaben finanzierten öffentlichen Medienorganisationen beauftragt.536 Die Staaten, welche der EU seit dem Jahr 2004 beigetreten sind, haben das bis dahin in den meisten Mitgliedstaaten der EU praktizierte Modell der dualen Rundfunkordnung übernommen. Gleichwohl wird dem öffentlichen Rundfunk in den ehemals kommunistischen Mitgliedstaaten wegen der zum Teil noch immer bedenklichen Einflussnahme des

527

EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 529 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 530 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2007)2, Ziffer I. 3.1. 531 Siehe hierzu die Übersicht bei Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 193. 532 Voß, Rundfunkrecht in den Staaten der EU, S. 523. 533 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 170. 534 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 16. 535 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 170. 536 Dörr, Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, S. 16; Voß, Rundfunkrecht in den Staaten der EU, S. 523. 528

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Staates Misstrauen entgegen gebracht.537 Dass diese Bedenken berechtigt sein können, wird beispielsweise anhand der erfolgten Einflussnahme der Kommunistischen Partei Moldawiens auf einen im öffentlichen Eigentum stehenden Rundfunkveranstalter deutlich.538 Die Partei errang bei den Parlamentswahlen im Jahr 2001 die Mehrheit und nutzte ihre alleinige politische Machtstellung in der Folge dazu, die Berichterstattung des betreffenden öffentlichen Rundfunkveranstalters ausschließlich durch ihr gegenüber loyale Personen erfolgen zu lassen. Der EGMR sah hierin eine Verletzung der dem Staat aus Art. 10 EMRK erwachsenden positiven Verpflichtung, für vielfältige Rundfunkbeiträge Sorge zu tragen.539 Trotz der aufgezeigten Problematik, dass ein politisch beeinflusster öffentlicher Medienanbieter den von Art. 10 EMRK geforderten freien Kommunikationsprozess verletzen kann, ist gleichwohl die dem Rundfunk insgesamt zukommende Public-Service-Funktion als eine gemeineuropäische Vorstellung anzusehen.540 Auf der anderen Seite kann die Art der Umsetzung und der Finanzierung der Public-Service-Funktion in den Mitgliedstaaten erheblich variieren.541 Es wird sogar die formale Privatisierung der mit dem Public-Service-Auftrag betrauten Veranstalter erwogen.542 Denkbar ist auch, dass private Medienanbieter, welche im Übrigen eine kommerzielle Zweckrichtung verfolgen, mit dem Staat einen Vertrag schließen, welcher eine öffentliche Finanzierung für die Verbreitung spezieller gemeinwohlorientierter Inhalte vorsieht.543 Die intensive Rundfunkpolitik der EU vermag an ihrer eingeschränkten Zuständigkeit auf diesem Gebiet nichts zu ändern, sodass es nicht verwunderlich ist, dass eine einheitliche europäische Rundfunkordnung nicht existiert.544 Vielmehr entfalten die Mitgliedstaaten im Rahmen der Beauftragung und Finanzierung der Public-Service-Funktion spezieller Medienanbieter ihre nationale Identität. Dies haben die Mitgliedstaaten in den Verträgen und vor allem, wenngleich insofern nur klarstellend, im Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht. Trotz der unterschiedlichen Ansätze zur Verwirklichung der Medienvielfalt in den einzelnen Mitgliedstaaten darf nicht aus dem Blick genommen werden, dass die gemeinwohlorientierten Aufgaben des Rundfunks als gemeinsame Verfassungsüber 537

Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 171. Wenngleich Moldawien kein Mitglied der EU ist, ist es ein solches des Europarats und entstammt zudem, ebenso wie die osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU, dem ehemaligen sowjetischen Einflussbereich. 539 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 114 (Manole u. a. / Moldawien). 540 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa, S. 170. 541 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 74; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)3, Einleitung vor I. 542 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 74; Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 27. 543 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang I., Nr. 8. 544 Voß, Rundfunkrecht in den Staaten der EU, S. 523 f. 538

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

lieferungen i. S. d. Art. 6 Abs. 3 2. Alt. EUV zu betrachten sind. Die Beantwortung der Frage, inwieweit der Rundfunk dabei bestimmte kulturelle Aspekte fördern soll, dürfte in Anbetracht der nach Art. 167 AEUV lediglich unterstützenden Kompetenz der EU den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Zudem bietet Art. 2 EUV keine Anknüpfungspunkte für eine am Schutz der Kulturen ausgerichtete Aktivität der Union. Die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Rundfunkordnung muss indessen den Anforderungen aus Art. 2 EUV bezüglich der Werte der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes genügen. In dieser Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch Ebene des Europarats die Überzeugung geteilt wird, dass im Bereich der audiovisuellen Medien der Pluralismus gewahrt werden muss, um eine für die Demokratie unerlässliche freie Meinungsbildung gewährleisten zu können. Zwar halten sich die Organe des Europarats damit zurück, verbindliche Vorgaben zur Erreichung des Ziels der Medienvielfalt zu formulieren. Dies erscheint aus der Perspektive des Europarats angesichts der unterschied­lichen Regulierungspraxis der Mitgliedstaaten und der Komplexität des Problems, Medienvielfalt zu gewährleisten, auch angemessen. Dass das Fehlen eines europäischen Konsenses den Entscheidungsfreiraum der Konventionsstaaten erweitert, hat der EGMR beispielsweise im Hinblick auf die Regelung eines Verbots politischer Rundfunkwerbung festgestellt.545 Jedoch dürfte es als europäischer Konsens zu betrachten sein, dass der freie Wettbewerb privater Anbieter im Rundfunkbereich keine hinreichende Bedingung dafür ist, dass sich in diesem Medium die erforderliche Medienvielfalt einstellt. Auch der EGMR verlangt von den Mitgliedstaaten positive Maßnahmen, um einen echten Pluralismus im Bereich der audiovisuellen Medien zu gewährleisten.546 Dass er gleichwohl davon Abstand nimmt, die Errichtung eines öffentlichen Rundfunksystems zu fordern, wird einerseits der Anerkennung eines Gestaltungsspielraums der Konventionsstaaten aufgrund der gebotenen Zurückhaltung einer internationalen und nicht mit staatlicher Souveränität ausgestatteten Organisation geschuldet sein. Zudem sind viele unterschiedliche Ausgestaltungen zur Erfüllung der Public-Service-Funktion des Rundfunks denkbar. Im Rahmen des mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums kommt es neben der öffentlichen Trägerschaft einer Medienorganisation ebenso in Betracht, dass private Medienanbieter einen gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Programmauftrag erfüllen.547 Mittlerweile haben sich auch sog. hybride Rundfunkprogramme etabliert, welche zwar werbefinanziert sind, aber zugleich mit öffentlichen Verpflichtungen bezüglich der Inhalte beauftragt werden.548 Ein hybrides Rundfunkprogramm wird beispielsweise in Dänemark veranstaltet.549 Auch werden in einigen Mitgliedstaaten Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung von privaten Rundfunkveran 545

EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 67 (TV Vest u. a. / Norwegen). EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 547 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)3, I.1. 548 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 75. 549 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 199. 546

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staltern ergriffen, sofern diese Inhalte verbreiten, welche als gemeinwohlorientiert oder kulturfördernd betrachtet werden können.550 Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der Beauftragung und Finanzierung der Rundfunkveranstalter, welche mit der Ausstrahlung gemeinwohlorientierter Inhalte beauftragt werden, ist verständlich, dass der EGMR kein bestimmtes Modell als verpflichtend ansehen kann. Dasselbe wird für die Ebene der EU zu gelten haben. Selbst das BVerfG hat bereits zu Beginn seiner Rundfunkrechtsprechung nur das Ziel der Rundfunkfreiheit, nämlich die Gewährleistung der freien öffentlichen und individuellen Meinungsbildung, als verbindlich angesehen. Die Wege um dieses Ziel zu erreichen, hat es indessen weitgehend der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers überlassen. Bereits zu Zeiten des Monopols der öffentlich-rechtlichen Anbieter und der Frequenzknappheit hat das BVerfG die Möglichkeit der Veranstaltung von Rundfunk durch Gesellschaften des privaten Rechts als zulässige Alternative zum in öffentlich-rechtlicher Rechtsform betriebenen Rundfunk aufgezeigt.551 Dies veranschaulicht, dass selbst für einen zur Gesetzgebung zuständigen mitgliedstaatlichen Gesetzgeber nur das Ziel der Erreichung von Medienvielfalt, nicht hingegen der Weg dorthin, verbindlich sein kann. Im Hinblick auf die Art und Weise der Medienvielfaltsicherung lässt sich aber ein europäischer Konsens dahingehend ausmachen, dass sich zumindest im audiovisuellen Bereich die gebotene Vielfalt der Inhalte nur im Wege einer öffentlichen Förderung bestimmter Inhalte herstellen lässt. Lediglich in Luxemburg existiert kein aus öffentlichen Mitteln finanzierter Veranstalter audiovisueller Medien.552 Dort bestand bis in das Jahr 1991 hinein ein Monopol eines privaten Anbieters und es wird weiterhin die marktbeherrschende Stellung dieses Anbieters hingenommen.553 Gleichwohl soll der Rundfunk auch nach luxemburgischem Verständnis eine Public-Service-Funktion wahrnehmen.554 Diese kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass im Zuge einer 1991 erfolgten Medienreform für den Bereich des Hörfunks eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt gegründet wurde.555 Grund für die Einrichtung dieser Anstalt war die Erkenntnis, dass der private Monopolanbieter nicht umfassend und ausgewogen über Themen berichtet hat, welche die luxemburgische Gesellschaft betreffen.556 Zudem wurde der marktbeherrschende private Anbieter verpflichtet, in luxemburgischer Sprache ein auf das luxemburgische Publikum ausgerichtetes Programm zu veranstalten, welches auch Nachrichten und kulturelle Beiträge enthält.557 Schließlich wurde dieser Anbieter im Rahmen eines Konzessionsvertrags zur Neutralität verpflichtet und soll Aufgaben erfüllen, welche 550

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 191. BVerfGE 12, 205, 262. 552 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 193. 553 Voß, Rundfunkrecht in den Staaten der EU, S. 523, 539. 554 Voß, Rundfunkrecht in den Staaten der EU, S. 523, 540. 555 Dörr, Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, S. 15. 556 Dörr, Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, S. 15 f. 557 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 198, 213 f. 551

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denen eines öffentlich-rechtlichen Anbieters gleichen.558 Mithin kann die Besonderheit des Mediensystems in Luxemburg den europäischen Konsens hinsicht­lich der Notwendigkeit gemeinwohlorientierter und insoweit auch öffentlich zu finanzierender Aufgaben des Rundfunks nicht in Frage stellen. Damit lässt sich festhalten, dass für den Bereich des Rundfunks unter Berücksichtigung der Vorgaben des EGMR und der Mitgliedstaaten, welche über Art. 6 Abs. 3 EUV auch dem Art. 2 EUV Konturen verleihen, eine öffentliche Förderung bestimmter Medienanbieter oder Medieninhalte zu fordern sein wird. Die alleinige Sicherung des wirtschaftlichen Wettbewerbs privat finanzierter Anbieter kann jedenfalls nicht als ausreichend angesehen werden, um der staatlichen Pflicht zur Gewährleistung von Medienvielfalt im Rundfunkbereich zu genügen. (2) Presse In vielen Mitgliedstaaten der EU werden zudem auch im Bereich der klassischen Printmedien Medieninhalte durch Leistung von Subventionen mittelbar öffentlich gefördert.559 Hingegen werden im Bereich der Presse, anders als im Bereich des Rundfunks, keine Anbieter aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Auftrags zur Einhaltung bestimmter inhaltlicher Standards verpflichtet. Die finanzielle Unterstützung von Presseunternehmen kann nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen. Entweder wird allgemein eine Presseförderung auf gesetzlicher Grundlage geschaffen, um strukturelle Medienvielfalt im Sinne einer Anbietervielfalt zu erreichen, oder es werden spezielle Publikationen, denen eine besondere soziale oder kulturelle Bedeutung zugesprochen wird, gefördert.560 Indessen können Pressesubventionen aus der Perspektive des europäischen Wettbewerbsrechts auch als wettbewerbsverzerrend angesehen werden.561 Weiterhin ist die Gewährung von Pressesubventionen nicht in allen Mitgliedstaaten der EU üblich. In Deutschland bedürfte die Gewährung von Pressesubventionen einer gesetzlichen Grundlage, um Transparenz und Nichtdiskriminierung bei der Rechtsanwendung zu gewährleisten.562 Zudem wäre zu verhüten, dass die Presse im Wege staatlicher Zuwendungen mittelbar einer inhaltlichen Lenkung oder Aufsicht seitens des Staates unterworfen wird.563 Problematisch im Hinblick auf die zu wahrende inhaltliche Neutralität des Staates kann auch die Vergabe staatlicher Werbeaufträge nach politischen Kriterien sein.564 Die bei der Gewährung von Fördermaßnahmen zu wahrende Neutralitätspflicht verbietet dem Staat „den Inhalt von Meinungen oder die Tendenz von Presseerzeugnissen 558

Voß, Rundfunkrecht in den Staaten der EU, S. 523, 540. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 186 ff.; Martini, EuZW 2015, 821, 822. 560 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 187 ff. 561 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 188 f. Siehe vertiefend hierzu, D. II. 4. d) bb) (2). 562 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 130, Rn. 60. 563 Schütz, S. 434, 438. 564 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 187. Siehe vertiefend hierzu, D. II. 4. d) cc) (2). 559

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zum Förderkriterium zu machen und sich auf diese Weise Einfluss auf den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu verschaffen“.565 Derzeit existieren in Deutschland keine gesetzlichen Regelungen, um die allein nach meinungsneutralen Gesichtspunkten zulässige Förderung zu ermöglichen. Zudem verzichten auch weitere Mitgliedstaaten auf eine Subventionierung der Printmedien.566 Angesichts dieser unterschiedlichen Regulierungspraxis in Europa kann eine finanzielle Förderung der Presse nicht als gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten bezeichnet werden. Der in Art. 6 Abs. 3 2. Alt. EUV verwendete Begriff der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen bringt zum Ausdruck, dass das Unionsrecht sich aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten schöpft und nicht eigenständig Werte schaffen kann, welche in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten keine Entsprechung finden.567 Ebenso können die in Art. 2 EUV genannten Werte nur einen solchen Inhalt aufweisen, welcher einem weitgehenden europäischen Konsens zugrunde liegt. Ein solcher Konsens kann aber nicht angenommen werden, wenn einige Mitgliedstaaten, darunter auch der bevölkerungsreichste Mitgliedstaat, über keine gesetzlichen Grundlagen für eine Subvention der Presse verfügen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Presserecht in Europa bislang nur in geringem Umfang harmonisiert wurde. Grund hierfür ist neben dem Fehlen pressespezifischer Kompetenzgrundlagen die kaum erfolgte Entwicklung eines europäischen Binnenmarkts auf diesem Gebiet.568 Eine EU-weite Orientierungsfunktion bietet im Bereich des Presserechts lediglich Art. 10 der EMRK und die zu seiner Konkretisierung ergangene Rechtsprechung.569 Wenngleich der EGMR die Bedeutung der Presse für die Demokratie und die Informationsfreiheit stets betont, hat er bisher keine aus Art. 10 EMRK folgenden aktiven Handlungspflichten des Staates im Pressebereich entwickelt.570 Insbesondere hat der EGMR bisher offen gelassen, ob Art. 10 EMRK dem Staat die Pflicht auferlegt, gegen eine übermäßige Pressekonzentration einzuschreiten.571 Lediglich einer Entscheidung der ehemaligen EKMR wird die beiläufig festgestellte Annahme einer solchen Verpflichtung entnommen.572 Positive, über die Eingriffabwehr hinausgehende Verpflichtungen des Staates hat der EGMR bisher allein für die audiovisuellen Medien festgestellt.573 Diesen spricht er gegenüber den im Wesentlichen textbezogenen Medien eine erhöhte Wirkung auf die öffentliche Meinungsbildung zu.574 565

BVerfGE 80, 124, 134 (Postzeitungsdienst). Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 187. 567 Rübenach, S. 27. 568 Wolff, S. 463. 569 Wolff, S. 463. 570 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 79 (15. Lieferung – Juni 2013). 571 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 79 (15. Lieferung – Juni 2013). 572 EKMR, Bericht v. 06.07.1976, Nr. 5178/71, § 88 (De Geillustreerde Pers N. V. / Niederlande), dauerhaft abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng#{„itemid“:[„001-95643“]}; Frowein / Peukert-Frowein, Art.  10, Rn.  18; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 79, Fn. 310 (15. Lieferung – Juni 2013). 573 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 574 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52 f., § 132 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 566

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Es lässt sich somit festhalten, dass, ungeachtet der ökonomischen Situation der Medienprodukte, eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur finanziellen Förderung der Presse nicht besteht. (3) Publizistische Online-Medien Die Meinungsbildungsrelevanz journalistisch aufgearbeiteter Inhalte, welche über das Internet verbreitet werden, gewinnt mit der Verschiebung der Nutzer­ gewohnheiten zu Gunsten der Online-Medien zunehmend an Bedeutung. Über das Internet verbreitete Inhalte, werden entweder der herkömmlichen Presse oder dem herkömmlichen Rundfunk insofern vergleichbar sein, als sie im Wesentlichen auf die aus diesen Medien bekannten Gestaltungsformen zurückgreifen. Dass die Berichterstattung durch Presse- und Rundfunkanbieter stets Meinungsbildungs­ relevanz besitzt, ist unbestritten. Dies liegt zu einem wesentlichen Anteil darin begründet, dass die im herkömmlichen Presse- und Rundfunkbereich tätigen Anbieter weitgehend auf die Arbeit von professionell ausgebildeten Journalisten zurückgreifen, von welchen die Einhaltung journalistischer Standards erwartet werden kann. Die Auswahl und der Zuschnitt der Themen, welche in den Medien behandelt werden müssen, um eine freie Meinungsbildung zu ermöglichen, hat sich an der Relevanz der Themen auszurichten.575 Die Relevanz einer Meinung wiederum hat sich zunächst aus dem durch den Staat zu gewährleistenden freien gesellschaftlichen Kommunikationsprozess zu ergeben.576 Gerade von professionellen Journalisten kann erwartet werden, dass sie die Regeln und ethischen Grundsätze ihres Berufsstands berücksichtigen und somit auch gesellschaftlich relevante Themen behandeln werden.577 Durch neue Verbreitungsmöglichkeiten im Internet haben nunmehr auch nicht kommerziell agierende Privatpersonen die Möglichkeit, Meinungen und Informationen einem breiten Publikum zugänglich zu machen.578 Gleichwohl müssen auch die mit ideeller Zielrichtung über das Internet verbreiteten Informationen nicht stets für die öffentliche Meinungsbildung von Bedeutung sein. Die Entscheidung über die Relevanz einer Meinung, welche stellvertretend für die Öffentlichkeit von solchen Personen getroffen wird, welche bestimmte Themen aufgreifen und über Massenkommunikationsmittel verbreiten, birgt regelmäßig die Gefahr der Beeinflussung des Meinungsbildungsprozesses. Deshalb wird die Auffassung vertreten, dass die Zuerkennung journalistischer Rechte zur Erhaltung der Integrität des Berufsstands aber vor allem auch zur Sicherung der Einhaltung der mit den Rechten einhergehenden journalistischen Verpflichtungen, nur solchen Personen zuteilwerden soll, welche die Gewähr dafür bieten, dass sie diese Pflichten kennen und 575

Hahn / Vesting-Held, § 54 RStV, Rn. 15. Hahn / Vesting-Rossen-Stadtfeld, § 25 RStV, Rn. 26. 577 Hahn / Vesting-Held, § 54 RStV, Rn. 15. 578 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 40. 576

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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anwenden werden.579 Jedoch sind bereits Schwierigkeiten bei der Definition des Begriffs „Journalist“ unumgänglich.580 In der deutschen Rechtsordnung entzündet sich diese Problematik anhand des im RStV mehrfach verwendeten Begriffs der „journalistisch-redaktionell“ gestalteten Telemedien. Die journalistisch-redaktionelle Tätigkeit ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass diese auf die planmäßige Erstellung von gesellschaftlich relevanten medialen Inhalten gerichtet ist.581 Die Anerkennung eines Angebots als „journalistisch-redaktionell“ gestalteter Inhalt ist u. a. für die Zuerkennung eines Informationsanspruchs gegenüber Behörden gem. §§ 55 Abs. 3, 9a RStV von Bedeutung. Es bestehen aber erhebliche Abgrenzungsprobleme zu sonstigen Telemedien.582 Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass eine durch Behörden vorgenommene enge Auslegung des Begriffs der „journalistisch-redaktionellen“ Gestaltung dazu führen kann, dass den Verfassern bestimmter Inhalte die Anerkennung von Medienprivilegien ungerechtfertigt versagt wird. Jedenfalls müssen Kriterien geregelt und beachtet werden, welche sicherstellen, dass die Entscheidung über die Anerkennung eines Inhalts als „journalistisch-redaktionell“ gestaltet unabhängig von einer inhaltlichen Bewertung der Meinungstendenz der beabsichtigten Veröffentlichung erfolgt. In Bezug auf die deutsche Ausprägung der Pressefreiheit ist anerkannt, dass der Genuss dieses Grundrechts nicht von einer Bewertung des Inhalts der Publikation abhängig gemacht werden darf.583 Dieser Gedanke lässt sich sowohl auf publizistische Online-Medien als auch auf den europäischen Rechtsraum übertragen. Gleichwohl erfordert die besondere Problematik der durch das Internet ermöglichten Vielfalt an Äußerungsmöglichkeiten und die damit einhergehende mögliche Überlastung der Behörden bei der Bearbeitung von Informationsansprüchen eine einschränkende Auslegung.584 Zudem darf das Vertrauen der Öffentlichkeit in zuverlässig und vollständig informierende Medien nicht untergraben werden. Andererseits kann nicht generell unterstellt werden, dass Personen, welche nicht professionell oder berufsmäßig mit der Publikation von medialen Inhalten befasst sind, regelmäßig journalistische Sorgfaltspflichten verletzen werden. Zudem muss gesehen werden, dass die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht für Privatpersonen geringer sind als diese für Medienunternehmen.585 Dies kann zwar nicht zur Folge haben, dass Privatpersonen vollständig von der journalistischen Sorgfaltspflicht entbunden werden, denn die Verbreitung von Informationen ohne hinreichende Tatsachen- oder Recherchegrundlage kann im Sinne der Beförderung der öffentlichen Meinungsbildung nicht als schützenswertes Gut

579

Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 40. Siehe hierzu, Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 40 ff. 581 Schulz, AfP 2017, 373, 374. 582 Hahn / Vesting-Held, § 54 RStV, Rn. 39. 583 BVerfGE 25, 296, 307. 584 Hahn / Vesting-Held, § 54 RStV, Rn. 39. 585 Beater, § 13, Rn. 1198. 580

258

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

angesehen werden.586 Dieser Gedanke kommt auch in Art. 10 Abs. 2 EMRK zum Ausdruck, welcher herausstellt, dass die Ausübung der in Abs. 1 gewährten Rechte mit Pflichten und Verantwortung verbunden ist. Indessen beziehen sich die journalistischen Sorgfaltspflichten lediglich auf Tatsachenmitteilungen, wohingegen Meinungsäußerungen auch dann der öffentlichen Meinungsbildung dienlich sein können, wenn diese in überspitzter oder provokativer Form erfolgen. Jedenfalls ist der Schutz der Pressefreiheit nicht davon abhängig, dass eine Person berufsmäßig oder sonst regelmäßig im Pressewesen tätig ist, sondern es kommt allein darauf an, ob die inhaltsunabhängigen und mediumspezifischen Voraussetzungen Presse gegeben sind.587 Neben den Voraussetzungen, welche an das Trägermedium zu stellen sind, ist die beabsichtigte Funktion der Publikation entscheidende Bedingung dafür, dass diese am Schutz der Pressefreiheit teilnimmt. Die Funktion der Pressefreiheit besteht darin, eine durch den Staat nicht reglementierte freie Kommunikation zu gewährleisten.588 Es kommt in inhaltlicher Hinsicht für den Grundrechtsschutz also allein darauf an, dass eine Publikation an diesem Kommunikationsprozess teilnimmt.589 Die Funktion der Teilnahme am Kommunikationsprozess kommt aber auch den publizistischen Online-Medien zu. Deshalb sollten auch die Verfasser von Inhalten, welche zum Zwecke der Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung über das Internet verbreitet werden, unabhängig von einer journalistischen Ausbildung oder der Einbindung in redaktionelle Strukturen, grundsätzlich den Schutz der Medienprivilegien genießen. Indessen werden nicht sämtliche im Internet veröffentlichten und an die Allgemeinheit gerichteten Inhalte am Schutz der Medienfreiheiten teilhaben können. Vielmehr sollten nur publizistisch relevante Medien dem Grundrechtsschutz und der Mediengesetzgebung unterfallen. Im Hinblick auf die publizistische Relevanz wird indessen allein zu fordern sein, dass mit den Inhalten eine Öffentlichkeit hergestellt und auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll.590 Aber selbst die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann wiederum schwierig zu bestimmen sein.591 Jedoch muss berücksichtigt werden, dass Art. 10 EMRK auch kommerzielle Aussagen sowie solche wertenden Inhalte, welche im Rahmen einer Wirtschaftswerbung verbreitet werden, schützt.592 Angesichts dessen wird ein großzügiger Maßstab im Hinblick auf die Anerkennung publizistischer Relevanz anzunehmen sein. Die angerissene Problematik zeigt, dass bereits die Abgrenzung von Inhalten mit Meinungsbildungsrelevanz und von sonstigen im Internet bereitgestellten Inhalten erhebliche Probleme bereitet. 586

Beater, § 13, Rn. 1196. BVerfGE 95, 28, 35. 588 BVerfGE 95, 28, 35. 589 BVerfGE 95, 28, 35. 590 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 46. 591 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 48 ff. 592 EGMR, Urt. v. 19.02.2015, Nr. 53495/09, § 46 (Bohlen / Deutschland); Gersdorf / Paal-Cornils, Art. 10 EMRK, Rn. 16 (17. Edition, Stand: 01.05.2016). 587

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

259

Für den Bereich der Presse wurde bereits festgestellt, dass eine öffentliche Förderung derselben das Problem beinhaltet, dass hierdurch nicht die Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung im Wege staatlicher Inhaltslenkung beeinträchtigt werden darf. Im Bereich der Online-Medien kann bereits die Einordnung eines Angebots als publizistisch relevant eine schwierige Bewertung erfordern, welche kaum inhaltsneutral zu bewältigen ist. Jedoch wird eine am Vielfaltziel ausgerichtete Subventionierung ohnehin nur für regelmäßig erscheinende Publikationen in Betracht kommen können. Solche Angebote dürften indessen regelmäßig als relevant für die Meinungsbildung einzustufen sein. Es muss zur Wahrung einer inhaltlichen staatlichen Neutralitätspflicht aber die gesamte Vielzahl der im Internet bereitgestellten und möglicherweise förderungsfähigen Angebote überblickt werden können. Eine selektive Förderung, welche nach inhaltlichen Kriterien und in Unkenntnis des verfügbaren Gesamtangebots erfolgt, wird jedenfalls regelmäßig als unzulässige Einflussnahme des Staates auf den gesellschaftlichen Kommunikationsprozess anzusehen sein, sofern nicht offenkundig in der Meinungstendenz neutrale kulturelle Angebote gefördert werden sollen. Deshalb kann eine selektive Förderung bestimmter Online-Medien kaum jemals als zulässig betrachtet werden. Gleichwohl muss es im Hinblick auf die zunehmende Meinungsbildungsrelevanz der Online-Medien als defizitär beurteilt werden, wenn diese Medien nicht in die Regulierung der Medienvielfalt einbezogen werden. Die Verstärkung von Meinungs­macht durch publizistische Online-Medien wird derzeit nur von zwei Mitgliedstaaten im Rahmen des Medienkonzentrationsrechts erfasst.593 Dies kann mit Blick auf die Notwendigkeit der Verhinderung übermäßiger Meinungsmacht und angesichts des Phänomens medienübergreifender Konzentration durchaus beklagt werden. Was aus Art. 2 EUV herzuleitende Verpflichtungen der Mitgliedstaaten anbetrifft, ist jedoch daran zu erinnern, dass es im Rahmen dieser Vorschrift nicht darum gehen, kann eine optimale Regulierung auf dem Gebiet der Vielfaltsicherung einzufordern. Ungeachtet der Tatsache, dass die Erfordernisse der Medienregulierung einem Gestaltungsfreiraum der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber unterliegen, können nur im Grundsatz von allen Mitgliedstaaten geteilte Rechtsauffassungen die Werte des Art. 2 EUV konkretisieren. Etwas verbreiteter als die Einbeziehung der publizistischen Online-Medien in Medienkonzentrationsvorschriften ist die Subventionierung solcher Medien.594 Von einem europäischen Konsens zur Förderung privat betriebener publizistischer Online-Medien kann hingegen nicht die Rede sein. Vielmehr spricht mit der Neutralitätspflicht des Staates auch ein gewichtiger Grund gegen eine solche Förderung. Damit kann sich aus Art. 2 EUV hierzu auch keine Verpflichtung ergeben. Der mögliche Konflikt mit der Neutralitätspflicht bestünde hingegen nicht, wenn die Förderung an oder durch solche Institutionen erfolgte, welche sich durch eine Unabhängigkeit vom Staat und eine binnenplurale Struktur auszeichnen. Somit 593

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 161. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 163 f.

594

260

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

käme eine indirekte Förderung auch der publizistischen Online-Medien in Betracht, sofern man den öffentlichen Auftrag von Medienorganisationen, welche gemeinwohlorientierte und Vielfalt sichernde Inhalte anzubieten haben, auf das Angebot bestimmter Online-Medien ausweitet. Nachfolgend soll daher untersucht werden, welchen notwendigen Umfang das Medienangebot öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter angesichts eines sich weiter entwickelnden Medienlandschaft haben sollte. cc) Erfordernis einer öffentlich-rechtlichen Inhaltsbeauftragung Über die bloße öffentliche Förderung bestimmter Medienanbieter und -inhalte hinausgehend könnte es in Bezug auf bestimmte Medienarten zur Sicherung der Medienvielfalt erforderlich sein, einen öffentlichen-rechtlichen Auftrag in Bezug auf das Angebot bestimmter medialer Inhalte zu formulieren und mit dessen Erfüllung einen oder mehrere Medienanbieter zu beauftragen. Indem der Staat bestimmte inhaltliche Standards und Verpflichtungen an die öffentliche Finanzierung medialer Angebote knüpft, wird er in besonderem Maße seiner Verantwortung für ein vielfältiges Medienangebot gerecht. Andererseits begründet die staatliche Einwirkung auch immer die Gefahr der unzulässigen inhaltlichen Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Kommunikationsprozess.595 Weiterhin muss gesehen werden, dass ein auf staatliche Initiative betriebenes und öffentlich finanziertes Medienangebot in einem rechtfertigungsbedürftigem Maße in wirtschaftliche Konkurrenz zu privat finanzierten Anbietern tritt. Rechtfertigen lässt sich eine derartige staatliche Aktivität nur durch die plausible Annahme eines zumindest teilweisen Marktversagens im Hinblick auf die Erreichung des Ziels der Medienvielfalt. Gerade aber die möglichst zu vermeidende Beeinträchtigung eines funktionierenden Wettbewerbs privater Anbieter macht es erforderlich, dass ein öffentlich-rechtlicher Auftrag den Zweck und den Umfang der inhaltlichen Beauftragung festlegt, um die Notwenigkeit der öffentlichen Finanzierung aufzuzeigen. Folglich macht die Europäische Kommission in ihrer Rolle als Beihilfeaufsicht die Wettbewerbskonformität der öffentlichen Finanzierung bestimmter Medienanbieter davon abhängig, dass der von ihr als solcher bezeichnete öffentlich-rechtliche Auftrag förmlich definiert wird.596 Auch der anschließende Betrauungsakt, welcher die inhaltlichen Verpflichtungen für den oder die ausgewählten Medienbieter wirksam werden lässt, muss ebenso förmlich und rechtsverbindlich erfolgen.597 Die Zulässigkeit der medialen Aktivität öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter ist von der Besonderheit geprägt, dass diese mit Blick auf das Ziel der Medienvielfaltsicherung nur erforderlich und damit zwingend geboten oder 595

Zur Abwehr dieser Gefahren siehe noch D. 4. a). Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 43. 597 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 50. 596

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

261

mit Blick auf die möglichen Beeinträchtigungen privater Anbieter unzulässig sein kann. Jedoch wird man dem zuständigen Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung der Frage der Notwendigkeit einer öffentlich-rechtlichen Beauftragung einen gewissen Spielraum zuerkennen müssen. Gerade die kulturelle Bedeutung der Medien, welche über Art. 2 EUV nicht geschützt und insoweit dem Einfluss der EU entzogen ist, dürfte den Mitgliedstaaten erhebliche Gestaltungsspielräume eröffnen. (1) Lineare Rundfunkangebote Das herkömmliche mediale Aktionsfeld von Medienanbietern, welche einen öffentlich-rechtlichen Programmauftrag wahrnehmen, ist der klassische Rundfunk im Sinne von Fernsehen und Hörfunk. Fernsehen und Hörfunk unterscheiden sich von sonstigen audiovisuellen Medien durch das Merkmal der Linearität. So wird das Fernsehen im Kontext der AVMD-RL als linearer audiovisueller Mediendienst bezeichnet (Art. 1 Abs. 1 e) AVMD-RL). Die Linearität des Programms ist dabei in Abgrenzung zu Abrufdiensten dadurch gekennzeichnet, dass die vom Medienanbieter bereitgestellten Inhalte durch das Publikum nur zeitgleich entlang eines Sendeplanes empfangen werden können. Derzeit sind auf europäischer Ebene Bestrebungen erkennbar, welche die Unterscheidung zwischen linearen und Abrufdiensten weitgehend bedeutungslos werden lassen sollen.598 Die traditionelle Fokussierung des medialen Aktionsfelds öffentlicher Medienanbieter auf den linearen Rundfunk war der Überlegung geschuldet, dass in diesem Bereich ein Medienvielfalt verwirklichender ökonomischer Wettbewerb, welcher möglicherweise auch die publizistische Vielfalt hätte in hinreichendem Maße sichern können, zunächst aufgrund der Knappheit der Übertragungskapazitäten überhaupt nicht möglich war. Aus diesem Grund wurden öffentlich finanzierte aber von staatlicher Beeinflussung freizuhaltende Medienanbieter durch die Mitgliedstaaten beauftragt, die Bevölkerung umfassend und unabhängig zu informieren, zu unterhalten, zu bilden und einen Beitrag zur Förderung der Kultur zu leisten. Auch in Zeiten einer großen Vielfalt an linearen Fernsehprogrammen machen es die ökonomischen Konzentrationstendenzen und die Werbe- bzw. Nutzungsentgeltabhängigkeit der privaten Anbieter weiterhin erforderlich, dass öffentlich finanzierte Medien für hinreichende Medienvielfalt in diesem Bereich sorgen.599 Mittlerweile sind lineare audiovisuelle Medien auf verschiedenen technischen Verbreitungswegen und durch verschiedene Endgeräte empfangbar. Im deutschen Rechtsraum garantiert die verfassungsrechtlich abgesicherte sog. Bestands- und Entwicklungsgarantie, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Bevölkerung mit seinen Inhalten erreichen und auf diese Weise seine Grundversorgungsaufgabe er-

598

Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 934. Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 45.

599

262

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

füllen kann.600 Hierzu muss es ihm ermöglicht werden, sein Programm über sämtliche tatsächlich genutzte Verbreitungswege anzubieten. Auch auf der Ebene des Unionsrechts wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Inhalte öffentlichrechtlich beauftragter Medienanbieter flächendeckend empfangen werden können. Hervorzuheben ist hier die Regelung des Art. 31 Abs. 1 UDRL, welche unter den dort genannten Voraussetzungen die Auferlegung bestimmter Übertragungspflichten an Betreiber elektronischer Kommunikationsnetze, welche Fernseh- und Hörfunkprogramme verbreiten, ermöglicht. Effektuiert wird diese Regelung durch die Rechtsprechung des EuGH, welcher das Ziel der Medienvielfalt als ein derart gewichtiges Allgemeininteresse i. S. d. Art. 31 Abs. 1 UDRL ansieht, dass er sogar die hoheitlich angeordnete Vollbelegung eines analogen Kabelfernsehnetzes nicht schlechthin als eine unverhältnismäßige Übertragungspflicht betrachtet hat.601 Schließlich räumt auch die Europäische Kommission ein, dass es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Rahmen der Voraussetzungen des Amsterdamer Rund­funkprotokolls möglich sein muss, mit audiovisuellen Inhalten auf allen Plattformen in Erscheinung zu treten.602 Trotz veränderter Medienkonsumgewohnheiten verbleibt insbesondere die Nutzung von linearen Fernsehangeboten weiterhin auf einem hohen Niveau.603 Auch ist nicht zu erwarten, dass neuartige Nutzungsformen audiovisueller Inhalte künftig zu einer vollständigen Verdrängung des herkömmlichen Fernsehens führen werden.604 In Bezug auf den Hörfunk ist anzumerken, dass diesem weiterhin, wenn auch keine landesweite, so doch eine regional begrenzte publizistische Relevanz zukommen kann.605 Weiterhin ist zu bemerken, dass das Programm privater Hörfunkanbieter weit überwiegend auf musikalische Beiträge begrenzt und auch im Übrigen aufgrund von Finanzierungszwängen ausschließlich auf Inhalte ausgerichtet ist, welche hohe Einschaltquoten erwarten lassen.606 Mithin kann auch ein auf den Hörfunk bezogener öffentlich-rechtlicher Programmauftrag einen Beitrag dazu leisten, etwaige Vielfaltdefizite auszugleichen. Die öffentlich-rechtliche Programmbeauftragung im Hörfunkbereich setzt mit Blick auf mögliche Beeinträchtigungen privater Anbieter indessen die vertretbare Annahme voraus, dass solche Vielfaltdefizite auch tatsächlich bestehen. In dieser Hinsicht wird den Mitgliedstaaten ein erheblicher Einschätzungsspielraum zuzuerkennen sein. Die Europäische Kommission hat im Rahmen ihrer Beihilfeaufsicht jedenfalls nicht beanstandet, dass das Angebot des

600

BVerfGE 119, 181, 218; BVerfGE 74, 297, 324 f.; Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 930. 601 EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-336/07, ECLI:EU:C:2008:765, Rn. 56 (Kabel Deutschland). 602 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47, 84. 603 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 926; Schulz, AfP 2017, 373, 376. 604 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 927. 605 Hahn / Vesting-Binder, § 11c RStV, Rn. 5. 606 Holznagel / Vesting, S. 14.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch den Hörfunk umfasst.607 Auch der EGMR sieht nicht nur das Fernsehen, sondern auch den Hörfunk als ein Medium an, welches in seiner Wirkung auf die öffentliche Meinungsbildung über diese der Printmedien hinaus reicht.608 Deshalb bezieht er die positiven Handlungspflichten des Staates zur Sicherstellung eines audiovisuellen Pluralismus auch auf den Hörfunk.609 Insgesamt lässt sich festhalten, dass es auch weiterhin erforderlich sein wird, dass lineare audiovisuelle Inhalte vom öffentlich-rechtlichen Programmauftrag umfasst sind. Die Entscheidung, ob in dieser Hinsicht auch der Hörfunk zwingend einzubeziehen ist, sollte hingegen den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben. (2) Im Wesentlichen textbasierte Medien Anders als im Bereich des Rundfunks wird im Hinblick auf die Presse weitgehend auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs vertraut. In Deutschland hat sich historisch ein Vorrang der privatwirtschaftlichen Organisationsform entwickelt, weil davon ausgegangen wird, dass die Presse insgesamt gesehen imstande ist, ein hinreichend vielfältiges Angebot hervorzubringen.610 Aber auch in anderen Mitgliedstaaten der EU und im Rechtsraum der EMRK kommt der Presse, wie bereits dargestellt wurde, in erster Linie eine abwehrrechtliche Dimension zu. Die Tätigkeit von öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbietern im Pressebereich würde den Vorrang der privatrechtlichen Organisationsform der Presse untergraben und den in diesem Bereich beabsichtigten und im Grundsatz zur Vielfaltsicherung für ausreichend gehaltenen ökonomischen Wettbewerb unzulässig beschränken. Allenfalls wäre zur Sicherung der Medienvielfalt die Subventionierung privater Presseprodukte denkbar, wenngleich hierzu aus Art. 2 EUV keine generelle Verpflichtung hergeleitet werden kann. Fraglich ist indessen, inwieweit es öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbietern möglich sein muss, im Internet textbasierte Medien zur Verfügung zu stellen. Um diese Problematik zu illustrieren, lohnt ein Blick auf die verfassungs-, aber vor allem auch europarechtlich beeinflusste deutsche Rechtslage. In Deutschland ist es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach § 11d Abs. 2 Nr. 3 a. E. RStV gesetzlich untersagt, nichtsendungsbezogene presseähnliche Tele­ medien anzubieten. Unter Telemedien sind solche über das Internet abrufbaren Inhalte zu verstehen, welche mangels Linearität nicht die Anforderungen an die einfachgesetzliche Definition des Rundfunks erfüllen (vgl. § 2 Abs. 1 RStV).611 Anknüpfungspunkt des Begriffs der Presseähnlichkeit ist neben dem Inhalt der ver 607

Hahn / Vesting-Binder, § 11c RStV, Rn. 27. EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 132 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 609 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52 f., § 132, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 610 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 122, Rn. 30. 611 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 935. 608

264

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

breiteten Information die Form der Gestaltung, welche sich bei gedruckten Presseprodukten durch die Kombination von Text und unbewegten Bildern auszeichnet.612 Dies bedeutet indessen nicht, dass die nichtsendungsbezogenen Telemedien nicht auch Texte enthalten dürften. So muss berücksichtigt werden, dass die zielgerichtete Nutzung von Online-Angeboten nicht gänzlich ohne die Verwendung von Texten möglich ist.613 Vielmehr lässt sich dem Verbot entnehmen, dass der inhaltliche und gestalterische Schwerpunkt nichtsendungsbezogener Telemedien nicht in der Verwendung von Texten liegen darf.614 Der Bezug auf nichtsendungsbezogene Telemedien macht deutlich, dass die Verwendung von Texten bei Inhalten mit Bezug zu einer im Rundfunkprogramm ausgestrahlten Sendung (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 1 RStV) nicht dem im Übrigen bestehenden Verbot presseähnlicher Telemedien unterfällt. Andererseits ist auch die Verweildauer von im Internet abrufbaren Sendungen und sendungsbezogenen Telemedien nicht unbegrenzt (vgl. § 11d Abs. 2 Nr. 1–3 RStV). Der Sinn und Zweck des grundsätzlichen Verbots presseähnlicher Online-Ange­ bote liegt darin, dass die öffentlich finanzierten Medien nicht ausufernd in publizistische Konkurrenz zu den Angeboten privat finanzierter Verlagshäuser treten sollen.615 So muss gesehen werden, dass eine solche Konkurrenz wirtschaftliche Interessen der Presse beeinträchtigt.616 Die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit im Sinne des deutschen Verfassungsrechts gewährleistet das Institut der „Freien Presse“, dessen Aufrechterhaltung der Gesetzgeber stets dann in den Blick nehmen muss, wenn eine Norm Auswirkungen auf diese Gewährleistung haben kann.617 Weiterhin sollte durch das Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote den Anforderungen des europäischen Beihilferechts genügt werden, indem der durch die Mitgliedstaaten zu konkretisierende Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begrenzt wird.618 In ihrer Einstellungsmitteilung vom 24.04.2007, welche die Ausräumung der beihilferechtlichen Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland zum Inhalt hatte, hat die Europäische Kommission deutlich gemacht, dass sie strenge und nachvollziehbare Maßstäbe für den Begriff der Sendungsbezogenheit verlangt.619 Nunmehr ist der Begriff des Sendungsbezugs in § 2 Abs. 2 Nr. 19 RStV definiert worden. Die Europäische Kommission macht die beihilferechtliche Zulässigkeit der öffentlich finanzierten Online-Inhalte generell davon abhängig, dass diese im Sinne des Amsterdamer Rundfunkprotokolls den demokratischen, sozialen und 612

BGH, ZUM 2015, 989, 995 f., Rn. 65. Neuhoff, ZUM 2012, 371, 379. 614 Neuhoff, ZUM 2012, 371, 379. 615 Hahn / Vesting-Schulz, § 2, Rn. 172. 616 BGH, ZUM 2015, 989, 996, Rn. 66. 617 BVerfGE 20, 162, 175 f. (Spiegel-Entscheidung); BGH, ZUM 2015, 989, 996, Rn. 66. 618 Gersdorf / Paal-Martini, § 2 RStV, Rn. 66 (16. Edition, Stand: 01.05.2017). 619 Europäische Kommission, KOM(2007) 1761 endg., Rn. 235. 613

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft dienen müssen.620 Dass Inhalte des herkömmlichen Fernsehens, unabhängig von der genutzten Verbreitungsplattform, diesen Anforderungen genügen, zieht die Europäische Kommission nicht Zweifel.621 Jedoch bestreitet sie, dass Dienste, welche nicht mit dem herkömmlichen Fernsehen vergleichbar sind, stets bedeutungsvoll für den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess sind.622 Vielmehr sollen sich im Bereich der Internetmedien zunächst private Anbieter entwickeln können.623 Im Ergebnis erkennt die Europäische Kommission die Möglichkeit der Mitgliedstaaten an, in transparenter Weise darzulegen, dass die Beauftragung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit bestimmten Telemedien den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht.624 Im Zuge der Ausweitung des Angebots öffentlich-rechtlicher Medienanbieter ist auch darzulegen, dass das geplante neue Angebot, gemessen am bereits vorhandenen Angebot privater Anbieter, einen Gewinn für die freie Meinungs­ bildung darstellt (vgl. zur deutschen Umsetzung dieser unionsrechtlichen Maßgabe § 11f Abs. 4 S. 3 RStV).625 Es muss sich also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Mangel an inhaltlicher Vielfalt durch das ausschließliche Angebot privater Medienanbieter ergeben. Im Internet bereitgestellte textlastige Inhalte kommen damit zwar grundsätzlich als Gegenstand einer öffentlich-rechtlichen Beauftragung in Betracht. Sie bedürfen jedoch, soweit diese keinen engen thematischen und zeitlichen Bezug zum linearen Fernsehprogramm aufweisen, unter dem Blickwinkel des Beihilferechts der EU einer besonderen Rechtfertigung. Dass öffentlich-rechtlich beauftragte und insoweit auch öffentlich finanzierte Medienanbieter grundsätzlich nicht ohne hinreichenden Sendungsbezug textlastige Medien produzieren dürfen, ist somit eine Maßgabe des Unionsrechts. Auch unter Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Presseordnungen und der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK muss es als ein europäischer Konsens angesehen werden, dass sich eine freie Meinungsbildung im Bereich der im Wesentlichen textbasierten Medien bereits durch die freie Tätigkeit einer Vielzahl voneinander unabhängiger privater Anbieter einstellen soll. Der Aufgabe der Gewährleistung einer freien Meinungsbildung genügen die Mitgliedstaaten in Bezug auf diese Mediengattung regelmäßig bereits dadurch, dass sie Eingriffe in die freie Tätigkeit privater Medienanbieter unterlassen. Die objektiv-rechtliche Dimension der Medienfreiheit ist im europäischen Kontext und in Bezug auf textlastige Online-Medien jedenfalls nicht so stark ausgeprägt, dass der Staat bestimmte Anbieter öffentlich-rechtlich mit der regelmäßigen Produktion textlastiger Online-Medien beauftragen müsste. Aus diesem Grund wäre eine entsprechende Tätigkeit öffentlich finanzierter Medienanbieter, welche stets 620

Europäische Kommission, KOM(2007) 1761 endg., Rn. 229. Europäische Kommission, KOM(2007) 1761 endg., Rn. 240. 622 Europäische Kommission, KOM(2007) 1761 endg., Rn. 231. 623 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 933. 624 Europäische Kommission, KOM(2007) 1761 endg., Rn. 362. 625 Europäische Kommission, KOM(2007) 1761 endg., Rn. 362. 621

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

mit einer Beeinträchtigung der Betätigungsmöglichkeiten privater Anbieter einherginge, auch nicht zu rechtfertigen. Es lässt sich damit festhalten, dass eine Ausweitung der Aktivitäten öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter auf herkömmliche Gestaltungsformen der Presse unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV nicht als erforderlich angesehen werden kann und somit auch unzulässig wäre. Dies gilt auch in Bezug auf solche Online-Medien, welche presseähnliche Gestaltungsformen nutzen. (3) Audiovisuelle Abrufdienste Problematisch ist, inwieweit die Ausweitung des Angebots öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter auf den nicht mit der Presse vergleichbaren Bereich der Online-Medien unter dem Blickwinkel des Art. 2 EUV geboten sein kann, um eine hinreichende Medienvielfalt sicherzustellen. Im Hinblick auf die inhaltliche Bestimmung eines öffentlich-rechtlichen Programmauftrags ist zunächst festzuhalten, dass es unter Berücksichtigung des Protokolls über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten diesbezüglich im Grundsatz keine europäischen Anforderungen geben kann.626 Gleichwohl geriet die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie bereits oben angedeutet, unter dem Gesichtspunkt der Beihilfeaufsicht in das Blickfeld der Europäischen Kommission. Die Europäische Kommission hat in ihrer aktuellen Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Auffassung vertreten, dass die durch staatliche Beihilfen finanzierten Rundfunkanstalten auf allen Plattformen mit audiovisuellen Medien in Erscheinung treten dürfen, soweit damit den Anforderungen des Protokolls über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten genügt wird.627 Bemerkenswert ist hierbei, angesichts der umfangreichen Nutzungsmöglichkeiten des Internets, die Begrenzung auf audiovisuelle Inhalte. Andererseits muss gesehen werden, dass die an sich zur Ermöglichung der Prüffähigkeit der Beihilfekonformität möglichst präzise vorzunehmende Beschreibung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags durch den auf europäischer Ebene respek­tierten Grundsatz der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begrenzt ist.628 Insofern sollte die anklingende Begrenzung der Ausweitung des Programmauftrags auf neuartige audiovisuelle Inhalte in ihrer Wirkung nicht überschätzt werden. Die Kontrolle der Auftragsdefinition ist der Europäischen Kommission jedenfalls weithin entzogen.629 Sie ist diesbezüglich

626

Hahn / Vesting-Eifert, § 11 RStV, Rn. 14. Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47, 84. 628 Hahn / Vesting-Eifert, § 11 RStV, Rn. 17. 629 Hahn / Vesting-Held, § 11d RStV, Rn. 30. 627

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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auf die Kontrolle offensichtlicher Fehler beschränkt.630 Ein solcher Fehler kann nur dann angenommen werden, wenn offenkundig ist, dass bestimmte Tätigkeiten keinen Beitrag zu den kulturellen, demokratischen und sozialen Bedürfnissen im Sinne des Protokolls über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten leisten können.631 Die Europäische Kommission ist jedoch nicht nur die Hüterin des Wettbewerbsrechts der EU, sondern sie übt zugleich die Aufsicht über die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV auch seitens der Mitgliedstaaten aus. Nimmt man die letztgenannte Rolle der Europäischen Kommission in den Blick, so ist grundsätzlich auch aus dieser Perspektive eine eingeschränkte Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Auftragsdefinition möglich. So wäre es denkbar, dass sich aus Art. 2 EUV eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergibt, bestimmte Erscheinungsformen der Online-Medien in der Auftragsdefinition zu berücksichtigen. In Betracht käme eine europarechtlich verpflichtende Ausweitung des Auftrags auf solche Inhalte, welche die gleiche mediale Gestaltungsform wie herkömm­liche Rundfunkinhalte aufweisen, da in diesem Falle die Bindung an den ursprüng­lichen Programmauftrag am größten ist. Zu denken ist dabei insbesondere an solche Dienste, welche die AVMD-RL in deren Art. 1 Abs. 1 g) als audiovisuelle Medien auf Abruf definiert. Audiovisuelle Mediendienste auf Abruf zeichnen sich dadurch aus, dass diese, anders als Fernsehprogramme, individuell vom Nutzer abgerufen werden können und es daher nicht zu einem zeitgleichen Empfang der ausgestrahlten Programme kommt. Jedoch sollen die audiovisuellen Mediendienste auf Abruf i. S. d. AVMD-RL nur solche Angebote erfassen, welche insofern „fernsehähnlich“ sind, als sie sich an dasselbe Publikum richten (vgl. Erwägungsgrund 24 AVMD-RL). Die „Fernsehähnlickkeit“ kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass, vergleichbar dem Sendeplan eines linearen Angebots, durch den Mediendiensteanbieter ein Programmkatalog unter redaktioneller Verantwortung festgelegt wird.632 Es ist in den Blick zu nehmen, dass die EMRK der Unionsrechtsordnung als eine zentrale Rechtserkenntnisquelle dient (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV). Die Notwendigkeit der Vielfalt sichernden positiven Gewährleistung der freien Meinungsbildung im Bereich der audiovisuellen Medien wird durch den EGMR auf das besondere Beeinflussungspotential dieser Medien zurückgeführt.633 Der EGMR lässt dabei nicht eindeutig erkennen, ob er hinsichtlich des Einflusses auf die Meinungs­bildung eine

630

Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 48. Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 48. 632 Dass das Merkmal der redaktionellen Verantwortung im Gegensatz zur Linearität ein unabdingbares Merkmal der Anwendbarkeit der AVMD-RL ist, wird in Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a) Ziffer i) zum Ausdruck gebracht. 633 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 132 (Centro 7 Europa u. a. / Italien); EGMR, NJW 2006, 1645, 1649, § 79 (Pedersen u. Baadsgaard / Dänemark). 631

268

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Abstufung danach vornimmt, ob Fernsehprogramme oder audiovisuelle Abrufdienste betroffen sind.634 Hingegen hat der Unionsgesetzgeber im Zuge des Erlasses der AVMD-RL deutlich gemacht, dass er für die audiovisuellen Medien, unabhängig davon, ob es sich um einen linearen oder um einen Abrufdienst handelt, einen Regulierungsbedarf sieht, welcher teilweise auch Aspekte der Vielfaltsicherung erfasst. Auch wenn die Berechtigung zum Erlass der AVMD-RL vordergründig aus binnenmarktbezogenen Gesichtspunkten hergeleitet wird, ist der Unionsgesetzgeber sich gleichwohl der demokratischen und kulturellen Dimension der Medienvielfalt im audiovisuellen Bereich bewusst (vgl. Erwägungsgrund 5 AVMD-RL). Unabhängig davon, ob die EU im Zuge der Harmonisierung medienrechtlicher Rechtsvorschriften auch dazu berechtigt ist Aspekte der Vielfaltsicherung mit zu regeln, hat die AVMD-RL gem. Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a) Ziffer i) nur diejenigen audiovisuellen Medien zum Gegenstand, welche als Massenmedien einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung ausüben. Dass die AVMD-RL offenbar auch den nicht auf die Binnenmarktförderung gerichteten Gesichtspunkt der Medienvielfalt berücksichtigt, wird u. a. daran sichtbar, dass den audiovisuellen Medien in Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a) Ziffer i) unterhaltende, informierende und die allgemeine Öffentlichkeit bildende Eigenschaften zugesprochen werden. Damit werden im Wesentlichen diejenigen Aufgaben bezeichnet, mit deren Wahrnehmung die Mitgliedstaaten die von ihnen geschaffenen öffentlichen Medienorganisationen beauftragen. Einschränkend werden weiterhin nur solche audiovisuellen Medien vom Anwendungsbereich erfasst, welche Unterhaltung, Information und Bildung der Öffentlichkeit zum Hauptzweck ihrer geschäftlichen Tätigkeit erheben und insofern als Massenmedien bezeichnet werden können (vgl. Erwägungsgrund 22). Die Ausklammerung von anderen audiovisuellen Medien kann einerseits zwar der geringen Binnenmarktrelevanz geschuldet sein. Andererseits werden Regelungen, welche die Medienvielfalt befördern sollen, gemeinhin nur an professionelle Medienanbieter adressiert, da auch nur diese eine beachtliche Meinungsmacht entwickeln können.635 Weiterhin werden in den Artikeln 13 und 16 bis 18 der AVMD-RL, trotz insoweit fraglicher Kompetenz der EU, zu Gunsten der Produktion und Verbreitung europäischer Werke Regelungen getroffen, welche unzweifelhaft kulturelle Ziele verfolgen. Auch die Artikel 14 und 15 der Richtlinie zeigen, dass der Unionsgesetzgeber Kultur fördernde und Informationsvielfalt sichernde Regelungen getroffen hat, wenngleich die dort eingeräumten Rechte sich lediglich auf Fernsehveranstalter beziehen. 634

Jedenfalls unterscheidet der EGMR aktuell noch hinsichtlich des meinungsbildenden Einflusses zwischen ausgestrahlten Informationen einerseits und Internetmedien sowie sozialen Medien andererseits. Siehe hierzu, EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). Eine Einordnung von „fernsehähnlichen“ Inhalten, welche sowohl linear als auch zeitversetzt rezipiert werden können, ist bisher noch nicht erfolgt. Jedoch führt der EGMR den besonderen meinungsbildenden Einfluss der Rundfunkmedien u. a. auch auf die Synchronität des Empfangs zurück. Dies spricht für die Annahme einer verstärkten meinungsbildenden Wirkung linearer Programme. 635 Hoffmann-Riem, Gesetzliche Gewährleistung, S. 237, 249.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

269

Die Tatsache, dass die AVMD-RL grundsätzlich auch audiovisuelle Medien auf Abruf in ihren Anwendungsbereich einbezieht, deutet gleichwohl darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber diesen eine wichtige meinungsbildende und Informationsvielfalt fördernde Wirkung zuspricht.636 Er sieht für Abrufdienste jedenfalls dann einen auch über die Binnenmarktförderung hinausreichenden Regulierungsbedarf, wenn diesen die meinungsbildende Funktion eines Massenmediums zukommt. Aber nur dann, wenn die meinungsbildende Wirkung der audiovisuellen Medien auf Abruf mit der des herkömmlichen Rundfunks vergleichbar ist und zudem die Präsenz öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter zwingend geboten erscheint, um inhaltliche Vielfaltdefizite auszugleichen, kann aus Art. 2 EUV eine Verpflichtung zur Beauftragung mit solchen Diensten folgen. Es muss also die mitgliedstaatliche Entscheidung, den öffentlich-rechtlichen Auftrag einzelner Medienanbieter nicht auch auf audiovisuelle Medien auf Abruf zu erstrecken, als Verletzung der Pflicht zur Gewährleistung eines freien Meinungsbildungsprozesses erscheinen. Der wesentliche Unterschied zwischen linearem Rundfunk und audiovisuellen Medien auf Abruf besteht in der Möglichkeit des nicht an Sendezeiten gebundenen individuellen Zugriffs auf die Programminhalte. Die Auffassung, dass Medienvielfalt sich im Bereich des herkömmlichen Rundfunks nicht allein durch privat finanzierte Anbieter und wirtschaftlichen Wettbewerb erreichen lässt, wird durch Mitgliedstaaten und Union geteilt. Es fragt sich aber, ob möglicherweise die individuelle Zugriffsmöglichkeit auf den Programminhalt den Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung derart verringert, dass ein freier Kommunikationsprozess auch ohne eine Erweiterung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags auf Abrufdienste als gewährleistet gelten kann. Ein Blick auf die Regulierungspraxis der Mitgliedstaaten der EU zeigt, dass diese ausnahmslos (Luxemburg konnte eine solche Öffnung nicht vornehmen, da dort kein öffentlicher Fernsehanbieter existiert) eine Ausweitung des Programmauftrags auf Online-Medien ermöglicht haben.637 Ein solches Vorgehen legt auch eine entsprechende Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats nahe, welche sich mit dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Informationsgesellschaft auseinandersetzt.638 Hierin wird den Konventionsstaaten empfohlen, die Präsenz von gemeinwohlorientierten Medienangeboten auf allen wichtigen technischen Plattformen sicherzustellen und den beauftragten Medienanbietern zu diesem Zweck die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.639 Eine weitere 636 In Erwägungsgrund Nr. 69 der AVMD-RL bringt der Unionsgesetzgeber zum Ausdruck, dass er den Abrufdiensten das Potential zuschreibt, künftig teilweise als Ersatz für Fernsehprogramme zu dienen. Dagegen billigt er den Abrufdiensten in Erwägungsgrund Nr. 58 (noch) nicht dieselbe Wirkung auf die Gesellschaft zu, weshalb er einen geringeren Regulierungsbedarf für die Abrufdienste annimmt. 637 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 164 f. 638 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2007)3. 639 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2007)3, Ziffer II. a. 4.

