Die Macht des Herrschers: Personale und transpersonale Aspekte [1 ed.] 9783737010740, 9783847110743


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German Pages [373] Year 2019

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Die Macht des Herrschers: Personale und transpersonale Aspekte [1 ed.]
 9783737010740, 9783847110743

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Macht und Herrschaft Schriftenreihe des SFB 1167 „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“

Band 4

Herausgegeben von Matthias Becher, Elke Brüggen und Stephan Conermann

Mechthild Albert / Elke Brüggen / Konrad Klaus (Hg.)

Die Macht des Herrschers Personale und transpersonale Aspekte

Mit 24 Abbildungen

V&R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V&R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 2019, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Ottonisches Evangeliar, Widmungsblatt, fol. 16r © Domkapitel Aachen; Foto: Pit Siebigs. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2511-0004 ISBN 978-3-7370-1074-0

Inhalt

Vorwort zur Schriftenreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Matthias Becher Die Macht des Herrschers zwischen Personalität und Transpersonalität. Gedanken zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Karl-Siegbert Rehberg Herrscher als Typusfiguren der Verkörperung institutioneller Macht im Kampffeld von Spannungsbalancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stefan Esders Regem iura faciunt, non persona. Der westgotische Treueid im Kräftefeld personaler und transpersonaler Konzepte der Legitimität politischer Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stacy S. Klein Royal Women and Composite Sovereignty in Asser’s ‘Life of King Alfred’ 155 Shigekazu Kondo The Personal and Transpersonal Elements of the Governments of Thirteenth-Century Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Martin Clauss Überlegungen zur militärischen Macht eines mittelalterlichen Herrschers am Beispiel Eduards III. von England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

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Inhalt

Cornelia Soldat Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 John Baines Ruler, Court, and Power: The King and Institutions in Early Egypt . . . . 239 Annette Schmiedchen Leitbilder und Legitimierung herrscherlicher Macht im mittelalterlichen Zentralindien (8. bis 13. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Seraina Plotke Narrative Negotiations of Sovereign Power in ‘King Rother’ . . . . . . . . 299 Beate Kellner Herrscherpreis und Herrscherkritik. König Philipp in Sangsprüchen Walthers von der Vogelweide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Kai Nonnenmacher Auftrag und Kritik: trobadoreske Politik des Sirventes . . . . . . . . . . . 351 Liste der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Vorwort zur Schriftenreihe

Im Bonner Sonderforschungsbereich 1167 ‚Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive‘ werden die beiden namengebenden Vergesellschaftungsphänomene vergleichend untersucht. Sie prägen das menschliche Zusammenleben in allen Epochen und Räumen und stellen damit einen grundlegenden Forschungsgegenstand der Kulturwissenschaften dar. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des disziplinär breit angelegten Forschungsverbundes, die Kompetenzen der beteiligten Fächer in einer interdisziplinären Zusammenarbeit zu bündeln und einen transkulturellen Ansatz zum Verständnis von Macht und Herrschaft zu erarbeiten. Hierbei kann der SFB 1167 auf Fallbeispiele aus unterschiedlichsten Regionen zurückgreifen, die es erlauben, den Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu schärfen. Die Reihe ‚Macht und Herrschaft‘ enthält Beiträge, die den interdisziplinären Zugriff auf das Thema und die transkulturelle Perspektivierung abbilden. Die Arbeit des Bonner Forschungsverbundes ist von vier Zugängen zu Phänomenen von Macht und Herrschaft geprägt, die auch den Projektbereichen des SFB 1167 zugrunde liegen: Die Themen der Spannungsfelder ‚Konflikt und Konsens‘, ‚Personalität und Transpersonalität‘, ‚Zentrum und Peripherie‘ sowie ‚Kritik und Idealisierung‘ stehen im Zentrum zahlreicher internationaler Tagungen und Workshops, die dem Dialog mit ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland dienen. Dieser wichtige Austausch, dessen Erträge in der vorliegenden Reihe nachzulesen sind, wäre ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und das kontinuierliche Engagement der Universität Bonn zur Bereitstellung der notwendigen Forschungsinfrastruktur nicht möglich, wofür an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Matthias Becher – Elke Brüggen – Stephan Conermann

Vorwort

Vom 23. bis 25. November 2017 veranstaltete der Bonner SFB 1167 ‚Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive‘ eine internationale und interdisziplinäre Tagung zum Thema ‚Die Macht des Herrschers – personale und transpersonale Aspekte‘. Die Organisatoren hatten als Aufgabe vorgegeben, die strikte Entgegensetzung von ‚Personalität‘ und ‚Transpersonalität‘ von Herrschaft und damit auch das einflussreiche Postulat einer vorwiegend personal geprägten vormodernen Herrschaft zu hinterfragen. Die Einbeziehung von Kolleginnen und Kollegen mit einer Expertise für außereuropäische Räume und der transkulturelle Vergleich sollten die Chance eröffnen, die Fragen nach dem Stellenwert von Unterscheidungen wie ‚öffentlich/ privat‘ oder ‚repräsentativ/körperlich‘ neu zu stellen und mit Blick auf eine Gleichzeitigkeit und eine Überlagerung personaler und transpersonaler Aspekte vormoderner Macht und Herrschaft zu diskutieren. Darüber hinaus sollte nach den Vorstellungen, Werten und Normen gefragt werden, welche die zeitgenössischen Leitbilder des ‚guten‘ Herrschers fundieren und eine Grundlage für die konkrete Ausübung von Herrschaft darstellen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf der Interaktion des Herrschers mit den Eliten und den ‚Beherrschten‘ liegen, wodurch Prozesse der Konsensbildung und der Legitimierung herrscherlicher Macht, aber auch Dynamiken ihrer Infragestellung und ihres Verlustes in den Vordergrund rücken. Die Tagung, die durch Grußworte des Rektors der Bonner Universität, Prof. Dr. Dr. h. c. Michael Hoch, und des Dekans der Philosophischen Fakultät, Prof. Dr. Andreas Bartels, sowie mit Reflexionen von Elke Brüggen zum Konzept der ‚Zwei Körper des Königs‘ von Ernst Kantorowicz eröffnet wurde, brachte führende Fachvertreterinnen und -vertreter aus der Ägyptologie, der Anglistik, der Germanistik, der Geschichtswissenschaft, der Indologie, der Islamwissenschaft, der Japanologie, der Romanistik, der Slavistik und der Soziologie miteinander ins Gespräch und ermöglichte es so, neue Wege der methodisch-theoretischen Modellierung vormoderner Macht und Herrschaft auszuloten.

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Vorwort

Für den vorliegenden Band wurden elf Vorträge zu wissenschaftlichen Beiträgen ausgearbeitet. Sie werden um einleitende Überlegungen ergänzt, in denen der Sprecher des SFB 1167, der Historiker Matthias Becher, ausgehend von Bertolt Brechts ‚Fragen eines lesenden Arbeiters‘, die Helfer des Herrschers fokussiert, welche einen transpersonalen Zusammenhang bilden, der seinem Machterhalt dient. In solchen Strukturen erkennt Becher erste Elemente von Staatlichkeit und bezieht damit Stellung in der Kontroverse um die Personalität oder Transpersonalität vormoderner Herrschaft. Für ein zielführendes Konzept des prämodernen Staates verweist er auf die Definition Susan Reynolds’ in ‚The Historiography of the Medieval State‘: „An organization of human society within a more or less fixed area in which the ruler or governing body more or less controls the legitimate use of physical force“ (S. 24). In seinem grundlegenden Beitrag ‚Herrscher als Typusfiguren der Verkörperung institutioneller Macht im Kampffeld von Spannungsbalancen‘ geht der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg von seiner im Rahmen des Dresdner SFB 537 ‚Institutionalität und Geschichtlichkeit‘ entwickelten und erprobten ‚Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen (TAIM)‘ aus, die er als Heuristik für historische Vergleiche intendiert. Dabei versteht er Institutionen als transpersonale Dimension herrscherlicher Macht(ausübung), im vorliegenden Kontext des SFB 1167 primär als soziale Regulatoren, die als legitim anerkannt werden und deren Prinzipien symbolischen Ausdruck finden, wobei eine ihrer stabilisierenden Funktionen in der Vermittlung kultureller Werte besteht. Im Spannungsfeld zwischen Phänomenologie und Terminologie seien die Institutionen weniger als statische Ordnungen und Normen, sondern vielmehr im Hinblick auf die Dynamik von Ordnungsbehauptungen und Stilisierungen zu betrachten. Das Bild des Herrschers als Verkörperung institutioneller Macht sei seinerseits durch interne Widersprüche im Verhältnis von Personalität und Transpersonalität geprägt, wie etwa zwischen höfischem Zeremoniell und Informalität, Öffentlichkeit und Geheimnis, Familienmacht und Externalisierung von Entscheidungen. Ausgehend von grundlegenden und forschungskritischen Überlegungen zu der Frage, wie das Begriffspaar und insbesondere das Verhältnis der Elemente ‚personal/transpersonal‘ in der Applikation auf politische Herrschaftsformen des Frühmittelalters zu denken sei, richtet Stefan Esders als Spezialist für spätantike und frühmittelalterliche Geschichte in seinem umfangreichen Beitrag ‚Regem iura faciunt, non persona. Der westgotische Treueid im Kräftefeld personaler und transpersonaler Konzepte der Legitimität politischer Herrschaft‘ die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Ausprägungen des sowohl von großen Teilen der Bevölkerung als auch vom König selbst geleisteten politischen Eids im Westgotenreich des 7. Jahrhunderts. Mittels einer Ausleuchtung der organisatorischen Voraussetzungen des allgemeinen Treueschwurs, seiner religiösen und

Vorwort

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politischen Begründung, den mit ihm verbundenen Praktiken und seiner Bindewirkung und Lösung sowie einer sorgfältigen historischen Kontextualisierung der jeweils herangezogenen Quellen entfaltet Esders auf breiter Basis ein komplexes Bild der westgotischen Staatlichkeit, die ein vergleichsweise hohes Maß an institutioneller Verfestigung aufweist, dabei indes auch die Gleichzeitigkeit und Überlagerung personaler und transpersonaler Elemente zeigt. Er bringt dabei sowohl Grenzüberschreitungen in Form von Versuchen der Überdehnung politischer Bindungen zur Sprache als auch Bestrebungen, diese einzudämmen; beides ist für die zeitgenössischen politischen Aushandlungsprozesse besonders aufschlussreich und lässt überdies bereits ein Bewusstsein von der Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen dem königlichen Amt und der individuellen Person des Königs erkennen. Zwischen Amt und Person fällt den Frauen im familiären Umkreis des Herrschers eine entscheidende Rolle zu – wenn nicht de facto, so doch in der Konstruktion der Historiographen. In diesem Sinne erfüllen beispielsweise die Frauen im Umfeld angelsächsischer Herrscher des 8.–10. Jahrhunderts, entgegen ihrer faktischen Machtlosigkeit, im Rahmen ihrer textuellen Repräsentation durchaus eine bedeutende symbolische und rhetorische Funktion bei der Modellierung der personalen und transpersonalen Dimension vormoderner Herrschaft. Dies zeigt die Anglistin Stacy S. Klein in ihrem Beitrag ‚Royal Women and Composite Sovereignty‘ anhand von Assers ‚Life of King Alfred‘. Der Biograph situiert Alfred den Großen (849–899) zwischen zwei antagonistischen Frauenbildern, dem kosmopolitisch-hedonistischen Geist seiner fränkischen Stiefmutter Judith und dem von Gattin Ealhswith und Schwiegermutter Eadburh verkörperten Ideal asketisch-keuscher Weiblichkeit, das zugleich ein Modell königlicher Vaterschaft profiliert. Obwohl zu jener Zeit noch kein Konzept von ‚Queenship‘ existiert, nutzt Asser das symbolische Potenzial dieser Frauenfiguren zur Komplettierung einer Vorstellung von Königsherrschaft. In dem darauf folgenden Beitrag mit dem Titel ‚The Personal and Transpersonal Elements of the Governments of Thirteenth-Century Japan‘ widmet sich der Japanhistoriker Shigekazu Kondo der Frage nach dem Verhältnis von personalen und transpersonalen Elementen von vormoderner Macht und Herrschaft in sehr pointierter Form, indem er die Strukturen zweier Herrschaftsgebilde betrachtet, die im Japan des 13. Jahrhunderts nebeneinander existierten und miteinander diplomatische Beziehungen unterhielten: den nach chinesischem Vorbild errichteten, jedoch an die japanischen Gegebenheiten angepassten kaiserlichen Hof um den tenno¯, der in Kyo¯to residierte, und die in Kamakura ansässige, vom Kaiserhof weitgehend unabhängige Militärregierung um den sho¯gun. In beiden Fällen lassen sich personale und transpersonale Elemente von Macht und Herrschaft unterscheiden, in denen nach Ansicht Kondos gegenläufige Bestrebungen zum Ausdruck kommen. Als personales Element darf

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Vorwort

zuvorderst der Wille des jeweiligen Herrschers gelten, als transpersonales die administrativen Strukturen, die um den Herrscher herum bestanden, um seinen Willen mit den äußeren Gegebenheiten zusammenzubringen und möglicher Willkür von seiner Seite entgegenzuwirken. Während diese Aufgabe in Kyo¯to einem vielköpfigen Staatsrat (daijo¯kan 太政官) und einem kaiserlichen Sekretär (kuro¯do 藏人) zufiel, die den tenno¯ bei seinen Entscheidungen berieten und für deren Bekanntgabe und Umsetzung sorgten, waren es im Fall des sho¯gun in Kamakura dessen Gefolgsleute und Dienstmänner, die seine Herrschaft einhegten. Jedoch machten sich in beiden Regierungsformen trotz aller gegenteiligen Bemühungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung dann doch wieder in starkem Maße personale Elemente geltend. So wurde es während des 13. Jahrhunderts üblich, dass die tenno¯ in Kyo¯to bereits in jungen Jahren abdankten, um fortan im Hintergrund Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Kaiserhofes zu nehmen, und in ähnlicher Weise gelang es zeitgleich in Kamakura Angehörigen der Ho¯jo¯-Familie, d. h. Gefolgsleuten des sho¯gun, das Amt eines Regenten (shikken 執權) zu etablieren und über dieses für mehrere Jahrzehnte politische Dominanz auszuüben. Dass die personale Dimension auch im Kontext einer mit zahlreichen transpersonalen Elementen durchsetzten Herrschaft und eines entwickelten Verwaltungssystems ihre Bedeutung nicht notgedrungen einbüßt, zeigt auch der Beitrag des Mittelalterhistorikers Martin Clauss, der darüber hinaus auf die Notwendigkeit hinweist, nach verschiedenen Betätigungsfeldern des Herrschers und innerhalb dieser wiederum nach Funktionsbereichen zu differenzieren. In seinen auf das 14. Jahrhundert bezogenen ‚Überlegungen zur militärischen Macht eines mittelalterlichen Herrschers am Beispiel Eduards III. von England‘ präsentiert er den interessanten Fall eines Königs, der im Bereich des Kriegswesens sehr stark auf persönliche Präsenz und Aktion setzte. Clauss legt zunächst die militärischen Machtmittel frei, die Eduard III. zu Gebote standen, und fragt dann einerseits nach den Intentionen, die den jeweiligen militärischen Unternehmungen zugrunde lagen, andererseits nach der Beschaffenheit des sozialen Umfelds, in dem der König seinen Willen durchsetzen konnte, das ihm aber auch Grenzen des politischen Erfolgs zog. Für den Bereich militärischer Macht ist im England des 14. Jahrhunderts nach Clauss ein Mit- und Nebeneinander personaler und transpersonaler Momente kennzeichnend, wobei es verschiedene Funktionsbereiche zu unterscheiden gilt: Während sich bei den militärischen Kommandostrukturen des Öfteren institutionalisierte oder auch spontane und zeitlich begrenzte Formen von Transpersonalität zeigen, ist das Agieren Edwards als Kriegsherr und als Krieger eng an seine Person gebunden. Gerade Letzteres sicherte dem König eine hohe Reputation, die erheblich dazu beitrug, dass „der ritterliche König und Kriegsheld zum Kristallisationspunkt der den Krieg maßgeblich tragenden ritteradligen Elite wurde“ (S. 213). Sein im Feld erwor-

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bener Ruhm stabilisierte die Monarchie auch dann noch, als längst offenkundig war, dass Eduard III. seine Kriegsziele nicht dauerhaft durchsetzen konnte und seine politischen Erfolge nicht von Bestand waren. Auf eine bis dahin noch unerwähnt gebliebene, gleichwohl sehr bedeutsame Ausdrucksform der Transpersonalität von Herrschaft weist die Slavistin und Osteuropahistorikerin Cornelia Soldat hin, indem sie in ihrem Beitrag ‚Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien‘ zeigt, dass sich im Großfürstentum Moskau die mittelalterliche Vorstellung von einem ‚politischen‘, ‚sakralen‘ oder ‚repräsentativen‘ Körper des Herrschers, in den sich sein privater, natürlicher Körper bei Amtsantritt verwandelt, bis in die Frühe Neuzeit hinein erhalten hat. Dazu untersucht sie anhand einer in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandenen Bilderchronik drei Erbfolgefälle, die sich in den Jahren 1498, 1533 und 1552 ereigneten und deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass der jeweilige Moskauer Großfürst abweichend vom üblicherweise zur Anwendung kommenden Senioratsprinzip einen minderjährigen Sohn bzw. Enkel zu seinem Nachfolger bestimmte. Namentlich der Vergleich der Darstellung der Ereignisse in den Jahren 1533 und 1552 lässt erkennen, dass die dem Prinzip der Primogenitur folgende Übertragung der Herrschaft auf einen Minderjährigen, sollte sie gelingen, in besonderem Maße die Einbeziehung der Bojaren und des höheren Klerus notwendig machte. Darüber hinaus enthalten die Bilder, die den Sterbeprozess des Großfürsten Vasilij III. im Jahr 1533 illustrieren, eindrückliche Hinweise darauf, wie konkret man sich noch im Moskovien des späten 16. Jahrhunderts die Transformation des privaten Körpers des Herrschers in einen politischen vorgestellt haben muss. Befassen sich die bisherigen Beiträge allesamt mit Gegebenheiten, die in das Mittelalter und die Frühe Neuzeit datieren, so führt uns der Ägyptologe John Baines in einem umfangreichen Beitrag mit dem Titel ‚Ruler, Court, and Power: The King and Institutions in Early Egypt‘ weit in die Vergangenheit zurück: Auf der Grundlage von archäologischen, bildlichen und textlichen Befunden skizziert er die schrittweise Entwicklung des Königtums im frühen Ägypten von der als Naqada II bezeichneten archäologischen Periode (ca. 3400 v. Chr.) bis zum Ende des Alten Reiches (ca. 2140 v. Chr.) und nimmt dabei schwerpunktmäßig die wechselseitige Abhängigkeit von Herrscher und Elite in den Blick. Am Anfang steht die Herrschaft des Königs über ein lokales Gemeinwesen in Oberägypten, wie sie vor allem durch eine in Grabanlagen erhaltene, zunehmend komplexe, mit dem altägyptischen Königtum und der Person des Königs verbundene Symbolik greifbar wird, am Ende ein in hohem Maße institutionalisierter Staat, in dem die flächendeckende Ausbreitung einer Elitekultur zu einer zunehmenden Entfernung des Königs von weiten Teilen der Gesellschaft führt. Auch wenn der König das Zentrum des Königtums markiert, so ist dieses doch – so Baines’ prägnanter Schluss – das Unternehmen einer Gruppe.

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Vorwort

In dem darauf folgenden Beitrag ‚Leitbilder und Legitimierung herrscherlicher Macht im mittelalterlichen Zentralindien (8. bis 13. Jahrhundert)‘ wertet die Indologin und Südasienhistorikerin Annette Schmiedchen zahlreiche überwiegend in Sanskrit verfasste und auf Kupfertafeln eingravierte Urkunden aus, deren Hauptzweck darin besteht, durch die Könige der zentralindischen Dynastien der Ra¯straku¯tas, S´ila¯ha¯ras und Ya¯davas vorgenommene Dorf- und ˙˙ ˙ Landschenkungen zu dokumentieren, in denen aber auch die umfangreichen Titulaturen der Könige sowie auf diese bezügliche genealogische und eulogische Passagen enthalten sind. Sie zeigt zunächst im Detail auf, wie die Urkunden zur Legitimation der Herrschaft ihres jeweiligen königlichen Auftraggebers beitrugen, führt sodann an einigen Beispielstrophen vor, was für die brahmanischen Verfasser der Genealogien die Merkmale einer ‚guten‘ Herrschaft waren, und geht abschließend näher auf die Mittel der konkreten Machtausübung ein, die in den Urkunden greifbar werden: die Präsenz des Herrschers, Heiratsallianzen, Vasallitäts- und Subvasallitätsbeziehungen sowie ein gezieltes königliches Patronat. Dabei illustrieren namentlich die religiösen Stiftungen der Ra¯straku¯ta˙˙ ˙ Herrscher erneut ein Nebeneinander von personalen und transpersonalen Elementen vormoderner Macht und Herrschaft, insofern die Herrscher ihr Patronat weitestgehend unabhängig von ihren persönlichen religiösen Überzeugungen zugunsten ganz unterschiedlicher religiöser Gruppierungen streuten, d. h. an dieser Stelle „wohl in erster Linie als ‚Amtsträger‘“ und „aus machtpolitischem Kalkül“ (S. 291) handelten. Mit den Beiträgen der Germanistinnen Seraina Plotke und Beate Kellner sowie des Romanisten Kai Nonnenmacher werden die vor allem von historischer, soziologischer und kulturwissenschaftlicher Warte aus entwickelten Argumentationen am Ende des Bandes um dezidiert literaturwissenschaftliche Perspektivierungen ergänzt, wie sie bereits in den Überlegungen der Anglistin Stacy S. Klein greifbar wurden. Im Mittelpunkt von Seraina Plotkes Beitrag ‚Narrative Negotiations of Sovereign Power in „King Rother“‘ stehen mit dem ‚König Rother‘, einem mittelhochdeutschen Erzähltext aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, literarische Szenarien von Machtkonstellationen und -dynamiken, die in einem triangulär strukturierten geopolitischen Raum situiert sind: dem christlichen Okzident, dem christlich geprägten Byzanz und dem muslimischen Orient. Mehrheitlich spiegelnd konzipierte Bewegungen des handelnden Personals nach Konstantinopel und von dort weg konturieren diese Stadt als ‚dritten Ort‘ par excellence, den der Text für das Aushandeln von Macht abseits einer militärisch-kriegerischen Konfrontation designiert. In einer solchermaßen strukturierten Erzählwelt, in der Gewinn und Verlust von Macht beständig wechselnde Allianzen generieren, sind die Könige Rother und Ymelot als Antipoden konzipiert, während Konstantin, bedingt durch die ‚Aufspaltung‘ des titelgebenden Protagonisten Rother in Rother und in den von diesem vorgeblich

Vorwort

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vertriebenen Dietrich, als Gegner und Verbündeter zugleich erscheint. Auf diese Weise hat der unbekannte Autor die Begegnung von Kulturen als ein faszinierendes, kaum durchdringbares Wechselspiel von Identität und Differenz und deren Synthese entworfen. In der Verhandlung kultureller Hegemonie gewinnt am Ende der christliche Okzident die Oberhand; der Text setzt so einen Kontrapunkt zu seinem eigenen Auftakt: Hier wird Rother als der dem christlichen Westen zugeordnete Protagonist aus einer östlichen Perspektive wahrgenommen. Den Weg dahin ebnet nicht zuletzt der forcierte Einsatz komödiantischer Elemente sowie eine ganz maßgeblich durch die Konzeption der Figur der (namenlos bleibenden) Gemahlin Konstantins ermöglichte Labilisierung patriarchaler Machtstrukturen. Die Erzählung von ‚König Rother‘, in der überdies ein traditionell dem Orient zuerkannter überbordender Reichtum, eine verschwenderische Fülle an Luxusgütern, kulturelle Verfeinerung und wundersame Wesen mit der Figur Rothers verknüpft werden, invertiert das gewohnte Bild des Orients und konstruiert ihn als Objekt christlicher Eroberung. Bei Beate Kellner rücken demgegenüber die literarischen Möglichkeiten einer Legitimierung von Herrschaft im Rekurs auf ihre personalen wie transpersonalen Dimensionen in das Zentrum der Überlegungen. In ihrem Beitrag ‚Herrscherpreis und Herrscherkritik. König Philipp in Sangsprüchen Walthers von der Vogelweide‘ nimmt sie einen Autor des ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts in den Blick, der das Genre der Sangspruchdichtung in zuvor nicht gekannter Weise für die Thematisierung zeitpolitischer Ereignisse und die Diskussion politischer wie moralisch-ethischer Fragen genutzt hat. Im Zentrum der Textanalysen stehen die dritte Strophe des sog. ‚Reichstons‘ sowie drei Strophen des ‚Ersten Philippstons‘, die – mit Bezug auf den Stauferkönig Philipp von Schwaben – auf den Modus panegyrischen Sprechens ebenso virtuos rekurrieren wie auf den Modus der Kritik und der Ermahnung, diese mitunter gar kunstvoll miteinander verschränken. In der Strophe Ich hôrte diu wazzer diezen leitet der Autor die Legitimität der Königsherrschaft Philipps, die im Aufsetzen der Königskrone anschaubar gemacht werden soll, aus der Naturordnung ab. In der Strophe, die sich auf die Magdeburger Festkrönung Philipps von Schwaben an Weihnachten 1199 bezieht, visualisiert er Philipps Legitimität mit der eindrücklichen literarischen Inszenierung einer festlichen Prozession, bei der das Tragen von Krone und Zepter, das gemessene Schreiten des königlichen Paares sowie die Anwesenheit der Thüringer und Sachsen, die ihre Dienste leisten, die Machtstellung Philipps und die Stabilität seiner Herrschaft behaupten. Zudem wird ein genealogisches Wissen implementiert, das auf der Grundlage eines Verständnisses vom König als imago Dei sowie im Rückbezug auf typologisches Denken und die Vorstellung der Trinität theologisch gedeutet wird. Immanenz und Transzendenz eines transpersonal gedachten Königtums werden so in suggestiver Weise zusammengeführt. Vergleichbares zeigt sich mit

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Vorwort

anderer Akzentsetzung im sog. ‚Kronenspruch‘, der die Legitimität der Königsherrschaft Philipps auf das Zuhandensein der Reichskrone und auf die Passgenauigkeit gründet, mit der das Haupt des jugendlichen Königs und die Krone, die bedeutend älter ist als er selbst, einander entsprechen. Die Strophe Philippes künic, die nâhe spehenden ziehent dich schließlich liest Kellner als eine Engführung von Kritik und Mahnung, bei der es vordringlich um die politische Bedeutung der milte als effizientem Mittel der Herrschaftsausübung und -sicherung geht. Komplementär zum Beispiel Walthers von der Vogelweide nimmt Kai Nonnenmacher in seinem Beitrag ‚Auftrag und Kritik: trobadoreske Politik des Sirventes‘ die politische Dimension einer spezifischen Gattung der altokzitanischen Lyrik in den Blick, deren Verhältnis zum Herrscher zwischen vertraulicher Beraterfunktion bzw. Affirmation und subversiver Satire oszilliert, je nach dem historischen Standpunkt des Interpreten (z. B. Friedrich Diez vs. Emil Winkler). Als Grundlage einer politischen Ideengeschichte des Mittelalters liefert das Sirventes, zusammen mit verwandten lyrischen Genres wie dem planh oder dem conselh, Kreuzzugsliedern sowie politischen pastourelles oder tensos, sehr viel reichhaltigere Informationen über Rituale und Repräsentationen von Macht und Herrschaft als die zeitgenössische pragmatische Literatur an den Anfängen einer politischen Schriftkultur. Aspekte wie der standesübergreifende, relativ freie Diskursraum trobadoresken Dichtens, die Heftigkeit der Invektiven, gewisse Tendenzen des Politischen, sich in Nihilismus und Melancholie aufzulösen, aber auch die Unübertragbarkeit der feudalen Kontexte in die Hofbeamtendichtung der Staufer machen deutlich, dass die politische Dichtung des Mittelalters mit Ideen von vormoderner Herrschaft und der gesellschaftlichen Rollenbeschreibung von Trobadors unmittelbar verknüpft ist. Mit seinen in Raum und Zeit weit gespannten Beiträgen entspricht der Tagungsband ‚Die Macht des Herrschers‘ der Zielsetzung des SFB 1167, Phänomene von Macht und Herrschaft, im vorliegenden Fall speziell das Verhältnis von personalen und transpersonalen Aspekten von Herrschaft, zu analysieren und im transkulturellen Vergleich vertiefend zu erhellen. Es entspräche dem Wunsch der Herausgeber, wenn der Band diesen Erkenntnisprozess, der sich im Rahmen des Kolloquiums im Verlauf intensiver Diskussionen einstellte, nachvollziehbar machte. Als Herausgeber möchten wir einen vielfachen Dank aussprechen. Wir bedanken uns zuvorderst bei den Vortragenden und Autoren, die unsere Fragestellungen bereitwillig und interessiert aufgegriffen und in lebhaften Diskussionen weiterentwickelt haben, um ihren Überlegungen sodann eine schriftliche Form zu geben. Unser Dank geht überdies an diejenigen, die mit großem Engagement bei der Vorbereitung und der Durchführung der Tagung geholfen haben; stellvertretend für die vielen, die zuverlässig zur Stelle waren, seien Ulrike

Vorwort

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Becker, Stefanie Dick, Jasmin Leuchtenberg und Theresa Wilke genannt. Die Drucklegung der Beiträge hat Jasmin Leuchtenberg koordiniert; sie wurde unterstützt von Anna Katharina Bücken, Ann-Kathrin Deininger und Katharina Marpe. Verantwortlicher Reihenherausgeber war Herr Professor Dr. Stephan Conermann; ihm und der Geschäftsführerin des SFB 1167, Frau Dr. Katharina Gahbler, danken wir für die abschließende Durchsicht des Manuskripts. Der DFG gebührt unser herzlicher Dank für die Übernahme der Druckkosten. Bonn, im Juli 2019

Mechthild Albert – Elke Brüggen – Konrad Klaus

Matthias Becher

Die Macht des Herrschers zwischen Personalität und Transpersonalität. Gedanken zur Einführung

„Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? […] Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? […] Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer Siegte außer ihm? […] So viele Berichte, So viele Fragen.“1

Wer kennt es nicht, das Gedicht ‚Fragen eines lesenden Arbeiters‘ von Bert Brecht aus dem Jahr 1935? Seine Kritik an der damals gängigen Geschichtsschreibung ist durchaus berechtigt und beeinflusst auch das Verhältnis unserer Gesellschaft zur Vergangenheit nachhaltig. Die Sozialgeschichte griff das Anliegen Brechts auf und stellte das Leben der einfachen Leute in den Mittelpunkt des Interesses, auch für die sogenannte ‚Vormoderne‘. Die Archäologie fördert zahllose Zeugnisse über das tägliche Leben zu Tage und die Oral History bemüht sich, die Erinnerungen ‚kleiner‘ Leute nicht einfach dem Vergessen anheim zu geben.2 Auch 1 Bertolt Brecht, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, 30 Bde., Bd. 30: Briefe 3. 1950–1956, Frankfurt 1998, 11. 2 Zur Archäologie vgl. etwa Heiko Steuer, Archäologie und Realität mittelalterlichen Alltags¨ htreiber (edd.), Die Vielfalt lebens, in: Helmut Hundsbichler/Gerhard Jaritz/Thomas Ku der Dinge. Neue Wege zur Analyse mittelalterlicher Sachkultur. Internationaler Kongress, Krems an der Donau, 4. bis 7. Oktober 1994. Gedenkschrift in memoriam Harry Kühnel (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Diskussionen und Materialien 3), Wien 1998, 399–428; oder künftig Thomas Meier, Consensus and Conflict in Material and Written Records, in: Ralph Kauz/Konrad Vössing/Timo Bremer (edd.), Vormoderne Herrschaften zwischen Konflikt und Konsens – Stabilität und In-

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Matthias Becher

andere Wissenschaften würdigen die Leistungen der ‚kleineren‘ Leute – und dennoch stellt der SFB 1167 ‚Die Macht des Herrschers‘ in den Mittelpunkt des vorliegenden Bandes. Entspricht dies nicht einer antiquierten Geschichtsauffassung, nach der große Persönlichkeiten, noch dazu zumeist Männer, ‚Geschichte‘ machen? Zur Rechtfertigung dieses Zuganges könnte man auf die Quellenlage verweisen: Unsere Quellen, zumal die geschriebene Überlieferung, stellen den Herrscher in den Mittelpunkt und folgen damit dem berühmten Motto, dass der Sieger die Geschichte schreibe – ebenfalls ein Zitat von Bert Brecht.3 Dies ist natürlich eine Verkürzung, denn in aller Regel schreibt der Sieger die Geschichte nicht selbst, sondern sie wird für ihn – oft in seinem Auftrag – geschrieben. Und Sieger meint hier natürlich nicht nur diejenigen, die sich in einer kriegerischen oder politischen Auseinandersetzung durchsetzen, sondern auch diejenigen, die strukturell von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen profitieren. Brecht hat also auch das Dilemma gesehen, in dem jeder steckt, der sich mit der Vergangenheit, insbesondere der sogenannten ‚Vormoderne‘ auseinandersetzt: Die schriftliche Überlieferung ist einseitig auf die politisch handelnden Personen und damit den Herrscher ausgerichtet. Das ist nicht spezifisch vormodern – man denke nur an die Berichterstattung der Medien heutzutage. Daher ist auch die Quellenlage für längst vergangene Zeiten zumeist sehr einseitig, weil sich im Regelfall nur die Sichtweise des Siegers erhalten hat. Cäsar stellt hier ein sehr extremes Beispiel dar, hat er sich doch nicht auf die Historiographen als Lobredner verlassen, sondern seinen Sieg über die Gallier gleich selbst beschrieben und seine eigenen Leistungen nachdrücklich in den Vordergrund gerückt. Aber im gewissen Sinne ist auch die große Mehrheit anderer Quellen von jenen Siegern im strukturellen Sinne geschrieben worden, sei es von Angehörigen der Oberschicht oder doch zumindest von Personen, die sich in starker Abhängigkeit von diesen befanden. Über Cäsar und seine Beurteilung durch Brecht ergibt sich ein Zugang zu unserem Thema, denn Brecht wäre nicht Brecht, wenn er seinen Gedanken nicht von jemand anderem übernommen hätte. Im Falle Cäsars ist dies B. Traven, der die berechtigte Frage gestellt hat: „Was würde Cäsar mit seinen Armeen machen,

stabilität / Premodern Rulers between Conflict and Consensus – The Potential for (In)Stability (Macht und Herrschaft), vorauss. Göttingen 2020; grundlegend zur Oral History: Lutz Niethammer, Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“, Frankfurt a. Main 1980. 3 Bertolt Brecht, Anmerkungen zur Oper „Die Verurteilung des Lukullus“, in: Ders., Stücke, 14 Bde., Bd. 7/2, Berlin 1957, 267–274, hier 269: „Immer doch / Schreibt der Sieger die Geschichte des Besiegten. / Dem Erschlagenen entstellt / Der Schläger die Züge. Aus der Welt / Geht der Schwächere, und zurückbleibt / Die Lüge.“

Gedanken zur Einführung

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wenn er keine Unteroffiziere hätte?“4 Damit macht B. Traven deutlich, dass die einfache Dichotomie – hier der Herrscher, dort die einfachen Leute oder Untertanen – zu kurz greift. Einerseits haben weder Alexander noch Cäsar ihre Siege allein errungen, andererseits hätten sich ihre Leute überhaupt nicht in Bewegung gesetzt, wenn es die besagten Unteroffiziere nicht gegeben hätte. Diese Einsicht wird jeder nachvollziehen können: Ein Herrscher ist auf Helfer angewiesen, die seine Macht durchsetzen. Weiter haben die Helfer verschiedene Funktionen, in unserem Beispiel die Krieger oder Soldaten, die Unteroffiziere und natürlich auch Offiziere. Diese Ordnung wird man in jeder Herrschaftsbildung auch jenseits des Militärs finden. Der Herrscher stützt sich also auf Personen; sie vor allem machen seine Macht aus. Aber diese Personen fallen nicht vom Himmel – sie sind schon vor dem einzelnen Herrscher da und sie bleiben – strukturell betrachtet – auch über seinen Tod hinaus. Diese Feststellung führt zu dem Punkt, um den es bei der Frage nach der ‚Macht des Herrschers‘ vor allem geht, um die Strukturen, mit deren Hilfe ein Herrscher seine Stellung, seine Politik und seine Pläne durchsetzt. Hinter dieser Formulierung steckt bereits eine Festlegung, die nicht alle Historiker und Kulturwissenschaftler teilen würden, die in den Unteroffizieren unseres Beispiels schlicht und ergreifend nur Personen und keine Strukturen sehen. Vormoderne Herrschaft ist ihrer Meinung nach rein personell zu verstehen, transpersonale Elemente, gar ein Staat oder wenigstens Formen der Staatlichkeit gehören nicht zur vormodernen Herrschaft, so eine gängige Auffassung über das europäische Mittelalter, die mutatis mutandis auch für vormoderne außereuropäische Gesellschaften Gültigkeit beanspruchen kann. Sie wird derzeit von prominenten Fachvertretern wie Johannes Fried oder Gerd Althoff pointiert vertreten.5 Demnach hätten vor allem Rituale und nicht Institutionen die Ausübung königlicher Herrschaft im Früh- und Hochmittelalter bestimmt, die allein personal zu denken sei. Jedes Wort, das auch nur an transpersonale Institutionen erinnern könnte, wird daher von manchen sogar konsequent aus ihrem Sprachgebrauch gestrichen. So gab Gerd Althoff seinem Buch über die Dynastie der Ottonen den programmatischen Untertitel „Königsherrschaft ohne Staat“.6 Auch wenn sich 4 B. Traven, Das Totenschiff. Die Geschichte eines amerikanischen Seemanns, Berlin 1926, 206. 5 Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997; Ders., Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat (Urban-Taschenbücher 473), Stuttgart 2000; Johannes Fried, Der karolingische Herrschaftsverband im 9. Jh. zwischen „Kirche“ und „Königshaus“, in: Historische Zeitschrift 245 (1982), 1–43; Ders., Gens und regnum. Wahrnehmungs- und Deutungskategorien politischen Wandels im früheren Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebindung des Historikers, in: Jürgen Miethke/Klaus Schreiner (edd.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, Sigmaringen 1994, 73–104; Bernhard Jussen (ed.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005. 6 Althoff 2000.

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diese Forschungen letztlich nicht auf die Antike, sondern auf das werdende Deutschland konzentrieren, weisen sie auf ein allgemeines Problem unserer Wahrnehmung vormoderner Ordnungen hin. So plädierte auch der Globalhistoriker Walter Demel für eine Unterscheidung von ‚Staat‘ und ‚Reich‘, die das Phänomen ‚Staat‘ der Moderne, das Phänomen ‚Reich‘ der Vormoderne zuordnete. Letzteres definierte er „als ein politisches Gebilde, das weniger durch einen bürokratischen Apparat als vielmehr durch Tributbeziehungen zwischen den verschiedenen Reichsteilen beziehungsweise durch Loyalitätsbeziehungen zwischen Königtum und Reichselite(n) zusammengehalten wurde.“7 Wissenschaft aber lebt von der Kontroverse und davon, Thesen zu überprüfen. So vermochten sowohl die Historikerin Brigitte Kasten als auch der Germanist Peter von Moos zu zeigen, dass das Mittelalter sehr wohl zwischen ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ unterscheiden konnte.8 In Wien hat es 2007 eine große Tagung zur Problematik gegeben, weil sich mittlerweile ein kleiner Historikerstreit entwickelt hatte zwischen denen, die dem Mittelalter jede Staatlichkeit absprechen, und denen, die durchaus transpersonale und staatliche Ansätze entdecken können. Als Quintessenz dieser Debatte zeigte sich, dass „die Frage nach Vorhandensein und Qualität staatstheoretischer Konzepte […] von der Untersuchung des Aufbaus und der Effizienz des Herrschaftsapparates“ zu trennen sei.9 Und was die mangelnde Institutionalität angeht, so sei auf Karl-Siegbert Rehberg verwiesen, der 1990 Folgendes geschrieben hat: „‚Institution‘ – das ist ein problematischer Begriff, dessen Unschärfe so weit geht, daß gesagt werden könnte, er sei von kaum zu präzisierender Allgemeinheit. Und tatsächlich gehören die Begriffs- und Wortverwendungen von ‚Institution‘, ‚institutionell‘ oder ‚institutionalisiert‘ zu unserer gehobenen Umgangssprache.“10 Die Annahme einer man7 Walter Demel, Reichs- und Staatsbildungen, in: Ders. (ed.), Entdeckungen und neue Ordnungen 1200 bis 1800 (WBG-Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert 4), Darmstadt 2010, 162–212, hier 171f. 8 Brigitte Kasten, Zur Dichotomie von privat und öffentlich in fränkischen Herrschertestamenten, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 121 (2004), 158– 199; Peter von Moos, ‚Öffentlich‘ und ‚privat‘ im Mittelalter. Zu einem Problem historischer Begriffsbildung (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften), Heidelberg 2004. 9 Rudolf Schieffer, Die internationale Forschung zur Staatlichkeit in der Karolingerzeit, in: Walter Pohl/Veronika Wieser (edd.), Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven (Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 386 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009, 43–49, hier 49. 10 Karl-Siegbert Rehberg, Eine Grundlagentheorie der Institutionen: Arnold Gehlen. Mit systematischen Schlußfolgerungen für eine kritische Institutionentheorie, in: Gerhard Göhler/Kurt Lenk/Rainer Schmalz-Bruns (edd.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, 115–144, hier 115 (ND in: KarlSiegbert Rehberg/Hans Vorländer (edd.), Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, Baden-Baden 2014, 13–42, hier 13).

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gelnden Institutionalität in der Vormoderne ist vor diesem Hintergrund der Schwammigkeit des Institutionenbegriffs also problematisch und müsste daher erst näher ausgeführt und eingeordnet werden. Was man mit Rehberg aber auf jeden Fall konstatieren kann, ist ein stetiger Wandel.11 Beim Stichwort ‚stetiger Wandel‘ ist noch auf ein anderes Moment zu verweisen: Nach wie vor dominiert die Vorstellung vom modernen Staat die Debatte. Sie macht diesen zwar nicht zum Ziel der historischen Entwicklung, aber zum Maßstab für die Vormoderne.12 Der Staat ist laut der klassischen Definition von Georg Jellinek ein soziales Gebilde, das durch ein klar abgegrenztes Territorium (Staatsgebiet), eine darauf ansässige Kernbevölkerung (Staatsvolk) sowie eine auf diesem Gebiet herrschende Staatsgewalt konstituiert wird.13 Jellineks Definition ist gut 120 Jahre alt und beruht auf Beobachtungen über den damaligen Staat. Vor diesem Hintergrund wird schon seit längerem die Frage diskutiert, wie sinnvoll diese Definition heute noch sein kann. Man hat in diesem Zusammenhang verwiesen auf überstaatliche Organisationen, die die Souveränität einzelner Staaten einschränken, etwa die Vereinten Nationen oder die Europäische Union,14 ohne dass dieses Defizit den staatlichen Charakter ihrer einzelnen Mitglieder tatsächlich mindern würde. Weiter existieren außerhalb des Westens Staaten, die ihr Gewaltmonopol allenfalls partiell durchsetzen können – und dennoch gelten Afghanistan, der Irak oder Somalia als Staaten – allerdings mit dem Zusatz „fragil“, „prekär“, „failing“ bzw. „scheiternd“ oder sogar „zerfallend“.15 11 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Institutionenwandel und die Funktionsveränderung des Symbolischen, in: Ders./Hans Vorländer (edd.), Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, Baden-Baden 2014, 119–146, hier 130f. 12 Vgl. etwa Walter Pohl, Herrschaft, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 14 (2. Aufl. 1999), 443–457; Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung von ‚Staat‘ und ‚Herrschaft‘ im frühen Mittelalter, in: Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (edd.), Staat im frühen Mittelalter (Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 334 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11), Wien 2006, 39–58; Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts (Mittelalter-Forschungen 25), Ostfildern 2008, 30–34; Matthias Becher, ‚Herrschaft‘ im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter. Von Rom zu den Franken, in: Theo Kölzer/Rudolf Schieffer (edd.), Von der Spätantike zum frühen Mittelalter. Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde (Vorträge und Forschungen 70), Ostfildern 2009, 163–188. 13 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (Recht des modernen Staates 1), 3. Aufl., Berlin 1914. 14 Gunnar F. Schuppert, The Changing Role of the State Reflected in the Growing Importance of Non-State Actors, in: Ders. (ed.), Global Governance and the Role of Non-State Actors (Schriften zur Governance-Forschung 5), Baden-Baden 2006, 203–244. 15 Vgl. etwa Ulrich Schneckener (ed.), Fragile Staatlichkeit. „States at Risk“ zwischen Stabilität und Scheitern (Internationale Politik und Sicherheit 59), Baden-Baden 2006; Thomas Risse/ Ursula Lehmkuhl (edd.), Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit (Schriften zur Governance-Forschung 10), Baden-Baden 2007.

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Kurz: Staaten oder, allgemeiner, transpersonale Herrschaftsformen müssen den Kriterien Jellineks nicht genügen, weder heute noch in der sogenannten Vormoderne. Gerade im Hinblick auf die Vormoderne ist eine flexiblere Definition notwendig. Um sich von der Anwendung moderner Kriterien zu lösen, hat die englische Mediävistin Susan Reynolds schon vor knapp zwanzig Jahren eine Definition des vormodernen Staates vorgeschlagen, die mir überaus praktikabel scheint: „An organization of human society within a more or less fixed area in which the ruler or governing body more or less successfully controls the legitimate use of physical force.“16 Nur mit einer solchen Definition wird man den Problemen, die eine Analyse der ‚Macht des Herrschers‘ aufwirft, gerecht werden und ihre verschiedenen Erscheinungsformen im Spannungsfeld von ‚Personalität‘ und ‚Transpersonalität‘ einordnen können.

Literaturverzeichnis Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997. Gerd Althoff, Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat (Urban-Taschenbücher 473), Stuttgart 2000. Matthias Becher, ‚Herrschaft‘ im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter. Von Rom zu den Franken, in: Theo Kölzer/Rudolf Schieffer (edd.), Von der Spätantike zum frühen Mittelalter. Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde (Vorträge und Forschungen 70), Ostfildern 2009, 163–188. Bertolt Brecht, Anmerkungen zur Oper „Die Verurteilung des Lukullus“, in: Ders., Stücke, 14 Bde., Bd. 7/2, Berlin 1957, 267–274. Bertolt Brecht, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, 30 Bde., Bd. 30: Briefe 3. 1950–1956, Frankfurt 1998. Walter Demel, Reichs- und Staatsbildungen, in: Ders. (ed.), Entdeckungen und neue Ordnungen 1200 bis 1800 (WBG-Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert 4), Darmstadt 2010, 162–212. Johannes Fried, Der karolingische Herrschaftsverband im 9. Jh. zwischen „Kirche“ und „Königshaus“, in: Historische Zeitschrift 245 (1982), 1–43. Johannes Fried, Gens und regnum. Wahrnehmungs- und Deutungskategorien politischen Wandels im früheren Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebindung des Historikers, in: Jürgen Miethke/Klaus Schreiner (edd.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, Sigmaringen 1994, 73–104. 16 Susan Reynolds, The Historiography of the Medieval State, in: Michael Bentley (ed.), Companion to Historiography, London 1997, 117–138, hier 118; Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. rev. Aufl., Tübingen 1972 (Orig. 1922), 29: „Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwangs für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt.“

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Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung von ‚Staat‘ und ‚Herrschaft‘ im frühen Mittelalter, in: Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (edd.), Staat im frühen Mittelalter (Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 334 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11), Wien 2006, 39–58. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (Recht des modernen Staates 1), 3. Aufl., Berlin 1914. Bernhard Jussen (ed.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005. Brigitte Kasten, Zur Dichotomie von privat und öffentlich in fränkischen Herrschertestamenten, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 121 (2004), 158–199. Thomas Meier, Consensus and Conflict in Material and Written Records, in: Ralph Kauz/ Konrad Vössing/Timo Bremer (edd.), Vormoderne Herrschaften zwischen Konflikt und Konsens – Stabilität und Instabilität / Premodern Rulers between Conflict and Consensus – The Potential for (In)Stability (Macht und Herrschaft), vorauss. Göttingen 2020. Peter von Moos, ‚Öffentlich‘ und ‚privat‘ im Mittelalter. Zu einem Problem historischer Begriffsbildung (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften), Heidelberg 2004. Lutz Niethammer, Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“, Frankfurt a. Main 1980. Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts (Mittelalter-Forschungen 25), Ostfildern 2008. Walter Pohl, Herrschaft, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 14 (2. Aufl. 1999), 443–457. Karl-Siegbert Rehberg, Eine Grundlagentheorie der Institutionen: Arnold Gehlen. Mit systematischen Schlußfolgerungen für eine kritische Institutionentheorie, in: Gerhard Göhler/Kurt Lenk/Rainer Schmalz-Bruns (edd.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, 115–144 (ND in: KarlSiegbert Rehberg/Hans Vorländer (edd.), Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, Baden-Baden 2014, 13–42). Karl-Siegbert Rehberg, Institutionenwandel und die Funktionsveränderung des Symbolischen, in: Ders./Hans Vorländer (edd.), Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, Baden-Baden 2014, 119–146. Susan Reynolds, The Historiography of the Medieval State, in: Michael Bentley (ed.), Companion to Historiography, London 1997, 117–138. Thomas Risse/Ursula Lehmkuhl (edd.), Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit (Schriften zur Governance-Forschung 10), Baden-Baden 2007. Rudolf Schieffer, Die internationale Forschung zur Staatlichkeit in der Karolingerzeit, in: Walter Pohl/Veronika Wieser (edd.), Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven (Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 386 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009, 43–49. Ulrich Schneckener (ed.), Fragile Staatlichkeit. „States at Risk“ zwischen Stabilität und Scheitern (Internationale Politik und Sicherheit 59), Baden-Baden 2006.

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Matthias Becher

Gunnar F. Schuppert, The Changing Role of the State Reflected in the Growing Importance of Non-State Actors, in: Ders. (ed.), Global Governance and the Role of Non-State Actors (Schriften zur Governance-Forschung 5), Baden-Baden 2006, 203–244. Heiko Steuer, Archäologie und Realität mittelalterlichen Alltagslebens, in: Helmut ¨ htreiber (edd.), Die Vielfalt der Dinge. Hundsbichler/Gerhard Jaritz/Thomas Ku Neue Wege zur Analyse mittelalterlicher Sachkultur. Internationaler Kongress, Krems an der Donau, 4. bis 7. Oktober 1994. Gedenkschrift in memoriam Harry Kühnel (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Diskussionen und Materialien 3), Wien 1998, 399–428. B. Traven, Das Totenschiff. Die Geschichte eines amerikanischen Seemanns, Berlin 1926. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. rev. Aufl., Tübingen 1972 (Orig. 1922).

Karl-Siegbert Rehberg

Herrscher als Typusfiguren der Verkörperung institutioneller Macht im Kampffeld von Spannungsbalancen*

Abstract The essay is an elaboration of the ceremonial lecture that was given at the international conference ‘The power of the ruler – personal and transpersonal aspects’ of the Collaborative Research Centre (SFB) 1167 ‘Power and domination. Modern configurations in a transcultural perspective’ on the 23rd of November in 2017. The lecture intended to provide this SFB with suggestions from a sociological perspective, rooting in the ‘Theory and Analysis of Institutional Mechanisms (TAIM)’ that was developed by the author and successfully applied within the SFB 537 ‘Institutionality and historicity’, formerly situated at Dresden University of Technology. This method of analysis has proven itself as a heuristic principle for historical comparisons that takes its starting point in a juxtaposition of the specific historical semantics on the one hand and the contemporary analytical terms on the other hand. ‘Institutions’ have in an ideal-typical sense to be understood as legitimately recognized social regulations, whose principles are symbolically expressed and conveyed through cultural values, whereby ideas and their realization do not necessarily have to harmonize with each other. Institutions are furthermore characterized by specific mechanisms (guiding principles as guiding differences, the development of “own times” [Eigenzeiten] and “own spaces” [Eigenräumen], increase in power through its concealment, etc.), which provide stabilizing benefits for living together. The institutional analysis is not based on fixed orders, but on assertions of order, not on unquestioned validity, but on validity suggestions, not on institutional fulfillments of norms but on stylizations of actions and social role models. Moreover, institutional orders are always determined by different areas of tension (applied to various forms of domination analyzed in the SFB 1167, for example: ‘closeness to God versus justice bond’, ‘ritual versus calculus’, ‘clergical versus secular rule’, ‘transcending rulership versus churchification, ju* Besonders danke ich Martin Siebert für die kenntnisreiche und findige Bearbeitung zahlreicher Materialien und seine Unterstützung beim Verfassen des Manuskriptes für den öffentlichen Abendvortrag im Rahmen der Internationalen Tagung des SFB 1167 ‚Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive‘ in der Universität Bonn am 23. 11. 2017 sowie bei der Fertigstellung des zu publizierenden Textes, die auch durch die mitdenkende Unterstützung von Carolin Thiele, Laura Fröbisch und Richard Groß gefördert wurde. Nicht zuletzt danke ich dem Sprecher des SFB 1167, Matthias Becher, für seine Einladung, die institutionenanalytische Perspektive in die Arbeiten des Bonner Verbundprojektes einbringen zu können.

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ridification and education’, ‘reference to God versus nationalization’, ‘buildings as expanded bodies versus the palace as prison’, ‘court ceremonial versus informalization’, ‘public versus secret’, ‘personal loyalty versus formal obligations’ and ‘centralization of knowledge versus a lack of information within the center of power’, ‘communication between present people versus communication between those who are absent’). Another recommendation proposes the usage of Max Weber’s method of “ideal types”, which do not claim general validity, but should be seen as tools for a contrast methodology through which the complexity of reality becomes visible. The orientation towards super-theories with a general claim of reliability, such as the ‘system theory’, tend to rather have an inhibiting effect on such a research process, while ‘medium-range theories’ (Robert K. Merton) are more closely related to the specific questions of a collaborative research network. Adopting Max Weber’s terms of “power” and “domination” and Norbert Elias’s remarks on the ruler’s personnel, the essay draws attention to the strategy of increasing power by concealing power and shows the takeover of positions between competing powers, like, for example, the phenomena of high ranked clerics becoming princes and secular rulers being sacralized.

1.

Einleitung: Vergleichende Historiographie

Eindrucksvoll am SFB 1167 ‚Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive‘ ist die Zusammenarbeit von Historikerinnen und Historikern mit einem hauptsächlichen Arbeitsschwerpunkt weit über den geographisch-politischen Bereich hinaus, für den schon im 4. vorchristlichen Jahrhundert mit ‚Europa‘ (neben ‚Asia‘ und ‚Lybia‘) ein Name geprägt worden war.1 Diese große Chance erschwert jedoch, was schon in einer weniger breit gefächerten interdisziplinären und vergleichenden Forschung als Problem auftritt, nämlich das Verhältnis von kultur- und epochenspezifischen Begrifflichkeiten und damit auch Ideen auf der einen und einer analytisch-komparatistischen Begrifflichkeit auf der anderen Seite zu bestimmen, die im Prozess der interdisziplinären Arbeit Vergleichsgrößen überhaupt erst sichtbar machen kann.2 So scheint es beispielsweise fraglich, ob man für schriftlose Häuptlingssysteme schon von ‚Herrschaft‘ oder ob man für industrielle Gesellschaften immer noch im Vollsinne von ‚Ritualen‘ sprechen könne, ob also solche Phänomene durch Begriffsübertragungen erhellt werden könnten. Ist es beispielsweise zuträglich, die Fürsten- und Königssysteme des Mittelalters bereits mit dem Begriff ‚Staat‘ in Verbindung zu bringen, oder setzt das nicht eine rechtliche und politische Ausdifferenzierung und 1 Karl-Siegbert Rehberg, Europabilder. Imaginationen eines Kontinents, in: Maurizio Bach/ Barbara Hönig (edd.), Europasoziologie. Handbuch für Wissenschaft und Studium, BadenBaden 2018b, 15–31, hier 14. 2 Vgl. dazu auch: Ralf Bendix, Kings or People. Power and the Mandate to Rule, Berkeley/Los Angeles/London 1978, der Formen einer ‚religiös‘ fundierten Königsherrschaft in westlichen und islamischen Kulturen und in China vergleichend analysiert hat.

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Zentralisierung voraus, wie sie erst mit dem später so genannten ‚Absolutismus‘ oder dem modernen Nationalstaat verbunden sind? Auch stellt sich die Frage, ab wann es eigentlich ‚Höfe‘ als Kristallisationsorte der Macht gegeben habe, aber nicht weniger, ob man von einer mittelalterlichen ‚Gesellschaft‘ sprechen könne, schließlich – um noch ein anderes Beispiel heranzuziehen – ob man von ‚Mäzenen‘ im gleichen Maße für das antike Rom wie für die fürstliche oder bürgerliche Künstlerförderung, ganz zu schweigen, vom staatlichen ‚Mäzenatentum‘ im Kulturfeudalismus der DDR sprechen kann.3

Abb. 1: Raffael: Krönung Karls des Großen durch Papst Leo III. (Detail).

3 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Mäzene und Zwingherrn. Kunstsoziologische Beobachtungen zu Auftragsbildern und „Organisationskunst“, in: Paul Kaiser/Karl-Siegbert Rehberg (edd.), Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR – Analysen und Meinungen, Hamburg/Berlin/Dresden 1999, 17–56.

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Karl-Siegbert Rehberg

Von einem derartigen, mit der jeweiligen gesellschaftlichen Gegenwart verflochtenen Wortsinn unterscheiden sich wissenschaftlich konstruierte Typusbegriffe, am deutlichsten der von Max Weber so genannte ‚Idealtypus‘. So werden Homologien oder zumindest Ähnlichkeiten sichtbar, beispielsweise durch Kategorien wie ‚Volk‘, ‚Hierarchie‘, ‚Macht‘ und ‚Herrschaft‘, ‚Prophetie‘, ‚Ideologie‘ etc. Es sind solche Begriffskonstruktionen, die allerdings am ehesten den Vorwurf eines unerlaubten ‚Anachronismus‘ auf sich ziehen.4 Deshalb müssen diese Kategorien in einer methodisch kontrollierten Weise verwendet werden, wobei es nicht überflüssig sein dürfte, darauf zu verweisen, dass im ‚Vergleich‘ gerade keine Gleichsetzung stattfindet. Die jeweiligen Spezialistinnen und Spezialisten haben unbedingt die Pflicht, die Zeugnisse unterschiedlicher semantischer Felder und Objekte der von ihnen bearbeiteten Kulturen und Epochen selbst erst einmal analytisch zu durchdringen und sodann mit den, diesem jeweiligen Weltausschnitt gewidmeten wissenschaftlichen Begriffskonstrukten in Beziehung zu setzen, ehe auf einer abstrakteren, immer nur heuristischen Ebene Begriffe wie ‚staatliche Strukturen‘, ‚Religionen‘, ‚Institutionen‘ und dergleichen Ausgangspunkte für Vergleiche schaffen können. Die Soziologie wird von Historikerinnen und Historikern gerne einer – Hegel hätte gesagt – „schlechten Abstraktion“5 verdächtigt, weil sie mit Konzeptbegriffen für Strukturelles operiert. Es bedarf in einem so komplexen Verbund also einer geduldigen Einübung in Übersetzungsleistungen. Auch wenn ich in Weber nach wie vor einen herausragenden Anreger für eine Historische Soziologie sehe, muss gewiss doch die eurozentrische Verengung seiner These von der okzidentalen Rationalitätsentwicklung zumindest relativiert werden. Obwohl er ein Meister des hypothetischen Konjunktivs war, beanspruchte er keinerlei allgemeine Gültigkeit seiner bloß konstruierten Idealtypen – auch nicht für die Unterscheidung unterschiedlicher Legitimationsformen mit Blick auf traditionelle, bürokratisch-rationale und charismatische Herrschaftsformen. Vielmehr handelt es sich um eine ‚Kontrastmethodologie‘. Kein Typus diente ihm der bloßen Verifikation (obwohl auch er sich über eine solche Bestätigung gefreut haben dürfte), sondern der Kontrastierung mit einer Wirklichkeit, die in ihrer Vielschichtigkeit dadurch erst sichtbar wird. Zu unterscheiden sind die unverändert brauchbaren, von Weber gebildeten Idealtypen 4 Gerd Althoff wandte sich gegen eine Verbindung von mittelalterlichem Königtum und einem von Georg Jelineck vertretenen Staatsbegriff; vgl. dazu Matthias Becher, Macht und Herrschaft. Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive, in: Matthias Becher/ Stephan Conermann/Linda Dohmen (edd.), Macht und Herrschaft transkulturell. Vormoderne Konfigurationen und Perspektiven der Forschung, Göttingen 2018, 11–39, hier 27f. 5 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Der Religionsphilosophie zweiter Theil. 14. Vorlesung, in: Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. 12, Berlin 1832, 424.

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und die Verifikation der in ihnen behaupteten Entgegensetzungen; gerade dieser Autor hat in der Relativierung und Widerlegung hypothetischer Urteile das wichtigste Charakteristikum von Wissenschaft gesehen. Was nun den Stellenwert von sogenannten ‚Theorien‘ betrifft, und damit meine ich keine theoriegeleiteten Hypothesen über einzelne Zusammenhänge, etwa wo Troja gelegen haben könnte, sondern komplexe und begriffsgeschärfte Instrumente der Analyse, wie in der Soziologie etwa eine Systemtheorie, umfassende Modernisierungstheorien, Rational-Choice-Modellierungen, ethnomethodologische oder andere Interaktionstheorien, dialektisch verfahrende Varianten Kritischer Theorie etc., so haben sich aus meiner Erfahrung bei interdisziplinären Verbundprojekten verbindliche Supertheorien als eher erkenntnishemmend erwiesen. Das heißt selbstverständlich nicht, dass es keine paradigmagebundene Forschung geben könne, in der die Prüfung und Weiterentwicklung eines theoretischen Ansatzes im Mittelpunkt steht. Ein weiterer Aspekt, der am Programm des SFB 1167 interessant ist, betrifft die alternierenden Vorstellungen von einem ‚Großen Bruch‘ zwischen Vormoderne und der selbst bereits höchst unterschiedlich datierten und bestimmten, zuerst europäisch-nordamerikanischen ‚Moderne‘ und der Herausarbeitung von Transformationsprozessen, in denen ältere Zustände in verwandelter Form noch anwesend sind und die unterschiedlichste Rückgriffe und Neuschöpfungen ermöglichen.6 Es gilt dies nicht nur für Religionen, die von der Mainstreamsoziologie lange übersehen, nun durch den aggressiven Islamismus in einer sich aufgeklärt wähnenden Welt neuartige Relevanzgefühle ausgelöst haben (der Theologe und Troeltsch-Herausgeber Friedrich Wilhelm Graf sprach ja sogar von einer „Wiederkehr der Götter“7). Das gilt nicht nur für Glaubens- und umfassende Weltdeutungssysteme, sondern auch für Ausprägungen sozialer Ungleichheit, Wirtschaftssysteme oder eben ständisch oder demokratisch fundierte Herrschaftsformen. Es ist verständlich, dass im Rahmen einer terminologischen und theoretischen Sondierung von brauchbaren Verfahren und Denkmitteln umfassende Konzepte der geschichtlichen Deutung problematisch erscheinen, so auch die Ablehnung von Herders ‚Kugelmodell‘. Sie ist naheliegend, wenn man an dessen ersten, die Menschheitsgeschichte in den Blick nehmenden Versuch denkt, in welchem sich furchtbare Formulierungen finden, wie die, dass die „Nationalglückseligkeit“ hoch zu loben sei, weil ihr gegenüber „jede ausländische Hoffnungsfahrt […] 6 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Differenzierungs-Transformationen gegen eine theoretisch verdeckte soziale Ungleichheit. Anmerkungen zu Niklas Luhmanns historisierender Soziologie, in: Anne Gräfe/Johannes Menzel (edd.), UnOrdnungen denken. Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften. Festschrift für Reinhard Blänkner, Berlin 2017, 188–215. 7 Vgl. Friedrich Wilhelm Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2004.

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schon Krankheit, Blähung, ungesunde Fülle, Ahndung des Todes!“ erzeuge.8 Kein Wunder bei jemandem, der während der gesamten befohlenen Italienreise mit der Herzogin Anna Amalia unverwandt missmutig blieb. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die mehrbändigen ‚Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‘ (1784–91)9 als Hauptwerk über das Verhältnis der einzelnen Kulturen zueinander, vielleicht gegen englisches Fortschrittsdenken gerichtet waren, jedoch auf eine ganz neue Weise die Unterschiedlichkeit der Kulturen anerkannt haben, so wie etwa Leopold von Ranke später sagte, dass „jede Epoche […] unmittelbar zu Gott“ sei.10

2.

Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen

2.1

Grundprinzipien

In dem im Bonner SFB 1167 gewählten Forschungsprogramm können ‚Theorien mittlerer Reichweite‘, etwa der von mir vorgeschlagene institutionenanalytische Ansatz, hilfreich sein für eine theoriegeleitete Perspektivierung mit dem Ziel einer Formulierung gemeinsamer Fragestellungen und Vergleichshorizonte. Diese dialogisch zu erarbeiten und zu prüfen, dürfte – ganz gleich welchen Zugang man wählt – unabdingbar sein, wenn man nicht nur interessante, anderen aber kaum zugängliche Zusammenhänge präsentieren, vielmehr – wie das im Programm des Sonderforschungsbereiches gewünscht ist – eine gemeinsame ‚Phänomenologie der Erscheinungs- und Wirkungsformen‘ von Machtkonstellationen und Herrschaftsformen entwickeln will. Ausgehend von dem einleitenden Aufsatz Matthias Bechers im ersten Band der Schriftenreihe des SFB 1167, finden sich zahlreiche Reflexionen über den Kulturbegriff und dessen Öffnung für eine ‚transkulturelle‘ Perspektive, mehr noch für die Frage, ob europäische Verstehensmodelle es überhaupt erlaubten, außereuropäische Gesellschaften und deren Geschichte zu rekonstruieren. Man müsste allerdings auch das umgekehrte Problem im Blick haben, wie nämlich einstmals kolonialisierte oder sich über Jahrhunderte hin weitgehend abgeschlossen habende Gesellschaften ihrerseits auf den ‚Westen‘ blicken, und fragen, 8 Johann Gottfried Herder, Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit, Riga 1774, 58. 9 Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in: Herders Ausgewählte Werke, Bd. 13 u. 14, ed. Bernhard Suphan, Berlin 1887 u. 1909. 10 Leopold Von Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge vor dem Könige Maxmillian II. von Bayern im Herbst 1854 zu Berchtesgaden gehalten. Vortrag v. 25. September 1854, in: Historisch-kritische Ausgabe, edd. Theodor Schieder/Helmut Berding, München 1971, 60.

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ob deren kollektive Erfahrungen und Erinnerungen ebenfalls von Verzerrungen nicht frei sind. Auf alle Modelle von festumschriebenen Kulturkreisen oder einzelnen Kultureinheiten ist jedenfalls zu verzichten (übrigens hat Max Weber jede kulturbezogene Einheitsbegrifflichkeit mit Entschiedenheit verworfen11 – nach einem Vortrag Oswald Spenglers im Februar 1920 im Münchener Rathaus soll er einem studentischen Begleiter, dabei den damals populären ‚Untergangsmorphologen‘ stark abwertend, gesagt haben, „die Redlichkeit eines heutigen Gelehrten […] kann man daran messen, wie er sich zu Nietzsche und Marx stellt“, ohne die „er gewichtigste Teile seiner Arbeit nicht leisten könnte“).12 Als Vergleichsheuristik13 möchte ich nun die institutionelle Analyse als ein Mittel historischer Komparatistik ins Spiel bringen, welche auch die theoretische Grundlage des Dresdner SFB 537 ‚Institutionalität und Geschichtlichkeit‘ war.14 Das setzt einige Klärungen des dabei verwendeten Institutionenbegriffes voraus, von dem man häufig liest, er sei überhaupt nicht zu präzisieren. Niklas Luhmann, der anfangs von ihm angeregt worden war, distanzierte sich später sozusagen zur Abschreckung von ihm als „etwas Höherem, Sinnreicherem, vielleicht auch Geheimnisvollerem“.15 Ihm hafte etwas ‚Alteuropäisches‘, durch die ‚Moderne‘ Überholtes an. So wurde die konservative Gewissheit des bedeutenden Institutionentheoretikers Arnold Gehlen16 über den unaufhaltsamen Untergang der großen Institutionen durch ironische Distanzierung perpetuiert. In diesem Zusammenhang erinnert man sich ja vielleicht auch eines anderen Diktums des ‚Meisters von Oerlinghausen‘, wenn er nämlich in ‚Die Kunst der Gesellschaft‘ schrieb, Kultur sei „einer der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind“.17 Man stellt darin ein Abrücken von jeder emphatischen Begrifflichkeit fest, einen Verzicht auf kulturkritische Trauerarbeit, wie wir sie auch nicht nur bei konservativen Denkern, sondern auch bei Theodor W. Adorno finden können. 11 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. rev. Aufl., ed. Johannes Winckelmann, Tübingen 1976 (Originalaus. 1922), 713f. 12 Zit. nach: Eduard Baumgarten (ed.), Max Weber. Werk und Person, Tübingen 1964, 554. 13 Vgl. zu den Konzepten von Theodor Schieder, Charles Tilly und Jürgen Osterhammel: Becher 2018, 18f. 14 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Institutionelle Analyse und historische Komparatistik. Zusammenfassung der theoretischen und methodischen Grundlagen des Sonderforschungsbereiches 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“, in: Ders., Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, ed. Hans Vorländer, BadenBaden 2014c, 257–286. 15 Niklas Luhmann, Universität als Milieu, Bielefeld 1992, 92. 16 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Eine Grundlagentheorie der Institutionen. Arnold Gehlen. Mit systematischen Schlussfolgerungen für eine kritische Institutionentheorie, in: Ders., Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, ed. Hans Vorländer, Baden-Baden 2014a, 13–42. 17 Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a. Main 1995, 398.

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Idealtypisch verstehe ich ‚Institutionen‘ als Sozialregulationen, in denen die Prinzipien und Geltungsansprüche einer Ordnung symbolisch zum Ausdruck gebracht werden. Diese Form der Stabilisierung sozialer Beziehungen kann ihren hochsteigerungsfähigen Ausdruck in der Ausformulierung einer institutionellen Leitidee (genauer: eines von Kämpfen durchzogenen Komplexes solcher Ideen) finden sowie in dazugehörigen Symbolisierungssystemen. Dadurch wird die Behauptung des Eigenwertes eines Ordnungsarrangements gesteigert und durchsetzbar, zuweilen auch die Suggestion einer allen Ad-hoc-Nützlichkeiten übergeordneten ‚Funktionalität‘, samt geschichtlicher Bewährung und Überindividualität. Institutionen sind somit Vermittlungsinstanzen kultureller Sinnproduktion, durch welche Wertungs- und Normierungs-Stilisierungen verbindlich gemacht werden. Die Ausdrücklichkeitsniveaus aller dieser Leistungen sind durchaus verschieden und deren Übergänge fließend. Es gibt die diesen Idealtypus rein verkörpernden religiösen und politischen Ordnungen, während einzelne institutionelle Mechanismen auch in weniger hochaggregierten Zusammenhängen wirksam werden. So gibt es institutionell formulierte Verpflichtungen auch im Alltag und im Privaten. Mir geht es nicht um die aussichtslose Debatte darüber, welche Ordnungen ‚Institutionen‘ genannt werden können. Ist die Sprache eine, sind es die Verfassungsorgane eines Staates oder die einstmals traditionsreiche Post, die sich in der Bundesrepublik wegen des vom Unternehmensvorstand herbeigesehnten Börsenganges selbst an den Rand der Inexistenz gebracht hat? Es ist zuzugeben, dass dies ertraglose Fragestellungen sind. Also geht es um Mechanismen einer spezifisch institutionellen Kreation und Stabilisierung von Geltungen, wie man sie auf allen Ebenen sozialer Beziehungsgeflechte finden kann – von ihrerseits kontextverflochtenen Liebes- und Ehebeziehungen bis hin zu transnationalen Organisationen. Vermieden werden soll, was Theodor W. Adorno als „begriffliche Verdoppelung“18 oder Reifizierung gesellschaftlicher Zwangsverhältnisse verworfen hat. Deshalb wird Institutionen keine – allen Kontingenzen der Geschichtlichkeit, der Interessendurchsetzung und eines Geltungsglaubens der ihnen unterworfenen Menschen enthobene – ‚Eigenlogik‘ zugeschrieben, die sich in jeder Beschreibung nur wieder selbst bestätigen würde. Aus einer Skepsis allen wesensmäßigen Seinserfassungen gegenüber hat sich folgende Abgrenzungsformel als geglückte forschungsleitende Kodifikation der ‚Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen (TAIM)‘ erwiesen: Diese geht nicht von fixen Ordnungen aus, sondern von Ordnungsbehauptungen (im Doppelsinne eines Anspruches und seiner Durchsetzung), nicht von unbefragten Geltungen, sondern von Geltungssuggestionen, nicht von 18 Vgl. Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 6, ed. Rolf Tiedemann, 3. Aufl., Frankfurt a. Main 1984, 7–412, hier 291.

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institutionellen Normerfüllungen, sondern von Handlungs- und Rollenstilisierungen – eben auch der Herrschaft. Wenn die symbolische Verkörperung als Mechanismus institutioneller Formen auch im Zentrum dieser analytischen Perspektive steht, so ist das doch keine freischwebende Semantisierung realer sozialer Prozesse und Einrichtungen. Zwar erweist sich die fürstliche Herrschaft in vielen Kulturen als eng verbunden mit magischen, rituellen und konzeptionellen Transzendierungen jeweiliger Herrschaftspositionen und einzelner Herrschender. Aber nie darf darüber die Ebene von Herrschaftsansprüchen und -interessenlagen sowie deren rechtlichen Regulierungen vergessen werden. Die von Juristen früh schon systematisierte Institutionalisierung herrscherlicher Spielräume steht in einem je sich wandelnden Verhältnis zu unterschiedlichen Symbolisierungsinhalten und -formen. Das gilt übrigens durchgängig auch für die vielschichtigen funktionalen Ausdifferenzierungen in den von Luhmann „stratifiziert“19 genannten Gesellschaften und nicht erst in der Moderne. Es ist vielleicht sogar umgekehrt so, dass wir in – auch international – sehr ähnlich durchorganisierten Gesellschaftsgebilden leben, obwohl die neu entdeckten „Multiple Modernities“ (wie sie vor allem Shmuel N. Eisenstadt untersucht hat)20, mit teilweiser Berechtigung gerade den Variantenreichtum moderner Lebensweisen, Politikformen und Systemwirklichkeiten betonen. Wichtig ist es, zu verstehen, dass es auch in den herrschaftsüberformten Hochkulturen, die – wie man exakter sagen sollte – durch eine ständische Stratifikation gekennzeichnet waren, eine Vielzahl komplizierter und miteinander verbundener, sich überlagernder oder miteinander konfligierender, durchaus funktionaler Ausdifferenzierungen gegeben hat. Der hier vorgeschlagene theoretisch-methodische Zugang liefert auch einen analytischen Schlüssel zum Verständnis und zur Erklärung des Phänomens institutioneller Macht, ebenso wie der – um nochmals Weber zu bemühen – gleichermaßen machtsteigernden wie machteinschränkenden Herrschaft, und besonders auch der damit verknüpften „Figurationen“21 des Herrschaftspersonals, sodann auch der in diesem Rahmen jeweils erzeugten Sondergeltung von Fürsten, erst recht, wenn diese zu Königen oder sogar Kaisern erhoben worden sind. Selbstverständlich ist diese Weber’sche Unterscheidung von Macht und Herrschaft zu erweitern, etwa durch die diskursorientierte Fassung des Machtbegriffs von Michel Foucault, die insbesondere nicht nur die Potentiale der Mächtigen, vielmehr auch die der Gegenmächte betont, wodurch alle Beteiligten in einer Interaktion oder gesellschaftlichen Lage Machtanteile besitzen.22 Auch ist die 19 20 21 22

Vgl. Anm. 6 und Luhmann 1992, 92. Vgl. Shmuel N. Eisenstadt, Multiple Modernities, in: Daedalus 129 (2000), 1–29. Vgl. Norbert Elias, Was ist Soziologie? München 1970, 138. Vgl. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, Der Wille zum Wissen, übers. v. Ulrich Raulff/Walter Seitter, Frankfurt a. Main 1977, bes. 25–66.

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präzisierende Unterscheidung von ‚power over‘ und ‚power to‘ beziehungsweise von „‚transitiver‘, nach außen gerichteter“ oder „‚intransitiver‘, auf die eigene Gruppe bezogener ‚Macht‘“ wichtig.23 Alle diese Ansätze sehen im machtgestützten Handeln oder machtstabilisierenden Strukturen und Einrichtungen ein ubiquitäres Phänomen, so dass die einzelnen Durchsetzungspotenziale und -formen ganz unterschiedlich fundiert sind. Institutionen sind dabei mit Organisationen nicht gleichzusetzen, wenngleich keine Organisation denkbar ist, die nicht auch über eine symbolische Repräsentanz ihrer Zielsetzungen und ‚Verfassung‘ verfügte, wirtschaftlich etwa über eine ‚Unternehmensphilosophie‘ samt neuerdings einer daraus erwachsenden corporate identity. Oft, besonders auch in den Geschichtswissenschaften, werden erst formal organisierte und rechtlich verfasste Einrichtungen als ‚Institution‘ bezeichnet, etwa Kirche und Staat oder Universitäten, zuweilen auch Großbetriebe. Das kann zu der nicht selten beobachtbaren Einschränkung führen, wonach erst die Vollform eines Ordnungsarrangements als ‚Institution‘ anzusehen sei. Demgegenüber erweisen sich offene Prozesse der Institutionalisierung – so auch der Fürstenhöfe, die in der Adelsgesellschaft keineswegs sofort als zentrale Orte herrschaftlichen Handelns anerkannt waren – oft als kontingent, so dass sich die festen institutionellen Strukturen erst im Rückblick zeigen. Interessant übrigens, dass in der frühen Soziologie, ganz im Gegenteil zur Geschichtswissenschaft, ein Interesse gerade nicht an den rechtlich und organisatorisch hoch entwickelten Quellen des Institutionellen bestand, sondern in der Betonung archaischer Zustände früher Gesellschaften, so bei Émile Durkheim, der vielfältig von Marcel Mauss inspiriert wurde.24

2.2

Machtsteigerung durch Tabuisierung der Machtprozesse

Für die großen, gesellschaftsgestaltenden Institutionen, insbesondere der geistlichen und weltlichen Herrschaft, sowie der Herausbildung einer spezifisch ‚politischen‘ Sphäre ist ein besonderer Mechanismus beachtenswert, nämlich eine Machtsteigerung durch die Tabuisierung des Sichtbarmachens interner Machtprozesse.

23 Becher 2018, 23; vgl. Amy Allen, The Power of Feminist Theory. Domination, Resistance, Solidarity, Boulder 1999 sowie Gerhard Göhler, Der Zusammenhang von Institution, Macht und Repräsentation, in: Ders. et al. (edd.), Institution – Macht – Repräsentation. Wofür politische Organisationen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden 1997, 11–62, hier 38f. 24 Vgl. z. B. Émile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, übers. v. Ludwig Schmids, Frankfurt a. Main 1981 (frz. Originalaus. Paris 1912) und Ders./Marcel Mauss, Primitive Classification, Chicago 1963, 179, 277 u. 400.

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Das gilt gewiss für die in den antiken Oikos-Lehren beschriebene hausherrlich-patriarchalische Gewaltmonopolisierung, die von Otto Brunner für das Mittelalter als das „Ganze Haus“ bezeichnet wurde.25 Sie beruht auf der strikten Unterordnung der Frauen, Kinder, Knechte und Mägde und weiterer Abhängiger und der Verfügung über Land als der entscheidendsten Grundlage agrarischer Produktion (und die Leugnung von Machtinteressen und ungleichen Verteilungen gibt es bis heute in vielen Paar- und Familienbeziehungen, aber auch in Universitäten oder anderen Institutionen). Die einstmals feste, als ‚natürlich‘ geltende, zugleich auf Götter oder den monotheistischen Gott verweisende Unhinterfragbarkeit der Machtmittel ändert sich sehr in der Marktvergesellschaftung, die eine andere Ausblendung von Machtprozessen erzeugt, indem alle produktiven Funktionen sich durch eine „unsichtbare Hand“26 autonom „hinter dem Rücken“ der Beteiligten herstellen sollen. Adam Smith sah allerdings noch den Zusammenhang mit den Gesetzmäßigkeiten der bürgerlichen Vergesellschaftung und die Nachtseiten der Marktvergesellschaftung, wie er das in seiner ‚Theory of Moral Sentiments‘ (1759) dargestellt hat.27 Die spätere ökonomistische Modelltheorie hat diese Spuren von Sozialität weitgehend getilgt. Jedoch gibt es seit einigen Jahren den Hoffnungsschimmer einer, zwar noch in diesem Rahmen verbleibenden und doch soziologische und historiographische Aspekte einbeziehenden „Neuen Institutionenökonomik“28, die auch die Bedingungen für und Einflüsse auf Machtstrukturen in der Ökonomie wieder in Erinnerung rufen dürfte. Frühere Beispiele einer gesteigerten Mächtigkeit durch die Verdeckung von Machtpotentialen und -prozessen finden sich – wie etwa Martin Jehne gezeigt hat – im Prinzipat des Augustus bis weit in die römische Kaiserherrschaft hinein in der (nicht immer mit gleichem Geschick durchgesetzten) Fiktion, dass trotz der Alleinherrschaft die Regeln der Römischen Republik und die Rechte des Senates unangetastet geblieben seien und das mos maiorum weiter gelte.29 Auch 25 Vgl. Otto Brunner, Das „ganze Haus“ und die alteuropäische „Ökonomik“, in: Ders. (ed.), Neue Wege der Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1968. 26 Vgl. Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, New York 1937 (engl. Originalaus. London 1776), 423. 27 Vgl. Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle, ed. Walther Eckstein, Hamburg 1977 (engl. Originalaus. London 1759), sowie Hans Medick, Naturzustand und Naturgeschichte in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf, John Locke und Adam Smith, Göttingen 1973, bes. 206–295. 28 Vgl. Norbert Reuter, Der Institutionalismus. Geschichte und Theorie der evolutionären Ökonomie, Marburg 1994 sowie Karl-Siegbert Rehberg, Institutions and Neo-Institutionalism, in: The Encyclopedia of Social Theory (2006), 280–283. 29 Vgl. Bernhard Linke/Michael Stemmler, (edd.), Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, Stuttgart 2000 und Martin Jehne, Integrationsrituale in der römischen Republik. Zur einbindenden Wir-

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bei der Vergabe von Ämtern lässt sich dieser Mechanismus zeigen, wenn etwa Bischöfe oder Päpste, die aus Adelsfamilien kamen, alles daransetzen mussten, sich als Repräsentanten der Gemeinschaft der Christen darzustellen, um die Mehrung der persönlichen Interessen wie auch der Familieninteressen in den Hintergrund treten zu lassen. Und das ganze Feld einer Ideologie des Blutadels bei gleichzeitigem Verkauf von Adelsprädikaten ist ein weiteres, diesen Mechanismus bestätigendes Phänomen.

3.

Herrschaftsordnungen als Spannungsbalancen

3.1

Erstes Spannungsfeld: Gottesnähe versus Rechtsbindung

Dass Institutionen in hohem Maße Spannungsstabilisierungen sind,30 korrespondiert mit der Gruppierung zentraler Themen innerhalb des SFB 1167 und einer jeweiligen Beteiligung von Teilprojekten an einem Themenfeld ‚Konflikt und Konsens‘, ‚Personalität und Transpersonalität‘, ‚Zentrum und Peripherie‘ und ‚Kritik und Idealisierung‘. Gerade weil die ökonomische und rechtliche Verfasstheit von Herrschaftsordnungen unbestreitbar ist, bleibt es doch ein institutionelles ‚Wunder‘, wie die aus dem Substantialismus ständischer Hierarchien geborene – wenn vielleicht schon seit dem 12. Jahrhundert auch unterminierte – lange Tradition einer personalen Transzendierung des herrschenden Adels bis hin zur gnadenhaften Gottgewolltheit der Könige Bestand hatte. Eine Apotheose des thronenden Kaisers Ottos III. in dem um das Jahr 1000 auf der Reichenau hergestellten Aachener Liuthar-Evangeliar zeigt, in einer zeitgenössisch-organizistischen Metapher ausgedrückt, das Haupt des Gesellschaftskörpers, dessen eigenes Haupt, von Gott gekrönt oder gesalbt, mit dem Reich des Heiligen Geistes verbunden ist, während der Kaiser im römischen Ornat auf der Erde zugleich durch die Reichsinsignien als einem Verbindungsmedium die Legitimation durch Gott an die ihm huldigenden Lehnskönige weitergibt (dargestellt auf dem Titelbild dieses Bandes). Schon in der Spätantike mochten zwar die Truppen einen ihrer Führer zum Kaiser gekürt haben, aber es musste dies mit der Vorstellung verbunden sein, dass sie damit „den Willen der höchsten Gottheit kung der Volksversammlungen, in: Gianpaolo Urso (ed.), Integrazione, mescolanza, rifiuto. Incontri di popoli, lingue e culture in Europa dall’Antichità all’Umanesimo. Atti del convegno internazionale, Cividale del Friuli, 21–23 settembre 2000, Roma 2001, 89–113. 30 Arnold Gehlen hat das Motiv der „stabilisierten Spannung“ in Institutionen deutlich herausgearbeitet; vgl. Ders., Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, ed. Karl-Siegbert Rehberg, 7. Aufl., Frankfurt a. Main 2016 (Originalaus. Bonn 1956), 88–96 (Kap. 18).

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vollzogen.“31 Dieser schenkt den Herrschern den Purpur und bestimmt die Zeit ihres Regiments. Sie sind Geschöpf und herausgehobene Diener Gottes, woraus sich auch feierliche Zeremonien und Huldigungen ergeben und die Vorschrift, dass die Untertanen über diese nur ‚Heiliges‘ sagen dürfen. Die selbstzugeschriebenen und vorbildhaften Topoi besonderer Eigenschaften haben für die Imago der Könige und Kaiser noch lange nachgewirkt. Herrscherliche Eigenschaften wie die höchst bedeutungsvolle „Freigiebigkeit“, aber auch „leutseliges Wesen, Klugheit oder Tapferkeit“ bestimmten für Jahrhunderte das Bild der regierenden Fürsten. Selbstverständlich zeigt der Herrscher eine „ungebändigte Kraft und Wildheit“, kann in manchen Fällen sogar Drachen töten und erringt schließlich „Reich und Weib“, wobei es im (Schwert-) Kampf Königspflicht war, in der ersten Reihe zu kämpfen. Die Auserwählten müssen „gewaltig, furchtlos, leidenschaftlich im Streite, freundlich im Kreise der Ihren“ sein.32 Während in Niccolò Machiavellis ‚Principe‘ (1513) die Tugend sich wesentlich in der Kraft zum Krieg zeigt, hatte sich schon seit Augustinus und dann seit dem 13. Jahrhundert eine Verschiebung der Herrschertugenden zugunsten der sapientia durchgesetzt.33 Auch der „demonstrative Konsum“34 (Thorstein Veblen) von Hoffesten, verbunden mit reichlichem Schmaus, Kampfspielen und Kleiderpracht gehört zu den königlichen Pflichten, nie ohne Gaben für die Geringeren und Fremden und selbstverständlich auch an die Freunde. Die personalen Muster lassen sich auch individualisieren und setzen zugleich den semantischen Strom der Zuschreibungen fort, so wenn das „heiter lächelnde Antlitz, mit seiner milchweißen, blutdurchströmten Haut“ dem durch seinen „roten, gestutzten Bart“ als „Schmuck des Kinns“ erkennbaren Friedrich I. Barbarossa (1122–1190) gepriesen wird. In den Elogen geht es immer auch um Temperamentswerte wie „ruhige Heiterkeit und gnädige Fröhlichkeit“ und dies alles durch ein Gleichgewicht moderiert, durch welches die mittelalterliche mâze zur Wirklichkeit gebracht wird, eben jene Selbstdisziplinierung erzeugend, die den Herrscher auch dazu befähigt, seinen Zorn durch einen Akt der Klugheit zu bezwingen.35 Otto von Freising schilderte Kaiser Friedrich I. Barbarossa als „innerlich zur Gnade geneigt […], während er nach außen Härte zeigen“ müsse, und auch Otto Morena 31 Johannes A. Straub, Vom Herrscherideal in der Spätantike, Darmstadt 1964 (Originalaus. 1939), 76f. 32 Alfred Kühne, Das Herrscherideal des Mittelalters und Kaiser Friedrich I., Leipzig 1898, 11, 30 und 32. 33 Vgl. Gabriela Signori, Schädliche Geschichte(n)? Bücher, Macht und Moral aus dem Blickwinkel spätmittelalterlicher Fürstenspiegel, in: Historische Zeitschrift 275 (2002), 593– 623, hier 593, 596, 603 u. 613–615. 34 Vgl. Thorstein Veblen, The Theory of the Leisure Class. An economic study in the evolution of institutions, New York/London 1899. 35 Vgl. Kühne 1898, 30f. u. 41.

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pries Friedrichs Milde mit einer Leutseligkeit gegenüber den Demütigen, wodurch die „Stolzen“ abgewiesen wurden. Dass dies in einem rechtlichen und moralischen Rahmen geschieht, zeigt sich daran, dass sich der Kaiser gnädig und „huldvoll den Freunden und Guten“ erweist, „den Feinden und Schlechten aber schrecklich und unerbittlich“ gegenübertritt.36 Selbstkontrolle und insofern „Zivilisierung“ sind ebenfalls eine fürstliche Aufgabe, das stellt einen reflektierenden Selbstbezug zu „Spieglungen seiner selbst“ her, wie das der Germanist Horst Wenzel in einer großen Studie über das Sehen im Mittelalter herausgearbeitet hat.37 Die Berater des Königs werden zu „Spiegeln“, viele Interaktionen reflektieren den Auftritt der Autorität, aber am Ende sieht sich jeder auch seinem eigenen Spiegelbild ausgesetzt, das eine optische Bilanz zieht (man denke nur an Oscar Wildes ‚Das Bildnis des Dorian Gray‘). Die Verherrlichungen des Fürsten konnten auch in Volksepen weiterleben. Und auch, was später von Jean Bodin als „Souveränität“ zum Modell der fürstlichen Staatlichkeit gemacht wurde,38 war schon Barbarossa zugestanden worden, dass er nämlich „über dem Gesetz stehe“39, eine Ansicht, die im 13. Jahrhundert auch von dem Staufer Friedrich II. und dem Kleriker Henry de Bracton vertreten wurde. Es war dies eine Argumentationsfigur, welche sich für den „Gesetzgeber“, der eine neue Ordnung schafft, die sich auch bei Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant findet,40 und sich schließlich noch in der die Ermordung der SA-Führung legitimieren wollenden Perversionsformel Carl Schmitts erhalten hat: Der Führer schafft „unmittelbar Recht“, als „oberster Gerichtsherr“ im „Augenblick der Gefahr“.41

36 Vgl. Kühne 1898, 11. 37 Vgl. Horst Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, bes. Kap. I. 3 Höfische Erziehung. Spiegelung und Nachahmung, 25–37. 38 Vgl. Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. v. Bernd Wimmer, ed. Peter C. Mayer-Tasch, 2 Bde., München 1981/86 (frz. Originalaus. Paris 1576). 39 Zit. nach Kühne 1898, 8. 40 Vgl. Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder: Grundlagen des Staatsrechts, übers. v. Fritz Roepke, Leipzig, 2011, 27–30 sowie Immanuel Kant, Werke in zwölf Bänden, ed. Wilhelm Weischedel, Bd. 8: Die Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 2. Teil. Öffentliches Recht. 1. Abschnitt. Staatsrecht, § 49, Frankfurt a. Main 1977, 434–459, 435. 41 Vgl. Carl Schmitt, Der Führer schützt das Recht. Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers vom 13. Juli 1934, in: Deutsche Juristen-Zeitung 15 (1934), 945–950. Es ähnelt dies auch der Herrschaftsbegründung von Henry of Bracton, einem Zeitgenossen Friedrich II. von Hohenstaufen, vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, übers. v. Walter Theimer, Stuttgart 1992 (engl. Originalaus. Princeton 1957), 160 u. 162.

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3.2

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Zweites Spannungsfeld: Ritual versus Kalkül

All das ist eng verbunden auch mit der magischen und rituellen Schaffung eines transzendenten Raumes. Das Mittelalter, das seit Petrarca als ‚dunkel‘ angesehen, für ‚barbarisch‘ erklärt wird und doch bis heute – angesichts des Entzauberungsprozesses der Moderne in massenkultureller Kompensationsliteratur – immer noch als eine verzauberte Welt erscheint, war nach einem Ausdruck von Jean-Claude Schmitt eine „Kultur der Geste“, voll wimmelnder Zeichen oder mit einem Ausdruck von Bernd Thum: „übersemiotisiert“.42 Unbestreitbar wird das durch literarische und bildhafte Zeugnisse, man denke nur an das Gesten-‚Alphabet‘ auf dem Teppich von Bayeux (ca. 1070, der die Eroberung Englands durch die Normannen im Jahre 1066 darstellt) mit der Allgegenwärtigkeit rituell festgeschriebener Bewegungsweisen und Handlungsvollzüge. Es war ein Verdienst der neueren Mediävistik und dabei – wie auch Kritiker zugeben, in Deutschland besonders Gerd Althoffs –, die Bedeutung mittelalterlicher Rituale in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gerückt zu haben. Er behandelt vor allem Beispiele einer rituell gesicherten Kanalisierung der Gewalt, verbunden mit Möglichkeiten des Ausgleichs und der Kompromissbildung bei gleichzeitiger Stabilisierung des jeweiligen Ehren-Kodex. Besonders wichtig waren dabei Friedens- und Unterwerfungsrituale, etwa in dem, auch in anderen Kulturen beobachtbaren, gemeinsamen Essen und dem Zutrinken, wodurch die Spannungen der Feindlichkeit aufgelöst und die Beendigung eines Konfliktes symbolisiert werden konnten. Die – wie Althoff betont – zuvor verhandelten und vereinbarten Unterwerfungsgesten benötigten in der Kriegergesellschaft des 9. Jahrhunderts Anleihen beim kirchlichen Bußritual. Die öffentliche Selbstdemütigung, der aber die gnädige Erhebung des sich Unterwerfenden zu folgen hatte, vollzog sich durch flehende Bitten im Büßergewand in einer Weise, wie der Verhaltensforscher Konrad Lorenz das für die Selbstauslieferung von Tieren durch das Hinhalten der Kehle beschrieben hat, die den tödlichen Biss möglich macht, aber – da die Tiere ihre direkten Artgenossen nicht systematisch töten wie das die Menschen tun – zugleich hemmt.43 So auch hier, wenn die Verpflichtung 42 Vgl. Jean-Claude Schmitt, Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter, Stuttgart 1992 und Bernd Thum, Öffentlichkeit und Kommunikation im Mittelalter. Zur Herstellung von Öffentlichkeit im Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen im dreizehnten Jahrhundert, in: Hedda Ragotzky/Horst Wenzel (edd.), Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, Tübingen 1990, 65–87, 76f. 43 Vgl. Konrad Lorenz, Ganzheit und Teil in der tierischen und menschlichen Gemeinschaft, in: Studium Generale 3 (1950), H. 9, 455–499, hier 493f., zur Hemmung des Tötungsbisses: Ders., Über die Funktion der Relativen Stimmungshierarchie dargestellt am Beispiel der phylogenetischen und ontogenetischen Entwicklung des Beutefangs von Raubtieren, in: Ders./Paul Leyhausen (edd.), Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens. Gesam-

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des Königs auf die christliche Tugend der clementia einen wirkungsvollen Schutz vor dem rigor iustitiae bot.44 Die stolze Feststellung, dass in diesen, uns archaisch erscheinenden Vollzügen eine durchkalkulierte Rationalität liegt, führte dazu, dass Althoff diese Seite so eindringlich beschrieb, dass er nach den Emotionswerten und psychischen Erregungen kaum mehr fragte. Das hat in einer besonders scharfen Kritik Peter Dinzelbacher in seiner Entgegnung ‚Warum weint der König?‘ ausgeführt, die sich keineswegs nur gegen diesen Autor, sondern überhaupt gegen einen „mediävistischen Panritualismus“ wandte.45 Der Verriss durch diesen Wiener Mittelalterforscher beginnt mit einer Darstellung des Canossa-Ganges durch Johannes Haller aus dem Jahre 1906, ein Thema, das – wie der Kritiker verwundert mitteilt – von Althoff niemals, nicht einmal in seiner Biographie dieses Kaisers, analysiert worden ist. Es geht um die Schlüsselszene der Lossprechung Heinrich IV. durch Gregor VII. im Jahre 1077: Von „Strömen von Tränen“ wird berichtet, keineswegs nur als Unterwerfungssymbol des Kaisers, vielmehr weinten auch „die Umstehenden“ und „Gregor selbst wurde von krampfhaftem Schluchzen geschüttelt […] Aber schon am folgenden Tag trat die Politik wieder in ihre Rechte“.46 Daraus wird der Vorwurf abgeleitet, Althoff habe die Gefühlsvalenzen der Zeit einfach ausgeblendet, auch weil er Norbert Elias’ These von der zunehmenden Triebdämpfung ignoriert habe.47 Man sprach ja sogar von einem „Elias-bashing“ durch viele Historiker, während Rudolf Schlögl zumindest zwar auch von einer „unglücklich verlaufenden Rezeption des Elias’schen Werkes durch die Geschichtswissenschaft“ in den 1980er und 90er Jahren spricht, weil dessen Pointe, den Hof „als soziales System oder soziales Feld“ aufzufassen, ignoriert worden

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melte Abhandlungen, München 1968, 169–271 sowie zur Hemmung der Angriffsbewegung: Ders., Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Agression, Wien 1963, 155–193. Vgl. Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997 sowie Ders., Friedens- und Unterwerfungsrituale, in: Enzyklopädie des Mittelalters 1 (2008), 253–255. Vgl. zur Kritik an den Thesen Gerd Althoffs: Peter Dinzelbacher, Warum weint der König? Eine Kritik des mediävistischen Panritualismus, Badenweiler 2009. Johannes Haller, Canossa, in: Ders., Abhandlungen zur Geschichte des Mittelalters, Stuttgart 1944 (Originalaus. 1906), 97. Übrigens war der ‚Gang nach Canossa‘ ein konstitutives, besonders im Wilhelminismus wiederbelebtes Element eines deutschen Opfermythos, der – wie man das in vielen ‚Opfernationen‘ beobachten kann – zur Gefährlichkeit unserer Nation erheblich beigetragen hat, weil er die suggestive Dramatisierung einer Verlierergeschichte lieferte; vgl. Nicolaus Sombart, Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München 1991, 214–230. Vgl. Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. 2 Bde., Bern/München 1969 (Originalaus. Basel 1939).

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Abb. 2: „Rex rogat abbatem, Mathildim supplicat atque“.

sei, während man sich nur auf die Zentralisierung der Macht durch den „Königsmechanismus“ konzentriert habe.48 Allerdings ist es kein Widerspruch, dass das Gefühlsrepertoire einer Zeit oder eines Standes auch in einer verabredeten Inszenierung zum Ausdruck gebracht werden kann. Wenn Dinzelbacher sich auf Helmut Plessners berühmte Studie ‚Lachen und Weinen‘49 bezieht und zurecht daran erinnert, dass dort von 48 Clemens Albrecht, Sozialscham, Gruppenzugehörigkeit und Literatur in den französischen Salons des 17. Jahrhunderts, in: Rüdiger Schnell (ed.), Zivilisationsprozesse, Köln 2004, 295–307, hier 295 sowie Rudolf Schlögl, Der frühneuzeitliche Hof als Kommunikationsraum. Interaktionstheoretische Perspektiven der Forschung, in: Frank Becker (ed.), Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien, Frankfurt a. Main 2004, 185–226, hier 185. 49 Vgl. Dinzelbacher 2009, 36–46 und Helmuth Plessner, Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens, in: Ders., Gesammelte Schriften, edd. Günter Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker, Bd. VII: Ausdruck und menschliche Natur, Frankfurt a. Main 1982 (Originalaus. Arnhem 1941), 201–387.

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Überschreitungen der leiblichen Beherrschbarkeit menschlicher Erschütterung die Rede ist, so ist damit ein intendiertes Nachspielen keineswegs ausgeschlossen – man denke nur an schauspielerische Leistungen (über die Plessner mehrfach geschrieben hat)50 oder an bestellte Klageweiber beziehungsweise aus jüngster Zeit und auf Youtube zu bewundern, den 2011 verordneten, tränenreichen Abschied wohlgeordneter Massen, die sich in Pjöngjang von dem verstorbenen ‚großen Führer‘ Nordkoreas Kim Jong-il verabschieden mussten. Interessant ist es auch, dass Traditionen einer vergleichbaren Herrscherverehrung noch bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein mobilisiert werden konnten. Etwa ließ sich – sozusagen als später Repräsentant der „verspäteten Nation“ (Plessner)51 – noch der deutsche Kaiser Wilhelm II., obwohl er als Oberhaupt der lutherischen Kirche sogar selbst einen Gottesdienst leitete und predigte,52 1894 zugleich – immerhin 88 Jahre nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – in der von dem Dresdner Akademieprofessor Hermann Prell nordisch-mythisch ausgemalten Deutschen Botschaft im Palazzo Caffarelli auf dem römischen Kapitol als Imperatore Romano darstellen.

3.3

Drittes Spannungsfeld: Geistliche versus weltliche Herrschaft

Eine weitere Spannung ergibt sich aus Einheitssynthesen und Vereinheitlichungsansprüchen auf der einen und der realen Pluralität sozialer Beziehungen in Europa auf der anderen Seite. Sie trug zu einer einzigartigen Intensivierung und Vereinseitigung von rationalen Kalkülen entscheidend bei. Nachdem die zunehmend fiktional gewordene Einheit des Römischen Reiches nach 395 zerbrochen war durch die Spaltung in ein Ost- und Westreich und damit auch in eine Ost- und Westkirche (die formell allerdings erst 1054 vollzogen wurde), begann im Okzident der Kampf um eine neue Einheit. Zuerst beanspruchte die Römischen Kirche ‚Universalität‘, welche jedoch sofort in Konkurrenz zu den weltlichen Mächten treten musste. Daraus formten sich für Jahrhunderte die Kämpfe und Kompromissformeln zwischen den ranghöchsten Priestern und weltlichen Herrschern. Es entstand die eigentümliche, nie endgültig befriedete, Spannungs-Institutionalisierung von imperium von sacerdotium. Das war keine ein50 Vgl. Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers, in: ebd. 309–418. 51 Vgl. Helmuth Plessner, Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, in: Ders., Gesammelte Schriften, edd. Günter Dux/Odo Marquard/Elisabeth Ströker, Bd. VI, Frankfurt a. Main 1981 (Originalaus. Zürich 1935 als „Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche“), 7–223. 52 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Zur Institutionalisierung des neuen Glaubens, in: Michael Moxter (ed.), Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie, Leipzig 2018a, 259–281.

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fache Befriedung, sondern die Rahmendefinition für immer neue Suprematieansprüche sowie deren Relativierung auf beiden Seiten. Dabei konnten die Parallelbeziehungen auch verleugnet werden, wenn der Papst etwa behauptete, die Quelle und Rechtfertigung nicht zu kennen, welche den Rang des Kaisers bestimmt.53 Daraus folgten komplizierte weitere Ausdifferenzierungen, etwa im Verhältnis des Papstes zu den Kaisern und Königen. So konnte Heinrich III., der sich durchaus als rex sacerdos (Priesterkönig) fühlte, in der Mitte des 11. Jahrhunderts Päpste absetzen und Reformversammlungen (wie die Synode von Sutri im Jahre 1046) veranstalten, durch die das Papsttum wieder an Bedeutung gewann. Nur durch die ständigen Spannungsbeziehungen und -verschiebungen konnten einzelne Fürsten ganz unterschiedliche Positionen im Machtgeflecht erreichen: Der französische König etwa, dem die Kaiserkrone versagt blieb, vermochte seit dem Hochmittelalter seine Sonderstellung zu behaupten und als ‚gottunmittelbar‘ zu gelten. Liest man die Souveränitätslehre des Jean Bodin, so sind eigentlich nur der Papst, der französische König und allenfalls der Doge von Venedig im Vollsinne „souverän“, d. h. weder durch Lehnseid noch durch päpstliche Krönung installiert oder gebunden. Institutionen-Konkurrenzen führen immer auch zur Übernahme von Vorstellungs- und Handlungsmustern, insbesondere der Legitimierungsgründe der Gegenseite: Die obersten Priester wollten Fürsten sein und die Fürsten erhoben Anspruch auf sakrale Erhöhung. Eine mögliche Rollenverschmelzung zeigt sich drastisch im Auftritt von Papst Julius II., wenn er „die weltlichen Fürsten in den Krieg treibt“ (Abb. 3). Allerdings können auch neue Trennlinien gezogen werden, etwa nach dem Investiturstreit, als im Wormser Konkordat von 1122 die spiritualia (also die geistlichen, vom Papst verliehenen Befugnisse) von den vom Kaiser empfangenen temporalia getrennt wurden. Das sind Beispiele für eine Einheitsbildung durch Entgegensetzung, eben als Spannungsstabilisierung. Die Ratio des eigenen Ordnungsentwurfs wird dann immer auch durch die des entgegengesetzten mitbestimmt und in diesem reflektiert. Abgrenzung und Kooperation, Vereinnahmungswille und Autonomiestreben erzwingen eine Steigerung distinkter Eigenlogiken bei gleichzeitiger Einarbeitung der entgegengesetzten Prinzipien. Das könnte man auch mit Niklas Luhmanns Beschreibungsmodell einer Steigerung interner Komplexität durch Grenzziehungsleistungen und durch ein variables System von „Koppelungen“ mit unterschiedlichen „Umwelten“ erfassen.54 Institutionenanalytisch zeigt sich, welche

53 Vgl. Kantorowicz 1992, 331. 54 Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. Main 1984, z. B. 286–345.

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Ansprüche und welche Entwürfe von Eigengeltung (etwa einer eigenen Geschichte oder eigener Zeit- und Raumordnungen) daraus resultieren.55

Abb. 3: DE IVILO II. PONT. MAX. ORBEM CHRISTIANVM IN ARMA CONCITANTE (Der Titel ist wahrscheinlich einem Epigramm Ulrich von Huttens entnommen; dt. auch: „Julius treibt die weltlichen Fürsten in den Krieg“). In der Mitte steht mit Rüstung und Tiara der kriegerische Papst Julius II. della Rovere, rechts u. a. ein Vertreter Venedigs und der französische König Ludwig XII., links Kaiser Maximilian I. mit seinem Anhang.

So gab es einerseits im Hinblick auf das Herrscherideal die scharfe mittelalterliche Trennung der Welt der Geistlichen und der Laien56, jedoch auch die reziproke Verwendung von Symbolen und mit ihnen verbundenen Ansprüchen, wenn nämlich Papst und Kaiser als vicarius Christi galten. Wenn später die implizite Priestereigenschaft der Fürsten zunehmend durch rechtliche Bestimmungen ersetzt wurde, lag eine Vermittlung wiederum darin, dass „der Bezug des Königs zum Recht“ nicht „von den Menschen her“ zu begründen ist, sondern 55 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Weltrepräsentanz und Verkörperung. Institutionelle Analyse und Symboltheorien. Eine Einführung in systematische Absicht, in: Ders., Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, ed. Hans Vorländer, Baden-Baden 2014b, 175–229. 56 Vgl. Kühne 1898, 1f.

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durch die königliche „Stellung zu Gott, weshalb er Gerechtigkeit garantieren muss“.57 So entstanden viele Querverbindungen zwischen Kirche und Staat und somit ‚Mischformen‘: „Der Papst zierte seine Tiara mit einer goldenen Krone, legte sich den kaiserlichen Purpur um und ließ sich bei Prozessionen in Rom das Reichsbanner vorantragen. Der Kaiser trug unter der Krone eine Mitra, zog sich päpstliche Schuhe und andere Stücke aus der Kleidung des Pontifex an; auch ließ er sich wie ein Bischof bei der Krönung einen Ring reichen“.58

3.4

Viertes Spannungsfeld: Herrschertranszendierung versus Verkirchlichung, Verrechtlichung und Edukation

Unmittelbar ließe sich als ein anderer Aspekt der geschilderten Transzendierungen regierender Fürsten und der Kataloge ihrer auch personal zurechenbaren Idealität die Textgattung der Fürstenspiegel anschließen, welche, nach einer Unterbrechung von nahezu drei Jahrhunderten, im 12. Jahrhundert in einer durch Herrschaftsmissbrauch und viele Auswüchse in der höfischen Welt hervorgerufenen Krise der Legitimität neu auflebten mit Johann von Salisburys 1159 verfassten ‚Policraticus‘; am Ende steht dann Petrarcas ‚humanistischer‘ Fürstenspiegel aus dem Kreise um Karl V.59 Die römisch-antiken, oft hagiographischen Herrscherbiographien, etwa des Sueton, boten für die nun entstehenden Muster einer Belehrung des Fürsten kein Vorbild mehr. Zugleich sollte dessen Überlegenheit zwar nicht in Frage gestellt werden, während er sich – auch der Beichte unterworfen – zunehmend einer edukativen Prozedur unterziehen musste. Durchschlagend wurden Herrscher neben der hohen, gottgewollten Stellung auch auf Normen der Römischen Kirche verpflichtet. Verbunden mit zunehmend rechtlich formulierten Erwartungen spiegelten, ausgehend von Augustinus, Gregor d. Gr. und Isidor von Sevilla, die auf den Herrscher gemünzten Tugendlehren die Soziallehre der Kirche wider.60 Es wurde gewarnt vor dem „Scheinleben der Leidenschaften“ und der Verführung durch die „scherzende Fortuna“ (vor der später auch Machiavelli warnen wird).61 Die Angemessenheit des Verhaltens sollte mit der juristisch formulierten „Verhältnismäßigkeit der 57 Vgl. Kantorowicz, Originalaus.1992, 109f., 135f. u. 171. 58 Vgl. Kantorowicz 1992, 208f. und Percy Schramm: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, Stuttgart 1954, bes. 68–70. 59 Vgl. Wilhelm Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Leipzig 1938, 5 u. 3. 60 Vgl. ebd., 22f. 61 Niccoló Machiavelli, Der Fürst, übers. v. Friedrich von Oppeln, Frankfurt a. Main 1990 (ital. Originalaus. 1532), 40f. [Kap. VII].

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Mittel“ korrespondieren. Schon im 9. und 10. Jahrhundert hatte sich die Aufgabe des Königtums in Richtung eines „Staatsrechtes“ und der politischen Sittenlehre entwickelt.62 Die Ambivalenz des Fürstenlobes hat Jörg Jochen Berns durch dessen „bannendes Element“ bestimmt, denn seit der Antike schon habe es auch der Konditionierung der Fürsten gedient, woraus sich seit dem 14. Jahrhundert genau entworfene Erziehungspläne ergaben.63 Hatte man früher die Fiktion gepflegt, dass man alle Herrschertugenden dem Leben eben dieser entnehmen und dann preisend darstellen könne, so mussten nun die potentiell Regierenden in eben diesen Tugenden unterrichtet werden. Auch die humanistische Kritik, etwas des Erasmus von Rotterdam, bediente sich des Fürstenspiegels, der in diesem Fall an Karl V. adressiert war und in dem die kritischen Mahnungen eines welterfahrenen Gelehrten den eigentlichen Inhalt ausmachten.64 Später wird es eine autonome, durchaus auch ethisch fundierte Literatur zum höfischen Leben geben, zu dem nun auch künstlerische und ästhetische Gesichtspunkte hinzutreten, kultiviert vor allem durch die abhängigen Cortegiani, die beispielsweise am Hof von Urbino, sozusagen als Renaissance-Lobbyisten, das Ohr des Fürsten suchten. Rudolf Schlögl sah hier noch den Hof beschrieben als „Gemeinschaft der adeligen Ratgeber des Fürsten“, dem man gefallen müsse (wie das heute vielleicht die Lobbyisten zu tun haben), während der Hof als „quasinatürlicher Ort der Herrschaft und des Politischen“ sich erst sehr langsam zu dem „Gravitationszentrum der Staatlichkeit“ entwickelt habe, von dem sich das adelige Landleben deutlich abhob.65 Ganz anders war die Selbstpropaganda bei gleichzeitiger Verwissenschaftlichung der genealogischen Überhöhung von Maximilian I. (1459–1519) fundiert. Dieser Kaiser – wie das Beate Kellner detailliert dargestellt hat66 – spannte auch das konkurrierende Deutungssystem der Wissenschaft ein, um eine legitimierende Familien-Genealogie zu verfertigen, darüber hinaus, während er sein Leben den Schreibern und Gelehrten erzählte, eigens auch einen Maler verpflichtend, der die Szenen gleich bildhaft einfangen sollte. Hier also handelt es sich um eine neue Umkehrung: Der Kaiser ist nicht nur schaffender Akteur, dem 62 Berges 1938, 6f. 63 Vgl. Jörg Jochen Berns, Herrscherlob und Herrscherkritik in habsburgischen Fürstenspiegeln zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Maximilian I. und Erasmus, in: Pierre Béhar/Herbert Schneider (edd.), Der Fürst und sein Volk, St. Ingbert 2004, 25–44, bes. 25–28. 64 Vgl. Erasmus von Rotterdam, Dialogus, Iulius exclusus e coelis. Institutio principis Christiani. Querela pacis, übers. v. Gertraud Christian, 2. Aufl., Darmstadt 1990 (lat. Originalaus. 1518). 65 Schlögl 2004, 189f. 66 Vgl. Beate Kellner, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004; Dies./Linda Webers, Genealogische Entwürfe am Hof Kaiser Maximilians I., in: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 37 (2007), 122– 149.

Herrscher als Typusfiguren der Verkörperung institutioneller Macht

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alle Gaben zugefallen sind, noch auch nur der unter dem Druck oft auch widerstreitender Normen stehende Erfüller seiner Pflichten (das alles auch), sondern weit darüber hinaus die Synthesefigur, durch welche (wie in den Wunderkammern) die Welt in seiner eigenen Person präsent und verfügbar wird – bis in die Innsbrucker Grablege hinein.

3.5

Fünftes Spannungsfeld: Gottesbezug versus Verstaatlichung

Zum einen zeigte Ernst H. Kantorowicz das mit dem Leib/Körper-Dualismus verbundene Eindringen der Staatlichkeit.67 Damit wird auch die „Lesbarkeit der Körper“ konstitutiv für die öffentliche Inszenierung der adeligen Herrschaft.68 Die dem Herrscher entgegengebrachten Huldigungen standen noch unter der Idee eines Königspriestertums. Der oberste Fürst erschien als Abbild des Weltenherrschers Christus, wobei wiederum die Könige des Alten Testamentes als Vorläufer des „königlichen Jesus“ fungierten, während die Fürsten des Mittelalters nur noch bloße Nachkommen Christi waren.69 Zur Heiligkeit, zumindest der französischen und englischen Könige, hat Marc Bloch insbesondere die bis in die Krönungszeremonie hinein rituell beschworene Fähigkeit der Herrscher beschrieben,70 durch Handauflegen von den Skrofeln befallene Menschen zu heilen. Diese seit dem 11. Jahrhundert auftretende und sich seit dem 13. Jahrhundert verfestigende Vorstellung des heilenden Königs hielt sich lange noch als rituelles Element, in Frankreich bis hin zu Karl X. in der kurzfristigen Restauration der nachrevolutionären Monarchie und in England bis zur Glorious Revolution und endgültig bis zur Thronbesteigung des Hannoveraner Kurfürsten Georg I. Die säkularisierte Variante verlangt bis heute von Staatsoberhäuptern und Spitzenpolitikerinnen und -politikern bei Katastrophen durch ihre Anwesenheit die Präsenz des Staates im Leiden zu symbolisieren, auch wenn sie wundertätig nicht mehr sind. 67 Vgl. Kantorowicz 1992, 502, wo er darauf hinweist, dass die Idee von den zwei Körpern des Königs schon im Altertum vorhanden gewesen sei, belegt etwa auch durch Königsbilder in Begräbnisstätten; vgl. zu der den Königinnen nicht zugestandenen gleichen doppelten Körperlichkeit: Regina Schulte, Der Körper der Königin. Konzeptionelle Annäherungen, in: Dies. (ed.), Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt, Frankfurt a. Main/New York 2002, 9–23. 68 Vgl. Horst Wenzel, Spiegelungen. Zur Kultur der Visualität im Mittelalter, Berlin 2009, 101; vgl. auch Herfried Münkler, Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, in: Gerhard Göhler (ed.), Macht der Öffentlichkeit – Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, 213–230. 69 Kantorowicz 1992, 66. 70 Vgl. Marc Bloch, Die wundertätigen Könige. Mit einem Vorwort von Jacques Le Goff, übers. v. Claudia Märtl, München 1998.

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Abb. 4: Pierre Firens: Représentation d’Henri IV. Henri IV est représenté touchant les écrouelles, exercant son pouvoir de thaumaturgie, en vue de légitimer sa souveraineté, Gravure, extraite de l’ouvrage d’André du Laurens, A. Laurentis de strumis earum causis et curae, Paris, 1609 (Detail).

Allerdings mag der Investiturstreit schon eine frühmittelalterliche Erschütterung der rex imago Dei-Lehre ausgelöst haben.71 Das weist in dieselbe Richtung wie der Topos einer Transzendierung der bloß profanen Leiblichkeit und einer Unterwerfung des triebhaft-fehlerhaften, krankheitsanfälligen und zum Tode bestimmten Körpers (dessen Kontinuität allerdings dynastisch garantiert ist) 72 und 71 Vgl. Berges 1938, 29 u. 34. 72 Kantorowicz 1992, 387f.

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der in den Dienst der Unsterblichkeit des Staates gezwungen wird. Dadurch werden alle natürlichen Zusammenhänge irrelevant, etwa jugendliche Unmündigkeit oder hohes Alter, denn der politische Körper „löscht diese Unvollkommenheiten“.73 Das wurde von William Shakespeare in ‚König Richard II.‘ zugespitzt, indem er den König (vielleicht auf eine Selbstbeschreibung Karl I. zurückgreifend) elender darstellte als dessen Untertanen: „Mit Größe zwiegeboren, / Dem Odem jedes Narren Untertan, / […] Was bist du für ein Gott, der mehr erleidet / Von ird’scher Not als deine Diener tun?“.74 Was in Differenz zu den ‚einfachen‘ Menschen erhöhend wirkt (auch Christus hatte auf Erden zwei Naturen), ist zugleich eine Unterwerfung des Königs unter die Staatsräson, eine Idee, die auf Ernst Cassierer zurückgeht, welcher die Königserhöhung mit dem „Mythos des Staates“ in Verbindung gebracht hatte und Vorformen im frühmittelalterlichen „christozentrischen“ Königtum fand, die sich parallel zur Konzeption des Gottesgnadentums entwickelt haben (auch Dante hat in ‚De Monarchia‘75 die kaiserliche Macht direkt von Gott hergeleitet und deshalb auch eine relative Unabhängigkeit von der Kirche postuliert).76 Bischöfe oder Könige wurden zunehmend durch die ihnen auferlegte Rollenvielfalt zur persona mixta.77 Gestützt gerade auch durch die Ansicht wichtiger englischer Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts78 kam es zu einer Verkehrung der Allmacht in Dienstbarkeit79 – bis hin zur Rolle eines „ersten Dieners des Staates“, wie Friedrich II. von Preußen das 1752 testamentarisch seinem Sohn weitergab,80 oder schon eines obersten Staatsfunktionärs, wie sie beispielsweise der österreichische Kaiser Franz Joseph zu übernehmen bereit war. Eine ähnliche, den Papst betreffende Konstruktion hat mit besonderer Hervorhebung einer „Theologie der Hinfälligkeit“ des päpstlichen, alternden und sterblichen Körpers Agostino Paravicini Bagliani geschildert, wobei die Parallele zu Kantorowicz’ ‚zwei Körpern des Königs‘ offenbar ist. In beiden Fällen ist der unsterbliche Körper jener der institutionellen Form, der Gemeinde, der Christenheit, des Kardinalskollegiums, das im Falle einer Sedisvakanz die Kontinuität 73 Ebd., 40. 74 Zit. nach ebd., 45. 75 Dante Alighieri, De monarchia, übers. v. Ruedi Imbach/Christoph Flüeler, Stuttgart 1998. 76 Der Hinweis auf Ernst Cassirer findet sich in: Kantorowicz 1992, 14. 77 Vgl. ebd., 63. 78 Vgl. ebd., 13. 79 Vgl. ebd., 272 zu Aeneas Silvio Piccolominis (Pius II.) Diskursen über die Pflicht des Königs, sein Leben für die patria zu opfern. 80 Vgl. das von Friedrich II. von Preußen (d. Gr.) 1752 für den Thronfolger bestimmte politische Testament, Friedrich II. von Preußen, Das Politische Testament von 1752, in: Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 7: Antimachiavelli und Testamente, übers. v. Eberhard König et al., Berlin 1913 (frz. Originalaus. Berlin 1847), 116–195., hier 155.

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des päpstlichen Amtes garantiert. Solche Amtsträger bedürfen immer wieder eines Memento mori.81 Wie ein sichtbar schwer getragenes Leiden eines Papstes ihn zu ‚heiligen‘ vermag, sah man an Johannes Paul II. Wer ihn bei einer der endlosen Messen auf der vatikanischen Piazza San Pietro gesehen hat, wie er kaum noch ins Mikrophon sprechen könnend, gleichsam am Kreuze hing, konnte wahrnehmen, wie ihm das eine, zuvor vielleicht nur in Polen gespürte, Dignität verlieh. Das zeigte sich auch in den vielen, vor allem jungen Menschen, die in den Vatikan gekommen waren, um seinem Sterben nahe zu sein, obwohl die Klinik doch einigermaßen entfernt war, deren Blutplasma des Heiligen Vaters inzwischen zur Reliquie des Heiliggesprochenen geworden ist. Aber der Raum des vatikanischen, von Papst Franziskus nicht angenommenen Palastes, von dem aus der Woytila-Papst so oft den Segen ‚Urbi et orbi‘ erteilt hatte, erlaubte die Illusion eines unmittelbareren Beistandes der Vielen. Hier vermischten sich die zunehmende Loslösung vom „unsterblichen Leib“ der Kirche als – wie Peter von Moos das genannt hat – „Paradoxon einer ‚Institution des Heiligen Geistes‘“82 und einer merkwürdig säkularen Verehrung für den bald in einem schlichten Sarg liegenden Menschen.

3.6

Sechstes Spannungsfeld: Gebäude als erweiterte Körper versus Palast als Gefängnis

Der Zusammenhang von Genealogie, Geschlecht und Gattungssystem als Symbolkonstruktionen im Herrschaftsdiskurs der frühen Neuzeit konnte auch die Aneignung von „Bauten, fremden Körpern und mythologischer Nacktheit“ einbeziehen und als Mittel der „Extension“ des fürstlichen Individuums erscheinen lassen. Etwa wurde die Legitimität einer immerwährenden Herrscherpräsenz durch einen symbolischen Handlungsraum garantiert, wie es das Castello Gonzaga di S. Giorgio (heute: Palazzo Ducale) in Mantua war, das als ‚ewiger Körper‘ des Fürsten fungierte. In seiner baukörperlichen Präsenz vergegenwärtigte es die virtù der Person ebenso wie der fürstlichen Familie, in dem deren transpersonale genealogische Anwesenheit dargestellt wurde. Das ist auch das Thema der dort von Andrea Mantegna von 1465–1474 ausgemalten Camera degli sposi, in der die fürstliche Familie von imperialen und symbolischen Emblemen 81 Vgl. Agostino Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit, München 1997. 82 Peter von Moos, Krise und Kritik der Institutionalität. Die mittelalterliche Kirche als „Anstalt“ und „Himmelreich auf Erden“, in: Gert Melville (ed.), Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, 293–340, hier 301–320.

Herrscher als Typusfiguren der Verkörperung institutioneller Macht

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und mythischen Heroen umrahmt wird.83 Unter den Bedingungen gesteigerter Repräsentation konnte auch die Emblematik blühen, die ornamentale Wiederholung der Herrschaftszeichen. Besonders auch Emporkömmlinge waren verführt, den räumlichen Rahmen ihrer Herrschaft mit Ihren Emblemen zu überziehen – wie Federigo da Montefeltre es mit seinem ‚FEDUX‘- Zeichen in seinem Castello in Urbino tat, oder Napoleon I., der ein ganzes Land, am liebsten einen ganzen Kontinent, mit dem seinen Namen repräsentierenden „N“ im Lorbeerkranz überzogen hätte. Es gibt aber auch Beispiele einer Verfeinerung der Omnipräsenz von Vergegenwärtigungszeichen des Fürstlichen und Herrschaftlichen, auch des Religiösen, bis hin zu esoterischen Andeutungen: von den Kreuzen in Amtsräumen bis zu den verborgenen, erst im architektonischen Grundriss sichtbar werdenden Kreuzformen als einer sogar noch magisch aufgeladenen Chiffre.

3.7

Siebtes Spannungsfeld: Höfisches Zeremoniell versus Informalisierung

Die herausgehobene europäische Zusammenfassung all dessen war die schließlich erstarrte Stilisierung des ‚absolutistischen‘ Hofes.84 Sie erzwang die hochgetriebene Rationalität einer öffentlichkeitsfixierten, höfischen Selbst- und Fremdbeobachtung, in welcher Beobachtungsschärfe überlebenswichtig war und Fehltritte „tödlich“ sein konnten.85 Diese entlarvungspsychologische ‚Moralistik‘ findet man etwa in den Memoiren des Herzogs von Saint-Simon (geschr. 1694– 1752), in den Maximen eines François VI. de La Rochefoucauld oder den „Charakteren“ des Jean de La Bruyère.86 Dort wurde die Bedeutung der Verkörperung des gelebten Adelsprinzips und der Hoheit der Fürsten ins Bewusstsein (nicht erst der Nachgeborenen, sondern schon der Zeitgenossen) ge83 Die Hinweise auf den Zusammenhang zwischen den symbolisch erhöhten Fürsten und ihrer räumlich-architektonisch-künstlerischen Repräsentation verdanke ich der Italianistin Barbara Marx, die dies im Juli 1998 in dem von ihr veranstalteten, unpubliziert gebliebenen Kolloquium ‚Machtdiskurs und Verkörperung in der Frühen Neuzeit‘ (im Rahmen des SFB 537 ‚Institutionalität und Geschichtlichkeit‘) dargestellt hat. 84 Vgl. z. B. Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft, Neuwied/Berlin 1969 (Originalaus.: Habil. „Der höfische Mensch“, geschr. 1930–33). 85 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, „Fehltritte“. Zeremoniell und interaktive Mikroverletzungen in historischer Vergleichsperspektive, in: Peter von Moos (ed.), Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne, Köln/Weimar/Wien 2001, 419–446. 86 Die Memoiren des Herzogs von Saint Simon (1694–1704). Vollständige Ausgabe in vier Bänden, ed. u. übers. v. Sigrid von Massenbach, Frankfurt a. Main/Berlin 1991; François de da Rochefoucauld, Maximen und Reflexionen, übers. v. Jürgen von Stackelberg, München 1987 (frz. Originalaus. 1665/frz. u. dt.), sowie Jean de La Bruyère, Die Charaktere oder die Sitten des Jahrhunderts, übers. v. Gerhard Hess, Wiesbaden 1947 (frz. Originalaus. Paris 1688).

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hoben. Repräsentative Öffentlichkeit produziert personale Idealisierungen, deren Nichterfüllung ein spezifisches Spannungsgefüge zwischen der Aura des Status und der jeweiligen Besonderheit seines Trägers ausmacht.87 In diesen Beobachtungen wurden die Übertreibungen und Missgriffe analysiert, wobei Intrige und das Fatum der Gnade oder Ungnade des Fürsten den Aktionsrahmen definierten. Auch die Hofbücher, welche von der „öffentlichen Person“ handeln, wie Baldassare Castigliones ‚Libro del Cortegiano‘ (1528), ist dafür ein berühmtes Beispiel, in dem identifizierbare, am Herzogshof von Urbino auftretende Menschen zu Normbildern der Tugend, des Anstandes und Taktes, der grandezza und Anmut gemacht wurden: Der Hofmann soll „vom Schicksal begünstigt“ sein und nicht allein von „Verstand und Schönheit“ und durch „Gestalt und Angesicht“, „auch [soll er] eine bestimmte Anmut“ haben und „wie man zu sagen pflegt, eine Art […], die ihn jedem, der ihn sieht, beim ersten Anblick angenehm und liebenswert macht, und daß dies eine Zierde sei, die alle seine Handlungen bestimmt und begleitet und ihn schon an der Stirn als den kennzeichnet, der des Umganges und der Huld jedes großen Herrn würdig ist“.88

Berges sieht dieses Bild des „glatten Hofmannes“ allerdings in vielen Fürstenspiegeln „gehässig verfolgt“ wenngleich auch die beiden Valois, Phillip VI. und Johann II. genau diesen Kodex zu verwirklichen suchten.89 Zur Repräsentation des Überindividuellen gehört auch die in die Natur zurückverlagerte Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit des Umganges, „die Sicherheit, Bequemlichkeit und Anmut ihres Betragens“, die noch Johann Wolfgang von Goethe, an sich selbst zweifelnd, den Adeligen zuschrieb.90 Die wahre 87 Schlögl 2004, 218 hat es dem „unbarmherzigen Scharfblick des Jesuiten Gracián“ zugeschrieben, erkannt zu haben, dass angesichts der Spirale von interaktiven Spannungszuständen „Höflichkeit die einzige Möglichkeit [blieb], diese Spannungen zu mildern“; in: Arnold Gehlen, Die Wirkungsmöglichkeit der Person im industriellen Zeitalter, in: Ders., Gesamtausgabe, Bd. 6: Die Seele im technischen Zeitalter und andere sozialpsychologische, soziologische und kulturanalytische Schriften, ed. Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. Main 2004 (Originalaus. 1966), 261–272Originalaus., hier 265, dort findet sich auch eine ähnliche Beschreibung der Funktion der Höflichkeit als „vorweggenommenes Einverständnis“, durch welches „brisante Probleme […] transportabel [werden], man kann ohne zu verletzen, die Beziehung auf dem erreichten Temperaturgrad stehen lassen“; es sei dies eine „politische Eigenschaft“. 88 Baldesar Castiglione, Das Buch vom Hofmann (Il. Libro del Cortegiano), übers. v. Fritz Baumgart, München 1986 (ital. Originalaus. Ferrara 1528), I, XIV, 36. 89 Vgl. Berges 1938, 65. 90 Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, ed. Erich Trunz, Bd. 7: Romane und Novellen II, 9–610, 12. Aufl., München 1989 (Originalaus. Berlin 1795/96), hier 290f.; Ders., Die Leiden des jungen Werther, in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, ed. Erich Trunz, Bd. 6: Romane und Novellen I, 7–124, 12. Aufl., München 1989 (Originalaus. Leipzig 1774), hier 67–69 sowie zur Ständegesellschaft: Ders., Dichtung und Wahrheit, in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, ed. Erich Trunz,

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Kunst des Zurschaustellens besteht immer darin, sie als kunstlos erscheinen zu lassen – das gilt für das Reiten und die Geschicklichkeit der Waffenführung nicht minder als für Tanz, Scherz und die Raffinesse des Gesprächs; ein Weltmann weiß seine Bildung zu verbergen. Girald von Wales warnte alle Herrscher vor „eitlen Possen und Nichtigkeiten“, denn „der Fürst, der auf so hoher Warte steht, soll daran denken, dass gleichsam alle Augen auf ihn gerichtet sind und deshalb den Mund im Zaume halten und auf seine Blicke, seine Bewegungen und Gesten so achten, dass er kein Auge unter den Tausenden beleidigt“.91 Auch Gilbert von Tournai gab in seinem (im Auftrag Ludwig des Heiligen geschriebenen) Fürstenspiegel (1259) zahlreiche asketische Ratschläge gegen „Jagdabenteuer, Vogelbeize und Würfelbecher“.92

3.8

Achtes Spannungsfeld: Öffentlichkeit versus Geheimnis

Fürsten stehen in besonderer Weise im Schnittpunkt des Geheimen, zumindest Verschlossenen auf der einen und dem öffentlichen Präsenzraum auf der anderen Seite. Ihnen müssen auch Transzendierungen des Alltags, etwa durch Feste, gelingen, welche zuweilen eine standes- und schichtenübergreifende Öffentlichkeit herstellen. Das galt wohl auch, zumindest fiktiv, für manche höfischen Feste Ludwig XIV. Der schrieb in den Instruktionen an den Dauphin: „Ich habe allen meinen Untertanen unterschiedslos die Freiheit gegeben, sich an mich zu wenden, jederzeit, sei es mündlich oder mit Bittschriften“; das sei – meinte Arnold Gehlen – „keine Phrase, sondern altüberlieferter Stil“: Schon im Jahre 1561 schrieb der venezianische Gesandte Suriano über den französischen Hof: „Leute des geringsten Standes dringen in das Geheimkabinett ein, um zuzusehen, was da vor sich geht, und wenn man eine wichtige Sache verhandeln will, muß man leise sprechen.“ Die Frauen aus den Markthallen in Paris hatten ein besonders verbrieftes Recht, jederzeit zugelassen zu werden. Und als der Dauphin im Februar 1745 die Infantin von Spanien heiratete, nahm die Volksmasse am Maskenball in Versailles teil. Man zirkulierte frei durch die Säle und Galerien. Das Volk saß auf allen Treppen.93

Mag sein, dass die normativen und symbolischen Ansprüche hier zu leichtfertig als Realitätsbeschreibung genommen wurden. Auch gibt es ja im Gegenzug (der Bd. 10: Autobiographische Schriften II, 7–187, 12. Aufl., München 1989 (Originalaus. Tübingen 1811–1814), hier 116–120. 91 Vgl. Berges 1938, 143–145. 92 Ebd., 152. 93 Vgl. Arnold Gehlen, Luxus und Gesellschaft, in: Ders., Gesamtausgabe, Bd. 6: Die Seele im technischen Zeitalter und andere sozialpsychologische, soziologische und kulturanalytische Schriften, ed. Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. Main 2004 (Originalaus. 1968), 529–541, hier 534.

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aber kein Gegenbeweis sein muss) die Berichte darüber, dass der „Sonnenkönig“ sich – zumindest während „der relativ ruhigen Jahre des Spanischen Erbfolgekrieges unter dem Einfluss der Mme de Maintenon“ – aus Versailles zunehmend zurückzog in einen engeren Familien- und Höflingskreis, dass er in den kleineren Schlossbauten der Umgebung einen neuen „privaten Bereich“ suchte und dadurch seine Verpflichtungen vernachlässigte, „die er sich selbst dem Adel gegenüber gestellt hatte, um diesen ohne reale Macht trotzdem als geschlossene, ihn repräsentierende Schicht an Versailles als der ‚Versorgungs- und Beherrschungsanstalt‘ zu halten“.94 Wie auch immer, entscheidend ist, dass die in der Öffentlichkeit zugemuteten oder selbstverständlich gewordenen Rang-Vermischungen und Kontaktzwänge als Gefährdungen der Exklusivität elitärer Gruppen in erhöhtem Maße Distinktionskraft freisetzen, somit auch eine Verfeinerung des festlichen Spiels der Unterscheidungen.95 Auch darin zeigt sich die Dialektik von Öffentlichkeit und der Abschirmung von Lebensräumen.

3.9

Neuntes Spannungsfeld: Personale Loyalität versus formale Treueverpflichtungen96

Blickt man auf die Begriffsentstehung von ‚Loyalität‘ zurück, erweist sich als ein guter Anhaltspunkt, dass es für Marc Bloch problemlos zu sein schien, in seinem Modell der „Feudalgesellschaft“ die verpflichtenden Beziehungen von Vasallen gegenüber dem König, wie sie beispielsweise in verschiedenen Huldigungsritualen zum Ausdruck kamen, als ein „weitmaschiges Netz der Loyalität“ zu beschreiben.97 Er hat die Transformationen von frühen, „ursprünglichen ‚Gesellschaften‘“ bis in die Epoche der Feudalität auch unter dem Gesichtspunkt gegenseitiger Verpflichtungsinstitutionalisierungen untersucht. 94 Anne Röver, Bienséance. Zur ästhetischen Situation im Ancien Régime, dargestellt an Beispielen der Pariser Privatarchitektur, Hildesheim/New York 1977, 44. 95 Vgl. Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, Zürich 1956 (Originalaus. Basel 1860), 5. Abschn.: Die Geselligkeit und die Feste, 179–213; Otto Cartellieri, Am Hofe der Herzöge von Burgund. Kulturhistorische Bilder, Basel 1926, 143–178; Volker Breidecker, Florenz oder „Die Rede, die zum Auge spricht“. Kunst, Fest und Macht im Ambiente der Stadt, München 1990; Richard Alewyn, Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung, München 1989 (Originalaus. Hamburg 1959 gemeinsam mit Karl Sälzle), sowie Roy Strong, Feste der Renaissance 1450–1650. Kunst als Instrument der Macht, Freiburg/Würzburg 1991. 96 Vgl. zu diesem Thema auch: Karl-Siegbert Rehberg, Reziprozität und institutionelle Risikoverminderung. Soziologische Anmerkungen zu „Loyalität“, in: Jörg Sonntag/Coralia Zermatten (edd.), Loyality in the Middle Ages. Ideal and Practise of a Cross-Social Value. Essays in Honour of Gert Melville, Turnhout 2015, 423–452. 97 Vgl. Marc Bloch, Die Feudalgesellschaft, Frankfurt a. Main et al. 1982, 196f.

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Somit erweist Loyalität sich als ein treffender Begriff für eine historisch-vergleichende institutionelle Analyse, weil er unterschiedliche Ausprägungen sozialer Ungleichheit und positionaler Abhängigkeit mit Bindungsformen und deren symbolischer Repräsentation in Beziehung bringt. Ganz grundsätzlich handelt es sich um intersubjektive Verklammerungen von (immer auch an ‚sich selbst‘ gerichteten) Erwartungen, deren historisch-kulturelles Fundament in einer ständischen und herrschaftlich durchgesetzten Ontologie substanzieller Ungleichheit, ja Unvergleichbarkeit der höheren Stände mit anderen Soziallagen lag. Daraus ergaben sich Reziprozitätsregeln als eine Art interaktiver „Gabentausch“ zwischen Ungleichen.98 Es entstand eine Balance zwischen der dramatisierenden Visibilität der Unvergleichlichkeit bei gleichzeitiger Relativierung. Auch der mächtigste Fürst steht zwar normativ unbestreitbar über den Vasallen und Dienstleuten, kann Loyalität fordern, muss dafür jedoch oft sogar den Lebensunterhalt, die Kleidung und Bewaffnung,99 jedenfalls Schutz und die Verleihung oder Garantie von Ehre in Aussicht stellen. Gerade deshalb kann und muss er auch zu einzelnen Gruppen oder Personen ein ‚freundschaftliches Band‘ knüpfen, ihnen gegenüber zuweilen sogar seine besondere ‚Liebe‘ beteuern, zumindest solche Gefühlsinhalte zur Darstellung bringen, wie etwa Jan-Dirk Müller es für die „nibelungische Gesellschaft“ ausdrückt, wenn „besondere Bündnisse […], genossenschaftliche Verpflichtungen […], Waffenbrüderschaft“ als vriuntschaft erscheinen.100 Daraus ergibt sich ein weiteres semantisches Feld des Einstehens füreinander und besonderer Treueverpflichtungen. Früh schon stellte sich dabei auch das Problem pluraler Loyalitätsbindungen, also der Legitimität konkurrierender feudaler Abhängigkeiten,101 und einer zu findenden Balance zwischen Ungleichheit und Gleichheitsansprüchen, etwa zwischen dem hohen Adel und der Königsfamilie. So mussten die burgundischen Herzöge eine Kompromissformel dafür finden, dass sie einerseits über eine souveräne Herrscherwürde verfügten und zugleich Lehensmänner der französischen Könige waren. Diese Ambivalenz führte zu einer symbolischen Steigerung der Ritualisierung, im Falle Burgunds, etwa durch die Stiftung des Ordens vom Goldenen Vließ102 oder dem Zeremonial-‚Marketing‘ prächtig ausgestatteter 98 Vgl. Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Vorwort v. Edward E. Evans-Pritchard, Frankfurt a. Main 1968; sowie Jan-Dirk Müller, Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, 154. 99 Vgl. Werner Rösener, Lehnswesen, in: Enzyklopädie des Mittelalters 1 (2008), 54–57, hier 55. 100 Vgl. Müller 1998, 154. 101 Vgl. zu Treuekonflikten auch: ebd., 159–163. 102 Vgl. Gert Melville, Rituelle Ostentation und pragmatische Inquisition. Zur Institutionalität des Ordens vom Goldenen Vließ, in: Heinz Duchhardt/Gert Melville (edd.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1997, 215–271.

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„Hofordnungen“103, die den eigentlich inakzeptablen Doppelstatus verdecken sollten.104 Ein Beispiel für „multiple loyalties“ findet sich in Steven Vanderputtens Beschreibung von Klöstern des 10. und 11. Jahrhunderts, in denen sich Konflikte zwischen der Gefolgschaft eines charismatischen Abtes und der Loyalität gegenüber dem Kloster als Institution und erst recht der Kirche zeigten.105 Aber es gab auch Spannungslinien zwischen den überregional verankerten und agierenden Ordensgemeinschaften auf der einen und lokalen oder regionalen Verpflichtungen auf der anderen Seite.106 Wenn man in Loyalitätsforderungen und -versprechungen eine Form der Stabilisierung sozialer Beziehungen sieht, so handelt es sich um eine Institutionalisierung gegenseitiger Erwartungen, die in regulierten Handlungen, Gesten und materiellen Zeichen symbolisch verdichtet wird.107 Dabei ist die Vorstellung einer ‚Familialität‘ der Herrschaft und einer an sie anschließenden, sie aber auch erweiternden Freundschaftssemantik von Bedeutung. Bereits Bloch beschrieb, dass es im System des europäischen Feudalismus, der keineswegs „völlig auf die Abkunft“ gegründet gewesen sei, sowohl die Bedeutung der Abstammungslinie als auch eine erwartbare, oft erzwungene Unterstützungsbereitschaft ferner stehender Personen oder Gruppen gegeben habe. Vielmehr hätten sich die feudalen Bindungen gerade daraus entwickelt, dass diejenigen „des Blutes nicht genügten“.108 So bildeten sich Formen einer ‚künstlichen Verwandtschaft‘ heraus, gerade weil das Feudalsystem „Ergebnis einer rücksichtslosen Auflösung älterer Gesellschaften“ gewesen sei.109 Das zeigt sich noch in der höfischen Gesellschaft: Tatsächlich bestimmten genealogische Herkunftsbeziehungen deren ständische Schichtung. Aber gerade dort bedurfte es auch der metaphorischen Ausdehnung von ‚Bluts‘-Beziehungen, etwa gehörten in der Renaissance privilegierte Dienstleute, oft z. B. die Künstler, zur fürstlichen familia.110 So war alles zwar 103 Vgl. Cartellieri 1926; Werner Paravicini/Holger Kruse (edd.), Die Hofordnungen der Herzöge von Burgund, Bd. 1: Herzog Philipp der Gute 1407–1467, Ostfildern 2005 sowie Werner Paravicini/Holger Kruse (edd.), Höfe und Hofordnungen 1200–1600. 5. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Sigmaringen 1999. 104 Vgl. Klaus Oschema, Der loyale Freund ist eine feste Burg, in: Sonntag/Zermatten 2015, 25–48 und Cartellieri 2005, 59–63. 105 Vgl. Gert Melville, Die Welt der mittelalterlichen Klöster, München 2012 und vgl. zu institutionellen Textsymbolen: Rehberg 2014b, bes. 224–226. 106 Vgl. Steven Vanderputten, Communities of Practice and Emotional Aspects of Loyalty in Tenth- and Eleventh-Century Monasticism, in: Sonntag/Zermatten 2015, 279–303. 107 Vgl. Schmitt 1992. 108 Bloch 1982, 526f. 109 Ebd. 110 Vgl. Martin Warnke, Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985, bes. 42–58.

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genealogisch und familial imprägniert, funktionierte jedoch gerade dadurch, dass über die lineage hinausgehendende stufenweise Verklammerungen von Führung und Unterordnung entwickelt wurden, die es erlaubten, einen engen Zusammenhalt auch in größeren Beziehungsgeflechten normativ zu verankern.111 Loyalität bezieht sich notwendig auf mögliche Krisen eines Vertrags- oder auch Vertrauensverhältnisses, kann geradezu als Mittel zukunftsbezogener Kontingenzbewältigung verstanden werden. Diese Bereitschaft, sich Anderen gegenüber zumindest nicht feindlich, wohl eher: schonend oder unterstützend zu verhalten, kann in allen Formen persönlicher und institutioneller Bindung zum Prüfstein werden. Allerdings kann Loyalität zum Äußersten, auch zum Bruch ausdrücklich geltender Normen, verpflichten. Und die Dramatik von Loyalitätsverpflichtungen kann bis ins Unauflösbare der Tragödie führen: Antigone. Mit Loyalität ist latent immer auch die Gefahr eines ‚blinden Gehorsams‘ verbunden, einer radikalen Gesinnungsloyalität, die sich besonders auf die Unverbrüchlichkeit des Eides beruft. In den entdramatisierten, wenngleich auch keineswegs konfliktfreien Alltagsbeziehungen, etwa in dem, was gerade mit Betonung des Anspruchs auf Gleichheit ‚Partnerschaft‘ heißt, kann – wie Niklas Luhmann nicht ohne Ironie beobachtete – die „Unkontrollierbarkeit der Erwartungen an Außenverhalten interne Bindungen auf Loyalität und auf Vertrauen in Loyalität“ reduzieren.112 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Loyalität durch eine „kalkulierte“113 Unbestimmtheit ihres ‚Beweises‘ in Krisensituationen mitbestimmt ist. Gerade wegen dieser Breite nicht spezifizierbarer Erwartungen an eine versprochene, vielleicht sogar beeidete oder auch nur unterstellte Gegenseitigkeit ist Arnold Gehlens Kategorie der „unbestimmten Verpflichtung“114 einschlägig, denn es kann in einer Situation loyales Verhalten in ganz unterschiedlichen Intensitätsgraden verlangt sein. Loyalität erweist sich gerade auch in der historischen Entwicklung dieses Konzeptes ursprünglich doch wesentlich als eine Unterstützungserwartung, die von unten nach oben geleistet wird, obgleich Gegenverpflichtungen existieren und eine Gleichheit der Beteiligten institutionell fingiert wird. Immer handelte es sich um ‚Ketten‘ der Unterwerfung oder – in einer Formulierung von R. H. Pear – um einen „devoted service“115, selbst wenn es sich nicht um eine ‚Selbstverknechtung‘ handelte, da die rechtliche und ständische Position unangetastet 111 112 113 114 115

Bloch 1982, 528. Luhmann 1984, 572f. Vgl. Müller 1998, 145–151. Vgl. Gehlen 2016, 156–162. R. H. Pear, Loyality, in: Julius Gould/William L. Kolb (edd.), A Dictionary of the Social Sciences, London 1964, 396f.

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blieb.116 In allen historischen Formen des Versprechens von Loyalität und seiner Einlösung bildet ein Machtgefälle den Hintergrund, kann sogar der Eid sozusagen auf Befehl gefordert sein. Solche Ambivalenzen und Spannungsbeziehungen sind für unterschiedlichste Herrschaftssysteme relevant, wenngleich die Formen der substanziellen Erwartungen und ihrer Durchsetzung durchaus variieren können.

3.10

Zehntes Spannungsfeld: Zentralisierung des Wissens versus Nichtwissen der Zentrale

Zur Wissensökonomie des Herrschers gehört auch die Kenntnis des von ihm dominierten Raumes, und doch lässt sich nicht übersehen, wie in jeder Machtposition die Realität abgefiltert und Unwissenheit mitproduziert wird. Wenn Arnold Gehlen angesichts der Macht technisch vermittelter Kommunikationssysteme für die Massendemokratie von einer allenfalls noch erreichbaren „Erfahrung zweiter Hand“ sprach,117 gilt das gesteigert für die Mächtigen. Der von Informationen abgeschnittene König, der sich inkognito aus dem Schloss stiehlt, um die Zustände in seinem Reich kennenzulernen, ist ja schon in die Märchen eingegangen und spielt in den Herrscherlegenden eine gewisse Rolle, weil das zugleich seine Volkstümlichkeit bezeichnet, ein sich Kümmern um die Probleme, die ihm verschwiegen blieben. Eine Konsequenz daraus kann die Immunisierung gegen Verantwortlichkeit sein, wenn nach 1945 etwa lange noch tradiert wurde, dass Adolf Hitler vom Ausmaß und den konkreten Schrecken der Judenvernichtung nichts gewusst hätte, als die dümmste Variante, fortgesponnen von Albert Speer, der auch nichts gewusst haben wollte davon, was in den KZs sich tatsächlich ereignete – wie konnten dann erst „die Deutschen“ etwas gewusst haben. Das zentrale Motiv der Herrscherentlastung von Schuld bleibt das Entscheidende.

116 Vgl. Rösener 2008, 55. 117 Vgl. Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, in: Ders., Gesamtausgabe, Bd. 6: Die Seele im technischen Zeitalter und andere sozialpsychologische, soziologische und kulturanalytische Schriften, ed. Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. Main 2004 (Originalaus. 1957), 1–137, hier 51–56.

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3.11

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Elftes Spannungsfeld: Anwesenheitskommunikation versus Abwesenheitskommunikation

Wenn Raumbegriffe und -metaphern (wie die Rede von einem ‚öffentlichen Raum‘, der Hinweis auf die Agora, besonders die Pnyx als Ort der Volksversammlung, den Thingplatz, den Marktplatz, die Hinrichtungsstätte etc.) gerade den Begriff einer ‚repräsentativen Öffentlichkeit‘ anschaulich machen sollen, so beziehen sich diese Bilder auf die raumgreifende Präsenz von symbolisch aufgeladenen Handlungen und Ordnungszeichen. Solche Verräumlichungen sind durchaus selbst Wandlungen unterworfen: Im Mittelalter strukturierte sich ‚Öffentlichkeit‘ um wechselnde Ereigniskerne und Orte, war die Beziehung zwischen dem ‚Zentrum‘ der Herrschaft, dem Feld ihrer Demonstration und aktuellen Legitimation selbst in hohem Maße mobil. Die Könige und das höfische Personal stellten den Raum der Herrschaftsausübung und -repräsentation in einer Dauerwanderung durch die von ihnen beanspruchten und unterworfenen Gebiete her. Schlachten, Fürsten-‚Besuche‘, Reichstage, Akklamationsveranstaltungen und Gerichtstage schufen Öffentlichkeiten, die schnell wieder zerfielen, die Gesamtidee einer Präsenz des Herrschers aber zu stabilisieren vermochten. Insofern betont Bernd Thum mit Hinweis auf Otto Brunner „Situativität und Präsenz“ als grundlegende Prinzipien eines politisch-rechtlichen Lebens, das „pluralistisch, polyzentrisch, dynamisch und situationsbezogen“ war.118 *** Meine Darstellungen zielen darauf, für die Arbeit des Sonderforschungsbereiches 1167 ‚Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen ins transkultureller Perspektive‘ eine institutionenanalytische transkulturelle Vergleichsperspektive beizutragen. Zweifellos verbleibt die hier entwickelte Skizze für eine geschichtswissenschaftliche Vergleichsheuristik in ihren Beispielen ganz an die europäische Geschichte und die mit ihr verknüpften Sichtweisen gebunden, während man sich in dem Bonner Sonderforschungsbereich vorgenommen hat, erstmals „vormoderne[] Konfigurationen von Macht und Herrschaft in Asien, Europa und dem nördlichen Afrika in transkultureller Perspektive [zu analysieren, um den] bislang ubiquitäre[n] Eurozentrismus bei der Beschäftigung mit

118 Vgl. Thum 1990, 69, der sich in Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas auf Otto Brunner (1970) bezieht, auf den auch Habermas seine Bestimmung von „repräsentativer Öffentlichkeit“ gestützt hätte; vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt/Neuwied 1962, 14f.

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Macht und Herrschaft“119 zu überwinden. Die von mir typologisch dargestellten Beispiele für institutionelle Spannungsgefüge sollen Vergleichsgesichtspunkte aufzeigen, mit Hilfe derer außereuropäische Herrschaftsformen auf vergleichbare Typen der Konfliktaustragungen und -balancen hin untersucht werden können.

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Abbildungsnachweise Abb. 1: Vatikanische Museen © bpk | Scala. Abb. 2: Vita Mathildis des Donizio. Mönch des Klosters Appolonius in Canossa, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. lat. 4922, fol. 49r © Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 3: Aus dem Katalog der Ausstellung ‚Hochrenaissance im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste 1503–1534‘ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland 1998/1999, Berlin/Stuttgart 1999, 73; Foto: Erwin Roth. Abb. 4: © Wikimedia Commons.

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Regem iura faciunt, non persona. Der westgotische Treueid im Kräftefeld personaler und transpersonaler Konzepte der Legitimität politischer Herrschaft*

Abstract Focusing on various political uses of promissory oaths, this article investigates the relationship between ‘personal’ and ‘institutional’ or ‘transpersonal’ visions of kingship in Visigothic Spain. Contrary to assumptions often held in German scholarship, which has traced a development from early medieval ‘personal’ kingship to high and late medieval ‘transpersonal’ concepts of rulership, it is argued here that the Visigothic monarchy of Toledo was characterized by a mixture of institutional and more personal elements as early as the seventh century. This becomes apparent in the practical arrangements for making the population of the Visigothic kingdom swear loyalty, but also in the characteristic oath formula that comprised a threefold fidelity towards the Gothic king on the one hand and the Gothic people and the Gothic country on the other, with the latter two being represented not by the king alone but also by the episcopate and by high-ranking members of the court. Moreover, as is demonstrated by the use of the oath in the policy of King Chindasvinth, who extended the Visigothic people’s obligation to obey his orders even beyond his own lifetime, a ‘personal’ restriction of the oath was desirable for several groups in the Visigothic kingdom. The Visigothic episcopate was again most important here: following the death of Chindasvinth, it paved the way – with risky argumentation – for dissolving the Visigothic people from its obligations to obey the dead king’s laws. The arguments put forward by the bishops when dealing with these issues display a sophisticated distinction between the office of kingship and the individual person of a given king, which eventually allowed them to depose an unjust king and compel him to do peaceful penance for the misdeeds he had committed while in office.

* Die Bonner Tagung gab mir Gelegenheit, erneut ein Thema aufzugreifen, das mich schon seit geraumer Zeit immer wieder einmal beschäftigt hat. Dafür bin ich den Veranstaltern sehr dankbar, zumal deren Fragestellung aus meiner Sicht ein wirkliches Forschungsdesiderat benennt. – Im nachfolgenden Beitrag wird eine Reihe zentraler Texte zur politischen Theologie des Westgotenreiches, die teilweise in einem anspruchsvollen, mitunter schwer verständlichen Latein verfasst sind, erstmals in deutscher Arbeitsübersetzung zugänglich gemacht. Für ihre sprachlichen Verbesserungsvorschläge zu einzelnen Übersetzungen möchte ich Michael Eber, Gerda Heydemann und Sebastian Scholz sehr herzlich danken. Für die in den gegebenen Übertragungen verbliebenen Fehler und Unklarheiten liegt die Verantwortung allein bei mir.

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War in früheren Zeiten das ‚Königtum‘ eher ein politisches Amt, eine soziale Rolle oder einfach das, was der jeweilige König tat? War das politische Gebilde, innerhalb dessen er agierte, nur ein Geflecht personaler Beziehungen zwischen ihm und seinen weiteren wichtigen Akteuren, oder ein Reich mit äußeren Grenzen und definierten Strukturen und Kompetenzen in seinem Inneren, oder gar ein ‚Staat‘, in dem sich der Anspruch auf die Ausübung legitimer Gewalt konzentrierte und die politische Partizipation weiterer Gruppen klar festgelegt war? Skalierungen dieser Art lassen erkennen, dass die Frage nach dem personalen bzw. transpersonalen Charakter politischer Herrschaft keineswegs nur mit Blick auf das ‚Königtum‘ als politische Organisationsform gestellt werden darf. Sie betrifft vielmehr auch den Institutionalisierungsgrad von Staatlichkeit und die Formalisierung politischer Mitwirkungsrechte weiterer Gruppen. Für ihre Beantwortung dürfte demnach wichtig sein, wie eine politische Ordnung in ihrem Inneren und als ganze legimitiert war. Wie bei jeder binären Codierung einer historischen Fragestellung stellt sich überdies auch bei der Anwendung des Begriffspaars personal / transpersonal auf politische Herrschaftsformen vergangener Gesellschaften die grundsätzliche Frage, wie das Verhältnis dieser beiden Aspekte zueinander überhaupt zu denken ist. Soll sich diese Unterscheidung auf zwei verschiedene Komponenten beziehen, die komplementär innerhalb eines funktionalen Ganzen wirken, oder auf antithetische Gegensätze, die miteinander unvereinbar sind und daher den jeweils anderen Part zurückzudrängen suchen, oder sind in beiden Gesichtspunkten eher Idealtypen zu sehen, die als heuristische Kategorien primär analytische Funktion haben?

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Personale und transpersonale Elemente frühmittelalterlicher Monarchien

Derartige Ausgangsüberlegungen sind keineswegs banal, ist es doch eine zuerst von Verfassungshistorikern formulierte und seither breit rezipierte Ansicht, die politischen Ordnungen des Mittelalters, vor allem des ‚deutschen‘ Mittelalters, wären erst im Laufe einiger Jahrhunderte zu transpersonalen Vorstellungen vom Gemeinwesen durchgedrungen.1 Nach meiner Einschätzung gibt es kaum eine 1 Helmut Beumann, Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellungen, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Mainau-Vorträge 1954 (Vorträge und Forschungen 3), Sigmaringen 1956, 185–224. – Vielberufener Kronzeuge für diese Annahme ist der salierzeitliche Geschichtsschreiber Wipo, der König Konrad II. (Gesta Chuonradi II., c. 7, vgl. ebd., c. 12) in einer Rede die Metapher vom Staatsschiff zitieren lässt, welches auch nach dem Tod seines Steuermanns Bestand habe. Konrad reagierte damit, wie der Leser erfährt, darauf, dass die Einwohner der Stadt Pavia die dortige Königspfalz nach dem Tod Heinrichs II.

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These, die in der deutschen Forschung zur mittelalterlichen Staatlichkeit revisionsbedürftiger erscheint. Denn trotz mannigfacher Differenzierungen, über die gleich zu sprechen ist, blieb die tieferliegende methodische Problematik solcher Einschätzungen weitgehend unreflektiert. Zu schwer fiel es der Forschung, sich von drei liebgewonnenen Leitideen zu verabschieden – nämlich einmal von der teleologischen Ausgangsüberlegung, die Entwicklung der Staatlichkeit folge im Mittelalter einer Tendenz zu immer mehr Transpersonalität und Institutionalität. Zum zweiten von der damit verbundenen Einschätzung, dass in der Entwicklung von der – für ausgesprochen transpersonal gehaltenen – spätantiken politischen Ordnung zu denjenigen des frühen Mittelalters ein außerordentlich scharfer Bruch stattgefunden haben müsse, der zum Verlust nahezu des gesamten institutionellen Substrates frühmittelalterlicher Staatlichkeit geführt habe. Und schließlich drittens von der grundsätzlichen Annahme, man könne ausgehend von dem als gegensätzlich verstandenen Begriffspaar personal / transpersonal überhaupt eine allgemeine Entwicklung beschreiben. Die Fragwürdigkeit von Konzepten wie demjenigen des mittelalterlichen ‚Personenverbandsstaates‘2 liegt vor allem darin, dass ihnen ein Entwicklungsmodell zugrundeliegt, das mehr oder weniger zielgerichtet von der Person zur Institution, vom Beziehungsgeflecht zum erfassten Raum und von Personenbindungen zum ‚Staat‘ geführt habe. Es bedurfte (und bedarf weiterhin) einer Vielzahl von differenzierenden Studien, um solchen Verlaufs- bzw. Entwicklungsmodellen die Grundlage zu entziehen. Nur einige Aspekte seien an dieser Stelle genannt. Vollends ist man inzwischen von der Vorstellung abgerückt, nach dem Kollaps des weströmischen Reiches hätten in den frühmittelalterlichen regna archaische germanische Traditionen Einzug gehalten. Zahlreiche Einzelstudien haben den Blick auf die Reiche selbst, ihre provinzialrömischen Vorprägungen und auf das dort anzutreffende partielle oder sektorale Fortleben antiker Traditionen von Staatlichkeit gelenkt, womit die Frage nach der Transformation antiker Staatlichkeit in den frühmittelalterlichen Reichen in den zerstört und, dafür zur Rede gestellt, das spitzfindige Argument bemüht hatten, sie hätten die Königspfalz nicht zerstört, weil es zu diesem Zeitpunkt keinen König gegeben habe. An diesem Bericht wird man viele Sonderbarkeiten finden, etwa die Besonderheiten der Herrschaftsübernahme Konrads II. im regnum Italiae, den Dynastiewechsel u. a. m., aber er eignet sich m. E. kaum dafür, weitergehende Aussagen zur Transpersonalität von König bzw. Reich zu fundieren. Aus historiographischen Quellen und erfundenen Reden (welche zudem Kenntnis antiker Texte offenbaren) objektive Kriterien für die Entwicklung von Staatlichkeit abzuleiten, führte aus meiner Sicht zu weit. Darf man darum etwa annehmen, ein König hätte sich das Vorgehen der Paveser 500 Jahre vorher gefallen lassen, weil es damals rechtens gewesen wäre? Vgl. auch die Diskussion von Thomas Zotz, In den Mauern, vor den Mauern: Der Sitz des Herrn, in: Stadt- und Landmauern, Bd. 3: Abgrenzungen, Ausgrenzungen in der Stadt und um die Stadt, Zürich 1999, 63–71, hier 63–65. 2 Zur Diskussion vgl. Walter Pohl, Personenverbandsstaat, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 22 (2. Aufl. 2003), 614–618.

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Fokus rückte.3 Niemand würde und sollte heute mehr die Geschichte frühmittelalterlicher Staatlichkeit so erzählen, dass am Anfang ‚die Germanen‘ oder ein bestimmtes germanisches Volk gestanden habe. Vielmehr bestimmen der jeweilige provinzialrömische Kontext und dessen Veränderung und Transformation durch die Neuankämmlinge heute die Perspektive auf die Entwicklung zum ‚Mittelalter‘. Es gab insofern keine ‚Stunde null‘ und daher auch keine ‚anfänglich rein personale‘ Herrschaft des Königtums. Ebenso war die Konsolidierung der verschiedenen Reiche, ihre Verfestigung zu beständigen, die Herrschaft einzelner Könige überdauernden Gebilden ein komplexer Prozess, der ohne sein provinzialrömisches Substrat völlig unverständlich bleiben muss. Damit soll keineswegs einer bruchlosen Kontinuität vom spätrömischen Staat zu den politischen Ordnungen des Frühmittelalters das Wort geredet werden. Im Gegenteil, nicht erst die in unserer Gegenwart erfahrbaren ‚Privatisierungen‘ staatlicher Aufgaben und das Outsourcing öffentlicher Funktionen sollten den Blick dafür schärfen, dass es in der Geschichte auch zu einem kontrollierten Rückbau von Staatlichkeit kommen kann. Dies gilt auch für den Übergang von der antiken zur mittelalterlichen Staatlichkeit.4 Dieser äußerte sich auch in einer gewissen ‚Personalisierung‘, sichtbar etwa darin, dass wir neben dem in der Antike für das Gemeinwohl verwendeten Ausdruck utilitas publica seit dem 6. Jahrhundert vermehrt die Wendung utilitas regis antreffen, die darauf verweist, dass man in den frühmittelalterlichen Reichen die ‚öffentliche Sphäre‘ nun stärker in der Person, Rolle und Funktion des Herrschers zentriert sah, als dies in der römischen Antike mit seinen bis in die Zeit der Republik zurückreichenden Staatlichkeitstraditionen jemals denkbar gewesen wäre.5 Einen anderen Ausdruck desselben Sachverhalts darf man in der Tatsache erblicken, dass sich zahlreiche Bedeutungsebenen des spätantiken Majestätsverbrechens, das zu den crimina publica gehörte und Angriffe gegen römischen Staat, Kaiser oder Senat bzw. gegen den römischen populus und die Staatsreligion umfasste, in der frühmittelalterlichen Infidelität aufgesogen finden.6 Derartige Delikte wurden 3 Vgl. etwa Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (edd.), Staat im frühen Mittelalter (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11), Wien 2006; Walter Pohl/Veronika Wieser (edd.), Der frühmittelalterliche Staat – Europäische Perspektiven (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009. 4 Stefan Esders, Governanceforschung und historische Mediävistik: Neue Perspektiven auf die Genese mittelalterlicher Regierungsweise und Staatlichkeit, in: Ders./Gunnar Folke Schuppert (edd.), Mittelalterliches Regieren in der Moderne oder Modernes Regieren im Mittelalter? (Schriften zur Governance-Forschung 27), Baden-Baden 2015, 147–261. 5 Stefan Esders, Rechtliche Grundlagen frühmittelalterlicher Staatlichkeit: Der allgemeine Treueid, in: Pohl/Wieser 2009, 423–432, hier 426. 6 Zur Adaption der spätrömischen Hochverratsgesetzgebung in der westgotischen infidelitas vgl. Eugen Ewig, Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter, in: Ders., Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952–1973), Bd. 1, Zürich et al. 1976 (Orig.

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nun vor allem als gegen die Person des Königs gerichtet verstanden, dem man einen Treueid geschworen hatte und der gleichsam zur Projektionsfläche, ja zur Verkörperung der ‚öffentlichen Ordnung‘ wurde.7 Aber heißt das deswegen, dass die genannten Delikte allein bezogen auf die Person des jeweilig regierenden Herrschers formuliert worden wären? Doch wohl kaum. Wenn das Königtum nicht ohnehin als ‚Amt‘ zu verstehen ist, so ist doch allemal eine ‚soziale Rolle‘, worin zweifelsohne eine Verallgemeinerung liegt, die über das Individuum des regierenden Herrschers hinausging, diesen seitens der Gesellschaft oder gesellschaftlicher Gruppen vielmehr mit zahlreichen ‚Rollenerwartungen‘ konfrontierte. Ausgerechnet der dem römischen Theaterwesen entlehnte lateinische Begriff persona lässt dieses Paradoxon erkennen.8 Aus diesem Grund wäre es ein Irrtum, überall dort, wo von der Person des Herrschers die Rede ist, auf das Fehlen transpersonaler Komponenten schließen zu wollen. Selbstverständlich ist eine ‚soziale Rolle‘ etwas anderes als ein ‚Amt‘ oder eine öffentliche Funktion,9 doch werden die Grenzen umso fließender, je mehr man sich von der Applikation eines strengen Begriffs von ‚Verfassung‘ auf die frühmittelalterlichen Verhältnisse abwendet. Wenn Quellen, denen ein expliziter normativer Generalisierungsanspruch zu eigen ist – also Erlasse, Konzilsakten usw. – vom König oder von der königlichen Person sprechen, war damit in den allermeisten Fällen eine Verallgemeinerung angesprochen, die den Herrscher als Träger öffentlicher Funktionen und damit als Sinnbild dessen verstand, was man für ‚öffentlich‘ hielt.10 Aus diesem Grund bedeutete der beobachtete Übergang von der spätantiken laesa maiestas des römischen Staates, Volkes und seines Kaisers zur infidelitas gegenüber dem nachrömischen König zweifellos eine stärkere Personalisierung dessen, was man sich unter ‚Politik‘ und ‚Öffentlichkeit‘ vorstellte, aber sie darf aufgrund des Festgestellten nicht mit einer ‚Entinstitutionalisierung‘ oder gar einem ‚Rückfall in reine Personalität‘ gleichgesetzt werden. Etwas ähnliches fasst

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1956), 3–71, hier 32f.: „In die Bestimmungen über Aufruhr und Verrat sind sämtliche Fälle des Kaiserrechts der laesa maiestas einbezogen, aber als infidelitas begriffen worden.“ Stefan Esders, Treueidleistung und Rechtsveränderung im frühen Mittelalter, in: Ders./ Christine Reinle (edd.), Rechtsveränderung im politischen und sozialen Kontext mittelalterlicher Rechtsvielfalt (Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung 5), Münster et al. 2005, 25–62, hier 32–37. Vgl. Manfred Fuhrmann, Persona, ein römischer Rollenbegriff, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (edd.), Identität (Poetik und Hermeneutik 8), München 1979, 83–106; Arno Borst, Findung und Spaltung der öffentlichen Persönlichkeit (6. bis 13. Jahrhundert), in: ebd., 620–641. Thomas Zotz, In Amt und Würden. Zur Eigenart ‚offizieller‘ Positionen im früheren Mittelalter, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 22 (1993), 1–23. Vgl. Albrecht Koschorke/Thomas Frank/Ethel Mathala de Mazza/Susanne Lüdemann, Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt a. Main 2007.

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man nämlich dort, wo im Übergang von der Antike zum Mittelalter aus aerarium publicum und fiscus publicus der römischen Zeit der fränkische fiscus regis geworden ist, der in offiziellen königlichen Dokumenten daher gerne auch als fiscus noster bezeichnet wurde.11 Bereits der Begriff fiscus, das später sogenannte „Reichsgut“, verweist auf ein aus der Antike stammendes institutionelles Substrat frühmittelalterlicher Königsherrschaft, das prinzipiell selbstverständlich transpersonal gedacht war und beim Herrscherwechsel fortbestehen sollte.12 Damit entstanden, wie schon in spätrömischer Zeit, Spannungen, wie ‚öffentlich‘ und wie persönlich verfügbar fiskalische Güter für den Herrscher waren, in welchem Verhältnis sich dazu das dynastische ‚Hausgut‘ befand und wer den Monarchen in der Verfügung über das ‚Krongut‘ gegebenenfalls kontrollieren und beschränken konnte.13 Pauschal zu behaupten, Trennungen dieser Art hätten im Frühmittelalter ‚noch nicht‘ existiert, unterschätzen die bereits im 6. und 7. Jahrhundert bezeugten diesbezüglichen Konflikte.14 Den tieferen Grund für die beschriebenen begrifflichen Verschiebungen von fiscus publicus zu fiscus regis usw. wird man vielmehr darin erblicken dürfen, dass das Königtum die zentrale Größe war, über welche im Übergang von der Antike zum Mittelalter die Herauslösung der neuen Reiche aus dem Bezugsrahmen des römischen Imperium erfolgt war, was in den betreffenden Provinzialgebieten einherging mit der Sukzession der neuen Könige in die Herrschaftsrechte des römischen Staates und 11 Vgl. Thomas Zotz, Beobachtungen zur königlichen Grundherrschaft entlang und östlich des Rheins vornehmlich im 9. Jahrhundert, in: Werner Rösener (ed.), Strukturen der Grundherrschaft im frühen Mittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 92), Göttingen 1989, 74–125, hier 80–85. 12 Vgl. für die spätrömische Zeit Herbert Nesselhauf, Patrimonium und res privata des römischen Kaisers, in: Historia-Augusta-Colloquium Bonn 1963 (Antiquitas 4/2), Bonn 1964, 73–93, hier 80f.: „Das persönliche Regiment des Prinzipats hatte sich in das Kaisertum verwandelt, und eines der Symptome dieser Entpersönlichung und Versachlichung war die Transformation des patrimonium in Krongut. […] Die Umwandlung des patrimonium aus Privatvermögen des jeweiligen Princeps in Krongut bedeutete in zweierlei Hinsicht mehr als nur die Änderung eines Etiketts einer sich gleichbleibenden Ware. Einerseits verfestigte sich der Prinzipat als Institution, indem er eine ökonomische Grundlage erhielt, die seinen zunächst prekären Weiterbestand zu ihrem Teil untermauerte. Im Hinblick darauf wurde die Kaiserkreierung der Sache nach zu einer Investitur in das patrimonium. Dieser Prozeß, der sich mit einer gewissen Automatik vollzog, trug nicht wenig zu dem unaufhaltsamen Abbau der rudimentären republikanischen Elemente des Prinzipats und damit zur Entmachtung des Senats bei. Auf der anderen Seite entzog die Verselbständigung des patrimonium als Krongut der dynastischen Erbfolge und leidigen Familienherrschaft eine ihrer Stützen und schuf eine der Voraussetzungen für ein echtes Wahlkaisertum.“ 13 Letztlich gründet in ihrer Kontrolle über das Fiskalgut beispielsweise auch der Aufstieg der karolingischen Hausmeier. Vgl. dazu Stefan Esders, Römische Rechtstradition und merowingisches Königtum. Zum rechtscharakter politischer Herrschaft in Burgund im 6. und 7. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 134), Göttingen 1997, 438f. 14 Für das Frankenreich vgl. Esders 1997, 441–443; für das Westgotenreich siehe unten passim.

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seines Kaisers: Wie, wenn nicht als Substrat des Königtums, hätte man diese Neuverortung antiker Staatlichkeitselemente verstehen sollen? Aber das bedeutete nun keine vollständige Personalisierung oder Fixierung auf die Person des einzelnen Königs. Dieser war zwar als Individuum wichtig, wie wir noch sehen werden, aber die Entfaltung seiner Herrschaft implizierte viele transpersonal wirksame Elemente. Das bisher Festgestellte gilt im Übrigen in noch weitaus höherem Maße für das frühmittelalterliche Kirchengut, welches in erheblichem Umfang aus königlichen Fiskalgutschenkungen stammte, die dauerhaft bei der jeweiligen kirchlichen Institution verblieben und der dauerhaften religiösen Kommemorierung der Familie des Schenkenden, seiner Vorfahren und seiner Nachkommen dienten. Gerade wenn man, wie Mayke De Jong und Steffen Patzold dies getan haben, die ecclesia nicht nur als Bestandteil, sondern als begriffliches Gefäß frühmittelalterlicher Staatlichkeit betrachtet,15 wird man im Kirchengut trotz aller Personalwechsel eine wichtige transpersonale Grundlage bereits der frühmittelalterlichen Königsherrschaft zu sehen haben.16 Überdies galt das Kirchengut, was im vorliegenden Zusammenhang von erheblicher Bedeutung ist, als unveräußerlich,17 überstand also in transpersonaler Qualität jeden Herrschaftswechsel und durfte aufgrund seiner personenunabhängigen Unveräußerlichkeit lediglich befristet und personengebunden verliehen werden; selbst wenn de facto derartige Leiheverhältnisse immer wieder erneuert wurden, hielt man auf diese Weise am Grundsatz der Inalienabilität fest.18 Was das Fiskalgut anbetrifft, so ist zu bemerken, dass bei jedem Regierungswechsel in großer Zahl herrscherliche Privilegien erneuert wurden: Dies hatte nichts mit einem rein personalen Herrschafts- und Rechtsverständnis des Königtums zu tun,19 sondern 15 Mayke De Jong, Sacrum palatium et ecclesia. L’autorité religieuse royale sous les Carolingiens (790–840), in: Annales. Histoire, sciences sociales 58/6 (2003), 1243–1269; Dies., Ecclesia and the early medieval polity, in: Airlie/Pohl/Reimitz 2006, 113–132; Dies., The State of the Church. Ecclesia and early medieval state formation, in: Pohl/Wieser 2009, 241–254; Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts (Mittelalter-Forschungen 25), Ostfildern 2008. 16 Vgl. auch Paul Millotat, Transpersonale Staatsvorstellungen in den Beziehungen zwischen Kirchen und Königtum der ausgehenden Salierzeit (Historische Forschungen 26), Rheinfelden 1989. 17 Stefan Esders/Steffen Patzold, From Justinian to Louis the Pious. Inalienability of church property and the sovereignty of a ruler in the ninth century, in: Rob Meens et al. (edd.), Religious Franks. Religion and Power in the Frankish kingdoms. Studies in honour of Mayke De Jong, Manchester 2016, 371–392, hier 373–380. 18 Auf diese Weise konnte es als Ausgangspunkt mittelalterlicher Souveränitätstheorien dienen. Vgl. Ernst Hartwig Kantorowicz, Inalienability. A Note on Canonical Practice and the English Coronation Oath in the Thirteenth Century, in: Speculum 29 (1954), 488–502; Peter Riesenberg, Inalienability of Sovereignty in Medieval Political Thought, New York 1956. 19 Hermann Krause, Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 82 (1965), 1–98.

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wurzelte schlicht in der (schuld-)rechtlichen Konstruktion solcher Gewährungen als „Zession“ (cessio), die eine Erneuerung beim Tod des Zedenten notwendig machte – transpersonale Gültigkeit war hier aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich, obwohl sie faktisch gegeben war.20 Situationen des Thronwechsels mit der anschließenden Erneuerung von Privilegien stellen daher gewissermaßen den Lakmustext transpersonaler Herrschaft dar.21 Gerade das letzte Beispiel der Privilegienerneuerung macht deutlich, dass die personale Konstruktion von Beziehungen häufig ein transpersonales Denken bereits voraussetzte. Es geht also um das Nebeneinanderbestehen und das Ineinandergreifen personaler und transpersonaler Elemente. Aufschlussreich ist hierfür im Frankenreich die Regierungszeit Ludwigs des Frommen, für die gezeigt wurde, dass sowohl transpersonale Konzeptionen von Königtum als auch Bemühungen um die begriffliche Trennung von König und Reich eine wichtige Rolle spielten.22 Dem Karlssohn und seinem Hof sind zahlreiche Kapitularien zu verdanken, die, soweit es sich um Mandate für den Einzelfall oder missatische Instruktionen exektutorischer Art handelt, eher ad hoc bestimmt waren, während ein großer Teil weiterer Texte durchaus mit dauerndem Geltungsanspruch verfügt wurde, d. h. über die Regierungszeit des Herrschers hinaus – so etwa im Bereich der Leges-Reform, für die der Konsens mit maßgeblichen Herrschaftsträgern unverzichtbar schien.23 Auf der anderen Seite demonstriert gerade Ludwig der Fromme mit seiner Buße die Bedeutung des personalen Elements frühmittelalterlicher Königsherrschaft, den ganz spezifischen Regierungsstil und das individuelle religiöse Selbstverständnis dieses Herrschers. An ihm wird jedoch auch deutlich, welche Rolle ihm Theologen zuschrieben und wie sie damit letztlich einen transpersonal legitimierten Anspruch an ihn herantrugen. Die zur 20 Vgl. dazu Stefan Esders, Die Integration der Barbaren im Lichte der römischrechtlichen Abtretung (cessio) fiskalischer Forderungen. Ein Beitrag zur Entstehung des nachrömischen Privilegienzeitalters, in: Pierfrancesco Porena/Yann Rivière (edd.), Expropriations et confiscations dans L’Empire tardif et les royaumes barbares. Une approche régionale (Collection de l’École francaise de Rome 470), Rom 2012, 29–47. 21 Vgl. dazu Matthias Becher (ed.), Die mittelalterliche Thronfolge im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen 84), Ostfildern 2017. 22 Vgl. Egon Boshof, Einheitsidee und Teilungsprinzip unter Ludwig dem Frommen, in: Peter Godman/Roger Collins (edd.), Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the reign of Louis the Pious (814–840), Oxford 1990, 161–189, hier 178f.; Hans-Werner Goetz, Regnum: Zum politischen Denken der Karolingerzeit, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 104 (1987), 110–189; Ders., „Herrschaft“ in der karolingischen Welt. Erwartungen und Verwirklichung, Repräsentation und Symbolik, in: Territorio, Sociedad y Poder 2 (2009), 159–180, hier 174. Sören Kaschke, Zur Trennung von Reich und Herrscher in der Vorstellungswelt des 9. Jahrhunderts, in: Pohl/Wieser 2009, 451–469, hier 468f. 23 Vgl. Steffen Patzold, Die Veränderung frühmittelalterlichen Rechts im Spiegel der „Leges“Reformen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, in: Esders/Reinle 2005, 63–99.

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Zeit Ludwigs verfassten Fürstenspiegel bauten einen Erwartungshorizont auf, der sich zu erheblichen Teilen, aber nicht ausschießlich aus religiösen Maßstäben speiste; sie enthalten transpersonale Reflexionen über das Königtum und können insofern nicht einfach als realitätsferne Theorie einiger Kirchenmänner abgetan werden. Auf biblische Aussagen gestützte Vorstellungen, Werte und Normen, welche die Leitbilder des guten Herrschers fundieren und eine Grundlage für die gute Ausübung von Herrschaft darstellen, waren nicht nur auf die Person des Königs, sondern auf dessen Rolle, Funktion und das Amt hin entworfen und insofern ‚transpersonal‘ konstruiert, obwohl sie sich häufig konkret an die Person eines bestimmten Monarchen wandten. In diesen Texten, nicht selten an einzelne Herrscherpersönlichkeiten adressiert, manifestiert sich ebenso wie in Insignien und Ritualen24 ein religiöser Diskurs über transpersonale Herrschaft.25 Die Relatio Compendiensis von 833 zeigt, wie dem Herrscher sein Amt und seine Legitimität zu regieren entzogen werden konnten, falls er dem an ihn gerichteten bzw. von ihm selbst erhobenen Anspruch nicht gerecht wurde.26 Ein charakteristischer Aspekt, der von Verfechtern des personalen Charakters frühmittelalterlicher Königsherrschaft zumeist übersehen worden ist, besteht darin, dass im westlichen Mittelalter für illegitim oder ‚ablösenswert‘ gehaltene Herrscher häufiger in einem förmlichen Rechtsverfahren abgesetzt als ermordet wurden.27 Das setzt voraus, dass es dauerhaft gültige rechtliche Maßstäbe gegeben haben muss, deren Nichterfüllung oder Missachtung es bestimmten Akteuren oder Institutionen erlaubte, dem Herrscher sein im Auftrag Gottes aus24 Vgl. bereits Laetitia Böhm, Die Krone, Herrschaftszeichen monarchischer Gewalt, als Wegbereiterin transpersonalen Staatsdenkens: Bericht über ein vergriffenes Buch, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas N. F. 17 (1969), 86–92; Janet L. Nelson, National Synods, Kingship as Office, and Royal Anointing. An Early Medieval Syndrome, in: Geoffrey J. Cuming/Derek Baker (edd.), Councils and Assemblies (Studies in Church History 7), Cambridge 1971, 41– 59. 25 Vgl. Mayke De Jong, Admonitio and Criticism of the Ruler at the Court of Louis the Pious, in: François Bougard/Régine Le Jan/Rosamond McKitterick (edd.), La culture du haut moyen âge, une question des élites? (Collection haut moyen âge 7), Turnhout 2009, 315–338; Monika Suchan, Der gute Hirte. Religion, Macht und Herrschaft in der Politik der Karolinger- und Ottonenzeit, in: Frühmittelalterliche Studien 43 (2009), 95–112; Dies., Mahnen und Regieren. Die Metapher des Hirten im früheren Mittelalter (Millennium-Studien 56), Berlin et al. 2015. 26 Vgl. Courtney Booker, The Public Penance of Louis the Pious. A New Edition of the Episcoporum de poenitentia, quam Hludowicus imperator professus est, relation Compendiensis (833), in: Viator 39 (2008), 1–20; Mayke De Jong, The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, Cambridge 2009, 234–241. 27 Vgl. etwa Konrad Bund, Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter, Bonn 1979; Frank Rexroth, Tyrannen und Taugenichtse. Beobachtungen zur Ritualität europäischer Königsabsetzungen im Spätmittelalter, in: Historische Zeitschrift 278 (2004), 27–54; Ernst Schubert, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung, Göttingen 2005.

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geübtes Amt wieder zu nehmen. Kann es einen deutlicheren Beleg für die transpersonale Einfassung der von ihm persönlich ausgeübten Herrschaft geben? In der mittelalterlichen Geschichte hat es, so möchte ich daher die provokante Gegenthese formulieren, zu fast jeder Zeit und in nahezu jeder Form von monarchisch verfasster Staatlichkeit zeitgleich sowohl personale als auch transpersonale Elemente gegeben. So betrachtet liegt also der Annahme, Königtum und Reich seien im Frühmittelalter weder transpersonal konstruiert noch so verstanden worden, ein einziges großes Missverständnis zugrunde. Man sollte sich davon ebenso verabschieden wie man dies bereits vom Konstrukt des (aristokratischen) ‚Personenverbandsstaates‘ getan hat.28 Stattdessen sollte es künftiger Forschung darum gehen, Entwicklungsmodelle zu vermeiden und das Zusammenspiel unterschiedlichster personaler und transpersonaler Elemente und die darin enthaltenen Möglichkeiten und Gefährdungen möglichst genau zu erfassen.

2.

Das Westgotenreich

Das Westgotenreich, das im 7. Jahrhundert die iberische Halbinsel und Teile Südgalliens umfasste, stellt für dieses Neben- und Miteinander personaler und transpersonaler Elemente in den frühmittelalterlichen Königreichen ein einzigartig aussagekräftiges Untersuchungsobjekt dar,29 und dies aus gleich vier Gründen: Einmal gilt es von allen ‚Germanenreichen‘ auf dem Boden des ehemaligen weströmischen Reiches als dasjenige mit der am stärksten entwickelten Staatlichkeit,30 woraus man wenigstens die Erwartung folgern könnte, dass es im Vergleich besonders viele transpersonale Elemente aufweisen müsste. Zum zweiten ist es nirgendwo in diesen ‚Germanenreichen‘ zu einer derart komplexen religiös-theologischen Reflexion über den Charakter des Königtums und die Person des Königs gekommen wie im Westgotenreich, wo im 7. Jahrhundert mit Isidor von Sevilla einer der herausragenden Theologen seiner Zeit wirkte.31

28 Vgl. Pohl 2003. 29 Dies erkannte im Übrigen bereits Beumann 1956, 215–224, der seiner Studie eine Appendix zum westgotischen Staatsdenken beigab, welches er jedoch für ein innerhalb des Frühmittelalters isoliertes Phänomen hielt, das er gentilistisch zu deuten suchte. 30 Vgl. etwa Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006, 68. 31 Aloys Suntrup, Studien zur politischen Theologie im frühmittelalterlichen Okzident. Die Aussage konziliarer Texte des gallischen und iberischen Raumes (Spanische Foschungen der Görresgesellschaft 36), Münster 2001, 189–350. Zur überragenden Bedeutung Isidors von Sevilla als politischen Denkers des Westgotenreiches vgl. zuletzt Jamie Wood, The politics of identity in Visigothic Spain. Religion and power in the histories of Isidore of Seville (Brill’s

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Drittens verlangte die westgotische Besonderheit, dass sich hier niemals die Idee eines dynastischen Königtums dauerhaft durchzusetzen vermochte,32 nach besonderen Anstrengungen, die Legitimität königlicher Herrschaft zu erweisen – was der in den westgotischen Reichskonzilien organisierten Mitwirkung der Bischöfe eine große Bedeutung zukommen ließ.33 Und schließlich findet sich viertens im Westgotenreich eine im Vergleich zu anderen Reichen einzigartige Überlieferung zum politischen Eid, also jenem Strukturelement frühmittelalterlicher politischer Ordnung, in dem sich die Verquickung personaler und transpersonaler Elemente besonders aufschlussreich manifestiert. Der politische Eid,34 der im Westgotenreich von großen Teilen der Bevölkerung, aber auch vom König geschworen wurde,35 soll im Folgenden als Leitfossil dienen, um die Interdependenz personaler und transpersonaler Elemente im Westgotenreich im 7. Jahrhundert zu ergründen. Mit Blick auf den Eid werden auch die anderen drei genannten Gesichtspunkte in den Blick treten. Im Zentrum der Betrachtung stehen jedoch die organisatorischen Voraussetzungen der Vereidigung erheblicher Teile der Bevölkerung, die religiöse und politische Begründung des allgemeinen Treueschwurs, seine praktische Anwendung sowie seine Bindewirkung und Lösung. Die dafür relevanten Quellenzeugnisse des

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Series on the Early Middle Ages 21), Leiden et al. 2012; Gerd Kampers, Isidor von Sevilla und das Königtum, in: Antiquité tardive 23 (2015), 123–132. Gerd Kampers, Zwischen Königswahl und Dynastiebildung. Grundzüge und Probleme der Verfassungsgeschichte des spanischen Wisigotenreichs, in: Matthias Becher/Stefanie Dick (edd.), Völker, Reiche und Namen im früheren Mittelalter (MittelalterStudien 22), München 2010, 141–160. Hans Hubert Anton, Der König und die Reichskonzilien im westgotischen Spanien, in: Historisches Jahrbuch 92 (1972), 257–281; José Orlandis/Domingo Ramos-Lisson, Die Synoden auf der iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (711), Paderborn et al. 1981; Heide Schwöbel, Synode und König im Westgotenreich. Grundlagen und Formen ihrer Beziehung, Köln et al. 1982; Rachel L. Stocking, Bishops, Councils, and Consensus in the Visigothic Kingdom, 589–633, Ann Arbor, MI 2000; Wilfried Hartmann, Das Westgotenreich. Misslingen ‚konsensualer Herrschaft‘?, in: Verena Epp/Christoph H. F. Meyer (edd.), Recht und Konsens im frühen Mittelalter (Vorträge und Forschungen 82), Ostfildern 2017, 87–113. Grundlegend dazu Paolo Prodi, Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents (Schriften des Italienisch-Deutschen Instituts in Trient 11), Berlin 1997 (ital. Originalausg. Bologna 1992). An älteren Studien vgl. insbesondere Dietrich Claude, Königs- und Untertaneneid im Westgotenreich, in: Helmut Beumann (ed.), Historische Forschungen für Walter Schlesinger, Köln et al. 1974, 358–378 (mit germanischer Herleitung aus der Gefolgschaft), und Antonio García, El juramento de fidelidad de los concilios visigoticos, in: Francisco Suarez (ed.), De iuramento fidelitatis. Estudio preliminar: Conciencia y politica (Corpus Hispanorum de pace 18), Madrid 1979, 447–490. Zu einem wichtigen Einzelaspekt vgl. Bruno Dumézil, Le crime de parjure dans l’Espagne wisigothique du VIIe siècle, in: Marie-France Auzepy/Guillaume Saint-Guillain (edd.), Oralité et lien social au Moyen Âge (Occident, Byzance, Islam). Parole donnée, foi jurée, serment (Centre de recherche d’histoire et civilisation de Byzance, Monographies 29), Paris 2008, 27–42.

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7. Jahrhunderts verdanken ihre Entstehung samt und sonders besonderen Situationen, die jeweils zu berücksichtigen sein werden.

2.1

Die Durchführung des allgemeinen Treueides unter König Egica (687–702)

Wie konnte man in einem großen Reich wie dem westgotischen überhaupt erreichen, dass die Bevölkerung dem jeweiligen König den Treueid auch tatsächlich schwor? Woher wusste der König, wer schwurpflichtig war? Wie erreichte er die schwurpflichtigen Gruppen und stellte sicher, dass sie zum Termin der Vereidigung auch anwesend waren und den Eid leisteten? Nimmt man den Anspruch der westgotischen Rechtstexte ernst, dass die Durchführung der Treueidleistung nicht dem Zufall zu überlassen war, sondern zuerst die Erfassung der schwurpflichtigen Bevölkerung und sodann deren tatsächliche Vereidigung umfasste, so wird man hierfür einen erheblichen ‚administrativen Unterbau‘ voraussetzen müssen.36 Die praktische Vereidigung der Bevölkerung auf den westgotischen König lässt dabei eine Verschränkung von personalen und transpersonalen, aber auch räumlichen Komponenten der politischen Organisation erkennen. Denn von der gesamten Bevölkerung konnte nur ein recht kleiner Kreis, der das engere Gefolge und den Hofstab umfasste, seinen Eid dem Herrscher persönlich schwören. Für das Gros der Bevölkerung galt, dass dieser Schwur – wie auch zeitgleich im Frankenreich37 – einem Stellvertreter des Herrschers zu leisten war. Erkennen lässt dies insbesondere ein Gesetz des Königs Egica (687–702), welches gegen Leute vorging, die sich zu dieser Zeit offenbar in großer Zahl der Eidesleistung zu entziehen suchten: „Über die Eidestreue (fidelitas), die den neuen Fürsten geleistet werden muss, und über die Strafe für eine diesbezügliche Übertretung. Wenn auf Befehl des göttlichen Willens das fürstliche Haupt das Zepter der Herrschaft ergreift, lädt jeder eine keineswegs leichte Schuld auf sich, wenn er zu Beginn seiner Wahl es entweder versäumt, die Treue zum König, wie es dem Herkommen entspricht, zu beschwören, oder, sofern er ein Palastbeamter ist, es unterlässt, in die Gegenwart desselben neuen Fürsten zu treten, um seiner angesichtig zu werden. Wenn also einer der Freigeborenen von der Königserhebung Kenntnis erhält und zum Zeitpunkt, wenn der Eidabnehmer (discussor iuramenti) in jenes Gebiet kommt, in dem er erwiesenermaßen wohnt (in territorio illo […] ubi eum habitare constiterit), es unter einem gesuchten Vorwand auf betrügerische 36 Für das karolingische Italien vgl. demnächst Stefan Esders/Massimiliano Bassetti/Wolfgang Haubrichs, Verwaltete Treue. Ein oberitalienisches Originalverzeichnis mit den Namen von 174 vereidigten Personen aus der Zeit Lothars I. und Ludwigs II. 37 Formula Marculfi I, 40: Formulae Merovingici et Karolini aevi, ed. Karl Zeumer (Monumenta Germaniae Historica, Legum Sectio V), Hannover 1886, 68.

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Weise unterlässt, sich durch die Fessel eines Eides auf die Bewahrung der Königstreue zu verpflichten, oder wenn jener, der, wie vorher bemerkt, zum Stand der Hofbeamten gehört, keinerlei Anstalten macht, sich dem Angesicht des Königs vorzustellen: [In diesen beiden Fällen] unterstehe es unverzüglich dem Ermessen der fürstlichen Autorität, mit ihm und all seinem Besitz zu tun oder gerichtlich zu bestimmen, was ihr beliebt. Sollte aber jenen eine Krankheit gehindert oder ihn irgendeine zum öffentlichen Nutzen unternommene Handlung abgehalten haben, so dass er sich dem Angesicht des Königs auf keine Weise vorstellen konnte, als die Erhabenheit der Königswahl auf welche Weise auch immer zu seiner Kenntnis gelangte, so soll er unverzüglich dafür Sorge tragen, dass er dies aus eigenem Antrieb seiner Milde zu Gehör bringe, damit er, indem er so die Aufrichtigkeit seiner Treue (fides) unter Beweis stellt, dem Schuldspruch dieses Gesetzes zu entgehen vermag.“38

Der Erlass verdankt seinen Ursprung offenbar der Situation kurz nach der Thronerhebung Egicas, der, obwohl er von seinem Amtsvorgänger Ervig zum Nachfolger designiert worden war, alsbald mit diesem gebrochen hatte. Im Mai 688, auf dem XV. Konzil von Toledo, ließ Egica sich von einem Eid entbinden, mit welchem er Ervig versprochen hatte, dessen Söhne in ihrem Besitzstatus zu wahren.39 Wohl zeitgleich hatte er gegen den Usurpator Suniefred zu kämpfen. Dieser ist wenige Jahre zuvor als comes und dux bezeugt40 und ließ sich auf zwei in Toledo geprägten Münzen als SUNIEFREDUS REX intitulieren,41 woraus zu schließen ist, dass er eine Zeitlang tatsächlich in Toledo als König regiert haben muss. Mit seiner entschlossenen Forderung, die Vereidigung der Bevölkerung auf sein eigenes Königtum einzufordern, suchte Egica entweder einem Aufstand 38 Lex Visigothorum II, 1, 7: De fidelitate novis principibus reddenda et pena huius transgressionis: Cum divine voluntatis imperio principale caput regnandi sumat sceptrum, non levi quisque culpa constringitur, si in ipso sue electionis primordio aut iurare se, ut moris est, pro fide regia differat aut, si ex palatino officio fuerit, ad eiusdem novi principis visurus presentiam venire desistat. Si quis sane ingenuorum de sublimatione principali cognoverit et, dum discussor iuramenti in territorio illo accesserit, ubi eum habitare constiterit, quesita occasione se fraudulenter distulerit in eo, ut pro fide regia conservanda iuramenti se vinculo alliget, aut ille, qui, sicut premisimus, ex ordine palatino fuerit, minime regis obtutibus se praesentandum ingesserit, quicquid de eo vel de omnibus rebus suis principalis auctoritas facere vel iudicare voluerit, sui sit incunctanter arbitrii. Quod si aut egritudo illi obstiterit aut quelebet publice utilitatis actio eum retinuerit, ut regis visibus se nullatenus representet, dum regie electionis sublimitas quibuslibet modis ad eius cognitionem pervenerit, statimper suam ius sionem id ipsum clementie sue auditibus intimare procuret, qualiter fidei sue sinceritatem ostendens huius legis sententiam evadere possit (Leges Visigothorum, ed. Karl Zeumer (Monumenta Germaniae Historica, Leges nationum Germanicarum I, 1), Hannover 1902, 52f.; dt. Übers.: S. E.). 39 Zu den komplizierten Umständen dieses Thronwechsels, zur Eidproblematik und zu den Interessen der verschiedenen Gruppen zu dieser Zeit vgl. zusammenfassend Orlandis/ Ramos-Lisson 1981, 277–283. 40 Vgl. Edward A. Thompson, The Goths in Spain, Oxford 1969, 244. 41 José Ángel Castillo Lozano, La enigmática figura histórica de Suniefredo a la luz des sus emisiones monetales, in: Revista Numismática Hécate 2 (2015), 119–124.

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wie demjenigen Suniefreds zuvorzukommen oder nach dessen Niederschlagung die Loyalität der Bevölkerung gegenüber seiner eigenen Herrschaft wiederherzustellen. Egicas Erlass stellte in diesem Zusammenhang wohl keine neuen Verfahrensregelungen auf, sondern schärfte bestehende ein, um die Situation zu stabilisieren. Ungeachtet dieses Hintergrundes lässt er erkennen, wie voraussetzungsvoll die Durchführung der Treueidleistung in administrativer Hinsicht war und wie komplex die rechtlichen Vorstellungen waren, die diesem Vorgang zugrundelagen. Bereits das Wort fidelitas, das im antiken Latein eher seltener gebräuchlich gewesen war, lässt eine Institutionalisierung erkennen, denn es handelt sich bei ihm um ein aus dem Adjektiv fidelis gebildetes Substantiv.42 Fidelitas als „Eidestreue“ lässt ein klar umrissenes Konzept erkennen, dessen Umfang und Inhalt der Text hier nicht ausführte, das jedoch aus anderen, später noch zu behandelnden Quellentexten recht genau zu rekonstruieren ist. Die reichsweite Treueidleistung wurde hier als regelmäßig im Gefolge einer jeden Königserhebung wiederkehrender, routinehafter Vorgang beschrieben, der insoweit bei aller Fixierung auf die Thronerhebung Egicas ‚transpersonal‘ gedacht gewesen sein muss. Diese Vermutung lässt sich durch weitere Details im Text noch erhärten. So waren für die Vereidigung der Bevölkerung – dies meinte insbesondere die erwachsenen freien Männer – territoriale Gliederungsprinzipien unabdingbare Voraussetzung. Entscheidend war, in welchem „Gebiet“ (territorium) eine schwurpflichtige Person ihren Wohnsitz hatte. Die „Eidabnehmer“ (discussores iuramenti) zogen durchs Reich und vereidigten die Schwurpflichtigen, über deren Wohnsitz und Zahl sie demnach recht genaue Informationen besitzen mussten. Das wird nur möglich gewesen sein, wenn man von einer funktionstüchtigen Lokalverwaltung mit entsprechenden Dokumentationsgewohnheiten ausgeht.43 Das Wohnortprinzip setzte voraus, dass die Bevölkerung ‚erfassbar‘ war und ihr der Schwurtermin mitgeteilt werden konnte. Das wiederum basierte offenkundig darauf, dass die westgotischen Könige das

42 Vgl. Karl Kroeschell, Die Treue in der deutschen Rechtsgeschichte, in: Ders., Studien zum frühen und mittelalterlichen deutschen Recht (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N. F. 20), Berlin 1995 (Orig. 1965), 157–181; Stefan Esders, Treue, historisch, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde 31 (2006), 165–170. 43 Gleiches gilt für die Erfassung und Registrierung von flüchtigen und mobilen Personen, vgl. Lex Visigothorum X, 1, 6 zur Feststellung und „Meldung“ eines homo ignotus: Leges Visigothorum, 354f., sowie dazu Stefan Esders, Reisende soll man nicht aufhalten? Über Infrastrukturen sowie erwünschte und unerwünschte Mobilität im westgotischen Spanien, in: Ignacio Czeguhn et al. (edd.), Wege – Wasser – Wissen auf der iberischen Halbinsel vom Römischen Imperium bis zur muselmanischen Herrschaft / Agua, vías, conocimientos en la península Iberica desde el impero romano hasta el poder musulmán (Berliner Schriften zur Rechtsgeschichte 6), Baden-Baden 2016, 151–181, hier 169–172.

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römische Verwaltungskonzept des domicilium fortführten.44 Der vom König entsandte Kommissär, der funktional den missi entsprach, welche im Frankenreich den Eid stellvertretend für den König abnahmen,45 hieß discussor iuramenti; in seiner Amtsbezeichnung klingt deutlich das spätrömische Amt des discussor an.46 Es waren also aus römischer Zeit stammende Verwaltungsgrundlagen, die die Schaffung einer persönlichen Rechtsbindung des einzelnen Reichsbewohnerns zum König erst möglich machten. Aus dem Treueid, war er erst einmal geleistet, resultierten sodann weitreichende Konsequenzen. Dazu gehörte beispielsweise die unmittelbare persönliche Verpflichtung zum Militärdienst,47 was bereits hinreichend erklärt, warum Personen offenbar in großer Zahl versuchten, diesem Akt der Selbstverpflichtung zu entkommen. Auch das Konzept der Infidelität, des Treubruchs, basierte auf dem Treueid.48 So wichtig der Eid jedoch unzweifelhaft war, um neue Pflichten zu begründen und um die Herrschaft des Königs zu legitimieren, so wenig ist zu bezweifeln, dass rechtlich nicht alles vom Schwur abhing. Das wird daran sichtbar, dass bereits die Verweigerung des Eides äußerst scharf sanktioniert wurde, wobei etwaige Strafen in das Ermessen des Königs gestellt wurden – also im Bereich des Arbiträren liegen sollten.49 Anders ausgedrückt: Rechtlich setzte die Vereidigung eine Pflicht voraus, die grundsätzlich bereits bestand, sobald ein Herrscher gewählt oder ernannt worden war. Der Vorgang der Erhebung wurde also als konstitutiv betrachtet, begründete den Anspruch auf den Treueid größerer Bevölkerungskreise und lieferte den Rechtsgrund, um die Verweigerung des Eides bestrafen zu können. Man wurde demnach, um es einmal verfassungsgeschichtlich auszudrücken, nicht dadurch zum königlichen ‚Untertan‘, dass man einen Eid schwor, sondern musste bereits Untertan sein, um durch seinen Eid zum „Getreuen des Königs“ zu werden, zum fidelis regis.50 Die persönliche Verpflichtung zum Treueschwur ruhte so betrachtet auf einer bereits bestehenden, räumlich definierten Verpflichtung auf, setzte diese voraus, war ohne sie nicht denkbar. Der Eid intensivierte sodann die Beziehung des einzelnen Reichsbewohners zu seinem König in ungeheurer Weise, er personalisierte sie durch den Akt der individuellen Selbstverpflichtung. Daran ist festzuhalten trotz der Tatsache, dass der Schwur unter Zwang einge44 Rudolf Leonhard, Domicilium, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 5 (1905), 1299–1301. 45 Siehe oben Anm. 37. 46 Vgl. Otto Seeck, Discussor, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 5 (1903), 1183–1187. 47 Vgl. Dionisio Perez Sanchez, El ejército en la sociedad visigoda, Salamanca 1989, 137. 48 Vgl. Dumézil 2008, 32f. 49 So auch Paul D. King, Law and society in the Visigothic Kingdom, Cambridge 1972, 42f. 50 King 1972, 42 spricht daher zutreffend von einem „super-additional character“ des Eides.

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fordert wurde. Der Treueid darf deswegen nicht ohne weiteres als Indiz für eine konsequente kontraktualistische Prägung des Verhältnisses zwischen König und Volk gesehen werden.51

2.2

Treue für rex, gens et patria Gothorum: Das IV. Konzil von Toledo (633)

Worin bestand nun der Inhalt der fidelitas und wie personal war diese konzeptionalisiert? Im Treueid verband sich die streng persönliche Bindung und Verpflichtung des Schwurs mit Erfahrungen und Erwartungen, welche dem Königtum an sich galten. Die Formel, nach welcher der westgotische Treueid geschworen wurde, ist zwar nicht mehr im Wortlaut erhalten geblieben, aber einer Vielzahl von Quellen ist das bemerkenswerte Faktum zu entnehmen, dass im Westgotenreich – anders als etwa zeitgleich im Frankenreich52 – die Pflicht zur Treue nicht allein der Person des amtierenden Königs galt, sondern ausdrücklich auch gegenüber der gens und der patria der Goten bestand. Erstmals bezeugt ist diese Formel auf dem IV. Konzil von Toledo des Jahres 633, auf welchem die versammelten Bischöfe unter dem Vorsitz Isidors von Sevilla im letzten Kanon die Verpflichtung aller Christen einschärften, dem frisch erhobenen König Sisenand (631–636) die Treue zu halten.53 Der umfangreiche Beschluss, der für den westgotischen Treueid außerordentlich aufschlussreich ist, wird hier erstmals in einer deutschen Übersetzung wiedergegeben: „Nach einigen Vorschriften bzw. Bestimmungen zur kirchlichen Ordnung, die sich auf die Disziplin gewisser [Kleriker] beziehen, besteht eine letzte von uns allen Priestern [zu fassende] Entscheidung darin, zur Stärkung unserer Könige und für die Festigkeit des Volkes der Goten (pro robore nostrorum regum et stabilitate gentis Gotorum) unter der Richterschaft Gottes einen letzten bischöflichen Beschluss zu treffen: Denn, wie das Gerücht geht, erhebt sich bei vielen Völkern eine derart große Treulosigkeit der Herzen, dass sie es verachten, die ihren Königen unter Eid versprochene Treue zu bewahren, und mit dem Mund das Bekenntnis eines Eides vortäuschen, während sie im Herzen die Gottlosigkeit der Treubrüchigkeit behalten. Sie schwören nämlich ihren Königen und 51 Vgl. Floyd Seyward Lear, Contractual Allegiance vs. Deferential Allegiance in Visigothic Law, in: Ders., Treason in Roman and Germanic Law. Collected Papers, Austin/Texas 1965 (Orig. 1940), 123–135. Dagegen King 1972, 41 m. Anm. 7. 52 Vgl. Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrschaftsethos Karls des Großen (Vorträge und Forschungen, Sonderband 39), Sigmaringen 1993. 53 Vgl. Orlandis/Lisson 1981, 166–171; Stocking 2000, 149–152; vgl. auch Isabel Velázquez, Pro patriae gentisque Gothorum statu (4th Council of Toledo, canon 75, A. 633), in: HansWerner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl (edd.), Regna and gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World (The Transformation of the Roman World 13), Leiden und Boston 2003, 161– 217, bes. 198–211.

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verletzten die Treue, die sie versprechen, und fürchten nicht jenes Buch des göttlichen Urteils, durch welches über diejenigen, die lügnerisch im Namen Gottes schwören, der Fluch verhängt wird und die Androhung vieler Strafen erfolgt. Welche Hoffnung soll demnach für solche Völker bestehen, wenn sie sich gegen ihre Feinde mühen? Welche Verlässlichkeit weiterhin [bestehen, um] mit anderen Völkern dem Frieden zu vertrauen? Welches Bündnis [erscheint dann] nicht verletzenswert? Welches gegenüber den Feinden beschworene Versprechen wird Bestand haben, wenn man nicht einmal seinen eigenen Königen gegenüber die beschworene Treue bewahrt? Wer nämlich ist so rasend, dass er sein Haupt mit eigener Hand abtrennt? Bekanntlich töten jene, indem sie ihr Heil vergessen, sich eigenhändig selbst, indem sie die eigenen Kräfte gegen sich selbst und ihre Könige verkehren. Dagegen sagt der Herr: ‚Berührt nicht meine Gesalbten‘ (Ps 104,15). Und David sagt: ‚Wer richtet seine Hand gegen den Gesalbten des Herrn und wird unschuldig sein?‘ (1 Kön 26,9). Jene haben keine Furcht, so dass sie weder den Meineid [unterlassen] noch ihren Königen den Untergang zu bringen meiden; den Feinden freilich wird die Vertragstreue zugesichert und nicht verletzt. Wenn aber im Krieg die Treue gültig ist, um wieviel mehr muss man sie gegenüber den Seinen bewahren? Freilich ist es ein Sakrileg, wenn von Völkern die ihren Königen versprochene Treue verletzt wird, weil die Übertretung des Vertrages nicht allein ihnen gegenüber geschieht, sondern auch gegenüber Gott, in dessen Namen das Versprechen selbst geleistet wird (sacrilegium quippe esse si uioletur a gentibus regum suorum promissa fides, quia non solum in eis fit pacti transgressio, sed et in Deum quidem). Daher kommt es, dass der himmlische Zorn viele Königreiche auf Erden so verwandelt hat, dass durch Pflichtvergessenheit in Treue und Sitten das eine vom anderen abgelöst wurde. Und daher müssen auch wir uns vor derartigem Untergang von Völkern hüten und davor, dass wir in gleicher Weise durch eine gefährliche Heimsuchung zurechtgewiesen und durch grausame Sanktion bestraft werden. Wenn nämlich Gott nicht einmal die Engel schonte, die ihm gegenüber ihre Pflichten verletzten, da sie durch ihren Ungehorsam die himmlische Wohnstatt verloren, worüber er auch Jesaja sagen lässt: ‚Trunken ist mein Schwert im Himmel‘ (Is 34,5): Um wieviel mehr müssen wir den Untergang unseres Heils fürchten, und dass wir aufgrund von Treubrüchigkeit durch dasselbe Schwert des erzürnten Gottes zugrunde gehen (ne per infidelitatem eodem saeuientis Dei gladio pereamus)? Sollten wir jedoch den göttlichen Zorn meiden wollen und dessen Strenge in Milde zu verwandeln wünschen, dann lasst uns gegenüber Gott die Verehrung der Religion und die Furcht einhalten, und gegenüber unseren Fürsten die versprochene Treue und das Versprechen wahren. In uns sei nicht wie bei gewissen Völkern die gottlose List des Treubruchs, nicht die arglistige Treulosigkeit des Verstandes, nicht der Frevel des Meineides, auch nicht die unsäglichen Unternehmungen der Verschwörungen. Keiner reiße bei uns in Anmaßung die Königsherrschaft an sich; niemand errege wechselseitige Erhebungen der Bürger; niemand ersinne den Untergang von Königen. Vielmehr soll, sobald ein Fürst in Frieden verstorben ist, die Führung des gesamten Volkes mit den Bischöfen (primatus totius gentis cum sacerdotibus) in gemeinsamem Rat (consilio communi) einen Nachfolger in der Königsherrschaft bestimmen, damit, während die Eintracht der Einheit von uns bewahrt werde, keine Spaltung des Landes und des Volkes (nullum patriae gentisque discidium) aufgrund von Gewalt oder Bestechung geschehe.

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Sollte jedoch diese Ermahnung unsere Sinne nicht bessern und unser Herz auf keinerlei Weise zum gemeinsamen Heil führen, so hört unseren Beschluss: Wer auch immer also von uns oder der Bevölkerung ganz Spaniens in irgendeiner Verschwörung oder Bemühung den Eid seiner Treue, den er auf den Bestand des Landes und des Volkes der Goten und die Bewahrung des königlichen Heils versprochen hat (sacramentum fidei suae quod pro patriae gentisque Gotorum statu uel conseruatione regiae salutis pollicitus est), entweihen oder den König in tötender Absicht berühren oder der Regierungsgewalt der Königsherrschaft berauben oder in tyrannischer Anmaßung den Gipfel des Königreiches in Besitz nehmen sollte, der sei verflucht im Angesicht Gottvaters und der Engel, und er werde auch von der allgemeinen Kirche, die er durch den Meineid entweiht hat, ferngehalten und auch von jeglicher Zusammenkunft mit Christen ausgeschlossen zusammen mit allen Verbündeten seiner Gottlosigkeit, weil es sich gehört, dass ein und dieselbe Strafe die Schuldigen treffe, bei denen man findet, dass sie derselbe Fehler befallen hat. Dieses wiederum greifen wir ein zweites Mal auf, indem wir sagen: Wer auch immer künftig von uns oder der gesamten Bevölkerung Spaniens durch irgendein Handeln oder Streben den Eid seiner Treue, den er auf den Bestand des Landes und des Volkes der Goten und die Bewahrung des königlichen Heils versprochen hat (sacramentum fidei suae, quod pro patriae gentisque Gotorum statu uel conseruatione regiae salutis pollicitus est), verletzten oder den König in Tötungsabsicht berühren oder der Regierungsgewalt der Königsherrschaft berauben oder in tyrannischer Anmaßung den Gipfel des Königreiches in Besitz nehmen sollte, der sei verflucht im Angesicht Christi und seiner Apostel, und er werde von der allgemeinen Kirche, die er durch seinen Meineid entweiht hat, ausgeschlossen und sei auch von der Gemeinschaft mit Christen fern, und als Verdammter werde er beim künftigen Urteil Gottes zusammen mit seinen Teilhabern betrachtet, weil es würdig ist, dass diejenigen, die sich mit solchen verbinden, aufgrund ihrer Beteiligung auch deren Verdammung unterworfen sein sollen. Auch dieses rufen wir, drittens, aus, indem wir sagen: Wer auch immer künftig von uns oder allen Bewohnern Spaniens in irgendeiner Überlegung oder Anstrengung den Eid seiner Treue, den er auf den Bestand des Landes und des Volkes der Goten und die Bewahrung des königlichen Heils versprochen hat (sacramentum fidei suae, quod pro patriae salute gentisque Gotorum statu uel incolomitate regiae potestatis pollicitus est), verletzten oder den König in Tötungsabsicht berühren oder der Regierungsgewalt der Königsherrschaft berauben oder in tyrannischer Anmaßung den Gipfel des Königreiches in Besitz nehmen sollte, der sei verflucht im Angesicht des Heiligen Geistes und der Märtyrer Christi und werde von der allgemeinen Kirche, die er durch seinen Meineid entweiht hat, ausgeschlossen und sei auch von jeder Gemeinschaft mit Christen fern, und gehöre nicht zu den Gerechten, sondern mit dem Teufel und dessen Engeln werde er zu ewigen Strafen verurteilt zusammen mit denjenigen, die sich an derselben Verschwörung beteiligt haben, damit gleiche Strafe des Verderbens jene vereinige, welche die schlechte Gemeinschaft im Untergang verbindet. Und deshalb, wenn euch, die ihr anwesend seid, dieses dreimal wiederholte Urteil gefällt, bekräftigt es durch die Zustimmung eurer Stimme (uestrae vocis eam consensu firmate). Und vom gesamten Klerus und Volk (ab uniuerso clero uel populo) wurde gesagt: Diejenigen, die gegen diese eure Bestimmung [zu verstoßen] wagen, seien verflucht bei Maranatha, das bedeutet Untergang bei der Ankunft des Herrn, und mit Judas Ischarioth sollen sie und ihre Genossen Gemeinschaft haben. Amen.

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Aus diesem Grund ermahnen wir selbst, die Bischöfe, die gesamte Kirche Christi und das Volk, dass dieser schreckliche und dreimal wiederholte Fluch niemanden von uns im gegenwärtigen und ewigen Urteil verdamme, sondern dass wir, indem wir die versprochene Treue gegen unseren höchst ruhmreichen Herrn König Sisenand bewahren und ihm in aufrichtiger Ergebenheit dienen, nicht allein die Milde der göttlichen Liebe für uns gewinnen, sondern auch die Gnade des vorgenannten Fürsten zu erlangen verdienen. Dich aber, den gegenwärtigen König, und die künftigen Fürsten der folgenden Zeitalter bitten wir in der Demut, die wir schulden (te quoque praesentem regem futurosque aetatum sequentium principes humilitate qua debemus deposcimus), dass ihr euch maßvoll und mild gegenüber euren Untertanen zeigen und mit Gerechtigkeit und Frömmigkeit die euch von Gott anvertraute Bevölkerung regieren möget, und die gute Vergeltung möget ihr dem Schenker Christus zurückerweisen, der euch eingesetzt hat, indem ihr regiert in der Demut des Herzens mit dem Eifer zu gutem Handeln. Und keiner von euch verhänge in Kapital- oder Eigentumssachen allein einen Schuldspruch, sondern in öffentlicher Übereinstimmung mit den Leitern werde aus einem offenbaren Gerichtsverfahren die Schuld der Übertreter manifest (nec quisquam vestrum solus in causis capitum aut rerum sententiam ferat, sed consensu publico cum rectoribus ex iudicio manifesto delinquentium culpa patescat). Dabei bleibe euch das Begnadigungsrecht frei vorbehalten, auf dass ihr bei jenen nicht mehr durch Strenge als durch Nachsicht erblühen möget – so dass, während alles unter der Autorschaft Gottes durch die von euch gehandhabte fromme Lenkung bewahrt wird, sowohl die Könige sich über die Bevölkerung als auch die Bevölkerung sich über die Könige und Gott sich über beide freuen darf. Freilich verkünden wir folgenden Spruch über die künftigen Könige (de futuris regibus): Falls sich jemand von ihnen ohne Ehrfurcht vor den Gesetzen, in übermütiger Alleinherrschaft und königlichem Stolz durch Schandtaten und Verbrechen oder aus Gier eine höchst grausame Gewalt über die Bevölkerung ausüben sollte, werde er durch den Schuldspruch des Fluchs von Christus, dem Herrn, verurteilt, und er sei von Gott getrennt und erhalte dessen Urteil, weil er es wagte, Schlechtes zu betreiben und das Königreich zum Untergang zu verkehren (anathematis sententia a Christo domino condemnetur et habeat a Deo separationem atque iudicium propter quod praesumpserit praua agere et in perniciem regnum conuertere). Wegen des Swinthila jedoch, der seine eigenen Verbrechen fürchtend sich selbst der Königsherrschaft beraubte und der Insignien der Macht entkleidete, haben wir nach Beratung mit dem Volk (cum gentis consultu) Folgendes bestimmt: Weder ihn oder dessen Frau werden wir wegen der Übel, die sie begangen haben, noch deren Söhne jemals unserer Einheit hinzugesellen, noch sie jemals zu jenen Ehrenämtern befördern, von denen sie aufgrund der [von ihnen verübten] Ungerechtigkeit entfernt wurden, und so, wie sie von der Spitze des Königreiches ferngehalten werden, sollen sie auch vom Besitz des Vermögens, das sie aus dem Unterhalt der Armen geschöpft hatten, fern bleiben, ausgenommen in dem, was sie aufgrund der Frömmigkeit unseres allerfrommsten Fürsten erlangen sollten. Nicht anders gefiel es uns, auch den Geila, den Bruder des erwähnten Swinthila in Blut und Verbrechen, der weder fest im Bündnis der Bruderschaft verblieb noch unserem höchst ruhmreichsten Herrn die versprochene Treue bewahrte, diesen also zusammen mit seiner Frau wie die vorgenannten von der Gesellschaft des Volkes und von unserer Gemeinschaft zu trennen (a societate gentis atque consortio nostro placuit separari). Noch sollen sie in das verlorene Vermögen, das sie durch Unge-

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rechtigkeit geschaffen hatten, restituiert werden, ausgenommen in das, welches sie erlangen mögen durch die Frömmigkeit unseres mildesten Fürsten, dessen Gnade die Guten mit den Belohnungen der Geschenke bereichert und die Bösen von seiner Wohltätigkeit nicht trennt. Ruhm jedoch und Ehre [sei] unserem allmächtigen Gott, in dessen Namen wir uns versammelt haben. Hiernach Frieden, Heil und Dauer unserem frommsten und christliebenden Herrn König Sisenand, dessen Ergebenheit uns zu diesem heilbringenden Beschluss zusammengerufen hat: Möge Christi Ruhm dessen Königsherrschaft und die des Volkes der Goten im allgemeinen, rechten Glauben bestärken (corroboret Christi gloria regnum illius gentisque Gotorum in fide catholica), möge die Gnade des höchsten Gottes jenen durch Lebensjahre und Verdienste beschützen bis in das höchste Greisenalter, und möge er nach dem Ruhm der gegenwärtigen Königsherrschaft zum ewigen Reich übergehen, auf dass er ohne Ende regieren möge, welcher innerhalb der Welt auf glückbringende Weise befiehlt, indem es derjenige selbst gewährt, der der König der Könige ist und der Herr der Herren, mit dem Vater und dem Heiligen Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“54

54 IV. Konzil von Toledo (633), c. 75: Post instituta quaedam ecclesiastici ordinis uel decreta quae ad quorundam pertinent disciplinam, postrema nobis cunctis sacerdotibus sententia est pro robore nostrorum regum et stabilitate gentis Gotorum pontificale ultimum sub Deo iudice ferre decretum. Multarum quippe gentium, ut fama est, tanta exstat perfidia animorum ut fidem sacramento promissam regibus suis seruare contemnant et ore simulent iuramenti professionem dum retineant mente perfidiae impietatem. Iurant enim regibus suis et fidem quam pollicentur preuaricant nec metuunt uolumen illud iudicii Dei per quo inducitur maledictio multaque poenarum comminatio super eos qui iurant in nomine Dei mendaciter. Quae igitur spes talibus populis contra hostes laborantibus erit? Quae fides ultra cum aliis gentibus in pace credenda? Quod foedus non uiolandum? Quae in hostibus iurata sponsio permanebit quando nec ipsis propriis regibus iuratam fidem conseruant? Quis enim adeo furiosus est qui caput suum manu propria desecet? Illi, ut notum est, immemores salutis suae propria manu se ipsos interimunt, in semetipsos suosque reges proprias conuertendo uires. Et dum Dominus dicat: ‚Nolite tangere christos meos‘ (Ps 104,15), et David: ‚Quis, inquit, extendet manum suam in christum Domini et innocens erit?‘ (1 Reg 26,9), illis nec uitare metus est periurium nec regibus suis inferre exitium. Hostibus quippe fides pacti datur nec uiolatur; quod si in bello fides ualet, quanto magis in suis seruanda est? Sacrilegium quippe esse si uioletur a gentibus regum suorum promissa fides, quia non solum in eis fit pacti transgressio, sed et in Deum quidem. in cuius nomine pollicetur ipsa promissio. Inde est quod multa regna terrarum caelestis iracundia ita permutauit ut per impietatem fidei et morum alterum ab altero solueretur. Unde et nos cauere oportet casum huiusmodi gentium ne similiter plaga feriamur praecipiti et poena puniamur crudeli. Si enim Deus angelis in se praeuaricantibus non pepercit, qui per inoboedientiam caeleste habitaculum perdiderunt, unde et per Esaiam dicit: ‚Inebriatus est gladius meus in caelo‘ (Is 34,5), quanto magis nos nostrae salutis interitum timere debemus, ne per infidelitatem eodem saeuientis Dei gladio pereamus? Quod si diuinam iracundiam uitare uolumus et seueritatem eius ad clementiam prouocare cupimus, seruemus erga Deum religionis cultum atque timorem, custodiamus erga principes nostros pollicitam fidem atque sponsionem. Non sit in nobis sicut in quibusdam gentibus infidelitatis subtilitas impia, non subdola mentis perfidia, non periurii nefas, nec coniurationum nefanda molimina. Nullus apud nos praesumptione regnum arripiat, nullus excitet mutuas seditiones civium, nemo meditetur interitus regum, sed defuncto in pace principe primatus totius gentis cum sacerdotibus successorem regni consilio communi constituant, ut dum unitatis concordia a nobis retinetur, nullum patriae gentisque discidium per uim atque ambitum oriatur. Quod si

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Sisenand, ein aus Septimanien, dem gallischen Teil des Westgotenreiches, gebürtiger Usurpator, hatte im Jahr 631 die Herrschaftsgewalt an sich gerissen, und zwar mit maßgeblicher Unterstützung des fränkischen Königs Dagobert I., der

haec admonitio mentes nostras non corrigit et ad salutem communem cor nostrum nequaquam perducit, audite sententiam nostram: Quicumque igitur a nobis uel totius Spaniae populis qualibet coniuratione uel studio sacramentum fidei suae quod pro patriae gentisque Gotorum statu uel conseruatione regiae salutis pollicitus est, temerauerit, aut regem nece attrectauerit aut potestate regni exuerit, aut praesumptione tyrannica regni fastigium usurpauerit, anathema sit in conspectu Dei Patris et angelorum atque ab ecclesia catholica, quam periurio profanauerit, efficiatur extraneus et ab omni coetu Christianorum alienus cum omnibus impietatis suae sociis, quia oportet ut una poena teneat obnoxios quos similis error inuenerit implicitos. Quod iterum secundo replicamus dicentes: Quicumque amodo ex nobis vel cunctis Spaniae populis quolibet tractatu uel studio sacramentum fidei suae, quod pro patriae gentisque Gotorum statu uel conseruatione regiae salutis pollicitus est, uiolauerit, aut regem nece adtractauerit aut potestate regni exuerit, aut praesumptione tyrannica regni fastigium usurpauerit, anathema in conspectu Christi et apostolorum eius sit atque ab ecclesia catholica, quam periurio profanauerit, efficiatur extraneus et ab omni consortio Christianorum alienus, et damnatus in futuro Dei iudicio habeatur cum comparticipibus suis, quia dignum est qui talibus sociantur, ipsi etiam damnationis eorum participatione obnoxii teneantur. Hoc etiam tertio acclamamus dicentes: Quicumque amodo ex nobis uel cunctis Spaniae populis qualibet meditatione uel studio sacramentum fidei suae, quod pro patriae salute gentisque Gotorum statu uel incolomitate regiae potestatis pollicitus est, uiolauerit, aut regem nece adtrectauerit aut potestate regni exuerit, aut praesumptione tyrannica regni fastigium usurpauerit, anathema sit in conspectu Spiritus Sancti et martyrum Christi atque ab ecclesia catholica, quam periurio profanauerit, efficiatur extraneus et ab omni communione Christianorum alienus neque partem iustorum habeat sed cum diabolo et angelis eius aeternis suppliciis condemnetur una cum eis qui eadem coniuratione nituntur, ut par poena perditionis constringat quos in pernicie praua societas copulat. Et ideo si placet omnibus qui adestis haec tertio reiterata sententia, uestrae vocis eam consensu firmate. Ab uniuerso clero uel populo dictum est: Qui contra hanc uestram definitionem praesumpserit, anathema maranatha, hoc est perditio in aduentum Domini sit et cum Iuda Scarioth partem habeat et ipsi et socii eorum. Amen. Quapropter nos ipsi sacerdotes omnem ecclesiam Christi ac populum admonemus ut haec tremenda et totiens reiterata sententia nullum ex nobis praesenti atque aeterno condemnet iudicio, sed fidem promissam erga gloriosissimum dominum nostrum Sisenandum regem custodientes ac sincera illi deuotione famulantes, non solum diuinae pietatis clementiam in nobis prouocemus sed etiam gratiam antefati principis percipere mereamur. Te quoque praesentem regem futurosque aetatum sequentium principes humilitate qua debemus deposcimus ut moderati et mites erga subiectos exsistentes cum iustitia et pietate populos a Deo uobis creditos regatis, bonamque uicissitudinem, qui uos constituit, largitori Christo respondeatis regnantes in humilitate cordis cum studio bonae actionis, nec quisquam vestrum solus in causis capitum aut rerum sententiam ferat, sed consensu publico cum rectoribus ex iudicio manifesto delinquentium culpa patescat, seruata uobis inoffensis mansuetudine ut non seueritate magis in illis quam indulgentia polleatis, ut dum omnia haec auctore Deo pio a uobis moderamine conseruantur, et reges in populis et populi in regibus et Deus in utrisque laetetur. Sane de futuris regibus hanc sententiam promulgamus, ut si quisque ex eis contra reuerentiam legum superba dominatione et fastu regio in flagitiis et facinora siue cupiditate crudelissimam potestatem in populis exercuerit, anathematis sententia a Christo domino condemnetur et habeat a Deo separationem atque iudicium propter quod praesumpserit praua agere et in perniciem regnum conuertere. De

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sich seine Hilfe teuer bezahlen ließ.55 Der bis dahin regierende König Swinthila (621–631) war im Angesicht der Usurpation Sisenands nach einer Adelsrevolte von seinem Heer bei Saragossa verlassen worden und musste auf seine Königsmacht verzichten; über sein Schicksal nach der Abdankung ist nur wenig bekannt. Durch den Fund zweier Münzen aus Granada und Merida ist für das Jahr 632/633 zudem ein König namens Iudila (IUDILA REX) bezeugt,56 der offenbar im südlichen Spanien, in dem sich der aus Gallien stammende Sisenand anscheinend nicht sofort durchsetzen konnte, eine eigene Königsherrschaft zu errichten vermochte, über die jedoch nichts weiter überliefert ist. Jedenfalls macht der zitierte Kanon des IV. Konzils von Toledo (633) deutlich, dass die versammelten Bischöfe zu diesem Zeitpunkt weiterhin mit Widerständen und feindlichen Allianzen rechneten und die Herrschaft Sisenands zusätzlicher Le-

Suinthilane uero qui scelera propria metuens se ipsum regno priuauit et potestatis fascibus exuit, id cum gentis consultu decreuimus, ut neque eundem uel uxorem eius propter mala quae conmiserunt, neque filios eorum unitati nostrae unquam consociemus, nec eos ad honores a quibus ob iniquitatem deiecti sunt, aliquando promoveamus; quique etiam sicut fastigio regni habentur extranei, ita et a possessione rerum quas de miserorum sumptibus hauserant, maneant alieni praeter in id quod pietate piissimi principis nostri fuerint consecuti. Non aliter et Geilanem, memorati Suinthilani et sanguine et scelere fratrem, qui nec in germanitatis foedere stabilis exstitit nec fidem gloriosissimo domino nostro pollicitam conseruavit, hunc igitur cum coniuge sua, sicut et antefatos, a societate gentis atque consortio nostro placuit separari nec in amissis facultatibus, in quibus per iniquitatem creuerant reduces fieri praeter in id quod consecuti fuerint pietate clementissimi principis nostri, cuius gratia et bonos donorum praemiis ditat et malos a beneficentia sua non separat. Gloria autem et honor omnipotenti Deo nostro, in cuius nomine congregati sumus. Post haec pax, salus et diuturnitas piissimo et amatori Christi domino nostro Sisenando regi, cuius deuotio nos ad hoc decretum salutiferum conuocacit; corroboret Christi gloria regnum illius gentisque Gotorum in fide catholica; annis et meritis protegat illum usque ad ultimam senectutem summi Dei gratia, et post praesentis regni gloriam ad aeternum regnum transeat ut sine fine regnet qui intra seculum feliciter imperat, ipso praestante qui est rex regum et Dominus dominorum cum Patre et Spiritu Sancto in secula seculorum. Amen (La colección canónica Hispana, V: Concilios Hispánicos: Segunda parte, ed. Gonzalo Martínez Díez/Felix Rodríguez Barbero, Madrid 1992, 248–260; dt. Übers.: S. E). 55 Fredegar, Chronicon IV, 73: Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici libri IV cum continuationibus, ed. Bruno Krusch, in: Fredegarii et aliorum chronica. Vitae sanctorum (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum II), Hannover 1888, 1– 193, hier 157f. Vgl. Thompson, The Goths in Spain, 171f.; Dietrich Claude, Adel, Kirche und Königtum im Westgotenreich (Vorträge und Forschungen, Sonderband 8), Sigmaringen 1971, 95–97. 56 Vgl. dazu Pío Beltrán, Iudila y Suniefredo, reyes visigodos (Estudio numismático), in: Ampurias 3 (1941), 97–104, hier 99–101; den Forschungsstand zusammenfassend nunmehr Sebastian Steinbach, Imitation, Innovation und Imperialisierung. Geldwesen und Münzprägung als wirtschaftshistorische Quellen zur ethnischen Identität und Herrschaftsorganisation des spanischen Westgotenreiches (ca. 572–714) (Geschichte und Kultur der iberischen Welt 11), Berlin et al. 2018, 134–137.

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gitimation bedurfte.57 Offenbar war Sisenand gleich nach seiner Erhebung der Treueid geschworen worden, doch lässt der Konzilsbeschluss vermuten, dass Iudila wenigstens im Süden der iberischen Halbinsel zahlreiche Unterstützer gefunden hatte, die bereit waren, ihren Sisenand geleisteten Eid zu brechen.58 Dieser besondere Hintergrund erklärt, warum die 633 in Toledo versammelten Bischöfe59 sich der Validität des Treueides in so grundsätzlicher Weise annahmen, dass sie dessen Beachtung sogar geschichtstheologisch zu begründen suchten. Bereits mit ihrer anfänglichen Erklärung, ihren Beschluss „zur Stärkung der Könige und zur Festigung des Volkes der Goten“ (pro robore nostrorum regum et stabilitate gentis Gotorum) gefasst zu haben, verwiesen die Bischöfe auf den Untergang solcher Völker, die durch Treubruch gegenüber ihrem König auch den inneren Zusammenhalt ihrer Gesellschaft verloren hätten. Der Treubruch des Gotenvolkes zu seinem Herrscher sei aber nicht nur der „Bruch eines Vertrages“ (pacti transgressio), den es mit dem Monarchen geschlossen hätte, sondern auch mit Gott, dessen Name im Schwur angerufen wurde, und damit ein sacrilegium.60 Nur die Bewahrung der Treue gegenüber dem Herrscher beschützte das Volk daher vor Gottes Zorn. Und immer, wenn künftig ein König friedvoll versterben sollte, so formulierte man ganz ‚amtsbezogen‘, sollten Adel und Klerus gemeinsam einen Nachfolger im Königsamt bestimmen, um die Eintracht der Einheit zu wahren und „keine Spaltung des Landes und des Volkes“ (nullum patriae gentisque discidium) zuzulassen.

57 Zu Sisenands Unterwerfungsritual und zum Prozedere auf dem Konzil vgl. Gerd Kampers, Das Prooemium des 4. Toletanum von 633, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 129 (2012), 1–18. 58 Auswärtige Beziehungen könnten dabei eine Rolle gespielt haben, doch ist der Zusammenhang nicht ganz klar. Swinthila hatte die letzten Reste der byzantinischen Herrschaft in Südspanien beseitigt, doch blieben die Byzantiner auf der anderen Seite der Straße von Gibraltar und auch auf den Balearen präsent. Aus diesem Grund war möglicherweise die Gefahr realistisch, dass vom Exarchat in Karthago dann eine Bedrohung ausgehen konnte, wenn, wie wiederholt in der westgotischen Geschichte, ein Thronstreit den Kontrahenten Anlass gab, sich eine auswärtige Macht als Unterstützer zu suchen. Vgl. für die 640er Jahre Luis Agostín García Moreno, Una desconicida embajada de Quindasvinto al África bizantina, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 206 (2009), 445–464, sowie Margerita Vallejo Girvés, Hispania y Bizancio. Una relación desconocida, Madrid 2012, 408f. 59 Zum IV. Konzil von Toledo und seinem religionspolitischen Programm vgl. Orlandis/ Ramos-Lisson 1981, 144–171 sowie Stocking 2000, 145–173. 60 Zum Begriff vgl. Michael Glatthaar, Bonifatius und das Sakrileg. Zur politischen Dimension eines Rechtsbegriffs (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 17), Frankfurt a. Main et al. 2004, 1–41; ferner Nicole Zeddies, Religio et sacrilegium. Studien zur Inkriminierung von Magie, Häresie und Heidentum (4.–7. Jahrhundert), Frankfurt a. Main et al. 2003.

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Damit ist die für den westgotischen Treueid so typische Trias von rex, patria und gens (Gotorum) angesprochen,61 welche die Bischöfe im Folgenden dreimal aufriefen, um die Eidbrecher zu verfluchen: Wer den Eid der Treue, den ein jeder aus der gesamten Bevölkerung Spaniens „für den Bestand des Landes und des Volkes der Goten und für die Erhaltung des königlichen Heils“ (pro patriae gentisque Gotorum statu uel conservatione regiae salutis) geschworen habe, willentlich brach, sollte verflucht sein „im Angesicht Gottvaters und der Engel“, „im Angesicht Christi und seiner Apostel“ sowie „im Angesicht des Heiligen Geistes und der Märtyrer Christi“ und von der allgemeinen Kirche, die er durch den Meineid entweiht habe, ferngehalten und von jeglicher Gemeinschaft mit anderen Christen ausgeschlossen sein. Dieser Formel, die sich an der Trinität orientierte und den Fluch bei Maranatha und den Verrat des Judas Ischarioth evozierte,62 stimmten die Konzilsväter sodann feierlich zu und bekräftigten die Treupflicht gegenüber König Sisenand. Was bedeutete diese als Trikolon formulierte Treue gegenüber rex, gens und patria Gothorum konkret und warum begnügte man sich nicht wie im Frankenreich damit, auf der Treue allein gegenüber dem König (und gegebenenfalls seiner Familie) zu insistieren? Beginnen wir zunächst mit dem König. Wiederholt ist vom Heil des Königs die Rede, von seiner salus, und auch von der conservatio regiae salutis. Dahinter verbarg sich jedoch kein germanisches Königsheil o. ä. – daran glaubt man schon lange nicht mehr –,63 vielmehr waren bereits die öffentlichen Gelübde für den Kaiser64 und die Kaisereide der römischen Antike pro salute caesaris, imperatoris usw. geleistet worden.65 Letztlich wurzelte diese Begrifflichkeit in einer hellenistischen Vorstellung; in spätrömischer Zeit wurde sie als salus publica auch christianisiert und zu einer öffentlichen Angelegenheit

61 Vgl. dazu, wenn auch mit veralteter Herleitung, Dietrich Claude, Gentile und territoriale Staatsideen im Westgotenreich, in: Frühmittelalterliche Studien 6 (1972), 1–38. Dagegen reflektiert der Kanon nach Velázquez 2003, 187 einen Übergang „from ethnic identity to the ‚discourse‘ on ethnicity“. 62 Vgl. dazu auch Stefan Esders, „Getaufte Juden“ im westgotischen Spanien. Die antijüdische Politik König Chintilas zum Jahreswechsel 637/638 und ihre Hintergründe, in: Ernst Baltrusch/Uwe Puschner (edd.), Jüdische Lebenswelten. Von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt a. Main et al. 2016, 53–96, hier 79. 63 Vgl. dazu Walter Kienast, Germanische Treue und Königsheil, in: Historische Zeitschrift 227 (1978), 265–324. 64 Vgl. Lloyd W. Daly, Vota publica pro salute alicuius, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 81 (1950), 164–168; Joyce Reynolds, Vota pro salute principis, in: Papers of the British School at Rome 30 (1962), 33–36. 65 Julián González, The first Oath pro salute Augusti found in Baetica, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 72 (1988), 113–127.