270

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Empfehlung des Ministerkomitees geht auf die veränderten Erwartungen des Publikums im Hinblick auf die Auswahl und Kontrolle der angebotenen audiovisuellen Mediendienstleistungen ein.640 Die öffentlichen Medienanbieter sollten aktiv dazu ermutigt werden, auf die veränderten Publikumserwartungen zu reagieren.641 Um die Ziele der öffentlich-rechtlich beauftragten Medien angesichts der vergrößerten Auswahlmöglichkeiten weiterhin dauerhaft und hinreichend wahrnehmbar zum Ausdruck bringen zu können, müssen nach Auffassung des Ministerkomitees die Möglichkeiten des Internets ebenso genutzt werden wie andere neue und in höherem Maße Interaktivität ermöglichende Verbreitungsplattformen.642 Der EGMR führt den mächtigeren Einfluss der audiovisuellen Medien gegenüber den Printmedien im Wesentlichen auf den Umstand zurück, dass Mitteilungen durch Bild und / oder Ton und nicht über Texte verbreitet werden.643 Zudem verstärke sich der unmittelbare Einfluss der audiovisuellen Medien noch durch den regelmäßigen Konsum dieser Medien im intimen Bereich der eigenen Wohnung.644 Schließlich scheint der EGMR der Synchronität des Empfangs eine wichtige Bedeutung beizumessen.645 Die beiden erstgenannten Voraussetzungen, welche den besonderen Einfluss der audiovisuellen Medien auf die öffentliche Meinungsbildung nach Auffassung des EGMR ausmachen, liegen beim linearen Rundfunk und bei audiovisuellen Abrufdiensten regelmäßig gleichermaßen vor, wenngleich Abrufdienste in höherem Maße für den mobilen Konsum genutzt werden dürften als lineare Dienste. Ungeachtet der Wirkmacht einzelner Medienarten ist anzunehmen, dass die Mitgliedstaaten aus der Leitbildfunktion der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 10 EMRK auch unionsrechtlich verpflichtet sind, zu gewährleisten, dass nicht nur die Massenmedien insgesamt, sondern auch jede ihrer Erscheinungsformen für sich genommen eine freie Meinungsbildung ermöglichen können muss.646 Weiterhin wird nicht in Abrede gestellt werden können, dass das Internet Inhalte bereithält, welche publizistische und damit meinungsbildende Relevanz haben.647 Somit kommen im Internet bereitgestellte Inhalte grundsätzlich als Gegenstand der Vielfaltsicherung in Betracht. Darüber hinaus ist es denkbar, dass sich Medienvielfalt nur dadurch erreichen lässt, indem öffentlich-rechtlich beauftragte Medienanbieter

640

Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang I., Nr. 6. Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang I., Nr. 6. 642 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 33, 1. Spiegelstrich. 643 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 132 (Centro 7 Europa u. a. / Italien). 644 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 132 (Centro 7 Europa u. a. / Italien). 645 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); Grabenwarter / Pabel, § 23, Rn. 55. 646 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no.  309/2004, CDL-AD(2005)017, Ziffer 262. 647 Hoffmann-Riem, Gesetzliche Gewährleistung, S. 237, 247. 641

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

271

ihr Angebot auch auf über das Internet bereitgestellte audiovisuelle Abrufmedien erstrecken. Im Hinblick auf die Ausfüllung des staatlichen Gewährleistungsauftrags bezüglich eines vielfältigen Medienangebots fällt indessen auf, dass das Ziel der freien Meinungsbildung im Bereich der Printmedien durch weitgehende Regulierungsabstinenz erreicht werden soll. Demgegenüber wird für den Bereich des herkömmlichen Rundfunks angenommen, dass die eine freie Meinungsbildung ermöglichende Medienvielfalt sich nur durch eine Vielfalt sichernde Regulierung und durch das Angebot vom Staat zwar inhaltlich unabhängiger aber auf dessen Veranlassung beauftragter und finanzierter Rundfunkanbieter erreichen lässt. Der geringere Regulierungsbedarf der Presse wird gemeinhin damit begründet, dass die erforderliche Vielfalt sich grundsätzlich durch wirtschaftlichen Wettbewerb und eine von staatl­ichen Eingriffen weitgehend freizuhaltende private Betätigung verschiedener Anbieter einstellt. Ebenso wird den Printmedien ein geringeres Beeinflussungspotential im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung beigemessen, sodass insgesamt der Regulierungsbedarf zur Ausfüllung des Gewährleitungsauftrags als geringer eingeschätzt wird. Die audiovisuellen Medien auf Abruf sind mit den Printmedien insofern vergleichbar, als sie vom Nutzer individuell ausgewählt und zum Zeitpunkt und im Umfang seiner Wahl konsumiert werden können. Auch zeichnen sich die im Internet bereitgestellten Inhalte, insofern im Ansatz vergleichbar den Presseerzeugnissen, durch eine nicht überschaubare Vielfalt an Angeboten aus. Indessen muss gesehen werden, dass eine Vielzahl an Angeboten, ähnlich wie die Sendervielfalt im Fernsehbereich, keinen generellen Rückschluss auf die durch qualitative Vielfalt zu bewirkende Freiheit des Kommunikationsprozesses erlaubt.648 Ausgehend von dieser Erkenntnis wird für die Frage der Notwenigkeit des Angebots audiovisueller Medien auf Abruf durch öffentlich-rechtlich beauftragte Anbieter entscheidend sein, inwieweit sich die Gründe für die besondere Regulierungsbedürftigkeit des herkömmlichen Rundfunks auf audiovisuelle Abrufdienste übertragen lassen. Als wesentlicher Grund für das Vielfalt sichernde Regulierungsbedürfnis des Rundfunks wird regelmäßig dessen besondere Suggestivkraft, d. h. die Fähigkeit zur unterschwelligen Beeinflussung des Publikums, angeführt.649 Einen regulierungsbedürftigen Einfluss auf die Meinungsbildung können audiovisuelle Medien auf Abruf aber überhaupt nur dann entfalten, wenn sie in zunehmendem Maße den Konsumgewohnheiten der Mediennutzer entsprechen. Erst mit Zunahme der massenmedialen Kommunikation über das Internet wird auch die Verantwortung des Staates wachsen, in diesem neu entstandenen massenmedialen Bereich die Freiheit der Kommunikation zu gewährleisten.650 Die Gewährleistung eines die freie Meinungsbildung ermöglichenden Kommunikationsprozesses 648

Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 940; Hahn / Vesting-Held, § 11d RStV, Rn. 25. Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 936. 650 Hoffmann-Riem, Gesetzliche Gewährleistung, S. 237, 251 f. 649

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

könnte indessen durch die im Internet verbreiteten Massenmedien bereits in einem Maße gefährdet sein, welches ein audiovisuelles Abrufangebot öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter erforderlich macht. Was die Konsumgewohnheiten der Mediennutzer anbetrifft, so lässt sich festhalten, dass der internationale Trend zur verstärkten Nutzung von im Internet abrufbaren Videos sich weiter verstärken und sich als fester Bestandteil der Medienkonsumgewohnheiten verfestigen wird.651 Eine im Ansatz vergleichbare Beeinflussungswirkung kommt den audiovisuellen Medien und den linearen Rundfunkprogrammen bereits aufgrund der identischen Gestaltungsform, d. h. durch die gleichermaßen erfolgende Vermittlung von Inhalten über Bilder und / oder Ton, zu. Fraglich ist indessen, ob die autonome Entscheidungsmöglichkeit, welchen unter der Vielzahl der im Internet zur Verfügung stehenden audiovisuellen Inhalte der Nutzer zu welchem Zeitpunkt abruft, eine entscheidende Verringerung des Einflusses auf die Meinungsbildung bewirkt. Für eine geringere Meinungsbildungsrelevanz der im Internet abrufbaren Inhalte könnte die verstärkte Möglichkeit des Nutzers, selbst zu wählen welchen Inhalt er abruft und durch welchen Anbieter er sich informieren, bilden oder unterhalten lassen möchte, sprechen. Weiterhin bietet das Internet die Möglichkeit der interaktiven Kommunikation zwischen Medienanbieter und Mediennutzer.652 Hierdurch wird die vor der Etablierung des Internets weitgehend bestehende einseitige Konfrontation des Rezipienten mit den audiovisuellen Inhalten des Medienanbieters durchbrochen. Auch schafft die Internetkommunikation durch Foren, Netzwerke, soziale Medien usw. Voraussetzungen für die Herausbildung einer Vielzahl verschiedener gesellschaftlicher und thematischer Nischen, welche ein Phänomen bewirken, welches prägnant als „Fragmentierung des Publikums“ bezeichnet wird.653 Andererseits sollte die Wirkung der verstärkten Autonomie des Mediennutzers, welche das Internet ermöglicht, nicht überschätzt werden. So macht es keinen inhaltlichen Unterschied, ob die Medienanbieter ihre identischen Programme auf Abruf bereitstellen, oder ob diese entlang eines Sendeplans ausgestrahlt werden. Jedenfalls stellen auch die Anbieter audiovisueller Medien auf Abruf einen eigenen Programmkatalog zusammen (vgl. Art. 1 Abs. 1 g) AVMD-RL). Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Anbieter audiovisueller Medien auf Abruf i. S. d. AVMD-RL stets über kein Programm im Sinne einer systematischen Zusammenstellung von Inhalten verfügten.654 Zudem bietet sich der Vergleich eines über das Internet abrufbaren audiovisuellen Inhalts mit einer Fernsehsendung an.655 651

Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 927 f. Ladeur, ZUM 2009, 906, 912. 653 Ladeur, ZUM 2009, 906, 912. 654 Anders Neuhoff, Rechtsprobleme der Ausgestaltung, S. 71. Dieser spricht den im deutschen Rechtsraum als solche bezeichneten Telemedien, trotz „Programmlosigkeit“, gleichwohl eine dem Fernsehen vergleichbare Suggestivkraft zu. 655 Klaes, ZUM 2009, 135, 138. 652

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Durch eine systematische Verlinkung der von ihm bereitgestellten Inhalte kann der Medien­anbieter eine ähnliche Bindung des Publikums an seine Inhalte erzeugen, wie der Veranstalter eines Fernsehprogramms.656 Insofern können audiovisuelle Medien auf Abruf auch eine mit Fernsehprogrammen vergleichbare Suggestivkraft entfalten.657 Es kommt hinzu, dass moderne Endgeräte wahlweise den Empfang linearer Programme oder diesen audiovisueller Abrufmedien ermöglichen. Es macht es aus Sicht der Rezipienten audiovisueller Inhalte damit keinen Unterschied mehr, ob gerade auf den Inhalt eines linearen Programms oder auf diesen eines Abrufdienstes zugegriffen wird. Den Zeitpunkt des Zugriffs entscheidet der Rezipient nach modernen Mediennutzungsgewohnheiten jedenfalls selbst.658 Wenn es für den zunehmend zeitsouverän auf Inhalte zugreifenden Rezipienten kaum noch unterscheidbar ist, ob er auf ein lineares Angebot oder auf einen Abrufdienst zugreift, kann auch im Hinblick auf die meinungsbildende Wirkung der Inhalte kein wesentlicher Unterschied mehr ausgemacht werden.659 Zwar hat der EGMR noch im Jahr 2013 die Auffassung vertreten, dass der Konsum von Rundfunkmedien eine stärkere meinungsbildende Wirkung als die Nutzung des Internets oder sozialer Medien aufweist.660 Er verwies zur Begründung dieser Auffassung u. a. auch auf die Synchronität gesendeter Informationen.661 Diese Rechtsprechung dürfte angesichts der neuesten technischen Entwicklungen, welche sowohl den linearen als auch den zeitsouveränen Zugriff auf dieselben Inhalte durch dasselbe End­gerät ermöglichen, zumindest in Bezug auf audiovisuelle Medien auf Abruf i. S. d. AVMD-RL als überholt gelten. Die meinungsbildende Wirkung wird kaum wesentlich von konkreten Zeitpunkt des Zugriffs abhängen können. Allenfalls ist einzuräumen, dass der zeitgleiche Konsum derselben Inhalte durch ein breites Publikum die sich anschließende diesbezügliche gesellschaftliche Kommunikation befördern kann. Die Zersplitterung der Aufmerksamkeit des Publikums ist jedoch ein Phänomen, welches bereits seit längerer Zeit aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen großen Anzahl an verschiedenen Programmen auch auf den linearen Rundfunk zutrifft. Insofern wird ein gesellschaftlicher Austausch über bestimmte Sendeinhalte immer unwahrscheinlicher, ohne dass indessen der Wegfall der Vielfalt sichernden Regulierung für erforderlich gehalten wird. Der EGMR hat gerade erst in jüngerer Vergangenheit herausgestellt, dass Art. 10 EMRK die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen echten audiovisuellen Pluralismus zu gewährleisten, welcher sich nicht lediglich in der Existenz einer Vielzahl verschiedener Sender erschöpft.662 Hieraus ergibt sich, dass die Zersplitterung der 656

Klaes, ZUM 2009, 135, 138. Klaes, ZUM 2009, 135, 139; a. A. Ladeur, ZUM 2009, 906, 910. 658 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 923. 659 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 923. 660 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); Grabenwarter / Pabel, § 23, Rn. 55. 661 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); Grabenwarter / Pabel, § 23, Rn. 55. 662 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 657

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Aufmerksamkeit durch die zahlenmäßige Vielfalt an unterschiedlichen Rundfunkprogrammen nicht ausreicht, um den von Art. 10 EMRK geforderten freien gesellschaftlichen Kommunikationsprozess hinreichend zu verwirklichen. Vielmehr muss es der Öffentlichkeit möglich sein, die inhaltliche Vielfalt der in der Gesellschaft bestehenden Meinungen auch tatsächlich wirksam zur Kenntnis nehmen zu können. Mithin bewirkt die infolge der Zersplitterung der medialen Aufmerksamkeit möglicherweise eintretende Verringerung der Wirkung eines einzelnen Programms auf die öffentliche Meinugsbildung nicht die Entbehrlichkeit positiver Maßnahmen zur Vielfaltsicherung im Bereich der audiovisuellen Medien. Angesichts der Vielzahl der im Internet verfügbaren massenmedialen Inhalte ist der Nutzer weiterhin darauf angewiesen, die Dienste von Suchmaschinen und ähnlichen Orientierungshelfern in Anspruch zu nehmen. Die unabdingbare Unterstützung von Orientierungshelfern kann zu neuen Gefährdungen des freien Meinungsbildungsprozesses führen, indem die scheinbar selbstbestimmten Nutzer durch Filtervorkehrungen zu bestimmten Angeboten gelenkt werden.663 Des Weiteren liegt es nahe, dass die Orientierungsnot der Rezipienten dazu führen wird, dass diese auch im Rahmen der Nutzung des Internets auf die Inhalte der ihnen aus dem Fernsehbereich bekannten Marken zurückgreifen werden.664 Es lässt sich mithin feststellen, dass die Vielfalt der im Internet vorhandenen Inhalte eine Bedürfnis nach Orientierung hervorruft, welches zur Folge haben kann, dass sich die Aufmerksamkeit der Internetnutzer im Wesentlichen auf einen überschaubaren Kreis von Anbietern richtet. Die begrenzte Aufnahmekapazität an Inhalten kann ebenfalls als Grund dafür herangezogen werden, weshalb Internetnutzer zur Vermeidung von Zeitverlusten bei der Suche nach Inhalten auf bekannte Anbieter zurückgreifen.665 Zur Konzentration der Aufmerksamkeit auf wenige Anbieter trägt auch die mittlerweile stark ausgeprägte professionelle und kommerzielle Nutzung des Internets durch Medienanbieter bei. Diese kann wiederum, ähnlich wie im Bereich des herkömmlichen Fernsehrundfunks, ökonomische Konzentrationsprozesse nach sich ziehen.666 Es ist schließlich in den Blick zu nehmen, dass die Rechtfertigung der öffentlich-rechtlichen Programmbeauftragung bestimmter Anbieter im Bereich des herkömmlichen Rundfunks die Annahme eines Marktversagens ist. Das Marktversagen offenbart sich in dem ökonomischen Druck zur Ausstrahlung massenattraktiver Inhalte, sodass nicht zu erwarten ist, dass die nach Gewinn strebenden privaten Anbieter vielfältige oder anspruchsvolle Inhalte hinreichend berücksichtigen werden.667 Die ökonomische Situation der Medien führt dazu, dass sogar eine Vielzahl

663

Hoffmann-Riem, Gesetzliche Gewährleistung, S. 237, 254 ff. Neuhoff, Rechtsprobleme der Ausgestaltung, S. 74. 665 Brinkmann, ZUM 2013, 193, 199. 666 Klaes, ZUM 2009, 135, 139 f. 667 Brinkmann, ZUM 2013, 193, 194. 664

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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von Anbietern und Programmen kein hinreichender Garant für ein vielfältiges Medienangebot ist. Fraglich ist, ob dieser Befund sich auch auf den Bereich der über das Internet abrufbaren audiovisuellen Medien übertragen lässt. Eine Vergleichbarkeit ist insoweit gegeben, als auch die Anbieter privater elektronischer Medien in hohem Maße auf Werbeeinnahmen angewiesen sind.668 Weiterhin lässt sich festhalten, dass sich im Bereich der neu entstandenen Videoplattformen bereits erhebliche Vermachtungstendenzen realisiert haben, die darauf zurückzuführen sind, dass die Attraktivität einer Plattform wesentlich von der Zahl ihrer Nutzer abhängt.669 Auch ist eine starke Abhängigkeit der Anbieter audiovisueller Medien von den technischen Verbreitern dieser Inhalte zu beobachten.670 Angesichts der Werbefinanzierung und den zu beobachtenden Konzentrationstendenzen bei kommerziellen Inhalteanbietern, Verbreitern und Vermittlern ist durch diese Akteure auch kein Vielfalt begünstigender publizistischer Wettbewerb zu erwarten.671 Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass diejenigen Medienanbieter, welche einem ökonomischen Druck ausgesetzt sind, auch im Bereich der über das Internet abrufbaren Inhalte auf Massenattraktivität setzen werden.672 Diese ökonomische Situation macht indessen eine über den linearen Rundfunk hinausgehende öffentlich-rechtliche Beauftragung einzelner Anbieter mit audiovisuellen Abrufangeboten nur dann erforderlich, wenn sich eine die freie Meinungsbildung ermöglichende Medienvielfalt im Bereich der audiovisuellen Medien anderenfalls nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreichen lässt. So muss in die Gesamtbetrachtung der audiovisuellen Medienvielfalt die Tatsache einbezogen werden, dass über das Internet in großer Vielzahl Inhalte durch solche Personen eingestellt werden, welche nicht berufsmäßig oder kommerziell, sondern lediglich mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung tätig werden. Da diese nichtkommerziellen Inhalteanbieter in keine ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und Zwänge eingebunden sind, wäre es denkbar, dass diese in erheblichen Maße zu einem vielfältigen Gesamtangebot beitragen. Unbestreitbar dürfte sein, dass die durch das Internet geschaffenen neuen Kommunikationsmöglichkeiten den Austausch über politische und gesellschaftliche Themen begünstigen und somit auch die Vielfalt der wahrnehmbaren Meinungen in dieser Hinsicht erweitern.673 Der Auftritt öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter könnte damit in Bezug auf audiovisuelle Abrufdienste entbehrlich und mit Blick auf die deshalb frei von staatlichen Eingriffen zu haltenden Betätigungsmöglichkeiten privater Anbieter und gesellschaftlichen kommunikativen Prozesse sogar unzulässig sein.

668

Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 940. Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 924. 670 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 924. 671 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 940 f. 672 Brinkmann, ZUM 2013, 193, 195. 673 Brinkmann, ZUM 2013, 193, 198. 669

276

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Teilweise wird eine Übertragung der Annahme des Marktversagens im Rundfunkbereich und des damit einhergehenden Bedarfs nach Vielfalt sichernder Regulierung auf den Bereich der Internetkommunikation kritisch gesehen.674 Es wird argumentiert, dass im Bereich der über das Internet bereit gestellten Kommunikation eine überaus starke Aufteilung der Nutzeraufmerksamkeit auf verschiedene Anbieter und damit ein geringes Beeinflussungspotential eines einzelnen Anbieters zu erwarten ist.675 Die Aufmerksamkeit des Publikums lasse sich durch einzelne Medienanbieter angesichts der Vervielfältigung der Medienangebote und der erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten zunehmend schwerer erreichen.676 Solange die besondere Suggestivkraft des linearen Rundfunks sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf über das Internet bereitgestellte Medien übertragen lasse, müsse der auch für die Presse unstreitige Vorrang der privaten Betätigung und Finanzierung gelten.677 Der Annahme einer starken Aufsplitterung medialer Aufmerksamkeit kann entgegengehalten werden, dass die verstärkte Nutzung von Orientierungshelfern und Diensten, welche sowohl die Übertragung linearen Rundfunks als auch von Abrufinhalten ermöglichen, die Annahme der Aufsplitterung der medialen Aufmerksamkeit relativiert. Die Überfülle des Angebots an über das Internet abrufbaren Inhalten kann vielmehr auch Orientierungsprobleme hervorrufen. Angesichts dessen sind die Internetnutzer auf Dienstleistungen angewiesen, welche ihnen das Auffinden der gesuchten Inhalte erleichtern.678 Vor diesem Hintergrund erscheint es als eine regulatorische Herausforderung, den chancengleichen Zugang der Rezipienten zu der unüberschaubaren Vielzahl über das Internet abrufbarer Medienangebote überhaupt erst zu ermöglichen.679 Weiterhin fragt sich, ob selbst dann, wenn die Ermöglichung eines chancen­ gleichen Zuganges gelänge, dem Erfordernis der Gewährleistung von Medienvielfalt hinreichend Rechnung getragen wäre. Die Vielzahl der im Internet verfügbaren Inhalte legt es auf den ersten Blick nahe, eine hinreichend verwirklichte Medienvielfalt auch ohne den Auftritt öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter anzunehmen. Es muss aber im Blick behalten werden, dass das Ziel der Gewährleistung von Medienvielfalt kein Selbstzweck ist, sondern eine gesellschaftlich überaus bedeutende Funktion zu erfüllen hat. So soll die Medienvielfalt es ermöglichen, dass die Öffentlichkeit sich umfassend informieren und auf dieser Grundlage Meinungen 674

Ladeur, ZUM 2009, 906, 911 f. Ladeur, ZUM 2009, 906, 912. 676 Brinkmann, ZUM 2013, 193, 195. Dieser geht indessen davon aus, dass hierdurch der Trend zum Anbieten massenattraktiver Angebote noch verstärkt wird. Vgl. auch Schulz, AfP 2017, 373, 378. Letzter ist der Auffassung, dass es angesichts der ausdifferenzierten Medienumgebung immer schwerer wird, über die Kontrolle eines Einzelmediums eine bedenkliche und umfassende Meinungsmacht zu erlangen. 677 Ladeur, ZUM 2009, 906, 910 f. 678 Hoffmann-Riem, Gesetzliche Gewährleistung, S. 237, 255. 679 Hoffmann-Riem, Gesetzliche Gewährleistung, S. 237, 261. 675

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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frei gebildet werden können. Gerade in Zeiten einer nicht mehr überschaubaren Inhaltevielfalt und der zunehmenden Entprofessionalisierung der Informationsvermittlung kann der Aspekt der Verlässlichkeit von Informationen eine besondere Bedeutung gewinnen.680 In dieser Hinsicht wird man seitens der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter einen hohen Anspruch erwarten dürfen, wenngleich auch die organisatorische und verfahrensmäßige Absicherung der Unabhängigkeit und Qualität öffentlich finanzierter Medieninhalte eine schwierige Herausforderung des Gesetzgebers darstellt. Im Zuge der Informationsvermittlung soll durch die Medienvielfalt zudem ein Kommunikationsprozess abgesichert werden, welcher die für eine Demokratie kennzeichnende ständige geistige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen ermöglicht.681 Problematisch kann in dieser Hinsicht, selbst bei unterstellter Verfügbarkeit eins vielfältigen Medienangebots im Internet, die sog. Fragmentierung des Medienpublikums sein. Hiermit ist gemeint, dass die Mediennutzer nur noch gezielt solche Inhalte abrufen, mit welchen sie sich identifizieren können oder welche für sie nach eigener Einschätzung von Interesse sind. Begünstigt durch neue Kommunikationsformen, welche das Internet bereithält, bilden sich in sozialen Netzwerken Gruppen heraus, welche bestimmte Wertvorstellungen teilen mit der Folge, dass die Gruppenmitglieder vorwiegend nur noch untereinander kommunizieren.682 In dieser Entwicklung wird die Gefahr gesehen, dass sich der Blick auf das gesellschaftliche und politische Geschehen verengen und zur Verstärkung von Vorurteilen beitragen könnte.683 Andererseits bestand auch schon im Bereich der herkömmlichen Medien die Möglichkeit, bestimmte Inhalte selektiv zu konsumieren und nicht als interessant erachtete Beiträge auszusparen.684 Weiterhin besteht in freiheitlichen Gesellschaften ohnehin die Möglichkeit, sich zu Vereinigungen mit homogenen Interessen zusammenzuschließen. Das Eintreten für eine bestimmte Interessengruppe oder eine bestimmte Meinungsrichtung kann jedenfalls nicht als Problem für die demokratische Entwicklung einer Gesellschaft angesehen werden, sofern Demokratie und Meinungsfreiheit als solche geachtet werden. Der Wunsch, dass sich die Bürger möglichst umfassend informieren und verschiedene Meinungen zur Kenntnis nehmen, lässt sich jedenfalls nicht erzwingen. Gleichwohl kann der Staat, gerade in Zeiten der Fragmentierung der medialen Aufmerksamkeit, dazu aufgerufen sein, in der unüberschaubaren Informationsfülle verlässliche und unparteiische Orientierung zu geben.685 Mittels einer unabhängigen und unvoreingenommen Berichterstattung könnten öffentlich-rechtlich beauftragte Medienanbieter dazu beitragen, der gesellschaftlichen Zersplitterung sowie der 680

Trute, VVDStRL 57 (1998), 216, 235. Dieser wies frühzeitig auf das zunehmende Bedürfnis nach verlässlicher Berichterstattung im Zuge der Erweiterung der Übertragungsmöglichkeiten hin. Ähnlich in Bezug auf die jüngere Entwicklung des Medienumfelds das Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)3, II. c. 12. 681 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 929 f. 682 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 927. 683 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 36. 684 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 36. 685 Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 931.

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politischen und sozialen Entfremdung weiter Bevölkerungsteile entgegenzuwirken.686 Es muss weiter in den Blick genommen werden, dass eine möglicherweise im Internet existierende Vielfalt an Inhalten durch den Rezipienten naturgemäß nicht vollständig wahrgenommen werden kann.687 Dies legt es nahe, dass vorwiegend auf solche Inhalte zurückgegriffen wird, deren professioneller Aufbereitung sich der Rezipient sicher sein kann.688 Auch können die öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter durch eine vielfältige und weitgehend werbeunabhängige Berichterstattung einen unverzichtbaren Beitrag dazu leisten, dass die Werte des Art. 2 EUV der Bevölkerung vermittelt werden.689 Schließlich muss die Bedeutung der nicht an kommerzielle Zwänge gebundenen Medienanbieter für die Bewahrung der kulturellen Vielfalt gesehen werden.690 Indessen darf nicht verkannt werden, dass der Schutz kultureller Gesichtspunkte, im Gegensatz zu demokratischen und menschenrechtlichen Wurzeln der Medienvielfaltsicherung, in Art. 2 EUV nicht angelegt ist. Andererseits kann die kulturelle Dimension der Medienvielfalt für die Mitgliedstaaten einen tragfähigen Begründungsansatz dafür liefern, weshalb die öffentlich-rechtliche Medienbeauftragung auch in Bezug auf audiovisuelle Abrufdienste notwendig erscheint. Im Ergebnis erscheint es unerlässlich, dass der öffentlich-rechtliche Programmauftrag im Hinblick auf die sich im Wandel befindlichen Nutzergewohnheiten insoweit angepasst wird, dass dieser auch die in ihrer meinungsbildenden Wirkung dem linearen Rundfunk vergleichbaren audiovisuellen Medien auf Abruf erfasst. Dabei ist unerheblich, ob die freie Meinungsbildung durch die ökonomische und publizistische Machtstellung von technischen Orientierungshelfern und Plattformanbietern oder durch eine übermäßige Zersplitterung der medialen Aufmerksamkeit gefährdet ist. Freilich scheinen sich Konzentration und Zersplitterung der Aufmerksamkeit gegenseitig auszuschließen. Beide Entwicklungen können jedoch auch parallel verlaufen, indem ein beträchtlicher Teil des Publikums massenattraktive und überwiegend unterhaltende Inhalte großer Medienkonzerne konsumiert, wohingegen andere sich nur noch in der von ihnen gefundenen Nische gruppenintern austauschen. Ein umfassendes, vielfältiges aber auch attraktives audiovisuelles Abrufangebot öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter scheint angesichts dessen unerlässlich, um in der veränderten Medienwelt die Aufmerksamkeit auch auf solche Angebote richten zu können, welche eine freie Meinungsbildung zu ermöglichen imstande sind. Jedoch soll nicht verschweigen werden, dass die exakte Festlegung des Umfangs der Online-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen beauftragten Medien gerade in 686

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)3, II. c. 13. Brinkmann, ZUM 2013, 193, 199. 688 Brinkmann, ZUM 2013, 193, 199. 689 Bezogen auf die inhaltlich vergleichbaren Grundwerte des GG, Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 930. 690 Trute, VVDStRL 57 (1998), 216, 235. Siehe zur kulturellen Bedeutung der öffentlichen Medien auch, Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)3, II. e. 19 ff. 687

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Abgrenzung zu privatwirtschaftlich tätigen Medienanbietern erhebliche Probleme bereitet. Die Feinabstimmung muss hier durch die Politik der Mitgliedstaaten ggf. in Abstimmung mit der Europäischen Kommission als Beihilfeaufsicht erfolgen. Allerdings dürften im Zuge der Veränderung des Medienumfelds und der Medienkonsumgewohnheiten audiovisuelle Medien auf Abruf nunmehr bereits aus der Perspektive des Art. 2 EUV zum verpflichtenden Angebot öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter zu rechnen sein. Die Anpassung des Programmauftrags an veränderte Publikumserwartungen und -bedürfnisse ist im Detail jedoch ein überaus komplexes Regulierungsfeld. Angesichts der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit in Bezug auf die Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags sollten die unionsrechtlichen Mindestanforderungen in dieser Hinsicht noch nicht überspannt werden. Gleichwohl bieten neue technische Möglichkeiten und veränderte Nutzergewohnheiten auf mitgliedstaatlicher Ebene bereits Anlass zur Anpassung des Regulierungsrahmens.691 Andererseits hat sich noch kein europäischer Konsens darüber herausgebildet, welche Online-Angebote mindestens vom gesetzlichen Auftrag umfasst sein sollten. Vielmehr lässt sich derzeit als gemeinsame Auffassung der Mitgliedstaaten erst eine generelle aber noch diffuse Öffnung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags für Online-Angebote ausmachen.692 Auch die Anforderungen des europäischen Beihilferechts haben nicht zu einer weitgehenden Vereinheitlichung öffentlich-rechtlicher Programmbeauftragungen geführt.693 4. Abwehr staatlicher Einflussnahmen auf Medieninhalte Vorstehend wurde dargestellt, dass die Gewährleistung von Medienvielfalt eine Aufgabe des Staates sein muss, wenn diese sich im Rahmen des Wettbewerbs privater Anbieter nicht hinreichend verwirklichen lässt. Die Gewährleistungsverpflichtung kann ihm insbesondere im Bereich der audiovisuellen Medien positive Handlungspflichten auferlegen. Der Staat muss als Garant des Pluralismus privaten Vermachtungstendenzen aktiv entgegentreten und diese sogar präventiv im Wege der Medienregulierung zu verhindern suchen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Medienvielfalt nicht nur durch Privatpersonen, sondern insbesondere auch durch staatliche Akteure gefährdet sein kann. Die Gefahr der staatlichen Einflussnahme liegt darin begründet, dass dem Staat die schwierige Aufgabe zukommt, einen freien öffentlichen Kommunikationsprozess u. U. auch im Wege staatlicher Intervention gewährleisten zu müssen. Hierbei darf er indessen keinen inhaltlichen Einfluss auf Medienprodukte ausüben. Berührungspunkte zwischen dem Staat und den Medien sind neben der Recht setzenden und beaufsichtigen staatlichen Tätigkeit auch dadurch vorgezeichnet, dass im Bereich 691

Zu denkbaren neuen Handlungsfeldern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, siehe Dörr / Holznagel / Picot, ZUM 2016, 920, 943 ff. 692 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 164 f. 693 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 169.

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des Rundfunks öffentlich finanzierte und beauftragte Anbieter ergänzend zur Tätigkeit privater Akteure hinreichende Medienvielfalt überhaupt erst erzeugen sollen. Es gilt zu verhüten, dass der staatlichen Sphäre zurechenbare Entscheidungsträger übermäßig auf die Programmgestaltung einwirken und auf diese Weise ihre eigenen Vorstellungen eines vielfältigen Medienangebots durchsetzen können. Angesichts der möglichen Einflussnahmen des Staates sieht der EGMR diesen im Bereich der audiovisuellen Medien nicht nur als Garanten, sondern auch Gefährder der Medienvielfalt an.694 Nachfolgend sollen die notwendigen Grenzen des staatlichen Einflusses auf Medieninhalte näher beleuchtet werden. a) Rechtlicher Rahmen öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter aa) Die öffentlich-rechtliche Beauftragung (1) Notwendigkeit und Grenzen der Konkretisierung Die öffentlich-rechtliche Beauftragung bestimmter Medienanbieter mit gemeinwohlorientierten Inhalten ist Aufgabe der Mitgliedstaaten. Dies bringt das Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten deutlich zum Ausdruck und wird auch von der Europäischen Kommission nicht bestritten.695 Die Europäische Kommission ist sich weiterhin bewusst, dass das Bei­ hilferecht der EU die Mitgliedstaaten nicht dazu zwingen kann, den Auftrag der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter über allgemein formulierte qualitative Anforderungen hinausgehend zu präzisieren. Grund hierfür ist die zu wahrende redaktionelle Unabhängigkeit dieser Medienanbieter.696 Eine weitere Stärkung der Definitionsmacht der Mitgliedstaaten hat das ehemalige Gericht Erster Instanz und heutige Gericht der EU vorgenommen. So hat es den Mitgliedstaaten unter dem Gesichtspunkt des Beihilferechts zugestanden, auch solche Inhalte als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV zu definieren, welche inhaltlich mit denen privater Medienanbieter vergleichbar sind. Anderenfalls wäre es privaten Medienanbietern möglich, das mediale Handlungsfeld der öffentlich-rechtlich beauftragten Anbieter durch eigene Inhalte zu begrenzen.697 Das Zugeständnis dieses Definitionsfreiraums ist insofern bemerkenswert, als die Tätigkeit öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter vor allem durch die Annahme gerechtfertigt wird, dass der Markt keine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass sich ein vielfältiges audiovisuelles Medienangebot einstellt. Gerade die 694

EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 44. 696 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47. 697 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-329/04, T-336/04, ECLI:EU: T:2008:457, Rn. 123 (TV2 Danmark / Kommission). 695

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europäische Ebene nimmt im Regelfall besonders darauf Bedacht, dass die Tätigkeit der öffentlich finanzierten Medienanbieter nicht zu einer ungerechtfertigten Beeinträchtigung der Entfaltungsmöglichkeiten privater Medienanbieter führt.698 Andererseits ist beispielsweise im Bereich des deutschen Verfassungsrechts anerkannt, dass der Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch massenattraktive Unterhaltungsangebote umfasst.699 Es zeigt sich somit, dass die Organe der EU, ihrer vordergründig wettbewerbsorientierten Perspektive zum Trotz, die Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Teil der mitgliedstaatlichen Identitäten in weitem Umfang zu respektieren bereit sind. Wirksame europäische Mindestanforderungen an die öffentlich-rechtliche Beauftragung bestimmter Medienanbieter können in Bezug auf die Medienvielfalt­ sicherung allenfalls unter dem Blickwinkel des Art. 2 EUV formuliert werden. Die Perspektive der Vielfaltsicherung ist dabei eine gänzlich andere als im Rahmen des europäischen Beihilferechts. So ist es für die umfassende Prüfung der Beihilfekonformität der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erforderlich, dass der Auftrag desselben möglichst präzise definiert wird.700 Die Europäische Kommission, welche als mögliche Initiatorin eines Verfahrens nach Art. 7 EUV auch die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV zu überwachen hat, gibt indessen zu erkennen, dass sie sich neben wettbewerbsrechtlichen Erwägungen auch der Notwendigkeit der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bewusst ist.701 Die redaktionelle Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll nach den einschlägigen Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats bereits im gesetzlichen Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks deutlich zum Ausdruck gebracht werden.702 Die somit auch durch Organe des Europarats als unerlässlich erachtete redaktionelle Unabhängigkeit wird in der deutschen Verfassungsdiskussion u. a. mit dem Schlagwort der Programmautonomie charakterisiert. Wesentliche Ausprägung der Programmautonomie ist die Möglichkeit der Rundfunk­anstalten, selbstbestimmt und ohne äußere Einflussnahmen diejenigen Inhalte und Formate auszuwählen, welche nach eigener Zielgruppendefinition das Programm ausmachen sollen.703 Auch darüber hinaus wird den Rundfunkanstalten eine weitgehende rechtliche Autonomie zuerkannt. Diese kommt darin zum Ausdruck, dass den Rundfunkanstalten das Recht zur Selbstregulierung und zur näheren Ausgestaltung ihrer Binnenorganisation eingeräumt wird, wenngleich diese Rechte durch einen Ordnungsrahmen begrenzt werden müssen, welcher durch den Gesetzgeber zu errichten ist.704 Dem Gesetzgeber kommt dabei die schwierige Aufgabe zu, ggf. 698

Vgl. Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 16. Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 222 ff. 700 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 44. 701 Europäische Kommission, C(2016) 5703 final, Rn. 67; Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47. 702 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 23; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung R(96)10, Anhang I. 703 Eifert, S. 87. 704 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 273 f. 699

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durch gesetzliche Regelungen und positives Tun die Gewähr dafür bieten zu müssen, dass sich eine freie Meinungsbildung vollziehen kann. Er muss im Rahmen seiner Rechtsetzung aber ebenso dafür Sorge tragen, dass die Programmautonomie nicht verletzt wird.705 Im Blick zu behalten ist, dass sich die Erfordernisse, welche das deutsche Verfassungsrecht an die Programmautonomie stellt, nicht deckungsgleich auf den Rechtsraum der Union übertragen lassen. Sie sind jedoch geeignet, den auch im europäischen Kontext bestehenden Konflikt zwischen der Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter und der staatlichen Pflicht zur Gewährleistung eines vielfältigen Medienangebots zu illustrieren. Darüber hinaus findet der Begriff der Programmautonomie auch auf der Ebene des Europarats Verwendung. Die Schwierigkeit, die redaktionelle Unabhängigkeit und die Programmautonomie mit der zur Zielsteuerung notwendigen klaren Auftragsdefinition in Einklang zu bringen, wird seitens des Ministerkomitees des Europarats zwar erkannt, indessen wird es den Mitgliedstaaten überlassen angemessene Problemlösungen unter Beachtung ihrer Rechtstraditionen zu entwickeln.706 Die Gefahr einer Verletzung der redaktionellen Unabhängigkeit öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter kann sich einerseits aus einer detaillierten Vorgabe von Programmanforderungen ergeben. Dies vor allem dann, wenn die Einhaltung dieser Vorgaben einer externen Staatsaufsicht unterworfen wird. Andererseits können die Einflussmöglichkeiten des Staates auch durch unbestimmte und somit wertungsoffene Programmanforderungen steigen, sofern staatliche Akteure sich die Deutungshoheit über diese vagen Anforderungen vorbehalten und deren Einhaltung beaufsichtigen.707 Auch muss gesehen werden, dass eine gewisse Konkretisierung des Auftrags schon deshalb erforderlich ist, damit der Gesetzgeber seiner Verpflichtung zur Gewährleistung einer freien Meinungsbildung wirksam nachkommen und im Falle eines offensichtlichen Versagens der Selbstregulierung der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienorganisation entsprechend eingreifen kann. Zudem ist bei der gesetzlichen Beauftragung der Bestimmtheitsgrundsatz zu beachten, welcher trotz seiner Entwicklung im Zusammenhang mit Grundrechtseingriffen auch für sog. Ausgestaltungsgesetze im Sinnes des deutschen Rundfunkverfassungsrechts Geltung beansprucht.708 Dass auch andere mitgliedstaatliche Gesetzgeber über die Eingriffsperspektive hinausgehend verpflichtet sind, die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Lebensbereiche selbst zu regeln, kommt besonders anschaulich in Art. 34 der französischen Verfassung zum Ausdruck.709 Auch die spanische Verfassung enthält in Art. 20 Abs. 3 eine ausdrückliche Verpflichtung 705

Eifert, S. 84. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec (2007)3, III. a. 27. 707 Eifert, S. 86. 708 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 192. Zudem muss gesehen werden, dass Ausgestaltungen i. S. d. deutschen Verfassungsrechts auf europäischer Ebene als Eingriffe in die Meinungs-, bzw. Medienfreiheiten zu betrachten sind. 709 Holznagel, S. 196. 706

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des Gesetzgebers, die Organisation und Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu regeln.710 Der Bestimmtheitsgrundsatz hat sich zudem bereits zu einem anerkannten Element des Rechtsstaatsbegriffs der EU entwickelt.711 Schließlich ist die Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes deshalb von Bedeutung, damit die öffentlich-rechtlich beauftragten Medienorganisationen Umfang und Grenzen ihres Auftrags erkennen können.712 Überdies macht das Beihilferecht der EU die Vorgabe, dass eine Beihilfekon­ formität der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur dann in Betracht kommt, wenn die im Programmauftrag festgelegten qualitativen Anforderungen auch tatsächlich erfüllt werden.713 Die Überprüfung der Einhaltung dieser Anforderungen muss indessen durch die Mitgliedstaaten vorgenommen werden und ist nicht als Aufgabe der Europäischen Kommission anzusehen.714 Aus Sicht der Europäischen Kommission sollte die Kontrolle durch eine geeignete Behörde erfolgen, welche sich durch eine effektive Unabhängigkeit von der Geschäftsführung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt auszeichnet.715 Bei einer Ausweitung des Angebots des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf neue Dienste muss die gesetzliche Beauftragung entsprechend angepasst werden.716 Es lässt sich somit feststellen, dass aus Sicht des europäischen Wettbewerbsrechts zumindest qualitative Inhaltsanforderungen vom Gesetzgeber an öffentlich-rechtlich beauftragte Medienanbieter zu adressieren sind. Deren Beachtung muss auch wirksam kontrolliert werden. Es reicht jedoch aus, wenn diese qualitativen Anforderungen sehr allgemein formuliert sind, indem beispielsweise ein großes Programmspektrum mit einem ausgewogenen und abwechslungsreichen Programm gefordert wird.717 Aufgrund der Zurückhaltung der EU-Organe im Hinblick auf die Konkretisierung des Programmauftrags lässt sich ein unauflösbarer Konflikt mit der ebenfalls zu gewährleistenden redaktionellen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vermeiden. Eine andere Frage ist, wie konkret der Programmauftrag im äußersten Fall gefasst werden darf, um den Einfluss des Staates nicht übermäßig auszudehnen. Bezogen auf das deutsche Verfassungsrecht wird vertreten, dass lediglich formale Vorgaben wie die Benennung der sog. Aufgabentrias (Information, Bildung und Unterhaltung), des Ausgewogenheitsgebots und der journalistischen Standards erfolgen 710

Holznagel, S. 196. Calliess / Ruffert-Calliess, Art. 2 EUV, Rn. 26. 712 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 193. Dass der Umfang des öffentlich-rechtlichen Auftrags deutlich erkennbar sein muss, ist auch eine Forderung des Ministerkomitees des Europarats. Siehe hierzu, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang I., Nr. 25, 1. Spiegelstrich. 713 EuG, Urt. v. 26.06.2008, Rs. T-442/03, ECLI:EU:T:2008:228, Rn. 211 (SIC / Kommission). 714 EuG, Urt. v. 26.06.2008, Rs. T-442/03, ECLI:EU:T:2008:228, Rn. 211 (SIC / Kommission). 715 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 54. 716 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 52. 717 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47. 711

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dürfen.718 Unbestritten dürfte sein, dass detaillierte Vorgaben zur inhaltlichen Gestaltung der Programme bzw. der Online-Angebote wirksam ausgeschlossen werden müssen.719 Andererseits wird man den zum Teil stark verselbständigten öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbietern allein schon vor dem Hintergrund des europäischen Beihilferechts nicht zugestehen können, den Umfang ihres medialen Aktionsfelds sowie den Zweck ihrer Tätigkeit selbst zu definieren. Die öffentliche Finanzierung der beauftragten Medienanbieter muss vor dem Hintergrund ihres besonderen Zwecks, der darin besteht den demokratischen, kulturellen und sozialen Bedürfnissen der Gesellschaft zu dienen, gerechtfertigt sein. Zumindest dieser im Kontext des Amsterdamer Rundfunkprotokolls weit formulierte Zweck sollte durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber unter Berücksichtigung nationaler verfassungsrechtlicher Besonderheiten näher definiert werden dürfen und auch müssen. Zudem sollte der Umfang der zur Zweckerreichung für notwendig erachteten linearen Programme festgelegt werden. Weiterhin sollten die Voraussetzungen für eine Erweiterung auf neue Dienste normativ fixiert werden. So darf nicht übersehen werden, dass die öffentlich-rechtliche Beauftragung bestimmter Medienanbieter nicht ohne zwingendes Erfordernis dazu führen darf, die grundrechtlich und ggf. auch durch Grundfreiheiten geschützte wirtschaftliche Betätigung privater Medienunternehmen zu beeinträchtigen. Somit ist der Staat stets rechtfertigungsbedürftig im Hinblick auf die Frage, weshalb die öffentlich-rechtliche Inhaltsbeauftragung einen unverzichtbaren Nutzen für die Allgemeinheit bringt.720 Der Anknüpfungspunkt, um den Mehrwert der Betätigung öffentlich finanzierter Medienanbieter sichtbar zu machen, muss bereits der Inhalt des öffentlichen Auftrags selbst sein. Es ist nicht ersichtlich, dass der Einfluss des Staates durch eine Konkretisierung der mit der Beauftragung verfolgten Ziele bereits überschritten wäre. Die Forderung nach völliger Staatsfreiheit kann ohnehin nicht konsequent durchgehalten werden, wenn man berücksichtigt, dass der Staat als Garant des Pluralismus für einen Prozess freier Meinungsbildung, zumindest im audiovisuellen Bereich auch durch positive Regelungen, Gewähr zu bieten hat. Nur im Falle einer entsprechenden Konkretisierung des inhaltlichen Auftrags der öffentlichen Medienanbieter wird sich deren Finanzierung als mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar darstellen können. Auch das Ministerkomitee des Europarats weist darauf hin, dass nur dann, wenn die Ziele der öffentlich-rechtlichen Beauftragung klar definiert sind, durch die relevanten Aufsichtsgremien der zweckentsprechende Mitteleinsatz und die Zielerreichung überprüft werden kann.721 Soweit im Übrigen die inhaltliche Gestaltung autonom durch die öffentlich finan-

718

Eifert, S. 91. Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 193. 720 Vgl. zur notwendigen Begründung der Tätigkeit öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter in der heutigen Marktsituation, Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang  I. Nr.  8. 721 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)3, II. a. 6. 719

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zierten Medienanbieter erfolgt, kann auch das Erfordernis der redaktionellen Unabhängigkeit im erforderlichen Umfang zur Geltung gebracht werden. (2) Kontrolle der Zielerreichung Die Kontrolle der Einhaltung der durch die Mitgliedstaaten zu konkretisierenden Ziele der Beauftragung ist nach Auffassung der Europäischen Kommission unerlässliche Voraussetzung für die Annahme der Beihilfekonformität einer öffentlichen Finanzierung bestimmter Medienanbieter. Um die Kontrolle möglichst effektiv zu gestalten, sollte diese durch eine Behörde oder Stelle erfolgen, welche sich durch Unabhängigkeit von der Geschäftsführung des öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieters auszeichnet.722 Die aus Sicht der Europäischen Kommission erforderliche Kontrolle des Programmauftrags darf indessen nicht zu einer übermäßigen Einflussnahme staat­licher Vertreter auf das Programm bzw. die sonstigen Inhalte der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter führen. Um einen solchen Einfluss auszuschließen, entspricht es der Rechtstradition der großen west- und mitteleuropäischen Staaten, die Erfüllung des Programmauftrags weitgehend durch interne Aufsichtsgremien durchführen zu lassen.723 Es ist in diesen Staaten indessen ebenso verbreitet, dass die interne Kontrolle um eine externe Kontrolle ergänzt wird.724 Gleichwohl darf die staatliche Aufsicht jedenfalls in Deutschland allenfalls als beschränkte Rechtsaufsicht erfolgen.725 Begrenzt muss die Rechtsaufsicht insofern sein, als sie einen weitreichenden Gestaltungsspielraum der Rundfunkanstalten in Programmangelegenheiten anzuerkennen hat, welcher programmbezogenen Weisungen und Ersatzvornahmen entgegensteht.726 Teilweise wird den Ausführungen des BVerfG zur Rechtsaufsicht auch die Aussage entnommen, dass es den Landesgesetzgebern frei stehe, ob diese eine begrenzte Rechtsaufsicht einführen oder ob diese die interne Kontrolle der Anstalten als ausreichend erachten.727 Auch wird darauf hingewiesen, dass eine Beaufsichtigung von weitgehend inhaltlich unbestimmt formulierten Programmgrundsätzen die Gefahr eines Umschlagens von einer Rechts- zu einer unzulässigen Fachaufsicht bewirken könnte.728 Der in Deutschland geltende Grundsatz des Verbots der Programmaufsicht wird durch die Europäische Kommission jedenfalls zu respektieren sein. Hierfür spricht 722

Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 53 f. Holznagel, S. 210. 724 Holznagel, S. 211. 725 BVerfGE 12, 205, 261, 263. 726 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 288. 727 Kübler, S. 225. 728 Kübler, S. 225. Diese Problematik dürfte sich auf die Kontrolle des Programmauftrags, welcher von den Programmgrundsätzen zu unterscheiden ist, weitgehend übertragen lassen, da es dabei ebenfalls um die Auslegung programmbezogener unbestimmter Rechtsbegriffe geht. 723

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die Verpflichtung zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV). Eine andere Frage ist indessen, ob das Verbot der staatlichen Fachaufsicht auch unionsrechtlich in der Regelung des Art. 2 EUV angelegt ist. Die Beantwortung dieser Frage ist eng verknüpft mit dem grundsätzlichen Problem, in welchem Umfang und in welcher Weise die Möglichkeit einer staatlichen Einflussnahme auf die medialen Inhalte der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter maximal zu tolerieren ist. Die Festlegung und Sicherung des richtigen Maßes an Unabhängigkeit vom Staat ist gerade in Zeiten eines sich verändernden Medienumfelds eine erhebliche Herausforderung, mit welcher alle europäischen Staaten konfrontiert sind.729 Im Hinblick auf die aus Art. 2 EUV folgenden Mindestanforderungen muss daran erinnert werden, dass es nicht die Aufgabe der EU sein kann, eine ihrer Vorstellung entsprechende optimale Steuerung öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter einzufordern. Vielmehr kann es im Kontext der europäischen Wertesicherung allein darauf ankommen, die Grenzen des staatlichen Einflusses herauszuarbeiten. Es liegt auf der Hand, dass bereits die Möglichkeit eines Einflusses staatlicher Vertreter auf Medieninhalte die Gefahr der politischen Manipulation des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses mit sich bringt. Deshalb kann die, wenn auch nur abstrakte, Möglichkeit des staatlichen Programmeinflusses ebenso wenig hingenommen werden, wie eine übermäßige Meinungsmacht von Privatpersonen.730 In dieser Hinsicht gilt es eine präventive Risikovorsorge zu betreiben.731 Die durch staatlichen Einfluss oder durch sonstige Meinungsmacht begründete Gefahr der Verengung der Medien- und Informationsvielfalt widerspräche den in Art. 2 EUV genannten Werten der Demokratie und der Menschenrechte. Zwar hält es die Europäische Kommission in ihrer Rolle als Wettbewerbsbehörde für geboten, dass eine geeignete Behörde oder Stelle die Einhaltung des Programmauftrags wirksam kontrolliert.732 Andererseits muss sie auch im Hinblick auf Art. 2 EUV ihre Rolle als Hüterin der Verträge in den Blick nehmen. Dies tut sie beispielsweise, indem sie sich aufgrund des Erfordernisses der redaktionellen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter mit einer sehr vagen Beschreibung des gesetzlichen Auftrags begnügt und ihre diesbezügliche Kontrollkompetenz sehr stark zurücknimmt.733 Gerade dann, wenn die Überwachung der Einhaltung des öffentlichen Auftrags durch eine in die Staatsorganisation eingebundene Behörde erfolgen soll, ist die Gefahr des hierdurch vermittelten Staatseinflusses besonders handgreiflich. Die Gefahr der Vermittlung von Staatseinfluss über Aufsichtsstellen hat auch das Ministerkomitee des Europarats erkannt und entsprechende Empfehlungen zu deren Verhinderung an die Konventionsstaaten 729

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang I., Nr. 1 ff. Schulz, AfP 2013, 464, 466. 731 Schulz, AfP 2013, 464, 466. 732 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 53 f. 733 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47 f. 730

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gerichtet.734 Hervorgehoben wird das Erfordernis, dass die Stelle, welche die öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter beaufsichtigt, in Bezug auf die Ausübung ihrer Entscheidungsbefugnisse vom Staat unabhängig sein sollte.735 Dass diesen Empfehlungen im Hinblick auf Art. 10 EMRK eine große rechtliche Relevanz zukommt, zeigt sich daran, dass der EGMR geneigt ist, diesen durch seine Rechtsprechung im Einzelfall Verbindlichkeit zukommen zu lassen.736 So hat er insbesondere in seinem grundlegenden Urteil zu den Grenzen des Staatseinflusses auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wesentliche Passagen der Urteilsbegründung den Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats entnommen.737 Die Grundforderung des Ministerkomitees besteht darin, dass der Rechtsrahmen über die öffentliche Beauftragung von Medienorganisationen eindeutig deren redaktionelle Unabhängigkeit und institutionelle Eigenständigkeit festschreiben sollte.738 Ebenso eindeutig und präzise sollten die Kompetenzen der Aufsichtsbehörden beschrieben werden, wobei eine Vorabkontrolle der Medieninhalte als Aufsichtsmittel auszuschließen ist.739 Die Empfehlungen schließen eine externe Kontrolle der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter nicht ausdrücklich aus. Sie machen indessen die Wichtigkeit der Unabhängigkeit der Aufsichtsstellen gegenüber staatlichen und auch wirtschaftlichen Machtträgern deutlich. So sollen die Mitglieder der Aufsichtsstellen in ihrer Gesamtheit die Interessen der breiten Öffentlichkeit repräsentieren und nur dem Gremium gegenüber verantwortlich sein, welches sie in pluralistischer und transparenter Weise ernannt hat.740 Es wird damit deutlich, dass die Überwachung der Zielerreichung des öffentlichen Auftrags möglichst staatsfern erfolgen soll. Dies schließt jedenfalls eine detaillierte staatliche Aufsicht darüber aus, mit welchen konkreten medialen Inhalten die Ziele der Beauftragung zu erreichen sind. Andererseits wird auf der Ebene des Europarats auch die Verantwortlichkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter gegenüber der Öffentlichkeit, deren vielfältige Zusammensetzung sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich unterscheiden kann, hervorgehoben.741 Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, bedarf es einer ständigen Rückkopplung an die Zielgruppen und auch einer regelmäßigen Überprüfung und ggf. flexiblen Anpassung der zur Zielerreichung notwendigen Inhalte. Es muss immer im Blick behalten werden, dass die Tätigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter sich nur aufgrund der auch tatsächlich zu erfüllenden Erwartung rechtfertigen lässt, dass die öffentliche Debatte durch sie befördert und reflektiert

734

Siehe hierzu, Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang I., Nr. 25, 4. Spiegelstrich. 736 Cornils, FS Schröder, S. 125, 142 f. 737 Cornils, FS Schröder, S. 125, 142 f. 738 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang I. 739 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. 1. 740 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. 2. 741 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 28 f. 735

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

wird, sodass auf diese Weise die demokratischen Zielsetzungen der Beauftragung untermauert werden können.742 Ungeachtet der deshalb nicht zu bestreitenden Notwendigkeit der Kontrolle der Zielerreichung ist jedoch eine externe Beaufsichtigung durch unmittelbar in die Staatsorganisation eingegliederte Behörden kritisch zu sehen. Für den Bereich des deutschen Verfassungsrechts wird angenommen, dass selbst die Einhaltung von rechtlich fixierten Programmgrundsätzen (§ 3 RStV) durch staatliche Aufsichtsbehörden im Grundsatz ausgeschlossen ist.743 Hierdurch würden die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsätze der internen Selbstkontrolle und der programmbezogenen Staatsferne unterlaufen.744 Teilweise wird die Ansiedlung der Rechtsaufsicht auf der administrativen Ebene des Regierungschefs (Staatskanzlei) aufgrund der starken Politisierung dieses Bereichs generell als problematisch angesehen.745 Zu berücksichtigen ist zudem, dass Programmgrundsätze als übergeordnete Wertmaßstäbe der Programmveranstaltung rechtlich noch eher bestimmbar sind, als die dem Programmauftrag zurechenbaren Begriffe der Ausgewogenheit, Objektivität, Unparteilichkeit und der Vielfältigkeit (vgl. § 11 Abs. 2 RStV). Wenn also bereits die staatliche Überwachung der Einhaltung von Programmgrundsätzen kritisch gesehen wird, muss dies erst recht für die politisch aufladbaren vagen Begriffe, welche den Programmauftrag beschreiben, gelten. Vor dem Hintergrund der auch im unionsrechtlichen Kontext zu wahrenden redaktionellen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter wird die Grenze des zulässigen Staatseinflusses überschritten sein, wenn die Kontrolle der Zielerreichung durch staatliche Behörden erfolgt, welche unmittelbar einem Ministerium unterstehen. Nicht zu beanstanden wäre es indessen, wenn die Kontrolle durch solche Regulierungsstellen erfolgt, welche zwar juristisch einem Hoheitsträger zuzurechnen sind und welche auch Hoheitsrechte auszuüben befugt sind, welche sich aber durch eine Weisungsfreiheit von solchen staatlichen Stellen auszeichnen, welche ihrerseits an ministerielle Weisungen gebunden sind. Solche Stellen sind im unionsrechtlichen Kontext beispielsweise aus dem Bereich der Telekommunikationsregulierung bekannt (vgl. Art. 3 Richtlinie 2002/21/EG – Rahmenrichtlinie). Auch in Bezug auf die Medienregulierung richtet die EU in Art. 30 AVMD-RL bereits die, wenn auch nicht rechtsverbindliche, Erwartung an die Mitgliedstaaten, unabhängige Regulierungsstellen einzurichten. Eine Kontrolle der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags durch hinreichend unabhängige Regulierungsstellen kommt als zulässige Alternative zur lediglich internen Aufsicht durchaus in Betracht.746 Der EuGH hat ausdrücklich festgestellt, dass die 742

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 47. Gersdorf / Paal-Cornils, § 3 RStV, Rn. 3 (16. Edition, Stand: 01.05.2016); Hahn / Vesting-W. Hahn / Witte, § 3 RStV, Rn. 6. 744 Gersdorf / Paal-Cornils, § 3 RStV, Rn. 3 (16. Edition, Stand: 01.05.2016). 745 Möllers, AfP 2013, 457, 462. 746 Zu den Anforderungen an die Unabhängigkeit der Regulierungsstellen siehe noch D. II. 4. b). 743

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Einrichtung öffentlicher Stellen außerhalb des klassischen hierarchischen Verwaltungsaufbaus kein Verstoß gegen das über Art. 2 EUV auch für die Union beachtliche Demokratieprinzip darstellt.747 Interessant erscheint auch der Ansatz, die Überprüfung des Programmauftrags als Facette der Verpflichtung des Gesetzgebers, eine freie Meinungsbildung zu gewährleisten, aufzufassen.748 In diesem Sinne wäre es im Falle eins offenkundigen Versagens öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der politisch aufgeladenen Regierung für Abhilfe zu sorgen.749 Jedoch darf nicht übersehen werden, dass der Gesetzgeber, anders als eine unabhängige Regulierungsstelle, nicht in der Lage ist, zeitnah und flexibel auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Zudem ist in Rechnung zu stellen, dass bereits präventiv Vorsorge dagegen zu treffen ist, dass Verzerrungen des Meinungsbildungsprozesses durch die Tätigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter überhaupt erst entstehen können. Die dem Erfordernis redaktioneller Unabhängigkeit geschuldete Akzeptanz weit gefasster Programmaufträge („großes Programmspektrum und ausgewogenes und abwechslungsreiches Programm“) seitens der Europäischen Kommission750 muss jedenfalls konsequenterweise nicht nur für diese selbst, sondern auch für die Mitgliedstaaten zu einer eingeschränkten Überprüfbarkeit der Auftragserfüllung führen. Anderenfalls könnte die bereits bei der Fassung des Auftrags zu berücksichtigende redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter im Rahmen der Kontrolle des Auftrags konterkariert werden. Die zum Schutz der redaktionellen Unabhängigkeit notwendige Interpretationsoffenheit des öffentlich-rechtlichen Auftrages darf jedenfalls nicht in weitreichende Aufsichtsbefugnisse staatlicher Akteure einmünden. Die von der Europäischen Kommission als wünschenswert erachtete Unabhängigkeit der Kontrollinstanzen von der Geschäftsführung der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter muss nicht notwendig bedeuten, dass diese rechtlich verselbständigt sein müssen. Vielmehr ist auch ein organisationsinternes Kontrollgremium denkbar, sofern dieses gegenüber der Geschäftsführung weisungsunabhängig ist. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Kontrolle der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags, vergleichbar dem wettbewerbsrechtlichen Kontrollvorbehalt der Europäischen Kommission hinsichtlich der Formulierung des Auftrags, im Wesentlichen auf die Feststellung offensichtlicher Fehlentwicklungen beschränkt ist. Vorrangig zu beachtender Grundsatz ist jedenfalls die redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter. Die gleichwohl aus Gründen des europäischen Beihilferechts und des zu rechtfertigenden öffentlichen 747 EuGH, Urt. v. 09.03.2010, Rs.  C-518/07, ECLI:EU:C:2010:125, Rn. 42 (Kommission /  Deutschland). 748 Kübler, S. 226. 749 Kübler, S. 226. 750 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Mitteleinsatzes notwendige eingeschränkte Kontrolle muss jedenfalls durch Gremien erfolgen, welche von ministeriellen Weisungen unabhängig sind. Im Übrigen ist den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsfreiraum dahingehend eingeräumt, ob die notwendige eingeschränkte Kontrolle durch organisationsinterne oder externe Stellen erfolgt. bb) Strukturelle Anforderungen (1) Organisatorische Verselbständigung Um die öffentlich finanzierten Medienanbieter wirksam vor staatlichen Einflussnahmen auf das Programm und auf sonstige Inhalte abzuschirmen zu können, ist deren organisatorische Verselbständigung Grundvoraussetzung. Absolut unerlässlich ist in diesem Zusammenhang die Auskopplung der öffentlich-rechtlich be­ auftragten Medienanbieter aus der allgemeinen Staatsverwaltung.751 Die rechtlich fixierte Gewährleistung der institutionellen Unabhängigkeit dieser Medienanbieter ist folglich auch eine Kernforderung des Ministerkomitees des Europarats.752 Ohne Unabhängigkeit von Regierungen und anderen organisierten Interessenvereinigungen kann die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Medienorganisationen nicht erreicht werden.753 Ebenso wenig können diese ohne allseitige Unabhängigkeit als Forum nationaler Debatten wirken.754 Die Anerkennung des Rechts der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter auf die eigenverantwortliche Wahrnehmung gesetzlich übertragener Aufgaben kann als gemeinsame europäische Praxis der Rundfunkgesetzgebung bezeichnet werden.755 Jedoch müssen die mit einem gesetzlichen Programmauftrag versehenen Medienanbieter nicht zwingend öffentlich-rechtlich organisiert sein. Ebenso verbreitet sind privatrechtliche Organisationsformen der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienveranstalter.756 Öffentlich-rechtlichen Charakter hat lediglich stets die vom Staat veranlasste Beauftragung zum Angebot bestimmter Mediendienste.757 Selbst das deutsche Verfassungsrecht schließt die privatrechtliche Organisationsform der als öffentlich-rechtliche Anstalten gegründeten Medienorganisationen nicht aus.758

751

Holznagel, S. 201. Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 21; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang I. 753 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 21. 754 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 21. 755 Holznagel, S. 201. 756 Holznagel, S. 201. 757 Auch die Europäische Kommission charakterisiert den Auftrag in der deutschen Sprachfassung als öffentlich-rechtlich. Siehe, Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Überschrift Ziffer 6.1. 758 BVerfGE 12, 205, 262; Kübler, S. 217. 752

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Gleichwohl findet der Begriff des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unabhängig von der Wahl der Organisationsform und der Art der Beauftragung auch in europarechtlichen Zusammenhängen verbreitete Verwendung. Zu nennen ist hier das Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten, welches in der deutschen Fassung zudem den Begriff der Rundfunkanstalten verwendet, ohne sich indessen lediglich auf die deutsche Ausprägung der Rundfunkordnung zu beziehen.759 Vor diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, die Begriffe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bzw. der Rundfunkanstalten als Synonyme für die im englischen Sprachraum verwendeten Begriffe des public service broadcasting bzw. der broadcasting organisations (englische Bezeichnung für Rundfunkanstalten) zu verwenden.760 Angesichts der Ausweitung des medialen Angebotes der etablierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter auf neue Dienste und Inhalte findet zunehmend auch der Begriff der öffentlich-rechtlichen Medien bzw. des public service media Verwendung.761 Für die Zwecke dieser Arbeit wird zumeist auf den Begriff öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter zurückgegriffen, um den vielfältigen Erscheinungsformen gemeinwohlorientierter und öffentlich finanzierter Medieninhalte in Europa Rechnung zu tragen und dem Eindruck entgegenzuwirken, es werde aufgrund der Wahl deutscher Terminologie lediglich auf die rundfunkverfassungsrechtliche Situation in Deutschland Bezug genommen. (2) Unabhängigkeit des Leitungsorgans Die formale Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter kann das mit ihr verbundene Ziel der Verhinderung staatlicher Einflussnahmen in Bezug auf konkrete Medieninhalte nur dann erreichen, wenn das Leitungsorgan der Organisation durch rechtliche Sicherungsinstrumente von politischem Druck ferngehalten werden kann.762 Dem Leitungsorgan kommt in der Organisation öffent­ licher Medienorganisationen die alleinige Verantwortung für die laufenden Geschäfte unter Einschluss der Programmgestaltung zu.763 Nimmt man in den Blick, dass das Leitungsorgan die Verantwortung für die Medieninhalte trägt, so muss diesem in publizistischen Angelegenheiten ein Weisungsrecht gegenüber den Mit 759 Dazu, dass der Begriff der Anstalt im deutschen Verfassungsrecht irreführend eine nicht zulässige Staatsnähe suggerieren kann, Kübler, S. 217. Jedoch erscheint es angesichts der Tatsache, dass sogar das Amsterdamer Rundfunkprotokoll in seiner deutschen Fassung den Begriff der Rundfunkanstalten verwendet, vertretbar, diese Bezeichnung als Oberbegriff für alle durch die Mitgliedstaaten öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter zu nutzen. 760 Die Maßgeblichkeit der deutschen Bezeichnungen ergibt sich zudem aus Art. 55 EUV, welcher den Wortlaut der Verträge u. a. in deutscher Sprache für verbindlich erklärt. 761 Siehe z. B. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, siehe insb. Fn. 1. 762 Die nachfolgenden Überlegungen zur Unabhängigkeit des Leitungsorgans und zu den weiteren strukturellen Anforderungen beziehen sich auf die noch immer vorherrschende Situation, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag durch solche Medienorganisationen durchgeführt wird, welche vom Staat eigens zu dem Zwecke der Auftragserfüllung gegründet wurden. 763 Holznagel, S. 204; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang II., 1.