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gemacht.66 Im Westgotenreich erscheint diese ‚öffentliche‘ salus stärker personal auf die Person des amtierenden Königs bezogen worden zu sein.67 Die westgotischen Bischöfe betonten bei der dritten Wiederholung ihres Fluches allerdings, der Treueid sei pro incolumitate regiae potestatis geschworen, was klar die Vorstellung einer „königlichen Amtsgewalt“ evozierte, einer potestas. Daraus ist zu schließen, dass sie das westgotische Königtum als Amt verstanden, dieses für sie mithin eine transpersonale Größe war. Auf andere Weise ‚transpersonal‘ waren die beiden anderen Komponenten des Schwurs, mit denen Treue pro statu patriae gentisque Gotorum zugesichert wurde. Hier ging es also um den Bestand von „Land und Volk der Goten“. Der Verwendung der Formel ist an mehreren Stellen noch anzumerken, dass es sich hierbei ursprünglich wohl um eine binäre Formel (patria et gens Gotorum) handelt, welcher die Treue gegenüber dem König an die Seite trat. Die Übersetzung von patria mit „Vaterland“ ist etymologisch korrekt, wie auch die Verwurzelung der patria-Terminologie in der römischen Staatlichkeit bekannt ist.68 Das pugnare pro patria war seit römischer Zeit Bürgerpflicht und Inhalt des soldatischen Fahneneides. Über das militärrechtliche Delikt der Desertion war es überdies aufs engste mit dem Gedanken der maiestas verbunden.69 Das Wort hatte bereits in der römischen Zeit eine Begriffsentwicklung durchlaufen. In den spätantiken Rechtsquellen bezeichnete es zumeist die Geburtsstadt einer Person, in welcher ein Reichsbewohner seine Steuerpflicht zu erklären und in der er auch, soweit er nicht sein domicilium gewechselt hatte,70 munera publica zu erbringen, also seine Verpflichtung zu unbezahlten öffentlichen Diensten zu erfüllen hatte.71 66 Zur christlichen Übernahme vgl. auch Hermann Franke, Salus publica. Ein antiker Kult-Terminus und sein frühchristlicher Bedeutungswandel bei Ambrosius, in: Liturgische Zeitschrift 5 (1932/33), 145–160. 67 Zur ‚Re-Personalisierung‘ von Teilen der politischen Begrifflichkeit im Übergang von der Antike zum Mittelalter siehe oben Anm. 5–8. 68 Vgl. Ernst H. Kantorowicz, Pro patria mori im politischen Denken des Mittelalters, in: Ders., Götter in Uniform, Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums, ed. Eckhart Grünewald/Ulrich Raulff, Stuttgart 1998 (engl. Originalausg. 1961, Orig. 1951), 290–314, hier 292–295 und Gaines Post, Two Notes on Nationalism in the Middle Ages, in: Traditio 9 (1953), 281–320, hier 287f. Demgegenüber unterschätzt Thomas Eichenberger, Patria. Studien zur Bedeutung des Wortes im Mittelalter (6.–12. Jahrhundert) (Nationes 9), Sigmaringen 1991, 88f. die römischen Einflüsse in der Begrifflichkeit. 69 Vgl. Post 1953, 285–289. 70 Vgl. Codex Theodosianus XII, 1, 77 (372): Nemo originis suae oblitus et patriae, cui domicilii iure devinctus est, ad gubernacula provinciae nitatur ascendere, priusquam decursis gradatim curiae muneribus subvehatur (Theodosiani libri XVI cum Constitutionibus Sirmondianis et Leges Novellae ad Theodosianum pertinentes, ed. Theodor Mommsen/Paul M. Meyer, Bd. 1, Berlin 1905, 682). 71 Das 12. Buch des Codex Theodosianus enthält zahlreiche Bestimmungen, mit denen versucht wurde, die Dekurionen zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten, welche ihnen aus der Zugehörigkeit zu diesem Stand erwachsen waren. Der Aktionsrahmen, in dem diese Pflichten zu

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Daneben behielt das Wort patria jedoch auch in westgotischer Zeit seine allgemeine Bedeutung bei. Ein Novum stellte freilich die westgotische Verbindung von patria mit dem Zusatz Gotorum dar. Dies verweist auf die weitere Bedeutung von patria im Sinne von „Vaterland“, das nun als „Land der Goten“ konkretisiert wurde. Thomas Eichenberger hat hervorgehoben, dass „die patria als Herrschaftsbereich der westgotischen Königsmacht dem Wohngebiet dieses Staatsvolkes“ entsprochen habe.72 Der Begriff besaß also eine klare räumliche Konnotation, und aufgrund der Hinzunahme des Kollektivs ‚Goten‘ auch, wenn man so will, eine ‚transpersonale‘ Dimension, die durch die Umdeutung des Vokabulars spätrömischer Staatlichkeit erfolgte.73 Nach Ausweis der Synodalakten dürfte die patria der Goten die unter westgotischer Herrschaft stehenden Gebiete per omnem Spaniam atque Galliam umfasst haben. Innerhalb dieser Gebiete strebten die Bischöfe unter der Führung Isidors von Sevilla zeitgleich auch eine Angleichung religiös-kirchlicher Regeln und Riten an,74 ja man verstand die eigene Zusammenkunft als generalis totius Spaniae et Galliae synodus.75 Wie in römischer Zeit wurden mit dem Begriff patria bestimmte Verpflichtungen assoziiert, die der Eid gleichsam intensivierte. Auch die Treue zur gens Gotorum, die dritte Komponente, wird man kaum einfach als ‚personales‘ Element beschreiben können, auch wenn sich dahinter selbstredend ein Kollektiv von Personen verbarg. Wenn der westgotische Untertaneneid treues Handeln pro salute gentis Gothorum verlangte, so zeigt dies,

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erbringen waren, war die patria, entsprechend ist wiederholt von den munera suae patriae die Rede, die insbesondere Dekurionen zu erfüllen (satisfacere) hatten. Vgl. etwa Codex Theodosianus X, 22, 6 (412), XII, 1 (De decurionibus), 4 (317); 5 (317); 20 (331); 26 (338); 43 (355); 57 (364); 58 (364); 63 (370 oder 373?); 65 (365); 69 (365/373?); 74 (371); 77 (372); 79 (375); 82 (380); 91 (382); 94 (383); 98 (383); 99 (383); 106 (384); 109 (385); 110 (385); 111 (386); 116 (387); 118 (387); 119 (388); 122 (390); 123 (391); 140 (395); 146 (395); 148 (395); 153 (397); 163 (399); ; 167 (406); 171 (409); 172 (410); 188 (436); 190 (436); XII, 12 (De legatis et decretis legationum), 15 (416); XII, 18, 2 (396); XIII, 3, 7 (369); Novella Theodosii 22, 1 (442); Novella Valentiniani 2, 2 (442); 3 (439); 32 (451). Patria ist also die Heimatstadt, die Vaterstadt, der gegenüber im Rahmen von munera publica verschiedene functiones und obligationes geschuldet (debitae) und infolgedessen zu erfüllen waren – etwa aufgrund des Gemeinnutzes (utilitas publica) (Codex Theodosianus XII, 1, 109), sollten sie ihrer Heimatstadt, in der sie geboren waren, die fälligen Leistungen erbringen (reddant patriae, cui nati sunt, debitas functiones: Codex Theodosianus XII, 1, 116 vom Jahr 387). Eichenberger 1991, 80. Vgl. Kantorowicz 1998, 295, Anm. 14; und Eichenberger 1991, 85 u. 88f. IV. Konzil von Toledo (633), c. 2: Unus igitur ordo orandi atque psallendi a nobis per omnem Spaniam atque Galliam conseruetur, unus modus in missarum sollemnitatibus, unus in uesperinis matutinisque officiis, nec diuersa sit ultra in nobis ecclesiastica consuetudo, qui una fide continemur et regno (La colección canónica Hispana V, 183; vgl. auch ebd., c. 11, 199f.). Vgl. dazu Stocking 2000, 156–160. Es steht auf einem anderen Blatt, dass in einer Vielzahl von Bestimmungen besondere, auch innerhalb der Hispania verschieden gehandhabte Riten behandelt wurden. Ebd., c. 3: La colección canónica Hispana V (wie Anm. 54), 184; vgl. auch ebd., 179.

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wie politisch der Terminus gens aufgeladen war und dass die oben erwähnte antike Vorstellung von der salus (publica) auch auf das Volk bezogen werden konnte. Im Unterschied zu gens addressierte der in den Rechtstexten der Zeit gebräuchliche Terminus populus (meist in der Mehrzahl verwendet) lokale Bevölkerungsgruppen im Verwaltungsjargon,76 was ebenfalls dem Vorbild der römischen administrativen Praxis folgte.77 Über die Bezeichnung gens Gotorum wurde dagegen eine de facto multiethnisch zusammengesetze Gruppe als ethnisch definiertes Kollektiv mit eigenem politischen Willen beschrieben.78 Die häufige Verwendung des Terminus gens (Gotorum) in Rechtstexten der Zeit ist Folge eines Prozesses, in dessen Verlauf die durchaus heterogene, aus Goten, Römern, Sueben und weiteren Gruppen bestehende Bevölkerung des Westgotenreiches als gens Gotorum neu ethnisiert worden war.79 Folgerichtig wurde seit den 640er Jahren die Anwendung des römischen Rechts im Westgotenreich verboten und das gotische Recht territorialisiert.80 Diese Tendenz zur Gentilisierung der politischen Begrifflichkeit ist, wie Walter Pohl gezeigt hat, nicht einfach mit dem Einrücken eines Germanenvolkes in eine spätrömische Provinz zu erklären, sondern steht für eine viel komplexere Wende in der Konzeptionalisierung des Politischen, in die auch christliche Vorstellungen wie diejenige

76 Vgl. Karl Zeumer, Ueber zwei neuentdeckte westgothische Gesetze. I. Das Processkostengesetz des Königs Theudis vom 24. November 546, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 23 (1898), 73–103, hier 81. 77 So etwa im Publikationsbefehl zur Umsetzung des Codex Theodosianus (Codex Theodosianus, Novella Theodosii 1 vom Jahr 438): Quod restat […] inlustris et magnifica auctoritas tua […] edictis prop(ositis) in omnium populorum, in omnium provinciarum notitiam scita maiestatis augustae nostrae faciat pervenire (Theodosiani libri XVI cum Constitutionibus Sirmondianis et Leges Novellae ad Theodosianum pertinentes, ed. Theodor Mommsen/Paul M. Meyer, Bd. 2, Berlin 1905, 5). 78 Eichenberger 1991, 80. 79 Vgl. Claude 1972, 24, der für den Wortgebrauch in den Akten des VI. Konzils von Toledo (638) konstatierte, man müsse „annehmen, daß hier alle Reichsangehörigen ohne Rücksicht auf ihre ethnische Abstammung als Gothi bezeichnet wurden“. Vgl. auch Eichenberger 1991, 80: „Es besteht kein Zweifel, daß mit dem Volk – in der traditionellen westgotischen Terminologie gens – nicht bloß eine Minderheit, sondern die gesamte unter der Herrschaft des westgotischen Königs stehende Bevölkerung, das im Verlaufe der Zeit aus Westgoten, Iberoromanen und anderen ethnischen Gruppen des westgotischen Machtbereiches entstandene einheitliche Staatsvolk gemeint sein muß.“ 80 Paul D. King, Chindasvinth and the first territorial law-code of Visigothic Kingdom, in: Edward James (ed.), Visigothic Spain. New Approaches, Oxford 1980, 131–157. Darüber hinaus war König Chindasvinth durchaus auch rechtsreformerisch aktiv, vgl. Andreas Kimmelmann, Die Folter im Beweisverfahren der Leges Visigothorum: Chindasvinths Gesetzgebung im Spiegel der westgotischen Rechtsentwicklung, Frankfurt a. Main et al. 2010; Céline Martin, La réforme visigothique de la justice: les années Recceswinth, in: Nilda Guglielmi/Adeline Rucquoi (edd.), Derecho y justicia. El poder en la Europa medieval / Droit et justice: le pouvoir dans l’europe médiévale, Buenos Aires 2008, 37–57.

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vom ‚auserwählten Volk‘ eingeflossen sind.81 Im Westgotenreich wurde die christliche Ethnisierung der Reichsbevölkerung als ‚Goten‘ besonders nachhaltig durch den Episkopat vorangetrieben, wie unlängst Jamie Wood am Beispiel Isidors von Sevilla gezeigt hat, der auf dem Konzil von 633 federführend war.82 Daran, dass die Bischöfe ihren Beschluss „nach Beratung mit dem Volk“ (cum gentis consultu) verkündeten und beschlossen, Swinthila, Geila, dessen Frau und deren Unterstützer „von der Gesellschaft des Volkes und von unserer Gemeinschaft zu trennen“ (a societate gentis atque consortio nostro placuit separari), wird erkennbar, in welchem Ausmaß die Bischöfe, inspiriert von Isidor, sich hier als Vertreter der gens Gotorum verstanden und welche Rolle dabei die Idee des christlichen Gottesvolkes spielte:83 Christi Ruhm sollte Sisenands „Königsherrschaft und die des Volkes der Goten im rechten Glauben bestärken“ (corroboret Christi gloria regnum illius gentisque Gotorum in fide catholica). In der bewussten Zusammenführung von „Land“ und „Volk“ der Goten stand die binäre Formel gens et patria Gotorum somit, wie Thomas Eichenberger betont hat, als „Kollektivbegriff […] für die Idee öffentlichen Wohls“.84 Nach dem Konzil von Merida vom Jahr 666 sollten auch alle Priester, wenn der König in exercitu unterwegs war, pro regis gentis aut patriae statu et salute beten.85 Nicht 81 Walter Pohl, Die ethnische Wende des Frühmittelalters und ihre Auswirkungen auf Ostmitteleuropa, Leipzig 2008. 82 Vgl. dazu Jamie Wood, Religiones and gentes in Isidore of Seville’s Chronica maiora. The Visigoths as a chosen people, in: Walter Pohl/Gerda Heydemann (edd.), Post-Roman Transitions: Christian and Barbarian Identities in the early Medieval West (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 14), Turnhout 2013, 125–168. 83 Vgl. auch Wood 2012, 142–147. 84 Eichenberger 1991, 77, der die Trias als Indiz dafür nahm, „daß Herrschaft bereits zu dieser Zeit als Herrschaft über Land und Leute, das heißt nicht nur personal, sondern auch territorial aufgefasst wurde“ (ebd., 73). In diesem Sinne auch Velázquez 2003, 202. 85 Konzil von Merida (666), c. 3: Quid sit observandum tempore rex in exercitu progreditur pro regis gentis aut patriae statu atque salute. Quantum cum Dei iuvamine ratio competit ut rectitudinis regula ponatur in ecclesiastico ordine, tantum necessarium est ea excogitare et ordinare quae clementissimo domino nostro Reccesvintho rege fideliumque suorum gentis aut patriae debeant prosperitatem adferre. Ob hoc ergo instituit sanctum concilium, ut quandoque eum causa progredi fecerit contra hostes suos, unusquisque nostrum in ecclesia sua hunc teneat ordinem, ita ut omnibus diebus per bonam dispositionem sacrificium omnipotenti Deo pro eius suorumque fidelium atque exercitus sui salute offeratur, et divinae virtutis auxilium impetretur, ut salus cunctis a Domino tribuatur, et victoria illi ab omnipotenti Deo concedatur. Tamdiu hic ordo tenendus est, quamdiu cum divino iuvamine ad suam redeat sedem. Quidquis huius institutionis modum implere distulerit, sciat se a suo metropolitano esse excommunicandum. Concilios visigóticos e hispano-romanos, ed. José Vives (España Cristiana, Textos 1), Madrid 1963, 327f. Im Frankenreich begegnet die Verpflichtung von Klöstern, pro statu ecclesiae et salute regis vel patriae zu beten, vgl. dazu die Belege in den Studien von Eugen Ewig, La prière pour le roi et le royaume dans les privilèges épiscopaux de l’époque mérovingienne, in: Mélanges offerts à Jean Dauvillier, Toulouse 1979, 255–267; Ders., Die Gebetsklausel für König und Reich in den merowingischen Königsurkunden, in: Norbert Kamp/Joachim Wollasch (edd.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre

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allein im Treueid also, sondern auch in politischen Gebeten und Messfeiern wurde diese Trias evoziert. Vorstellungen von ‚Gemeinwohl‘, ‚Gemeinnutz‘ usw. waren demnach nicht allein in der Person des Königs zentriert, sondern umschlossen auch die beiden anderen Aspekte, als deren Vertreter sich die Bischöfe sahen, wenn sie sich auf Reichssynoden versammelten. Die triadisch komponierte Formel begegnet angefangen mit dem IV. Konzil von Toledo in den Quellen des 7. Jahrhunderts immer wieder. In den Akten des X. Konzils von Toledo vom Jahr 656 sprachen die Bischöfe beispielsweise von generalia iuramenta in salutem regiam gentisque aut patriae data.86 Die Eidestreue wurde dabei, wie auch spätere Belege zeigen,87 stets auch als im Militärdienst zu konkretisierende Verpflichtung verstanden: „The oath of loyalty was meant to make the subjects observe their military duties. […] Military duties were an active aspect of the loyalty owed to the sovereign. The oath of loyalty implied, among other things, answering the king’s call when he demanded the presence of his loyal subjects. Not answering the call was considered by law an act of disloyalty.“88 Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin et al. 1982, 87–99; Ders., Der Gebetsdienst der Kirchen in den Urkunden der späteren Karolinger, in: Helmut Maurer/ Hans Patze (edd.), Festschrift für Berent Schwineköper. Zu seinem 70. Geburtstag, Sigmaringen 1982, 45–86. Bereits Kantorowicz 1998, 295, Anm. 14, wollte eine Verwandtschaft der westgotischen und der fränkischen Gebetsformeln nicht ausschließen. In größerem Zusammenhang vgl. auch Alexander Pierre Bronisch, Reconquista und Heiliger Krieg. Die Deutung des Krieges im christlichen Spanien von den Westgoten bis ins frühe 12. Jahrhundert (Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft II, 35), Münster 1998, 175–200. 86 X. Konzil von Toledo (656), c. 2: La colección canónica Hispana V, 521f.; weitere, z. T. variierende Belege bei Claude 1974, 360f. m. Anm. 20, 23 u. 27. 87 Wie konkret die beeidete Treue pro salute regis, gentis et patriae in militärischen Zusammenhängen relevant und von der vereidigten Bevölkerung auch tatsächlich eingefordert werden konnte, bezeugt das Heeresgesetz König Wambas (672–680) (Lex Visigothorum IX, 2 [De his, qui ad bellum non vadunt aut de bello refugiunt] 8: Leges Visigothorum, 370–373), demzufolge alle Militärdienstpflichtigen für die utilitates publicae Unterstützungspflicht zu erbringen hatten und pro gentis et patrie utilitatibus militärische Dienste schuldeten. Entsprechend erging unter Strafandrohung der Aufruf, sich unverzüglich und ohne Widerrede ad defensionem gentis vel patrie nostrae im Aufgebot einzufinden bzw. ad praestitum vel vindicationem gentis et patrie auszuziehen und mit aller Kraft contra inimicos nostrae gentis zu kämpfen. Schließlich wurde dies dahingehend konkretisiert, dass, falls ein Usurpator es wagen sollte, „innerhalb Spaniens, Galliens, Galiziens oder einer der anderen Provinzen, die der Herrschaft unserer Regierung unterstehen, […] einen Aufruhr (scandalum) gegen Volk (gens), Land (patria) bzw. gegen unsere Königsherrschaft (nostrum regnum) oder diejenige unserer Nachfolger anzuzetteln oder anzustiften“, jeder unverzüglich ad vindicationem aut regis aut gentis et patrie vel fidelium presentis regis aufzubrechen und im consortium fidelium zur Unterdrückung eines solchen scandalum beizutragen hätte; wer dies verweigerte, machte sich des scelus infidelitatis schuldig und war daher aufs Schwerste zu bestrafen, und zwar arbiträr bzw. durch Exil und Vermögenskonfiskation. 88 Pablo C. Diaz/Maria R. Valverde, The theoretical Strength and practical Weakness of the Visigothic Monarchy of Toledo, in: Frans Theuws/Janet L. Nelson (edd.), Rituals of Power. From Late Antiquity to the Early Middle Ages (The Transformation of the Roman World 8), Leiden et al. 2000, 59–93, hier 82.

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Das Hochverratsgesetz König Chindasvinths (642/643) und das VII. Konzil von Toledo (646)

Diese komplexen Hintergründe der politischen Terminologie werden auch in den 640er und 650er Jahren immer wieder sichtbar. Die dreigliedrige Eidformel rex, patria et gens Gotorum wurde wieder aufgenommen in dem berüchtigten Hochverratsgesetz des westgotischen Königs Chindasvinth (642–653), der im Jahr 642 im hohen Alter von fast 80 Jahren in einem Putsch an die Macht gekommen war und seinen Amtsvorgänger Tulga (639–642) absetzen ließ.89 Sein – möglicherweise vom gesamten Volk beschworenes90 – Gesetz richtete sich gegen Flüchtlinge und Leute in den Grenzgebieten des Westgotenreiches, die ihre Treue gegenüber rex, gens und patria Gotorum brachen: „König Flavius Chindasvinth. Über diejenigen, die sich als Flüchtlinge oder Aufbegehrer gegen den Fürsten oder das Volk bzw. Land erheben (De his, qui contra principem vel gentem aut patriam refuge sive insulentes existent.). Durch wie große Kämpfe wurde bis dato das Vaterland der Goten (Gotorum patria) erschüttert, und durch wie große Unruhen gerät dieser unsägliche Übermut von Unterworfenen fortwährend in Wallung, wodurch beinahe allen bekannt ist, dass sie auch eine Verminderung des Landes (patrie diminutionem) wahrnehmen, und wir eher durch diese Situation als zur Bezwingung der äußeren Feinde dazu gezwungen werden, zu den Waffen zu greifen! Damit also diese schreckliche Verwegenheit endlich besiegt werde und zugrundegehe, und damit die offensichtlichen Verbrechen von Gesetzesbrechern dieser Art nicht weiter unbestraft gelassen werden, setzen wir durch dieses für ewig gültige Gesetz fest: Wer auch immer seit der Zeit des Fürsten Chintila ehrwürdigen Gedenkens bis zum zweiten Jahr unserer von Gott begünstigten Königsherrschaft oder jüngst erst oder fortan zu einem feindlichen Volk oder einer auswärtigen Gegend aufgebrochen ist oder aufbrechen sollte oder auch gehen wollte bzw. wann auch immer zu gehen beabsichtigt, um in verbrecherischster Verwegenheit auch nur irgendwie gegen das Volk oder Land der Goten (contra gentem Gotorum vel patriam) zu handeln, und er gefangen bzw. entdeckt wurde oder werden sollte, oder falls irgendjemand seit dem ersten Jahr unserer Königsherrschaft oder fortan innerhalb der Grenzen des Landes der Goten (infra fines patrie Gotorum) irgendeine Verwirrung oder einen Aufruhr in Gegnerschaft zu unserem Königtum oder Volk (in contrarietatem regni nostri vel gentis) herbeizuführen beabsichtigt oder er seit unserer Regierungszeit so etwas zu betreiben oder zu planen scheint, oder verraten wurde oder werden sollte, unseren Tod oder unsere Absetzung oder diejenige nachfolgender Könige anzustreben oder angestrebt zu haben: Jeder, der all dieser oder eines dieser Verbrechen als Beklagter [für schuldig] befunden wird, erhalte das unwiderrufliche Todesurteil, und keinerlei Freiheit zu leben sei ihm fortan 89 Zu Chindasvinth vgl. Hans-Joachim Diesner, Politik und Ideologie im Westgotenreich von Toledo: Chindasvind, in: Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.- hist. Klasse, 121/1 (1979), 1–35. 90 Vgl. Karl Zeumer, Geschichte der westgotischen Gesetzgebung II, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 24 (1899), 39–122, hier 61–63.

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gewährt. Sollte jenem aber vielleicht mit Rücksicht auf die Gnade vom Fürsten das Leben gewährt werden, dann werde er nicht anders als mit herausgerissenen Augen dem Leben überlassen, damit er nicht den Untergang sehe, über den er sich in nichtswürdiger Weise gefreut hatte, und für immer Schmerz empfinde, ein äußerst bitteres Leben zu führen. Alle Besitztümer, sowohl von dem, der für ein solches Verbrechen durch den Tod vernichtet wird, als auch von dem, der aufgrund seiner Schlechtigkeit dem unglücklichsten Leben erhalten bleiben wird, sollen unbeeinträchtigt in der Verfügungsgewalt des Königs verbleiben, und wem sie geschenkt werden sollten, der soll sie auf ewig sicher besitzen, so dass keiner der nachfolgenden Könige, sein eigenes und das Interesse des Volkes schädigend (causam suam et gentis vitiaturus), diese jemals irgendwie wegzunehmen wagt. Weil sich aber häufig viele finden, die, weil sie von diesen und solchen schlechten Erwägungen vereinnahmt sind, dabei ertappt werden, durch irgendeine betrügerische Handlung ihr Vermögen Kirchen, Ehefrauen, Kindern, Freunden oder irgendwelchen anderen Personen übertragen zu haben oder zu übertragen, auch selbst das, was sie in betrügerischer Weise einem fremden Herrn übertragen hatten, indem sie es nach prekarischem Recht zurückfordern, mit dem Eifer der Verschlagenheit schließlich von neuem in ihre Besitzgewalt aufnehmen, wodurch sie von ihren Gütern nichts verloren zu haben scheinen, außer dass sie in überaus falscher Verdrehung erfundene, aber wahrhaft scheinende Schriftverfügungen zu tätigen scheinen – aus diesem Grund haben wir gewählt, diese höchst nichtswürdige Beweisführung durch den Entschied des gegenwärtigen Gesetzes abzuschneiden, so dass, nachdem die mit List erstellten Schriftverfügungen zertreten, entkräftet oder zerschnitten worden sind, das, was auch immer ein jeder zu der Zeit zu besitzen gefunden wird, als er in den vorgenannten Verbrechen ertappt wurde, sogleich in vollem Umfang dem Vermögen des Fiskus (fisci viribus) ungeschmälert hinzugefügt werde, damit es im Ermessen seiner Gewalt stehe (in sue potestatis consistat arbitrio), die schon genannten Besitztümer, wie schon oben gesagt wurde, wem der König möchte zu übertragen oder damit zu tun, was auch immer er bestimmt; die anderen Dinge jedoch, was auch immer als von diesem Betrug nicht betroffen bzw. als für ordentlich und nach dem Recht durchgeführt befunden werden sollte, bleiben durch die Kraft der Gesetze befestigt, wobei [auch] jene Personen offensichtlich vom Urteilsspruch dieses Gesetzes ausgenommen sind, denen von den vorangegangenen Königen (a precedentibus regibus) ihre Schuld erwiesenermaßen nachgelassen wurde. Denn wenn der König aus Menschlichkeit einem Treubrüchigen (cuicumque perfido) etwas schenken möchte, wird er ihm nicht von dessen [konfiszierten] Vermögen, sondern woher es dem Füsten beliebt allein soviel gewähren, wieviel der zwanzigste Teil des Erbes der beschuldigten Person ausmacht.“91

91 Lex Visigothorum II, 1 (De iudicibus et iudicatis), 8: Flavius Chindasvindus rex. De his, qui contra principem vel gentem aut patriam refuge sive insulentes existent. Quantis actenus Gotorum patria concussa sit cladibus, quantisque iugiter quatiatur istimulis profugorum hac nefanda supervia deditorum, ex eo pene cunctis est cognitum, quod et patrie diminutionem agnoscunt, et hac hoccasione potius quam expugnandorum hostium externorum arma sumere sepe conpellimur. Ut ergo tam dira temeritas tandem victa depereat, et in huiusmodi transgressoribus manifesta iscelera non relinquantur ulterius inpunita, hac omne per evum valitura lege sancimus, ut quicumque ex tempore reverende memorie Chintilani principis usque ad

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Der Begriff der patria Gotorum ist hier erneut zentral. Chindasvinth wandte sich gegen Flüchtlinge, die auf eine „Verminderung des Landes“ (diminutio patriae) hinarbeiteten, und schrieb in einem „ewig gültigen Gesetz“ sogar rückwirkend vor, dass Leute, die zu einem feindlichen Volk oder einer auswärtigen Gegend aufbrachen, um gegen „Volk bzw. Reich der Goten“ (contra Gotorum gentem vel patriam) zu handeln, oder die im Inneren in „Gegnerschaft zu Königtum und Volk“ (in contrarietatem regni nostri vel gentis) einen Aufstand mit dem Ziel der Tötung oder Absetzung des Königs planten, mit dem Tod zu bestrafen seien. Inhaltlich ist dieses Gesetz stark vom Vorbild des römischen crimen laesae maiestatis geprägt,92 worauf neben der Strafbarkeit bereits der Planung einer verräterischen Tat insbesondere die Doppelsanktion von Todesstrafe und Ver-

annum Deo favente regni nostri secondo vel amodo et ultra ad adversam gentem vel extraneam partem perrexit sive perrexerit aut etiam ire voluit vel quandoque voluerit, ut sceleratissimo ausu contra gentem Gotorum vel patriam ageret aut fortasse conetur aliquatenus agere, et captus sive detectus extitit vel extiterit, sive ab anno regni nostro primo vel deinceps quispiam infra fines patrie Gotorum quamcumque conturbationem aut scandalum in contrarietatem regni nostri vel gentis facere voluerit, sive ex tempore nostri regiminis tale aliquid agere vel disponere videtur, in necem vel abiectionem nostrum sive subsequentium regum intendere vel intendisse proditus videtur esse vel fuerit: horum omnium scelerum vel unius ex his quisque reus inventus inretractabilem sententiam mortis excipiat, nec ulla ei de cetero sit vivendi libertas indulta. Quod si fortasse pietatis intuitu a principe fuerit illi vita concessa, non aliter quam effossis oculis relinquatur ad vitam, quatenus nec excidium videat, quo fuerat nequiter delectatus, et amarissimam vitam ducere se perenniter doleat. Res tamen omnes, vel eius, qui morte est pro tali iscelere perimendus, vel huius, qui vite propter suam nequitiam infelicissime reservabitur, in regis ad integrum potestate persistant, et cui donate fuerint ita perpetim securus possideat, ut nullus umquam succedentium regum, causam suam et gentis vitiaturus, has ullatenus auferre presumat. Verum quia multi plerumque repperiuntur, qui, dum his et talibus pravis meditationibus occupantur, argumento quodam fallaci in ecclesiis aut uxoribus vel filiis adque amicis seu in aliis quibuscumque personis suas inveniantur transduxisse vel transducere facultates, etiam et ipsa, que fraudulenter in domino alieno contulerant, iure precario reposcentes sub calliditatis studio in suo denuo dominio possidenda recipient, unde nihil de suis rebus visi sunt admisisse, nisi solum concinnacione falsissima fictas quasi veredicas videantur scripturas conficere; ideoque hanc nequissimam argumentationem presentis legis decreto amputare elegimus, ut, calcatis vel evacuatis seu rescissis scripturis ac fraude confectis, quidquid eo quisque tempore possidere repperiatur, quo fuerit in predictis criminibus deprehensus, totum continuo fisci viribus ad integrum adplicetur, ut concedere iam dictas facultates, sicut supra dictum est, cui rex voluerit vel facere exinde quidquid elegerit in sue potestatis consistat arbitrio; alia vero, quecumque ab hac fraude aliena inventa extiterint ordinate legibusque confecta, vigore legum maneant solidata, illis ab huius legis sententia personis evidenter exceptis, quibus a precedentibus regibus culpa dinoscitur fuisse concessa. Nam si humanitatis aliquid cuicumque perfido rex largiri voluerit, non de facultate eius, sed unde placuerit prinicipi tantum ei solummodo concessurus est, quantum hereditatis eiusdem culpati vicesima portio constiterit (Leges Visigothorum, 53–57; dt. Übers.: S. E.). 92 In Teilen überholt sind die Ausführungen von Floyd Seyward Lear, The Public law of the Visigothic Code, in: Ders., Treason in Roman and Germanic Law. Collected Papers, Austin/ Texas 1965 (Orig. 1951), 136–164.

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mögenskonfiskation deutet93 – allerdings mit einem wichtigen Unterschied: Rechtsgrund der zu verhängenden Sanktionen war hier der Bruch des Treueides, den Funktionsträger, adeligen Gruppen und das Volk dem westgotischen König traditionell leisteten. In der Infidelität war also das crimen maiestatis (oder waren wenigstens wichtige Teile davon) gleichsam aufgesogen und auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt worden.94 Typisch für das auf den Treueid gegründete Strafrecht ist die Begnadigungsstrafe: Auf Intervention des Königs konnte die Todesstrafe in die Strafe der Blendung gemildert werden,95 in jedem Fall aber sollte das Vermögens des Täters dem Fiskus einverleibt werden, wobei alle erdenklichen rechtlichen Strategien der Beschuldigten, ihr Vermögen noch rechtzeitig beiseitezuschaffen, untersagt wurden. Der König behielt sich ausdrücklich das Recht vor, diese Güter neu zu vergeben, und mahnte vorsorglich an, dass keiner seiner Nachfolger solche Vergaben wieder rückgängig machen sollte.96 Von einer Mitwirkung anderer Institutionen ist hier nicht die Rede, doch enthält der Erlass eine Beschränkung, dass der König einem begnadigten Treubrüchigen nicht aus dessen zuvor konfiszierten Vermögen etwas geben durfte, sondern aus anderen Mitteln des Fiskus, und auch davon nur das Äquivalent von einem Zwanzigstel des zuvor eingezogenen Erbes. Hier lassen sich also gewisse Restriktionen gegenüber der königlichen Machtentfaltung beobachten. Möglicherweise gingen diese von einer selbstbewussten Fiskalverwaltung bei Hofe aus, die dem Handeln eines unbeschränkt Gnade gewährenden Königs Beschränkungen auferlegen wollten. Latenter Widerstand gegen das alleinige, unkontrollierte Regiment des Königs werden auch drei Jahre später erkennbar, als sich im Oktober 646 auf dem VII. Konzil von Toledo eine gegenüber König Chindasvinth loyal gebliebene Min-

93 Vgl. auch Ewig 1976, 32f. 94 Vgl. dazu ausführlicher Stefan Esders, Grenzüberschreitende Mobilität als Problem politischer Loyalität. Das Hochverratsgesetz des westgotischen Königs Chindasvinth (642/643) und das 7. Konzil von Toledo (646), in: Ignacio Czeguhn et al. (edd.), Wasser – Wege – Wissen auf der iberischen Halbinsel. Eine Annäherung an das Studium der Wasserkultur von der römischen Antike bis zur islamischen Zeit / Agua, vías, conocimientos en la Península Ibérica. Una aproximación al estudio de la cultura del agua desde la antigüedad romana hasta la época musulmana (Berliner Schriften zur Rechtsgeschichte 9), Baden-Baden 2018, 87–119. 95 Meinrad Schaab, Die Blendung als politische Maßnahme im abendländischen Früh- und Hochmittelalter, Diss. phil., Heidelberg 1955; Geneviève Bührer-Thierry, ‚Just anger‘ or ‚Vengeful anger‘? The punishment of blinding in the early medieval West, in: Barbara H. Rosenwein (ed.), Anger’s past. The social uses of an emotion, Ithaca, NY 1998, 75–91; Judith Herrin, Blinding in Byzantium, in: Cordula Scholz/Georgios Makris (edd.), Polypleuros nous. Miscellanea für Peter Schreiner zu seinem 60. Geburtstag, München 2000, 56–68. 96 Hierin darf eine gewisse Ängstlichkeit Chindasvinths hinsichtlich der transpersonalen Gültigkeit seiner Regierungsakte erblickt werden, auf die später noch zurückzukommen sein wird. Siehe dazu unten Abschnitt 2.6.

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derheit des westgotischen Episkopates traf und dessen Hochverratsgesetzgebung bekräftigte: „Über flüchtige und treubrüchige Kleriker bzw. Laien. Als im Namen der heiligen Dreiheit sowohl aus unserer Ergebenheit heraus als auch durch den Eifer des allerheitersten und Gott liebenden Königs Chindasvinth bei der Stadt Toledo unsere Zusammenkunft zur Behandlung bestimmter kirchlicher Grundsätze stattfand, schien es uns angemessen, in wechselseitigem Austausch das zu beschließen, von dem wir sicher sind, dass es, sofern es sorgsam beachtet wird, für den gegenwärtigen wie den künftigen Nutzen in größerem Maße zuträglich ist – dies umso mehr, weil immer besonders für das Sorge zu tragen ist, was nach reiflicher Überlegung für die kirchlichen Sitten und für den gemeinen Nutzen (ecclesiasticis moribus uel utilitati publicae), ohne den wir nicht friedlich leben können, angebracht erscheint. Denn obwohl bedeutende Gesetze des Kirchenrechts vorhanden sind, die für jegliche Besserung ausreichen könnten, sofern es nur einer für würdig erachtete, sie bereitwillig anzuwenden, trägt es doch – weil die Helligkeit des Lichts umso prächtiger hervorblitzt, je eifriger sie immer wieder behandelt wird – nicht unerheblich zur Besserung vieler bei, wenn zu dem, was bereits festgesetzt wurde und was [nun] durch die brüderliche Zusammenkunft in Erinnerung gebracht wird, noch etwas hinzugefügt wird, was entweder zu fehlen scheint oder von dem man glaubt, dass es auf angemessene Art [neu] festgesetzt werden muss. Wer nämlich weiß nicht, wie folgenreiche Dinge jüngst auf unerlaubte Weise durch Tyrannen und Flüchtlinge bewirkt wurden, indem diese sich in die Grenzgebiete begaben, und auf welch verbrecherische Weise deren sich fortwährend wiederholender Übermut sowohl dem Land eine Minderung (patriae diminutionem) zufügte als auch dem Heer der Goten (exercitui Gotorum) unaufhörliche Mühe auferlegte? Wäre dies durch den Wahnsinn von Laien vollbracht worden, schiene es uns vielleicht noch einige Male duldbar. Doch ist es umso mehr erstaunlich, weil – was schlimmer ist – so viele Leute aus dem Gelübde der Religion sich in dieser Anmaßung bisweilen so verderblich aufblasen. Es trüge nicht gering zu unserer Verwirrung bei, bliebe eine Sache, welche man [doch] durch weltliches Gesetz und kirchliche Disziplin (mundana lege et ecclesiastica disciplina) unverzüglich zu bessern übereinkam, auch nur irgendwie unbestraft. Deshalb haben wir nun beschlossen, in einmütigem Richterspruch festzulegen: Wer auch immer aus dem Stand des Klerus – vom höchsten bis zum geringsten Weihegrad – sich unter irgendeinem Vorwand in das Gebiet eines fremden Volkes begibt oder von dort im Übermut seine Rückkehr oder etwas anderes betreibt, oder auch etwas plant oder bewirkt, was Volk, Land oder König der Goten (gentem Gotorum uel patriam aut regem) in besonderer Weise bei dieser Gelegenheit schaden könnte, aber auch wer der Mitwisserschaft mit solchen [Klerikern] überführt wird und ihnen erwiesenermaßen Rat oder Unterstützung gab, damit sie entweder die Flucht zu einem fremden Volk anstrebten oder bei den Übeltaten, die sie begonnen haben, verblieben oder nach der Flucht Volk, Land oder Fürst der Goten (genti Gotorum uel patriae aut principi) irgendwelchen Schaden zufügten, oder ihnen offenkundig zugeredet haben, auf dass sie zukünftig in derselben Schlechtigkeit verbleiben werden: Ein solcher werde unverzüglich eines jeglichen Grades seiner Ehrenstellung beraubt, damit die Dienststellung, in welcher er gedient hatte, sogleich ein anderer dauerhaft zur Verwaltung übernehme, während der Übertreter selbst in den Büßerstand versetzt (sub paenitentia constitutus)

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und ihm, falls er sich des von ihm begangenen Übels besinnt und bis zum Tag seines Todes auf korrekteste Weise Buße tut, allein an seinem [Lebens]Ende die Kommunion erteilt werde – und zwar so, dass falls einer der Bischöfe – und sei es auf Anweisung des Fürsten – seine Zustimmung dazu geben sollte, ihm die Kommunion bereits zu erteilen, bevor die Zeit seines Endes gekommen ist, dieser [Bischof], weil er dadurch zum Teilhaber seines Verbrechens wurde, auf ewig verflucht sei und mit dem gleichen Schuldspruch wie der, dem er die Kommunion erteilte, verdammt werde, da ja keiner der Bischöfe der Gewalt des Fürsten (potestati prinicipis) in etwas seine Zustimmung geben darf, wodurch er eidbrüchig würde, oder derselbe Bischof, falls – was fern sei – sich irgend ein Fürst als Verletzer des katholischen Glaubens erheben sollte, durch die Gunst oder den Schrecken des Fürsten gezwungen würde, vom Licht des rechten Glaubens zur Dunkelheit zurückzukehren. So nämlich wird es niemals nötig sein, dass die unten angeführten Bestimmungen durch Befehle oder Einschüchterungen der Fürsten entkräftet werden, weil wir wissen, dass fast alle Bischöfe Spaniens und alle Älteren, Richter und übrigen Männer des Palastes geschworen haben (omnes paene Spaniae sacerdotes omnesque seniores uel iudices ac ceteros homines officii palatini iurasse) und es so unlängst durch Gesetze bestimmt wurde, dass kein Flüchtling oder Treubrüchtiger, der dabei ertappt wird, gegen Volk, Land oder König der Goten (contra gentem Gotorum uel patriam seu regem) zu handeln oder sich in Gemeinschaft eines fremden Volkes zu begeben, jemals wieder in den Besitz seiner Güter eingesetzt werden darf – es sei denn, der Fürst der Menschlichkeit wollte vielleicht solchen Personen etwas zukommen lassen. [In diesem Fall] soll er jedoch keine Gewalt haben, dem, der sich treubrüchig gezeigt hat, mehr als den zwanzigsten Teil derjenigen Dinge zuzuteilen, aus denen der König ausgewählt hat. Weil aber bisweilen viele Kleriker die Schlechtigkeit so großen Leichtsinns derart überheblich macht, dass sie – unter Missachtung der Würde ihres Standes und uneingedenk des geleisteten Eides (polliciti sacramenti immemores) – in verwegenem Leichtsinn, obwohl doch der Fürst, dem sie Treue zu halten versprochen hatten, fest [im Amt] steht, der Erhebung eines anderen [Fürsten] ihre Zustimmung geben, ist es angebracht, dass diese Erlaubnis für ungültig erklärt und von unserer Gemeinschaft von Grund auf ausgerottet wird – und zwar so, dass, falls ein Laie vielleicht einmal versuchen sollte, innerhalb des Landes der Goten (intra fines patriae Gotorum) übermütig nach dem Gipfel der Königsherrschaft zu greifen, und ein Kleriker ihm [dabei] Unterstützung und Gunst gewährt, und es geschehen sollte, dass der Usurpator tatsächlich durch sein Verbrechen zum Ziel der Königsherrschaft gelangt, derselbe Bischof oder Kleriker gleich welchen Standes von jenem Tag bzw. Zeitpunkt an, an dem er sich in ein solches Verbrechen verwickelt hat, auf ewig exkommuniziert bleiben soll. Sollte er aufgrund der Ungerechtigkeit des Fürsten (improbitate principis), dem er zugestimmt hat, dennoch nicht durch das Drängen der Bischöfe von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden können, so soll er wenigstens [dann], wenn die Zeit nach dem Tod desselben Königs ihn als Überlebenden findet, der oben erwähnten Strafe des Bannstrahls unterliegen, und keiner gebe seine Zustimmung dazu, jenem die Gnade der Kommunion zukommen zu lassen außer am letzten [Tag] seines Lebens, sofern er rechtmäßig zu büßen nachgewiesen hat. Uns hat derweil die Vernunft dazu überredet, in dem Synodalbeschluss hierüber zu bestimmen, dass jeder Laie, der in den vorgenannten Tatbeständen – das heißt der

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Gegnerschaft zu Volk, Land oder königlicher Amtsgewalt (hoc est aduersitate gentis aut patriae uel regiae potestatis) – dadurch, dass er sich in die Grenzgebiete begibt oder jenen, die dies tun, Hilfe gewährt, fortan für schuldig befunden wird, nicht nur wie bereits gesagt, jeglichen Eigentums seiner Habe beraubt werden soll, sondern er mit ewiger Exkommunikation verdammt werde und ihm niemals außer an seinem Todestag die Kommunion gegeben werde – es sei denn, er erlangt durch das Flehen der Bischöfe beim Fürsten auf andere Weise für sich oder die anderen das Heilmittel dieser Kommunion, das wir oben genannt haben. Denn falls einer, was keineswegs geschehen darf, dabei entdeckt wird, zwecks Herabsetzung oder Schmähung des Fürsten (in derogationem aut contumeliam prinicipis) nichtswürdig zu reden oder auf den Tod des Königs oder dessen Absetzung (in necem regis seu deiectionem) zu zielen oder dazu seine Zustimmung zu geben, so halten wir ihn ebenso der Exkommunikation dieser Art für würdig; die Entscheidung darüber, ob und gegebenenfalls wann jenem dennoch die Kommunion gegeben werden darf, überlassen wir der Frömmigkeit des Fürsten (pietate principis discernendum relinquimus), in dessen Amtsgewalt (potestas) es zweifelsohne liegt, die schuldhaften Vergehen seiner Untertanen (subiectorum) durch einen Urteilsspruch der Barmherzigkeit zu mäßigen. Wir jedoch rufen einmütig die allermildesten Fürsten zu Zeugen auf und beschwören beim unaussprechlichen Geheimnis des göttlichen Namens, dass sie niemals ohne das gerechte bischöfliche Flehen (absque iusta imploratione sacerdotali), wo es notwendig ist, den Urteilsspruch dieser Exkommunikation gegen treubrüchtige Klerikern oder Laien (perfidis clericis uel laicis), die sich in Grenzgebiete begeben oder dazu ihre Zustimmung gewähren, durch irgendeine Unbesonnenheit aufheben. Denn weil es umso mehr ihrem Nutzen zu dienen scheint, dass ein Beschluss gefasst wird, wenn der Wortlaut unserer Rechtssetzung beachtet wird, [dürfen sie kein] verwünschenswertes [Urteil fällen]: Verflucht und beim Herrn wie ein ungetreuer Sachwalter des katholischen Glaubens für immer angeklagt sei daher jeder König (quicumque regum), der künftig glauben sollte, die Maßgabe dieses Konzilsbeschlusses auch nur irgendwie zu verletzen.“97 97 VII. Konzil von Toledo (646), c. 1: De refugis atque perfidis clericis siue laicis. Cum in sanctae nomine Trinitatis pro quibusdam disciplinis ecclesiasticis tam nostra deuotione quam studio serenissimi et amatoris Christi Chindasuinti regis nostri apud Toletanam urbem conuentus adesset, competenter uisum est mutua collatione decernere quod sollicite conseruatum et praesentibus et futuris commodis nimium, ut confidimus, prodesse constabit, magis quia semper est magnopere prouidendum quidquid uel ecclesiasticis moribus uel utilitati publicae, sine qua quieti non uiuimus, opportunum esse perpenditur. Nam licet tantae constitutiones canonum exstent quae ad omnem possent correctionem sufficere si quis eas dignetur libenter adtendere, tamen quia luminis claritas tanto amplius emicat quanto fuerit studiosius saepissime contrectata, non parum proficit ad emendationem multorum si, dum ea quae constituta sunt, per fraternam collationem ad memoriam reducuntur, illa magis adiciantur quae aut deesse uidentur aut omnino constituenda competenter existimantur. Quis enim nesciat quanta sint hactenus per tyrannos et refugas transferendo se in externas partes illicite perpetrata et quam nefanda eorum superbia iugiter frequentata, quae et patriae diminutionem aferent et exercitui Gotorum indesinentem laborem imponerent? Quod quidem laicorum insania factum tolerandum nobis forsitan aliquotiens uideretur; illud tamen est uehementius stupendum, quia, quod peius est, tanti ex religionis proposito in hac interdum praesumptione praecipites efferuntur ut non ad leuem confusionem nostram pertineat si res ullatenus inulta

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Wie drei Jahre zuvor der König, so wandte sich auch der Konzilsbeschluss gegen hochverräterische Aktivitäten von „Tyrannen“ und „Flüchtlingen“, welche sich mit dem Ziel einer diminutio patriae gegen gens, patria bzw. regia potestas

remaneat quam et mundana lege et ecclesiastica conuenit instanter disciplina corrigere. Ideoque placuit nunc concordi sententia definire, ut quisquis in ordine clericatus a maximo gradu usque ad minimum constitutus in alienae gentis regionem se quacumque occasione transduxerit aut exinde superbiendo uel reditum suum uel quodlibet aliud uideatur expetere, siue etiam, quod gentem Gotorum uel patriam aut regem specialiter sub hac occasione possit nocere, uel fieri disposuerit uel aliquatenus fecerit, sed et qui cum talibus conscius reperitur, eisque uel consilium uel opem administrasse cognoscitur qualiter aut ad gentem alienam fugam appeterent aut in malis quae coeperant perdurarent seu quamcumque laesionem genti Gothorum uel patriae aut principi post fugam inferrent, atque in eandem prauitatem perseueraturos dinoscunt suasisse, iste ita indubitanter omni honoris sui gradu priuetur ut locum eius, in quo ministrauerat, alter continuo perpetim regendum accipiat, ipse uero transgressor sub paenitentia constitutus si reminiscens mali quod fecerit, usque in diem mortis suae rectissime paenituerit, in solo tantum fine communio ei praestanda est, ita ut antequam tempus finis ei adueniat, si quispiam sacerdotum etiam ordinante principe ei communicare consenserit, particeps criminis illius effectus anathema fiat in perpetuum ac simili cum eo cui communicauerit, sententia condemnetur, quoniam potestati prinicipis nullus sacerdotum in hoc praebere debet assensum, unde uel periurium uideatur incurrere uel, quod absit, si quicumque catholicae fidei praeuaricator princeps surrexerit, sacerdos idem uel fauore principis uel terrore a rectae credulitatis lumine ad tenebras cogatur reuerti. Sic enim nec super annixa capitula uel imperiis principum uel terroribus oportebit unquam euacuari, quia nouimus omnes paene Spaniae sacerdotes omnesque seniores uel iudices ac ceteros homines officii palatini iurasse, atque ita dudum legibus decretum fuisse, ut nullus refuga uel perfidus qui contra gentem Gotorum uel patriam seu regem agere aut in alterius gentis societate se transducere reperitur, integritati rerum suarum ullatenus reformetur, nisi forsitan princeps humanitatis aliquid personis talibus inpertire uoluerit; cui tamen non amplius quam uicesimam partem rerum ei qui perfidus exstitit, de rebus unde rex elegerit, tribuendi potestatem habebit. Sed et quia plerosque clericos tantae leuitatis interdum prauitas eleuat ut, praetermissa sui ordinis grauitate ac polliciti sacramenti immemores, constante principe, cui fidem seruare promiserant, in alterius erectione temeraria leuitate consentiant, abrogari decet hanc omnino licentiam et a nostro consortio penitus exstirpari, ita ut si quicumque laicorum quando quidem intra fines patriae Gotorum superbiens regni apicem sumere fortasse tentauerit, eique clericorum quilibet adiutorium uel fauorem praestiterit, atque hunc qui superbire uidetur, ad eandem regni ambitionem praeualente delicto peruenire contigerit, ex eo quidem die uel tempore eundem episcopum uel cuiuslibet ordinis clericum excommunicatum manere perpetim oportebit, quo talis se scelere implicauit. Tamen si improbitate principis cui inique consensit, non potuerit instantia sacerdotum a communione suspendi, saltim si supprestem eum post eiusdem regis obitum tempus inuenerit, superiori anathematis correptione subiaceat quicumque illi praeter in ultimo uitae suae, si tamen hunc legitime paenitere probauerit, communionis gratiam consenserit impendendam. Nobis interim ratio persuasit synodali super hoc constitutione decernere, ut quicumque etiam laicorum in praedictis capitulis, hoc est aduersitate gentis aut patriae uel regiae potestatis, in externas partes se conferendo uel talibus opem praebendo noxius fuerit ultra repertus, non solum ut dictum est omni rerum suarum proprietate priuetur, sed et perpetua excommunicatione damnatus nunquam illi praeter in ultimo mortis suae communio tribuatur, excepto si aliter communionis eius remedium uel eorum quod supra taxauimus, imploratione sacerdotum apud principem fuerit inpetratum. Nam si, quod omnino fieri non oportet, in derogationem aut contumeliam prin-

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richteten. Klang hierin erneut die dreigliedrige Eidformel an, so betonten die Bischöfe, dass den Treueid „fast alle Bischöfe Spaniens und alle Älteren und die Richter und die übrigen Männer des Palastdienstes geschworen“ hätten. In der Sanktionierung des Treubruchs bekräftigten sie die Güterkonfiskation, von der Todesstrafe war hier jedoch nicht die Rede. In jedem Fall jedoch sollten Täter und Unterstützer auf Lebenszeit exkommuniziert werden, und in diesem bis an die Grenzen seiner Einsatzmöglichkeiten strapazierten Sanktionsinstrument konkretisierte sich der bischöfliche Handlungsrahmen. Hauptsächlich wandte sich ihr Beschluss jedoch gegen Kleriker, die sich verräterischer Aktivitäten schuldig machten oder einen Thronumsturz unterstützten. Sie sollten ihres Amtes entsetzt werden und auf Lebenszeit exkommuniziert bleiben, was nichts anderes bedeutete, als dass sie in den Büßerstand überzutreten hatten (sub paenitentia constitutus) und dadurch amtsunfähig wurden.98 Hypothetisch trafen die Bischöfe sogar Vorkehrungen für den Fall, dass tatsächlich ein neuer König im „Land der Goten“ (intra fines patriae Gotorum) erhoben und dieser die Exkommunikation der Kleriker verhindern würde: In diesem Fall sollten solche Kleriker spätestens, wenn der neue König starb, gebannt werden. Man dachte also transpersonal und verfügte Bestimmungen bereits für die Regierungszeit eines künftigen Königs, der alles umdrehen könnte und dessen Maßnahmen man unter dem darauffolgenden übernächsten König dann wieder rückgängig machen würde. Offen rechneten die Bischöfe mit der Möglichkeit, der neue König könnte vom rechten Glauben abfallen und die Bischöfe bzw. Kleriker dazu zwingen, durch ihre Zustimmung eidbrüchig zu werden (polliciti sacramenti immemores). Dies bezog sich, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, auf den Monotheletismus-Konflikt, der in den 640er Jahren icipis reperiatur aliquis nequiter loqui aut in necem regis seu deiectionem intendere uel consensum praebere, nos siquidem huiuscemodi excommunicatione dignum censemus; utrum tamen sit illi quandoque communicandum, pietate principis discernendum relinquimus, cuius procul dubio potestatis est subiectorum culpas misericordiae iudiciique sententia temperare. Contestamur autem clementissimos principes et per ineffabile diuini nominis sacramentum obtestantes unanimiter obsecramus, ne quando quidem absque iusta, ubi necesse fuerit, imploratione sacerdotali exconmunicationis huius sententiam a perfidis clericis uel laicis ad externas partes se transferentibus uel consensum praebentibus quacumque temeritate suspendant. Nam quod magis eorum utilitatibus uidetur ferre consultum, si constitutionis nostrae forma seruetur, exsecrandum [iudicare non debent. Ideoque] anathema fiat et uelut praeuaricator catholicae fidei semper apud Dominum reus exsistat quicumque regum deinceps canonis huius censuram in quocumque crediderit uel permiserit uiolandum (La colección canónica hispana V, 338–347; dt. Übers.: S. E). 98 Mayke de Jong, What was public about public penance? Paenitentia publica and justice in the Carolingian world, in: La giustizia nell’alto medioevo (secolo ix-xi) (Settimane di studio del Centro Italiano di studi sull’alto medioevo XLIV), Spoleto 1997, 863–904, hier 873–880; Dies., Adding insult to injury: Julian of Toledo and his ‚Historia Wambae‘, in: Peter Heather (ed.), The Visigoths from the Migration Period to the seventh century: an ethnographic perspective, Woodbridge 1999, 373–402.

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schwelte und zunehmend auch den Westen erreichte.99 Die Sorge, König Chindasvinth, der zu dieser Zeit schon weit in seinen 80ern war, könnte durch einen Usurpator ersetzt werden, der einen religionspolitischen Kurswechsel einleiten würde, ließ die Bischöfe hier ‚transpersonal‘ schon an Chindasvinths Nach-Nachfolger denken. Man rechnete offen mit der „Ungerechtigkeit eines Fürsten“ (improbitate principis), dem sogar Kleriker unter Bruch ihres Eides zustimmen könnten. Unter den in Toledo anwesenden Bischöfen waren keine aus den östlichen, an das Frankenreich angrenzenden Provinzen Tarraconensis und Septimania (Gallia Narbonensis). Unter ihnen sind wohl vor allem diejenigen Kleriker zu vermuten, die man in Toledo bezichtigte, mit einem fremden Volk jenseits der Grenze gemeinsame Ziele zu verfolgen und auf die Absetzung Chindasvinths hinzuarbeiten. Insofern banden sich die Konzilsväter eng an den amtierenden König. Dessen Begnadigungsrecht bestätigten sie zwar, nahmen aber bemerkenswerterweise in ihren Konzilsbeschluss die (im zitierten Erlass Chindasvinths enthaltene) Beschränkung auf, dass der König einem begnadigten Treubrüchigen allenfalls ein Zwanzigstel vom eingezogenen Vermögen geben dürfe. Die Bischöfe sahen zudem, dass eine vom König auszusprechende Begnadigung de facto auch die Aufhebung der Exkommunikation nach sich ziehen würde. Insofern billigten sie dem König damit sogar zu, die Exkommunikation eines begnadigten Übeltäters aufheben zu dürfen! Wohl aus demselben Grund verfluchten sie am Ende ihres Kanons alle Könige, die „ohne das gerechte bischöfliche Flehen“ (absque iusta imploratione sacerdotali) die Exkommunikation eines Klerikers oder Laien „durch irgendeine Unbesonnenheit aufheben“ sollten. Jeder König, der solches künftig täte, sollte daher „verflucht und beim Herrn wie ein ungetreuer Sachwalter des katholischen Glaubens für immer angeklagt“ sein. Der Kanon wirkt so, als wären sich die in Toledo versammelten Bischöfe ihrer Abhängigkeit vom persönlichen Regiment des betagten Königs sehr bewusst gewesen, während sie die möglichen Gefahren der königlichen Begnadigungspraxis vor allem mit Blick auf den Eidbruch von Klerikern und eine ‚sprunghafte‘ Handhabung der lebenslangen Exkommunikation betrachteten. Zugleich hatten sie das Szenario im Blick, dass mit einer erfolgreichen Usurpation eines beispielsweise von den Franken unterstützten Thronprätendenten auch ein religionspolitischer Kurswechsel verbunden sein könnte.

99 Vgl. Stefan Esders, Chindasvinth, the ‚Gothic disease‘, and the Monothelite crisis, in: Millennium-Jahrbuch, 16 (2019), 175–212.

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Gab es eine institutionelle Trennung von rex und patria bzw. gens Gotorum?

Chindasvinth erhob im Jahr 649, offenbar auch auf den Druck maßgeblicher kirchlicher Kräfte hin, seinen Sohn Reccesvinth zum Mitregenten. Möglicherweise ist dieser letzten Phase seiner Herrschaft ein undatiertes Gesetz zuzuordnen, das im Liber iudiciorum enthalten ist, dem unter Reccesvinth 653/654 publizierten westgotischen Gesetzbuch: „König Flavius Chindasvinth. Über die den Fürsten vorbehaltene Liebe zu begnadigen. So häufig uns in Betreff derjenigen, die sich in uns betreffenden Angelegenheiten (in causis nostris) in irgendein Verbrechen (aliquo crimine) verwickelt haben, demütig eine Bitte erteilt wird, gewähren wir den Zugang eine Eingabe zu machen, und in frommem Erbarmen behalten wir es unserer Amtsgewalt (nostrae potestati servamus) vor, den Übertretern ihre Schuld zu erlassen. Für eine Angelegenheit des Volkes jedoch oder des Landes verweigern wir eine Erlaubnis dieser Art (pro causa autem gentis et patrie huiusmodi licentiam denegamus). Sollte jedoch das göttliche Erbarmen das Herz des Fürsten dazu drängen, sich solch verbrecherischer Personen zu erbarmen, wird er mit Zustimmung der Bischöfe und der Großen des Palastes die Berechtigung zum Erbarmen gerne haben (cum adsensu sacerdotum maiorumque palatii licentiam miserandi libenter habebit).“100

Erneut ging es hier um das königliche Begnadigungsrecht bei schweren Verbrechen. Wiederum begegnet die triadisch komponierte, aber binär zusammengesetzte Formel rex, patria und gens Gotorum, die im Treueid enthalten war und auf welche sich auch die behandelten Hochverratsbestimmungen bezogen. Hier wird freilich etwas entscheidend Neues greifbar: Während die Trias von rex, gens et patria Gotorum in ihrer formelhaften Verwendung eher wie ein Pleonasmus anmutet bzw. der Versuch, einen Gesamtkomplex von verschiedenen Polen her gleichsam ‚einzuhegen‘, lässt der zitierte Erlass klar eine funktional differenzierte Trennung der Komponenten erkennen. Das Begnadigungsrecht des Königs in Fällen von Hochverrat wurde demnach nach causae regis und nach causae gentis et patriae unterschieden. Angesichts der in den Texten der ersten Regierungsjahre Chindasvinths evidenten Streitigkeiten um die Handhabung des königlichen Begnadigungsrechts, spricht viel dafür, den vorliegenden Text in die

100 Lex Visigothorum VI, 1 (De accusationibus criminum), 7: Flavius Chindasindus rex. De servanda prinicipibus pietate parcendi. Quotienscumque nobis pro his, qui in causis nostris aliquo crimine inplicati sunt, subplicatur, et suggerendi tribuimus aditum et pia miseratione delinquentibus culpas omittere nostrae potestati servamus. Pro causa autem gentis et patrie huiusmodi licentiam denegamus. Quod si divina miseratio tam sceleratis personis cor principis miserere conpulerit, cum adsensu sacerdotum maiorumque palatii licentiam miserandi libenter habebit (Leges Visigothorum, 256; dt. Übers.: S. E.).

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spätere Zeit dieses Herrschers zu datieren,101 als man versuchte, die Rolle des Königs auch religiös stärker zu umreißen und aus der harschen Verfolgungspolitik Lehren zu ziehen.102 Hieran schließen sich zwei Fragen an: Worin genau bestand die im Gesetz vorgeschriebene Abgrenzung und wie weit reichte sie? Und wer repräsentierte gens und patria der Goten, wenn nicht der König allein? Zur ersten Frage ist zu bemerken, dass sich praktisch nur Aussagen zum angesprochenen Delikt des Hochverrates machen lassen. Einen Attentäter, der es auf sein Leben abgesehen hatte, konnte der König demnach aus seiner potestas heraus allein begnadigen; um dagegen einen Verräter zu pardonieren, der gegen patria und gens Gotorum gehandelt hatte, indem er beispielsweise den Militärdienst verweigerte, den Feind ins Land holte oder gegen fundamentale religiöse Gesetze verstieß, bedurfte der König der Zustimmung, d. h. des Konsenses, der hohen kirchlichen und weltlichen Hofbeamten103 – man wird hier nicht nur, aber auch an den Erzbischof von Toledo zu denken haben. Das mag nur auf den ersten Blick sehr künstlich klingen. De facto bedeutete es, dass beispielsweise Landesverrat nicht vom König allein geahndet und auch ein Täter nicht von ihm allein für ein solches Verbrechen begnadigt werden durfte, weil der König eben nicht allein das Land repräsentierte. Zudem gibt es weitere Quellenzeugnise, die dahinterliegende begriffliche und konzeptionelle Vorstellungen erkennen lassen, die nicht erst unter Chindasvinth, sondern spätestens unter Sisenand geprägt worden sein müssen. Denn bereits die Bischöfe auf dem IV. Konzil von Toledo des Jahres 633 hatten den König und seine Nachfolger ermahnt, das ihnen von Gott anvertraute Volk in der Demut ihres Herzens mit Gerechtigkeit und Frömmigkeit zu regieren, insbesondere in Kapital- oder Eigentumssachen niemals allein einen Schuldspruch zu verhängen (nec quisquam uestrum solus in causis capitum aut rerum sententiam ferat): Nur wenn „in öffentlicher Übereinstimmung mit den Leitern aus einem offenbaren Gerichtsverfahren die Schuld der Übertreter manifest“ (consensu publico cum rectoribus ex iudicio manifesto delinquentium culpa patescat) geworden sei, bliebe dem König ein Begnadigungsrecht vorbehalten (seruata uobis inoffensis mansuetudine), anderenfalls werde er mit dem Fluchspruch durch Christus den Herrn verdammt (anathematis sententia a Christo domino condemnetur) und von Gott getrennt, „weil er es wagte, Schlechtes zu betreiben und das Königreich zum Untergang zu verkehren“ (in perniciem re-

101 Zeumer 1899, 63f. glaubte, das Gesetz sei unter Chindasvinth niemals veröffentlicht worden. 102 Vgl. dazu David Ungvary, The voice of the dead king Chindasuinth: poetry, politics, and the discourse of penance in Visigothic Spain, in: Early Medieval Europe 26 (2018), 327–354. Treffend die Feststellung von Velázquez 2003, 211: „The patria, on its part, retains its territorial sense, but is formally linked […] to the gens in a juridical conceptual unity.“ 103 Zur Konsens-Idee im Westgotenreich vgl. Stocking 2000, sowie Hartmann 2017.

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gnum conuertere).104 Regnum kann an dieser Stelle nicht die „Königsherrschaft“, sondern allein das „Königreich“ gemeint haben. Dessen Integrität musste notfalls auch gegen den König verteidigt werden, und sei es dadurch, dass man den gottbegnadeten Herrscher exkommunizierte. Die Bischöfe verstanden sich also erneut als Wahrer und Vertreter der Interessen des Königreiches als einer transpersonalen Größe, auch ihnen war in letzter Konsequenz von Gott ein Auftrag übermittelt, dieses Reich zu bewahren.105 Daher wird man bereits die Regelungen König Chindasvinths zur Trennung von den Eidbruch betreffenden Rechtssachen, die den König persönlich betrafen, und solchen, welche die patria und gens Gotorum angingen, eher auf die Initiative der weltlichen und kirchlichen Berater des Königs zurückführen. Es gab demnach unterschiedliche Bestrebungen, den König nicht nur auf sein ‚Amt‘ festzulegen, sondern auch seine Amtsführung einer gewissen Kontrolle durch Vertreter von patria und gens zu unterwerfen. Bereits die im Jahr 633 versammelten Bischöfe hatten ihre Rolle beim Thronwechsel so gesehen: Sobald künftig ein Fürst in Frieden verstorben sei, solle die Führung des gesamten Volkes mit den Bischöfen (primatus totius gentis cum sacerdotibus) in gemeinsamem Rat (consilio communi) einen Nachfolger in der Königsherrschaft (successorem regni) bestimmen, damit die Eintracht der Einheit (unitatis concordia) bewahrt und keine Spaltung des Landes und des Volkes (nullum patriae gentisque discidium) entstünde.106 Auch hier, in der Betonung des Wahlprinzips, manifestiert sich nicht nur die transpersonale Vorstellung vom Königtum als Amt, sondern zugleich der Anspruch der Bischöfe, zusammen mit den Vornehmen des Volkes die gotische patria und gens zu repräsentieren.

2.5

Chindasvinth als bußfertiger König

Bis zu einem gewissen Grad scheint jedoch auch König Chindasvinth selbst diese ihm zugedachte religiöse Definition seines Amtes für sich angenommen zu haben. Diese Akzentsetzung findet sich bei dem zeitgenössischen fränkischen Geschichtsschreiber Fredegar, der Chindasvinths gut zehnjährige Herrschaft als unerbittlichen Kampf gegen die „Krankheit der Goten“ (morbus Gotorum) charakterisiert hat, weil diese allzu gerne einen ihnen unliebsam gewordenen Monarchen wieder absetzten:107 104 Siehe oben Anm. 54. 105 Vgl. die konzisen Zusammenfassungen der Beschlüsse der toletanischen Konzilien IV. und VIII. durch Claude 1971, 97–108 u. 133–144 sowie Suntrup 2001, 227–248 u. 267–289. 106 Siehe oben Anm. 54. 107 Vgl. dazu Esders 2019.

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„In diesem Jahr starb Chintila, der König Spaniens, der Sisenand in der Herrschaft gefolgt war. Gemäß seinem Wunsche wurde sein Sohn Tulga noch als Kind in Spanien zum König erhoben. Das Volk der Goten ist aber aufsässig, sobald es kein schweres Joch auf sich lasten fühlt. So verübte während Tulgas Jugend ganz Spanien wie gewöhnlich mancherlei Übergriffe aus reiner Willkür. Schließlich aber wurde von einer Versammlung der meisten gotischen Senatoren und des übrigen Volkes einer von den Großen namens Chindasvinth zum König von Spanien erhoben. Er setzte Tulga ab und ließ ihm für ein geistliches Amt das Haupthaar scheren. Als er nun das gesamte spanische Reich fest unter seine Herrschaft gebracht hatte, ließ er – denn ihm war die Krankheit der Goten, ihre Könige abzusetzen, wohlbekannt, da er ja oftmals mit ihnen darüber beraten hatte – alle jene Goten, die nachweislich an diesem Laster litten und deren Schuld an der Vertreibung von Königen er kannte, Mann für Mann töten, andere wieder ließ er mit Verbannung bestrafen; ihre Frauen und Töchter übergab er mit all ihrem Besitz seinen Gefolgsleuten. Wie es heißt, wurden von den Goten vornehmsten Standes 200 getötet, um dieses Übel auszurotten, von denen mittleren Standes aber ließ er 500 umbringen. Chindasvinth hörte nicht eher auf diejenigen, die er in Verdacht hatte, mit dem Schwert umzubringen, als bis er sich überzeugt hatte, dass diese Krankheit der Goten gänzlich ausgerottet sei. Von Chindasvinth aber so gezähmt, wagten es die Goten nicht, gegen ihn vorzugehen, wie sie es bei früheren Königen zu planen gewohnt waren. Als Chindasvinths Tage sich erfüllten, machte er seinen Sohn Reccesvinth zum König über das gesamte Reich Spaniens. Er selbst aber tat Buße, gab viel Almosen aus seinem eigenen Vermögen und starb in hohem Alter, angeblich als Neunzigjähriger.“108

Chindasvinth hatte wie bereits gezeigt vor seinem Putsch selbst am morbus Gotorum gelitten und danach zu umso drastischeren Maßnahmen gegriffen, 108 Fredegar, Chronik IV, 82: Eo anno Sintela rex Espaniae, qui Sisenando in regno successerat, defunctus est. Uius filius nomini Tulga sub tenera aetate Spanies peticionem patris sublimatur in regno. Gotorum gens inpaciens est quando super se fortem iogum non habuerit. Uius Tulganes aduliscenciam omnes Spania more soleto viciatur, diversa conmittentes insolencia. Tandem unus ex primatis nomini Chyntasindus collictis plurimis senatorebus Gotorum citerumque populum, regnum Spaniae sublimatur. Tulganem degradatum et ad onus clerecati tunsorare fecit. Cumque omnem regnum Spaniae suae dicione firmassit, cognetus morbum Gotorum, quem de regebus degrandandum habebant, unde sepius cum ipsis in consilio fuerat, quoscumque ex eis uius viciae prumtum contra regibus, qui a regno expulsi fuerant, cognoverat fuesse noxius, totus sigillatem iubit interfici aliusque exilio condemnare: eorumque uxoris et filias suis fedelebus cum facultatebus tradit. Fertur, de primatis Gotorum hoc vicio repremendo ducentis fuisse interfectis; de mediogrebus quingentis interfecere iussit. Quoadusque hoc morbum Gotorum Chyntasindus cognovissit perdometum, non cessavit quos in suspicionem habebat gladio trucidare. Goti vero a Chyntasindo perdomiti, nihil adversus eodem ausi sunt, ut de regebus consuaeverant inire consilium. Chyntasindus cum esset plenus diaerum filium suum nomine Richysindum in omnem regnum Spaniae rege stabilivit. Chyntasindus paenetentiam agens, aelymosinam multa de rebus propries faciens, plebus senectute, fertur nonagenarius moretur (Fredegarii et aliorum chronica, ed. Bruno Krusch (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum II), Hannover 1888, 162f.; dt. Übers.: Die vier Bücher der Chroniken des sogenannten Fredegar, übers. v. Andreas Kusternig, Darmstadt 1982, 257 [geändert]).

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indem er hunderte Angehörige des mittleren und höheren Adels als Hochverräter hinzurichten und deren Vermögen in großem Stil zu konfiszieren befahl; mit ihrer Inhaberschaft von Fiskalgut [als Witwengut, Mitgift oder Erbe] ist es wohl zu erklären, dass er Witwen und Töchter der getöteten Männer mit seinen fideles verheiratete.109 Fredegars Bericht bestätigt insofern die enorm wichtige Rolle der Güterkonfiskation, die bereits am Hochverratsgesetz Chindasvinths und am Beschluss des VII. Konzils von Toledo sichtbar wurde. Ungeachtet dessen fällt an dem Bericht auf, dass Fredegar erkennbar Wert darauf legte, die religiösen Implikationen von Chindasvinths brutalem Regiment zu erwähnen: Den von ihm abgesetzten unmündigen Tulga, seinen Amtsvorgänger, habe Chindasvinth zum Kleriker scheren lassen. Obwohl sein persönliches Regiment einen unnachgiebigen Eifer kennzeichnete, deutet diese Information darauf hin, dass selbst Chindasvinth sein westgotisches Königtum als Amt angesehen haben muss, da der abgesetzte Amtsinhaber für seine Vergehen im Klerikerstand Buße leisten musste.110 Fredegars Bericht ist ohnehin bei näherer Betrachtung wesentlich weniger negativ, als er auf den ersten Blick scheinen könnte. Sein Kampf gegen die gotische Krankheit lässt Chindasvinth wie einen Arzt erscheinen, der seinem Volk bittere Medizin verabreichen zu müssen glaubte, und dem dafür auch bis zu seinem friedlichen Ende zu regieren vergönnt war. Fredegar versäumte es ja nicht zu betonen, dass Chindasvinth gegen Ende seiner Herrschaft sogar selbst Buße geleistet und Almosen verteilt habe, bevor er hochbetagt einen friedvollen Tod gestorben sei.111 Die Richtigkeit von Fredegars Angabe scheint Chindasvinths im Jahr 646 getätigte Klosterstiftung San Román de Hornija in der Hochebene Kastiliens (Provinz Valladolid) zu bestätigen, wo die Königsfamilie über Grundbesitz verfügte und wo er sich – möglicherweise neben seiner früh verstorbenen Frau Reciberga – bestatten ließ.112 Auch der Epitaph des Erzbischofs 109 Vgl. Stefan Esders, Fiskus und Familie. Über Politik und Ehezwang im anglonormannischen England, in: Saeculum 59 (2008), 47–79, hier 53–56. 110 Dies folgte auch einer Bestimmung des VI. Konzils von Toledo (638), c. 17. Zur Mönchung vgl. Klaus Sprigade, Die Einweisung ins Kloster und in den geistlichen Stand als politische Maßnahme im frühen Mittelalter, Diss. phil., Heidelberg 1964; zum klerikalen Exil als Buße vgl. Julia Hillner, Prison, Punishment and Penance in Late Antiquity, Cambridge 2015, 279–341. 111 Zum wichtigen Motiv des Herrschertodes, der etwas über den guten oder schlechten Charakter eines Monarchen aussagt, vgl. Diether Roderich Reinsch, Der Tod des Kaisers. Beobachtungen zu literarischen Darstellungen des Sterbens byzantinischer Herrscher, in: Rechtshistorisches Journal 13 (1994), 247–270, sowie Tobias Arand, Das schmähliche Ende. Der Tod des schlechten Kaisers und seine literarische Gestaltung in der römischen Historiographie (Prismata 13), Frankfurt a. Main et al. 2002. Die Darstellung von Chindasvinths Tod lässt vor diesem Hintergrund nicht den Schluss zu, dass Fredegar den westgotischen König negativ gesehen habe. 112 Vgl. Fedor Schlimbach, San Román de Hornija, Chindasvinth und Reciberga. Zur westgotischen Gründung des Klosters in der Tierra de Campos, in: Anales de Arqueologia

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Eugenius II. von Toledo auf Chindasvinth,113 der traditionell als posthumes Schmähgedicht gedeutet wurde,114 ist unlängst überzeugend als ein dem zeitgenössischen Bußdiskurs verpflichtetes Zeugnis interpretiert worden.115 Es spricht somit einiges dafür, dass Chindasvinth in seinen letzten Regierungsjahren die Rolle des Büßers für seine im königlichen Amt begangenen Taten angenommen hat.

2.6

Die Frage der transpersonalen Geltung von Fidelität auf dem VIII. Konzil von Toledo (653)

Nach dem Tod Chindasvinths war sein 649 zum Mitkönig erhobener Sohn Reccesvinth, der seit 653 allein regierte, mit der Glättung der Wogen beschäftigt. Reccesvinth sah sich offenbar gezwungen, durch die sofortige Einberufung eines Reichskonzils die Grundlagen seiner Herrschaft neu zu verhandeln und insbesondere einen Ausgleich mit denjenigen herbeizuführen, die unter der Herrschaft seines Vaters gelitten hatten. Das noch im Dezember 653 versammelte VIII. Konzil von Toledo wurde von 66 Bischöfen und Äbten aus allen Teilen des Königreiches besucht und dazu von 18 bedeutenden Laien, die meisten von ihnen aus dem Kreis der Offiziellen am Hof.116 Das Konzil hatte eine umfangreiche Agenda und sollte Reccesvinth ermöglichen, die Unterstützung des Episkopates und der Aristokratie für seine Herrschaft zu erhalten; die entsprechenden Bemühungen fanden in der Publikation von Reccesvinths Rechtsbuch, des Liber iudiciorum, bald nach dem Konzil im folgenden Jahr ihren Abschluss.117

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Cordobesa 20 (2009), 349–378, der allerdings skeptisch ist gegenüber der Beisetzung der Reciberga an diesem Ort, die er für die Ehefrau König Reccesvinths hält. Dass Chindasvinth nach Ausweis zweier späterer Chroniken in Toledo gestorben sein soll, spricht natürlich keineswegs gegen seine Beisetzung im Gebiet der Tierra de Campos. Eugenius von Toledo, Carmen 25 (Epitaphion Chindasuintho regi conscriptum): Eugenius Toletanus, Opera omnia, ed. Paulo Farmhouse Alberto (Corpus Christianorum, Series Latina 114), Turnhout 2005, 241f. Vgl. etwa Hans-Joachim Diesner, Eugenius II von Toledo im Konflikt zwischen Demut und Gewissen, in: Ernst Dassmann/Karl Suso Frank (edd.), Pietas. Festschrift für Bernhard Kötting (Reallexion für Antike und Christentum, Ergänzungsband 8), Münster 1980, 472– 480, hier 478f., sowie Gerd Kampers, Geschichte der Westgoten, Paderborn 2008, 198f. (mit deutscher Übersetzung des Epitaphions). Ungvary 2018. Zu diesem vielbehandelten Konzil vgl. etwa Orlandis/Ramos-Lisson 1981, 201–214 und die exzellente Diskussion bei Suntrup 2001, 266–289. Vgl. Céline Martin, Le Liber iudiciorum et ses différentes versions, in: Thomas Deswarte (ed.), Le droit hispanique latin du VIe au XIIe siècle – El derecho hispánico latino de los siglos VI al XII (Mélanges de la Casa Velázquez N.S. 41, 2), Madrid 2011, 17–34.

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Auf dem Konzil wurde Chindasvinth selbstverständlich als „ruhmreicher Herrscher“ (gloriosus rex) kommemoriert, doch ein besonders heikler Punkt war, dass er sich bei aller Tatkraft und Entschlossenheit, die ihn seine Gegner förmlich ausrotten ließ, von Anfang an der Gefahr bewusst gewesen sein muss, dass seine Herrschaft womöglich nicht mehr allzu lange dauern würde. Aus diesem Grund hatte er offenbar schon bald nach seinem Regierungsantritt versucht sicherzustellen, dass die von ihm getroffenen Maßnahmen auch über seinen Tod hinaus ‚transpersonal‘ Gültigkeit besitzen würden. Diese Besorgnis hatte ihn schließlich zu einem ganz ungewöhnlichen Schritt verleitet, für den man lange nach Parallelen suchen dürfte: Er verpflichtete seine Untertanen nämlich über ihren Treueid ausdrücklich dazu, an seinen Regierungsmaßnahmen auch über seinen Tod hinaus festzuhalten. Angesichts der strikten personalen Bindung des Eides musste hieraus naturgemäß für die Schwörenden ein gewaltiges Problem erwachsen. Der Eid begründete auf der einen Seite für denjenigen, der ihn leistete, eine streng persönliche Verpflichtung, und er galt nur dem jeweils amtierenden König für die Zeit seines Lebens. Dagegen evozierten patria und gens Gotorum transpersonale Kollektive. Wenn nun ein Herrscher für sich beanspruchte, dass seine Maßnahmen auch nach seinem Tod noch durchzusetzen seien bzw. nicht wieder rückgängig gemacht werden durften, dann geriet die Balance zwischen personalen und transpersonalen Elementen ins Schwanken und engte die Handlungsspielräume nach seinem Tod in einer Weise ein, die als fatal empfunden werden musste. Offenbar hatte schon bald nach Chindasvinths Tod Fructuosus, der spätere Bischof von Braga, König Reccesvinth einen Forderungskatalog vorgelegt, in dem er eine generelle Amnestie verlangte und betonte, dass königliche und priesteriche Gnade höher rangieren sollten als das starre Festhalten an einem ungerechten Eid.118 In seiner den Konzilsakten vorangestellten, zu Beginn des Konzils verlesenen Vorrede, dem tomus regius, wies König Reccesvinth auf diesen Punkt hin: „Im zeitlichen Rückblick also erinnern wir uns, dass ihr und das gesamte Volk so geschworen habt, dass eine Person jeder Ordnung und Ehrenstellung, die dabei ertappt würde, mit Blick auf den Tod des König und den Untergang des Volkes und Landes der Goten (in necem regiam excidiumque Gotorum gentis ac patriae) Schädliches erwogen oder betrieben zu haben, weil durch die Schärfe eines unwiderruflichen Schuldspruches bestraft, niemals das Heilmittel der Gnade oder Unterstützung durch irgendjemandes Mäßigung gleich welcher Art erlangen dürfe. Aber nun, weil dies für schwerwiegend und belastend gehalten wird, indem dieser Spruch, wenn er abgewogen wird, in einen tiefen Widerspruch zu den Taten der Frömmigkeit führt und die Strafsetzung der Verdam118 Fructuosus, Abt von Dumio, Brief an König Reccesvinth: Epistolae Wisigoticae, ed. Wilhelm Gundlach, in: Epistolae Merowingici et Karolini aevi I (Monumenta Germaniae Historica, Epistolae III, 1), Berlin 1892, 658–690, hier Nr. 19, 688f. Vgl. Orlandis/Ramos-Lisson 1981, 204f. und Thompson 1969, 200f.

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mung so grundsätzlich aufrechterhalten wird, dass für die Frömmigkeit, die nach der Prophezeihung des Apostels, zu allem nützlich ist (1 Tim 4,8), überhaupt kein Zugang mehr offengehalten wird, vertraue ich dies mit gläubigem Herzen zur genauen Behandlung und zur Aufhebung euren heiligen Urteilen und Beschlüssen an. Daher wird es an euch liegen, in der Eingebung des göttlichen Erbarmens die Maßgabe beiderlei Entscheidung so zu mäßigen, dass sie [die, den Eid geschworen haben – S. E. ] weder die Bedingung des Eides als angeklagt fesselt noch man die Strafe des Treubruchs für unmenschlich hält; und so möge die Form eures Urteils uns vorbereiten, damit ich die untertane Bevölkerung weder für als den Entweihungen [des Eides – S. E.] erlegen halten noch sie als durch die Fesseln der Unfrömmigkeit zerschlagen beklagen muss.“119

Dem königlichen Anschreiben lagen erkennbar schon genauere Vorabklärungen zugrunde, die das Thema der Verhandlungen vorstrukturierten. Die theologisch komplexe Frage nach der transpersonalen Gültigkeit der seinem Vater und Amtsvorgänger geleisteten Eide beschäftigte die Bischöfe so sehr, dass nach einer ausgedehnten Sitzung allein zu diesem Thema ein sehr langer Beschluss darüber gefasst wurde. Er lässt die Schwierigkeiten, vor die man sich durch Chindasvinths Schwurforderung gestellt sah, eindrucksvoll vor Augen treten: „Gegenstand der Zusammenkunft des zweiten Gesprächs war eine ebenso schwierige wie bedeutsame Angelegenheit, bei der, nachdem eine Diskussion über Flüchtlinge und Treubrüchige angeregt worden war, in hinreichend großer Anstrengung geprüft wurde, ob nicht der Schuldspruch über die deswegen Verurteilten abgemildert werden könne. Als aber der Wortlaut jener Eidbedingungen (series conditionum), auf welche die entsetzliche Größe der Feindseligkeit (hostilitatis vastitas) uns vor nicht allzu langer Zeit zu deren Untergang zu schwören gezwungen hatte (nos iurare coegerat), bei unserer Anhörung kritisch überprüft wurde, fanden wir, dass in ihnen ein derart großes Geflecht an Verpflichtungen enthalten sei (tantam obligationis texturam), dass die Verknotung seiner Maschen nicht so sehr Überschreitungen zu verhindern wie es die innigste Frömmmigkeit einzuzwängen schien (non tantum videretur prohibitionem dedisse transgressionum, quantum conclusisse viscera pietatum). Es war nämlich etwas darunter [d. h. unter den Eidbedingungen – S. E.], das Furcht vor diesen beiden Dingen hervorbrachte: sowohl, dass eine Entweihung des heiligen 119 VIII. Konzil von Toledo (653), Tomus regius: Itaque reuolutis retro temporibus ita uos omnemque populum iurasse recolimus, ut cuiusquumque ordinis uel honoris persona in necem regiam excidiumque Gotorum gentis ac patriae detecta fuisset, uel cogitasse noxia uel egisset, irreuocablis sententiae multatus atrocitate nusquam mereretur ueniae remedium uel alicuius temperantiae perciperet qualecumque subsidium. At nunc, quia graue onerosumque censetur, dum pietatis actibus graui contradictione haec sententia resultare perpenditur et sic funditus damnationis astipulatio retinetur ne pietatis, quae Apostolo praecinente ad omnia utilis est (1 Tim 4,8), quocumque aditus reseretur, uestris haec committo fidenti animo sacris pertractanda iudiciis ac dirimenda sententiis. Unde iam uestrum erit inspirante uobis miseratione diuina ita utriusque discriminis temperare mensuram, ne aut iuramenti condicio teneat reos aut impietatis ultio habeat inhumanos; sicque uestri nos instruat forma iudicii, ut subiectos populos nec in profanationibus habeam subditos nec impietatis uinculis doleam comminutos (La Collection Hispana V, 375f.; dt. Übers.: S.E.).

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Namens geschehen als auch, dass die Wohltätigkeit des Erbarmens zugrundegehen könne, weil nicht fehlte, was durch die Entweihung von Gottes Namen Schrecken einflößte, und etwas darunter war, das durch die Unterbindung des religiösen Pflichtgefühls Ekel hervorrief. Und während die vorgebrachten Meinungen einander im gegenseitigen Vorwurf der Gefährlichkeit bekämpften, strauchelten wir auf dem Weg der widerstreitenden Parteiungen, im Unklaren darüber, welches Urteil auf dem Pfad der Spaltung nahte. Aber weil sich die so pfadlos umherirrende Zusammenkunft im Fortgang unserer Erörterung dieser Schwierigkeit aussetzte, müssen wir [nun] endlich, nachdem wir den Streit hinter uns gelassen haben, im Widerhall der Seufzer und mit den Regengüssen unserer Tränen zu Gott eilen, der die Quelle der Liebe ist, und bekehren darin zugleich unsere Worte und Herzen: Stehe uns bei, Heiliger Geist, und führe uns in den Hafen deines Willens, nachdem die Wogen unserer Unkenntnis geglättet wurden! Siehe nämlich, wir sind auf unserer Fahrt in die gefährlichen Gestade der Syrte gelangt, und während von dort aus die [felsigen] Hindernisse der Schiffbrüchigen entgegenstehen, erkennen wir trotz angestrengter Reflexion nicht, in welche Richtung wir die Segel unserer Vorgehensweise setzen sollen. Aber noch einmal: Stehe uns bei, Heiliger Geist, und erlaube uns durch dein Geschenk zu wissen, was du befiehlst, und mit deiner Hilfe erfüllen zu können, was du befehlen wirst, so dass du durch genaue Betrachtung erleuchtest, was wir nicht wissen, und helfend vollendest, was zu erfüllen wir uns scheuen. Und wenn, während wir schon in dir zur Ruhe gekommen und die Ängste vor den Wogen der Irrtümer beseitigt sind, du uns befiehlst, Friedensschlüsse festzusetzen, dann wollen wir jenes beginnen, was auch zum Ruhm deiner Allmacht gereicht und mit deiner Unterstützung dem menschlichen Heil geschenkt werde. Weil vor nicht allzu langer Zeit der ungestüme Aufruhr gewisser Flüchtlinge wiederholt dem Land Verwüstungen zufügte und der Bevölkerung so viel Anlass zum Bösen mit Zerstörungen auferlegte, dass jeglicher Versuch scheiterte, die Scharen der Gefangenen zurückzuführen und die Schäden des von solcher Seuche heimgesuchten Landes zu reparieren, wurde eher durch die Gewalt der entstandenen Notlage als aufgrund eines wohlerwogenen Urteils [von uns] verlangt, dass wir gegen dieselben [Flüchtlinge] und ihresgleichen zusammen mit nahezu dem gesamten Volk strengste Eide leisteten (ut contra eosdem eisdemque simillimos cum omni fere populo acerrima iuramenta daremus). Dass wir daraufhin unter Anrufung des göttlichen Namens geschworen haben, beweist die Eidesformel (unde iurasse nos per attestationem diuini nominis condicio iuramenti demonstrat), und dass sie nicht gelöst werden kann, verlangt die Autorität der Heiligen Schrift. Es steht nämlich geschrieben im [Buch] Exodus: ‚Du wirst nicht den Namen deines Herrn grundlos in Anspruch nehmen, noch wird nämlich der Herr denjenigen für unschuldig halten, der den Namen seines Herrn und Gott zwecklos in Anspruch nimmt‘ (Ex 20,7). Ebenso im [Buch] Leviticus: ‚Du wirst nicht in meinem Namen einen Meineid schwören, noch wirst du den Namen deines Herrn beflecken: Ich bin der Herr‘ (Lev 19,12). Da jedoch die auferlegte Schärfe der Bedrückungen gelöst werden kann und muss, befällt [uns] ebenso der Schrecken vor Fesseln und Wehklagen, wie es die Vorschriften jener Autorität des Herrn empfehlen. Denn es schilt der Herr gemäß der alten Überlieferung einige [Leute] durch [seinen Propheten] Jesaja folgendermaßen mit einem schlimmen Vorwurf, indem er sagt: ‚Wehe, ihr abtrünnigen Söhne, spricht der Herr: Indem ihr den Beschluss nicht

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durch mich und den Vertrag nicht in meinem Geist gefasst habt, häuft ihr Sünde auf Sünde‘ (Is 30, 1). Ebenso Jeremias: ‚Unsere Frevel haben diese Ordnung zerstört und unsere Sünden haben das Gute von uns entfernt, weil in meinem Volk Gottlose gefunden wurden, die Fallen aufgestellt haben, um die Männer zu zerstreuen und sie zu fangen; wie ein Käfig voll von Vögeln, so ist deren Haus voll von Betrug‘ (Ier 5, 25–27). Und durch Micha: ‚Wehe mir, weil die Seele zugrundegeht und zur Erde zurückkehrt; und keiner ist da, der zwischen den Menschen bessert; alle werden im Blut geurteilt, ein jeder überzieht seinen Nächsten mit Pein, zum Übel bereiten sie ihre Hände‘ (Mich 7,1–3). Über die Wohltätigkeit freilich, die in den göttlichen Augen um so viel dankenswerter ist, wie sie für hervorragender befunden wird, belehrt uns Jesaja, indem er sagt: ‚Löst die Verbindungen der Gottlosigkeit auf, löst die Fesseln, die herabdrücken‘ (Is 58,6). Auch Paulus, das Gefäß der Erwähltheit: ‚Die Gottseligkeit ist zu allem nutze‘ (1 Tim 4,8). Und Jakobus: ‚Das Urteil [wird] ohne Mitleid [sein] für jenen, der nicht Barmherzigkeit geübt hat; die Barmherzigkeit aber siege über das Urteil‘ (Iac 2,13). Genauso Johannes: ‚Wer seinen Bruder hasst, ist ein Totschläger. Und ihr wisst, dass kein Totschläger das ewige Leben in sich haben wird‘ (1 Io 3,15). Und die Wahrheit selbst: ‚Liebt eure Feinde, tut Gutes jenen, die euch hassen‘ (Mt 5,44). Und ebenso: ‚Vergebet, so wird euch vergeben werden; wenn ihr aber nicht vergebt, wird euch auch euer himmlischer Vater nicht eure Sünden vergeben‘ (Lk 6,37). Siehe, diese Vorschriften sind hier wie dort durch die festeste Versicherung des Befehls des Herrn bezeugt und daher, weil sie aus der Verkündigung des göttlichen Mundes angeführt werden, werden sie in allem durch das ewige Gesetz festgesetzt bleiben. Werden wir also erzählen, dass die Eide für die Gerechtigkeit und die Eide für den Frieden der Barmherzigkeit einander widersprechen, während doch geschrieben steht: ‚Erbarmen und Wahrheit sind einander entgegengegangen, Gerechtigkeit und Friede haben sich umarmt‘? (Ps 84). Oder werden wir, weil sie verbreiten, dass es den Fehler der im Wettstreit [stehenden] Widersprüche gebe, deshalb erzählen, dass die Zusicherung eines Teils davon nicht zu erfüllen sei? Warum droht [nur] die Zusicherung des anderen Teils den bevorstehenden Schaden an? Und weil die Einhaltung des Eides nicht die fürchterliche Strafe mäßigt, deswegen soll die Abscheulichkeit der Gottlosigkeit [uns] einen verfluchten Tod verschaffen? Das sei ferne. Denn einmal angenommen, gewisse Leute stellen in der öffentlichen Verrichtung der Eide – was Gott verhindern möge! – eine unerlaubte und Ungutes bewirkende Bedingung auf, die dazu zwingt, entweder die Seele des Vaters zu ermorden oder eine Schändung der heiligsten Jungfrau zu begehen: Wäre es nicht erträglicher, die Gelübde des dümmlichen Versprechens zu verwerfen als nutzlose Versprechen einzuhalten, indem man das schauderliche Maß der Verbrechen erfüllt? Wenn es so wäre, wie könnte man die Beachtung eines einzigen Befehls für den Quell der Gottesfurcht halten, wenn Bäche der Strafe aus ihm flössen? Und von welcher Art wäre jene Beachtung des heiligen Gesetzes, die Religionsfrevel der Schlechtigkeit beginge? Oder von welchem Maß schiene die Billigkeit zu sein, wenn aus dem Schutz einer einzigen Vorschrift die finstere Unmenschlichkeit des Mordes entstünde? Aber nun streiten wir nicht in der Weise, dass wir uns, nachdem Trennungen durch Streitereien enstanden sind, nun auch selbst noch in die Kämpfe des Streites einmischen. Wahrhaft besteht Frieden in beidem, was wir sagten, weil der heilige Geist den Weg unserer Läufe so lenkt, dass dies einen vom Weg Abgekommenen keineswegs von seiner Verfügung ausschließt.

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Daher verkünden wir mit voller Stimme, und noch voller im Glauben, und am vollsten in der Hingabe, und in der gesamten Allgemeinheit der Heiligen Kirche erklären wir, und wünschen zugleich: Durch keine Entweihung werde der Name der einzigen und höchsten Gottheit in Anspruch genommen, durch keinen Religionsfrevel des Meineides auf ungebührliche Weise entheiligt, [oder] irgendwie durch einen betrügerischen Vertrag befleckt! Denn durch das Zeugnis der Wahrheit wird wegen der mit einem Meineid einhergehenden und daher zu meidenden Entweihung zu schwören gänzlich untersagt, wo es heißt: ‚Eure Rede sei: ja, ja; nein, nein; was aber darüber ist, ist vom Bösen‘ (Mt 5,37): Auf welche Weise wird es [dann] straflos sein, den Namen so großen Ruhms willentlich entheiligt zu haben, während man weiß, dass darin der geschätzte Glaube an ihn untergegangen ist? Oder wie weit werden Friedensbündnisse gegen die Zerwürfnisse der Völker geknüpft werden können, wenn nicht die Vereinbarungen aufgrund der heiligeren Lauterkeit des Eides eingehalten werden? Denn alles, was in einem Friedensbündnis angesprochen wird, hält dann umso fester stand, wenn die Hinzunahme des Eides dies bestärkt. Aber auch alles, was die Herzen von Freunden zusammenbringt, dauert dann umso fester an, wenn die Fesseln des Eides diese binden. Auch alles, was ein Zeuge bekräftigt, steht dann als umso wahrhaftiger fest, wenn die Hinzufügung des Schwurs es bestätigt. Aber auch wenn ein Zeuge fehlt, offenbart allein die Verpflichtung des Eides die Glaubwürdigkeit des Unschuldigen. Daher, auch damit der göttliche Wille den menschlichen Bewegungen eröffnete, was er wollte, damit nicht die schwankende Zerbrechlichkeit für unsicher hielte, was das Versprechen der unverletztlichen Wahrheit ausdrückte, spricht er durch Jesaja folgendermaßen: ‚Ich bin der Herr und es gibt keinen anderen, ich habe bei mir selbst geschworen‘ (Is 45, 22–23). Wenn also innerhalb der Grenzen einer so wichtigen Regelung Versprechenseide einzuhalten sind, wer von den der Wahrheit Fremden hält diese in fluchwürdiger Form für verletzenswert? Es werden also die lebendigen Befehle der heiligen Autorität fest sein und dürfen nicht aufgrund nichtiger Entweihung irgendwie befleckt werden. Aber damit es nicht scheine, als hätten die Eide, die gegeben wurden, in uns vollkommen die Herzen vom Mitgefühl abgeschlossen, so dass das Innere der Seele keine aus der Zuneigung des Glaubens zu gewährende Gnade empfange, öffnen wir, nachdem die Verträge des Eides auf diese Weise befestigt wurden, den Bausch der Barmherzigkeit, und so beschließen wir für alle, dass wir uns in Gott gefälliger Hingabe erbarmen, damit uns weder die Vorsicht gegenüber dem Eid zu Angeklagten noch die Unmenschlichkeit verflucht mache. Zweifellos muss man den Fehltritten der Armen mit der Hilfe entgegeneilen, die ein jeder leisten kann, und durch die Aufhebung fremder Strafe von sich die Strafe Gottes fernhalten. Das Glück nämlich gefällt dem Herrn, der von den Niedergeschlagenen das Feindselige vertreibt. Daher hat Hiob, indem er vor der Erfahrung seines eigenen Leids den Geduldigen abwog – woran er im Erduldens seines Leids erinnerte, als er den Katalog seiner Tugenden wob –, unter anderem dies angeführt: ‚Der Segen des zum Untergang Bestimmten kam über mich, und ich tröstete das Herz der Witwe‘ (Iob 29,13). Und wenig später: ‚Einst weinte ich über den Niedergeschlagenen, und meine Seele empfand Mitgefühl mit dem Armen‘ (Iob 30, 25). Daher auch Salomon: ‚Errette diejenigen, die zum Tod geführt werden, und höre nicht auf, diejenigen zu befreien, die zum Untergang gezerrt werden‘ (Prov 24,11). Belehrt durch diese Festsetzungen der heiligen Autorität steht fest, dass wir nicht den heiligen Namen entweiht haben,

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welcher auf keinen Fall entweiht werden darf, wie die Stimme unserer Predigt es nahelegt; und nachdem das Innerste der Nachsicht eröffnet wurde – obgleich die durch das Bekenntnis ihres Mundes Verdammten es schwerlich verdienen, freigesprochen zu werden – gemäß dem, was geschrieben steht: ‚Dein Blut komme auf dein Haupt, denn dein Mund hat gegen dich gesprochen‘ (2 Sam 1,16), und wiederum: ‚Aus deinem Mund wirst du gerechtfertigt werden und aus deinem Mund wirst du verdammt werden‘ (Mt 12,37) – eröffnen wir dennoch mit Rücksicht auf die Frömmigkeit auch den Weg der Schonung und verkünden die Barmherzigkeit. Das rohe und blutige Urteil dieses unvorsichtigen Versprechens zu mäßigen sehen wir uns insbesondere aus jenem Grund am meisten gezwungen, weil dies [d. h. die zur Auswahl stehenden Alternativen – S. E.] zwei Übel sind. Wenn auch beide gänzlich mit höchster Vorsicht zu meiden sind, zwang dennoch die Notlage der Gefahr dazu, von diesen eines zu mäßigen; daher müssen wir lösen, was durch eine geringere Bindung verpflichtet. Was jedoch von diesen leichter ist und was schwerer, das wollen wir durch den Scharfsinn des Glaubens ausfindig machen. Denn indem wir gezwungen werden, meineidig zu werden, beleidigen wir zwar den Schöpfer, aber beflecken vor allem uns. Wenn wir aber schädliche Versprechen erfüllen, verachten wir hochmütig Gottes Befehle, schaden unseren Nächsten in gottloser Grausamkeit und metzeln uns selbst mit einem grausameren Schwert hin. Im ersten Fall also werden wir durch ein zweifaches Geschoss der Schuld durchbohrt, im zweiten Fall werden wir dreifach erdolcht. Also folgt, dass dieser unser Spruch ergehe, durch welchen der Weg zur Barmherzigkeit offenstehen wird, welche vom Herrn so gebilligt und angenommen wird, dass er diese mehr wünscht als ehrwürdige Opferhandlungen. Wie es der Herr selbst sagt: ‚Ich wollte die Barmherzigkeit und nicht das Opfer‘ (Hos 6,6). Nachdem also diese Erlaubnis des Erbarmens gewährt wurde, übergeben wir das Werk der Barmherzigkeit selbst in die Gewalt des ruhmreichen Fürsten, auf dass er so, wie Gott jenem den Zugang zum Erbarmen eröffnet hat, er selbst die Heilmittel des Glaubens nicht verweigere. Das möge auf diese Weise durch das maßvolle fürstliche Ermessen Bestand haben, damit auch jenen wenigstens bis einem gewissen Teil Erbarmen zuteilwerde und nirgendwo das Volk oder Land durch sie irgendeine Gefahr oder einen Verlust zu ertragen habe (nusquam gens aut patria per eosdem aut periculum quodcumque perferat aut iacturam). Dieses unter Einsatz des Erbarmens gemäßigt zu haben, möge genügen; im Übrigen, welche Eide auch immer für das Heil der königlichen Gewalt, den Schutz des Volkes und des Vaterlandes bisher eingefordert worden sind oder künftig einzufordern sein werden (quaecumque iuramenta pro regiae potestatis salute uel contutatione gentis et patriae uel hactenus sunt exacta uel deinceps exstiterint exigenda): Diese erklären wir mit aller Sorgfalt und aller Wachsamkeit als unlöslich zu beachten, nachdem der Schuldspruch einer Verstümmelung der Glieder und der Todesstrafe aufgrund des Glaubens gänzlich aufgehoben wurde. Aber damit nicht irgendwann die verschlagene Nichtigkeit Schlechtgesinnter uns selbst der Schuld des Meineides bezichtigt und behaupten kann, dieses Urteil entspreche nicht der Richtschnur des heiligen Glaubens, haben wir Sorge dafür getragen, diesem Bericht sowohl Weissagungen der göttlichen Autorität als auch Aussprüche der früheren Väter einzuflechten. Denn wie in den heiligen Schriften nachzulesen ist, hat sogar die unveränderliche, immer als dieselbe existente und vortreffliche Natur des höchsten Gottes häufig ihre Versprechen verändert und aus Barmherzigkeit den

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Schuldspruch geändert. Daher, so sehr sie auch leidenschaftslos und unveränderlich sei und vollkommen fest in derselben Göttlichkeit, liest man dennoch häufig von seinen Eiden und seiner Reue, welche sich verhüllt in den heiligen Geheimnissen zeigen. Denn das Schwören Gottes bedeutet, das von ihm selbst Eingerichtete keineswegs umzureißen, seine Reue jedoch, dasselbe Eingerichtete, sofern er es will, zu verändern. So nämlich spricht er durch Jeremiah: ‚Plötzlich sprach ich gegen das Volk und gegen das Königreich, dass ich jenes ausreißen, zerstören und zugrunderichten werde. Wenn jenes Volk jedoch Reue zeigt von seiner Bosheit, welche ich gegen jenes zur Sprache gebracht habe, so werde auch ich Reue zeigen hinsichtlich des Unheils, das ich ihm zu tun erwog‘ (Ier 18,7–8). Und durch Ezechiel: ‚Wenn ich dem Gerechten sagen werde, dass er sein Leben leben soll, und er begeht Unrecht, während er sich auf seine Gerechtigkeit verlässt, dann sollen alle seine Taten der Gerechtigkeit dem Vergessen anheimfallen und aufgrund dieses seines Unrechts, welches er ins Werk setzte, sterben. Und wenn ich zu einem Gottlosen sagen werde: Du wirst den Tod sterben. Und er zeigt Reue von seiner Sünde, soll er im Leben leben und nicht sterben‘ (Ez 33,13–15). Wenn also unsere Umkehr den göttlichen Schuldspruch so verändert, warum sollen dann so viele Tränen der Armseligen oder der Druck der Dringlichkeit nicht eine so grausame Strafe aus Erbarmen mäßigen? Daher wurde auch häufig vom Volk Israel die versprochene Strafe aufgehoben, und der Untergang Ninives durch die Abwandlung des göttlichen Schuldspruchs gehemmt. In der Tat spricht der mit dem berühmten Lob des Ehrentitels ausgezeichnete Gewährsmann Ambrosius im ersten Buch seiner Schrift ‚Über die Pflichten‘ in einer Angelegenheit dieser Art folgendermaßen: ‚Manchmal widerspricht es der Pflicht ein Versprechen einzulösen, einen Eid einzuhalten, wie Herodes, der ja geschworen hat, der Tochter Herodiadis zu geben, worum auch immer er gebeten würde, und den Tod des Johannes gewährte, um nicht sein Versprechen zu brechen. Und was soll ich über Jeftah sagen? Um das Gelübde zu erfüllen, welches er versprochen hatte, dass er Gott opfern werde, was auch immer ihm zuerst entgegenrennen würde, opferte er seine Tochter, die ihm als Sieger zuerst entgegengeeilt war. Es wäre besser gewesen, nichts Derartiges zu versprechen als das Versprechen durch einen Verwandtenmord einzulösen‘ (De officiis ministrorum I, 49). Ebenso im dritten Buch: ‚Es gehört sich, dass die Zuneigung rein und ehrlich sei, und ein jeder möge eine einfache Redeweise hervorbringen, sein Gefäß in Heiligkeit besitzen, nicht seinen Bruder durch Wortbetrügereien verführen, nichts Unehrenhaftes versprechen; und falls er etwas verspricht, ist es erträglicher ein Versprechen nicht zu leisten als zu tun, was schändlich ist. Die meisten verstricken sich nämlich häufig durch das Sakrament des Schwures, und während sie selbst wussten, dass etwas nicht versprochen werden sollte, erfüllen sie dennoch im Angesicht des Eides, was sie versprochen haben, wie wir es oben über Herodes geschrieben haben, der auf schändliche Weise einer Tänzerin eine Belohnung versprach, und dieses Versprechen auf grausame Weise einlöste. Schändlich ist, wenn ein Königreich für einen Tanz versprochen wird, grausam ist es, wenn aus religiöser Furcht vor dem Eid der Tod eines Propheten geschenkt wird. Um wieviel erträglicher als ein solcher Eid wäre ein Meineid gewesen?‘ (ebd. III, 12). Und wenig später, als er über Jeftah ausführt: ‚Armselig ist eine Notwendigkeit‘, sagt er, ‚die durch einen Verwandtenmord eingelöst wird. Es ist besser nichts zu geloben als das zu geloben, von dem derjenige, dem versprochen wird, für sich nicht will, dass es eingelöst werde‘ (ebd. III,

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12). Und noch etwas später: ‚Nicht alle Versprechen müssen also immer eingelöst werden. Schließlich hat der Herr selbst, wie die Schrift anzeigt, häufig seinen Schuldspruch abgeändert‘ (ebd. III, 12). Auch der allerheiligste Mann Augustinus, behutsam im Scharfsinn der Untersuchung, hervorragend in der Kunst der Stoffstrukturierung, überschäumend im Reichtum pointierter Rede, anmutig in der Blüte der Beredsamkeit, üppig in der Frucht der Weisheit, erzählt Folgendes in seinen Ansprachen: ‚Es gibt zwei Arten von Lügen, in denen keine große Schuld liegt, die aber dennoch nicht ohne Schuld sind: entweder wenn wir scherzen oder wenn wir lügen, um zu nützen. Jene erste Art der Lüge beim Scherzen ist deswegen überhaupt nicht verderblich, weil es nicht betrügt; jener, dem es gesagt wird, weiß ja, dass es um des Scherzes willen gesagt wurde. Die zweite Art der Lüge ist aber deswegen milder, weil es beträchtliches Wohlwollen bewahrt‘ (Enarr. in psalm. V,7). Und derselbe sagt selbst: ‚Die Wahrheit darf die Barmherzigkeit nicht beseitigen, noch darf die Barmherzigkeit der Wahrheit hinderlich sein: Wenn du nämlich um der Wahrheit willen oder in sehr strikter Wahrheitsliebe die Barmherzigkeit vergessen solltest, wirst du nicht auf dem Weg des Herrn wandeln, auf dem sich Barmherzigkeit und Wahrheit begegnen‘ (Ennar. in psalm. LXXXIX, 24). Auch der selige Papst Gregor, der aufgrund seiner Schriften wie seiner Verdienste zu ehren und in seinen ethischen Darlegungen allen anderen nach Verdienst vorzuziehen ist, fügt in seinen Büchern ‚Moralia‘ hinzu: ‚Weil also dieser Behemoth mit unerklärlichen Knoten bindet, so dass für gewöhnlich der in Zweifel geführte Verstand dadurch, dass er sich von der Schuld zu lösen müht, umso enger an die Schuld gefesselt wird, sagt man zu Recht: „Die Sehnen seiner Schenkel sind dicht geflochten“ (Iob 40,12). Denn je mehr die Argumente seiner Listen entspannt werden, wie um sie zu lösen, desto verschlungener werden sie, um sie zu halten. Dennoch gibt es etwas, das zur Zerstörung seiner Verschlagenheit nützlich sein kann, [nämlich] dass immer, wenn der Verstand zwischen den geringeren und größeren Sünden zusammengeschnürt wird, falls überhaupt kein Entrinnen möglich ist, stets die geringeren [Sünden] gewählt werden sollen, weil auch derjenige, der von allen Seiten durch Mauern eingeschlossen wird, damit er nicht flüchte, sich dort in die Flucht drängt, wo sich die Mauer als niedriger erweist‘ (Moralia in Hiob 32, 20, 39). Und ein herausragender Gelehrter unseres Zeitalters, die jüngste Zierde der allgemeingläubigen Kirche, der letzte aus dem Zeitalter der Vorangegangenen – der im Erwerb der Gelehrsamkeit nicht unterst stehende, und, was mehr zählt, am Ende der Zeiten als gelehrtester und mit Ehrfurcht beim Namen zu nennende Isidor – berichtet im zweiten Buch seiner ‚Sentenzen‘ mit Blick auf eine solche Angelegenheit: ‚Ein Eid, durch den etwas Schlechtes unvorsichtig versprochen wird, muss nicht eingehalten werden, wie auch, wenn ein Mann einer Ehebrecherin ewige Treue verspricht, bei ihr zu bleiben. Erträglicher nämlich ist es, einen Eid nicht zu erfüllen als in der Schandtat des Ehebruchs zu verharren‘ (Sent. III, 2, 31). In gleicher Weise in den Synonymen: ‚Zerschneide die Treue bei schlechten Versprechen; ändere einen Entschluss, der zu etwas Schändlichem gelobt wurde; was du unvorsichtig gelobt hast, sollst du nicht tun. Gottlos ist ein Versprechen, das durch ein Verbrechen erfüllt wird‘ (Syn. II, 2). Dieses aus heiligen Seiten und von vortrefflichen Verfassern aufs Kürzeste ausgebreitet zu haben möge genügen, denn noch mehr wird zusammenstellen können, wer in angestrengterer Lektüre danach suchen wird. Wem im Übrigen dies keineswegs ausreicht, die sollen in Schamesröte dafür verstummen, weil wir wie das Gefäß der

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Erwählung wünschen, eher ‚selbst verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder‘ (Rom 9,3) als in grausamen Verbrechen zu verharren.“120

120 8. Konzil von Toledo (653), c. 2: Secundae disputationis occursu adfuit negotium tam difficile quam et grave, in quo de refugis atque perfidis disputatione conmota, utrum ne posset eorumdem temperari sententia damnatorum, magno satis conatu est exquisitum. Sed quum illarum series conditionum, ad quas decursis non longe temporibus pro eorum penuria hostilitatis uastitas nos iurare coegerat, nostris esset auditibus recensita, tantam repperimus obligationis illic inesset texturam, ut macularum suarum nodositas non tantum uideretur prohibitionem dedisse transgressionum, quantum conclusisse uiscera pietatum. Aderat enim quod in utroque pauor agebat, et ne sancti nominis profanatio fieret et ne miserationis operatio interiret. Quia et ex Dei nominis profanatione non aberat quod terrebat, et ex prohibitione pietatis aderat quod taedebat. Dumque alterno periculorum obiectu se prolatae sententiae conpugnarent, periclitabamur ancipites in bifido partium dissidentium calle, quod diremptionis tramite iudicium properaret. Sed cum gressibus disputationis nostrae sese difficultatis congressio deuia obiecisset, properandi tandem relicto discrimine cum fragore singultuum et imbribus lacrimarum ad Deum, qui pietatis fons est, uerba simul et corda conuertimus. Aspira, Sancte Spiritus, et ducito nos in portum uoluntatis tuae, sedatis fluctibus ignorantiae nostrae. Ecce enim periculorum Sirtes in litore cursus nostri peruenimus atque hinc inde obuiantibus naufragiorum obicibus, quo dispositionis nostrae uela pandamus, attentionis consideratione non cernimus. Sed aspira rursum, Sancte Spiritus, et dato nobis, te donante, nosse, quid iubeas, ac, te iuuante, implere posse quod iusseris, ut et perlustrando illumines quod nescimus, et adiuuando perficias quod implore pauemus. Si iam ergo in te requiescentes, erroneorum fluctuum pauoribus abdictatis, commercia nos iubes disponere pacis, incohemus illa quae et in gloriam tuae omnipotentiae conferantur et humanae saluti te annitente donentur. Temporibus non procul excursis quum quorundam refugarum tumultuosa seditio frequenter vastationes terris inferret, et scandala populis cum excidiis inrogaret, adeo ut captivorum turmas reducere et desolationes terrae quae tali concurssae sunt pesti quilibet conatus nequeat reparare, exactum est vi potius necessitatis exortae quam deliberatione iudicii, ut contra eosdem eisdemque simillimos cum omni fere populo acerrima iuramenta daremus. Unde iurasse nos per attestationem diuini nominis condicio iuramenti demonstrat, et ne resolui queat, Sacrae Scribturae auctoritas instat. Scribitur namque in Exodo: ‚Non assumes nomen Domini Dei tui in uanum, nec enim insontem habebit Dominus eum qui assumpserit nomen Domini Dei sui frustra‘ (Ex 20,7). Item in Leuitico: ‚Non periurabis in nomine meo, nec pollues nomen Domini Dei tui: Ego Dominus‘. (Lev 19,12). At uero quia illata pressurarum acerbitas resolui possit ac debeat, tam uinculorum et lamentorum horror insinuat quam eiusdem auctoritatis Dominicae praecepta commendant. Etenim iuxta ueterem translationem ita quosdam per Esaiam graui exprobratione Dominus increpitat dicens: ‚Vae filii desertionis, dicit Dominus, fecistis consilium non per me et sponsionem non per spiritum meum adicere peccatum super peccatum‘ (Is 30,1). Item Iheremias: ‚Iniquitates nostrae declinauerunt ista et peccata nostra amouerunt bona a nobis, quia inuenti sunt in populo meo impii et laqueos statuerunt ad dispergendos uiros et comprehenderunt ut laqueus instans plenus uolatilibus, sic domus eorum plena dolo‘ (Ier 5,25–27). Et per Micheam: ‚Heu mihi anima quia periit et reuertens ad terram, et qui corrigat inter homines non est, omnes in sanguine iudicantur, unusquisque proximum suum tribulat tribulationem, in malum manus suas praeparant‘ (Mich 7,1–3). Ad beneficentiam certe, quae diuinis oculis tanto est gratior quanto et inuenitur esse praestantior, sic nos Esaias instruit dicens: ‚Dissolue colligationes inpietatis, solue fasciculos deprimentes‘ (Is 58, 6). Paulus etiam, uas electionis: ‚Pietas ad omnia utilis est‘ (1 Tim 4,8). Et Iacobus: ‚Iudicium sine misericordia illi qui non fecerit

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Der Treueid, durch den Chindasvinth das westgotische Volk dazu verpflichtet hatte, seine Maßnahmen auch über seinen Tod hinaus zu beachten, war für seinen Sohn und Nachfolger, König Reccesvinth, ein schweres politisches Erbe.

misericordiam; superexaltat autem misericordia iudicio‘ (Iac 2,13). Iohannes idem: ‚Qui odit fratrem suum, homicida est. Et scitis quia omnis homicida non habet uitam aeternam in se manentem‘ (1 Io 3,15). Et per semetipsam Ueritas: ‚Diligite inimicos uestros, benefacite his qui uos oderunt‘ (Mt 5,44); et iterum: ‚Dimittite et dimittetur uobis; si autem non dimiseritis, nec Pater uester coelestis dimittet vobis peccata uestra‘ (Lk 6,37). Ecce sunt Dominicae iussionis hinc inde astipulata firmissima cautione praecepta ac proinde, quia sunt diuini oris prosecutione taxata, manebunt per omnia aeterna lege praefixa. Quid ergo numquid ad iuramenti iustitiam aut iuramenta misericordiae pacem sibi contraire narrabimus, dum scribtum sit: ‚Misericordia et ueritas obiauerunt sibi, iustitia et pax se complexae sunt?‘ (Ps 84) Aut quia controuersiarum lapsus esse in contentione diffundunt, adeo unius partis assertionem narrabimus non implendam? Cur alterius assertio partis iacturae comminatur instantiam? Et quia iuramenti custodia ultionem non temperat pauescendam, idcirco inpietatis atrocitas mortem pariet execrandam? Absit. Etenim si publicis sacramentorum gestis quod deus auertat, a quibuslibet inlicita vel non bona extitisse conditio adlegatur, quae aut iugulare animam patris aut agere conpelleret stuprum sacratissime uirginis, numquid tolerabilius esset stulte promissionis eicere uota quam inutilium promissorum custodia, exhorrendam criminum implere mensuram? Quod ita si esset, quomodo crederetur unius obseruantia iussionis esse fons pietatis cum emitteret riuulos ultionis? Aut quaenam illa esset sacrae obseruatio legis quae sacrilegia committeret prauitatis? Vel cuius mensurae aequitas uideretur ut ex unius praecepti cautela necis exoriretur immanitas truculenta? At nunc non ita contendimus ut contentionum diuortiis concitatis nos ipsos contentionis certaminibus misceamus. Est uere pax in utroque quod dicimus, quia sic Sanctus Spiritus iter nostrorum cursuum temperat, ut in nullo deuium hoc a sua dispositione secludat. Unde plena iam uoce, pleniori fide, plenissimaque intentione praedicimus atque in totam sanctae ecclesiae uniuersitatem praedicamus, pariter et optamus, nulla profanatione solius et summae diuinitatis nomen existere assumendum, nullo periurii sacrilegio indebite profanandum, nullo uspiam contractu fallaciae contingendum. Nam si attestante Veritate propter profanationem periurii euitandam prohibetur omnino iurare cum dicitur: ‚Sit sermo uester: est, est; non, non; quod autem plus his est, a Malo est‘ (Mt 5,37). Quomodo impunitum erit nomen tantae gloriae uoluntarie profanasse, dum in eo taxata fides dinoscitur interisse? Vel quatenus pacis foedera in gentium discidia ligabuntur, si non iuramenti pacta sanctiori integritate seruentur? Etenim omne quod in pacis foedere uenit, tunc solidius substat cum iuramenti hoc interpositio roborat. Sed et omne quod animos amicorum conciliat, tunc fixius durat cum eos sacramenti uincula ligant. Omne etiam quod testis astipulat, tunc uerius constat cum id adiectio iurationis affirmat. Quod si et testis deficiat, innocentis fidem sola iurisiurandi taxatio manifestat. Hinc, et ut motibus humanis diuina uoluntas panderet quod uolebat, ne labens fragilitas pro incerto teneret quod inuiolatae Veritatis promissio exprimebat, per Esaiam loquitur dicens: ‚Ego Dominus et non est alius, in memetipso iuravi‘ (Is 45,22–23). Si ergo tantae institutionis limite sunt uotiua iuramenta seruanda, quis alienorum a ueritate haec astruat exsecrabiliter uiolanda? Stabunt ergo sacrae auctoritatis uiuida iussa nec uana profanatione erunt aliquatenus temeranda. Uerum ne iuramenta quae data sunt uideantur in nos ita penitus miserationum conclusisse praecordia, ut nullam de pietatis affectu animae uiscera concipiant indulgentiam parituram, sic stabilitis contractibus iuramenti sinum misericordiae aperimus, atque ita cunctis Deo placita deuotione misereri censemus, ut nos nec iuramenti teneat cautio reos nec inhumanitas faciat exsecrandos. Occurrere certe miserorum ruinis debet subsidio unusquisque quo ualet et reuelatione alienae uindictae a se Dei remouere uindictam. Libat enim Domino prospera qui

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Dieser hatte zeitgleich noch mit der Herrschaftsusurpation des Froia zu kämpfen, der ausgehend vom Baskengebiet zahlreiche Anhänger gefunden hatte und dessen Revolte wohl erst kurz vor dem Konzil militärisch niedergeschlagen

ab afflictis pellit aduersa. Inde Iob ante passionis experientiam, impendens patientibus quod in passionis suae patientia memorabat, suarum uirtutum catalogum texens inter cetera sic conectit. ‚Benedictio perituri super me ueniebat et cor uiduae consolatus sum‘ (Iob 29,13). Et paulo post: ‚Flebam quondam super eum qui afflictus erat et compatiebatur anima mea pauperi‘ (Iob 30,25). Hinc et Salomon: ‚Erue eos qui ducuntur ad mortem et qui trahuntur ad interitum liberare non cesses‘ (Prov 24,11). Quibus sanctae auctoritatis instructi decretis nec sanctum nomen profanasse nos constat, quod nullatenus profanandum uox nostrae praedicationis insinuate, et indulgentiae uisceribus adapertis, licet oris sui professione damnati difficile mererentur absolui – iuxta scriptum est: ‚Sanguis tuus super caput tuum, os enim tuum locutum est aduersum te‘ (2 Sam 1,16), et iterum: ‚Ex ore tuo iustificaberis et ex ore tuo condemnaberis‘ (Mt 12,37) – tamen pietatis intuitu et parcendi uiam pandimus et misericordiam prorogamus. Huius sane promissionis incautae crudam cruentamque temperare sententiam illa quam maxime compellimur causa, quod haec duo mala. Licet sint omnino cautissime praecauenda, tamen si periculi necessitas ex his unum temperare compulerit, id debemus resoluere quod minori nexu noscitur obligare. Quid autem ex his levius quidve sit grauius pietatis acumine uestigemus. Etenim dum periurare conpellimur, creatorem quidem offendimus sed nos tantummodo maculamus. Cum uero noxia promissa complemus, et Dei iussa superbe contempnimus et proxymis impia crudelitate nocemus, et nos ipsos crudeliori nos gladio trucidamus. Illic enim duplici culparum telo percutimur, hic tripliciter iugulamur. Restat ergo ut hac nostra pergat sententia qua misericordiae patuerit uia quae ita domino probatur accepta, ut plus eam cupiat quam sacrificia ueneranda. Dicente ipso: ‚Misericordiam volui et non sacrificium‘ (Hos 6,6). Hac indulgentiae concessa licentia, miserationis ipsius opus in gloriosi principis potestate redigimus. Ut quia deus illi miserendi aditum patefecit, remedia pietatis ipse quoque non deneget. Quae ita principali discretione moderata persistant, ut et illis sit aliquatenus misericordia contributa et nusquam gens aut patria per eosdem aut periculum quodcumque perferat aut iacturam. Haec miserationis obtentu temperasse sufficiat; ceterum, quaecumque iuramenta pro regiae potestatis salute uel contutatione gentis et patriae uel hactenus sunt exacta uel deinceps exstiterint exigenda, omni custodia omnique uigilantia insolubiliter decernimus obseruanda, a membrorum truncatione mortisque sententia religione penitus absoluta. Sed ne prauarum mentium uersuta nequitia nosmet ad periurii quandoque deuocet culpam nec a sanctae fidei regula hanc asserat venire sententiam, tam diuinae auctoritatis oracula quam praecedentium Patrum asserta huic narrationi curauimus innectenda. Etenim incommutabilis idemque semper exsistens Dei summi natura praecellens sua saepe in sacris litteris legitur mutasse promissa et pro misericordia temperasse sententiam. Unde, quamlibet sit impassibilis atque immutabilis idemtideitate firmissima, crebro tamen eius et iuramenta leguntur et paenitentia, quae sacris exstant mysteriis adoperta. Iurare namque Dei est a se ipso nullatenus ordinata conuellere, paenitere uero eadem ordinata, cum uoluerit, immutare. Sic enim per Iheremiam dicit: ‚Repente loquar aduersum gentem et adversum regnum ut eradicem et destruam et disperdam illud. Si paenitentiam egerit gens illa a malo suo quod locutus sum aduersum eam, agam et ego paenitentiam super malo quod cogitaui ut facerem ei‘ (Ier 18,7–8). Et per Ezechielem: ‚Si dixero iusto quod uita uiuat, et confisus in iustitia sua fecerit iniquitatem, omnes iustitiae eius obliuioni tradentur et iniquitate sua, quam operatus est, in ipsa morietur. Si autem dixero impio: Morte morieris, et egerit paenitentiam a peccato suo, uita uiuet et non morietur‘ (Ez 33,13–15). Si ergo nostra conuersio sic diuinam mutat sententiam, cur miserorum tantae lacrimae uel pressura tam crudam non temperent ex miseratione uindictam? Hinc etiam a populo Israelitico saepe ultio

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promissa suspenditur, et Niniuitarum perditio diuinae sententiae permutatione sedatur. At uero illustri laudum titulo praeclarus auctor Ambrosius in libro De officiis primo huiusce rei causa sic loquitur: ‚Est etiam contra officium nonnumquam promissum soluere, sacramentum custodire, ut Herodes, qui iurauit quoniam quicquid petitus esset daret filiae Herodiadis, et necem Iohannis praestitit ne promissum denegaret. Nam de Iepte quid dicam? Qui immolauit filiam, quae sibi uictori primum occurrerat, quo uotum impleret quod spoponderat, ut quicquid sibi primum occurrisset offerret Deo. Melius fuerat nihil tale promittere quam promissum soluere parricidio‘. (De officiis ministrorum I, 49). Item in libro tertio: ‚Purum igitur ac sincerum oportet esse affectum, et unusquisque simplicem sermonem proferat, uas suum in sanctitate possideat, nec fratrem circumscriptione uerborum inducat, nihil promittat inhonestum; ac si promiserit, tolerabilius est promissum non facere quam facere quod turpe sit. Saepe plerique constringunt se iurisiurandi sacramento, et cum ipsi cognouerint promittendum non fuisse, sacramenti tamen contemplatione faciunt quod spoponderint, sicut de Herode supra scripsimus, qui saltatrici praemium turpiter promisit, crudeliter soluit. Turpe quod regnum pro saltatione promittitur, crudele quod mors prophetae pro iurisiurandi religione donatur. Quanto tolerabilius tali fuisset periurium sacramento?‘ (III, 12). Et post pauca de Iepte disserens: ‚Miserabilis‘, inquit, ‚necessitas, quae soluitur parricidio. Melius est non uouere quam uouere id quod sibi is cui promittitur, nolit exsolui‘. (III, 12). Et post paululum: ‚Non semper igitur promissa soluenda omnia sunt. Denique ipse Dominus, sicut Scriptura indicat, frequenter suam mutat sententiam‘ (III, 12). Uir quoque sanctissimus Augustinus, uestigationis acumine cautus, inueniendi arte praecipuus, asserendi copia profluus, eloquentiae flore uenustus, sapientiae fructu fecundus, haec in suis narrat affatibus: ‚Duo sunt omnino genera mendaciorum in quibus non magna culpa est, sed tamen non sunt sine culpa: cum aut iocamur aut, ut prosimus, mentimur. Illud primum in iocando ideo non est perniciosissimum, quia non fallit; nouit enim ille cui dicitur, ioci causa esse dictum. Secundum autem ideo mitius est, quia retinet nonnullam beniuolentiam‘ (Enarr. in psalm. V, 7). Idem ipse: ‚Non auferat‘, inquit, ‚ueritas misericordiam, nec misericordia impediat ueritatem: si enim pro ueritate aut quasi rigida ueritate oblitus fueris misericordiam, non ambulabis in uia Domini, in qua misericordia et ueritas obuiauerunt sibi.‘ (Ennar. in psalm. LXXXIX, 24). Beatus etiam papa Gregorius, et libris et meritis honorandus, atque in ethicis assertionibus paene cunctis merito praeferendus, sic in libris infert Moralibus: ‚Quia ergo beemoth iste ita inexplicabilibus nodis ligat, ut plerumque mens in dubio adducta, unde se a culpa soluere nititur, inde culpa artius adstringatur, recte dicitur: Nerui testiculorum eius perplexi sunt. (Moralia in Iob 32, 20; CCL 143, 1657f.) Argumenta namque machinationum illius quasi quo laxantur ut relinquant, eo magis implicantur ut teneant. Est tamen quod ad destruendas uersutias utiliter fiat. Ut cum mens inter minora et maxima peccata constringitur, si omnino nullus sine peccato evadendi aditus patet, minora semper eligantur, quia et qui murorum undique ambitu ne fugiat clauditur, ibi se in fugam praecipitat ubi breuior murus inuenitur.‘ (Iob 40, 12). Nostri quoque saeculi doctor egregius, ecclesiae catholicae nouissimum decus, praecedentibus aetate postremus, doctrinae comparatione non infimus, et, quod maius est, in saeculorum fine doctissimus atque cum reuerentia nominandus, Isidorus, in libro Sententiarum secundo haec pro tali narrat negotio: ‚Non est conseruandum sacramentum quo malum incaute promittitur, ueluti si quispiam adulterae perpetuam cum ea permanendi fidem polliceatur. Tolerabilius est enim non implere sacramentum quam permanere in stupri flagitium.‘ (Sententiae III, 2, 31). Similiter in Synonymis: ‚In malis promissis rescinde fidem; in turpe uotum muta decretum; quod incaute uouisti, non facias. Impia est promissio quae scelere adimpletur.‘ (Synonyma II, 2). Haec de sacris paginis auctoribusque praecipuis breuissime sufficiat praelibasse, nam plurima colligere poterit qui haec attentius legendo quaesierit. Ceterum quibus haec nequaquam sufficiunt uel hinc sumant cum rubore silentium, quia optamus, ut Vas electionis, anathema esse a Christo pro fratribus nostris (Rom 9,3), quam perdurare crudelibus in delictis (La colección canónica Hispana V, 386–412; dt. Übers.: S. E.).

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worden war.121 Dem Konzilsbeschluss zufolge wurden in Toledo zunächst die Eidformeln geprüft, nach denen zu schwören Chindasvinth das gesamte Volk gezwungen hatte. In ihnen entdeckten die Bischöfe eine verhängnisvolle Verflechtung von Verpflichtungen (tantam obligationis texturam): an deren Verknotungen, so betonten sie, sei weniger schlimm, dass sie „Hinderung für Überschreitungen“ bieten sollten als dass sie das „Innere des religiösen Pflichtgefühls“ einzwängten, dass sie also entweder zum Eidbruch nötigten oder aber, beim Erfüllen des Eides, zum Verstoß gegen elementare religiöse Gebote ihres Christseins. Um aus diesem Dilemma herauszufinden, riefen die versammelten Bischöfe zunächst feierlich den Heiligen Geist an, dessen Inspiration für die nun folgende diffizile theologische Gratwanderung nur von Nutzen sein konnte und ihrer Entscheidung besondere Autorität verleihen sollte. Daraufhin betonten sie, dass der Eid aus einer Notlage heraus gefordert worden sei. Dies half den Vorgang vielleicht ein wenig zu historisieren, änderte jedoch letztlich nichts daran, dass man geschworen hatte; damit habe man gegen im Alten Testament formulierte Regeln für den Missbrauch des göttlichen Namens verstoßen, sei in schwerster Weise sündhaft geworden und müsse nun eigentlich ein furchtbares Urteil erwarten. Ausgehend von einer Forderung des Propheten Jesaja, „die Fesseln der Gottlosigkeit aufzulösen“, näherten die Bischöfe sich aus dem Gedanken der Barmherzigkeit und der Vergebung und schließlich unter Hinweis sogar auf das Schwurverbot der Bergpredigt (Mt 5,37) sodann dem Problem des Eides: Soll man einen gottlosen Eid halten oder ist es nicht besser, einen solchen Eid zu brechen? Dabei hielten sie an der Notwendigkeit des Schwörens an sich fest,122 ersannen jedoch einen Weg, „den rohen und blutigen Satz des unvorsichtigen Versprechens zu mäßigen“ und zur Verwirklichung der Barmherzigkeit von dem geleisteten Eid zu lösen. Ihre Argumentation macht klar, dass sie im Eidbruch das geringere Übel sahen: „Denn indem wir gezwungen werden, meineidig zu werden, beleidigen wir zwar den Schöpfer, aber beflecken lediglich uns. Wenn wir aber schädliche Versprechen erfüllen, verachten wir hochmütig Gottes Befehle, schaden unseren Nächsten in gottloser Grausamkeit und metzeln uns selbst mit einem noch grausameren Schwert nieder.“ Es geht aus dem Text zwar nicht hervor, wie die Eidlösung genau vonstatten ging. Die Hürde dafür suchten sie jedenfalls möglich hoch zu halten: Der Inspirationsbeschluss unter Anrufung des Heiligen Geistes, die sorgsame Abwägung des Konfliktes, die Berufung auf biblische Sentenzen und schließlich der einmütige Beschluss des 121 Tajo von Saragossa, Widmungsbrief an Bishof Quiricus von Barcelona (Vorrede zu seinen Sententiae), cc. 2–3: J.-P. Migne, PL 80, 727f. Zu den – offenbar auch religionspolitischen – Hintergründen der Revolte vgl. Thompson 1969, 199–201 und Frank Riess, Narbonne and its territory in Late Antiquity: From the Visigoths to the Arabs, London 2016, 176–178. 122 Dies ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass einige unter ihnen unter Hinweis auf das Schwurverbot der Bergpredigt den Eid vielleicht überhaupt ablehnten.

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Konzils sollten deutlich machen, wie hoch das theologische und auch das politische Risiko war, welches sie mit ihrem Beschluss eingehen mussten, und zugleich verhindern, dass bei möglichen künftigen Vorgängen solcher Art auf ihren Beschluss als ‚Präzedenzfall‘ würde zurückgegriffen werden können. Schließlich überwiesen die Bischöfe die Aufgabe, die Begnadigung von Todesstrafe und Verstümmelung auszusprechen, an König Reccesvinth, damit durch sein Erbarmen „nirgendwo das Volk und das Land“ Gefahr oder Verlust leiden. Im selben Atemzug erklärten sie nun alle neuen Eide für „König, Volk und Land“ für gültig und unverbrüchlich. Das Begnadigungsrecht des Herrschers stand also unter dem Vorbehalt der Eidlösung, was aus bischöflicher Sicht nur konsequent war. Auch hierin wird ein Bruch mit dem VII. Konzil von Toledo sieben Jahre zuvor erkennbar, wo man dem König sogar de facto zugebilligt hatte, durch sein Begnadigungsrecht selbst von ihnen verfügte Exkommunikationen aufzuheben. Schon damals hatte der Fluch am Ende des Kanons zum Ausdruck gebracht, wie unwohl man sich damit fühlen musste. Der Beschluss des VIII. Konzils von Toledo lässt insofern eine klarere funktionale Trennung erkennen – von einem seinem Vorgänger geleisteten Eid konnte dessen Nachfolger seine Untertanen nur unter Beteiligung eines Konzils lösen – so sollte es auch später gehandhabt werden.123 Die westgotischen Bischöfe wandelten insofern auf einem schmalen Grat, als sie einerseits an der Verbindlichkeit des Treueides im Grundsatz festhalten mussten, wie man dies 633 in Toledo betont hatte, während sie andererseits vorsichtig darauf hinarbeiten wollten, die Treueide speziell gegenüber Chindasvinth zu lösen. Dazu beriefen sich die Verfasser – unter ihnen wohl auch Tajo von Saragossa und Eugenius II. von Toledo, die beide die Konzilsakten unterschrieben haben – auf eine Vielzahl von Autoritäten. Der ‚dokumentarische Anhang‘ enthält zahlreiche Bibelzitate, Ambrosius’ Auseinandersetzung mit dem Eid des Herodes, Augustinus’ Unterscheidung zweier Arten von Lügen, Gregors des Großen Erläuterung des Behemoth, um dann mit – dem hier bereits als Klassiker einer vergangenen Epoche der Theologie zugerechneten – Isidor von Sevilla zu enden, der gefolgert hatte, es sei besser, ein eidliches Versprechen nicht zu erfüllen als bei einem gottlosen Versprechen zu verharren. Die ausgedehnte, sorgsam abwägende, mit einer Vielzahl von Bibelzitaten argumentierende Erklärung und Beschlussfassung suchte eine Lösung vom Eid zu ermöglichen, ohne die Institution des Eides selbst in Frage zu stellen. Ihre sorgsame theologische Prüfung des Sachverhaltes und des darin enthaltenen Dilemmas waren unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Bischöfe auf dem Wege der Barmherzigkeit für diesen besonderen Fall, weil aus einer Notlage hervorgegangen, eine ausnahmsweise Lösung von der dem verstorbenen Chindasvinth gemachten 123 Vgl. Orlandis/Ramos-Lisson 1981, 277–283 u. ö.

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Zusage gewähren konnten, so dass sie dem aktuellen Herrscher die Amnestie anheimstellen konnten. Die Begnadigung im Einzelfall hätte Reccesvinth vielleicht auch aussprechen können, ohne die Bischöfe konsultiert zu haben, aber gerade die Argumentation zeigt, wie man versuchte, an der Unverzichtbarkeit jenes Eides festzuhalten, dessen transpersonale Überdehnung die politische Theologie des Westgotenreiches in eine ihrer schwerwiegendsten Aporien geführt hatte.

2.7

Die Trennung von Hausgut und Krongut im bischöflichen Dekret und im Krönungseid von 653

Nicht nur in dieser Hinsicht sind die umfangreichen Akten des VIII. Konzils von Toledo einer der bedeutendsten Texte zur politischen Theologie des Mittelalters. In seinen Beschlüssen, die über 30 eng bedruckte Druckseiten füllen, wurde darüber hinaus eine umfassende ‚Versachlichung‘ bzw. ‚Entpersonalisierung‘ des Königtums vorgenommen. Man wird darin Maßnahmen sehen dürfen, die sich gegen die Konfiskationspolitik Chindasvinths richteten, der, wie sein Gesetz,124 der Konzilsbeschluss von 646125 und die Charakteristik Fredegars126 zeigen, über Hochverratsbeschuldigungen und -prozesse offenbar eine großangelegte Umverteilung zugunsten seiner Unterstützer betrieben hatte. Die Konfiskationsrechte, die in den Rechtstexten der Chindasvinth-Zeit so prominent hervortreten, waren als Instrument der Vernichtung politischer Gegner benutzt worden und um das königliche patrimonium zu füllen. Auf dem VIII. toletanischen Konzil wurde dieses Vorgehen kritisiert, die daraus resultierenden Gewinne sollten dem Fiskus überwiesen werden,127 und in einem unmittelbar darauf publizierten ausführlichen Dekret, das sie im Namen des Königs verkündeten, begründeten die westgotische Bischöfe die künftige Trennung von Hausgut und Krongut:128 „Dekret der universalen Gerichtsversammlung, ausgegeben im Namen des Fürsten. Dem Zerbrochenen Festigkeit gegeben und bewirkt zu haben, dass sich erhebt, was zuvor in Trümmern lag: Darin besteht ein Zuwachs des üblichen Gewinns wie auch die 124 125 126 127

Siehe oben Anm. 91. Siehe oben Anm. 97. Siehe oben Anm. 108. Vgl. Thompson 1969, 203f. und Santiago Castellanos, The political nature of taxation in Visigothic Spain, in: Early Medieval Europe 12 (2003), 201–228, hier 213–215. 128 La colección canónica Hispana V, 463. Pablo C. Diaz, Confiscations in the Visigothic reign of Toledo: a political instrument, in: Pierfrancesco Porena/Yann Rivière (edd.), Expropriations et confiscations dans L’Empire tardif et les royaumes barbares. Une approche régionale (Collection de l’École francaise de Rome 470), Rom 2012, 93–112, hier 98.

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Fülle der vollendeten Vervollkommnung. Wenn Einvernehmen darüber besteht, dass es Aufgabe der unmittelbaren Nachbarn ist, sich dem Gewicht einer einstürzenden Ruine entgegenzustemmen, um wieviel größer wird der Schuldvorwurf sein, den Prälaten für ihre Nachlässigkeit auf sich ziehen, falls sie sich nicht, so weit sie vermögen, darum kümmern, die anvertrauten Völker von der Last der Zermalmung zu erleichtern? Man muss also herbeieilen, um inmitten den Ruinen der Zusammenstöße die Scharen der Erschütterten zu entreißen, damit die verfluchte Bedrängnis sofort und auch weiterhin keine Kraft habe zu schaden, und jeder Bedrückte wisse, dass ihm die geheiligten Heilmittel heiliger Strafe bereitgestellt wurden. Während sich also in den vergangenen Zeiten der harten Gewaltherrschaft die strenge Macht erhob und der Befehl des Herrschenden bei den unterworfenen Völkern nicht die Rechte des Regierens (iura regiminis) hervorkehrte, sondern die Spaltungen der Strafe, mussten wir mit ansehen, wie die Stellung der Untertanen nicht durch die Anordnungen ihres Leiters belebt, sondern durch die Schwere seiner Herrschaftsgewalt zu Boden gedrückt wurde. Die übermütige Herrschaftswürde nämlich hatte die Gesetze im zwiespältigen Zerwürfnis der Erregung zusammengedrückt: Entweder wütete ein beschwerliches Gesetz (lex ardua) in Beschuldigungen, oder ein willkürliches Gesetz (lex uoluntaria) begünstigte den Raub. Seitdem wärmte keine Hoffnung auf Hilfe mehr die traurigen Gemüter, sondern die Duldsamkeit quälte sie im Tod. Daher zwingt uns schon im Bemühen um Erneuerung nicht nur der Verstand allein zum Handeln, sondern auch die Dynamik der Dinge selbst treibt uns an, aus einmütigem Beschluss aller Meinungen jene autoritative Maßgabe zu verbreiten, welche sowohl den unerlaubten Verwegenheiten in gebührender Weise ein Ende setzt als auch für die Errettung der Völker eine Rechtsregel festsetzt. Denn wir haben gesehen, wie gewisse Könige, nachdem sie den Ruhm der Königswürde erlangt hatten, für ihr Eigentum Gewinne zusammenbrachten, indem dafür das Vermögen der Völker geschmälert wurde, und da sie vergessen haben, dass sie zum Regieren berufen wurden (quod regere sunt uocati), verkehren sie, die eigentlich durch ihren Schutz die Verwüstung hätten vertreiben sollen, den Schutz in Verwüstung. Ja, noch Schlimmeres fügen sie hinzu, indem sie das, was sie zu erwerben scheinen, nicht der Ehre und dem Ruhm des Königreiches zuweisen (non regni deputant honori uel gloriae), sondern es lieber mit ihrem eigenen Recht vermengen (in suo iure confundi), und zwar in der Weise, dass sie, als wären sie dazu verpflichtet, entscheiden, dies auf die Nachkommenschaft ihrer Kinder zu übertragen. Weswegen wagen sie es daher, jene Dinge in den Geldbeutel ihres Eigentums (in proprietatis sinu) zu überführen, von denen doch feststeht, dass sie sie allein aufgrund der höchsten Zierde des Reiches (imperiali fastigio) bekommen haben? Aufgrund welcher Gier bringen sie in der Höhle ihres Eigenrechtes (in iuris proprii antro) das unter, von dem doch man doch weiß, dass es unter dem Vorwand des öffentlichen Nutzens (publicae utilitatis obtentu) erworben wurde? Hätte etwa bei jenen die Huldigung der Völker (populorum aduentus) oder die Steuerschätzung des Vermögens (census rerum) zusammenkommen können, wenn sie nicht auf die Gipfel des Ruhmes erhoben worden wären? Oder hätten jene sich durch die Anhäufung des Besitzes von Ihresgleichen bereichern können, wenn sie sich nicht über ihren Untertanen auf den ruhmreichen Thron erhoben hätten? Während wenigstens alle untertanen Glieder des gesamten Volkes ihren gespannten Blick geschuldeter Aufmersamkeit auf das Haupt des Fürsten richten, erwartet dieser von jenem, dem er mal eine willkommene, mal eine geschuldete Steuerschätzung auferlegt,

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das Heilmittel für die Staatsgeschäfte. Die königliche Ordnung beweist daher, dass ihr alles aus jenem Grund geschuldet werde, weswegen sie, wie sie weiß, alles regiert, und von daher beschützt sie gerechterweise das Erworbene für keinen anderen als für sich selbst. Daher ist auch nicht strittig, dass dies nicht seiner Person, sondern seiner Machtstellung geschuldet wird. Den König machen nämlich die Rechte aus, nicht die Person (regem etenim iura faciunt, non persona); denn er steht nicht aufgrund seiner Kleinheit so fest da, sondern aufgrund der Ehrenstellung der Erhabenheit (sublimitatis honore). Was also der Ehrenstellung (honor) geschuldet ist, das diene auch der Ehrenstellung, und was die Könige anhäufen, das sollen sie dem Reich hinterlassen (regno relinquant), und weil der Ruhm des Reiches (gloria regni) sie ziert, dürfen sie selbst auch nicht den Ruhm des Reiches (gloriam regni) schmälern, sondern müssen ihn ausschmücken. Die rechtmäßig eingesetzten Könige sollen fortan mit besorgtem Herzen regieren, in besonnenem Handeln arbeiten, durch gerechte Urteile Beschlüsse fassen, mit entschlossenem Verstand sparen, in sparsamem Eifer Erwerbungen tätigen und aufrichtige Gelübde halten, damit sie umso mehr den Ruhm des Königreiches (gloriam regni) mit Glück festhalten, wie sie die Rechte des Regierens (iura regiminis) in Sanftmut beachten und in Gerechtigkeit lenken. Damit man nicht glaube, der versprochene Lohn der Rede sei nicht aus dem Brennstoff des Verstandes hervorgegangen, ist es angebracht, die sichtbarste Erscheinung des Werkes zu offenbaren, damit aus ihm der Beweis der Wahrheit in uns geeignete Zeugen habe, weshalb sich die Beschaffenheit des Verhandlungsgegenstandes aus sich selbst heraus ergeben hat: Siehe nämlich, wir fanden, dass unter den mittleren und bedeutenderen Personen unseres Volkes (ex gentis nostrae mediocribus maioribusque personis) bis hierhin viele so zugrundegegangen sind, und beweinen, dass wir in Anerkennung ihres Ruins nicht anders können als das Urteil der göttlichen Erlaubnis in Betracht zu ziehen. Wenigstens sehen wir den Raub von deren Häusern und das Vermögen der Machtmittel und zugleich die Güter so ganz und gar zunichte gemacht, dass das Zusammengebrachte weder als von Vorteil für den Gebrauch des Fiskus noch als hilfreiches Heilmittel für die Hofämter eingeschätzt wird. In dieser Sache treffen zweierlei Schäden zusammen, dass nämlich der Urteilsspruch die Verurteilten vernichtete und sich niemand erhob, der an deren Stelle mit ihren Gütern beschenkt worden war. Daher ist man der Meinung, dass diese Angelegenheit kaum Disziplin in der Ordnung, wohl aber Schaden im Volk verursacht habe, zumal noch größeres Unheil dadurch angehäuft wurde, dass das umfassende Eigentum der Fürsten sowohl das, was die Strenge der Urteile von den Verurteilten weggenommen hatte, als auch jenes, was welcher Ertrag auch immer auf dem Wege der Bedrückung zusammengebracht hatte, im Geldbeutel seiner Einnahmen eingeschlossen hatte. Und nachdem auf diese Weise der fürstliche Magen allein gefüllt worden war, erschlafften, nachdem sie durch den Schaden blutleer geworden waren, alle Glieder des gesamten Volkes. Und so kam es, dass weder die Mittleren Abhilfe noch die Bedeutenderen eine Würde zu erlangen vermögen, denn während die Stärke der alleinigen Regierungsgewalt das Größte davon in Besitz genommen hat, konnte der Stand des gesamten Volkes nicht das Geringste davon auf dem Rechtsweg verteidigen. Daher bestimmen wir alle – sowohl die Bischöfe als auch die Priester als auch alle, die in den heiligen Ordnungen Dienst tun – zusammen mit dem gesamten Hofdienst und zugleich der Zusammenkunft der Bedeutenderen und Geringeren in einträchtiger Festsetzung und wünschen: Jede zum Zweck des Erwerbs getätigte Bedrückung von Leib, Art, Form oder Geschlecht

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sämtlicher lebender und nicht-lebender Dinge sowie der unbeweglichen und beweglichen Habe, bei der gefunden wird, dass sie von König Chindasvinth ruhmreichen Andenkens von dem Tag an, an dem er bekanntlich zur Königsherrschaft aufgestiegen ist, auf welche Weise auch immer gefördert worden ist – all dies soll übergehen in die dauerhafte Verfügungsgewalt unseres heitersten und mildesten Herrn Fürsten Reccesvinth und ihm zu ewigem Recht übertragen werden, und zwar so, dass er es nicht aufgrund väterlicher Erbfolge (parentali successione) haben, sondern aufgrund königlicher Zusammenkunft (regali congressione) besitzen soll, und zwar so, dass ein jeder das ihm rechtmäßig Geschuldete ergreife, und von dem Übrigen der Wille des Fürsten (principis uoluntas) das zum Heilmittel der Untertanen verwende, was auch immer er dafür auswählt, ausgenommen allein jene Güter, die der Fürst Chindasvinth göttlichen Andenkens vor seiner Königsherrschaft (ante regnum) entweder aus Eigengut (ex propriis) oder aus rechtmäßigsten Erwerbungen gehabt zu haben schien. In all diesen [zuletztgenannten] Dingen verbleibe dessen Söhnen zusammen mit unserem ruhmreichen Herrn Reccesvinth sowohl die freie Aufteilbarkeit als auch der vollste Besitz in Frieden. Aber auch jene Dinge, welche der vorgenannte Fürst aus rechtmäßigen Einkünften seinen Söhnen oder wem auch immer auf rechtmäßigste Weise übertragen oder hinterlassen zu haben scheint, sollen sämtlich unerschüttert in deren Rechtsgewalt (in eorum iure) verbleiben – freilich unter Beachtung jener Wahrheit dieses Rechtsgeschäfts, dass nämlich, weil der dankbare Wille unseres ruhmreichen Herrn, König Reccesvinths, beschlossen hat, einem jeden das auf gerechte Weise Geschuldete zurückzugeben, niemand eine schikanöse Klage wegen gewaltsamer Inbesitznahme in Bewegung setzt oder Schadenersatz fordert, indem er anbringt, dass dessen Vater ruhmreichen Andenkens etwas ungeschuldet weggenommen habe.“129 129 Decretum iudicii uniuersalis editum in nomine principis. Soliditatem reddidisse fracturae atque fecisse consurgere quod exstiterat concidisse, et incrementum est usuatae mercedis et plenitudo consummatae perfectionis. Ponderi etenim collidentis ruinae si aequalium proximorum curam conuenit obuiare, quanto grandioris erit culpae praelatos incuriae crimen incurrere si non, quo ualent, ex comminutionis onere commissos procurent populos subleuare? Properandum ergo est inter ruinas collisionum cateruas eripere collisorum, ut ex hoc iugiter et ultra nec uigorem nocendi habeat exsecranda pressura, et omnis compressus nouerit sanctae sanctionis esse sacra sibi collata remedia. Cum decursis ergo temporibus durae dominationis sese potestas grauis attolleret et in subiectis populis imperium dominantis non formaret iura regiminis sed excidia ultionis, aspeximus subditorum statum non ex ordine uegetari rectoris sed deici ex grauedine potestatis. Contraxerant enim leges elata fastigia in bifronti discidio motionis, et aut in culpis lex ardua saeuiebat aut in spoliis fauorem lex uoluntaria commodabat. Inde maestos animos non spes fouebat ex munere sed tolerantia uexabat in funere. Unde iam in reparationis occursu non tantum nos abire sola ratio cogit, uerum et ipsa commotio rerum impellit, ut ex omnium animorum deliberatione concordi illa emanat sententia dicti quae et finem ausibus rite ponat illicitis et consultum saluandis iure ferat in populis. Quosdam namque conspeximus reges, postquam fuerint regni gloriam assequentes, extenuatis uiribus populorum rei propriae congerere lucrum, et obliti quod regere sunt uocati, defensionem in uastatione conuertunt, qui uastationem defensione pellere debuerunt, illud grauius innectentes, quod ea quae uidentur acquirere, non regni deputant honori uel gloriae, sed ita malunt in suo iure confundi, ut ueluti ex debito decernant haec in liberorum posteritate transmitti. Quam itaque ob rem in proprietatis illa conantur redigere sinu quae pro solo constat illos imperiali percepisse fastigio? Aut quo libitu in iuris

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Es handelt sich bei diesem Text, wie an der Selbstbezeichnung der Urheber erkennbar wird, um ein bischöfliches Dekret, dass vor allem die Folgen zweier Missstände zu korrigieren suchte, nämlich der von Chindasvinth veranlassten

proprii collocant antro quod publicae utilitatis acquisitum esse constat obtentu? Nam numquid ad illos aut populorum aduentus aut rerum poterat concurrere census nisi exstitissent gloriae sublimati culminibus? Aut ab aequalibus illi potuerunt rerum coaceruatione ditari nisi subiectis glorioso apice potuissent attolli? Omnia certe totius plebis membra subiecta, dum ad principale caput releuant attentum debitae uisionis obtutum, ab illo negotiorum prospectat remedium cui modo gratum modo debitum irrogat censum. Regalis proinde ordo ex hoc cuncta sibi deberi conuincit ex quo se regere cuncta cognoscit, et inde conquisita non alteri quam sibi iuste defendit. Unde non personae sed potentiae suae haec deberi non ambigit. Regem etenim iura faciunt, non persona, quia nec constat sui mediocritate, sed sublimitatis honore. Quae ergo honori debent, honori deseruiant, et quae reges accumulant, regno relinquant, ut quia eos gloria regni decorat, ipsi quoque gloriam regni non extenuent, sed exornent. Habeant deinceps iure conditi reges in regendo corda sollicita, in operando facta modesta, in decernendo iudicia iusta, in parcendo pectora prompta, in conquirendo studia parca, in conseruando uota sincera, ut tanto gloriam regni cum felicitate retentent quando iura regiminis et mansuetudine conseruauerint et aequitate direxerint. Promisisse praemium dictionis ne non prodisse putetur ex fomite rationis, reuelare conuenit euidentissimam speciem operis, ut ex illo nos idoneos assertores habeat probitas ueritatis, ex quo se per semetipsam reseruauerit qualitas actionis. Ecce etenim ita ex gentis nostrae mediocribus maioribusque personis multos hactenus corruisse repperimus et deflemus, ut eorum agnitis ruinis non aliud possimus quam diuinae iudicia considerare permissionis. Quorum quidem domorum spolia et potentiarum diuitas simul ac praedia ita conspicimus prorsus exinanita, ut nec fisci usibus commoda nec palatinis officiis reperiantur in remedium salutare collata. Cuius rei ex utroque concurrente defectu, dum et adiudicatos sententia iudiciorum elisit et eorum bonis ad ipsorum uicem munificatus nemo surrexit, paene non res ista disciplinam in ordine, sed defectum posuisse pensatur in gente, illo maiori salutis dispendio cumulato, quod tam haec quae adiudicatis uigor iudiciorum abstraxerat, quam illa quae qualiscumque prouentus ordine profligationis congesserat, tota proprietatis principum amplitudo in sinum suae receptionis incluserat. Sicque solo principali uentre suppleto, cuncta totius gentis membra uacuata languescerent ex defectu. Unde euenit ut nec subsidium mediocres nec dignitatem ualeant obtinere maiores, quia dum solius potestatis uigor maxima occupauit, totius plebis status nec minima iure defendit. Adeo cum omni palatino officio simulque cum maiorum minorumque conuentu nos omnes tam pontifices quam etiam sacerdotes et uniuersi sacris ordinibus famulantes concordi definitione decernimus et optamus ut omnis conquisitionis profligatio in omnium rerum uiuentium ac non uiuentium, immobilium quoque et moueri ualentium, corpore uel specie, forma uel genere, quae a gloriosae memoriae Chindasuinto rege a die quo in regnum dinoscitur conscendisse repertus, quolibet modo exstiterit augmentasse, omnia in serenissimi atque clementissimi domini nostri Recesuinti principis perenni transeant potestate et perpetuo deputentur in iure, non habenda parentali successione, sed possidenda regali congressione, ita ut iuste sibi debita quisque percipiat, et de reliquis ad remedia subiectorum, quaecumque elegerit, principis uoluntas exerceat, illis tantundem exceptis quae memoratus diuae memoriae Chindasuintus princeps ante regnum aut ex propriis aut ex iustissime conquisitis uisus est habuisse. In quibus cunctis filiis eius una cum glorioso domino nostro Recesuinto rege maneat et diuisio libera et possessio pace plenissima. Sed et illae res quas praedictus princeps de iustis prouentibus filiis suis uel quibuslibet iustissime uisus est contulisse uel reliquisse, omnes in eorum iure maneant inconuulsae, illa negotii huius ueritate seruata ut, quia grata uoluntas gloriosi domini nostri

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Güterkonfiskationen und der Vermengung dieser Güter mit dem dynastischen Erbgut. In der Argumentation, die wenigstens mit Blick auf die Forderungen mit dem König genau abgestimmt gewesen sein dürfte, ist ein gewisser Kompromiss zu erkennen: Auffälligerweise wurden die Gütererwerbungen des Fiskus aus der Regierungszeit Chindasvinths nicht kategorisch rückgängig gemacht, sondern man stellte dem neuen König anheim, Güter wieder zurückzugeben. Zugleich wollte man aber erkennbar eine Prozesslawine verhindern und die Rückgabe von Gütern auf einem informelleren Wege umgesetzt wissen. Dabei hielten die Bischöfe fest, dass sämtliche fiskalischen Güter im Grundsatz von Chindasvinth auf Reccesvinth übergegangen waren. Allerdings betonte man, dass Reccesvinth diese nur als Krongut behalten dürfe, sie also lediglich an seinen unmittelbaren Nachfolgern weiterzugeben waren. Die erbberechtigten Mitglieder der königlichen Dynastie waren dagegen allein in privatrechtlicher Erbfolge aus dem Familien- bzw. Hausgut abzufinden. Die weit ausgreifende bischöfliche Argumentation und die mit König Reccesvinth ausgehandelte Lösung zeigen, dass gegenüber dem angestrebten Ziel einer dauerhaften Trennung von Krongut und Hausgut des jeweiligen Königs und seiner Familie anderes zurückstehen musste. Entscheidend war daher die Berufung auf das „Gemeinwohl“ (utilitas publica), das es neu zu defnieren galt. Die Bischöfe betonten, dass neben den Konfiskationen, die sie unter dem bewusst vage gehaltenen Begriff der „Erwerbungen“ (conquisitiones) durch den König fassten, dieser in Form des census eine reguläre Einnahmequelle habe. Erkennbar wird ihr Bemühen, die Funktionen und Begründung der fiskalischen Einnahmen auf ihren Kern zurückzuführen. Das „Fiskalgut“, die sogenannte res privata, hatte sich schon in spätrömischer Zeit im Grenzgebiet zwischen Strafrecht und Finanzverwaltung bewegt, war über das Instrument der Konfiskation gleichsam pervertiert worden.130 Der tiefere Grund dafür lag in der Logik, dass jemand, der einen anderen erfolgreich als Verräter denunzierte, sich Hoffnungen machen durfte, dafür vom Herrscher mit dessen Gut (oder einem anderen Stück Landes) belohnt zu werden. Das Ausmaß der Konfikationen unter Chindasvinth und insbesondere seine Politik, die Witwen der getöteten Gefolgsleute neu zu verheiraten,131 zeigen deutlich, dass das Handeln des Königs und der ihn unRecesuinti regis reddere decernit unicuique iustissime debita, nemo inuasionis calumniam moueat aut damna requirat propter quod gloriosae memoriae genitorem eius quaedam indebite abstulisse constiterat (La colección canónica Hispana V, 450–457; dt. Übers.: S. E.). 130 Vgl. dazu Fergus Millar, The Privata from Diocletian to Theodosius: Documentary Evidence, in: Cathy E. King (ed.), Imperial Revenue, Expenditure and Monetary Policy in the Fourth Century A.D. (British Archeological Reports, International Series 76), Oxford 1980, 125–140, hier 132: „the privata […] belongs as much in the sphere of punishments as it does in that of state finance.“ 131 Siehe oben Anm. 108 u. 109.

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terstützenden Eliten von einer ‚feudalen‘ Logik bestimmt war, derzufolge der König eingezogenes Land neu vergeben wollte bzw. mit diesem auch seinen Familienbesitz zu vergrößern suchte.132 Insofern ist nur gut nachvollziehbar, dass die Bischöfe die Trennung von Familien- und Krongut für unerlässlich hielten, um dieser Praxis ein Ende zu bereiten, und dass sie mit dem Hinweis auf die Besteuerung zugleich die Frage in den Mittelpunkt rückten, wofür ein König überhaupt Einnahmen benötigte und diese rechtmäßig von seinem Volk verlangen durfte. Daneben dürfte auch die Unveräußerlichkeit des Kirchengutes einen wichtigen Bezugspunkt ihrer Forderungen abgegeben haben.133 Interessanterweise korrespondierte mit der Trennung von Hausgut und Krongut die Gegenüberstellung vom „Eigennutz“ des Königs (proprii iura commodi) und dessen Sorge für „Land und Volk“ (patriae atque genti), als deren Sachwalter sich wiederum die Bischöfe sahen. Ihrer transpersonalen Konzeption gaben die Bischöfe schließlich beredten Ausdruck mit dem Diktum regem etenim iura faciunt, non persona: „Den König machen die Rechte aus, nicht seine Person.“134 Es verdient hervorgehoben zu werden, dass persona hier im römischen, dann für das christliche Königtum adaptierten Sinne von „Rolle“ verwendet wurde, womit letztlich die Person in abstracto, also in Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe und Funktion als persona publica beschrieben worden war.135 Als ihren Gegenbegriff bezeichneten die Bischöfe in diesem Satz auch nicht Institutionen wie das (an anderer Stelle angesprochene) Reich oder den fiscus, sondern das Recht. Insofern ist es kein Zufall, dass im Text zweimal von den iura regiminis die Rede ist: In der rechtlichen Art der Formalisierung lag die eigentliche transpersonale Qualität. König Reccesvinth bestätigte die getroffene Regelung in einem noch auf dem Konzil verfügten Erlass136 sowie im darauffolgenden Jahr durch sein Gesetz.137

132 Vgl. Castellanos 2003, 213–215. 133 Dazu Suntrup 2001, 280–283. Zur Idee der Unveräußerlichkeit des Kirchengutes im Westgotenreich und zu deren Auswirkungen auf das Fiskalgut vgl. Stefan Esders, Der Verjährungstitel des Liber iudiciorum (L. Vis. X, 2) und die politischen Implikationen des Ersitzungsgedankens im Westgotenreich, in: Ignacio Czeguhn et al. (edd.), Wasser – Wege – Wissen. Eine Annäherung an das Studium der Wasserkultur von der römischen Antike bis zur islamischen Zeit / Agua, vías, conocimientos en la Península Ibérica. Una aproximación al estudio de la cultura del agua desde la antigüedad romana hasta la época musulmana (Berliner Schriften zur Rechtsgeschichte 8), Baden-Baden 2018, 57–86, hier 74–82. 134 La colección canónica Hispana V, 448–464, hier bes. 452. 135 Vgl. Fuhrmann 1979, 104. 136 Lex edita in eodem concilio a Recesuinto prinicpe glorioso (La colección canónica Hispana V, 457–464). 137 Lex Visigothorum II, 1, 6 (De principum cupiditate damnata eorumque initiis ordinandis, et qualiter conficiende sunt scripture in nomine principis facte [Leges Visigothorum, 48–52]). Interessanterweise wird in diesem Erlass wie auch in der königlichen Lex (Anm. 136) noch

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Kaum wichtiger war, dass die Beschlüsse von Toledo auch Eingang in den Krönungseid fanden, den jeder neue Herrscher zu Regierungsantritt schwören sollte und der die religiöse Einbettung seines Königtums noch einmal erheblich steigerte. Es fügt sich zum allgemeinen religiösen Ton des VIII. Konzils von Toledo, dass seine Akten mit einer feierlichen Bekräftigung der vier ökumenischen Konzilien einsetzen und damit die Orthodoxie der westgotischen Kirche ostentativ bekräftigten.138 Zu den jedem Herrscher als Regierungsauftrag auferlegten und jeweils zu bekräftigenden Pflichten gehörte auch, das Königreich gegen Häresien und Juden zu verteidigen.139 Die antijüdische Politik, die offenbar in Wiederaufnahme früherer Maßnahmen König Chintilas (636–639) nun zum Gegenstand des Regierungseides wurde, resultierte möglicherweise aus dem von der gotischen gens erhobenen Anspruch, das auserwählte Volk zu verkörpern – den man gleichzeitig den Juden streitig zu machen suchte.140 Auch die Trennung zwischen dem ‚Hausgut‘ des amtierenden Königs und dem ‚Staatsgut‘ der Krone zu respektieren musste jeder neue König unter Eid zu respektieren versprechen: „Von hier an also und künftig müssen zum Ruhm des Königreiches (in regni gloriam) deren Leiter in der Weise vollendet ins Amt gelangen, dass sie entweder in der Königsstadt oder aber an dem Ort, wo der Fürst verstorben ist, in jeder Hinsicht mit der Zustimmung der Bischöfe und der Großen des Palastes erwählt werden, nicht hingegen draußen oder durch eine Verschwörung einiger weniger oder den aufständischen Aufruhr der ländlichen Bevölkerung. Sie werden Bekräftiger des allgemeinen rechten Glaubens sein und diesen auch vor der Treulosigkeit der Juden, welche droht, und dem Unrecht aller Irrlehren verteidigen. Sie werden in ihren Handlungen, Urteilen und ihrer Lebensführung maßvoll sein. Sie werden in der Vorsorge der Dinge in höherem Maße ebenso sparsam wie angestrengt sein, damit sie durch keine Gewalt oder aufgrund der Entzweiung von Schriften oder wie auch immer gearterer Definitionen von ihren Untertanen Verträge entweder erzwingen oder zu erzwingen suchen. Sie werden beim Erwerb von Dingen dankbarster Gabe nicht die Rechte des eigenen Nutzens (proprii iura commodi) im Blick haben, sondern Sorge tragen für Land und Volk (patriae atque genti); bei den erworbenen Dingen werden sie von ihnen nur jene Teile für sich selbst beanspruchen, welche die fürstliche Autorität gewährt hat; was auch immer sie an Dingen ungeordnet hinterlassen, werden sie an den Ruhm des Nachfolgers vererben;

einmal die Frage der Erwerbungen des 631 abgesetzten Königs Swinthila angesprochen. Vgl. auch King 1972, 62f. 138 VIII. Konzil von Toledo (653), Vorrede (La colección canónica Hispana V, 372–374). Zum Monotheletismusstreit als Hintergrund der Formel und zur Frage, warum das V. Ökumenische Konzil von Konstantinopel hier unerwähnt blieb, vgl. Esders 2019, 201 u. 209. 139 Thompson 1969, 196f. nahm an, dass Chindasvinth weder gegen Juden Gesetze erlassen noch sie verfolgt habe. Zum ersten Aspekt vgl. jedoch Wolfram Drews, Juden und Judentum bei Isidor von Sevilla. Studien zum Traktat De fide catholica contra Iudaeos (Berliner Historische Studien 34), Berlin 2001, 385. Zu Reccesvinths Wiederaufnahme der Judenpolitik König Chintilas ab 653 vgl. Esders 2016, 57–62. 140 Vgl. Suntrup 2001, 287–289.

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deren Eigentum und vor der Königsherrschaft auf gerechteste Weise erworbenes Gut werden die Söhne oder die Erben nach dem Recht der Verwandtschaftsnähe in Besitz nehmen; hinsichtlich der Erbfolge oder des Geschenks der Heiratsverwandten nütze [alles], obgleich ungeordnet hinterlassen, entweder zuerst nur den Söhnen oder nachfolgend den Erben oder Verwandten. Und so wird in all deren Handlungen, Sitten und Sachen die Autorität des vorgenannten Gesetzes gültig sein, wie es auf ewig unverändert bleibe und niemand den Gipfel des Thrones ergreife, bevor er unter Festsetzung des Eides (iurisiurandi taxatione) bestimmt hat, dass er dieses [Gesetz] in allem erfüllen werde. Und um auch diesem Gesetz bzw. bischöflichen Dekret nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Gegenwart Respekt zu verschaffen, beschließen wir, dass ein jeder, der ein Verächter und nicht lieber ein Verehrer desselben Dekretes und Gesetzes sein möchte, möge es sich bei ihm um einen Kleriker oder einen Laien handeln, nicht nur mit der kirchlichen Exkommunikation versehen, sondern auch seiner Würdenstellung beraubt werde.“141

Niemand also sollte künftig den Thron des Königreiches erklimmen, bevor er der vorgegebenen Klausel entsprechend unter Eid versprochen hatte, all dies zu erfüllen. Tatsächlich ist die Aufnahme dieser Zusagen in den Herrschereid ein weiteres Indiz dafür, dass die wechselseitigen Erwartungen, die beim Regierungsantritt eines neuen Herrschers formuliert wurden, nun auch Gegenstand der expliziten Selbstverpflichtung des Monarchen wurden. Es ist nicht bekannt, ab wann genau die westgotischen Könige bei ihrem Regierungsantritt feierliche Eide leisteten, und der genaue Inhalt des Eides wird erst durch Quellen des 7. Jahrhunderts bezeugt, als in die Eidesformel bereits neue Verpflichtungen

141 VIII. Konzil von Toledo (653), c. 10: Abhinc ergo et deinceps ita erunt in regni gloriam perficiendi rectores, ut aut in urbe regia aut in loco ubi princeps decesserit cum pontificum maiorumque palatii omnimodo eligantur assensu, non forinsecus aut conspiratione paucorum aut rusticarum plebium seditioso tumultu. Erunt catholicae fidei assertores eamque et ab hac quae imminet Iudaeorum perfidia et a cunctarum haeresum iniuria defendentes. Erunt actibus, iudiciis et uita modesti. Erunt in prouisionibus rerum tam parci amplius quam extenti, ut nulla ui aut factione scripturarum uel definitionum qualiumcumque contractus a subditis uel exigant uel exigendos intendant. Erunt in conquisitis oblationis gratissimae rebus non prospectantes proprii iura commodi sed consultentes patriae atque genti; de rebus congregatis ab eis ille tantum sibi uindicent partes quas ditauerit auctoritas principalis; rerum quaecumque inordinata reliquerint, hereditabunt gloriam successoris; propria eorum et ante regnum iustissime conquisita aut filii aut heredes capiant iure proximitatis; de affinium successione uel munere, quamuis inordinata relicta, aut primo tantum filiis, aut heredibus sequenter proficient uel propinquis. Atque ita in eorum cunctis actibus, moribus atque rebus praefatae legis erit auctoritas ualitura, ut et perenniter maneat inconuulsa et non prius apicem regni quisque percipiat quam se illam per omnia suppleturum iurisiurandi taxatione definiat. Cui etiam legi uel decreto episcopali non solum in futuro sed etiam in praesenti reuerentiam apponentes, decernimus ut quicumque detractor et non potius uenerator decreti eiusdem atque legis esse maluerit, siue religiosus ille siue sit laicus, non solum ecclesiastica excommunicatione plectatur, uerum et sui ordinis dignitate priuetur (La colección canónica Hispana V, 427–431; dt. Übers.: S. E.).

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aufgenommen wurden.142 Ein Bekenntnis zur Orthodoxie wird man schon auf das III. toletanische Konzil (589) zurückzuführen haben, das im Zeichen von König Rekkareds Übertritt zum katholischen Glauben stand. Dass der Herrscher im Rahmen seines Eides bei Regierungsantritt zusicherte, keine Beeinträchtigung des katholischen Glaubens zuzulassen, zeigt erstmals das VI. Konzil von Toledo vom Jahr 638, wo festgeschrieben wurde, diese Verpflichtung inter reliqua conditionum sacramenta aufzunehmen.143 Wie es scheint, hat man an diesen conditiones sacramentorum bei jedem Thronwechsel weiter gearbeitet und darin die Grundsätze guten Regierens nuanciert. Neu war im Jahr 653, dass nunmehr auch die Trennung von Kron- und Hausgut sowie die Judenpolitik in die Verpflichtung des Krönungseides aufgenommen und damit besonderes explizit gemacht wurden. Natürlich war auch dies eine streng persönliche Verpflichtung desjenigen Monarchen, der den Eid schwor, aber sie resultierte aus der Anpassung des Krönungseides an die Erfahrungen, die man zuvor gemacht hatte – und die nun auf Dauer gestellt werden sollte, wenn man betonte, dass künftig jeder neu erhobene König dies ausdrücklich versprechen sollte.144

3.

Schluss

Aufgrund der Art des Zustandekommens seiner Beschlüsse ist das VIII. Konzil von Toledo immer wieder als Vorläufer des Konziliarismus und der ‚parlamentischen Repräsentation‘ in Anspruch genommen worden.145 Doch sollte man den zitierten Beschluss daneben auch als geistigen Ursprung einer Argumentation sehen, die sich Jahrhunderte später als ein entscheidender Beitrag zur politischen 142 Vgl. das Quellenmaterial bei Claude 1974, 363–369. 143 VI. Konzil von Toledo (638), c. 3 Quocirca consonam cum eo corde et ore promulgamus Deo placituram sententiam, simul etiam cum suorum optimatum illustriumque uirorum consensu ex deliberatione sancimus ut quisque succedentium temporum regni sortierit apicem, non ante conscendat regiam sedem quam inter reliqua conditionum sacramenta pollicitus fuerit hanc se catholicam non permissurum eos uiolare fidem, sed et nullatenus eorum perfidiae fauens uel quoibet neglectu aut cupiditate illectus tendentibus ad praecipitia infidelitatis aditum praebeat praeuaricationis, sed quod magnopere nostro est tempore conquisitum, debeat illibatum perseuerare in futurum, nam incassum bonum agitur si non eius perseuerantia prouidetor (La colección canónica Hispana V, 305f.). 144 Vgl. auch den späteren Herrschereid nach dem XV. Konzil von Toledo (688), Tomus: Egica schwor, ut non ante regnum adirem nisi primum strictis me iuramentorum uinculis alligarem ut iustitiam commissis populis non negarem. (La colección canónica Hispana, VI: Concilios Hispánicos: Tercera parte, ed. Gonzalo Martínez Díez/Felix Rodríguez, Madrid 2002, 294. Siehe dazu im einzelnen Claude 1974, 364f.). 145 James DuQuesnay Adams, The Eighth Council of Toledo (653). Precursor of medieval parliaments?, in: Thomas F. X. Noble/John J. Contreni (edd.), Religion, culture, and society in the early middle ages. Studies in honor of Richard E. Sullivan, Kalamazoo, MI 1987, 41–54.

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Theologie des Mittelalters erweisen sollte, auch wenn dies vielleicht auf den ersten Blick weniger evident ist. Die hier behandelten Konflikte lassen sich in erheblichem Umfang darauf zurückführen, dass es im Westgotenreich, dessen gentil-territoriale Integrität in der Formel von der gens und patria Gotorum reflektiert und zum Bezugspunkt der Eidestreue gegenüber dem König erhoben wurde, niemals einer Familie gelang, die Königswürde dauerhaft für sich zu monopolisieren. Stattdessen wechselten im Königtum Usurpatoren mit gallischem Hintergrund und fränkischer Unterstützung (Sisenand) mit solchen Herrschern ab, deren Familie vor allem im Süden und Nordwesten der iberischen Halbinsel begütert war (wie diejenige Chindasvinths und Reccesvinths), während wiederholt lokale Usurpatoren wie Sunifried, Judila, Froia aufscheinen, über deren Hintergrund häufig kaum mehr bekannt ist als wo sie Münzen geprägt haben, aus welcher Region sie kamen und wessen Unterstützung sie sich erfreuten. Mit diesen Wechseln, die nicht selten gewaltsam und nach großen ‚Investitionen‘ seitens der Usurpatoren verliefen, ging der Zugriff des neuen Königs und seines Gefolges auf die materiellen Ressourcen einher. Das in den westgotischen Quellen ubiquitäre Thema der Konfiskation deutet auf zahlreiche, fast rhythmisch wiederkehrende Umverteilungsprozesse hin, die unter dem rechtlichen Vorwurf des hochverräterischen Treuebruchs (infidelitas) umgesetzt wurden146 oder, wie bei Chindasvinth, sogar im Rahmen eines regelrechten ‚Feldzuges‘ gegen die krankhafte Neigung der Goten praktiziert wurden, ihren jeweiligen König ab- und dafür einen neuen einzusetzen.147 Ebenso verweisen die Streitigkeiten um die Handhabung des königlichen Begnadigungsrechtes darauf, dass auch persönliche Willkür des Königs eine große Rolle gespielt haben muss. Offenbar waren es gerade diese wechselhaften Geschicke des Königtums, die im 7. Jahrhundert maßgebliche Gruppen, vor allem aber den Episkopat, über das Verhältnis personaler und transpersonaler Elemente im politischen System des Westgotenreiches nachdenken ließen. Sich nach jedem Regierungswechsel wiederholende Konfiskationen und Begnadigungen hatten demonstriert, wie instrumentell mit diesem Herrschaftsrecht umgegangen wurde und dass eine die Regierungszeit des amtierenden Herrschers überdauernde Rechtssicherheit seitens der begüterten Eliten nicht zu erlangen war. Ja, im Jahr 646 mussten die Bischöfe sogar damit rechnen, ein neu erhobener Herrscher könnte die Orthodoxie in Frage stellen!148 Die prinzipielle Revidierbarkeit ihrer Maßnahmen nach ihrem Tod hatten also auch die Herrscher selbst zu reflektieren, wenn es galt, Unterstützer an sich zu binden. So fühlte sich schließlich ein König wie der hochbetagte Chindasvinth 146 Vgl. Dumézil 2008. 147 Siehe oben Anm. 108. 148 Siehe oben Anm. 97.

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gezwungen, im Instrument der eigentlich persönlichen Treueidbindung seiner Untertanen bereits Vorkehrungen für die Zeit nach seinem Ableben zu treffen: Ein Wiederausbrechen des morbus Gotorum war ein Szenario, mit dem Chindasvinth zu rechnen hatte und das es seiner Ansicht nach vorausschauend zu unterbinden galt. Mit der Güterkonfiskation für hochverräterisches Handeln, dem Begnadigungsrecht des Königs und der (Wieder-)Ausgabe fiskalischer Güter an seine jeweiligen Anhänger durch das Königtum wurden zentrale Regierungsinstrumente angesprochen, über welche verschiedene Gruppen im Westgotenreich eine gewisse Kontrolle auszuüben suchten.149 Es ist daher kein Zufall, dass nach dem Tod Chindasvinths sein Sohn und Nachfolger Reccesvinth insbesondere die Trennung von Hausgut und Krongut zu regeln hatte. Gerade die Schaffung eines Krongutes verstärkte die Tendenz hin zu einem Wahlkönigtum, weil dadurch die dem Herrscher zur Verfügung stehenden Regierungsresourcen vom Vorhandensein eines dynastischen Hausgutes getrennt wurden. Für das Krongut beanspruchten daher die Bischöfe und die Hofverwaltung Mitspracherechte, was letztlich auf ein von ihnen auszuübendes Konsensrecht hinauslief. Und dieses korrespondierte mit ihrem Anspruch, gens und patria Gotorum zu repräsentieren. Chindasvinths Gesetz zur unterschiedlichen Begnadigung in causae regis und in causae gentis et patriae, welches er möglicherweise in seinen letzten Regierungsjahren verfügt hatte, in den Liber iudiciorum aufzunehmen, war insofern nur folgerichtig.150 Es ging demnach auf dem VIII. Konzil von Toledo darum, das Verhältnis zwischen personalen und transpersonalen Elementen in der Amtsführung des jeweiligen Herrschers stärker zu differenzieren und entsprechende Zuständigkeiten zu begründen. Die gefundene Lösung resultierte also wohl weniger aus einem gleichsam unaufhaltsam fortschreitenden Institutionalisierungsprozess als aus einem akuten Konflikt, der sich desaströs auf die Besitzrechte jener Eliten ausgewirkt hatte, mit denen auch der Episkopat an zahlreichen Stellen verbandelt gewesen sein dürfte. Dieser Episkopat durfte sich daneben selbstverständlich noch aus einer Vielzahl weiterer Gründe für das Land und Volk der Goten verantwortlich fühlen. Zweifellos kennzeichnet die westgotische Staatlichkeit ein hohes Maß an Transpersonalität und institutioneller Verfestigung, die westgotischen Rechtstexte bewegen sich in dieser Hinsicht auf einem anderen Niveau als die zeitgleichen merowingischen oder langobardischen. Dennoch zeigen auch sie die Gleichzeitigkeit und Überlagerung personaler und transpersonaler Komponenten. In den meisten Fällen religiös legitimierter Alleinherrschaft kommt es zu einem komplizierten Abgleich zwischen personalen und transpersonalen Ele149 Vgl. Diaz, 2012. 150 Siehe oben Anm. 100.

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menten, und der westgotische Fall ist vielleicht deswegen besonders interessant, weil die Akteure sich immer wieder zu Grenzüberschreitungen veranlasst oder sogar gezwungen sahen: Dass man die Maßnahmen des Königs auch nach dessen Tod respektieren sollte, war eine solche Grenzüberschreitung, aber auch der Beschluss, bestimmte Täter, auch Kleriker, bis zu ihrem Todestag von der Kommunion auszuschließen, machte nur kurz vor der äußersten Grenze halt. In den Reaktionen auf beides, wie sie auf dem VIII. Konzil von Toledo zu fassen sind, wird man auch Reflexe gegen eine transpersonale Überdehnung politischer Bindungen sehen dürfen, eine Reaktion auf die unkritische Vermengung von personenbezogener Loyalität und personenübergreifendem Gehorsam. Eine ähnliche theologisch-intellektuelle Gratwanderung wie 653 würde sich in anderer Form und Konstellation noch einmal nach der Absetzung König Wambas (672– 680) und dessen Versetzung in den Büßerstand wiederholen, als das XII. Konzil von Toledo (681) die Lösung der Untertanen von ihren Wamba geleisteten Eiden beschloss, damit sie auf den neu erhobenen Ervig (680–687) vereidigt werden konnten.151 Die früher erwähnte Thronfolge von dessen Nachfolger, König Egica (687–694),152 verkomplizierte sich dadurch, dass dieser selbst zwei problematische Eide geschworen hatte, die erst nach dem Tod König Ervigs auf dem XV. Konzil von Toledo (688) behandelt wurden, wobei Egica von einem dieser Eide gelöst wurde.153 Diese – teilweise ebenfalls erst nach langen Beratungen beschlossenen – Lösungen lassen erkennen, wie die westgotische Institution des Reichskonzils seit 633 schrittweise die Kontrolle über den Eid und seine Lösung errungen hatte und damit für die nachträgliche Legitimierung eines jeden ‚irregulär‘ verlaufenden Thronwechsels unverzichtbar geworden war. Man mag in Anbetracht der weiteren Regierungswechsel im Westgotenreich im späteren 7. Jahrhundert Zweifel haben, wie effizient die eidlichen Selbstverpflichtungen der Monarchen wirklich waren, ob sich die Könige an ihre Zusagen tatsächlich gebunden fühlten und in welchem Umfang sie ihr Regierungshandeln nach ihnen ausrichteten. Aber das hieße eine entscheidende Errungenschaft auszublenden, für die das Westgotenreich eine Art Alleinstellungsmerkmal beanspruchen darf: Nur im Westgotenreich gelang es, eine Theorie und ein konkretes Prozedere für die Absetzung eines Herrschers zu entwickeln.154 Man muss sich diese Besonderheit im welthistorischen Vergleich vor Augen halten: Weder im römischen noch im frühbyzantinischen Imperium war es üblich gewesen, den 151 152 153 154

Vgl. Orlandis/Ramos-Lisson 1981, 252f. Siehe oben Anm. 38 u. 39. Vgl. Orlandis/Ramos-Lisson 1981, 290–292. Vgl. dazu Mayke de Jong, Monastic Prisoners or opting out? Political Coercion and Honour in the Frankish Kingdoms, in: Dies./Frans Theuws (edd.), Topographies of Power in the Early Middle Ages (The Transformation of the Roman World 6), Leiden et al. 2001, 291–328, hier 315.

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regierenden Kaiser, wenn man mit seiner Regierungsweise nicht einverstanden war, in einem förmlichen Verfahren abzusetzen und in den Ruhestand zu schicken. Der gewöhnliche Regierungswechsel war entweder durch den natürlichen Tod eines Herrschers bedingt oder erfolgte durch die Usurpation eines Thronprätendenten, deren Erfolg entscheidend davon abhing, dass es diesem gelang, den Vorgänger physisch zu vernichten.155 Dies hatte im Fall Roms nicht allein, aber auch damit zu tun, dass das römische Kaisertum kein einzelnes Amt war, aus dem man einfach hätte entfernt werden können; juristisch betrachtet vereinte der römische Kaiser verschiedene Amtsgewalten in seiner Hand. Dass dies im Westgotenreich grundlegend anders gehandhabt werden konnte, setzt veränderte Vorstellungen der Funktion von Strafe und Besserung voraus, die in spätantiker Zeit unter christlichem Einfluss an Bedeutung gewannen.156 Man wird sie nur aus der bischöflichen, von Isidor geprägten Konzeptionalisierung des westgotischen Königtums erklären können, die nach der Konversion König Rekkareds schrittweise Kontur annahm, und der Krönungseid spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Denn nur der unterstellte Bruch dieses Eides durch den amtierenden König konnte einen substantiellen Grund liefern, um den König wegen Nichterfüllung jener Regierungszusagen, die er unter Gottes Zeugenschaft zu Herrschaftsbeginn gemacht hatte, im Auftrag Gottes noch auf Erden zur Rechenschaft zu ziehen bzw. ihm die Gelegenheit zu geben, dafür Buße zu tun. Der von den westgotischen Bischöfen für sich beanspruchten Zuständigkeit für den politischen Eid, dessen Bruch und ggf. der Lösung von demselben kam hierbei eine entscheidende Funktion zu. Denn einen eigentlich gottbegnadeten, aber eidbrüchig gewordenen Herrscher galt es zur Buße zu verurteilen. Sein Eintritt in den Büßerstand machte den König dauerhaft regierungsunfähig, er würde für seine Vergehen, d. h. letztlich für seinen Eidbruch, die ihm verbleibende Lebenszeit zu büßen haben. Aus diesem Grund ging von der Person des büßenden Königs auch keine Gefahr mehr aus, weshalb er auch nicht getötet werden musste, ja durfte. Denn als Sünder mussten es die Bischöfe aus ihrer seelsorgerischen Funktion heraus dem König ermöglichen, durch seine Buße noch zu Lebzeiten auf Erden die Voraussetzungen für die Erlangung seines Seelenheils zu schaffen – eine andere Vorgehensweise hätte die Idee des Gottesgnadentums grundsätzlich in Frage stellen können.157 Die Folgen dieser Idee sind außer im Westgotenreich auch im davon beeinflussten, eingangs erwähnten 155 Es geht hier um eine allgemeine Charakterisierung, vgl. dazu etwa Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich, Frankfurt a. Main et al. 1992; François Paschoud/Joachim Szidat (edd.), Usurpationen in der Spätantike (Historia Einzelschriften 111), Stuttgart 1997. Ausnahmen bestätigen die Regel, und für das frühe Kalifat im islamischen Bereich gilt Ähnliches. 156 Vgl. dazu das ausgezeichnete Buch von Hillner 2015, 64–112 u. 281–341. 157 Vgl. dazu Ungvary 2018.

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Beispiel Ludwigs des Frommen zu erkennen,158 aber auch in der langen Tradition mittelalterlicher Herrscherabsetzungen überhaupt. Letzlich folgte aus der Absetzung und Buße des Königs, dass die transpersonalen Erwartungen, die an seine Amtsführung gerichtet waren und die zu erfüllen er mit seinem persönlichen Eid versprochen hatte, wieder von ihm gelöst werden konnten. Sowohl das ihm von Gott verliehene Königsamt als auch seine Funktionen bezogen auf Land und Volk der Goten, als deren Repräsentanten Bischöfe und Adelige sich verstanden, wurden ihm entzogen. Erst jetzt, wo er nicht mehr König war, wurde der einstige Monarch zur ‚reinen Person‘, reduziert auf seine Existenz als getaufter, aber sündhaft gewordener Christenmensch. Aus diesem Grund ist der von Fredegar gegebene Hinweis darauf, dass Chindasvinth vor seinem Tod Buße geleistet haben und dann in hohem Alter friedlich gestorben sei, außerordentlich wichtig.159 Dies zeigt auch noch einmal im Rückblick, dass der 653 ausgefochtene Streit über die fortbestehende Gültigkeit der Chindasvinth geleisteten Eide der ‚primordiale‘ Konflikt dieser Art war. In der Geschichte des Eides160 markieren diese Beschlüsse tatsächlich den erstmaligen und später zitierten Fall, dass die Bischöfe als Konzil die Kontrolle über den Eid für sich beanspruchten. Dies geschah knapp hundert Jahre, bevor im Jahr 750 erstmalig das Papsttum dieses Recht für sich in Anspruch nehmen würde, um die karolingische Herrschaftsusurpation zu rechtfertigen und den Hausmeier Pippin und wohl auch dessen Anhänger von jenem Treueid zu befreien, den sie dem merowingischen König Childerich III. geschworen hatten.161 Im späteren 11. Jahrhundert beförderte das Vorgehen Papst Gregors VII., König Heinrich IV. abzusetzen und dessen Untertanen von ihrem Treueid zu lösen, die Suche nach historischen Präzedenzfällen, um das Recht der Eidlösung für das Papsttum zu reservieren.162 Die Exempel der Vergangenheit, die dafür bemüht wurden – darunter auch Papst Zacharias’ Handeln im Jahr 750 – stellen in vielen Fällen eine Rezeption der etwas brachialeren Art dar.163 Umso mehr verdient daher Erwähnung, dass auch die Bemühungen der 158 Vgl. De Jong 2009, 244f. 159 Siehe oben Anm. 108. 160 Dazu grundsätzlich Prodi 1997, 57, 63 u. 78, der allerdings den westgotischen Beitrag zum Problem der Eidlösung unerwähnt lässt, sondern lediglich auf die Position Isidors hinweist. 161 Josef Semmler, Der Dynastiewechsel von 751 und die fränkische Königssalbung, Düsseldorf 2003, 22–28. Vgl. auch Tilman Struve, Das Problem der Eideslösung in den Streitschriften des Investiturstreites, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 106 (1989), 107–132. 162 Richard H. Helmholtz, Religious Principles and Practical Problems: The Canon Law of Oaths, in: Ders., The Spirit of Classical Canon Law, 3. Aufl., Athens, GA. 2010, 145–173. 163 Vgl. Hans-Werner Goetz, Geschichte als Argument. Historische Beweisführung und Geschichtsbewusstsein in den Streitschriften des Investiturstreits, in: Historische Zeitschrift 245 (1987), 31–69.

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653 und 681 mit dem König um Lösungen ringenden westgotischen Bischöfe in der schriftlichen Überlieferung der westgotischen Konzilsakten eine bedeutende Ressource mit erheblichem kritischen Potential hinterließen, das ironischerweise erst nach dem Ende des Westgotenreiches seine reichsten Früchte tragen würde: Vermittelt über die Collectio canonum Hispana und Pseudo-Isidor fanden die Abwägungen der westgotischen Bischöfe Eingang in die westliche Kirchenrechtstradition, wie schon die Synode von Hohenaltheim 916 zeigen würde.164 Aus dieser Kirchenrechtstradition sollte im 11. Jahrhundert der historisch und kanonistisch beschlagene Gregorianer Manegold von Lautenbach schöpfen,165 der unter den Befürwortern der Eidlösung166 wohl mit der differenziertesten und historisch aufwändigsten Argumentation aufwartete und dabei wiederholt westgotische Exempel bemühte.167 Denn – gerade im Vergleich zur späteren päpstlichen Theorie der Eidlösung168 – liegt das eigentlich Interessante am VIII. Konzil von Toledo in seinem Eingeständnis des auf dem Konzil offen zu Tage getretenen Dissenses und dem dadurch notwendig gewordenen Balanceakt der Bischöfe, der am Ende in einer konsensualen Entscheidung seine Rechtfertigung fand. Die Akten dieses Konzils dokumentieren das vielschichtige, hochreflektierte Hin- und Herchangieren der Bischöfe im Nachdenken über die Unvermeidbarkeit des Eides, um abzuwägen zwischen personaler Eignung des Königs und transpersonalem Geltungsanspruch seiner Maßnahmen, zwischen individuellem Regierungshandeln und transpersonal formulierten Erwartungshorizonten, zwischen persönlicher Verpflichtung des Herrschers über seinen Krönungseid und seiner im Fall des Eidbruchs notwendigen Absetzbarkeit, zwischen persönlicher Verpflichtung der Bevölkerung und transpersonalem Verpflichtungsgehalt der christlichen Religion sowie – nicht zuletzt – zwischen ihrer eigenen transpersonal-politischen und personenbezogen-seelsorgerischen Verantwortung. Das Verhältnis personaler und transpersonaler Komponenten innerhalb eines monarchisch organisierten Gemeinwesens unterlag in der Geschichte Bedin164 Vgl. Horst Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (916) – quellenkundlich betrachtet, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 43 (1987), 440–468, hier 447f. 165 Vgl. grundsätzlich Horst Fuhrmann, „Volkssouveränität“ und „Herrschaftsvertrag“ bei Manegold von Lautenbach, in: Sten Gagnér/Hans Schlosser/Wolfgang Wiegand (edd.), Festschrift für Hermann Krause, Köln et al. 1975, 21–42; zur Rezeption westgotischer Exempel vgl. Struve 1989, 122–125. Vgl. auch Goetz 1987, 45. 166 Zu den Gegnern vgl. Werner Affeldt, Königserhebung Pippins und Unlösbarkeit des Eides im Liber de unitate ecclesiae conservanda?, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 25 (1969), 313–346. 167 Manegold von Lautenbach, Liber ad Gebehardum, cc. 29 u. 49: Manegoldi ad Gebehardum liber, ed. Kuno Francke, in: Monumenta Germaniae Historica Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculis XI. et XII. conscripti, Bd. 1, Hannover 1891, 308–430, hier 364 u. 397. 168 Vgl. dazu Ludwig Buisson, Potestas und Caritas. Die päpstliche Gewalt im Spätmittelalter, 2. Aufl., Köln 1982, und Helmholtz 2010.

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gungen, die sich mit jedem Herrscherwechsel erheblich verändern konnten, die immer wieder der Neuverhandlung bedurften. Eine zielgerichtete Entwicklung in der longue durée ist dabei in den seltensten Fällen erkennbar, wohl aber schenkt unsere Überlieferung solchen Phänomenen größere Beachtung, wo sie neu auszuhandeln waren.169 Die tiefgehende, vielschichtige Reflexion über das Verhältnis bzw. die Problematik von Personalität und Transpersonalität sowie das Austarien der Regierungsgrundlagen im Rahmen einer durch konziliaren Konsens herzustellenden Ordnung, bei deren Nichtbeachtung ein Herrscher delegitimiert und abgesetzt werden konnte – beides kennzeichnet den westgotischen Beitrag zur Diskussion dieser bis heute aktuellen Fragen.

Quellenverzeichnis Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici libri IV cum continuationibus, ed. Bruno Krusch, in: Fredegarii et aliorum chronica. Vitae sanctorum (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum II), Hannover 1888, 1–193. Concilios visigóticos e hispano-romanos, ed. José Vives (España Cristiana, Textos 1), Madrid 1963. Epistolae Wisigoticae, ed. Wilhelm Gundlach, in: Epistolae Merowingici et Karolini aevi I (Monumenta Germaniae Historica, Epistolae III, 1), Berlin 1892, 658–690. Eugenius Toletanus, Opera omnia, ed. Paulo Farmhouse Alberto (Corpus Christianorum, Series Latina 114), Turnhout 2005. Formulae Merovingici et Karolini aevi, ed. Karl Zeumer (Monumenta Germaniae Historica, Legum Sectio V), Hannover 1886. La colección canónica Hispana, V: Concilios Hispánicos: Segunda parte, ed. Gonzalo Martínez Díez/Felix Rodríguez Barbero, Madrid 1992. La colección canónica Hispana, VI: Concilios Hispánicos: Tercera parte, ed. Gonzalo Martínez Díez/Felix Rodríguez, Madrid 2002. Leges Visigothorum, ed. Karl Zeumer (Monumenta Germaniae Historica, Leges nationum Germanicarum I, 1), Hannover 1902. Manegold von Lautenbach, Manegoldi ad Gebehardum liber, ed. Kuno Francke, in: Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculis XI. et XII. (Monumenta Germaniae Historica, Libelli de lite imperatorum et pontificum), 3 Bde., Bd. 1, Hannover 1891, 308–430. Tajo von Saragossa, Sententiarum libri quinque, ed J.-P. Migne, PL 80, 727–989. Theodosiani libri XVI cum Constitutionibus Sirmondianis et Leges Novellae ad Theodosianum pertinentes, ed. Theodor Mommsen/Paul M. Meyer, Bd. 1, Berlin 1905. Theodosiani libri XVI cum Constitutionibus Sirmondianis et Leges Novellae ad Theodosianum pertinentes, ed. Theodor Mommsen/Paul M. Meyer, Bd. 2, Berlin 1905. 169 Instruktiv ist in dieser Hinsicht auch die Situation nach dem Aussterben der salischen Königdynastie. Vgl. dazu Elmar Wadle, Reichsgut und Königsherrschaft unter Lothar III. (1125–1137). Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des 12. Jahrhunderts (Schriften zur Verfassungsgeschichte 12), Berlin 1969.

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Stacy S. Klein

Royal Women and Composite Sovereignty in Asser’s ‘Life of King Alfred’

Abstract It is a long-standing truism that from the mid-eighth to the mid-tenth century, West Saxon queens and royal women exercised relatively little power and agency. My essay reconsiders this seemingly dark period in the history of Anglo-Saxon queenship in order to reveal royal women’s symbolic and rhetorical significance to political life, even when their practical power was severely limited. I focus on Asser’s ‘Life of King Alfred’, a quasi-historical, quasi-hagiographical account of Alfred the Great (AD 849–899) that is notable for being the first biography of an English king as well as a key text for establishing Alfred’s legitimate right to the West Saxon throne. My argument is that Asser relied on textual representations of queens and royal women as tools to illustrate Alfred’s ‘kingly personality’ and to construct a model of royal paternity founded in piety and chaste living, one that was thus consonant with his own monastic world-view. The royal women that Asser features throughout the ‘Life’ differ in their particulars: Alfred’s stepmother, Judith, for example, emblematizes youth, Frankish fashion, and the prospective revitalization of the realm through ‘cosmopolitan kingship’, while his wife, Ealhswith, and mother-in-law, Eadburh, serve as caricatures of chaste womanhood. Despite their differences, these female figures nevertheless serve Asser’s broader goal: namely, to construct Alfred as the ideal male sovereign, perfectly suited to rule on account of his composite personality, as well as his openness to both women’s influence and ecclesiastical guidance. Tracing the royal women in Asser’s ‘Life’ provides valuable insight into the personal and transpersonal elements of Anglo-Saxon kingship, while revealing this powerful, albeit paradoxically precarious, office as a triangulated structure buttressed on images of women mediated through textual fictions. As the ‘Life’ unfolds, Asser emerges as an author with a keen sense of the symbolic currency of royal women, as well as of the importance of family and domestic life in shaping and reflecting individual character. Above all, Asser’s investment in mining the symbolic potential of queens and royal women for constructing models of royal paternity and for legitimating sovereign power in the Alfredian court alerts us to the methodological importance of studying women and female figures, even during historical periods in which their social and political influence was sharply curtailed.

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When I was asked to address the personal and transpersonal elements of rulership and domination in premodern culture, the ‘Life of King Alfred the Great’ proved an almost irresistible attraction.1 Composed in AD 893 by the Welsh monk (and later bishop of Sherborne) Asser, the ‘Life’ is the earliest known biography of an English king and promises a tantalizing glimpse of the person who laid the foundations for both a unified England and the first recognized canon of vernacular English prose. The attraction of Asser’s ‘Life’ resides further in the fact that it traces the reign of a king whose success has been attributed largely, indeed almost exclusively, to the strength of his personality. As early as the thirteenth century, Alfred was distinguished with the title ‘Alfredus Magnus’,2 and by the nineteenth century, he was known by the more colloquial epithet ‘England’s darling’.3 Cultural preoccupations with Alfred’s personality culminated in a late Victorian ‘Alfredomania’, exemplified by Lord Rosebery’s comments at the King Alfred Millenary in Winchester in 1901: upon unveiling a thirteen-foot-high Alfred statue before thousands of spectators, among them Rudyard Kipling, Thomas Hardy, Walter Skeat, and Arthur Conan Doyle, Rosebery praised the Anglo-Saxon monarch as “a man, a complete man”, whose fame was “in the first place a question of personality”.4 The strength of Alfred’s personality emerges with striking clarity in Asser’s ‘Life’, which contains numerous other figures whose personalities are either flat and one-dimensional or simply undeveloped. Many of these figures are queens or royal women. Their rather sketchy character development has been attributed to various factors, including the possibilities that Asser lacked direct knowledge 1 An early version of this essay was delivered as a lecture at the conference ‘Die Macht des Herrschers – personale und transpersonale Aspekte’ (“The Power of the Ruler. Personal and Transpersonal Aspects”), held at the Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn in November 2017. I am grateful to the organizers of the conference, Mechthild Albert, Elke Brüggen, and Konrad Klaus, for creating a richly interdisciplinary and internationally diverse space for discussing this topic, and also to Irina Dumitrescu for hosting me so warmly in Bonn. The essay has also greatly benefitted from the astute suggestions of Danielle Allor, Fiona Griffiths, Erik Wade, and Jonathan Wilcox. 2 Simon Keynes credits Matthew of Paris with the earliest known occurrence of the title ‘Alfredus Magnus’, in Matthew’s ‘Gesta Abbatum Monasterii Sancti Albani’ (c. 1250). Keynes also points out that this epithet did not appear again for another three hundred years, resurfacing as ‘Alphredus Magnus’ in the works of John Bale (1495–1563) in the mid-sixteenth century. See Simon Keynes, The Cult of King Alfred the Great, in: Anglo-Saxon England 28 (1999), 225– 356, with relevant discussion at 232 and 239. 3 For further discussion of this epithet, see Joanne Parker, ‘England’s Darling’. The Victorian Cult of Alfred the Great, Manchester 2007. 4 The Alfred Millenary Commemoration, in: The Times (21. 09. 1901), 10. The Times Digital Archive, http://tinyurl.galegroup.com/tinyurl/A3jtp6 (20. 11. 2018). For an illuminating discussion of the cult of Alfred from the ninth century up to the present day, see Keynes 1999. Another useful resource is Parker 2007, which focuses on cultural preoccupations with Alfred during the nineteenth century.

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of Alfred’s childhood and domestic life; that conflicts within the royal family may have dictated selective treatment of Alfred’s female relatives; and that the ‘Life’ reflects the actual (i. e., very low) status of royal women in ninth-century Wessex. Important recovery work by historians of early medieval women and gender has revealed the numerous physical structures and built environments, including churches, monasteries, and fortresses, supported by the material contributions of Anglo-Saxon queens and royal women.5 Yet much of this research has tended to focus, understandably, on the seventh and eighth centuries, when women played central roles in Christian conversion and the establishment of the early church, or, conversely, the tenth and eleventh centuries, when Anglo-Danish strife and intermarriage, along with succession struggles, thrust queens such as Emma and Edith into the center of Anglo-Saxon political life. From the mid-eighth to the mid-tenth century, by contrast, West Saxon queens and royal women exercised relatively little practical power and agency.6 My interest lies in examining this seemingly barren period in the history of Anglo-Saxon queenship in order to reveal royal women’s symbolic and rhetorical significance to politics, even when their practical power was severely limited. To be sure, early medieval queens built churches, monasteries, and even fortresses; but they also built illusions, creating powerful fantasies about their royal husbands that played a pivotal role in sustaining public faith in the sovereign’s ability to rule his people effectively. The goal of this essay is to clarify, concretize, and ultimately demystify some of these illusions. More specifically, my argument is that Asser relied on textual representations of queens and royal women as key tools for illustrating the ‘kingly personalities’ of Alfred and his father, Æthelwulf, as well as for constructing a 5 There is much excellent scholarship on Anglo-Saxon queens’ contributions to cultural, ecclesiastical, and political life. Useful starting points include Pauline Stafford, Queen Emma and Queen Edith. Queenship and Women’s Power in Eleventh-Century England, Oxford/ Malden, MA 1997; Marc A. Meyer, Queens, Convents and Conversion in Early Anglo-Saxon England, in: Revue Bénédictine 109 (1999), 90–116; Catherine E. Karkov, The Ruler Portraits of Anglo-Saxon England (Anglo-Saxon Studies 3), Woodbridge/Rochester, NY 2004; and Barbara Yorke, Nunneries and the Anglo-Saxon Royal Houses, London/New York 2003. Many of the essays in Pauline Stafford, Gender, Family and the Legitimation of Power. England from the Ninth to Early Twelfth Century (Variorum Collected Studies Series CS850), Aldershot/Burlington, VT 2006, contain rich discussions of queenship and royal women. Stafford 2006 and Yorke 2003 offer unusually rich discussions of the ninth century. 6 Simon Keynes contends that the scarcity of references to West Saxon queens in ninth-century charters suggests that royal women in Wessex had fairly low social status during the ninth century, especially when contrasted with the more numerous references found in eighth- and tenth-century West Saxon charters, as well as with Mercian charters from the ninth century. See Asser, Alfred the Great. Asser’s ‘Life of King Alfred’ and Other Contemporary Sources, ed. and trans. by Simon Keynes/Michael Lapidge, London 1983, 235 n. 28. For an illuminating discussion of factors affecting the status of royal women in Wessex, see Pauline Stafford’s classic essay, The King’s Wife in Wessex 800–1066, in: Past and Present 91 (1981), 3–27 (reprinted with the same pagination in Stafford 2006, chap. 9).

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model of royal paternity invested in piety and chaste living, one that was thus consonant with his own monastic world-view. I begin by investigating the marriage of Alfred’s father, Æthelwulf, to Judith, the young Frankish princess and daughter of Charles the Bald. The marriage departs sharply from both Anglo-Saxon and Frankish practices of queenship – a departure that suggests the performative nature of medieval sovereignty, as well as the centrality of the sovereign’s wife in its realization. I then turn to Alfred himself, exploring the king’s personality as a corporate, or composite, phenomenon shaped largely by Asser’s allusions to his wife and mother-in-law. The royal women featured throughout Asser’s ‘Life’ differ greatly from one another in their particulars: Alfred’s stepmother, Judith, for example, emblematizes youth, Frankish fashion, and the possibility of revitalizing the realm through ‘cosmopolitan kingship’, while his wife, Ealhswith, and mother-in-law, Eadburh, serve as caricatures of chaste womanhood. Collectively, however, these female figures provide valuable insight into the personal and transpersonal elements of AngloSaxon kingship, while revealing this powerful, albeit paradoxically precarious, office as a triangulated structure buttressed on images of women mediated through textual fictions. As the ‘Life’ unfolds, Asser emerges as an author with a keen sense of the symbolic currency of royal women, as well as the importance of family and domestic life in shaping and reflecting individual character.

1.

A Marriage Contrary to Custom

The symbolic significance of royal women to ideologies of early medieval kingship is especially evident in Asser’s account of the marriage of Æthelwulf, king of Wessex, to Judith, daughter of Charles the Bald, king of West Francia. As Asser reports, the marriage took place during a pilgrimage that Æthelwulf made to Rome with his six-year-old son, Alfred, in 855.7 On their way back to England, father and son spent the summer and fall of 856 at the Frankish court. When Æthelwulf returned to Wessex that fall, he brought with him Charles’s daughter Judith as his new bride. The marriage of the twelve- or perhaps thirteen-year-old Frankish princess to the Anglo-Saxon king, who was probably over fifty at the time, was unusual in many respects. Most notably, it deviated significantly from Frankish and Anglo-Saxon customs of royal marriage alike. As Pauline Stafford has noted: “In the Carolingian dynasty marriage to a foreigner, and the marriage of a princess to anyone, were still uncommon in the 7 Asser’s ‘Life of King Alfred’ is cited in modern English translation following Keynes/Lapidge 1983, here chap. 11, 70. All remaining translations in this essay are my own unless otherwise noted.

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mid-ninth century. Louis the German and Lothar placed most of their daughters in nunneries, and this was the normal fate of Charles’s own daughters.”8 Charles’s betrothal of his daughter Judith to a foreign king posed a sharp break with Carolingian royal norms. It was a breach of English custom as well. When Æthelwulf married Judith, he had her crowned and consecrated as queen – the first formal coronation ceremony ever given to an English king’s wife. Moreover, the Anglo-Saxons had not married into Continental royalty since Æthelberht of Kent wed the Frankish princess Bertha in the mid- to late sixth century; and, as the historian Richard Abels remarks on Æthelwulf ’s marriage to Judith, which occurred almost three centuries later, “there was neither recent precedent nor obvious purpose for the kings of Wessex and West Francia to seek this relationship.”9 In spite of the highly unusual nature of Æthelwulf ’s marriage to Judith, many scholars have nevertheless sought to understand it through the conventional concept of political alliance. Indeed, throughout the Middle Ages, marriages were a powerful tool for forming political alliances, and this one is often explained as an Anglo-Frankish alliance designed to counter Viking invasions in England and northern France. Yet, as Michael Enright has shown, this explanation is not supported by contemporary military practices.10 In the mid-ninth century, neither the Franks nor the English were inclined to undertake war outside of their respective kingdoms. The English also lacked a navy and could not engage in overseas fighting. Perhaps most important, there is no evidence for joint military action between West Francia and Wessex against the Danes. The prevalence of dynastic alliance as a conceptual lens for viewing early medieval marriage is further evident in Enright’s own explanation of the marriage, as well as in the nature of his larger oeuvre. Enright has written extensively on literary and historical depictions of Anglo-Saxon ‘peaceweaving’, broadly defined as the use of women to ameliorate literal or psychological tensions between men and to weave bonds of accord between formerly hostile political groups.11 In an essay aptly subtitled ‘The Alliance of 856’, Enright argues that Æthelwulf ’s marriage to Judith was intended to create not an Anglo-Frankish alliance against the Danes but rather an alliance against Æthelwulf ’s eldest son, 8 Pauline Stafford, Charles the Bald, Judith and England, in: Margaret T. Gibson/Janet L. Nelson (eds.), Charles the Bald. Court and Kingdom, Oxford 1981, 139–153, with quotation at 143 (emphasis in original; reprinted with the same pagination in Stafford 2006, chap. 1). 9 Richard Abels, Alfred the Great. War, Kingship and Culture in Anglo-Saxon England, Harlow 1998, 78. 10 Michael J. Enright, Charles the Bald and Aethelwulf of Wessex. The Alliance of 856 and Strategies of Royal Succession, in: Journal of Medieval History 5 (1979), 291–302. My subsequent points in this paragraph are indebted to Enright’s study. 11 Michael J. Enright, Lady with a Mead Cup. Ritual, Prophecy and Lordship in the European Warband from La Tène to the Viking Age, Dublin/Portland, OR 1996.

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Æthelbald, who was planning to expel his father from the kingdom and take over Wessex.12 As Asser reports: “[W]hile King Æthelwulf was lingering overseas, […] a disgraceful episode – contrary to the practice of all Christian men – occurred in the western part of Selwood. For King Æthelbald [Æthelwulf ’s son] and Ealhstan, bishop of Sherborne, along with Eanwulf, ealdorman of Somerset, are reported to have plotted that King Æthelwulf should never again be received in the kingdom on his return from Rome. […] [H]is son Æthelbald, with all his councilors […] attempted to perpetrate a terrible crime: expelling the king from his own kingdom.”13

Enright contends that the marriage points to a compact between Æthelwulf and Charles, the terms of which dictated that the English king would disinherit Æthelbald should Judith bear a son.14 The problems with this argument are twofold. First, it remains uncertain whether the marriage preceded or post-dated the rebellion;15 second, Alfred’s will clearly reveals that Æthelwulf had no intention of disinheriting any of his sons. Despite these difficulties, Enright’s claim that the marriage was a political alliance designed to counter internal factionalism, more specifically filial rebellion, within the Wessex court provides a useful point of departure for further investigation. As Stafford rightly reminds us: “All royal wives between 800 and 1066 were of high birth and married for political considerations.”16 Enlarging our definition of dynastic alliance to encompass more than a timeworn practice for generating increased military troops or male heirs allows us to glimpse the complex symbolic and rhetorical pragmatics underlying the marriage, as well as the role Asser gives it to further his broader aims for the ‘Life’.17 In short, marriage into the Carolingian bloodline, accompanied by the consecration and coronation of the new queen, would have assisted Æthelwulf in shoring up a support base among his subjects, a crucial issue at the time given the king’s recent absence from his homeland and the political aspirations of his eldest son. Asser’s decision to highlight this marriage would also have reinforced what is arguably the chief goal of Asser’s ‘Life’: to establish the throneworthiness of Alfred, Æthelwulf ’s youngest son, by foregrounding his distinctly 12 13 14 15

Enright 1979. Keynes/Lapidge 1983, chap. 12, 70. Enright 1979, 291–293. See Stafford 1981 (Charles the Bald), 151 n. 78; and Keynes/Lapidge 1983, 234 n. 26. Unlike Enright, Stafford, along with Keynes/Lapidge, views the rebellion as a probable response to the marriage rather than its cause. 16 Stafford 1981 (The King’s Wife), 16. 17 For enlightening discussions of gendered symbolism in Asser’s ‘Life of Alfred’, see Catherine E. Karkov, The Mother’s Tongue and the Father’s Prose, in: Parallax 18 (2012), 27–37; and also Janet L. Nelson, Reconstructing a Royal Family. Reflections on Alfred, from Asser, Chapter 2, in: Ian Wood/Niels Lund (eds.), People and Places in Northern Europe, 500–1600. Essays in Honour of Peter Hayes Sawyer, Woodbridge 1991, 47–66.

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royal character, likeness to his father, and superiority to his elder brothers – all of which rendered him best suited to follow in the king’s footsteps. Æthelwulf ’s marriage to a young, and allegedly fertile, Frankish princess would have been accompanied by a sense of newness and freshness, catalyzed by the promise of future heirs as well as the immediate revitalization of the king’s body. Both the Old and the New Testament taught that marriage rendered man and wife one flesh, and the issue of conjugal unity is discussed frequently in the writings of medieval theologians.18 Æthelwulf ’s marriage to Judith offered the West Saxon people a symbolic rebirth of their king’s aged body through corporeal union with a much younger one. If the age disparity between Æthelwulf and his new bride raised doubts about the West Saxon king’s virility and secular masculinity, much like the cuckolded knight, January, and his young wife, May, featured in Chaucer’s ‘Merchant’s Tale’ centuries later, the fact that the marriage brought with it the backing of Charles the Bald, a king who was not only powerful but also much younger than Æthelwulf, would surely have helped to allay such anxieties. The aura of youth and vitality surrounding the Frankish king and his daughter stemmed, in part, from their literal age; it was also linked to their Frankishness. The late eighth and the ninth centuries witnessed a flourishing of new art, architecture, literature, and writing, as well as juridical and ecclesiastical reforms, throughout Carolingian Francia. Even prior to the ‘Carolingian Renaissance’, Frankish dress and jewelry exerted significant influence on English taste, and, as J. M. Wallace-Hadrill notes, it was under the reign of Alfred (AD 871–899) that “the full force of Frankish example hit England”.19 In the eyes of Asser’s readers, to be Frankish was arguably more fashionable than foreign. Marriage to a 18 Key biblical passages include Genesis 2:24, Ephesians 5:22–32, and Mark 10:8. The topic of conjugal unity and the extent to which early medieval writers viewed marriage as necessarily producing a unity of persons is a vexed issue that merits further research. For a useful essay that focuses mainly on the later Middle Ages, see Caroline M. Barron, The ‘Golden Age’ of Women in Medieval London, in: Reading Medieval Studies 15 (1989), 35–58. 19 John M. Wallace-Hadrill, The Franks and the English in the Ninth Century. Some Common Historical Interests, in: History 35 (1950), 202–218, with quotation at 212 (reprinted in John M. Wallace-Hadrill, Early Medieval History, Oxford 1975, 201–216). The social and geographic reach of the Carolingian Renaissance, as well as the extent to which Frankish political thought influenced the Anglo-Saxons, are much-debated topics. For a useful starting point, see Joanna Story, Carolingian Connections. Anglo-Saxon England and Carolingian Francia, c. 750–870, Aldershot/Burlington, VT 2003, which argues cogently that Frankish ideas and concepts of secular government significantly influenced Anglo-Saxon rulers during the late eighth and the ninth centuries. Yet it is also worth considering Janet Nelson’s cautionary note that the Carolingian Renaissance was designed to promote the goals of a small and elite group of monks and clergy and was thus restricted in both intention and effect. See Janet L. Nelson, On the Limits of the Carolingian Renaissance, in: Studies in Church History 14 (1977), 51–69 (reprinted in Janet L. Nelson, Politics and Ritual in Early Medieval Europe [History Series 42], London/Ronceverte, WV 1986, 49–67).

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Frankish princess effectively symbolized Æthelwulf ’s ability to revitalize Wessex by joining it to the newest, most avant-garde aspects of European life. The emphasis that Asser places on Æthelwulf ’s Carolingian connections is echoed in his efforts to highlight Alfred’s own ties to Frankish culture. Asser opens the ‘Life’ by referring to Alfred as Angul-Saxonum rex,20 a newly minted Frankish neologism borrowed from Alfred’s recent charters and signaling the king’s pretensions to Frankish affiliations.21 Significantly, the phrase is one of the many Frankish Latin terms found throughout the ‘Life’ and probably reflects Asser’s contact with Francia, either directly or through Frankish teachers.22 Asser also approvingly notes that Alfred gathered around himself a host of Frankish clerics, most notably the monk and priest Grimbald, whom Alfred summoned from the monastery of St-Bertin.23 Finally, Asser claims that Alfred’s “charity and distribution of alms to […] foreign visitors of all races […] [led] many Franks, Frisians, [and] Gauls […] [to] subject[] themselves willingly to his lordship, nobles and commoners alike”.24 Alfred’s demonstrable ability to further the cosmopolitan kingship developed by his father highlights the suitability of the king’s youngest son for inheriting the West Saxon throne. Unlike his father, however, Alfred brokers Carolingian connections not through marriage but through recourse to Frankish regnal styles and clerics, as well as through charitable aid to Frankish visitors that leads to their incorporation into the West Saxon kingdom. Asser’s strategy for constructing Alfred’s throneworthiness is thus one that begins with a Frankish princess but ultimately entails the erasure of royal women in favor of foreign titles, male clerics, and territorial expansion.

20 Latin quotations from Asser’s ‘Life of King Alfred’ are from Asser, Asser’s Life of King Alfred, Together with the Annals of Saint Neot’s Erroneously Ascribed to Asser, ed. William Henry Stevenson, Oxford 1904 (reprint Oxford 1959) and will be given by chapter and page number, here chap. 1, 1. 21 For an invaluable discussion of this regnal style, which appears to have become standard in the 880s in conjunction with the submission to Alfred in 886 of all of the English people not under Danish rule, see Keynes/Lapidge 1983, 227–228. See also Dorothy Whitelock, Some Charters in the Name of King Alfred, in: Margot H. King/Wesley M. Stevens (eds.), Saints, Scholars, and Heroes. Studies in Medieval Culture in Honour of Charles W. Jones, 2 vols., vol. 1, Collegeville, MN 1979, 77–98. 22 On the Frankish elements in Asser’s lexicon, see Stevenson 1959, xciii–xciv; and also Keynes/Lapidge 1983, 54–55. Stevenson 1959, lxxx–lxxxii and xcviii–xcix, points out that the practice of incorporating annals into biography is a convention of Einhard as well as of other Frankish biographers. For a brilliant discussion of the Continental triangulation of Asser’s Latinity, as well as cultural difference in Asser’s ‘Life of King Alfred’ more generally, see David Townsend, Cultural Difference and the Meaning of Latinity in Asser’s Life of King Alfred, in: Jeffrey Jerome Cohen (ed.), Cultural Diversity in the British Middle Ages. Archipelago, Island, England (The New Middle Ages), New York 2008, 57–73. 23 Keynes/Lapidge 1983, chap. 78, 93; chap. 94, 103. 24 Keynes/Lapidge 1983, chap. 76, 91.

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The extraordinary nature of the marriage of 856 resided not only in its merging of Frankish and Anglo-Saxon blood but also in the unprecedented status and queenly dignity granted to Judith, including consecration, coronation, the formal title of ‘queen’, and a position on the throne next to Æthelwulf for the rest of his life. These queen-making rituals marked a sharp break with West Saxon tradition, prompting Asser to explain that “the West Saxons did not allow the queen to sit beside the king, nor indeed did they allow her to be called ‘queen’ [reginam], but rather ‘king’s wife’ [regis coniugem]”;25 he subsequently expressed outrage at this “disputed and indeed infamous custom”26 of denying status and power to West Saxon queens. The sons of a crowned and consecrated queen would have had considerable claims to the West Saxon throne, and Judith’s queenly status would have far outstripped the regal dignity offered to Æthelbald’s own mother, Osburh. It is thus possible that the rebellion launched by Æthelbald was catalyzed by his father’s recent marriage. Yet it is also possible, as Enright maintains, that Æthelbald’s rebellion preceded his father’s marriage. If such was indeed the case, the anomalous queen-making rituals bestowed upon Judith were probably undertaken, either by Æthelwulf or by his supporters, as a mechanism for strengthening the king’s authority or for reclaiming a kingdom that had, in fact, already been lost. According to the ‘Life’ of Pope Benedict III (AD 855–858) recorded in the ‘Liber Pontificalis’, “the king of the Saxons named [Æthelwulf] came [to Rome] for the sake of prayer; he left all that he had, lost his own kingdom”, a statement implying that news of Æthelbald’s rebellion and efforts to assume control of Wessex had reached the papacy during Æthelwulf ’s stay in Rome.27 Yet the claim that Æthelwulf had “lost his own kingdom” may also simply reflect the biographer’s confusion regarding the king’s future plans: prior to leaving Wessex, Æthelwulf had divided his kingdom between his two eldest sons, Æthelbald and Æthelberht,28 an act that, given past precedent, may well have suggested abdication and an intention to remain in Rome indefinitely. As Clare Stancliffe has shown, Anglo-Saxon kings (following the example of Irish monk-kings) typically viewed pilgrimage as an ongoing peregrinatio, offering a way to ‘opt out’ of royal 25 Stevenson 1959, chap. 13, 11. 26 Keynes/Lapidge 1983, chap. 13, 71. 27 Huius temporibus rex Saxorum …… nomine, causa orationis veniens, relictis omnibus suis rebus et regnum proprium suum amisit (Le Liber Pontificalis: Texte, Introduction et Commentaire, ed. Louis Duchesne, revised edition, 2 vols., vol. 2, Paris 1955 [original ed. Paris 1886/1892], 148). For the translation, see Benedict III (855–858), in: The Lives of the Ninth Century Popes (Liber Pontificalis). The Ancient Biographies of Ten Popes from A.D. 817–891, trans. by Raymond Davis (Translated Texts for Historians 20), Liverpool 1995, 161–188, with quotation at 186 and useful discussion at 186–187 n. 85. See also Stevenson 1959, 194 n. 2. 28 Keynes/Lapidge 1983, 234–235 nn. 26–27.

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office permanently in exchange for monastic life.29 Indeed, Æthelwulf was the first Anglo-Saxon king (followed by Cnut, several centuries later) ever to return from a pilgrimage to Rome at all.30 Although the specific meaning underlying the statement that Æthelwulf came to Rome having “lost his own kingdom” is open to debate, it is nevertheless clear that during his absence, Æthelwulf ’s plans for dynastic continuity and for a smooth succession in Wessex had gone somewhat awry.31 The unprecedented queen-making rituals granted to Judith would have undoubtedly helped to bolster Æthelwulf ’s fragile royal authority while underscoring a number of character traits that Asser is keen to portray as markers of throneworthiness: a king’s capacity to solicit love among his people and his willingness to subject royal domestic affairs, and more specifically his own sexuality, reproduction, and parenting, to ecclesiastical guidance and oversight. Many scholars have noted that the power of the male sovereign is contingent on his subjects’ willingness to recognize, believe in, and love him as king.32 As the late tenth-century homilist Ælfric remarks in his homily for Palm Sunday: “No man may make himself king, for the people have the option to choose him for king who is pleasing to them.”33 Love for the king was produced, in part, by the belief that he had been chosen by the people – an illusion solidified through the rhetoric of the king’s inauguration ceremony, which repeatedly acknowledges the presence of the people, elicits their responses, and firmly states that they

29 Clare Stancliffe, Kings Who Opted Out, in: Patrick Wormald/Donald Bullough/Roger Collins (eds.), Ideal and Reality in Frankish and Anglo-Saxon Society. Studies Presented to J. M. Wallace-Hadrill, Oxford 1983, 154–176. 30 Story 2003, 239. 31 Janet L. Nelson, The Franks and the English in the Ninth Century Reconsidered, in: Paul E. Szarmach/Joel T. Rosenthal (eds.), The Preservation and Transmission of Anglo-Saxon Culture. Selected Papers from the 1991 Meeting of the International Society of AngloSaxonists, Kalamazoo, MI 1997, 141–158, with relevant discussion at 146. 32 See, for example, Louise Olga Fradenburg, City, Marriage, Tournament. Arts of Rule in Late Medieval Scotland, Madison, WI 1991, xiii. Although Fradenburg focuses mainly on fifteenthcentury Scotland, her insights have a far broader scope. 33 Ne mæg nan man hine sylfne to cynge gedon ac þæt folc hæfð cyre to ceosenne þone to cyninge þe him sylfum licað (Ælfric, Ælfric’s Catholic Homilies. The First Series. Text, ed. Peter Clemoes [Early English Text Society, Supplementary Series 17], Oxford 1997, 294). The statement that immediately follows also merits careful attention: Ac siððan he to cyninge gehalgod bið þonne hæfð he anweald ofer þam folce and hi ne magon his geoc of heora swyran asceacan, “But after he has been consecrated as king, then he has power over the people and they may not shake his yoke from their necks.” It is worth acknowledging that these lines occur in a parable designed to make a theological (rather than a political) point, namely that once people have chosen sin, they are then bound by the devil and unable to liberate themselves for future good.

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themselves have chosen the king as their earthly leader.34 The king is said to have been “elected by both bishops and the people” and “underpinned with due obedience and honored by the deserved love of his people”.35 Asser capitalizes on this idea throughout the ‘Life’ by presenting Alfred’s accession as the “unanimous wish of all the inhabitants of the kingdom” as well as “divine will”: “In the same year Alfred […] took over the government of the whole kingdom […], with the approval of divine will and according to the unanimous wish of all the inhabitants of the kingdom.”36 While love for the king was contingent on the public illusion that he had been chosen by the people, love for the queen was a different matter entirely. As Janet Nelson has shown, the ordo used for Judith’s consecration was probably adapted from an earlier ritual used for kingly anointing,37 and when Hincmar of Rheims modified the anointing prayer for Judith’s consecration, he replaced references to the populus and the plebs with allusions to the Old Testament women Judith and Esther, thereby emphasizing the chastity and physical appearance of the queen rather than her capacity to solicit public approval and love.38 Unlike the rituals designed for kingly inauguration, early medieval rites of queen-making do not actively solicit the people’s acceptance or acknowledge their participation in choosing a new queen. The gendered differences between these royal inauguration rites point to the fact that the king derived his power from the bishops, the people, and, ultimately, from God, whereas the queen held her position by virtue of her marriage and at the discretion of the king. The 856 entry in the ‘Annals of St-Bertin’ makes clear, however, that the king’s choice of a royal 34 For an illuminating discussion of the people’s role in Carolingian king-making rituals, specifically in the coronation ceremony of Charles the Bald as depicted by Hincmar of Rheims in the ‘Annals of St-Bertin’, see Janet L. Nelson, Hincmar of Reims on King-Making. The Evidence of the Annals of St. Bertin, 861–882, in: János M. Bak (ed.), Coronations. Medieval and Early Modern Monarchic Ritual, Berkeley, CA 1990, 16–34. 35 [E]t ab episcopis et a plebe electus and populorum debita subiectione fultus condigno amore glorificatus (Second English Coronation Order, in: English Coronation Records, ed. Leopold G. Wickham Legg, Westminster 1901, 15–16). There is an abundance of scholarship on early medieval kingship and king-making rites, yet the rites for early medieval queen-making have elicited far less attention. For an excellent starting point, see Julie A. Smith, The Earliest Queen-Making Rites, in: Church History 66 (1997), 18–35. Another indispensable discussion is Janet L. Nelson, Early Medieval Rites of Queen-Making and the Shaping of Medieval Queenship, in: Anne J. Duggan (ed.), Queens and Queenship in Medieval Europe. Proceedings of a Conference held at King’s College London, April 1995, Woodbridge/Rochester, NY 1997, 301–315. This volume also contains many useful essays on early medieval queenship. 36 Keynes/Lapidge 1983, chap. 42, 80. 37 Nelson 1986, 341–360. 38 Nelson 1997, 307–308. The Judith ordo is ‘Ordo V’ in Ordines Coronationis Franciae. Texts and Ordines for the Coronation of Frankish and French Kings and Queens in the Middle Ages, ed. Richard A. Jackson, 2 vols., vol. 1, Philadelphia, PA 1995, 73–79.

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consort was one that was, ideally, made in concert with the advice and guidance of the bishop, rendering queenly inauguration a performative fantasy of the seamless merging of royal and ecclesiastical interests. As the annalist, most likely Prudentius, bishop of Troyes, reports: “Æthelwulf […] received her [Judith] in marriage. After Hincmar, bishop of Rheims, had consecrated her and placed a diadem on her head, Æthelwulf formally conferred on her the title of queen, which was something not customary before then to him or to his people.”39

The ‘Annals of St-Bertin’ depict the queen’s reception and the formal conferral of her title as rites that are entrusted to the king. Significantly, however, the king’s conferral of the title ‘queen’ upon his wife occurs after a prior change in her status that is effected through consecration and coronation; the bishop performs these rites. The division of ritual labor between king and bishop that structures early medieval rites of queen-making effectively renders the queen an embodiment of the people’s trust in their king’s decisions, even as it testifies to the sovereign’s willingness to subject those decisions to ecclesiastical oversight. When Æthelwulf returned from Rome, the people of Wessex were presented with a choice: either they could follow him, or they could transfer allegiance to his son Æthelbald, who had been serving as regent during his father’s absence. By making his homecoming coincident with the acquisition of a new queen, Æthelwulf was able to pose this question from a slightly different angle: rather than asking the West Saxon people which king they would choose, he asked whether they would accept his choice of a wife. Æthelwulf ’s actions effectively presumed the continued loyalty of his subjects – by dramatizing the sovereign’s right to choose a queen, as well as to establish new customs of queen-making, or, more precisely, to return to older models of West Saxon queenship.40 It is unclear whether the complex symbolism of queenship and its accompanying rituals was sufficiently powerful to bolster Æthelwulf ’s royal authority or to counter the political aspirations of his ambitious son Æthelbald. Asser claims that the unusual queenly dignity conferred on Judith was accepted “without any disagreement or dissatisfaction on the part of his nobles” and, 39 The Annals of St-Bertin. Ninth-Century Histories, vol. 1, trans. and annotated by Janet L. Nelson, Manchester/New York 1991, 83. My analysis of this passage is indebted to Nelson 1997, 307–308. 40 Annal 672 for the ‘Anglo-Saxon Chronicle’ states that after the death of Cenwalh, Seaxburh, his queen, ruled Wessex for one year (Her forðferde Cenwealh, & Seaxburh .i. ger ricsode his cwen æfter him; The Anglo-Saxon Chronicle. A Collaborative Edition, ed. Katherine O’Brien O’Keeffe, vol. 5: MS. C, Cambridge 2001, 40). Although Seaxburh was the only queen ever to rule over Wessex, her reign during the late seventh century suggests that the custom of denying power and status to West Saxon queens may well have arisen, as Asser claims, during the eighth century and perhaps as a result of Eadburh’s abuse of royal office.

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further, that “the entire nation was so delighted (as was fitting) at the arrival of their lord that […] they would have been willing to eject his grasping son Æthelbald from his share of the whole kingdom”.41 Yet it is possible that this rosy account of Æthelwulf ’s return to Wessex simply reflects Asser’s efforts to salvage the dignity of a king who had, in fact, been ousted from his kingdom and forced to surrender permanent control of the western (and most prestigious) districts of Wessex to his son. Regardless of their efficacy in securing Æthelwulf ’s particular claims to Wessex, the performative rituals and drama of queen-making that figured so prominently in the marriage of 856 would have helped to establish a cluster of broader ideals centered on the domestic aspects of righteous kingship and insistently attached to Æthelwulf throughout the ‘Life’. More specifically, as I argue, Asser uses the marriage of 856 to proffer a model of royal paternity in which the king’s reproductive life and parenting practices are understood as collaborative enterprises necessarily undertaken in partnership with other paternal figures, such as popes and bishops. Judith’s consecration and coronation positioned Æthelwulf ’s conjugal life within an extended network of other ‘fathers’, whose authority would enable the king’s progeny and ultimate successor to be viewed as the product of a legitimate marriage that had been sanctioned by church officials. Although Alfred’s own conception had not taken place in a marriage subject to this kind of ecclesiastical warrant – his mother, Osburh, was never formally consecrated or crowned – Æthelwulf ’s concern for situating his present and future offspring within a paternal network that extended beyond the boundaries of blood is evident in the king’s efforts to forge bonds between his sons and various ‘spiritual fathers’ in Rome. Two years before their pilgrimage in 855, Æthelwulf had sent the four-year-old Alfred (along with his next-youngest son, Æthelred) to Rome, where Alfred was anointed as king by Pope Leo IV, decorated with a belt and the vestments of the consulate, and confirmed as the pope’s adoptive son.42 In a letter addressed to Æthelwulf, the pope refers to Alfred 41 Keynes/Lapidge 1983, chap. 13, 70–71. 42 [Q]ui praefatum infantem Ælfredum oppido ordinans unxit in regem, et in filium adoptionis sibimet accipiens confirmavit (Stevenson 1959, chap. 8, 7, with further discussion at 179– 185). Alfred’s journey to Rome in 853 is attested in several other sources as well, including the ‘Anglo-Saxon Chronicle’ entry for 853, the ‘Liber Vitae’ of S. Salvatore in Brescia, and part of a letter from Pope Leo IV to Æthelwulf. The fragmentary papal letter offers the fullest account of the ceremony performed on the young prince Alfred. In it, Leo refers to Alfred as his spiritalis filius and decorates him with the belt and vestments of the consulate, items customary to Roman consuls. Such regalia were probably intended to signify Alfred’s future in military and civic (as opposed to monastic) life. For further discussion of the difficulties with interpreting these events as well as the documents associated with them, see Keynes/Lapidge 1983, 232 n. 19; Story 2003, 233–236; and Janet L. Nelson, The Problem of King Alfred’s Royal Anointing, in: Journal of Ecclesiastical History 18 (1967), 145–163 (reprinted in Nelson 1986, 309–327).

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as filius vester, “your son”, and then, immediately afterward, as his own spiritalis filius, thus uniting pope and king in a shared experience of paternity (probably modeled on Continental precedents) as joint fathers to a chosen son and the heir-apparent.43 The model of paternity exemplified by Æthelwulf was rooted in the belief that royal conjugality and sovereign reproduction ought to be undertaken in close partnership with the church, as demonstrated by his concern that his marriage to Judith should be consecrated by ecclesiastical officials and that his children develop strong ties with the church through activities such as pilgrimage. This model finds further elaboration in Alfred’s efforts to cultivate a kind of monastically inflected fatherhood by curbing his sexual urges, thus underscoring the piety shared by both Æthelwulf and his youngest son, the general likeness between the two figures, and the latter’s fitness for succession. It was also a model of paternity whose investment in both continence and institutional sanction contrasted radically with Æthelbald’s sexual immorality and disdain for church law, thus highlighting the difference between the king and his eldest surviving son and, ultimately, the latter’s unsuitability for inheriting the West Saxon throne.

2.