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arbeitern zustehen.764 Dass die redaktionellen Mitarbeiter in programmlichen Angelegenheiten dem Weisungsrecht des Leitungsorgans unterstehen, wird auch seitens des Ministerkomitees des Europarats nicht in Frage gestellt.765 Aufgrund dieses Weisungsrechts besteht indessen die Gefahr, dass ein politisch beeinflusstes Leitungsorgan einen Großteil der durch die Medienorganisation verbreiteten Inhalte kontrollieren kann. Freilich kann dieser Einfluss durch unabhängige Aufsichtsgremien noch abgeschwächt werden. Gleichwohl erscheint es überaus wichtig, eine weitgehende politische Neutralität des Leitungsorgans verfahrensrechtlich abzusichern. Ein Einfallstor für die Vermittlung von politischem Einfluss stellt insbesondere der Berufungsakt des Leitungsorgans dar. Ebenso kann über die Möglichkeiten der Abberufung politischer Druck ausgeübt werden. Aus diesem Grund sollten die gesetzlichen Regeln über die Besetzung des Leistungsorgans geeignet sein, zu verhindern, dass auf diesem Wege politische oder sonstige Einflussnahmen in die öffentliche Medienorganisation transportiert werden.766 Vielmehr muss sichergestellt werden, dass das Leitungsorgan seine Funktionen allein im Interesse der Organisation ausübt, welche es leitend vertritt.767 Ein von den Mitgliedstaaten häufig gewähltes Verfahren, um die Alleinverantwortlichkeit gegenüber der vertretenen Medienorganisation sicherzustellen, ist die organisationsinterne Berufung des Leitungsorgans.768 Die unmittelbare Berufung des Leitungsorgans durch ein Mitglied der Regierung ist jedenfalls nicht geeignet, der Gefahr der staatlichen Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung wirksam entgegenzutreten, sodass sich im Falle einer solchen Berufungspraxis bereits Bedenken im Hinblick auf die Einhaltung der Werte des Art. 2 EUV ergeben. Diese Auffassung scheint auch die Europäische Kommission zu vertreten. So wurde die Besetzung der Verwaltungs- und Aufsichtsräte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch ein Mitglied der Regierung in eine an Polen adressierte Rechtsstaatsempfehlung als Kritikpunkt aufgenommen.769 Die Rechtsstaatsempfehlung basiert auf dem im Jahr 2014 durch die Europäische Kommission geschaffenen Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips.770 Ebenso kritisch beurteilte die Europäische Kommission die durch Gesetz angeordnete sofortige Abberufung der bisherigen Mitglieder der Verwaltungs- und Aufsichtsräte, zumal die Rechtsbehelfsmöglichkeiten der abberufen Personen be-

764

Kübler, S. 217. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang IV., 3. Absatz. 766 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 27, 2. Spiegelstrich; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang II. 2. 767 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang II. 2, 1. und 2. Spiegelstrich. Zu verhüten sind ebenfalls Interessenkonflikte, welche gegenüber der Privatwirtschaft entstehen können. 768 Holznagel, S. 205. Vgl. auch Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 27. Dort wird empfohlen, dass der Staat an Auswahlentscheidungen auf redaktioneller und exekutiver Leitungsebene nicht beteiligt sein sollte. 769 Europäische Kommission, Empfehlung 2016/1374, ABl. der EU, L 217/53, Rn. 67. 770 Europäische Kommission, COM(2014) 158 final. 765

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stritten wurden.771 Wenngleich die Verwaltungs- und Aufsichtsräte nicht das Leitungsorgan der Organisation darstellen, muss es wegen des besonderen Programmeinflusses des Leitungsorgans erst recht als problematisch angesehen werden, wenn dieses durch ein Regierungsmitglied bestellt wird. Angesichts der umfassenden Verantwortung des Leitungsorgans hinsichtlich der dargebotenen Inhalte werden andere als organisationsinterne Berufungs- und Abberufungakte kaum geeignet sein, den öffentlichen Medienanbieter gegen äußere Einflüsse ausreichend abzuschirmen. Eine direkte Auswahlentscheidung durch Regierungsvertreter oder auch das Parlament begründet die Gefahr, dass zumindest faktisch eine Verantwortlichkeit gegenüber der berufenden Person bzw. dem berufenden Gremium eintritt. Dies wiederum kann zur Folge haben, dass in überproportionalem Umfang Mehrheitspositionen in den Medieninhalten zum Ausdruck gebracht werden. Allenfalls wäre eine formale Berufung durch Regierungsvertreter oder Parlamente zu akzeptieren, wenn der Berufung verfahrensrechtlich zwingend ein Vorschlag durch ein hinreichend unabhängiges Gremium vorauszugehen hat. Aber selbst ein vollständig organisationsinterner Berufungsakt kann nur dann ein hinreichender Garant für Vielfältigkeit, Ausgewogenheit und Unparteilichkeit der vermittelten Inhalte sein, wenn sichergestellt ist, dass das zuständige Gremium seinerseits vielfältig und staatsfern zusammengesetzt ist.772 Weiterhin ist darauf Bedacht zu nehmen, dass eine vorzeitige Abberufung von Mitgliedern des Leitungsorgans nur in solchen Ausnahmefällen erfolgen darf, welche zuvor gesetzlich fixiert wurden.773 Hierdurch wird verhindert, dass redaktionelle Positionen und Entscheidungen als Grund für eine Abberufung herangezogen werden können. Um den Entlassungsschutz hinreichend effektiv zu gestalten, sollte das von einer Entlassung betroffene Mitglied die Möglichkeit haben, effektiven Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können.774 (3) Aufsichtsorgane Das Verfahren zur Berufung der Mitglieder der Aufsichtsorgane ist eine Aufgabe des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers. Entsprechend können in dieser Hinsicht auch keine einheitlichen europäischen Regelungen existieren.775 Das Herausarbeiten verbindlicher europäischer Mindestvorgaben wird dadurch erschwert, dass selbst nationale Verfassungsgerichte dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsfreiraum 771

Europäische Kommission, Empfehlung 2016/1374, ABl. der EU, L 217/53, Rn. 67. Vertiefend zu dieser Problematik noch D. II. 4. a) bb) (3) und zur im Ansatz vergleichbaren Problematik der Unabhängigkeit der Medienaufsicht über private Anbieter weiterhin D. II. 4. b) bb). 773 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 27, 3. Spiegelstrich. 774 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang II. 3. 775 Vgl. zu den unterschiedlichen Verfahren, Holznagel, S. 205 ff. 772

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

hinsichtlich der Besetzung der Aufsichtsgremien zuerkennen.776 Die Zuerkennung eines Gestaltungsfreiraums erscheint aufgrund der Komplexität und Dynamik der Regelungsmaterie der Sache nach unumgänglich. Zunächst muss gesehen werden, dass die Funktionsfähigkeit der organisationsinternen Gremien zwar ein wesentlicher Garant dafür ist, dass ein freier Meinungsbildungsprozess durch die öffentlich-rechtlich beauftragten Medienorganisationen gefördert werden kann. Dem Staat kommt in dieser Hinsicht die überaus schwierige Aufgabe zu, eine Zusammensetzung der Aufsichtsgremien regeln zu müssen, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt, dass die Mitglieder des Gremiums sich für eine vielfältige, umfassende, objektive und ausgewogene Berichterstattung einsetzen werden. Hierzu muss das Gremium in seiner Gesamtheit die Interessen der gesamten Gesellschaft repräsentieren können.777 Diesem Ziel entsprechend sollen in Deutschland die Mitglieder der Rundfunkräte nicht als Vertreter ihrer Organisation wirken, sondern sich für das Allgemeininteresse an einer ausgewogenen und alle gesellschaftlich relevanten Kräfte angemessen berücksichtigenden Berichterstattung stark machen.778 Folglich sind die Mitglieder der Rundfunkräte an Weisungen der sie entsendenden Organisationen nicht gebunden.779 Jedoch kann das Ziel der Repräsentation der Interessen der Gesamtgesellschaft auch auf andere Weise erreicht werden. So wäre es ebenfalls denkbar, dass die Repräsentanten jeweils nur die Interessen der sie entsendenden Organisationen vertreten. Sofern verschiedene Organisationen entsendungsberechtigt sind, welche erwarten lassen, dass sie eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen und Perspektiven einbringen, könnte auch die Summe der verschiedenen Einzelinteressen eine hinreichende Pluralität des Gremiums erzeugen. Dieses Modell der Begrenzung staat­ lichen Einflusses scheint das Ministerkomitee des Europarats zu billigen. So wird die Entgegennahme von Weisungen der berufenden Person bzw. des berufenden Gremiums im Gegensatz zu einer sonstigen Weisungsgebundenheit nicht ausdrücklich als unzulässig ausgeschlossen.780 Selbst die Möglichkeit der Entlassung aus dem Aufsichtsgremium durch die entsendende Organisation wird nicht beanstandet.781 Auch die spanische Verfassung garantiert in Art. 20 Abs. 3 bedeutenden sozialen und politischen Gruppen ausdrücklich einen durch Gesetz zu regelnden Zugang zu öffentlich betriebenen Kommunikationsmedien. Dieses Modell ist offenbar darauf ausgerichtet, dass eine Vielzahl von Gruppeninteressen auch als solche und nicht etwa als Allgemeininteressen zum Ausdruck gebracht werden können. Die Möglichkeit des Gesetzgebers, zu regeln, welche Gruppen als derart bedeutend anzu­ sehen sind, dass diesen Zugang zu den Aufsichtsgremien der öffentlichen Medienor 776

BVerfGE 136, 9, 45, Rn. 66. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. 2., 2. Spiegelstrich. 778 BVerfGE 136, 9, 31 f., Rn. 35. 779 Kübler, S. 219. 780 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. 2., 3. Spiegelstrich. 781 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. 2., 4. Spiegelstrich. 777

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ganisationen zu gewähren ist, birgt durchaus die Gefahr der inhaltlichen politischen Einflussnahme und der Übergehung von Minderheitenpositionen.782 Andererseits muss gesehen werden, dass auch die normative Erwartung, dass die Gremienmitglieder Allgemeininteressen vertreten sollen, keine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass diese sich auch tatsächlich in diesem Sinne professionell verhalten werden. Zutreffend erscheint jedenfalls die Feststellung des BVerfG, dass das Ziel des Abbildens der gesamten Gesellschaft in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Organisationsvertreter nur unvollständig gelingen kann.783 Würde man hingegen anstreben, die Mitglieder der Aufsichtsgremien am Maßstab der demokratischen Repräsentation auszurichten, so wäre das Ergebnis ein Abbild des Parlaments.784 Tatsächlich ist die Gewichtung der Mitglieder der Aufsichtsgremien nach den Mehrheitsverhältnissen im Parlament eine Besetzungspraxis, welche in Europa durchaus Verbreitung gefunden hat.785 Problematisch an dieser Besetzungspraxis ist der hierdurch vermittelte Staatseinfluss, welcher mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf die Medieninhalte durchgreifen wird.786 Angesichts der angerissen Problematik ist es kaum verwunderlich, dass es bisher nicht gelungen ist, ein weltweit überlegenes Modell gesellschaftlicher Rückbindung von Aufsichtsgremien zu entwickeln.787 Ein solches wird sich wegen der Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungen, auf welche der Gesetzgeber bei der Zusammensetzung der Gremien Bedacht zu nehmen hat, ohnehin nicht dauerhaft entwickeln lassen.788 Festhalten lässt sich jedenfalls, dass das Spannungsverhältnis zwischen der staatlichen Pflicht zur Gewährleistung eines freien Meinungsbildungsprozesses, welcher in gewichtigem Umfang auch im Wege der öffentlich-rechtlichen Beauftragung bestimmter Medienanbieter nachzukommen ist, und dem gleichzeitigem Erfordernis der Verhütung staatlicher Einflussnahmen auf Medieninhalte, eine Komplexität und Dynamik der Regelungsmaterie ausmacht, welche kaum einer zufriedenstellenden Lösung zugänglich ist. Die ständige mitgliedstaatliche Herausforderung einer verfassungsgemäßen Regelung der Zusammensetzung der organisationsinternen Aufsichtsgremien bedeutet indessen nicht, dass sich in dieser Hinsicht überhaupt keine verbindlichen europäischen Mindeststandards ausmachen ließen. 782

Kübler, S. 222. BVerfGE 136, 9, 44, Rn. 65. 784 Möllers, AfP 2013, 457, 462. 785 Holznagel, S. 207. 786 Vgl. Kübler, S. 224, Fn. 61. Dieser sieht die Zusammensetzung der Rundfunkräte nach dem Kriterium demokratischer Repräsentation im Hinblick auf das Gebot der Staatsferne als mit deutschem Verfassungsrecht unvereinbar an. 787 Schulz, AfP 2013, 464, 468. 788 Vgl. BVerfGE 136, 9, 46, Rn. 69. 783

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Besondere Aufmerksamkeit verdient in dieser Hinsicht ein Urteil des EGMR aus dem Jahre 2009, welches sich mit der staatlichen Einflussnahme auf eine moldawische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt auseinandersetzte.789 Bemerkenswert an diesem Urteil ist, dass der EGMR sich auch mit der Gefahr der Vermittlung staatlichen Einflusses über Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalt befasst hat. Hierbei ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass die moldawische Besetzungsregel keine adäquaten Schutzmaßnahmen gegen eine politisch voreingenommene Berichterstattung der Rundfunkanstalt bereithält.790 Beanstandet wurde, dass von den 15 Mitgliedern des Aufsichtsgremiums nur eines von der parlamentarischen Opposition benannt und im Hinblick auf die weiteren 14 Mitglieder nicht wirksam ausgeschlossen wurde, dass diese ihre Position im Aufsichtsgremium als loyale Vertreter der Regierungspartei ausüben werden.791 Indem der EGMR die Benennung eines Mitglieds durch die parlamentarische Opposition unbeanstandet lässt, deutet er an, dass er die Benennung vom Aufsichtspersonen durch Parlamente grundsätzlich als zulässig erachtet. Eine völlige Staatsfreiheit des Berufungsaktes in dem Sinne, dass Parlamente und Regierungen an diesem zumindest nicht direkt beteiligt sein dürfen, lässt sich der Rechtsprechung des EGMR somit nicht entnehmen.792 Auch das Ministerkomitee des Europarats erkennt an, dass der öffentliche Charakter der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter es legitimiert, dass dem Staat zurechenbare Organe an der Besetzung der höchsten Aufsichts- und Entscheidungsgremien beteiligt sind.793 Deutlich macht der EGMR indessen, dass Art. 10 EMRK einer Organisationsstruktur der öffentlichen Medienanbieter entgegensteht, welche die Vereinnahmung des Rundfunks durch Regierungsparteien ermöglicht.794 Es muss jedoch einschränkend hinzugefügt werden, dass der EGMR seine Rechtsprechung auf die besonderes herausgestellte Situation stützt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei der Nachrichtenvermittlung eine dominierende Stellung einnimmt und private Rundfunksender noch zu schwach sind, um eine echte Alternative zum Konsum öffentlich-rechtlicher Medien darzustellen.795 Dem Art. 10 EMRK wird nicht einmal eine generelle Verpflichtung zum Vorhalten eines öffentlich-recht­ lichen audiovisuellen Medienangebots entnommen.796 Konkrete Vorgaben im Hinblick auf die Ausgestaltung der Struktur der Aufsichtsgremien hat die Rechtsprechung des EGMR damit nicht entwickelt. So ist zu berücksichtigen, dass der EGMR lediglich den Einzelfall einer moldawischen Regelung zu entscheiden hatte. Gleichwohl wird der Rechtsprechung des EGMR bisweilen entnommen, dass dieser einer Gruppenstruktur der Aufsichtsgremien, 789

EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02 (Manole u. a. / Moldawien). EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 110 (Manole u. a. / Moldawien). 791 EGMR, Urt. v. 17.09.2009 Nr. 13936/02, § 110 (Manole u. a. / Moldawien). 792 Cornils, FS Schröder, S. 125, 145 f. 793 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung, CM / Rec (2012)1, Anhang II., Nr. 27. 794 Cornils, FS Schröder, S. 125, 146. 795 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, §§ 101, 108 (Manole u. a. / Moldawien). 796 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 101 (Manole u. a. / Moldawien). 790

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welche möglichst breit alle gesellschaftlichen Kräfte repräsentieren soll, zugeneigt ist.797 Tatsächlich schloss sich der EGMR im zu entscheidenden Fall grundsätzlich der Einschätzung eines Sachverständigen an, welcher zu dem Ergebnis gelangte, dass die streitgegenständliche moldawische Besetzungsregelung keine adäquaten Schutzmaßnahmen gegen eine politische Voreingenommenheit der Mitglieder bereithält.798 Andererseits kann das Urteil nicht dahin gedeutet werden, dass sich der EGMR der Einschätzung des Sachverständigen auch insoweit anschließt, als dieser die Notwendigkeit herausstellt, dass die Zusammensetzung eines Aufsichtsgremiums so pluralistisch als möglich sein müsse.799 So muss gesehen werden, dass es lediglich die Aufgabe des EGMR ist, im Einzelfall Verstöße gegen Art. 10 EMRK festzustellen. Zwar ist der Gestaltungsspielraum der Konventionsstaaten eingeschränkt, sofern es sich um ein für die demokratische Gesellschaft so bedeutsames Recht wie Art. 10 EMRK handelt. Andererseits muss gesehen werden, dass auch das in Deutschland praktizierte Modell der Berufung von Vertretern unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen in die Aufsichtsgremien erheblicher Kritik ausgesetzt ist.800 Der sogar vom BVerfG ausdrücklich benannte Hauptangriffspunkt der Gruppenstruktur ist dieser, dass Gruppenvertreter unmöglich ein Abbild der gesamten Gesellschaft darstellen können.801 Ob es gelingen kann, dass die Vertreter der nur zum Teil repräsentierten Gesellschaft als „Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit“802 wirken und als solche auch diese bedeutsamem Gruppen im Programm angemessen zu Wort kommen lassen werden, welche nicht im Aufsichtsgremium vertreten sind, muss bezweifelt werden.803 Zutreffend erscheint jedenfalls der Hinweis des BVerfG, dass nicht alle Interessen verbandlich organisiert sind oder sich auch nur verbandlich organisieren lassen.804 Vor diesem Hintergrund erscheint auch eine ausufernde Ausweitung der vertretenen Organisationen keinesfalls als die einzig Art. 10 EMRK gerecht werdende und anderen Modellen gegenüber überlegene Möglichkeit der Strukturierung von Aufsichtsgremien öffentlicher Medienanbieter.805 Nicht von der Hand zu weisen erscheint der Hinweis, dass ein zahlenmäßig großes Kontrollgremium die Effekti 797

Cornils, FS Schröder, S. 125, 144 f. EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 110 (Manole u. a. / Moldawien). 799 Zur Forderung des Sachverständigen siehe EGMR, Nr. 13936/02, Urt. v. 17.09.2009, § 64 (Manole u.a / Moldawien). A. A. offenbar Cornils, FS Schröder, S. 125, 144. 800 Eine Abschaffung der bisherigen Gremienstruktur anregend, z. B. Möllers, AfP 2013, 457, 462. Vgl. auch Ricker / Schiwy-Ricker, S. 284, Rn. 26 und S. 286, Rn. 33. Dieser hält alternative Modelle der Zusammensetzung von Rundfunkräten im Hinblick auf die Effektivität der Programmaufsicht für zweckmäßiger. 801 BVerfGE 136, 9, 44, Rn. 65. 802 BVerfGE 136, 9, 31, Rn. 35. 803 Kritisch zur Sachwaltereigenschaft der Gruppenvertreter ebenfalls Möllers, AfP 2013, 457, 462; Ricker / Schiwy-Ricker, S. 281, Rn. 24. 804 BVerfGE 136, 9, 44, Rn. 65. 805 Vgl. hierzu aber auch Cornils, FS Schröder, S. 125, 144. Dieser deutet an, dass der EGMR eine hohe Zahl an Vertretern in den Aufsichtsgremien für erforderlich halte, um eine pluralistische Zusammensetzung erzielen zu können. 798

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

vität der Kontrolle behindert.806 Nimmt man zudem in den Blick, dass die verbandlich organisierten Gruppen und ihre gesellschaftliche Relevanz von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variieren, so verbieten sich vereinheitlichte europäische Maßstäbe im Hinblick auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung bestimmter verbandlich organisierter Interessen.807 Fraglich kann somit allein sein, ob Art. 10 EMRK und vermittelt über Art. 6 Abs. 3 EUV auch Art. 2 EUV das Modell der Gruppenpluralität unabhängig von seiner konkreten Ausgestaltung zwingend vorschreibt. Das Modell der Gruppenpluralität steht im Gegensatz zur repräsentativen Abbildung des Volkes auf der Grundlage von Wahlen.808 In Betracht kommt ebenfalls ein Sachverständigengremium, welches die Unabhängigkeit seiner Mitglieder dadurch gewährleistet, dass das parlamentarische Wahlverfahren hohe Zustimmungsquoren vorsieht.809 Gegen das letztgenannte Modell ergeben sich aus Sicht des Art. 2 EUV keine durchgreifenden Bedenken. Problematisch ist aber, ob auch ein Modell der proportionalen Repräsentation der Parteien als zulässig angesehen werden kann. In einem solchen Modell würden Parteien entsprechend ihrer Stärke im Parlament Vertreter in die Aufsichtsgremien entsenden. Die Repräsentation der parlamentarischen Kräfteverhältnisse in den Aufsichtsgremien ist in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU bereits verbreitet zur Anwendung gebracht worden.810 Allein dies ist bereits ein starkes Indiz dafür, dass sowohl der EGMR als auch die EU eine auf diese Weise zustande kommende Zusammensetzung der Aufsichtsgremien zu akzeptieren haben. Entscheidend wird aber sein, wie weit der europäische Konsens der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Besetzung von Aufsichtsgremien und der dabei zu beachtenden Verhinderung politischer Einflussnahmen reicht. Die Empfehlungen des Ministerkomitees konkretisieren nicht, durch welchen Verband oder durch welches Organ die Aufsichtspersonen zu benennen sind. Vielmehr wird es für legitim gehalten, dass der Staat hieran, zumindest in Bezug auf die Besetzung von Positionen oberhalb der Geschäftsführung und der redaktionellen Leitungsebene, beteiligt ist.811 Die Empfehlungen setzen jedoch voraus, dass die Mitgliedschaft im Aufsichtsgremium in einer pluralistischen Weise festgelegt wird, sodass das Risiko der politischen oder sonstigen Einflussnahme verhindert und sichergestellt wird, dass das Gremium in seiner Gesamtheit Allgemeininteressen vertritt.812 806 Möllers, AfP 2013, 457, 462. Vgl. auch Ricker / Schiwy-Ricker, S. 286, Rn. 36. Dieser sieht der Verkleinerung des Gremiums ebenfalls einen Effizienzgewinn. 807 Vgl. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 29. Dort wird darauf aufmerksam gemacht, dass auch die gesellschaftlichen Zielgruppen der öffentlichen Medien sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden. 808 BVerfGE 136, 9, 44, Rn. 65. 809 Ricker / Schiwy-Ricker, S. 285, Rn. 32. 810 Holznagel, S. 207. 811 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 27. 812 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. 2.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Der EGMR hat angedeutet, dass er die Benennung von Mitgliedern durch die parlamentarische Opposition als mögliches Gegengewicht zur Instrumentalisierung des Rundfunks durch Regierungsparteien anerkennt. Im Übrigen hat der EGMR deutlich gemacht, dass im Bereich der audiovisuellen Medien eine dominierende Stellung durch wirtschaftliche, politische oder dem Staat zurechenbare Gruppen einschließlich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auszuschließen ist.813 Im Hinblick auf die audiovisuellen Medien wird erwartet, dass der Staat aktiv dafür Sorge trägt, dass diese in ihrer Gesamtheit die in der Gesellschaft bestehenden Meinungen soweit als möglich widerspiegeln.814 Die Benennung von Mitgliedern der Aufsichtsgremien nach dem parlamentarischen Kräfteverhältnis legt es zwar nahe, dass diese parteipolitisch beeinflusst sein könnten. Die Problematik der einseitigen Beeinflussung stellt sich indessen in gleicher Weise bei der Entsendung durch sonstige Organisationen. So können gesellschaftliche Gruppen traditionell einer bestimmten Partei nahe stehen. Auch laufen sie in gleicher Weise Gefahr, vorrangig Partikularinteressen zu vertreten. Diese Problematik soll nach verbreiteter Vorstellung der Mitgliedstaaten entweder dadurch abgefedert werden, dass die Vertreter normativ an das Allgemeininteresse gebunden werden oder man nimmt ihre Interessenbezogenheit hin und versucht als Ausgleich durch eine hohe Zahl entsendungsberechtigter Gruppen Interessenvielfalt zu erzeugen. Es fragt sich, warum diese Schutzvorkehrungen bei offenkundig politisch beeinflussten Personen, anderes als bei Gruppenvertretern, stets versagen sollten. So wäre es denkbar, die Hoffnung der professionellen Ausübung der Aufsichtsbefugnisse i. S. d. Allgemeininteresses auch auf solche Vertreter zu über­tragen, welche unmittelbar durch das Parlament gewählt wurden und ggf. sogar einer politischen Partei angehören. Weiterhin muss gesehen werden, dass das Parlament in einer demokratischen Gesellschaft bereits für sich genommen einen vielfältigen Querschnitt der Bevölkerung abbilden sollte. Werden zudem Abstimmungsquoren geregelt, welche die einseitige Durchsetzung politischer Positionen im Regelfall verhindern, so kann zumindest die nach dem EGMR zu verhütende dominierende Machtstellung des Staates oder eines öffentlichen Medienanbieters in den audiovisuellen Medien verhütet werden. Die Unabhängigkeit der Mitglieder von staatlicher oder sonstiger Beeinflussung könnte zudem durch Unvereinbarkeitsregeln gestärkt werden. So sehen die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats vor, dass Mitglieder von Aufsichtsorganen keine Interessenvertreter von Medienunternehmen oder von Unternehmen in medienverwandten Branchen sein sollten.815 In gleicher Weise könnte die Unvereinbarkeit mit bestimmten politischen Ämtern geregelt werden. Schließlich wäre an eine Weisungsfreiheit und einen Entlassungsschutz zu denken.

813

EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 98 (Manole u.a / Moldawien). 814 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 815 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang III. 2, 5. Spiegelstrich.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die sich aus der Rechtsprechung des EGMR ableitbaren Anforderungen an die Struktur der Aufsichtsgremien öffent­lichrechtlich beauftragter Medienanbieter auf wenige Kernaussagen reduziert werden können. Zum einen muss der Staat in den audiovisuellen Medien insgesamt für ein inhaltlich vielfältiges Angebot sorgen. Hierzu kann er sich öffentlicher Medienorganisationen bedienen. Wenn er sich für die Einrichtung öffentlicher Medienorganisationen entscheidet, muss er indessen dafür sorgen, dass durch diese eine unparteiische, unabhängige und ausgewogene Berichterstattung erfolgt, welche ein möglichst breites Meinungsspektrum zum Ausdruck bringt.816 Durch welche Struktur der Aufsichtsgremien sich dieses Ziel am ehesten erreichen lässt, ist auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und der Rechtsprechung. Eine am Ziel der Vielfaltsicherung ausgerichtete Struktur der internen Aufsichtsgremien ist dabei eine besondere Ausprägung des deutschen Rechts.817 In vielen anderen europäischen Staaten ist die Struktur der internen Organe hingegen weitgehend auf das Ziel der Unabhängigkeit gegenüber dem Staat begrenzt.818 Aber selbst für den Bereich des deutschen Verfassungsrechts deutet das BVerfG an, dass die binnenpluralistische Zusammensetzung in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht die einzig denkbare zulässige Zusammensetzung der internen Aufsichtsgremien ist.819 So muss gesehen werden, dass die Vielfalt der gesellschaftlichen Strömungen sich in Gremien nicht vollständig und dauerhaft abbilden lässt. Aus diesem Grund kann allein die Zusammensetzung eines Gremiums auch keine hinreichende und vor allem keine dauerhafte Gewähr dafür bieten, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen und Ideen in den Inhalten der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter Ausdruck findet. Insofern wird der Gesetzgeber seine Verpflichtung, für eine umfassende, vielfältige, unparteiische und ausgewogene Berichterstattung zu sorgen, schon dann ausreichend erfüllen, wenn er Struktur und Verfahren der Aufsichtsgremien derart regelt, dass wirksame Vorkehrungen gegen einseitige politische Einflussnahmen getroffen werden. Im Übrigen wird er weitgehend darauf vertrauen müssen, dass die Mitglieder der internen Gremien hinreichend professionell den gesetzlichen Auftrag der öffentlichen Medienanbie­ter erfüllen werden. Zur Stärkung der Unabhängigkeit der Gremienmitglieder wäre eine hinreichende Sachkunde im Hinblick auf die zu bewältigende Aufgabe wünschenswert, wenngleich einheitliche Sachkundeanforderungen aus der Sicht des Art. 2 EUV nicht gefordert werden können. So sollten zwar klare Kriterien der Berufung festgelegt werden, welche allein an der Rolle und dem Auftrag der öffentlichen Medienorganisation auszurichten sind.820 Jedoch muss gesehen werden, dass den Mitgliedstaaten schon allein bei der Fassung des öffentlichen Auftrags 816

EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 101 (Manole u. a / Moldawien). Zur Ausrichtung der institutionellen Ausgestaltung der Rundfunkanstalten am Ziel der Vielfaltsicherung, siehe BVerfGE 136, 9, 28, Rn. 30. 818 Holznagel, S. 208. 819 BVerfGE 136, 9, 30, Rn. 33. 820 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 27, 1. Spiegelstrich. 817

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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der Medienorganisationen ein erheblicher Gestaltungsspielraum zukommt, welcher auch die unionsrechtliche Vorgabe konkreter auf den Auftrag bezogener Sachkundekriterien ausschließt. Angesichts der kaum zufriedenstellend zu bewältigenden Aufgabe, eine umfassende, vielfältige und ausgewogene Berichterstattung institutionell abzusichern, wird sich der EGMR darauf beschränken müssen, offensichtliche Fehlsteuerungen, welche einer freien Meinungsbildung entgegenstehen, als Verstoß gegen Art. 10 EGMR zu rügen. Solche offensichtlichen Fehlsteuerungen werden insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die Struktur und das Verfahren der Aufsichtsgremien offensichtlich darauf gerichtet ist, einer bestimmten Partei einen bestimmenden Einfluss auf das Programm einzuräumen. Ob dies der Fall ist, wird sich im Falle einer offenkundig einseitigen Berichterstattung auch anhand des Programminhalts zeigen. Schließlich kann im Falle von außerordentlichen Änderungen der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien die Intention des Gesetzgebers zu berücksichtigen sein. Erfolgt diese um auf die Grundausrichtung der Berichterstattung Einfluss nehmen zu können, so kann dies ein wichtiges Indiz für den Versuch einer unzulässigen politischen Instrumentalisierung des Rundfunks darstellen. Andererseits wird man dem Gesetzgeber zugestehen müssen, auf eine bereits bestehende unausgewogene Berichterstattung mit einer gesetzlichen Neuorganisation der Aufsichtsgremien reagieren zu können. Auch kann die politische Kultur eines Landes zu berücksichtigen sein. So wird beispielsweise der für sich genommen problematische Einfluss der Regierung bei der Ernennung von Mitgliedern der britischen Aufsichtsorgane dadurch abgemildert, dass die parlamentarische Opposition in diesen Vorgang traditionell stark eingebunden wird.821 Im Ergebnis lässt sich damit kein verbindliches europäisches Modell zur Struktur der Aufsichtsgremien benennen. Es kann lediglich im Einzelfall geprüft werden, ob die Ausgestaltung der Struktur erkennbar darauf gerichtet ist, dem Staat Einflussmöglichkeiten auf den medialen Inhalt zu eröffnen. Dies wäre mit Art. 10 EMRK und Art. 2 EUV nicht zu vereinbaren. (4) Journalistische Freiheit der Mitarbeiter Problematisch ist der notwendige Umfang an journalistischer Freiheit der Inhalte gestaltenden Mitarbeiter der öffentlichen Medienanbieter. Im Ausgangspunkt gilt, dass den Leitungsorganen öffentlicher Medienanbieter u. a. die Verantwortung hinsichtlich der Programmveranstaltung zukommt.822 Auch die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats stellen die Weisungsbefugnis der Leitungsorgane nicht in Frage. So heißt es lediglich, dass das Personal ohne ausdrückliche Zustimmung des Leitungsorgans keine Anweisungen von Personen oder Einrichtungen 821

Holznagel, S. 208. Holznagel, S. 204.

822

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

außerhalb der eigenen Beschäftigungsorganisation entgegennehmen sollte.823 Eine Ausnahme stellen in dieser Hinsicht Weisungen der Aufsichtsgremien dar, welche im Rahmen der diesen zustehenden Kompetenzen ergehen.824 Dass aber das Leitungsorgan nach den Vorstellungen des Ministerkomitees selbst weisungsberechtigt sein sollte, ergibt sich bereits daraus, dass externe Weisungen zu ihrer Verbindlichkeit grundsätzlich der Zustimmung des Leitungsorgans bedürfen sollen. Die vom Ministerkomitee befürwortete Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Verbindlichkeit externer Weisungen schließt die eigene Weisungsberechtigung des Leitungsorgans ein. Als Grund für die Weisungsbefugnis des Leitungsorgans wird regelmäßig die inhaltliche Verantwortung desselben herangezogen. So kann dem Leitungsorgan die inhaltliche Verantwortung für die Programme und sonstigen Medieninhalte nur dann aufgebürdet werden, wenn diesem das Recht zukommt, auch in publizistischen Angelegenheiten Weisungen an die journalistischen Mitarbeiter der Medienorganisation zu adressieren.825 Auf der anderen Seite darf die Weisungsbefugnis des Leitungsorgans nicht dazu führen, dass die journalistischen Mitarbeiter daran gehindert werden, eine dem gesetzlichen Auftrag entsprechende Berichterstattung vorzunehmen. Der EGMR hat gerade auch mit Bezug auf die Organisationsstrukturen einer Rundfunkanstalt deutlich gemacht, dass deren journalistische Mitarbeiter nicht daran gehindert werden dürfen, unparteiische und zutreffende Informationen sowie Meinungen und Kommentare zu vermitteln, welche die Vielfalt der in einem Land vertretenen politischen Ansichten widerspiegeln.826 Das Ministerkomitee des Europarats richtet sogar die Erwartung an die mitgliedstaatlichen öffentlichen Medienanbieter, dass die Einstellung, Förderung und Versetzung der Mitarbeiter u. a. von deren politischen Überzeugungen unabhängig sein soll.827 Dies verdeutlicht, dass das Leitungsorgan seine Weisungsbefugnis nicht dazu missbrauchen darf, der Medienorganisation eine politische Tendenz zu verleihen. Das Leitungsorgan muss bei der Inanspruchnahme seiner Leitungsbefugnis vielmehr den von der Medienorganisation wahrgenommenen öffentlichen Auftrag im Blick behalten, welcher u. a. darauf gerichtet ist, eine vielfältige und unparteiische Berichterstattung zu gewährleisten. Eine solche Berichterstattung lässt sich nicht dadurch erreichen, indem lediglich die herrschenden politischen Anschauungen oder diese des Intendanten wiedergegeben werden.828 Teilweise wird sogar angeregt, über die Einführung einer „inneren Rundfunkfreiheit“, welche die journalistischen Mitarbeiter weitgehend

823

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang IV., 3. Absatz. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang IV., 3. Absatz. 825 Kübler, S. 220. 826 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). Vgl. auch Grabenwarter / Pabel, § 23, Rn. 10. Diese stellen demgegenüber heraus, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der öffentlich-rechtlichen Medienanbieter auch Einschränkungen journalistischer Freiheiten begründen kann. 827 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang IV., 1. Absatz. 828 Kübler, S. 224. 824

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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vor redaktionellen Weisungen schützen soll, nachzudenken.829 Indessen dürfte es im Hinblick auf europäische Mindeststandards als ausreichend anzusehen sein, dass das Leitungsorgan Weisungen unterlässt, welche die Verbreitung einer dem gesetzlichen Auftrag entsprechenden Berichterstattung unterbindet. Jedoch ist zuzugeben, dass regelmäßig nur das Leitungsorgan, welches den gesamten Inhalt der Kommunikation des Medienveranstalters in den Blick zu nehmen hat, wird beurteilen können, ob einzelne Beiträge eines Journalisten die Ausgewogenheit des Gesamtangebots stören könnten. Insofern dürfte die begründete Feststellung systematischer und ungerechtfertigter Beschränkungen des notwendigen Maßes an journalistischer Freiheit in der Praxis nur in Extremfällen möglich sein. Andererseits muss jedoch auch die Verbreitung von in der Gesellschaft vertretenen Mindermeinungen in den Grenzen der Ausgewogenheit der Gesamtberichterstattung ermöglicht werden. Insofern trifft auch das Leitungsorgan eine Darlegungslast, weshalb einzelne mediale Beiträge an der Verbreitung gehindert werden sollen. Sollte das Leitungsorgan die den Mitarbeitern insoweit zuzubilligende journalistische Freiheit übermäßig und systematisch beschneiden, so wäre das Aufsichtsgremium der öffentlichen Medienorganisation aufgefordert, das Verhalten des Leitungsorgans entsprechend zu sanktionieren. Unterbleibt ein Einschreiten des Aufsichtsorgans, so würde die Selbstkontrolle des öffentlichen Medienanbieters versagen. Ein Mitgliedstaat, welcher eine derartige Fehlsteuerung der von ihm eingesetzten öffentlichen Medienorganisation hinnimmt, sollte im äußersten Fall durch die EU ermahnt werden, gegensteuernde Maßnahmen zu ergreifen. cc) Finanzierung (1) Allgemeine Vorgaben Das Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten stellt die mitgliedstaatliche Befugnis zur Finanzierung der öffentlichen Medienanbieter heraus. Hinsichtlich der Art der Finanzierung macht das europäische Beihilferecht keine Vorgaben.830 Auch eine sog. Mischfinanzierung, welche neben einer Finanzierung aus öffentlichen Mitteln weiterhin die Einnahmeerzielung durch kommerzielle Tätigkeiten und durch Tätigkeiten aufgrund des öffentlich-rechtlichen Auftrags einschließt, wird durch die Europäische Kommission im Grundsatz wettbewerbsrechtlich nicht beanstandet.831 Unabhängig von der konkret gewählten Art der Finanzierung müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass den öffentlich-rechtlich beauftragten Medien 829

Möllers, AfP 2013, 457, 463. Siehe zur vergleichbaren Problematik der inneren Pressefreiheit auch D. II. 2. c) bb) (5). 830 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 58 f. 831 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 57 f.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

anbietern die erforderlichen Mittel zur Erreichung ihrer Ziele bereitgestellt werden.832 Weiterhin muss die durch den Staat zu gewährleistende Mittelbereitstellung so gestaltet sein, dass sie nicht nur die aktuelle Aufgabenerfüllung der öffentlichen Medienorganisationen berücksichtigt, sondern dass sie zudem eine Kontinuität und Langzeitplanung ermöglicht.833 (2) Anforderungen an die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln Besondere und über das Erfordernis der bedarfsgerechten Finanzierung hinausgehende Empfehlungen richtet das Ministerkomitee des Europarats an die Konventionsstaaten sofern die Finanzierung, wenn auch nur teilweise, aus öffentlichen Mitteln erfolgt. Im Falle der öffentlichen Finanzierung muss dafür Sorge getragen werden, dass die Entscheidungsbefugnis externer staatlicher Stellen hinsichtlich der Art und der Höhe der Finanzierung die redaktionelle Unabhängigkeit und institutionelle Autonomie der öffentlichen Medienanbieter unangetastet lässt.834 Empfehlungen hinsichtlich der Art der öffentlichen Finanzierung werden seitens des Ministerkomitees des Europarats nicht an die Konventionsstaaten adressiert. So kommen Abgaben wie Gebühren oder Beiträge ebenso in Betracht wie Direktzuweisungen aus dem staatlichen Haushalt.835 An den hergebrachten Modellen der öffentlichen Finanzierung wird auch im Zuge eines veränderten Medienumfelds festzuhalten sein.836 Die Europäische Kommission hat festgestellt, dass es in der Praxis der Mitgliedstaaten der EU offenbar vielfältige Formen der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt, ohne dass sie indessen nähere eigene Anforderungen an die Art der öffentlichen Finanzierung formuliert hätte.837 Im Hinblick auf die Frage, ob die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als staatliche Beihilfe zu qualifizieren ist, stellt die Europäische Kommission nur auf die begünstigende Auswirkung des staatlichen Verhaltens ab, sodass sie auch eine nicht direkt aus dem Staatshaushalt stammende Gebühren- oder Beitragsfinanzierung als eine dem Staat 832

Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 26, 2. Spiegelstrich; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 1. Absatz. 833 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 26, 3. Spiegelstrich; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 2. Absatz, 2. und 3. Spiegelstrich. 834 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 26, 1. und 4. Spiegel­ strich; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 2. Absatz, 1. Spiegelstrich. 835 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 2. Absatz. 836 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec (2007)3, III. c. Nr. 29. Vgl. zu dem Problem, dass es weiterhin keine im Sinne der Medienvielfalt optimale und Abhängigkeiten vollständig vermeidende Art der Medienfinanzierung geben kann, den Bericht von Leven / von Lewinski, AfP 2017, 137, 139, anlässlich einer Tagung zur Medienfinanzierung. 837 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 57.

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zurechenbare Beihilfe ansieht.838 Das ehemalige Gericht Erster Instanz (heute Gericht der EU) machte die Qualifizierung von Rundfunkgebühren, mit welchen der dänische Rundfunksender TV2 finanziert wurde, als staatliche Mittel i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV u. a. daran fest, dass die Gebührenerhebung nicht aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen Gebührenschuldner und Rundfunkanstalt erfolgt, sondern hinsichtlich Gebührentatbestand und -höhe gesetzlich festgelegt wird.839 Zudem wurde die Staatlichkeit der Gebührenfinanzierung in diesem Fall deshalb angenommen, da die Beitreibung der Gebühren nach den Vorschriften über die Einziehung von Steuern erfolgen kann.840 Schließlich hat das Gericht angemerkt, dass die Verteilung der vereinnahmten Gebühren an die einzelnen öffentlich-rechtlichen Anstalten noch eine behördliche Entscheidung voraussetzt.841 Der Gedanke der weiten Zurechnung finanzieller Begünstigungen zum Staat lässt sich auf dessen Einflussmöglichkeiten in inhaltlicher Hinsicht übertragen. So muss gesehen werden, dass bereits über die Ausgestaltung der Rechtsgrundlagen für die Gebühren- bzw. Beitragserhebung sowie über die Entscheidung hinsichtlich der Mittelverteilung staatlicher Einfluss ausgeübt werden kann. Es ist leicht vorstellbar, dass gerade dann, wenn die eingezogenen Mittel zunächst dem Staatshaushalt zufließen, über deren Verteilung redaktioneller Druck auf die Inhalteanbieter ausgeübt werden kann.842 Angesichts dessen muss sichergestellt werden, dass die Aufteilung des Gebühren- bzw. Beitragsaufkommens, soweit notwendig, in gerechter Weise erfolgt und den Bedarf der jeweiligen öffentlichen Medienanbieter befriedigt.843 Um den Einfluss des Staates bei der Festlegung der Finanzmittel zu begrenzen, sollten die öffentlichen Medienorganisationen in den diesbezüglichen Entscheidungsprozess einbezogen werden.844 Die gebotene Einbeziehung der öffentlich beauftragten Medienanbieter bei der Festlegung ihres Finanzbedarfes darf indessen nicht dazu führen, dass diese allein und letztverbindlich über ihren Finanzbedarf entscheiden können. So muss zwar gesehen werden, dass den öffentlichen Medienanbietern zur Verhinderung eines staatlichen Einflusses auf den medialen Inhalt eine redaktionelle Unabhängigkeit zuzuerkennen ist. Weiterhin muss gesehen werden, dass der Staat verpflichtet ist, für eine Finanzierung der öffentlichen Medienanbieter zu sorgen, welche ihnen die Erfüllung des gesetzlichen Auftrages ermöglicht. Die Problematik indessen, dass die Rundfunkanstalten in Wahrnehmung ihrer Programm 838

Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 21. EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-328/04, T-336/04, ECLI:EU: T:2008:457, Rn. 158 (TV2 Danmark / Kommission). 840 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-328/04, T-336/04, ECLI:EU: T:2008:457, Rn. 158 (TV2 Danmark / Kommission). 841 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-328/04, T-336/04, ECLI:EU: T:2008:457, Rn. 158 (TV2 Danmark / Kommission). 842 Holznagel, S. 216. 843 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 2. Absatz, 5. Spiegelstrich. 844 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 26, 2. Spiegelstrich; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 2. Absatz, 2. Spiegelstrich. 839

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autonomie dem Staat ihren Finanzbedarf diktieren könnten, wurde beispielsweise vom BVerfG erkannt. So weist es mit Blick auf die finanzielle Belastung der Bürger darauf hin, dass deren Leistungspflicht sich nur insoweit rechtfertigen lässt, als das Programm sich auf einen Umfang beschränkt, welcher zur Erfüllung des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erforderlich ist.845 Zudem weist das BVerfG auf die Gefahr hin, dass die Rundfunkanstalten aufgrund ihres natürlichen „Selbstbehauptungs- und Ausbreitungswillens“ die Grenzen ihres Auftrages überschreiten könnten.846 Auf der anderen Seite muss ebenso im Blick behalten werden, dass mittels einer staatlichen Entscheidung über die finanziellen Rahmenbedingungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks medienpolitische Zielsetzungen verfolgt werden können.847 Als medienpolitisches Ziel kommt insbesondere die Ausübung politischen Drucks in Richtung auf eine weitgehend unkritische Berichterstattung über die jeweilige Regierungsmehrheit ist Betracht.848 Es zeigt sich also, dass weder die öffentlichen Medienorganisationen noch die festsetzenden Parlamente oder Regierungen völlige Freiheit bei der Festlegung der zur Erfüllung des öffentlichen Auftrags notwendigen finanziellen Grundlagen haben sollten. Wichtig erscheint es, den gesetzlich festgelegten Umfang des öffentlichen Auftrags im Blick zu behalten, dessen Erfüllung die Finanzierung ermöglichen soll. Unbestritten ist, dass die öffentlichen Medienanbieter eine redaktionelle Unabhängigkeit genießen müssen, welche auch nicht im Wege einer finanziellen Aufsicht untergraben werden darf.849 Gleichwohl scheint es ebenso einem europäischen Konsens zu entsprechen, dass die Rundfunkanstalten nicht völlig selbstbestimmt ihre finanziellen Grundlagen festlegen können.850 Gleichwohl sollten die Sichtweisen der beauftragten Medienorganisation in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.851 Es gilt mithin die schwierige Herausforderung zu meistern, ein Verfahren zu entwickeln, welches die staatliche Entscheidung über die Höhe der finanziellen Mittel der öffentlichen Medienanbieter an normative Maßstäbe knüpft, welche die redaktionelle Unabhängigkeit der Medienorganisationen so weit als möglich berücksichtigen, aber zugleich eine wirtschaftliche und zweckentsprechende Mittelverwendung gewährleisten. Für die genaue Ausgestaltung dieses Verfahrens können 845

BVerfGE 87, 181, 201. BVerfGE 87, 181, 201. 847 BVerfGE 90, 60, 101. 848 Kübler, S. 238. 849 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 3. Absatz. 850 Vgl. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II. Nr 26, 2. Spiegelstrich; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang V., 2. Absatz, 2. Spiegelstrich. Dort ist lediglich von einer Konsultation der öffentlichen Medienanbieter die Rede. Siehe in Bezug auf das deutsche Verfassungsrecht, BVerfGE 90, 60, 102; BVerfGE 87, 181, 201 f. Vgl. im Hinblick auf verschiedene in den Mitgliedstaaten praktizierte Verfahren, Holznagel, S. 217. 851 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II. Nr 26, 2. Spiegelstrich. 846

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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keine verbindlichen europäischen Vorgaben gemacht werden. So ist im Blick zu behalten, dass selbst den zuständigen nationalen Gesetzgebern diesbezüglich keine detaillierten verfassungsrechtlichen Vorgaben zu machen sind, sofern nur die zu beachtenden Maßstäbe der Verhinderung politischer Einflussnahmen bei gleichzeitiger bedarfsgerechter aber nicht völlig selbstbestimmter Finanzierung der Rundfunkanstalten eingehalten werden.852 Ebenso lässt sich nicht bestreiten, dass die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens eine überaus komplexe Aufgabe ist. Jedenfalls wird es dem Staat zur Verhinderung der missbräuchlichen Geltendmachung von Finanzierungsansprüchen möglich sein müssen, den Finanzbedarf der öffentlichen Medienanbieter nicht lediglich nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben zu prüfen. Vielmehr muss ebenso nachvollzogen werden können, ob sich die Inhalte, welche finanziert werden sollen, im Rahmen des gesetzlichen Auftrags bewegen. Bereits das europäische Beihilferecht erfordert die Möglichkeit einer solchen Überprüfung. Andererseits darf die Überprüfung der Grenzen der gesetzlichen Beauftragung nicht die redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlichen Medienanbieter verletzen. Problematisch erscheint insbesondere die nach dem BVerfG vorzunehmende aber überaus schwierige Abgrenzung zwischen der erforderlichen Überprüfung der Einhaltung des Programmauftrags und einer unzulässigen Kontrolle der Vernünftigkeit oder Zweckmäßigkeit von Programmentscheidungen.853 Das BVerfG stellt in dieser Hinsicht klar, dass das Verfahren zur Überprüfung der Einhaltung der Grenzen des Programmauftrags sicherstellen muss, dass es sich dabei um eine fachliche und nicht um eine politische Aufgabe handelt.854 Deshalb kann eine möglichst „politikfreie“ Zusammensetzung der Stelle, welche die Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten überprüft, einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung des politischen Missbrauchs der Überprüfung leisten.855 Auch wenn die Ausführungen des BVerfG nicht unkritisch auf die Ebene der anderen Mitgliedstaaten oder gar der EU übertragen werden dürfen, verdeutlichen sie gleichwohl sehr anschaulich das Spannungsfeld zwischen der staatlichen Stellen notwendigerweise zukommenden Entscheidungsmacht hinsichtlich der Finanzierung der öffentlichen Medienanbieter und der ebenso zu wahrenden redaktionellen Unabhängigkeit derselben. Das durch den jeweiligen Mitgliedstaat auszugestaltende Verfahren der Finanzierung der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter wird zumindest erkennen lassen müssen, dass diese Spannungslage erkannt und der ernsthafte Versuch unternommen wurde, diese zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.

852

BVerfGE 90, 60, 102. BVerfGE 90, 60, 103. 854 BVerfGE 90, 60, 103. 855 BVerfGE 90, 60, 103. 853

308

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

(3) Anforderungen an kommerzielle Finanzierungsarten Unter den sonstigen, nicht aus öffentlichen Mitteln stammenden Finanzierungsarten nimmt die Werbefinanzierung die wichtigste Rolle ein. Sie ist in vielen europäischen Staaten verbreitet und stellt für diese eine wichtige Finanzierungsquelle dar.856 Da die Werbefinanzierung zugleich die wesentliche Einnahmequelle der privaten Medienanbieter darstellt, beeinflusst die Zulässigkeit von Werbeeinnahmen in erheblichen Maße die Wettbewerbsmöglichkeiten der kommerziellen Anbieter. Gleichwohl hat die Europäische Kommission keine grundsätzlichen Einwände gegen eine sog. Mischfinanzierung, welche insbesondere auch Werbeeinnahmen erfasst.857 Ebenso wurde durch die Rechtsprechung der Union entschieden, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV über Werbung zu finanzieren.858 Der Charakter einer Dienstleistung als eine solche von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse bestimmt sich allein nach dem von ihr zu befriedigenden Interesse und nicht danach, auf welche Weise diese Dienstleistung finanziert wird.859 Auch hat die Mischfinanzierung aus der Perspektive des europäischen Beihilferechts nicht zwingend zur Folge, dass ein auf diese Weise finanzierter öffentlicher Medien­ anbieter nur wirtschaftlich nicht rentable Inhalte anbieten darf.860 Die Rechtsprechung der EU, welche die nicht aus öffentlichen Mitteln stammende Finanzierung des Auftrags der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter für nicht stets dem Wettbewerbsrecht widersprechend erklärt, nimmt nicht ausschließlich nur den Verkauf von Werbeplätzen in den Blick, sondern bezieht sich ebenso auf die Möglichkeit der Einnahmeerzielung aus anderen kommerzielle Tätigkeiten.861 Jedoch wird zu berücksichtigen sein, dass durch kommerzielle Tätigkeiten der Rahmen der öffentlich-rechtlichen Beauftragung nicht verlassen werden darf. Ebenso darf die mitgliedstaatliche Beauftragung unter dem Blickwinkel der europäischen Beihilfeaufsicht nicht offensichtlich fehlerhaft in dem Sinne sein, dass nicht erkennbar ist, auf welche Weise die kommerziellen Tätigkeiten den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft dienen.862 Es lässt sich gleichwohl festhalten, dass das europäische Beihilferecht einer zumindest ergänzenden kommerziellen Einnahmeerzielung öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter nicht grundsätzlich entgegensteht. 856

Holznagel, S. 217. Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 58. 858 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-328/04, T:2008:457, Rn. 113 (TV2 Danmark / Kommission). 859 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-328/04, T:2008:457, Rn. 108 (TV2 Danmark / Kommission). 860 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-328/04, T:2008:457, Rn. 109 (TV2 Danmark / Kommission). 861 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs.  T-309/04, T-317/04, T-328/04, T:2008:457, Rn. 107 (TV2 Danmark / Kommission). 862 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 48. 857

T-336/04, ECLI:EU: T-336/04, ECLI:EU: T-336/04, ECLI:EU: T-336/04, ECLI:EU:

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

309

Die die öffentliche Finanzierung ergänzenden Werbeeinkünfte, werden darüber hinaus als geeignet angesehen, um die finanzielle Unabhängigkeit der öffentlichrechtlich beauftragten Medienanbieter gegenüber dem Staat zu vergrößern.863 Gleichwohl muss auch die Gefahr gesehen werden, dass eine übermäßige Werbefinanzierung wiederum andere Abhängigkeiten begründen kann. Zu denken ist hier an einen möglichen inhaltlichen Einfluss finanzkräftiger Werbekunden.864 Auch muss gesehen werden, dass es gerade die Abhängigkeit von der Werbefinanzierung ist, welche im privaten Rundfunk ein an Einschaltquoten und nicht an Vielfaltgesichtspunkten orientiertes Programm erwarten lässt.865 So liegt es besonders in Zeiten der rasanten Vervielfältigung der Informationsmöglichkeiten und der damit einhergehenden Erschwerung der Erreichung medialer Aufmerksamkeit nahe, dass werbefinanzierte Veranstalter zunehmend auf massenattraktive und u. U. sogar wirklichkeitsverzerrende Inhalte zurückgreifen werden.866 Andererseits kann die Werbefinanzierung aber auch eine positive Steuerungswirkung dahingehend entfalten, dass verstärkt den Bedürfnissen der Rezipienten entsprochen wird.867 So muss gesehen werden, dass, trotz der weitgehenden öffentlichen Finanzierung der mit Gemeinwohlverpflichtungen belasteten Medienanbieter, die Nutzerakzeptanz in erheblichem Maße Einfluss auf inhaltliche Entscheidungen ausüben kann. Jedenfalls müssen die öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter stets im Blick behalten, dass sie der Öffentlichkeit gegenüber verantwortlich und damit auf Nutzerakzeptanz angewiesen sind.868 Im Falle geringer Einschaltquoten wird zu erwarten sein, dass ein öffentlicher Druck auf die Politik ausgeübt wird, die Belastungen der Bürger, welche zugunsten öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter erfolgen, abzusenken.869 Insofern wird mit Bezug auf die Vollprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertreten, dass die Unterscheidung zwischen öffentlicher und Werbefinanzierung zunehmend an Bedeutung verlieren wird, da auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk, unabhängig von der konkreten Art seiner Finanzierung, einen erheblichen Druck verspürt, massenattraktive Inhalte anbieten zu müssen.870 Mit dieser Auffassung geht indessen zwangsläufig einher, dass man in erheblichen Maße die Berechtigung der öffentlich-rechtlichen Beauftragung von Medienanbietern und damit auch die Daseinsberechtigung öffentlicher Medienorgani­ sationen insgesamt in Frage stellt. Wenn man annimmt, dass die Programme des 863

So z. B., BVerfGE 87, 181, 200; BVerfGE 83, 238, 310 f.; Holznagel, S. 218. Holznagel, S. 218. Siehe zu dieser Problematik noch ausführlich die Ausführungen unter D. II. 4. g). 865 BVerfGE 87, 181, 199; BVerfGE 83, 238, 311. 866 BVerfGE 119, 181, 216. 867 Holznagel, S. 218. 868 Vgl. vertiefend zur Verantwortlichkeit öffentlicher Medienanbieter, Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 28 ff. 869 Ladeur, ZUM 2009, 906, 911. 870 Ladeur, ZUM 2009, 906, 911. 864

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

privaten und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Wesentlichen inhaltlich vergleichbare Inhalte erwarten lassen, so lässt sich nicht erklären, weshalb der öffentlich-rechtliche Rundfunk mittels seiner teilweise aus öffentlichen Mitteln erfolgenden Finanzierung die Wettbewerbssituation der privaten Anbieter zu beeinträchtigen berechtigt sein soll. Das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre unter dieser Annahme vielmehr darauf zu beschränken, wirtschaftlich nicht rentabel anzubietende Nischenprogramme zu verbreiten. Solche Inhalte wären dann notwendigerweise nahezu vollständig aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren, da kaum Nachfrage zur Platzierung von Werbung zu erwarten wäre. Die Forderung, das Angebot mischfinanzierter öffentlicher Medienanbieter auf nicht rentable Inhalte zu begrenzen, wurde indessen durch die Rechtsprechung der EU zurückgewiesen.871 Damit eröffnet die Ebene der EU den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Auftrag ihres öffentlich-rechtlichen Rundfunks, vergleichbar der deutschen Grund­ versorgungsaufgabe, weit zu fassen. Weiterhin belässt sie den Mitgliedstaaten bei der Finanzierung große Spielräume, wenn sie diesen die Möglichkeit einräumt, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV über Werbung zu finanzieren. Vorgaben zum maximal zulässigen prozentualen Anteil der Werbefinanzierung werden dabei nicht gemacht. Entscheidend gegen die Verweisung der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter auf nicht rentable und der Werbefinanzierung kaum zugängliche Inhalte spricht deren Funktion. So kommt ihnen die Aufgabe zu, die öffentliche Meinungsbildung frei und offen zu gestalten. Die Möglichkeit der Ausübung eines gewissermaßen neutralisierenden Einflusses auf die öffentlichen Meinungsbildung haben öffentlich-rechtlich beauftragte Medienanbieter nur im Falle einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung. Um diese erzielen zu können, dürfen sie nicht darauf beschränkt sein, nur nicht rentabel anzubietende Randinteressen zu bedienen. Im Falle der ausschließlichen Bedienung bestimmter, nicht von der Mehrheit der Gesellschaft geteilter, Interessen würden die öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter unweigerlich dem Vorwurf ausgesetzt sein, eine wirklichkeitsverzerrende Darstellung des öffentlichen Lebens anzubieten. Schließlich darf es nicht als Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Beauftragung aufgefasst werden, die Interessen der Bevölkerung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Nur die möglichst proportionale Bedienung der Gesamtinteressen der Bevölkerung kann geeignet sein, die Meinungsbildung frei und offen zu gestalten. Somit lässt sich festhalten, dass eine ergänzende Werbefinanzierung aus europäischer Sicht nicht zu beanstanden ist. Problematisch ist jedoch die Festlegung des höchstzulässigen Anteils der kommerziellen Finanzierung an der Gesamtfinanzierung. Das europäische Recht macht in dieser Hinsicht keine Vorgaben, sodass sogar eine vollständige kommerzielle Finanzierung in Betracht käme. Auf der anderen 871 EuG, Urt. v. 22.10.2008, verb. Rs. T-309/04, T-317/04, T-328/04, T-336/04, ECLI:EU:T: 2008:457, Rn. 109 (TV2 Danmark / Kommission).

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

311

Seite würde eine vollständige kommerzielle Finanzierung der These vom Markt­ versagen privater Anbieter widersprechen, sodass in diesem Falle die Existenzberechtigung der öffentlichen Medienorganisationen untergraben würde. Gleichwohl wird sich nicht pauschal festlegen lassen, ab welchem prozentualen Anteil kommerzieller Finanzierung durch öffentliche Medienorganisationen die Medienvielfalt nicht hinreichend abgesichert werden kann, sodass ein Einschreiten der EU unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV geboten erscheint. Das BVerfG gesteht dem Gesetzgeber einen weiten, an der Funktion der Rundfunkfreiheit orientierten Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Finanzierungsart des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu.872 Grundsätzlich werden die Mitgliedstaaten besser beurteilen können, ob der von ihnen beihilferechtskonform definierte öffentlich-rechtliche Auftrag tatsächlich hinreichend erfüllt wird. Andererseits gewinnen Art. 2 und Art. 7 EUV gerade in solchen Fällen Bedeutung, in welchen die Steuerungsfähigkeit der Mitgliedstaaten versagt. Jedoch bringt das Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beauftragung und Finanzierung der öffentlichen Medienorganisationen zum Ausdruck. Deshalb hat sich die Europäische Kommission im Grundsatz eine weitgehende Zurückhaltung bei der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auferlegt. Angemessen erscheint eine Anlehnung der europäischen Finanzierungsaufsicht an derjenigen zur Überprüfung der Auftragsdefinition. So beschränkt sich die Kontrolle der Europäischen Kommission hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags auf offensichtliche Fehler.873 Eine solche offensichtlich unzureichende Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags, welche mit einer unzureichenden Sicherung der Medienvielfalt im audiovisuellen Bereich einhergeht, kann dann indiziert sein, wenn die Finanzierung aus kommerziellen Tätigkeiten die Gesamtfinanzierung des öffentlich organisierten Medienanbieters deutlich dominiert.874 In einem solchen Fall wird ein Mitgliedstaat darlegen müssen, weshalb er eine öffentliche Medienorganisation unterhält und inwieweit diese, auch mittels wirtschaftlich nicht rentabler Inhalte, zur audiovisuellen Medienvielfalt beiträgt.

872

BVerfGE 83, 238, 310. Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 48. 874 Dies kann natürlich nur für solche Medienanbieter Geltung beanspruchen, welche durch den Staat eigens zu dem Zweck gegründet wurden, einen öffentlichen Auftrag wahrzunehmen. Im Falle einer ebenso denkbaren punktuellen Beauftragung eines im Übrigen kommerziellen Anbieters ist selbstverständlich nicht zu fordern, dass dieser sich im Hinblick auf seine kommerziellen Aktivitäten einschränkt. Jedoch wird auch in diesem Falle deutlich gemacht werden müssen, dass die öffentliche Teilfinanzierung zur Kompensation der Aufwendungen erfolgt, welche aus der öffentlich-rechtlichen Beauftragung resultieren. 873

312

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

b) Unabhängigkeit der Medienaufsicht aa) Gegenstand der inhaltlichen Beaufsichtigung Während für den Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbreitet auf eine Selbstregulierung der Anstalten vertraut wird, wird es für private Anbieter audiovisueller Medien zumindest ergänzend auch externe Aufsichtsstellen geben müssen. Dies macht bereits die an kommerziellen Interessen orientierte Struktur der privaten Veranstalter erforderlich. So sind diese weder an einen gesetzlichen Programmauftrag gebunden noch gewährleistet die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des Veranstalters ein vielfältiges mediales Angebot. Im Bereich des privaten Rundfunks wird vielmehr weitgehend auf das Modell der Außenpluralität, d. h. auf den Beitrag einer Vielzahl voneinander unabhängiger Anbieter zur inhaltlichen Vielfaltsicherung, vertraut. Andererseits hat der EGMR klargestellt, dass der vom Staat zu gewährleistende „echte Pluralismus“ im audiovisuellen Bereich nicht bereits durch eine Vielzahl von Sendern hinreichend verwirklicht ist.875 Deshalb wird die Vielfalt sichernde Regulierung auch private Anbieter audiovisueller Medien erfassen müssen. Bedenkt man, dass sich die Nutzerakzeptanz der Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seit dem Wegfall des Rundfunkmonopols kaum noch hinreichend steuern lässt, so kann es nicht als ausreichend angesehen werden, allein die Verfügbarkeit von dessen Inhalten als ausreichende Vielfaltsicherung anzusehen. Für den Bereich des deutschen Verfassungsrechts vertritt das BVerfG seit Einführung der dualen Rundfunkordnung die Auffassung, dass auch an den privaten Rundfunk, wenn auch im Vergleich zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeschwächte, Anforderungen an die Vielfalt der Programme zu stellen sind. So hat das BVerfG frühzeitig darauf hingewiesen, dass einseitige Beeinflussungen der Meinungsrichtungen im privaten Rundfunk selbst dann zu einer Störung der Ausgewogenheit des Gesamtprogramms führen können, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen verfassungsrechtlichen Auftrag für sich genommen vollständig erfüllt.876 Zutreffend und angesichts der jüngeren Rechtsprechung des EGMR auch auf die Ebene der EU übertragbar (vgl. Art. 6 Abs. 3 1. Alt. EUV) erscheint die vom BVerfG vertretende Auffassung, dass das Angebot des Rundfunks bzw. der audiovisuellen Medien insgesamt den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bzw. den Artikeln 10 EMRK und 2 EUV entsprechen muss.877 Um die Vielfalt der gesamten audiovisuellen Medien regulierend in den Fokus nehmen zu können, muss auch der Bereich der privaten audiovisuellen Medien, zumindest in Bezug auf den linearen Rundfunk, einer Aufsicht unter dem Gesichtspunkt der Vielfaltsicherung unterzogen werden. 875

EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 130 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). BVerfGE 83, 238, 297; BVerfGE 57, 295, 324. 877 BVerfGE 73, 118, 157. Dass auch der private Rundfunk einen Beitrag zur Vielfalt leisten muss, entspricht weiterhin der Auffassung des italienischen Verfassungsgerichts. Siehe, Corte costituzionale, EuGRZ 2003, 501, Ziffer 8. 876

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

313

Überdies richtet die AVMD-RL inhaltliche Anforderungen an die Anbieter audiovisueller Medien, welche der staatlichen Beaufsichtigung bedürfen. Art. 4 Abs. 6 der AVMD-RL richtet die Forderung an die Mitgliedstaaten, dass diese mit geeigneten Mitteln für eine umfassende Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie Sorge tragen müssen. Neben der Überwachung der europarechtlich vorgegebenen inhaltlichen Anforderungen an die Mediendiensteanbieter ist die Erteilung von Rundfunklizenzen eine wesentliche Aufgabe der Regulierungsbehörden.878 Auch sollte die Medienregulierungsbehörde in Entscheidungen zur Zuweisung von Frequenzen an den Rundfunk eingebunden werden und befugt sein, die den Rundfunkdiensten zukommenden Frequenzen einzelnen Veranstaltern zuzuweisen.879 Die Entscheidung über die Zuweisung einer technischen Übertragungskapazität und die Entscheidung über eine Zulassung werden meist als rechtlich getrennte Verfahren ausgestaltet.880 Jedoch sollte auch die Entscheidung der Frequenzzuweisung zumindest unter maßgeblicher Beteiligung der Medienregulierungsbehörden erfolgen, da diese eine besondere Eignung aufweisen, Gesichtspunkte der Medienvielfalt in das Verfahren einzubringen. Die inhaltsneutrale Regulierung der zur Rundfunkübertragung genutzten technischen Infrastruktur erfolgt indessen regelmäßig durch gesonderte Regulierungsbehörden für Telekommunikation.881 Denkbar und in einigen Mitgliedsstaaten der EU auch realisiert ist ebenso die gemeinsame Wahrnehmung von Telekommunikations- und Medienregulierung durch eine Stelle.882 Eine weitere wichtige Aufgabe der Medienregulierungsbehörden ist die laufende Überprüfung von Medieninhalten anhand der gesetzlichen und der in der Lizenz geregelten Bestimmungen. Im Hinblick auf die Überwachung von Inhalten sollten die Medienregulierungsbehörden befugt sein, angemessene und gerichtlich überprüfbare Sanktionen zu verhängen.883 Jedoch sollte die Überwachung der Inhalte zur Vermeidung des Vorwurfes der Zensur stets reaktiv ausgestaltet sein.884 Problematisch ist, für welche Arten von Medien es überhaupt eine inhaltliche Aufsicht geben sollte. Fest seht, dass es bereits aufgrund der notwendigen mitgliedstaatlichen Überwachung der Einhaltung der inhaltlichen Bestimmungen der AVMD-RL eine Aufsicht über die audiovisuellen Medien, welche in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, geben muss. Weitere Anknüpfungspunkte einer inhaltsbezogenen Medienregulierung wären Printmedien, Online-Medien als auch die zur technischen Verbreitung und zum Empfang von audiovisuellen Inhalten not 878

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang IV., Nr. 13. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang IV., Nr. 15. 880 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 37. 881 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 37. 882 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 172. Vgl. auch Art. 30 Abs. 1 S. 2 des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Änderung der AVMD-RL, Europäische Kommission COM(2016) 287 final. 883 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang IV., Nr. 22 f. 884 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang IV., Nr. 22. 879

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

wendigen technischen Infrastrukturen. Traditionell weisen audiovisuelle und Printmedien eine unterschiedliche Regulierungsdichte auf. Die strengere Regulierung des Rundfunks ist vor allem darauf zurückzuführen, dass diesem gemeinhin ein besonders starker Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zugesprochen wird. Zudem war für die Übertragung audiovisueller Medien ursprünglich die Nutzung knapper Frequenzen erforderlich, sodass auch eine an Inhalten ausgerichtete Verteilungsentscheidung notwendig war. Die Einpassung der Regulierung der vormals staatlichen und nunmehr privatisierten technischen Infrastruktur in den bisherigen Ordnungsrahmen fällt ebenso schwer, wie die Schaffung von Regelungen, welche neu entstandene Online-Medien betreffen. Es fragt sich zudem, ob angesichts der nunmehr vielfältigen Übertragungsmöglichkeiten die unterschiedliche Regulierung von Rundfunk und Presse im herkömmlichen Sinne noch gerechtfertigt ist.885 Das Problem der gebotenen Reichweite der inhaltlichen Regulierung der verschiedenen Medienarten und Verbreitungswege ist untrennbar verknüpft mit der Frage nach den notwendigen Kompetenzen der Medienregulierungsbehörden. Im Zuge des Phänomens des technisch möglich gewordenen Zusammenwachsens und Verschmelzens der verschiedenen Medienarten, welches gemeinhin mit dem Schlagwort der Medienkonvergenz belegt wird, wurde in den letzten Jahren verstärkt die Forderung nach einer Vereinheitlichung der Medienregulierung geäußert.886 Auf der anderen Seite muss gesehen werden, dass die in Ungarn verwirklichte einheitliche Aufsicht über alle Medienarten unter Einschluss von Telekommunikationsdiensten auf erhebliche Kritik gestoßen ist.887 So wird angeführt, dass die Konzentration der Aufsicht über alle Arten von Medien bereits für sich genommen eine Gefahr für die Medienvielfalt darstellen könnte, da das Regulierungsverhalten nicht im Wege der Diskussion mit anderen Verwaltungsträgern abgestimmt werden muss und somit keine wechselseitige Kontrolle im Bereich der Verwaltung stattfindet.888 Generell wird kritisch darauf hingewiesen, dass weitreichende, d. h. mehrere Medienarten umfassende, Kompetenzen zu einer übermäßigen Machtkonzentration führen können.889 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten im Bereich der Online-Medien und der gedruckten Presse weitgehend auf eine Selbstregulierung vertrauen und etwaige Verstöße gegen das Zivil- oder Strafrecht lediglich durch Gerichte, nicht aber durch Behörden sanktioniert werden können.890 Daher wird teilweise angenommen, dass die Einsetzung einer Aufsichtsstelle über Print- und Online-Medien internationalen Standards widerspreche.891 Dies ist im Bereich des Rundfunks traditionell anders. Hier ist es üblich, dass Behörden im Wege der Lizenzaufsicht bestimmte Inhalte beanstanden und inhaltliche Anforderungen an die 885

Vgl. zu dieser Problematik, Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 84. Vgl. die Zusammenfassung der Argumente bei Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 84. 887 Vgl. Cornils, FS Schröder, S. 125, 139. 888 Cornils, FS Schröder, S. 125, 139. 889 OSCE, Analysis of the Hungarian Media Legislation, S. 11. 890 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 173. 891 OSCE, Analysis of the Hungarian Media Legislation, S. 11. 886

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

315

Medienanbieter adressieren können. Es lässt trotz dieser hergebrachten Sonderstellung des Rundfunkbereichs jedoch weder aus Art. 10 EMRK noch aus Art. 6 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 EUV ein Recht der Anbieter sonstiger Medienarten herleiten, lediglich einer auf den Einzelfall und auf den zivil- und strafrechtlichen Rechtsgüterschutz begrenzten gerichtlichen Überprüfung zu unterliegen.892 So muss gesehen werden, dass etwaige auf den Medieninhalt bezogene Maßnahmen der Behörden ihrerseits noch der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich sind.893 Auch die entsprechenden Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats sehen vor, dass behördliche Maßnahmen im Streitfall einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen sollten.894 Berücksichtigt man zudem, dass behördliche Maßnahmen streng am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemessen werden müssen, so bleibt kaum Raum für die Sanktionierung von Inhalten, welche weder zivil- noch strafrechtlich zu beanstanden sind. Etwas anderes gilt freilich für inhaltliche Regelungen, welche speziell auf audiovisuelle Medien bezogen sind. Zu denken wäre hier etwa an Regelungen zur Vielfaltsicherung sowie zur Werbung und zur Produktplatzierung. Eine Übertragung dieser Regelungen auf andere Medienarten liegt indessen auch dann fern, wenn eine Stelle die Aufsicht über sämtliche Medien ausübt. Es besteht auch im Falle der Konzentration der Kompetenzen bei einer Stelle genügend Raum für eine inhaltliche Differenzierung nach Medienarten. Fern liegt insbesondere die Ausdehnung einer Vielfaltaufsicht auf textbasierte Medien, da der EGMR die aktive Gewährleistungsrolle des Staates im Hinblick auf den Medienpluralismus bisher nur ausdrücklich auf die audiovisuellen Medien bezogen hat. Die Tätigkeit der Presse ist nach der konkretisierenden Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK hingegen weitgehend von staatlichen Beeinträchtigungen und Reglementierungen fern zu halten. Mithin wäre zu erwarten, dass der EGMR Beschränkungen der freien Pressetätigkeit aus Gründen der Vielfaltsicherung regelmäßig als Verstoß gegen die subjektiven Freiheiten, welche Art. 10 Abs. 1 EMRK verbürgt, ansieht. Jedoch sei angemerkt, dass selbst seitens der Union durch die sog. Tabakwerbe-Richtlinie bereits inhaltliche Verbote aufgestellt wurden, welche sich auf Presseprodukte beziehen.895 Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht bereits für sich genommen als ein Verstoß gegen europäische Standards, wenn eine behördliche Medieninhaltsaufsicht nicht lediglich auf audiovisuelle Medien und ggf. die zu ihrer Verbreitung und zu ihrem Empfang genutzte Infrastruktur begrenzt wird.896 Weitaus wichtiger 892

Bezogen auf Art. 10 EMRK, Cornils, FS Schröder, S. 125, 141. Cornils, FS Schröder, S. 125, 141. 894 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang IV., Nr. 23, Satz 3. 895 Vgl. Schwarze, ZUM 2000, 89, 95. Dieser weist darauf hin, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch die Auswirkungen auf die Pressefreiheit zu berücksichtigen gewesen wären. 896 Kritisch zur Notwendigkeit der Auferlegung von gesetzlichen Verpflichtungen zur Auffindbarkeit und Zugänglichkeit von Inhalten äußert sich der Entwurf der Europäischen Kommission zur Änderung der AVMD-RL. Siehe Europäische Kommission, COM(2016), 287 final, Erwägungsgrund Nr. 38. Andererseits wird gem. Art. 28af. erstmals ein Regulierungsbedarf für Videoplattformdienste gesehen. 893

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

erscheint es, dass die Medienregulierungsbehörde, unabhängig vom konkreten Zuschnitt ihrer Kompetenzen, organisatorisch und personell so aufgestellt ist, dass sie hinreichend unabhängige und sachkundige Entscheidungen treffen kann. Eine in diesem Sinne unabhängige Regulierungsbehörde könnte zudem unter Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit und institutionellen Autonomie der öffentlichen Medienorganisationen als deren externe Aufsichtsstelle fungieren.897 bb) Anforderungen an die Unabhängigkeit (1) Erfordernis und Bezugspunkte der Unabhängigkeit Die Forderung nach Unabhängigkeit der Medienaufsicht ist eng verbunden mit dem Erfordernis der Medienvielfaltsicherung, welches sich u. a. aus 2 EUV ergibt. So zielt die Unabhängigkeit der Medienaufsicht darauf ab, sicherzustellen, dass die Aufsichtsbefugnisse ausschließlich dazu genutzt werden, um die Ziele der Medienregulierung zu erreichen. Ein wesentliches Ziel der Medienregulierung ist wiederum die Sicherung der Medienvielfalt. Damit die Mitglieder der Regulierungsstellen ihre Tätigkeit ausschließlich auf dieses und die anderen Ziele der Medienregulierung ausrichten können, müssen diese ihre Kompetenzen unabhängig von anderweitigen interessengesteuerten Einflüssen wahrnehmen können. Problematisch ist, welche mitgliedstaatlichen Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Regulierungsstellen im Rahmen des Art. 2 EUV verlangt werden können. Da das Erfordernis der Unabhängigkeit der Medienregulierungsstellen auch im europäischen Sekundärrecht zum Ausdruck gebracht wird, könnten sich hieraus Anhaltspunkte zur Konkretisierung des Unabhängigkeitsbegriffes ergeben. So werden in Art. 30 der AVMD-RL, welcher die notwendige Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Regulierungsstellen untereinander und diese zur Europäischen Kommission regelt, die mitgliedstaatlichen Regulierungsstellen als unabhängig bezeichnet. Erwägungsgrund Nr. 94 der AVMD-RL konkretisiert den Begriff der Unabhängigkeit insoweit, als er Anforderungen an die Entscheidungen der Regulierungsstellen formuliert. So sollen Maßnahmen in Umsetzung der Richtlinie unparteiisch und transparent durchgeführt werden können. Auch die Förderung des Medienpluralismus wird als ein wünschenswertes Ziel genannt, welches durch die mitgliedstaatliche Ausgestaltung der Medienaufsicht erreicht werden soll. Indessen wird ebenso eine große Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Struktur ihrer Medienaufsicht betont. So wird auf die Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und ihre etablierten Strukturen Bezug genommen, die es ihnen erlauben sollen, die Form ihrer Regulierungsstellen frei zu wählen. Grenzen der mitgliedstaatlichen Entfaltung liegen jedoch in dem Erfordernis, dass die Regulierungsstellen unabhängig in dem Sinne sein müssen, dass sie transparente und unparteiische Umset 897

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang IV., Nr. 24.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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zungsmaßnahmen im Hinblick auf die Regelungen der AVMD-RL zu gewährleisten haben. Die AVMD-RL enthält jedoch keine weiteren Hinweise darauf, welche Strukturen und rechtlichen Voraussetzungen durch die Mitgliedstaaten geschaffen werden müssen, damit regelmäßig eine transparente und unparteiische Entscheidungsfindung angenommen werden kann.898 Selbst eine ausdrückliche formale Verpflichtung zur Einrichtung einer unabhängigen Regulierungsstelle enthält die aktuelle Fassung der AVMD-RL nicht.899 Gleichwohl muss gesehen werden, dass die in Art. 30 beschriebene Verpflichtung zur Zusammenarbeit nur durch unabhängige Stellen erfüllt werden kann.900 Auch ist in den Blick zu nehmen, dass Art. 10 der EMRK und damit über Art. 6 Abs. 3 1. Alt. EUV auch Art. 2 EUV Anforderungen an die Medienregulierung der Mitgliedstaaten adressieren kann.901 Jedenfalls in einer Gesamtschau mit den Zielen der AVMD-RL wird von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten auszugehen sein, Strukturen zu schaffen, welche gewährleisten, dass die Ziele der Richtlinie unparteiisch umgesetzt werden.902 Bereits im Jahr 2000 hat das Ministerkomitee des Europarats seinen Mitgliedern empfohlen, soweit noch nicht geschehen, für den Bereich des Rundfunks unabhängige Regulierungsbehörden einzusetzen.903 Dass offenbar nocht nicht in allen Mitgliedstaaten hinreichend unabhängige Regulierungsstellen eingerichtet sind, ist eine Erkenntnis, welche auch im Einsetzungsbeschluss der Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA)904 zum Ausdruck kommt.905 Ziel dieser Gruppe ist es, die Europäische Kommission bei der kohärenten Umsetzung des Rechtsrahmens für audio­visuelle Mediendienste zu unterstützen und die als notwendig erachtete Zusammenarbeit der nationalen Regulierungsstellen zu institutionalisieren. Art. 4 des Einsetzungsbeschlusses beschäftigt sich mit der Zusammensetzung der Gruppe. Dort heißt es, dass die Gruppe sich aus Vertretern der unabhängigen nationalen Regulierungsstellen zusammensetzt. Es wird indessen auch der Fall des Fehlens einer solchen Regulierungsstelle geregelt. Die formale Pflicht zur Einsetzung unabhängiger nationaler Regulierungsstellen sieht indessen der Entwurf der Europäische Kommission zur Änderung der AVMD-

898

Arnold, Medienregulierung in Europa, S 117. Cornils, FS Schröder, S. 125, 134; Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 9. 900 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 9. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass Art. 30 AVMD-RL die Zusammenarbeit nur „insbesondere“ durch unabhängige Regulierungsstellen in herausgehobenem Maße als zielführend ansieht. 901 Bezogen auf Art. 10 EMRK, Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 9. 902 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 9. 903 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Empfehlung a. 904 Europäische Kommission, C(2014) 462 final. 905 Vgl. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 230 f. (insb. Fn. 89). Dieser weist darauf hin, dass mit Stand des Jahres 2014 in Spanien und Estland keine unabhängigen nationalen Regulierungsbehörden tätig sind. 899

318

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

RL vom 25.05.2016 in seinem Art. 30 Abs. 1 S. 1 vor.906 Dort heißt es, dass jeder Mitgliedstaat eine oder mehrere unabhängige nationale Regulierungsstellen benennt. Berücksichtigt man, dass das Fehlen nationaler Regulierungsstellen die Ausnahme unter den Mitgliedstaaten darstellt und jeweils auf sehr spezielle Gründe zurückzuführen ist, so ist der mit der Pflicht zur Einrichtung einer solchen Stelle verbundene Eingriff in die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten als gering anzusehen.907 Jedenfalls ist der Wert der Unabhängigkeit der Medienaufsicht mit Ausnahme Estlands in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verankert.908 Teilweise kritisch gesehen werden indessen die in Art. 30 Abs. 1 S. 2 bis Abs. 7 des Richtlinienvorschlages vorgesehenen Konkretisierungen der Anforderungen an die Unabhängigkeit der Regulierungsstelle. So griffen diese Vorgaben dem Subsidiaritätsprinzip widersprechend und unverhältnismäßig in die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten ein.909 Zudem komme den Medien eine kulturelle Bedeutung zu, welche zur Folge habe, dass die EU sich gem. Art. 167 AEUV auf unterstützende und fördernde Maßnahmen unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung zu beschränken habe.910 Praktische Relevanz kann diese im Ansatz nicht von der Hand zu weisende Kritik indessen nur dann haben, wenn nicht bereits Art. 2 EUV die in Art. 30 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Ausgestaltung der Regulierungsstellen verlangt. Generell ist die verbindliche Vorgabe von konkreten Anforderungen, welche an die Unabhängigkeit einer Regulierungsstelle gerichtet werden, überaus problematisch. Ähnlich wie im Falle der Medienvielfalt wird sich der Grad der Unabhängigkeit einer Regulierungsstelle anhand von zuvor festgelegten Kriterien kaum verlässlich messen lassen.911 Gleichwohl lassen sich Merkmale benennen, welche vorliegen müssen, damit von einer unparteilichen Entscheidungsfindung der Medienaufsicht ausgegangen werden kann.912 Zunächst muss Klarheit darüber herrschen, von welchen Akteuren die Medienaufsicht unabhängig sein soll. In dieser Hinsicht geht es insbesondere um die Freihaltung von jeglicher Einmischung durch politische und wirtschaftliche Interessenträger.913 Aber auch die Einmischung seitens sonstiger zivilgesellschaftlicher Interessengruppen gilt es zu verhüten.914

906

Europäische Kommission, COM(2016) 287 final. Zu den als problematisch anzusehenden Gründen für das Fehlen einer funktionsfähigen Regulierungsbehörde in Spanien, siehe Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 231 f. Zu der weiteren Ausnahme Estland, siehe Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 230 (Fn. 89). 908 EMR / Universität Luxemburg, AVMS-RADAR, S. 43; Hans-Bredow-Institut u. a., ­INDIREGStudie, S. 215. 909 Deutscher Bundesrat, Drucksache 288/16, (Beschluss) (2), S. 2 f., Ziffer 3. 910 Deutscher Bundesrat, Drucksache 288/16, (Beschluss) (2), S. 3, Ziffer 3. 911 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 6, Ziffer 8. 912 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 10. 913 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 3. 914 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 5, Ziffer 4. 907

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

319

(2) Organisatorische Verselbständigung und Weisungsfreiheit Eine wesentliche Voraussetzung, um die Medienaufsicht gegenüber staatlichen Einflussnahmen abzuschirmen zu können, ist deren rechtliche Verselbständigung. So muss sichergestellt werden, dass die Medienaufsichtsstelle aus der hierarchischen Struktur der Staatsverwaltung ausgegliedert wird.915 Innerhalb der EU sind in sämtlichen Mitgliedstaaten, mit Ausnahme Estlands, von den Ministerien separierte Regulierungsstellen eingerichtet worden.916 Um den mit der formalen rechtlichen Trennung angestrebten Zweck der Unabhängigkeit erreichen zu können, muss weiterhin die grundsätzliche Weisungsfreiheit der Mitglieder der Regulierungsstelle gegenüber staatlichen Vertretern rechtlich verankert werden.917 Gleichwohl kann die Weisungsfreiheit einer mit Eingriffsbefugnissen ausgestatteten Stelle auch mit Problemen verbunden sein. So muss gesehen werden, dass eine Weisungsfreiheit regelmäßig mit erheblichen Entscheidungsfreiräumen der Regulierungsstelle in grundrechtsrelevanten Bereichen einhergeht. Ein weitreichender Entscheidungsfreiraum der Exekutive wird im deutschen Verfassungsrecht grundsätzlich kritisch gesehen. So kann die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG einem Entscheidungsfreiraum ebenso entgegenstehen wie das als Wesentlichkeitslehre bezeichnete grundsätzliche Erfordernis, dass, insbesondere in grundrechtsrelevanten Bereichen, alle wesentlichen Entscheidungen durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst zu treffen sind.918 Man wird jedoch in Rechnung stellen müssen, dass die mit der Einsetzung der Regulierungsstelle verfolgten Ziele, welche u. a. darin bestehen, Medienvielfalt herzustellen, einer detaillierten tatbestandlichen Vorgabe durch den Gesetzgeber kaum zugänglich sind. Gerade in dynamischen und entwicklungsoffenen Regelungsbereichen kann über detaillierte materielle Vorgaben des Gesetzes kaum ein Gewinn an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Verwaltungspraxis erzielt werden.919 Somit liefe der mit der Wesentlichkeitslehre verfolgte Zweck ohnehin weitgehend leer. Berücksichtigt man, dass die technischen Möglichkeiten der Mediennutzung sich ebenso stets weiter entwickeln wie die Nutzergewohnheiten, so kann die Regelungsmaterie der Medienvielfaltsicherung durchaus als ein dynamisches und komplexes Regulierungsfeld bezeichnet werden. Die Komplexität der Materie liegt weiterhin darin begründet, dass sich der Zielerreichungsgrad der Medienvielfaltsicherung nicht objektiv messen lässt. Mithin wären sowohl detaillierte gesetzliche Entscheidungs 915 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 118; Holznagel, S. 227. Vgl. auch Europäische Kommission, COM(2016) 287 final. Der Änderungsentwurf der AVMD-RL sieht in Art. 30 Abs. 1 S. 2 verpflichtend die rechtliche Trennung der Regulierungsstelle von anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen vor. A. A. Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 10. 916 EMR / Universität Luxemburg, AVMS-RADAR, S.  41. 917 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 5, 2. Spiegelstrich. 918 Vgl. hierzu, Trute, FS Selmer, S. 565, 580. 919 Trute, FS Selmer, S. 565, 580 f.

320

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

maßstäbe als auch ministerielle Weisungen kaum geeignet, die demokratische Legitimation der Entscheidungen der Regulierungsstelle zu erhöhen. Ungeachtet der erforderlichen Weisungsfreiheit wird man aber nicht verlangen können, dass die Unabhängigkeit der Regulierungsstellen so weitgehend sein muss, dass deren Beaufsichtigung durch ministerielle Stellen schlechthin unzulässig wäre. Gegen eine begrenzte staatliche Aufsicht, etwa in Anlehnung an die externe Kontrolle gegenüber öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern, dürften sich keine grundsätzlichen Einwände erheben lassen.920 Indem eine Aufsicht gegenüber der Regulierungsstelle zugelassen wird, können auch verfassungsrechtliche Anforderungen einzelner Mitgliedstaaten an die demokratische Legitimation hoheitlicher Tätigkeit unangetastet bleiben.921 Indessen muss sichergestellt werden, dass die Aufsicht sich lediglich auf finanzielle Aspekte sowie die Unterbindung von Rechtsverletzungen beschränkt und Einflussnahmen, welche die inhaltliche Beurteilung von Publikationen betreffen, unterbleiben.922 Die inhaltliche Überprüfung medienaufsichtsrechtlicher Entscheidungen sollte im Wesentlichen den Gerichten vorbehalten bleiben, deren wirksame Anrufung den der Aufsicht unterliegenden Akteuren ermöglicht werden muss. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit aufsichtsrechtlicher Maßnahmen sollte jedenfalls auf eine nachträgliche Kontrolle beschränkt sein.923 Nimmt man in den Blick, dass der Staat für den Prozess der freien Meinungsbildung als Garant einzustehen hat, so muss es ihm möglich sein, bei offensichtlichen Funktionsstörungen der Regulierungsstelle entsprechende Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. So kann es im Einzelfall sogar notwendig sein, dass die Regierung die Entlassung eines Mitglieds der Regulierungsstelle veranlasst, wenn dieses Mitglied seinerseits die Unabhängigkeit der Medienaufsicht gefährdet.924

920

Auch die Europäische Kommission macht in Art. 30 Abs. 2 S. 3 des Entwurfs zur Änderung der AVMD-RL deutlich, dass sie eine staatliche Beaufsichtigung der Regulierungsstellen nicht völlig ausschließt. Siehe hierzu, Europäische Kommission, COM(2016) 287 final. Vgl. auch Holznagel, S. 227. Dieser weist hinsichtlich des Grads der staatlichen Beaufsichtigung auf Ähnlichkeiten zwischen den Regulierungsstellen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland hin. Tatsächlich sind die Regulierungsstellen in vielen Mitgliedstaaten des Europarats übergeordneten staatlichen Stellen gegenüber verantwortlich. Siehe hierzu, Ministerkomitee des Europarats, Declaration on the independence and functions of regulatory authorities for the broadcasting sector on 26 March 2008, V., Nr. 38. 921 Zu denken wäre hier an das im deutschen Verfassungsrecht diskutierte Verbot ministerialfreier Räume. Vgl. hierzu, Petri / Tinnefeld, MMR 2010, 157, 160 f. 922 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang V., Nr. 26. Vgl. auch § 50 Abs. 2 S. 3 Medienstaatsvertrag für Hamburg und Schleswig-Holstein, welcher programmbezogene Weisungen ausschließt. 923 Ministerkomitee des Europarates, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang V., Nr. 26. 924 Dieses Beispiel nennen das Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 6 f., Ziffer 8.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

321

(3) Regelungen zur personellen Zusammensetzung Ungeachtet einer solchen Ausnahmesituation kommt der Art und Weise der Ernennung und der Entlassung von Mitgliedern der Regulierungsstellen eine wichtige Bedeutung für die Beurteilung von deren Unabhängigkeit zu. Im Falle der Besetzung der Regulierungsstellen durch Regierungen, Staatsoberhäupter oder auch durch Parlamente besteht die Gefahr der Politisierung der Medienaufsicht auch dann, wenn formal eine Weisungsfreiheit geregelt ist.925 Andererseits muss gesehen werden, dass die Mitglieder der Regulierungsstellen mit erheblichen Eingriffsbefugnissen gegenüber Medienanbietern ausgestattet sind. Da sie mithin auch zur Vornahme von Grundrechtseingriffen berechtigt sind, bedürfen sie eines hinreichenden Grads an demokratischer Legitimation, welche ihnen wiederum nur ihrerseits demokratisch legitimierte Staatsorgane vermitteln können. Somit wird es unumgänglich sein, staatliche Organe mit Entscheidungsbefugnissen bei der Auswahl der Mitglieder der Regulierungsstellen auszustatten.926 Auch ist zu berücksichtigen, dass es in den Mitgliedstaaten der EU kein vorherrschendes Verfahren zur Besetzung der Regulierungsstellen gibt.927 Dem liegt ein der Medienregulierung innewohnendes „demokratisches Dilemma“ zugrunde, welches darin zu sehen ist, dass die Medienaufsicht notwendig undemokratisch zusammengesetzt sein muss, um die demokratischen Voraussetzungen in Bezug auf die Informationsvielfalt gewährleisten zu können.928 Dieses Dilemma wird sich durch die Entwicklung europäischer Standards nicht vollständig beseitigen lassen.929 Jedenfalls sind in allen Mitgliedstaaten der EU entweder Regierungen, Staatsoberhäupter oder Parlamente an dem Auswahlprozess entscheidend beteiligt.930 Die Einbindung politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Gruppen oder von Berufsorganisationen in das Auswahlverfahren stellt hingegen eine Ausnahme dar.931 Festhalten lässt sich damit, dass nicht erwartet werden kann, dass die Unabhängigkeit der Regulierungsstellen gegenüber dem Staat bereits dadurch zu erreichen ist, indem eine staatsferne Institution die Berufung der Mitglieder vornimmt. Die Besetzung der Regulierungsstellen erfolgt in der Praxis der Mitgliedstaaten durchweg durch staatliche Organe. Eine direkte Berufung von Mitgliedern durch gesellschaftlich relevante Gruppen wird hingegen, anders als im Falle der Besetzung der 925

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 119. Vgl. in Bezug auf die Beaufsichtigung der öffentlichen Medienanbieter, Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2012)1, Anhang II., Nr. 27. Erst recht die Regulierungsstellen dürften als „public institutions“ in diesen Sinne einzustufen sein. 927 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 223. 928 Cornils, FS Schröder, S. 125, 153. 929 Cornils, FS Schröder, S. 125, 153. 930 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 223 f.; Ministerkomitee des Europarats, Declaration on the independence and functions of regulatory authorities for the broadcasting sector on 26 March 2008, II., Nr. 13. 931 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 223 f. 926

322

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

internen Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Medienanbieter, nicht praktiziert. Dies erscheint angesichts der notwendigen demokratischen Rückbindung bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auch sachgerecht. Wenig überzeugend erscheint es hinsichtlich des Grads der Unabhängigkeit einer Regulierungsstelle danach zu differenzieren, welches staatliche Organ in welcher Weise am Auswahlverfahren beteiligt ist.932 Politische Einflüsse lassen sich gleichermaßen über Parlamentsmehrheiten, Regierungen und Staatsoberhäupter vermitteln. Zudem können solche Einflüsse sehr subtil und damit von außen kaum nachvollziehbar vermittelt werden.933 Daher müssen andere Regelungen als diese über die Auswahlzuständigkeit hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die Unabhängigkeit der Regulierungsstelle normativ abgesichert wird. Erschwert wird die Festlegung verbindlicher Standards hinsichtlich der Besetzung der Regulierungsstellen dadurch, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats und damit auch innerhalb der EU eine große Vielfalt an unterschiedlichen Organisationsmodellen existiert.934 Aufgrund dieser Erkenntnis wird seitens des Europarats auch ausdrücklich keine bestimmte Methode zur Nominierung oder Berufung der Mitglieder der Regulierungsstellen vorgeschlagen.935 Feststellen lässt sich, dass bei einer Vielzahl von Mitgliedstaaten der eigentlichen Auswahlentscheidung eine Nominierungsphase voraus geht. Dabei erfolgt die Nominierung in der Mehrzahl der Fälle wiederum durch staatliche Organe, wohingegen die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen die Ausnahme bildet.936 Eine Zurückdrängung einseitigen parteipolitischen Einflusses kann durch ein vorgeschaltetes Nominierungsverfahren allenfalls dann erzielt werden, wenn hierdurch die Auswahlentscheidung auf eine breitere, konsensuale Basis gestellt werden muss. Die selektive Einbindung bestimmter privater Organisationen im Rahmen des Nominierungsverfahrens kann wiederum mit anderen Problemen verbunden sein. So muss einerseits die Entscheidung, welche private Organisation am Auswahlverfahren zu beteiligen ist, sachlich gerechtfertigt sein. Zum anderen bezieht sich das Erfordernis der Unabhängigkeit der Regulierungsstelle auch auf potentielle Einflüsse durch Privatpersonen, welche möglicherweise über das Nominierungsverfahren in die Regulierungsstelle eingeführt werden können. Insofern kann ein vorgeschaltetes Nominierungsverfahren nicht als zwingendes Merkmal der Unabhängigkeit einer Regulierungsstelle angesehen werden.

932

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 119. Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 6, Ziffer 8. 934 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 17 f., Ziffer 66. 935 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 17 f., Ziffer 66. 936 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 224. 933

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

323

Trotz der unvermeidbaren Beteiligung staatlicher Organe an der Besetzung der Regulierungsstelle wird, unabhängig von der aktuellen und möglicherweise recht einseitigen politischen Zusammensetzung des Parlaments, die gesetzliche Gewährleistung einer dauerhaft politisch pluralen Zusammenstellung der Regulierungsstelle gefordert.937 Jedoch muss gesehen werden, dass ein die demokratische Zusammensetzung des Parlaments völlig missachtendes Verfahren der personellen Besetzung der Regulierungsstelle, ebenso wie die dominierende Einflussnahme seitens einer Regierungspartei, eine Verzerrung des Meinungsbildungsprozesses bewirken und somit zu einem Demokratieproblem werden kann. So setzt eine gleichsam staatlich verordnete Vielfalt wiederum eine staatliche Entscheidung darüber voraus, durch welche politischen Kräfte die erwünschte Vielfalt repräsentiert werden soll. Im Hinblick auf diese Entscheidung wird kaum eine hinreichende Objektivität erwartet werden können. Gleichwohl darf die Zusammensetzung der Medienaufsicht auch im Falle der parlamentarischen Dominanz einer bestimmten Partei nicht derart politisch einseitig erfolgen, dass einer Zementierung der aktuellen politischen Kräfteverhältnisse durch mediale Unterstützung Vorschub geleistet wird. Am sinnvollsten erscheint es, dass die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger bei ihrer Auswahlentscheidung an Auswahlkriterien gebunden werden, welche geeignet sind, politische Erwägungen weitgehend zurückzudrängen. Wichtig erscheint in dieser Hinsicht eine gesetzliche Reglung von Anforderungen an die Mitglieder der Regulierungsstellen, welche deren Unabhängigkeit unterstützen sollen. Geboten erscheint hierbei die Regelung von Unvereinbarkeitsvorschriften, welche an dem Ziel ausgerichtet sein müssen, sowohl politische Einflüsse als auch sonstige Interessenkonflikte zu verhindern.938 Tatsächlich sind die im Rahmen des Auswahlprozesses zu beachtenden Unvereinbarkeitsvorschriften in den Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich ausgestaltet.939 Gleichwohl erscheint es erforderlich, dass sämtliche staatlichen Einflussmöglichkeiten, welche von Regierungen, Staatsoberhäuptern, Parlamenten und Parteien ausgehen können, möglichst weitgehend ausgeschlossen werden. Um dem Merkmal der Unabhängigkeit umfassend Geltung zu verschaffen, muss zudem verhindert werden, dass die mit beaufsichtigenden Befugnissen ausgestatteten Mitglieder der Regulierungsstellen Funktions- oder Interessenträger in Medienunternehmen oder -organisationen sind.940 Auch muss berücksichtigt werden, dass Interessenkonflikte bereits durch Tätigkeiten entstehen können, welche mit der Medienbranche lediglich in einem weiteren Zusammenhang stehen.941 Dies kann z. B. im Hinblick auf die technische

937

OSCE, Analysis of the Hungarian Media Legislation, S. 12. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang V., Nr. 26. 939 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 226. 940 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 4, 2. Spiegelstrich. 941 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 4, 2. Spiegelstrich. 938

324

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Verbreitung audiovisueller Inhalte Tätigkeiten im Bereich des Telekommunikation oder die Ebene der Produktion medialer Inhalte betreffen. Weiterhin kommt in Betracht, besondere fachliche Anforderungen an diejenigen Personen zu richten, welche innerhalb der Regulierungsstelle mit der Überprüfung medialer Einzelinhalte und einer Einschätzung der Vielfältigkeit des medialen Gesamtangebots befasst sind. Mit der Festlegung bestimmter Sachkenntnisse wird die Erwartung verbunden, dass auf diese Weise sachkundige und am Allgemeininteresse orientierte Entscheidungen getroffen werden und unzulässigen Einmischungen selbstbewusst widerstanden wird.942 Rechtlich fixierte Anforderungen an die Mitglieder können somit ein Indikator für deren Unabhängigkeit sein.943 Hierzu müssen indessen objektive Kriterien festgelegt werden, welche zu einer im Interesse einer funktionsgerechten Aufgabenerfüllung bestmöglichen Besetzung der Regulierungsstelle führen.944 Auch das Ministerkomitee des Europarats empfiehlt die Besetzung der Medienaufsicht mit Fachleuten.945 So sollten die Regulierungsstellen über die Fähigkeit verfügen, beurteilen zu können, welche Auswirkungen technische und wirtschaftliche Entwicklungen auf die Medienstruktur und die Möglichkeit der Wahrnehmung der kulturellen Aufgabe der Medien haben können.946 Tatsächlich erscheint die Formulierung bestimmter Anforderungen an die Gremien bzw. Personen, welche mit der inhaltlichen Programm- und Veranstalterauf­ sicht befasst sind, als geeignetes Instrument, um eine an sachlichen Kriterien orientierte Aufsicht sicherzustellen. Im Falle des Verzichts auf solche Anforderungen liegt hingegen der Verdacht nahe, dass die staatlichen Berufungsorgane eine Besetzung vornehmen, welche nach politischen Kriterien oder gar willkürlich erfolgt. Gerade dies gilt es jedoch durch die Einsetzung einer unabhängigen Regulierungsstelle zu verhüten. Dabei können keine europaweit gültigen Maßstäbe hinsichtlich der als notwendig zu erachtenden Sachkunde der Aufsichtsmitglieder aufgestellt werden. Hier sollte dem zuständigen mitgliedstaatlichen Gesetzgeber eine große Gestaltungsbefugnis zukommen. So sollte es der Entscheidungsfreiheit des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers unterfallen, ob und ggf. in welchem Maße er beispielsweise journalistische, juristische, medienwissenschaftliche, pädagogische, politikwissenschaftliche, wirtschaftliche oder informationstechnische Fachkenntnisse in seiner Medienaufsicht vertreten wissen möchte. Es sollte jedoch zumindest erkennbar sein, dass die Auswahl der Medieninhalte beaufsichtigenden Mitglieder sich an dem Ziel orientiert, eine sachkundige und unparteiische Hoheitsrechtsausübung zu gewährleisten. Das alleinige und nicht normativ abgesicherte Vertrauen auf eine funktionsgerechte Auswahl der Mitglieder seitens der zur Auswahl befugten staatliche Organe erscheint jedenfalls als eine nur unzureichende Sicherung 942

Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 120. EMR / Universität Luxemburg, AVMS-RADAR, S.  47. 944 EMR / Universität Luxemburg, AVMS-RADAR, S.  47. 945 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 8. 946 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, I. 5.4. 943

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

325

der Unabhängigkeit der Regulierungsstelle. Der Gesetzgeber sollte das Verfahren zur Ernennung der Mitglieder gesetzlich eindeutig und transparent regeln sowie das Ziel der Unabhängigkeit der Regulierungsstelle deutlich hervorheben.947 Zu diesem Zweck sollte er deutlich machen, welche fachlichen Qualifikationen er von den Mitgliedern der Regulierungsstelle erwartet. Gleichwohl verzichten in der Regulierungspraxis zahlreiche Mitgliedstaaten auf die Regelung konkreter fachlicher Anforderungen. Dies gilt selbst für solche Mitglieder, welche innerhalb der Regulierungsstellen mit der Überwachung von Medieninhalten und der Einschätzung des medialen Gesamtangebots befasst sind.948 Da jedoch unter den regelungsbefugten mitgliedstaatlichen Gesetzgebern keine grundsätzliche Übereinstimmung darüber besteht, dass bestimmte Mitglieder der Regulierungsstellen mit einer besonderen, ihre Unabhängigkeit stärkenden Qualifikation ausgestattet sein müssen, wird die EU hier kaum konkrete eigene Maßstäbe anlegen können. Auch der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der AVMD-RL vom 25.05.2016 macht in seinem Art. 30 keine Vorgaben im Hinblick auf die notwendige fachliche Qualifikation der Mitglieder der unabhängigen Regulierungsstellen.949 Dessen ungeachtet erscheint es geboten, dass das Berufungsverfahren, welches notwendigerweise durch staatliche Organe erfolgen muss, an normative und im Hinblick auf das Unabhängigkeitsziel zweckgerichtete Kriterien geknüpft wird. Anderenfalls ließe sich die Gefahr eines übermäßigen staatlichen Einflusses auf die Regulierung von Medieninhalten kaum wirksam verhindern. Unvereinbarkeits­ regeln sind ein wichtiges Element um offensichtliche Fälle von Interessenkonflikten zu verhüten, wenngleich deren Zweck auch umgangen werden kann. So ist denkbar, dass die Aufgabe von öffentlichen Ämtern und / oder Parteiämtern nur zu dem Zweck erfolgt, den Unvereinbarkeitsvorschriften formal nicht mehr zu unterfallen und um fortan politischen Einfluss in Medienaufsichtsgremien tragen zu können. Daher erscheint es zur Sicherung der Unabhängigkeit der Regulierungsstellen besonders wirkungsvoll, wenn Unvereinbarkeitsregeln um solche ergänzt werden, welche fachliche Anforderungen für die Mitglieder der Medienaufsicht formulieren. Zu denken wäre auch an Fristen, welche nach Wegfall des Unvereinbarkeitsgrunds verstrichen sein müssen, ehe eine Mitgliedschaft in der Regulierungsstelle erfolgen kann. Angesichts der ansonsten zu befürchtenden Politisierung der Medienaufsicht sollten die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber jedenfalls verpflichtet sein, die Anforderungen, welche an die Mitglieder der Regulierungsstellen gerichtet werden, im Vorwege möglichst transparent gesetzlich festzulegen. Dass viele Mitgliedstaaten auf solche Festlegungen verzichten, steht hier ausnahmsweise der Entwicklung 947

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang I., Nr. 1 f. Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 226. 949 Europäische Kommission, COM(2016) 287 final. 948

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

eines strengeren europäischen Maßstabs nicht entgegen. Anderenfalls ließe sich nicht hinreichend verhüten, dass staatliche Akteure ihre möglicherweise politisch tendenziösen Vorstellungen von einem vielfältigen Medienangebot in die Aufsichtstätigkeit einbringen können. Auch die Möglichkeiten staatlicher Organe, Mitglieder der Regulierungsstelle während laufender Amtszeit wieder abzuberufen, sind ein wesentlicher Indikator der Unabhängigkeit der Medienaufsicht. Folglich muss verhindert werden, dass die Abberufung als politisches Druckmittel missbraucht werden kann.950 Hierzu sollten die Gründe, welche zur Abberufung berechtigen, gesetzlich klar geregelt und auf schwerwiegende Fälle beschränkt werden.951 So sollten lediglich die ordnungsgemäß festgestellte Amtsunfähigkeit, der Verstoß gegen Unvereinbarkeitsregeln oder zuvor gesetzlich bestimmte und rechtskräftig verurteilte schwere Verfehlungen zur Abberufung berechtigen.952 Wichtig ist weiterhin die effektive Möglichkeit des abberufenen Mitglieds sich vor einem Gericht gegen die Abberufung zur Wehr setzen zu können.953 Zudem kann eine Pflicht zur Veröffentlichung der Entlassung leitender Mitglieder der Regulierungsstelle ein wichtige Abschreckungswirkung gegenüber ungerechtfertigten politisch motivierten Personalentscheidungen entfalten.954 Gleichwohl wird sich die Veröffentlichungspflicht als dem zuständigen Gesetzgeber vorbehaltene Detailregelung nicht allein aus Art. 2 EUV herleiten lassen. Aus der Perspektive des Art. 2 EUV lassen sich zusammenfassend die folgenden Anforderungen an die Auswahl der Mitglieder der Regulierungsstelle festhalten. Es kann zumindest verlangt werden, dass der zur Rechtsetzung befugte Mitgliedstaat hinreichend transparent macht, nach welchen auf die Qualifikation bezogenen Kriterien die Auswahl der Mitglieder erfolgen soll. Ergänzend sollte der Gefahr politischer Einflussnahmen sowie dieser von Interessenkonflikten, ungeachtet aller Umgehungsmöglichkeiten, durch die Regelung geeigneter Unvereinbarkeitsvorschriften begegnet werden. Weiterhin müssen im Vorwege hinreichend gewichtige und von politischen Erwägungen unabhängige aber gerichtlich effektiv überprüfbare Gründe benannt werden, welche eine Abberufung von Mitgliedern der Regulierungsstelle ermöglichen. (4) Befugnisse der Regulierungsstellen Die Regulierungsstellen können nur dann als unabhängig gelten, wenn sie über die Kompetenz verfügen, festgestellte Verstöße gegen Gesetze und Lizenzauflagen in eigener Verantwortung zu ahnden. Freilich muss bei der Ausübung der Kompe 950

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 6. Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 6 f. 952 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 7. 953 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang II., Nr. 7. 954 Eine solche sieht der Entwurf der Europäischen Kommission zur Änderung der AVMD-RL in Art. 30 Abs. 5 S. 2 vor. Siehe hierzu, Europäische Kommission, COM(2016) 287 final. 951

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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tenzen im Blick behalten werden, dass die staatliche Durchsetzung von Inhaltsvorgaben das Grundrecht der Meinungsfreiheit im Kern berührt und daher strengen Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffs genügen muss.955 Jedoch lässt eine mit hinreichender Unabhängigkeit ausgestattete Regulierungsstelle am ehesten erwarten, dass sie sich bei der mitunter notwendigen Ausübung ihrer Sanktionskompetenzen allein von den Kriterien des Rechts wird leiten lassen. Die Befugnisse der Regulierungsstellen sollten so autonom wahrgenommen werden können, dass deren Entscheidungen lediglich einer gerichtlichen und keiner weiteren staatlichen Kontrolle unterliegen.956 Dass die Regulierungsstellen über angemessene Sanktionsmöglichkeiten verfügen müssen, ergibt sich bereits aus dem Erfordernis, die mit der Medienregulierung verfolgten Ziele wirksam durchsetzen zu können.957 Da die Medienvielfalt ein wesentliches Ziel der Medienregulierung darstellt, welches u. a. durch die Einrichtung einer unabhängigen Regulierungsstelle erreicht werden soll, müssen alle inhaltsbezogenen Maßnahmen, welche sich gegen Medienanbieter richten, auch abschließend durch Personen getroffen werden, welche gegenüber allen möglichen Einflussrichtungen als unabhängig gelten können.958 Es muss also sichergestellt werden, dass die inhaltlichen Auffassungen der unabhängigen Mitglieder der Regulierungsstelle auch im Außenverhältnis zum Bürger wirksam werden und nicht etwa durch übergeordnete und politisierte staatliche Stellen übergangen werden können. Anderenfalls wäre die Unabhängigkeit der Regulierungsstelle ohne praktischen Nutzen für die Adressaten der Medienregulierung. Eine Regulierungsstelle, welche den Zielen der Unabhängigkeit sowie der Medienfreiheit und -vielfalt verpflichtet ist, muss zudem die Gewähr dafür bieten, dass alle regulierten Unternehmen gleich behandelt werden.959 In dieser Hinsicht soll die Unabhängigkeit der Mitglieder der Regulierungsstelle gewährleisten, dass möglichen Einflussversuchen aus dem Bereich der regulierten Unternehmen wirksam widerstanden werden kann. Macht die Regulierungsstelle von den ihr zustehenden Eingriffsbefugnissen kaum Gebrauch, so kann dies auf eine Einflussnahme seitens der regulierten Unternehmen hindeuten.960 Die Abschirmung gegenüber Partikularinteressen und die Verpflichtung auf die am Allgemeinwohl orientierten 955

Cornils, FS Schröder, S. 125, 146. Die Regulierungsstelle muss bei der Ausübung der Kompetenzen selbstverständlich die unter D. II. 2. b) bb) (2) (b) dargestellten Anforderungen an die Notwendigkeit von Eingriffen in Art. 10 EMRK beachten. 956 Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 10. 957 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 122. 958 Die Notwendigkeit eigenständiger Durchsetzungsbefugnisse betonen auch das Ministerkomitee des Europarats und die Europäische Kommission. Siehe hierzu, Europäische Kommission, COM(2016) 287 final, Art. 30 Abs. 4; Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang IV., Nr. 22. A. A. wohl Hans-Bredow-Inststitut u. a., INDIREG-Studie, S. 7, Ziffer 10. In der INDIREG-Studie wird es nicht als notwendige Bedingung der Unabhängigkeit einer Regulierungsstelle angesehen, dass diese befugt ist, Sanktionen im Außenverhältnis zum regulierten Medienanbieter selbst durchzusetzen. 959 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 122. 960 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 123.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Regulierungsziele ist der Grund für die Notwendigkeit der unabhängigen Ausgestaltung der Medienaufsicht. Dieser Zweck kann indessen nur verwirklicht werden, wenn die unabhängige Regulierungsstelle umfassend und abschließend befugt ist, die inhaltlichen Bestimmungen der Medienordnung zu vollziehen und u. U. angemessene Sanktionen gegenüber den regulierten Unternehmen zu verhängen. Weiterhin soll die Unabhängigkeit der Medienaufsicht zugleich sicherstellen, dass von den Eingriffsbefugnissen nur in verhältnismäßiger Weise Gebrauch gemacht wird. (5) Finanzielle Unabhängigkeit Damit die Regulierungsstelle ihre Aufgaben funktionsgerecht ausüben kann, muss sie über hinreichende personelle und finanzielle Mittel verfügen. Dabei stellt die durch den Staat zu gewährleistende Mittelbereitstellung, ebenso wie Falle der Finanzierung öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter, ein mögliches Einfallstor für staatliche Einflussnahmen dar. Daher sind die Mitgliedstaaten gehalten, ein Finanzierungsverfahren gesetzlich zu regeln, welches die finanzielle Unabhängigkeit der Regulierungsstellen ebenso sicherstellt, wie deren vollumfängliche Aufgabenerfüllung.961 Als eine im Hinblick auf mögliche politische Einflussnahmen problematische Finanzierungsform erscheint die Finanzierung aus dem allgemeinen Staatshaushalt.962 Gleichwohl ist diese Finanzierungsform unter den Mitgliedern des Europarats und der EU verbreitet.963 Teilweise wird in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sogar darauf verzichtet, normative Vorkehrungen zu fixieren, welche verhindern sollen, dass im Wege der Finanzierung die Unabhängigkeit der Regulierungsstelle untergraben werden kann.964 Um Transparenz und eine eigenverantwortliche Mittelverwendung zu gewährleisten, schlägt die Europäische Kommission die Führung eines jährlich auszuweisenden gesonderten Haushaltsplans für die unabhängige Regulierungsstelle vor.965 Andererseits muss gesehen werden, dass selbst die Finanzierung der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter aus Mitteln des allgemeinen Staatshaushalts in Europa Verbreitung gefunden hat.966 Wichtig erscheint, dass die Regulierungsstelle sich in das Verfahren, welches ihre finanzielle Ausstattung regelt, aktiv einbringen kann. Es wird, ebenso wie bei der Finanzierung der öffentlichen 961

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang III., Nr. 9. Vgl. Holznagel, S. 225. Dieser weist darauf hin, dass diese in Frankreich praktizierte Finanzierungsform seitens des Conseil constitutionnel nicht beanstandet wurde. 963 Ministerkomitee des Europarats, Declaration on the independence and functions of regulatory authorities for the broadcasting sector on 26 March 2008, III., Nr. 20, Satz 2. 964 Ministerkomitee des Europarats, Declaration on the independence and functions of regulatory authorities for the broadcasting sector on 26 March 2008, III., Nr. 20, Satz 3. 965 Europäische Kommission, COM(2016) 287 final, Art. 30 Abs. 6 S. 1. 966 Holznagel, S. 218. 962

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Medienorganisationen, nicht zu fordern sein, dass die mit Finanzmitteln auszustattende Einrichtung ihren Finanzbedarf völlig selbstbestimmt festlegen darf. Die Regulierungsstelle sollte ihren Finanzbedarf jedoch gerade dann, wenn die Finanzierung aus dem Staatshaushalt erfolgt, plausibel darzulegen berechtigt sein. Sofern beabsichtigt ist, den geltend gemachten Finanzbedarf zu unterschreiten, so sollte die abweichende Entscheidung für die gewährende staatliche Stelle rechtfertigungsbedürftig und im Konfliktfall auch gerichtlich überprüfbar sein. Unerlässlich ist, dass das Konzept der Finanzierung gesetzlich klar geregelt ist, sodass normative Kriterien sichtbar gemacht werden, welche keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass allein die funktionsadäquate Finanzausstattung der Regulierungsstelle das maßgebliche Entscheidungskriterium darstellt.967 Im Hinblick auf die zu wahrende Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Einflüssen erscheint auch die Möglichkeit der Finanzierung aus eigenen Einnahmen besonders zielführend. Folglich entspricht diese Art der Einnahmeerzielung auch einer verbreiteten Praxis europäischer Staaten.968 Die eigenen Einnahmen könnten beispielsweise aus Abgaben, welche von den einer Lizenzaufsicht unterliegenden Medienanbietern zu entrichten sind, erzielt werden. Die Bestimmung der Abgabenhöhe sollte zumindest im ersten Zugriff weitgehend unabhängig durch die Regulierungsstellen selbst erfolgen. So könnte diesen diesbezüglich eine Satzungsautonomie zuerkannt werden.969 Zudem ist es denkbar, den Regulierungsstellen Anteile aus den von den Bürgern aufzubringenden Rundfunkabgaben zukommen zu lassen.970 Angesichts der in der Praxis der Mitgliedstaaten anzutreffenden Differenzen in der Ausgestaltung der Finanzierungsverfahren wird sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV indessen nicht einmal ein Verbot der vollständigen Finanzierung aus dem allgemein Staatshaushalt fordern lassen. Jedoch kann verlangt werden, dass in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ein Finanzierungsverfahren geregelt wird, welches eindeutig erkennen lässt, dass die Wahrung der Unabhängigkeit der Regulierungsstelle ein wesentliches Ziel desselben darstellt. c) Einführung von Maßnahmen der Ko- und Selbstregulierung Der Einfluss des Staates, welcher über die inhaltliche Aufsicht der Medien vermittelt werden kann, könnte reduziert werden, indem die Überprüfung der Einhaltung von inhaltlichen Standards zumindest teilweise durch die Adressaten der