The King’s Composite Personality

Part of the reason that queens could be such powerful symbolic figures is the fact that, historically, queens’ roles were highly variable and ill-defined – so much so that scholars have questioned whether queenship as an institution actually existed during the early Middle Ages. As Janet Nelson points out, “[e]piscopacy, aristocracy, [and] kingship can be said to have existed as institutions, but it is much harder to identify anything that could be called ‘queenship’”.44 Lexical evidence raises similar questions, suggesting that the concept of early medieval queenship may be a presentist assumption imposed on the past by modern historians. Although Anglo-Saxon writers frequently use the term cynescipe, ‘kingship’, there is no equivalent Old English term for ‘queenship’; the first

43 Leo IV, Epistolae, ed. Adolf de Hirsch-Gereuth, in: Epistolae Karolini Aevi (Monumenta Germaniae Historica. Epistolae), 10 vols., vol. 5, Berlin 1898/1899, 585–612, no. 31, 602. The letter is reprinted in Stevenson 1959, 180 n. 1, from which quotations here are taken, and translated in English Historical Documents, ed. Dorothy Whitelock, 10 vols., vol. 1: c. 550– 1041, 2nd edition, London/New York 1979, no. 219, 810. 44 Janet L. Nelson, Queens as Jezebels. The Careers of Brunhild and Balthild in Merovingian History, in: Derek Baker (ed.), Medieval Women. Dedicated and Presented to Professor Rosalind M. T. Hill on the Occasion of Her Seventieth Birthday, Oxford 1978, 31–77, with quotation at 39.

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known reference to ‘queenship’ does not occur until 1536.45 Early medieval queens were thus, in many ways, blank slates which contemporary authors could use for projecting their beliefs about sovereignty or, more broadly, for serving a range of social and political purposes. In spite of the volatile and ever-fluctuating nature of queenly status and power, Anglo-Saxon kings appear, somewhat paradoxically, to have viewed queens and royal women as symbols of stability and dynastic continuity. Immediately after his father’s death in 858, Æthelbald married Judith, Æthelwulf ’s widow and queen, an act repeated several centuries later in 1017, when Cnut married Emma, the widow of King Æthelred II, soon after defeating Æthelred’s eldest son, Edmund Ironside, and seizing control of England. For both Æthelbald and Cnut, marriage to the widowed queen offered a means of retaining established political connections – with Francia and Normandy respectively – and of preserving a loyal subject-base among the English people by providing them with a tangible link between old and new regimes. Yet marriage to a former king’s widow was also an act of aggression. Sexual conquest, a rubric that throughout the Middle Ages encompassed a variety of practices, including rape, abduction, and marriage, has long served as a tool of warfare and political domination.46 In the case of Æthelbald, marriage to his father’s widow offered an opportunity to assert sole dominion over Wessex, with the Frankish queen a trophy signifying Æthelbald’s ultimate displacement of the former king and unquestionable claim to the realm. Yet, because Judith was Æthelbald’s stepmother, the symbolic implications of the marriage were more extensive than the new king might have predicted, to the extent that they threatened to undermine the very political claims that he hoped to assert. The prohibition against marriage to one’s stepmother was one of the restrictions imposed on Germanic culture by Christianity in the seventh century. Such marriages were typically condemned by ecclesiasts on the grounds that they constituted a consanguineous union that contravened divine law.47 The pro45 The first reference to queenship in the English language occurs in a claim made by Anne Boleyn, imprisoned in the Tower of London on charges of incest, at which point she wrote to her husband, King Henry VIII, begging, “Neither did I forget my self in my exaltation, or received Queenship” (Queenship, n., in: OED Online, Oxford 2018, www.oed.com/view/ Entry/156231 [08. 11. 2018]). 46 The closely related lexicon of medieval rape, abduction, and marriage renders it difficult at times to distinguish clearly between these practices. For further discussion, see Julie Coleman, Rape in Anglo-Saxon England, in: Guy Halsall (ed.), Violence and Society in the Early Medieval West, Woodbridge/Rochester, NY 1998, 193–204. For a useful study of the lexicon of rape, abduction, and marriage in late medieval texts, see Caroline Dunn, The Language of Ravishment in Medieval England, in: Speculum 86 (2011), 79–116. 47 It is worth noting that early medieval sources vary greatly in their treatment of this practice. For example, the ‘Annals of St-Bertin’ discuss Æthelbald’s marriage to Judith in a straight-

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hibition appears as one of the seventeen canons drawn up at the Synod of Rome (721) under Pope Gregory II in the interest of tightening church discipline,48 and is described by Bede as an act that rendered Eadbald of Kent “polluted with such fornication as the apostle declares to have been not so much as named among the Gentiles”.49 Similar sentiments are expressed in the ‘Libellus Responsionum’ in Pope Gregory I’s fifth answer to Augustine of Canterbury on prohibited degrees of marriage. Gregory describes marriage to one’s stepmother as a grave facinus, “grave sin”, explaining that, because marriage entailed husband and wife becoming one flesh (Matthew 19:5), “he who presumes to uncover his stepmother’s nakedness […] at the same time uncovers his father’s nakedness”.50 Asser’s characterization of Æthelbald’s marriage to his stepmother as being “against God’s prohibition and Christian dignity” echoes these earlier writers and also highlights the stark contrast between Æthelwulf ’s piety and concern for church-sanctioned conjugality and Æthelbald’s flagrant sexual immorality and disregard for divine law.51 Although Asser’s subsequent claim that Æthelbald, “contrary to the practice of all pagans, took over his father’s marriage-bed […], incurring great disgrace from all who heard of it” is factually incorrect,52 it nevertheless conveys clearly a number of morally based political truths, most notably Æthelbald’s antagonism toward his father, manifested in a two-pronged violation of the paternal body: an incestuous marriage that entailed shamefully “uncover[ing] his father’s nakedness” and that also symbolized Æthelbald’s lawless usurpation of Wessex – a ‘body politic’ that, like that of the Frankish queen, rightfully belonged to his father.53 More broadly, the symbolic overlap

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forward manner, reporting matter-of-factly that in the year 858, “Æthelwulf, king of the West Saxons died. His son Æthelbald married his widow, Queen Judith” (Nelson 1991, 86). A History of the Councils of the Church from the Original Documents, trans. by Charles Joseph Hefele/William R. Clark, 5 vols., vol. 5, Edinburgh 1896 (reprint New York 1972), 256. Bede, Bede’s Ecclesiastical History of the English People, ed. and trans. by Bertram Colgrave/Roger A. B. Mynors, Oxford 1969 (reprint Oxford 2001), book 2, chap. 5, 151. Bede is drawing here on 1 Corinthians 5:1. Colgrave/Mynors 1969, book 1, chap. 27, 85. Bede is citing Leviticus 18:8 here: “Thou shalt not uncover the nakedness of thy father’s wife: for it is the nakedness of thy father.” Keynes/Lapidge 1983, chap. 17, 73. Keynes/Lapidge 1983, chap. 17, 73. Asser’s claim that marriage to one’s stepmother was “contrary to the practice of all pagans” is contradicted by numerous examples of such marriages in pre-Christian Germanic culture as well as in other non-Christian cultures. For example, Bede’s ‘Ecclesiastical History of the English People’ reports that the pagan king Eadbald of Kent married his father’s widow, Bertha, only to renounce her upon his conversion (Colgrave/Mynors 1969, book 2, chap. 6, 155). For further discussion, see Stafford 1981, 151 n. 74; Stevenson 1959, 214–215; and Keynes/Lapidge 1983, 238 n. 39. Alfred Smyth has suggested that Asser’s harsh remarks on Æthelbald’s marriage to Judith were designed to blacken Æthelbald’s reputation as part of a

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between Æthelbald’s aggressive (and transgressive) acquisition of both widow and kingdom frames his accession to the West Saxon throne as propelled by Oedipal force and domination rather than by paternal love and popular support. By blackening Æthelbald’s character, Asser paves the way for Alfred’s emergence as beloved favorite, chosen son, and rightful ruler of Wessex on account of his matchless personality. It is by now a scholarly commonplace to claim that Asser’s ‘Life’ was designed largely to legitimate Alfred’s right to the throne. The barometer of throneworthiness in the ‘Life’ is Alfred’s ‘royal personality’, a complex web of character traits that consistently signal Alfred’s likeness to his father and difference from his elder brother Æthelbald, whose antagonism toward, and marked differences from, the king point to a distinctly ignoble personality and unsuitability for inheriting the West Saxon throne. Throughout the ‘Life’, Asser remarks frequently on Alfred’s excellence of character, noting that, even as a child and young boy, Alfred was “greatly loved, more than all his brothers, by his father and mother – indeed by everybody”, and further that “he was […] more comely in appearance […] and more pleasing in manner, speech and behaviour”.54 Cultural preoccupations with Alfred’s personality have lasted well into modernity. The ‘Cambridge History of English Literature’ opens its discussion of Alfred, for example, by claiming that “[t]he reign of Alfred acquired its chief glory from the personality of the king.”55 Perhaps the most remarkable aspect of Alfred’s personality is its many dimensions. Asser maintains that even prior to Alfred’s accession, the prince “surpassed all his brothers both in wisdom and in all good habits”.56 These many “good habits” find further specificity in Asser’s catalogue of the king’s numerous occupations, which include “directing the government of the kingdom; pursuing all manner of hunting; giving instruction to all his goldsmiths and craftsmen as well as to his falconers, hawk-trainers and dog-keepers; […] reading aloud from books in English and above all learning English poems by heart[;] […] listening daily to divine services and Mass[;] […] [and] appl[ying] himself attentively to charity and distribution of alms.”57

Over a millennium later, the editors of the ‘Cambridge History of English Literature’ describe Alfred in strikingly similar terms, marveling at the king’s ability to balance the multifarious pillars of royal office, including military defense,

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wholesale attempt in the ‘Life’ to denigrate Alfred’s brothers and thus to suggest that Alfred alone was worthy of kingship (Alfred Smyth, Alfred the Great, Oxford 1995, 193). Keynes/Lapidge 1983, chap. 22, 74. Adolphus W. Ward/Alfred R. Waller (eds.), The Cambridge History of English Literature, 15 vols., vol. 1, Cambridge 1907, 88. Keynes/Lapidge 1983, chap. 42, 80. Keynes/Lapidge 1983, chap. 76, 91.

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administration, economics, education, and faith, with grace and ease: “He had many titles to fame. His character was made up of so many diverse elements that he seemed, at one and the same time, to be military leader, lawgiver, scholar and saint.”58 For medieval and modern audiences alike, Alfred was apparently everything to everyone, and all at once – a man of many persons housed in a single body. In his groundbreaking monograph ‘The King’s Two Bodies’, Ernst Kantorowicz famously advanced the idea of premodern sovereignty’s dependence on the concept of the sovereign’s many persons, manifested specifically in the trope of the ‘king’s two bodies’: the ‘body natural’, subject to decay and death like any other mortal body, and the ‘body politic’, capable of transcending time and marking the king’s likeness to divinity.59 Numerous scholars have elaborated on premodern kingship’s corporate dimensions, pointing to, among other things, the gendered implications of a royal persona characterized by duality and multiplicity rather than by singularity. Building on the two-body fiction so central to Kantorowicz’s work, the early modern historian Cynthia Herrup proposes the concept of the ‘king’s two genders’, arguing that throughout the sixteenth and seventeenth centuries, effective governance demanded that rulers transcend the confines of a single gender by adopting both masculine and feminine traits and thus “inhabit[ing] an artificial body that was gendered neither exclusively male nor female, but both”.60 Paul Strohm makes a similar case for premodern sovereignty’s reliance on fictions of gendered multiplicity, contending that throughout the later Middle Ages, queens often took on personality traits, such as mercy, abjection, or pity, that were necessary for a successful reign, but not necessarily consistent with social expectations of royal masculinity. By dividing emotional labor along the lines of gender, medieval kings were able to retain their royal authority even while humanizing male rule.61 The model of gender duality that is operative throughout the ‘Life’ falls somewhere between Herrup’s notion of two genders housed within a single sovereign body and Strohm’s ‘outsourcing’ model, in which attributes associated with femininity are safely sequestered in the bodies of medieval queens. Asser’s model of ‘composite kingship’ proceeds according to the idea that a figure’s personality is formed through proximity, or, to put it another way, the idea that character traits located in the people around us, such as our friends and relatives, 58 Ward/Waller 1907, 88. 59 Ernst Kantorowicz, The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton, NJ 1957 (reprint Princeton, NJ 1997). 60 Cynthia Herrup, The King’s Two Genders, in: Journal of British Studies 45 (2006), 493–510, with quotation at 496. 61 Paul Strohm, Hochon’s Arrow. The Social Imagination of Fourteenth-Century Texts, Princeton 1992, 95–119, esp. 102–105.

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eventually become affixed to the self through association, much as the pilgrims who travel together in the ‘Canterbury Tales’, such as the corrupt Pardoner and Summoner or the pious Plowman and Parson, tend to mirror one another in their particular vices or virtues. Indeed, Alfred’s personality was not a singular entity, nor was it located solely in his own person. But nor was it an amalgamation of all the persons and personalities of his entire kingdom. Where Kantorowicz’s corporate kingship emphasizes the king’s function as the embodiment of the body politic, Asser’s version stresses the relatively localized composite personhood of Alfred and his immediate family and associates. As a result, the personality of the king was a complex construct, comprised in and through references to attributes housed in other bodies – yet bodies so close to his as to ultimately suggest a unified whole. Throughout the ‘Life’, Asser frequently describes Alfred as venerabilis, a generic term whose association with praise, merit, and public regard nicely captures the king’s popular appeal, as well as the breadth and multivalence of character that enabled him to excel in his role as king of all England. Yet, as the ‘Life’ progresses, the state of being venerabilis is revealed as a character trait that is shared by Alfred, his mother-in-law, and his wife, and further as a trait that is closely linked to chastity, sexual abstinence, and marital continence. In describing Alfred’s betrothal, for example, Asser describes the king as venerabilis Ælfred rex, “venerable king Alfred”. Asser then quickly introduces Alfred’s mother-in-law as a venerabilis femina, evidenced by the fact that after her husband’s death she remained a chaste widow for many years. “In the year of the Lord’s Incarnation 868 (the twentieth of King Alfred’s life), that same much-esteemed [venerabilis] King Alfred, at that time accorded the status of ‘heir-apparent’ [secundarii],62 was betrothed to and married a wife from Mercia, of noble family, namely the daughter of Æthelred (who was known as Mucil), ealdorman of the Gaini. The woman’s mother was called Eadburh, from the royal stock of the king of the Mercians. […] She was a notable [venerabilis] woman, who remained for many years after the death of her husband a chaste widow, until her death.”63

62 The term secundarius is otherwise unknown in English sources. In understanding this term as ‘heir-apparent’, I follow Keynes/Lapidge 1983, 240 n. 56, who argue that secundarius is equivalent to the Old Welsh term eil meaning ‘second’, as applied to the heir to the throne. Their rationale is that Alfred had been designated as heir-apparent in England during Æthelred’s reign and that, since no English term existed to explain this concept, Asser simply drew on a term that he had become familiar with in Wales. Another possibility (suggested by Stevenson 1959, 227) is that secundarius may have been intended to mean ‘viceroy’ or ‘joint-king’, given the prominent role that Alfred played in the governance of England during Æthelred’s reign. 63 Keynes/Lapidge 1983, chap. 29, 77.

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When Asser next mentions Alfred’s wife, she (like both her mother and Alfred himself) is also described as venerabilis: she is referred to as a venerabilis coniunx, or a “venerable wife”.64 Many scholars have noted Asser’s deep reliance on his source texts and carefully scrutinized the many occasions on which we find large portions of these texts echoed practically verbatim. Yet, as Tomás Mario Kalmar points out, Asser’s habit of self-echoing likewise repays careful attention.65 To dismiss Asser’s strategic use of the term venerabilis as a convention of royal biography that often seeks to glorify the ruler through hyperbolic praise of his relatives is to miss the subtle ideological work that this verbal repetition accomplishes: namely, creating a mnemonic chain linking the personality traits of Alfred’s wife and mother-inlaw with Alfred himself. Such links are most likely invested, in part, in questions of lineage, genealogy, and rightful paternity, and in Asser’s efforts to show that Alfred’s wife came from a long line of faithful wives. Yet, by glossing the term venerabilis with references to chastity, and then using this same term to describe Alfred, his wife, his mother-in-law, and a host of deeply Christian symbols and figures (including a piece of the Cross gifted to Alfred from Pope Marinus; Plegmund, Archbishop of Canterbury; Grimbald, a priest and monk from Gaul; and the Roman soldier-saint Martin of Tours),66 Asser adumbrates the idea of the king himself as a kind of royal saint or monk-king. Although many centuries would pass before the term venerabilis was formally deemed the first stage (or title) in canonization proceedings, throughout the ‘Life’ Asser insistently links this term with the sexual purity connoting sanctity. Alfred’s powerful desire to join this group of saintly figures is illustrated by the king’s active solicitation of a kind of secular imitatio Christi that finds voice in fervent prayers for bodily illness and physical suffering that (according to Asser) might help to combat his non-reproductive sexual urges: “[W]hen he [Alfred] realized that he was unable to abstain from carnal desire, […] he very often got up secretly in the early morning […] and visited churches […] in order to pray […] [for] some illness. […] When he had done this frequently with great mental devotion, […] he contracted the disease of piles [a form of hemorrhoids] through God’s gift.”67

Alfred’s pursuit of sexual purity finds further grounding in Asser’s frequent meditations on the king’s mysterious illnesses and pains, which strike, rather 64 Stevenson 1959, chap. 73, 54. 65 Tomás Mario Kalmar, Asser’s Imitatio of Einhard: Clichés, Echoes, and Allusions, in: Eolas 7 (2014), 65–91. 66 Stevenson 1959, chap. 71, 54; chap. 77, 62; chap. 78, 63; and chap. 89, 75. 67 Keynes/Lapidge 1983, chap. 74, 89–90. For an insightful discussion of Alfred’s mysterious illnesses, with particular attention to chap. 74 of the ‘Life’, see Paul Kershaw, Illness, Power and Prayer in Asser’s ‘Life of King Alfred’, in: Early Medieval Europe 10 (2001), 201–224.

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uncannily, whenever sexual activity draws near: “When, therefore, he had duly celebrated [his] wedding […] he was struck without warning […] by a sudden severe pain that was quite unknown to all physicians.”68 Asser’s efforts to depict Alfred’s physical pain and illness as a hindrance to sexual activity should not be taken as evidence that Alfred was, literally, a chaste or celibate king. We know that Alfred had at least five surviving children, and possibly several others who died in infancy. It was often advised that couples who were unable to make the sacrifice required by living in conjugal unions that were wholly non-sexual should at least abstain from sexual activity for two to three days following their marriage.69 The heaven-sent illnesses that afflict Alfred on his wedding night might well be interpreted as divine aids that prevent him from consummating his marriage prematurely and that help to ensure his sexual continence. Images of conjugal chastity and of marital sexuality undertaken with divine oversight also enable Asser to use the ‘Life’ for proffering a monastically inflected masculinity centered less on literal fatherhood and more on a kind of symbolic paternity that extended outward to encompass a larger community. As Asser remarks: “With wonderful affection, he [Alfred] cherished his bishops and the entire clergy, his ealdormen and nobles, his officials as well as all his associates. Nor […] did he cease from personally giving, by day and night, instruction in all virtuous behavior and tutelage in literacy to their sons, who were being brought up in the royal household and whom he loved no less than his own children.”70

This model of spiritual paternity was consonant with Asser’s own monastic outlook. Its emphasis on care for a larger community and on disarticulating fatherhood from biology was also consistent with Asser’s efforts to portray Alfred as the rightful father of all the English people. Asser’s careful cultivation of Alfred’s composite kingship, with its roots in Alfred’s immediate circle and especially the king’s association with royal women, could now begin to extend outward as a paternal relation to his entire kingdom. The essentially familial – even domestic – aspects of composite kingship remain, even as the concept transforms Alfred into the spiritual father of the body politic. By starting this essay with Alfred’s father and ending with Alfred, I have sought to trace an arc in Asser’s ‘Life’ that follows the emergence of a new and different model of royal paternity. Æthelwulf ’s claims to paternity hinge largely on his 68 Keynes/Lapidge 1983, chap. 74, 88. 69 James A. Brundage, Law, Sex and Christian Society in Medieval Europe, Chicago, IL/London 1987, 138–139. It is important to note that the role of sexual intercourse in marriage as well as the extent to which consummation was considered necessary for constituting a legally binding union were much-debated issues. Brundage offers useful discussion at 130, 136–139, 188–189, 235–237, 243, and 263. 70 Keynes/Lapidge 1983, chap. 76, 91.

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capacity to produce literal heirs, signified by his young wife, Judith, as well as by his close relationship and likeness to his biological son Alfred. Although founded in biological reproduction and sexuality, Æthelwulf ’s paternal practices nevertheless illustrate his strong regard for ecclesiastical law, exemplified by his attention to queen-making rites designed to ensure that future progeny would be born within a legitimate marriage to a consecrated queen, as well as by his efforts to bequeath his own significant sense of piety to his sons through activities such as shared pilgrimage and childhood embassies to Rome. Alfred’s paternal practices are similarly invested in Christian piety. Yet they take the form of a monastically inflected fatherhood, evidenced by Alfred’s alleged endeavors to protect his own body from sexual activity; such endeavors recall the spiritual paternity enacted by the abbot as father and also symbolize the king’s ongoing efforts to protect England from penetration by Viking invaders. Although the models of royal paternity presented in the ‘Life’ take slightly different forms, they are nevertheless united in their shared reliance on representations of queens and royal women. These female figures serve as highly malleable symbols that enable Asser to compose a quasi-historical, quasi-hagiographical account of a ninth-century court in deep political crisis, in which Alfred emerges as the ideal king, chosen son, and rightful successor to the West Saxon throne, much like a new and Christian Joseph, youngest (and favorite) son of Jacob, supported by all of Israel. The fact that Asser embraces the symbolic power of queens and the ritual dignity of queen-making does not necessarily mean that he favored granting queens actual power in practice, or even that he subscribed to relatively progressive gender politics for the period. The gender politics exhibited throughout the ‘Life’ are highly fraught and contradictory. Asser vacillates between praising royal women, such as Alfred’s mother, whom he credits as the inspiration behind the king’s acquisition of English poetics, and condemning female figures, such as the Mercian queen Eadburh, wife of Beohtric, for overstepping customary gender boundaries. Moreover, the relationship between women’s symbolic power (e. g., rituals and linguistic imagery) and their practical power is neither simple nor straightforward. For example, the symbolic glorification of women and femininity that took place in the twelfth century was accompanied by the rise of clerical antifeminism and one of the most virulently misogynist periods in European history. We might also note that, although Æthelwulf insisted on granting his wife Judith extraordinary symbolic status and queenly dignity, it was not until Æthelwulf ’s death and Judith’s subsequent marriage to her stepson Æthelbald that she emerged into public life as an active political agent and a regular witness to land-grant charters. Nor can Asser’s expressed support for granting queens symbolic status and his strong opposition to limiting queenly dignity serve as an accurate gauge of Al-

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fred’s own gender politics. Much like his father, Æthelwulf, Alfred appears to have taken measures to limit royal women’s active participation in political life. Alfred’s wife, Ealhswith, does not attest any known charters until after Alfred’s death in 899 and the succession of her son, Edward the Elder.71 Nor was Ealhswith given the title of ‘queen’ during her lifetime, and her name is never mentioned in the ‘Life’.72 Likewise, although Alfred’s eldest daughter, Æthelflæd, ruled Mercia from 911 until her death in 918 and held significant tracts of land and fortified burhs, Alfred’s will stipulates clearly that his booklands73 should pass to suitable stryned on þa wæpnedhealfe, “offspring on the weaponed half [male side]”, since his grandfather had bequeathed his land on þa sperehealfe næs on þa spinlhealfe, “on the spear side, not on the spindle side”.74 Although the royal women who appear in the ‘Life’ do not offer a direct reflection of women’s social and political standing in ninth-century Wessex, they do stand to teach us a lot about the mechanisms of power in early medieval culture. Asser’s investment in mining the symbolic potential of queens and royal women for constructing models of royal paternity and for legitimating sovereign power in the Alfredian court alerts us to the methodological importance of studying women and female figures, even during historical periods in which their social and political influence was sharply curtailed. Numerous scholars have uncovered the long-standing masculinist biases of Medieval Studies and argued for the importance of redirecting avenues of scholarly inquiry toward issues of gender. Yet the ongoing project of composing a more balanced, and hence more accurate, account of the past can provide, at best, only a partial rationale for pursuing research oriented around women and gender. Women need to be brought to the forefront of medieval scholarship not only to recenter formerly marginalized or forgotten aspects of the past, but also so that we may understand some of the most traditional, well-studied, and non-gender-specific topics in Medieval Studies. These topics include kingship, the symbolic and textual dimensions of premodern rulership, and the complex interplay of personal and transpersonal elements that enable individuals to dominate large groups of people.

71 See Stephanie Hollis, Anglo-Saxon Women and the Church. Sharing a Common Fate, Woodbridge/Rochester, NY 1992, 215 n. 40. 72 Pauline Stafford, Succession and Inheritance. A Gendered Perspective on Alfred’s Family History, in: Timothy T. Reuter (ed.), Alfred the Great. Papers from the Eleventh-Centenary Conferences (Studies in Early Medieval Britain 3), Aldershot/Burlington, VT 2003, 251–264 (reprinted with the same pagination in Stafford 2006, chap. 3). 73 Bookland was land that was vested by a ‘book’ or charter. Such lands were exempt from customary fiscal burdens and could be alienated (i. e., disposed of) at will. 74 Select English Historical Documents of the Ninth and Tenth Centuries, ed. Florence E. Harmer, Cambridge 1914, 19, trans. at 52.

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Shigekazu Kondo

The Personal and Transpersonal Elements of the Governments of Thirteenth-Century Japan

Abstract The purpose of this paper is to examine the personal and transpersonal elements of the governments of thirteenth-century Japan. In this era, two governments existed simultaneously: one in Kyo¯to and another in Kamakura. In the case of the Kyo¯to government, the position of imperial secretary (kuro¯do 藏人) was utilized to limit the arbitrariness of the Emperor (tenno¯天皇). In contrast, the transpersonal character of the Kamakura government manifested itself in the form of judgments during legal suits. Shogunal judgments were provided not by the sho¯gun 將軍 himself but by the shogunal regent (shikken 執權). Whether it was the Kyo¯to government or its military counterpart in Kamakura, an effort was made to eliminate personal elements from ‘state decisions’. However, despite this goal, time and again personal elements reappeared.

1.

Introduction

To begin, we must define precisely the character of personal and transpersonal elements in a government. During a decision-making process within a government, arbitrary actions by a leader are unavoidable. This arbitrariness is the personal element. However, in order to promote stability, it is desirable for the arbitrariness of the leader to be limited as much as is possible during such a process. This is the transpersonal element. The present paper will therefore examine how the arbitrariness of leaders was removed from the governments of thirteenth-century Japan. During the thirteenth century, two governments existed in parallel in Japan: the government in Kyo¯to and the government in Kamakura. The Kyo¯to government was a traditionalist one. It was founded before the seventh century, and its leader was the Emperor (tenno¯). In contrast, the Kamakura government, or shogunate, was established in 1180 as a rebel group against the Kyo¯to government and had a military character. The Kamakura government collapsed in 1333, but two other military governments followed; the final one was abolished in 1867. Throughout this longue durée, the Kyo¯to government gradually declined and

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came to be placed under the protection of the military regime. It survived officially until 1869, when a massive governmental reform was conducted and it was transformed into a modern state. With this background in mind, let us return to the thirteenth century. The governments in Kyo¯to and Kamakura fashioned a cooperative relationship in 1183, and these bonds endured for one hundred and fifty years. The leaders of the Kamakura government were given the title of ‘General’ (sho¯gun) by the leaders of the Kyo¯to government. However, each government had separate spheres of influence. The relations of the two governments between 1183 and 1333 could thus, in my opinion, be characterized as diplomatic relations.1 The case of Kyo¯to and the case of Kamakura will be discussed separately in this study.

2.

The Personal and Transpersonal Elements of the Kyo¯to Government

The Kyo¯to government imported a Chinese system of governance and modified its political structure during the sixth and seventh centuries. Early in its existence, this government used various locations as capitals. However, after Kyo¯to was established as capital in 794, it continually functioned as such for more than one thousand years. Although this government was originally based on a Chinese model, unnecessary systems were abolished and necessary new ones added. A new system was constructed, one that was different from the imported Chinese one. The Emperor (tenno¯) and the Council of State (daijo¯kan 太政官) were two organs of this government. They discussed and debated each other’s ‘will,’ and collaboratively formed the will of the government. The Council reported state affairs and sought approval from the Emperor. The Emperor’s approval was announced by the Council, which was supported by two secretariats. When the Council was ready to announce the approval of the Emperor, the first secretariat

1 Kondo Shigekazu 近藤成一, Kamakura Jidai Seiji Ko¯zo¯ no Kenkyu¯ 鎌倉時代政治構造の研 究 [The Structure of Politics in the Kamakura Era], Tokyo 2016, 258–262. My opinion is based on the theory of Shin’ichi Sato¯ 佐藤進一. Sato¯ insisted that the Kyo¯to government was one state and the Kamakura government was another state. His theory is a criticism of the theory of Toshio Kuroda 黒田俊雄. Kuroda insisted that the Kyo¯to government and the Kamakura government constituted a single state. Kuroda’s theory has been supported by Mikael Adolphson. Kuroda Toshio, Nihon Chu¯sei no Kokka to Shu¯kyo 日本中世の国家と宗教 [The State and Religion in Medieval Japan], Tokyo 1974; Sato¯ Shin’ichi, Nihon no Chu¯sei Kokka 日 本の中世国家 [The Medieval Japanese State], Tokyo 1983; Mikael S. Adolphson, The Gates of Power. Monks, Courtiers, and Warriors in Premodern Japan, Honolulu 2000.

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(benkankyoku 弁官局) created a written document; the second secretariat (gekikyoku 外記局) stamped seals on the document for confirmation.2 On the one hand, this careful procedure was constructed so that the decisionmaking of the government would not be influenced by personal arbitrariness. On the other hand, it was complicated and was hard to use when responding to an emergency. An official procedure was used for ceremonial but non-urgent affairs. However, for urgent affairs, a simplified procedure was needed. A document without seals stamped by the second secretariat was issued. More specifically, it was not a document of the Council but a document of the first secretariat. However, it had an effectiveness akin to that of one issued by the Council. The stamping by the second secretariat came to be carried out not at any time but only on fixed days.3 The Emperor’s will was announced by the Council. When an imperial secretary (kuro¯do) received his master’s edict, he conveyed it to one of the councilors in charge of the Council (sho¯kei 上卿). The councilor gave to an official in charge of the first secretariat (ben 弁) an order for the making of documents (see figure 1).

Fig. 1: The structure of the Kyo¯to government.

2 Tomita Masahiro 富田正弘, Chu¯sei Kuge Seiji Monjo Ron 中世公家政治文書論 [On Political Documents Issued by the Medieval Imperial Government], Tokyo 2012, 157–165. 3 Hashimoto Yoshinori 橋本義則, “Gekisei” no Seiritsu. Tojo¯ to Gishiki 「外記政」の成立— 都城と儀式 [The Emergence of the Gekisei. Metropole and Ceremonies] (Shirin 64), Kyoto 1981, 791–827.

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Figure 2 is a document of the Council issued in 1148. In traditional documents of East Asia, the sentences were written from the top to the bottom, from the right side to the left side. The first line was added by the recipient of this document. To be more precise, the second line was originally the part that was written first. The first three Chinese characters of the second line represent the Council. Two red seals of authorization are stamped on top of the black text.

Fig. 2: A Council edict: 1148/5/29 Daijo¯kan cho¯ 太政官牒, To¯ji hyakugo¯ monjo box ma 東寺百合 文書マ函.

Figure 3 is a document produced by the first secretariat of the Council and issued in 1069. The first three Chinese characters are those of the secretariat. There is no seal. When an imperial secretary conveyed a message to one of the councilors in charge of the Council, it functioned as an imperial edict.4 Even if it was really a message of the regent and not a message of the Emperor, it was as effective as a formal imperial edict. From the tenth through eleventh centuries, the father of the Emperor’s mother led a regency by controlling imperial secretaries. When the twelfth century began, the emperors came to retire early in order to watch over and thereby ensure the enthronement of their own children. The retired Emperor ruled as the father or grandfather of the Emperor. He, in place of the regent (as had been the case during the previous century), instructed an imperial secretary to convey messages to one of the councilors in charge of the Council. Such messages also functioned as imperial edicts. 4 Tomita 2012, 239–296.

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Fig. 3: A Secretariat of Council edict: 1069/10/1 Kansenji 官宣旨, To¯ji hyakugo¯ monjo box ma 東 寺百合文書マ函.

Between 1183 and 1333, sixteen emperors ascended the throne. On average, they succeeded to the throne at the age of eleven and abdicated when twenty years old, before dying at the age of forty-six. Thus, the average length of reign was nine years and the average number of years after abdication was three times the number of years reigning. Unsurprisingly, it became common that multiple exemperors existed at the same time. These ex-emperors would then compete for power and influence.5 As a result, two emperors existed simultaneously in two different courts during the period from 1336 to 1392.

5 Kondo Shigekazu, Tenno¯ no Jo¯i to Insei. Kamakurajidai wo Chu¯shin ni 天皇の譲位と院政— 鎌倉時代を中心に— [Imperial Succession and Rule by Retired Emperors. With a Focus on ¯ ken to Zen So¯gaku 中世日 the Kamakura Era], in: Kojima Tsuyoshi (ed.), Chu¯sei Nihon no O 本の王権と禅・宋学 [Kingship in Medieval Japan under the Influence of Chan/Zen Buddhism and Neo-Confucianism], Tokyo 2018, 167–192.

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3.

Shigekazu Kondo

The Personal and Transpersonal Elements of the Kamakura Government

Nine people took office as leader of the Kamakura government between 1183 and 1333. The title of the leader was ‘General’ (sho¯gun). This title was used until 1867 by the two military governments that followed the Kamakura Shogunate. The first sho¯gun was MINAMOTO no Yoritomo 源賴朝 (1147–1199). He was the founder of the Kamakura government, and his position and title were received in turn by his two sons. However, his dynasty came to an end in just two generations. The fourth and fifth sho¯guns came from the family of regents for the Kyo¯to government. The sixth to ninth sho¯guns were sons or grandsons of the Emperor, the leader of the Kyo¯to government. The second sho¯gun was replaced and murdered. The third was assassinated while holding the position. All the sho¯guns from the fourth to the ninth were replaced during their own lifetimes and were sent back home to Kyo¯to. The Kamakura government was thus led by warriors serving the sho¯gun, who were united as his retainers. The sho¯gun was therefore an existence that transcended the retainers. Although the retainers had a sho¯gun above them, they would simultaneously strive to keep him away from the reality of politics. The problem most important for the Kamakura government was how to adjudicate land disputes between retainers. The results of these decisions were authoritative because they were stated in the name of the sho¯gun. However, it contradicted the patronage responsibilities of the sho¯gun to provide a judgment in cases where both of the litigant parties were among his retainers. A victory for one meant a defeat for the other. It was, after all, the duty of the master under all circumstances to protect a vassal. A post was established to solve this contradiction and provide legal judgments. The post was successively inherited by the Ho¯jo¯ clan. The Ho¯jo¯ were one of the shogunal retainer families. It should be noted that they were not the most powerful of the retainers at first. However, the wife of Yoritomo, the first sho¯gun, was from the Ho¯jo¯ family. She gave birth to the second and third sho¯guns, and her father acted as regent. The position of regent (shikken) was inherited by his descendants, though they eventually had no maternal relationship with the sho¯gun. The second Ho¯jo¯ regent established power by destroying influential rival vassals and winning a war against the Kyo¯to government. The third regent established authority through a system of fair trials and the creation of a legal code. His authority made it possible for his descendants to succeed to the post and provide legal judgments.6

6 Kondo 2016, 14–20.

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Figure 4 shows an example of a judgment issued by the Kamakura government. This is a document issued in 1250.7 In the first line, the names of the plaintiff and the defendant are written, along with an article of dispute. Next, the claim of the plaintiff, the claim of the defendant, and evidence are quoted in turn. Then, an explanation for the judgment is given and the formal text of the judgment is provided. At the end, a fixed expression is written: “In pursuance of the command of the Lord of Kamakura, the decree is granted thus.” After this final passage, a date is written, and the Ho¯jo¯ regent and his associate have signed.

Fig. 4: A Shogunate order: 1250/4/28 Kanto¯ gechijo¯ 關東下知狀, Irikiin-ke Monjo 入来院家文書.

4.

Conclusion

We can see personal and transpersonal elements both in the Kyo¯to government and in the Kamakura government. However, these elements must be contrasted in order to understand them fully. In the case of the Kyo¯to government, a previously complicated mechanism of governance was simplified. In order that the ‘national will’ become transpersonal, the position of the imperial secretary was utilized. However, since the imperial secretary could also be influenced by the regent or the father of the Emperor, a personal element again seeped into the government. The Kamakura government, being new, had a simpler structure. The sho¯gun himself embodied the personal element in the Kamakura government. The government’s transpersonal character 7 This document was translated into English in Kan’ichi Asakawa, The Documents of Iriki. Illustrative of the Development of the Feudal Institutions of Japan, New Haven 1929, 130–134.

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Shigekazu Kondo

was realized in the form of shogunal judgments. The Ho¯jo¯ regent fulfilled this role within the government. Yet, as the power of the Ho¯jo¯ increased, ironically, the personal will of the Ho¯jo¯ leader also functioned as a personal element. In conclusion, whether it was in the Kyo¯to government or its military counterpart in Kamakura, an effort was made to eliminate personal elements from ‘state decisions’. However, despite this goal, personal elements reappeared again and again.

Secondary literature Mikael S. Adolphson, The Gates of Power. Monks, Courtiers, and Warriors in Premodern Japan, Honolulu 2000. Kan’ichi Asakawa, The Documents of Iriki. Illustrative of the Development of the Feudal Institutions of Japan, New Haven 1929. Hashimoto Yoshinori 橋本義則, “Gekisei” no Seiritsu. Tojo¯ to Gishiki 「外記政」の成 立—都城と儀式 [The Emergence of the Gekisei. Metropole and Ceremonies] (Shirin 64), Kyoto 1981, 791–827. Kondo Shigekazu 近藤成一, Kamakura Jidai Seiji Ko¯zo¯ no Kenkyu¯ 鎌倉時代政治構造の 研究 [The Structure of Politics in the Kamakura Era], Tokyo 2016. Kondo Shigekazu, Tenno¯ no Jo¯i to Insei. Kamakurajidai wo Chu¯shin ni 天皇の譲位と院政 —鎌倉時代を中心に— [Imperial Succession and Rule by Retired Emperors. With a ¯ ken to Zen Focus on the Kamakura Era], in: Kojima Tsuyoshi (ed.), Chu¯sei Nihon no O So¯gaku 中世日本の王権と禅・宋学 [Kingship in Medieval Japan under the Influence of Chan/Zen Buddhism and Neo-Confucianism], Tokyo 2018, 167–192. Kuroda Toshio 黒田俊雄, Nihon Chu¯sei no Kokka to Shu¯kyo 日本中世の国家と宗教 [The State and Religion in Medieval Japan], Tokyo 1974. Sato¯ Shin’ichi 佐藤進一, Nihon no Chu¯sei Kokka 日本の中世国家 [The Medieval Japanese State], Tokyo 1983. Tomita Masahiro 富田正弘, Chu¯sei Kuge Seiji Monjo Ron 中世公家政治文書論 [On Political Documents Issued by the Medieval Imperial Government], Tokyo 2012.

Abbildungsnachweise: Fig. 1: Diagram, S.K. Fig. 2: From the Hyakugo Archives WEB: Archives of Toji Temple Contained in One Hundred Boxes Online, Kyoto Institute, Library and Archives, http://www.pref. kyoto.jp/rekisaikan/. Fig. 3: From the Hyakugo Archives WEB: Archives of Toji Temple Contained in One Hundred Boxes Online, Kyoto Institute, Library and Archives, http://www.pref. kyoto.jp/rekisaikan/. Fig. 4: Possessed by the Historiographical Institute, the University of Tokyo, from the website of the Institute: http://www.hi.u-tokyo.ac.jp/iriki.html.

Martin Clauss

Überlegungen zur militärischen Macht eines mittelalterlichen Herrschers am Beispiel Eduards III. von England1

Abstract This article is concerned with Edward III’s military power and seeks to explain what the king could achieve by military means, where and why these means were limited, and what can be said about the concept of transpersonality in the sphere of the military and warfare. Power is understood here as the ability to make a social group follow one’s intentions in a given situation. This leads to the methodological problem of establishing what the king’s intentions were at any given moment of his reign or in a broader perspective. If we fall back on the most basic assumptions regarding Edward’s war efforts against Scotland and France – establishing English suzerainty and finding a lasting solution for the status of Aquitaine – it becomes obvious that the result of any assessment depends on what time frame is chosen. Looking at the reign from its end, its failure becomes obvious – especially with regard to France. Here, we see that Edward was able to bring numerous troops to the battlefield and win impressive victories in battle, most notably at Sluis (1340) and at Crécy (1346). Military triumph on the battlefield led to political success when great parts of France were handed over to Edward in the Treaty of Brétigny (1360). But neither of these successes lasted for long. Even though Edward was capable of sending substantial numbers of troops to France time and again, his potential to enforce his will on his opponents was always limited. In terms of strategy and tactics, his victories depended not only on his own troops and skills but also on his opponents’ behaviour. When the French avoided pitched battle and thus did not give the English the opportunity to enforce their tactical advantage, Edward’s military power brought him no political gain. At the end of his reign, all the accomplishments in France were lost. Despite these setbacks, Edward’s reputation remained strong right up to the end of his reign and – with varying intensity – long after that. His war efforts were not only directed against his military adversaries but also had a very strong impact on Edward’s domestic reputation as king and on his rule. It is in this field that we can see how important the king’s personal involvement in war and warfare was. Edward could delegate certain functions of his military leadership at any given time without diminishing his royal authority. This is especially true when command was handed over to royal representatives. But there were 1 Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der Universität Bonn und des SFB 1167 für die Einladung zur Tagung, die diesem Sammelband zugrunde liegt – dieser Dank gilt ganz besonders Frau Professor Andrea Stieldorf. Dr. Tobias Weller (Bonn) danke ich für Anregungen zum Vortrag, Antonia Krüger, M.A., und Sebastian Schaarschmidt, M.A., (beide Chemnitz) für Anregungen und Korrekturen zum Aufsatzmanuskript.

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Martin Clauss

many occasions when Edward acted in person and used his personal engagement to stabilize his royal authority. The king led his troops and fought in combat in person, risking not only his personal well-being but also the stability of government and the monarchy. He used this to form a tie between himself and his noble subjects that encouraged them to participate in his wars and to support his rule. In this respect, Edward was very successful throughout his reign. His position as king was never truly questioned, even at times of political failure and personal decline. Military power and personal involvement in its exertion were one basis of Edward’s unchallenged reign. His case shows that a straightforward separation of medieval rulership into categories such as ‘personal’ and ‘transpersonal’ is not helpful. Both aspects had their place, and they cannot be forced into a developmental sequence or relationship of mutual exclusivity.

1.

Einführung

Thomas Walsingham widmet einen Abschnitt seiner ‚Chronica Maiora‘ der Persönlichkeit des verstorbenen Eduard III.;2 der Benediktinermönch aus St. Albans schrieb aus der Rückschau mit dem Wissen um die Regierungskrise unter Eduards Enkel und Nachfolger Richard II. und idealisierte Eduard, unter anderem als stets erfolgreichen Kriegerkönig: Belliger quoque fuit insignis et fortunatus; qui de cunctis congressibus, in terra et in mari, semper triumphali gloria victoriam reportavit.3 Der siegreiche König triumphiert im Krieg über seine Feinde, immer und überall. Militärische Siege werden hier direkt mit der Person des Königs verbunden, der persönlich im Feld und zur See kriegerisch aktiv ist. Dies stellt offensichtlich keine kritische Analyse der militärischen Aktivitäten und Möglichkeiten des Monarchen dar, sondern eine von idealisierenden Vorstellungen getragene Zuschreibung. Sie verweist auf die hohe Bedeutung des Krieges für das Königtum und die Reputation Eduards III.4 Er war

2 Vgl. zu Autor und Werk Thomas Walsingham, Chronica Maiora, übers. v. David Preest, Woodbridge 2005, 1–20. 3 „Als Krieger war er ausgezeichnet und vom Glück begünstigt. Aus allen Schlachten, zu Lande und zu Wasser, trug er immer mit triumphalem Ruhm den Sieg davon.“ The St Albans Chronicle. The Chronica Maiora of Thomas Walsingham, 2 Bde., Bd. 1: 1376–1394, ed. u. übers. John Taylor/Wendy R. Childs/Leslie Watkiss (Oxford Medieval Texts), Oxford 2003, 988 (Appendix 3). Das Zitat erscheint in einer Version der Chronik, in der sogenannten ‚Short Chronicle‘. Vgl. hierzu die Vorbemerkung XXXIV–XLI. 4 Zum Zusammenhang von Königtum und Krieg im Mittelalter vgl. Martin Clauss/Andrea Stieldorf/Tobias Weller (edd.), Der König als Krieger. Zum Verhältnis von Königtum und Krieg im Mittelalter (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien – Vorlesungen & Vorträge 5), Bamberg 2016. Darin mit Bezug auf Eduard III.: Martin Clauss, Krieg der Könige. Monarchen auf den Kriegszügen des Hundertjährigen Krieges, 223–264. Vgl. auch Martin Clauss, Kings as military leaders, in: Clifford J. Rogers (ed.), The Oxford Encyclopedia of Medieval Warfare and Military Technology 2 (2010), 466.

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einer der Könige, die die englische Forschung ‚warrior-kings‘ nennt und steht mit seinen militärischen Erfolgen in einer Reihe mit Eduard I. und Heinrich V.5 Eduard führte Kriege gegen zwei benachbarte Königreiche: Er setzte die Auseinandersetzungen mit Schottland fort, die unter seinem Großvater Eduard I. begonnen hatten, und intensivierte die – ebenfalls schon seit Jahrzehnten andauernden – Konflikte mit dem Königreich Frankreich: Die Auseinandersetzungen um die lehnsrechtliche Stellung des englischen Königs als Herzog von Aquitanien wurden unter Eduard III. um die Frage der Thronfolge in Frankreich erweitert und so zu den Anfängen des Hundertjährigen Krieges.6 Eduards Beurteilung bei mittelalterlichen Chronisten und in der geschichtswissenschaftlichen Forschung hängt eng mit seinen Kriegen und seinen Schlachtsiegen zusammen. Wo ihn die Chronisten – wie Thomas Walsingham – mit Bezug auf seine Siege loben, tadelt die englische Forschung seit dem 19. Jahrhundert einen König, der zu wenig Staatsmann und zu viel Krieger gewesen sei.7 James Mackinnon etwa rechnet mit Eduard und seinen Chronisten gleichermaßen ab: „For Froissart and most of his superficial fellow-chroniclers in this fighting age, material prowess covers a multitude of sins.“8 Für Mackinnon 5 Die Literatur zu Eduard III. ist Legion. Hier sei nur auf jüngere biographische Studien verwiesen: Jonathan Sumption, Edward III. A Heroic Failure, London 2016; W. Mark Ormrod, Edward III (Yale English Monarchs), New Haven 2013 (mit vielfältiger weiterer Literatur), grundlegend dafür: W. Mark Ormrod, The Reign of Edward III, Stroud 2000; Ian Mortimer, The Perfect King. The Life of Edward III, Father of the English Nation, London 2006. Zum Königtum Eduards vgl. etwa Scott L. Waugh, England in the Reign of Edward III, Cambridge 1991 oder Michael Prestwich, The Three Edwards. War and State in England, 1271–1377, New York 1981. Zum Begriff ‚warrior-king‘ vgl. etwa Ormrod 2013, 580. 6 Vgl. zu den Kriegen Eduards III. allgemein Clifford J. Rogers (ed.), The Wars of Edward III. Sources and Interpretations (Warfare in History) Woodbridge 1999 und Clifford J. Rogers, War cruel and sharp. English Strategy under Edward III, 1327–1360 (Warfare in History), Woodbridge 2000. Zu den Kriegen mit Schottland vgl. Andy King/David Simpkin (edd.), England and Scotland at War, c. 1296–c. 1513, Leiden/Boston 2012 (mit weiterer Literatur) und zum Hundertjährigen Krieg Martin Clauss, Das Ringen zwischen England und Frankreich. Der Hundertjährige Krieg, in: Klaus Herbers/Florian Schuller (edd.), Europa im 15. Jahrhundert. Herbst des Mittelalters – Frühling der Neuzeit?, Regensburg 2012, 183–203 (mit weiterer Literatur). Zum Verlauf des Krieges unter Eduard III. vgl. die magistrale Überblicksdarstellung von Jonathan Sumption, The Hundred Years War, 4 Bde., Bd. 1: Trial by battle (1337–1347), Philadelphia 1990, Bd. 2: Trial by fire (1347–1369), London 1999 und Bd. 3: Divided houses (1369–1393), Philadelphia 2009. Auf Einzelnachweise zum Ablauf des Konfliktes wird im Folgenden verzichtet. 7 Vgl. zu den wechselnden Beurteilungen Eduards in der englischen Forschung Ormrod 2000, 182–188, der auf die nachhaltige Wirkung des Urteils von William Stubbs verweist. Der Doyen der englischen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts hatte, im Staats- und Regierungsdenken seiner Zeit verhaftet, den Stab über Eduard gebrochen und festgestellt, er sei kein „statesman“ gewesen, sondern ein „warrior“. Vgl. William Stubbs, The Constitutional History of England, 3 Bde., Bd. 2, 4. Aufl., Oxford 1906, 393. Vgl. auch May McKisack, Edward III and the Historians, in: History. The Journal of the Historical Association 45 (1960), 1–15. 8 James Mackinnon, The History of Edward the Third (1327–1377), London 1900, 606.

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war Eduard ein „failure on the throne“, der einem „fatal path of victory“ gefolgt sei.9 Eduards Hinwendung zu Rittertum und Krieg wird hier als Charaktereigenschaft, nicht als Herrschaftsinstrument verstanden und als letztlich erfolglos abgelehnt. Erst in jüngerer Zeit wandelt sich das Bild: Die Beurteilung der Regierungsleistung Eduards III. wird mehr an den Kategorien der Zeit ausgerichtet und damit positiver. Nicht alle Historiker und Historikerinnen gehen dabei so weit wie Ian Mortimer: „By combining chivalric adventuring with military leadership, cultural patronage and political responsibility, he brought together all the real and imagined virtues of a Christian king.“10 Mark Ormord zeichnet ein differenzierteres Bild des Königs; er betont die große Leistung einer sehr langen und unangefochtenen Regierungszeit mit unbestrittener Thronfolge und macht gleichzeitig deutlich, dass gerade diese lange Regierung ein einfaches und einheitliches Urteil erschwert.11 Mit der Skepsis gegenüber dem adligen Krieger, der sein Königreich nur als Ressource für seine Kriege benutzt habe, geht auch ein Wandel in der Einschätzung der militärischen Qualitäten des Königs einher. War er lange Jahrhunderte im Mittelalter und der Frühen Neuzeit als erfolgreicher, ja genialer Feldherr gesehen worden, wurden Anfang des 20. Jahrhunderts seine Fähigkeiten mehr und mehr in Frage gestellt.12 Erst die jüngere militärhistorische Forschung hat ihn als Feldherr und strategischen Planer rehabilitiert.13 Vor dem Hintergrund der engen Verbindung, die zwischen Eduard III., seinem Königtum und dem Krieg besteht, soll er hier als Beispiel für Fragen zur militärischen Macht eines mittelalterlichen Königs dienen.14 Damit stehen militärische Machtmittel im Fokus, wesentlich also der Krieg und die Fähigkeit, diesen zu führen oder anzudrohen. In einem ersten Schritt werden die Mittel, 9 10 11 12

Mackinnon 1900, 609 und 612. Mortimer 2006, 395. Vgl. Ormrod 2013, 603. Vgl. zur Entwicklung in der Beurteilung Eduards vor dem Hintergrund der allgemeinen Einschätzung strategischer und taktischer Möglichkeiten im mittelalterlichen Krieg Clifford J. Rogers, Edward III and the Dialectics of Strategy, 1327–1360, in: Kelly DeVries (ed.), Medieval Warfare 1300–1450, Farnham 2010, 3–22. Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst. Das Mittelalter: Von Karl dem Großen bis zum späten Mittelalter, Nachdruck der zweiten Auflage von 1907, Berlin 2000, 521, hat Eduard III. taktisches „Genie“ attestiert. 13 Vgl. Clifford J. Rogers, Edward III of England, in: The Oxford Encyclopedia of Medieval Warfare and Military Technology 2 (2010), 15–16. Zur Neubewertung der Schlacht und Kampagne von Crécy als Beleg für planerische, strategische und taktische Kompetenzen Eduards vgl. Rogers 2000, 230–272, und Andrew Ayton, The Crécy Campaign, in: Andrew Ayton/Philip Preston (edd.), The Battle of Crécy, 1346, Woodbridge 2005, 35–107. 14 Macht soll hier unter Rückbeziehung auf Max Weber als die Chance verstanden werden, den eigenen Willen innerhalb einer sozialen Beziehung gegen Widerstreben anderer durchzusetzen. Vgl. Max Weber, Soziologische Grundbegriffe, 2. Aufl., Tübingen 1966 (Sonderdruck aus: Ders., Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl., Tübingen 1956), 42.

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welche Eduard auf diesem Gebiet zur Verfügung standen, analysiert; dann wird gefragt, in welchen sozialen Beziehungen er seinen Willen auf diese Weise durchsetzen konnte und damit eng verknüpft, was jeweils das Ziel einer militärischen Aktion war, worin also sein Wille in Bezug auf welche soziale Beziehung bestand. Anschließend geht es im Sinne des Themas dieses Sammelbandes um die Frage nach Personalität und Transpersonalität mit Bezug auf Eduards militärische Macht.

2.

Machtmittel

Die Grundlage aller militärischen Macht war die Fähigkeit, Truppen ins Feld zu stellen.15 Mittelalterliche Kriegserzähler betonen regelmäßig, dass die Relation von eigener und gegnerischer Truppenstärke zwar nicht das einzige, aber doch ein entscheidendes Kriterium für militärischen Erfolg war.16 Die Kriege gegen Schottland und Frankreich, die Eduard III. führte, stellten erhebliche Anforderungen an die finanziellen, personellen und logistischen Kapazitäten seines Königreiches.17 Eduard verfügte, mit Ausnahme einer kleinen Gruppe dem königlichen Haushalt zugehörender Ritter, nicht über ein stehendes Heer; die Truppen wurden vielmehr jeweils für einen Feldzug ausgehoben und nach dessen Beendigung entlassen.18 Unter Eduard erfolgte die Anwerbung oftmals auf vertraglicher Basis und wurde von einer lehnsrechtlichen auf ökonomische Grundlagen umgestellt; dies ist Teil dessen, was die Forschung als ‚military revolution‘ bezeichnet und neben anderen König Eduard zuschreibt.19 Diese Rekrutierungsmethode hatte aus Sicht der Krone den Vorteil, vergleichsweise homogene und gut kontrollierbare Kampfverbände zu produzieren, die nicht den lehnsrechtlichen Zwängen und Beschränkungen unterworfen waren.20 Besonders 15 Zur Truppengröße im Mittelalter vgl. John France, Armies, Size, in: The Oxford Encyclopedia of Medieval Warfare and Military Technology 1 (2010), 65–67. 16 Vgl. etwa eine Episode, die der Chronist Robert von Avesbury zu einem Feldzug Eduards III. im Jahr 1340 erzählt: Robertus de Avesbury, De gestis mirabilibus regis Edwardi Tertii, in: Adae Murimuth continuatio chronicarum. Robertus de Avesbury De gestis mirabilibus regis Edwardi Tertii, ed. Edward Maunde Thompson (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 93), London 1889, 277–471, hier 310–312. 17 Vgl. hierzu etwa Prestwich 1981 oder Herbert James Hewitt, The Organization of War under Edward III 1338–62, Manchester 1966. 18 Vgl. zum Folgenden Michael Prestwich, Armies and Warfare in the Middle Ages. The English Experience, New Haven/London 1996, 57–113. 19 Die Debatte um die ‚military revolution‘ muss hier nicht nachgezeichnet werden. Vgl. die bei Ormrod 2013, 596, genannte Literatur. 20 Vgl. Andrew Ayton, English Armies in the Fourteenth Century, in: Anne Curry/Michael Hughes (edd.), Arms, Armies and Fortifications in the Hundred Years War, Woodbridge 1994, 21–38.

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für die von Eduard anvisierte Kriegsführung jenseits des eigenen Königreiches hatten sich die Lehnstruppen zunehmend als unzureichend erwiesen. Dieser Zugewinn an kriegerischer Qualität hatte freilich einen hohen Preis: Eduards Kriege waren für die englischen Staatsfinanzen ausgesprochen kostspielig und brachten diese situativ immer wieder an ihre Grenzen.21 In der rückschauenden Analyse ist klar, dass die englischen Mittel nicht ausreichten, um die Kriege gegen Schottland und Frankreich auf lange Dauer erfolgreich zu finanzieren. Eduard hatte immer wieder Schwierigkeiten, seine Truppen im Feld zu bezahlen und war gezwungen, Kriegszüge vor dem Erreichen seiner militärischen Ziele zu beenden – so etwa im September 1340, als er die Belagerung von Tournai abbrechen musste.22 Verglichen mit den Plänen und Ambitionen des Monarchen, soweit wir diese konkret greifen können, blieben die Kontingente oftmals hinter den Erwartungen zurück, so dass Feldzüge verschoben, abgesagt oder mit kleineren Kontingenten als erhofft durchgeführt werden mussten.23 Eduard schätzte die Leistungsfähigkeit seiner Bürokratie und ihre Möglichkeiten, Finanzmittel zu generieren, immer wieder falsch ein.24 Anders gewendet war der König nicht immer bereit, seine strategischen Ambitionen mit seinen finanziellen Ressourcen abzugleichen. Trotz dieser Einschränkungen standen Eduard beträchtliche Machtmittel zur Verfügung. In seine Regierungszeit fällt das zahlenmäßig größte Kontingent, das England im Verlaufe des 14. und 15. Jahrhunderts überhaupt aufstellte: 1347 im Zuge der Belagerung der französischen Hafenstadt Calais umfasste Eduards Heer auf dem Höhepunkt seiner numerischen Stärke circa 26.000 Mann.25 Vergleiche mit den Kontingenten der militärischen Gegner sind auf Grund der oftmals lückenhaften Quellenlage und der allgemeinen methodischen Probleme, die zahlenmäßige Stärke mittelalterlicher Heeresverbände zu erfassen, sehr schwierig. So liegen etwa zu den französischen Kräften bei der Schlacht von Crécy 1346 keine belastbaren Angaben vor – die Forschung schätzt diese auf etwa 20.000,26 20.–25.00027 oder 38.000.28 Auf englischer Seite sind die Angaben auf Grund von 21 Vgl. etwa zur dramatischen Situation zwischen 1337 und 1340 Edmund Boleslav Fryde, Financial Resources of Edward III in the Netherlands, 1337–40 (2nd part), in: Revue belge de philologie et d’histoire 45/4 (1967), 1142–1216. 22 Vgl. Kelly DeVries, Contemporary Views of Edward III’s Failure at the Siege of Tournai, 1340, in: Nottingham Medieval Studies 39 (1995), 70–105. 23 Vgl. für abgesagte bzw. verschobene Feldzüge des Königs Ormrod 2003, 248 (1341, Flandern) oder 330 (1352, Gascogne). 24 Sumption 2016, 39 hat es pointiert formuliert: „Finance was always Edward III’s weak point.“ 25 Angaben zur Stärke mittelalterlicher Heere sind methodisch immer problematisch. An dieser Stelle ist weniger die exakte Zahl entscheidend, denn die Größenordnung und der Größenvergleich. Vgl. hierzu Sumption 2016, 59. 26 Georges Minois, La guerre de Cent ans. Naissance de deux nations, Paris 2008, 121. 27 Sumption 1999, 526.

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Verwaltungs- und Finanzquellen für den Beginn des Feldzuges etwas verlässlicher; sie belaufen sich auf etwa 14.000 Mann29 – unklar bleibt dabei, wie viele Männer der König in die Schlacht führte, da wir die Verluste während des Feldzuges nicht genau beziffern können. Einig sind sich Quellen und Forschung darin, dass die englischen den französischen Truppen zahlenmäßig deutlich unterlegen waren. Dies spiegelt die Kräfteverhältnisse für die allermeisten militärischen Aktionen Eduards gegen seine französischen Widersacher: Die strukturelle Unterlegenheit des englischen gegenüber dem französischen Königreich, verbunden mit den Transportproblemen der Engländer, führten in der Regel zu einer numerischen Unterlegenheit Eduards. Grundsätzlich waren Truppen für die Landesverteidigung einfacher zu rekrutieren als für offensive Unternehmungen in der Ferne. So vermochten die Engländer im Oktober 1346 – zu einer Zeit also, als der Großteil der Truppen auf dem Crécy/Calais-Feldzug in Frankreich gebunden waren –, etwa 10.000 Mann gegen ein schottisches Invasionsheer ins Feld zu führen: Bei Neville’s Cross in der Nähe von Durham besiegte dieses Kontingent ein mit circa 12.000 Kämpfern deutlich stärkeres Heer.30 Damit sind wir bei einem zweiten Aspekt der militärischen Machtmittel Eduards III.: War er in der Lage, mit seinen Truppen Siege zu erringen? Auf den ersten Blick ist diese Frage leicht zu beantworten: Zeitgenössische Panegyriker und englische Militärhistoriker gleichermaßen werden nicht müde zu betonen, dass Eduard der größte, beste und erfolgreichste Feldherr seiner Zeit war.31 Vielzitiert ist in diesem Zusammenhang das Diktum der ‚Chronique des quatre premiers Valois‘, nach der Eduard le plus sage guerroier du monde et le plus soubtil32 gewesen sei. Interessant sind hier nicht nur die Attribute, die einen überragenden Krieger auszeichnen, Weisheit und Klugheit, nicht Tapferkeit und Heldenmut, sondern auch, dass das Lob aus dem Mund des militärischen Gegners stammt. Es erweist sich bei genauerer Analyse als vergiftetes Kompliment. Es bezieht sich auf den Feldzug Eduards in den Jahren 1359–1360 und verweist darauf, dass Eduard die Stadt Reims, den traditionellen Krönungsort der fran-

28 Christian Teutsch, Crécy, Battle of, in: The Oxford Encyclopedia of Medieval Warfare and Military Technology 1 (2010), 438–440, dessen Angaben freilich inkonsistent sind. 29 Vgl. Andrew Ayton, The English Army at Crécy, in: Andrew Ayton/Philip Preston (edd.), The Battle of Crécy, 1346, Woodbridge 2005, 159–251, hier 189 oder Sumption 2016, 51. Minois 2008, 115 schätzt die Stärke von Eduards Truppen für den Feldzug auf 15.–20.000, für die Schlacht dann auf etwa 10.000 (120). 30 Vgl. zur Schlacht David W. Rollason/Michael Prestwich (edd.), The Battle of Neville’s Cross, 1346 (Studies in North-Eastern History, 2), Stamford 1998; zu den Zahlenangaben vgl. Amanda Beam, Neville’s Cross, Battle of, in: The Oxford Encyclopedia of Medieval Warfare and Military Technology 3 (2010), 55–56. 31 Vgl. etwa Rogers 2000, 9. 32 Chronique des quatre premiers Valois 1327–1393, ed. Siméon Luce, Paris 1862, 114.

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zösischen Könige, nicht einnehmen konnte.33 Hier wird also das Talent des Gegners gelobt, um dessen Niederlage und den eigenen Erfolg zu betonen. Damit ist auf ein Dilemma in den Kriegen Eduards III. verwiesen. Der englische Monarch ging siegreich aus allen Schlachten hervor, die er schlug. Unter seiner Herrschaft errangen er und seine Feldherren im militärischen Sinne fulminante Siege: Eduard persönlich in Feldschlachten bei Halidon Hill in Schottland (1333), bei Sluis vor der flandrischen Küste (1340) und bei Crécy (1346), bei der Belagerung von Calais (1347), sein Sohn Eduard in Schlachten bei Poitiers (1356) oder bei Nájera (1367) und bei der Belagerung von Limoges (1370), nordenglische Adlige bei Neville’s Cross (1346). Sieg und Niederlage waren nicht nur eine Frage der Truppenstärke, sondern auch der strategisch-taktischen Disposition, der logistischen Planung und des Zufalls. Dabei besteht wenig Zweifel daran, dass Eduard persönlich für strategische Entscheidungen und taktische Aufstellungen in den Kriegszügen verantwortlich war, die er selbst anführte.34 Eduards Siege beruhten auf der Kombination von aggressiver Strategie und defensiver Taktik.35 Erstere sollte dem Gegner Schaden zufügen (und den eigenen Truppen Beute verschaffen) und ihn zur Schlacht zwingen. Hierzu zogen die Truppen Eduards brandschatzend und plündernd durch Frankreich in einem Krieg, den Clifford Rogers in seiner Monographie zur Strategie Eduards als „cruel and sharp“ bezeichnet hat.36 Stellte sich der Gegner Eduards Truppen zur Schlacht, zogen sich diese in eine defensive Position zurück, in der abgesessene Ritter und Bogenschützen das Anreiten des Gegners abwarteten und für diesen verlustreich zurückschlugen.37 Dieses Vorgehen beruhte auf zwei Prämissen: Der Gegner musste die Schlacht annehmen und diese offensiv führen. Nur wenige Szenarien entsprachen diesen Vorgaben: Von Eduards Schlachten im Hundertjährigen Krieg trifft dies nur auf Crécy zu. Bei allen anderen Feldzügen, die Eduard anführte, entzogen sich die Franzosen der Schlacht: Vor Crécy stand Philipp VI. zwar mit einem eigenen Heer im Feld, weigerte sich aber, seine defensiven Positionen zu verlassen; nach Crécy und vor allem nach Poitiers vermieden die Franzosen die offene Konfrontation konsequent, verteidigten ihre befestigten Plätze und ließen das englische Heer so ins Leere laufen. Eduards militärischen Möglichkeiten waren also durch das stra33 Zum historischen Hintergrund vgl. Sumption 1999, 424–435. 34 Vgl. hierzu die Arbeiten von Rogers 1999, 2000 und 2010. Vgl. zum Folgenden auch Clauss 2016. 35 Vgl. Rogers 2000, 266. 36 Rogers 2000. 37 Vgl. Matthew Bennett, The Development of Battle Tactics in the Hundred Years War, in: Anne Curry/Michael Hughes (edd.), Arms, Armies and Fortifications in the Hundred Years War, Woodbridge 1994, 1–20. In der Forschung besteht keine Einigkeit darüber, ob einige Schlachten von englischer Seite intendiert waren. Vgl. Prestwich 1996, 305–311.

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tegische Verhalten seiner Gegner Grenzen gesetzt. Marschgeschwindigkeiten und Aufklärungsdichte machten es für mittelalterliche Feldherren grundsätzlich schwierig, den Gegner gegen seinen Willen zur Schlacht zu zwingen. In der Regel konnte sich dieser durch Manövrieren oder Festhalten an einer defensiven Position entziehen. Damit waren jeder Strategie, die nicht auf Eroberung, sondern Schlachtensiege ausgelegt war, enge Grenzen gesetzt. Der Triumph von Crécy passt sich hier insofern ein, als dass Philipp VI. 1346 nach etlichen Schlachtvermeidungen in vorangegangenen Feldzügen diese Option wegen des Prestigeschadens innerhalb der kriegeradligen Wertvorstellungen seiner Ritterschaft nicht mehr zur Verfügung stand.38 Nach der Niederlage und noch deutlicher nach der seines Sohnes und Nachfolgers bei Poitiers kehrten sich die Vorzeichen um: Nun standen das Schlachtvermeiden und der langfristige strategische Erfolg im Vordergrund. Dem hatte Eduard strategisch nichts entgegenzusetzen. Eduard und seine Feldherren vermochten also sehr wohl, militärische Siege zu erringen. Ihre Taktik erwies sich als erfolgreich und versetzte sie im Kontext der Schlacht in die Lage, dem Gegner ihren Willen aufzuzwingen. Auf der strategischen Ebene sah die Sachlage anders aus: Hier ließen sich die militärischen Machtmittel nur dann erfolgreich implementieren, wenn der Gegner dies – intentional oder akzidentiell – zuließ. Dies bringt uns zum viel zitierten Diktum des englischen Militärhistorikers Charles Oman, Eduard sei ein „very competent tactitian but a very unskilful strategist“ gewesen, und zur Frage, wie Eduard seinen Willen jenseits des Schlachtfeldes gegen Widerstand durchsetzen konnte.39

3.

Durchsetzung des eigenen Willens

Was konnte Eduard mit seinen militärischen Machtmitteln in Bezug auf welche soziale Bindung erreichen? Die Antwort auf diese Frage geht mit der methodischen Schwierigkeit einher, Aussagen über den Willen Eduards und damit seine politischen Konzeptionen und Ambitionen machen zu wollen. Auf die Intentionen des Königs, seien diese politischer oder militärischer Natur, können wir vornehmlich aus den uns überlieferten Handlungen rückschließen.40 Man muss 38 Vgl. Michael Prestwich, The Battle of Crécy, in: Andrew Ayton/Philip Preston (edd.), The Battle of Crécy, 1346, Woodbridge 2005, 139–157, hier 147. Hier geht es nicht um die konkrete Konstellation der Schlacht (Ort und Zeit), sondern die grundsätzliche Bereitschaft, sich einer Schlacht zu stellen. 39 Charles Oman, A History of the Art of War. The Middle Ages from the Fourth to the Fourteenth Century, 1898, 591. 40 Dieser Problematik kann hier nicht im Detail nachgegangen werden. Vgl. dazu schon Geoffrey Templeman, Edward III and the Beginnings of the Hundred Years War, in: Transactions of the Royal Historical Society 2 (1952), 69–88, 77: „Thus historians have usually and

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mittelalterliche Kriege dabei sicherlich nicht ausschließlich im clausewitzschen Sinne als Fortführung von Politik mit anderen Mitteln verstehen.41 Krieg konnte im kriegeradligen Verständnis auch gleichsam Selbstzweck oder schlicht Vehikel für ökonomischen Gewinn sein.42 Eduards Kriege verfolgten darüber hinaus sicherlich auch politische Ziele, die man, mit aller methodischen Vorsicht, sehr allgemein so formulieren kann: die politische Dominanz gegenüber Schottland, die Absicherung der Festlandbesitzungen in Frankreich und – damit verschränkt – die Erlangung der französischen Krone. In den Verhandlungen rund um die Freilassungen des schottischen Königs David II., der 1346 bei Neville’s Cross in Gefangenschaft geraten war, und des französischen Königs Johann II., der 1356 bei Poitiers gefangen wurde, zeigt sich, wie flexibel Eduard mit diesen politischen Zielen umging.43 Der Vertrag mit dem schottischen König enthielt keinen Hinweis auf die englische Oberhoheit oder Gebietsabtretungen an die englische Krone; im Friedensvertrag von Calais mit Frankreich verzichtete Eduard auf seine Thronansprüche gegen umfangreiche Gebietsabtretungen. Bei aller methodischen Vorsicht kann man rückblickend festhalten, dass es Eduard nur sehr begrenzt gelungen ist, seine politischen Ziele militärisch umzusetzen. Entscheidend für die Beurteilung Eduards ist vor allem der Zeitpunkt, den man dieser zugrunde legt. Die englische Forschung vergleicht Eduard III. immer wieder mit Heinrich V. (König von 1413–1422), der ähnlich erfolgreich im Krieg agierte, Englands Stellung in Europa beförderte und einen englischen Sieg im Hundertjährigen Krieg in greifbare Nähe gebracht hatte.44 Anders als Eduard starb Heinrich V. im Alter von 34 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Macht (nach den Siegen von Agincourt und Rouen und dem Vertrag von Paris 1420). Ian Mortimer, ein großer Fan Eduards III., formuliert in seiner Biographie mit dem vielsagenden Titel ‚The Perfect King‘, dass wir Eduard heute als ‚Eduard den Großen‘ erinnern würden, wäre er auf dem Höhepunkt seiner Macht 1363 verstorben.45 Dem könnte man entgegenhalten, dass wir Eduard heute als politischen Träumer erinnern würden, wäre er schon 1340 – vor seinen militärischen Siegen bei Sluis und Crécy und dem daraus resultierenden politischen Erfolg von Brétigny – aus Leben und Amt geschieden.

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wisely preferred to judge what Edward intended from what he regularly did rather from what he occasionally said.“ Vgl. Karl von Clausewitz, Vom Kriege, ed. Friedrich von Cochenhausen, Leipzig 1940, 79: „So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln.“ Vgl. dazu unten im Abschnitt zu personalen und transpersonalen Aspekten. Vgl. zu den Verhandlungen Ormrod 2013, 385–413. Vgl. Christopher Allmand, Henry V, Berkeley 1992. Vgl. Mortimer 2006, 395. Ormrod 2013, 577–603 betitelt das abschließend urteilende Kapitel seiner Biographie: „Edward the great“.

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Die frühen 1360er Jahre stellen aber in der Tat eine Zäsur für die Frage dar, wie erfolgreich Eduard seine militärische Macht in politische Erfolge umsetzen konnte. Nach den Schlachten-Siegen von Crécy und Poitiers und vor allem der Gefangennahme des französischen Königs Johann II. konnte Eduard am Verhandlungstisch enorme Erfolge erzielen, vor allem im Vertrag von Brétigny, der 1360 im Austausch gegen den Verzicht Eduards auf den französischen Thron große Teile Frankreichs als Allodialbesitz der englischen Krone zusprach. Die Beschneidung der englischen Souveränität durch die feudalen Bindungen rund um das Herzogtum Aquitanien war damit einer rechtlichen Lösung zugeführt, die mit enormen Landgewinnen und Einnahmen für Eduard und seine Nachfolger verbunden war. Seine militärisch-politische Strategie, den Feind durch Plünderungen zur Schlacht und durch den Schlachtensieg zu Zugeständnissen bei Verhandlungen zu zwingen, war aufgegangen. Auch wenn man sicherlich nicht alle Entwicklungen des Kriegs von 1337 bis 1360 als Ausfluss königlicher Strategie wird deuten können – vor allem die Gefangennahme Johanns bei Poitiers war aus englischer Sicht eher ein glücklicher Zufall als geplanter Coup –, so ändert dies nichts an der Einschätzung, dass die englischen Erfolge insgesamt das Resultat eines erfolgreichen Einsatzes militärischer Mittel waren.46 Rund um das Jahr 1360 und ab 1369 zeigte sich aber im Krieg mit Frankreich in aller Deutlichkeit, in welchem Maße Eduards militärische Strategie auf ein bestimmtes Verhalten seines Gegners angewiesen und wie unflexibel der König in diesen Aspekten war. Nachdem der Vertrag von Brétigny an Umsetzungsfragen gescheitert war und der Krieg 1369 wieder ausbrach, konnten die englischen Erfolge der 1340er und 50er Jahre nicht wiederholt werden. Letztlich war Eduard vor ein Problem gestellt, das in der clausewitzschen Definition von Krieg angelegt ist: Welche militärischen Mittel können welche politischen Ziele umsetzen? Der französische Thron oder die Auflösung des Lehnsverhältnisses für Aquitanien ließen sich mit den militärischen Mitteln, die Eduard zur Verfügung standen, allein nicht erreichen. Eine flächendeckende Eroberung Frankreichs stand außerhalb der militärischen Macht der englischen Krone und ist unter Eduard auch nicht versucht worden. So stellte sich letztlich die Frage, welche der militärisch realisierbaren Aktionen den gewünschten politischen Erfolg befördern konnte. Eduards zwischenzeitliche Erfolge in dieser Frage haben dabei den gleichen Grund wie sein anfängliches und letztendliches Scheitern: Die von ihm favorisierte Strategie basierte auf einer bestimmten Reaktion seines Gegners; wenn dieser sich nicht auf die Schlacht als das Gewaltszenario, in dem die englischen 46 Auch hier hängt die Beurteilung entscheidend von Perspektive und Zeithorizont ab. Die dem Vertrag unmittelbar vorausgehenden militärischen Aktionen Eduards in den Jahren 1359 und 1360 waren Fehlschläge. Nimmt man aber die Zeitspanne von 1337 bis 1360 als Ganzes in den Blick, steht sein militärisch-politischer Erfolg im Vordergrund.

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Verbände überlegen waren, einließ, verpuffte deren militärisches Potenzial im politischen Sinne. Auch gewonnene Schlachten erwiesen sich nicht zwangsläufig als politisch langfristig entscheidend: Selbst der größte militärische Triumph bei Crécy führte nicht zu einem schnellen strategischen Erfolg, dieser stellte sich erst nach der langwierigen Belagerung von Calais ein – und bestand dann lediglich im Gewinn einer Stadt, so wichtig diese auch sein mochte. Der Friede von Brétigny war das Ergebnis nicht einer Schlacht, sondern einer Reihe von militärischen Triumphen. Genau diese verweigerte die französische Krone Eduard und seinen Truppen nach 1360, indem sie den englischen Verbänden nicht mehr im Felde entgegentrat. Jenseits des Sieges in der Feldschlacht und der Eroberung mangelte es den englischen Truppen an strategischen Zielen. Als Alternative präsentierten sich zwei Szenarien: Angriffe auf wichtige Städte des Königreiches oder den König selbst. 1356–1360 führte Eduard erneut Truppen nach Frankreich, es sollte sein letzter Feldzug auf dem Kontinent sein.47 Von Calais zog das Heer nach Reims und richtete sich ab dem 18. Dezember für eine Belagerung ein. Ein Sturmangriff der Engländer blieb erfolglos, am 11. Januar 1360 musste Eduard die Belagerung aus Mangel an Nachschub abbrechen. Im April desselben Jahres operierte Eduards Heer vor den Toren von Paris, verwüstete das Umland der Hauptstadt und belagerte diese – freilich nur wenige Tage und ohne Aussicht auf Erfolg. Eduards 10.000 Mann waren nicht zahlreich genug, um die Stadt effektiv von der Außenwelt abzuschneiden, und die Versorgungslage war für die Belagerer deutlich schwieriger als für die Belagerten.48 In der Chronik Froissarts lesen wir hierzu, dass Eduard durch die Belagerung der Stadt Paris seinen Anspruch auf das französische Königreich unterstreichen und nicht unverrichteter Dinge nach England zurückkehren wollte.49 Hier offenbart sich die methodische Schwierigkeit, die Intention hinter den Handlungen zu ermitteln: War die Belagerung ein Versuch, die Hauptstadt zu erobern, ging es Eduard darum, die französischen Truppen in eine Feldschlacht zu locken oder wollte er demonstrieren, dass er sich in Frankreich ungehindert bewegen und sogar vor der Hauptstadt Station machen konnte? Wie dem auch sei, es zeigt sich auf jeden Fall, dass die Hauptstadt als ein Zielpunkt der strategisch-politischen Überlegungen bei dem Versuch, den 47 Vgl. hierzu Sumption 1999, 405–454: „Edward III’s last campaign 1359–1360“. Diese Bezeichnung ist freilich eine Deutung ex post, die auf das strategische Scheitern des Feldzuges und ultimativ der politisch-strategischen Bemühungen des Königs im Konflikt mit Frankreich verweist. Eduard plante noch 1372 einen Feldzug nach Frankreich, der wegen ungünstiger Winde abgesagt werden musste. Vgl. Clauss 2016, 244. 48 Sumption 1999, 438 merkt hierzu an: „Edward III had virtually no chance of capturing Paris. It is unlikely that he expected to.“ 49 Vgl. Oeuvres de Froissart. Chroniques, 25 Bde., Bd. 6: 1356–1364, ed. Kervyn de Lettenhove, Brüssel 1868, 279 und Rogers 1999, 181 – freilich mit einer missverständlichen Übersetzung.

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Krieg zu gewinnen, eine wichtige Rolle spielte. Als strategische Alternative zum Sieg im Feld stellt sich also die Eroberung eines Kristallisationspunkts der französischen Königsherrschaft dar: der Hauptstadt oder des Krönungsortes. Diese Optionen belegen die Schwierigkeiten, einen Thronanspruch militärisch zu operationalisieren und diese Operationen zum Erfolg zu führen. Die Belagerungen von Paris und Reims scheiterten, ja waren angesichts der Eduard zur Verfügung stehenden Mittel aussichtslos. Gleiches gilt für die zweite militärische Alternative: Den Angriff auf die Person des Rivalen um den Thron. In einem Thronstreit offenbart sich das personale Element der mittelalterlichen Königsherrschaft auch auf dem Schlachtfeld. Die Rivalen sehen sich gezwungen, ihren Anspruch in eigener Person zu behaupten; dies wird etwa in Aufforderungen zum Zweikampf deutlich, wie sie Eduard III. 1340 an Philipp VI. übermittelt hatte:50 Um den Tod von Christen zu verhindern, solle der Streit nur zwischen den Körpern der beiden Thronrivalen ausgetragen werden. Hier offenbart sich, wie personal Königsherrschaft gedacht wurde. Auch wenn vor diesem Hintergrund die Person des rivalisierenden Königs ein in der Theorie lohnendes strategisches Ziel gewesen sein mag, so barg die Umsetzung dieser Prämisse doch zahlreiche Schwierigkeiten. Zu einem Zweikampf der Könige ist es nie gekommen, intentionale Angriffe auf die Person eines Königs sind nicht belegt, und die Gefangennahme König Johanns von Frankreich in der Schlacht von Poitiers 1356 war nicht Teil der englischen Strategie oder Taktik, sondern ein Produkt des Zufalls.51 Sie führte dabei interessanter Weise eher zu einer Stärkung seines Anspruches auf den Thron.52 Eduard wollte aus der Gefangennahme Johanns größtmögliches politisches und finanzielles Kapital schlagen. In diesem Sinne war es rentabler, den König von Frankreich in Gefangenschaft zu halten als einen Thronprätendenten Johann von Valois. Mit dem König konnten Gebietsabtretungen und Lösegeldzahlungen verhandelt werden und nur für den König war das Königreich bereit, diese auch zu leisten.

50 Vgl. hierzu die bei Rogers 1999, 92–93 gesammelten Quellenauszüge. 51 Zu Zweikämpfen im Hundertjährigen Krieg vgl. Malte Prietzel, Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen (Krieg in der Geschichte 32), Paderborn et al. 2006, 266–318; zu einem Treffen Eduards III. mit einem seiner französischen Widersacher kam es erst nach der Gefangennahme Johanns II. Vgl. Andreas Willershausen, Die Päpste von Avignon und der Hundertjährige Krieg. Spätmittelalterliche Diplomatie und kuriale Verhandlungsnormen (1337–1378), Berlin 2014, 19–20 mit Anmerkungen 24 und 25. 52 Vgl. hierzu Martin Clauss, Ludwig IV. und Friedrich der Schöne. Wien-Mühldorf-München, in: Harald Wolter-von dem Knesebeck/Matthias Becher (edd.), Die Königserhebung Friedrichs des Schönen im Jahr 1314. Krönung, Krieg und Kompromiss, Köln/Weimar/Wien 2017, 255–270, hier 266–267; Gerald Schwedler, Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen, Rituale, Wirkungen, Stuttgart 2008, 208–216 und Chris Given-Wilson/Françoise Bériac, Edward III’s Prisoners of War: The Battle of Poitiers and its Context, in: English Historical Review 16 (2001), 802–833.

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Den Möglichkeiten Eduards, seine Ziele militärisch umzusetzen, waren mithin finanzielle, strategische und strukturelle Grenzen gesetzt; an diesen ist der König im Sinne der skizzierten auswärtigen politischen Ziele letztlich gescheitert. Bei seinem Tod waren die Verhandlungserfolge von Brétigny verloren, die militärische Stärke Englands eher eine Erinnerung denn eine Bedrohung für die französische Krone. Jonathan Sumption nennt Eduard mit Blick auf die machtpolitische Bilanz, also die Fähigkeit, seinen Willen gegenüber den Königen von Frankreich durchzusetzen, „a heroic failure“.53 Die Kriege des Königs zielten aber nicht nur auf den militärischen Gegner – also gleichsam nach außen –, sondern auch nach innen: Mit Blick auf die englische Gesellschaft entfalteten sie beträchtliche Effekte für die Stellung des Monarchen und der Monarchie:54 Eduards Königtum war für die sehr lange Dauer seiner Regierung von 50 Jahren unangefochten. Nachdem er sich aus der Vormundschaft seiner Mutter und Roger Mortimers befreit und 1330 seine eigenständige Regierung angetreten hatte, wurde seine Stellung als König nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sie überstand die Krise der frühen 1340er Jahre ebenso wie die Zeit ab 1372, in welcher der kranke und altersschwache Monarch sich von der aktiven Regierung zurückzog und etliche Regierungsgeschäfte von seiner Geliebten Alice Perrers beeinflusst wurden.55 Sein Königtum überstand die militärischen und politischen Niederlagen der 1370er Jahre, als beinahe alle englischen Besitzungen auf dem Kontinent von französischen Truppen zurückerobert wurden. Die Nachfolge seines Enkels, Richards II., wurde nicht in Zweifel gezogen und dessen Thronbesteigung verlief reibungslos.56 Dies ist im England des 14. Jahrhunderts keine schlechte Bilanz, in dem zwei (von fünf) Königen abgesetzt und ermordet wurden. Sie verdankt sich nicht zuletzt den militärischen Aktivitäten und Erfolgen Eduards, die das Land hinter ihrem König einten und zumindest als Projektionsfläche sein Bild jenseits aktueller Schwächen prägten. Diese Analyse leitet unmittelbar über zum letzten Abschnitt dieses Aufsatzes.

53 Sumption 2016. 54 Vgl. zum Folgenden die in Anm. 5 genannte jüngere Literatur, die sich in diesem Punkt grundlegend einig ist. 55 Zu Alice Perrers vgl. etwa W. Mark Ormrod, The Trials of Alice Perrers, in: Speculum 83 (2008), 366–396. 56 Zu Richard II. vgl. etwa David Christopher Flechter, Richard II: Manhood, Youth, and Politics, Oxford 2008.

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4.

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Die militärische Macht Eduards III.: Aspekte von Personalität und Transpersonalität

Denkt man die Kategorien von Personalität und Transpersonalität als Entwicklungslinie, auf der im Laufe der Zeit die transpersonalen Elemente von Herrschaft zu- und personale abnehmen, so ergeben sich gewisse Erwartungen an die Regierung Eduards III. im ausgehenden Mittelalter. Etliche Aspekte seiner Königsherrschaft sind in der Tat von seiner Person abgekoppelt und funktionieren im Sinne einer auf Bürokratie gestützten Verwaltung ohne das persönliche Eingreifen des Königs.57 Das drückt sich in einem Verwaltungssystem von Grafschaften, Sheriffs, Richtern, Steuereintreibern und Finanzbeamten ebenso aus, wie in der unangefochtenen Nachfolge und der Tatsache, dass Eduard bei langer Abwesenheit aus seinem Königreich nicht um seinen Herrschaftsanspruch fürchten musste. Das englische Königtum funktionierte auch ohne das persönliche Eingreifen des Königs, und die alltäglichen Mühen des Regierens standen nicht immer in seinem Fokus: „Edward III was not a bureaucrat by inclination: pen-pushing had no place in his vision in kingship.“58 Mit Bezug auf die militärische Macht sehen wir ein Mit- und Nebeneinander von personalen und transpersonalen Aspekten. In Kriegszeiten war der König stärker in das Regierungshandeln involviert als im Frieden; Eduard hatte – zumindest bis in die 1360er Jahre – einen starken persönlichen Anteil an den strategischen, taktischen, logistischen und bürokratischen Aspekten seiner Kriege.59 Zur Analyse der Rollen, die ein König in den Kriegen seiner Zeit einnehmen konnte, bietet sich eine Dreiteilung an: Kriegsherr, Feldherr und Krieger.60 Dies ist eine moderne, idealtypische Kategorienbildung, die sich so in der Sprache der Quellen nicht wiederfindet. Kriegsherr meint dabei, dass alle Kriege von der Person des Königs ausgehen, in seinem Namen geführt und von ihm verantwortet werden. Diese Rolle war für Eduard in seiner aktiven Regierung unbestritten, und auch in den letzten Jahren seiner Königsherrschaft, als die Regierungsgeschäfte in den Händen anderer lagen, wurde sie weiterhin angenommen und propagiert.61 Dieser Aspekt der militärischen Macht hat nichts Transpersonales, weil er eng mit der Person und den Kernaufgaben des Königs verbunden ist, das Reich und die Untertanen zu schützen.

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Vgl. die in Anm. 5 genannte Literatur. Ormrod 2000, 54. Vgl. Ormrod 2000, 54–55. Vgl. dazu Clauss 2015, 223–225. Auch in seinem letzten Parlament, 1376, forderte der König in eigener Person Abgabenzahlungen zur Verteidigung des Königreichs ein. Vgl. Ormrod 2013, 551.

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Anders sieht es bei der Funktion des Feldherren aus:62 Im Bereich militärischer Kommandostrukturen finden wir Transpersonalität des Öfteren. Eduard konnte nicht alle Feldzüge in eigener Person anführen. Immer, wenn er dies tat, lag das strategische und taktische Oberkommando eindeutig in seiner Hand. Darüber hinaus wurden aber auch zahlreiche Aktionen von anderen Kommandeuren durchgeführt, weil der König selbst an einem anderen Ort im Feld stand oder aus unterschiedlichen Gründen nicht persönlich am Krieg teilnehmen konnte oder wollte. Hierzu zählten politische, finanzielle aber auch persönliche Gründe – und mitunter Kontingenzen wie ungünstige Wetterbedingungen oder Krankheit. Dem König stand eine Reihe von Kommandeuren zur Verfügung, die in unterschiedlichen Positionen und Zeitspannen verschiedene Arten von militärischen Aufgaben übernahmen. Hierbei lassen sich institutionelle und situative Formen von delegierter Kommandogewalt unterscheiden. Institutionelle Transpersonalität sehen wir in bestimmten Regionen. An einigen Kriegsschauplätzen war Eduard III. gar nicht oder nur selten in eigener Person präsent; das gilt etwa für das Herzogtum Aquitanien oder die Bretagne. Die lehnsrechtlichen Implikationen, die sich aus Eduards Doppelstellung als König von England und Herzog von Aquitanien ergaben, waren wesentlich für den Ausbruch des Hundertjährigen Krieges, und Aquitanien war Ausgangspunkt und Schauplatz etlicher kriegerischer Aktionen.63 Eduard selber hat diese aber nicht angeführt, sondern anderen Heerführern überlassen, oftmals Mitgliedern der königlichen Familie: Johann von Gent, der dritte Sohn Eduards, führte Feldzüge in den Jahren 1370 und 1373, ein unter seinem Kommando geplanter Feldzug kam 1368 nicht zustande.64 1349 führte Heinrich von Grosmont, der Earl von Lancaster, englische Truppen von Aquitanien aus, im Jahr 1355 befehligte Eduard, der Schwarze Prinz, ältester Sohn und designierter Thronfolger Eduards III., einen Feldzug in der gleichen Region.65 Diese hochadligen Feldherren wurden entweder mit einem Kommando für einen spezifischen Feldzug betraut, den sie dann innerhalb bestimmter strategischer Vorgaben eigenständig durchführten, oder ihre Kommandogewalt erwuchs aus einer herrscherlichen Stellung; am 19. Juli 1362 gingen die Herrschaftsrechte in Aquitanien an Prinz Eduard über.66 Auch in der Bretagne lässt sich delegiertes Kommando beobachten. Seit dem Tod Herzog Johanns 1341 ohne direkten Erben war die Bretagne ein Kriegsschauplatz, an dem Eduard III. und Philipp VI. rivalisierende Ansprüche un-

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Vgl. zum Folgenden grundlegend Clauss 2015, 232–251. Vgl. Templeman 1952. Vgl. Sumption 2009, 61–114 (zu 1370), 171–211 (zu 1373). Vgl. Sumption 1999, 58–60 (zu 1349), 175–185 (zu 1355). Vgl. Sumption 1999, 493.

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terstützten und eine Art Stellvertreterkrieg austragen ließen.67 1342–1343 führte Eduard persönlich einen Feldzug durch und konnte vor allem die strategisch wichtige Küstenlinie für die Engländer sichern.68 Dies blieb aber sein einziges persönliches Eingreifen, alle anderen Militäraktionen wurden von Stellvertretern durchgeführt; Michael Jones hat für die Zeit von 1341 bis 1362 nicht weniger als 15 Stellvertreter ausgemacht, die mitunter nur wenige Monate, längsten Falls für knapp drei Jahre tätig waren.69 Hierunter finden sich so prominente Namen wie der Heinrichs, des Herzogs von Lancaster, aber auch niederadlige Anführer, wie etwa Thomas Dagworth oder John Hardreshull. Aufgabe dieser Captains war es, den Krieg gleichsam auf kleiner Flamme zu führen, den pro-englischen bretonischen Widerstand gegen die französische Krone zu unterstützen und so die englische Position mit kleinstmöglichem Mittelaufwand zu behaupten. Groß angelegte Aktionen mit signifikanten Zugewinnen wurden von diesen Captains nicht erwartet. Entsprechend begrenzt waren die ihnen aus England zur Verfügung gestellten Mittel und Truppenkontingente. Schriftliche Anweisungen für diese Kommandeure liegen uns nicht vor, aus ihren Aktionen wird aber klar, dass sie im Rahmen einer von Eduard vorgegebenen Strategie und Politik agierten. In der Detailplanung und im Alltagsgeschäft waren sie unabhängig, aber immer in übergeordnete Planungen der Krone eingebunden. Neben diesen institutionalisierten Strukturen sehen wir immer wieder auch eher spontane und zeitliche begrenzte Formen der Transpersonalität. So erforderte etwa 1346 ein schottischer Angriff auf Nordengland eine schnelle Reaktion zu einer Zeit, als Eduard III. mit dem Großteil der englischen Truppen vor Calais lag.70 Also mussten lokale Funktionsträger, der Erzbischof von York, nordenglische Adlige aus den Familien Percy und Neville sowie der Sheriff von Yorkshire, die Verteidigung des Königreichs übernehmen. Sie agierten eindeutig im Namen des Königs, aber in der Situation ungebunden von konkreten Befehlen und eigenständig. In militärischen Fragen und Zwängen waren situative Entscheidungen oftmals wichtiger als etablierte Strukturen. Auch wenn es Eduard in der Regel auf Grund der Kommunikationsmittel nicht möglich war, die Aktionen seiner Feldherren im Detail zu steuern, so lässt sich doch klar erkennen, dass diese immer in eine übergeordnete Strategie eingebunden und dem König unterstellt waren. Yuval Noah Harari hat unter dieser

67 Vgl. Sumption 1990, 370–410. 68 Vgl. Sumption 1990, 403–408. 69 Vgl. Michael Jones, Edward III’s Captains in Brittany, in: Michael Jones (ed.), Between France and England. Politics, Power and Society in Late Medieval Brittany, Aldershot 2003, 99–118. 70 Vgl. zur Schlacht von Neville’s Cross die in Anm. 30 genannte Literatur.

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Fragestellung den englischen Feldzug von 1346 untersucht.71 Hier standen englische Truppen an vier verschiedenen Orten in Frankreich im Felde: Neben dem Feldzug, den Eduard persönlich zu den Siegen von Crécy und Calais führte, agierten englische Kontingente in Aquitanien, der Bretagne und Flandern. Harari bezeichnet dieses Vorgehen als „inter-frontal cooperation“ und kann zeigen, dass diese Aktionen einem einheitlichen strategischen Konzept folgten: Der Einsatz kleiner englischer Kontingente motivierte Verbündete, sich am Kampf zu beteiligen, und band so etliche französische Truppen an verschiedenen Kriegsschauplätzen. So sah sich Eduard mit der Hauptstreitmacht nur einem Teil des französischen Heeres gegenüber. All dies war Ausfluss einer übergeordneten Strategie und stellte Eduards Autorität zu keinem Zeitpunkt in Frage. Auf der dritten Ebene – der König als Krieger – sehen wir bei Eduard III. ein hohes Maß an Personalität und interessante Verbindungen zur Transpersonalität. ‚Krieger‘ meint hier, dass der Monarch intentional in eigener Person in Kampfhandlungen eingriff. Die damit zwangsweise einhergehende Gefährdung sowie deren politische Folgen lassen es zunächst erstaunlich erscheinen, in welchem Ausmaß und in welchen Konstellationen wir Eduard persönlich aktiv sehen. Der König nahm nicht nur als Feldherr an Feldzügen und Schlachten teil und nahm dabei in Kauf, in Mitleidenschaft gezogen zu werden; vielmehr suchte Eduard aktiv die Beteiligung am Kampf. Bei der Seeschlacht von Sluis 1340 kämpfte er mitten im Getümmel und wurde verwundet, auch 1350 in der Seeschlacht vor Winchelsea focht er – gemeinsam mit dem Thronfolger Eduard – persönlich.72 Da eine Flucht zu Wasser schwierig war, galten Seeschlachten als besonders gefährlich und verlustreich, was oftmals auch die Führungsebene einbezog: Bei Sluis kamen beide französische Admiräle ums Leben. Da die exakten Abläufe nicht zu rekonstruieren sind, muss die Frage ein Stück weit offen bleiben, wie weit Eduard sich jeweils intentional ins Gefecht und in Gefahr begab. Sicher scheint, dass er die Kommandogewalt nicht an andere übertragen wollte und so die Gefahr einer Seeschlacht billigend in Kauf nahm. Persönliche Gefährdung hat Eduard an anderer Stelle hingegen ohne Zweifel aktiv gesucht.73 Für 1350 ist eine militärische Aktion rund um die zu diesem Zeitpunkt englische Stadt Calais in verschiedenen Quellen überliefert: Ein französisches Kontingent unter Geoffroi de Charny wollte sich den Zugang zu einem Stadttor durch Bestechung sichern, um die Stadt zurückzuerobern. Der englische Hof erfuhr davon und leitete Gegenmaßnahmen ein. Eduard und sein Sohn schifften sich mit einem kleinen Kontingent von Rittern aus dem könig71 Vgl. Yuval Noah Harari, Inter-frontal Cooperation in the Fourteenth Century and Edward III’s 1346 Campaign, in: War in History 6 (1999), 379–395. 72 Vgl. Ormrod 2013, 225 (zu Sluis) und 328 (Winchelsea). 73 Vgl. zur folgenden Episode Sumption 1999, 60–62 (mit Hinweis auf die Quellen), Ormrod 2003, 325–326 und Sumption 2016, 63–64.

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lichen Haushalt nach Calais ein, legten dort einen Hinterhalt und wehrten den Angriff erfolgreich ab. Jean Froissart weiß zu erzählen, dass Eduard inkognito – unter dem Wappen eines seiner Ritter – persönlich am Kampf teilgenommen und sich in diesem äußerst ritterlich ausgezeichnet habe.74 Angesichts von Froissarts Vorliebe für gute Rittergeschichten sind diese Details nur schwer auf ihren Wirklichkeitsbezug hin zu überprüfen – offenbar war diese Geschichte aber so plausibel, dass sie erzählt werden konnte. Hier nimmt der König einige Mühen auf sich, nicht nur um die Bedrohung für die Stadt Calais abzuwehren, sondern auch, um sich persönlich in Gefahr zu begeben. Das Inkognito hat dabei nicht nur den Zweck, die ganze Aktion zu tarnen, sondern soll dem König – ähnlich wie im Turnier – auch erlauben, persönlich als Kämpfer zu agieren.75 Dieses Sich-Involvieren in den Kampf ist mit strategischen oder taktischen Belangen allein nicht zu erklären. Um den Angriff auf Calais abzuwehren, hätte es ausgereicht, das Wissen über den Komplott offenzulegen; um Geoffroi de Charny zu fangen, hätte Eduard auch einen anderen Anführer bestimmen können. Offenbar ging es Eduard III. um den Prestigeerwerb durch persönliche Kampfteilnahme. Hier gab es einen Zusammenhang zwischen der intentional herbeigeführten Gefahr für Leib und Leben im Kampf und dem daraus resultierenden Ansehen. Dieser Logik konnte und wollte sich Eduard als Teil der kriegeradligen Elite offenbar nicht entziehen. Diese Art von Risikobereitschaft zum Prestigegewinn ließ sich nicht oder nur in sehr engen Grenzen von der Person des Königs lösen und in transpersonale Strukturen überführen. Als ein Beispiel hierfür lässt sich Froissarts Schilderung der Schlacht von Crécy lesen:76 Während Eduard als weiser Feldherr von einer Windmühle aus die Schlacht lenkt, kämpft der Thronfolger Eduard in vorderster Linie und verdient sich seine Sporen. Wo der Vater nicht prestigeträchtig als Held kämpfen kann, füllt der Sohn diese Rolle aus. Gemeinsam decken sie so alle Teile der hier angenommenen Dreiteilung – Kriegsherr, Feldherr, Krieger – ab. Auch ein großer Teil der königlichen Außendarstellung war mit Krieg und der Person des Königs verbunden: Das Revers des Great Seal zeigt den König als Ritter mit Helm, Schwert und Schild (mit seinem Wappen als König von Frankreich und England), die Münze gold noble rekurriert auf den Sieger von Sluis an Bord eines Kriegsschiffes.77 Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des 74 Vgl. Jean Froissart, Chroniques. Livre I (première partie, 1325–1350) et Livre II, ed. Peter Ainsworth/George Diller, Paris 2001, Buch 1, Kap. 318–320, 656–662. 75 So auch Ormrod 2013, 326; vgl. auch Richard Barber, The Knight and Chivalry, Woodbridge 1970, 335. 76 Vgl. hierzu Martin Clauss, Kriegsniederlagen im Mittelalter. Darstellung – Deutung – Bewältigung, Paderborn 2010, 42–45. 77 Vgl. zum Siegel: Ormrod 2013, Abb. 13 nach 326 und zur Münze: Boris Bove, Le temps de la guerre de Cent Ans. 1328–1453, Paris 2010, 111.

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Krieges in der Herrschaftsrepräsentation ist die Verbindung von Eduard III. mit dem heraldischen Motiv des Leoparden.78 Der schreitende Löwe zierte das königlich-englische Wappen seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert; unter Eduard III. sehen wir aber eine deutliche Verdichtung in der Verwendung dieses Motivs für die Person des Königs im Krieg: Der Waffenrock des Königs und die königliche Kriegs-Standarte auf Feldzügen in Schottland in den 1320er Jahren waren mit Leoparden geschmückt, in Kriegsgedichten der 1340er Jahre wird dann der König selbst als Leopard bezeichnet und sein Mut mit dem des Tieres gleichgesetzt. Leoparden finden sich auch auf königlichen Siegeln und Münzen. Eduard verfügte über eine Menagerie, die neben Bären und Löwen auch Leoparden umfasste: 1334 wurden zwei dieser Leoparden auf den Feldzug gegen Schottland mitgeführt, was die Verbindung von König, Krieg und Leopard besonders deutlich zeigt. Ebenfalls 1334 trat Eduard bei einem Turnier in Dunstable in Verkleidung auf und nannte sich ‚Monsieur Lyonel‘ und stellte so eine Verbindung zur Artus-Legende – Lyonel war einer der Artusritter – und zu seinem Wappentier gleichermaßen her. Auch an anderen Stellen zeigt sich, dass Eduard das Rittertum instrumentalisierte, um für seine Kriege zu begeistern. Eduard präsentierte sich als Verfechter und Vertreter eines kriegeradligen Ritterideals und schaffte so Verbindungen zu den adligen Untertanen, deren Unterstützung er für den Krieg brauchte. Hierbei verband sich das personale Element der ritterlichen Tapferkeit des Königs mit transpersonalen Aspekten seines Königtums: Ritterlichkeit wurde zur Klammer zwischen König und dem ritteradligen Teil seiner Untertanen. Dies zeigt sich etwa im Hosenbandorden, den Eduard als Ritterorden im Nachklang seiner Triumphe bei Crécy und Calais begründete.79 Die 26 Mitglieder umfassten neben König und Thronfolger beinahe ausschließlich verdiente Teilnehmer an den Kriegszügen in Frankreich; der Orden symbolisierte die Verbindung zwischen dem Monarchen und den Rittern, die in seinen Kriegen kämpften. Auch die von Eduard nach Crécy in Auftrag gegebene Neugestaltung der Stephanskapelle in Westminster rekurriert auf diesen Kontext.80 Gezeigt wird ein Wappenprogramm: Neben den Wappen der Kriegs- und Nationalheiligen St. George und St. Edmund sehen wir hier die Mitglieder der königlichen Familie 78 Vgl. zum Folgenden Caroline Shenton, Edward III and the Symbol of the Leopard, in: Peter Coss (ed.), Heraldy, Pageantry, and Social Display in Medieval England, Woodbridge 2003, 69–81. 79 Vgl. zum Hosenbandorden mit weiterer Literatur W. Mark Ormrod, The Foundation and Early Development of the Order of the Garter in England, 1348–1399, in: Frühmittelalterliche Studien 50 (2016), 361–392. 80 Vgl. James Hillson, Edward III and the Art of Authority. Military Triumph and the Decoration of St Stephen’s Chapel, Westminster 1330–1364, in: Katherine Ann Buchanan/ Lucinda H. S. Dean/ Michael A. Penman (edd.): Medieval and Early Modern Representations of Authority in Scotland and the British Isles, Abingdon et al. 2016, 105–123.

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und die Wappen von Rittern, die persönlich an Feldzügen mit Eduard III. teilgenommen hatten. Der König präsentiert sich hier gemeinsam mit seiner Familie und seinen ‚brothers in arms‘. Wie erfolgreich dies war, zeigt sich etwa bei den Rekrutierungsbemühungen der englischen Krone für Feldzüge in Frankreich. Das Vertragssystem der indentures beruhte auf der freiwilligen Bereitschaft der Kämpfer zur Kriegsteilnahme.81 Dies galt besonders für die ritteradlige Elite, welche für die Mobilisierung von Kämpfern und taktisch für die Heere Eduards von großer Bedeutung war;82 auf Grund ihrer Stellung hatten diese Männer aber auch viel zu verlieren, wenn sie in einen fernen, langen Krieg zogen.83 Wir können in diesem Kontext eine Reihe königlicher Maßnahmen ausmachen, welche die Bereitschaft der Ritterschaft zur Kriegsteilnahme erhöhen sollten. Diese reichten von ökonomischen Anreizen (Höhe des Tagessoldes, festgeschriebener Anteil an Beute, Mechanismen zur finanziellen Absicherung von Verlusten usw.), über jurisdiktionelle Maßnahmen (Begnadigungen im Austausch gegen Kriegsteilnahme) bis hin zu sozio-kulturellen Anreizen, bei denen die persönliche Rolle des Königs eine große Bedeutung hatte.84 Eduard instrumentalisierte seine Siege und ritterlichen Wertvorstellungen gezielt für seine Kriegsziele. Im Umfeld von Feldzügen wurden Turniere durchgeführt, an denen der König persönlich – manchmal auch in Verkleidung – teilnahm. So sollte die Ritterschaft an den König gebunden und gleichzeitig als kampferprobte und -willige Gruppe gestärkt werden. Auf der Basis gemeinsamer Werte agieren König und Untertanen Seite an Seite in kriegerischen Belangen. Eduards persönlicher Einsatz ist vor diesem Hintergrund mehr als nur eine individuelle Vorliebe für Abenteuer und Gefahr. Sein persönlicher Einsatz als Ritter und Krieger stellt die Grundlage für die ritterliche Ausdeutung des Krieges und die Verbundenheit mit anderen Rittern dar. Per81 Vgl. Norman Bache Lewis, The Organisation of Indenture Retinues in Fourteenth-Century England, in: Transactions of the Royal Historical Society 27 (1945), 29–39 oder Prestwich 1996, 88–96. In den späten 1340er Jahren wurden Zwangsrekrutierungen unter Eduard III. endgültig eingestellt. Vgl. Maurice Powicke, Military Obligation in Medieval England, Oxford 1962, 182–210. 82 Hier soll kein Beitrag zur Debatte geleistet werden, welche Kämpfer-Gruppe für Eduards Taktik am wichtigsten war: Bogenschützen oder men-at-arms. Vgl. etwa Jim Bradbury, The Medieval Archer, Woodbridge 1985, 91–115 mit Fokus auf der Wirkung der Langbögen. 83 Das Kriegsrisiko berührte zahlreiche Aspekte, von finanziellen Verlusten über rechtliche Einschränkungen bis hin zur Gefahr für Leib und Leben. Es ist methodisch sehr schwierig festzustellen, ob sich die Kriegsteilnahme für die Mehrheit der Ritterschaft finanziell lohnte. Vgl. Kenneth Bruce McFarlane, War, Economy and Social Change: England and the Hundred Years War, in: Past and Present 22 (1962), 3–13 oder Michael Moissey Postan, The Costs of the Hundred Years’ War, in: Past and Present 27 (1964), 34–53. Zum Risiko, getötet zu werden, vgl. etwa Given-Wilson/Bériac 2001, 808. 84 Vgl. Martin Clauss, Knightly motivation in the Hundred Years War, 1337–1360 (unveröffentlichte M.A.-Dissertation, University of Durham, 1997).

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sönliche Eigenschaften und Verhalten werden so in ein transpersonales Geflecht von Loyalitäten und Motivationen überführt. Mark Ormrod merkt hierzu an: „It is hard to exaggerate the degree to which public attitudes to the great succession of campaigns in Scotland and France from the 1330s to the 1370s was informed, and transformed, by the personal example of the king.“85 Neben dem persönlichen Einsatz Eduards war dafür natürlich auch der militärische Erfolg ausschlaggebend, auch wenn dieser nicht immer in politisches Kapital überführt werden konnte. Es waren die Siege von Sluis und Calais, die aus dem risikoaffinen Eduard einen strahlenden Helden machten. Der auf dem Schlachtfeld erworbene Ruhm überdauerte nicht nur die politischen Rückschläge, sondern auch die Zeit, in der Eduard nicht mehr persönlich aktiv werden konnte. Sein Verständnis von Königtum setzte einen persönlich handelnden Monarchen voraus, der sich als Ritter und Krieger behaupten konnte. Spätestens ab den 1370er Jahren waren diese Zeiten für Eduard vorbei – und dennoch wurde auch der alterskranke König bis zu seinem Lebensende als Teil einer Rittergemeinschaft wahrgenommen. Einer seiner letzten öffentlichen Auftritte waren die Festlichkeiten des Hosenbandordens in Windsor im Frühjahr 1377:86 Auf einem goldenen Thron sitzend schlug der kranke König drei Mitglieder der königlichen Familie – darunter seinen Enkel und Nachfolger Richard II. – zu Rittern. Auch der altersschwache Monarch war Zentrum einer ritterlichen Gemeinschaft aus königlicher Familie und englischem Adel, deren Zusammenhalt ausgehend von der Person des Königs und über diese hinaus eine Grundvoraussetzung für die militärische Macht Eduards III. war.

5.

Zusammenfassung

Eine bipolar-teleologische Auffassung von Personalität und Transpersonalität, welche eine klare Unterscheidung im Sinne einer modernistischen Entwicklung annimmt, greift zur Analyse der militärischen Macht Eduards III. zu kurz. Dieser waren zunächst deutliche Grenzen gesetzt, deren Gründe weniger im mangelnden Zugriff Eduards auf seine militärischen Ressourcen oder seinem mangelnden Verständnis von den notwendigen militärischen Entscheidungen lagen. Auch wenn es methodisch immer schwierig ist, den persönlichen Anteil eines mittelalterlichen Heerführers zu bestimmen, so scheint im Falle Eduards wenig Zweifel an seiner persönlichen Fähigkeit und Eignung als Feldherr zu bestehen. Man muss sicher nicht so weit gehen wie Ian Mortimer, wenn er formuliert: 85 Ormrod 2013, 601. 86 Vgl. Ormrod 2013, 573.

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„Edward was to warfare what Mozart was to music“.87 In diesem panegyrischen und unhistorischen Vergleich zeigt sich etwas, das für das Verständnis von Eduards militärischer Macht nicht unwesentlich ist: die Begeisterung für seine Fähigkeiten als Feldherr und Krieger. Seine Grabaufschrift nennt ihn in Anspielung auf das Wappentier der Plantagenets und seine Siege invictus pardus.88 Dem Leoparden zeigten weniger seine taktischen Fertigkeiten, als vielmehr finanzielle, politische und strukturelle Bedingtheiten Grenzen auf. Die militärische Macht Eduards offenbarte sich immer auch oder nur als militärische Ohnmacht seiner Gegner. In allen Aspekten – dem Rekrutieren von Truppen, dem Erringen von Siegen und dem politischen Ausnutzen der Siege – sehen wir Eduard als einen Akteur einer mindestens reziproken Konstellation. Zu keinem Zeitpunkt reichte seine militärische Macht aus, seinen Gegnern unabhängig von deren Disposition und Vorgehen seinen Willen aufzuzwingen. Eduard hatte sich dabei mit den Königen von Frankreich den ressourcenstärksten und mit Schottland den für ihn unbequemsten Gegner zum Feind gemacht. Dabei beobachten wir ein Mit- und Nebeneinander von Personalität und Transpersonalität. Die englische Krone verfügte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wahrscheinlich über die effizienteste Verwaltung in Lateineuropa. Königsherrschaft war mit etlichen transpersonalen Aspekten durchsetzt, die auch das Kriegswesen betrafen. Kommandos konnten ohne strukturelle Verwerfungen delegiert werden: Krieg wurde im Namen des Königs und nach den Maßgaben des Königs auch ohne den König geführt. Dies ist keine Eigenheit Eduards III., sondern findet sich mindestens ebenso auf Seiten der französischen Könige. Im ganzen Hundertjährigen Krieg kam es nur zu einer einzigen Königsschlacht: 1346 bei Crécy. Diese verweist auf die hohe Bedeutung des Personalen in Eduards Kriegen. Der König war in allen Funktionen – Kriegsherr, Feldherr und Krieger – persönlich aktiv; hierauf basierten sein Ansehen bei seinen Untertanen und sein Ruf als ritterlicher Kriegsheld. Hierbei sind sicherlich auch persönliche Vorlieben nicht unerheblich; es offenbart sich aber auch ein Verständnis von Königtum und Krieg, in dem der ritterliche König und Kriegsheld zum Kristallisationspunkt der den Krieg maßgeblich tragenden ritteradligen Elite wurde. Diese Verbindung war dabei deutlich langlebiger und erfolgreicher als die Kriegspolitik Eduards III. Der Sieger von Crécy stand am Ende mit leeren Händen da, seine militärisch-politischen Erfolge konnte er nicht über die 1360er Jahre retten. Sein Nachruhm gründete aber auf dem persönlichen Einsatz und dessen geschickter Instrumentalisierung für politische Kriegsziele, die letztlich stets zu groß für die zu Verfügung stehenden Ressourcen waren. Die Erfolge der Königherrschaft Eduards basieren ebenso wie sein Scheitern auf 87 Mortimer 2006, 396. 88 Vgl. Ormrod 2013, 583.

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seinen Kriegen und dem Einsatz seiner militärischen Macht. Sie verband Eduard mit seinen Untertanen, festigte die Monarchie und sicherte seinem Enkel die Nachfolge. In diesem Sinne war Eduard ein militärisch mächtiger und erfolgreicher König.

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Cornelia Soldat

Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien

Abstract The king’s two bodies are a medieval rather than an early modern concept. Nevertheless, in Muscovy the concept of the two bodies still existed in the sixteenth century, as can be seen when the inheritance of rulership is considered. This article scrutinizes three inheritance crises where rulership went to a son in his minority rather than, as customary law would suggest, to an adult male relative. The documentation of the crises in a pictorial chronicle, the Litsevoi letopisnyi svod of the 1560s, made during the rule of Ivan IV Vasilievich, known as ‘the Terrible’, shows that Muscovites were familiar with the concept of sacramental representation. The body of the Grand Prince, when becoming ruler on his own, underwent a metamorphosis and became a sacred body. In this, the Muscovite relationship to sacramental representation is entirely premodern. On the other hand, the illustrations to the chronicle text also suggest that the participation of the nobility and the higher clergy in the inheritance process was not only desirable but altogether necessary to ensure inheritance through primogeniture when the ruler was a minor.

Der Chronikeintrag zum Herrschaftsantritt des Großfürsten Vasilijs III. Ivanovicˇ der ganzen Rus’ in Moskau lautet lapidar: „Der Beginn der Herrschaft des Großfürsten Vasilij Ivanovicˇ der ganzen Rus’. In diesem Herbst schaute sich der Großfürst Vasilij Ivanovicˇ der ganzen Rus’ nach [dem Tod] seines Großfürsten die Eidesurkunden des Zaren Menli-Girej an, die von seinem Vater, dem Großfürsten Ivan Vasil’evicˇ der ganzen Rus’ unterschrieben waren, über Freundschaft und Brüderlichkeit, und die von ihnen auch für ihre Kinder unterschrieben worden waren, […].“1

Illustriert wird dieser Eintrag mit einem Bild Vasilijs, wie er die Friedensurkunden mit dem Krimchan durchsieht. In den Bildern davor sieht man seinen Vater und Vorgänger Ivan III. Vasil’evicˇ auf dem Totenbett liegen und Vasilij mit 1 Licevoj letopisnyj svod XVI veka, ed. Ch. Ch. Mustafin, Bd. 18, Moskva 2010, 52. Der ‚Licevoj letopisnyj svod‘ wird im Folgenden mit LLS abgekürzt. Sofern nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen von der Verfasserin.

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einem Trauergestus danebenstehen. Dann folgt die Beerdigung des Großfürsten in der Erzengelkathedrale in Moskau. Das dritte Bild zeigt Vasilij bereits als Herrscher, wie er normalen Regierungsgeschäften nachgeht.2 Die Moskauer Bilderchronik (Litsevoj letopisnyj svod, LLS) gibt hier den Chronikeintrag wieder und bebildert ihn. Der LLS wurde seit den 1560er Jahren von Künstlern und Schreibern im Moskauer Kreml’ hergestellt. Es handelt sich hierbei um eine Zusammenstellung von Texten aus bereits existierenden Chroniken, die die Geschichte der Welt von ihrer Erschaffung bis zur Regierungszeit des Zaren Ivan IV. erzählen. In einer an das illustrierte Flugblatt im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erinnernden Aufteilung von großen Bildern und wenig Text wurde diese Chronik handschriftlich in einem Exemplar von den Künstlern des Kreml’palastes erstellt. Eine Faksimileausgabe aus dem Jahr 2011 hat die Bilderchronik allgemein zugänglich gemacht.3 Das Wertvolle an dieser illustrierten Chronik sind nicht so sehr die Texte, die meist ungekürzt aus den entsprechenden Vorlagen übernommen wurden, sondern die Bebilderung. Diese folgt zwar im Wesentlichen den Konventionen russischer Ikonen- und Buchmalerei, so dass die Bilder von links oben nach rechts oben gelesen werden und die Darstellungen stark stilisiert sind, doch zeigen einige Details auf, wie man zur Zeit Ivans IV. in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Moskovien Ereignisse deutete. Im vorliegenden Fall wird die Deutung des LLS von Ereignissen der Nachfolgefrage aufgezeigt. In der Zeit zwischen dem Ende des 15. Jahrhunderts und der Mitte des 16. Jahrhunderts gab es drei, im Prinzip aufeinanderfolgende, Erbfolgekrisen im Moskauer Reich. Im Jahr 1498 setzte Ivan III. entgegen dem Brauch und aufgrund des Drucks seiner Schwiegertochter seinen Enkel Dmitrij Ivanovicˇ zum Erben ein, obwohl er erwachsene Söhne aus seiner zweiten Ehe hatte. Im Jahr 1533 setzte Ivans Sohn Vasilij III., obwohl er zwei erwachsene Brüder hatte, seinen ältesten, gerade einmal drei Jahre alten Sohn Ivan als Nachfolger ein. Im Jahr 1552 setzte Ivan IV., der Sohn Vasilijs III., seinen sechs Monate alten Sohn Dmitrij zum Nachfolger ein, obwohl mit einem Onkel, einem Bruder und einem Cousin kongnatische, nach dem Senioratsrecht erbberechtigte, erwachsene Nachfolger dagewesen wären.4 Jede dieser Einsetzungen in die Erbfolge ist ungewöhnlich für Moskovien, da sie nicht dem Gewohnheitsrecht folgt. Es zeigt sich hier, dass wenigstens seit Ivan III. die Moskauer Herrscher danach strebten, eine Dynastie zu errichten, in welcher die Erbfolge nach dem Primogeniturprinzip erfolgen sollte. Die Perso2 LLS, Bd. 18, 50–52. 3 Licevoj letopisnyj svod XVI veka, ed. Ch. Ch. Mustafin, 40 Bde., Moskva 2009–2011. 4 Eine Darstellung der Genealogie der hier genannten Moskoviter Großfürsten des 15. und 16. Jahrhunderts befindet sich am Ende dieses Aufsatzes.

Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien

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nalität des Herrschers, der seine eigenen Söhne in der Nachfolge sehen wollte, und Transpersonalität der Herrschaft, konkret durch Erbfolge, fallen hier ineinander. Die Erbfolge wird teilweise trotz großer Minderjährigkeit der zukünftigen Herrscher durchgesetzt. In jedem der hier dargestellten Fälle handelt es sich um eine Aussetzung des in Moskovien üblichen gewohnheitsrechtlichen Senioratserbes, also des gleichberechtigten Männererbes, zugunsten des nördlich der Hajnal-Mitterauer-Linie üblichen Primogenitur-Prinzips.5 Im Folgenden werden zwei Aspekte der Erbfolgeregelung in der bebilderten Darstellung dieser drei Krisenereignisse untersucht. Zum einen die Zustimmung der Ratgeber zur jeweiligen Regelung, zum anderen der Übergang des Herrscherkörpers von einem in einen anderen Zustand im Sinne des Prinzips der repräsentativen Sakralität. Beide, der weltliche wie der sakrale Aspekt der Herrschaftsnachfolge, sind in Moskovien stark miteinander verbunden. Sie zeigen die Problematik auf, die eine vormoderne Gesellschaft mit der Regelung von sakraler Herrschaft in einem säkularen Raum hat.

1.

Die Funktion von Ratgebern in Moskovien

Personalität bedeutet im Falle eines Herrschers, dass er einen privaten Körper hat, der natürlichen Gesetzmäßigkeiten wie Emotionen, Alter, Krankheit unterworfen ist. Unter dem Begriff der Transpersonalität ist das Amt des Herrschers zu verstehen, es ist öffentlich und repräsentativ. In ihm wird nicht so sehr die Persönlichkeit eines einzelnen Menschen dargestellt als vielmehr eine überpersönliche Instanz, der aus diesen Gründen besondere Fähigkeiten und Aufgaben zugesprochen werden. Im mittelalterlichen Europa bedeutet dieser Übergang zum politischen Körper des Herrschers gleichzeitig auch, dass dieser Herrscher von Gott eingesetzt und qua Amt gut ist. Dies spiegelt sich jedoch nicht zwangsläufig auch in den Handlungen des Herrschers wider. In Moskovien hat man im 14. und 15. Jahrhundert definiert, wie ein guter Herrscher zu regieren hat. Vor allen Dingen hat er Rat anzunehmen und in Beratung mit seinen Bojaren einmütig über die 5 Zur Erbfolge in der slavischen Welt vgl. Karl Kaser, Macht und Erbe. Männerherrschaft, Besitz und Familie im östlichen Europa (1500–1900) (Zur Kunde Südosteuropas 30), Wien et al. 2000. Zur Durchsetzung des Primogenitur-Prinzips in Moskovien vgl. Cornelia Soldat, Seelenheil und Nachfolgefrage in den Testamenten Moskauer Herrscher des 16. Jahrhunderts. Die Testamente Vasilijs III. von 1533 und Ivans IV. von 1553, in: Markwart Herzog/Cecilie Hollberg (edd.), Seelenheil und irdischer Besitz. Testamente als Quellen für den Umgang mit den „letzten Dingen“ (Irseer Schriften. Studien zur schwäbischen Kulturgeschichte 4), Konstanz 2007, 37–51.

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Staatsziele zu entscheiden. Die konkrete Ausübung von Herrschaft ist also immer verbunden mit einer guten Beziehung des Herrschers zu den herrschenden Eliten ebenso wie zu den Beherrschten. Auf Prozesse der Konsensbildung im Prozess der Herrschaft wird deshalb in der Forschung immer wieder hingewiesen. Die Mitschriften der Diskussionen des Herrschers mit der mit herrschenden Elite weisen darauf hin, dass nur Entscheidungen durchgesetzt wurden, die einmütig getroffen wurden.6 Sie weisen jedoch auch darauf hin, dass die herrschenden Eliten den Herrscher überstimmen konnten, und dies normalerweise mit dem Wohl des Reiches begründeten.7 Die Verantwortung der herrschenden Eliten wurde wohl zum einen aus einem gewissen Verständnis davon, historisch ebenso wie der Herrscher von den Herrschern der Kiever Rus’ abzustammen,8 zum anderen aus einer angemessenen Beteiligung an Kriegsbeute und der Ausbeutung landwirtschaftlicher und sonstiger Erträge begründet.9 Interessant ist deshalb die Diskrepanz zwischen der Darstellung der Nachfolgeregelung im Falle minderjähriger Herrscher in den Jahren 1533 beim Tod Vasilijs III. und 1552 während einer schweren Krankheit Ivans IV. im LLS. Relativ früh lässt sich Vasilij, nachdem er bemerkt hat, dass er die Krankheit nicht überleben wird, sein Testament bringen.10 Dann beginnen Absprachen mit Verwaltern, Bojaren und Hofleuten. Dem Bruder des Großfürsten, Jurij Ivanovicˇ, wird die Krankheit jedoch verheimlicht. Hier zeigt sich, welch starke Konkurrenz Vasilij in Jurij gesehen hat.11 Nachdem der Großfürst nach Moskau zurückgekehrt ist,12 erhält er zwar Besuch von seinem Bruder Andrej, doch wird auch mit diesem nicht über Krankheit und Nachfolge gesprochen.13 Stattdessen wird mit weiteren Bojaren und Sekretären über das Testament und die Nachfolge geredet. 6 Sergei Bogatyrev, The Sovereign and His Counsellors. Ritualised Consultations in Muscovite Political Culture, 1350s–1570s (Annales Academiae Scientiarum Fennicae, ser. Humaniora 307), Helsinki 2000. 7 Anna L. Chorosˇkevicˇ, Bojarenduma und der Zar in den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts. In: Eckhard Hübner et al. (edd.), Zwischen Christianisierung und Europäisierung. Beiträge zur Geschichte Osteuropas in Mittelalter und früher Neuzeit. Festschrift für Peter Nitsche zum 65. Geburtstag (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 51), Stuttgart 1998, 129–136. 8 Cornelia Soldat, Communicating Self-Awareness in Early Modern Muscovite Russia. The Vorotynskii Mausoleum in the Kirillov Belozerskii Monastery, in: Frühneuzeit-Info 19/1 (2008), 10–20. 9 Cornelia Soldat, Herrschaft, Familie und Selbstverständnis in der Moskoviter Rus’ des 16. Jahrhunderts und das Skazanie o knjazjach Vladimirskich, in: Russian History/Histoire Russe 28 (2001), 341–358. 10 LLS, Bd. 19, 270. 11 LLS, Bd. 19, 271f. 12 LLS, Bd. 19, 373. 13 LLS, Bd. 19, 374.

Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien

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Die Sekretäre schreiben nun eine endgültige Version des Testaments, in dem die Regentschaft für Ivan festgeschrieben wird.14 In einem nächsten Schritt werden weitere Bojaren in die Beratung mit einbezogen.15 Der Text, der eine wörtliche Rede des Großfürsten enthält, macht deutlich, dass es ihm in all diesen Beratungen nur darum geht, seinen minderjährigen Sohn als Nachfolger zu etablieren und die Bojaren darauf einzuschwören. Vasilij führt seinen Herrschaftsanspruch und sein Geburtsrecht auf die Herrschaft in Kiew und Vladimir zurück: „Und er begann seinen Bojaren zu sagen: ‚Ihr wisst aber selbst, dass unsere Herrschaft über das Reich von Vladimir, Novgorod und Moskau von der Großfürstenwürde Kievs und Vladimirs kommt; wir sind zu Euren Herrschern geboren, und Ihr seid unsere Bojaren von alters her; und Ihr, Brüder, steht stark, damit mein Sohn die Herrschaft über das Reich als Herrscher antritt, und damit es auf der Erde gerecht zugeht.‘“16

Schließlich erweitert Vasilij die Gruppe derer, mit denen er diskutiert, um weitere Fürsten,17 und nachdem dies alles abgeschlossen ist, ruft er nach seiner Ehefrau und danach nach seinen Söhnen.18 Was nun folgt, ist ein öffentlich vor Bojaren und Hofleuten aufgeführter performativer Akt, in dem der Großfürst Vasilij III. die Bestimmungen seines Testamentes öffentlich und laut kundtut und in bestimmten Akten, wie dem Segnen seines Sohnes mit einem Kreuz, bestätigt. Dieser Akt ist das Kernstück der gesamten Erzählung, er wird im LLS detailgenau in Einzelbildern erzählt. Zunächst segnet Vasilij seinen Sohn Ivan mit dem Kreuz des Wundertäters Petr und bezieht sich in einer Rede darauf, dass dieses Kreuz aus Byzanz stammt und Holz vom Kreuz Christi enthält. Außerdem weist er auf die Abstammung vom Kiever Großfürsten Vladimir Monomach hin. Daraufhin beginnt ein Beglaubigungsprozess des vorher ausgeführten Aktes, in dem die Großfürstin eine wichtige Rolle einnimmt. Elena fragt explizit nach den Bestimmungen des Testamentes. Der Großfürst antwortet, dass er seinen Sohn Ivan zum Nachfolger eingesetzt hat und ihr, Elena, ein Gut vermacht hat, wie dies bei den Großfürsten üblich war. Elena bittet nun auch für ihren Sohn Jurij, der daraufhin mit einem anderen Kreuz gesegnet wird. Außerdem spricht Vasilij auch hier wieder aus, dass Jurij nach seinem Testament ein Landgut, die Stadt Uglicˇ, sowie andere Städte und Güter erhalten werde. Schließlich setzt Vasilij Elena öffentlich zur Regentin ein. Auch hier wird in der wörtlichen Rede

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LLS, Bd. 19, 375f. LLS, Bd. 19, 377. LLS, Bd. 19, 379. LLS, Bd. 19, 380. LLS, Bd. 19, 394f.

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festgehalten, dass die Regentschaft einer Frau bereits in Kiever Zeiten üblich war. Die Großfürstin Ol’ga wird als Beispiel genannt.19 Nachdem Andrej, den Vasilij offensichtlich als vertrauenswürdiger einschätzt als seinen anderen Bruder, diesem gesamten Akt beigewohnt hat, informiert Vasilij seinen Bruder Jurij über seinen nahenden Tod.20 Für das Jahr 1552 beschreibt der LLS eine parallele Geschichte, den Aufstand der Bojaren bei der Nachfolgeregelung Ivans IV., als er eine schwere Krankheit hatte. Ivan IV. erkrankte 1552, als er auf dem Weg zum Dreifaltigkeitskloster war, so heftig, dass er davon ausgehen konnte, nicht mehr gesund zu werden. Er ließ deshalb sein Testament schreiben, in dem er festlegte, dass sein sechs Monate alter Sohn Dmitrij sein Nachfolger werden sollte, und holte dann sofort seinen Cousin, Vladimir Andreevicˇ, um ihn auf diese Nachfolge zu vereidigen.21 An dieser Handlung ist mehreres bemerkenswert. Zum einen gibt es hier eine offensichtliche Gleichheit des Beginns der Erzählungen zwischen Vasilij III. und Ivan IV. Beide sind auf dem Weg zum Dreifaltigkeitskloster, als sie auf den Tod krank werden. Beide Reisen werden mit den gleichen Bildern beschrieben.22 Außerdem haben beide sehr junge Söhne, die ihnen folgen sollen, und es gibt erwachsene kongnatische Verwandte, die man ebenfalls als Nachfolge für den Herrscher in Betracht ziehen könnte. Diese sollen dadurch aus der Erbfolge herausgehalten werden, dass man sie als erste auf den minderjährigen Nachfolger vereidigt. Die Geschichte um Ivan IV. geht jedoch anderweitig weiter. Es sind die Bojaren, die ganz offensichtlich nicht mit in Abstimmung genommen wurden, die sich weigern, den Eid zu leisten. Ihre Argumentation weist auf folgendes: „Gott weiß, und Du auch, Herrscher: dir, Herrscher, und deinem Sohn, dem Carevicˇ Dmitrij, küssen wir das Kreuz, aber den Zachar’ins, Daniil und seinen Brüdern, wollen wir nicht dienen. Dein Sohn, unser Herrscher, ist noch in den Windeln […].“23

Da der Nachfolger noch in den Windeln liegt, gehen die Bojaren davon aus, dass die Verwandten der Zarin Anastasija, die Zachar’ins, für ihn herrschen werden. Dies würde jedoch die ausbalancierten Hierarchien am Zarenhof zerstören, weil bereits hohe Bojaren nun noch höher in der Hierarchie aufsteigen würden. Natürlich reden die Bojaren auch aus der Erfahrung aus der Zeit der Minderjährigkeit Ivans IV., in der die Regierung – vor allem nach dem Tod der Großfürstin

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LLS, Bd. 19, 394–406. LLS, Bd. 19, 415. LLS, Bd. 21, 435f. LLS, Bd. 19, 227f.; LLS, Bd. 21, 531–533. LLS, Bd. 19, 441.

Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien

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Elena – nicht einfach war.24 Vor diesem Hintergrund war es offensichtlich klüger, einen bereits erwachsenen Herrscher einzufordern, wie es Vladimir Andreevicˇ war. Der jüngere Bruder Ivans, Jurij, wurde offensichtlich nicht als Nachfolger oder als Bedrohung der Herrschaft gesehen. Im Verlaufe der gesamten Handlung sind die Bojaren äußerst uneinig, einige lassen sich vereidigen, andere lassen sich nicht vereidigen, einige versuchen die anderen zu überreden.25 Das Problem löste sich von selbst, als Ivan IV. wieder gesund wurde. Ganz offensichtlich aber hatte ihn der ‚Aufstand‘26 der Bojaren und ihr Unwille, seinen Sohn als Herrscher anzuerkennen und ihm einen Eid zu leisten, verstimmt. Der LLS zeigt, dass Ivan IV. nach seiner Genesung seinen Platz als Herrscher wieder einnimmt und die Anführer der Aufständischen wegen Verrats hinrichten lässt.27 Die Reihenfolge der bebilderten Texte lässt den Schluss zu, dass hier eine Glosse der Chronik ‚Carstvennaja kniga‘ (Buch des Zarentums) stark verkürzt bearbeitet wurde.28 Die Erzählung vom Bojarenaufstand 1553 kommt in der ‚Carstvennaja kniga‘ zwei Mal vor, beide Male handelt es sich um nachträgliche Hinzufügungen am Ende der Chronik. Beide Teile ähneln einander stark. Der erste Teil29 hat allerdings einen längeren Abschnitt über die Kandidatur Vladimir Andreevicˇs, des Cousins des Zaren, am Anfang, während der zweite,30 am Ende der Chronik stehende Text diesen Abschnitt verkürzt näher am Ende hat.31 Die Abwesenheit von Bildern und Texten, in denen die Beratung des Zaren mit seinen Ratgebern beschrieben wird, zeigt im Zusammenhang mit der Parallelerzählung zum Tod Vasilijs III. das Dilemma des Zaren sowie der Schildernden. Die Erzählung vom Tod Vasilijs III. ist in vieler Hinsicht eine Modellerzählung. Was die Nachfolgefrage angeht, so erzählt sie von den vielen Absprachen, den 24 Mikhail Krom, Vdovstvujusˇcˇee carstvo. Politicˇeskij krizis v Rossii 30–40-ch godov XVI veka, Moskva 2010. 25 LLS, Bd. 21, 439–460. 26 Zum Aufstand der Bojaren ausführlich Hartmut Rüss, Adel und Nachfolgefrage im Jahre 1553. Betrachtungen zur Glaubwürdigkeit einer umstrittenen Quelle, in: Daniel C. Waugh (ed.), Essays in Honor of A. A. Zimin, Columbus OH 1985, 245–378, Peter Nitsche, Großfürst und Thronfolger. Die Nachfolgepolitik der Moskauer Herrscher bis zum Ende des Rjurikidenhauses (Kölner Historische Abhandlungen 21), Köln/Wien 1972, 277–308. 27 LLS, Bd. 21, 466. 28 Polnoe sobranie russkich letopisej, Bd. 13, Moskva 2000, 522, Anm. 4: napisany skoropis’ju vnizu i sboku stranic „geschrieben in Skoropis’ (schnelle Kanzleischrift) unten und oben auf der Seite.“ Der ‚Polnoe sobranie russkich letopisej‘ wird im Folgenden mit PSRL abgekürzt. 29 PSRL 13, 523–526. 30 PSRL 13, 519–521 mit den Parallellesungen der vorherigen Erzählung in Fußnoten. 31 PSRL 13, 529, Anm. 3: posledujusˇcˇie otryvki predstavljajut soboju kopiju skoropisnago teksta, pomeshchennago na poljach listov 650–653 Carstvennoj knigi i napecˇatannago vysˇe, v sem tome, na str. 522–526 „Die folgenden Fragmente sind eine Kopie in Skoropis‘ (schnelle Kanzleischrift) eines Textes, der als Glosse auf den Seiten 650–653 der ‚Carstvennaja kniga‘ steht und oben in diesem Band auf den Seiten 522–526 abgedruckt ist.“

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schriftlichen und performativen Akten, die nötig sind, um einen minderjährigen Sohn bei gleichzeitiger Anwesenheit von lebenden männlichen kognatischen Verwandten zum Herrscher zu machen. Im Falle Vasilijs halten sich die meisten Bojaren und der Klerus an die getroffenen, beschriebenen und beeideten Absprachen. Dies ist vor allem dadurch ersichtlich, dass Vasilijs Sohn Ivan 1547 zum Zaren gekrönt wird. Die Parallelerzählung im LLS ist voller versteckter Anspielungen auf die Fehler des Zaren, als er seinen sechs Monate alten Sohn „noch in den Windeln“ zu seinem Nachfolger machen will. Ivan entscheidet allein über die Nachfolge und versucht dann, seine Bojaren zum Eid zu zwingen. Er sucht keine Unterstützung von Geistlichen – der Kreuzkuss als Eidesleistung wird von seinen ihm nahe stehenden Bojaren, Ivan Mstislavskij und Vladimir Vorotynskij, im Vorzimmer abgenommen.32 Die unterschwellige Botschaft dieses Textes, ebenso wie die Bebilderung sind eindeutig: Ivan hat die Schuld am Aufstand seiner Bojaren, weil er sich nicht an die Regeln genauer Absprachen gehalten hat. Diese Kritik ist insofern bemerkenswert, als dass sie in einem Buch erfolgt, das gerade eben unter dem Mäzenatentum eben dieses Zaren hergestellt wird und eine Begebenheit aus der Frühzeit seiner Regierung erzählt. Eine subtile Art von Herrschaftskritik ist offensichtlich da möglich, wo die Geschichte gut ausgeht. In den 1560er Jahren konnte Ivan IV. beachtliche Erfolge als Herrscher zeigen: Das Zartum Astrachan’ war erobert, weite Teile Livlands waren erobert und befestigt worden, der Livländische Orden zerschlagen, und die moskovitischen Truppen schickten sich an, Städte in Litauen zu erobern. Die mit der Eroberung des Zartums Kazan’ einhergehende Öffnung der Handelswege aus dem Osten nach Moskau hin spülte zusätzlichen Reichtum in die Staatskassen. Hiervon profitierten wiederum die am Krieg und Handel beteiligten Bojaren. Schließlich profitierten Künstler aller Art von Ivans Reichtum und Mäzenatentum, wurden doch nicht nur viele Bücher und Chroniken geschrieben, sondern auch die Kirchen ausgebessert und neu ausgemalt. Außerdem hatte Ivan zwei überlebende Söhne, nachdem der kleine Dmitrij 1553 ertrunken war. Diese sicherten die Herrschaftsnachfolge so, dass man sich der kongnatischen Linie der Starickijs, abstammend von Vasilijs III. Bruder Andrej, durch Justizmord entledigen konnte.33

32 PSRL 13, 524. 33 Russell Martin, A Bride for the Tsar. Bride-Shows and Marriage Politics in Early Modern Russia, DeKalb IL 2012, 129, beschreibt Ivans Motive folgendermaßen: „It is no coincidence, then, that the execution of the Staritskiis came only one month after the death of Ivan IV’s second wife, Mariia Temriukovna. These executions were not so much the act of a madman out to destroy as a desperate attempt to gain control over the dynasty.“

Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien

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Weitere dynastische Krisen, in der sehr minderjährige Kinder eine Rolle spielten, gab es in Moskovien später nicht mehr. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Primogenitur unumstritten. Die Krisen des 16. Jahrhunderts sagen sehr viel über das Verständnis von Herrschaft aus. Offensichtlich war es das junge Alter der Nachfolger bei gleichzeitiger Existenz von erwachsenen kongnatischen männlichen Verwandten, das für die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Primogenitur in Moskovien sorgte. Warum es so schwierig war, das Herrscheramt auf Kleinkinder übergehen zu lassen, erklärt sich durch das Verhältnis der Moskoviter zum sakralen Herrscherkörper.

2.

Die Funktion von sakramentaler Repräsentation

Ernst Kantorowicz entwickelte die These von den zwei Körpern des Königs, dem natürlichen und dem sakralen Körper, oder der Personalität und Transpersonalität des Herrschers 1957. Edward Keenan machte 1974 in einem Vortrag an der Columbia University Kantorowiczs Konzept der zwei Körper für eine Studie über Ivan IV., Zar von Moskau, fruchtbar. Im Gegensatz zu Kantorowicz, der eine klassische strukturalistische Analyse liefert, benutzt Keenan die zwei Körper als Metapher und stellt eine Beziehung zwischen ihnen her. Der private Körper Ivans weist nach einer forensischen Untersuchung in den frühen 1960er Jahren Deformierungen des Skeletts auf, die nach Keenan äußerst schmerzhaft gewesen sein und deshalb auf das Amt als Zar Einfluss genommen haben müssen. Für Keenan ist gerade die Verbindung zwischen dem physischen und dem politischen Körper des Herrschers ein Grund für schlechte Herrschaft.34 Allerdings beruht seine Einschätzung der körperlichen Verfassung des Herrschers auf einer falsch verstandenen Diagnose.35 Nichtsdestotrotz macht Keenans Vortrag deutlich, wo das Problem liegt, wenn man mit der Opposition der zwei Körper des Königs arbeitet. Zwar ist die Frage der Personalität immer schnell geklärt, doch die Frage der Transpersonalität ist generell problematisch. Transpersonalität bedeutet, dass der Herrscher im Prinzip über seinen Körper hinauswachsen muss, diesen jedoch nie verlassen kann. In der frühen Neuzeit wurde die Transpersonalität des Herrschers durch performative Akte öffentlich 34 Edward L. Keenan/Russell E. Martin, The Tsar’s Two Bodies, in: Canadian-American Slavic Studies 51/1 (2017), 3–28, hier 3f. 35 Cornelia Soldat, An Early Childhood Illness of Ivan the Terrible. Scrofula or Tuberculosis, Persistent or Healed?, in: Canadian-American Slavic Studies 52 (2018)/Festschrift in Memoriam Cherie Woodworth, 312–326. Zu Keenans Einschätzung des forensischen Befundes siehe Edward Keenan, Ivan IVand the „King’s Evil“: ni maka li to budet?, in: Russian History/Histoire Russe 20 (1993), 5–13.

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verdeutlicht. In den letzten Jahren wurde in der Wissenschaft die Vorherrschaft des Textes als Grundlage für gesellschaftliche Sinnproduktion infrage gestellt. Texte bedurften einer performativen Realisierung, zum Beispiel einer Inszenierung auf einer großen Bühne. In einer Zeit, in welcher ein Großteil der Bevölkerung gerade keine Texte las, wurde im performativen Akt, im Äußern, Aufführen, Lesen oder Betrachten von Text und Bild, erst Bedeutung hervorgebracht. Der performative Akt, in dem der Text deklamiert wird, sowie das Bild sind Teil eines Kommunikationsaktes, der Information, Mitteilung und Verstehen beinhaltet.36 Ein performativer Akt ist es, ausgeführt vor den Augen eines Publikums, der den Herrscher zum Herrscher macht, den privaten Körper des Herrschers in einen politischen Körper überführt. In der frühen Neuzeit führte dies zu einer Unterscheidung zwischen Präsenz und Repräsentation, die im Prinzip die Unterscheidung der beiden Körper wieder aufhebt. Ausgehend vom Streit über das Abendmahl 1529 zwischen den Reformatoren Martin Luther, Philipp Melanchthon, Ulrich Zwingli und Johannes Ockolampad und über die Frage der Anwesenheit von Christus in Blut und Wein, kann man ein System der Sakramentalen Repräsentation als Zusammenfassung von Praktiken und Diskursen, die in der frühen Neuzeit die Frage nach Substanz, Zeichen und Präsenz verhandeln, entwickeln.37 Einfach zusammengefasst beschreibt das System der Sakramentalen Repräsentation den Übergang eines Körpers von einem realen in einen anderen, transrealen, Zustand, der mittels des Vollzugs eines Rituals erreicht wird. Das Ritual, oder der performative Akt, sorgt für die symbolische Präsenz von etwas anderem. Der Körper des Herrschers ist im Prinzip diesem Konzept der Sakramentalen Repräsentation unterworfen. Durch einen performativen Akt wie eine Krönung wird der natürliche Körper des Menschen zum politischen Körper des Herrschers. Vergleicht man die Darstellung der Einsetzung dieser minderjährigen oder der Primogenitur verhafteten Herrscher mit der relativ einfachen, dem Senioratsprinzip und damit dem Gewohnheitsrecht folgenden Nachfolge, wie sie Vasilij III. nach Ivan III. angetreten hat, so fällt auf, dass gerade im LLS diesen Nachfolgeregelungen extrem viel Platz gegeben wird. Die Nachfolge Vasilijs III. nach dem Tod Ivans III. wurde bereits 1502 einvernehmlich geregelt. An diesem Tag segnet Ivan seinen ältesten überlebenden Sohn Vasilij und setzt ihn zum Großfürsten neben sich ein.38 Diese Nachfolge36 Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: Barbara Stollberg-Rilinger/Thomas Weissbrich (edd.), Die Bildlichkeit symbolischer Akte, Münster 2010, 9–22, hier 10–13. 37 Daniel Weidner, Sakramentale Repräsentation als Modell und Figur, in: Stefanie Ertz/ Heike Schlie/Daniel Weidner (edd.), Sakramentale Repräsentation. Substanz, Zeichen und Präsenz in der frühen Neuzeit (Trajekte), München 2012, 13–28, hier 14f. 38 LLS, Bd. 17, 491.

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regelung folgt im Prinzip dem byzantinischen Modell, das den Nachfolger des Herrschers schon frühzeitig als Mit-Herrscher einführt. Im Vorfeld hatte es allerdings Unstimmigkeiten über die Nachfolgeregelung Ivans III. gegeben. In einem Versuch, das Gewohnheitserbrecht des Seniorats zu umgehen, hatte Ivan seinen Enkel Dmitrij Ivanovicˇ zum Erben erklärt. Dmitrij war der Sohn des ältesten Sohnes Ivans III., Ivan Ivanovicˇ, aus seiner ersten Ehe mit Marija von Tver’. Ivan Ivanovicˇ starb sieben Jahre nach der Geburt seines ersten Sohnes Dmitrij im Jahr 1490. Nach Isolde Thyrêt nahm die Großfürstin Elena, Witwe von Ivan Ivanovicˇ und Tochter von Stephan III. von Moldavien, eine einflussreiche Stelle am Moskoviter Hof ein. Diese Einflussvergrößerung macht Thyrêt für alle Großfürstinnen aus, wenn sie erst einmal Kinder bekommen hatten. In diesem Fall war der Einfluss der Fürstin Elena, Ivans Witwe, offensichtlich auch nachdem Ivan III. ein zweites Mal geheiratet und mehrere Söhne bekommen hatte, extrem hoch. Sie konnte 1598 durchsetzen, dass statt der Söhne Ivans aus zweiter Ehe, denen auch noch nicht erlaubt worden war zu heiraten, ihr Sohn Dmitrij Ivanovicˇ zum Mitregenten gekrönt und damit zum Nachfolger eingesetzt wurde. Dass diese Erbfolgeregelung nicht unumstritten war, zeigt sich darin, dass Dmitrij nach dem byzantinischen Krönungsritual zum Mitregenten gekrönt wurde. Es ist dies das erste Mal, dass dieses Ritual angewendet wurde. Seine zweite Anwendung erfuhr es bei der Krönung Ivans IV. zum Zaren im Jahr 1547. Das Krönungsritual für Dmitrij wird im LLS Stufe für Stufe bebildert dargestellt.39 Genutzt hat diese elaborierte Krönung zum Mitregenten jedoch nicht viel. Thyrêt macht deutlich, dass die zweite Ehefrau Ivans III., Sofia Palaiolog, in der Folgezeit ihren Einfluss am Hof deutlich erhöhte. 1502 fielen Dmitrij und seine Mutter bei Ivan III. in Ungnade, und die Nachfolge verfiel.40 Stattdessen wurde Vasilij III. als ältester Sohn Sofias und Ivans III. 1502 zum Nachfolger und Mitregenten41 und schließlich zum Großfürsten eingesetzt.42 Vasilij III., seit 1505 mit Solomonija Saburova verheiratet, war und blieb in dieser Ehe kinderlos. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und in Ermangelung eines direkten Nachfolgers entschied man sich, die Ehe im Jahr 1525 scheiden zu lassen. Sigismund von Herberstein beschreibt die Ehescheidung und 39 LLS, Bd. 17, 359–374. 40 Vgl. LLS, Bd. 17, 493. 41 Vgl. LLS, Bd. 17, 491: „Über die große Herrschaft des Großfürsten Vasilij. Im Jahr 7010 (1502) im Monat April am 14. Tag, einem Donnerstag, dem Gedenktag unseres seligen Vaters Martin, Papst von Rom, beschenkte der Großfürst Ivan Vasil’evicˇ der ganzen Rus’ seinem Sohn Vasilij, er segnete ihn und setzte ihn in der großen Herrschaft in Vladimir und Moskau in der ganzen Rus’ als Selbstherrscher ein.“ 42 Isolde Thyrêt, Between God and Tsar. Religious Symbolism and the Royal Women of Muscovite Russia, DeKalb IL 2001, 22–24.

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die anschließende Scherung Solomonijas zur Nonne sehr eindrücklich und betont, dass die Großfürstin ganz offensichtlich nicht mit der für sie getroffenen Entscheidung einverstanden war.43 Vasilij heiratete 1526 Elena Glinskaja, und nach einer Zeit der Pilgerfahrten mit Bitte um Fruchtbarkeit gebar Elena in den Jahren 1530 und 1532 die Söhne Ivan und Jurij. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch zwei der jüngeren Brüder Vasilijs, Jurij Ivanovicˇ, Fürst von Dmitrov, und Andrej Ivanovicˇ, Fürst von Starica. In dem Bemühen, tatsächlich ein Primogeniturprinzip in der Erbfolge durchzusetzen, war den Brüdern Vasilijs nicht erlaubt worden zu heiraten. Dies machte natürlich die Unfruchtbarkeit der Ehe mit Solomonija Saburova erst recht zu einer Krise. Problematisch war auch das relativ hohe Alter Vasilijs III., der bei der Geburt seines ersten Sohnes schon über 50 Jahre alt war. Im September 1533 kam es zu der bereits oben beschriebenen Nachfolgekrise, als Vasilij nach einer Reise ins Dreifaltigkeitskloster an einer Wunde am Bein stark erkrankte. Nachdem er erkannt hatte, dass er von der Wunde nicht mehr genesen würde, setzte Vasilij einen Abstimmungsprozess in Gang, der seinen Sohn Ivan trotz seiner Minderjährigkeit als Nachfolger festigen sollte. Der LLS zeigt diese Erzählung, gemäß dem Chronikeintrag in der Postnikovskij-Chronik44 in einer langen Abfolge von Bildern und Text, die mehr als 150 Seiten einnimmt. Nachdem die Nachfolge in langen Diskussionen besprochen, im Testament schriftlich niedergelegt, beeidet und in dem oben beschriebenen performativen Akt vor Zeugen noch einmal dargelegt wurde, nimmt Vasilij im Prinzip auf dem Sterbebett wieder seine natürliche Persönlichkeit an und lässt sich vom anwesenden Klerus seelsorgerlich betreuen. Auffällig ist, dass er in den Bildern nun keine Großfürstenmütze mehr trägt, sondern barhäuptig ist. Er bittet nun darum, auf dem Totenbett zum Mönch geschoren zu werden. Dies war zur Zeit Vasilijs ein üblicher Akt, der das Seelenheil sichern sollte. Hier zeigt sich jedoch wieder, dass Personalität und Transpersonalität im Falle des Herrschers, der stirbt, nicht zu trennen sind. Die Kleriker weigerten sich buchstäblich bis zum letzten Moment, Vasilij zum Mönch zu scheren. Während Hartmut Rüss der Meinung ist, dass dies an Vasilijs allzu großen Sünden liegt, die man ihm auch auf dem Totenbett nicht verzeihen kann, und er wahrscheinlich die Ehescheidung von Solomonija Saburova im Hinterkopf hat,45 lässt sich im Sinne von frühneuzeitlichen performativen Akten und sakramen-

43 Sigmund Freiherr zu Herberstein Neyperg und Guettenhag, Moscovia. In Anlehnung an die älteste deutsche Ausgabe aus dem Lateinischen übertragen von Wolfram von den Steinen, eingel. und hrsg. von Hans Kauders, Erlangen 1926, 57f. 44 PSRL 34. Ich danke Brian Boeck für diesen Hinweis. 45 Vgl. Rüss 1985.

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taler Repräsentation eine andere Erklärung dafür finden, warum sein Wunsch, Mönch zu werden, solange verweigert wurde. Bereits im Akt der Thronbesteigung hat Vasilij seine natürliche Person aufgegeben und einen repräsentativen Körper, den Körper des Herrschers, erhalten. Seit diesem Akt wird er im LLS immer mit einer Zarenmütze auf dem Kopf dargestellt. Im Falle eines Scherens zum Mönch wäre dieser repräsentative Körper des Herrschers ein weiteres Mal transformiert worden, nämlich zum Körper eines Mönches. Die Bebilderung des Aktes der Mönchsscherung zeigt dies ganz explizit. Der kranke Vasilij trägt keine Großfürstenmütze mehr auf dem Kopf, während er auf dem Bett liegt. Das Mönchskleid wird ihm übergezogen, und seine Persönlichkeit verändert sich. Im Bett liegt nun ein Mönch, der auf seiner Brust das Evangelium liegen hat.46 Diese weitere Transformation des herrscherlichen Körpers ist nicht rückgängig zu machen. Eine Erholung Vasilijs von seiner Krankheit wäre ab diesem Moment fatal für die Regierung, da die Mönchspersönlichkeit den Herrscherkörper übernommen hat. Die beiden Körper des Herrschers, sein natürlicher und sein staatlicher Körper, existieren im Körper des Mönchs nicht mehr. Ein Warten auf wirklich den letzten Moment im Leben des Herrschers, bevor er zum Mönch geschoren wurde, ist deshalb sehr sinnvoll. Noch sinnvoller, wenn man bedenkt, dass der Großfürst verheiratet war und dem orthodoxen schwarzen Klerus das Heiraten untersagt war. Hier zeigt sich, wie die kirchliche Hierarchie Thronbesteigung und Tod des Herrschers verstand. Wie keine anderen Menschen in Moskovien wussten die Mönche, dass sich durch die Ausführung eines performativen Aktes die Sakramentale Repräsentation des Körpers ändert. Sie übernehmen in diesem Fall ganz konkret eine Verantwortung dafür, dass Moskovien einen handlungsfähigen Herrscher hat. Und sie handeln weiterhin in genau dieser Verantwortlichkeit, indem sie als erstes die Brüder des Großfürsten, Andrej und Jurij, den Eid auf Ivan IV. Vasil’evicˇ leisten lassen. Diese Eidesleistung wird normalerweise mit einem Kuss auf ein Kreuz besiegelt, in Moskovien wird der Eid deshalb normalerweise auch Kreuzkuss genannt. Danach vereidigen die Kleriker auch alle anderen Hofleute, und erst dann geben sie den Tod des Herrschers bekannt.47 Der Moskovitische Klerus, der täglich das Messopfer vollzog, war noch voll und ganz in der vormodernen Auffassung von Sakramentaler Repräsentation verhaftet. Seine Umgebung war dies ebenso, wie man an der Bebilderung des LLS sehen kann. Offensichtlich hatte niemand im Moskovien des 16. Jahrhunderts Schwierigkeiten, den wirklichen Grund für die Verweigerung der Mönchssche-

46 LLS, Bd. 19, 426. 47 LLS, Bd. 19, 431–433.

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rung zu begreifen, weil alle wussten, dass der Akt der Scherung den Körper des Königs verändern würde. Während im nachreformatorischen Reich die Sakramentale Repräsentation mehr und mehr symbolisch verstanden und metaphorisch in Texten beschrieben wurde, war sie in Moskovien noch länger Realität.

3.

Resümee

Bei der Erbfolge geht der politische Körper des Herrschers im Prinzip auf einen Fremdkörper über. Die beiden Körper des Herrschers sind tatsächlich getrennt. Transpersonalität kann hier ganz wörtlich verstanden werden. Die Erbfolgeprobleme in der Moskoviter Rus’ in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts machen dies deutlich. Im Falle normaler Erbfolge geht der politische Körper des toten Herrschers auf den Körper seines Nachfolgers über. Vasilij III. sitzt, wie das Bild in LLS zeigt, ganz selbstverständlich auf dem Thron seines Vaters und regiert. Wird die traditionelle Erbfolge dagegen unterbrochen, indem entweder, wie im Falle Dmitrij „des Enkels“, die Söhne aus zweiter Ehe zugunsten des Enkels übergangen oder aber ältere und erfahrenere kongnatische Verwandte, Bruder, Onkel, Cousin, zugunsten von Kleinkindern übergangen werden, muss zu außerordentlichen Maßnahmen gegriffen werden, um diese nicht der Norm entsprechende Nachfolge zu sichern. Offensichtlich geht der politische Körper des Herrschers nicht ohne weiteres auf Kinder über. Deren Nachfolge wird durch eine Fülle von Absprachen sowie schriftlichen und mündlichen Akten geregelt, bevor ihre Körper zu sakramentalen Repräsentationen des Herrscherkörpers werden. Die Erzählung vom Tod Vasilijs III. zeigt, wie schwierig es in Moskovien war, einen minderjährigen Erben einzusetzen, wenn noch erwachsene Erben da waren. Der Enkel Ivans III., Dmitrij, war mit 15 Jahren zum Zeitpunkt seiner Krönung bereits ein erwachsener Mann. Trotzdem wurde für ihn ein Krönungsritual eingeführt, um seine Nachfolge performativ und in der Öffentlichkeit zu festigen. Als Vasilij III. seinen erstgeborenen Sohn Ivan zum Nachfolger machen wollte, hatte dies zunächst unzählige Absprachen mit Fürsten, Bojaren und Hofleuten zur Folge. Dann wurde diese Regelung schriftlich festgelegt. Schließlich wurde diese schriftliche Festlegung noch einmal in einem performativen Akt, in dem Großfürst, Großfürstin und die beiden Söhne sowie Reliquien, denen eine große Bedeutung zugemessen wurde, mündlich und durch Segensgesten vor dem Bruder des Großfürsten Andrej und dem gesamten Gefolge am Hof bestätigt.

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Das Testament heißt im Altrussischen duchovnaja gramota, was so viel wie „geistliches Schriftstück“ bedeutet. Normalerweise wurde es von dem Priester abgefasst, der auch die letzte Beichte auf dem Totenbett abnahm. Reste von diesem Totenbettritual finden sich beim Tod Vasilijs III. wieder. Nachdem die Nachfolge abgeschlossen ist und im Prinzip der politische Körper auf den Körper des Nachfolgers Ivan weitergegangen ist, übernehmen es die Geistlichen, nicht nur für das Seelenheil des nun wieder privaten (und doch wieder nicht privaten) Körpers des Herrschers zu sorgen, sie übernehmen es auch, für die Einhaltung der Nachfolgeregelung zu sorgen. Deshalb verheimlichen sie zunächst, dass der Großfürst bereits gestorben ist, und nehmen erst seinen Brüdern und dann dem gesamten Hofstaat den Treueeid auf Ivan IV. ab. Nach Vasilijs Tod kümmert sich die kirchliche Hierarchie um die Umsetzung der Testamentsbestimmungen. Sie nimmt die Eide ab und gewährt so die Nachfolge. Diese Handlungsweise zeigt die Verantwortlichkeit, in der sich die Moskovitischen Kleriker für den Weiterbestand der Herrschaft sahen. Bezeichnend ist, dass etwa zur gleichen Zeit, in der der LLS entsteht, die Transformation Vasilijs III. zum Mönch als Eintritt in den Status eines Heiligen gedeutet wird. Eine Ikone aus den Jahren 1550–1575 zeigt den Heiligen Basilius den Großen gegenüber dem Heiligen Fürsten Vasilij III. bei der Fürbitte.48 Hier wird auf die Namensgleichheit beider Heiliger verwiesen. Vasilij ist die russifizierte Form des griechischen „Basilius“. Durch die Nennung „Vasilij“ wird außerdem der Herrschername als Name des Heiligen festgelegt. Er wird weder beim Taufnamen, Gavriil, noch bei dem bei der Mönchsscherung gegebenen Mönchsnamen Varlaam genannt. Hier verbindet sich die Position als Heiliger mit der des Herrschers. Die Darstellung Vasilijs als Heiligem, der mit seinem namensgebenden Schutzpatron für die Rus’ betet, fällt hier zusammen mit der Propagierung des inoffiziellen Heiligenkultes der Mitglieder der Moskauer herrschenden Dynastie, die Gail Lenhoff untersucht hat.49 Vasilij wurde offensichtlich ohne offizielle Kanonisation und nur aufgrund der Mönchsscherung auf dem Totenbett, symbolisiert durch den Mönchsumhang und Schulterumhang (slav. analav), sowie seiner Zugehörigkeit zur Dynastie der Rjurikiden als Heiliger verehrt.50 Hierauf verweist auch die Aufschrift auf der Ikone: „Der rechtgläubige Fürst Vasilij 48 Abgedruckt in der Internet-Publikation: Tat’jana Samojlova, Ikony i Vlast’. Vystavka-rekonstrukcija dogmata bogoizbrannosti moskovskogo gosudarja, in: Nasˇe nasledie 87 (2008), http://nasledie-rus.ru/podshivka/8703.php (25. 4. 2018). 49 Gail D. Lenhoff, Unofficial veneration of the Daniilovichi in Muscovite Rus’, in: Ann M. Kleimola/Gail D. Lenhoff (edd.), Culture and Identity in Muscovy, 1359–1584 (UCLA Slavic Studies 3), Moskva 1997, 391–416. 50 Vgl. hierzu Cornelia Soldat, Urbild und Abbild. Untersuchungen zu Herrschaft und Weltbild in Altrussland, 11.–16. Jh. (Slavistische Beiträge 402), München 2001, 196–197 et passim.

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Ioanovicˇ, Selbstherrscher der ganzen Rus’ im Mönchsrang Varlaam.“ Ein Bild Vasilijs als Fürst findet sich unter den Fresken an einer nordwestlichen Säule der Erzengelkathedrale des Moskauer Kreml’. Dieses Bild stammt allerdings schon aus dem 17. Jahrhundert.51 Die Ikone steht am Anfang der in der Mitte des 16. Jahrhunderts aufgekommenen Tradition, die Gräber der Großfürsten im Stil eines Heiligengrabes mit einem bestickten Überwurf (russ. pokrov) und einer Über-Grab-Ikone auszustatten.52 Im Falle Vasilijs III. wird deutlich, wie oft die Absprache über die Nachfolge Minderjähriger in der herrschenden Elite getroffen werden musste. Erst als alle zustimmen, wird die Nachfolge schriftlich festgelegt. Der schriftliche Text muss wiederum durch performative Akte beglaubigt werden. Im Falle Vasilijs III. ist dies die mündliche Bestätigung des Testamentsinhaltes und die Segnung auf dem Totenbett. Schließlich wird die gesamte Geschichte schriftlich in die Chroniken aufgenommen und in den 1560er Jahren Stück für Stück bebildert nachgestellt. Die Bebilderung zeigt wiederum deutlich, dass man sich in Moskovien noch viel später sowohl der Notwendigkeit des performativen Aktes bewusst war als auch der Transformationen des Herrschers. Der Sohn erhält einen Herrscherkörper, den er wiederum auf seinen Sohn übergehen lassen muss. Erst kurz vor seinem Tod kann der Herrscher durch die Mönchsscherung seinen Körper einer weiteren Transformation unterziehen lassen. Der Ausgang der Krise von 1552 zeigt sehr deutlich, dass die Herrscher den Übergang der Herrschaft auch auf ihre leiblichen Söhne mit Verweis auf ihre politischen Körper rechtfertigten und den Übergang der Trans-Persönlichkeit des Herrschers auch auf Minderjährige sehr ernst nahmen. Die Hinrichtung der Bojaren, die sich der Eidesleistung auf Ivans IV. Sohn Dmitrij verweigerten, ist ein staatspolitischer Akt. Der genesene persönliche Körper des Zaren nimmt seine Arbeit wieder auf und agiert als politische Person in dem Fall, in dem die persönliche Nachfolge zurückgewiesen wurde. Dieser Akt der Zurückweisung wird als Majestätsverbrechen gedeutet und entsprechend geahndet. Im Falle der Erbfolge wird der Herrscherkörper zum Körper in Transition und möglichst auf den eigenen Sohn übertragen. Dies geschieht in Moskovien durch performative Akte und in dem Bewusstsein, dass diese Akte sakramentale Repräsentation schaffen.

51 The-morning-spb.livejournal.com, Koncˇina Vasilija III., https://the-morning-spb.livejournal. com/45977.html (25. 4. 2018). 52 Samojlova 2008, http://www.nasledie-rus.ru/podshivka/8703.php (25. 4. 2018).

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Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien Ivan III. Vasil’evič (1440–1462 –1505)

Verh. 1. Maria von Tver’ 1447 –1467

Verh. Elena, Tochter von Stephan III. von Moldavien

Ivan der Jüngere, Großfürst von Tver‘

Verh. 2. Sof’ja Palaiolog,1440/49 – 1503

Andrej Ivanovič, Fürst von Starica

Vasilij III. Ivanovič

1490 –1519 –1537

Großfürst von Moskau

1458 –1490

Dmitrij Ivanovič Vnuk (der Enkel) 1483–1509, Großfürst von Moskau 1498 –1502

Verh. 1533 Efrosinja Andreevna Chovanskaja

Vladimir Andeevič 1533 –1569, Fürst von Starica seit 1542

Jurij Ivanovič, Fürst von Dmitrov, 1480 –1536

Verh. 1. Solomonija Saburova, 1490– 1542, geschieden 1525

Ivan IV. Vasil’evič, Zar von Moskau, 1530 –1533 –1547 – 1584

Weitere Kinder, vor Vasilij verstorben.

Verh. 2. (1526) Elena Glinskaja, 1510 –1538, reg. 1533 –1538

Jurij Vasil’evič, Fürst von Uglič, 1532 –1563

Verh. Anastasija Romanovna Zachar’ina, ? –1547– 1560

Dmitrij, 1552–1553 und andere Kinder

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Cornelia Soldat

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Primogenitur und Konsensherrschaft unter Vasilij III. und Ivan IV. in Moskovien

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mente als Quellen für den Umgang mit den „letzten Dingen“ (Irseer Schriften. Studien zur schwäbischen Kulturgeschichte 4), Konstanz 2007, 37–51. Cornelia Soldat, An Early Childhood Illness of Ivan the Terrible. Scrofula or Tuberculosis, Persistent or Healed?, in: Canadian-American Slavic Studies 52 (2018)/Festschrift in Memoriam Cherie Woodworth, 312–326. Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: Barbara Stollberg-Rilinger/Thomas Weissbrich (edd.), Die Bildlichkeit symbolischer Akte, Münster 2010, 9–22. Isolde Thyrêt, Between God and Tsar. Religious Symbolism and the Royal Women of Muscovite Russia, DeKalb IL 2001. Daniel Weidner, Sakramentale Repräsentation als Modell und Figur, in: Stefanie Ertz/ Heike Schlie/Daniel Weidner (edd.), Sakramentale Repräsentation. Substanz, Zeichen und Präsenz in der frühen Neuzeit (Trajekte), München 2012, 13–28.

John Baines

Ruler, Court, and Power: The King and Institutions in Early Egypt

Abstract The elite surrounding a king, and its necessary presence for the institution of kingship, can be explored through archaeology, pictorial evidence, and texts. This article uses these categories of evidence to study late fourth- and third-millennium bce Egypt. Probable kingship can be identified by the Naqada II period (c. 3400 bce), notably in cemeteries at Hierakonpolis, where styles of display changed between one generation and the next. Naqada IIIA–B, which was the period of state formation and a shift in the polity’s centre to the region of Memphis, produces evidence ranging from tombs, through decorated knives and palettes, to an incipient writing system. A complex symbolism of palaces and thrones emerged, while the Narmer Palette displays the king’s cosmological dependence on the gods and bears a depiction of him and his ritual entourage that associates victory in battle with sunrise. Cemeteries and inscriptions of the following Early Dynastic period (c. 3050–2625 bce) attest to a hierarchically structured elite, primarily focused on Memphis. Official titles point to the importance of proximity to the king’s person and of ritual, as well as the significance of countryside activities as a locus of prestige. It is uncertain how far administrative structures had developed, but official roles, rather than lineages, were a prime focus of elite display. Here, a valuable parallel is offered by late second-millennium bce China, where an elite administrative structure has been proposed as complementing lineage structures. The Old Kingdom period of the pyramids (c. 2625–2140 bce) saw an initial focus on the royal family alongside continuing development of official hierarchies. Pictorial compositions and narrative inscriptions of high officials document the significance of the king’s person through formalized interactions during rituals and other events, notably hunts and other celebrations. The protagonists of some elite inscriptions claimed to have outperformed their allotted roles and thus to have gamed the system in the interest of personal advancement. Such practices have parallels in many other state societies. While the motivations of individual actors cannot be accessed through available sources, the patterns that emerge from them show how king and court depended on one another.

Kings cannot rule alone. They rule through other people, through rituals, through institutions, and especially through expectations that are set up and manipulated by those factors. Expectations and institutions generally include practices that distance the person of the ruler from all but a select few, as well as setting up the

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John Baines

expectation that power will be exercised upon, and violence meted out to, those who oppose the ruler’s will. In order to function, kings require resources. They may or may not themselves have significant amounts of power or wealth: power can reside in those surrounding the ruler, as for example in medieval Japan, or it can work almost entirely through institutions, as in today’s constitutional monarchies. The primary role of the king may or may not be to exercise power. The institution of kingship, which is central to most polities in which it is present, can have great power, whether or not the king himself is powerful. Since exercise of power, perhaps especially through kingship, requires access to resources, kingship succeeds or fails at least in part according to how it fares in that respect, especially in relation to elites. All these points have material correlates, ranging from the configuration and exploitation of territory to the smallest and most ephemeral of artefacts. Often, connections with the monarch radiate outward from the ruling group and territorial centre to the peripheries of a polity, while also being dependent on them for support. For ancient Egypt, enough archaeological and visual evidence survives for it to be possible to observe roles and practices of leadership as they developed from non-state societies of the mid-fourth millennium bce to the unitary state that had formed by perhaps 3150 bce. From that time onward, writing, images, and archaeology make it possible to model elite stratification and assess the complexity of hierarchies and administrative institutions. This essay therefore takes a long view, starting from a less developed context than most others in this volume.1

1 I revisit here some questions treated in larger essays composed in 1987–1988 and in 1995: John Baines, Kingship, Definition of Culture, and Legitimation, in: David O’Connor/David P. Silverman (eds.), Ancient Egyptian Kingship (Probleme der Ägyptologie 9), Leiden 1995a, 3– 47; John Baines, Origins of Egyptian Kingship, in: David O’Connor/David P. Silverman (eds.), Ancient Egyptian Kingship (Probleme der Ägyptologie 9), Leiden 1995b, 95–156; John Baines, Kingship before Literature: The World of the King in the Old Kingdom, in: Rolf Gundlach/Christine Raedler (eds.), Selbstverständnis und Realität: Akten des Symposiums zur ägyptischen Königsideologie in Mainz, 15.–17. 6. 1995 (Ägypten und Altes Testament 36, Beiträge zur Altägyptischen Königsideologie 1), Wiesbaden 1997, 125–174. Fuller documentation is given there. Archaeological evidence, in particular for the earliest periods, has increased greatly since then, and I refer to it where I can (with apologies for self-citation). I am very grateful to Ludwig Morenz and the conference organizers in Bonn for their invitation and for their patience over this essay; to Robert Bagley, who has greatly improved it; and to Cao Dazhi and Christiana Köhler.

Ruler, Court, and Power: The King and Institutions in Early Egypt

1.

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Kingship in the emergence of complex societies and state institutions

In Egypt, as elsewhere, kingship used symbols that conferred special status on its holder and, by delegation, on those around him. One of these symbols can be traced back to the Naqada I period, the earliest stage of formation of a stratified society (for terminology and periods, see table 1). The headgear known for later periods as the ‘red crown’ is attested in a relief image on a sherd from a fine large storage vessel found in a grave at Naqada.2 Whether the person entitled to wear the headgear and have it as a marker on a vessel should be termed a king is an open question. As an institution, kingship may have less to do with the scale of its society than with its symbolic underpinnings, its often hereditary transmission, and a status, however ephemeral, that is radically different from that of anyone else and ideologically central. It is possible that such a status already existed in Naqada I and was signified by the red crown, but there is no way to establish whether that was the case. Be that as it may, the development of symbols and institutions that characterize kingship long preceded large polities and state formation, as also in some other areas of Africa, including renowned cases such as the Shilluk of southern Sudan, for whom the idea of a state is fundamentally irrelevant.3 Predynastic period Naqada IB/C c. 3600–3400 Naqada IIA–C c. 3400–3250 Naqada IIIA–B, ‘dynasty 0’ c. 3250–3050 Early Dynastic period 1st dynasty 2nd dynasty 3rd dynasty

c. 3050–2850 c. 2850–2700 c. 2700–2625

Old Kingdom 4th dynasty 5th dynasty 6th dynasty 7th–8th dynasties

c. 2625–2475 c. 2475–2325 c. 2325–2175 c. 2175–2140

Table 1: Chronological table for early Egypt: approximate, rounded dates BCE.

2 Baines 1995b, 149, fig. 3.1. 3 See e. g. William Arens, Kingship in the Southern Sudan, in: Hermine G. de Soto (ed.), Culture and Contradiction: Dialectics of Wealth, Power, and Symbol, San Francisco 1992, 156– 169; David Graeber/Marshall Sahlins, On Kings, Chicago 2017, 65–138 (with an excessive estimation of the divinity of the Egyptian king on 72).

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The following Naqada II period saw extravagant displays around large tomb complexes at Hierakonpolis (for places mentioned, see the map in fig. 1), in an elite area some way up a wadi from the main settlement (now termed Cemetery HK6) that probably belonged to local rulers and their entourages; the tombs were plundered and so can provide only limited evidence. The burial of a sub-adult man in a major tomb (no. 72) suggests the presence of a hereditary principle because someone of his age is unlikely to have acquired the requisite status through his own achievements.4 By contrast, the setting-up and total destruction of a life-size, fine-limestone statue in another complex (no. 23) points toward dissent, perhaps over attitudes to a particular ruler or over what forms of display were permissible. A third tomb group (no. 16) included an extraordinary range of animal burials (fig. 2), among them an aurochs, an elephant, a crocodile, and a hippopotamus,5 as well as some subsidiary human burials that could have been sacrifices. These tomb complexes are suggestive of kingship. Indirect evidence of roughly the same period comes from a tomb in a different area from HK6, Tomb 100, which bore an elaborate wall painting that includes a motif characteristic of later Egyptian kingship: a man raising a mace to smite the heads of three cowering figures.6 Because of its location and relatively modest scale, the tomb is unlikely to have been royal, but it was created in a society with kingship, and the presence of royal symbols may have marked its occupant as receiving favours from a king. Hierakonpolis was one of several Nile Valley polities in Naqada II, including the type-site Naqada and perhaps Abydos or nearby el-Amra. These were interconnected regional entities with a common material culture. By the end of the period, the culture had expanded northward to include the Nile Delta. How far this was a political unification is not known. During this initial development of complex and increasingly unequal societies, cemeteries that lacked indications of dominant rulers appeared across large areas of the Nile Valley. Inequality among elites appears to have been less severe than later. 4 Renee Friedman et al., The Elite Predynastic Cemetery at Hierakonpolis HK6: 2011–2015 Progress Report, in: Béatrix Midant-Reynes/Yann Tristant/Ellen M. Ryan (eds.), Egypt at Its Origins 5: Proceedings of the Fifth International Conference “Origin of the State. Predynastic and Early Dynastic Egypt”, Cairo, 13th–18th April 2014 (Orientalia Lovaniensia Analecta 260), Leuven 2017, 231–289, here 245–256. 5 Renée F. Friedman/Wim Van Neer/Veerle Linseele, The Elite Predynastic Cemetery at Hierakonpolis: 2009–2010 Update, in: Renée F. Friedman/Peter N. Fiske (eds.), Egypt at Its Origins 3: Proceedings of the Third International Conference “Origin of the State: Predynastic and Early Dynastic Egypt”, London, 27th July–1st August 2008 (Orientalia Lovaniensia Analecta 205), Leuven 2011, 157–191; Renée Friedman, Hierakonpolis, in: Diana Craig Patch (ed.), Dawn of Egyptian Art (exhibition catalogue), New York/New Haven 2012, 82–89, including an image of the main decorated wall in Tomb 100. 6 Baines 1995b, 149, fig. 3.2.

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Ruler, Court, and Power: The King and Institutions in Early Egypt

MEDITERRANEAN

SEA Dead Sea

Alexandria

Buto Sais Tell el-Farkha

N I LE D E LTA

Memphis

Abu Rawash Giza Abusir Saqqara

Dahshur

Cairo Helwan

SINAI

Maidum

Fayyum

N I LE VALL EY

N IL E

RED SEA

Nag‘ el-Deir Abydos el-Amr a

Naqada Thebes

Hierakonpolis

WESTERN DESSERT First cataract

Aswan/Elephantine

LOWER NUBIA 0

100

200

300 kms

Qustul

Fig. 1: Map of Egypt, showing places mentioned.

Motifs symbolizing kingship attested from the following period, Naqada IIIA–B, differ in part from those known from before or after. Examples include anomalous or dangerous beings, notably scorpions, catfish, and elephants. In the incipient writing system, for which the most important evidence comes from a probably royal tomb at Abydos (discussed below),7 a rosette-like form may have 7 For the writing system, see Günter Dreyer/Ulrich Hartung/Frauke Pumpenmeier, Umm El-Qaab I: Das prädynastische Königsgrab U-j und seine frühen Schriftzeugnisse (Deutsches

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Fig. 2: Plan of the area of Tomb complex 16 at Hierakonpolis HK6, with indications of the animal and subsidiary burials; revised to the state of research in 2018.

notated a word for ‘king’. Probably the most important material and visual presentation of kings took place by means of palaces and thrones. A royal palace may have been depicted first as a large reed structure (fig. 3), but that form was soon replaced by a mudbrick enclosure with rich external patterning, within which would be the buildings where the king exercised power. A segment excerpted from an enclosure with a doorway bore above it a rectangle in which was written the name a king adopted at accession, his ‘Horus name’ (see below). The iconography of thrones developed further, and within a century or so throne and palace became partly equivalent and interchangeable: the king was at home in the

Archäologisches Institut, Abteilung Kairo, Archäologische Veröffentlichungen 86), Mainz 1998; much in later discussions questions the validity of the decipherments offered there, but no consensus has emerged.

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palace, while the place where he sat on a portable throne was at that moment a palace.8 Such equivalences have parallels in many traditions.

Fig. 3: The Hunters’ palette. Detail of the motif at top right, with reed structure and double bull probably recording the identity of a king. Naqada IIIA?

Yet the ideology of this sedentary, primarily agricultural society bore strong traces of other values and ways of ordering the landscape. Enclosures similar to those of palaces were typecast as the fortifications of enemies and shown being destroyed, a motif that endured in an altered form for millennia.9 A real or imagined, more mobile world of elite hunters belonged to a non-urban, nonagricultural perspective that has parallels in societies of other times and places, as do palaces and thrones. The king and his court had their primary residences in or near Memphis, but his rule was affirmed by appropriation of the land and movement through it. This period of change and crystallization of the state is not understood in detail. Distinctively different styles of elite display are known from the Nile Delta, notably the site of Tell el-Farkha on its eastern side,10 and from outside Egypt at Qustul in Lower Nubia,11 but these disappeared within a few generations. By the later part of ‘dynasty 0’ (archaeologically Naqada IIIB), a single mode of display of kingship prevailed. The presentation of royal power on this material is richly informative, but it should be borne in mind that most of it comes from Hierakonpolis and Abydos,

8 John Baines, Trône et dieu: Aspects du symbolisme royal et divin des temps archaïques, in: Bulletin de la Société Française d’Egyptologie 118 (1990), 5–37. 9 John Baines, Early Definitions of the Egyptian World and Its Surroundings, in: Timothy Potts/Michael Roaf/Diana Stein (eds.), Culture through Objects: Ancient Near Eastern Studies in Honour of P. R. S. Moorey, Oxford 2003, 27–57. 10 See e. g. Marek Chłodnicki/Krzysztof M. Ciałowicz/Agnieszka Ma˛czyn´ska (eds.), Tell ElFarkha I: Excavations 1998–2011, Poznan´/Kraków 2012. 11 Bruce Beyer Williams, Excavations between Abu Simbel and the Sudan Frontier I: The A-Group Royal Cemetery at Qustul: Cemetery L (Oriental Institute Nubian Expedition 3), Chicago 1986.

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two sites in the southern Nile Valley, in a period when the political and cultural centre of the land was already in the Memphis area, south of modern Cairo.12 Decorated artefacts from dynasty 0 include the earliest clear scenes of a king in action. The top register of the fragmentary Scorpion Macehead (fig. 4), a muchenlarged votive version of a weapon of aggression, shows captive people in symbolic form. Its main areas, however, depict the king performing an agricultural ritual as well as a celebration in a marsh setting involving women seated in carrying chairs and other women dancing; there were probably one or two further scenes. At the bottom is a watery landscape. By contrast, the Narmer Palette (fig. 5a–b) bears violent and aggressive scenes within a composition that has cosmological meaning on more than one level. On one side, the king inspects decapitated enemies (fig. 6); at the bottom, he is shown as a bull trampling an enemy and breaking down a settlement enclosure. On the other side, he raises a mace to smite the head of a captive; below are two figures of dead enemies. Key features shared by the images on these objects are the use of scale to indicate the king’s dominance, his crowns and other attributes, and the depiction of his entourage. Crowns include the red crown already mentioned and the ‘white crown’, which was the most important royal headgear for much of Egyptian history. While the symbolism of the white crown is not well understood, the red crown was associated with violence and destruction, at levels up to the cosmic.13 Together with other, very long-lived elements of the king’s attire, the battlefield scene on the Narmer Palette asserts the dangerous authority of his person and his divine associations.14 David O’Connor has plausibly argued that the defeated enemies shown with the king link with the cycle evoked in the ‘Cannibal Spell’ in the Pyramid Texts (attested from the later Old Kingdom), in which the dead king, appearing as the sun god, rises at dawn, destroying and consuming the heavenly bodies that will reappear the next night.15 The enemies laid out before him would thus be at once human and cosmic.

12 See notably Pierre Tallet, Sur la fondation de la ville de Memphis au début de l’histoire pharaonique: De nouvelles données au Ouadi ‘Ameyra (Sud-Sinaï), in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions & Belles-Lettres 156/4 (2012), 1649–1658. 13 See especially Katja Goebs, Crowns in Egyptian Funerary Literature: Royalty, Rebirth, and Destruction, Oxford 2008; on the white crown: Stan Hendrickx et al., The Origin and Early Significance of the White Crown, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo, 70/71 (2014/2015) (published 2016), 227–238, which is inconclusive on symbolism. 14 See Diana Craig Patch, A “Lower Egyptian” Costume: Its Origin, Development, and Meaning, in: Journal of the American Research Center in Egypt 32 (1995), 93–116. 15 David O’Connor, The Narmer Palette: A New Interpretation, in: Emily Teeter (ed.), Before the Pyramids: The Origins of Egyptian Civilization (Oriental Institute Museum Publications 33), Chicago 2011, 145–152, building upon Goebs 2008.

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Fig. 4: Scorpion macehead, main decorated area. Naqada IIIB. From Hierakonpolis Main Deposit. Reconstructed height c. 32.5 cm.

Such associations reinforced the aura around the king. Merely to draw near to him was to risk destruction. The figures of his attendants reinforce these points. The set of standards they carry links him with deities and with attributes of his own; some of these were already old by this time.16 What seems to be a cushion borne on a standard may signify his ability to seat himself on the throne anywhere. Attendants, shown at a scale halfway between him and the standardbearers, stand either side of him. The first wears several insignia of office, notably a leopard-skin garment and a long wig, while the second carries an elaborate pair of sandals and a jar, possibly for ointment. Their captions, perhaps the earliest known for non-royal figures, are of uncertain reading, but their presence marks the exceptional roles of those to whom they apply.17 They were probably people of 16 Compare the analysis of Ellen F. Morris, Propaganda and Performance at the Dawn of the State, in: Jane A. Hill/Philip Jones/Antonio J. Morales (eds.), Experiencing Power, Generating Authority: Cosmos, Politics, and the Ideology of Kingship in Ancient Egypt and Mesopotamia (Penn Museum International Research Conferences 6), Philadelphia 2013, 33– 64, here 45–46; she follows the widespread view that what I see as a cushion is a placenta. 17 The tt of the first caption has been interpreted in many ways, including the reading tɜtj, ¯ ¯ ‘vizier’ (see below); viziers, however, were not generally shown wearing such garments.

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Fig. 5: Narmer palette. From Hierakonpolis Main Deposit. Left: Side with smiting scene; right: Side with grinding depression. Dynasty 0, Naqada IIIB. Height 64 cm.

Fig. 6: Detail of the battlefield scene on the Narmer Palette.

the highest status and functions. All these features separate the king from his surroundings, investing his person with an aura of power and unapproachability familiar from many cultures and focusing on his body, clothing, and accoutrements. The palette itself testifies to a different level of meaning. Face paint was ground on palettes that were for use rather than deposit, and this ritual was associated

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with the ka, an aspect of the person related to the transmission of qualities from one body to another. A pair of arms held up in parallel signified the ka and formed its hieroglyph, and the surface of some palettes from the same period as Narmer’s is enveloped by the ka sign, making this connection explicit while avoiding other pictorial elements, probably because these had become reserved for royalty.18 The divine connections of the Narmer Palette are indicated by its decoration and its donation to a cult, while the palettes in ka form, of which provenanced examples come from graves, are likely to have been royal gifts to favoured subordinates. Thus, the king had a divinely granted prerogative to dispense power – and indeed life itself, as some examples show – down the generations. Apart from these artefacts from major sites, rock art in the Western Desert and north of the First Cataract near Aswan displays closely similar motifs.19 The example near the cataract includes numerous ships that may evoke royal processions through the country by river.20 These compositions, which are mostly uninscribed, may be earlier than the macehead and palette. Unlike the relatively small fine objects dedicated in a temple, the rock art, which is cruder in execution, is larger and might have been seen by many people. In parallel with this attestation of the symbolism of kingship and the aura surrounding the king, indications of the scale of his household and the resources it commanded are given by tomb complexes from the Naqada II examples at Hierakonpolis onward. After those of HK6, however, such tombs remained relatively small until the end of dynasty 0. All this material raises questions of how large the entourages of rulers were, how wide an area they commanded, and how much of an administration existed. That last question is also posed for early Naqada III by the oldest known writing, from Tomb U-j at Abydos (Naqada IIIA, c. 3250 bce), which is situated some way from the floodplain, close to a cleft in the escarpment lining the Nile Valley. In one interpretation the inscribed artefacts from the tomb document the presence of royal estates across all of Egypt, with associated administration, while in 18 John Baines, Sources of Egyptian Temple Cosmology: Divine Image, King, and Ritual Performer, in: Deena Ragavan (ed.), Heaven on Earth: Temples, Ritual, and Cosmic Symbolism in the Ancient World (Oriental Institute Seminar 9), Chicago 2013b, 395–424, here 398–401. 19 Stan Hendrickx/Renée Friedman, Gebel Tjauti Rock Inscription 1 and the Relationship between Abydos and Hierakonpolis during the Early Naqada III Period, in: Göttinger Miszellen 196 (2003), 95–109. 20 Hendrickx/Friedman 2003; Stan Hendrickx/John Coleman Darnell/Maria Carmela Gatto, The Earliest Representations of Royal Power in Egypt: The Rock Drawings of Nag ElHamdulab (Aswan), in: Antiquity 86 (2012), 1068–1083; John Coleman Darnell, The Early Hieroglyphic Annotation in the Nag El-Hamdulab Rock Art Tableaux, and the Following of Horus in the Northwest Hinterland of Aswan, in: Archéo-Nil 25 (2015), 19–43 (uncertain reading and interpretation).

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another they are mainly the product of rituals that involved many participants in the preparation and performance of the burial; I favour the latter view.21 Either way, the resources available to the ruling group and the need for administrative control are evident in what remained of the grave goods even after extensive looting; they included very finely worked small objects and, for example, hundreds of vessels containing wine probably imported from Palestine. Although Tomb U-j is not vast, it is altogether larger than others around it, and its occupant must have controlled thousands of people and have exploited networks for provisioning and trade that ranged over great distances. A century or two earlier, Hierakonpolis rulers who probably fit definitions of kingship created tomb monuments that displayed signals of the ruling group and its dependants; Tomb U-j and its immediate surroundings show nothing comparable. Perhaps temporary monuments were created and displays performed in locations closer to the floodplain that have not been identified. Such locations were commonly used in several later periods.

2.

Early Dynastic period (first to third dynasties): a hierarchical elite

The kings of the first dynasty (from c. 3050 bce) were buried at Abydos in complexes that contained vast numbers of grave goods and were accompanied by sacrifices of retainers and attendants, amounting to several hundred people in the case of the probable second king, Djer; those sacrificed seem not to have been captives or enemies.22 In addition, a ritual enclosure was constructed for each ruler more than a kilometre away, near the Nile Valley; it too had human sacrifices around its perimeter. Each enclosure was destroyed under the next king, for whom a new one was created nearby.23 Such lavish and destructive provision 21 David Wengrow, The Archaeology of Early Egypt: Social Transformations in North-East Africa, 10,000 to 2650 BC (Cambridge World Archaeology), Cambridge 2006, 176–217; David Wengrow, Limits of Decipherment: Object Biographies and the Invention of Writing, in: Béatrix Midant-Reynes et al. (eds.), Egypt at Its Origins 2: Proceedings of the International Conference “Origin of the State, Predynastic and Early Dynastic Egypt”, Toulouse (France), 5th–8th September 2005 (Orientalia Lovaniensia Analecta 172), Leuven 2008, 1021–1032. 22 The preservation and analysis of human remains is insufficient for certainty. See Günter Dreyer et al., Umm El-Qaab: Nachuntersuchungen im frühzeitlichen Königsfriedhof, 3./4. Vorbericht, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo, 46 (1990), 53–90. For the smaller-scale sacrifices in the three ceremonial complexes of Djer’s predecessor Aha, see Laurel D. Bestock, The Early Dynastic Funerary Enclosures at Abydos, in: Archéo-Nil 18 (2008), 43–59. 23 David O’Connor, New Funerary Enclosures (Talbezirke) of the Early Dynastic Period at Abydos, in: Journal of the American Research Center in Egypt 25 (1989), 51–86, with references.

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must have required the active participation of thousands of people. From the same date, a ceremonial landscape of mortuary provision developed on the grandest scale around Memphis, where the low desert of Helwan and particularly the escarpment of Saqqara, beside the Nile Valley, framed the city’s location. At Helwan were thousands of tombs, some very large, belonging to high- and midranking members of the elite, while at Saqqara a series of monumental tombs dominating the escarpment belonged to at most two or three leading individuals of each reign.24 A number of these latter tombs had sacrificial burials. Ceremonies relating to the death of kings, including human sacrifice, were probably also performed at Saqqara, but the kings were buried far to the south at Abydos.25 Their absence gave powerful messages of exclusivity and respect for ancestry. Large-scale human sacrifice, which is paralleled in a number of societies across the world, requires an internally differentiated elite and, where royal retainers or servants rather than enemies are sacrificed, an overriding commitment to the ruler.26 Such a commitment, which must be overseen and carried out by elite members who are not themselves sacrificed, presumably relates to conceptions of the next world as well as this one, but it must also benefit those who organize it in this world. In Egypt the practice disappeared by the end of the first dynasty, but it may have had an impact among the elite in the longer term. The elite of the Early Dynastic period must thus have been very numerous. In addition to the necropoleis framing the royal residence of Memphis, regional centres throughout the Nile Valley, and probably the Delta, had significant groups of large tombs.27 The inequality of the ruling group in relation to the wider society grew until the fourth dynasty, the time of the great pyramids of Dahshur and Giza. Before then, concentration of resources on the ruler and a small group around him was not quite so intense, but it may not follow that in earlier times access to him and the distribution of symbolic power and prestige were any less restricted. While the elite encompassed several levels of wealth, privilege, and access to the king, as well as living closer to or further from the main royal residence, it is unknown how rigid and formalized these hierarchies were. Here, the generalized evidence that archaeology and the landscape can offer is suggestive of at least four levels but says little about the finer gradations that surely 24 John Baines, Ancient Egyptian Cities: Monumentality and Performance, in: Norman Yoffee (ed.), Early Cities in Comparative Perspective, 4000 BCE–1200 CE (Cambridge World History 3), Cambridge 2015a, 94–109. 25 Werner Kaiser, Ein Kultbezirk des Königs Den in Sakkara, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo, 41 (1985), 47–60. 26 Collection of studies: Jean-Pierre Albert/Béatrix Midant-Reynes (eds.), Le Sacrifice humain en Égypte ancienne et ailleurs (Études d’Égyptologie 6), Paris 2005. 27 See e. g. Kathryn A. Bard, An Introduction to the Archaeology of Ancient Egypt, Chichester/ Malden, MA, 2015, 117–129.

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existed. For the first dynasty, such levels are apparent in the tombs at Saqqara, Helwan, Abydos (sacrificial burials), and significant clusters at other sites. The sacrificial burials at Abydos provide insights into the character of the royal entourage, except for those of very high status, who were buried elsewhere. The grave stelae from the tomb complexes show a relatively high proportion of women, as well as ethnic non-Egyptians and special individuals such as dwarfs.28 This diversity, which is typical of rulers’ courts in much of the world, is confirmed by what is known from skeletal finds. The burials are also more informative about the scale of the royal household than material evidence from later times. This does not mean that later courts were less diverse, but rather that practices changed and relatively few people who had been close to the ruler were buried in archaeologically accessible places. The pictorial compositions of the fifthdynasty pyramid complex of Sahure, discussed below, present some elements comparable with the burials at Abydos, but they do not hint at diversity. In itself, the composition of the king’s entourage does not say much about how royal power was delegated. With important exceptions, mainly from later periods, kings did not legitimize themselves by reference to their ancestors, although the majority of holders of their office appear to have been sons of their predecessors. Below the king, proximity to his person seems to have been crucial, as is already visible on the Narmer Palette and in rock art of similar date. By some point in the first dynasty, a less restricted range of people than close kin seems to have been eligible to perform central roles involving proximity to the king. While the elite group that had the greatest prestige, the pat (p‛t), may originally have been real or ascriptive royal kin, ‘member of the pat’ soon became a title borne by very high officials. Such a use, for people of very high status, of terms that derive from kin designations is known for many societies. An example is provided by a leading individual of the end of the first dynasty named Merika who bore many titles, the last and most important of which were ‘member of the pat, sem-priest’; these were emphasized by the scale of the hieroglyphs used to write them (fig. 7). This continuity between the earliest images and subsequent inscriptional evidence speaks to the overriding significance of ritual closeness to the king. Later in the third millennium, ‘member of the pat’ retained its status as the highestranking title.29 A different office that became the most important in the administration and was designated by a title string conventionally rendered ‘vizier’ (tAjtj zAb TAtj) had as its first component ‘he of the curtain (or possibly: en-

28 Collection: Geoffrey Thorndike Martin, Umm El-Qaab 7: Private Stelae of the Early Dynastic Period from the Royal Cemetery at Abydos (Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo, Archäologische Veröffentlichungen 123), Wiesbaden 2011. 29 Klaus Baer, Rank and Title in the Old Kingdom: The Structure of the Egyptian Administration in the Fifth and Sixth Dynasties, Chicago 1960 (see also below).

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Fig. 7: Stela of Merika from Tomb 3505 at Saqqara.

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trance)’,30 probably signifying the person who controlled access to the location where the king received people. Merika’s other main title, sem (normally rendered ‘sem-priest’ or left untranslated), which in later periods was that of a highranking priest, is attested as someone responsible for the king’s clothing (see below), and its holder wore a leopard-skin garment. The leopard skin, however, is attested on many figures and probably designated a wider range of positions than just that of sem. Thus, as in many societies, proximity and access to the king’s person and to the rituals surrounding him are likely to have been fundamental in organizing court hierarchies. On another level, the Narmer Palette is one of many pieces of evidence for the integration of the king’s role with the solar cycle, suggesting that the day and its rituals could have cosmological meaning. But participation through enactment of this cosmic anchoring of rulership does not exhaust the roles of the members of the inner elite who surrounded the ruler.31 Rather, the performance of central rituals involving proximity to the king went together with administrative functions mostly held by the same people and carried out by their subordinates. There were thus at least two overlapping strands of power that depended more or less directly on the king. This period produces rather little evidence of the display of biological kinship, as opposed to ascriptive links, either between king and elite or within the elite. This dearth suggests that the leaders of the new state order wished to limit the significance of kinship at the centre of power. The concentration on the king’s person and his enveloping role rendered his kinship with anyone apart from his mother secondary in importance. Kinship is essential to the operation of any society, and in the long term it seems to have become more prominent in the Egyptian inner elite, but kinship and lineages did not dominate its configuration in early times. Moreover, the very sparse kinship vocabulary of Earlier Egyptian is not characteristic of societies with complex lineage structures.32 Evidence is insufficient to show how much of an administrative apparatus existed in the Early Dynastic period. Scholars have tended to argue that the construction of the Great Pyramid some centuries later was accomplished with very limited use of writing. While that is possible, the discovery of a papyrus with a daybook recording the transport of casing blocks for the pyramid casts doubt 30 E. g. Nigel Strudwick, The Administration of Egypt in the Old Kingdom: The Highest Titles and Their Holders (Studies in Egyptology), London 1985, 304. 31 For the concept of inner elite, see e. g. John Baines/Norman Yoffee, Order, Legitimacy, and Wealth: Setting the Terms, in: Janet E. Richards/Mary van Buren (eds.), Order, Legitimacy, and Wealth in Ancient States (New Directions in Archaeology), Cambridge 2000, 13–17. 32 Marcelo Campagno, Kinship and Family Relations, in: Elizabeth Frood/Willeke Wendrich (eds.), UCLA Encyclopedia of Egyptology, 2009, https://escholarship.org/uc/item/7zh1g7ch (accessed 24. 05. 2019), with references.

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upon that view, not least because the papyrus has no clear immediate utility and looks almost like bureaucracy for its own sake.33 Temple complexes across the Delta in particular are documented in year names and in their first-dynasty pictorial counterparts in the form of tags (fig. 8).34 These and other institutions that functioned on behalf of the centre can be identified from official titles preserved on sealings. Overall, however, the reach of the state appears to have been less detailed than it became by the fourth dynasty, while cultural harmonization seems to have taken longer still.35

Fig. 8: Tag of king Aha. 1st dynasty, c. 3050 BCE. From his tomb complex at Abydos, Cemetery B. Wood, incised with traces of red pigment in the incisions. Height 7 cm, width 9.4 cm.

33 Pierre Tallet, Les Papyrus de la Mer Rouge I: Le “Journal De Merer” (Papyrus Jarf A et B) (Mémoires publiés par les Membres de L’Institut Français d’Archéologie Orientale 136), Le Caire 2017. Minimalist view of the utility of documents: Christopher Eyre, On the Inefficiency of Bureaucracy, in: Patrizia Piacentini/Christian Orsenigo (eds.), Egyptian Archives: Proceedings of the First Session of the International Congress Egyptian Archives – Egyptological Archives, Milano, September 9–10, 2008 (Quaderni di ACME 111), Milano 2009, 15–30; comparative analysis: Wang Haicheng, Writing and the Ancient State, New York 2014. 34 Corpus: Kathryn E. Piquette, An Archaeology of Art and Writing: Early Egyptian Labels in Context, Cologne 2018, with online database: https://doi.org/10.18716/map/egyptlabels (accessed 24. 05. 2019). 35 See e. g. Richard Bussmann, Scaling the State: Egypt in the Third Millennium BC, in: Archaeology International 17 (2014), 79–93. The interpretation of Juan Carlos Moreno García, Building the Pharaonic State: Territory, Elite and Power in Ancient Egypt in the 3rd Millennium BCE, in: Jane A. Hill/Philip Jones/Antonio J. Morales (eds.), Experiencing Power, Generating Authority: Cosmos, Politics, and the Ideology of Kingship in Ancient Egypt and Mesopotamia (Penn Museum International Research Conferences 6), Philadelphia 2013, 185–217, may follow the distribution of sources too closely.

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Here it is useful to cite a remote parallel. From Anyang-period China (c. 1200– 1050 bce) and the preceding Erligang and Huanbei periods (c. 1500–1200 bce), a civilization that may have been at a comparable stage of development to thirdmillennium Egypt, a similar question has emerged.36 Signs inscribed on decorated bronze vessels, which have traditionally been interpreted as ‘clan signs’ and related to ceremonial practices of a lineage-based elite, may instead write official titles, documenting a hierarchy centred on the king. Such a hierarchy was presumably developed by the king’s immediate circle and would encompass ceremonial and administrative functions. This in turn suggests that a more elaborate state form existed than has hitherto been thought. Moreover, a small number of characters found on potsherds and amulets of the late Erligang or Huanbei periods include the same characters, supporting the hypothesis that a structured administration was set up before Anyang times. In China, as in all early civilizations, the essential difficulty in evaluating such questions is the unevenness of available evidence, which favours central elites and their display and ceremonial culture over other sectors of society and administrative practice. For the first Mesopotamian states, almost the opposite applies, because most of the earliest written evidence concerns the everyday administration to which ordinary people were subject, while elites are less well attested. For Egypt as for China, it is prudent to hypothesize that activities of the king and elite were at once ceremonial and administrative. Despite limitations on the state’s penetration of the country, first-dynasty and later records of royal activities document displays of power through the physical presence of the king and his entourage. He travelled to different regions – the Delta is best attested – and visited temple complexes in particular (fig. 8). A biennial royal journey through the country was also used to structure annals.37 King and palace were closely identified. His most important title and name in this period, the Horus name, signifies that in holding office he manifests an aspect of the god Horus, who descends from the sky to the palace (e. g. fig. 9). Each king’s Horus name proclaims which aspect of the god he manifests: Aha, the first king of the first dynasty, is ‘The Fighter’. This identification of king and palace remained current in all periods. More broadly, the same idea produced the term ‘pharaoh’, which was widely used to designate the king from the mid-second 36 Cao Dazhi, ‘Zuhui’ neihan yu Shangdai de guojia jiegou ‘族徽’内涵与商代的国家结构 (The Nature of Shang ‘Clan Signs’ and the Structure of the Shang State), in: Gudai Wenming 古代 文明 (Ancient Civilization) 12 (2018), 71–122; pre-Anyang bronzes, one from the Erligang centre of Zhengzhou, are discussed on 110. Here I summarize the research of the author, who has most kindly read and commented on this paragraph. 37 The treatment of Toby A. H. Wilkinson, Royal Annals of Ancient Egypt: The Palermo Stone and Its Associated Fragments (Studies in Egyptology), London 2000, is unfortunately not satisfactory.

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Fig. 9: Tomb stela of king Wadj of the 1st dynasty (c. 2950 BCE), with decoration consisting of his Horus name, from Abydos. Original height 2.5 metres, perhaps 40 percent below ground.

millennium onward and means the ‘great estate’ of the ruler (pr aA, more often but less appropriately rendered ‘great house’), and thus merges individual and institution in a more anonymous way than the Horus name.38 In relation to physical presence, a rare variant of the Horus name of Qa‘a, the last king of the first dynasty, shows a portable royal throne instead of an icon of the palace (fig. 10). This implies that the king is incorporated in his throne and that wherever he sits in order to preside, the palace is present too. This idea, which generated rich iconographic developments,39 is spelled out much later in a text in which Thut38 This is hardly discussed in Egyptology; see Jürgen Osing, Pharao, in: Wolfgang Helck/ Wolfhart Westendorf (eds.), Lexikon der Ägyptologie IV, Wiesbaden 1982, 1024. 39 See e. g. Klaus Peter Kuhlmann, Der Thron im Alten Ägypten: Untersuchungen zu Semantik, Ikonographie und Symbolik eines Herrschaftszeichens (Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo, 10), Glückstadt 1977.

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Fig 10. Above: Horus name of Qa‘a of the 1st dynasty (c. 2850 BCE) in the form of a throne, on a sherd from a large siltstone bowl. From Helwan. Below: Outline drawing of the form of the bowl from which the sherd came.

mose III (c. 1479–1425 bce), who is on a military campaign abroad, is said to act in a palace, which in context signifies his presence with his attendants in a structure that is called a ‘tent’ a couple of sentences later.40 I explore this further in the next section.

3.

Who exercised power, and how? Difficulties of interpretation

The essential problems of studying how the king’s power was exercised and contained, as well as how it developed over long periods, are twofold. First, because sources are highly conventionalized, often ritualized – like much of the conduct of ancient life – material such as titles cannot be taken at face value, either as evidence for holders’ status in relation to the king or for their administrative functions. Second, cultural developments and accidents of preservation 40 Battle of Megiddo annal narrative, inscribed c. 1435 bce, Kurt Sethe, Urkunden der 18. Dynastie III (Urkunden des ägyptischen Altertums IV), Leipzig 1907, 651, l. 1 (a term for ‘[royal] daily tour of duty’, written here with the classifier of a building), 656, ll. 6, 14.

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mean that differences in the character of evidence from one period to another may reflect developments in the media employed, especially writing, as much as or more than changes in lived practice. Any attempt to write the history of attitudes to the king and his person or of the administration of which he was the pinnacle must treat the evidence with caution.41 Access to motivations of the king himself is particularly difficult, as Susanne Bickel eloquently points out for a king of Egypt a millennium later:42 “Il semble […] important de garder à l’esprit que tout ce que nous savons en Égypte d’un roi se situe dans le cadre du decorum et ne nous renseigne en rien sur sa personne, fussent des images aussi novatrices et étonnantes que certaines représentations d’Amenhotep III [c. 1390–1353 bce]. […] Nous n’avons, en effet, aucun moyen de savoir quoi que ce soit du caractère et des opinions de l’homme Amenhotep, ni des résolutions qu’il aurait pu prendre personnellement. Ce n’est sûrement qu’une infime partie des oeuvres créées en son nom qui relève réellement de sa propre initiative.” The same considerations apply to two remarkable developments between the first and second dynasties and the latter part of the Old Kingdom: the construction of the first step pyramid at Saqqara under the third-dynasty king Djoser (c. 2650 bce), together with a further intensification of overall social inequality, and, a few generations later, the fourth-dynasty complexes of enormous true pyramids, with highly organized surrounding necropoleis of the royal family and the highest officials. Kings must have authorized and approved these projects, but the projects themselves could have originated among the ruling group. A change that seems a little clearer is that in the fourth dynasty the holders of high office were royal kin, notably sons and descendants of Khufu, for whom the Great Pyramid at Giza was built; here, the display of royal kinship is unlike that of earlier times. These people had tombs laid out on a strict plan in cemeteries on either side of the Great Pyramid. Queens too were buried there.43 This approach to controlling the elite lasted not more than a century, during which there were also marked changes in policy. It is again impossible to say who were the principal motivators of these changes. 41 For this reason I have reservations about treatments like those of Miroslav Bárta, Egyptian Kingship during the Old Kingdom, in: Jane A. Hill/Philip Jones/Antonio J. Morales (eds.), Experiencing Power, Generating Authority: Cosmos, Politics, and the Ideology of Kingship in Ancient Egypt and Mesopotamia (Penn Museum International Research Conferences 6), Philadelphia 2013a, 257–283; Miroslav Bárta, Kings, Viziers, and Courtiers: Executive Power in the Third Millennium B.C., in: Juan Carlos Moreno García (ed.), Ancient Egyptian Administration (Handbuch der Orientalistik 1: Ancient Near East 104), Leiden/Boston 2013b, 153–175. 42 Susanne Bickel, Aspects et fonctions de la déification d’Amenhotep III, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 102 (2002), 63–90, here 63. 43 See in general Mark Lehner/Zahi Hawass, Giza and the Pyramids: The Definitive History, London 2017, 312–337, with lower-elite cemeteries on 338–353.

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The focus on royal kin decreased in the fifth dynasty but did not disappear. Far more inscriptional and pictorial evidence survives from this time than from any earlier period. The three most informative groups of sources overlap valuably in content. They are the decoration of pyramid complexes of kings, biographical inscriptions, and titles of officials. The latter two are also well attested from the sixth dynasty.

4.

Decoration of pyramid complexes

The temple and approach causeway of the pyramid complex of Sahure, second king of the fifth dynasty (c. 2450 bce), at Abusir bore an estimated ten thousand square metres of painted relief.44 Of this at most two per cent survives, but the available fragments allow rather more to be reconstructed. This is by far the largest quantity of royal material from the third millennium. Subjects shown ranged widely, including celebration of the completion of the pyramid itself, hunting, activities of king and court, presentations of the land and its estates,45 and ritual scenes; whole categories of content are surely lost. Many of the themes can be paralleled in fragmentary older evidence, as well as being echoed in earlier and contemporaneous texts. It is therefore unlikely that more than a few topics were new. Unsurprisingly, little in the decoration depicts ordinary life, but it ranges wider than that of temples of later periods. For the purposes of this essay, the most important feature of the reliefs is the widespread presence of the court. Dozens of high officials and other members are identified by name or as groups, while queens, princesses, and princes are also captioned as such. More ordinary workers are also shown in some scenes. Political issues relating to princes are visible in the groups of high-ranking people shown behind Sahure, where some of the original figures have been replaced by figures of Sahure’s successor, Neferirkare (c. 2430–2410 bce).46 The kingly regalia 44 Ludwig Borchardt et al., Das Grabdenkmal des Königs S´aᴣhu-Reʿ II: Die Wandbilder ˙ (Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Abusir 1902–1908 7), Leipzig 1913, 1; the additional material published in the following books was allowed for in that original estimate: Tarek El-Awady, Abusir XVI: Sahure – the Pyramid Causeway: History and Decoration Program in the Old Kingdom, Prague 2009; Vinzenz Brinkmann (ed.), Sahure: Tod und Leben eines grossen Pharao. Eine Ausstellung der Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, 24. Juni bis 28. November 2010, Frankfurt/München 2010. 45 Newly found blocks for which a single drawing is so far available add important information: Anonymous, Verborgene Schätze unter Schutt, in: einBLICK: Online-Magazin der Universität Würzburg 37 (16. Oktober 2018) (2018), 10–12, https://www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/ einblick/archiv/single/news/verborgene-schaetze-unter-schutt/ (accessed 09. 05.2019). 46 Borchardt et al. 1913, 31–32, pls. 17, 32–34, 48. Uncertainties about royal succession in this period are not relevant here.

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of the replacements show that this was done after Neferirkare’s accession.47 Princes are not generally conspicuous, and in the best-preserved composition they are shown at a smaller scale than the queen and other women, with some of them placed behind high officials who face toward the king. Another revealing group of fragments showed the king seated on a throne with, beneath him and separated from him by a frieze of protective symbols, figures of princes at a miniature scale.48 Their subordination is very marked. Apart from scenes of the king with deities, which were in the innermost areas of the temple and hardly survive, the chief contexts in which he is depicted are the return and celebration of expeditions abroad, the hunting of animals in the desert and of birds and fish in the marshes (three different types of scene), sailing, and the rewarding of officials (in which the king’s figure happens not to be preserved; I do not discuss these further). In all these contexts, the king is shown at a much larger scale than anyone else. Even where he stands close to others, the compositions set him apart. In the most notable case, he is seated on a raised throne amid celebrations of the arrival of incense and incense trees from the fabled land of Punt, which was probably reached from the southern Red Sea (see n. 47). This scene, of which only the central part survives, is set in a tent and included feasting as well as elaborate musical performance. The king’s throne is on very discreetly indicated wheels, suggesting that a procession would wheel him into the event and then take him away. The wheels contribute to separating him from the rest of the participants, both spatially and temporally. The same convention occurs on a monumental relief of Neuserre, Sahure’s fourth successor, where the king is blessed by two deities above a narrow register of courtiers who line the way for him (fig. 11). Hunt scenes show an equally marked privileging of the king.49 A scene of a desert hunt, later altered to include Neferirkare, shows Sahure shooting arrows at dozens of corralled animals. The scene depicted five registers of officials and attendants behind a figure of the king that was originally about 1.8 metres high (fig. 12). The highest officials stand behind the king and do not assist him; he is helped by people of lower rank than them. There is thus a strong sense of hierarchy but not of competitive achievement. In a comparably large scene of hunting with clapnets, Sahure sits on a throne with his queen at his knees and by himself manipulates ten nets. This feat, which is the subject of a long narrative inscription above the king, goes counter to almost all scenes of such hunts in non47 El-Awady 2009, 247–250 with pl. 6 (upper left), suggests that he was a son of Sahure named Renofer who took the name Neferirkare at accession. 48 Borchardt et al. 1913, pl. 44, top. 49 John Baines, High Culture and Experience in Ancient Egypt (Studies in Egyptology and Ancient Near East), Sheffield 2013a, 187–234 (scene of Den: 222, fig. 57, here fig. 13), focusing on clapnet scenes; Borchardt et al. 1913, pl. 17; El-Awady 2009, pls. 13–14.

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Fig. 11: Relief of Neuserre (5th dynasty, c. 2400 BCE) receiving benefits from Wadjet and perhaps Anubis, with courtiers lining the way beneath. From his mortuary temple at Abusir. Height c. 2 metres.

royal tombs, which involve numerous participants and great physical exertion. Sahure’s presence and action are in the realm of legend. That vision of the king’s capacities was already ancient: the first-dynasty King Den was shown, in front of a figure of himself on a throne, doing something similarly impossible with a clapnet (fig. 13).

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Fig. 12: Schematic drawing of the left half of the large desert hunting relief of Sahure (5th dynasty, c. 2460 BCE) from his mortuary temple at Abusir. Height c. 2 metres, width of section c. 4 metres.

Fig. 13: Fragmentary wooden tag of the reign of Den (1st dynasty, c. 2900 BCE) from his tomb complex at Umm el-Qa‘ab (Abydos).

Where navigation is concerned, the main scene with a figure of the king depicts him manoeuvring an enormous sail on a ship whose crewmen are shown in miniature.50 In a sense, the sail is an extension of him. Parallels show that it would have borne his name and titles above a rare rosette pattern also used on throne bases,51 so that its movement in the wind would embody his presence. As with the hunt, his feat of navigation may be the stuff of folklore, not of any reality. The significance of such skills among the ruling group is shown by the biography of the late fifth-dynasty official Kaemtjenenet, who says that he single-handedly saved the king from danger in a storm on the river.52 50 El-Awady 2009, pl. 1; Borchardt et al. 1913, pl. 9. 51 Borchardt et al. 1913, pl. 44. 52 Erika Schott, Die Biographie des Ka-em-Tenenet, in: Jan Assmann/Erika Feucht/Reinhard Grieshammer (eds.), Fragen an die altägyptische Literatur: Studien zum Gedenken an Eberhard Otto, Wiesbaden 1977, 443–461c; Nigel Strudwick, Texts from the Pyramid Age (Writings from the Ancient World 16), Atlanta 2005, 282–285.

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A generalized message of the compositions of Sahure is that the king rules through his court, with which he interacts but which he dominates as a being of another order. The large numbers of people shown, all or most of them belonging to the elite, suggest that his strength lies in part in their numbers, as well as in their well-ordered hierarchy. His rewards to them are part of an unequal reciprocity that I sketch below. The king in his turn depends on and serves the gods, who are depicted bringing captives to him, protecting him, and offering him perpetual life.53 In a polytheistic world, part of the king’s power lies in his being one and the deities many. Yet, although at court benefits could be seen as coming to people through the king, in society as a whole this was not the only route to the realms of the gods, the dead, and other powers.54

5.

Biographical inscriptions

With a few forerunners which show that underlying institutions of self-presentation in oral and written forms existed earlier, biographical inscriptions of members of the elite date to the fifth dynasty and later.55 One pair from the reign of Sahure is particularly revealing. The first states that Niankhsakhmet, the king’s chief physician, requested and was granted a false door – the central element in a tomb chapel – which was then produced in palace workshops; he also received further gifts. The second begins with a brief royal speech of eternal wishes for Niankhsakhmet, who then pronounces a poem of eulogy to the king. He also enjoins others to praise the king, who takes the trouble to know his retinue, can do anything, and is more august than any god. Furthermore, Niankhsakhmet has been provided for by the king, and he never did any harm to anyone. Thus, the king can reward a member of the elite in this life and for the next life, while the only gifts the recipient can offer are praise and reputation. The panels of the false door are exceptionally wide, evidently in order to accommodate the inscriptions, which must therefore have been planned from the beginning: Niankhsakhmet’s message was stage-managed. From the following reign of Neferirkare come two very informative ‘biographical’ inscriptions. One has the layout of a royal letter (termed a ‘command’) 53 See the plates in Borchardt et al. 1913, passim. 54 See e. g. John Baines, How Can We Approach Egyptian Personal Religion of the Third Millennium?, in: Christiane Zivie-Coche/Yannis Gourdon (eds.), L’Individu dans la religion égyptienne: Actes de la journée d’études de l’équipe EPHE (EA 4519) “Égypte ancienne: archéologie, langue, religion”, Paris, 27 Juin 2014 (Cahiers “Égypte nilotique et méditerranéenne” 16), Montpellier 2017, 13–36. 55 Julie Stauder-Porchet, Les Autobiographies de l’Ancien Empire égyptien: Étude sur la naissance d’un genre (Orientalia Lovaniensia Analecta 255), Leuven 2017.

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Fig. 14: Inscription from the tomb of Rewer at Giza, recording an incident during a ritual in the reign of Neferirkare (5th dynasty, c. 2630 BCE).

to the leading official Rewer (fig. 14).56 The latter acted as sem-priest in charge of clothing during a ritual in which the king had the role of bity-king, which is signified by the potentially destructive red crown (see the earlier discussion of the Narmer Palette). The king inadvertently struck Rewer with a club that had an aggressive symbolism in ritual. He then announced that the action was not deliberate and that he wished Rewer well. He commanded that a record of the episode be made and inscribed in Rewer’s tomb. The surviving inscription is presumably that record, so that the format of a royal letter conferred royal authority, but it is not itself a letter. From this episode one learns that a blow from the king in a ritually charged context, intentional or not, could be dangerous to the person affected, and not only in this world. This continuity from one world to another might be compared with the long-abandoned practice of courtly human sacrifice. Fragmentary inscriptions in the contemporary tomb of the vizier Washptah tell of a seizure that affected him while on an inspection of a building project. The king sought to help him, also inviting him to kiss his foot rather than the ground

56 James P. Allen, Reʿwer’s Accident, in: Alan B. Lloyd (ed.), Studies in Pharaonic Religion and Society in Honour of J. Gwyn Griffiths (Egypt Exploration Society, Occasional Publications 8), London 1992, 14–20.

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in front of him, but when this did not make a difference a chest of books was brought, probably containing magical remedies. Both these texts foreground the awe-inspiring quality of the king’s physical person, before which, as Washptah’s inscription shows, even people of very high status had to prostrate themselves. Such conventions, which cannot be paralleled pictorially until the much later Amarna period but have counterparts in many societies, must have been constant reminders of the king’s power. The benign royal acts narrated in the inscriptions of Niankhsakhmet appear all the more gracious against this background. Some late fifth-dynasty tomb inscriptions exemplify the potential of the use of writing to soften the rigidities of court life. High officials wrote flattering letters to the king, who responded with letters of his own stating that he was pleased by their words and inviting them to ask him for favours.57 The officials then had the king’s letters inscribed in their tombs, in an act of which royalty would have been aware. Such exchanges of letters, which have parallels in a number of societies, were thus semi-public and had as much to do with prestige as with content. How they related to other modes of communication between ruler and elites is unknown, but, whereas the inscriptions of Rewer and Washptah document direct interactions among those involved but hardly alter what the actors did, the letters go a little further, and their slight distancing of the protagonists from one another was probably a factor in practices of royal control and delegation. Biographies from the end of the fifth and the sixth dynasty, which present more elaborate narratives than those I have mentioned, extend the range of what is known about the reach of the state, for example stating that officials of the late sixth dynasty (c. 2200 bce) based in Aswan, at the other end of the country from the royal residence of Memphis, sought permission from the king to travel to nearby Nubia.58 Other evidence suggests that kings of these times became less able to impose their power and presence, as the disappearance of the Old Kingdom order around 2140 bce – for reasons that are much debated – also demonstrates. In later periods of unity, kings were able to reassert the power of their persons, which shows that the office itself was not discredited, and at many junctures kingship enacted its awe-inspiring potential. Whether a closely comparable court society existed in later times is less clear, but, as so often, evidence differs in character from one period to another, rendering such matters difficult to assess.

57 Eckhard Eichler, Untersuchungen zu den Königsbriefen des Alten Reiches, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 18 (1991), 141–171. 58 Strudwick 2005, 336 with 376. I see this as a reference to the king: John Baines, Die Bedeutung des Reisens im alten Ägypten (13. Siegfried-Morenz-Gedächtnis-Vorlesung 2002), Leipzig 2004, 28.

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6.

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Titles of officials

In a fundamental treatment published in 1960, Klaus Baer identified principles of organization of the titles borne by members of the elite in the fifth and sixth dynasties.59 Later studies have added information and changed interpretations, but in my opinion the core of Baer’s analysis remains valid.60 Many of the titles themselves were older, but the earlier evidence is less extensive. Baer argued additionally that the kings of the dynasty created a system in which a man’s titles were presented in inscriptions in a prescribed order that was purposefully changed both from reign to reign and, for long reigns, within a reign. By manipulating title sequences and the hierarchies that they at least partly controlled, kings could exert pressure on elites and shift rewards among interest groups. Titles were of two basic, not fully distinct types: ranking and functional. Ranking titles, of which an individual could possess several, expressed their holder’s position in the elite hierarchy but did not generally carry duties with them. They belonged to the uppermost levels of the system. Functional titles in principle designated someone’s responsibility or his actual work. Most higher officials had strings of titles, some of which related to income: in the non-monetary economy, functional titles came with entitlements to land, products, or services. Well over three thousand titles of officials are attested from the Old Kingdom, most of them functional and the large majority from the lower ranks of the elite. Women possessed few titles, and outside the royal family these more often signified kin relations than ranks or functions. A man’s inscribed title strings began with a small group of ranking titles and continued with a sequence of functional titles that ended with his most important function, which was placed immediately before his name. Here one can recall the first-dynasty official Merika (fig. 7), whose last title before his name was that of sem-priest, highlighting the significance of ritual roles at an early date. In the later Old Kingdom, title strings became a kind of art form, being varied according to context and the space available for inscription. When new sequences of titles were introduced, they may have been disseminated in written form, but the prime locus for experiencing their impact would have been interactions among the elite, especially at court. Tomb inscriptions, which provide most of the evidence for them, were surely a secondary arena of use. Sequences were natural targets for ambition, while the proliferation of titles and the gradual increase in currency of the highest ones is paralleled by title inflation in many societies and institutions, including those of today. Title 59 Baer 1960. 60 See in particular Strudwick 1985; Dilwyn Jones, An Index of Ancient Egyptian Titles, Epithets and Phrases of the Old Kingdom (BAR International Series 866), 2 vols., Oxford 2000. Bárta 2013a, 270, refers to a database of titles of the period that appears not to be publicly accessible.

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sequences are an excellent means for superiors to manipulate those beneath them, but as with other changes I have discussed, it is impossible to know who did the manipulating – whether it was the king himself or those a little below him who had the power to act in his name. People can be manipulated and controlled by making them aspire toward titles rather than more concrete achievements. Individuals sometimes exploited title sequences as special means of display, for instance when they subverted hierarchies a little by claiming that they were more effective than their peers. One person who did this was Weni, the protagonist of the longest biographical text of the period. He was the son of a vizier and thus a person of the highest status, but he nonetheless claimed that he rose from modest beginnings and performed above his station in successively higher positions, with their associated titles, and more important commissions.61 The more compact text of Hezy, a high official of the early sixth dynasty who briefly became vizier – a title that was becoming less exclusive than earlier – before falling from favour, is still more explicit, as well as linking his ambitions to personal service to the king in a visually emphasized column of his inscription (fig. 15; identifiable titles are capitalized):62 … “It was Teti, my Lord, who appointed me as Gentleman Administrator, who appointed me as King’s Subordinate. His Person had (it) done for me because His Person knew my reputation in taking a (suitable) scribe for his task without fail. […] His Person repeatedly caused that I go down to the Great Barque of the royal tour of duty, that I come to the ways (of the king), that largesse be granted to me, as if (I) were a King’s Subordinate when I was a (mere) Gentleman Administrator, whereas the like had not been done for any peer of mine. 61 See in general Janet E. Richards, Spatial and Verbal Rhetorics of Power: Constructing Late Old Kingdom History, in: Journal of Egyptian History 3 (2010), 339–366. For Weni’s Abydos inscription, see Strudwick 2005, 352–357. Weni was very rare in having two tombs, one at Saqqara and the other at Abydos. For the fragmentary but more imposing Saqqara version of his inscription, see Philippe Collombert, Une nouvelle version de l’autobiographie d’Ouni, in: Rémi Legros (ed.), 50 ans d’éternité: Jubilé de la Mission Archéologique Française de Saqqâra (1963–2013) (Bibliothèque d’Étude 162), Le Caire 2015, 145–157. 62 John Baines, On the Old Kingdom Inscriptions of Hezy: Purity of Person and Mind; Court Hierarchy, in: Hans Amstutz et al. (eds.), Fuzzy Boundaries: Festschrift für Antonio Loprieno, Hamburg 2015b, 519–536, here 523. See also Julie Stauder-Porchet, Hezi’s Biographical Inscription: Philological Study and Interpretation, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 114 (2015), 191–204.

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Fig. 15: Inscription on the west reveal of the entrance to the cult room of the tomb of Hezy at Saqqara. Early 6th dynasty, c. 2325 BCE.

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His Person repeatedly consulted with me as if I were among the Officials, when I was a (mere) Gentleman Supervisor of Scribes, because His Person knew that my reputation was more distinguished than that of any Servant.”

Hezy’s open immodesty may have been a factor in his later disgrace (and probable execution): his other inscriptions, and even the decoration of his tomb, are comparably explicit about different, potentially delicate topics. Both Weni’s and Hezy’s inscriptions give the impression that there was a large group of title-holders among whom they wished to excel. Yet Weni came from the highest stratum, and something similar could be true of Hezy. But the idea of the parvenu, whether or not it is self-attributed, can be found in societies across the globe and is most meaningful in relatively large groups. Such groups may acquire considerable ideological autonomy while remaining under the direction of their rulers, on whom only the innermost group are likely to be closely dependent. A world in which people could put up display inscriptions like these had become too large and diverse to be controlled through the person of the ruler.

7.

Conclusion

Throughout the millennium of development I have sampled in this essay, kings worked through elites to rule the land and sustain their own position. At times in the fifth and sixth dynasties, they may have sought more to manipulate elites than to achieve wider effects. In one respect their task was straightforward, because the institution of kingship itself was not questioned. What needed constant reaffirmation was not its existence but its power. Those surrounding the king no doubt worked to support his power, but they also often resisted, seeking to achieve their own ends by manipulating the king. Subversion, however, is usually covert, and available evidence is not informative about covert activities. I have argued that kingship was present in what later came to be Egypt by the Naqada II period and that, although it went through transformations, there was some continuity from that time to the late Old Kingdom. From Naqada III times onward, many of the same symbols and practices that enveloped the king’s person continued to be employed. Ritual and the royal presence sustained the king’s office and reaffirmed his role in this world, the next world, and the wider cosmos. Maintenance of the king’s power and of the ritual, material, and administrative institutions that supported it came to require more and more people. These developments, and the intensified spread of elite culture through all of Egypt, ultimately limited his power, at least in part because those institutions progressively distanced him from wider society. Later periods, which I

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have not treated, addressed comparable tensions between the king’s person, the elite, and the country. All these features and factors are widely paralleled in other societies. Because kingship can be traced in Egypt from local societies of prehistoric times to a highly institutionalized state with a large elite and bureaucratic systems, its continuities and its forms are unusually illuminating in a cross-cultural perspective. Throughout ancient times, the tension between king and institutions was also one between sustaining ritual and ceremony on the one hand, and initiative for change on the other. As I have indicated, it can seldom be established whether initiatives came from the kings themselves or from their entourages. While centred on the ruler’s person, kingship is the enterprise of a group.

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Sources for figures Fig. 1: Fig. 2: Fig. 3: Fig. 4: Fig. 5a–b:

Map by Alison Wilkins. Courtesy of the Hierakonpolis Expedition; cartography by Xavier Droux. London, British Museum EA20792. Drawing by Christine Barrett. Courtesy of museum. Oxford, Ashmolean Museum E.3632. Drawing by Marion Cox. Courtesy of museum. Cairo, Egyptian Museum CG 14716. Photographs by kind permission of Jürgen Liepe.

276 Fig. 6: Fig. 7:

John Baines

Detail, see 5a–b. After Walter B. Emery, Great Tombs of the First Dynasty III, London 1958, pl. 39. Fig. 8: Philadelphia, University Museum of Archaeology and Anthropology E9396. Courtesy of museum. Fig. 9: Paris, Louvre E.11007. After Kurt Lange/Max Hirmer, Ägypten: Architektur, Plastik, Malerei in drei Jahrtausenden, 4th edition, München 1967, pl. 6. Fig. 10a–b: a: Cairo, Egyptian Museum. Courtesy of Oklahoma University Press. b: With kind permission of E. Christiana Köhler. Fig. 11: Berlin, Ägyptisches Museum 16100. After Ludwig Borchardt, Das Grabdenkmal des Königs Nefer-ír-keᴣ-Reʿ (Ausgrabungen der Deutschen OrientGesellschaft in Abusir 1902–1908 5), Leipzig 1909, pl. 16. Fig. 12: Most fragments Berlin, Ägyptisches Museum 21783. Drawing by Marion Cox. Fig. 13: After Dreyer et al. 1998a, pl. 12f. Courtesy Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo. Fig. 14: After Selim Hassan, Excavations at Gîza 1929–1930 (Oxford 1932), 18 with pl. 18. Fig. 15: After a drawing by Jennifer Houser-Wegner, reproduced by kind permission.

Annette Schmiedchen

Leitbilder und Legitimierung herrscherlicher Macht im mittelalterlichen Zentralindien (8. bis 13. Jahrhundert)

Abstract Royal epigraphs recording religious endowments of villages and/or land constitute the main sources for questions related to rule and power in premodern (or rather, pre-Islamic) South Asia. Most of the medieval title deeds were written in Sanskrit and engraved on copper plates. Beside the details of a specific endowment, these copper-plate charters contain the titles of the royal donors and their immediate predecessor(s), as well as the panegyric genealogies of their dynasties. The latter reveal a great deal of information about various aspects of the legitimation of Indian kings and about concepts of a ‘good’ ruler. One of the criteria for ‘good’ rule is also manifested in the main objective of copper-plate charters: (the recording of) royal grants in favour of religious donees. On the basis of epigraphic material from central India issued by the Ra¯straku¯ta dynasty ˙˙ ˙ (eighth to tenth centuries), as well as by the S´ila¯ha¯ra and Ya¯dava dynasties (tenth to thirteenth centuries), this article explores the mechanisms of the self-representation of the rulers in their charters. It attempts to show that the genealogical and panegyric descriptions played a very important role in legitimation policies. Each of the dynasties mentioned above used several different versions of the metrical descriptions of their pedigrees in order to explain their claim to the throne in disputes, thus strengthening their own legitimation and weakening that of their rivals. Furthermore, the copper-plate charters also provide an insight into several aspects of the stabilization policies pursued by the rulers: refined structures of vassalage, systematic matrimonial alliances, and the almost comprehensive settlement of Brahmins in all regions of the kingdoms, which led to their large-scale migration within the subcontinent. Brahmins were preferred recipients of endowments of land as they acted as a supraregional foundation for the legitimation of the rulers; and it was also Brahmins who drafted the dynastic genealogies at the royal courts.

Die Region Zentralindien umfasst vor allem das Hochland des Dekkhan. Im Folgenden wird diese Bezeichnung auf ein Kernterritorium bezogen, das dem heutigen indischen Bundesstaat Maharashtra entspricht, aber auch angrenzende Gebiete im Süden und Westen einschließt, die in Karnataka bzw. Gujarat liegen. In der Periode vom 8. bis 13. Jahrhundert regierten dort die Dynastien der

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Ra¯straku¯tas (8.–10. Jahrhundert), der S´ila¯ha¯ras und der Ya¯davas (10.–13. Jahr˙˙ ˙ hundert).1 Da – mit Ausnahme der srilankischen und kaschmirischen Chroniken – für die meisten Regionen des vormodernen (bzw. vorislamischen) Südasiens keine historiographische Literatur im engeren Sinne vorliegt,2 stellen Inschriften die wichtigsten Quellen für eine Rekonstruktion dieser Perioden der Geschichte dar. Dabei bilden auf Kupfertafeln eingravierte und überwiegend in Sanskrit verfasste königliche Landstiftungsurkunden3 auf dem südasiatischen Festland die wichtigste epigraphische Gattung. Kupfertafelinschriften enthalten neben Details zu religiösen Stiftungen auch Titulaturen der Könige sowie dynastische Genealogien und herrscherliche Eulogien.4 Die Genealogien bieten umfassende Informationen zur Verquickung vom Leitbild eines ‚guten‘ Herrschers mit der konkreten Legitimierung von herrscherlicher Macht. Zunächst sollen die Selbstrepräsentation der Könige der Ra¯straku¯ta-Dynastie ˙˙ ˙ und die spätere innerdynastische Rezeption früherer Regenten dieses Herrscherhauses im Mittelpunkt stehen. Aus den insgesamt 75 erhaltenen Urkunden5 geht hervor, dass sowohl die Titulaturen als auch die genealogischen und eulogischen Darstellungen eine sehr wichtige Funktion im Rahmen der Legitimation der einzelnen Herrscher hatten. In den Schilderungen wird deutlich, welche Vorstellungen über die Berechtigung eines Thronfolgeanspruchs verbreitet waren und wie sich diese im Laufe der Zeit wandelten. Diese legitimatorischen Fragen wiederum waren sehr eng mit der offiziellen Förderung religiöser Institutionen und Personen im Rahmen einer ausgesprochen komplexen königlich1 Die S´ila¯ha¯ras und Ya¯davas mussten zum Teil die Oberherrschaft der späten Westlichen Ca¯lukyas anerkennen. 2 In all diesen Fällen handelt es sich um Randregionen; eine chronikartige Literatur stammt auch aus Nepal und Assam. Vgl. Michael Witzel, Das Alte Indien (Beck’sche Reihe Wissen 2304), München 2003, 122; Heinz Bechert, Zum Ursprung der Geschichtsschreibung im indischen Kulturbereich (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 1969, 2), Göttingen 1969; Hermann Kulke, Geschichtsschreibung und Geschichtsbild im hinduistischen Mittelalter, in: Saeculum 30 (1979), 100–112. Walter Slaje, Kaschmir im Mittelalter und die Quellen der Geschichtswissenschaft, in: IndoIranian Journal 48 (2005), 1–70. 3 Im Vergleich zu Steininschriften ist ihre relativ gute Transportabilität ein Spezifikum der Kupfertafelurkunden. Damit waren sie das geradezu prädestinierte Medium für Stiftungen an Brahmanen, deren Charakteristikum in ihrer Mobilität bestand. Die Kupfertafeln waren in der Regel dazu bestimmt, dem Empfänger ausgehändigt und von ihm zum Beweis seiner Rechte an dem Objekt aufbewahrt zu werden. Die Texte wurden vermutlich bei der Übergabe verlesen. Zum Schutz vor Raub wurden die Kupfertafeln dann aber häufig vom Empfänger vergraben. 4 In den Inschriftencorpora der hier betrachteten Herrscherhäuser sind die Genealogie- und Eulogiepassagen in Versen und die Titulaturen und Schenkungsbeschreibungen in Prosa abgefasst. 5 Annette Schmiedchen, Herrschergenealogie und religiöses Patronat. Die Inschriftenkultur der Ra¯straku¯tas, S´ila¯ha¯ras und Ya¯davas (8. bis 13. Jahrhundert) (Gonda Indological Series 17), ˙ ˙ 460–485. Leiden˙ 2014a,

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fürstlichen Schenkungs- und Stiftungspolitik verbunden. Die Könige wurden als durch dynastische Kontinuität und matrimoniale Beziehungen sowie durch ihre persönlichen Fähigkeiten und Taten für den Thronanspruch qualifiziert dargestellt. Wegen ihrer erfolgreichen Bemühungen, die politisch-moralische Ordnung durch gerechte Herrschaft, durch religiöses Patronat und durch karitative Maßnahmen aufrechtzuerhalten, galt auch der Fortbestand ihrer Regentschaft als legitimiert. Militärische Stärke spielte eine besondere Rolle. Eine wichtige legitimatorische Funktion kam dabei den von den Herrschern benutzten Titeln (d. h. Statusbezeichnungen) und Epitheta (Bei- oder Schmucknamen) zu. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts hatten die Ra¯straku¯tas die Dynastie ˙˙ ˙ der frühen Westlichen Calukyas abgelöst.6 Die Ra¯straku¯tas übernahmen den von ˙˙ ˙ ihren Vorgängern eingeführten offiziellen Titel prthivı¯-vallabha, „Liebling der ˙ Erde“.7 Dies weist darauf hin, dass sie sich als legitime Erben des Calukya-Reiches betrachteten. Gleichzeitig legte sich die Ra¯straku¯ta-Hauptlinie auch eine impe˙˙ ˙ riale Titulatur zu. Sie bestand aus den in Indien seit dem späten Altertum, seit der Gupta-Zeit (4.–6. Jahrhundert), überregional benutzten imperialen Titeln maha¯ra¯ja¯dhira¯ja, „Oberkönig der Großkönige“, parames´vara, „Oberherrscher“, und parama-bhatta¯raka „höchster Gebieter“.8 Aus der Titelwahl geht hervor, ˙˙ welche große Bedeutung die Ra¯straku¯tas dem endgültigen militärischen Erfolg ˙˙ ˙ über die frühen Westlichen Calukyas für ihren Anspruch auf imperiale Hegemonie über den gesamten Subkontinent zumaßen. Die Prosatitulaturen in den Stiftungspassagen der offiziellen Urkunden sind auch hinsichtlich der Namensgebung bei den Ra¯straku¯tas äußerst aufschluss˙˙ ˙ reich. Einige Urkunden erwähnen explizit, dass die Ra¯straku¯ta-Könige Haupt˙˙ ˙ namen (mukhyana¯man) und Beinamen (gaunana¯man) trugen.9 Namen wie ˙ Indra, Karka, Krsna, Govinda, Dantidurga, Dhruva10 wurden offenbar bei der ˙˙ ˙ Geburt an männliche Angehörige der Dynastie vergeben. Anlässlich der Übernahme der Regentschaft scheinen – wie bei anderen mittelalterlichen indischen Herrscherhäusern – diverse Beinamen hinzugekommen zu sein. Dabei setzten die Ra¯straku¯ta-Könige vermutlich zur selbstdefinitorischen Abgrenzung spezi˙˙ ˙ fische Akzente, indem sie sich nicht für Bildungen entschieden, die schon bei

6 Die frühen Westlichen Calukyas hatten vom 6. bis 8. Jahrhundert über weite Teile des Dekkhan geherrscht, wobei das Zentrum ihres Reiches nicht in Maharashtra, sondern im Norden Karnatakas gelegen hatte. – Die Verfasserin unterscheidet zwischen den frühen Calukyas und den späten Ca¯lukyas auch hinsichtlich der Schreibung des Dynastienamens: Calukya/Ca¯lukya; vgl. Schmiedchen 2014a, 7, Anm. 5. 7 Schmiedchen 2014a, 41. 8 Ebd., 62. Zu diesen Termini vgl. auch Dinesh Chandra Sircar, Indian Epigraphical Glossary, Delhi 1966, 185, 235–237. 9 Schmiedchen 2014a, 39 und Anm. 35. 10 Schmiedchen 2014a, 27.