967

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Rec(2000)23, Anhang III., Nr. 9. Ministerkomitee des Europarats, Declaration on the independence and functions of regulatory authorities for the broadcasting sector on 26 March 2008, III., Nr. 20, Satz 1. 969 Vgl. etwa § 48 Abs. 2 S. 2 Medienstaatsvertrag für Hamburg und Schleswig-Holstein. 970 Eine Finanzierung der Medienanstalt aus Gebühren, Auslagen, Abgaben und Anteilen aus den Rundfunkbeiträgen sieht § 48 Abs. 1 des Medienstaatsvertrags für Hamburg und Schleswig-Holstein vor. 968

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Regulierung selbst erfolgt. In dieser Hinsicht ist zwischen der Selbst- und der Koregulierung zu unterscheiden. Unter Selbstregulierung ist der völlige Verzicht auf staatliche Regulierung zu verstehen. In Bereichen, welche der Selbstregulierung unterliegen, wird davon ausgegangen, dass sich die zu erreichenden Steuerungsziele durch gesellschaftliche Prozesse von selbst einstellen werden.971 Das alleinige Vertrauen in die Selbstregulierung hat sich traditionell im Bereich der herkömmlichen Presse etabliert.972 Ebenso ist die Selbstregulierung im Bereich der presseähnlichen Online-Medien verbreitet.973 Berücksichtigt man, dass der Staat jedenfalls im Bereich der audiovisuellen Medien als Garant für die Medienvielfalt einzutreten und zu ihrer Verwirklichung positive Maßnahmen zu ergreifen hat, so wird deutlich, dass es im Hinblick auf diese Medienart nicht ausreichen kann, lediglich auf die Selbststeuerung der Branche zu vertrauen. Fraglich ist indessen, inwieweit die Mitgliedstaaten verpflichtet sein könnten im audiovisuellen Bereich Koregulierungsmaßnahmen zu etablieren. Der Begriff der Koregulierung bezeichnet eine Mischform aus Selbstregulierung und einer imperativen Regulierung.974 Die imperative Regulierung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat selbst Ge- und Verbote festlegt und deren Einhaltung überwacht.975 Im Falle der Koregulierung wird eine Verbindung zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Regulierung hergestellt.976 Die konkrete Ausgestaltung dieser Verbindung kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Denkbar ist, dass nichtstaatliche Verhaltenskodizes in staatliches Recht eingebunden werden oder dass nichtstaatliche Organisationen dazu ermächtigt werden, gesetzliche Regelungen zu überwachen.977 Ebenso können Medienanbieter durch Hoheitsakte dazu verpflichtet werden, an Maßnahmen zur Selbstregulierung teilzunehmen und / oder nichtstaatliche Verhaltensvorschriften zu beachten.978 Ein wesentliches Merkmal der Koregulierung ist weiterhin dieses, dass der Staat den nichtstaatlichen Regulierungsstellen einen Entscheidungsfreiraum belässt.979 Werden indessen die Grenzen des Entscheidungsfreiraums überschritten, so lebt die Regulierungsverantwortung des Staates wieder auf. Ihm obliegt, trotz der Einbindung privater Regulierungsstellen, als übergeordneter Regulierer weiterhin die Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich der Erfüllung der Regulierungsziele.980 971

Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, Modul A, S. 3. Hans-Bredow-Institut / EMR, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 133. 973 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 43. 974 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, Modul A, S. 2 f. 975 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, Modul A, S. 3. 976 Hans-Bredow-Institut / EMR, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 39. 977 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 40 f. 978 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 41. 979 Hans-Bredow-Institut / EMR, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 39. 980 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 41; Hans-Bredow-Institut / EMR, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 39. 972

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Die Möglichkeiten der Koregulierung werden von der AVMD-RL in Art. 4 Abs. 7 aufgegriffen. In Art. 4 Abs. 7 S. 1 heißt es, dass die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Richtlinie und auf nationaler Ebene Regelungen zur Ko- und / oder Selbstregulierung fördern, soweit ihr Rechtssystem dies zulässt. Art. 4 Abs. 7 AVMD-RL nimmt dabei Bezug auf Art. 4 Abs. 6, welcher den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, mit geeigneten Mitteln dafür zu sorgen, dass Mediendiensteanbieter die Bestimmungen der Richtlinie auch tatsächlich einhalten. Art. 4 Abs. 7 S. 1 AVMD-RL macht dabei deutlich, dass der Unionsgesetzgeber Ko- und Selbstregulierungsinstrumente grundsätzlich als geeignete Mittel i. S. d. Absatzes 6 ansieht. Art. 4 Abs. 7 S. 2 AVMD-RL bringt indessen zum Ausdruck, dass die Mitgliedstaaten ihre Verantwortung für die tatsächliche Einhaltung der Richtlinie nicht durch den Verweis auf installierte Ko- und Selbstregulierungsmaßnahmen abstreifen können. So muss sichergestellt sein, dass nichtstaatliche Verhaltensregeln durch die Hauptbeteiligten allgemein anerkannt werden und dass deren wirksame Durchsetzung gewährleistet ist. Erwägungsgrund 44 der AVMD-RL stellt klar, dass Art. 4 Abs. 7 S. 1 keine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Etablierung von Ko- oder Selbstregulierungsmaßnahmen enthält. Vielmehr soll den Mitgliedstaaten der üb­liche Spielraum bei der Umsetzung einer Richtlinie verbleiben.981 Dieser Spielraum ist nicht überschritten, wenn ein Mitgliedstaat die begründete Auffassung vertritt, dass in einem bestimmten Bereich statt einer Koregulierung die klassische Regulierung zur Erreichung der Regulierungsziele geeigneter erscheint.982 Auch der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der AVMD-RL vom 25.05.2016 enthält keine formale Verpflichtung zur Einführung von Verfahren der Ko- oder Selbstregulierung. Weiterhin sollen die Mitgliedstaaten solche Maßnahmen lediglich fördern.983 Darüber hinaus soll die Einführung von Ko- und Selbstregulierungsmaßnahmen auch künftig unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit nach dem jeweiligen Rechtssystem der Mitgliedstaaten stehen.984 Damit lässt sich festhalten, dass das europäische Sekundärrecht keine Verpflichtung begründet, Koregulierungsmaßnahmen einzuführen. Der Spielraum bei der Umsetzung der AVMD-RL wird weiterhin lediglich dahingehend begrenzt sein, dass die Regelungen wirksam umgesetzt werden müssen. Im Hinblick auf das zu wählende Regulierungsmodell wird indessen weitgehend auf die Vorgaben des mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts Rücksicht genommen. Auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV ergibt sich keine Verpflichtung Koregulierungsmaßnahmen zu ergreifen. Zwar gilt es eine staatliche Einflussnahme auf die inhaltliche Regulierung der Medien zu verhüten. Dies ist ein Erfordernis der Sicherung der Medienvielfalt. Jedoch kann der staatliche Einfluss auf Medien 981

Schulz, Zum Vorschlag für eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, S. 16. Schulz, Zum Vorschlag für eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, S. 16. 983 Europäische Kommission, COM(2016) 287 final, Art. 4 Abs. 7 S. 1, Art. 6a Abs. 2, Art. 9 Abs. 2. 984 Europäische Kommission, COM(2016) 287 final, Art. 4 Abs. 7 S. 1. 982

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

inhalte auch dadurch gering gehalten werden, dass die Regulierungsstellen mit hinreichender Unabhängigkeit ausgestattet werden. Die mit der Koregulierung ebenfalls angestrebte Nutzung der Sachnähe der regulierten Brache ist zwar durchaus ein wichtiges Anliegen. Dieses kann jedoch auch dadurch gefördert werden, dass die Besetzung der staatlichen Regulierungsstelle durch hinreichend qualifizierte und erfahrene Personen erfolgt. Andererseits muss ebenso darauf Bedacht genommen werden, dass die Mitglieder der Regulierungsstelle gegenüber den zu regulierenden Unternehmen unabhängig müssen. Sofern aber eine in jede Richtung unabhängige und zugleich qualifizierte Besetzung der Regulierungsstelle gelingt, kann zugleich das mit der Koregulierung angestrebte Ziel der Akzeptanz medienaufsichtsrechtlicher Entscheidungen befördert werden. Das Erfordernis der Etablierung einer unabhängigen Regulierungsstelle ergibt sich bereits aus der Garantenstellung des Staates im Hinblick auf eine vielfältige audiovisuelle Medienlandschaft. Maßnahmen der Koregulierung können die Tätigkeit einer unabhängigen Regulierungsstelle lediglich sinnvoll ergänzen. Es kann nicht unterstellt werden, dass eine alleinige imperative Medienregulierung, welche durch eine unabhängige aber mit Hoheitsrechten ausgestattete Regulierungsstelle durchgeführt wird, stets eine ungebührliche inhaltliche Einflussnahme des Staates und damit Defizite in der Sicherung der Medienvielfalt mit sich bringen wird. Mithin kann auch die nicht um Elemente der Koregulierung ergänzte Medienaufsicht durch eine hinreichend unabhängig ausgestaltete hoheitliche Regulierungsstelle in der Lage sein, die Ziele der Medienvielfaltsicherung i. S. d. Art. 2 EUV ausreichend zu verwirklichen. d) Förderung privater Medienanbieter aa) Der Konflikt zwischen Vielfaltverantwortung und Neutralitätspflicht Die staatlich veranlasste finanzielle Unterstützung privater Medienanbieter ist ein weiteres Instrument, mit welchem politischer Einfluss auf Medieninhalte ausgeübt werden kann. Die Erscheinungsformen staatlich gesteuerter Begünstigungen können vielfältig sein. Neben der direkten Zuweisung von Finanzmitteln kommen auch Belastungsverschonungen als Förderinstrumente in Betracht.985 Ebenso kann eine Förderung dadurch erfolgen, dass der Staat als Werbekunde in Erscheinung tritt oder nicht marktgerechte Preise für amtliche Bekanntmachungen zahlt.986 In den kleinen Medienmärkten verschiedener Staaten Ost- und Südosteuropas ist der Staat regelmäßig der größte Werbekunde.987 In jüngerer Vergangenheit stand der Vorwurf zur Überprüfung der Venedig-Kommission des Europarats, die ungarische 985

Martini, EuZW 2015, 821, 822 f. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 187, Martini, EuZW 2015, 821, 822 f. 987 Hamann, AfP 2017, 208, 211 (Bericht über einen Vortrag Gábor Polyáks). 986

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Regierung würde Werbeaufträge nach politischen Kriterien vergeben und auf diese Weise die wirtschaftliche Existenz regierungskritischer Medien systematisch gefährden.988 Jedoch kann die Vergabe von Werbeaufträgen nach politischen Kriterien nicht als spezifisch ungarisches Problem angesehen werden.989 Dass der Staat in seiner Eigenschaft als bedeutender Werbekunde politischen Druck auf Redaktionen erzeugen könnte, wird z. B. auch in Bezug auf die bulgarische Medienlandschaft befürchtet.990 Ungeachtet dieser Problematik muss ebenso gesehen werden, dass die finanzielle Förderung privater Anbieter auch dazu beitragen kann, dem angenommenen Marktversagen im Hinblick auf die Erreichung des Ziels der Medienvielfalt entgegenzuwirken. So regt das Ministerkomitee des Europarats sogar dazu an, Fördermaßnahmen für Hersteller und Verbreiter aller Arten von Medien in Betracht zu ziehen, sofern die Inhalte einen wertvollen Beitrag zur Medienvielfalt leisten.991 Der EGMR betrachtet den Wegfall bisher gewährter Pressesubventionen u. U. sogar als rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in Art. 10 EMRK.992 Die finanzielle Förderung privater Medien wird von der überwiegenden Anzahl der Mitgliedstaaten der EU auch tatsächlich praktiziert.993 Es werden in einigen Mitgliedstaaten auch Bestrebungen verfolgt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu privatisieren.994 Ebenso werden in einigen Mitgliedstaaten alternative Wege des Einsatzes öffentlicher Mittel erprobt. So kommt in Betracht, auch solche privaten Medienanbieter, welche grundsätzlich eine kommerzielle Zweckrichtung verfolgen, an der öffentlichen Finanzierung des Rundfunksystems teilhaben zu lassen und diese dann im Gegenzug zur Verbreitung bestimmter und nicht über den Markt finanzierbarer Inhalte zu verpflichten.995 Solche Bestrebungen vermögen indessen an der Garantenstellung des Staates im Hinblick auf die Gewährleistung eines vielfältigen audiovisuellen Medienangebots ebenso wenig etwas zu ändern, wie an der Unfähigkeit des Marktes, ein hinreichend vielfältiges Angebot sicherzustellen. Deshalb muss die Erfüllung der Vielfaltverantwortung des Staates auch dann genau in den Blick genommen werden, wenn private, im Übrigen aber gewinnorientierte, Anbieter mit der Verbreitung öffentlich finanzierter Inhalte beauftragt werden. So

988 Vgl. Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no.  798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 23, Ziffer 91. 989 Hamann, AfP 2017, 208, 211 (Bericht über einen Vortrag Gábor Polyáks); Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 23, Ziffer 93. 990 Smilova / Smilov / Ganev, S. 39. 991 Ministerkomitee des Europarates, Empfehlung CM / Rec(2007)2, III. 2. 992 EGMR, Urt. v. 01.12.2005, Nr. 74766/01, EN DROIT, 1. (Prüfung des Art. 10 EMRK), 3. (Würdigung durch den Gerichtshof), a) (Verites Sante Pratique / Frankreich); Meyer-Ladewig / Nettesheim / von Raumer-Daibler, Art. 10, Rn. 24. 993 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 192. Im Hinblick auf Pressesubventionen, siehe Martini, EuZW 2015, 821, 822. 994 Hochrangige Gruppe zur Freiheit und Vielfalt der Medien, S. 46. 995 Vgl. Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2012)1, Anhang I., Nr. 4 und 10.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

birgt die Vergabe öffentlicher Mittel an private Anbieter stets die Gefahr der sachlich ungerechtfertigten selektiven Auswahl der begünstigten Unternehmen. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn die vergebende Stelle in die hierarchisch strukturierte Staatsverwaltung integriert ist. bb) Wettbewerbsrechtliche Dimension (1) Audiovisuelle Medien Finanzielle Förderungen bestimmter Medienunternehmen können mit dem europäischen Wettbewerbsrecht in Konflikt geraten und bereits aus dieser Perspektive gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV unzulässig sein. Indessen muss die Förderung bestimmter Medieninhalte dem europäischen Recht nicht stets widersprechen, sondern wird vielmehr auch im Rechtsraum der EU praktiziert. So werden beispielsweise in den Artikeln 13, 16 und 17 der AVMD-RL mit kultureller Zielrichtung Regelungen zur Förderung europäischer audiovisueller Werke getroffen. Die nahe liegende Annahme, dass eine zwar privat finanzierte aber zwingend durch staatliche Rechtsvorschriften vorgesehene finanzielle Förderung der nationalen und europäischen Filmindustrie eine Beihilfe darstellen könnte, hat der EuGH zurückgewiesen.996 Auch wird die Förderung der nationalen Filmindustrie als mit den Grundfreiheiten vereinbar angesehen, wenn damit in verhältnismäßiger Weise das unionsrechtlich anerkannte Allgemeininteresse der Förderung der mitgliedstaatlichen Amtssprachen erreicht werden soll.997 Sofern hingegen nur europäische Werke begünstigt werden, ist bereits keine Einschränkung der Grundfreiheiten ersichtlich.998 Anders als die unionsrechtlich vorgegebene Förderung europäischer Werke unterliegt die öffentliche Förderung mitgliedstaatlicher Medienanbieter einer besonderen beihilferechtlichen Rechtfertigungspflicht. Die Anforderungen hieran hat die den Wettbewerb beaufsichtigende Europäische Kommission in einer Mitteilung konkretisiert.999 Diese Mitteilung nimmt Bezug auf den Regelfall der Förderung öffentlich-rechtlich organisierter Medienanbieter. Nicht behandelt wird die Konstellation, dass private Medienanbieter öffentliche Mittel erhalten, um unter Marktbedingungen nicht finanzierbare, gemeinwohlorientierte Inhalte verbreiten zu können. Einzelne, die jeweiligen Mitgliedstaaten betreffende Entscheidungen zur Vereinbarkeit der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Beihilferecht beziehen sich ausschließlich auf den Fall der alleinigen Mittelgewährung

996

EuGH, Urt. v. 05.03.2009, Rs C-222/07, ECLI:EU:C:2009:124, Rn. 41 ff. (UTECA). Dabei hätte hinsichtlich der Zurechenbarkeit der Förderung zum Staat ein Vergleich mit der Gebührenbzw. Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchaus nahe gelegen. 997 EuGH, Urt. v. 05.03.2009, Rs C-222/07, ECLI:EU:C:2009:124, Rn. 27, 36 (UTECA). 998 EuGH, Urt. v. 05.03.2009, Rs C-222/07, ECLI:EU:C:2009:124, Rn. 22 (UTECA). 999 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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zugunsten öffentlich-rechtlich organisierter Medienanbieter.1000 Sofern öffentliche Fördermittel auch für private Rundfunkanbieter als Ausgleichsleistungen für diesen auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen eingesetzt werden, macht dieser Sachverhalt ein gesondertes Verfahren nach Art. 108 AEUV erforderlich.1001 In materieller Hinsicht dürfen neuartige Finanzierungsformen gemeinwohlorientierter audiovisueller Inhalte nicht zu einer Verfälschung des Wettbewerbs und zu einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV führen. Ob im Falle der finanziellen Förderung privater Rundfunkveranstalter die vom EuGH entwickelten strengen sog. Altmark-Trans-Kriterien, welche das tatbestandliche Vorliegen einer Beihilfe ausschließen, erfüllt werden können, erscheint überaus problematisch.1002 Denkbar wäre eine Binnenmarktvereinbarkeit nach Art. 107 Abs. 3 d) AEUV aufgrund einer Qualifizierung als eine Beihilfe zur Förderung der Kultur. Die Europäische Kommission bezieht den Begriff der Kultur i. S. d. Art. 107 Abs. 3 d) AEUV jedoch auf Kulturgüter, welche eindeutig identifiziert oder identifizierbar sind. bzw. auf einzelne kulturelle Projekte.1003 Zudem grenzt die Europäische Kommission bildungsbezogene und demokratische Bedürfnisse, welche zwar zweifellos vom Begriff der zu gewährleistenden Medienvielfalt umfasst sind, vom insofern engeren Begriff der Kultur ab.1004 Auch gilt es zu verhüten, dass durch einen weiten Kulturbegriff der Wirkungsbereich des europäischen Beihilferechts übermäßig eingeengt wird.1005 Soll ein Beitrag zur Medienvielfalt dauerhaft und umfassend von privaten Medienanbietern geleistet werden, so kann die hierzu erforderliche finanzielle Förderung aus öffentlichen Mitteln zumindest nicht vollständig dem Art. 107 Abs. 3 d) AEUV unterfallen, denn die inhaltliche Vielfalt der Medien umfasst auch Aspekte, welche über die Förderung der Kultur i. S. d. zuvor beschriebenen beihilferechtlichen Begriffsverständnisses hinausgehen. Damit käme, wie im Falle der Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in erster Linie eine Rechtfertigung der öffentlichen Förderung über Art. 106 Abs. 2 AEUV in Betracht. Werden staatliche Beihilfen als Ausgleichsleitung für die Erfüllung eines öffentlich-rechtlichen Programmauftrags gewährt, so ist regelmäßig Art. 106 Abs. 2 AEUV der zutreffende Prüfungsmaßstab.1006 Dies dürfte auch dann Geltung beanspruchen, wenn private, im Wesentlichen aber auf Gewinnerzielung ausgerichtete, Veranstalter punktuell einen öffentlich-rechtlichen Programmauftrag zu erfüllen haben. 1000 Vgl. in Bezug auf die Beihilfekonformität der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, Martini, EuZW 2015, 821, 826 f. 1001 Martini, EuZW 2015, 821, 826 f. 1002 Zu den sog. Altmark-Trans-Kriterien, siehe EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00, ECLI: EU:C:2003:415, Rn. 88 ff. (Altmark Trans). 1003 Europäische Kommission, ABl. EU 2013, C 332/1, Rn. 52.1.; Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 34. 1004 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 34. 1005 Martini, EuZW 2015, 821, 823. 1006 Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 35.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Sollen private Rundfunkveranstalter mit der Verbreitung gemeinwohlorientierter und Vielfalt fördernder Inhalte beauftragt werden, so bereitet bereits die Definition des Auftrags unter dem Gesichtspunkt des zu verhütenden staatlichen Programmeinflusses Probleme. Grundsätzlich hat die Europäische Kommission deutlich gemacht, dass sie eine möglichst genaue Definition des Auftrags verlangt, damit die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 106 Abs. 2 AEUV überprüft werden kann.1007 Im Falle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat sich die Europäische Kommission aufgrund der zu wahrenden redaktionellen Unabhängigkeit der Rundfunkanstalten ausnahmsweise damit begnügt, dass die Anforderungen an den zu erfüllenden gemeinwirtschaftlichen Auftrag sehr allgemein gehalten werden.1008 Die besonders ausgestaltete binnenplurale Struktur öffentlicher Medienanbieter rechtfertigt es, diesen eine weitreichende Programmautonomie zuzubilligen. Die Erwartung, dass bereits die vielfältige Zusammensetzung der öffentlichen Medienanbieter einen wichtigen Beitrag dazu leisten wird, dass sich ein ebenso vielfältiges audiovisuelles Angebot einstellen wird, erscheint zumindest nicht unbegründet. Werden hingegen private Unternehmen damit beauftragt, ein bestimmtes gemeinwohlorientiertes Medienangebot zu verbreiten, so wird dieses möglichst genau beschrieben werden müssen. Dieses Erfordernis ergibt sich einerseits daraus, dass aus unionsrechtlicher Sicht eine wettbewerbswidrige Überkompensation privater Unternehmen verhindert werden muss. Zum anderen muss auch der Mitgliedstaat hinreichend sicherstellen, dass das beauftragte Unternehmen tatsächlich einen wichtigen Beitrag zu einem vielfältigen Medienangebot leistet. Er kann, anders als bei binnenplural zusammengesetzten und auf gesetzlicher Grundlage agierenden öffentlichen Medienanbietern, nicht hinreichend darauf vertrauen, dass die Vorgabe eines vage formulierten Auftrags auch tatsächlich ein vielfältiges mediales Angebot zum Ergebnis haben wird. Der Konflikt zwischen dem europäischen Beihilferecht und der durch die Mitgliedstaaten zu gewährleistenden Unabhängigkeit der öffentlichen Medienanbieter lässt sich nur dadurch auflösen, dass die Europäische Kommission auf eine eigene konkrete Inhaltskontrolle verzichtet und es genügen lässt, dass lediglich Umfang und Ziele des Auftrags in qualitativer Hinsicht durch die Mitgliedstaaten festgelegt und überprüft werden. Dieser sowohl für die europäische als auch für die mitgliedstaatliche Seite akzeptable Kompromiss wird sich im Falle der Beauftragung und Finanzierung privater Rundfunkanbieter nur schwer mit gleichem Erfolg erzielen lassen. Denkbar wäre zwar, dass die Europäische Kommission auch im Falle der öffentlichen Beauftragung privater und im Wesentlichen kommerziell agierender Medienanbieter eine allgemein gehaltene und nur qualitative Ziele vorgebende Auftragsdefinition ausreichen lässt. So käme in Betracht, dass auch mit bestimmten gemeinwohlorientierten Übertragungspflichten versehene private Anbieter, unabhängig von ihrer Organisationsform und übrigen Zweckbestimmung, insoweit als 1007

Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 45 f. Europäische Kommission, ABl. EU 2009, C 257/1, Rn. 47.

1008

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öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Sinne des Amsterdamer Rundfunkprotokolls anzusehen sind. Schwerer auflösbar erscheint indessen der Konflikt zwischen der Verpflichtung des Staates, für ein vielfältiges audiovisuelles Angebot Sorge tragen zu müssen und der ebenfalls zu wahrenden inhaltlichen Neutralität bezüglich der medialen Inhalte. So kann der Staat seiner Verpflichtung zur Vielfaltsicherung nicht allein dadurch gerecht werden, indem er privaten Medienanbietern öffentliche Mittel zukommen lässt, aber an diese nur vage gehaltene Verpflichtungen adressiert. Wird der Staat hingegen bei der Formulierung der inhaltlichen Anforderungen des öffentlich-rechtlichen Auftrags konkreter, so wird sich damit zwangsläufig auch ein staatlicher Einfluss auf die medialen Inhalte entfalten. Der staatliche Einfluss könnte allenfalls dadurch reduziert werden, dass unabhängige Regulierungsstellen Ausschreibungsverfahren für zuvor definierte und öffentlich zu finanzierende mediale Inhalte durchführen. Private Medienanbieter könnten sich mithin um die öffentlich-rechtliche Beauftragung zur Verbreitung der ausgeschriebenen Inhalte bewerben. Ergänzt werden sollte dieses Verfahren um eine regelmäßige unabhängige Kontrolle im Hinblick auf die Erfüllung des Auftrags und seine Definition.1009 Zweckmäßig erscheint auch eine Befristung der Beauftragung. Jedoch muss gesehen werden, dass für die unabhängige Steuerung bzw. Kontrolle der Mittelgewährleistungen insbesondere diese unabhängigen Regulierungsstellen in Betracht kommen, welche auch Aufgaben der inhaltlichen Medienaufsicht bezüglich privater Medienanbieter wahrnehmen. Solche mit Hoheitsrechten auszustattenden Stellen müssen notwendigerweise auf der Grundlage von Entscheidungen demokratisch legitimierter Staatsvertreter zusammengestellt werden. Zudem hätten die weiteren Befugnisse der Regulierungsstelle in Bezug auf die öffentlich-rechtliche Programmbeauftragung eine erhebliche Machtfülle derselben zur Folge. Die inhaltliche Einflussmöglichkeit der Regulierungsstelle auf weite Bereiche der audiovisuellen Medien wäre mit Blick auf die zu gewährleistende Medienvielfalt überaus problematisch, wenn es nicht gelänge, deren Unabhängigkeit dauerhaft strukturell abzusichern. Die Ausgestaltung der Unabhängigkeit der Regulierungsstelle ist jedoch bereits für sich genommen eine erhebliche regulatorische Herausforderung.1010 Angesichts dessen erscheint die öffentliche Finanzierung binnenplural organisierter öffentlicher Medienanbieter weiterhin als ein sinnvolles Instrument, um den Konflikt zwischen staatlicher Gewährleistungsverpflichtung und der Verhütung staatlicher Programmeinflussnahmen zu bewältigen. Andererseits ist zuzugeben, dass auch über die Auswahl der Personen und Organisationen, welche die vielfältige Zusammensetzung öffentlicher Medienanbieter ausmachen sollen, staatlicher Einfluss vermittelt werden kann. Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass der organisatorische Rahmen der öffentlich zu beauftragenden und zu finanzierenden Medien sich nicht völlig staatsfrei wird gestalten

1009

Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, II. 4.2. Vertiefend zu dieser Problematik, D. II. 4. b) bb).

1010

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

lassen. Dies liegt bereits darin begründet, dass der Staat ein vielfältiges Medienangebot u. U. durch aktives Handeln zu gewährleisten hat. Alternative Modelle der öffentlichen Finanzierung Vielfalt sichernder Inhalte können vor dem Hintergrund der Gewährleistungsaufgabe des Staates nicht schlechthin als unzulässig betrachtet werden. Jedoch bedarf der öffentliche Mitteleinsatz zugunsten privater Anbieter sowohl in Bezug auf das europäische Wettbewerbsrecht als auch hinsichtlich der Vielfaltsicherungsaufgabe einer besonderen Rechtfertigung. Dies gilt in besonderem Maße für die alternativen Finanzierungsmodelle, da diese sich, anders als Modelle, welche die Finanzierung ausschließlich gemeinwohlorientierter Anbieter vorsehen, bisher in Europa noch nicht hinreichend erfolgreich etablieren konnten. Insofern bleibt es abzuwarten, ob sich die grundsätzlich zulässigen alternativen Finanzierungsformen künftig im Hinblick auf die zu beachtende Wettbewerbskonformität und die zu erreichenden Vielfaltziele bewähren werden. (2) Presse und presseähnliche Online-Angebote Eine europäische wettbewerbsrechtliche Dimension kann die Förderung der Presse nur dann entfalten, wenn die Voraussetzung der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt sein kann. Die Beeinträchtigung des Handels kann nicht schon deshalb in Frage gestellt werden, da Pressemärkte aufgrund kultureller und sprachlicher Unterschiede national stark abgegrenzt sind.1011 Jedoch ist gerade bei solchen Presseprodukten, welche lediglich einen regionalen Bezug aufweisen, die europäische wettbewerbsrechtliche Relevanz fraglich.1012 Verbreitet wird indessen angenommen, dass Subventionen zumindest auf dem Werbemarkt die wirtschaftliche Position nationaler Pressunternehmen in einer Weise stärken können, dass u. U. von einer Beeinträchtigung des Handels innerhalb der EU ausgegangen werden kann.1013 Sofern das Volumen der Beihilfe den in Art. 3 Abs. 2 S. 1 der VO (EU) Nr. 1407/2013 genannten Betrag (200.000 Euro in drei Steuerjahren) übersteigt, wird regelmäßig eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV an-

1011

Gersdorf / Paal-Gundel, Art. 107 AEUV, Rn. 29 (17. Edition, Stand: 01.08.2017). Gersdorf / Paal-Gundel, Art. 107 AEUV, Rn. 30 (17. Edition, Stand: 01.08.2017). Vgl. hierzu auch Schüll, S. 138. Dieser sieht im Falle des Handels mit regionalen und lokalen Pressprodukten keinen grenzüberschreitenden Bezug, sodass auch die Möglichkeit der Beeinträchtigung des Binnenmarkts nicht in Betracht kommen kann. 1013 Gersdorf / Paal-Gundel, Art. 107 AEUV, Rn. 30 (17. Edition, Stand: 01.08.2017); Martini, EuZW 2015, 821, 823. Vgl. auch Helwig, S. 230 ff. Letzterer befürwortet sogar in Bezug auf regionale und lokale Presseprodukte eine Binnenmarktharmonisierung und nimmt dabei auf die Rechtsprechung des EuGH zum unionsweit gültigen Tabakwerbeverbot in Presseprodukten Bezug. Siehe hierzu, EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 53 f., 58 (Tabakwerbung II). 1012

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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zunehmen sein.1014 Dass die Förderung der Presse unionsrechtliche Relevanz haben kann, wird auch anhand der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission deutlich. So wurden durch diese bereits gesetzliche Regelungen einzelner Mitgliedstaaten, welche eine Subventionierung der Presse zum Gegenstand hatten, als mit dem Beihilferecht für unvereinbar erklärt.1015 Eine Rechtfertigung der Beihilfegewährung über Art. 106 Abs. 2 AEUV kommt, anders als im Falle der öffentlichen Finanzierung des Rundfunks, nicht in Betracht, da Presseunternehmen nicht formal mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind.1016 Eine solche Betrauung ließe sich angesichts der in Europa vorherrschenden Überzeugung, dass sich im Bereich der Presse ein hinreichend vielfältiges Angebot im Grundsatz bereits durch eine von staatlichen Eingriffen weitgehend freizuhaltende Pressetätigkeit einstellt, auch nicht rechtfertigen. Um eine im Zuge einer weiten Definition des Kulturbegriffs zu befürchtende Aushöhlung des grundsätzlichen Beihilfeverbots zu vermeiden, dürfte eine Genehmigung der Beihilfen aufgrund Art. 107 Abs. 3 d) AEUV nur ausnahmsweise für solche Presseprodukte in Betracht kommen, welche eine eindeutige kulturelle Schwerpunktsetzung erkennen lassen.1017 Die Binnenmarktvereinbarkeit von Pressebeihilfen kann jedoch über Art. 107 Abs. 3 c) AEUV zur Förderung der Entwicklung bestimmter Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete erzielt werden. Voraussetzung hierfür ist, neben der Genehmigung durch die Europäische Kommission i. R. d. Verfahrens nach Art. 108 AEUV, weiterhin, dass die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändert werden, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Bei der Ausübung der Genehmigungsentscheidung, welcher eine Ermessensbetätigung und Interessenabwägung der Europäische Kommission zugrunde liegt, ist zu berücksichtigen, dass die Union gem. Art. 119 Abs. 1 AEUV den Grundsätzen der offenen Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs verpflichtet ist.1018 Gleichwohl kommt dem Wettbewerbsprinzip auch im Rahmen der Beihilfeaufsicht kein Vorrang gegenüber anderen Unionszielen zu.1019 Die Förderung der Erreichbarkeit qualitativ hochwertiger und vielfältiger Medieninhalte, sieht die Europäische Kommission im Rahmen der Beihilfeaufsicht als legitimes Ziel an, welches im Einklang mit den in Art. 11 GrCh zum Ausdruck gebrachten Werten der Union steht.1020 Andererseits muss dieses medienrechtliche Ziel wiederum in einen verhältnismäßigen Ausgleich mit den 1014

Martini, EuZW 2015, 821, 823. Siehe bezüglich der schwedischen Presseförderung, Europäische Kommission, State Aid E 4/2008 (ex-N 450/2008)-Sweden vom 20.07.2010, C (2010) 4941 final, Rn 1. 1016 Martini, EuZW 2015, 821, 823. 1017 Martini, EuZW 2015, 821, 823. 1018 Calliess / Ruffert-Cremer, Art. 107 AEUV, Rn. 53. 1019 Calliess / Ruffert-Cremer, Art. 107 AEUV, Rn. 53. 1020 Europäische Kommission, State aid SA.36366 (2013/N)-Denmark vom 20.11.2013, C (2013) 7870 final, Rn. 32. 1015

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

wettbewerbsbezogenen Zielen der EU gebracht werden. In dieser Hinsicht wird es erforderlich sein, Höchstgrenzen der Förderung festzulegen. Um zu verhindern, dass aus einem aus privater Initiative entstandenen Presseprodukt eine aus staatlicher Motivation betriebene Publikation wird, sollte das Volumen der Förderung die Umsatzerlöse des Unternehmens grundsätzlich nicht überschreiten dürfen.1021 Die Europäische Kommission hat weiterhin vorgeschlagen, dass im Falle der Unterstützung von Tageszeitungen ein Fördervolumen von 40 % der Produktionskosten nicht überschritten werden sollte.1022 Dieser Grenze wird das Potential zugesprochen, sich zur unionsrechtlichen Zulässigkeitsschwelle für Pressesubventionen zu entwickeln.1023 Damit Pressebeihilfen mit dem Unionsrecht im Einklang stehen können, müssen diese weiterhin mit sämtlichen weiteren Vorgaben der Unionsverträge, insbesondere den Grundfreiheiten, vereinbar sein.1024 Unionsrechtswidrig ist daher der Ausschluss ausländischer Presseunternehmen aus dem Förderprogramm, sofern dieser nicht wegen der Nichterfüllung der inhaltlichen Förderkriterien sachlich gerechtfertigt werden kann.1025 Eine weitere unionsrechtswidrige Diskriminierung könnte angenommen werden, wenn journalistische Online-Medien pauschal von der Presseförderung ausgenommen werden. Tatsächlich ist die Beschränkung auf gedruckte Presseprodukte in der Förderpraxis der Mitgliedstaaten verbreitet.1026 Andererseits muss gesehen werden, dass die Sicherstellung der Medienvielfalt, im Gegensatz zur Zielrichtung des Art. 107 Abs. 3 c) AEUV, nur das durch die Mitgliedstaaten verfolgte Ziel der Pressebeihilfen darstellt. Die unionsrechtliche Möglichkeit der Rechtfertigung der Beihilfen speist sich indessen aus der Motivation, bestimmte Wirtschaftszweige oder -gebiete in ihrer Entwicklung zu fördern. In dieser Hinsicht soll mit der Beschränkung der Presseförderung auf gedruckte Inhalte gerade den wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Presseunternehmen entgegengewirkt werden, welche dadurch entstanden sind, dass die gedruckte Presse zunehmend der Konkurrenz durch Online-Medien ausgesetzt ist. Aus diesem Grund lässt sich der pauschale Ausschluss von journalistischen Online-Medien der Sache nach rechtfertigen.1027 Auf der anderen Seite ließe sich die Einbeziehung solcher Medien in die Presseförderung unter dem Gesichtspunkt des Art. 107 Abs. 3 c) AEUV ggf. dadurch rechtfertigen, dass hierdurch die Online-Aktivitäten traditioneller Presseunternehmen gefördert werden sollen.1028 Dass Beihilfen an Unternehmen, welche ausschließ 1021

Martini, EuZW 2015, 821, 824. Europäische Kommission, State Aid E 4/2008 (ex-N 450/2008)-Sweden, C (2010) 4941 final, Rn. 4, 7. 1023 Martini, EuZW 2015, 821, 824. 1024 Gersdorf / Paal-Gundel, Art. 107 AEUV, Rn. 35 (17. Edition, Stand: 01.08.2017). 1025 Martini, EuZW 2015, 821, 824. 1026 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 164; Martini, EuZW 2015, 821, 825. 1027 Martini, EuZW 2015, 821, 825. 1028 Dazu, dass dies die Motivation zur Presseförderung in einigen Mitgliedstaaten der EU ist, vgl. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 164. 1022

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lich Online-Medien verbreiten, nach Art. 107 Abs. 3 c) AEUV genehmigungsfähig wären, ist indessen nicht anzunehmen. Einzig die im Zuge der Veränderung der Medienlandschaft wirtschaftlich unter Druck geratenen herkömmlichen Presseunternehmen kommen als Adressaten einer i. S. d. Art. 107 Abs. 3 c) AEUV unionsrechtskonformen Beihilfe in Betracht. Hingegen werden sich originäre Anbieter journalistischer Online-Medien grundsätzlich im Rahmen des wirtschaftlichen Wettbewerbs am Markt behaupten müssen. Ausnahmen können in dieser Hinsicht nur öffentlich-rechtlich beauftragte Medienanbieter darstellen, deren Dienstleistungsangebot i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV sich aufgrund nationaler Betrauungsakte auch auf Online-Medien erstreckt. Förderungen privater Anbieter von Online-Medien, welche das Potential haben den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, könnten im Übrigen allenfalls in den engen Grenzen des Art. 107 Abs. 3 d) AEUV zum Zwecke der Kulturförderung gerechtfertigt sein. Die Rechtfertigung der staatlichen Förderung von Medienprodukten setzt schließlich voraus, dass diese mit den in Art. 2 EUV genannten Werten im Einklang steht. In dieser Hinsicht sind für alle Medienarten die nachfolgend zu erörternden grundrechtlichen Vorgaben selektiver Förderungen bestimmter Medienanbieter in den Blick zu nehmen. cc) Grundrechtliche Maßgaben (1) Allgemeine Förderungsarten Die Förderung bestimmter privater Medienanbieter steht in einem komplexen grundrechtlichen Spannungsverhältnis, da der Staat zwar grundsätzlich inhaltliche Einflussnahmen auf das Medienangebot zu unterlassen hat, andererseits aber auch ein vielfältiges Medienangebot gewährleisten muss. Im Hinblick auf Art. 10 EMRK und die audiovisuellen Medien hat der EGMR diese letztgenannte Verpflichtung bereits deutlich zum Ausdruck gebracht.1029 Indem der EGMR positive Handlungspflichten an die Konventionsstaaten adressiert, macht er deutlich, dass Art. 10 EMRK neben seinem Charakter als Abwehrrecht auch eine objektiv-rechtliche Dimension aufweist. Die objektiv-rechtliche Dimension des Art. 10 EMRK entfaltet nicht nur für den Bereich der audiovisuellen Medien Wirkung, sondern bezieht sich auch auf den Bereich der Pressefreiheit und alle sonstigen Arten von Massenmedien.1030 Verpflichtungen zur Gewährleistung der Medienvielfalt lassen sich der Rechtsprechung des EGMR indirekt für alle Bereiche des Mediensektors entnehmen.1031 So hat der EGMR angedeutet, dass die Verhinderung der ungebührlichen Beeinflussung der öffentlichen Meinung ebenso ein legitimes Ziel 1029

EGMR, NVwZ-RR, 2014, 48, 53, § 134 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S.  1066, Rn.  17; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 79 (15. Lfg.-Juni 2013). 1031 Grabenwarter, ECHR, Art. 10, S. 294, Rn. 66. 1030

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der Beschränkung von Medienfreiheiten darstellen kann, wie das Bestreben, eine Chancengleichheit der verschiedenen gesellschaftlichen Kräften in der öffentlichen Diskussion herzustellen.1032 Um die von Art. 10 EMRK angestrebte freie öffent­liche Debatte aufrecht zu erhalten, gilt es den Missbrauch von Wettbewerbsvorteilen starker Wirtschaftsteilnehmer im Medienbereich zu verhindern.1033 Problematisch ist indessen, welche konkreten Handlungspflichten für den Staat aus der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 10 EMRK erwachsen.1034 Sofern sich unter Marktbedingungen kein vielfältiges Medienangebot einstellt, dürfte der Staat jedenfalls verpflichtet sein, regulierend einzugreifen.1035 Bliebe der Staat in einer solchen Situation untätig, so könnte er seiner ihm vom EGMR zugedachten Rolle als Garant des Pluralismus nicht gerecht werden. Dies bedeutet freilich nicht, dass der Staat stets verpflichtet ist, den publizistischen Wettbewerb der privaten Medienanbieter durch selektive Fördermaßnahmen zu beeinflussen. Um das grundrechtliche Spannungsverhältnis selektiver, d. h. nur bestimmten Anbietern gewährter, Subventionen zu illustrieren, bietet sich eine Betrachtung der entsprechenden Problematik im deutschen Verfassungsrecht, welche in Bezug auf die Pressefreiheit entfaltet wurde, an. Ein solcher Seitenblick erscheint deshalb sinnvoll, da die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit im deutschen Verfassungsrecht, anders als im Recht des Europarats, umfassend entwickelt wurde.1036 Die Frage, ob selektive Pressesubventionen grundsätzlich mit dem Grundrecht der Pressefreiheit vereinbar sein können, war in Deutschland bis zu einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1989 umstritten.1037 Wenngleich das BVerfG die Möglichkeit verfassungskonformer selektiver Pressesubventionen herausgestellt hat, hat es gleichwohl darauf hingewiesen, dass die Freiheit der Presse durch gelenkte Begünstigungen ebenso intensiv gefährdet werden kann, wie durch hoheitliche Beschränkungen der Pressetätigkeit.1038 Angesprochen ist hiermit die Gefahr, dass der Staat durch eine inhaltsorientierte Förderung bestimmter Pressepublikationen Einfluss auf den durch die Massenmedien zu befördernden freien Meinungsbildungsprozess nehmen könnte. Aus diesem Grund können Pressesubventionen nur dann mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar sein, wenn der Staat hierbei eine ihm zukommende inhaltliche Neutralitätspflicht dadurch beachtet, indem er die Förderung nach meinungsneutralen Gesichtspunkten vornimmt.1039 Die inhaltliche 1032 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, §§ 72, 75 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz); Grabenwarter, ECHR, Art. 10, S. 294, Rn. 66. 1033 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, §§ 73, 75 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). 1034 Siehe zu dieser Problematik, Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1066 ff., Rn. 19 ff.; Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 79 (15. Lfg.-Juni 2013). 1035 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 914, Rn. 19 (weniger deutlich in der aktuellen Ausgabe). 1036 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 913, Rn. 18 (keine entsprechenden Ausführungen in der aktuellen Auflage). 1037 Vgl. Detterbeck, ZUM 1990, 371. 1038 BVerfG, JZ 1989, 840. 1039 BVerfG, JZ 1989, 840, 841.

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Neutralitätspflicht des Staates, ist der objektiv-rechtlichen Dimension der Pressefreiheit zuzuordnen.1040 Dasselbe gilt für die Verpflichtung des Staates, einen freien Meinungsbildungsprozess durch ein vielfältiges Medienangebot zu gewährleisten. Somit muss der Staat bei der Förderung bestimmter privater Medienanbieter beide Ausprägungen der objektiv-rechtlichen Dimension der Pressefreiheit verhältnismäßig gegeneinander abwägen. In die Abwägung ist einzustellen, dass die Pressefreiheit auch subjektive Rechte für die im Pressewesen tätigen Personen begründet. Dies gilt in besonderem Maße im Hinblick auf Art. 10 EMRK, welcher durch den EGMR in erster Linie als Abwehrrecht ausgeprägt wurde.1041 Das BVerfG hat herausgestellt, dass mit der inhaltlichen Neutralitätspflicht des Staates ein subjektiv-rechtlicher Anspruch der Grundrechtsträger auf Abwehr von solchen Subventionen einhergeht, welche unter Verletzung der Neutralitätspflicht gewährt werden.1042 Es ist in den Blick zu nehmen, dass im Falle selektiver Pressesubventionen die nicht geförderten Grundrechtsträger zwangsläufig benachteiligt werden.1043 Das BVerfG geht aufgrund dieser Benachteiligung von einer rechtfertigungsbedürftigen, einem Eingriff in die Pressetätigkeit gleichstehenden, Beeinträchtigung aus.1044 Die Beeinträchtigung nicht geförderter Grundrechtsträger ist jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen, wenn sie mit dem Ziel erfolgt, das Medienangebot inhaltlich in eine bestimmte Richtung zu lenken.1045 Neben einem Abwehrrecht gegenüber solchen Subventionen, welche gegen die staatliche Neutralitätspflicht verstoßen, hat das BVerfG weiterhin einen Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb entwickelt.1046 Eine unzulässige Verzerrung des publizistischen Wettbewerbsverhältnisses kann von jedem nicht geförderten Konkurrenten geltend gemacht werden, sofern dieser selbst auch publizistische Zwecke verfolgt.1047 Ob zudem ein wirtschaftlicher Wettbewerb zwischen den Konkurrenten besteht, ist unerheblich.1048 Die Unterscheidung von publizistischen und außerpublizistischen Zwecken ist demgegenüber bedeutsam für die Frage, inwieweit Differenzierungskriterien bei der Förderung gerechtfertigt werden können. So muss gesehen werden, dass sämtliche in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Grundrechte eine freie Meinungsbildung ermöglichen sollen.1049 Sofern Presseorgane ihrer selbstbestimmten Zwecksetzung nach weder darauf gerichtet sind, eigene oder fremde Meinungen zu verbreiten, so können diese auch keinen Beitrag zur Meinungsbildung leisten.1050 Presseorgane, welche lediglich außerpubli­ 1040

Detterbeck, ZUM 1990, 371, 373. Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1066, Rn. 16. 1042 BVerfG, JZ 1989, 840, 841; Detterbeck, ZUM 1990, 371, 373. 1043 Detterbeck, ZUM 1990, 371, 374. 1044 Hoffmann-Riem, JZ 1989, 842. 1045 Hoffmann-Riem, JZ 1989, 842. 1046 BVerfG, JZ 1989, 840, 841. 1047 Hoffmann-Riem, JZ 1989, 842. 1048 Hoffmann-Riem, JZ 1989, 842. 1049 BVerfG, JZ 1989, 840, 841. 1050 BVerfG, JZ 1989, 840, 841. 1041

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zistische Zwecke verfolgen, nehmen auch nicht am von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten publizistischen Wettbewerbsverhältnis teil.1051 Mithin können Anbieter von Presseprodukten, welche keine Meinungsbildungsrelevanz aufweisen, auch keine Gleichbehandlung in einem Wettbewerbsverhältnis einfordern, an welchem sie selbst nicht teilnehmen.1052 Demgegenüber verzerren Differenzierungskriterien, welche an Meinungsinhalte anknüpfen den publizistischen Wettbewerb und sind somit verfassungsrechtlich unter keinen Umständen zu rechtfertigen.1053 Ebenso wie selektive Förderungen einzelner Medienanbieter rechtfertigungsbedürftigen Eingriffen in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gleichstehen, sind diese auch im europäischen Kontext als Eingriffe in die subjektiven Rechte des Art. 10 Abs. 1 EMRK anzusehen, sodass zu deren Rechtfertigung in verhältnismäßiger Weise legitime Einschränkungsziele verfolgt werden müssen.1054 Die Erzielung von Meinungsvielfalt im Medienbereich wird vom EGMR als legitimes Einschränkungsziel anerkannt.1055 Darüber hinaus hat der EGMR mit Bezug auf die französische Presseförderung festgestellt, dass diese ihren Grund in dem Schutz des Pluralismus findet, welcher notwendige Grundlage einer jeden demokratischen Gesellschaft ist.1056 Im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG wird teilweise angenommen, dass Pressesubventionen Ausgestaltungen der Medienordnung darstellen.1057 Bei dieser Betrachtungsweise unterlägen Subventionen, welche der Staat aufgrund seiner aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgenden objektiv-rechtlichen Verpflichtung gewährt, nicht den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG.1058 Subjektive Rechte könnten aus der Pressefreiheit von vorn herein erst dann hergeleitet werden, wenn der Staat seine Verpflichtung zur Gewährleistung eines freien Meinungsbildungsprozesses im Wege einer ausgestaltenden Regulierung erfüllt hat.1059 Die Übertragung dieser vom BVerfG zur Rundfunkfreiheit entwickelten Sonderdogmatik auf die Presse ist bereits bezogen auf das deutsche Verfassungsrecht nicht zwingend.1060 Keinesfalls wird sie sich auf die europäische Ebene übertragen lassen. So sind im Recht des Europarats, trotz des eine Ausgestaltungsdogmatik andeutenden Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK, 1051

Es darf angesichts des Grundrechtsschutzes selbst kommerzieller Werbung indessen bezweifelt werden, dass es solche Presseprodukte überhaupt in nennenswerter Anzahl gibt. 1052 Angemerkt sei an dieser Stelle, dass Publikationen im Regelfall publizistische Relevanz aufweisen werden. Die Annahme, dass ein Presseprodukt nicht in irgendeiner Weise auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken bezweckt, ist nur in Ausnahmefällen denkbar ist. Vgl. zur publizistischen Relevanz von Online-Medien die Ausführungen unter D. II. 3. c) bb) (3). 1053 BVerfG, JZ 1989, 840, 841. 1054 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, 1. Auflage 2006, S. 914, Rn. 19 (die nachfolgende Auflage greift den Fall von Pressesubventionen nicht mehr auf). 1055 EGMR, EuGRZ 1990, 255, 258, § 69 f. (Groppera Radio AG u. a. / Schweiz). 1056 EGMR, Urt. v. 01.12.2005, Nr. 74766/01, EN DROIT, 1. (Prüfung des Art. 10 EMRK), 3. (Würdigung durch den Gerichtshof), a) (Verites Sante Pratique / Frankreich). 1057 Hoffmann-Riem, JZ 1989, 842. 1058 Detterbeck, ZUM 1990, 371, 373. 1059 Detterbeck, ZUM 1990, 371, 373. 1060 Detterbeck, ZUM 1990, 371, 373.

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selbst im Rundfunkbereich keine Beschränkungen der Rundfunktätigkeit anerkannt, welche nicht zusätzlich den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK genügen müssen.1061 Aus den rechtfertigungsbedürftigen Beeinträchtigungen der nicht geförderten Medienanbieter folgt, dass selektive Subventionen nur dann zulässig sein können, wenn die Medienvielfalt und mit ihr der Prozess der freien Meinungsbildung in einem Maße gefährdet ist, dass dies der objektiv-rechtlichen Dimension und der Funktion des Art. 10 EMRK widerspricht. Eine solche Situation setzt indessen voraus, dass die Medienvielfalt durch Konzentrationsprozesse konkret gefährdet erscheint.1062 In einer Situation, in welcher die Konzentration im Medienbereich dazu führt, dass bestimme Meinungsrichtungen in der medialen Darstellung zu verschwinden drohen, obgleich diese weiterhin gesellschaftlich relevant sind, kann es zulässig sein, selektive Förderungen vorzunehmen. Jedoch wird darauf Bedacht nehmen sein, dass die Förderung nach Gesichtspunkten erfolgt, welche eine Manipulation der Medienkonsumgewohnheiten der Rezipienten ausschließt.1063 Es kann jedenfalls nicht als legitimes Ziel der staatlichen Förderung angesehen werden, entgegen gesellschaftlicher Entwicklungen, bestimmte aktuell kaum vertretene Meinungsrichtungen in der öffentlichen Diskussion künstlich am Leben zu erhalten. Hierin wäre zweifellos eine unzulässige Verzerrung des Meinungsbildungsprozesses zu sehen. Mit dem Neutralitätsgebot kann indessen eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgende selektive Subventionierung zur Erhaltung struktureller Medienvielfalt vereinbar sein.1064 Die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Subventionen ließe sich nur dann bestreiten, wenn man wirtschaftliche Schwierigkeiten als Beleg dafür ansähe, dass das in Not geratene Medienunternehmen Informationen und Meinungen verbreitet, welche im Meinungsbildungsprozess nicht mehr hinreichend relevant sind. Jedoch bietet allein der ökonomische Erfolg der am Markt verbliebenen Medienanbieter keine hinreichende Gewähr dafür, dass das gesellschaftliche Meinungsspektrum so umfassend abgebildet wird, dass eine freie Meinungsbildung möglich ist.1065 Nach hier vertretener Auffassung sind die wirtschaftlichen Konzentrations­ tendenzen vor allem im Bereich der audiovisuellen Medien derart ausgeprägt, dass der wirtschaftliche Wettbewerb für sich genommen kein hinreichender Garant der Medienvielfalt sein kann.1066 Angesichts dessen muss es dem Staat möglich sein, im 1061

EGMR, EuGRZ 1990, 255, 257, § 61 (Groppera Radio AG u. a. / Schweiz). Detterbeck, ZUM 1990, 371, 373 und 375. 1063 Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 914, Rn. 19 (die nachfolgende Auflage greift den Fall von Pressesubventionen nicht mehr auf). 1064 Detterbeck, ZUM 1990, 371, 373. Mit dem Begriff der strukturellen Medienvielfalt wird das Konzept, Pluralismus durch eine Vielzahl von Anbietern und Angeboten zu erreichen, bezeichnet. Vgl. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 65. 1065 Hoffmann-Riem, AöR 109 (1984), 304, 327. 1066 Siehe hierzu D. II. 3. b). 1062

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Falle konkreter Gefahren für die Medienvielfalt, einer weiteren Verengung des Angebots dadurch entgegenzutreten, indem er selektive Förderungen nach wirtschaftlichen Kriterien vornimmt. Damit über die Förderungsentscheidung kein politischer Einfluss vermittelt werden kann, sollte diese durch eine Stelle erfolgen, welche sich durch Unabhängigkeit gegenüber der politischen Sphäre auszeichnet. Das Ministerkomitee des Europarats empfiehlt in Bezug auf von diesem grundsätzlich befürwortete selektive Förderungen, dass diese auf der Basis objektiver und unparteiischer Kriterien im Rahmen eines transparenten Förderverfahrens erfolgen und dabei einer unabhängigen Kontrolle unterliegen sollten.1067 In der Praxis sämtlicher Mitgliedstaaten, welche direkte Pressesubventionen gewähren, erfolgt die Verteilung der Mittel entweder durch unabhängige Kommissionen oder durch unabhängige Regulierungsstellen.1068 Dagegen müssen Förderentscheidungen, welche durch Stellen ergehen, die an ministerielle Weisungen gebunden sind, aufgrund der damit zu befürchtenden staatlichen Einflussnahme auf Medieninhalte als unzulässig angesehen werden. In noch weiterem Umfang als Förderungen zur Erhaltung einer vielfältigen Medienstruktur dürften Maßnahmen zur Förderung kultureller Vielfalt zu rechtfertigen sein. So zeichnet sich die zu gewährleistende Medienvielfalt nicht nur durch eine Vielfalt von verfügbaren Meinungen und Informationen aus, sondern sie hat weiterhin zum Ziel, kulturelle Vielfalt zu fördern. Sofern allgemeine Wettbewerbsregeln sich als nicht ausreichend erweisen, um u. a. das Ziel der kulturellen Vielfalt zu gewährleisten, empfiehlt das Ministerkomitee des Europarats das Ergreifen spezieller, d. h. auf das Ziel der Kulturförderung bezogener, Maßnahmen.1069 Die Förderung der Vielfalt der Kulturen ist zudem ein wichtiges Anliegen der EU.1070 Dies kommt in den europäischen Verträgen an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. So formuliert Art. 3 Abs. 3 a. E. EUV es als Ziel der Union, den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt zu wahren. In Art. 22 GrCh heißt es, dass die Union die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen achtet. Schließlich konkretisiert Art. 167 AEUV die Aufgaben und Befugnisse der Union zur Förderung kultureller Ziele. Die Verfolgung kultureller Ziele wird weiterhin im Bereich des von der Union erlassenen Sekundärrechts sichtbar. Zu nennen sind hier die Artikel 16 und 17 AVMD-RL, mit welchen europäische audiovisuelle Werke gefördert werden sollen. Den Mitgliedstaaten wird ein weiter eigener Gestaltungsspielraum zur Förderung selbst definierter kultureller Ziele belassen. Dies wird u. a. daran deutlich, dass Art. 167 Abs. 5 AEUV Maßnahmen der Union, welche mit vordergründig kultureller Zielsetzung erfolgen, auf Fördermaßnahmen und Empfehlungen begrenzt und eine 1067

Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2007)2, II. 4.2. Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 187. 1069 Ministerkomitee des Europarats, CM / Rec(2007)2, I. 1.2. 1070 Gleichwohl findet die Kulturförderung in Art. 2 EUV keinen unmittelbaren Ausdruck, sodass der Stellenwert kultureller Ziele in der Unionsrechtsordnung und im hiesigen Kontext vor allem dadurch zur Geltung gebracht werden kann, dass Einschränkungen von Grundrechten und Grundfreiheiten gerechtfertigt werden können. 1068

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Harmonisierung von Rechtsvorschriften ausschließt. Auch die Förderung oder der Schutz bestimmter Amtssprachen wird von der Union bereits für sich genommen als kulturelles Ziel angesehen, welches als zwingender Grund des Allgemeininteresses Einschränkungen von Grundfreiheiten rechtfertigen kann.1071 Angesichts der herausgehobenen Bedeutung des Schutzes der Kulturen der Mitgliedstaaten in der Unionsrechtsordnung werden kulturelle Zielsetzungen in weitem Umfang Eingriffe in die Tätigkeit der Medienanbieter rechtfertigen können. Dies gilt auch deshalb, weil die freie Tätigkeit der nicht geförderten Unternehmen durch selektive, kulturbezogene Förderungen bestimmter anderer Medienanbieter, jedenfalls unmittelbar, unangetastet bleibt. Zudem muss in den Blick genommen werden, dass kulturelle Angebote regelmäßig keine massenattraktiven Angebote sein werden. Deshalb werden diese auch in besonderem Maße negativ von den Gesetzmäßigkeiten und Zwängen der Medienökonomie betroffen sein. Schließlich ist die Gefahr gering, dass durch die selektive Förderung von kulturellen Inhalten, welche unter Wettbewerbsbedingungen nicht angeboten werden könnten, eine spürbare Verzerrung der öffentlichen Meinungsbildung eintritt. Ebenso dürften die Beeinträchtigungen der nicht geförderten Wettbewerber, welche das geförderte Angebot gerade nicht bereitstellen können oder wollen und insofern thematisch anders ausgerichtet sind, kaum eine grundrechtlich relevante Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Tatsächlich sind in der Förderpraxis einiger Mitgliedstaaten sprachliche und sonstige kulturelle Gesichtspunkte der wesentliche Beweggrund einer Förderung.1072 Angesichts der von der Unionsrechtsordnung geschützten weitgehenden Kulturkompetenz der Mitgliedstaaten sind die Einflussmöglichkeiten der EU auf dem Gebiet kulturell motivierter Förderungen gering. Auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV dürfte ein Eingreifen der Union kaum in Betracht kommen. Nur dann, wenn die kulturelle Förderung erkennbar darauf gerichtet ist, die Vielfalt der Kulturen und damit den gesellschaftlichen Pluralismus zu schmälern, kann auch eine Berührung der Werte des Art. 2 EUV eintreten. Nichtdiskriminierung und Pluralismus sollen nach Art. 2 S. 2 EUV Wesensmerkmale einer jeden mitgliedstaatlichen Gesellschaft sein. Zwar enthält Art. 2 S. 2 EUV keine weiteren, die Werte des Art. 2 S. 1 EUV ergänzenden und i. R. d. Art. 7 EUV sanktionsfähigen, Werte.1073 Gleichwohl dürfte eine Gesellschaft, deren Staat die Werte des Art. 2 S. 1 EUV schützt, sich stets durch die Beschreibungen des Art. 2 S. 2 EUV auszeichnen. So ist etwa der Schutz der Personen, welche Minderheiten angehören, in Art. 2 S. 1 EUV im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenrechte ausdrücklich benannt. Zudem bringen Art. 3 Abs. 3 a. E. EUV und Art. 167 Abs 1 AEUV zum Ausdruck, dass gerade die Vielfalt der Kulturen den Schutz der Unionsrechtsordnung genießt. Somit dürften staatliche Förderungsmaßnahmen aus

1071

EuGH, Urt. v. 05.03.2009, Rs C-222/07, ECLI:EU:C:2009:124, Rn. 27, 33 (UTECA). Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 189 f. 1073 Calliess / Ruffert-Calliess, Art.  2 EUV, Rn.  30; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, Art. 2 EUV, Rn. 43 (EL 51: September 2013). 1072

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

unionsrechtlicher Perspektive nicht auf Verengung der kulturellen Vielfalt gerichtet sein. Um eine am Ziel der Erhaltung der Vielfalt kultureller Erscheinungen ausgerichtete Förderungspraxis zu ermöglichen, sollten auch kulturell motivierte Förderungen durch unabhängige Stellen erfolgen. Auf diese Weise kann eine unionsrechtlich problematische Lenkung der kulturellen Entfaltung einzelner gesellschaftlicher Gruppen durch den Staat verhütet werden. (2) Sonderfall der gezielten Steuerung von Werbeentgelten Werbung staatlicher Organe kann im Hinblick auf den zu gewährleistenden freien Meinungsbildungsprozess aus zwei Perspektiven problematisch sein. Einerseits können den staatlichen Organen zurechenbare Äußerungen inhaltliche Neutralitätspflichten verletzten, indem die staatliche Kommunikation dazu genutzt wird, aktiv auf den Meinungsbildungsprozess Einfluss zu nehmen. Aber auch inhaltlich neutrale Werbung kann zu einem Problem für die zu sichernde Medienvielfalt werden. Gerade dann, wenn die wirtschaftliche Situation der Medien innerhalb eines Staates eine große Abhängigkeit von durch den Staat gezahlten Werbeentgelten erzeugt, kann durch eine politisch gezielt gesteuerte Verteilung der Werbemittel die strukturelle Medienvielfalt gefährdet werden. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten solcher Medien, welche durch die Nichtberücksichtigung bei der Verteilung staatlicher Werbemittel entstehen, können sich im Wege einer Ausstrahlung auf den Bereich privater Werbung weiter verstärken. So könnten private Unternehmen, welche ebenfalls von einer staatlichen Finanzierung abhängig sind, abgeschreckt werden, ihre Werbung in solchen Medien zu verbreiten, in welchen der Staat aus politischen Gründen nicht als Werbekunde nicht in Erscheinung treten möchte.1074 Nimmt man in den Blick, dass Werbeeinnahmen die wesentliche Finanzierungsquelle der Medienanbieter sind, so wird deutlich, dass über die Möglichkeit des Staates, die Höhe der Werbeeinnahmen zu steuern, erheblicher politischer Druck ausgeübt werden kann. Gleichwohl wird diesem Gesichtspunkt in der Rechtsetzung der Mitgliedstaaten kaum Beachtung geschenkt. Nur sehr wenige Gesetzgeber innerhalb der EU regeln die Problematik der Verteilung staatlicher Werbegelder.1075 Der Vorwurf, die staatlichen Haushaltsmittel für Werbeausgaben nach intransparenten und u. U. sogar nach politischen Kriterien zu vergeben, wurde jüngst an die ungarische Regierung herangetragen. Dieser Gesichtspunkt wurde durch die Venedig-Kommission des Europarats, welche die Vereinbarkeit der ungarischen Mediengesetzgebung mit europäischen Vorgaben überprüft hat, beleuchtet. Die VenedigKommission hat dabei die Auffassung vertreten, dass die im Überprüfungszeit 1074 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 23, Ziffer 91. 1075 Arnold, Medienregulierung in Europa, S. 187.