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anderen zeitgenössischen indischen Dynastien verbreitet waren.11 Typisch für die Ra¯straku¯tas waren Komposita auf °varsa („Regen“) und °tun˙ga („Gipfel“), die ˙˙ ˙ ˙ ähnlich wie der Name des Herrschergeschlechts klar die dynastische Identität markierten. Bei der Zuordnung von Epitheta gab es unter den Ra¯straku¯tas ˙˙ ˙ deutliche Ansätze zu festen Namenskombinationen, die unter legitimatorischen Gesichtspunkten wohl auch ein wichtiges Kennzeichen dynastischer Kontinuität darstellten. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich vor allem die Epitheta auf °varsa, die auf die große Freigebigkeit der Ra¯straku¯tas und auf die herrscherliche ˙ ˙˙ ˙ Kraft als ‚Regenmacher‘ sowie – mit Derrett – auf die maskuline Potenz ihrer Könige anspielten.12 Diese von den Ra¯straku¯tas offenbar ‚erfundenen‘ varsa˙˙ ˙ ˙ Namen wurden später von anderen Königen übernommen.13 Eine legitimatorische Funktion hatte vermutlich auch die zum Ende des 9. Jahrhunderts eingeführte Neuerung, in der Prosatitulatur über eine Formulierung mit °pa¯da¯nudhya¯ta, „begünstigt durch“,14 einen direkten Bezug zum (bereits verstorbenen) Vater bzw. Vorgänger herzustellen, einen Bezug, der wiederum die Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf den Thron durch den Verweis auf dynastische Kontinuität unterstreichen sollte. Bezeichnenderweise ist diese Weiterentwicklung der Titulatur zum ersten Mal für Ra¯straku¯ta Dhruva belegt, ˙˙ ˙ einen König, der seinen Machtanspruch gegen seinen älteren Bruder, Govinda II., durchgesetzt hatte. Durch diese bewusste Bezugnahme auf den Vater bemühte sich (der Usurpator) Dhruva darum, mit seiner von den Untertanen wohl positiv aufgenommenen Traditionsverbundenheit den eher negativ bewerteten Kontinuitätsbruch, die Entmachtung des von ebendiesem Vater vorherbestimmten eigentlichen Thronfolgers, in den Hintergrund treten zu lassen.15 Eine noch stärker legitimatorische Funktion für den aktuellen König hatte die der jeweiligen Prosatitulatur vorgeschaltete Genealogie in Versen. Die offizielle Darstellung der Geschichte der Ra¯straku¯ta-Dynastie bestand aus drei Kompo˙˙ ˙ nenten: [1.] aus der verwandtschaftlichen Positionierung des jeweiligen Regenten im Stammbaum und der damit nachgewiesenen Rechtmäßigkeit seines An11 Bei vielen südindischen Dynastien (Pallavas, Kadambas, Westliche Gan˙gas) waren z. B. Namen auf °varman („Schutz“) üblich; bei den frühen Westlichen Calukyas und den Maitrakas hatten sich Bildungen auf °a¯ditya („Sonne“) besonderer Beliebtheit erfreut; vgl. Schmiedchen 2014a, 39f. Einzige Ausnahme in dieser Hinsicht ist bei den Ra¯straku¯tas der ˙˙ ˙ Name Dantivarman; vgl. ebd., 39, Anm. 36. 12 Duncan M. Derrett, Bhu¯bharana, bhu¯pa¯lana, bhu¯bhojana. An Indian Conundrum, in: ˙ and African Studies 22/1 (1959), 108–123. Vgl. auch Bulletin of the School of Oriental Schmiedchen 2014a, 40, 439. 13 John Faithful Fleet, Some Records of the Rashtrakuta Kings of Malkhed. The appellations of the Ra¯shtraku¯tas of Ma¯lkhed, in: Epigraphia Indica 6 (1900/01), 167–198, bes. 188, Anm. 5. ˙ ˙ ˙ 14 Cédric Ferrier/Judit Törzsök, Meditating on the King’s Feet? Some Remarks on the Expression pa¯da¯nudhya¯ta, in: Indo-Iranian Journal 51 (2008), 93–113. 15 Schmiedchen 2014a, 75.

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spruchs auf den Thron, [2.] aus einer allgemeinen Lobpreisung der moralischen Integrität des Dynasten und seiner Vorfahren sowie ihrer religiösen Verdienste und ‚guten‘ und gerechten Herrschaft, die sich angeblich über den gesamten Subkontinent erstreckte, sowie [3.] aus der verhältnismäßig konkreten Schilderung von politischen und militärischen Ereignissen, von Bündnissen mit wichtigen Zeitgenossen und noch häufiger von der Überlegenheit über mächtige Gegner. Die in den offiziellen Sanskrit-Kupfertafelurkunden der Ra¯straku¯ta-Dynastie ˙˙ ˙ überlieferten Genealogien sind selbstverständlich aus der Perspektive dieses Herrscherhauses geschrieben. Dennoch – oder gerade deshalb – blieb die Beschreibung des Stammbaums keinesfalls unveränderlich, sondern wurde immer wieder den innen- und außenpolitischen Erfordernissen angepasst, mitunter sogar mehrmals innerhalb der Regierungszeit eines Königs. Vor allem beim Übergang der Herrschaft auf einen anderen Regenten – und hier insbesondere bei Brüchen in der Thronfolge – ergab sich nicht selten die Notwendigkeit, frühere Aussagen zu tilgen oder abzuwandeln bzw. bestimmte Ereignisse mit einer Art offizieller Erklärung zu versehen.16 Es scheint Vorlagen für die Abfassung der Stammbaumbeschreibungen gegeben zu haben. In den Ra¯straku¯ta-Inschriften können acht offizielle Fassungen ˙˙ ˙ zur Darstellung der imperialen Linie unterschieden werden; darüber hinaus gab es einen Entwurf für die Genealogie der Seitenlinie von Gujarat.17 Das Gerüst für die jeweilige offizielle Beschreibung der Ra¯straku¯ta-Dynastie bildete deren ˙˙ ˙ Stammbaum. Doch bereits aus den zwischen den einzelnen Urkunden differierenden Aufzählungen von aufeinanderfolgenden Regenten gehen Widersprüche und Brüche in der dynastischen Geschichte hervor. Es gab nicht nur einen, sondern mehrere Stammbäume. Im gleichen Maße, wie der aktuelle Ra¯straku¯ta˙˙ ˙ König an seiner Verankerung in der Abstammungslinie interessiert war, um seinen persönlichen Herrschaftsanspruch zu legitimieren, war ihm auch daran gelegen, innerdynastische Konkurrenten nicht nur faktisch auszuschalten, sondern überdies aus der urkundlich gepflegten Erinnerung zu bannen. Nicht alle der häufigen Erbfolgestreitigkeiten konnten jedoch durch ein einfaches Ver16 Schmiedchen 2014a, 128. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Urkunden früherer Könige unter deren Nachfolgern manipuliert und die darin enthaltenen Genealogien umgeschrieben wurden. Für die Ra¯straku¯tas liegt ein Beispiel für ein Palimpsest vor, aber dabei handelt es ˙ ˙¯ ta-Tafel ˙ aus dem Jahre 930 n. Chr., die ein halbes Jahrhundert später im sich um eine Ra¯straku ˙˙ ˙ Auftrag einer gegnerischen Dynastie ‚überprägt‘ wurde, die zu dieser Zeit die Ra¯straku¯ta˙˙ ˙ Hauptstadt Ma¯nyakheta erobert hatte; ebd., 207. ˙ Ya¯davas ist das Bild uneinheitlicher. Neben Schilderungen, die 17 Unter den S´ila¯ha¯ras und bisher nur je einmal nachgewiesen sind, finden sich auch bei ihnen mehrfach belegte Vorlagen. In jeweils mehr als einer Urkunde wurden fünf verschiedene Fassungen der Ya¯davas, zwei Entwürfe der S´ila¯ha¯ras von Nord-Konkan und je eine Version der S´ila¯ha¯ras von SüdKonkan bzw. der S´ila¯ha¯ras von Kolhapur verwendet; vgl. ebd., 20.

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schweigen aus dem ‚offiziellen Gedächtnis‘ getilgt werden. Insbesondere dann, wenn sich schließlich das Kollateralprinzip durchsetzte, die Thronfolge also nicht auf den ältesten Sohn des vormaligen Königs überging bzw. die Herrschaft nicht dauerhaft in dessen Händen blieb (d. h. wenn sich die Primogenitur nicht durchsetzte), erwähnte der an die Macht gekommene ‚Usurpator‘ den übergangenen Kronprinzen oder Kurzzeitregenten und ließ die Gründe für dessen angebliche Abdankung oder Absetzung erklären bzw. von dem Vorgang eine eigene Version verbreiten. In diesem Zusammenhang wiederkehrende Motive sind Kritik an den angeblichen Schwächen bzw. am Desinteresse des unterlegenen Konkurrenten an der Herrschaftsausübung oder die Unterstellung einer Kollaboration mit feindlichen Mächten.18 Beide Argumentationsstränge – moralische Integrität und persönliche Qualitäten sowie das Verhältnis zu den Nachbarkönigen – werden in den Genealogien, freilich mit umgekehrtem Vorzeichen, auch für den aktuellen Regenten und die von diesem zu seinen Vorgängern gezählten Dynasten verfolgt. Für die erste Diskurslinie orientierte man sich an allgemeinen Grundsätzen für ‚gutes‘ Königtum im frühmittelalterlichen Indien, die in der Literatur und der Epigraphik bezeugt sind. Zu den für die Beschreibung ausgewählten Kriterien zählten sowohl militärische Fähigkeiten als auch religiös-karitative Aktivitäten. Da es sich bei diesen – im Unterschied zu den die Herrscherabfolge skizzierenden Strophen – häufig um austauschbare bzw. wahlweise einsetzbare Verse handelte, wurden sie bisweilen in verschiedenen Urkunden für unterschiedliche Könige benutzt, und Vasallenfürsten übernahmen solche Beschreibungen zum Teil wörtlich von ihren Oberherren für sich selbst. Aber sogar in diesen Abschnitten sind mitunter allgemeine Sentenzen mit konkreten Reminiszenzen verwoben. Eine solche Praxis unterstreicht das Bemühen um eine Balance zwischen den durch die politische Ideologie vorgegebenen Stereotypen und vielfältigen Anspielungen auf reale historische Ereignisse. Die Bewertung bestimmter Geschehnisse konnte sich im Laufe der Zeit wandeln. Dies gilt beispielsweise für Heiratsallianzen, denen große Bedeutung in überregionalen Machtgefügen zukam. Dantidurga, der erste Ra¯straku¯ta-König, ˙˙ ˙ von dem eigene Urkunden überliefert sind, ließ nicht nur seinen Triumph über die frühen Calukyas preisen, sondern verwies auch mit Stolz auf den Umstand, dass er selbst aus der Verbindung eines Ra¯straku¯ta-Fürsten mit einer Calukya˙˙ ˙ Prinzessin hervorgegangen war.19 Unter seinen Nachfolgern, die einer Nebenlinie angehörten,20 wurde die offizielle Sicht auf diese Vorgänge jedoch bewusst mo18 Ebd., 440. 19 Ebd., 58–60, 441. 20 Von Dantidurga ging die Herrschaft auf dessen Onkel Krsna I., einen jüngeren Bruder seines ˙˙ ˙ Vaters, über.

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difiziert: Man tilgte die Erinnerung an die matrimoniale Beziehung zu den Calukyas und definierte das Verhältnis zu dieser Dynastie, deren Erbe man immerhin angetreten hatte, ausschließlich über deren Niederlage.21 Unter Dantidurga war um die Mitte des 8. Jahrhunderts Genealogievorlage „1“ entworfen worden. Die unmittelbaren Nachfolger von Dantidurga übernahmen deren Grundgerüst. Unter Krsna I. wurde diese Fassung von ihrem ursprüngli˙˙ ˙ chen ‚Redakteur‘ sehr stark gekürzt und hinsichtlich der Darstellung des Verhältnisses zu den frühen Westlichen Calukyas – wie erwähnt – modifiziert. Zu einer wesentlich radikaleren Veränderung kam es, als Govinda III. am Beginn des 9. Jahrhunderts den Entwurf „2“ in Auftrag gab. Diese neue Version setzt erst mit König Krsna I., dem Großvater von Govinda III., ein und lässt Dantidurga un˙˙ ˙ erwähnt.22 Eine solche Verfahrensweise ist wohl nur mit dem Umstand zu erklären, dass nach König Dantidurga mit Krsna I. der Bruder seines Vaters den ˙˙ ˙ Thron bestiegen hatte und es so zu einer Form dessen gekommen war, was als „collateral oppression“ bezeichnet wird.23 Mit dem Übergang von der Linie Indras II. und seines ältesten Sohnes, Dantidurga (Primogenitur), auf die Krsnas I. ˙˙ ˙ (Sekundogenitur) war eigentlich eine Seitenlinie an die Macht gekommen. Doch Seitenlinien, denen es gelang, sich fest zu etablieren, betrachteten sich dann als rechtmäßige Hauptlinie und den jeweiligen alten, ‚ausgestorbenen‘ Hauptzweig als Nebenzweig, d. h. als kollateral. Die Erinnerung an solche von Haupt- zu Seitenlinien mutierten Zweige wurde in den späteren Überlieferungen einer erst durch Sekundogenitur entstandenen, aber historisch erfolgreicheren neuen Hauptlinie häufig getilgt.24 Die zeitgenössischen Fürsten der ‚offiziellen‘ Seitenlinie von Gujarat hingegen blieben bei Version „1“, in der Dantidurga weiterhin berücksichtigt wurde. Zu dieser Fortführung der Tradition könnte sie unter anderem bewogen haben, dass es sich bei ihnen um Vertreter einer Nebenlinie handelte,25 die zwar die Oberherrschaft des Zweiges, der sich durchgesetzt hatte, anerkennen musste, jedoch nicht daran interessiert war, die Erinnerung an innerdynastische Verzweigungen zugunsten einer monolinearen Idealisierung zu unterdrücken. Im 10. Jahrhundert kam es zu umfangreichen Ergänzungen der Genealogie, weil man die angebliche Anbindung der historischen Ra¯straku¯tas an das soge˙˙ ˙ 21 Ebd., 61, 441. 22 Ebd., 63. Die Bezeichnung der einzelnen Versionen mit „1“, „2“, „3“ usw. stammt von der Autorin. 23 David Henige, Some Phantom Dynasties of Early and Medieval India. Epigraphic Evidence and the Abhorrence of a Vacuum, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 38 (1975), 525–549. 24 Schmiedchen 2014a, 63. 25 Ebd., 16, 27, 33f., 63. Die Etablierung dieser Seitenlinie im 9. Jh. in Gujarat geht nur aus deren eigenen Urkunden hervor; in den Inschriften der Hauptlinie findet sie hingegen keine Erwähnung; vgl. ebd., 90.

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nannte Mondgeschlecht und an die von diesem abgeleiteten mythischen Ya¯davas detailliert auszuführen begann. Damit wurde die Mythologie für die gesamte Geschichte des Herrscherhauses legitimatorisch stärker als durch die zuvor und auch weiterhin üblichen Vergleiche einzelner Könige mit Göttern und mythologischen Figuren nutzbar gemacht.26 Im Folgenden sollen anhand ausgewählter Beispielstrophen die Leitbilder für ‚gute‘ Herrscher betrachtet werden, wie sie in den Ra¯straku¯ta-Genealogien ent˙˙ ˙ worfen wurden. [1.] Strophe für Karka I., den Großvater von Dantidurga, aus Vorlage „1“: yasmin pras´a¯sati mahı¯n narape dvija¯na¯m ˙ vaita¯nadhu¯manicayaih parikarbura¯ni / ˙ ˙ sandhya¯su saudhas´ikhara¯ni vilokya keka¯h ˙ ˙ kurvanti ves´mas´ikhino jalada¯gamotka¯h //1.6//27 ˙ „Als dieser König die Welt regierte, da machten in der Dämmerung die Hauspfauen, wenn sie die durch die Opferrauchwolken der Brahmanen grau verfärbten Palastzinnen sahen, ein Geschrei, als glaubten sie, dass Regenwolken heranzögen [1.6].“

Dies ist eine Anspielung auf den Idealzustand der Gesellschaft, in dem die Brahmanenpriester viele Opfer darbringen. Karka I. wird mit dieser Beschreibung seines Palastes (indirekt) als ‚guter‘ König und als Garant für den Bestand des Brahmanentums charakterisiert. [2.] Strophen für Krsna I., den Onkel und Nachfolger des Dantidurga, aus Vor˙˙ ˙ lage „1“: tasmin divam praya¯te vallabhara¯je [ksatapraja¯ba¯dhah] / ˙ ˙ ˙ ´srı¯karkara¯jasu¯nur mahı¯patih krsnara¯jo [’]bhu¯t //1.20//28 ˙ ˙˙ ˙ „Als dieser Vallabhara¯ja (= Dantidurga) gestorben war, wurde Krsna [I.], der Sohn des ˙˙ ˙ S´rı¯-Karkara¯ja, ein König, der die Not der Untertanen beseitigt hat [1.20].“ visamesu visamas´¯ılo yas tya¯gamaha¯nidhir daridresu / ˙ ˙ ˙ ˙ ka¯nta¯su vallabhatarah khya¯tah pranatesu ´subhatun˙gah //1.22A//29 ˙ ˙ ˙ ˙ ˙

26 Ebd., 50f., 128. 27 Ebd., 57. Diese Strophe ist nur in zwei Urkunden belegt; ebd., 32, Tab. 1. Zu der Strophe vgl. z. B. Devadatta R. Bhandarkar, Dhulia Plates of Karkaraja; Saka-Samvat 701, in: Epigraphia Indica 8 (1905/06), 182–187. 28 Schmiedchen 2014a, 66. Die Zählung dieser und der folgenden Strophen stammt von der Autorin. Diese Strophe findet sich in diversen Urkunden; vgl. z. B. H. S. Thosar/A. A. Hingmire, Barsi Plates of Krishna I, in: Journal of the Epigraphical Society of India 11 (1984), 106–113. 29 Schmiedchen 2014a, 67.

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„Er ist berühmt als einer von grimmigem Charakter gegenüber den Grimmigen, als ein Hort der Freigebigkeit gegenüber den Armen, als ein großer Liebhaber (vallabhatara) gegenüber den Geliebten [und] als ein ‚Glücksgipfel‘ (s´ubha-tun˙ga) gegenüber den Untertanen [1.22A].“ suhrdi dhanam ripusu ´sara¯m yuvatijane ka¯mam as´arane ´saranam / ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ yah santatam abhivarsann aka¯lavarso bhuvi khya¯tah //1.23A//30 ˙ ˙ ˙ ˙ „Er ist in der Welt bekannt als ‚einer, der es [auch] zur Unzeit (= zu jeder beliebigen Zeit) regnen lässt‘ (aka¯la-varsa), der auf den Freund Reichtum, auf die Feinde Pfeile, auf die ˙ Jungfrauen Liebe, auf den Schutzlosen Schutz stets herabregnen lässt [1.23A].“ ullamghitama[r]ya¯de kalijaladhau vya¯kula¯ nimajjantı¯ / ˙ y[e]noddhrta¯ dhar[i]trı¯ ´srı¯pralayamaha¯vara¯hena //1.24A//31 ˙ ˙ „Durch diesen ‚großen Eber (maha¯-vara¯ha) des Weltuntergangs‘ wurde die durcheinander geratene Erde, die im über die Ufer getretenen ‚Ozean des Kali[-Zeitalters]‘ versank, [wieder] herausgehoben [1.24A].“

Die Eulogie von Krsna I., dessen voller Name Krsna Aka¯lavarsa S´ubhatun˙ga ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙ lautete, enthält nicht nur Anspielungen auf dessen Beinamen, sondern entwirft auch das Bild eines in jeder Hinsicht idealen Herrschers, wozu neben Freigebigkeit, Bündnistreue und militärischer Stärke gehört, dass er als großartiger Liebhaber charakterisiert wird. Zudem ist er als Weltenretter beschrieben, wenn er mit Gott Visnu in dessen Inkarnation als Eber verglichen wird, der der My˙˙ thologie zufolge die Erde vom Meeresgrund emporhob, auf den sie durch einen Dämon versenkt worden war. Metaphorisch wird hier das ‚schlechte Zeitalter‘ (kali-yuga),32 in dem nach den geläufigsten indischen Theorien von den vier Weltzeitaltern sowohl die Ra¯straku¯tas regierten als auch wir heute leben, mit ˙˙ ˙ einem Ozean verglichen, in dem die Erde (vor dem Machtantritt von Krsna I.) ˙˙ ˙ versunken gewesen sein soll.

30 Ebd., 67. Eine andere Strophe enthält ebenfalls eine Anspielung auf den Beinamen Aka¯lavarsa: dı¯na¯na¯thapranayisu yathestacestam samı¯hitam ajasram / tatksanam aka¯lavarso var˙ ˙ ] //1.24// ˙˙ „[Dieser] ˙˙ ˙ Aka¯lavarsa (= Kr˙ sna I.) ˙lässt ˙ für die Schwachen ˙ sati˙ sarva¯rti[nirmathanam ˙ ˙ ˙und Schutzlosen sowie für ˙ [seine] Freunde sofort [und] ˙ ˙ unaufhörlich das Begehrte nach Gutdünken regnen, um alle Leiden zu löschen [1.24].“ Vgl. hierzu auch Thosar/Hingmire 1984. 31 Schmiedchen 2014a, 67. Die alternativen Strophen 1.22A–1.24A sind nur in einer Urkunde von Krsna I. belegt; vgl. ebd., 32, Tab. 1. Zu dieser Urkunde vgl. Vishnu Sitaram Sukthan˙˙ ˙ kar, Bhandak Plates of Krishnaraja I.: Saka 694, in: Epigraphia Indica 14 (1917/18), 121–129. 32 Zu diesem schlechtesten aller Zeitalter vgl. Fred Virkus, Die Könige und das Kaliyuga – Bezugnahmen auf die Weltzeitaltertheorie in frühmittelalterlichen Inschriften, in: Beiträge des Südasieninstituts (Humboldt-Universität zu Berlin) 9 (1997), 37–43. Zu anderen Beispielen vgl. Schmiedchen 2014a, 76f., 95, 123.

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[3.] Strophen für Dhruva, den jüngeren Sohn von Krsna I., aus den Vorlagen „1“ ˙˙ ˙ und „2“: ja¯te yatra ca ra¯straku¯tatilake sadbhu¯pacu¯da¯manau ˙˙ ˙ ˙ ˙ gurvı¯ tustir atha¯khilasya jagatah susva¯mini pratyaham / ˙˙ ˙ ˙ satyam satyam iti pras´a¯sati sati ksma¯m a¯ samudra¯ntika¯m ˙ ˙ a¯sı¯d dharmapare guna¯mrtanidhau satyavrata¯dhisthite //1.31//33 ˙ ˙ ˙˙ „Und als diese Zierde der Ra¯straku¯tas zu einem Stirnjuwel der besten Könige geworden ˙˙ ˙ war [und] dieser dem dharma Getreue sich als ‚Ambrosia-Gefäß‘ der Tugenden dem Wahrheitsgelübde verschrieben hatte und die Erde bis zur Meeresküste regierte, groß war da tagtäglich die Zufriedenheit über den guten Herrscher (su-sva¯min) bei der ganzen Welt[, die ausrief]: ‚Die Wahrheit ist fürwahr [zurückgekehrt]‘ [1.31].“ hrsto [’]nvaham yo [’]rthijana¯ya [sarvam] sarvasvam a¯nanditabandhuvargah / ˙˙˙ ˙ ˙ ˙ pra¯da¯t [prarusto] harati sma vega¯t pra¯na¯n yamasya¯pi nita¯ntavı¯ryah //1.33//34 ˙˙ ˙ ˙ „Wenn er, der seine Verwandten beglückte, erfreut war, gab er Tag für Tag den Bedürftigen all seinen Besitz; wenn er, der außerordentlichen Heldenmut besaß, erzürnt war, raubte er ungestüm selbst das Leben des [Todesgottes] Yama [1.33].“ labdhapratistham acira¯ya kalim sudu¯ram ˙˙ ˙ utsa¯rya ´suddhacaritair dharan¯ıtalasya / ˙ krtva¯ punah krtayugas´riyam apy as´esam ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ citram katham nirupamah kalivallabho [’]bhu¯t //2.9//35 ˙ ˙ ˙ „Wie wunderbar ist es, dass Nirupama (= Dhruva) ein Kalivallabha36 wurde, nachdem er das auf der Erde etablierte Kali[yuga] schnell durch [seinen] reinen Lebenswandel sehr weit weg geschafft und auch das Glück des Krtayuga völlig wiederhergestellt hatte [2.9].“ ˙

Dem König Dhruva, dessen voller Name Dhruva Dha¯ra¯varsa Nirupama Kali˙ vallabha lautete und der explizit als „guter Herrscher“ (su-sva¯min) bezeichnet wird, attestierte man nicht nur Freigebigkeit und Heldenmut, Rechts- und Wahrheitstreue, sondern behauptete auch, dass er „die Erde bis zur Meeresküste regiert“, demnach also den ganzen Subkontinent beherrscht habe. Deutlicher als für Krsna I. wird für Dhruva postuliert, er habe das ‚schlechte Zeitalter‘ außer ˙˙ ˙ Kraft gesetzt und die Verhältnisse eines ‚goldenen Zeitalters‘ (krta-yuga) her˙ gestellt. Ferner ist in der Eulogie des Dhruva bemerkenswert, dass Elemente ‚guter‘ Herrschaft auch seinen Feinden bescheinigt wurden. Interessanterweise geschieht dies in einer Strophe, in der die Schilderung des Sieges über einen gegnerischen König der Westlichen Gan˙ga-Dynastie aus Karnataka mit der 33 34 35 36

Ebd., 73. Diese Strophe findet sich in vier Urkunden; vgl. ebd., 32, Tab. 1. Ebd., 73f. Diese Strophe findet sich in drei Urkunden; vgl. ebd., 32, Tab. 1. Ebd., 76. Diese Strophe findet sich in diversen Urkunden; vgl. ebd., 33, Tab. 2. Zu diesem ungewöhnlichen Epitheton vgl. ebd., 76, Anm. 202; John Faithful Fleet, Nilgund Inscription of the Time of Amoghavarsha I.; A. D. 866, in: Epigraphia Indica 6 (1900/01), 98– 108, bes. 105, Anm. 9.

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Vertreibung des hier personifiziert dargestellten ‚schlechten Zeitalters‘ verknüpft wird: anyair na ja¯tu vijitam gurus´aktisa¯ram ˙ a¯kra¯ntabhu¯talam ananyasama¯nama¯nam / ˙ yeneha baddham avalokya cira¯ya gamgam ˙ ˙ du¯ram svanigrahabhiyeva kalih praya¯tah //2.6//37 ˙ ˙ „Nachdem [Kali] gesehen hatte, dass dieser [Dhruva] den Gan˙ga, der durch andere nie zuvor besiegt worden war, dessen Quintessenz in der Macht der Weisen lag, der die [ganze] Welt erobert hatte [und] dessen Stolz ohnegleichen war, lange festhielt, floh Kali weit weg – wie aus Angst, selbst ergriffen zu werden [2.6].“

Damit ist wohl gemeint, dass sich der Gan˙ga-König – dem Ideal eines indischen Herrschers entsprechend – auf den Rat seiner Lehrer, vor allem des Hofpriesters (purohita), stützte. Der Sieg über einen solchen Kontrahenten wird also nicht nur durch die Beschreibung seiner Stärke überhöht, sondern auch dadurch, dass er als ‚guter‘ Herrscher beschrieben wird. [4.] Strophe für Karkara¯ja, einen Vertreter der Seitenlinie von Gujarat: ra¯jye yasya na taskarasya vasatir vya¯dheh prasu¯tir mrta¯ ˙ ˙ durbhiksam na ca vibhramasya mahima¯ naivopasargodbhavah / ˙ ˙ ˙ ks¯ıno dosaganah prata¯pavinata¯´sesa¯rivargas tatha¯ ˙˙ ˙ ˙ ˙ ˙ no vidvatparipanthinı¯ prabhavati kru¯ra¯ khala¯na¯m matih //G.8//38 ˙ ˙ „In dessen (= Karkara¯jas) Reich wohnt kein Dieb, [und] es brechen keine Krankheiten mehr aus. [Dort] gibt es auch keine Hungersnöte, der Wahn hat [seinen] Einfluss [verloren], und ebenso passieren keine Unglücke mehr. Die Übel sind vernichtet, und die Feinde sind restlos unterworfen durch [des Karkara¯ja] Macht. Nicht regiert mehr der grausame Geist der Schurken, der die Wissenden behindert [G.8].“

Neben Vorstellungen, die die zeitgenössischen Leitbilder der ‚guten‘ Herrschaft illustrieren, enthalten die Ra¯straku¯ta-Genealogien auch Informationen dazu, auf ˙˙ ˙ welche Weise und mit welchen Mitteln die konkrete Machtausübung erfolgte. Vier Grundpfeiler scheinen dabei eine besondere Rolle gespielt zu haben: [1.] die Präsenz des Herrschers, [2.] Heiratsallianzen, [3.] Vasallitäts- und Subvasallitätsbeziehungen sowie [4.] ein gezieltes königliches Patronat. Die Ra¯straku¯tas ˙˙ ˙ waren über zwei Jahrhunderte lang äußerst erfolgreich in ihrem Bemühen, ihr großes zentralindisches Reich durch eine Hegemonialpolitik zu konsolidieren, die sich auf eine starke persönliche Machtpräsenz des jeweiligen Herrschers, auf 37 Schmiedchen 2014a, 76f. Diese Strophe findet sich in diversen Urkunden; vgl. z. B. P. L. Gupta, Nesarika Grant of Govinda III, Saka 727, in: Epigraphia Indica 34 (1961/62), 123–134. 38 Schmiedchen 2014a, 91. Die Strophe findet sich in drei Urkunden; vgl. z. B. Moreshwar G. Dikshit, Prince of Wales Museum Plates of Govindaraja: Saka 732, in: Epigraphia Indica 26 (1941/42), 248–255.

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Vizekönige in Gujarat und Karnataka, die vorzugsweise der eigenen Dynastie entstammten, und auf die Ansiedlung von Brahmanen in fast allen Teilen Maharashtras stützte. [1.] Nicht zu unterschätzen für den Machterhalt der Ra¯straku¯tas war offenbar ˙˙ ˙ die Präsenz ihres aktuellen Regenten und seiner unmittelbaren Vertreter. Die von den Ra¯straku¯ta-Königen verfügten Stiftungsurkunden geben in der Regel Aus˙˙ ˙ kunft über deren Aufenthaltsorte zum Zeitpunkt der von ihnen vorgenommenen Dotationen. Auffällig ist dabei, dass besonders in der Frühzeit in dem Zusammenhang häufig der Terminus vijaya-skandha¯va¯ra, „Siegeslager“, auftaucht, der ursprünglich ein temporäres Heerlager, später auch einen Wohnstützpunkt für den reisenden König bezeichnete.39 Einer verbesserten ‚Präsenz‘ der Ra¯straku¯ta˙˙ ˙ Herrscher sollte wohl auch die Verlagerung ihrer Hauptstadt aus dem Nordwesten von Maharashtra nach Ma¯nyakheta in Nordost-Karnataka dienen.40 In˙ teressant ist ferner, dass die Urkunden stets die Versicherung enthalten, der Herrscher erfreue sich bester Gesundheit, er sei kus´alin.41 [2.] In der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts kam es zu geradezu systematischen Heiratsallianzen der Ra¯straku¯tas. Die Ehe von Krsna II. mit einer Kalacuri-Cedi˙˙ ˙ ˙˙ ˙ Prinzessin bildete den Auftakt zu einer Reihe matrimonialer Beziehungen42 zwischen den Ra¯straku¯tas und den Kalacuri-Cedis (östliches Madhya Pradesh). ˙˙ ˙ Jagattun˙ga II., der Sohn von Krsna II., war sogar mit zwei Kalacuri-Prinzessinnen ˙˙ ˙ verheiratet; aus diesen Verbindungen ging jeweils ein Sohn hervor. Der KalacuriCedi-König Kokkalla ließ sich in einer seiner Inschriften dafür preisen, „zwei Ruhmessäulen errichtet“ zu haben – im Süden Krsnara¯ja (= Ra¯straku¯ta Krsna II., ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ seinen Schwiegersohn) und im Norden Bhojadeva (= Gurjara-Pratiha¯ra Bhoja II.).43 Zwischen den Ra¯straku¯tas und den Gurjara-Pratiha¯ras bestand eine tra˙˙ ˙ ditionelle Feindschaft.44 Durch die parallelen Beziehungen der Ra¯straku¯tas und ˙˙ ˙ der Gurjara-Pratiha¯ras zu den Kalacuri-Cedis könnte es zwischen diesen beiden Konkurrenten zu einer zeitweiligen Beruhigung in den Auseinandersetzungen gekommen sein. Mindestens aber wollten die Ra¯straku¯tas wohl durch die enge ˙˙ ˙

39 Schmiedchen 2014a, 65, 68, 69, 79, 118, 130–133, 462, 466, 468, 470, 472. Zu dem bedeutungsgleichen jaya-skandha¯va¯ra vgl. Sircar 1966, 134. Zur Kurzform skandha¯va¯ra vgl. ebd., 314. 40 Schmiedchen 2014a, 8, 98, 132, 442. 41 Ebd., 139. Eine solche Formulierung war in den königlichen Stiftungsurkunden vieler Dynastien üblich. 42 Vgl. hierzu ebd., 99f., 106f., 108, Abb. 3f. 43 Vasudev Vishnu Mirashi, Inscriptions of the Kalachuri-Chedi Era (Corpus Inscriptionum Indicarum 4), Ootacamund 1955, Nr. 45: Bilhari-Inschrift, Strophe 17. 44 Vgl. hierzu Schmiedchen 2014a, 54, 64f., 76–78, 83, 86–88, 91.

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persönliche Verbindung erreichen, dass die Kalacuri-Könige nicht einseitig zugunsten der Gurjara-Pratiha¯ras in den Konflikt eingriffen.45 [3.] Seit dem frühen 9. Jahrhundert ging mit der Ausweitung der tatsächlichen Einflusssphäre und der Stärkung ihres hegemonialen Anspruchs einher, dass sich die Ra¯straku¯tas in ihrer Herrschaftsausübung sehr viel mehr als zuvor auf ˙˙ ˙ Vasallitätsbeziehungen stützen mussten. Insbesondere die Genealogievorlage „3“ verdeutlicht, welche strategisch-machtpolitischen Überlegungen das sich stets verändernde Verhältnis zu den Vasallen bestimmten. Immer wieder neu stellte sich offenbar die Frage, ob man in eroberten Territorien (a) Angehörige der eigenen Dynastie einsetzen, (b) die ehemaligen Könige, wenn sie die Oberherrschaft der Ra¯straku¯tas anerkannten, bestätigen oder aber (c) auf neu em˙˙ ˙ porkommende regionale Eliten zurückgreifen sollte. Die Genealogie „3“ beschreibt, wie Govinda III. – geradezu idealtypisch – mit abtrünnigen Vasallen verfuhr, die sich verfeindeten Herrschern angeschlossen hatten: Er bekämpfte sie, nahm sie gefangen, ließ sie „bei Beendigung ihrer Feindschaft“ frei und akzeptierte diese ehemaligen Gegner dann wieder als untergebene Fürsten.46 Doch nur wenige Beispiele für konkretes Handeln gemäß diesen Überlegungen werden in den offiziellen Darstellungen der Ra¯straku¯tas thematisiert. Selbst eine ˙˙ ˙ weitreichende politische Veränderung wie die Etablierung der Ra¯straku¯ta-Sei˙˙ ˙ tenlinie von Gujarat im 9. Jahrhundert, die als Puffer gegen die nordindischen Gurjara-Pratiha¯ras dienen sollte, ist lediglich aus den Urkunden dieser Seitenlinie, nicht aber aus denen der Hauptlinie bekannt.47 Von anderen Vasallen liegen nur dann Erkenntnisse vor, wenn sie eigene Urkunden verfügt oder Stiftungen beim König erwirkt haben.48 Aus Maharashtra, dem Kerngebiet der Ra¯straku¯tas, ˙˙ ˙ existieren jedoch kaum Belege für das selbständige Agieren von Gebietsfürsten zu dieser Zeit. Angesichts der Bedeutung, die die Vasallitätsstrukturen für den Fortbestand mittelalterlicher Regionalreiche besaßen, ist es nicht verwunderlich, dass – anders als die Stabilisierung von herrscherlicher Macht – deren Gefährdung und Verlust sowie Krisen fast ausschließlich in militärischem Kontext und durch Konfrontation mit gegnerischen Fürstenallianzen erklärt werden.49 Auch für den Untergang des Ra¯straku¯ta-Reiches spielten Vasallen offenbar eine entscheidende ˙˙ ˙ Rolle: So wie um die Mitte des 8. Jahrhunderts die frühen Westlichen Calukyas 45 Andererseits könnte die Tatsache, dass es sich bei den in den Genealogien als Brüder dargestellten Mitgliedern der Dynastie häufig um Halbbrüder handelte (ebd., 123, Anm. 412), Thronfolgestreitigkeiten befördert haben. 46 Ebd., 87–89. 47 Ebd., 86, Anm. 251. 48 Zu Beispielurkunden für dieses Phänomen vgl. ebd., 473, Ra¯Ur 41; 477, Ra¯Ur 53; 481f., Ra¯Ur 65. 49 Ebd., 31, 71, 84, 88.

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von ihren ehemaligen Ra¯straku¯ta-Vasallen entmachtet worden waren, wurde der ˙˙ ˙ Untergang des Ra¯straku¯ta-Reiches am Ende des 10. Jahrhunderts mit einer ˙˙ ˙ vernichtenden Niederlage gegen einen Fürsten namens Taila aus der neu emporkommenden späten Westlichen Ca¯lukya-Dynastie eingeleitet. Diese Ereignisse sind – naturgemäß – nicht mehr in den Inschriften der Ra¯straku¯tas ˙˙ ˙ überliefert, sondern nur in denen der S´ila¯ha¯ras, einer Nachfolgedynastie.50 [4.] Ein wesentlicher Aspekt der Ra¯straku¯ta-Inschriften ist bisher noch nicht ˙˙ ˙ zur Sprache gekommen, obwohl dieser per se das Hauptanliegen der Urkunden darstellte, und zwar die darin dokumentierten religiösen Stiftungen der Herrscher. An königlichen Stiftungen aber lässt sich die Überlagerung personeller und transpersoneller Elemente vormoderner Macht und Herrschaft besonders gut illustrieren. Nach dem Befund der Urkunden stifteten fast alle frühmittelalterlichen indischen Dynastien der Periode bis zum 10. Jahrhundert überwiegend zugunsten von Veda-gelehrten Brahmanen ohne klar nachweisbare s´ivaitische, visnuitische oder anderweitige sektarische Affiliation und ohne Tempel˙˙ bindung.51 Nur in viel geringerem Umfang förderten sie buddhistische und jinistische Klöster sowie hinduistische Tempel. Auch drei Viertel der von den Ra¯straku¯tas verfügten Kupfertafelurkunden galten brahmanischen Empfängern, ˙˙ ˙ und nur ein Viertel dieses Corpus beurkundet Dotationen zugunsten religiöser Institutionen, hinduistischer Tempel, jinistischer Heiligtümer sowie buddhistischer Klöster.52 D. h., wie eine Reihe ihrer Zeitgenossen unterstützten die Ra¯straku¯ta-Könige vor allem die überregionalen Garanten der Legitimation ihrer ˙˙ ˙ Herrschaft, die Veda-gelehrten Brahmanen, die für sie unter anderem auch ihre Genealogien verfassten. Die Urkunden der Ra¯straku¯tas zeichnen – ebenso wie die der meisten früh˙˙ ˙ mittelalterlichen indischen Dynastien – ein durchaus ambivalentes Bild von den religiösen Bekenntnissen und vom stifterlichen Handeln der Herrscher. Die Inschriften enthalten sowohl Anrufungen an und Lobpreisungsverse für verschiedene Gottheiten und Vergleiche der Könige und Königinnen mit bestimmten Göttern und Göttinnen als auch viele Details zu deren religiösen Aktivitäten. Diese Angaben sind in ihrer Ausrichtung vielschichtig und ergeben kein homogenes Bild, offenbaren jedoch häufig eine Diskrepanz zwischen persönlicher religiöser Positionierung und staatsmännischem Handeln der Herrscher. Könige ließen sich als Anhänger des S´iva oder des Visnu beschreiben,53 streuten ˙˙ 50 Ebd., 126f. 51 Annette Schmiedchen, Art. 3. Typologisierungen. 3.6. Indien, in: Michael Borgolte (ed.), Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften, Bd. 1: Grundlagen, Berlin 2014b, 229–248, bes. 241. 52 Schmiedchen 2014a, 158. 53 Zum Gebrauch religiöser Epitheta unter verschiedenen indischen Dynastien (nicht unter den Ra¯straku¯tas!) vgl. Annette Schmiedchen, Religious Patronage and Political Power. The ˙˙ ˙

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jedoch ihr Patronat ganz auffällig – wenn auch nur selten in je gleichem Umfang – zugunsten verschiedener religiöser Gruppierungen, d. h. zugunsten von Brahmanen, hinduistischen Tempeln und/oder buddhistischen Klöstern. Dieser Befund lässt vermuten, dass die Herrscher Stiftungen nicht einzig und allein um des Erwerbs persönlichen religiösen Verdienstes (punya) willen,54 sondern auch aus ˙ anderen Motiven tätigten: Bei der Vergabe von (öffentlichen) Steuerpfründen agierten sie wohl in erster Linie als ‚Amtsträger‘ und demzufolge aus machtpolitischem Kalkül. Durch solche frommen Stiftungen wollten sie sich vermutlich der Loyalität unterschiedlicher religiöser Strömungen versichern und auch deren weltliche Unterstützer zufriedenstellen. Zahlreich sind die Belege dafür, dass königliche Stiftungen auf Bitte von Vasallenfürsten und anderen Personen aus dem höfischen Bereich zustande kamen. Dies gilt vor allem für Unterhaltsstiftungen an Tempel und Klöster, die von hohen Amtsträgern gegründet worden waren. In 14 der 75 bekannten Stiftungsurkunden der Haupt- und der Seitenlinie der Ra¯straku¯ta-Dynastie heißt es, ˙˙ ˙ dass die betreffende Dotation „auf Bitte“ (meist vijña¯panaya¯/vijña¯panena) der Königin, eines Prinzen oder eines Vasallen beziehungsweise einer oder mehrerer lediglich namentlich genannter Personen getätigt wurde.55 Umgekehrt erfolgten fünf Stiftungen von Dörfern durch Angehörige der Ra¯straku¯ta-Dynastie und ˙˙ ˙ durch deren Vasallenfürsten „mit der [ausdrücklichen] Zustimmung“ (anu56 matya¯/anumatena) des aktuell regierenden Herrschers. In einer Kupfertafelurkunde von Govinda III., die eine Dorfstiftung dieses Ra¯straku¯ta-Königs an 13 ˙˙ ˙ Brahmanen bezeugt, heißt es am Ende, dass dieses Dokument „auf Befehl [a¯jñaya¯] des Herrschers [und] mit dem Einverständnis [anumatena] der Königin“ aufgesetzt worden sei.57 Dieses Phänomen, potentiell divergierende Kräfte durch eine vielschichtige Dotationspolitik in das Machtgefüge einzubinden, war aber keinesfalls auf die Ra¯straku¯ta-Dynastie beschränkt. Ähnliche Patronatsmuster unter den ostindi˙˙ ˙ schen Pa¯la-Königen hat Ryosuke Furui wie folgt bewertet: „Such activities by the subordinate rulers can be interpreted as attempts to encroach legitimately upon

54 55 56 57

Ambivalent Character of Royal Donations in Sanskrit Epigraphy, in: Journal of Ancient Indian History 27 (2010/11), 154–166. Annette Schmiedchen, Art. 7. Religiöses Verdienst und weltliche Ambitionen. 7.6. Indien, in: Michael Borgolte (ed.), Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften, Bd. 2: Das soziale System Stiftung, Berlin 2016, 72–85, bes. 80. Schmiedchen 2014a, 462f., Ra¯Ur 8–10; 467f., Ra¯Ur 24–26; 469, Ra¯Ur 28; 470, Ra¯Ur 32; 471, Ra¯Ur 36; 472f., Ra¯Ur 39f.; 475, Ra¯Ur 46; 477, Ra¯Ur 53; 481f., Ra¯Ur 65. In Ra¯Ur 8 wird auf die ‚Wünsche‘ von insgesamt drei Personen Bezug genommen. Ebd., 460, Ra¯Ur 1; 465, Ra¯Ur 18; 476, Ra¯Ur 49; 478, Ra¯Ur 55; 481f., Ra¯Ur 65. Ebd., 466, Ra¯Ur 21. Die Gründe dafür, warum die Königin zuzustimmen hatte, werden nicht erklärt. Zu der Urkunde selbst vgl. Vasudev Vishnu Mirashi/L. R. Kulkarni, Anjanavati Plates of Govinda III: Saka Year 722, in: Epigraphia Indica 23 (1935/36), 8–18.

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royal authority in the name of pious deeds. Furthermore, the construction of religious institutions on a massive scale may have exhibited their power to local residents and enhanced their authority in rural society“58 Während Vertreter der regionalen Eliten religionspolitische Akzente durch die Gründung von Tempeln und Klöstern setzten, die zwangsläufig eine ausgeprägte Ortsgebundenheit besaßen, waren Herrscher mit überregionalen Machtansprüchen für eine weitreichende Ansiedlung von Brahmanen in Indien verantwortlich und trugen durch Stiftungen bewusst zu nachhaltigen Migrationen von Gelehrten und zur Verbreitung bestimmter Texttraditionen bei.59 Brahmanen wirkten als Mittler spezifischer religiöser Konzepte, als Spezialisten zur Durchführung von Lebenszyklusritualen und als Träger entwickelter Rechtsnormen und Sozialvorstellungen und besaßen die Fähigkeit, diese an das jeweilige Umfeld anzupassen. Somit bildeten sie ideale Stützen des mittelalterlichen Königtums, gerade auch im ländlichen Bereich. Indische Herrscher hatten jedoch nicht nur Zugriff auf das Kronvermögen, sondern verfügten auch über Privatbesitz, den sie für eigene Stiftungen einsetzen konnten. Insbesondere bei den seltenen Eigengründungen von Klöstern und Tempeln durch Könige fällt es mitunter schwer, anhand der vorhandenen Quellen eine Differenzierung zwischen dem ‚Amtsträger‘ und der ‚Privatperson‘ vorzunehmen. Einiges spricht dafür, dass Könige bei der Etablierung religiöser Institutionen eher als bei Unterhaltsstiftungen den durch ihr eigenes religiöses Bekenntnis vorgegebenen Präferenzen folgten. Nicht nur die königlichen Stiftungen selbst, sondern auch die administrativen Vorgaben der Urkunden spielten in regionalen Machtgefügen eine wichtige Rolle und wurden mitunter wohl mit normgebender Absicht formuliert. Dies gilt vor allem für Dorfverleihungen, die in den Randgebieten vorgenommen wurden, in denen die Fiskalhoheit des fernen Herrschers häufig eine rein theoretische war und in der Praxis nicht immer leicht durchsetzbar gewesen sein dürfte. Dadurch, dass in den Kupfertafelinschriften sehr detailliert die künftigen Rechte der Begünstigten und die Abgaben, die ihnen zustanden, aufgeführt wurden, bemühte man sich vermutlich darum, einheitliche Maßstäbe für die gesamte Umgebung der Dörfer zu setzen.60 Im Rahmen der Vergabe von Steuerpfründen an religiöse 58 Ryosuke Furui, Indian Museum Copper Plate Inscription of Dharmapala, Year 26. Tentative Reading and Study, in: South Asian Studies 27/2 (2011), 145–156, hier: 151. 59 Annette Schmiedchen, Brahmanische Wanderungsbewegungen im mittelalterlichen Indien. Gewinner und Verlierer, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63/3 (2015), 227–236. In Tausenden heute bekannten Kupfertafelurkunden sind Tausende Brahmanen erwähnt. Mitunter gingen einzelne Stiftungen an mehrere Hundert Brahmanen, wobei nur in einem Teil dieser Urkunden alle Destinatäre namentlich aufgeführt werden. 60 Hermann Kulke, Some Observations on the Political Functions of Copper-Plate Grants in Early Medieval India, in: Bernhard Kölver (ed.), Recht, Staat und Verwaltung im klassischen Indien, München 1997, 237–243.

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Empfänger formulierte man diese Rechte und Ansprüche und delegierte sie gleichzeitig an Dritte, die lokal ansässig waren oder angesiedelt wurden.61 Bei den Ra¯straku¯tas hatten religiöse Stiftungen auch insofern eine legitima˙˙ ˙ torische Funktion, als sie nicht selten anlässlich der Krönung von Königen emittiert wurden. Von Indra III. sind bisher fünf persönlich vorgenommene Stiftungen belegt, die alle dasselbe Datum tragen, den Tag seiner Krönung (pattabandha, ‚[Stirn-]Schmuckbinden‘), die an einem Freitag, dem 7. Tag (tithi) ˙˙ der hellen Hälfte des Monats Pha¯lguna im S´aka-Jahr 836 (= 24.2.915 n. Chr.), stattgefunden haben soll.62 Auch Govinda IV., der Sohn von Indra III., verfügte eine Stiftung am Tag seiner pattabandha-Zeremonie.63 Die Krönungsrituale ˙˙ wurden von beiden Königen offenbar zum Anlass für eine Art Bestandsaufnahme im dynastischen Stiftungswesen genutzt. Durch eine summarische Bestätigung der Stiftungen früherer Herrscher verknüpfte der Regent seine Handlungen mit denen seiner Vorgänger und erwarb sogar einen Teil des mit diesen Dotationen verbundenen religiösen Verdienstes. Die fünf Urkunden von Indra III. scheinen diese Vorgänge als einen Prozess wiederzugeben, bei dessen Fortschreiten mehrere Stadien der Erfassung und auch Bekräftigung früherer Stiftungen dokumentiert wurden.64 Die S´ila¯ha¯ras und Ya¯davas, die in Maharashtra das Erbe der Ra¯straku¯tas antra˙˙ ˙ ten, standen zwar hinsichtlich ihrer Herrschaftsstrategien und ihrer Patronatspolitik in der Tradition der Vorgängerdynastie, doch seit dem Untergang des Ra¯straku¯ta-Reiches in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts vollzogen sich ˙˙ ˙ grundlegende Veränderungen hinsichtlich der Beteiligung regionaler und lokaler Eliten an der Machtausübung sowie bezüglich der Ausrichtung und des Charakters religiöser Stiftungen. Die S´ila¯ha¯ras und frühen Ya¯davas trugen im Unterschied zu den Ra¯straku¯tas ˙˙ ˙ Vasallen- und Regionalfürstentitel. Deren Verwendung zeigt, dass die in Maharashtra regierenden Dynastien vom 10. bis zum 12. Jahrhundert die nominelle Oberherrschaft eines anderen Königshauses anerkennen mussten, und zwar die der in Nord-Karnataka herrschenden späten Westlichen Ca¯lukyas. Die Tatsache, dass die Vasallentitulaturen aber nur selten direkte Hinweise auf die Ca¯lukyas 61 Schmiedchen 2016, 81. Ein großer Teil der in Stiftungen erwähnten brahmanischen Destinatäre wird als aus anderen Gebieten zugewandert (vinirgata) bezeichnet; vgl. Dies. 2014a, 165f., 172–174; Dies. 2015, 229–231. 62 Schmiedchen 2014a, 37, 103, 207. 63 Ebd., 111, 133, 209, 211f. Zu dieser Urkunde vgl. Devadatta R. Bhandarkar, Cambay Plates of Govinda IV.; Saka-Samvat 852, in: Epigraphia Indica 7 (1902/03), 26–47. 64 In Urkunde Ra¯Ur 60 ist lediglich davon die Rede, dass die früher vergebenen Dörfer Einnahmen in Höhe von 500.000 dramma generierten. In Ra¯Ur 61–62 werden 400 Dörfer mit 2.050.000 dramma erwähnt, in Ra¯Ur 63–64 dann 650 Dörfer mit (allerdings nur) 2.100.000 [dramma]; vgl. Schmiedchen 2014a, 210.

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enthalten, verdeutlicht das Bemühen um eine Distanz zu den Ca¯lukya-Oberherren. Erst nach dem Untergang der späten Westlichen Ca¯lukyas benutzten die Ya¯dava-Könige eine imperiale Titulatur (samastabhuvana¯´sraya ´srı¯-prthvı¯-valla˙ bha maha¯ra¯ja¯dhira¯ja parames´vara parama-bhatta¯raka ´srı¯mat-prata¯pa-cakra˙˙65 vartin), die sich an der der Ca¯lukyas orientierte. Die Übernahme imperialer Titel ging jedoch nicht immer mit einem tatsächlichen Territorial- und Machtzuwachs einher. So benutzten die späten S´ila¯ha¯ra-Fürsten von Nord-Konkan am Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts immer gewichtigere Titel (wie maha¯ra¯ja¯dhira¯ja), obwohl sie kontinuierlich an Einfluss verloren.66 Durch einen Glücksfall der Überlieferung lässt sich der historische Stammbaum der frühen Ya¯davas nicht nur aus den Genealogiepassagen ihrer Kupfertafelurkunden, sondern auch aus der Einleitung eines literarischen Textes, des ‚Vratakhanda‘-Abschnitts einiger Manuskripte des ‚Caturvargacinta¯mani‘ von ˙˙ ˙ Hema¯dri, rekonstruieren, eines kompilatorischen Werkes zu pura¯nisch-hin˙ duistischen Riten.67 Die verschiedenen inschriftlich belegten Genealogien („Y1“ bis „Y3“) erwecken den Eindruck, als habe es sich im wesentlichen um eine fortgesetzte idealtypische Vater-Sohn-Linie gehandelt, auch wenn – anders als bei den Ra¯straku¯tas – eindeutige Bezeichnungen für dieses Verwandtschafts˙˙ ˙ verhältnis ersten Grades (wie z. B. tanaya, putra, suta, su¯nu) selten vorkommen. Häufig wird die Verknüpfung der einzelnen Dynasten nur mit „von diesem stammte ab …“ (tasma¯d abhu¯t/abhavat …) hergestellt. Selten finden sich direkte Hinweise darauf, dass die idealtypische Erbfolge vom Vater auf den jeweils ältesten Sohn unterbrochen wurde.68 Die Genealogie der frühen Ya¯davas bei Hema¯dri unterscheidet sich in einigen Punkten von der in den eigenen Urkunden dieser Dekkhan-Dynastie. Die Informationen des Hema¯dri sind weniger detailliert, oft sogar ausgesprochen kursorisch. Dennoch erscheinen bei ihm mehr Familienmitglieder der frühen Ya¯davas als in deren offiziellen Urkunden, und die dynastische Verbindung der frühen mit den späten Ya¯davas ist geradezu ‚lückenlos‘ geklärt. Es stellt sich daher die Frage, ob bei Hema¯dri eine Version des Stammbaums wiedergegeben ist, welche die aus verschiedenen Gründen entstandenen Tradierungslücken nachträglich zu füllen suchte, oder ob – umgekehrt – in den Ya¯dava-Urkunden Brüche der tatsächlichen Fürstenfolge durch gezielte Auslassungen in der Dar65 Ebd., 438. Der Titel samastabhuvana¯´sraya bedeutet in etwa „Schirm[herr] der ganzen Welt“; ´srı¯mat-prata¯pa-cakravartin (wie bereits cakravartin allein) steht für „Weltherrscher“; vgl. Sircar 1966, 65, 257. 66 Schmiedchen 2014a, 235. 67 Zu diesen Genealogien (Ra¯japras´asti I und Ra¯japras´asti II) vgl. Ramakrishna G. Bhandarkar, Appendix C, in: Ders., Early History of the Deccan and Miscellaneous Historical Essays (Reprint of Collected Works 3), Pune 1983, 191–198. 68 Schmiedchen 2014a, 327.

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stellung geglättet wurden. Da sich die Angaben der beiden Quellengattungen nicht grundlegend widersprechen, liegt nahe, eher die zweite Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ein wichtiger Unterschied zwischen den epigraphischen Darstellungen und der bei Hema¯dri ist, dass letztere keine einzige Königin nennt.69 Dies ist ein Indiz dafür, dass sich bezüglich ihrer Funktion Genealogien in Inschriften von denen in anderen Textgattungen unterschieden. Während Hema¯dri bestrebt gewesen zu sein scheint, die Mitglieder der Familie, der er diente, möglichst vollständig aufzulisten, wiesen die Ya¯davas ihre Urkundenverfasser offenbar an, eine dynastiepolitisch bewusste Auswahl zu treffen und auch von Heiraten zu berichten. Unter den S´ila¯ha¯ras und Ya¯davas kam es zu starken Verschiebungen in den Vassalitäts- und Subvasallitätsstrukturen. Regional- und Gebietsfürsten gaben in steigendem Maße selbständig Urkunden heraus, in denen sie meist deutliche Loyalitätsbekundungen ablegten und für die sie nach dem Vorbild ihrer Oberherren eigene Genealogien und Titulaturen formulieren ließen. Vasallenfürsten und lokale Eliten initiierten den im 10. Jahrhundert einsetzenden Aufschwung des hinduistischen Tempelwesens in Maharashtra, mit dem eine zunehmende inschriftliche Verwendung der Regionalidiome einherging.70 Nur zum Teil wurden derartige Aktivitäten zugunsten lokaler Tempel auf Kupfertafeln und in Sanskrit dokumentiert; sehr viel häufiger hielt man solche Berichte und Verfügungen auf Stein und in einem Mischidiom aus Sanskrit und Alt-Mara¯thı¯ oder ˙ Alt-Kannada fest. Die Anzahl der belegten Verleihungen an Tempel im Verhältnis ˙ zu denen an Brahmanen (ohne einen erkennbaren Tempelbezug) wuchs seit dem 11. Jahrhundert beträchtlich an. Unter den S´ila¯ha¯ras und Ya¯davas galt das Tempelpatronat vor allem s´ivaitischen Schreinen, aber auch einigen Heiligtümern für Göttinnen und für den Sonnengott. Bereits bei Bhillama II., dem ersten historisch verbürgten Ya¯dava-Herrscher, fällt eine besondere Nähe zwischen dem Königtum und S´iva,71 eine Art s´ivaitischer Herrschaftslegitimation, auf. Die einzige von ihm überlieferte Inschrift, die aus dem S´aka-Jahr 922 (1000 n. Chr.) datiert, beginnt mit einer Anrufung an und einer Strophe für S´iva und stellt danach eine direkte Beziehung zwischen dem Gott und Bhillama II. her.72 Zunehmend wurden auch S´aiva-Asketen gefördert, die im frühmittelalterlichen Königsritual eine starke Konkurrenz für parallele Ansprüche brahmanischer

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Ebd., 336f. Ebd., 445. Ebd., 421. Franz Kielhorn, Samgamner Copper-Plate Inscription of the Yadava Bhillama II. The S´aka year 922, in: Epigraphia Indica 2 (1894), 212–221.

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Hofpriester darstellten.73 All diese Veränderungen waren das Ergebnis vielfältiger Interaktionen im Spannungsfeld zwischen Herrschern und regionalen Eliten.

Literaturverzeichnis Heinz Bechert, Zum Ursprung der Geschichtsschreibung im indischen Kulturbereich (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 1969, 2), Göttingen 1969. Devadatta R. Bhandarkar, Cambay Plates of Govinda IV.; Saka-Samvat 852, in: Epigraphia Indica 7 (1902/03), 26–47. Devadatta R. Bhandarkar, Dhulia Plates of Karkaraja; Saka-Samvat 701, in: Epigraphia Indica 8 (1905/06), 182–187. Ramakrishna G. Bhandarkar, Appendix C, in: Ders., Early History of the Deccan and Miscellaneous Historical Essays (Reprint of Collected Works 3), Pune 1983. Duncan M. Derrett, Bhu¯bharana, bhu¯pa¯lana, bhu¯bhojana. An Indian Conundrum, in: ˙ Bulletin of the School of Oriental and African Studies 22/1 (1959), 108–123. Moreshwar G. Dikshit, Prince of Wales Museum Plates of Govindaraja: Saka 732, in: Epigraphia Indica 26 (1941/42), 248–255. Cédric Ferrier/Judit Törzsök, Meditating on the King’s Feet? Some Remarks on the Expression pa¯da¯nudhya¯ta, in: Indo-Iranian Journal 51 (2008), 93–113. John Faithful Fleet, Nilgund Inscription of the Time of Amoghavarsha I.; A. D. 866, in: Epigraphia Indica 6 (1900/01), 98–108. John Faithful Fleet, Some Records of the Rashtrakuta Kings of Malkhed. The appellations of the Ra¯shtraku¯tas of Ma¯lkhed, in: Epigraphia Indica 6 (1900/01), 167–198. ˙ ˙ ˙ Ryosuke Furui, Indian Museum Copper Plate Inscription of Dharmapala, Year 26. Tentative Reading and Study, in: South Asian Studies 27/2 (2011), 145–156. P. L. Gupta, Nesarika Grant of Govinda III, Saka 727, in: Epigraphia Indica 34 (1961/62), 123–134. David Henige, Some Phantom Dynasties of Early and Medieval India. Epigraphic Evidence and the Abhorrence of a Vacuum, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 38 (1975), 525–549. Franz Kielhorn, Samgamner Copper-Plate Inscription of the Yadava Bhillama II. The S´aka year 922, in: Epigraphia Indica 2 (1894), 212–221. Hermann Kulke, Geschichtsschreibung und Geschichtsbild im hinduistischen Mittelalter, in: Saeculum 30 (1979), 100–112. Hermann Kulke, Some Observations on the Political Functions of Copper-Plate Grants in Early Medieval India, in: Bernhard Kölver (ed.), Recht, Staat und Verwaltung im klassischen Indien, München 1997, 237–243. Vasudev Vishnu Mirashi, Inscriptions of the Kalachuri-Chedi Era (Corpus Inscriptionum Indicarum 4), Ootacamund 1955. 73 Vgl. hierzu die ausführliche Studie von Alexis Sanderson, Religion and the State. S´aiva Officiants in the Territory of the King’s Brahmanical Chaplain, in: Indo-Iranian Journal 47 (2004), 229–300.

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Vasudev Vishnu Mirashi/L. R. Kulkarni, Anjanavati Plates of Govinda III: Saka Year 722, in: Epigraphia Indica 23 (1935/36), 8–18. Alexis Sanderson, Religion and the State. S´aiva Officiants in the Territory of the King’s Brahmanical Chaplain, in: Indo-Iranian Journal 47 (2004), 229–300. Annette Schmiedchen, Religious Patronage and Political Power. The Ambivalent Character of Royal Donations in Sanskrit Epigraphy, in: Journal of Ancient Indian History 27 (2010/11), 154–166. Annette Schmiedchen, Herrschergenealogie und religiöses Patronat. Die Inschriftenkultur der Ra¯straku¯tas, S´ila¯ha¯ras und Ya¯davas (8. bis 13. Jahrhundert) (Gonda Indo˙˙ ˙ logical Series 17), Leiden 2014a. Annette Schmiedchen, Art. 3. Typologisierungen. 3.6. Indien, in: Michael Borgolte (ed.), Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften, Bd. 1: Grundlagen, Berlin 2014b, 229–248. Annette Schmiedchen, Brahmanische Wanderungsbewegungen im mittelalterlichen Indien. Gewinner und Verlierer, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63/3 (2015), 227–236. Annette Schmiedchen, Art. 7. Religiöses Verdienst und weltliche Ambitionen. 7.6. Indien, in: Michael Borgolte (ed.), Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften, Bd. 2: Das soziale System Stiftung, Berlin 2016, 72–85. Dinesh Chandra Sircar, Indian Epigraphical Glossary, Delhi 1966. Walter Slaje, Kaschmir im Mittelalter und die Quellen der Geschichtswissenschaft, in: Indo-Iranian Journal 48 (2005), 1–70. Vishnu Sitaram Sukthankar, Bhandak Plates of Krishnaraja I.: Saka 694, in: Epigraphia Indica 14 (1917/18), 121–129. H. S. Thosar/A. A. Hingmire, Barsi Plates of Krishna I, in: Journal of the Epigraphical Society of India 11 (1984), 106–113. Fred Virkus, Die Könige und das Kaliyuga – Bezugnahmen auf die Weltzeitaltertheorie in frühmittelalterlichen Inschriften, in: Beiträge des Südasieninstituts (Humboldt-Universität zu Berlin) 9 (1997), 37–43. Michael Witzel, Das Alte Indien (Beck’sche Reihe Wissen 2304), München 2003.

Seraina Plotke

Narrative Negotiations of Sovereign Power in ‘King Rother’*

Abstract During the Crusades, three parties – the Christian Occident, Christian-Oriental Byzantium, and the foreign-pagan Orient – engaged in religious and military conflict with each other. This found rich expression in medieval literature about the Orient, which negotiates the cultural relationship between Europe and the Orient by modulating different configurations of power, namely the twelfth-century ‘King Rother’. The text develops its action through the movement from west to east and vice versa, linking the three male protagonists to geographical places: Constantinople, ruled by Constantine, functions as the narrative axis between Rother’s native Bari in the West and the pagan King Ymelot’s Babylon in the East. Constantinople functions as a ‘third space’ par excellence, where the negotiation of power is exemplified by the reconsideration of patriarchal power relations. Simultaneously, the text inverts the common image of the Orient by attributing luxuries, riches, and even mythological creatures to Rother, thereby addressing the situation, in which, throughout the intercultural encounters generated by the Crusades, oriental culture, architecture, fine arts and sciences were far more advanced than their European counterparts.

Questions of cultural dominance and ideological supremacy, along with prowess in battle strategy and military pre-eminence, played an especially important role in one particular conflict of the high Middle Ages: the conflict between the Orient and the Occident that took hold with the beginning of the Crusades in 1100 and significantly shaped the subsequent two centuries. The Occident claimed religious – and thus military1 – supremacy over the Muslims; effectively, however, oriental culture was far more advanced at the time of the Crusades. Metropoles * A German version of this article will be published in Florian M. Schmid/Anita Sauckel (eds.), Verhandlung und Demonstration von Macht. Mittel, Muster und Modelle in Texten deutschsprachiger und skandinavischer Kulturräume des Mittelalters [in press]. The present version, including all quotations from Middle High German, was translated into English by Austin Diaz with Alyssa Steiner. 1 Numerous sources document how Christianity and its supposed supremacy were used as an argument for strategic hegemony and the need for predominance in relation to the foreign religion.

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like Baghdad, in which architecture signalled wealth and pomp, where the fine arts and science were facilitated and trade flourished, prospered in the East.2 The luxury goods known to Europe – precious cloth, ornate jewellery, gems, balsam, spices, pearls, ivory – all came from the Orient.3 One feature of this clash of cultures occurring during the Crusades was that not two, but three parties were involved: the occidental Christians, the Christian empire in Byzantium and the Muslim world.4 Whilst the eastern part of the world was described as plaga orientalis5 based on older Greek and Latin traditions present in the Vulgate, the Orient of the late Antiquity stood for the Eastern Roman and Byzantine Empire, denoting a likewise Christian dominion that competed with that of the Occident, particularly with the pope and the Western Empire. With the strengthening of Islam, a second notion of the Orient, more concerned with the religious differences from the Christian Occident, crystallized in the West and contrasted with the aforementioned geo-political understanding. This made it possible to go as far as to consider Moorish Spain a part of said

2 See, e. g. Deutsche UNESCO-Kommission (ed.), Kulturaustausch zwischen Orient und Okzident. Über die Beziehungen zwischen islamisch-arabischer Kultur und Europa (12.– 16. Jahrhundert), Bonn 1985; Gereon Sievernich/Hendrik Budde (eds.), Europa und der Orient 800–1900. Eine Ausstellung des 4. Festivals der Weltkulturen Horizonte 89, Gütersloh 1989; Jeffrey Jerome Cohen (ed.), The Postcolonial Middle Ages, Basingstoke 2000; Isabelle Draelants/Anne Tihon/Baudouin van den Abeele (eds.), Occident et Proche-Orient. Contacts scientifiques au temps des Croisades. Actes du colloque de Louvain-la-Neuve, 24 et 25 mars 1997, Turnhout 2000; Gertrud Thoma, Kulturtransfer am Beispiel der Kreuzzüge? Zur Begegnung von christlichem Abendland und arabisch-islamischer Welt in Spanien, Sizilien und den Kreuzfahrtstaaten, in: Eva Schlotheuber/Maximilian Schuh (eds.), Denkweisen und Lebenswelten des Mittelalters, München 2004, 93–120; Ananya Jahanara Kabir/Deanne Williams (eds.), Postcolonial Approaches to the European Middle Ages, Cambridge 2005; Max Lejbowicz (ed.), L’Islam Médiéval en terres Chrétiennes, Villeneuve d’Ascq 2009; Nizar F. Hermes, The [European] Other in Medieval Arabic Literature and Culture, New York 2012; Albrecht Classen (ed.), East Meets West in the Middle Ages and Early Modern Times. Transcultural Experiences in the Premodern World, Berlin 2013. 3 See Albert Zimmer/Ingrid Craemer-Ruegenberg (eds.), Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter, Berlin 1985; William Montgomery Watt, The Influence of Islam on Medieval Europe, Edinburgh 1972; Kay Peter Jankrift, Europa und der Orient im Mittelalter, Darmstadt 2007; James Muldoon (ed.), Travellers, Intellectuals, and the World beyond Medieval Europe, Farnham 2010. 4 Defining the Muslim world as a single monolith, of course, provides only a partial and simplified representation from a distinctly European perspective, as the Islamic opponents – like their central European counterparts – were divided into different ethnic groups and bands. 5 Even the earliest Greek literature promotes the idea of an eastern world region, named after the sunrise (anatolé, ‘beginning’), which contrasts with a western region (cf. Homer, Odyssey, 10, 190–192). The term ‘Orient’ is an analogous derivation from the Latin sol oriens. The term plaga orientalis referring to eastern world regions is of biblical origin (e. g. Vulgate, Ezekiel 47– 48).

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Orient.6 Accordingly, the Europeans stood in a more or less strongly pronounced state of competition with both the Orthodox Christians and Muslim territories enveloped by the Crusades, both of which were described as ‘oriental’.7 The military and cultural conflict with the Orient found rich expression in the literature of the high Middle Ages. German-language texts, too, show a strikingly large interest in the East: a whole range of texts that have come down to us from this time set the action either partly or, as is often the case, mostly in the oriental realm.8 Because of this, literature enters into an implicitly cultural dialogue with historical events. The texts ‘negotiate’, to borrow a term from Stephen Greenblatt,9 the cultural relationships between Europe and the Orient by playing out different relational behaviours in certain configurations of power and plot patterns, and in each case define anew the various cultural positions in relation to one another.

6 This definition of the Orient can be found in eleventh- and twelth-century vernacular literature, which thematizes the conflicts of Christians and Muslims in the south of France and in Spain, e. g. the Old French ‘Song of Roland’ l. 401 or l. 3594 (according to: Das altfranzösische Rolandslied. Bilingual ed., trans. Eckbert Kaiser, with commentary by Wolf Steinsieck, afterword by Eckbert Kaiser, Stuttgart 1999). 7 The relationship of the western and central European Crusaders with Byzantium was somewhat ambivalent, and reached its lowest point by 1204, when the Crusaders conquered and pillaged Constantinople. 8 Aside from ‘King Rother’ (discussed in this article), notable examples of pre- and early courtly literature are ‘Herzog Ernst’, the ‘Alexanderlied’ by Pfaffe Lamprecht, and the ‘Rolandslied’ by Pfaffe Konrad, which is set in the Spanish Orient. The fragmentary ‘Graf Rudolf ’ and the hardto-date epics ‘Oswald’, ‘Orendel’, and ‘Salman und Morolf ’, which contain similarities to legends, must also be mentioned. On this Hans Szklenar, Studien zum Bild des Orients in vorhöfischen Epen, Göttingen 1966, here 9: “Es liegt nahe, die bemerkenswerte Bevorzugung des Orients in der vorhöfischen Dichtung mit den Kreuzzügen in Verbindung zu bringen, und zwar umso mehr, als fast alle Gedichte, deren Handlung in den Orient führt, zugleich in irgendeiner Weise von den Kreuzzügen beeinflusst sind.” [“It seems evident that the remarkable preference for the Orient in pre-courtly literature is connected to the Crusades, even more so, insofar as almost all poems set in the Orient are influenced by the Crusades in some way or the other.”] Fundamental considerations on the representation of the Orient in early German-language courtly literature are also to be found in Uwe Meves, Studien zu ‘König Rother’, ‘Herzog Ernst’ und ‘Grauer Rock’ (‘Orendel’), Frankfurt a. Main 1976; Markus Stock, Kombinationssinn. Narrative Strukturexperimente im ‘Straßburger Alexander’, im ‘Herzog Ernst B’ und im ‘König Rother’ (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 123), Tübingen 2002. In the thirteenth century, this theme finds expression in Wolfram von Eschenbach’s ‘Parzival’, but also in e. g. Konrad Fleck’s ‘Flore und Blanscheflur’ as well as in the various adaptations of the Willehalm story. 9 On the term ‘negotiate’, see Stephen J. Greenblatt, Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England, Oxford 1988; Stephen J. Greenblatt, Marvelous Possessions. The Wonder of the New World, Chicago 1991.

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The anonymously transmitted verse narrative ‘King Rother’, which appeared in the second half of the twelfth century,10 is characterized by a protagonist who moves within this cultural triangle of the Christian Occident, Christian oriental Byzantium, and the foreign-pagan Orient – which directly references the bellicose travels of actual crusaders.11 The triangle in question means that in ‘King Rother’ the negotiations of power are played out using the example of changing alliances and antagonisms, in which diplomatic, almost playful negotiations of supremacy – and, to a much lesser extent, military conflict – shape the narrative presentation of the conflict-rich conformation.12 The ritualistic plot of courtship provides the core of the story,13 and it plays out in Constantinople, which is stylized as a kind of narrative axis and cultural interstice. Even the viewpoint of the very first line of the narrative reflects the evaluation of Constantinople to the setting of ‘King Rother’, as the story’s hero is presented as follows: Bi deme westeren mere saz ein kuninc der heiz Ruoter. in der stat zu Bare da lebete er zu ware mit vil grozen erin (l. 1–5).14 “On the coast of the western sea resided a king named Rother. In the city of Bari he lived with great esteem.”

Rother is unmistakably introduced as the titular hero of the story; however, the view of the protagonist is disrupted from the beginning in that his world is 10 The date of origin of ‘King Rother’ is estimated at around 1160/70; the oldest manuscript, which contains the entire text with the exception of the ending, dates to the late twelth century; see Hans Szklenar, König Rother, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 5 (1985), col. 82–94. 11 The following remarks are based on considerations in Seraina Plotke, Kulturgeographische Begegnungsmodelle: Reise-Narrative und Verhandlungsräume im ‘König Rother’ und im ‘Herzog Ernst B’, in: Alexander Honold (ed.), Ost-Westliche Kulturtransfers. Orient – Amerika, Bielefeld 2011, 51–73. 12 This is supported by the fact that political counsel is held in high regard in ‘King Rother’; see e. g. Jan-Dirk Müller, Ratgeber und Wissende in höfischer Epik, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), 124–146, here 128; Gert Hübner, Kognition und Handeln im ‘Vorauer Alexander’, im ‘Straßburger Alexander’ und im ‘König Rother’, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 242/157 (2005), 241–258, here 248–255. 13 See Thomas Kerth, King Rother and His Bride: Quest and Counter-Quests (Studies in German literature, linguistics and culture), Rochester, N.Y. 2010; Sarah Bowden, Bridalquest Epics in Medieval Germany: A Revisionary Approach (Modern Humanities Research Association. Texts and dissertations 85), London 2012, 35–69. 14 The Middle High German text is quoted here and in the following according to: König Rother. Bilingual ed. , trans. Peter K. Stein, ed. Ingrid Bennewitz/Beatrix Knoll/Ruth Weichselbaumer, Stuttgart 2000.

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portrayed not as the central setting, but rather as a place on the periphery.15 From a central European perspective, Bari does not lie on the coast of the western sea or a sea in the west. Such a characterization can only be properly understood from an oriental perspective. It is an eastern gaze directed towards the west, pointed at Rother and his dominion, and thereby implicitly opening up an antagonism, without (yet) naming any other power or opponent. Also remarkable is not least the fact that, in light of the Crusades, the mentioning of the sea evokes maritime navigation. This means of transportation is fundamental to colonial activity and ultimately leads to cultural expansion and a gain in power.16 Even so, the sea route of the Crusaders has been reversed as a result of the inverted perspective. The narrative framework is as follows. King Rother’s perfect rule is tarnished by the absence of a wife, and messengers are therefore sent to Constantinople to win the beautiful daughter of the Byzantine king as a bride for Rother. Constantine, the local ruler, refuses to hand over his daughter and instead imprisons the envoys. As a year passes without their return, Rother himself embarks on a journey over the sea to the Orient, accompanied by a royal retinue including giants. In Constantinople, he takes on the name ‘Dietrich’, pretending to be a foreign prince banished by Rother. Through his wealth and generosity, Dietrich (alias Rother) wins over many noble lords and earls, to whom Constantine had not been generous enough. In secret, Rother meets with the king’s daughter, who falls in love with him. Then, the pagan King Ymelot of Babylon arrives with a great army. Rother assists Constantine with the defence of the city and captures Ymelot. Rother volunteers to announce the victory in the city, but instead uses his head start to race back to Bari by ship with the king’s daughter. The Byzantine ruler is inconsolable after the loss of his daughter and faints, giving Ymelot the opportunity to escape back to Babylon. In King Rother’s absence, his wife is enticed aboard a ship by a minstrel posing as a merchant from the Orient and returned to her homeland, leading Rother to schedule an imperial diet and resolve to crusade to Constantinople. In the meantime, in Constantinople, Ymelot has captured Constantine, who ransoms himself and now wants to marry his daughter, i. e. Rother’s wife, off to Ymelot’s son. Rother dresses up as a pilgrim and sneaks into the banqueting hall where the wedding is taking place. He is, however, recognized, captured, and 15 See Stock 2002, 244. 16 Since Antiquity, access to the sea and navigation were the conditions, that provided the basis for the establishment of colonies. Colonialism in the modern era was likewise dependent on these elements; see Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen, 5th edition, München 2006 (reprint München 1995), 7–28. It is no coincidence that the areas in the Middle East in which the first Crusaders established Crusader states were also known as ‘Outremer’.

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sentenced to be hanged. Because Rother’s army finds itself in the immediate vicinity of the place of execution, they free their king and conquer the enemy troops. Rother takes counsel with his entourage and decides to spare Constantine as it is God’s will. Constantine is subsequently reconciled with the Christian God and gives his daughter to Rother once and for all. Back in Bari, Rother hands out the entirety of Europe as fiefdoms to his faithful companions. As this short synopsis shows, the places of action in ‘King Rother’ develop through the multiple west-to-east and east-to-west movements of the protagonists, all of which are structured so as to mirror one another, apart from the conclusion: Rother and his entourage travel twice from Bari to Constantinople and back, Ymelot comes from Babylon twice, and the king’s daughter journeys twice to Bari, where she stays in the end. Only Constantine remains in one place and, as lord of a city – a role indicated by his name – functions as a metonym for his dominion. In the narrative, however, the impressive movements of the other characters are scarcely represented as journeys.17 Instead, almost the entire action takes place in Constantinople, the centre of the events, with Bari and Babylon relegated to the western and eastern peripheries respectively. In Constantinople, Rother is always characterized as the one who sizzet westrit ober mer (l. 926: “the one, who resides in the west on the other side of the ocean”).18 The three seats of rulership Bari, Constantinople, and Babylon, are connected to the three male protagonists, Rother, Constantine, and Ymelot. This translates into three conflicting parties, that represent three distinct sets of cultural norms. The action is characterized by frequently changing alliances between the parties, which are stimulated by the dynamics of power gain and power loss.19 Constantine’s empire constitutes the axis of symmetry between Rother’s and Ymelot’s kingdoms. This becomes evident in the significant narrative mirroring: for example, the initial introduction of Rother tells of seventy-two capable lieges at 17 See Stock 2002, 245: “Der ‘König Rother’ ist nicht von einer Wegstruktur geprägt.” [“‘King Rother’ is not characterized by a journey structure.”] For more on this, see Julia Weitbrecht, Heterotope Herrschaftsräume in frühhöfischen Epen und ihren Bearbeitungen. ‘König Rother’, ‘Herzog Ernst’ B, D und G, in: Maximilian Benz/Katrin Dennerlein (eds.), Literarische Räume der Herkunft. Fallstudien zu einer historischen Narratologie, (Narratologia 51), Berlin 2016, 91–119, here 92–95. 18 This phrase thus inverts the concept of Outremer as well. 19 On the role played by virtue of the ruler’s generosity in this context, see, e. g. Stephan Fuchs-Jolie, Rother, Roland und die Rituale. Repräsentation und Narration in der frühhöfischen Epik, in: Caspar Ehlers/Jörg Jarnut/Matthias Wemhoff (eds.), Zentren herrschaftlicher Repräsentation im Hochmittelalter. Geschichte, Architektur und Zeremoniell, Göttingen 2007, 171–196; Mareike Klein, Die Farben der Herrschaft. Imagination, Semantik und Poetologie in heldenepischen Texten des deutschen Mittelalters (Literatur – Theorie – Geschichte 5), Berlin 2014, 97–123. For more on the politics of courtship and each party’s claim to power see Rabea Kohnen, Die Braut des Königs. Zur interreligiösen Dynamik der mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen (Hermaea, N. F. 133), Berlin 2014, 219–232.

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his disposal (l. 6–8). Exactly in the middle of the narrative text, Ymelot is introduced, opening the east-to-west movement towards Constantinople that parallels Rother’s west-to-east movement. In Ymelot’s retinue we also find exactly seventy-two kings (l. 2594–2597), making him – in this respect – Rother’s counterpart.20 Constantinople is the meeting point of cultures, a strategically important cultural ‘melting pot’, and quite literally the gateway to both the West (that is, the Christian Occident) and the East (the Islamic oriental World). Constantinople is the meeting place, but also the place of ‘negotiation’ (in Greenblatt’s sense), a cultural interstice, the ‘third space’ par excellence.21 It belongs neither to the West nor to the East; it is Christian, but also oriental; it lies on the other side of the sea, yet it constitutes a part of the European world. In Constantinople, mutual relationships are brokered, both through diplomacy and physical force (consider, for instance, the giants flexing their muscles);22 actual war, though, remains absent despite the presence of multiple great armies.23 The ‘third space’ is Constantinople shaped by the fact that none of the three competing powers completely gain the upper hand. As the figures of Rother and Ymelot are conceived in a mirror-like fashion, they are not necessarily direct enemies, but rather antipodes. Rother’s direct opponent is actually Constantine, an unstable figure embodying both opponent and ally, oscillating between the position of the ‘second’ and the ‘third’, between opposition and mediation. This of course only happens because of Rother’s own duplicity in combining the roles of ‘Dietrich’ and ‘Rother’. Rother’s doublecrossing strategy leads to the blurring of antagonism and complicity in the figure

20 See Christian Kiening, Arbeit am Muster. Literarisierungsstrategien im ‘König Rother’, in: Joachim Heinzle/L. Peter Johnson/Gisela Vollmann-Profe, Neue Wege der MittelalterPhilologie. Landshuter Kolloquium 1996 (Wolfram-Studien 15), Berlin 1998, 211–244, here 234. 21 On the concept of ‘third space’, see Homi K. Bhabha, The Location of Culture, London 2004 (orig. 1994). 22 For more on this see Evamaria Freienhofer, Tabuisierung von Zorn als Herrscherhandeln im ‘König Rother’, in: Ingrid Kasten (ed.), Machtvolle Gefühle (Trends in Medieval Philology 24), Berlin 2010, 87–103. 23 On the relationship of diplomacy, force, and the avoidance of the latter in ‘King Rother’ see Kiening 1998, 229–235; Hubertus Fischer, Gewalt und ihre Alternativen. Erzähltes politisches Handeln im ‘König Rother’, in: Günther Mensching (ed.), Gewalt und ihre Legitimation im Mittelalter. Symposium des Philosophischen Seminars der Universität Hannover vom 26.–28. Februar 2002 (Contradictio 1), Würzburg 2003, 204–234; Stephan Fuchs-Jolie, Gewalt – Text – Ritual. Performativität und Literarizität im ‘König Rother’, in: Beiträge zur Geschichte der Deutschen Sprache und Literatur 127 (2005), 183–207; Evamaria Freienhofer, Verkörperungen von Herrschaft. Zorn und Macht in Texten des 12. Jahrhunderts (Trends in Medieval Philology 32), Berlin 2016, 165–191.

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of Constantine, causing the encounter of the three cultures to become an insolvable and paradoxical interplay of identity, difference, and synthesis. Through the courtship plot pattern, the battle of strategic – and implicitly cultural – dominance is played out: the king’s daughter plays the role of the mythical apple of discord between the lords of Bari, Constantinople, and Babylon.24 That the Christian Occident wins the upper hand in the end, is not only shown through Rother’s winning the bride but also reflected in the relocation of the narrative centre from Constantinople to Bari and central Europe at the end of the story, where we find the first detailed report of action in the Occident. In the process of the negotiation of cultural hegemony, Constantine’s daughter becomes a placeholder as well as a trophy. In this light, the turmoil surrounding the wedding marks a threshold situation, building a ‘third space’ of hierarchy-free hybridity and liminality.25 A distinctive feature of the strategic confrontation of powers in ‘King Rother’ is how the three parties continually outwit one another and how, in general, the battle for power takes place through cunning and deception rather than actual war, imparting an almost burlesque comedy to the dispute.26 These comedic elements mitigate the conflict on a meta-level, allowing the negotiation of superiority and the dispute between the three parties to appear in a frivolous light lacking any hierarchy. Marriage represents, by nature, an un-warlike way to play out claims to power and expand territory, as well as a device with which to break cultural norms and facilitate cultural transfers, and so the conciliatory convergence of positions in ‘King Rother’ eventually takes place after all.

24 Christa Ortmann/Hedda Ragotzky, Brautwerbungsschema, Reichsherrschaft und staufische Politik. Zur politischen Bezeichnungsfähigkeit literarischer Strukturmuster am Beispiel des ‘König Rother’, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 112 (1993), 321–343, here 322 term ‘King Rother’ a “propagandistisches Werk” [“propagandist work”], that demonstratess the dominance of the Western Roman Empire over the Byzantine Empire and depicts the structural mechanisms of courtship. Their argumentation, however, hardly includes the third party, the pagans and their king, Ymelot. For more on the issue of courtship in ‘King Rother’, see also Kiening 1998, 211–229; Monika Schulz, Eherechtsdiskurse. Studien zu ‘König Rother’, ‘Partonopier und Meliur’,‘Arabel’, ‘Der guote Gêrhart’, ‘Der Ring’ (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), Heidelberg 2005, 27–54; Stephanie Seidl, Der Herr über dem Schema. Versuch einer Beschreibung zweier mittelalterlicher Brautwerbungstexte anhand ihrer mikrostrukturellen Erzähllogiken, in: Florian Kragl/Christian Schneider (eds.), Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17.–19. Februar 2011 (Studien zur historischen Poetik 13), Heidelberg 2013, 209– 225, here 213–220. 25 See Bhabha 2004, 10, 37, 54, 212, 222. 26 On the central significance of list, ‘ruse’, in ‘King Rother’, see Hans Fromm, Die Erzählkunst des Rother-Epikers, in: Euphorion 54 (1960), 347–379. See also Rita Zimmermann, Herrschaft und Ehe. Die Logik der Brautwerbung im ‘König Rother’ (Europäische Hochschulschriften Reihe 1/1422), Frankfurt a. Main 1993, 80–91, 164–171.

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It is to this peaceful negotiation of positions of power and claims of validity, in which fixed hierarchies are softened and new frameworks are tried out, that the reconsideration of patriarchal power relations in ‘King Rother’ belongs. From the very beginning, Constantine’s feudal hegemony is portrayed as a broken system in that the construction of the text places at his side a wife who continuously casts him in a weak light.27 Even in his very first appearance, as Rother’s envoys enter Constantine’s court, it is the queen who speaks before the king and gives the supposedly powerful ruler instructions on what he should do, directly urging him: nu stant uf, herre Constantin, unde intfawir dise geste! (l. 251–52) “Get up now, lord Constantine, and let’s welcome these guests!”

She is the one who lets it be known unmistakably that Rother’s people should be treated respectfully. Even though the queen makes her presence felt so briskly and to all intents and purposes shows up her husband, the sympathies of the narrator are clear, as she is described as a gote kuningin (l. 272), a good queen, while no positive characteristics are attributed to Constantine.28 Even though the queen is not identified by a personal name – similarly, the daughter also lacks a personal name –, it is the female hold on power, that, quite literally, calls the shots in the ‘third space’ of Constantinople.29 The queen repeatedly takes the floor in the presence of the king,30 making him look like a fool and disavowing him, while, however, still taking into account the power relations, that present themselves with the appearance of Rother.31 She seems, not least because of the direction provided by the narrative voice, to be the one acting 27 See Meves 1976, 51; Kerth 2010, 72. 28 See Kerth 2010, 73–74. 29 Thus Markus Stock, Sich sehen lassen. Die Visibilität des Helden und der höfische Sichtraum im ‘König Rother’, in: Ricarda Bauschke/Sebastian Coxon/Martin H. Jones (eds.), Sehen und Sichtbarkeit in der Literatur des deutschen Mittelalters. XXI. Anglo-German Colloquium London 2009, Berlin 2011, 228–239, here 233: “Im Gegensatz zu den Worten seiner Frau sind die Constantins aber als zwar mit dem ersten Auftreten Rothers in Konstantinopel durchgehend machtlose, jedoch dennoch performative-politische Sprachhandlungen gekennzeichnet.” [“In contrast to the words of his wife, Constantine’s are marked as performativepolitical, even though, with the appearance of Rother in Constantinople they prove to be thoroughly powerless”]. 30 For an overview of the scenes in which the queen steps to the fore, see Ferdinand Urbanek, Kaiser, Grafen und Mäzene im ‘König Rother’ (Philologische Studien und Quellen 71), Berlin 1976, 131. 31 Silvia Schmitz, War umbe ich die rede han ir hauen. Erzählen im ‘König Rother’, in: Ludger Lieb/Stephan Müller (eds.), Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter, Berlin 2002, 167–190, here 180, points to the fact that the queen in ‘King Rother’ “in der Rolle der Kommentatorin Kontur gewinnt” [“takes shape in the role of commentator”].

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wisely, the one, who realizes the need for strategic positioning among the conflicting parties, and the one, who is both diplomatic, and self-assured.32 Constantine’s transgressive and polemical behaviour is what leads to confrontation in the first place – he throws Rother’s lieges in jail, even though they had come peacefully on a courtship mission. In contrast, the queen tries to mediate and compensate for her husband’s unreasonable bearing. It is not stately behaviour, that guides the negotiations in Constantinople but rather the words spoken from a female mouth aiming at steering the events.33 Later, when Constantine acts cowardly in the face of Asprian’s the giant’s violent boasting, his wife likewise rebukes him promptly. She reproaches his behaviour and asserts: hude ne is din gebare nicht kunincliche getan (l. 1089–1090) “Today your demeanour is in no way kingly.”

The queen continually criticizes the ruler, even making fun of him.34 At Constantine’s court, the hegemonic relations are disrupted, insofar as the emperor does not possess unchecked power: instead, his decisions constantly receive negative comments from his wife and are questioned. In the end, the unfolding of the story proves her right. In the negotiation of cultural power relations and the normative social framework as they unfold in ‘King Rother’, it is both conspicuous and remarkable that the common image of the Orient is inverted. Rother is the one who possesses immeasurable riches and splendid luxury items that he brings to 32 Scott E. Pincikowski, Wahre Lügen. Das Erkennen und Verkennen von Verstellung und Betrug in ‘Herzog Ernst B’, ‘Kudrun’ und ‘König Rother’, in: Matthias Meyer/Alexander Sager (eds.), Verstellung und Betrug im Mittelalter und in der mittelalterlichen Literatur, Göttingen 2015, 175–193, here 191: “Tatsächlich besitzt die Stimme der Königin eine wichtige Funktion im Text. Sie erinnert den König an sein Verkennen von Rother und von sich selbst. Es ist die Königin, die Konstantin die Wahrheit sagt, auch wenn er sie nicht hören oder ihr antworten will” [“In fact, the queen’s voice possesses an important role in the text. She reminds the king of his misjudgement of Rother and of himself. It is the queen, who tells Constantine the truth, even if he neither wants to hear it nor wants to answer her”]. 33 Thus Kerth 2010, 211: “Not only is Constantin’s queen Rother’s chief advocate in Constantinople, but she also, like Rother, serves as his foil in kingship: it is against her exemplary conduct that Constantin’s flaws are measured, both as king and as father of the bride. She voices direct critisism of his political cowardice and lapses in judgment, particularly in the matter of Rother’s quest. Because the narrator himself offers no critical commentary on Constantin’s behavior, she becomes, in effect, the narrator’s mouthpiece.” 34 See also e. g. Schmitz 2002, 181; Sebastian Coxon, do lachete die gote. Zur literarischen Inszenierung des Lachens in der höfischen Epik, in: Wolfgang Haubrichs/Eckart Conrad Lutz/Klaus Ridder (eds.), Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002, (Wolfram-Studien 18), Berlin 2004, 189–210, here 196; Fuchs-Jolie 2005, 196.

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Constantinople.35 It is in his retinue that we find hybrid beings like the giants on which his military success depends. Even the flat-footed sciapods, known since ancient Greece as a representation of fabled people from the East, are established in the West. This inversion resolves the paradoxical situation, in which the West gains the upper hand in the narrative construction of the intercultural encounters, even though, the cultural gap historically saw the Orient on top. In the text’s presentation, the Occident conquers the East, not only in respect to Christian values and military capabilities but also in regard to its wealth and its luxury. Thus, within the epic construction, Western identity-building confirms its own supremacy.

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Beate Kellner

Herrscherpreis und Herrscherkritik. König Philipp in Sangsprüchen Walthers von der Vogelweide

Abstract Walther von der Vogelweide is not only one of the most famous medieval German authors; he is also considered to be the first German singer to present political topics in medieval German Spruchdichtung, and so can be regarded as the founder of an early kind of political poetry. In his stanzas, he comments on political events of his time and portrays himself as a counsellor to the rulers of his period. Praise and blame are often intertwined in his stanzas, which oscillate between panegyric and rebuke. Moreover, as Walther combines political argumentation with moral and ethical reflection, his stanzas should not be understood as mere political propaganda. To do so would be to ascribe to them a purely anachronistic stance. This article focuses on how Walther portrays King Philipp von Schwaben in his stanzas of the so-called ‘Reichston’ and the first ‘Philippston’. Walther composed the poems featuring Philipp against the political backdrop of the events that followed the surprisingly early death of his brother in 1197. After Emperor Heinrich VI had died, two kings were elected and crowned: Philipp von Schwaben, a member of the Staufen dynasty, and Otto von Braunschweig, a member of the Welf dynasty. This double election led to a deep crisis for the Holy Roman Empire as a whole and plunged the German lands into anarchy. In his ‘Reichston’ stanza Ich hôrte diu wazzer diezen (L 8, 28), Walther pretends to hear and see everything that occurs in the world. In order to legitimize kingship, he provides an example taken from the realm of nature. He argues that the Germans are not able to elect a king, whereas all the different species of animals create kings and laws and divide their populations into masters and servants. According to the singer, the Holy Roman Empire should adhere to nature’s model, and consequently only King Philipp von Schwaben should wear the crown in order to restore stability to the Empire. In his first ‘Philippston’, Walther demonstrates in two stanzas that Philipp is the only legitimate ruler of the Holy Roman Empire. Walther’s ‘Magdeburger Weihnacht’ stanza (L 19, 5) depicts Philipp wearing the imperial crown, thereby highlighting that he is the representative of his dynasty and worthy of being king. Moreover, the singer emphasizes that the king is an icon of the Holy Trinity. Accompanied by his wife, Queen Irene Maria, he is portrayed on the very boundary between immanence and transcendence. However, in Walther’s ‘Kronenspruch’ (L 18, 29), the main focus is on the close connection between the king’s head and the crown. This insignia of power, which is said to be older than Philipp himself and which was presumably created by God, the heavenly blacksmith, nevertheless fits Philipp’s head as if it were tailor-made for

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Beate Kellner

him alone. As Walther proposes in his stanza, it is plain to see that Philipp is the rightful king. Compared to these two panegyric stanzas, the tone of Philippes künic, die nâhe sehenden zîhent dich (L 19, 17) might surprise the audience, for the singer blames Philipp for not having the right attitude towards generosity. He also warns him about the perils of forgetting the importance of this virtue in political contexts. Furthermore, he provides examples of rulers who were known for their generosity: Sultan Saladin and King Richard Lionheart of England. Enumerating a heathen and an enemy of the Staufen dynasty as paragons of generosity was a risky undertaking at the Staufen court. As a result, most scholars believe that the stanza was composed for one of Philipp’s enemies, supposedly for Landgrave Hermann von Thüringen. However, in this article, I try to show that we can also understand the stanza as a case of exhorting King Philipp and reminding him of the political expediency of the virtue of generosity. Instead of simply criticizing the ruler, the singer also attempts to show him the way towards political prudence. From the stanzas that I will discuss in this article, it is evident that Walther does not only praise the king, thus hoping to gain financial rewards, but even dares to criticize him, simultaneously trying to offer advice. Questions of personal and transpersonal aspects of kingship in the Middle Ages will underpin the analysis.

1.

Öffnung der Spruchlyrik für politische Themen

Als Spruchdichter beansprucht Walther die Kompetenz des Ratgebens und Belehrens, er räsoniert, lobt und klagt, mahnt, kritisiert und schilt. So stellt ihn das berühmte Bild im Codex Manesse in der bis auf die Antike zurückgehenden Pose des melancholisch nachdenklichen, prophetischen Sehers und Sängers dar, wie wir sie im christlichen Kontext auch von der Tradition der Evangelisten- und Königsbilder her kennen (Abb.).1 Das Bild ist bekanntlich aus den ersten Zeilen des ersten Reichsspruchs heraus entwickelt, in dem Walther danach fragt, wie man auf der Welt leben soll.2 Der Spruchdichter erläutert hier, wie schwierig es ist, 1 Vgl. Horst Wenzel, Melancholie und Inspiration. Walther von der Vogelweide L. 8,4–10. Zur Entwicklung des europäischen Dichterbildes, in: Hans-Dieter Mück (ed.), Walther von der Vogelweide. Beiträge zu Leben und Werk, Stuttgart 1989, 133–153; Horst Wenzel, Autorenbilder. Zur Ausdifferenzierung von Autorenfunktionen in mittelalterlichen Miniaturen, in: Elizabeth Andersen et al. (edd.), Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen, Tübingen 1998, 1–28, hier 3–5. 2 Vgl. Walther von der Vogelweide, Leich, Lieder, Sangsprüche, 15., veränderte und um Fassungseditionen erweiterte Aufl. der Ausgabe Karl Lachmanns, aufgrund der 14., von Christoph Cormeau bearbeiteten Ausgabe, mit Erschließungshilfen und textkritischen Kommentaren ed. Thomas Bein, Berlin/Boston 2013, L 8, 4, V. 1–7: Ich saz ûf einem steine / dô dahte ich bein mit beine. / dar ûf sazte ich mîn ellebogen, / ich hete in mîne hant gesmogen / daz kinne und ein mîn wange. / dô dâhte ich mir vil ange, / wie man zer welte solte leben. (Zitate hier und im Folgenden nach der genannten Ausgabe). Vgl. dazu Walther von der Vogelweide. Werke. Gesamtausgabe. 2 Bde., Bd. 1: Spruchlyrik. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, edd., übersetzt und kommentiert von Günther Schweikle/Ricarda Bauschke-Hartung, 3., verbesserte und erweiterte Aufl., ed. Ricarda Bauschke-Hartung, Stuttgart 2009 (ND 2017).

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weltliche Güter und höfische Werte zu verbinden und dazu auch die Gnade Gottes zu erlangen. Zugrunde liegt die Frage, wie man den Ansprüchen Gottes in einem christlichen Leben gerecht werden kann, ohne zugleich der Welt und dem höfischen Leben entsagen zu müssen. Dass der Sänger zu dem Schluss gelangt, jâ leider des mac niht gesîn, / daz guot und weltlich êre / und gotes hulde mêre / in einen schrîn mügen komen („Ja, leider, das kann nicht sein, / daß Gut und weltliche Ehre / und Gottes Huld noch dazu / in einen Schrein kommen können.“, V. 16–19)3, hängt mit der politischen Situation im Reich am Ende des 12. Jahrhunderts nach dem frühen und überraschenden Tod des Stauferkaisers Heinrichs VI. (1197) zusammen. Nach Ansicht des Sängers kann der Ternar aus weltlichen Gütern, höfischer Ehre und Gnade Gottes erst realisiert werden, wenn fride und reht (V. 23) wiederhergestellt sind und damit die Störung der Ordnung im Reich behoben ist (V. 23f.). Bereits in diesem ersten Reichsspruch wird deutlich, dass Walther die Spruchlyrik für politische Themen öffnet und im Medium des Sangspruchs zu politischen Ereignissen Stellung nimmt: Fragen der Reichs-, Fürsten- und Kirchenpolitik werden in seinen Sprüchen immer wieder ins Zentrum gerückt. Der Sänger argumentiert zumeist vom Idealbild des Reiches mit einem starken Herrscher aus, der von Gott berufen ist und Gerechtigkeit garantiert, während er die Ansprüche der Kurie demgegenüber zurückweist.4 Häufig stehen eindringliche Mahnrufe und Appelle zur Besinnung auf die Herrschertugenden sowie Aufforderungen, die Herrscher sollten sich in ihrem Handeln von sittlichen Prinzipien leiten lassen, neben dem Kampf gegen die klerikalen Widersacher des Reiches, denen Doppelzüngigkeit, Missbrauch der Amtsgewalt und Simonie unterstellt wird.5 Herrscherlob und Herrscherkritik wechseln sich ab und verbinden sich nicht selten im zwîvellop, das eine Form des Lobes darstellt, die der Mahnung dient, aber auch gleichzeitig Kritik sowie Spott und Hohn durchschimmern lässt, ein zweifelhaftes Lob, das oft als ironisch verstanden werden muss.6 Walthers politische Sprüche lassen sich freilich nie auf politische Propaganda reduzieren,7 sondern sie verbinden politische Fragen stets mit einer tiefer gehenden Reflexion auf Probleme des menschlichen Zusammenlebens im Horizont von Ethik und Moral, von christlichen und höfischen Leitvorstellungen. 3 Die Übersetzung folgt Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, 75. 4 Vgl. z. B. den Reichsspruch L 9, 16. 5 Exemplarisch sei auf die beiden berühmten Opferstockstrophen im ‚Unmutston‘ verwiesen: L 34, 4; L 34, 14. 6 Vgl. etwa die Kaiserbegrüßung im ‚Ottenton‘: L 11, 30; oder die Lobstrophe auf die milte Herrmanns von Thüringen im ‚Ersten Philippston‘: L 20, 4. 7 Grundlegend dazu: Gerhard Hahn, Möglichkeiten und Grenzen der politischen Aussage in der Spruchdichtung Walthers von der Vogelweide, in: Christoph Cormeau (ed.), Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, Stuttgart 1979, 338–355.

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Abb. 1: Walther von der Vogelweide, UB Heidelberg, cpg. 848, Bl. 124r.

Die Diskussion von ethisch-moralischen Grundkategorien des menschlichen Zusammenlebens wird auf vielfache und komplexe Weise mit der politischen Ebene verbunden.8

8 Vgl. zum Kontext auch Claudia Lauer, Ästhetik der Identität. Sänger-Rollen in der Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts (Studien zur historischen Poetik 2), Heidelberg 2008.

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2.

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König Philipp: Ableitung der legitimen Königsherrschaft aus der Naturordnung und Kritik an den Verhältnissen im Reich im Reichsspruch L 8, 28

Am Beispiel König Philipps von Schwaben sollen nun verschiedene Facetten der Herrscherpanegyrik, aber auch der Mahnung des Herrschers und der Kritik an seinem Verhalten im Sangspruch Walthers erläutert werden. Die Frage nach personalen und transpersonalen Aspekten von vormoderner Macht und Herrschaft wird dabei leitend sein. Ich gehe zunächst auf die Erwähnung Philipps im dritten Reichsspruch (L 8, 28, nach der Zählung der ‚Weingartner Liederhandschrift‘ B und des ‚Codex Manesse‘ C an dritter, nach der ‚Kleinen Heidelberger Liederhandschrift‘ A an zweiter Position)9 ein und konzentriere mich dann auf seine Darstellung im politisch bedeutsamen Strophenzyklus des ersten Philippstons. In der Reichstonstrophe Ich hôrte diu wazzer diezen (L 8, 28) stilisiert sich der Sprecher als derjenige, der hört und sieht, wie es auf der ganzen Welt zugeht: swaz in der welte was (V. 3).10 Er überblickt die Ordnung des Kosmos, das als 9 Die Strophen des Reichstons sind ganz besonders über die Profilierung der Ich-Rolle an den Stropheneingängen verbunden: Ich saz – Ich sach – Ich hôrte. Vgl. zur formalen und inhaltlichen Verknüpfung der Strophen sowie zu Fragen ihrer Datierung und Zuordnung zu historischen Ereignissen u. a. Gert Kaiser, Die Reichssprüche Walthers von der Vogelweide, in: Der Deutschunterricht 28 (1976), 5–24; Hahn 1979, 346–349; Günther Serfas, Die Entstehungszeit der ‚Sprüche im Reichston‘ Walthers von der Vogelweide, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 102 (1983), 65–84; Ulrich Müller, Zur Überlieferung und zum historischen Kontext der Strophen Walthers von der Vogelweide im Reichston, in: William C. Mc Donald (ed.), Spectrum medii aevi. Essays in Early German Literature in Honor of George Fenwick Jones, Göppingen 1983, 397–408; Peter Kern, Der Reichston – das erste politische Lied Walthers von der Vogelweide?, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 111 (1992), 344–362; Matthias Nix, Untersuchungen zur Funktion der politischen Spruchdichtung Walthers von der Vogelweide (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 592), Göppingen 1993, 13–40; Eric Marzo-Wilhelm, Walther von der Vogelweide. Zwischen Poesie und Propaganda. Untersuchungen zur Autoritätsproblematik und zu Legitimationsstrategien eines mittelalterlichen Sangspruchdichters (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft 70), Frankfurt a. Main et al. 1998, 139–145. 10 Vgl. dazu Richard Kienast, Walthers von der Vogelweide ältester Spruch im ‚Reichston‘: Ich hôrte ein wazzer diezen (8,28 Lachmann), in: Gymnasium 57 (1950), 201–218; Theo Schumacher, Walthers zweiter Spruch im Reichston, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 36 (1962), 179–189; Irmgard Meiners, Zu Walther 9,10, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 99 (1970), 208–213; Eberhard Nellmann, Philippe setze en weisen ûf. Zur Parteinahme Walthers für Philipp von Schwaben, in: Rüdiger Krohn et al. (edd.), Stauferzeit. Geschichte, Literatur, Kunst, Stuttgart 1978, 87–104; Thomas Cramer, Ich sach swaz in der welte was. Die Ordnung des Kosmos in Walthers zweitem Reichsspruch, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 104 (1985), 70–85; Stefan Hohmann, Friedenskonzepte. Die Thematik des Friedens in der deutschsprachigen politischen Lyrik des Mittelalters (Ordo. Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit 3), Köln/Weimar/Wien 1992, 73–81; Nix 1993, 20–40; MarzoWilhelm 1998, 63–66; Haiko Wandhoff, swaz fliuzet oder fliuget oder bein zer erde biuget.

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erstes erwähnte Wasser (V. 1) und die Pflanzenwelt, die über die Stichwörter walt, velt, loup, rôr unde gras (V. 4) vergegenwärtigt wird, dazu die Tierwelt, die nach aquatica, reptilia, volatilia und gressibilia (vgl. Gen 1, 26) gegliedert ist. Die Fische werden mit Bezeichnung und Bewegungsart genannt (vische fliezen, V. 2; vgl. V. 5), während Vögel, Landtiere und Reptilien nur indirekt über die ihnen zugeordneten Bewegungen erwähnt sind: swaz fliuzzet oder fliuget / oder bein zer erde biuget, (V. 5f.) heißt es nach BC, der Verweis auf die Kriechtiere, criuchet (V. 5), findet sich nur nach A.11 Dass mit den Tieren des Landes, des Wassers und der Erde auch die entsprechenden Elemente ins Spiel kommen, versteht sich; ob über die nur in A genannten Kriechtiere, hinter denen man etwa Schlangen und Salamander sehen könnte, indirekt auch auf das Feuer verwiesen wird, womit die Vierzahl der Elemente, aus denen sich der Kosmos aufbaut, vollständig vorhanden wäre, wurde in der Forschung diskutiert.12 Entscheidend ist die Botschaft, die Walther aus der Beobachtung der Natur ableitet, daz sach ich unde sag iu daz (V. 7), nämlich dass ausnahmslos alle Tiere in Streit, Hass und Feindschaft leben: deheinez lebet âne haz (V. 8). Der Endreim von haz und daz verdichtet im Klang, dass die Aussage über den Hass die eigentliche Botschaft darstellt. Die Kämpfe der Tiere untereinander werden in der Dreifachalliteration von stritten starke stürme (V. 10), die den germanischen Stabreim nachahmt, und über die Hinzusetzung des Adjektivs ‚stark‘ unterstrichen. Kampf und Streit, die nach mittelalterlicher Auffassung auch die Dynamik der Elemente bestimmen,13 werden solchermaßen als die der Naturordnung zugrunde liegenden Prinzipien beschrieben. Walther macht klar, dass es zwangsläufig zu einer Auflösung der Naturordnung kommen würde, wenn man diesen Kräften ungehindert freien Lauf ließe (siu wæren anders ze nihte, V. 13), und betont, dass bereits der Tierwelt eine gegenstrebige Bewegung innewohnt, die ebendies verhindert. In einer für die mittelhochdeutsche Grammatik typischen Exzeptivkonstruktion (wan, V. 12) weist er im Zentrum der Strophe darauf hin, dass bereits die Tiere einen sin haben (V. 12), also rationale Kräfte, die sie bewegen, eine Rechts- und Herrschaftsordnung einzurichten, indem sie guot Konkurrierende Naturkonzeptionen im Reichston Walthers von der Vogelweide, in: Peter Dilg (ed.), Natur im Mittelalter. Konzeptionen – Erfahrungen – Wirkungen. Akten des 9. Symposiums des Mediävistenverbandes, Berlin 2003, 360–372. 11 Dass die Zuordnung der Tiere zu ihrer Lebenswelt, Wasser, Pflanzen, Luft, nicht systematisch erfolgt, hat in der Forschung Anstoß erregt. Vgl. Cramer 1985, 70–85. 12 Vgl. Cramer 1985, 70–85. Er bezieht die Kriechtiere auf die mit dem Feuer verbundenen Salamander. Kritik an der Vorstellung eines zugrunde liegenden Viererschemas übt Wandhoff 2003, 360–372, der eher von dreigliedrigen Formeln zur Einteilung der gesamten Tierwelt ausgeht. 13 Vgl. die mittelalterliche Naturphilosophie und hier besonders Alan of Lille, Literary Works, ed. and translated by Winthrop Wetherbee (Dumbarton Oaks Medieval Library 22), Cambridge, MA/London 2013.

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gerichte (V. 14) sowie künege und reht (V. 15) einsetzen und zwischen hêrren unde kneht (V. 16) unterscheiden. Der Charakter der Schöpfung wird über die Parallelisierung des den Tieren zugeordneten siu schaffent (V. 14), siu setzent (V. 15) und schaffent (V. 16) in dreifacher Wiederholung mit Emphase gekennzeichnet. Der Doppelformel von künege und reht (V. 15) steht jene von hêrren und kneht (V. 16) gegenüber; damit wird verdeutlicht, dass die Tiere ihre Konsoziationen hierarchisch nach der mittelalterlich gültigen Trias in künige, hêrren und knehte gliedern. Aus diesen gleichnishaft nach Maßgabe des mittelalterlichen Ordodenkens auf die Naturordnung der Tiere projizierten Vorstellungen wird dann die Klage über den Zustand der menschlichen Gesellschaft und der Appell, die Königsherrschaft endlich (wieder) ins Recht zu setzen, abgeleitet. Walther beginnt diesen Abschnitt seines Spruches mit einem Weheruf über die tiuschiu zunge (V. 17), die hier metonymisch für die Länder des Reiches steht, und beklagt die im Reich aus den Fugen geratene Ordnung (V. 18). Während jedes Tier einen König habe – Walther intensiviert diesen Gedanken noch, indem er ihn auf die Mücke überträgt (daz nû diu mugge ir künec hât, V. 19)14 –, gehe das Ansehen im Reich ohne einen entsprechenden König oder auch angesichts von zwei Königen an der Spitze zugrunde (êre […] zergât, V. 20). Im Gegensatz zu den Menschen, die ganz offensichtlich weit davon entfernt sind, ihre ratio einzusetzen, um den ordo zu garantieren, wird den Tieren – wie in der Fabel – Sinn und Verstand zugesprochen. Auf der Stufenleiter mittelalterlicher Ontologie gedacht, stehen die Menschen damit in ihrer Konsoziation und ihrer Fähigkeit, Ordnung zu stiften, noch unterhalb der Mücke. Statt Ordnung, die sich in Werten wie êre versinnbildlicht, herrscht im Reich nämlich Anarchie; dieser Gedanke bleibt implizit, lässt sich aber ableiten. Die Fürsten, die metonymisch über ihre Kronreife, die cirkel (V. 22), angesprochen werden, die im Unterschied zur achteckigen Kaiserkrone rund waren,15 seien zu stolz (hêre, V. 22). Dass Handschrift B hier kilchen (V. 22) für Kirchen setzt, passt zum Duktus Walther’scher Kirchenkritik und ergibt ebenfalls eine sinnvolle Lesart. Die armen künege (V. 23), d. h. die im Vergleich zum Herrscher im Reich weniger mächtigen Könige von geringerem Stand,16 bedrängen das Reich. Es ist, so der politische Appell der Strophe, höchste Zeit, dass eine Umkehr vollzogen wird: bekêrâ dich, bekêre (V. 21), heißt es dementsprechend in intensivierender Wiederholung. Der Bezugspunkt des Imperativs ist die tiuschiu zunge (V. 17), die, so lese ich die Stelle, Philipp von Schwaben den 14 Vgl. Meiners 1970, 208–213. 15 Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 342. 16 Auf wen die Aussage konkret bezogen ist, wurde in der Forschung kontrovers diskutiert. Vgl. besonders Nellmann 1978, 97–99; Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 343, denkt an die Könige von England und Dänemark, weitere Optionen sind diskutiert bei Marzo-Wilhelm 1998, 63–66; eine genaue Auflösung ist nicht möglich.

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Waisen aufsetzen und die anderen Fürsten und Könige hinter ihm zurücktreten lassen soll.17 Die Du-Anrede am Ende des 23. Verses wurde in der Forschung jedoch auch auf den legitimen König und Herrscher Philipp selbst bezogen, dementsprechend hat man in Philippe (V. 24) statt eines Dativs einen Vokativ gesehen, womit dieser dann direkt aufgefordert würde, sich den Waisen, der hier als pars pro toto für die Kaiserkrone genannt wird,18 aufzusetzen. Diese Lesart zeigt die Dringlichkeit der Umkehr ebenso deutlich und inszeniert die Nähe des Sängers zum wahren König, der hier als aktiv Handelnder erscheint. Die Tendenz des Spruches ist nach beiden Lesarten klar: Sobald der Staufer Philipp von Schwaben die Reichskrone trägt und als König anerkannt ist, wird Ordnung im Reich einkehren. Diese Ordnung würde dann die bereits vorhandene Ordnung im Tierreich spiegeln. Königsherrschaft, das ist der besonders faszinierende Gedanke dieses Spruches, um den es mir an dieser Stelle geht,19 wird hier nicht aus göttlicher Erwählung, sondern aus der Naturordnung abgeleitet. Mithin wird auf die Naturordnung und eine Art Naturrecht als Argument zurückgegriffen, um Königsherrschaft zu legitimieren. Sichtbar wird die ‚Königsordnung‘ in ihrer Legitimität sodann im Aufsetzen der Krone. Mithilfe des Gleichnisses aus der Natur und seiner Auslegung im Blick auf die legitime Königsherrschaft des Staufers bezieht Walther Position im Thronstreit zwischen Staufern und Welfen.