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punkt von Ungarn praktizierte Verteilungspraxis staatlicher Werbegelder den Standards des Europarats, welche zur Förderung der Medienvielfalt entwickelt wurden, wider­spricht.1076 So betrachtet die Venedig-Kommission die verteilten Werbegelder, ebenso wie sonstige Subventionen, als Fördermaßnahmen einzelner Medienanbieter und weist darauf hin, dass diese nach den einschlägigen Empfehlungen des Ministerkomitees jedenfalls nach objektiven und unparteiischen Kriterien erfolgen müssen.1077 Folglich hat die Venedig-Kommission entsprechende Abhilfemaßnahmen vorgeschlagen. So sollte der Gesetzgeber die Transparenz des Verteilungssystems steigern und die Daten der Verteilung staatlicher Werbegelder für die Öffentlichkeit nachprüfbar machen.1078 Es ist nicht zu bestreiten, dass die sich aus Art. 10 EMRK bzw. Art. 2 EUV ergebende Pflicht des Staates, die Vielfalt der Medien zu gewährleisten, auch unter dem Gesichtspunkt berücksichtigt werden muss, dass die staatliche Haushaltsführung die Reduzierung regierungskritischer Berichterstattung zur Folge haben kann. Sofern sich der Staat dafür entscheidet, Maßnahmen zu ergreifen, welche Auswirkungen auf den publizistischen Wettbewerb haben können, muss er dabei alle Wettbewerber gleich behandeln. Dies bedeutet, dass zumindest dann, wenn die Werbetätigkeit des Staates derart umfassend ist, dass diese sogar Auswirkungen auf die finanziellen Grundlagen einzelner Medienanbieter haben kann, transparente Verteilungsmaßstäbe geregelt werden müssen, welche das Erfordernis der Medienvielfalt hinreichend berücksichtigen. Die Gewährleistungspflicht des Staates geht auch gerade dahin, die Verbreitung solcher Meinungen zu ermöglichen, welche sich kritisch mit der Regierungsarbeit auseinandersetzen. Zudem muss der Zweck staatlicher Werbung in den Blick genommen werden. Dieser kann nur darin bestehen, im Falle hinreichender Veranlassung die freie Meinungsbildung dadurch zu befördern, dass ein möglichst breites Publikum sachlich und objektiv informiert wird. Angesichts dessen ist die politische Tendenz eines Medienanbieters bereits ein sachfremder Anknüpfungspunkt für die Auswahl der Platzierung einer werbenden Äußerung, denn auch regierungskritische Rezipienten sind geeignete und notwendige Adressaten einer zulässigen staatlichen Informationstätigkeit. Die Auswahl des Medienanbieters muss sich damit an dem Zweck orientieren, welcher mit der Äußerung erzielt werden soll. Dieser Zweck darf jedenfalls nicht darin bestehen, die inhaltliche Ausrichtung privater Medien zu beeinflussen.

1076 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 23, Ziffer 93. 1077 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 23, Ziffer 94. Siehe zu den in Bezug genommenen Standards des Europarats, Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, II. 4.2. Aufgrund des Fördercharakters staatlicher Werbegelder wird zudem vorgeschlagen, deren Verteilung am europäischen Beihilferecht zu messen. Vgl. hierzu die zusammengefasste Rechtsauffassung Gábor Polyáks bei Hamann, AfP 2017, 208, 211. 1078 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 23, Ziffer 95.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

e) Neutralitätspflicht bei staatlichen Äußerungen Ungeachtet des Einflusses, welchen staatlich gelenkte Werbeeinnahmen auf die Medienstruktur haben können, müssen auch inhaltliche Grenzen der staatlichen Kommunikation beachtet werden. Berücksichtigt man, dass die Äußerungen staatlicher Organe einen amtlichen Eindruck erwecken, so kommt diesen ein besonderes Potential zu, die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen.1079 Das Erfordernis Medienvielfalt zu gewährleisten ergibt sich indessen gerade daraus, dass der Meinungsbildungsprozess vor Verzerrungen zu schützen ist. Aus diesem Grund müssen sich Repräsentanten des Staates, sofern sie sich in amtlicher Funktion medial äußern, gewisse inhaltliche Grenzen beachten. In der deutschen verfassungsrechtlichen Diskussion werden die Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit mit dem Erfordernis einer staatlichen Neutralitätspflicht begründet.1080 Inhaltlich umfasst diese Pflicht das Verbot einer Werbung für eine bestimmte politische Partei oder eine sonstige Gruppe, welche an der politischen Meinungsbildung beteiligt ist.1081 Als normative Grundlage der staatlichen Neu­ tralitätspflichten werden sowohl die Gleichheitsrechte als auch die Freiheitsrechte des GG vorgeschlagen, welche allen Grundrechtsträgern in gleicher Weise zu gewähren sind.1082 Das BVerfG hat das Neutralitätserfordernis weiterhin in einen Zusammenhang zur Freiheit der Wahl und zum Demokratieprinzip gestellt. So hat es darauf hingewiesen, dass nur eine freie Wahl demokratische Legitimation vermitteln kann.1083 Frei kann eine Wahl wiederum nur dann sein, wenn sich das Urteil des Wählers auf einen freien und offenen Meinungsbildungsprozess gründet.1084 In Bezug auf den zu gewährleistenden freien und offenen Meinungsbildungsprozess kommt den Parteien eine herausragende, in Art. 21 GG zum Ausdruck gebrachte, Bedeutung zu.1085 Weiterhin hebt das BVerfG hervor, dass der verfassungsrechtliche Status der Parteien für diese nicht nur die Mitwirkung an der politischen Willensbildung gewährleistet, sondern auch gebietet, diesen gleiche Rechte und gleiche Chancen einzuräumen.1086 Die sich aus Art. 21 GG i. V. m. Art. 3 GG ergebenden Gleichbehandlungsansprüche der Parteien stellen somit eine wesentliche Quelle staatlicher Neutralitätspflichten dar.1087 Nimmt man die in der EMRK verbürgten Rechte in den Blick, welche einen Zusammenhang mit der Gewährleistung eines freien und offenen Meinungsbildungsprozesses aufweisen, so werden auch im Recht des Europarats zahlreiche Anknüp 1079

Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 266. Gusy, NVwZ 2015, 700, 701 f.; Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 268 f. 1081 Mandelartz, DÖV 2015, 326 f. 1082 Gusy, NVwZ 2015, 700, 701. 1083 BVerfGE 44, 125, 139. 1084 BVerfGE 44, 125, 139. 1085 BVerfGE 44, 125, 139. 1086 BVerfGE 44, 125, 139. 1087 Gusy, NVwZ 2015, 700, 701. 1080

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fungspunkte für eine Neutralitätspflicht des Staates sichtbar. Im Hinblick auf Art. 10 EMRK hat der EGMR die Gefahr, dass der Staat vermittelt über audiovisuelle Medien einen ungebührlichen Einfluss auf die Meinungsbildung ausüben könnte, bereits deutlich herausgestellt.1088 Um, wie vom EGMR gefordert, als Garant des Pluralismus wirken zu können, muss der Staat seine Medienregulierung, ungeachtet der politischen Präferenzen der aktuellen Parlamentsmehrheit und Regierung, am Ziel der Vielfaltsicherung ausrichten. Eine wirksame Förderung der medialen Vielfalt setzt dabei notwendigerweise ein neutrales Verhalten des Staates gegenüber der von den einzelnen Medienanbietern verfolgten Meinungstendenz voraus. Die Neutralitätspflichten des Staates sind nicht nur durch seine Organe und leitenden Vertreter zu beachten, sondern können, wenn auch in abgeschwächter Intensität, zudem auf seine übrigen Bediensteten durchgreifen. So hat der EGMR in Bezug auf Behördenmitarbeiter allgemein anerkannt, dass die in Art. 10 Abs. 2 EMRK verankerte Einschränkung, dass die Inanspruchnahme von Rechten i. S. d. Art 10 Abs. 1 EMRK mit „Pflichten und Verantwortung“ verbunden ist, eine Zurückhaltung bei der Äußerung von Meinungen erfordern kann.1089 Eine grundsätzlich neutrale Haltung des Staates gegenüber zulässigen Meinungsinhalten ist auch für die Verwirklichung verschiedener anderer in der EMRK garantierter Menschenrechte notwendig. So ist der in Art. 9 EMRK verankerten Gedankenfreiheit, welche eine Vorstufe der Meinungsbildung darstellt, ein Verbot staatlicher Indoktrinierung zu entnehmen.1090 Weiterhin hat der EGMR im Hinblick auf Art. 9 EMRK herausgestellt, dass das unabhängige Bestehen von Religionsgemeinschaften unverzichtbare Voraussetzung des Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft ist.1091 Aus diesem Grund trifft den Staat die Pflicht, in neutraler und unparteiischer Weise die Ausübung verschiedener Religionen, Konfessionen und Glaubensüberzeugungen zu gewährleisten.1092 Diese aus Art. 9 EMRK folgende Neutralitätspflicht verwehrt es dem Staat, die Legitimität eines religiösen Glaubens zu beurteilen.1093 Weitere Ausprägungen einer Neutralitätspflicht des Staates kommen in Art. 11 EMRK zum Ausdruck. Der EGMR wendet die Vereinigungsfreiheit auch auf politische Parteien an und hebt diese gegenüber sonstigen Vereinigungen dadurch heraus, indem er ihnen eine besonders herausragende Rolle für das Funktionieren einer Demokratie zuerkennt.1094 Weiterhin unterstreicht der EGMR, dass das mit der Ver 1088 EGMR, NVwZ-RR, 2014, 48, 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 110 (Manole u. a. / Moldawien). 1089 EGMR, Urt. v. 02.09.1998, Nr. 22954/93, § 56 (Ahmed u. a. / Vereinigtes Königreich); EGMR, NJW 1996, 375, 377, § 53 (Vogt / Deutschland). 1090 Grabenwarter / Pabel, § 22, Rn. 111. 1091 EGMR, NJW 2008, 495, 496, § 72 (Scientology Kirche Moskau / Russland). 1092 EGMR, NVwZ 2003, 1489. 1491, § 91 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 1093 EGMR, NJW 2008, 495, 496, § 72 (Scientology Kirche Moskau / Russland); EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 91 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 1094 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 87 (Refah Partisi u. a. / Türkei).

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einigungsfreiheit u. a. verfolgte Ziel der Gewährleistung von Meinungsfreiheit in besonderen Maße des Schutzes politischer Parteien bedarf.1095 Dass es dem Staat grundsätzlich verwehrt ist, Parteien aufgrund der von ihnen vertretenen Meinungsrichtungen zu sanktionieren, wird bereits an den hohen Schwellen für ein Parteiverbot sichtbar.1096 Zwar hat der EGMR die Pflicht des Staates zur Gleichbehandlung der Parteien, anders als das BVerfG, bisher nicht ausdrücklich formuliert. Gleichwohl hat er betont, dass aus der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit Schutzpflichten für den Staat erwachsen können, welche sich auch auf die Beziehungen von Privatpersonen auswirken können.1097 So muss der Staat das ordnungsgemäße Funktionieren einer Partei garantieren, wenn dieses durch körperliche Gewalt, welche von dritter Seite zu befürchten ist, gefährdet wird.1098 Auch muss der Staat dafür Sorge tragen, dass die Furcht vor körperlicher Gewalt Vereinigungen und Parteien nicht daran hindert, ihre Meinung, auch in höchst kontrovers diskutierten gesellschaftlichen Streitfragen, offen zum Ausdruck zu bringen.1099 Die Schutzpflichten des Staates im Hinblick auf Art. 11 EMRK machen deutlich, dass der Staat gegenüber zulässigen Meinungsäußerungen nicht nur selbst tolerant sein muss, sondern diese Toleranz im Konfliktfall auch gegenüber Dritten durchsetzen muss.1100 Die Rechtsprechung des EGMR hat unmissverständlich verdeutlicht, dass die Demokratie das einzig konventionsgemäße politische Ordnungsmodell ist und dass sich dieses wiederum nur durch gesellschaftlichen Pluralismus erreichen lässt.1101 Das Leitbild des gesellschaftlichen Pluralismus findet überdies in Art. 2 S. 2 EUV ausdrückliche Erwähnung. Die Gewährleistung des Pluralismus ist als eine Aufgabe des Staates anzusehen. Dieser Aufgabe kann der Staat nur dadurch gerecht werden, indem er die Verwirklichung der in den Artikeln 9 bis 11 EMRK gewährten Rechte wirksam ermöglicht. Hierzu gehört nicht allein die Perspektive der individuellen Inanspruchnahme der genannten Rechte. Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten dem anzustrebenden Pluralismus auch dadurch gerecht werden, dass sie sich gegenüber den verschiedenen in der Gesellschaft vertretenen zulässigen Meinungen und Lebensauffassungen neutral verhalten und u. U. auch die Möglichkeit der Verbreitung solcher Meinungen unter ihren Schutz stellen. Einwirkungen auf den Prozess der gesellschaftlichen Meinungsbildung darf ein Staat jedoch nur dann vornehmen, wenn dies zwingend notwendig ist, um Gefahren 1095

EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 88 (Refah Partisi u. a. / Türkei). Zu den konventionsrechtlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot, siehe Dörr / Grote /  Marauhn-Bröhmer, S. 1218 ff., Rn. 104 f. 1097 EGMR, Urt. v. 02.02.2010, Nr. 25196/04, § 25 (Christian Demokratic People’s Party / Moldawien, No. 2). 1098 EGMR, Urt. v. 02.02.2010, Nr. 25196/04, § 25 (Christian Demokratic People’s Party / Moldawien, No. 2). 1099 EGMR, Urt. v. 02.02.2010, Nr. 25196/04, § 25 (Christian Demokratic People’s Party / Moldawien, No. 2). 1100 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1220, Rn. 105. 1101 EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, §§ 86, 89 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 1096

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für den gesellschaftlichen Pluralismus abzuwehren. So muss es den Mitgliedstaaten möglich sein, Parteien vom Schutz der Vereinigungsfreiheit auszunehmen, sofern diese die Abschaffung der Demokratie und der in der EMRK anerkannten Rechte anstreben.1102 Ebenso sind die Mitgliedstaaten berechtigt und sogar verpflichtet, Pluralismus sichernde Maßnahmen zu ergreifen, sofern eine Machtkonzentration durch Privatpersonen die Freiheit des gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses gefährdet. Aus diesem Grund werden die Mitgliedstaaten Regelungen zur Begrenzung der Unternehmenskonzentration im Medienbereich zumindest in Betracht ziehen müssen. Insgesamt lässt sich der Rechtsprechung des EGMR zu den Artikeln 9 bis 11 EMRK eine Neutralitätspflicht der Mitgliedstaaten in Bezug auf den frei zu gestaltenden gesellschaftlichen Kommunikationsprozess deutlich entnehmen. Eine Informationstätigkeit des Staates, welche politisch beeinflussend wirkt, untergräbt den vom EGMR herausgehobenen Wert des Pluralismus, welchem im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses besondere Bedeutung zukommt. Aus der Neutralitätspflicht des Staates ergeben sich inhaltliche Grenzen in Bezug auf die Zulässigkeit staatlicher Äußerungen. Berücksichtigt man, dass dem Staat zurechenbare mediale Äußerungen großes Potential besitzen die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen, so dürften diese grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn sie entweder meinungsneutral gehalten sind oder sogar einen Beitrag zur Freiheit des Meinungsbildungsprozesses leisten können. Den Mitgliedstaaten wird jedenfalls nicht die Berechtigung abgesprochen werden können, überhaupt eine an die Öffentlichkeit gerichtete Kommunikationstätigkeit zu betreiben. So muss gesehen werden, dass die Information des Staates über das eigene Handeln mit dessen Aufgabenerfüllung in einem untrennbaren Zusammenhang steht.1103 Es kann etwa die Verbreitung von wichtigen Informationen, welche der Öffentlichkeit ohne die staatliche Informationstätigkeit nicht zugänglich wären, als Aufgabe der Regierung aufgefasst werden.1104 In einer solchen Situation könnte eine zutreffende und sachlich gehaltene staatliche Informationstätigkeit die Freiheit der Meinungsbildung sogar befördern. Überzogen erscheint es hingegen, Staatsorganen die Mitwirkung an der Willensbildung des Volkes zuzugestehen.1105 Diese Aufgabe sollte vielmehr den politischen Parteien vorbehalten bleiben. In dieser Hinsicht erscheint die Feststellung wichtig, dass die Staatsorgane als solche keiner Partei zuzuordnen sind, sondern in ihrem Bestand von den sie aktuell ausfüllenden Parteien und Personen unabhängig sind.1106 Das Recht über die personelle Besetzung der Staatsorgane zu befinden, kommt nicht dem Staat sondern dem Volk, welches in seiner Entscheidungsfindung von staatlichen Einflussnahmen frei gehalten werden muss, zu.1107 1102

EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, § 97 (Refah Partisi u. a. / Türkei). Gusy, NVwZ 2015, 700, 701. 1104 BVerfG, NJW 2002, 2621, 2623 (Glykolwein). 1105 A. A. Gusy, NVwZ 2015, 700, 702. 1106 Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 269. 1107 Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 269. 1103

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Angesichts dessen müssen die Mitgliedstaaten sich im Rahmen ihrer Werbe- und Informationstätigkeit inhaltlich auf solche Informationen beschränken, welche der Freiheit des Meinungsbildungsprozesses dienlich sind. Veröffentlichungen staatlicher Stellen, welche darauf gerichtet sind, den Meinungsbildungsprozess in eine bestimmte Richtung zu lenken, widersprechen den der EMRK zugrunde liegenden Leitprinzipien der Demokratie und des Pluralismus. Dabei darf nicht verkannt werden, dass die Grenze zwischen zulässiger Informationstätigkeit und unzulässiger Einflussnahme sich nicht in allgemeinverbindlich festlegen lässt und daher stets einer Einzelfallbetrachtung bedarf.1108 Festhalten lässt sich indessen, dass staat­liche Organe im Rahmen ihrer nicht grundsätzlich unzulässigen Öffentlichkeitsarbeit jedenfalls inhaltliche Neutralitätspflichten zu beachten haben. f) Begrenzung der medialen Aktivitäten staatlicher Akteure aa) Beschränkungen medialer Angebote unter staatlicher Steuerung Der EGMR lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er den Staat für verpflichtet hält, ein inhaltlich vielfältiges Medienangebot zu garantieren.1109 Der EGMR stellt in diesem Zusammenhang ebenso in Rechnung, dass Gefährdungen der Medienvielfalt eintreten können, welche den Staat zu einem aktiven Handeln veranlassen können.1110 Vom Ansatz her denkbar wäre es, dass der Staat einer durch private Medien vermittelten übermäßigen Meinungsmacht dadurch entgegentritt, indem er sich selbst medial betätigt. Zwar hat der EGMR mit Bezug auf die audiovisuellen Medien deutlich gemacht, dass der Staat keine, auch nicht vermittelt über die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, beherrschende Position im Hinblick auf die dort vermittelten Inhalte einnehmen darf.1111 Jedoch ließe sich einwenden, dass auch die Darstellung der Positionen politischer Entscheidungsträger einen Beitrag zur inhaltlichen Vielfältigkeit des medialen Angebots leisten könnte. Andererseits wird kaum zu erwarten sein, dass die Positionen staatlicher Vertreter auch in einer weitgehend staatsfern organisierten Medienordnung jemals unterrepräsentiert sein könnten. Angesichts dessen ließe sich nicht rechtfertigen, weshalb der Staat die Betätigungsmöglichkeiten der privaten Medienanbieter durch einen eigenen medialen Auftritt zu beeinträchtigen berechtigt sein sollte. Allenfalls im Bereich der audiovisuellen Medien entspricht es einer in Europa weithin geteilten Überzeugung, dass durch Gesetz gegründete öffentliche Medienorganisationen einen wesentlichen Beitrag 1108

BVerfGE 44, 125, 152. EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 99 (Manole u. a. / Moldawien); EGMR, ÖJZ 2002, 855, 856, § 73 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1994, S. 549, 550, § 38 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 1110 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 99 f. (Manole u. a. / Moldawien). 1111 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 1109

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zur Vielfältigkeit des Programms leisten sollten. Jedoch hat der EGMR mittlerweile deutlich hervorgehoben, dass für die auf staatliche Initiative ins Leben gerufenen Medienanbieter organisatorische Vorkehrungen gegen die inhaltliche Beeinflussung derselben seitens des Staates vorzusehen sind.1112 Weiterhin würde die Erreichung des Zwecks der staatlichen Neutralitätspflichten, welche verschiedenen Gewährleistungen der EMRK zu entnehmen sind, unterlaufen, wenn der Staat berechtigt wäre, die öffentliche Meinungsbildung in seinem Sinne zu beeinflussen. Jedoch wird es staatlichen Organen nicht verwehrt werden können, eine die Meinungsbildung förderliche und neutral gehaltene staatliche Öffentlichkeitsarbeit in eigener Regie, d. h. nicht nur vermittelt über bereits bestehende professionelle Medienanbieter, vorzunehmen. Die Problematik, in welchem Umfang eine staatliche Informationstätigkeit zulässig ist, stellt sich auch im Hinblick auf die Frage, in welchem Umfang staatlich gesteuerte Medien redaktionelle Beiträge enthalten dürfen. Veranstaltet ein dem Staat zurechenbares Organ oder Unternehmen in eigener Regie ein Medium, so liegt der Vorwurf der ungebührlichen staatlichen Beeinflussung der Meinungsbildung nahe. Diskutiert wird dieses Problem in Deutschland insbesondere anhand der Zulässigkeit des sog. Parlamentsfernsehens, welches der Deutsche Bundestag veranstaltet. Auch das Europäische Parlament betreibt mit dem EuroparlTV einen Internetauftritt, welcher umfangreich über die Arbeit dieses EU-Organs berichtet.1113 Die Selbstdarstellung des Europäischen Parlaments enthält dabei nicht nur Videoaufzeichnungen der Parlaments- und Ausschusssitzungen, sondern auch redaktionell gestaltete Beiträge.1114 Mit Blick auf das im deutschen Verfassungsrecht entwickelte Gebot der Staatsferne wird das Parlamentsfernsehen verbreitet zumindest dann als unzulässig und auch nicht vor dem Hintergrund grundsätzlich legitimer staatlicher Öffentlichkeitsarbeit als berechtigt angesehen, wenn dieses Elemente der redaktionellen Gestaltung enthält.1115 Darüber hinausgehend wird zudem die Auffassung vertreten, dass selbst unkommentierte Aufzeichnungen des Parlamentsgeschehens die öffentliche Meinungsbildung in so erheblichen Umfang beeinflussen können, dass dem Staat zurechenbare Stellen solche Angebote nicht in eigener Regie verbreiten können, ohne dass hierin ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zu erblicken wäre.1116 1112 Vgl. zu den Ansätzen der Entwicklung eines Prinzips der Staatsfreiheit des Rundfunks durch den EGMR, Cornils, FS Schröder, S. 125, 141 ff. Siehe zu den organisatorischen Anforderungen an die Ausgestaltung öffentlicher Medienorganisationen die Ausführungen unter D. II. 4. a) bb). 1113 Siehe hierzu: https://www.europarltv.europa.eu/de/about-us (letzter Zugriff: 30.11.2017). 1114 Hahn / Vesting-Bumke, § 20a RStV, Rn. 27. 1115 Goerlich / Laier, ZUM 2008, 475, 484; Hahn / Vesting-Bumke, § 20a RStV, Rn. 27; Hartstein /  Ring / Kreile / Dörr / Stettner / Cole / Wagner-Dörr, § 20a RStV, Rn. 13 (67. AL, Oktober 2016). 1116 Goerlich / Laier, ZUM 2008, 475, 482. Die Auffassung, dass allein die Auswahl über die gesendeten Inhalte eine redaktionelle Entscheidung beinhaltet und auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einwirkt, vertritt auch Gersdorf, Parlamentsfernsehen, S. 43 f.

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Überzeugend erscheint es, das Parlament der staatlichen und nicht der gesellschaftlichen Sphäre zuzuordnen.1117 So wird das staatliche Handeln in wesentlichen Bereichen, vor allem im Bereich der Gesetzgebung, über das Parlament gesteuert. Auch sind die Bürger, wenngleich die Zusammensetzung des Parlaments auf ihren Willen zurückzuführen ist, der durch das Parlament ausgeübten Hoheitsgewalt unterworfen.1118 Ebenso überzeugend ist es, das unbestimmte Kriterium der redaktionellen Gestaltung des Parlamentsfernsehens nicht als maßgebliches Kriterium der Zulässigkeit desselben anzusehen. Zweifellos ist auch die unkommentierte Ausstrahlung selektiv ausgewählter parlamentarischer Aktivitäten geeignet, bedeutenden Einfluss auf die Meinungsbildung zu entfalten. Zu Recht wird auf den Umstand hingewiesen, dass die Grenzen zwischen der zulässigen Selbstdarstellung staatlicher Organe im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit und der unzulässigen Inbetriebnahme eines Staatsrundfunks nur schwer zu ziehen sind.1119 Indessen wird die Problematik einer solchen Grenzziehung nicht zur Folge haben können, dass Parlamente und andere staatliche Stellen sich in amtlicher Funktion nicht massenmedial an die Öffentlichkeit wenden dürfen. Im europäischen Kontext wurde in Bezug auf die dem Staat zurechenbare Kommunikationstätigkeit bisher besonderes Augenmerk auf die audiovisuellen Medien und deren Gesamtangebot gelegt. So hat der EGMR es im Hinblick auf die aus Art. 10 EMRK folgende Staatsferne als unzulässig bezeichnet, wenn der Staat, auch nur vermittelt über einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, einen beherrschenden Einfluss auf die in den audiovisuellen Medien dargestellten Inhalte nehmen kann.1120 In Bezug auf andere Mediengattungen hat der EGMR sich bisher nicht ausdrücklich zu der Frage geäußert, inwieweit es staatlichen Stellen gestattet ist, publizistische Inhalte zu verbreiten. Diese Zurückhaltung darf jedoch nicht dahin gedeutet werden, dass staatliche Äußerungen, welche nicht audiovisuell vermittelt werden, keinen inhaltlichen Grenzen unterlägen. Dies ergibt sich bereits aus den Neutralitätspflichten, welche der Staat in seiner gesamten an die Öffentlichkeit gerichteten Kommunikation zu berücksichtigen hat.1121 Weiterhin muss es als schlechthin unzulässig angesehen werden, dass öffentliche Medienorganisationen in anderen als audiovisuellen Medien tätig werden und somit in publizistische Konkurrenz zu privaten Anbietern treten. So wird in Europa übereinstimmend die Annahme geteilt, dass die im Wesentlichen textbasierten Medien von staatlicher Beeinflussung grundsätzlich frei zu halten sind und dass sich eine hinreichende Vielfalt grundsätzlich auch ohne ein Hinzutreten des Angebots öffentlicher Medienanbieter erreichen

1117

BVerfGE 83, 238, 323; Goerlich / Laier, ZUM 2008, 475, 483. Ähnlich, Goerlich / Laier, ZUM 2008, 475, 483. 1119 Gersdorf / Paal-Martini, § 20a RStV, Rn. 23 (17. Edition, Stand: 01.05.2017); Hartstein /  Ring / Kreile / Dörr / Stettner / Cole / Wagner-Dörr, § 20a RStV, Rn. 13 (67. AL, Oktober 2016). 1120 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 1121 Siehe hierzu D. II. 4. e). 1118

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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lässt.1122 Eine der Presseberichterstattung vergleichbare mediale Betätigung des Staates kommt allenfalls in der Ausnahmesituation in Betracht, dass aufgrund eines „Marktversagens“ bestimmte Informationsbedürfnisse der Öffentlichkeit nicht ausreichend erfüllt werden können.1123 Im Übrigen sind die textbasierten staatlichen Äußerungen inhaltlich und umfänglich so zu begrenzen, dass Beeinträchtigungen privater verlegerischer und pressemäßiger Betätigungen nicht entstehen können.1124 Das Verbot publizistischer Konkurrenz kann auf dem Gebiet der audiovisuellen Medien keine Geltung beanspruchen, da hier ein Marktversagen als der Regelfall betrachtet wird und öffentlich-rechtlich beauftragte Medienanbieter durch ihr Angebot verhindern sollen, dass die angenommenen Defizite des wirtschaftlichen Wettbewerbs sich in Gestalt eines die Demokratie beeinträchtigenden Vielfaltdefizits auswirken können. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, weshalb der EGMR Begrenzungen staatlicher Einflussnahmen bisher nur in Bezug auf audiovisuelle Medien formuliert hat. Während über die Presse vermittelte inhaltliche Einflussnahmen des Staates stets Art. 10 EMRK widersprechen, muss in Rechnung gestellt werden, dass Einfallstore staatlichen Einflusses sich in den audiovisuellen Medien bereits durch die seitens der Mitgliedstaaten weithin angenommene Notwendigkeit der Organisation und Beauftragung öffentlicher Medienorganisationen ergeben. Anforderungen an die Pluralität der Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat der EGMR insbesondere vor dem Hintergrund der Situation formuliert, dass private Medienanbieter noch zu schwach sind, um in ausreichendem Maße als inhaltliches Gegengewicht zum einem staatlich beeinflussten öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirken zu können.1125 Angesichts dieser Rechtsprechung des EGMR erscheint es den europäischen Maßstäben im Hinblick auf notwendige Begrenzungen staatlicher Medienaktivität im audiovisuellen Bereich bereits zu genügen, wenn eine inhaltliche Dominanz des Staates wirksam ausgeschlossen wird. Diesem Anspruch kann bereits weitgehend durch die Beachtung von Neutralitätspflichten in der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit und durch die Absicherung der redaktionellen Unabhängigkeit der öffentlichen Medienorganisationen genügt werden. Jedoch muss gesehen werden, dass die Frage, ob eine staatliche Äußerung den Neutralitätspflichten genügt, jeweils eine schwierige Einzelfallprüfung erfordern kann. Zudem ist die möglichst staatsferne Ausgestaltung der öffentlichen Medienorganisationen eine überaus komplexe Aufgabe, welche nicht völlig frei von der Beteiligung staatlicher Organe bewältigt werden kann. Vor diesem Hintergrund sollte auch der Umfang der massenmedial verbreiteten staatlichen Kommunikation in die Betrachtung einbezogen werden. So wird zu fordern sein, dass der Schwerpunkt des gesellschaftlichen Kommunika 1122 Eine andere Frage ist, ob es dem Staat auch untersagt sein muss, sich an privaten Medienanbietern zu beteiligen. Siehe hierzu noch die Ausführungen unter D. II. 4. f) bb). 1123 In Bezug auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, Degenhart, AfP 2009, 207, 212. 1124 In Bezug auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, Degenhart, AfP 2009, 207, 212. 1125 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 101 (Manole u. a. / Moldawien).

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

tionsprozesses auf der individuellen Inanspruchnahme der Rechte, welche Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährt, beruht.1126 Der staatlichen Informationstätigkeit darf hingegen nur eine untergeordnetes Gewicht zukommen. Mithin lässt sich festhalten, dass die medial verbreitete staatliche Kommunikationstätigkeit sowohl von ihrem Inhalt als auch von ihrem Umfang her begrenzt sein muss. Jedoch sollten staatliche Stellen grundsätzlich berechtigt sein, eine Selbstdarstellung und eine die freie Meinungsbildung förderliche neutrale Informationstätigkeit über sämtliche Medienarten vorzunehmen. Die Feststellung der Überschreitung dieser Grenzen bedarf jedenfalls einer intensiven Beobachtung der medialen Aktivität staatlicher Akteure. Somit wird eine Intervention der EU auf diesem Gebiet erst dann in Betracht kommen, wenn offensichtlich ist, dass die staatliche Informationstätigkeit den Zweck verfolgt, die öffentliche Meinungsbildung aufgrund ihres Umfangs bzw. ihres Inhalts zu beeinflussen. bb) Begrenzung der staatlichen Beteiligung an privaten Medien (1) Möglichkeit der Umgehung des Verbots staatlicher Einflussnahmen Der Einfluss staatlicher Organe und Funktionsträger kann nicht nur über öffentliche Medienorganisationen und staatliche Informationstätigkeiten, sondern auch über private Medienanbieter vermittelt werden. Gleichwohl liegt das Hauptaugenmerk im Hinblick auf die Verhinderung ungebührlicher staatlicher Einflussnahmen in den Veröffentlichungen der Organe des Europarats im Wesentlichen auf der zu wahrenden redaktionellen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gefährdungen im Bereich privat betriebener Medien werden demgegenüber hauptsächlich in übermäßiger Medienkonzentration und in mangelnder Transparenz der inhaltlichen Einflussmöglichkeiten durch finanzkräftige Privatpersonen gesehen.1127 Jedoch wird Transparenz auch im Hinblick auf die Verteilung öffentlicher Fördermittel empfohlen.1128 Spezielle Maßnahmen zur Begrenzung des Medieneigentums solcher Personen, welche ebenfalls auf staatlicher Ebene erhebliche Machtbefugnisse besitzen, werden indessen nicht in Betracht gezogen.

1126

So in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Gersdorf, Parlamentsfernsehen, S. 60. Vgl. etwa EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02 (Manole u. a. / Moldawien) und Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung No. R(96)10. Sowohl das vorgenannte Urteil als auch die Empfehlung problematisieren den Staatseinfluss lediglich im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Siehe auch Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, I. 3.4. Dort wird die inhaltliche Kontrolle der öffentlichen Medien durch politische und soziale Gruppen angesprochen, wohingegen in Bezug auf private Medien lediglich Konzentrationsbegrenzungen und Transparenz als Vielfalt sichernde Maßnahmen herausgestellt werden (siehe Ziffer I. 2. und III.). 1128 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, III.1., 4. Spiegelstrich. 1127

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Dies überrascht vor dem Hintergrund, dass die Möglichkeit, dass ein politischer Entscheidungsträger aufgrund seines Medieneigentums die Berichterstattung seitens der privaten Medien inhaltlich beeinflussen könnte, in der Vergangenheit bereits an der Person des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten und Medienunternehmers Silvio Berlusconi augenfällig wurde. Die wesentliche Brisanz des Falles Berlusconis lag nicht allein in der allgemeinen staatsorganisationsrechtlichen Problematik, dass zur Vermeidung von Interessenkonflikten bestimmte öffentlicher Ämter als unvereinbar mit der Wahrnehmung privater beruflicher Tätigkeiten und Interessen geregelt werden müssen, begründet.1129 Vielmehr trat das medienspezifische Problem hinzu, dass, unabhängig von etwaigen und möglicherweise Interessenkonflikte hervorrufenden Leitungsbefugnissen eines privaten Unternehmens, bereits die formale Eigentümerstellung in Bezug auf einen oder mehrere Medienanbieter der staatlich zu gewährleistenden Medienvielfalt widersprechen könnte. Die Venedig-Kommission des Europarats, welche die Situation der Medienfreiheit und -vielfalt in Italien unter der ab dem Jahr 2001 amtierenden Regierung Berlusconi zu begutachten hatte, regte zur Lösung dieses Problems eine zufrieden stellende Lösung an, ohne indessen konkrete Vorschläge zu unterbreiten.1130 Im vorgenannten Sinne als zufrieden stellend wird nur eine Regelung angesehen werden können, welche wirksam verhindert, dass die engen Grenzen der zulässigen medialen Aktivitäten des Staates nicht dadurch umgangen werden können, dass es staatlichen Funktionsträgern in ihrer Eigenschaft als Medieneigentümer möglich ist, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Deshalb müssen Verbote medialer Aktivitäten des Staates konsequenterweise auch auf dessen Vertreter und leitende Bedienstete durchgreifen.1131 Jedoch werden regelmäßig nicht die staatlichen Funktionsträger selbst ein Medium betreiben. Vielmehr kommt es in Betracht, dass der Einfluss über gesellschaftsrechtliche Beteiligungsverhältnisse an privaten Medien vermittelt wird. Zudem kann übermäßiger Staatseinfluss über Beteiligungen politischer Parteien in die privat betriebenen Medien transportiert werden. (2) Europäische Grenzen der Einflussnahme durch Medieneigentum (a) Seitenblick auf das deutsche Verfassungsrecht Angesichts der aufgezeigten Problematik erscheint es zum Schutz der Medienvielfalt geboten, europäische Standards herausarbeiten, welche den über Medieneigentum vermittelten Einfluss des Staates zu begrenzen geeignet sind.

1129

Beispiele solcher Unvereinbarkeiten sind in Art. 55 Abs. 2 GG und Art. 66 GG geregelt. Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no.  309/2004, CDL-AD(2005)017, Ziffer 237, 278. 1131 Vgl. in Bezug auf die Zulassungsfähigkeit von Rundfunkveranstaltern in Deutschland, § 20a Abs. 3 RStV. 1130

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Da die mit Bezug zur Medienvielfalt ergangenen Veröffentlichungen des Europarats hierzu keine konkreten Hinweise bereit halten, empfiehlt sich ein Blick auf die verfassungsrechtliche Situation in Deutschland. Behandelt wurde das Problem der Vermittlung von Staatseinfluss über Medieneigentum vor allem im Zusammenhang mit dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit unter dem Schlagwort der Staatsfreiheit bzw. der Staatsferne. In jüngerer Vergangenheit wurde besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt, ob neben direkt dem Staat zurechenbaren Beteiligungen auch die Beteiligungen politischer Parteien wegen deren maßgeblicher Einflussnahme auf die Besetzung höchster Staatsämter begrenzt werden müssen. Seitens des BVerfG wurde es als verfassungsgemäß angesehen, dass es Parteien untersagt ist, einen bestimmenden Einfluss auf die Programmgestaltung und die Programminhalte privater Veranstalter auszuüben.1132 Indessen wurde ein absolutes Beteiligungsverbot als unangemessene Beeinträchtigung der „rundfunkverfassungsrechtlichen Positionen“ der Parteien bzw. der Zulassungsbewerber angesehen.1133 Die Rechtsprechung des BVerfG wird auch dahin gedeutet, dass es neben den Parteien auch dem Staat nicht generell versagt ist, sich an privaten Rundfunkveranstalten zu beteiligen, sofern damit keine Einflussmöglichkeit auf das Medium des Rundfunks verbunden ist.1134 Teilweise wird sogar angenommen, dass juristische Personen selbst dann, wenn der Staat Beteiligungen an ihnen hält, keine Adressaten des Grundsatzes der Staatsfreiheit, sondern vielmehr Berechtigte des Grundrechts der Rundfunkfreiheit sind, sofern der inhaltliche Einfluss des Staates nur kein beherrschender ist.1135 Dieser Auffassung kann entgegengehalten werden, dass bereits die bloße Beteiligung des Staates an bestimmten Rundfunkveranstaltern deren wirtschaftliche Position gegenüber vollständig privat finanzierten Konkurrenten stärken und zugleich einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Medienfreiheiten der Wettbewerber bewirken kann. Zudem steht zu befürchten, dass bereits die Auswahl des Veranstalters, an welchem der Staat Beteiligungen hält, nach inhaltlichen Gesichtspunkten erfolgt.1136 Hervorzuheben ist, dass das Gebot der Staatsfreiheit bzw. der Staatsferne mit Blick auf die Wettbewerbssituation zu privaten Anbietern im Bereich der Pressefreiheit stärker ausgeprägt ist, als im Bereich der Rundfunkfreiheit. So ist die Etablierung einer öffentlich-rechtlichen Presse grundsätzlich unzulässig.1137 Zudem hat das BVerfG festgestellt, dass Presseunternehmen nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen arbeiten und deshalb in einem wirtschaftlichen Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, in welches der Staat grundsätzlich nicht eingreifen darf.1138

1132

BVerfGE 121, 30, 63. BVerfGE 121, 30, 64. 1134 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner / Cole / Wagner-Dörr, § 20a RStV, Rn. 16 (67. AL, Oktober 2016). 1135 Gersdorf, AfP 2008, 259, 262. 1136 Vgl. hierzu die vergleichbare Problematik der Vergabe von Subventionen nach inhaltlichen Gesichtspunkten unter D. II. 4. d) cc) (1). 1137 Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 122, Rn. 30. 1138 BVerfGE 20, 162, 175. 1133

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung des Staates an privaten Pressunternehmen stellte eine massive Beeinflussung des Wettbewerbsverhältnisses unter den Anbietern dar und widerspräche den aus der Pressefreiheit folgenden Geboten der staatlichen Meinungs- und Wettbewerbsneutralität.1139 Aus diesem Grund wird die Zulässigkeit einer Beteiligung des Staates an Pressunternehmen selbst dann überaus kritisch gesehen, wenn hierüber kein direkter Einfluss auf den Inhalt der Publikation genommen werden kann.1140 Gleichwohl dürfte es aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts zumindest vertretbar sein, dass gesellschaftsrechtliche Beteiligungen seitens des Staates an privaten Medienanbietern gehalten werden dürfen, sofern hierüber keine „inhaltslenkende Wirkung“ erzielt werden kann.1141 Selbst im Bereich des gemeinhin als besonders wirkmächtig und deshalb gegenüber staatlichen Einflussnahmen als besonders schutzwürdig angesehenen Rundfunks wird gesetzlich lediglich ein inhaltlich beherrschender Einfluss staatlich beeinflusster Stellen ausgeschlossen (vgl. § 20a Abs. 3 RStV). Dieselben Maßstäbe gelten für natürliche Personen, welche juristische Personen des öffentlichen Rechts vertreten oder als leitende Bedienstete für diese tätig sind. (b) Grundrechtliche Anforderungen aus der EMRK Allein aufgrund dieses verfassungsrechtlichen Diskussionsstandes des bevölkerungsreichsten Mitgliedstaats der EU und der wenig ergiebigen Behandlung der Problematik seitens des Europarats erscheint es zweifelhaft, dass sich aus dem Blickwinkel der europäischen Wertesicherung strengere Beteiligungsverbote ergeben könnten. Auch die Venedig-Kommission räumte anlässlich der Überprüfung der Mediensituation in Italien unter der Regierung Berlusconi ein, dass der EGMR die Problematik, dass ein öffentlicher Amtsträger zugleich als Medieneigentümer Interessenvertreter auf dem Gebiet der Massenmedien ist, noch nicht ausdrücklich behandelt hat.1142 Hieran hat sich bisher, soweit ersichtlich, nichts geändert. Der EGMR hat in Bezug auf die aus Art. 10 EGMR folgenden Anforderungen an die Medienvielfaltsicherung lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Staat wirksam verhüten muss, dass weder er selbst noch eine starke wirtschaftliche oder politische Interessengruppe einen beherrschenden Einfluss auf die audiovisuellen

1139

Degenhart, AfP 2009, 207, 209. Die Zulässigkeit von Beteiligungen generell ablehnend, Paschke / Berlit / Meyer-Ladeur, S. 115, Rn. 8. Eine auf „marginale Konkurrenz“ begrenzte staatliche Presstätigkeit nicht vollständig ausschließend, Degenhart, AfP 2009, 207, 208 und 212. 1141 Vgl. zur Neutralitätspflicht und zum Verbot einer „inhaltslenkenden Wirkung“ im Bereich der Presseförderung, BVerfGE 80, 124, 134. 1142 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no.  309/2004, CDL-AD(2005)017, Ziffer 203. 1140

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Medien ausüben kann.1143 Zudem hat die Venedig-Kommission die mit Blick auf die Funktionsgleichheit aller Massenmedien überzeugende die Auffassung vertreten, dass die Medienvielfalt nicht nur in Bezug die audiovisuellen, sondern in Bezug auf alle Medienbereiche zu gewährleisten ist.1144 Die bloße Beteiligung des Staates oder einer Partei an einem einzelnen Medienveranstalter ist noch weit davon entfernt, die Gefahr der Beherrschung einer gesamten Mediengattung hervorzurufen. Auch hat der EGMR dem Staat nur die generelle Verpflichtung auferlegt, sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit mittels Radio und Fernsehen Zugang zu unparteiischen und richtigen Informationen hat und dass die vielfältigen innerhalb des Landes vertretenen politischen Ansichten in diesen Medien widergespiegelt werden.1145 Weiterhin dürfen Journalisten und andere im redaktionellen Bereich tätige Personen nicht daran gehindert werden, solche Informationen in den genannten Medien zu verbreiten.1146 Im Übrigen hat der EGMR jedoch hervorgehoben, dass die Wahl der Mittel, mit welchen diese Ziele zu erreichen sind, nach den jeweiligen lokalen Besonderheiten unterschiedlich zu beurteilen sind, sodass den Konventionsstaaten in dieser Hinsicht ein erheblicher Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist.1147 Berücksichtigt man zudem, dass die sachgerechte normative Erfassung der zu verhütenden staatlichen Einflussnahme auf Medieninhalte in unterschiedlicher Weise vertretbar geregelt werden kann, so werden die europäischen Grenzen mitgliedstaatlicher Gestaltungsspielräume weiter aufgeweicht. Auch das BVerfG richtet an den Gesetzgeber lediglich die Erwartung, den tatsächlichen staatlichen Einfluss auf die Programmgestaltung und die Programminhalte nach geeigneten und nachvollziehbaren Kriterien zu normieren.1148 Allein aufgrund der durch den EGMR anerkannten Gestaltungsfreiräume der Konventionsstaaten werden die Anforderungen, welche Art. 10 EMRK an die Staatsfreiheit des Rundfunks stellt, kaum über diejenigen hinausgehen können, welche Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG an den deutschen Gesetzgeber adressiert.1149 Somit lassen sich nur schwerlich europäische Anknüpfungspunkte finden, welche die Beteiligung einer Partei oder eines dem Staat zurechenbaren Akteurs an einem privaten Medienunternehmen unter dem Gesichtspunkt des Erfordernisses der Medienvielfaltsicherung als unzulässig erscheinen lassen.

1143 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 98 (Manole u. a. / Moldawien). 1144 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no.  309/2004, CDL-AD(2005)017, Ziffer 262. Vgl. zur Notwenigkeit der Vielfaltsicherung in Bezug auf alle Mediengattungen auch D. II. 2. c) bb) (4). 1145 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 1146 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 1147 EGMR, Urt. v. 17.09.2009, Nr. 13936/02, § 100 (Manole u. a. / Moldawien). 1148 BVerfGE 121, 30, 63. 1149 So in Bezug auf die Anforderungen an die pluralistische Zusammensetzung der Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Medienanbieter auch Cornils, FS Schröder, S. 125, 145.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

363

Zudem müssen auch etwaige Rechte und Interessen derjenigen Personen in den Blick genommen werden, welche Medienbeteiligungen zu halten beabsichtigen. Zwar kommt den der staatlichen Sphäre zuzurechnenden juristischen Personen im System der EMRK eine Grundrechtsberechtigung grundsätzlich nicht zu.1150 Als in diesem Sinne der staatlichen Sphäre zurechenbar, können jedoch nicht die politischen Parteien bezeichnet werden. So sind diese sowohl nach dem GG als auch nach der EMRK in Bezug auf die Meinungsfreiheit grundrechtsberechtigt.1151 Zudem wird die Betätigung der politischen Parteien über Art. 21 GG bzw. Art. 11 EMRK geschützt.1152 Zur Wahrnehmung der Meinungsfreiheit können es Parteien für geboten halten, sich massenmedial zu äußern.1153 Aber auch jenseits der Absicht, Meinungsäußerungen medial zu transportieren, dürfte es vom Schutz der Parteienfreiheit umfasst sein, durch Unternehmensbeteiligungen über Einnahmen und Vermögen zu verfügen, um auf diese Weise die finanziellen Grundlagen der Parteiarbeit zu generieren.1154 Der EGMR sieht den Staat mit Blick auf Gefährdungen durch Privatpersonen jedenfalls in der Pflicht, das ordnungsgemäße Funktionieren der politischen Parteien zu garantieren.1155 Weiterhin kommt in Betracht, dass diejenigen natürlichen Personen, welche auch staatliche Funktionen wahrnehmen, in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen Rechte aus Art. 10 Abs. 1 EMRK wahrzunehmen berechtigt sind. In Bezug auf Beamte und Abgeordnete eines Parlaments hat der EGMR entschieden, dass diese dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK unterfallen.1156 Dies gilt für Parlamentarier im Gegensatz zu den im deutschen Recht vorrangigen Statusrechten auch dann, wenn diese ihr Rederecht als Abgeordnete in Anspruch nehmen.1157 Problematisch erscheint aber, ob auch Regierungsmitglieder und vergleichbar hochrangige Vertreter des Staates Rechtspositionen aus Art. 10 Abs. 1 EMRK für sich fruchtbar machen können, wenn deren Beteiligungen an privaten Medienunternehmen in Rede stehen. Im Ausgangspunkt gilt, dass die Staatsgewalt in ihren vielfältigen Erscheinungsformen im Hinblick auf Art. 10 EMRK vielmehr grundrechtsgebunden und nicht grundrechtsverpflichtet ist.1158 Bereits aus dieser Perspektive ließe sich bestreiten, dass die Repräsentanten der Staatsgewalt, wenngleich diese auch natürliche Personen sind, zugleich berechtigt sein können, sich im Hinblick auf die Beteiligung an 1150

Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1093, Rn. 51. BVerfGE 121, 30, 57; EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 88 (Refah Partisi u. a. / Türkei); Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10 EMRK, Rn. 31 (15. Lieferung-Juni 2013). 1152 Dörr / Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1214, Rn. 95. 1153 BVerfGE 121, 30, 57. 1154 Zur Berechtigung der Parteien über Einnahmen und Vermögen zu verfügen, siehe Dörr /  Grote / Marauhn-Bröhmer, S. 1215, Rn. 97. 1155 EGMR, Urt. v. 02.02.2010, Nr. 25196/04, § 25 (Christian Democratic People’s Party / Moldawien, No. 2). 1156 EGMR, ÖJZ 2001, 693, 694, §§ 36, 40 (Jerusalem / Österreich); EGMR, ÖJZ 2000, 647, 648, § 41 (Wille / Liechtenstein). 1157 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1096, Rn. 55. 1158 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1096, Rn. 56. 1151

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

einem privaten Medienanbieter auf Art. 10 Abs. 1 EMRK zu berufen. Jedoch selbst dann, wenn man bezogen auf private Aktivitäten eine Rechtspostion aus Art. 10 EMRK anerkennen möchte, muss berücksichtigt werden, dass ein dominierender Einfluss auf einen privaten Medienanbieter die handgreifliche Gefahr beinhaltet, dass Neutralitätspflichten, welche den Staatsorganen aus Art. 9 bis 11 EMRK auferlegt sind, umgangen werden könnten. So lässt sich eine trennscharfe Abgrenzung, ob der Inhaber einer staatlichen Funktion in dieser Rolle, als Parteipolitiker oder als Privatperson handelt, regelmäßig nur schwer vornehmen.1159 Auch hat der EGMR in Bezug auf Behördenbedienstete herausgestellt, dass die in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannte Einschränkung, nach welcher die Inanspruchnahme von Rechten i. S. d. Art 10 Abs. 1 EMRK mit „Pflichten und Verantwortung“ verbunden ist, eine Zurückhaltung bei der Äußerung von Meinungen erfordern kann.1160 Dies wird in besonderer Weise für solche Funktionsträger zu gelten haben, welche die Leitung des Staates personell ausfüllen und aufgrund ihrer Amtsstellung eine an die Öffentlichkeit gerichtete Kommunikation des Hoheitsträgers zu führen berechtigt sind. So hat der EGMR angedeutet, dass der Umfang der Verpflichtung zur kommunikativen Zurückhaltung unter Berücksichtigung des Status des öffentlich Bediensteten zu erfolgen hat.1161 Unzweifelhaft wird ein leitender Repräsentant oder Vertreter des Staates nicht berechtigt sein können, unmittelbar selbst ein Medium zu betreiben. Anderenfalls liefen die sich aus der EMRK ergebenden und an den Staat adressierten Neutralitätspflichten leer. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Erreichung des Ziels einer „demokratischen Gesellschaft“ i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht hinreichend verwirklicht werden könnte. Nicht anders zu beurteilen ist der Fall, dass ein leitender Repräsentant des Staates einen privaten Medienanbieter inhaltlich zu beeinflussen in der Lage ist. Eine solche Situation wird, unabhängig von der Problematik der Grundrechtsberechtigung staatlicher Repräsentanten in der privaten Sphäre, auch unter europäischen Maßstäben nicht hingenommen werden können. (c) Adressaten der Beschränkungen medialer Aktivitäten Problematisch bleibt indessen, welche Ämter und Funktionen die staatliche Neutralitätspflicht derart in den Vordergrund rücken lassen, dass die inhaltliche Beeinflussung eines privaten Medienanbieters seitens eines staatlichen Funktionsträgers nicht hingenommen werden kann. Aufgrund der staatsorganisationsrecht­ lichen Eigenheiten der verschiedenen Mitgliedstaaten wird man diesen dahingehend einen gewissen Einschätzungsspielraum zugestehen müssen. Jedoch sollten

1159

BVerfG, NVwZ 2015, 209, 213, Rn. 54; Mandelartz, DÖV 2015, 326, 327. EGMR, Urt. v. 02.09.1998, Nr. 22954/93, § 56 (Ahmed u. a. / Vereinigtes Königreich); EGMR, NJW 1996, 375, 377, § 53 (Vogt / Deutschland). 1161 EGMR, Urt. v. 02.09.1998, Nr. 22954/93, § 56 (Ahmed u. a. / Vereinigtes Königreich). 1160

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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zumindest solche öffentlichen Ämter und Funktionen, welche in der Staatspraxis des jeweiligen Mitgliedstaats nach politischen Gesichtspunkten vergeben werden, vom Verbot der Einflussnahme auf private Medienanbieter erfasst sein.1162 Die Fest­ legung der Kriterien anhand derer die Möglichkeit einer inhaltlichen Einflussnahme beurteilt werden soll, muss im Übrigen weitgehend den zuständigen Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Dazu gehört auch die Konkretisierung der öffentlichen Ämter und staatlichen Funktionen, welche Neutralitätspflichten in einem Maße erfordern, dass die gleichzeitige inhaltliche Einflussnahmemöglichkeit auf einen privaten Medienanbieter als unzulässige Umgehung dieser Pflichten erscheinen müsste. Zumindest wird aber zu fordern sein, dass die Leitungen solcher Gebietskörperschaften, welche nach der mitgliedstaatlichen Staatsorganisation in erheblichen Umfang zur Rechtsetzung berechtigt sind, erfasst sind. So kann die Einflussnahme der Mitglieder einer staatlichen Regierung jedenfalls nicht hingenommen werden. Zu denken ist weiterhin an Funktionsträger der Gemeinden und Gemeindeverbände. Diese lokalen Gebietskörperschaften werden in Deutschland, trotz ihres verfassungsrechtlich verankerten Selbstverwaltungsrechts (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG), als Teil des Staates im Sinne der Staatsfreiheit des Rundfunks angesehen.1163 Die Erstreckung des Prinzips der Staatsfreiheit auf kommunale Selbstverwaltungsträger erscheint auch mit Blick auf die EMRK und die hieraus ableitbaren staatlichen Neutralitätspflichten als unerlässlich. So ist in Rechnung zu stellen, dass die Organe der lokalen Gebietskörperschaften regelmäßig von den Einwohnern demokratisch gewählt werden. Der Zweck der Medienvielfaltsicherung und der staatlichen Neutralitätspflichten besteht wiederum im Wesentlichen darin, freie demokratische Wahlen in einem Gemeinwesen zu sichern und unzulässige Einflussnahmen der aktuellen Machtträger auf den Willensbildungsprozess zu verhüten. Dies gilt für Wahlen auf staatlicher wie auf kommunaler Ebene gleichermaßen.1164 Das Interesse der Union an freien Wahlen auf kommunaler Ebene wird über den in Art. 2 S. 1 EUV genannten Wert der Demokratie hinaus insbesondere anhand des Art. 22 AEUV sichtbar. Art. 22 AEUV gewährt jedem Unionsbürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat das dortige aktive und passive Kommunalwahlrecht unter den Bedingungen, welche auch für Inländer gelten. Um dieses Unionsbürgerrecht effektiv gewährleisten zu können, muss der auch in Art. 2 EUV angelegte Grundsatz der freien Wahl auf kommunaler Ebene durch den Ausschluss inhaltlicher Einflussnahmen auf lokale private Medien zur Geltung gebracht werden. Zur Bestimmung der Kommunen,

1162

Zu denken wäre hier beispielsweise an sog. „politische Beamte“, welche nach § 30 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz aus politischen Gründen jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. 1163 BVerfGE 73, 118, 191; Gersdorf, AfP 2008, 259, 261. 1164 Jedoch werden kommunale Vertretungskörperschaften gemeinhin nicht als gesetzgebende Körperschaften i. S. d. Art. 3 1. ZP der EMRK angesehen. Siehe hierzu, EGMR, Urt. v. 15.06.2000, Nr. 52492/99, The law, 2. (Xuereb / Malta); Frowein / Peukert-Frowein, Art. 3 1. ZP EMRK, S. 682, Rn. 3; Meyer-Ladewig / Nettesheim / von Raumer, Art. 3 1. ZP EMRK, Rn. 5; Pabel / Schmahl-Wildhaber, Art. 3 1. ZP EMRK, Rn. 63 (1. Lieferung. – September 1986).

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

welche an staatliche Neutralitätspflichten zu binden sind, bietet sich eine Anlehnung an die im Anhang zur RL 94/80 EG genannten „lokalen Gebietskörperschaften der Grundstufe“, für welche das Kommunalwahlrecht nach Art. 22 AEUV zu gewährleisten ist, an. Indessen wird nicht verlangt werden können, dass Einschränkungen der medialen Betätigung für sämtliche Mitglieder der gewählten Vertretungsorgane gelten müssen. Jedoch muss jedenfalls die exekutive Leitung der genannten lokalen Gebietskörperschaften einer Neutralitätspflicht unterworfen werden, welche eine inhaltliche Einflussnahme auf lokale private Medien ausschließt. Hinsichtlich des Umfangs der Beschränkung medialer Aktivitäten staatlicher Funktionsträger ist in den Blick zu nehmen, dass eine bloße Unternehmensbeteiligung als solche nicht zwangsläufig einen inhaltlichen Einfluss vermittelt. Mithin kann aus europäischer Perspektive jedenfalls nicht verlangt werden, dass im Falle der Bekleidung bestimmter öffentlicher Ämter sämtliche Anteile an Medienunternehmen abzugeben sind.1165 Zwar liegt die Möglichkeit der missbräuchlichen Umgehung von Rechtsvorschriften, welche an einen bestimmenden inhaltlichen Einfluss auf die Unternehmensführung eines Medienanbieters anknüpfen, nahe.1166 Das Problem der Umgehung von Rechtsvorschriften durch die Einsetzung sog. Strohleute ist jedoch in erster Linie ein Beweisproblem. Es erscheint aber nicht zu rechtfertigen, dem Staat, seinen leitenden Funktionsträgern und den politischen Parteien allein wegen des Problems der Beweisbarkeit des vermittelten Staats­ einflusses gleichsam vorsorglich sämtliche Beteiligungen an Medienunternehmen zu untersagen.1167 (d) Mediale Aktivitäten politischer Parteien In Bezug auf politische Parteien dürfte sogar die inhaltliche Beherrschung privater Medienanbieter nicht stets als den europäischen Anforderungen an die Medienvielfaltsicherung widersprechend anzusehen sein. So ist zu berücksichtigen, dass die den Staat treffenden Neutralitätspflichten für politische Parteien und die ihnen zurechenbare Kommunikation nicht gelten. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass über die Leitung einer medial aktiven politischen Partei erheblicher Staatseinfluss in die privat betriebenen Medien transportiert werden kann. So wird im Falle von Regierungsparteien die Leitung der Partei und die Ausfüllung höchst 1165 Auch im deutschen Verfassungsrecht müssen weder der Bundeskanzler noch die Bundesminister ihr Eigentum oder ihre Anteile an einem auf Erwerb gerichteten Unternehmen aufgeben. Siehe hierzu, Maunz / Düring-Herzog, Art. 66 GG, Rn. 53 (Lfg. 53: Oktober 2008). 1166 Vgl. zu der Vermutung, dass Berlusconi seine Leitungsbefugnisse gezielt formal an Personen seines Vertrauens abgegeben haben könnte, Reinemann, ZUM 2004, 904, 907; Serini, S. 247. 1167 Vgl. zu absoluten Beteiligungsverboten an Rundfunkveranstaltern durch politische Parteien, BVerfGE 121, 30, 64. Das BVerfG stellt heraus, dass derartige Verbote mit Blick auf die Rechtspositionen der Parteien eine unangemessene Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit darstellen.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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rangiger Staatsämter regelmäßig durch dieselben Personen erfolgen. Andererseits wird man den im gesellschaftlichen Bereich wurzelnden Parteien, welche nach der EMRK die Rechte der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit in Anspruch nehmen können, nicht verwehren können, eigene Medien zu veranstalten. Die Eignung zur Zweckerreichung solcher Beschränkungen könnte angesichts der vielfältigen und grundsätzlich auch gewünschten Äußerungsmöglichkeiten der Parteien, welche im Zuge der Entwicklung der sog. neuen Medien und Kommunikationsformen stets erweitert werden, mit Recht in Frage gestellt werden. Zudem hat der der EGMR in Bezug auf Art. 10 EMRK herausgestellt, dass Eingriffe in die freie Verbreitung politischer Äußerungen strengen Rechtfertigungsanforderungen genügen müssen.1168 Es kommt hinzu, dass der EGMR die Möglichkeit der Eigendarstellung kleinerer politischer Parteien in Gestalt von Rundfunkwerbung dafür als wichtig ansieht, dass auch diese ihre politischen Ziele einem breiten Publikum zugänglich machen können.1169 Diese Rechtsprechung legt nahe, dass auch die eigenständige Veranstaltung eines Rundfunkprogramms oder das Betreiben sonstiger Medien durch kleinere politische Parteien nicht zu beanstanden wäre. Wenn aber kleinen Parteien eine Rundfunkveranstaltung zu gestatten ist, erschiene es mit Blick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK und den Wert der Gleichheit i. S. d. Art. 2 EUV als problematisch, dies größeren Parteien hingegen zu verwehren. Zudem ließen etwaige Differenzierungen nach Größe und Einfluss der jeweiligen Partei eine kontinuierliche und planungssichere mediale Betätigung der Parteien nicht zu, da stets zu befürchten wäre, dass ein steigender Einfluss künftig die Unzulässigkeit der Medienbetätigung zur Folge haben könnte. Wichtig und erforderlich erscheint es hingegen, dass der möglicherweise über politische Parteien vermittelte mediale Einfluss durch entsprechende Transparenzregelungen sichtbar gemacht wird. Der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über diejenigen Personen, welche finanziellen und inhaltlichen Einfluss auf Medienprodukte ausüben können, ist ein zentrales Anliegen des Ministerkomitees des Europarats.1170 Nur dann, wenn die Beteiligungsverhältnisse und sonstigen Einflussfaktoren bekannt sind, lässt sich ein etwaiges in Kraft gesetztes Medienkonzentrationsrecht durch die Regulierungsstellen effektiv umsetzen. Die öffentliche Zugang zu diesen Informationen bewirkt zudem, dass eine interessengesteuerte und parteiische Berichterstattung als solche erkannt und entsprechend kritisch gewürdigt werden kann. Es ist weiterhin in den Blick zu nehmen, dass die Rechtsprechung des EGMR die Grenzen mitgliedstaatlicher Gestaltungsbefugnis auf dem Gebiet der Vielfaltsicherung erst dann als überschritten ansieht, wenn es u. a. einer politischen Gruppe gelingen kann, eine beherrschende Stellung auf dem Gebiet der audiovisuellen Medien einzunehmen.1171 Um eine solche Entwicklung wirksam ausschließen zu können, reichen indessen bereits geeignete Vorschriften des Medienkonzentrationsrechts aus. Spezielle Betätigungs 1168

EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 59 (TV Vest u. a. / Norwegen). EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 73 (TV Vest u. a. / Norwegen) 1170 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung CM / Rec(2007)2, III. 1171 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 53, § 133 (Centro Europa 7 u. a. / Italien). 1169

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und Beteiligungsverbote politischer Parteien lassen sich den Veröffentlichungen der Organe des Europarats nicht entnehmen. Sie entsprechen auch keinem traditionell ausgeprägten Konsens europäischer Medienregulierung.1172 Schließlich wird seitens des EGMR vielmehr regelmäßig die Bedeutung der freien Meinungsäußerung insb. durch politische Parteien für das Leitbild der demokratischen Gesellschaft i. S. d. EMRK hervorgehoben.1173 Insgesamt lassen sich damit aus europäischer Sicht jenseits des Beherrschungsverbots im audiovisuellen Bereich keine notwendigen Begrenzungen der medialen Aktivitäten der politischen Parteien herleiten. g) Zulässigkeit des Verbots privater politischer Werbung aa) Die Relevanz im Hinblick auf Art. 10 EMRK Während staatliche Werbung im Interesse der Freiheit des Meinungsbildungsprozesses inhaltlichen und umfänglichen Einschränkungen unterliegen muss, ist dies für politische Werbung durch Privatpersonen fraglich. Gerade dann, wenn der Staat selbst eine intensive Informationstätigkeit betreibt, können gesetzliche Beschränkungen politischer Werbung dazu führen, dass staatliche Stellen die öffentliche Debatte dominieren und somit den Meinungsbildungsprozess verzerren. Es ist zu berücksichtigen, dass die Wahrnehmbarkeit der politischen Positionen der regierenden Parteien ohnehin indirekt im Wege der medialen Berichterstattung über Regierungsaktivitäten und -äußerungen gegenüber den politischen Äußerungen sonstiger gesellschaftlicher Gruppen begünstigt ist.1174 Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass Privatpersonen, anders als der Staat, die in Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährten Rechte in Anspruch zu nehmen berechtigt sind. Gesetzliche Beschränkungen bestimmter Werbeinhalte sind jedenfalls als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 EMRK anzusehen.1175 Die gilt sowohl im Hinblick auf diejenige Person, welche Werbung zu platzieren beabsichtigt, als auch für den Medienanbieter, welcher daran gehindert wird, den werbenden Inhalt eines Dritten zu verbreiten. Ein Werbeverbot ist besonders dann als schwerwiegender Eingriff in die durch Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährten Rechte zu betrachten, wenn dieses sich auf politische Äußerungen bezieht.1176

1172 Vgl. zu personenbezogenen Rundfunkzulassungsbeschränkungen in Europa, Holznagel, S. 231 f. 1173 EGMR, NVwZ 2006, 65, 68, § 92 (Gorzelik u. a. / Polen); EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1491, § 87 (Refah Partisi u. a. / Türkei). 1174 Holterhus / Kornack, EuGRZ 2014, 289, 395; Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 24, Ziffer 99. 1175 EGMR, NVwZ 2010, 241, § 29 (TV Vest u. a. / Norwegen). Dazu, dass dies sogar in Bezug auf Werbung zutrifft, mit welcher rein kommerzielle Interessen verfolgt werden, Dörr / Grote /  Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1079, Rn. 33. 1176 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 37 (15. Lieferung – Juni 2013).

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Mit gesetzlichen Beschränkungen der Zulässigkeit bezahlter politischer Werbung in den audiovisuellen Medien hatten sich die Organe des Europarats bereits mehrfach zu befassen. In jüngerer Vergangenheit wurden die in der ungarischen Medienordnung festgelegten Werbebeschränkungen durch die Venedig-Kommission des Europarats auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 10 EMRK überprüft.1177 Ursprünglich war es nur den öffentlich-rechtlichen Medien erlaubt, während der Wahlkampfphase kostenfreie politische Werbung auszustrahlen. Nach Einschaltung der Venedig-Kommission wurde die Rechtslage dahingehend geändert, dass es auch privaten Massenmedien gestattet wurde politische Werbung zu verbreiten; dies jedoch wiederum nur kostenfrei und während der Wahlkampfphase.1178 bb) Schutzrichtung der Werbeverbote Bei der rechtlichen Beurteilung von Werbebeschränkungen müssen zunächst die sehr gewichtigen Gründe für solche Maßnahmen in den Blick genommen werden. Es lässt sich argumentieren, dass ein Verbot bezahlter politischer Werbung die Erhaltung der Unabhängigkeit der Medienanbieter gegenüber solchen Werbetreibenden stärkt, welche mittels ihrer Werbebotschaften Einfluss auf die politische Debatte innerhalb einer Gesellschaft nehmen möchten.1179 Die Gefahr der Einflussnahme auf die redaktionelle Ausrichtung eines Medienanbieters liegt vor allem dann nahe, wenn die entrichteten Werbeentgelte einen bedeutenden Teil der Einnahmen desselben ausmachen. Weiterhin soll das Verbot politischer Werbung dazu beitragen, die Chancengleichheit der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte im öffentlichen Kommunikationsprozess zu wahren, denn es ist in Rechnung zu stellen, dass es finanzstarken Gruppen in weiterem Umfang möglich ist, ihre Meinungen im Wege bezahlter politischer Werbung medial zu verbreiten.1180 Im Falle des ungleichen Zugangs zu wirkmächtigen Medien bestünde die Gefahr der Verzerrung von gesellschaftlichen Debatten über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse.1181 Um die Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung möglichst umfassend zu schützen, sollte der auslegungsbedürftige Begriff der politischen Werbung nicht eng aufgefasst werden, sondern alle Fragen von allgemeinem öffentlichen

1177 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 24, Ziffer 96 ff. 1178 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 24, Ziffer 96 f. 1179 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, § 72 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). Zur Gefahr der inhaltlichen Beeinflussung von Medienanbietern durch sog. Mediaagenturen, siehe Kuhlmann, AfP 2017, 384 f. 1180 EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 70 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, § 72 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). 1181 So die Argumentation der britischen Regierung in Bezug auf die dort geltende Verbotsregelung. Siehe, EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 99 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich).

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Interesse beinhalten.1182 So beschränkt sich auch die vom EGMR entwickelte Garantenstellung des Staates im Hinblick auf die Wahrung eines in den Medien zum Ausdruck zu bringenden Pluralismus nicht lediglich auf politische Informationen. Vielmehr bezieht sich der vom EGMR verwendete Begriff des Pluralismus auf alle Nachrichten und Meinungen von allgemeinem Interesse, auf deren Empfang die Öffentlichkeit zudem ein Anrecht hat.1183 Der Schutz eines in diesem Sinne zu verstehenden Pluralismus und des mit ihm im Zusammenhang stehenden demokratischen Prozesses lassen sich als die zentralen Anliegen politischer Werbeverbote in den Medien ausmachen.1184 Der EGMR erkennt die vorgenannten Gründe als legitime Ziele an, welche grundsätzlich Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 EMRK rechtfertigen können.1185 Indessen muss gesehen werden, dass die Personen, welche politische Werbeinhalte verbreiten möchten, regelmäßig dasselbe Ziel verfolgen wie der Gesetzgeber, welcher politische Werbung begrenzen möchte. So geht es beiden um die Aufrechterhaltung der freien pluralistischen Debatte in Angelegenheiten von öffentlichen Interesse und damit im weiteren Sinne um einen Beitrag zum demokratischen Prozess.1186 Mithin müssen die auf beiden Seiten bestehenden berechtigten Interessen zu einem angemessen Ausgleich gebracht werden.1187 cc) Verhältnismäßigkeit In Bezug auf das Problem der Reichweite mitgliedstaatlicher Entscheidungsfreiräume ist bedeutend, dass ein europäischer Konsens hinsichtlich der Frage, wie bezahlte politische Werbung im Rundfunk zu regeln ist, nicht existiert.1188 Der fehlende europäische Konsens bewirkt, dass den Konventionsstaaten ein erweiterter Entscheidungsfreiraum dahingehend zuzubilligen ist, ob Werbeverbote zur Verfolgung öffentlicher Interessen i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK als notwendig erachtet werden.1189 1182 So sieht es auch die britische Regierung, welche politische Werbeverbote im Rundfunkbereich vor dem EGMR zu verteidigen hatte. Siehe EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 99 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1183 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, § 73 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz); EGMR, EuGRZ 1994, 549, 550, § 38 (Informationsverein Lentia u. a. / Österreich). 1184 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 99 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 70 (TV Vest u. a. / Norwegen). 1185 EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 70 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, § 73 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). 1186 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 112 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1187 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 112 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1188 EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 67 (TV Vest u. a. / Norwegen); Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 24, Ziffer 100. 1189 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 123 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); EGMR, NVwZ 2010, 241, 243, § 67 (TV Vest u. a. / Norwegen).

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(1) Bedeutung der Wirkmacht des Mediums Ein wesentlicher Gesichtspunkt, welcher in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzustellen ist, ist derjenige der Wirkmacht der Medienart, für welche ein Verbot bezahlter politischer Werbung gelten soll.1190 Den Rundfunkmedien (Radio und Fernsehen)1191 kommt nach der Rechtsprechung des EGMR weiterhin die stärkste Beeinflussungswirkung im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung zu.1192 Nimmt man den Zweck der Werbeverbote, Verzerrungen des Meinungsbildungsprozesses zu verhüten, in den Blick, so werden sich Verbote am ehesten in den als besonders wirkmächtig angesehenen Rundfunkmedien rechtfertigen lassen. Die Wirkmacht des Rundfunks bringt wiederum besondere Vorteile für die Werbetreibenden mit sich. Im Bewusstsein der Wirkmacht dieser Medienart können einzelne Werbetreibende sich dazu veranlasst sehen, derart hohe Summen für die Rundfunkwerbung aufzubringen, dass die finanziellen Möglichkeiten der meisten Nichtregierungsorganisationen, welche ebenfalls mit gleicher Wirksamkeit an der öffentlichen Debatte teilnehmen möchten, bei weitem überschritten werden.1193 Somit kann der ungleiche Zugang zu Werbeplattformen besonders im Bereich des Rundfunks zu einer Verzerrung der öffentlichen Meinungsbildung führen. Indessen dürften Werbeverbote in den Print- und Onlinemedien (mit Ausnahme von „fernsehähnlichen“ audiovisuellen Medien auf Abruf i. S. d. Art. 1 Abs. 1 g) und Erwägungsgrund 24 AVMD-RL), welche in den europäischen Staaten traditionell einer geringen Regulierungsdichte unterliegen, kaum mit Art. 10 EMRK zu vereinbaren sein. Den Printmedien wird generell ein geringeres Beeinflussungspotential im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung zugesprochen als den audiovisuellen Medien.1194 Diese Annahme wirkt sich auch in Bezug auf den Regulierungsbedarf politischer Werbung aus. So ist die Gefahr der Verzerrung des Meinungsbildungsprozesses durch politische Werbung dann als geringer anzusehen, wenn die Werbebotschaft nicht linear und audiovisuell vermittelt wird oder, sofern es sich um einen Abrufdienst handelt, nicht mit solchen Inhalten vollständig identisch ist. Im Hinblick auf Online-Werbung politischen Inhalts muss gesehen werden, dass 1190

EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 60 (TV Vest u. a. / Norwegen). Hierzu sollten nach hier vertretener Auffassung auch die „fernsehähnlichen“ audiovisuellen Medien auf Abruf i. S. d. AVMD-RL (vgl. Erwägungsgrund 24) zu rechnen sein, da ihnen eine vergleichbare Wirkmacht zukommt. Vgl. vertiefend dazu auch die Ausführungen unter D. II. 3. c) cc) (3). Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Rezipient eines zum Abruf bereit gehaltenen Inhalts meist vor der Abrufbarkeit des ausgewählten Inhalts mit einem Werbeinhalt konfrontiert wird, ohne dass er dies umgehen kann. 1192 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich); EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 132 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 60 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, NStZ 1995, 237, 238, § 31 (Jersild /  Dänemark). 1193 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 120 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1194 EGMR, NVwZ 2010, 241, 242, § 60 (TV Vest u. a. / Norwegen). 1191

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für den Internetnutzer regelmäßig die Möglichkeit besteht, Internetseiten seiner Wahl entsprechend anzusteuern. Die Auswahlmöglichkeiten des Nutzers bewirken bereits im Ausgangspunkt ein geringeres Beeinflussungspotential als die linearen Rundfunkmedien. Vielfach wird Werbung im Internet zudem erst infolge einer vom Nutzer gezielt durchgeführten Suche sichtbar.1195 Solche am Nutzerinteresse ausgerichtete Werbung besitzt das Potential, ein bereits bestehendes Interesse weiter zu vertiefen. Dies wird indessen kaum als ungebührliche Beeinflussung der Meinungsbildung des Internetnutzers aufgefasst werden können. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die zu entrichtenden Entgelte für suchgebundene Werbung danach variieren, wie oft die entsprechende Werbung angeklickt wird.1196 Ein geringes Nutzerinteresse und damit einhergehend ein geringes Werbeentgeltvolumen bewirkt somit auch kaum ein Potential, über Werbeentgelte die Unabhängigkeit von Medienanbietern zu untergraben. Ist das Nutzerinteresse an dem politischen Werbeinhalt hingegen hoch, so manifestiert sich in dem häufigen Anklicken nur die ohnehin hohe Relevanz der Äußerung im Meinungsbildungsprozess. Sofern ein Medienanbieter politische Werbung, welche ein hohes Interesse hervorruft, bewusst fest in seinen Inhalt integriert, bringt er damit eine in der Gesellschaft als wichtig erachtete Meinungsrichtung zum Ausdruck und trägt auf diese Weise zur Beförderung des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses bei. Darüber hinaus werden regelmäßig Suchmaschinenbetreiber diejenigen sein, welche suchgebundene Werbung ermöglichen. Da diese selbst keine Medieninhalte anbieten, kann auch deren redaktionelle Unabhängigkeit nicht angetastet werden. Gesehen werden muss jedoch, dass das Internet auch nicht suchgebundene Werbung, d. h. solche, deren Erscheinen von der Eingabe bestimmter Suchbegriffe unabhängig ist, bereit hält.1197 Erscheint ein bestimmter politischer Werbeinhalt auf der Internetseite eines Medienanbieters, so ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass über das zu entrichtende Werbeentgelt Einfluss auf den Inhalt genommen werden kann. Jedoch wird zu erwarten sein, dass der Inhalteanbieter nur solche politische Werbung zulässt, welche programmatisch der von ihm verfolgten Meinungstendenz entspricht. Es erscheint fernliegend, dass ein journalistischer Online-Anbieter seine politische Ausrichtung aufgrund zu erwartender höherer Werbeeinnahmen ändern wird. Sofern es einem Medienanbieter in erster Linie darauf ankommt publizistische Zwecke zu verfolgen und auf die Meinungsbildung einzuwirken, kann er hierzu die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets nutzen, welche nicht in ökonomische Gesetzmäßigkeiten und Zwänge eingebunden sind. Ist hingegen die Absicht der Gewinnerzielung dem Ziel der Teilnahme am öffentlichen Meinungsbildungsprozess deutlich übergeordnet, so erscheint auch das öffentliche Interesse an der redaktionellen Unabhängigkeit eines solchen Medienanbieters gering. 1195

Gersdorf / Paal-Rinne, Art. 2 VO (EG) 139/2004, Rn. 59 (17. Edition, Stand: 01.05.2016). Gersdorf / Paal-Rinne, Art. 2 VO (EG) 139/2004, Rn. 59 (17. Edition, Stand: 01.05.2016). 1197 Gersdorf / Paal-Rinne, Art. 2 VO (EG) 139/2004, Rn. 60 (17. Edition, Stand: 01.05.2016). 1196

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Wenn im Regelfall zu erwarten ist, dass die politische Werbung programmatisch der Ausrichtung des Medienanbieters weitgehend entsprechen wird, so erhält der Internetnutzer, ähnlich wie bei der suchgebundenen Werbung, einen Inhalt dargeboten, welcher seinem über das gezielte Aufrufen der Internetseite geäußerten Nutzerinteresse entspricht. Der Versuch einer ungebührlichen Beeinflussung lässt sich damit nicht erkennen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass das Internet auch aggressive Werbe­ formen, welche es dem Nutzer nicht ermöglichen, ohne Weiteres auf den ursprünglich angesteuerten Inhalt zurückzukehren, aufweist.1198 Auf diese Weise könnten breit gestreute, eine Vielzahl von Internetnutzern ansprechende politische Werbekampagnen durchgeführt werden. Solche Werbeformen dürften indessen, ungeachtet ihres politischen Inhalts, bereits regelmäßig durch das nationale Lauterkeitsrecht sanktioniert sein.1199 Sofern dies nicht der Fall ist, erschiene die Regelung eines Verbots solcher Art von politischer Werbung durchaus geboten. Wenn der Staat eine derartige politische Werbung im Internet zuließe, könnte darin eine Verletzung der negativen Meinungsfreiheit zu sehen sein. Mit dem Begriff der negativen Meinungsfreiheit wird das Recht umschrieben, weder Meinungen bilden, äußern noch verbreiten zu müssen.1200 Die negative Meinungsfreiheit erkennt mithin die Berechtigung des Interesses an, sich nicht an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligen zu müssen.1201 Die Berechtigung eines solchen Interesses könnte sich daraus ergeben, dass sich einem in der Gesellschaft bestehenden Meinungsdruck entzogen werden soll.1202 So könnte die Äußerung einer in der Gesellschaft überwiegend abgelehnten Meinung mit bestimmten persönlichen Nachteilen verbunden sein.1203 Jedoch muss gesehen werden, dass der Staat bereits ihm aus Art. 10 EMRK erwachende Schutzpflichten verletzte, wenn er angesichts von Beeinträchtigungen, welche von dritter Seite aufgrund bestimmter zulässiger Meinungsäußerungen erfolgen, untätig bliebe. Tatsächlich ist fraglich, ob Art. 10 EMRK auch Elemente einer negativen Meinungsfreiheit zu entnehmen sind.1204 Der EGMR selbst weist darauf hin, dass seine Rechtsprechung zu den negativen Gehalten des Art. 10 EMRK spärlich ist.1205 Er schließt es indessen nicht aus, dass Art. 10 EMRK auch ein „negatives“ Recht 1198

Vgl. hierzu, Spindler / Schuster-Micklitz / Schirmbacher, § 7 UWG, Rn. 20 f. Vgl. zur Rechtslage in Deutschland, Spindler / Schuster-Micklitz / Schirmbacher, § 7 UWG, Rn. 20 f. 1200 Maunz / Düring-Grabenwarter, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, Rn. 95 (Lfg. 68: Januar 2013). 1201 Maunz / Düring-Grabenwarter, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, Rn. 95 (Lfg. 68: Januar 2013). 1202 Vgl. hierzu Schulz, AfP 2017, S. 373, 375. Dieser macht darauf aufmerksam, dass in der Kommunikationswissenschaft die These von der Schweigespirale prominent vertreten wird, welche aussagt, dass gegenüber einer als dominant empfundenen Meinung, oftmals selbst dann kein Widerspruch erhoben wird, wenn ein solcher tatsächlich empfunden wird. 1203 Vgl. zu möglichen gesellschaftlichen Nachteilen im Falle von Äußerungen jenseits der sog. Political Correctness, Depenheuer, AfP 2017, 133, 134. Depenheuer macht weiterhin auf die Gefahr aufmerksam, dass faktisch bestehende Sprachgrenzen in der Folge auch das politische Denken verändern können. 1204 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1084, Rn. 39. 1205 EGMR, Urt. v. 03.04.2012, Nr. 41723/06, § 85 (Gillberg / Schweden). 1199

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

auf freie Meinungsäußerung umfassen könnte.1206 Es erscheint dem EGMR sach­ gerecht, die Erörterung dieses Problems anhand der Umstände eines konkreten Falls vorzunehmen.1207 Unabhängig von der Frage, ob die Konstruktion einer negativen Seite der Meinungsfreiheit notwendig erscheint, darf eine nach Art und Präsenz übermäßig beeinflussende politische Online-Werbung durch den Gesetzgeber nicht hingenommen werden.1208 So kann die Gefahr der Indoktrinierung der Bevölkerung nicht allein von Staat ausgehen. Es ist ebenso denkbar, dass finanzstarke Gruppen mittels massiver medialer Werbekampagnen den öffentlichen Meinungsbildungsprozess in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchen. Ein besonders wirksames Instrument für eine solche Werbekampagne wäre eine Online-Werbung, welche weite Teile der Internetnutzer unumgänglich zur Kenntnis nehmen müssen. Sofern solche Werbeformen verstärkt für politische Inhalte genutzt werden, wäre der Staat in seiner Rolle als Garant des Pluralismus gehalten, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Freiheit der Meinungsbildung zu schützen. Wenn eine solche Entwicklung indessen nicht zu beobachten ist, dürften politische Werbeverbote weiterhin nur für die audiovisuellen Medien in Betracht kommen. (2) Andere Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Diskurs Die Möglichkeit politische Werbung in anderen Medien zu verbreiten, kann Rückwirkungen auf die Verhältnismäßigkeit eines für den Rundfunk geltenden Werbeverbots haben. So ist zu berücksichtigen, dass ein für den Rundfunk geltendes Werbeverbot die Möglichkeit politischer Werbung in anderen Medien ebenso unberührt lässt, wie die Möglichkeit nicht politischer Rundfunkwerbung. Zudem bleibt ein Teilnahme an politischen Diskussionen, welche im Radio oder im Fernsehen gesendet werden, möglich.1209 Der EGMR argumentiert weiter, dass mit der Internetkommunikation und den sozialen Medien wirkmächtige Kommunikationsmittel („powerful communication tools“) verbleiben, mittels derer an einer öffentlichen Debatte teilgenommen werden kann.1210 Auch könne durch Versammlungen, Plakatwerbung und Flugblattverteilung an der öffentlichen Meinungsbildung teilgenommen werden.1211 Der Hinweis des EGMR auf andere Möglichkeiten der Teilnahme an öffentlichen Debatten im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist wenig überzeugend. So erscheint es widersprüchlich, einerseits die besondere Wirkmacht des Rundfunks als Grund für die Notwendigkeit der Regelung von Werbeverboten heranzuziehen 1206

EGMR, Urt. v. 03.04.2012, Nr. 41723/06, § 86 (Gillberg / Schweden). EGMR, Urt. v. 03.04.2012, Nr. 41723/06, § 86 (Gillberg / Schweden). 1208 Zur Kritik an einer denkbaren negativen Seite der Meinungsfreiheit, siehe Maunz / Düring-Grabenwarter, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, Rn. 98 (Lfg. 68: Januar 2013). 1209 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 124 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1210 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 124 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1211 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 124 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1207

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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und andererseits im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auf andere, offenbar ebenfalls für sehr wirksam erachtete, Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Kommunikationsprozess zu verweisen. Wenn den Rundfunkmedien eine überragende Bedeutung für die Meinungsbildung zuerkannt wird, so können auch andere Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Kommunikationsprozess konsequenterweise das vom Rundfunk ausgehende beeinflussende Gefährdungspotential nicht kompensieren. Im Falle der Prämisse, dass der Rundfunk im Vergleich zu anderen Kommunikationsmitteln eine besondere Wirkmacht entfaltet, können die verbliebenen Möglichkeiten der politischen Kommunikation nicht ebenfalls als wirksame Mittel der Teilnahme am öffentlichen Kommunikationsprozess angesehen werden. Sofern indessen angenommen wird, dass sich nicht lediglich über das Medium des Rundfunks in öffentlichen Angelegenheiten angemessen Gehör verschafft werden kann, so fragt sich, weshalb überhaupt ein Bedarf für die Regelung eines Werbeverbots bestehen soll. Überzeugender, da konsequenter wäre es, die anderen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Kommunikation im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung außer Betracht zu lassen, denn es ist gerade die Annahme der nicht kompensierbaren Gefahr der Verzerrung des Meinungsbildungsprozesses durch politische Rundfunkwerbung, welche ein entsprechendes Verbot rechtfertigen soll. Ebenso vertretbar wäre es, die Möglichkeit der Rechtfertigung eines Werbeverbots mit Blick auf die verbliebenen diversen weiteren Kommunikationsmöglichkeiten zu verneinen. Der vom EGMR beschrittene Weg verhält sich jedenfalls widersprüchlich zur Frage des Einflusses des Internets und der sozialen Medien auf die öffentliche Meinungsbildung. Einerseits billigt er diesen noch nicht die Wirkmacht des Rundfunks zu und andererseits stellt er diese Medien im Rahmen der Verhältnismäßigkeit als bedeutende Möglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Debatten heraus. (3) Entwicklung zur generellen Unzulässigkeit von Werbeverboten? Ungeachtet dieser Unstimmigkeit hinsichtlich der Wirkmacht einzelner Kommunikationsmittel dürfte sich festhalten lassen, dass Verbote politischer Werbung zur Verhütung von Verzerrungen des demokratischen Prozesses allenfalls in Bezug auf den Rundfunk in Betracht kommen dürften. Auf dieses Medium bezogene Werbeverbote setzen indes voraus, dass dem Rundfunk im Vergleich zu anderen Medienarten eine herausragende Beeinflussungswirkung zugesprochen wird. Angesichts der Rechtsprechung des EGMR dürfte diese These weiterhin vertretbar sein.1212 Sobald aber den über das Internet verbreiteten Medien und den sozialen Medien eine vergleichbare Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zuerkannt wird, müssten die Erwägungen, welche den Gesetzgeber zur Regelung eines politischen 1212

Siehe vertiefend zur Wirkmacht einzelner Medienarten, D. II. 3. c) cc) (3).

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Werbeverbots veranlasst haben, entweder auf die neuen Medien übertragen werden, oder es müsste von Werbeverboten insgesamt Abstand genommen werden. Die Behauptung, dass eine Begrenzung der Werbeverbote auf Rundfunkmedien unlogisch sei, wurde zuletzt in einem Verfahren vor dem EGMR erhoben, durch diesen jedoch mit dem Hinweis auf die besondere Wirkmacht gesendeter Rundfunkinhalte zurückgewiesen.1213 Dabei hatte der EGMR in einem früheren Verfahren einem politischen Werbeverbot gerade deshalb die dringende Notwendigkeit abgesprochen, da dieses nur für das Medium des Rundfunks gegolten hat.1214 Der EGMR argumentierte, dass, wenn das Bedürfnis nach politischen Werbeverboten von besonderes dringlichen Gründen getragen wäre, dieses konsequenterweise auch für alle Medienarten gelten müsste. Dass die Rechtsprechung des EGMR zu politischen Rundfunkwerbeverboten nicht frei von Widersprüchlichkeiten ist, wird auch daran deutlich, dass die sog. neuen Medien nunmehr als wirkmächtige Kommunikationsmittel („powerful communication tools“) anerkannt werden.1215 Sofern auch den vom EGMR in Bezug genommenen neuen Medien eine große Wirkmacht zugesprochen wird, käme sogar eine Ausweitung der Werbeverbote auf diese Kommunikationsmittel in Betracht. Indessen wird nicht angenommen werden können, dass der EGMR ein solch umfassendes politisches Werbeverbot als verhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit der Personen ansehen wird, welche politische Botschaften medial zu verbreiten beabsichtigen. Jedenfalls könnte der EGMR im Zuge der Ausweitung eines politischen Werbeverbots nicht mehr im gleichen Umfang auf andere, weiterhin mögliche und bedeutsame Möglichkeiten der massenmedialen Einwirkung auf die öffentliche Meinungsbildung verweisen. Auch betrachtete der EGMR es in zwei Fällen als Verletzung des Art. 10 EMRK, dass wenig bedeutende bzw. finanzstarke Gruppen daran gehindert wurden, politische Werbung im Fernsehen ausstrahlen zu lassen.1216 Diese Rechtsprechung ist insofern nachvollziehbar, als allgemein gültige Werbeverbote im Einzelfall den Zweck politischer Werbeverbote verfehlen können. Sofern wenig meinungsmächtige gesellschaftliche Gruppen durch politische Werbung auf sich aufmerksam machen möchten, hat dieses Vorhaben kaum Potential, Verzerrungen des Meinungsbildungsprozesses zu bewirken. Damit liegt es nahe, zumindest in diesen Fällen der individuellen Freiheit der Meinungsäußerung den Vorzug einzuräumen. Indessen hat der EGMR in einer jüngeren Entscheidung deutlich gemacht, dass die Frage der Zulässigkeit politischer Werbung keiner Einzelfallprüfung unterliegen 1213 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). Vgl. auch Schulz, AfP 2017, 373, 378. Dieser weist darauf hin, dass die Rundfunk- und insb. die Fernsehzentriertheit der Meinungsmachtkontrolle historisch begründet ist und sich noch immer auf empirische Evidenz stützen kann. 1214 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, § 74 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). 1215 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 119 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1216 EGMR, NVwZ 2010, 241, 244, § 78 (TV Vest u. a. / Norwegen); EGMR, ÖJZ 2002, 855, 859, § 79 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz).

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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sollte. Grundsätzlich erkennt der EGMR die Berechtigung der Konventionsstaaten an, allgemein gültige Maßnahmen für zuvor definierte und typisierte Situationen selbst dann zu regeln, wenn dies zu individuellen Härtefällen führen kann.1217 Im Hinblick auf politische Werbeverbote wies der EGMR darauf hin, dass Einzelfallprüfungen zu Rechtsunsicherheiten führen, welche wiederum Rechtsstreitigkeiten, hohe Kosten und Verzögerungen nach sich ziehen können.1218 Zudem sei zu erwarten, dass häufig die Behauptung einer diskriminierenden und willkürlichen Entscheidungspraxis erhoben wird.1219 Wenngleich der EGMR allgemeine politische Rundfunkwerbeverbote u. U. mit der EMRK als vereinbar ansieht, kann der zugrunde liegenden Entscheidung gleichwohl nicht die Berechtigung des Gesetzgebers entnommen werden, den Anwendungsbereich des Verbots auf andere Medien auszuweiten. So hat der EGMR, wenn auch insoweit widersprüchlich, deutlich gemacht, dass er es für die Verhältnismäßigkeit politischer Werbeverbote im Rundfunk als wesentlich ansieht, welche anderen Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Kommunikationsmöglichkeiten verbleiben.1220 Aus der bisherigen Rechtsprechung des EGMR dürfte sich damit ableiten lassen, dass politische Werbeverbote, welche auch andere als Rundfunkmedien erfassen, durch diesen als ungerechtfertigte Eingriffe in Meinungsäußerungsfreiheit angesehen werden. Indessen darf ebenso wenig übersehen werden, dass der EGMR die Erwägungen, welche ein Werbeverbot in den Rundfunkmedien tragen sollen, als gewichtige Gründe ansieht. So hat er angesichts der Gefahr, dass mächtige Finanzgruppen die redaktionelle Unabhängigkeit von Medienanbietern, insbesondere im Rundfunkbereich, durch wirtschaftliche Druckausübung untergraben könnten, an die Garantenrolle des Staates bezüglich des Medienpluralismus erinnert.1221 Ebenso hat der EGMR bereits entschieden, dass allgemein gültige Rundfunkwerbeverbote durch den nationalen Gesetzgeber u. U. als notwendig angesehen werden können, ohne dass hierin eine Verletzung des Art. 10 EMRK zu erkennen wäre.1222 Im zuletzt entschiedenen, Großbritannien betreffenden Fall nahm der EGMR jedoch besondere Rücksicht auf den überaus sorgsam durchgeführten und im Wege eines Konsenses abgeschlossenen nationalen Gesetzgebungsprozess, welcher insbesondere auch die bisherige Rechtsprechung des EGMR gebührend berücksichtigt hat.1223 Die Venedig-Kommission des Europarats vertritt die Auffassung, dass nur ein überparteilicher Konsens und eine anspruchsvolle rechtliche Überprüfung, wie sie in Großbritannien stattgefunden hat, ein generelles politisches Werbeverbot im

1217

EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 106 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 122 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1219 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 122 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1220 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 125 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1221 EGMR, ÖJZ 2002, 855, 858, § 73 (Verein gegen Tierfabriken / Schweiz). 1222 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 124 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1223 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, §§ 114 ff. (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1218

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

Rundfunk rechtfertigen kann.1224 Grundsätzlich sei das Verbot bezahlter politischer Rundfunkwerbung indessen aufgrund der dadurch zu befürchtenden Sicherung der Mediendominanz der regierenden Mehrheit als ungerechte Benachteiligung der Opposition anzusehen.1225 Dieser Auffassung kann wiederum entgegengehalten werden, dass nicht nur staatliche Stellen, sondern auch finanzstarke private Gruppen den Meinungsbildungsprozess verzerren können. Eine allgemein geltende Zugangsbeschränkung im Hinblick auf politische Rundfunkwerbung ist jedenfalls ein geeignetes Instrument, um der Gefahr des Herausbildens einer meinungsbildenden Dominanz seitens finanzkräftiger Privatpersonen zu begegnen. Dies scheint im Grundsatz auch der EGMR nicht zu bestreiten. Zudem muss gesehen werden, dass bezahlte politische Werbung in den Rundfunkmedien ohnehin nur finanzkräftigen Gruppen möglich ist. Überzeugend wies der EGMR darauf hin, dass selbst die Einführung einer finanziellen Kappungsgrenze für Werbeentgelte die mit dem Werbeverbot verfolgten Ziele nicht wirksam sicherstellen kann. So kommt in Betracht, dass wohlhabende Personen solche Deckelungen dadurch umgehen, indem sie zahlreiche Interessengruppen allein zu dem Zweck gründen, um eine zusätzliche Werbezeit erreichen zu können.1226 Anderen als finanzkräftigen Gruppen wird bezahlte politische Werbung im Rundfunk hingegen faktisch verschlossen sein. Es erscheint ebenso wenig überzeugend, anzunehmen, dass finanzkräftige gesellschaftliche Gruppen ohne eine bezahlte politische Rundfunkwerbung ihren politischen Positionen nicht angemessen Ausdruck verleihen könnten. In Betracht käme nicht zuletzt das Unterhalten eines eigenen Mediums. Es steht damit nicht zu befürchten, dass der vom EGMR aus Art. 10 EMRK hergeleitete Anspruch der Öffentlichkeit auf Zugang zu Informationen von allgemeinen Interesse durch ein Verbot bezahlter politischer Rundfunkwerbung unangemessen verkürzt werden könnte. Vielmehr ist es denkbar, dass sich finanzstarke Gruppen, welche zudem Träger politischen Interessen sind, im Wege von bezahlter politischer Rundfunkwerbung übermäßig Gehör verschaffen werden. Die Stimmen weniger finanzstarker Gruppen könnten, mangels der Möglichkeit Rundfunkwerbung zu finanzieren, demgegenüber unterrepräsentiert werden. Die Annahme, dass im Falle der Zulässigkeit politischer Rundfunkwerbung die Gefahr einer Regelungsbedarf hervorrufenden Verzerrung des Meinungsbildungsprozesses einträte, erscheint jedenfalls vertretbar. Berücksichtigt man zudem, dass einmal eingetretene Verzerrungen des Meinungsbildungsprozesses nur schwerlich rückgängig gemacht werden können, so erscheint es angemessen, entsprechende Vorsorge gegen eine auch nur hypothetisch denkbare Situation zu treffen.1227 Deshalb 1224 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 24, Ziffer 100. 1225 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 24, Ziffer 100. 1226 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 122 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1227 Vgl. zu der Annahme, dass Fehlentwicklungen in Gestalt des Erlangens übermäßiger Meinungsmacht sich kaum korrigieren lassen, BVerfGE 95, 163, 172 f.

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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können politische Werbeverbote in den Rundfunkmedien auch nicht als grundsätzlich mit Art. 10 EMRK unvereinbar angesehen werden. Das Spannungsfeld, welches den verschiedenen Gewährleistungsgehalten des Art. 10 EMRK inne wohnt, bleibt jedenfalls ein überaus komplexes. Pluralismus sichernde Werbeverbote geraten notwendigerweise in einen Konflikt mit der Freiheit der Meinungsäußerung der Personen, welche politische Botschaften medial verbreiten möchten. Wenn hingegen die für politische Werbung zu zahlenden Entgelte zu einer Gefahr für die chancengleiche Teilhabe am demokratischen Prozess werden, so muss der Gesetzgeber in seiner Rolle als Garant des Pluralismus berechtigt sein, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ob also Verbote politischer Werbung im Rundfunk als notwendig erachtet werden, um den demokratischen Meinungsbildungsprozess zu schützen, ist eine Frage, die in weitem Umfang der Einschätzung des nationalen Gesetzgebers unterliegen sollte. Der EGMR selbst stellt heraus, dass es in Europa einen Reichtum an verschiedenen historischen, kulturellen und politischen Unterschieden gibt, sodass jeder Mitgliedstaat im Grundsatz seine eigenen demokratischen Vorstellungen ausprägen kann.1228 Freilich ist der mitgliedstaatliche Gestaltungsspielraum durch das vom EGMR entwickelte Leitbild einer demokratischen Gesellschaft i. S. d. EMRK begrenzt. Diese vom EGMR als notwendig erachteten unverzichtbaren Elemente einer Demokratie wurden besonders anschaulich in Parteiverbotsverfahren herausgestellt.1229 Ungeachtet eines gemeinsamen europäischen Mindeststandards an demokratischen Prinzipien erscheint es überzeugend, dass der EGMR die nationalen Entscheidungsspielräume um so größer belässt, je intensiver die Thematik bereits auf nationaler Ebene problematisiert wurde. So ist in den Blick zu nehmen, dass sowohl politische Werbeverbote als auch Werbebotschaften, die dem Verbot unterliegen, gleichermaßen Zwecke verfolgen, welche den demokratischen Prozess in einer Gesellschaft befördern können.1230 Das Ergebnis der komplexen Abwägung des Gesetzgebers, welchem Gesichtspunkt dabei der Vorrang einzuräumen ist, wird vor allem dann regelmäßig keine Verletzung demokratischer Mindeststandards i. S. d. EMRK darstellen, wenn im Gesetzgebungsverfahren alle maßgeblichen rechtlichen Maßstäbe Berücksichtigung gefunden haben. Indessen dürfte ein Verbot politischer Werbung auf die Rundfunkmedien zu begrenzen sein. So wird der Rundfunk durch den EGMR noch immer als das Medium angesehen, welches aufgrund seiner besonderen Wirkmacht einen besonderen Regulierungsbedarf hervorrufen kann. Auch wenn die Online-Medien, welche nicht bereits aufgrund ihrer Fernsehähnlichkeit (vgl. Erwägungsgrund 24 AVMD-RL) dem Rundfunk zugeordnet werden sollten, in Bezug auf die öffentliche Meinungsbildung weiter an Bedeutung gewinnen werden, dürfte sich diesbezüglich, aufgrund der Besonderheiten der Internetkommunikation, gleichwohl kein Erfordernis zur Regelung politischer Werbeverbote ergeben. Die freien, offenen und zum Teil sogar

1228

EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 122 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). Vgl. hierzu, EGMR, NVwZ 2003, 1489, 1492, §§ 97 f. (Refah Partisi u. a. / Türkei). 1230 EGMR, Urt. v. 22.04.2013, Nr. 48876/08, § 122 (Animal Defenders / Vereinigtes Königreich). 1229

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D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten des Internets lassen jedenfalls derzeit nicht befürchten, dass im Wege bezahlter politischer Werbung der demokratische Meinungsbildungsprozess in einem Umfang verzerrt werden könnte, welcher einen entsprechenden Regulierungsbedarf hervorruft. Angesichts der Möglichkeit der Einnahmeerzielung über kommerzielle Werbung erscheint es zudem wenig überzeugend, die finanziellen Grundlagen der Medienanbieter durch ein Verbot bezahlter politischer Werbung als gefährdet anzusehen.1231 Hingegen ist nicht ersichtlich, dass die Freiheit des Meinungsbildungsprozesses dadurch wesentlich befördert würde, dass es allen politischen Interessenträgern ermöglicht wird, sich im Wege der Rundfunkwerbung zu äußern. Ihre Aufgabe, einen freien gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses zu ermöglichen, können die Medien nur dann wirksam erfüllen, wenn sie redaktionell unabhängig von finanzstarken Werbekunden gehalten werden. Sofern die Medien in ihrer Gesamtheit in der Lage sind, ein hinreichendes Maß an Medienvielfalt hervorzubringen, so werden die politischen Positionen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in der Berichterstattung auch angemessene Berücksichtigung finden. In dieser Hinsicht ist es als eine Aufgabe des Staates anzusehen, die Funktionsfähigkeit der Medien in Bezug auf die Gewährleistung eines freien Meinungsbildungsprozesses sicherzustellen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Staat die vertretbare Annahme, dass politische Werbeverbote im Rundfunk notwendig sind, um die Freiheit der Meinungsbildung zu garantieren, durch ein entsprechendes Verbot rechtlich umsetzt. Wenn der Staat im Rahmen seiner Informationstätigkeit die ihm zukommende inhaltliche Neutralitätspflicht beachtet, ist nicht ersichtlich, dass dieser die Meinungsbildung in seinem Sinne allein mittels des Verbots politischer Rundfunkwerbung verzerren könnte. Es darf vielmehr vermutet werden, dass hinreichend unabhängige Medien sich auch kritisch mit der Arbeit der staatlichen Organe auseinandersetzen werden. Beachtet der Staat zudem bei der Verteilung seines Werbehaushalts grundrechtliche Maßstäbe, so ist anzunehmen, dass die Medien ihrer öffentlichen Aufgabe, welche ihnen im Zusammenhang mit Art. 10 EMRK zukommt, auch gerecht werden können. Die Befürchtung einer überproportionalen medialen Präsenz der politischen Positionen staatlicher Vertreter und die damit einhergehende Verbesserung der Wahlchancen der amtierenden Regierung, erscheint mithin nur dann begründet, wenn die staatliche Kommunikationstätigkeit auch im Übrigen geeignet ist, eine Verzerrung der Meinungsbildung zu bewirken. Damit bleibt festzuhalten, dass politische Werbeverbote, soweit diese auf bezahlte Rundfunkwerbung begrenzt sind, grundsätzlich nicht zu beanstanden sind. Viel 1231

A. A. offenbar die Venedig-Kommission des Europarats, welche sich im Falle Ungarns besorgt über das gesetzlich angeordnete Vorenthalten einer Werbeeinnahmequelle des privaten Rundfunks geäußert hat. Siehe hierzu, Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/ 2015, CDL-AD(2015)015, S. 25, Ziffer 101.

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mehr dürfte sich auch die Frage stellen, ob der Staat im Falle des Verzichts auf solche Werbeverbote seiner Rolle als Garant des Pluralismus hinreichend gerecht wird. h) Einflussnahme auf die Nutzung von Informationsquellen aa) Einfluss und Bedeutung von Informationsdienstleistungen Medienanbieter sind in redaktioneller Hinsicht in erheblichem Umfang auf die Dienste von Hilfsunternehmen angewiesen, welche die verbreiteten Inhalte wesentlich vorprägen.1232 So ist der eigene Rechercheradius einer Redaktion regelmäßig weitaus begrenzter als es die Gegenstände der Berichterstattung sind. Eine besondere Bedeutung unter den redaktionellen Hilfsunternehmen kommt den Nachrichtenagenturen zu, welche systematisch Nachrichten sammeln und diese gegen Bezahlung an die Redaktionen der Medienanbieter weiterleiten.1233 Die Weiterleitung der Informationen an die Öffentlichkeit erfolgt hingegen nicht durch die Nachrichtenagenturen, sondern durch die Vielzahl von Medienanbietern. Ein Großteil der durch die Medien verbreiteten Informationen entstammt indessen ursprünglich den Nachrichtenagenturen.1234 Anders als andere redaktionelle Hilfsunternehmen nehmen Nachrichtenagenturen im Regelfall darauf Bedacht, Nachrichten so zu vermitteln, dass diese inhaltlich neutral erscheinen.1235 Aufgrund der anzunehmenden Neutralität der Agenturmeldungen können diese durch eine Vielzahl von Medienanbietern unterschiedlicher politischer Tendenz übernommen bzw. aufgearbeitet werden. Aufgrund der weitreichenden Verwertbarkeit der durch Nachrichtenagenturen zusammengetragenen Informationen werden diese auch als „mediale Rohstofflieferanten“ bezeichnet.1236 Die angenommene Vertrauenswürdigkeit der durch Nachrichtenagenturen verbreiteten Informationen wirkt sich auch auf die journalistischen Sorgfaltspflichten aus. So ist zumindest im deutschen Recht die Auffassung verbreitet, dass es zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten bereits ausreicht, dass die medial an die Öffentlichkeit weiterverbreiteten Meldungen inhaltlich unverändert einer als seriös bekannten Agentur entnommen wurden.1237 Es wird kaum anzunehmen sein, dass der EGMR in dieser Hinsicht strengere Anforderungen an die journalistische Sorgfalt aufstellt. Zwar macht der EGMR den Schutz der Pressefreiheit davon abhängig, dass in Übereinstimmung mit dem Berufsethos der Journalisten gutgläubig im Hinblick auf die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der gelieferten Informationen gehandelt wird.1238 Indessen wird diese Gutgläubigkeit bei der Über 1232 Zu den Erscheinungsformen der redaktionellen Hilfsunternehmen, siehe Löffler-Lehr, § 7 LPG, Rn. 49 ff. 1233 Beater, § 3, Rn. 169; Löffler-Lehr, § 7 LPG, Rn. 49. 1234 Beater, § 11, Rn. 1033. 1235 Löffler-Lehr, § 7 LPG, Rn. 50. 1236 Beater, § 3, Rn. 169. 1237 KG, AfP 2007, 571, 572; Löffler-Steffen, § 6 LPG, Rn. 169. 1238 EGMR, NJW 2000, 1015, 1017, § 65 (Bladet Tromsö u. a. / Norwegen).

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nahme einer Agenturmeldung regelmäßig unterstellt werden können. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass der EGMR es im Falle der Wiedergabe von Äußerungen Dritter sogar als unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 10 EMRK betrachtet hat, den Verbreiter der wiedergegebenen Informationen diesbezüglich mit dem Wahrheitsbeweis zu belasten, da dem Verbreiter anderenfalls nahezu Unmögliches abverlangt werde.1239 Generell muss gesehen werden, dass überspannte Anforderungen an die journalistische Sorgfalt eine erhebliche Einschränkung der Presse- bzw. Medienfreiheit bewirken.1240 In personeller Hinsicht nehmen all diejenigen, welche an der Erstellung und Verbreitung von Medienprodukten beteiligt sind, am Schutz des Art. 10 EMRK teil.1241 Nimmt man dies und den Beitrag, welchen Nachrichtenagenturen für die Beschaffung und Verbreitung von Informationen allgemeinen Interesses leisten in den Blick, so erscheint es überzeugend, sämtlichen redaktionellen Hilfsunternehmen den Schutz der Medienfreiheiten i. S. d. Art. 10 Abs. 1 EMRK zukommen zu lassen. Auch der EGMR geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass Nachrichtenagenturen einen aus Art. 10 EMRK folgenden Quellenschutz und damit einen wesentlichen Aspekt der Pressefreiheit für sich in Anspruch nehmen können.1242 bb) Gefahr der Verengung und Beeinflussung des medialen Angebots Auf der anderen Seite müssen auch die Gefahren gesehen werden, welche daraus folgen, dass zahlreiche Medienanbieter einen Großteil ihrer Berichterstattung den wenigen Nachrichtenagenturen entnehmen. Da Nachrichtenagenturen faktisch einen erheblichen Einfluss auf die Berichterstattung der Medienanbieter nehmen, kommt diesen auch eine erhebliche Bedeutung im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung zu.1243 Aufgrund dessen erscheint es überzeugend, an diese dieselben journalistischen Sorgfaltspflichten zu adressieren, welche auch gegenüber den Medienanbietern Geltung beanspruchen.1244 So sollten alle Berechtigten der in Art. 10 Abs. 1 EMRK angelegten Medienfreiheiten auch die journalistischen Sorgfaltspflichten zu beachten haben, welche in Art. 10 Abs. 2 EMRK als „Pflichten und Verantwortung“ ihren Ausdruck finden. Würden Agenturmeldungen die Sorgfaltspflichten der Medienanbieter absenken, ohne dass als Ausgleich für diese Privilegierung den Agenturen die im Regelfall den Medienanbietern zukommenden Sorgfaltspflichten auferlegt werden, so stünden mit Art. 10 EMRK nicht zu vereinbarende Qualitäts- und Funktionseinbußen der Medien insgesamt zu befürchten.

1239

EGMR, ÖJZ 1992, 810, 813, § 65 (Thorgeir Thorgeirson). Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 75 (15. Lfg.-Juni 2013). 1241 Pabel / Schmahl-Schiedermair, Art. 10, Rn. 75 (15. Lfg.-Juni 2013). 1242 EGMR, NJW-RR 2011, 1266, 1268, § 63 (Sanoma Utigevers B. V. / Niederlande). 1243 BVerfG, NJW 2004, 589, 590 (Haarfarbe des Bundeskanzlers). 1244 BVerfG, NJW 2004, 589, 590 (Haarfarbe des Bundeskanzlers). 1240

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Die starke Abhängigkeit der Medien von den Meldungen der Nachrichtenagenturen kann eine inhaltliche Verengung des medialen Angebots bewirken.1245 Bereits der Mangel an Informationsquellen birgt die Gefahr einer einseitigen Berichterstattung. Andererseits muss gesehen werden, dass die Arbeit der Nachrichtenagenturen es den Medien überhaupt erst ermöglicht, aktuell und weitreichend zu berichten.1246 Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag für die Funktionserfüllung der Medien insgesamt.1247 Diese auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bezogenen Überlegungen lassen sich ohne Weiteres auf den insoweit funktionsgleichen Art. 10 EMRK übertragen. Die Tätigkeit der Nachrichtenagenturen wird der freien Meinungsbildung und der Erfüllung der Informationsansprüche der Öffentlichkeit jedoch nur dann dienlich sein können, wenn diese von staatlichen oder anderen interessengesteuerten Einflüssen weitgehend frei gehalten werden. Mit der Gefahr der staatlichen Beeinflussung einer Nachrichtenagentur hatte sich jüngst die Venedig-Kommission des Europarats in Bezug auf die ungarische Mediengesetzgebung zu befassen. Zum Zeitpunkt der Überprüfung des ungarischen Medienrechts sah dieses vor, dass sämtliche öffentlichen Medien verpflichtet waren, ihren Nachrichtenstoff ausschließlich von einer einzigen nationalen Nachrichtenagentur zu beziehen.1248 Der Direktor bzw. die Direktorin der nationalen Nachrichtenagentur wird durch diejenige Person ernannt, welche den Vorsitz des Medienrats führt.1249 Der Medienrat stellt ein mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattetes Organ der ungarischen Medienaufsichtsbehörde dar.1250 Funktional kommt ihm die Aufsicht über sämtliche Medien, einschließlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter und der Nachrichtenagentur, zu.1251 Die oder der Vorsitzende des Medienrats übt zugleich das Präsidialamt der Medienaufsichtsbehörde aus.1252 Wenngleich die Mitglieder des Medienrats durch das Parlament gewählt werden, ist der Regierungseinfluss gleichwohl überaus stark ausgeprägt. So erfolgt die Bestellung der Präsidentin bzw. des Präsidenten der Medienaufsichtsbehörde durch den ungarischen Ministerpräsi­ denten. Da die Leitung der Medienaufsichtsbehörde und des Medienrats in Personalunion erfolgt, ist das Wahlrecht des Parlaments darauf begrenzt, die vom Ministerpräsidenten vorgeschlagene Person zu bestätigen.1253 Ungeachtet der über das Verfahren zur Bestimmung des Direktorenamtes vermittelten starken staatlichen Beeinflussung der Nachrichtenagentur stellt bereits die verbindliche Festlegung und Begrenzung der Informationsquellen als sol 1245

Zur Gefahr der Verengung der medialen Informationsquellen, siehe Beater, § 13, Rn. 1212 f. KG, AfP 2007, 571, 572; Beater, § 13, Rn. 1211 f. 1247 KG, AfP 2007, 571, 572. 1248 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 22, Ziffer 89. 1249 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 22, Ziffer 89. 1250 Cornils, FS Schröder, S. 125, 130. 1251 Cornils, FS Schröder, S. 125, 130. 1252 Cornils, FS Schröder, S. 125, 139. 1253 Cornils, FS Schröder, S. 125, 139. 1246

384

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

che einen massiven Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlichen Medien­anbieter dar. Wie oben dargestellt, entspricht es europäischen Mindestanforderungen der Vielfaltsicherung, dass der Ordnungsrahmen der öffentlichen Medienanbieter dessen redaktionelle Unabhängigkeit unantastbar festschreibt.1254 Das Erfordernis der redaktionellen Unabhängigkeit umfasst auch das Recht, unbeeinflusst von staatlichen Einflüssen auf Informationsquellen zugreifen zu können. Die Wichtigkeit des flexiblen Zugriffs auf Informationsquellen für die Aufgabenerfüllung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommt sehr anschaulich in einer Entscheidung des BVerfG zum Ausdruck, welche sich mit der Verfassungsmäßigkeit der arbeitsrechtlichen Verpflichtung der Rundfunkanstalten zur Eingehung unbefristeter Arbeitsverträge mit redaktionellen Mitarbeitern befasst hat. Das BVerfG gelangte zu der Überzeugung, dass die Fähigkeit der Rundfunkanstalten, vielfältige Inhalte darbieten zu können, wesentlich von der Auswahl der Personen abhängt, welche programmgestaltend tätig sind.1255 Gerade wenn es darauf ankommt, auf ein wechselndes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu reagieren, können fest angestellte Mitarbeiter ein Hindernis bei der Abbildung der sich wandelnden gesellschaftlichen Vielfalt darstellen.1256 Das Beispiel der der Rundfunkfreiheit entgegenstehenden arbeitsrechtlichen Verpflichtung zur Festanstellung redaktioneller Mitarbeiter verdeutlicht die zumindest im deutschen Recht bestehende Reichweite der redaktionellen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Weiterhin verdeutlicht es, dass die Möglichkeit des flexiblen Zugriffs auf verschiedene Quellen der redaktionellen Berichterstattung unverzichtbar für die Darstellung vielfältiger Inhalte ist. Es liegt auf der Hand, dass die gesetzlich angeordnete Monopolisierung der Informationsquellen gegenüber dem Zwang zur Festanstellung redaktioneller Mitarbeiter eine noch viel weitergehende Beschränkung der redaktionellen Unabhängigkeit der öffentlichen Medienanbieter darstellt. Die gesetzliche Anordnung der zu nutzenden Informationsquellen dürfte bereits für sich genommen mit europäischen Mindeststandards der Vielfaltsicherung unvereinbar sein. So sollen die öffentlichen Medienanbieter Fakten und Ereignisse fair präsentieren und auf diese Weise die freie Bildung von Meinungen fördern.1257 Die freie Bildung von Meinungen setzt voraus, dass die Öffentlichkeit verschiedene Sichtweisen über Themen von allgemeinen Interesse kennen lernen kann. Die Möglichkeit der Darstellung verschiedener Sichtweisen wird wiederum durch die Freiheit der Medienanbieter, verschiedene Informationsquellen nutzen zu können, begünstigt. Zudem betont der EGMR stets einen Anspruch der Öffentlichkeit, durch die Presse und sonstige Informationsmedien über Fragen von allgemeinem Interesse umfassend informiert zu werden.1258 1254

Siehe dazu, D. II. 4. a) aa) (1). BVerfGE 59, 231, 259 f. 1256 BVerfGE 59, 231, 259. 1257 Ministerkomitee des Europarats, Empfehlung Nr. R (96) 10, Anhang VI. 1258 EGMR, NVwZ-RR 2014, 48, 52, § 131 (Centro Europa 7 u. a. / Italien); EGMR, NJW 1987, 2143, 2144, § 41 (Lingens / Österreich). 1255

II. Der Medienvielfalt sichernde Aussagegehalt des Art. 2 EUV

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Gefördert wird dieser Informationsanspruch durch den Quellenschutz, welchen der EGMR als eine wesentliche Grundlage der Presse- bzw. der Medienfreiheit anerkennt.1259 Den Zusammenhang zwischen Quellenschutz und Informations­ anspruch stellt der EGMR her, indem er darauf hinweist, dass Informanten ohne die Garantie des Quellenschutzes davon abgehalten werden könnten, die Medien mit Informationen von allgemeinem Interesse zu versorgen.1260 Eine solche Abschreckung von potentiellen Informanten würde wiederum dazu führen, dass die Medien bei der Ausfüllung ihrer Aufgabe, als „öffentlicher Wachhund“ zu wirken, ebenso beeinträchtigt werden, wie in ihrer Fähigkeit, genaue und verlässliche Informationen zu liefern.1261 Nimmt man zudem in den Blick, dass insbesondere den öffentlichen Medienanbietern eine erhebliche Bedeutung im Hinblick auf die Erfüllung des Informationsanspruchs der Öffentlichkeit zukommt, so wird augenfällig, dass die gesetzliche Anordnung einer einzig zulässigen Informationsquelle den Sinn und Zweck des Quellenschutzes untergräbt. So wäre es widersprüchlich und unzureichend, privaten Medienanbietern einen Quellenschutz zukommen zu lassen, aber den für die Informationsverbreitung überaus wichtigen öffentlichen Medienanbietern verpflichtend vorzuschreiben, welchen Quellen sie ihre Informationen zu entnehmen haben. Der Erkenntnis folgend, dass sämtliche Medienanbieter für eine funktionsgerechte Aufgabenerfüllung des Schutzes bestimmter medienspezifischer Tätigkeiten bedürfen, kommt auch den öffentlich-rechtlich verfassten Medienanbietern der Schutz des Art. 10 EMRK zu, soweit diese in Erfüllung ihres öffentlichen Informationsauftrags tätig werden.1262 Der EGMR hat in Bezug auf den öffentlich-rechtlich organisierten Österreichischen Rundfunk bereits ausdrücklich anerkannt, dass dieser aufgrund seiner vom Gesetzgeber gewährleisteten redaktionellen Unabhängigkeit und institutionellen Autonomie als eine zur Beschwerde berechtigte „nichtstaatliche Organisation“ i. S. d. Art. 34 EMRK anzusehen ist.1263 Um eine umfassende Information durch öffentliche Medienanbieter zu ermöglichen, sollte diesen insbesondere auch der in Art. 10 Abs. 1 EMRK angelegte Quellenschutz zukommen. Die gesetzliche Anordnung einer einzig zulässigen Informationsquelle greift insofern in das Recht auf Quellenschutz ein, als sie es den öffentlichen Medienanbietern verbietet, eine Situation entstehen zu lassen, in welcher die Ausübung dieses Rechts relevant werden könnte. Mithin verunmöglicht eine derartige gesetzliche Regelung den grundrechtsberechtigten öffentlichen Medien schlechthin die Inanspruchnahme einer für Medienanbieter überaus wichtigen Ausprägung der durch Art. 10 EMRK gewährten Rechte. Zugleich wird durch die Begrenzung der Informationsquellen der öffentlichen Medienanbieter der Informationsanspruch der Öffentlichkeit erheblich verkürzt, ohne dass dies sachlich zu rechtfertigen wäre. Somit sind gesetzliche Regelungen, welche die ausschließliche Nutzung bestimmter Informationsquellen 1259

EGMR, NJW 2013, 3709, 3711, § 99 (Ressiot u. a. / Frankreich). EGMR, NJW 2013, 3709, 3711, § 99 (Ressiot u. a. / Frankreich). 1261 EGMR, NJW 2013, 3709, 3711, § 99 (Ressiot u. a. / Frankreich). 1262 Dörr / Grote / Marauhn-Grote / Wenzel, S. 1093, Rn. 51. 1263 EGMR, ÖJZ 2007, 472, 473, § 53 (Österreichischer Rundfunk / Österreich). 1260

386

D. Europäische Mindeststandards der Vielfaltsicherung

vorschreiben, selbst dann mit Art. 10 EMRK unvereinbar, wenn diese sich lediglich auf öffentliche Medienanbieter beziehen. Die Tätigkeit einer staatlich beeinflussten Nachrichtenagentur kann aber auch dann problematisch sein, wenn diese in großem Umfang private Medienanbieter mit Informationen versorgt. So kann die kostenlose Versorgung privater Medienanbieter mit solchen Informationen, welche durch eine staatlich beeinflusste Nachrichtenagentur zusammengestellt werden, bewirken, dass die Dienste unabhängiger aber kostenpflichtiger Nachrichtenversorger kaum noch in Anspruch genommen werden.1264 Die hierdurch eintretende faktische Konzentration der Informationsbeschaffung auf eine einzige Nachrichtenagentur, welche zudem noch staatlich beeinflusst ist, steht dem Anspruch der Öffentlichkeit auf vielfältige und umfassende Information entgegen. Der Staat missachtet seine aus Art. 10 EMRK folgende Verantwortung für die Sicherstellung der Medienvielfalt, wenn er einen Anreiz dafür schafft, dass Medienanbieter vorrangig eine einzige Informationsquelle in Anspruch nehmen. Vielmehr muss ein rechtliches Umfeld geschaffen und aufrecht erhalten werden, welches die Inanspruchnahme vielfältiger Informationsquellen begünstigt. Eine auf staatliche Veranlassung erfolgende kostenlose Versorgung der privaten Medien mit Informationen ist daher ebenso wenig mit Art. 10 EMRK vereinbar, wie die gesetzliche Anordnung der durch öffentliche Medienanbieter zu nutzenden Informationsquellen.

1264 Venedig-Kommission des Europarats, Opinion no. 798/2015, CDL-AD(2015)015, S. 22, Ziffer 89.

E. Zusammenfassung I. Zu den Möglichkeiten einer Vielfalt sichernden Rechtsetzung durch die EU Die Rechtsnatur der EU und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ermöglichen der EU eine eigene Rechtssetzung nur in solchen Bereichen, für welche ihr durch die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte übertragen wurden. Eine zur Rechtsetzung berechtigende Einzelermächtigung mit ausdrücklichem Bezug zu medienrechtlichen Aspekten steht der EU nicht zur Verfügung. Der sog. Kulturartikel des Art. 167 AEUV ermächtigt die Union lediglich zu Fördermaßnahmen mit kultureller Zielsetzung. Weiterhin ist es ihr aufgrund des in Art. 167 Abs. 5 AEUV geregelten Harmonisierungsverbots versagt, mitgliedstaatliches Recht mit kultureller Zielsetzung anzugleichen. Da Medienprodukte indessen regelmäßig den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten eröffnen, ist es der EU in weitem Umfang möglich, unter Inanspruchnahme binnenmarktbezogener Harmonisierungskompetenzen, eine Angleichung medienrechtlicher Regelungen innerhalb der Union vorzunehmen. Im Zuge der Rechtsangleichung ist es ihr zudem gestattet, für sich betrachtet in mitgliedstaatlicher Kompetenz verbliebene, Allgemeinwohlbelange aufzugreifen und auf ein unionsweit einheitliches Niveau zu heben. Einen auf diese Weise dem Regelungszugriff der EU unterliegenden Allgemeinwohlbelang stellt, wie insb. Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh zum Ausdruck bringt, grundsätzlich auch das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung dar. Jedoch sind in Bezug auf die Medienvielfaltsicherung in den europäischen Verträgen besondere Kompetenzschranken angelegt, welche einem umfassenden Zugriff der Union auf diese Regelungsmaterie entgegen stehen. So beinhaltet Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV für die Union die Verpflichtung zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. In dem Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten haben die Mitgliedstaaten auf der Ebene des europäischen Primärrechts zum Ausdruck gebracht, dass sie die Beauftragung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Grundsatz als eine ihnen vorbehaltene Aufgabe und ebenso als Teil ihrer nationalen Identität ansehen. Die mitgliedstaatlichen Vorbehalte im Hinblick auf die Regelung ihres öffentlich-rechtlichen Rundfunks lassen sich zudem in einem weiteren Kontext dahingehend interpretieren, dass die Mitgliedstaaten sich auch jenseits der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Regelung der verfassungsrechtlichen Grundstrukturen ihrer Medienordnung, einschließlich der Art und Weise der Medienvielfaltsicherung, vorbehalten wollten. Wenngleich diese Kompetenzvorbehalte nicht ohne zwingenden Grund die Verwirklichung der Ziele und den Zweck des Zusammenschlusses der Union beein-

388

E. Zusammenfassung

trächtigen dürfen, ist es der EU gleichwohl weithin verwehrt, eine aktive Rolle auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung einzunehmen. Die weitgehende Beschränkung der Union auf eine passive Rolle im Hinblick auf den Schutz der Medienvielfalt kommt auch in Art. 167 Abs. 4 und 5 AEUV zum Ausdruck. Aus dem Regelungszusammenhang dieser Absätze des Art. 167 AEUV wird deutlich, dass die Union harmonisierendes Recht, welches kulturelle Gesichtspunkte berührt, nur dann setzen darf, wenn dem Sekundärrechtsakt vordergründig eine andere als kulturelle Zielsetzung zu Grunde liegt. Weiterhin muss die EU im Falle der unbeabsichtigten Berührung kultureller Aspekte diesen gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrung und Förderung der Vielfalt der Kulturen Rechnung tragen. In dieser Hinsicht dürften Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV und Art. 167 Abs. 4 AEUV weitgehend deckungsgleiche Kompetenzbeschränkungen zu Lasten der Union darstellen. Da jedoch nicht jede Regelung, welche im Zuge der Binnenmarktharmonisierung Erfordernisse der Medienvielfaltsicherung aufgreift, die kulturelle Vielfalt oder nationale Identität der Mitgliedstaaten beeinträchtigt, sind Einzelregelungen zur Vielfaltsicherung der Union indessen nicht schlechthin entzogen. Tatsächlich weisen einzelne Regelungen der AVMD-RL einen erkennbaren Bezug zur Sicherung der Medienvielfalt auf. Gleichwohl bleibt es den Mitgliedstaaten als Teil ihrer nationalen Identität vorbehalten, darüber zu befinden, durch welche Regelungsinstrumente und Institutionen den Erfordernissen der Medienvielfaltsicherung genügt werden soll. Würde die Union in großem Umfang Regelungen erlassen, welche zum Schutz der Medienvielfalt ergehen, so wäre diese Tatsache ein deutliches Indiz für die Umgehung des Harmonisierungsverbots gem. Art. 167 Abs. 5 AEUV. Auch die Regelung des Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh, welche einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber nahelegen könnte, vermag den beschränkten Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nicht zu erweitern. Vielmehr läuft der in Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh angelegte Regelungsauftrag mangels Zuständigkeit der Union weitgehend leer. Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift kann vor allem darin gesehen werden, dass die Union bei der Ausübung ihrer Kompetenzen Auswirkungen auf die Medienvielfalt berücksichtigen muss. Zudem macht sie sichtbar, dass die Medienvielfalt ein wichtiges Interesse der Unionsrechtsordnung darstellt. Dass die Union mitgliedstaatliche Gestaltungsfreiräume auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung akzeptiert, wird zudem dadurch deutlich, dass die Medienvielfalt ein Allgemeinwohlinteresse darstellt, welches Beschränkungen von Grundfreiheiten rechtfertigen kann. Auch haben sich die Organe der EU im Hinblick auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sehr kompromissbereit gezeigt. Schließlich kommen mitgliedstaatliche Gestaltungsfreiräume im Hinblick auf die Medienvielfaltsicherung in zahlreichen Sekundärrechtsakten zum Ausdruck.

II. Bestandteil der europäischen Wertebasis

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II. Zur Identifizierung der Medienvielfalt als Bestandteil der europäischen Wertebasis Die Normierung europäischer Werte ist elementar für das Funktionieren der EU als Rechtsgemeinschaft. Nur dann, wenn auf allen Ebenen des Verbunds eine an den Werten des Art. 2 EUV orientierte Rechtssetzung und ein ebenso werteorientierter Normvollzug stattfindet, können die im Unionsrecht verankerten Rechte wirksam zur Geltung gebracht werden. Aber auch die Mitgliedstaaten haben ein Interesse daran, dass ihr Vertrauen, welches sie der Union und anderen Akteuren des Verbunds entgegenbringen, nicht enttäuscht wird. Jedoch kann und soll Art. 2 EUV nicht bewirken, dass innerhalb der Union ein völlig uniformes europäisches Verständnis der in Art. 2 EUV geregelten Werte vorgegeben wird. Vielmehr soll lediglich ein Kernbestand an gemeinsamen Überzeugungen gesichert werden, um die Basis der Zusammenarbeit innerhalb der EU dauerhaft zu sichern. Wenngleich die Werte des Art. 2 EUV auch für solche Regelungsbereiche Wirkung entfalten, welche in mitgliedstaatlicher Kompetenz verblieben sind, können diese keine Kompetenzverschiebung zu Gunsten der EU bewirken. Art. 2 EUV gibt lediglich den flexiblen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die auf der Ebene der Mitgliedstaaten auszugestaltenden Werte entfalten können. Um den Kernbestand gemeinsamer europäischer Werte inhaltlich näher bestimmen zu können, kann in Bezug auf den Grund- bzw. Menschenrechtsschutz auf sämtliche in Art. 6 EUV genannten Rechts- und Rechtserkenntnisquellen zurück­ gegriffen werden. Im Hinblick auf die Ermittlung gemeinsamer Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die sich aus ihnen speisende europäische Wertebasis erscheint es ausreichend und gerechtfertigt, insbesondere die Rechtsordnungen der bevölkerungsreichsten und früh am Integrationsprozess beteiligten Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen. Besonders geeignet zur Ermittlung europäischer Werte ist darüber hinaus die Analyse des Rechts des Europarats, dessen Mitglied sämtliche Staaten der EU sind. Schließlich haben sich auch auf der Ebene der EU bereits einige Werte verselbständigt, wenngleich diese ihren Ausgangspunkt auf der Ebene der Mitgliedstaaten oder auf der des Europarats nehmen. Die von der Unionsrechtsordnung geförderten Werte finden insbesondere in der GrCh ihren Ausdruck. Im Hinblick auf die Medienvielfalt kann es keinem Zweifel unterliegen, dass dieses Schutzgut in verschiedenen Werten des Art. 2 EUV angelegt ist. Sowohl der EGMR als auch die Rechtsordnungen der vier bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten der EU leiten das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung aus der objektiv-rechtlichen Dimension solcher Grundrechte her, welchen u. a. die Funktion zukommt, eine freie öffentliche Kommunikation zu gewährleisten. Wenngleich die staatlichen Handlungspflichten im Hinblick auf einzelne Medienarten ebenso unterschiedlich beurteilt werden, wie die Stärke der Ausprägung der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension der Kommunikationsfreiheiten, so dürfte doch feststehen, dass der Staat in Bezug auf alle Mediengattungen ein inhaltlich vielfältiges Angebot zu gewährleisten hat. Eine inhaltliche Verengung des Medienangebots hätte

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E. Zusammenfassung

zur Folge, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht wirksam zur Geltung gebracht werden könnte. Da das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung übereinstimmend in einem engen Zusammenhang mit der effektiven Gewährleistung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gesehen wird und dieses ebenfalls als Menschenrecht bezeichnet werden kann, liegt eine Zuordnung der Medienvielfalt zu den Menschenrechten i. S. d. Art. 2 EUV nahe. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird nach gemeinsamer Auffassung der für die Unionsrechtsordnung maßgeblichen Erkenntnisquellen, ebenso wie der gesellschaftliche Pluralismus, welcher auch in den Medien zum Ausdruck kommen muss, als eine unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung der Demokratie angesehen. Nimmt man in den Blick, dass es ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie und ohne Medienvielfalt keine wirksame Meinungsfreiheit geben kann, so erscheint es ebenfalls sachgerecht, die Sicherung der Medienvielfalt als Teilaspekt der von Art. 2 EUV geschützten Demokratie zu betrachten. Da sich die Medienvielfalt somit bereits dem Menschenrechtsschutz und der Demokratie zuordnen lässt, erscheint es entbehrlich, diese ebenfalls einem auf europäischer Ebene noch wenig ausgeprägten Begriff der Rechtsstaatlichkeit zuzuordnen.

III. Zu den europäischen Mindeststandards der Vielfaltsicherung  1. Staatliche Gewährleistungspflichten Wenngleich der EU im Grundsatz keine Regelungszuständigkeit auf dem Gebiet der Medienvielfaltsicherung zukommt, ist es dennoch möglich, dass sich in dieser Hinsicht verbindliche unionsrechtliche Maßgaben aus der Notwendigkeit der europäischen Wertesicherung ergeben können. Die konkrete Festlegung des Inhalts der kompetenzübergreifenden Wirkung des Art. 2 EUV ist im Hinblick auf die Sicherung der Medienvielfalt jedoch aufgrund der Komplexität der Regelungsmaterie überaus problematisch. So unterliegen die Erfordernisse der Vielfaltsicherung in weitem Umfang einem Gestaltungsspielraum der zuständigen mitgliedstaatlichen Gesetzgeber. Zur Beantwortung der Frage, in welchen Fällen dieser Gestaltungsspielraum nicht nur aus der verfassungsrechtlichen Sicht des betroffen Mitgliedstaates, sondern sogar aus der Perspektive der europäischen Wertesicherung überschritten ist, bietet sich eine nähere Betrachtung derjenigen Gewährleistungen der EMRK an, welche u. a. darauf gerichtet sind, eine freie gesellschaftliche Kommunikation zu ermöglichen. Auf diese Weise lassen sich zumindest die gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen beschreiben, welche erfüllt sein müssen, damit sich überhaupt eine an eine freie gesellschaftliche Kommunikation anknüpfende Medien­ vielfalt einstellen kann. Diese gesellschaftlichen Grundbedingungen sind durch den EGMR bereits deutlich ausgeprägt worden. Sie sind jedoch im Wesentlichen darauf gerichtet, individuelle Kommunikationsfreiheiten zu gewährleisten. Weitaus problematischer ist,

III. Zu den europäischen Mindeststandards der Vielfaltsicherung  

391

ob und in welchem Umfang diese Freiheiten ggf. eingeschränkt werden müssen, damit Verzerrungen des Meinungsbildungsprozesses wirksam entgegengetreten werden kann. In dieser Hinsicht muss gesehen werden, dass die Besonderheiten der Medienökonomie ein hohes Maß an Unternehmenskonzentration und damit auch eine Verengung des inhaltlichen Angebots erwarten lassen. Ungeachtet der für alle Medienmärkte erforderlichen Funktionsfähigkeit des ökonomischen Wettbewerbs ist im Bereich des Rundfunks weiterhin die gemeinsame europäische Überzeugung vorherrschend, dass medienspezifische Regelungen zudem das eigenständige Ziel des sog. publizistischen Wettbewerbs absichern müssen. Als besonders geeignet kann in dieser Hinsicht das Instrument einer medienspezifischen Konzentrationskontrolle gelten, welches an die Aufsicht über die Rundfunklizenzen anknüpft. In diese Konzentrationskontrolle könnten auch über andere Mediengattungen erzeugte Einflüsse einbezogen werden. Jedoch sind die Methoden für eine sachgerechte Erfassung des über einzelne Medienarten erzielten Meinungseinflusses bereits auf mitgliedstaatlicher Ebene überaus umstritten. Vor diesem Hintergrund wird die insoweit unzuständige Unionsebene diesbezüglich keine unionsrechtlichen Maßstäbe formulieren können. Auch wird sich seitens der EU nicht generell die Verpflichtung zur Installierung einer im Einzelnen durch die Mitgliedstaaten auszugestaltenden medienspezifischen Konzentrationskontrolle fordern lassen. Dem steht bereits die Tatsache entgegen, dass einige Mitgliedstaaten ein solches Instrument der Vielfaltsicherung bisher nicht geregelt haben, sodass insofern ein werteprägender europäischer Konsens fehlt. Gerade in Mitgliedstaaten mit kleineren Medienmärkten wird die Entscheidung zum Verzicht auf ein medienspezifisches Konzentrationsrecht zudem von nachvollziehbaren Gründen getragen. Als europäischer Konsens, welcher auch als Erfordernis der Vielfaltsicherung i. R. d. Art. 2 EUV anzusehen ist, kann hingegen die Praxis der Mitgliedstaaten bezeichnet werden, bestimmte Rundfunkveranstalter aus öffentlichen Mitteln zu fördern. Dies gilt auch im Zuge der Entwicklung und Erprobung alternativer Formen der öffentlichen Finanzierung bestimmter Rundfunkinhalte fort. So hat der EGMR, gerade in jüngerer Vergangenheit, deutlich herausgestellt, dass die Vielzahl audiovisueller Inhalte und damit auch ein funktionierender ökonomischer Wett­bewerb kein hinreichender Garant eines inhaltlich vielfältigen Medienangebots sein kann. Jedoch ist das Erfordernis der ergänzenden öffentlichen Finanzierung von Medieninhalten ausschließlich auf audiovisuelle Medieninhalte bezogen, welchen eine besondere Wirkmacht zugesprochen wird und bei welchen die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Medienprodukte eine Verengung der inhaltlichen Vielfalt in besonderer Weise erwarten lassen. Die öffentliche Beauftragung und Finanzierung wird angesichts der anhaltenden Bedeutung der linearen Rundfunkmedien auch weiterhin für diese unverzichtbar sein, wohingegen das Angebot der im Wesentlichen textbasierten Medien der freien privaten Initiative vorbehalten bleiben muss. Überaus problematisch ist indessen der notwendige Umfang der öffentlich-rechtlichen Beauftragung auf dem Gebiet der Online-Medien. Angesichts der zweifellos bestehenden Vielzahl der abrufbaren

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E. Zusammenfassung

Inhalte erscheint eine Beeinträchtigung privater Entfaltungsmöglichkeiten durch die öffentliche Förderung einzelner Anbieter in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig. Jedoch können die Gründe, welche die öffentliche Beauftragung und Finanzierung bestimmter Anbieter im Bereich des linearen Rundfunks rechtfertigen, in weitem Umfang auf audiovisuelle Abrufdienste übertragen werden. Moderne Mediennutzungsgewohnheiten führen dazu, dass öffentlich-rechtliche Programmbeauftragungen nur dann erfüllt werden können, wenn diese auch audiovisuelle Abrufdienste einschließen. Deshalb kann eine öffentliche Beauftragung und Finanzierung solcher Dienste auch insoweit gerechtfertigt werden.

2. Staatliche Pflicht zur Inhaltsneutralität Jedoch muss ebenso gesehen werden, dass im Zusammenhang mit der öffentlichen Beauftragung und Finanzierung bestimmter Medienanbieter die Gefahr der staatlichen Einflussnahme verbunden sein kann. Zudem gilt es in dieser Hinsicht Maßgaben des europäischen Beihilferechts zu beachten. Indessen bringt das Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten ebenso wie die Europäische Kommission zum Ausdruck, dass die europäische Wettbewerbsaufsicht den mitgliedstaatlichen Befugnissen zur Ausgestaltung ihrer Rundfunkordnung dadurch Rechnung tragen muss, dass sie sich im Wesentlichen auf eine Missbrauchskontrolle beschränkt. Die Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit öffentlich-rechtlich beauftragter Medienanbieter ist vor dem Hintergrund des Art. 2 EUV auch ein Erfordernis des Unionsrechts. Gleichwohl muss es der Europäischen Kommission ermöglicht werden, zumindest in eingeschränktem Maße eine beihilferechtliche Kontrolle der öffentlichen Finanzierung der dadurch begünstigten Medienanbieter vornehmen zu können. Zudem bedarf es einer Kontrolle des Auftrags vor dem Hintergrund der Verantwortlichkeit der öffentlich geförderten Medienanbieter gegenüber ihren Zielgruppen. Mit der Kontrolle der Einhaltung des öffentlichen Auftrags kann auch eine externe Stelle befasst werden, sofern wirksam sichergestellt wird, dass diese gegenüber ministeriell angebundenen Weisungen unabhängig ist. Jedoch ist die notwendige Kontrolle, deren konkrete Ausgestaltung weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, auf eine nachträgliche Kontrolle zu begrenzen. Sofern, wie in Europa weit überwiegend praktiziert, auf gesetzlicher Grundlage Medienorganisationen eigens zu dem Zweck eingerichtet werden, um einen bestimmten inhaltlichen Auftrag zu erfüllen, so müssen bereits die Strukturen solcher Einrichtungen die Gewähr dafür bieten, dass ein inhaltlicher Einfluss des Staates weitgehend ausgeschlossen wird. Das Leitungsorgan sollte daher regelmäßig organisationsintern bestimmt werden. Jedenfalls ist ein unmittelbarer Einfluss der Regierung auf die personelle Besetzung des Leitungsorgans als unzulässig anzusehen. Die Verantwortlichkeit des Leitungsorgans muss auf diese gegenüber dem Aufsichtsgremium der öffentlichen Medienorganisation begrenzt sein. Von besonderer

III. Zu den europäischen Mindeststandards der Vielfaltsicherung  

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Bedeutung sind Regelungen, welche die Besetzung der Aufsichtsorgane betreffen. Gleichwohl lassen sich in dieser Hinsicht kaum europäische Maßgaben formulieren. Keinesfalls kann das deutsche Modell der Gruppenrepräsentation im europäischen Kontext als verbindlich angesehen werden. Jedoch muss verlangt werden, dass das Verfahren zur Besetzung des Aufsichtsorgans zumindest eine hinreichende Pluralität bzw. eine am Zweck der Einrichtung der öffentlichen Medienorganisation ausgerichtete Professionalität erwarten lässt. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten zur Regelung eines diesen vagen Maßgaben gerecht werdenden Verfahrens, wird sich die europäische Aufsicht in dieser Hinsicht auf die Beanstandung offensichtlicher und intendierter politischer Einflussnahmen zu beschränken haben. Europäische Maßgaben lassen sich auch im Hinblick auf die Finanzierung öffentlicher Medienorganisationen nur grob skizzieren. So ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die zu gewährleistende redaktionelle Unabhängigkeit nicht im Wege des Finanzierungsverfahrens untergraben werden kann. Andererseits entspricht es einer geteilten europäischen Überzeugung, dass die öffentlichen Medienorganisationen ihren Finanzbedarf nicht völlig autonom von staatlichen Stellen festlegen dürfen. Sie sind indessen am Verfahren zur Festlegung der Höhe der Finanzierung mit gewichtiger Stimme zu beteiligen. Der Anteil der im Rahmen der Beauftragung grundsätzlich zulässigen kommerziellen Finanzierungsanteile darf den Zweck und die Notwendigkeit der öffentlichen Beauftragung mit Blick auf die hierdurch beeinträchtigten Betätigungsmöglichkeiten privater Medienanbieter nicht in Frage stellen. Zur Verhütung unzulässiger staatlicher Einflussnahmen auf bestimmte Medieninhalte ist vorzusehen, dass die inhaltliche Beaufsichtigung privater Medienanbieter durch unabhängige Regulierungsstellen erfolgt. Das Erfordernis zur Einrichtung rechtlich verselbständigter unabhängiger Regulierungsstellen ergibt sich unabhängig von der AVMD-RL bereits aus der Notwendigkeit der Sicherstellung hinreichender Medienvielfalt. Indessen ist nicht zu verlangen, dass die unabhängige Regulierungsstelle keiner ministeriell angekoppelten Aufsicht unterliegen darf, sofern diese auf eine nachträgliche Kontrolle beschränkt ist und die inhaltlichen Aufsichtsbefugnisse der Regulierungsstelle unangetastet lässt. Dass staatliche Organe an der personellen Besetzung der Regulierungsstelle notwendig zu beteiligen sind, ist nicht zu beanstanden. Jedoch müssen normative Kriterien im Hinblick auf die Qualifikation der Mitglieder festgelegt werden, welche die entscheidungsbefugten staatlichen Stellen binden und welche sich erkennbar an der Erreichung der Regulierungsziele ausrichten. Zudem sollte ergänzend die Festlegung von Unvereinbarkeitsvorschriften erfolgen, welche geeignet sind, Einflussnahmen durch solche Akteure, denen gegenüber die Unabhängigkeit zu gewährleisten ist, zu begrenzen. Ebenso wie die Berufung muss auch die Abberufung der die Medieninhalte beaufsichtigenden Mitglieder der Regulierungsstelle an normativ festgelegte und zudem gerichtlich überprüfbare Kriterien gebunden werden. Schließlich ist die Unabhängigkeit der Regulierungsstelle auch bei deren Finanzierung zu berücksichtigen. Es muss ein Finanzierungsmodell geregelt werden, welches sicherstellt, dass die umgängliche

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E. Zusammenfassung

diesbezügliche staatliche Entscheidungsbefugnis nicht dazu genutzt werden kann, Einfluss auf die inhaltlichen Entscheidungen der Regulierungsstelle zu nehmen. Maßnahmen, welche den Einfluss der staatlichen Medienaufsicht durch die Einführung von Elementen der Selbst- und Koregulierung zurückdrängen sollen, sind vor dem Hintergrund der europäischen Wertesicherung nicht zu fordern. Unabhängig von den Maßgaben, welche bei der Beauftragung und Finanzierung öffentlicher Medienorganisationen zu beachten sind, ist auch die Förderung solcher Medienanbieter, welche aus privater Initiative entstanden sind und betrieben werden, an übergeordnete Grundsätze gebunden, welche einer staatlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs und einer Inhaltslenkung entgegenstehen. Die europäische wettbewerbsrechtliche Dimension lässt grundsätzlich eine Rechtfertigung der Förderung audiovisueller Inhalte über Art. 106 Abs. 2 AEUV zu. Jedoch wird es im Falle der Betrauung privater Anbieter mit gemeinwohlorientierten Inhalten eine erhebliche Herausforderung darstellen, einerseits einer beihilferechtlich unzulässigen Überkompensation vorzubeugen und gleichzeitig den Erfordernissen der Vielfalt­ sicherung gerecht zu werden. Die Förderung der herkömmlichen Presse wird sich nur in den engen Grenzen einer Kulturförderung i. S. d. Art. 107 Abs. 3 d) AEUV bzw. zum Zwecke der Förderung bestimmter Wirtschaftszweige i. S. d. Art. 107 Abs. 3 c) AEUV rechtfertigen lassen. Förderungen von Online-Angeboten, welche nicht als Dienstleistungen i. S. d. Art. 106 Abs. 2 AEUV zu qualifizieren sind, können ebenfalls nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der Kulturförderung als zulässig erachtet werden. Neben den wettbewerbsrechtlichen Erfordernissen müssen die Grundrechte der Medienanbieter, welche keine öffentliche Förderung erhalten, im Blick behalten werden. Selektive Förderungen bestimmter Medienanbieter, welche nicht nach meinungsneutralen Kriterien erfolgen, sind schlechthin als unzulässig anzusehen. Im Übrigen sind sie grundsätzlich als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in die Medienfreiheiten der nicht geförderten Anbieter zu betrachten und müssen daher in verhältnismäßiger Weise das Ziel verfolgen, einem Marktversagen entgegenzuwirken. Die Vergabe muss durch eine Stelle erfolgen, welche sich durch eine Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Weisungen auszeichnet. Insbesondere dann, wenn der Staat als bedeutender Werbekunde in Erscheinung tritt, muss er ein Konzept entwickeln, welches sicherstellt, dass die Verteilung der Werbeentgelte nach inhaltsneutralen Gesichtspunkten erfolgt. Keinesfalls darf hierdurch auf eine Veränderung der Medienstruktur hingewirkt werden. Auch im Übrigen kommt dem Staat im Rahmen seiner an die Öffentlichkeit gerichteten Kommunikation eine inhaltliche Neutralitätspflicht zu, welche in verschiedenen Gewährleistungen der EMRK angelegt ist. Die staatliche Öffentlichkeitsarbeit darf allein auf eine Beförderung der Freiheit des Meinungsbildungs­ prozesses gerichtet sein, diese aber nicht zu beeinflussen versuchen. Sofern der Staat im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit die ihn treffende Neutralitätspflicht, welche sich auch in notwendigen inhaltlichen wie umfänglichen Begrenzungen der medialen Aktivität staatlicher Akteure niederschlägt, beachtet, steht nicht zu be-

III. Zu den europäischen Mindeststandards der Vielfaltsicherung  

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fürchten, dass seine Vertreter einen dominierenden Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nehmen könnten. Jedoch ist zu verhüten, dass die Neutralitätspflichten des Staates im Wege der Beteiligung an privat betriebenen Medien umgangen werden können. Zu diesem Zweck ist es erforderlich aber auch ausreichend, einen inhaltlich bestimmenden Einfluss auf einzelne Medienanbieter seitens des Staates und seiner leitenden Repräsentanten auf allen Ebenen hoheitlichen Handelns wirksam auszuschließen. Begrenzungen der medialen Aktivitäten politischer Parteien lassen sich aus Art. 2 EUV dagegen kaum herleiten. Vielmehr wird im Kontext der EMRK regelmäßig die Bedeutung der freien Meinungsäußerung durch politische Parteien für eine demokratische Gesellschaft unterstrichen. Gleichwohl wird es den politischen Parteien, zumindest in Bezug auf die audiovisuellen Medien insgesamt, nicht gestattet werden können, auf diese einen beherrschenden Einfluss auszuüben. Eine übermäßige Präsenz staatlicher Vertreter im öffentlichen Kommunikationsprozess ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn es Privatpersonen untersagt ist, politische Rundfunkwerbung vorzunehmen. Solche Werbeverbote erfolgen aus der nachvollziehbaren Erwägung, dass finanzkräftige Werbekunden nicht in die Lage versetzt werden dürfen, ihre politischen Botschaften wirkungsvoller zu verbreiten, als andere potentielle Teilnehmer am politischen Diskurs. Gleichwohl sind politische Werbeverbote allenfalls auf das Medium des Rundfunks zu erstrecken, da im Falle des Wegfalls weiterer öffentlicher Kommunikationsmöglichkeiten die für die Meinungsfreiheit und die Demokratie unerlässliche freie Verbreitung von Meinungen und Informationen, welche in besonderem Maße in politischen Angelegenheiten schutzwürdig ist, unverhältnismäßig eingeschränkt würde. Zudem kann sich die Gefahr der Verzerrung der Meinungsbildung vor allem im Bereich der wirkmächtigen und teuren Rundfunkwerbung realisieren. Als absolut unzulässig muss es bezeichnet werden, wenn die den Medienanbietern zur Verfügung stehenden Informationsquellen auf staatliche Veranlassung rechtlich oder faktisch eingeschränkt werden. Dies gilt auch gegenüber öffentlichen Medienorganisationen, welche in Ausübung ihrer Funktion, ebenso wie private Anbieter, den Schutz des Art. 10 EMRK für sich in Anspruch nehmen können. Eine wesentliche Ausprägung des Schutzes medialer Aktivitäten ist diese des Quellenschutzes, welche einen bereiten und ungehinderten Informationsfluss begünstigen soll. Die Anordnung oder auch nur die Schaffung eines Anreizes zur Nutzung einer bestimmten Informationsquelle seitens des Staates steht im deutlichen Widerspruch zu dem in Art. 2 EUV angelegten Schutz der Medienvielfalt durch die europäische Werteordnung. Mithin ist die mitgliedstaatliche Gestaltungsbefugnis überschritten, wenn staatliche Aktivitäten geeignet sind, den Zweck des Quellenschutzes auszuhöhlen.

F. Kurzzusammenfassung in Thesen 1. Der EU stehen zur Regelung des Schutzes der Medienvielfalt lediglich binnenmarktbezogene Harmonisierungskompetenzen zur Verfügung. Bei deren Inanspruchnahme hat sie sowohl die allgemeinen Anforderungen an die Auswahl der Rechtsgrundlage als auch besondere Beschränkungen, welche in der Besonderheit der Regelungsmaterie begründet sind, zu beachten. 2. Grundsätzlich ist es möglich und auch erforderlich, dass die EU im Zuge der Binnenmarktharmonisierung Gemeinwohlbelange, welche den Schutz der Unionsrechtsordnung genießen, im Rahmen ihrer eigenen Rechtsetzung berücksichtigt. Dies gilt selbst dann, wenn zur Regelung dieser Gemeinwohlbelange keine speziellen Hoheitsrechte übertragen wurden. 3. Aus dieser Perspektive der Binnenmarktharmonisierung ist der EU auch grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, Aspekte der Medienvielfaltsicherung aufzugreifen. Dies legt bereits Art. 11 Abs. 2. 2. Alt. GrCh, welcher den Stellenwert der Medienvielfalt in der EU markiert, nahe. Indessen gilt es hinsichtlich der Medienvielfaltsicherung zu berücksichtigen, dass die kulturelle und in Bezug auf Art. 4 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EUV identitätsstiftende Dimension dieser Regelungsmaterie es der Union verwehrt, umfassend eigenständige Regelungen auf diesem Gebiet zu erlassen. Für diese Annahme streiten insb. die Auslegung des Art. 167 AEUV und die des Amsterdamer Protokolls über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten. 4. Die praktische Bedeutung des Art. 11 Abs. 2 2. Alt. GrCh ist weitgehend darauf reduziert, den Stellenwert der Medienvielfalt in der Unionsrechtsordnung sichtbar zu machen. Die hierin angesprochene objektiv-rechtliche Dimension der Medienvielfalt läuft in Anbetracht der grundsätzlichen Unzuständigkeit der Union auf dem Gebiet der Vielfaltsicherung leer. 5. Art. 2 EUV verdeutlicht den Charakter der EU als Wertegemeinschaft. Die Funktionsfähigkeit und Integrität des Verbunds der EU ist darauf angewiesen, dass nicht nur im Rahmen des Handelns der Union, sondern auch auf mitgliedstaatlicher Ebene bestimmte fundamentale Rechtsprinzipien beachtet werden. Dies gilt auch in Bezug auf solche Regelungsmaterien, welche in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind. Deshalb müssen die Unionswerte insofern effektiv zur Geltung gebracht werden können, als sie wirksame Grenzen der grundsätzlich erwünschten nationalen Identitätsentfaltung markieren. 6. Unter Berücksichtigung der durch ein Sanktionsverfahren effektuierten europäischen Werteaufsicht muss es der Union möglich sein, rechtliche Anforderungen an die Mitgliedstaaten auch in solchen Bereichen zu adressieren, welche aufgrund

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der notwendigen Berücksichtigung nationaler Identitätsinteressen dem Regelungszugriff der Union entzogen sind. Gleichwohl begründet Art. 2 EUV weder weitere Zuständigkeiten der Union noch hat diese Regelung zur Folge, dass die Ausprägung der dort normierten Werte unionsweit vereinheitlicht wird. 7. Durch Art. 2 EUV werden lediglich Mindeststandards in Bezug auf die dort genannten Werte gesichert. Deren Inhalt ist aus den in Art. 6 EUV genannten Rechts- und Rechtserkenntnisquellen zu erschließen. Sofern sich die insb. aufgrund des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 EUV notwendig zu konkretisierenden Werte inhaltlich auf durch die Mitgliedstaaten im Grundsatz geteilte europäische Mindeststandards beschränken, ist in deren Durchsetzung keine Verletzung der mitgliedstaatlichen Souveränität zu erkennen. Vielmehr soll die Durchsetzung der Werte des Art. 2 EUV ausschließlich dazu genutzt werden, schwere verfassungsrechtliche Krisen der Mitgliedstaaten, welche verbreitet als „systemische Defizite“ bezeichnet werden, zu bewältigen. 8. In Bezug auf das Erfordernis der Medienvielfaltsicherung ergibt die Auswertung maßgeblicher werteprägender Erkenntnisquellen, dass dieses regelmäßig der objektiv-rechtlichen Dimension von Kommunikationsgrundrechten zugeordnet wird. Zudem wird oftmals ein Bezug zur Sicherung des demokratischen Prozesses herausgestellt. Aufgrund dessen kann das Schutzgut der Medienvielfalt sowohl dem in Art. 2 EUV benannten Wert der Demokratie als auch diesem des Menschenrechtsschutzes zugeordnet werden. 9. Die Identifizierung europäischer Anforderungen der Medienvielfaltsicherung wird dadurch erschwert, dass sich das zu erreichende Ziel der Medienvielfalt nicht nach objektiven Kriterien messen lässt und daher bereits auf der Ebene der Mitgliedstaaten seit jeher Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion ist. Es kommt hinzu, dass technische Veränderungen eine laufende Überprüfung des notwendigen Regulierungsbedarfs erforderlich machen. Andererseits lässt sich zumindest die Funktion der Medienvielfalt, welche darin besteht, einen freien gesellschaftlichen Kommunikations- und Meinungsbildungsprozess zu ermöglichen, deutlich beschreiben. Zudem haben sich auf der Ebene der Mitgliedstaaten Regulierungspraktiken und auf der Ebene des Europarats Regulierungsempfehlungen entwickelt, welche teilweise geeignet sind, einen europäischen Konsens im Hinblick auf notwendige staatliche Verhaltensweisen zur Vielfaltsicherung aufzuzeigen. 10. Die in der EMRK niedergelegten und durch den EGMR konkretisierten Menschenrechte und Grundfreiheiten, welche einen Bezug zur Sicherung eines freien gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses aufweisen, sind in besonderem Maße geeignet, gesellschaftliche Grundbedingungen sichtbar zu machen, welche beachtet werden müssen, damit sich überhaupt ein vielfältiges gesellschaftliches Meinungsspektrum, welches entsprechend zur massenmedialen Darstellung gelangen muss, einstellen kann. Die EU, welche gem. Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 1. Alt. EUV der EMRK einen herausragenden Stellenwert im Hinblick auf den unionalen Grundrechtsschutz zukommen lässt, wird unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 EUV nicht

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tolerieren können, dass ein Mitgliedstaat dauerhaft menschenrechtliche Maßstäbe der EMRK verletzt. 11. Der EGMR hat gerade in jüngerer Vergangenheit deutlich herausgestellt, dass dem Staat im Hinblick auf Art. 10 EMRK und die audiovisuellen Medien auch positive Handlungspflichten treffen können. So muss nach dem EGMR, in deutlicher Parallele zur Rechtsprechung des BVerfG, gewährleistet werden, dass die audiovisuellen Medien weder durch den Staat noch durch gesellschaftliche Gruppen dominiert werden und dass die vielfältigen in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen dort auch angemessen zum Ausdruck gebracht werden. 12. Positive Maßnahmen zur Sicherung der Medienvielfalt muss der Staat auch im Kontext des Art. 10 EMRK und des Art. 2 EUV deshalb ergreifen, da ökonomische Konzentrationstendenzen im Medienbereich durch besondere konzentrationsfördernde Eigenschaften der Medienprodukte befördert werden. Zudem kann der ökonomische Wettbewerb im Bereich der audiovisuellen Medien, in Bezug auf welche auch der EMRK positive Handlungspflichten in Betracht gezogen hat, nicht als hinreichender Garant der zu erreichenden Medienvielfalt angesehen werden. So ist im Blick zu behalten, dass die Zielerreichung in Bezug auf den ökonomischen und den hiervon zu trennenden publizistischen Wettbewerb nicht stets gleich laufen muss. Hinsichtlich anderer als Rundfunkmedien wird indessen traditionell deren freie Tätigkeit in den Mittelpunkt des grundrechtlichen Schutzes gestellt, sodass dort staatliche Interventionen, welche in den Wettbewerb privater Medienanbieter eingreifen, in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig sind. Gleichwohl beziehen sich die objektiv-rechtlichen Ansätze des Art. 10 EMRK nicht lediglich auf die audiovisuellen Medien, sodass Vielfalt fördernde Eingriffe, zumindest in Falle extremer Konzentration, auch in Bezug auf die Presse und die Online-Medien nicht generell ausgeschlossen sind. 13. Die Einführung einer medienspezifischen Konzentrationskontrolle ist als ein besonders wirksames und objektives Instrument zur Erzielung von Medienvielfalt grundsätzlich in Betracht zu ziehen. Jedoch kann der Verzicht auf Vorschriften des Medienkonzentrationsrechts, gerade in Mitgliedstaaten mit kleineren Medienmärkten, welche kein hohes Maß an Außenpluralität erlauben, nicht stets als Verletzung der staatlichen Handlungspflichten zur Sicherstellung eines vielfältigen Medienangebots aufgefasst werden. 14. Eine Pflicht zur öffentlichen Förderung von Medieninhalten und -anbietern kann aus Art. 2 EUV nur in Bezug auf den Rundfunk hergeleitet werden, wenngleich auch eine am Ziel der Vielfaltsicherung ausgerichtete Förderung von Presseorganen und Online-Medien in Europa Verbreitung gefunden hat. Ein europäischer Konsens zur Förderung sämtlicher Medienarten, welcher den Art. 2 EUV in diese Richtung inhaltlich aufzuladen geeignet wäre, ist hingegen nicht erkennbar. 15. Die Verantwortung des Staates, im Bereich der audiovisuellen Medien für ein vielfältiges inhaltliches Angebot Sorge zu tragen, ist so weitgehend, dass dieser die

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erforderliche öffentliche Förderung dieser Medien mit einer öffentlich-rechtlichen Inhaltsbeauftragung, deren Erfüllung es unter strikter Verhütung inhaltlicher staatlicher Einflussnahmen zu überwachen gilt, zu verknüpfen hat. Es sind vielfältige Gestaltungsformen der öffentlich-rechtlichen Beauftragung denkbar; insbesondere ist auch die partielle Beauftragung privater, im Übrigen aber mit kommerzieller Zielrichtung agierender, Medienanbieter mit gemeinwohlorientierten Inhalten möglich. 16. Problematisch ist die Abgrenzung des medialen Aktionsfelds öffentlichrechtlich beauftragter Medienanbieter. In Anerkennung der subjektiven Kommunikationsfreiheiten der Medienanbieter ist eine öffentlich-rechtliche Inhaltsbeauftragung nur in solchen Bereichen erforderlich und zulässig, in welchen die Entwicklung eines Marktversagens im Hinblick auf die Erreichung von inhaltlicher Vielfalt hinreichend wahrscheinlich ist. Andererseits kommt den zuständigen mitgliedstaatlichen Gesetzgebern ein Spielraum bezüglich der Beurteilung der Frage zu, welche Maßnahmen notwendig sind, um einen freien gesellschaftlichen Kommunikationsprozess hinreichend abzusichern. Trotz dieses Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten sollten in Anbetracht der sich wandelnden Medienkonsumgewohnheiten nunmehr auch „fernsehähnliche“ audiovisuelle Abrufangebote zum Gegenstand einer öffentlich-rechtlichen Inhaltsbeauftragung gemacht werden müssen. Als unzulässig müsste es hingegen angesehen werden, wenn Medienanbieter öffentlich-rechtlich damit beauftragt würden, systematisch und ohne Bezug zu ihrem linearen Rundfunkprogramm im Wesentlichen textbasierte Inhalte zu produzieren. Hierdurch würde die im europäischen Kontext ausgeprägte und vorrangig auf die Abwehrdimension bezogene Freiheit der Presse unzulässig unterlaufen. 17. Im Hinblick auf die öffentlich-rechtliche Beauftragung und die Überprüfung der Erfüllung des Auftrags ist die europäische Werte- und Wettbewerbsaufsicht auf die Kontrolle offensichtlicher Fehler beschränkt. Die Problematik, die widerstreitenden Erfordernisse der Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter und der zielgerichteten Steuerung des öffentlichen Mitteleinsatzes in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, muss im Grundsatz auf der Ebene der Mitgliedstaaten bewältigt werden. Nicht hingenommen werden kann indessen, wenn die Kontrolle der Beauftragung durch solche Stellen erfolgt, welche nach der Staatsorganisation der Mitgliedstaaten an ministerielle Weisungen gebunden sind. 18. Die Berufung des Leitungsorgans eines öffentlich-rechtlich organisierten Medienanbieters muss dessen Alleinverantwortlichkeit gegenüber der eigenen Organisation verfahrensrechtlich absichern. Besonders geeignet wären hierzu organisationsinterne Berufungsverfahren, wenngleich solche aus der Perspektive des Art. 2 EUV nicht zwingend sind. Werden staatliche Organe an dem Berufungsverfahren beteiligt, so ist zu berücksichtigen, dass diesen nicht die Berechtigung zukommen darf, die Personalauswahl völlig eigenständig vorzunehmen. Vielmehr wird in diesem Falle ein vom Staat unabhängiges Gremiums maßgeblich an der personellen Besetzung zu beteiligen sein. Die Gründe einer vorzeitigen Abberufung sind gesetzlich zu fixieren und müssen auf Ausnahmesituationen beschränkt sein.

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19. Die Zusammensetzung der Aufsichtsorgane öffentlich-rechtlich organisierter Medienanbieter muss zwar möglichst plural erfolgen. Gleichwohl lässt sich in dieser Hinsicht kein einheitliches und verbindliches europäisches Modell beschreiben. I. R. d. Art. 2 EUV zulässig sind daher sowohl Modelle der Gruppenpluralität, Sachverständigengremien als auch solche Modelle, welche sich an der Parlamentsproportionalität ausrichten. Der Versuch, über die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien politischen Einfluss zu vermitteln, muss daher im Einzelfall nachgewiesen werden. 20. Journalistische Mitarbeiter öffentlich-rechtlicher Medienanbieter dürfen durch das Leitungsorgan nicht systematisch daran gehindert werden, dem gesetzlichen Auftrag entsprechende wahre und objektive Informationen zu verbreiten. Die Einschätzung indessen, ob einzelne Inhalte sich im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags bewegen, obliegt im Grundsatz dem Leitungsorgan selbst. Das Aufsichtsgremium des öffentlich-rechtlichen Medienanbieters hat wiederum darüber zu wachen, ob journalistische Freiheiten der Mitarbeiter durch das Leitungsorgan systematisch in nicht zu rechtfertigendem Umfang beschränkt werden. 21. Im Hinblick auf die Finanzierung der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter ist festzuhalten, dass diesen, trotz der notwendigen Verhinderung staatlicher Einflussnahmen, nicht gestattet werden kann, ihren Finanzbedarf vollständig autonom festzulegen. Die erforderliche Einbindung der mit der Vielfalt­ gewährleistungspflicht belasteten staatlichen Organe ist dadurch zu reduzieren, dass durch die Mitgliedstaaten normative Kriterien der Finanzierung festgelegt werden, welche auch die Belange und Perspektiven der öffentlich-rechtlich beauftragten Medienanbieter gebührend berücksichtigen. Hinsichtlich der Finanzierungsarten sind den Mitgliedstaaten aus europäischer Sicht keine Grenzen gesetzt. Insbesondere verpflichtet die ergänzende kommerzielle Finanzierung die öffentlichen Medienorganisationen nicht dazu, lediglich nicht rentable Inhalte anzubieten. Jedoch dürfen die kommerziellen Finanzierungsanteile nicht derart dominant werden, dass diese die These des Marktversagens im Hinblick auf die Erzielung hinreichender Medienvielfalt untergraben und damit die Existenzberechtigung öffentlich veranlasster Medieninhalte in Frage stellen. 22. Die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Aufsichtsstellen über private Medien (Regulierungsstellen) ergibt sich, ungeachtet sekundärrechtlicher Anforderungen, unmittelbar aus Art. 2 EUV. Die Unabhängigkeit gegenüber dem Staat ist dadurch abzusichern, dass die Regulierungsstelle aus der an ministerielle Weisungen gebunden Staatsverwaltung ausgegliedert und gleichwohl mit umfassenden aufsichtsrechtlichen Befugnissen ausgestattet wird. Eine auf eine nachträgliche Kontrolle begrenzte staatliche Aufsicht, welche nicht die inhaltlichen Überprüfungskompetenzen der Regulierungsstelle in Frage stellt, kann indessen nicht stets als unzulässig angesehen werden. 23. Am Berufungsverfahren zur personellen Besetzung der Regulierungsstellen sind staatliche Stellen notwendig zu beteiligen. Inhaltliche Einflussnahmen auf

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die Aufsichtstätigkeit sind dadurch zu verhüten, dass Anforderungen an die Qualifikation, welche eine an den Regulierungszielen ausgerichtete Tätigkeit erwarten lassen, gesetzlich geregelt werden. Zudem sind Unvereinbarkeitsvorschriften im Hinblick auf bestimmte öffentliche Ämter und Parteiämter zu regeln. Die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens bleibt den Mitgliedstaaten vorbehalten. Die gewichtigen Gründe, welche zur Abberufung von Mitgliedern der Regulierungsstelle berechtigen, sind im Vorwege gesetzlich zu fixieren. Die von einer Abberufung betroffenen Mitglieder sind mit effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten auszustatten. 24. Eine öffentliche Förderung bestimmter Medienanbieter muss aus europäischer Perspektive sowohl wettbewerbsrechtlichen als auch grundrechtlichen Anforderungen genügen. Die selektive Förderung einzelner Anbieter kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn diese nach inhaltsneutralen Gesichtspunkten erfolgt oder wenn nicht marktfähige Inhalte mit kultureller Zielsetzung besonders befördert werden sollen. Förderentscheidungen müssen zwingend durch solche Stellen erfolgen, welche nicht in die hierarchische Staatsverwaltung eingegliedert sind und sich auch im Übrigen durch eine hinreichend abgesicherte Unabhängigkeit gegenüber privaten Interessenvertretern auszeichnen. Auch bei der Verteilung staatlicher Werbeentgelte müssen transparente Kriterien festgelegt werden, welche Beauftragungen erwarten lassen, die sich ausschließlich am Zweck der Werbebotschaften orientieren und zudem geeignet sind, zu verhindern, dass durch die gezielte Verteilung von Werbeaufträgen auf die Veränderung der Medienstruktur hingewirkt werden kann. 25. Die nicht stets unzulässige an die Öffentlichkeit gerichtete Kommunikation des Staates unterliegt inhaltlichen Grenzen, welche als Neutralitätspflichten bezeichnet werden können. Die auch i. R. d. Art. 2 EUV beachtlichen staatlichen Neutralitätspflichten wurden insb. durch die Rechtsprechung des EGMR bezüglich der in den Artikeln 9 bis 11 EGMR niedergelegten Freiheiten ausgeprägt. Die Zulässigkeit der öffentlichen Kommunikationstätigkeit des Staates ist daran gebunden, dass diese die Freiheit der Meinungsbildung zu befördern geeignet ist. 26. Die Neutralitätspflicht des Staates in Bezug auf den gesellschaftlichen Kommunikationsprozess darf auch nicht im Wege seiner medialen Aktivitäten umgangen werden. Dies bedingt nicht nur inhaltliche, sondern auch umfängliche Begrenzungen der staatlichen Kommunikationstätigkeit. Im Wesentlichen muss die gesellschaftliche Kommunikation durch die Personen erfolgen, welche Kommunikationsfreiheiten für sich in Anspruch nehmen können. Ungeachtet dessen, dass der Staat selbst kein Berechtigter der Kommunikationsgrundrechte ist, werden auch seine leitenden Repräsentanten kein eigenes Medium betreiben dürfen. Anderenfalls könnten die dem Staat auferlegten Neutralitätspflichten im Wege einer vorgeblich privat entfalteten medialen Aktivität unterlaufen werden. Selbst die Möglichkeit einer inhaltlichen Einflussnahme auf einen privaten Medienanbieter durch leitende staatliche Repräsentanten wird mit Blick auf die Neutralitätspflicht nicht hingenommen werden können.

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27. Problematisch bleibt indessen die Bestimmung des Personenkreises, für welchen inhaltliche Einflussnahmen aufgrund von konfligierenden Neutralitätspflichten auszuschließen sind. Kaum mit europäischen medienrechtlichen Maßstäben zu verhindern sind gesellschaftsrechtliche Beteiligungen, selbst von solchen Privatpersonen, welche zugleich leitende Staatsfunktionen ausüben. Dies gilt zumindest dann, wenn über die Beteiligung kein nachweislicher inhaltlicher Einfluss auf den privaten Medienanbieter entfaltet werden kann. Gerade den politischen Parteien wird eine umfängliche eigene mediale Betätigung nicht verwehrt werden können. Eine europäische Grenze ist erst dann überschritten, wenn u. a. eine politische Gruppe eine dominierende Stellung in Bezug auf die gesamte audiovisuelle Medienlandschaft einnimmt. 28. Auf den Rundfunk bezogene Verbote privater politischer Werbung bewirken nicht stets eine überproportionale mediale Präsenz von Regierungsanschauungen, sofern die staatlichen Organe die ihnen zukommende Neutralitätspflicht beachten. Die Erwägungen, welche einem politischen Werbeverbot zugrunde liegen, sind im Rahmen des mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums nachvollziehbar und vertretbar. Indessen werden die Verbote auf den Rundfunk zu begrenzen sein. Im Falle einer Ausweitung des Verbots auf weitere Medienarten würde die Freiheit des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses, welche insb. in politischen Fragen unverzichtbar für das Funktionieren einer Demokratie ist, übermäßig eingeschränkt. 29. Dem Staat ist es verwehrt, Einfluss auf die seitens der Medienanbieter zu nutzenden Informationsquellen zu nehmen. Dies gilt auch für öffentlich-rechtlich organisierte Medienorganisationen, welche in Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags die Rechte des Art. 10 EMRK in Anspruch zu nehmen berechtigt sind. Weiterhin darf auch für private Medien kein Anreiz dazu geschaffen werden, kostenfreie Informationen durch eine staatlich beeinflusste Stelle zu beziehen. Die staatliche Einflussnahme auf die genutzten Informationsquellen bewirkt eine unzulässige Aushöhlung des Quellenschutzes, welcher gerade darauf gerichtet ist, die Nutzung vielfältiger Quellen zu begünstigen.

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Sachverzeichnis Amsterdamer Rundfunkprotokoll  84 ff. Arten von Zuständigkeiten  39 ff. Audiovisuelle Abrufdienste, Einfluss auf die Meinungsbildung  266 ff. Aufsichtsorgane –– öffentlich-rechtlicher Rundfunk  293 ff. –– private Medien  312 ff. Auswahl der Rechtsgrundlage  42 ff. Beihilfeverbot –– bezüglich der privaten Medien  334 ff. –– bezüglich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks  103 ff. Binnenmarktbezogene Querschnittskompetenzen  48 ff. Bundesstaatlichkeit der EU als Integrationsgrenze  168 ff. Demokratische Gesellschaft i. S. d. EMRK  190 Erkenntnisquellen des Unionsrechts  122 ff. Europäische Fusionskontrolle  102 f. Europäische Kontrolle bei Eingriffen in Art. 10 EMRK  191 ff. Förderung privater Medien –– beihilferechtliche Problematik  334 ff. –– grundrechtliche Maßgaben  341 ff. Frankreich, verfassungsrechtliche Verankerung der Medienvielfalt  143 ff. Freie Wahlen  221 f. Gegendarstellungsrecht  205 f. Grundfreiheitsbezug der Medienprodukt  48 ff. Grundrechtsbindung Privater  201 ff. Harmonisierung  54 ff. Harmonisierungsverbot im Kulturbereich  76 ff.

Homogenitätsklausel –– Erkenntnisquellen zur Inhaltsbestimmung  126 ff., 184 ff. –– kompetenzübergreifende Bedeutung  164 ff. –– rechtliche Bedeutung  114 ff. –– Sinn und Zweck  109 ff. –– Verbindlichkeit der Wertenormierung  125 f. Informationsfreiheit –– aktive  205 ff. –– passive  210 ff. Innere Pressefreiheit  201 ff. Integrationsgrenzen  166 f. Italien, verfassungsrechtliche Verankerung der Medienvielfalt  147 ff. Kompetenzen siehe Zuständigkeiten Koregulierung  329 ff. Kulturartikel des Art. 167 AEUV  72 ff. Legitimation der europäischen Einflussnahme  172 ff. Loyalitätsverpflichtung  71 f. Medienaufsicht –– Gegenstand der Beaufsichtigung  312 ff. –– Unabhängigkeit  316 ff. Medienfreiheit  32 ff. –– Freiheit der Informationsbeschaffung  197 –– Quellenschutz  197 f. –– Schutz der technischen Verbreitung  198 f. Medienkonzentration –– Auswirkungen  228 ff. –– Begriff  224 f. –– Ursache  225 ff. Medienspezifische Konzentrationskontrolle  241 ff.

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Sachverzeichnis

Medienvielfalt –– Begriff  32 ff. –– Berücksichtigung durch die EU  95 ff. –– Dimensionen der Vielfalt  177 ff. –– gesellschaftliche Grundbedingungen  183 ff. –– mitgliedstaatliche Gestaltungsfreiräume  197 f. –– Notwendigkeit einer positiven Regulierung  241 ff. –– Sicherungsverpflichtung aus der EMRK  130 ff., 199 ff. –– Struktursicherung  175 ff. –– typische Regulierungspraktiken  182 f. –– verfassungsrechtliche Verankerung  127 ff. –– Zuordnung zu Art. 2 EUV  156 ff. Meinungsfreiheit i. S. d. EMRK  187 f.

Politische Parteien –– mediale Aktivitäten  366 ff. –– Schutz und Bedeutung im System der EMRK  217 ff. Politische Werbung, Zulässigkeit eines Verbots in den Massenmedien  368 ff. Presse, Regulierungsbedürftigkeit  233 ff., 254 ff., 263 ff. Private Medien –– Aufsicht  312 ff. –– Begrenzung des Staatseinflusses  354 ff. –– öffentliche Förderung  332 ff.

Nationale Identität –– Achtungsverpflichtung  63 ff. –– Kernbereich  83 f. Neutralitätspflicht bei staatlichen Äußerungen  350 ff.

Rechtsgrundlage, Anforderungen an die Auswahl  42 ff. Rechtsangleichung  54 ff. Rechtsnatur der EU  35 f. Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste  96 ff. Rundfunk, Regulierungsbedürftigkeit  235 ff., 247 ff., 261 ff.

Online-Medien –– Einfluss auf die Meinungsbildung  301 ff. –– publizistische Relevanz  266 ff. –– Regulierungsbedürftigkeit  238 ff. Öffentliche Finanzierung der Medien, Erforder­nis in Bezug auf –– den Rundfunk  247 ff. –– die Presse  254 ff. –– die publizistischen Online-Medien  256 ff. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk –– Aufsichtsorgane  293 ff. –– Beauftragung  280 ff. –– Erfordernis differenziert nach medialen Gestaltungsformen  260 ff. –– Finanzierung  104 ff., 303 ff. –– journalistische Freiheit  301 ff. –– Leitungsorgan  291 ff. Ökonomischer Wettbewerb als Vielfalt­ sicherung –– im Pressebereich  233 ff. –– im Rundfunkbereich  235 ff. –– im Online-Bereich  238 ff.

Quellenschutz  197 f. Querschnittsklausel in kulturellen Regelungsbereichen  77 ff. Querschnittskompetenzen zur Binnenmarktharmonisierung  48 ff.

Selbstregulierung  329 ff. Sendemöglichkeiten, Zugang  206 ff. Souveränität der Mitgliedstaaten, Einschränkung durch Art. 2 EUV  164 ff. Spanien, verfassungsrechtliche Verankerung der Medienvielfalt  151 ff. Staatscharakter der Mitgliedstaaten, Erhaltungspflicht  88 ff. Subsidiaritätsprinzip  60 ff. Universaldienstrichtlinie  101 f. Vereinigungsfreiheit  216 ff. Verhältnismäßigkeitsprinzip  62 f. Versammlungsfreiheit  213 ff. Vielfaltregulierung durch Binnenmarkt­ harmonisierung  51 ff. Völkerrechtliches Interventionsverbot  172 f. Volkssouveränität  173 ff.

Sachverzeichnis Werbung –– des Staates  348 f. –– private politische  368 ff. –– zur Einnahmeerzielung des öffentlichrechtlichen Rundfunks  308 ff.

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Zuständigkeiten der EU –– ausschließliche 40 –– geteilte  40 f. –– ergänzende, unterstützende und koordinierende  41 f.