17 Dass in der Realität die Krönung nicht durch das Volk, sondern den Erzbischof vollzogen wurde, ist in der Forschung als Argument gegen diese Lesart gesehen worden. Vgl. Kern 1992, 354f.; zuletzt Franziska Wenzel, Souveränität in der Sangspruchdichtung. Intertextuelle und intradiskursive Phänomene bei Walther und Frauenlob, in: Gert Hübner/Dorothea Klein (edd.), Sangspruchdichtung um 1300. Akten der Tagung in Basel vom 7. bis 9. November 2013 (Spolia Berolinensia 33), 167–196, hier 176f., Anm. 26. Versteht man tiuschiu zunge als Metonymie für das gesamte Reich, sollte man die Lesart jedoch unbedingt weiter in Betracht ziehen. Für die Lesart als Dativ trat besonders ein: Joachim Heinzle, Philippe – des rîches krône – der weise. Krönung und Krone in Walthers Sprüchen für Philipp von Schwaben, in: Thomas Bein (ed.), Walther von der Vogelweide. Textkritik und Edition, Berlin/New York 1999, 225–237, hier 227; vgl. auch Theodor Nolte, König und Sänger. Zur Interaktion zwischen Sangspruchdichter und Herrscher, in: Thordis Hennings et al. (edd.), Mittelalterliche Poetik in Theorie und Praxis. Fs. für Fritz Peter Knapp zum 65. Geburtstag, Berlin/New York 2009, 301–312, hier 308–310; Theodor Nolte, Das Bild König Philipps von Schwaben in der Lyrik Walthers von der Vogelweide, in: Andrea Rzihacek/Renate Spreitzer (edd.), Philipp von Schwaben. Beiträge der internationalen Tagung anlässlich seines 800. Todestages, Wien 29. bis 30. Mai 2008 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Denkschriften 399. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 19), Wien 2010, 99–111, hier 103f. 18 Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 343, und die näheren Ausführungen weiter unten zum ‚Kronenspruch‘. 19 Ich strebe keine Gesamtinterpretation des Spruches an.

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Worum geht es? Die Fakten sind bekannt:20 Der plötzliche Tod des 37-jährigen Stauferkaisers in Süditalien im Jahre 1197 stürzte das Reich in eine tiefe Krise. Der Sohn des verstorbenen Kaisers, der spätere Friedrich II., war zum Zeitpunkt seines Todes erst drei Jahre alt, zwischen den beiden Thronanwärtern, dem 20-jährigen Bruder Heinrichs VI., Philipp von Schwaben, und dem zweitältesten Sohn des Welfen Heinrichs des Löwen, dem 16-jährigen Otto von Braunschweig und späteren Otto IV., kam es zu einem jahrelangen Thronstreit. Philipp wurde von der staufischen Partei und von Frankreich unterstützt, Otto war am englischen Königshof aufgewachsen und hatte in seinem Onkel, Richard Löwenherz, von dem er auch die Grafschaft Poitou erhalten hatte, seinen wichtigsten Förderer. Der Antagonismus zwischen Staufern und Welfen, der schon die Politik Friedrich Barbarossas geprägt hatte, wirkte nach 1197 weiter. 1198 kam es zu einer verhängnisvollen Doppelwahl der beiden Thronanwärter und beide wurden auch gekrönt, Otto am 12. Juli, Philipp am 8. September 1198. Aus Doppelwahl und zweifacher Krönung entsprang ein erbitterter Kampf um die Macht und die Frage der Legitimität, bei dem beide Parteien die Thronerhebung der gegnerischen Partei in Zweifel zogen. In der Tat gab es auf beiden Seiten Irregularitäten bei Wahl und Krönung. Zum einen konnte man das Wahlgremium in Zweifel ziehen. Zum anderen hatte Philipp zwar die Krönungsinsignien (wie Krone, Reichsapfel, Reichsschwert) in der Gewalt, war aber nicht wie nach den Ordines vorgesehen in Aachen gekrönt worden, sondern in Mainz, und zudem nicht vom Erzbischof von Köln, der ein Parteigänger Ottos war, sondern vom burgundischen Erzbischof Aimo von Tarantaise. Demgegenüber wurde Otto zwar am rechten Ort, nämlich in Aachen, und auch von der rechten Person, dem Erzbischof von Köln, gekrönt, doch er hatte die Reichsinsignien nicht in seinem Besitz. Die Krönung war aber nur dann rechtsgültig, wenn die Krönungsordines eingehalten wurden.21 20 Vgl. besonders Herbert Grundmann, Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert: 1198–1378 (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 5), 10. Aufl., München 1999, 17–27; Peter Csendes (ed.), Philipp von Schwaben. Ein Staufer im Kampf um die Macht (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2003; Ders., Die Doppelwahl von 1198 und ihre europäischen Dimensionen, in: Werner Hechberger/Florian Schuller (edd.), Staufer & Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter, Regensburg 2009, 156–171; Andrea Rzihacek/Renate Spreitzer (edd.), Philipp von Schwaben. Beiträge der internationalen Tagung anlässlich seines 800. Todestages, Wien, 29. bis 30. Mai 2008 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Kl., Denkschriften 399. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 19), Wien 2010, vgl. insbesondere Teil 3: Der deutsche Thronstreit 1198–1208, 179–291 und hier besonders Nolte 2010, 99–111; sowie Bernd U. Hucker, Philipps Freunde, Philipps Feinde – der Thronstreit im Spiegel zeitgenössischer Dichtungen (1202/08), 245–262. 21 Grundlegend dazu: Percy E. Schramm, Die Ordines der mittelalterlichen Kaiserkrönung. Ein Beitrag zur Geschichte des Kaisertums, in: Archiv für Urkundenforschung 11 (1930), 286–390; vgl. dazu ferner Ders., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte

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Die Wankelmütigkeit der Fürsten, die nicht selten und je nachdem, was ihnen in Aussicht gestellt wurde, die Seite wechselten, vertiefte den Konflikt, in den auch Papst Innozenz III. eingriff, um angesichts der Schwäche des Reiches das sacerdotium zu stärken. Er stand bis zum Niedergang der Herrschaft Ottos 1204 auf Seiten des Welfen und überzog Philipp und seine Anhänger 1201 mit dem Bann. In dieser Situation galt es für Staufer und Welfen, die Legitimität des eigenen Thronanspruchs zu behaupten, indem man seine Trümpfe ausspielte und die jeweils vorhandenen eigenen Probleme vertuschte. Daher kommt der Kaiserkrone, die sich im Besitz der Staufer befand, im Reichston eine so große Bedeutung zu. Man nimmt an, dass der Spruch im Umfeld der Krönung Philipps von Schwaben entstanden ist.

3.

‚Erster Philippston‘: Herrscherpreis

Im ‚Ersten Philippston‘, dessen Sprüche wohl in zeitlicher Nähe zum diskutierten Reichstonspruch stehen, wird Philipp in drei Sprüchen ins Zentrum der Darstellung gerückt.22 Der Ton umfasst nach der ‚Weingartner Handschrift‘ (B) fünf und nach dem ‚Codex Manesse‘ (C) drei Spruchstrophen. B eröffnet die Spruchfolge mit den beiden Fürstenpreisstrophen, die in der Forschung als ‚Magdeburger Weihnacht‘ (B 108) und ‚Kronenspruch‘ (B 109) bekannt sind, und lässt darauf die sogenannte ‚Philippsschelte‘ (B 110) folgen. Weiterhin umfasst der Ton noch die sogenannte ‚Hofwechselstrophe‘ (B 111) und die ‚Thüringer Hofschelte‘ (B 112). C bietet nur die drei auf Philipp bezogenen Strophen, wobei die Fürstenpreisstrophen in umgekehrter Reihenfolge zu B angeordnet sind. Der freie Platz nach diesen Strophen in C lässt darauf schließen, dass die Schreiber Kenntnis davon hatten, dass es noch weitere Strophen in diesem Ton gab. Der Text der in beiden Handschriften überlieferten Philippsstrophen weicht zum Teil signifikant ab, die Unterschiede müssen diskutiert werden. Im Vergleich mit dem ‚Reichston‘ tritt die ethische Diskussion, die auf einen Konsens darüber zielt, wie man sich im Leben verhalten soll, gegenüber den politischen und historischen Bezügen zurück.

vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert (Monumenta Germaniae Historica 13, 2), 3 Bde., Stuttgart 1954–1956; Jürgen Petersohn, „Echte“ und „falsche“ Insignien im deutschen Krönungsbrauch des Mittelalters? Kritik eines Forschungsstereotyps (Sitzungsberichte der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 30, 3), Stuttgart 1993, 74–82. 22 Walther geht in ingesamt vier Tönen auf Philipp von Schwaben ein, neben dem ‚Reichston‘ und dem ‚Ersten Philippston‘ auch im ‚Zweiten Philippston‘ und im ‚Wiener Hofton‘. Vgl. den Überblick bei Nolte 2010, 99–111.

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In beiden Fürstenpreisstrophen bezieht Walther Partei für die Staufer im Thronstreit nach dem Tod Heinrichs VI. Da der Fürstenpreis im ‚Philippston‘ in diesen historisch-politischen Raum hinein gesprochen ist,23 verwundert es nicht, dass Walther die Reichsinsignien, die in staufischem Besitz waren, und hier wiederum besonders die Krone in den Vordergrund stellt. Ich beginne mit dem nach B ersten Spruch im ‚Philippston‘, der sogenannten ‚Magdeburger Weihnacht‘, zitiere den Text aber nach C, da entscheidende Bezüge in B nicht erfasst sind und der Text an einer wichtigen Stelle verdorben ist: Ez gienc eines tages, als unser hêrre wart geborn von einer maget, die er im ze muoter hât erkorn, ze Megdeburc der künic Philippe schône. dâ gienc eins keisers bruoder und eins keisers kint in einer wât, swie doch der namen drîge sint, er truoc des rîches zepter und die krône. Er trat vil lîse, im was niht gâch, im sleich ein hôhgeborne küniginne nâch, rôse âne dorn, ein tûbe sunder gallen. diu zuht was niener anderswâ, die Düringe und die Sahsen dienten alsô dâ, daz ez den wîsen müeste wol gevallen. (L 19, 5; C 292)24 „Es schritt an dem Tag, als unser Herr von einer Jungfrau, die er sich zur Mutter erkoren hatte, geboren wurde, zu Magdeburg der König Philipp auf vornehm höfische und geziemende Weise einher. Da schritt der Bruder eines Kaisers und der Sohn eines Kaisers in einem Gewand, obgleich es doch drei Namen sind, er trug Zepter und Krone des Reiches. Er trat sehr gemessen auf, er war ohne Eile, ihm folgte in würdevollem Gang eine hochgeborne Königin nach, eine Rose ohne Dorn, eine Taube ohne Galle. Solch höfische Vollendung fand man nirgendwo anders als da, die Thüringer und die Sachsen leisteten ihre Dienste so, dass es den Weisen wohl gefallen müsste.“25

Die Strophe bezieht sich auf die Festkrönung Philipps von Schwaben an Weihnachten 1199. Solche prunkvollen Festkrönungen waren keine Seltenheit im Mittelalter, sie fanden zumeist an den hohen Kirchenfesten wie Weihnachten,

23 Vgl. die Hinweise bei Nix 1993, 50–58; und Marzo-Wilhelm 1998, 93–100, mit Dokumentation der älteren Forschung. 24 Der Spruch nach B 108: Es gienc eines tages, als unser hêrre wart geborn / von einer megde, die er im ze muoter hât erkorn, / ze Megdeburc der künic Philippe schône. / er ist beidiu keisers bruoder und ist keisers kint / in einer wæte, swie doch der namen zwêne sint, / er truoc den zepter und des rîches krône. / Er trat gemach, im was niht gâch, / im sleich ein hôchgeborne küneginne nâch, / rôs âne dorn, ein tûbe sunder gallen. / diu vroide was dâ nien anderswâ, / die Düringen und die Sahsen dienten alsô dâ, / daz ez den wîsen muozte wol gevallen. Die wichtigsten Divergenzen gegenüber C sind von der Verf. hervorgehoben. 25 Übersetzung BK, vgl. dazu Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, 87.

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Ostern oder Pfingsten statt.26 Die Magdeburger Festkrönung, die zum Ziel hatte, die höhere Legitimität des Staufers Philipp vor dem Welfen Otto im kirchlichen und höfischen Raum zu verdeutlichen,27 fand auch in zeitgenössischen Geschichtswerken Erwähnung. So heißt es nach den ‚Gesta episcoporum Halberstadensium‘, dass der König, mit den königlichen Gewändern und der Kaiserkrone ausgezeichnet, feierlich einherschritt und dass ihm seine Gemahlin Erina Augusta auf höchst geziemende und zugleich anmutige Weise (tam decentissime quam venustissime) folgte, begleitet von der Äbtissin Agnes von Quedlinburg und Herzog Bernhards Gemahlin Judith. Die anwesenden Bischöfe hätten das Herrscherpaar zu beiden Seiten geleitet. Herzog Bernhard von Sachsen habe das Reichsschwert vorangetragen, dann seien die Fürsten und Edlen sowie das Volk (omnis generis plebs) gekommen.28 Der Chronist ist deutlich bemüht, die Eintracht und gehobene Festesfreude rhetorisch mit Ausdrücken wie corde gaudentes, animis exsultantes zu verdeutlichen, und er gesteht – trotz seiner welfisch-braunschweigischen Tendenz – zu, dass die Krönung das größte Fest der Zeit gewesen sei. Walther verdichtet die Szenen der Krönung zum poetischen Bild. Dass dem „verzückten sänger einst und jetzt, Bethlehem und Magdeburg, himmlisches und irdisches wunderbar ineinander“ geflossen seien, wurde von Anton Wallner 1909 betont.29 Er habe, so formulierte es Kurt Herbert Halbach 1974, „mit der poetischen Vollmacht jener Dichter, die ‚das Ewige‘ ‚stiften‘, diesen mehr höfischen Glanz ins sakrale Sinnbild erhoben“.30 Peter Wapnewski unterstrich: „Walther […] sakralisiert den Vorgang und überführt ihn damit in den Bereich der christlich-mittelalterlichen Reichsmetaphysik und eschatologischen Heilserwartung“.31 Und: „Der fromme Anlaß ermöglicht es dem Dichter, im weltlichen 26 Vgl. Hans-Walter Klewitz, Die Festkrönungen der deutschen Könige, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 59 (Kanonistische Abteilung 28) (1939), 48–96 (ND Darmstadt 1966); Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 351. 27 Ottos Position war durch den Tod seines Onkels Richard Löwenherz im Frühling 1199 ohnehin geschwächt. Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung, Kommentar, 351. 28 Gesta episcoporum Halberstadensium, ed. Ludwig Weiland, in: Georg Heinrich Pertz (ed.), Monumenta Germaniae Historica inde ab anno Christi quingentesimo usque ad annum millesimum et quingentesimum (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 23), Hannover 1874, 73–129, hier 113f. Vgl. die Darstellung aller chronikalischen Zeugnisse bei Eduard Winkelmann, Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig, 2 Bde., Leipzig 1873, 1878, Bd. 1, 148–150. 29 Anton Wallner, Zu Walther von der Vogelweide, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 35 (1909), 191–203, hier 193. 30 Kurt Herbert Halbach, Walthers Philipps-Triade. Weihnachten/Dreikönige 1199/1200, in: Ulrich Gaier/Werner Volke (edd.), Fs. Friedrich Beißner, Bebenhausen 1974, 121–146, hier 127, Anm. 8. 31 Peter Wapnewski, Die Weisen aus dem Morgenland auf der Magdeburger Weihnacht. Zu Walther von der Vogelweide 19,5, in: Ders., Waz ist minne? Studien zur mittelhochdeutschen Lyrik, München 1975, 155–180, hier 157f.

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Gepränge des prachtvollen Aufzugs Gott selber mitschreiten zu lassen“,32 wodurch „dem Ereignis nahezu die Weihe göttlicher Realpräsenz“ erwiesen werde.33 Nach Ursula Schulze „hebt“ Walther „das Herrscherpaar in eine gottnahe Sphäre heiliger Unantastbarkeit. Ohne direkt zu argumentieren, nutzt er die Suggestion symbolischer Sprache, ähnlich wie diese in der staufischen Kanzlei und Historiographie eingesetzt wurde“.34 Hier zeigt sich allenthalben die von der älteren Forschung angenommene Nähe Walthers zur staufischen Kanzlei,35 eine Position, von der aus man Walther wie schließlich Achim Masser „als Helfer im politischen Geschäft, als Propagandist seines Brotgebers“ und seine Sprüche als „engagierte, tendenziöse, ganz in der aktuellen Situation verwurzelte ‚politische Tageslyrik‘“ verstehen konnte.36 Von solchen Auffassungen wird man heute Abstand nehmen, sie unterstellen Walther eine nirgends belegte Nähe zur staufischen Kanzlei sowie Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme und einen Zugang zum Kaiserhaus, den man für einen fahrenden Sänger wie ihn nur schwerlich plausibel machen kann. Die Suggestion von der Nähe zwischen Fürst und Sänger ist historisch wohl nicht haltbar, sie ist dem Wunsch geschuldet, die Sängerrolle politisch aufzuwerten. Zwar haben alle Philippsstrophen klar appellativen Charakter, doch die Deutung als politische Propaganda stellt eine ahistorische Übertragung aus der Neuzeit dar. Ebenso fragwürdig sind aus heutiger Sicht die zitierten geradezu mystifizierenden Forschungsaussagen zur Sakralisierung der Herrschaft bei Walther. Sie spiegeln, wie Peter Konietzko zurecht hervorhob, das „Befremden moderner Interpreten“37 angesichts der religiösen und theologischen Begrifflichkeiten der Strophe und sie setzen implizit voraus, dass mittelalterliche Kaiserherrschaft 32 Ebd., 156. 33 Ebd., 157. 34 Ursula Schulze, Zur Vorstellung von Kaiser und Reich in staufischer Spruchdichtung bei Walther von der Vogelweide und Reinmar von Zweter, in: Rüdiger Krohn/Bernd Thum/Peter Wapnewski (edd.), Stauferzeit. Geschichte, Literatur, Kunst (Karlsruher Kulturwissenschaftliche Arbeiten 1), Stuttgart 1978, 206–219, hier 208. 35 Vgl. bereits Konrad Burdach, Walther von der Vogelweide. Philologische und historische Forschungen. 1. Teil, Leipzig 1900, 135–270; vgl. auch Ders., Der mythische und der geschichtliche Walther (1902), wieder in: Siegfried Beyschlag (ed.), Walther von der Vogelweide (Wege der Forschung 112), Darmstadt 1971, 14–83, hier 53f. 36 Achim Masser, Zu Walthers Propagandastrophen im ersten Philippston (L. 18, 29 und 19, 5), in: Werner Besch et al. (edd.), Studien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters. Fs. für Hugo Moser zum 65. Geburtstag, Berlin 1974, 49–59, hier 59. 37 Vgl. dazu Horst Brunner, Verkürztes Denken. Religiöse und literarische Modelle in der politischen Dichtung des deutschen Mittelalters, in: Waltraud Fritsch-Rössler (ed.), Uf der mâze pfat. Fs. für Werner Hoffmann zum 60. Geburtstag (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 555), Göppingen 1991, 309–333, hier 309–315; Peter Konietzko, Darstellung als Deutung: Die Wîsen bei König Philipps Magdeburger Weihnacht (1199), in: Christoph Cormeau (ed.), Zeitgeschehen und seine Darstellung im Mittelalter. L’actualité et sa représentation au Moyen Age, Bonn 1995, 136–172, hier 139.

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etwas Profanes sei, das erst in der Literatur sakralisiert und theologisch überhöht werden musste.38 Um die Relationen besser verstehen zu können, ist vielmehr zu betonen, dass der Strophe das seit dem 7. Jahrhundert nachweisbare mittelalterliche Verständnis vom König als imago Dei bereits zugrunde liegt.39 Es gibt keine Notwendigkeit dafür, dass Walther sakralisiert, denn die Vorstellung von Herrschern als imagines Dei, für die Trinitätsspekulationen keine Seltenheit darstellen, besteht bereits a priori im Diskurs der Zeit. Dementsprechend gilt für Festkrönungen mittelalterlicher Könige und Kaiser, dass sie nicht lediglich eine weltliche Inszenierung darstellten, sondern selbstverständlich auch kirchliche Feiern waren, bei denen sich der Herrscher wohl im Krönungsornat in einer Prozession zwischen Kirche und palatium hin und her bewegte.40 Vor diesem Hintergrund möchte ich nun die Strophe noch einmal unter die Lupe nehmen und dabei auch besonders die poetisch-rhetorische Machart des Herrscherpreises betrachten, was in den meisten älteren Interpretationen eher zu kurz gekommen ist. Auffällig ist zunächst die Betonung des Schreitens, das die Bewegung der Prozession bei der Festkrönung wiedergibt. Im Hinblick auf König Philipp ist zweimal vom Gehen die Rede, zu Anfang des ersten Verses, Ez gienc, und in fast wörtlicher Wiederholung zu Anfang des vierten Verses dâ gienc. Im Abgesang der Strophe heißt es dann nochmals vom König: Er trat vil lîse (V. 7). Die Zuordnung von König und Königin besteht nicht zum Mindesten in der Art und Weise ihrer Bewegung, denn im Blick auf die Königin, die Philipp folgt, wird das Verb slîchen (V. 8) verwendet, was einem gleitenden Schreiten gleichkommt. Das Königspaar wird also nicht statisch auf dem Thron sitzend vor Augen gestellt, sondern seine höfische Vorbildlichkeit drückt sich im angemessenen Voranschreiten aus, das selbstverständlich keine Hast kennt (V. 7). Die geschilderte Art der Bewegung spiegelt die Ruhe des Herrschers und suggeriert die Stabilität der Verhältnisse gegen die tatsächlichen Unruhen und Krisen der Zeit. Dazu passt, dass der König die Krone und das Zepter des Reiches trägt (er truoc, V. 6). Für wie wichtig diese Insignien erachtet werden, um die Legitimität des Königs zu unterstreichen, zeigt auf der Ebene des Spruchs schon allein die Tatsache, dass dieser Vers an das Ende des Aufgesangs gestellt ist. Im vollen 38 Konietzko 1995, 139–145. 39 Dies ist sehr gut herausgearbeitet bei Konietzko 1995, 139–172. Vgl. dazu bereits die ausführliche Darlegung bei Wilhelm Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde. Monumenta Germaniae Historica 2), Leipzig 1952. Vgl. zur Strophe im Kontext der lateinischen und deutschen Panegyrik Annette Georgi, Das lateinische und deutsche Preisgedicht des Mittelalters in der Nachfolge des genus demonstrativum (Philologische Studien und Quellen 48), Berlin 1969, 141–144. 40 Vgl. Klewitz 1939, 67f.

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Ornat kommt Philipps Machtstellung für alle bei der Festkrönung als anwesend zu denkenden Mitglieder der Hofgesellschaft sichtbar zum Ausdruck, wobei König und Königin sowie die Stämme des Reiches, repräsentiert in den Thüringern und den Sachsen, eine Einheit bilden. Nicht zufällig sind mit jenen Stämmen Territorien angesprochen, die geographisch dem welfischen Machtbereich näher lagen als der staufischen Hausmacht. Dazu kommt, dass die Krönung in Magdeburg inszeniert wurde, also im unmittelbaren Umfeld von Ottos Herrschaftsbereich. Hinter den erwähnten Thüringern und Sachsen kann man die mächtigen Fürsten Bernhard von Sachsen und Hermann von Thüringen erahnen. Dass sie auf Philipps Seite stehen, ist alles andere als selbstverständlich, denn sie waren für ihre Wankelmütigkeit bekannt. Bernhard von Sachsen war einer der Konkurrenten Philipps, der ihm zur Zeit der Festkrönung aber offensichtlich die Treue hielt.41 Landgraf Herrmann von Thüringen wechselte wiederholt die Seiten zwischen den Staufern und Welfen und war den Quellen nach erst im Sommer 1199 zu Philipps Partei übergelaufen.42 Bedenkt man dies, zeigt sich, dass die Einheit von Herrscherpaar und Fürsten in der wie selbstverständlich vorgebrachten Vorstellung ihres Dienens (V. 11) im literarischen Spruch gegen das politische Chaos geradezu beschworen wird. Vormalige Gegner und Kontrahenten werden in der richtigen Verhaltensweise, dem Dienst am König, vor Augen geführt und durch diese lobende Hervorhebung, so der Appell, auch in der Zukunft daran gebunden. Weil die Festkrönung solchermaßen ein Idealbild des Reiches zeigt, kann der Sprecher unterstreichen, dass die höfische zuht im Magdeburger Weihnachtsgeschehen zur vollen Entfaltung gekommen sei, wie es an keinem anderen Ort möglich gewesen wäre (V. 10).43 Die Verszeile, die diesen Gedanken zum Ausdruck bringt, ist intrikater formuliert, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn das niener anderswâ betont zum einen Magdeburg als Ort, an dem sich Höfischheit erfüllt, zum anderen macht es aber auch deutlich, dass es anderswo eben keine (adäquate) höfische Zucht gibt. Insofern beinhaltet der Vers einen versteckten Seitenhieb auf die Partei der Welfen, die sich, folgt man der Logik der Aussage, dann ja in einem Raum außerhalb der höfischen zuht befinden müsste. Die beiden Verszeilen, in denen vom Tragen der Krone und des Zepters durch Philipp und vom lîse treten während der Festprozession die Rede ist, bilden mit dem Ende des Aufgesangs und dem Beginn des Abgesangs genau die Mitte des 41 Die ‚Gesta episcoporum Halberstadensium‘ berichten dementsprechend, dass er dem König bei der Magdeburger Festkrönung das Schwert vorantrug. Siehe oben. 42 Hermann schwenkte 1201 übrigens wieder zu Otto um. 1204 erlitt er eine militärische Niederlage gegen Philipp, plante aber offensichtlich 1207 erneut, die Seiten zu wechseln. Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 353. 43 Fassung B setzt vroide (V. 10) für zuht (V. 10) nach C und betont damit den affektiven Ausdruck höfischer Vollkommenheit.

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Spruchs (V. 6f.). Er truoc (V. 6) und er trat (V. 7) sind zudem rhetorisch über Anapher und Alliteration verbunden, zugleich ist das Schlüsselwort krône über den Reim klanglich rückgebunden auf das als schône gekennzeichnete Schreiten des Herrschers: schône (V. 3) / krône (V. 6). Über die damit angesprochene Dimension des Höfischen hinaus interpretiert der Sprecher die Herrschaft genealogisch und theologisch, d. h. er fügt hinzu, was man nicht ohne das entsprechende Vorwissen sehen kann. Vom König wird dementsprechend betont, dass er eines Kaisers Kind, nämlich der Sohn Friedrich I. Barbarossas, und eines Kaisers Bruder sei, nämlich der Bruder des verstorbenen Kaisers Heinrichs VI. Sein Geschlecht wird damit als kaiserliches dargestellt, er ist ein Glied in der Kette jener imperialis prosapia, als welche die Staufer sich etwa von ihrem Hofkappelan Gottfried von Viterbo feiern ließen. In seinen Schriften wie dem Speculum regum und dem Pantheon bezog Gottfried die Position,44 dass es seit den Anfängen der Menschheit, seit der Sintflut, ein einziges Kaisergeschlecht gegeben habe, das sich in verschiedenen Manifestationen im Laufe der Weltgeschichte entwickelte und über Jupiter, die Trojaner und Karl den Großen auf die Staufer führte.45 Bringt man an dieser Stelle Kaiser Heinrichs VI. Erbreichspläne ins Spiel, so wird deutlich, dass der Staufer Philipp in Walthers Spruch nicht nur als der rechtmäßige Nachfolger seines Bruders, sondern auch als der rechtmäßige Erbe 44 Vgl. Gottfried von Viterbo, Speculum regum und Pantheon; beide Texte in: Gotifredi Viterbiensis opera, ed. Georg Waitz (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 22), Stuttgart 1976 (ND Hannover 1872). Vgl. dazu etwa Gerhard Baaken, Zur Beurteilung Gottfrieds von Viterbo, in: Karl Hauck/Hubert Mordek (edd.), Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter. Fs. für Heinz Löwe, Köln/Wien 1978, 373–396; Gerhard Baaken, Gottfried von Viterbo, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), 1607f.; Friedrich Hausmann, Gottfried von Viterbo. Kapellan und Notar, Magister, Geschichtsschreiber und Dichter, in: Alfred Haverkamp (ed.), Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers (Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte. Vorträge und Forschungen 40), Sigmaringen 1992, 603–621, bes. 603–608; Odilo Engels, Gottfried von Viterbo und seine Sicht des staufischen Kaiserhauses, in: Hubert Mordek (ed.), Aus Archiven und Bibliotheken. Fs. für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte. Studien und Texte 3), Frankfurt a. Main et al. 1992, 327–345, hier 335f. 45 Dass die Staufer auch in anderen mittelalterlichen Quellen über die Salier genealogisch mit den Karolingern und Merowingern verbunden wurden, zeigt etwa das Zeugnis in der Chronik Burchards von Ursberg, nach dessen Darstellung Friedrich Barbarossa sich selbst einer solchen Abkunft gerühmt habe. Burchardi praepositi Urspergensis Chronicon, edd. Oswald Holder-Egger/Bernhard von Simson (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 16), 2. Aufl., Hannover 1916, 24f.: At ipse [Fridericus] potius gloriabatur se de regia stirpe Waiblingensium progenitum fuisse, quos constat de duplici regia prosapia processisse, videlicet Clodoveorum, de quibus legitur supra in gestis Francorum, et Carolorum, de quibus nichilominus eorundem supra narrant hystorie. Zum Karlskult der Staufer vgl. u. a.: Erich Meuthen, Karl der Große – Barbarossa – Aachen. Zur Interpretation des Karlsprivilegs für Aachen, in: Wolfgang Braunfels/Percy E. Schramm (edd.), Karl der Große. Werk und Nachleben, 5 Bde., Bd. 4: Das Nachleben, Düsseldorf 1967, 54–76.

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des Throns im genealogischen Kontext dargestellt wird. Ganz in diesem Sinne wird der Zusammenhang mit Heinrich VI. und Friedrich I. nur über die Verwandtschaftsbezeichnungen verdeutlicht, ohne dass die Namen der Kaiser explizit genannt werden. Hierin zeigt sich, dass es stärker um den genealogischen Zusammenhang des Kaisergeschlechts geht als um die jeweiligen individuellen Repräsentanten. Dazu passt, dass auch Philipps Gemahlin ohne Namensnennung als hôhgeborne küniginne (V. 8) bezeichnet wird, womit der Hinweis auf ihre hohe Abkunft das Erste und Wichtigste ist, was man von ihr erfährt. Es handelt sich um Irene, die Tochter Kaiser Isaaks II. Angelos von Byzanz, die nach ihrer Konversion zum römisch-katholischen Glauben den Namen Maria erhielt.46 Irene Maria ist damit auch ein kaiserlicher Spross und die besondere genealogische Pointe liegt darin, dass im Kaiserpaar das Heilige Römische Reich und das Byzantinische Reich verbunden wurden. Die beschriebenen genealogischen Zusammenhänge werden vom Spruchdichter in knappsten Worten angedeutet, in den Reichsinsignien von Krone und Zepter, die in staufischer Gewalt waren, werden sie für alle bei der Festkrönung Anwesenden anschaubar. Die genealogische Ebene geht jedoch nicht in innerweltlichen Bezügen auf, sie wird auf Basis der rex imago Dei-Vorstellung von Walther im Horizont der mittelalterlichen Typologie theologisch gedeutet. Über die genealogische Dreiheit der beiden Kaiser mit König Philipp von Schwaben, die im Verhältnis von Vater, Sohn und Bruder gefasst wird, knüpft Walther an die Vorstellung der Trinität an, wenn er sagt, diese drei hätten zwar drei Namen, aber Philipp repräsentiere die Dreiheit in einem Gewand, einer wât (V. 5).47 Der Ausdruck wât zielt zwar auf die irdische Verkörperung der Trinität in Philipp, an Stelle von Philipps Leib wird aber bezeichnenderweise metonymisch sein Königsgewand genannt, dessen Träger er gegenwärtig ist, das aber auch seinem Bruder und seinem Vater zugeordnet wird. So wird zum einen suggeriert, dass Philipp wesenhaft, substantialiter, Teil der genannten kaiserlichen Trinität als einer Einheit ist. Zum anderen erscheinen die staufischen Kaiser und Könige als imagines der göttlichen Trinität auf Erden. Diese Relation lässt sich wiederum in zwei Richtungen auslegen, denn die Stilisierung der Staufer nach trinitarischem Vorbild weist im nachahmenden Sinne auf die Ereignisse der Heilsgeschichte zurück und sie weist zugleich im eschatologischen Sinne auf die Erfüllung des Heilsgeschehens in der Wiederkunft Christi voraus.48 In der einen Hinsicht könnte man von Postfiguration sprechen, in der anderen von Präfiguration. Indem Philipp über den Bezug zum kaiserlichen Vater als keisers kint angesprochen ist, rückt er 46 Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 353. 47 Eben dieser Trinitätsbezug ist in der B-Version des Spruches verdorben. Siehe die Hervorhebung des Verses in Anm. 23. 48 Vgl. Konietzko 1995, 156.

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nachahmend in die Position Christi ein. Vollends explizit wird dieser Bezug, wenn man ausgehend von der Betrachtung der Trinitätsfigur auf den Beginn und das Ende des Spruches blickt. Einleitend legt der Sprecher Ort und Zeit des Geschehens der Festkrönung offen: Sie ereignet sich zu Weihnachten, dem Fest der Erinnerung an die Inkarnation, als Christus von einer maget (V. 2) geboren wurde, die er sich zur muoter auserkoren hat (V. 2), und sie vollzieht sich in Magdeburg (V. 3), einer Stadt, die den Bezug zur maget Maria sinnreich im Namen trägt. Über die Alliteration maget – muoter – Megdeburc sind die drei Schlüsselbegriffe der ersten drei Verse zur Einheit verbunden. Auf der Ebene der poetischen Darstellung gilt auch, dass das Inkarnationsgeschehen über die Bezugspunkte von Ort und Zeit der Festkrönung gewissermaßen räumlich in den langen ersten Satz des Spruches Ez gienc […] der künic Philippes schône (V. 1–3) eingeschoben wird. Der Satz ist unpersönlich formuliert und beginnt mit Ez gienc, doch erst am Ende der dritten Verszeile tritt das Subjekt zu diesem Verb, König Philipp, in Erscheinung, insofern entsteht eine weite Klammer zwischen Subjekt und Prädikat. Das letzte Wort des Satzes, das unmittelbar auf Philipps Namen folgt, ist das Adverb schône, das zwar hinter das Subjekt gestellt ist, aber semantisch und syntaktisch zum Verb gên gehört und das Schreiten des Königs als ein höfisch vollendetes charakterisiert. Wie Subjekt und Prädikat bilden auch Verb und Adverb eine Klammer, die mit den Verweisen auf die Gottesgeburt an Weihnachten gefüllt wird. Sprachlich wird also mit diesem ersten Satz auf höchst kunstvolle Weise, nicht im amplifizierend überbordenden Sinne, sondern sehr knapp und gewissermaßen kompakt formuliert, die enge Verbindung von König Philipp mit dem Inkarnationsgeschehen dargestellt. Analysiert man den Satz auf diese Weise, wird deutlich, dass das höfische Schreiten des Königs im literalen Sinne als Nachfolge Christi verstehbar ist. Höfische Vorbildlichkeit und christliche Transzendierung der Herrschaft spielen ineinander. Dass auch die Königin Irene Maria sodann mit marianischen Attributen, Rose ohne Dorn, Taube ohne Galle (V. 9)49 charakterisiert ist, nimmt nicht Wunder, zumal ihr Name, der den Zuhörern des Spruches bekannt gewesen sein wird, den der Gottesmutter wiederholt. In Analogie zum König, der als imitator Christi erscheint, wird die Königin in der Nachfolge Marias perspektiviert. Aus diesen Zusammenhängen heraus scheint es mir naheliegend zu sein, dass in der letzten Verszeile mit den Weisen, denen die Dienste der Fürsten gefallen müssten, wie es nach C heißt, oder gefallen mussten, wie die Textstelle nach B lautet, die Heiligen Drei Könige gemeint sind. Bereits die ältere Forschung hat rekonstruiert, dass Friedrich I. Barbarossa 1164 die Reliquien der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln bringen ließ, wo sie nach der translatio stark verehrt wurden, und dass Philipps Rivale Otto im Jahre 1200 drei kostspielige 49 Vgl. zu diesen Attributen Mariens auch Walther von der Vogelweide, ‚Leich‘, L 7, 23.

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Goldkronen für den Reliquienschrein der Könige stiftete.50 Es ist damit klar, dass die Heiligen Drei Könige sowohl für die Staufer wie für die Welfen eine wichtige Rolle spielten.51 Über die Anspielung auf sie in der letzten Verszeile des Spruchs werden sie von Walther geschickt der staufischen Sphäre zugeordnet. Vor diesem Hintergrund erscheint es in der Tat als eine treffliche Pointe, dass der Sänger Walther die Weisen aus dem Morgenland am Schluss seines Spruches ins Spiel bringt. Folgt man dem Konjunktiv müeste in der letzten Verszeile des Spruchs nach C, ergibt sich die Lesart, dass den Weisen aus dem Morgenland gefallen müsste, was sie hier sehen könnten.52 Das Weihnachtsgeschehen in Magdeburg wäre, wenn man dieser Deutung folgt, mit einem Hinweis auf die Huldigung der Heiligen Drei Könige verbunden. Theologisch und liturgisch gesehen wird an Weihnachten die Geburt des Herrn gefeiert und an Heilige Drei Könige seine Offenbarung, die Epiphanie seiner Göttlichkeit.53 Die beiden Naturen Christi, die menschliche und die göttliche, kommen in der Verbindung von Weihnachten und Epiphanias, unterschiedlich akzentuiert, zum Ausdruck und beide Aspekte, Geburt respektive Inkarnation und Erscheinung, lassen sich wieder auf den imitator Christi König Philipp beziehen.54 Der Herrscher als Repräsentant Gottes auf Erden ist transparent auf die Geburt und Epiphanie des Erlösers Christus hin. Hinter der weltlichen Ordnung scheint die transzendente Ordnung auf. Das Königspaar wird an der Schnittstelle von Transzendenz und Immanenz situiert und das aktuelle politische Geschehen im Reich wird modellhaft auf die Heilsgeschichte bezogen. Der Sänger wertet den Staufer Philipp dadurch enorm auf, den Welfen Otto wertet er nicht explizit ab, er

50 Vgl. dazu Jürgen Petersohn, Der König ohne Krone. Politische und kultgeschichtliche Hintergründe der Darstellung Ottos IV. auf dem Kölner Dreikönigenschrein, in: Ders. (ed.), Überlieferung, Frömmigkeit, Bildung als Leitthemen der Geschichtsforschung. Fs. für Otto Meyer, Wiesbaden 1987, 43–76; Axel und Martina Werbke, Theologie, Politik und Diplomatie am Dreikönigsschrein: Die Ikonographie der Frontseite, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch. Westdeutsches Jahrbuch für Kunstgeschichte 46/47 (1985/1986), 7–73. 51 Vgl. Wapnewski 1975, 171–177; Brunner 1991, 309–312. Die Deutung der wîsen auf die Heiligen Drei Könige wird von Eberhard Nellmann scharf kritisiert, aber nicht mit gewichtigen Argumenten zurückgewiesen: Eberhard Nellmann, Die ‚Weisen‘ auf dem Magdeburger Weihnachtsfest (Walther L. 19,15f.) und die Heiligen Drei Könige zu Köln, in: Mark Chinca/ Joachim Heinzle/Christopher Young (edd.), Blütezeit. Fs. für L. Peter Johnson zum 70. Geburtstag, Tübingen 2000, 53–65; vgl. auch bereits Masser 1974, 55f., Anm. 13. 52 In der Ausgabe bei Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, 86, wird der Konjunktiv – unnötigerweise – zum Indikativ verbessert. Vgl. dagegen schon die Argumentation bei Wapnewski 1975, 170f. 53 Ursprünglich wurden an Epiphanias am 6. Januar Geburt, Anbetung und Taufe des Herrn gefeiert. Das Fest entstand im 4. Jh., doch noch im 4. Jh. wurde in der römischen Kirche Weihnachten als Geburtsfest abgespalten und auf den 25. Dezember verlegt. Vgl. Wapnewski 1975, 173f. 54 Noch heute sind die beiden Feste über die sogenannten Zwölf Nächte verbunden.

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nennt ihn nicht einmal, aber er situiert das Geschehen im Umfeld der Welfenherrschaft. Auch darin liegt die besondere Kunstfertigkeit der Strophe.55 Dass mit den Weisen auch die Klugen und Vernünftigen im Reich angesprochen sind, denen das Geschehen bei der Festkrönung in Magdeburg gefallen müsste und gefallen sollte, liegt nahe. Die Nennung der wîsen (V. 12) ist auch deshalb eine so starke Schlusspointe, weil sie mehrdeutig ist. Alle, die Urteilskraft haben und zu sehen in der Lage sind, müssen erkennen, dass Philipp der von Gott auserwählte Herrscher und Christusnachfolger ist. Die idoneitas des individuellen Herrschers Philipp deutet sich allenfalls in der Vorbildlichkeit der Durchführung des Ritus an (gienc […] schône, V. 1–3, trat vil lîse, V. 7), doch sie spielt in diesem Spruch insgesamt nur eine ganz untergeordnete Rolle. Philipp ist zwar im Unterschied zu allen anderen Personen, von denen gesprochen wird, wie der Königin, seinem Vater Friedrich I. Barbarossa, seinem Bruder Heinrich VI. und den mächtigen Reichsfürsten, als einziger namentlich genannt, doch weder wird sein individuelles Aussehen beschrieben, noch werden besondere Eigenschaften oder Herrschertugenden hervorgehoben. Diese Abstraktion kennzeichnet den Spruch durchgängig. Der Leib des Königs ist in seinen Umrissen nur erahnbar aus der Benennung der Insignien und Rituale der Macht, die ihn umgeben. So weist die Krone auf den Kopf, das Tragen des Zepters auf die Hände, das Schreiten auf die Beine, das Gewand auf den ganzen Körper des Herrschers, ohne dass auch nur eine Andeutung über den Körper und die Körperteile selbst gemacht würde. Man könnte geradezu von einer Verweigerung von Konkretion sprechen. Vor diesem Hintergrund ist noch einmal besonders zu betonen, dass es heißt, der König schritt im Gewand der drei kaiserlich-königlichen Personen einher. Dieses Kleid ist, so könnte man folgern, durchsichtig im Hinblick auf die göttliche Trinität und das Staufergeschlecht und vergegenwärtigt damit die Idee transpersonalen Königtums im Spannungsfeld von Immanenz und Transzendenz. Das Kleid ist eines, die Leiber der Träger sind verschieden und wechseln sich ab in der Zeit, ihre Aufgabe ist es, das Gewand und die anderen Insignien der Macht (Krone, Zepter) würdig zu tragen. Man sieht deutlich, dass in diesem Spruch die transpersonalen Dimensionen von Herrschaft dominieren. Die verschiedenen Ebenen sind, ohne dass der Spruch eine Argumentation im strengen Sinne entfalten würde, suggestiv miteinander verbunden, mit dem Ziel, Philipps Legitimität zu demonstrieren und für alle deutlich zu machen, dass er es ist, der das Reich aus der Krise führen und Ordnung herstellen kann. Ich gehe über zu Walthers zweitem Fürstenpreisspruch auf Philipp, den sogenannten ‚Kronenspruch‘, der im politischen Appell zwar ähnlich ist, aber doch andere Akzente setzt. Auch hier weichen die Texte zwischen den Handschriften B

55 Vgl. bereits Masser 1974, 56f.

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und C an einigen Stellen ab, die semantisch signifikanten Differenzen hebe ich bei der Wiedergabe des jeweiligen Textes im Schriftbild hervor: Diu krône ist elter, danne der künic Philippes sî. dâ mugent ir alle schouwen wol ein wunder bî, wie si ime der smit sô ebne habe gemachet. sîn keiserlîchez houbet zimt ir alsô wol, daz sî ze rehte nieman guoter scheiden sol. ir dewederz dâ daz ander niht enswachet. Si lachent beide ein ander an, daz edel gesteine wider den jungen süezen man. die ougenweide sehent die fürsten gerne. swer nû des rîches irre gê, der schouwe, wem der weise ob sîme nacke stê: der stein ist aller fürsten leitesterne. (L 18, 29; C 291)

Diu krôn ist elter, danne der künic Philippe sî. dâ mugent ir merken und schowen wunder bî, wie si der smit sô ebene hab gemachet. sîn keiserlîchez houbet zimet der krône wol, ze reht sie nieman von einander scheiden sol. ir ietwederz tugende niht des andern swachet. Si liuhtent beide ein ander an, daz edel gesteine und der tugenthafte man. ir ougenweide sehent die fürsten gerne. swer des rîches irre gê, der schowe, wem der weise an sînem nacke stê: der stein ist aller fürsten leitesterne. (B 109)

„Die Krone ist älter als König Philipp, daran könnt ihr alle ein Wunder anschauen (könnt ihr ein Wunder bemerken und anschauen), wie sie ihm der Schmied so passend gemacht hat (wie sie der Schmied so passend gemacht hat). Sein kaiserliches Haupt passt ihr, der Krone, so gut, dass sie mit Fug und Recht niemand voneinander trennen soll. Sie setzen sich gegenseitig nicht herab (die Vortrefflichkeit des einen schwächt diejenige des anderen nicht), sie lachen einander beide an (sie leuchten einander beide an), das edle Gestein den jungen liebenswürdigen Mann (das edle Gestein und der vortreffliche Mann). Diese (Ihre) Augenweide sehen die Fürsten gerne. Wer immer ( jetzt) im Hinblick auf das Reich in die Irre gehen mag, der schaue nur her, wem der Waise über (an) seinem Nacken steht: Dieser Stein ist der Leitstern für alle Fürsten.“56

Walther verschiebt in diesem Spruch die Gewichte zwischen dem König und der Krone. Er argumentiert, anders als wir es von unserem neuzeitlichen Verständnis her erwarten würden, von der Krone und nicht vom König her und er macht deutlich, dass nicht die Krone dem König passen muss, sondern der Kopf des Königs der Krone, die zudem älter ist als er selbst (V. 1–4).57 Zu Recht hat 56 Übersetzung BK, der Fettdruck zeigt die B-Varianten an; vgl. dazu Schweikle/BauschkeHartung 2017, 85. 57 Vgl. zu diesem Spruch Halbach 1974, 131–137; Masser 1974, 50–55; Hartmut Kokott, Swer nû des rîches irre gê. Politische Sprüche Walthers von der Vogelweide im Deutschunterricht, in: Helmut Brackert/Hannelore Christ/Horst Holzschuh (edd.), Mittelalterliche Texte im Unterricht, 2. Teil (Literatur in der Schule 2), München 1976, 130–169, hier 149–155; Hubert Herkommer, Der Waise, aller fürsten leitesterne. Ein Beispiel mittelalterlicher Bedeutungslehre aus dem Bereich der Staatssymbolik, zugleich ein Beitrag zur Nachwirkung des Orients in der Literatur des Mittelalters, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 50 (1976), 44–59; Joachim Bumke, Walther von der Vogelweide: Diu krone ist elter danne der künec Philippes si, in: Walter Hinck (ed.), Geschichte im Gedicht. Texte und Interpretationen (Protestlied, Bänkelsang, Ballade, Chronik), Frankfurt a. Main 1979, 19–24; Nix 1993, 40–50; Marzo-Wilhelm 1998, 90–93; Bernward Plate, Walther, Philipp, Konrad (zu L 8,28; L 18,29; L 19,5), in: Euphorion 93 (1999), 293–304, hier 297–

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Jan-Dirk Müller darauf hingewiesen, dass die Krone weit mehr als eine Repräsentation oder ein Wahrzeichen für die Herrschaft ist: „Die Krone ist der konkrete Gegenstand, in dem legitime Herrschaft präsent ist. Sie ist eins mit ihrem Träger. Es gibt kein Ersetzungsverhältnis.“58 Indem er die Einheit von Kopf und Krone als eine unverbrüchliche, eine untrennbare kennzeichnet, greift Walther in diesem Spruch vermutlich auf magisches und mythisches Denken zurück,59 doch er verbindet dies auch mit einer christlichen Kategorie, nämlich derjenigen des Wunders (V. 2). Dazu fügt sich, dass man in dem Schmied, der die Krone gemacht hat, nicht lediglich einen menschlichen Handwerker sehen kann, sondern den göttlichen Werkmeister,60 der die Krone zu einem Zeitpunkt geschaffen hat, zu dem es den Stauferkönig noch gar nicht gegeben hat (V. 1, V. 3). Dass der Schmied sie ihm, diesem Staufer, ime (V. 3) nach der Version von C, bereits im Vorhinein passend gemacht hat, liegt durchaus im Horizont mittelalterlichen Providenzdenkens. Insbesondere Jan-Dirk Müller hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Version nach B das ime ausspart und den Gedanken dadurch noch weiter entpersonalisiert. Was Gott gemacht hat, passt dem legitimen Herrscher, ohne dass es noch eigens passend gemacht werden müsste.61 Die Rechtsdimension klingt an: Da Haupt und Krone durch ihre Vortrefflichkeit (tugende, V. 6 nach B) zusammengehören, wäre es im Umkehrschluss blankes Unrecht, sie zu trennen (V. 5). Für Haupt und Krone gilt vielmehr: Keines von beiden schwächt das andere oder setzt es herunter (V. 6), vielmehr steigern sie gegenseitig ihren Wert, sie lachen einander förmlich an (V. 7 nach C) bzw. spiegeln sich gegenseitig in ihrem Glanz (V. 7 nach B). Diese Einheit von König und Krone erscheint den Fürsten, die mit V. 9 ins Spiel kommen, als ougenweide (V. 9). Die Machtfülle des gekrönten Königs ist evident, es kann keinen Zweifel an seiner Legitimität geben, alle können sie sehen und es bedarf darüber hinaus keiner weiteren Argumente. Insofern insistiert der Sprecher geradezu auf den Verben des Sehens und Wahrnehmens (schouwen, V. 2 nach C, merken und schouwen, V. 2 nach B, sehen, V. 9, schouwen, V. 11). Wer bezüglich des Reiches in die Irre geht und sich, wie man den zehnten Vers auch übersetzen könnte, noch unsicher ist, was das Reich und seinen legitimen Herrscher betrifft,62 und sich deshalb womöglich der falschen Partei, also jener der Welfen, anschließen

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304; Jan-Dirk Müller, König Philipp und seine Krone. Über Fremdheit und Nähe mittelalterlichen Dichtens und Denkens (Das mittelalterliche Jahrtausend 2), Berlin 2014, 4–11. Müller 2014, 7. Müller setzt sich hier besonders mit Haferlands Verständnis von der Krone als Metonymie auseinander. Vgl. Harald Haferland, Metonymie und metonymische Handlungskonstruktion. Erläutert an der narrativen Konstruktion von Heiligkeit in zwei mittelalterlichen Legenden, in: Euphorion 99 (2005), 323–364, hier 324–326. Müller 2014, 8f. Vgl. zu diesem Forschungskonsens Nix 1993, 43. Näher dazu Müller 2014, 8f. So übersetzt ebd., 6.

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könnte, der müsste nur schauen und er würde sofort, ohne darüber nachdenken zu müssen, sehen, wer der richtige König im Reich ist. Denn ihm steht der Waise über dem Nacken (V. 11). Die ältere Forschung hat viel Energie darauf verwendet, diese Aussage zu deuten. Insbesondere hat man sich gewundert, warum Walther davon ausgeht, dass der Waise, jener kostbare und einzigartige, heute verlorene Edelstein, auf der Nackenplatte und nicht auf der Vorderplatte der Krone platziert ist.63 Ich möchte mich der früh gefundenen, aber wieder verworfenen Lösung anschließen, dass der Waise wie im Reichsspruch L 8, 28, 24 als Synekdoche für die ganze Krone zu verstehen sei.64 In der Schlusszeile des Spruches, in der es heißt, der Stein sei der Leitstern aller Fürsten (V. 12), gilt meines Erachtens die gleiche pars pro toto-Relation.65 Die Alliteration von stên, stein und stern (V. 11f.), welche die Verbindung klanglich noch einmal unterstreicht, kulminiert im Schlusswort des Spruches, leitesterne (V. 12). Hier kann man einerseits an den Polarstern denken, der nach mittelalterlichem Verständnis besonders Schiffsreisenden eine Orientierung bot, man kann aber auch einen Bezug auf jenen Stern von Bethlehem sehen, dem die Weisen aus dem Morgenlande auf ihrer Reise zum neugeborenen Christuskind folgten (vgl. Mt 2, 2).66 Zudem werden über die Bedeutungsnuancen von einerseits leitesterne (V. 12) und andererseits den wîsen (V. 12) ‚Kronenspruch‘ und ‚Magdeburger Weihnachtsspruch‘ zueinander in Korrelation gesetzt. Deutlich ist in jedem Falle, dass die ‚Kronenstrophe‘ mit einem Appell an die verirrten und noch unschlüssigen Fürsten endet, die Legitimität König Philipps anzuerkennen, an der es der Darstellung des Spruches nach gar keinen Zweifel geben kann. Die Krone, die er trägt, ist es, die dem Reich Orientierung geben soll. Auf diese Weise werden, wie im Spruch zur ‚Magdeburger Weihnacht‘, die überindividuellen Aspekte der Herrschaft in den Vordergrund gestellt. Doch immerhin sind hier im Unterschied zum bereits diskutierten Fürstenpreisspruch gewisse Qualitäten des Herrschers genannt. Wird man die Aussage

63 Die ältere Literatur ist dokumentiert und diskutiert bei Nellmann 1978, 87–104. Vgl. dazu Bumke 1979, 21–23, mit der These: „Er [der Waise] existiert nur im Gedicht.“; Petersohn 1993, 81, 113f., tritt gegen Bumke für die tatsächliche Existenz des Waisen ein; vgl. weiterhin Reinhart Staats, Die Reichskrone. Geschichte und Bedeutung eines europäischen Symbols. Mit 21 Abbildungen, Göttingen 1991, bes. 82–87; Günther Wolf, Der ‚Waise‘. Bemerkungen zum Leitstein der Wiener Reichskrone, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 41 (1995), 39–65; Heinzle 1999, 230–237. 64 Vgl. Bumke 1979, 21f. Man kann dieser These Bumkes folgen, ohne seine Folgerung zu übernehmen, der Waise sei eine Fiktion der Dichtung. 65 V. 12 schließt für viele Interpreten aus, dass es sich in V. 11 um pars pro toto handelt, da auf den Waisen (V. 11) mit dem Wort stein (V. 12) referiert werde und der Waise daher auch tatsächlich als stein aufzufassen sei. Die Argumentation ist meiner Ansicht nach mit dem Gegenargument auszuhebeln, dass in beiden Fällen eine Synekdoche vorliegt. 66 Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 350.

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der tugenthafte man (V. 8 nach B) noch als bloß formelhaft verstehen können,67 ist die Rede vom jungen süezen man (V. 8 nach C) bereits etwas konkreter auf Philipps Persönlichkeit gewendet, indem man sie auf sein Alter, sein Aussehen und sein Wesen beziehen kann. Dass sein Haupt bereits als kaiserlich bezeichnet wird (V. 4), obwohl er König, aber noch nicht Kaiser ist, impliziert nicht nur seinen eigenen Anspruch auf die Kaiserkrönung, sondern lässt auch wieder die genealogisch-dynastische Ebene anklingen. Die Krone war seit der Salierzeit, genauer seit dem Tod Konrads II., nach dem sein Nachfolger Heinrich III. keine eigene Kaiserkrone in Auftrag gab, sondern diejenige seines Vaters und Vorgängers übernahm, eine Erbkrone geworden.68 In ihr verdichten sich die staufischen Ansprüche und Erbreichspläne, wie sie besonders Heinrich VI., Philipps Vater, betrieben hatte.69 Was Walther in seinem Spruch als wunder fasst, um Philipp als legitimen Nachfolger und Nachfahren darzustellen, ist in den staufischen Plänen der Zeit politisch ausformuliert. Das Intrikate der verschiedenen Ansprüche, die von den Staufern, den Welfen und der Kurie erhoben wurden, die ganze Komplexität des Diskurses in der Krise des Reiches, macht Walther nicht zum Gegenstand seiner Rede. Er verdichtet im poetischen Bild. Die Partei der Welfen und insbesondere auch Papst Innozenz III. erscheinen der Tendenz von Walthers Spruch nach dennoch unausgesprochen als Gegenspieler der Staufer, die das wunder der Harmonie zwischen Philipp und der Krone nicht zu sehen in der Lage sind und die mithin auch in klarer ethisch-moralischer Verurteilung aus der Gruppe der guoten (V. 5 nach C) 70 ausgeschlossen sind.

4.

‚Erster Philippston‘: Herrschermahnung und Herrscherkritik

Es ist bemerkenswert, wie sich noch innerhalb des ‚Ersten Philippstons‘ die Perspektive auf diesen Herrscher in der Strophe Philippes künic, die nâhe spehenden zîhent dich (L 19, 17) ändert. Aufgrund der hier ausgesprochenen Kritik am Stauferkönig, die in starkem Kontrast zur panegyrischen Tonlage des ‚Kronenspruchs‘ und des Spruchs zur ‚Magdeburger Weihnacht‘ steht, wird sie in der Forschung als ‚Philippsschelte‘ bezeichnet.71 Sie zeigt geradezu paradigmatisch 67 68 69 70

Vgl. Müller 2014, 9. Vgl. Plate 1999, 296f., mit entsprechenden Nachweisen aus der Forschung. Vgl. ebd., 296–304, mit Quellenbelegen. Vgl. Archipoeta, Kaiserhymnus Ad Fridericum, Str. 3: Nemo prudens ambigit, te per dei nutum / super reges alios regem constitutum. Zitiert nach Andreas Kaiser (ed.), Lateinische Dichtungen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Berlin 1927, 52–54, hier 53. Auch zitiert bei Plate (1999). 71 Vgl. zur Strophe etwa Kokott 1976, 161–164; Gerhard Hahn, Walther von der Vogelweide (Artemis Einführungen 22), München/Zürich 1989, 119–121; Ursula Liebertz-Grün, Rhetorische Tradition und künstlerische Individualität. Neue Einblicke in L. 19,29 und L. 17,11,

Herrscherpreis und Herrscherkritik

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die Kehrseiten der Panegyrik und die Ambivalenzen der Herrscherdarstellung in der Spruchdichtung. Philippes künic, die nâhe spehenden zîhent dich, dûn sîst niht dankes milte. des bedunket mich, wie dû dâ mite verliesest michels mêre. dû möhtest gerner dankes geben tûsent pfunt danne drîzec tûsent âne dank. dir ist niht kunt, wie man mit gâbe erwirbet prîs und êre. Denke an den milten Salatîn: der jach, daz küniges hende dürkel solten sîn, sô wurden sî erforht und ouch geminnet. gedenke an den künic von Engellant, wie tiure man den lôste dur sîne milten hant. ein schade ist guot, der zwêne frumen gewinnet. (L 19, 17; C 293)

Künic Philippe, dîn anesehenden zîhent dich, dû sîst dankes niht sô milt, des dunket mich sô âne dank, dir ist niht kunt umbe êre. dû möhtest dankes gerner geben tûsent pfunt danne drîzec tûsent âne danc. dir ist niht kunt, wie gebende hant erwirbet lop und êre. Des sprach der wîse Salatîn: küniges hende solten allez dürkel sîn, dâ von sô wurde ir hôhes lop geminnet. seht an den von Engellant, wie tiur der wart erlôst von sîner gebenden hant. ein schade ist guot, der zwêne frume bringet.72 (B 110)

Übersetzung nach C: „Philipp, König, die dich genau und scharf ansehen, bezichtigen dich, du seist nicht aus freien Stücken/aus Dankbarkeit/mit kluger Überlegung freigebig. Mir scheint, dass du damit mehr verlierst. Du könntest/solltest eher aus freien Stücken 1000 Pfund geben als 30000 widerwillig. Du weißt nicht, wie man mit Gaben Preis und Ansehen erwirbt. Denke an den freigebigen Saladin, der sagte, die Hände eines Königs sollten immer durchlässig sein, dann würden sie geachtet und auch geliebt. Denke an den König von England, um wieviel man den loskaufte aufgrund seiner freigebigen Hand. Ein Schaden ist gut, der zweifachen Nutzen bringt.“

Übersetzung nach B: „König Philipp, die dich ansehen, bezichtigen Dich, Du seist aus freien Stücken/aus Dankbarkeit/mit kluger Überlegung nicht so freigebig, so scheint es mir, wie unfreiwillig. Du kennst Dich bei der Ehre nicht aus/weißt hinsichtlich der Ehre nicht Bescheid. Du könntest/solltest eher aus freien Stücken 1000 Pfund geben als 30000 widerwillig. Du in: Hans-Dieter Mück (ed.), Walther von der Vogelweide. Beiträge zu Leben und Werk (Kulturwissenschaftliche Bibliothek 1), Stuttgart 1989, 281–297, hier 291; Christa Ortmann, Der Spruchdichter am Hof. Zur Funktion der Walther-Rolle in Sangsprüchen mit milteThematik, in: Jan-Dirk Müller/Franz Josef Worstbrock (edd.), Walther von der Vogelweide. Hamburger Kolloquium 1988 zum 65. Geburtstag von Karl-Heinz Borck, Stuttgart 1989, 17–35, hier 29f.; Manfred Günther Scholz, Walther von der Vogelweide, Stuttgart/ Weimar 1999, 54–61; Nix 1993, 103–106; Lauer 2008, 183f.; Horst Brunner et al. (edd.), Walther von der Vogelweide. Epoche – Werk – Wirkung (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), 2., überarbeitete und ergänzte Aufl., München 2009, 153; Tobias Bulang, Die Praxis der Interpretation mittelalterlicher deutscher Texte und die Geschichte der Interpretationen – am Beispiel Walthers von der Vogelweide, in: Andrea Albrecht/Olaf Krämer (edd.), Interpretationstheorie nach dem „practice turn“. Theorien, Methoden und Praktiken des Interpretierens. Tagung am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS), 13.–16. 9. 2011 (linguae & litterae), Berlin/New York 2011, 205–235, hier 207–235. 72 Abweichungen zu C sind hervorgehoben von BK.

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weißt nicht, wie eine gebende Hand Preis und Ansehen erwirbt. Dazu sagte der weise Saladin: Königshände sollten ganz durchlässig sein, dadurch würde ihr Lob hoch gehalten/und sie geliebt. Seht Euch den von England an, wie teuer der losgekauft wurde aufgrund seiner gebenden Hand. Ein Schaden ist gut, der zweifachen Nutzen bringt.“73

Tobias Bulang hat vor einigen Jahren in einer ausführlichen Erörterung darauf aufmerksam gemacht, dass diese Strophe in der älteren, noch vorwissenschaftlichen Betrachtung seit Melchior Goldasts Zeiten, also seit dem 17. Jahrhundert, als besonderer Ausweis der Nähe des Sängers zum Herrscher gesehen wurde und die heute verworfene Vorstellung,74 dass Walther Philipps Rat gewesen sei, mit begründet hat.75 Dagegen geht die neuere Forschung unisono davon aus, dass es sich bei der Strophe um eine Kränkung des Königs und des staufischen Hauses handelt, wobei in den Forschungsbeiträgen Walthers Respektlosigkeit und Frechheit, ja Dreistigkeit, Taktlosigkeit und Unverschämtheit immer wieder hervorgehoben werden.76 Ebenso einhellig nimmt man daher an, dass die Strophe nicht im Umfeld des Königs und der staufischen Partei entstanden sein könne, und folgt der Hypothese, sie sei im Dienst eines Fürsten verfasst worden, der sich von Philipp abgewendet habe. Seit Wilmanns denkt man hier – ohne zwingende Gründe – bevorzugt an Hermann von Thüringen.77 Diesen Forschungskonsens bricht Tobias Bulang auf, indem er den Spruch nicht länger ausgehend von anachronistischen Kategorien als politische Propaganda oder als bloße Gemeinheit des Sängers versteht, sondern die Ratgeberrolle ernst nimmt und in den Vordergrund rückt. Vor dem Hintergrund dieser Forschungsdiskussion möchte ich den Spruch erneut betrachten und zeigen, wie er im Spektrum von Rat, Mahnung, Kritik und Schelte einzuordnen ist. Zunächst einmal stehen Kritik am Herrscher und Schelte im Vordergrund: Philippes künic, die nâhe spehenden zîhent dich, so die erste Verszeile nach C. Das Verb zîhen impliziert eine Anklage, man darf jedoch nicht vergessen, dass die Kritik nicht aus der Perspektive des Sängers vorgebracht wird, 73 Übersetzung BK; vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, 89. 74 Sie findet sich bereits bei Martin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624), ed. Cornelius Sommer, Stuttgart 1970, 22. 75 Vgl. Bulang 2011, 210–214. Bulang zeigt, dass diese Deutung bis in die 50er-Jahre des 20. Jhs. aufrechterhalten wurde. 76 Begründet wurde diese Sicht durch Kurt Herbert Halbach, Waltherstudien, in: Siegfried Beyschlag (ed.), Walther von der Vogelweide (Wege der Forschung 112), Darmstadt 1971 (zuerst als Walther-Studien II [1953]), 363–396, hier 375, 376, Anm. 5. Bulang 2011, 215–222, zeigt, auf welchen ästhetischen Vorannahmen Halbachs Einschätzung beruht, und dokumentiert ausführlich, wie vielfach sie variiert wurde. 77 Vgl. Walther von der Vogelweide, ed. und erklärt von Wilhelm Wilmanns, 4., vollständig umgearbeitete Aufl., besorgt von Victor Michels, 2 Bde., Bd. 2 (Germanistische Handbibliothek I, 2), Halle a. d. Saale 1924 (1896), Bd. 2, 110. Nix 1993, 106, geht davon aus, dass wohl im Auftrag Hermanns von Thüringen stauferfreundliche Kreise dazu angehalten werden sollten, sich von Philipp abzuwenden. Vgl. dazu Bulang 2011, 220f.

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dieser gibt vielmehr einen Vorwurf derer wieder, die sich in der Nähe des Königs aufhalten und ihn daher auch genau ins Visier nehmen können. Beide Implikationen, das aus der Nähe Sehen und das genau und scharf Hinsehen, sind im nâhe spehen, das sich nur in C findet, umfasst.78 Der Sänger duzt den König, was durch die Anrede auf den ersten Blick Nähe suggeriert,79 doch er tritt zunächst hinter der Kritik der anderen zurück. Darin könnte einerseits eine unausgesprochene Zustimmung liegen, aber andererseits auch der Versuch, den König angesichts des Streites um die legitime Herrschaft mit dem Welfen Otto vor möglichen Konsequenzen seines Verhaltens und weiterer Kritik durch andere zu schützen. Der Vorwurf selbst bezieht sich auf die milte (V. 2), doch es wird nicht explizit gesagt, dass der König es an milte fehlen lasse, wie nicht selten in der Forschung kolportiert wird.80 Vielmehr wird betont, er sei nicht dankes milte (V. 2). Darüber, was dies heißen soll, gehen die Forschungsmeinungen weit auseinander.81 Günther Schweikle gibt als Grundbedeutung „aus Dankbarkeit“ an, entscheidet sich aber dann für die Nebenbedeutung „freiwillig“, „aus freien Stücken“ freigebig.82 Die Semantik der Freiwilligkeit scheint besonders gut zu den Versen zu passen, die besagen, dass es mehr ist, wenn man dankes (V. 4) 1000 Pfund gibt als âne danc 30000 (V. 4f.).83 Folgt man dieser Lesart, ginge es besonders um die richtige Einstellung des Gebenden zur Gabe, „freiwillig“, „aus freien Stücken“ oder „widerwillig“, dankes (V. 2) oder âne dank (V. 5). Angesichts der evidenten etymologischen Zusammengehörigkeit von denken, danken und dunken, einer Wortfamilie, die sehr präsent in Walthers Spruch ist,84 votiert Tobias Bulang im Rückgriff auf einen Vorschlag bei Benecke/Müller/Zarncke dagegen für die Übertragung von dankes (V. 2) mit „mit gehöriger Überlegung freigiebig“.85 Im neuen Mittelhochdeutschen Wörterbuch findet sich unter dankes das Bedeu78 B spricht nur von anesehen (V. 1). 79 Vgl. zu den Implikationen des Duzens Nolte 2009, 304–308. 80 Vgl. etwa die Übersetzung bei Kokott 1976, 161, „du seist in deiner Haltung nicht freigebig (genug)“. Vgl. die Hinweise auf weitere Übersetzungen und Auslegungen bei Bulang 2011, 223–225. 81 Vgl. Bulang 2011, 224–226, mit Dokumentation der verschiedenen Auffassungen. 82 Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, 89, Kommentar, 354. Für die favorisierte Nebenbedeutung wird verwiesen auf: Hermann Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik, neu bearbeitet von Peter Wiehl und Siegfried Grosse (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte A, 2), 23. Aufl., Tübingen 1989, §209e. 83 Dementsprechend wird âne danc von Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, 89, mit „wider Willen“ wiedergegeben. 84 Vgl. dankes (V. 2), bedunket mich (V. 2), dankes (V. 4), âne dank (V. 5 und in B zusätzlich auch V. 3), denke (V. 7), gedenke (V. 10). 85 Vgl. Bulang 2011, 225, unter Rekurs auf Georg Friedrich Benecke/Wilhelm Müller/ Friedrich Zarncke (edd.), Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 3 Bde., Leipzig 1854–1866, Bd. 1, 351b.

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tungsspektrum „freiwillig, absichtlich, mutwillig, willkürlich“ belegt,86 die semantische Bandbreite von danc bewegt sich zwischen „Gedanke“, „Wille“, „Absicht“, „Wunsch“, „Anerkennung für etwas“ und „Dankesbezeugung“, „Dankesgabe“.87 Das Spektrum dieser Bedeutungsnuancen ist in Betracht zu ziehen und nicht von vorneherein auszuschließen. Daher sollte man auch die Grundbedeutung „aus Dankbarkeit“ nicht aus dem Auge verlieren, sondern zunächst einmal von ihr ausgehen. Folgt man dieser Semantik, wird der König in der Strophe besonders zur milte aus Dankbarkeit aufgerufen, Dankbarkeit ist aber im Kontext der milte anders zu verstehen als im Lexikon des heutigen Deutsch. Sie stellt weniger ein mögliches moralisch lobenswertes Verhalten dar, als dass sie auf die der milte immer schon innewohnende Verpflichtung zum Geben zielt, die besonders dann besteht, wenn man bereits etwas erhalten hat. Damit geht es in den ersten sechs Versen erstens um die Abwägung zwischen einer voraussetzungslosen milte und einer milte, die der Logik von Gabe und Gegengabe folgt. Gerade diese scheint im politischen Kontext von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf den Zusammenhang von gabe, prîs und êre zu sein. Wird die voraussetzungslose milte häufig in den höfischen Romanen zum Thema gemacht und gepriesen, tritt diese im vorliegenden Sangspruch meiner Deutung nach zurück. Zweitens erfolgt im Zusammenhang damit eine Abwägung des Nutzens der milte. Hier wird besonders zu bedenken gegeben, dass eine kleinere Summe mehr bewirken kann als eine weit größere. Sie kann im Hinblick auf die Steigerung von Preis und Ehre einen größeren Vorteil mit sich bringen als eine höhere Summe, die voraussetzungslos ausgegeben wird (V. 4f.). Dass zielloses Geben sogar Verschwendung sein kann, die zu schädlichen Konsequenzen führt und zu brandmarken ist, zeigt Walther etwa in der gegen Hermann von Thüringen gerichteten sogenannten ‚Thüringer Hofschelte‘, die sich ebenfalls im ‚Ersten Philippston‘ findet (L 20, 4) und in der Handschrift B in der Nähe dieser Strophe steht. Im Blick auf die Verse der Philippsstrophe gilt, dass Walther keinesfalls zu mehr oder gar zu einer grenzenlosen und voraussetzungslosen milte rät, sondern zu einer Haltung des klugen Abwägens der milte, die so zu handhaben ist, dass man auch mit relativ geringen Mitteln größtmögliche Effizienz erreicht. Insofern konvergiert diese Lesart mit derjenigen Bulangs, es gehe um ein Geben mit Bedacht, mit Überlegung. Hinter dem dankes steckt immer schon der kluge Gedanke. Es changiert zwischen denken im Sinne von „klug überlegen“ und danken im Sinne der „Erstattung einer Gabe“. Zugleich schwingen wohl die von Schweikle favorisierten Nuancen der Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit des Gebens mit. Ich 86 Vgl. Kurt Gärtner et al. (edd.), Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 4 Bde., Bd. 1, Stuttgart 2013, 1184. 87 Ebd., 1183–1186.

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möchte damit die semantische Mehrschichtigkeit von dankes in vollem Maße berücksichtigen und habe sie um eine Variante zu erweitern gesucht. Schon ab dem Ende des zweiten Verses äußert der Sänger die Kritik übrigens aus seiner eigenen Perspektive, des bedunket mich (V. 2 nach C). D. h., er gibt nicht nur wieder, was die nâhe spehenden sagen, sondern er schließt sich ihnen kommentierend an. Philipp wird vor allem kritisiert und belehrt, weil er die ‚richtigen‘ Zusammenhänge zwischen prîs, êre und milte offensichtlich nicht versteht (V. 5f.), was für einen Herrscher von großer Bedeutung ist, da milte zu seinen wichtigsten Tugenden zählen muss. Im politischen Kontext, so der Duktus des Spruchs, wird milte vor allem dann zu einer Steigerung von prîs und êre führen, wenn die Gaben mit Überlegung und eingebunden in die Logik von Gabe und Gegengabe gegeben werden. Alles andere bedeutet Verlust (V. 3), wie der Sänger bemerkt, und – das liegt auf der Linie dieser Gedanken – eine Minderung an êre. Indem dem Herrscher das Wissen um milte (V. 5) und die richtige Ausübung von milte abgesprochen wird, wird er in seiner Fähigkeit zur Herrschaftsausübung in Zweifel gezogen.88 Dass die konkretisierenden Beispiele im Abgesang zu dieser Kritik und gleichzeitigen Belehrung nur bedingt passen, hat die Forschung immer wieder moniert.89 Doch, so möchte ich dagegenhalten, Aufgesang und Abgesang müssen sich nicht didaktisch im Verhältnis eins zu eins zueinander verhalten, sondern die Beispiele im Abgesang perspektivieren das Sujet milte vielmehr noch einmal von anderen Aspekten her. Der König wird zunächst gemahnt, an den freigebigen Saladin zu denken (Denke an, V. 7), und das heißt, sich an diesem heidnischen Herrscher zu orientieren. Saladin galt nun einerseits als Feind der Christenheit, der zugleich indirekt Mitschuld am Tod des Staufers Friedrich I. Barbarossa beim dritten Kreuzzug trug, andererseits wurde seine Freigebigkeit im Mittelalter als geradezu sprichwörtlich gerühmt und auch in der deutschen Literatur der Zeit mehrfach erwähnt.90 Die Tatsache, dass Saladin hier als Vorbild genannt wird, muss also nicht per se antistaufische Unverschämtheit bedeuten. Saladin scheint hier vielmehr jenseits der Dichotomie von Christen und Heiden und jenseits der Ereignisse beim dritten Kreuzzug als Exempel für milte eingesetzt zu sein. Von ihm wird berichtet (V. 8f.), dass er gesagt habe, die Hände eines Königs sollten 88 Vgl. Lauer 2008, 183f. Zum milte-Diskurs in der Sangspruchdichtung vgl. Berenike Krause, Die milte-Thematik in der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung. Darstellungsweisen und Argumentationsstrategien (Kultur, Wissenschaft, Literatur. Beiträge zur Mittelalterforschung 9), Frankfurt a. Main et al. 2005, bes. 168–170 zur Strophe. Zu den politischen Aspekten der milte siehe auch Walthers ‚Alexandermahnung‘ (L 16, 36), den sogenannten ‚Spießbratenspruch‘ (L 17, 11) und den ‚Otto-Friedrich-Vergleich‘ (L 26, 33). 89 Vgl. Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 354. 90 Vgl. die Hinweise und Quellenbelege bei Schweikle/Bauschke-Hartung 2017, Kommentar, 354f., zur Stelle.

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durchlässig sein,91 weshalb sie dann gefürchtet und geliebt würden.92 Das Exempel zielt einerseits auf die Notwendigkeit der milte, die sich in der Durchlässigkeit der Hände zum Ausdruck bringt, und andererseits auf den politischen Nutzen der milte, denn sie bringt dem König Furcht, auch im Sinne von Achtung, aber auch Liebe ein. Die milte, von der bereits im Aufgesang der Strophe die Rede war, soll damit einem wohldurchdachten Kalkül folgen und auf Anerkennung des Herrschers zielen. Die politische Bedeutung der milte kommt besonders darin zum Ausdruck, dass sie als Mittel der Herrschaftssicherung erscheint. Das zweite Beispiel, das den König von England als Vorbild ins Feld führt, hinter dem man Richard Löwenherz sehen kann, hat viele Rätsel aufgegeben. Obgleich auch Richard wegen seines Großmuts vielfach gelobt wurde und sich daher als Exempel für Freigebigkeit eignet,93 ist es ohne Zweifel gewagt, den Feind der Staufer, Richard Löwenherz, den wichtigsten Unterstützer des Welfen Ottos als Vorbild für Philipp hinzustellen. Dazu kommt noch die Erinnerung an die unrühmliche Gefangennahme Richards auf dem Rückweg von seiner Kreuzfahrt durch Herzog Leopold VI. von Österreich, seine Auslieferung an Philipps Bruder Heinrich VI. und seine Freilassung auf Basis der Erpressung einer horrenden Lösegeldzahlung. Im Hintergrund der Nennung des englischen Königs als Exempel stehen also politische Vorgänge, in welche die Staufer nicht nur involviert waren, sondern die sie bereits in den Augen der Zeitgenossen in schlechtes Licht rückten.94 Das Exempel im Spruch erläutert diese Ereignisse nicht näher, sondern konzentriert sich ausschließlich auf die Freigebigkeit von Richards Hand, die ihm die Freilassung aus der Gefangenschaft ermöglichte. Seine Freigebigkeit erscheint somit als wichtige Voraussetzung dafür, dass er sich aus einer bedrohlichen Situation retten konnte, allein darauf kommt es an. Verbunden sind die beiden Exempel über die Metonymie der herrscherlichen Hand, die als freigebige zu achten und zu lieben ist (Saladin) bzw. politisch wirkmächtig wird in schwieriger Lage (Richard Löwenherz). Das zweite Beispiel ist zweifellos provokativ, denn es erinnert den König an einen Feind und hält ihm diesen als Vorbild vor. Doch beide Beispiele zeigen jenseits ethischer Dimen-

91 Das Adjektiv dürkel, V. 8 nach C, gehört zu durch und heißt wörtlich „durchbohrt“, „durchbrochen“, „durchlöchert“; V. 8 nach B steigert zu allez dürkel, „ganz durchlöchert“, „ganz durchlässig“. 92 Bulang 2011, 229, sieht einen durch den Indikativ angezeigten Perspektivenwechsel, der V. 9 der Perspektive des Sprechers zuordnet. Dies ist meiner Ansicht nach eine gut begründete Lesart, man könnte aber auch unterstellen, dass die vom Sprecher wiedergegebene Rede Saladins im Indikativ weiterläuft. 93 Vgl. Rüdiger Krohn, Richard Löwenherz. „Rîchardes lob gemêret wart mit hôher werdekeit.“ Der Löwenherz-Mythos in Mittelalter und Neuzeit, in: Ulrich Müller/Werner Wunderlich (edd.), Herrscher, Helden, Heilige (Mittelaltermythen 1), 2. Aufl., St. Gallen 2001, 133–153. 94 Vgl. Nix 1993, 105, mit Hinweisen auf zeitgenössische Quellen.

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sionen gerade auch die politische Effizienz der milte,95 die zunächst zwar immer materielle Minderung, schaden, bedeutet, aber dafür doppelten Nutzen, frumen, einbringt. Die Exempelfiguren werden ganz in diesem Sinne strikt funktional eingesetzt. Von hier aus ergibt sich auch der Zusammenhang der Beispiele mit dem Sinn des Sprichworts in der Schlusszeile (V. 12). Zunächst ist es als gnomische Rede zu verstehen, die eine allgemeine Lebensweisheit ausdrückt. Auf dieser Ebene besagt es, dass man einen kleinen Schaden im Hinblick auf einen größeren und doppelten Nutzen gut und gerne hinnehmen soll.96 Diese Lebensweisheit steht hier jedoch nicht isoliert, sondern wird an den vorhergehenden politischen Diskurs rückgebunden. Es geht um den doppelten Nutzen (zwêne frumen, V. 12) der herrscherlichen milte, im Blick auf den die mit ihr verbundene Verausgabung zu verkraften ist. Bezogen auf Saladin heißt das, dass seine Hand, über die pars pro toto-Relation also er als Person, für die Verausgabung geachtet und geliebt wird. Die Doppelformel steht meiner Ansicht nach für den doppelten Nutzen der milte. Der doppelte Nutzen der den Besitz mindernden Freigebigkeit Richards bestünde dann beim zweiten Exempel einerseits in der Tatsache, dass er aufgrund seiner milte losgekauft wurde, also in einem Nutzen für ihn selbst, und zweitens in einem Nutzen für die Staufer, die von der großen Lösegeldsumme finanziell enorm profitieren konnten.97 Die letzte Verszeile könnte also, folgt man dieser Lesart, in besonders ironischer Wendung sogar auch auf den finanziellen Vorteil zielen, welchen die Staufer aus den an sich unrühmlichen Geschehnissen im Zusammenhang mit der Gefangennahme von Richard Löwenherz ziehen konnten. Philipp wird damit zu einer Ausübung von milte aufgerufen, bei der er sich an Beispielen für größte politische Wirksamkeit orientieren soll. Die Kunst, die milte richtig einzusetzen, besteht gerade darin, sie als Hebel zu benutzen, um größtmöglichen politischen Nutzen zu erzielen. Aus dieser Perspektive wird noch einmal klar, dass es nicht primär auf die Höhe der Summe ankommt (V. 4f.), sondern auf die politische Klugheit und die mit der Verausgabung verbundenen Überlegungen sowie auch auf die Verpflichtung zu Dankbarkeit im Sinne von Gegengaben für bereits erhaltene Gaben. Um noch einmal auf das Exempel zurückzukommen: Nur Richards vorherige Freigebigkeit hat ihm nach der Logik von Geben und Nehmen gesichert, dass man das Geld für seine Befreiung aufzubringen geneigt war (vgl. die Formulierung dur sîne milten hant, V. 11). Gerade indem die Strophe in die allgemeine Redensart mündet, vereinfacht sie die vielschichtigen und komplexen vorausgehenden Überlegungen zur milte mit dem Ziel der allgemeinen Zustimmung. Wer könnte in Abrede stellen, 95 Vgl. Bulang 2011, 228f. 96 Vgl. Ortmann 1989, 30. 97 Zu weiteren Deutungsmöglichkeiten der letzten Verszeile siehe Bulang 2011, 232f.

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dass ein Schaden gut ist, der zweifachen Nutzen bringt? Mit diesem auf Konsens zielenden Vers entlässt der Sänger sein Publikum. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Strophe durchaus auch als Mahnung für Philipp und nicht nur als Kritik im Sinne einer antistaufischen Partei verstanden werden kann.

5.

Fazit

Die von mir besprochenen Strophen haben exemplarisch verdeutlicht, wie Walther im Thronstreit zwischen den Staufern und Welfen Partei bezieht. Im ‚Reichston‘ begründet er die Notwendigkeit und Legitimität von Königsherrschaft aus der Naturordnung der Tiere. Dementsprechend kann nur die Orientierung an dieser als remedium gegen die chaotischen Verhältnisse im Reich erscheinen. Als legitimer König soll Philipp von Schwaben die Krone des Reiches tragen. Wenn die Menschen wie die Tiere wieder einen König an der Spitze haben, werde die Ordnung im Reich zurückkehren. Die beiden Fürstenspreisstrophen im ‚Philippston‘ unterstreichen Philipps Legitimität erneut und betonen dabei ebenfalls vor allem die überindividuellen Aspekte des Königtums, indem sie von der Krone und den Reichsinsignien her argumentieren und Philipp in der Christusnachfolge an der Schnittstelle von Transzendenz und Immanenz situieren. Die Mahn- und Scheltstrophe des ‚Ersten Philippstons‘ verkehrt diese Panegyrik in erstaunlicher Weise und zeigt eine ganz andere Sichtweise auf denselben König. In der Rolle des Ratgebers bewegt sich Walther gewissermaßen auf des Messers Schneide zwischen Ermahnung, Kritik und Polemik. Der Sänger kritisiert den Herrscher scharf für seinen unzulänglichen Umgang mit der milte, doch er weist ihm im Sinne eines Appells und einer Mahnung auch den Weg zu politischer Klugheit und zu politischem Weitblick. Lob und Kritik, die auch in der Tradition der Fürstenspiegel eng zusammengehören, erweisen sich, so gesehen, auch im Sangspruch als zwei Seiten einer Medaille. So entsteht das für Walther typische zwîvellop.

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Kai Nonnenmacher

Auftrag und Kritik: trobadoreske Politik des Sirventes

Abstract The poetic genre of the political sirventes of the Occitan trobadors forms the starting point for reflection on what corpus should (or should not) be used as the basis for a history of political ideas in the Middle Ages. In the nineteenth century, for example, Friedrich Diez romanticized the trobadors as confidants and moral judges of the rulers, whereas in 1941 Emil Winkler reduced the value of their poetry to a stereotypically libellous genre of no informative value for an exploration of the political ideas of the time. Nevertheless, sirventes and their related forms of poetry such as the planh or conselh, crusade songs, political pastourelles or tensos provide information on rituals and presentations of power and domination far beyond what can be gleaned from expository texts, at the beginning of a culture of political writings. Aspects such as the relatively free discursive space of trobador poetry across all social standings, the severity of invective, the tendency of the political, to dissolve into nihilism and melancholy, and also the non-transferability of feudal contexts in the poetry of the Staufer court officials show that the political poetry of the Middle Ages is directly linked to ideas of pre-modern rulership and the social role of the trobadors. „Ist friedlich alle Welt gestimmt, / Gnügt mir ein Fuß breit Land zum Zwist: / Mög’ er erblinden, der mir’s nimmt, / Wenn auch die Schuld mein eigen ist! / Friede thut mir leid, / Ich bin für den Streit; / Sonst kein Glaubenssatz / Findet bei mir Platz.“1

1 Quant es fis devas totas partz, / A mi resta de gerra uns pans. / Pustella en son huoill qui m’en partz, / Si tot m’o comenssiei enans! / Patz no·m fai conort. / Ab gerra m’acort, / Q’ieu non teing ni crei / Negun’autra lei. Bertran de Born, Strophe des Sirventes XVIII ‚Ges de far sirventes no·m tartz‘, vgl. Gérard Gouiran, L’amour et la guerre. L’œuvre de Bertran de Born, Aix-en-Provence 1985, 210. Übertragung von Friedrich Diez, Leben und Werke der Troubadours, 2. Aufl., Leipzig 1882, 209. Vgl. zu dieser Übertragung: Udo Schöning, Friedrich Diez als Übersetzer der Trobadors. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen literarischen Übersetzung, Tübingen 1993, 71. Gouiran übersetzt textnäher „Quand la paix règne de tous côtés, il me reste à moi un pan de guerre. Qu’une tumeur vienne à l’œil de qui voudrait me l’éviter, même si c’est moi qui ai commencé le premier! La paix n’a rien qui me réjouisse: c’est avec la guerre que je m’accorde, car je ne suis ni ne crois aucune autre loi“, Gérard Gouiran, Bertran de Born, troubadour de la violence?, in: La violence dans le monde médiéval, Aix-en-Provence 1994, http://books.openedition.org/pup/3157 (24.05.19), 235–251.

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Die Trobadorlyrik wird außerhalb der inneren Forschungscommunity häufig auf idealistische Liebesdichtung verkürzt, aber auch innerhalb der Romanistik ist der Beginn der Erforschung von einem romantischen Bild trobadoresker Politik geprägt. In Bonn zeichnet Friedrich Diez im Jahr 1827 in ‚Die Poesie der Troubadours‘ das Bild des provenzalischen Hofdichters, der durch das Sirventes auf eine „höhere Stufe der Gesellschaft“ gelange, würdig des vertraulichen Umgangs mit den Herrschern, als ihr Freund, Ratgeber und Verteidiger. „Dieses Ansehen, das ein Dichter erlangen konnte, erklärt sich aus der Gewalt der Poesie zu einer Zeit, die sich mehr zum Empfinden als zum Denken neigt und wo an der Stelle der Gerechtigkeit die Leidenschaft mit ihren gewaltigen Wirkungen den Meister spielt. In einer solchen Zeit mußte es den Großen von Wichtigkeit sein, diejenigen, die in der Gabe des Gesanges eine mächtige Waffe besaßen, an sich zu fesseln, um durch sie ihre Rechte zu verteidigen und die Ansprüche ihrer Gegner anzugreifen, kurz um den öffentlichen Geist für sich zu stimmen. […] Auch suchten die Troubadours dies Ansehen zu behaupten, indem sie sich als Sittenrichter der Zeit darstellten. […] Dieses Amt des Sittenrichters erfordert Freimütigkeit und Gerechtigkeit; weder Drohungen noch Verheißungen von seiten der Machthaber dürfen den Dichter bestechen.“2 Man nennt häufig Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien und Graf von Poitiers, den ersten Trobador (es ist wohl eher der erste überlieferte einer bereits lebendigen Praxis), und es ist nicht erstaunlich, dass unter seinen elf überlieferten Liedern keine Sirventesen zu finden sind, dafür allerdings sinnenfreudig-obszönes Prahlen des Herrschers etwa mit seiner Potenz. Diez bedauert, dass die politische Sirventesendichtung Wilhelms über die Niederlage der Kreuzzüge nicht erhalten ist, die er vor anderen Herrschern vorgetragen habe.3 Der Streitcharakter des Sirventes wird im Eingangszitat des Trobadors Bertran de Born (er dichtete zwischen 1180 und 1196) vom Mittel zum politischen Zweck aufgewertet zum Streit an sich, als „Sinn des hochgemuten Lebens“.4 Für ihn als Herrn von Hautefort waren Eigeninteressen durchaus wichtiger als abstrakte Rechtsvorstellungen eines „Sittenrichters“ (Diez) oder patriotische Machtkämpfe auf nationaler Ebene: Er wollte weder Frankreich vor England schützen, noch Aquitanien vor Frankreich, er ist kein Kämpfer fürs Limousin gegen die Macht der 2 Friedrich Diez, Die Poesie der Troubadours, Zwickau 1826, 151. 3 „Schon Ordericus Vitalis erzählt, der Graf habe nach seiner Rückkehr aus dem heiligen Lande vor Königen und Großen und in christlichen Gesellschaften das Elend seines Feldzuges oftmals in gereimten Versen nach scherzhaften Weisen vorgetragen.“ Diez 1882, 4. 4 Alfred Adler, Die politische Satire, in: Hans Robert Jauss (ed.), Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, 11 Bde., Bd. 6: La littérature didactique, allégorique et satirique, Heidelberg 1968, 275–314, hier 285. Vgl. auch Dietmar Rieger, Sirventes, in: Hans Robert Jauss/Erich Köhler (edd.), Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, 11 Bde., Bd. 2: Les genres lyriques. T. 1, Fasc. 4: B, La lyrique occitane, Heidelberg 1980.

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Monarchie, unterstützt im Gegenteil die englischen Monarchen als seine Herrscher und Beschützer.5 Ist die zitierte Strophe aus seinem politischen Sirventes ‚Ges de far sirventes no·m tartz‘ Zeichen eines kampfbesessenen Individuums oder (mit Gouiran) kollektive Zeremonie, in welcher der Stand aristokratischer Krieger die Berechtigung für die eigene Existenz in ihrer trobadoresken Stimme findet?6 Die ‚Geschichte des politischen Denkens‘ im Mittelalter des Münchener Politikwissenschaftlers Henning Ottmann beinhaltet nur in Einzelfällen literarische Texte i. e. S., wie im Fall Dante Alighieris etwa, und doch fragt er: „War vielleicht die politische Wirkung eines Dichters wie des Walther von der Vogelweide größer als die mancher politisch-theologischer Texte?“7 Suchier und Birch-Hirschfeld gingen so weit, eine Parallele des Sirventes 700 Jahre später im Zeitungsjournalismus zu finden, als Stimmungsmache und Beeinflussung der öffentlichen Meinung im politischen Leitartikel.8 Die Frage nach der Wirkmächtigkeit der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung Walthers betrifft im romanischen Kontext die politische Dichtung der Trobadors, die gleichermaßen politische Zeitkritik wie Auftragsdichtung an provenzalischen Höfen war.9 Winkler kritisierte umgekehrt die Überschätzung und Stilisierung des Trobadors zum politischen Akteur: „Die Ansätze zu wirklicher politischer Dichtung bei den Romanen liegen nicht im Sirventés.“10 Kann man entgegen diesem skeptischen Eingangsurteil mit den Sirventesen der Trobadors das mediävistische Korpus politischer Texte ergänzen? Als Romanist verfolge ich mit dem politikwissenschaftlichen Kollegen Oliver Hidalgo über eine längere zeitliche Perspektive, wie sich politische Ideengeschichte und 5 Vgl. Karen Wilk Klein, The Political Message of Bertran de Born, in: Studies in Philology 65, 4 (1968), 612–630, hier 614. 6 So das Fazit von Gouiran: „bien loin d’une sauvage furie autistique, la violence de Bertran de Born est à comprendre, à mon sens, non comme la caractéristique d’un individu, mais bien comme la cérémonie collective dans laquelle la classe aristocratique des guerriers trouve la justification de son existence.“ Gouiran 1994, 250. 7 Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Bd. 2.2: Das Mittelalter, Stuttgart 2004, 4. 8 „Man kann solche Sirventes mit den Leitartikeln unserer Zeitungen auf eine Stufe stellen, da sie den Zweck hatten, für oder gegen eine politische Person oder Richtung Stimmung zu machen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.“ Hermann Suchier/Adolf BirchHirschfeld, Geschichte der französischen Litteratur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, 2 Bde., Bd. 1, Leipzig 1900, 67. 9 Storost betont am Beispiel von Marcabru den Auftragscharakter: „Überhaupt ist bei fast jedem ‚politischen‘ teil bei Marcabru die herkunft aus dem envoi deutlich zu erkennen, sei es, daß er einen gönner anredet, sei es, daß er ihn lobt oder ihm schmeichelt oder gar bettelt, um eine größere belohnung für das lied zu erlangen.“ Joachim Storost, Ursprung und Entwicklung des altprovenzalischen Sirventes bis auf Bertran de Born, Halle a. d. Saale 1931, 70. 10 Emil Winkler, Studien zur politischen Dichtung der Romanen, 1. Das altprovenzalische Sirventés, Berlin 1941, 32.

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eine Geschichte literarischer Formen zusammenbringen ließen.11 Mit Hilfe von unterschiedlichen Perspektiven, Strategien und Autoren sowie der Berücksichtigung einer breiten Palette von Textgattungen wird hier der konstitutive Zusammenhang politischer Ideen mit ihrer sprachlichen Verfasstheit herausgearbeitet. Der gewählte Formbegriff nimmt dabei in den Blick, inwieweit spezifische Vertextungsverfahren politische Ideen generieren bzw. ob ein Zusammenhang zwischen politischer Theoriebildung (also Konzepten wie Macht, Herrschaft, Gerechtigkeit, Frieden, Republik), historischer Rationalität (in logisch-argumentativen Operationen) und poetischen Strukturen (Rhetorizität, Metaphorik, Stilmarkierungen) besteht. Zu fragen ist hier unter anderem nach dem inhaltlich-normativen Gehalt von Symbolen, Sprachbildern und literarischen Figurationen, konkreten rhetorischen und begriffshistorischen Argumentationsstrategien, der semantischen Verfasstheit sozialer Strukturen und Ordnungsmodelle sowie schließlich nach einer möglichen Parallelisierung von Ideen- und Formgeschichte. In der Korpusbildung knüpft der erste Band der begonnenen Reihe an eine Kardinalthese der einflussreichen Cambridge School of Intellectual History an, wonach die ideengeschichtlichen Wurzeln der politischen Moderne im Italien des Umbruchs zur Frühen Neuzeit zu finden seien. Auch deren Vertreter Skinner und Pocock gingen davon aus, dass das Korpus erweitert werden muss, um über die reine Begriffsarbeit in den üblichen Textsorten hinauszugelangen. Politischer Ideengeschichte liegt häufig ein Fortschrittsnarrativ zugrunde, eine Progression des Denkens aus der letztlich normativen Warte heutiger Demokratie, eine kohärente ‚große Erzählung‘, die von sakraler Herrschaftsautorität zur demokratischen Volkssouveränität führt. Oder kleinteiliger, wenn wir, wie Thomas Cramer in seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter‘, die politische Struktur Europas vom 12. bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts beschreiben als „Wandel vom feudalen ‚Personenverbandsstaat‘ zum ‚institutionellen Flächenstaat‘“.12 Vielleicht meint Jauß’ Rede von der ‚Alterität des Mittelalters‘ in unserem Kontext, dass der Literaturwissenschaftler keine ideengeschichtliche Progression voraussetzt, sondern untersucht, wie ein Text operiert, um politische Bedeutungen zu konstruieren bzw. zu dekonstruieren, beispielsweise die Rationalität scholastischen Argumentierens bei Dante der Relationalität kaufmännischen Verhandelns bei Boccaccio gegenüberstellend. Giuseppe Petronio argumentierte, man könne den Humanismus als Ausdruck des Zeitalters der ‚Signorie‘ bezeichnen, so wie die volkssprachliche Lite11 Vgl. dazu: Oliver Hidalgo/Kai Nonnenmacher (edd.), Die sprachliche Formierung der politischen Moderne. Spätmittelalter und Renaissance in Italien, Wiesbaden 2015. 12 Thomas Cramer, Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, 2. Aufl., München 1995, 18.

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ratur und Kultur des 13. und 14. Jahrhunderts Ausdruck des Zeitalters der ‚Kommune‘ gewesen sei.13 ‚Politisch‘ ist mit Frank-Rutger Hausmann aber bereits die dialektische Struktur des Sonetts: „Das Römische Recht setzte sich in Italien schon bald gegen die Stammesrechte durch und wurde im Decretum Gratiani in großen Teilen auch für die Kirche für gültig erklärt (um 1150). Die Verrechtlichung und Pragmatisierung des Alltags in Italien ist in der Folgezeit unübersehbar, kasuistische Verfahrensweisen durchdrangen das soziale Leben ganz allgemein, rhetorische Schulung der Gebildeten wurde üblich.“14 Dies würde natürlich nur die Wahrnehmung eines solchermaßen Gebildeten strukturieren, im Sinne einer kasuistischen Lektürehaltung gegenüber dem Sonett. Es zeigt sich insbesondere an den wissenschaftshistorisch aufschlussreichen Erklärungen des Sirventes, dass die Deutung dieser politischen Gattung verknüpft ist mit historisch spezifischen Mittelalterbildern und Prämissen über vormoderne Herrschaft. Das geht soweit, dass es im Rahmen der klima-theoretischen Nord-Süd-Opposition aus dem 18. Jahrhundert als unromanisch und damit als nordisch (dis-)qualifiziert wurde. Aufgrund der hierbei behaupteten Freiheit des politischen Sängers wird es von Baret aus dem Gattungssystem einer littérature du midi ausgegliedert: „Il est certains genres poétiques en provençal qui s’expliquent à merveille par des traditions de culture gréco-romaine, et qui ne peuvent s’expliquer que par elles. Tels sont le tenson, la pastourelle, le chant d’aube, la ballade ou danse. Ces chants supposent la possibilité d’un genre de vie extérieur, la circulation nocturne, un climat moins rude que celui de la Gaule du Nord. Mais on peut s’assurer que les sirventes guerriers ou satiriques des troubadours, comme le prouve leur nom, n’ont aucun rapport avec les traditions antiques. Le sirvente provençal, par sa verve impunie, par son audace sans limite, rappelle entièrement au contraire le chant satirique du barde gaulois, et son extrême liberté ne peut s’expliquer, selon nous, que par le souvenir conservé des privilèges attribués aux bardes.“15 Thematisch verbindet germanischen Sangspruch und romanische Sirventesdichtung ihre Heterogenität, sie bilden ein „Konglomerat verschiedenster Stoffe und Themen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß sie nicht von der Liebe handeln.“16 Bastert spricht Wilhelm Nickels Befund17 an, der bereits Kontakte 13 Giuseppe Petronio, L’attività letteraria in Italia, dt.: Geschichte der italienischen Literatur, 3 Bde., Bd. 1, Tübingen 1992, 156. 14 Frank-Rutger Hausmann, Die Anfänge der italienischen Literatur aus der Praxis der Religion und des Rechts, Heidelberg 2006, 33. 15 Eugène Baret, Les troubadours et leur influence sur la littérature du midi de l’Europe, Paris 1867, 56–57. 16 Helmut Tervooren, Sangspruchdichtung, 2. Aufl., Stuttgart 2001, 46. 17 Bernd Bastert, Vom ‚Sänger des Reiches‘ zum ‚Franzosen‘. Zur Sangspruchlyrik Walthers von der Vogelweide, in: Dorothea Klein (ed.), Vom Verstehen deutscher Texte des Mittel-

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zwischen Walther von der Vogelweide und den Sirventesen dichtenden Trobadors ausschloss. Gleichwohl lassen sich ähnliche Argumentationsstrategien in der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung und dem romanischen Sirventes hinsichtlich ihrer Freigebigkeitsthematik finden.18 Sangspruchdichtung ist in der mittelhochdeutschen Lyrik für „tagespolitische und ethische, nicht primär an Minnethematik gekoppelte Inhalte“19 den Sirventesen vergleichbar, wobei ihr kritischer Zeitkommentar im Auftrag adliger Gönner auch „Fragen der Lebensführung, Tugenddidaxe, Weltenklage und immer wieder Werbung um angemessene Bezahlung“20 umfasst und nicht dezidiert mit der invektiven Wucht des Rügelieds auftritt. Nickels Vergleich der Spruchdichtung mit dem politischen Sirventes weist darauf hin, dass der „Anschluss an romanische Vorbilder“ in der politischen Dichtung ungleich schwieriger sei als für die Liebespoesie.21 Die Gründe sieht er unter anderem darin, dass die romanischen Herrscher selbst politische Dichtung verfassen durften: „Die Trobadors mischen sich in alle politischen Händel meist anreizend und tadelnd, seltner lobend. Die deutschen Dichter sind viel zurückhaltender. In der Provence war es den hochstehenden Herren nicht durch die Sitte verboten, politische Lieder zu dichten. Andererseits sind die provenzalischen Sirventese, die den ghibellinischen und guelfischen Kämpfen erwuchsen, gegen Walthers Lieder bedeutend in der Minderzahl.“22 Auch die moderne Forschung, die zwar darauf hinweist, dass Walther von der Vogelweides Palästinalied eine Melodie des Trobadors Jaufré Rudel verwende, konnte nicht eindeutig bestimmen, ob diesem die romanischen Sirventes-Dichtungen bekannt waren, oder ob sie unabhängig voneinander entstanden.23

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alters aus der europäischen Kultur. Hommage à Elisabeth Schmid, Würzburg 2011, 41–54, hier 42. Vgl. etwa Berenike Krause, Die „milte“-Thematik in der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung: Darstellungsweisen und Argumentationsstrategien, Frankfurt am Main 2005, Kap. 6 ‚Die Freigebigkeitsthematik im altprovenzalischen Sirventes‘, 187–208. Dazu auch Michael Shields, Spruchdichtung und Sirventes, in: Volker Mertens/Anton H. Touber (edd.), Germania litteraria mediaevalis Francigena, 6 Bde., Bd. 3: Lyrische Werke, Berlin 2012, 276. Ricarda Bauschke, Politische und moraldidaktische Lyrik, in: Dieter Lamping (ed.), Handbuch Lyrik, 2. Aufl., Stuttgart 2016b, 369–370. Bauschke 2016b, 370. „Nehmen wir nur die politische Dichtung. Andere politische Ereignisse haben die Romanen interessiert, andere mussten die Deutschen beschäftigen.“ Wilhelm Nickel, Sirventes und Spruchdichtung, Berlin 1907, 1. Nickel 1907, 121. „Ob sich ein Sänger wie Walther von der Vogelweide überhaupt an den Möglichkeiten romanischer politischer Dichtung orientierte (er hätte sie in den Sirventes Bertran de Borns oder Peire Vidals vorfinden können), ist nicht eindeutig zu bestimmen.“ Michael Shields 2012, 275.

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Zur inhaltlichen Gattungsbestimmung tritt ein formaler Aspekt hinzu, so wehrte sich Vincent Serverat gegen die Vernachlässigung des Stilaspekts gegenüber der sozial-kulturellen Funktion: „Du point de vue littéraire, on peut regretter que l’auteur n’ait pas entrepris une véritable typologie du genre à partir des analyses éparses qu’il prodigue ci et là dans l’ouvrage: le sirventes comme contrafactum de la chanson, les fonctions opposées du senhal et du sobriquet, les formes à une voix ou parties à deux voix, etc. Cela dit, n’est-il pas fécond de définir un genre par une fonction sociale et culturelle autant que par des traits stylistiques qui en sont bien souvent le corollaire au niveau du langage?“24 Der ‚Donatz Proensals‘ aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts definiert das Wort sirventés als cantio facta vituperio alicuius.25 Ausführlicher ist die ‚Doctrina de compondre dictatz‘ aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Hier wird nach einer Abgrenzung von der Kanzone das ‚Dienende‘ sowohl musikalisch-intertextuell für die Form gedeutet, als auch inhaltlich als Stellungnahme zu politischen Themen zwischen Lob- und Rügelied: E primerament deus saber que canço deu parlar d’amor plazenment, e potz metre en ton parlor eximpli d’altra rayso, e ses maldir e ses lauzor de re, sino d’amor. […] Si volz far sirventz, deus parlar de fayt d’armes e senyalladament o de lausor de senyor, o de mal dit o de qualsque feyts qui novellament se tracten; […]. Serventetz es dit per ço serventetz per ço corn se serveix e es sotsmes a aquell cantar de qui pren lo so e les rimes; e per ço cor deu parlar de senyors o de vasalls, blasman o castigan o lauzan o mostran, o de faytz d’armes o de guerra o de Deu o de ordenances o de novelletatz. 26

Entsprechend dieser Opposition des Sirventes als Gegenkraft zum Spiritualisierungsprozess27 der Kanzone strukturieren sich ganze Trobadorwerke; van

24 Vincent Serverat, Rez. Martin Aurell, La vielle et l’épée: troubadours et politique en Provence au XIIIe siècle, in: Médiévales 21 (1991), 133–137. 25 Die beiden ältesten provenzalischen Grammatiken Lo Donatz Proensals und Las Rasos de Trobar nebst einem provenzalisch-italienischen Glossar, ed. Edmund Stengel, Marburg 1878, 7. 26 „Zunächst mußt Du wissen, daß die Kanzone in gefälliger Weise von Liebe sprechen muß, und Du kannst hinein Gleichnisse von anderen Dingen bringen, und ohne Schmähen und ohne Lob von irgend etwas, es sei denn von Liebe. […] Willst Du aber Sirventese machen, dann mußt Du von Waffentaten und besonders sei es von Herrenlob, sei es von Schmähung, sei es von irgendwelchen aktuellen Dingen reden; […]. Das Sirventés heißt deswegen Sirventés, weil es sich des Liedes bedient und ihm unterworfen ist, von dem es die Melodie und die Reime entlehnt; und deswegen, weil es von Herrn oder Vasallen reden muß, tadelnd oder rügend oder lobend, oder unterweisend oder von Waffentaten oder von Krieg oder von Gott oder von Vorschriften oder von Neuigkeiten.“ Paul Meyer, Traités catalans de grammaire et de poétique, in: Romania 6 (1877), 355, 356, 358. 27 „Hier stehen sich nicht das trobadoreske Ich und die von ihm umworbene Dame gegenüber, sondern die alle trobadoresken Individuen umfassende Gruppe und die Realität selbst, an der die Hoffnung auf die Verwirklichung des Gruppenideals zu zerbrechen droht.“ Dietmar

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Vleck argumentiert, die inhaltliche Trennung gehe den Gattungsbegriffen voraus und die Dichter neigten dem einen oder anderen Typ zu.28 Am Beispiel von Peire Vidal zeigte Erich Köhler allerdings, dass eine Verbindung „zwischen politischem Sirventes und persönlichem Liebesschicksal“ sehr wohl möglich ist, sich selbst ins „Zentrum der Welt“ setzend und von hier aus universalpolitisch nicht nur gegen die Pflichtvergessenheit von Feudalherren zu polemisieren, sondern auch Papst, Kaiser und die europäischen Könige anzugreifen, d. h. „gegen ihren Machtwillen den Anspruch auf sein eigenes persönliches Liebes- und Lebensglück“ behauptend.29 Die gegenüber der Kanzone „gesteigerte faktische Referenz“ des Sirventes erweist dieses als „Forum für tagespolitische Kommentare, satirische Polemik und politische Propaganda“.30 Die Gattung der SirventesKanzone hält verbunden, was in beiden Teilgattungen getrennt wurde; die „Disjunktion von Liebesideal und gesellschaftlicher Realität“31 war immer deutlicher geworden. Diez hatte aus ebendiesem Grund die Gattung verworfen: „So ist es ein handgreiflicher Verstoß gegen die Regeln der Composition, wenn Peire Vidal in einer Canzone seine verliebten Betrachtungen ohne sichtbaren Anlaß unterbricht, um die spanischen Könige zum Kriege gegen die Mauren aufzufordern, und dann seinen eigentlichen Gegenstand wieder aufnimmt. Es gibt aber auch Lieder, worin die Einheit der Idee gänzlich aufgehoben erscheint. Derselbe Peire Vidal trägt keine Bedenken, ein politisches Thema mit der naiven Erklärung: ‚jetzt will ich zu meiner Freundin übergehen‘, ganz und gar abzubrechen: besser hätte er zwei Gedichte aus einem gemacht.“32 Die Bedeutung des Dienens v. a. intertextuell als Kontrafaktur – als „Abhängigkeit von einer Vorlage“33, wie Joachim Schulze es formuliert – verdoppelt die Bedeutung der Gattung als Lehnspflicht im Feudalismus, wie eine übliche

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Rieger, Die altprovenzalische Lyrik, in: Heinz Bergner (ed.), Lyrik des Mittelalters I, Stuttgart 1983, 293. „Even before the terms come into use, a central division between the love song (canso) and the invective (sirventes) takes shape, and poets tend to specialize in one type or the other.“ Amelia E. van Vleck, The lyric text, in: F. R. P. Akehurst/Judith M. Davis (edd.), A Handbook of the Troubadours, Berkeley 1995, 21–60, hier 28. Erich Köhler, Die Sirventes-Kanzone, in: Hans Robert Jauss/Erich Köhler (edd.), Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, 11 Bde., Bd. 2: Les genres lyriques. T. 1, Fasc. 4: B, La lyrique occitane, Heidelberg 1980, 62–66, hier 64. Ricarda Bauschke, Altokzitanische Lyrik, in: Dieter Lamping (ed.), Handbuch Lyrik, 2. Aufl., Stuttgart 2016a, 360. Köhler 1980, 62. Diez 1882, X. Vgl. dazu auch Erich Köhler, Die Sirventes-Kanzone: ‚genre bâtard‘ oder legitime Gattung?, in: Fred Dethier (ed.), Mélanges offerts à Rita Lejeune, 2 Bde., Bd. 1, Gembloux 1969, 159–183, hier 159. Joachim Schulze, Sizilianische Kontrafakturen. Versuch zur Frage der Einheit von Musik und Dichtung in der sizilianischen und sikulo-toskanischen Lyrik des 13. Jahrhunderts, Berlin 1989, 115.

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Argumentation aus dem 19. Jahrhundert von Settegast verdeutlicht: „Denn ‚sirventes‘ ist abgeleitet von dem prov. ‚sirven‘ (lat. servientem), d. h. ‚Diener‘, bezeichnet also ‚Lied eines Dienenden‘. Der Dienst, um den es sich hier handelt, ist aber der ursprüngliche und eigentliche Dienst, d. h. der Herrendienst. Der Name ‚sirventes‘ weist also ausdrücklich auf die äussere Lage hin, in der sich die grosse Mehrzahl der Troubadours befand. Es waren Hofdichter, im Dienste eines adeligen Herrn, von dessen Freigebigkeit sie lebten; mochten sie nun dem ritterlichen oder einem niederen Stande entsprossen sein, stets war es ihre bedürftige Lage, welche sie dazu drängte, die Laufbahn des Hofdichters zu ergreifen. Diese dienende Stellung der Troubadours konnte aber nicht ohne Einfluss auf den Charakter ihrer Poesie bleiben, und so steht der Name ‚sirventes‘ auch in einer Beziehung zu dem Inhalt ihrer Lieder.“34 Politik meint im Feudalismus ein Dienstverhältnis innerhalb des eigenen Standes.35 Auch wenn man die Dichtung der grob 450 Trobadors (die uns namentlich bekannt sind) „elitär-aristokratische Standeslyrik“36 genannt hat, gehören sie unterschiedlichen sozialen Schichten an; neben Königen, Hochadligen und niederen Rittern dichten auch Geistliche, ab dem 13. Jahrhundert auch Kaufleute, Beamte und gar Handwerker. Rieger sieht hier gar eine kollegiale Achtung im politisch-dichterischen Dialog, die von den strengen mittelalterlichen Standesgrenzen nicht berührt wird, so sein Beispiel von Peire Vidal, der sich dem ungarischen König damit vorstellt, dieser werde große Ehre erlangen, ihn zum Diener zu haben.37 Der Bonner SFB 1167 will die „Interdependenz von ‚gelebter‘, faktisch etablierter Ordnung auf der einen und ihrer Wahrnehmung, Darstellung und Kommentierung auf der anderen Seite“ offenlegen und so zu einer möglichst umfassenden Phänomenologie von vormoderner Macht und Herrschaft gelangen. Auch wenn die poetische Rede hier nicht als autonom verstanden werden darf, sind im Sirventes invektive Diskurse möglich, deren Wucht noch Karl Bartsch überrascht: „Der Freimuth, mit welchem die Troubadours reden, machte das Sirventes zu einer gefährlichen und gefürchteten Waffe. Die Leidenschaft und persönlicher Hass drücken sich darin oft in schärfster und verletzendster Weise aus. Keine noch so hochstehende Persönlichkeit, kein Stand wird darin geschont.“38 34 Franz Settegast, Die Ehre in den Liedern der Troubadours, Leipzig 1887, 7. 35 So Ottmann: „Der Dienst umfaßt alle Aufgaben des Menschen: die von Vasallen und Lehnsherren, von Klerikern und Laien, von Herrschern und Untertanen, von Männern und Frauen (‚Minnedienst‘). Der Begriff stammt aus der Sphäre der Unfreien. Er kann auch standesspezifische Konnotationen haben.“ Ottmann 2004, 4. 36 Karin Becker, Früh-und Hochmittelalter, in: Jürgen Grimm (ed.), Französische Literaturgeschichte, 5. Aufl., Stuttgart 2006, 49. 37 Dietmar Rieger, Von der Minne zum Kommerz. Eine Geschichte des französischen Chansons bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Tübingen 2005, 40. 38 Karl Bartsch, Grundriss zur Geschichte der provenzalischen Literatur, Elberfeld 1872, 33.

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Während van Vleck die Funktion des Sirventes mit Invektivität gleichsetzt, spricht Rieger dagegen von „propagandistische[n] Zwecke[n]“,39 wenn die Dichtung höfisches Ideal und Kritik an der Realität in ihrer Spannung besingt, ob politisch-sozial oder persönlich-moralisch, Bunge hingegen sieht aufgrund des kritischen Charakters auch historische Dichtung i. w. S. unter die Benennung ‚Sirventes‘ subsumiert.40 „Les sujets des chants des troubadours furent les croisades, l’amour de Marie, qui ne fut pas toujours assez spiritualisé, les guerres contre les Albigeois, les luttes des familles de Souabe et d’Anjou, l’amour chevaleresque et plus rarement l’amour charnel. Les Sirventes étaient des satires dont les traits faisaient non-seulement des piqûres, mais de profondes blessures. Les troubadours étaient en général ennemis de la papauté, et dans la guerre des Albigeois, tous, excepté un seul, prirent le parti du comte de Toulouse.“41 Die Sirventesen sind als Moralpredigt zwar engagierte Dichtung, gehen aber häufig über in Pessimismus, Verfallsthesen, Resignation. Hierzu muss zudem differenziert werden zwischen den Anfängen der Gattung bei den berufsmäßigen Jongleurs42 und der späteren Integration in die höfische Lyrik, die allerdings in der Folge zwischen hohem und niederem Ton schwankt.43 Der politische Dienst des Trobadors ist der Spielmannsdienstleistung insofern nur teilweise vergleichbar, als er unabhängiger ist; kann er wie bspw. Raimbaut d’Aurenga, auch dichterische Normen übertreten und eine Selbstentfaltung innerhalb seines Standes ausagieren. In Riegers soziologischen Untersuchungen der Trobadors – die Bauform der Gattung Sirventes-Kanzone liest er als „Struktur einer erschwerten sozialen Integration“44 der Trägerschicht joven – transportieren die Verfallsklagen gegenüber den malvatz rics (den schlechten Mächtigen) und ihrer Ministerialität (den lauzengiers) diese Ambivalenzen weiter.45 Mit dem Zerfall des Gattungs39 Rieger 2005, 42. 40 Ulrike Bunge, Übersetzte Trobadorlyrik in Deutschland. Das Sirventes, Frankfurt am Main 1995, 94. 41 Luigi Cibrario, Économie politique du moyen âge, 2 Bde., Bd. 2, Paris 1859, 12–13. 42 Dietmar Rieger zeigt, dass das Wortfeld für Jongleurs ihre Inferiorität auf verschiedenste Weise benannte, vgl. Rieger 2005, 42. 43 So führt das Rieger etwa an Marcabrus Stilbrüchen aus: „Denn Marcabru bedient sich zu diesem Zweck ähnlicher Mittel wie der mittelalterliche Sittenprediger von der Kanzel herab: auch er muß plastisch sein – zum Teil geradezu deftig –, auch er muß alle sprachlichen Register ausschöpfen, die ihm zur Verfügung stehen. Und wie ein Sittenprediger mischt der Sirventesdichter Marcabru im Interesse seiner Kritik und Satire, seiner Anprangerung von Lastern und Proklamierung der Tugenden Hofsprache mit Vulgarismen, Kirchensprache mit Volkssprache, kurz: hohe Sprachebenen mit ausgesprochen niedrigen.“ Rieger 1983, 300– 301. 44 Köhler 1969, 183. 45 Kritisch zur Ministerialenthese äußert sich Bauschke mit Verweisen etwa auf die Aufführungssituation des Sirventes oder falsche Kohärenzkriterien der modernen Forschung, vgl.

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systems wird auch die „agitatorische Funktion“ dieser Form der politischen Dichtung und ihres ‚Sitzes im Leben‘ (Rieger) obsolet.46 Bernsen erklärt den späteren Wegfall des politischen Sirventes als Fremdkörper im sizilianischen Gattungsgefüge der Staufer „aufgrund der Andersartigkeit der gesellschaftlichen Situation, der Aufhebung der feudalen Verhältnisse durch die Verbeamtung der Aristokraten in einem hierarchisierten Staat unter Führung des Kaisers Friedrich“.47 Mit Adlers Zusammenfassung ließe sich entsprechend durch das Sirventes eine ganze politische Geschichte der Provence erzählen: „Da nun in den spezifisch politischen Rügeliedern die Gefährdung des ritterlich-höfischen Lebensstils zum Hauptinhalt gemacht worden ist, angefangen von Marcabrus Liebe zu Spanien und seiner Enttäuschung bis zum Hader vor und nach dem 3. Kreuzzug, und dann zum Todeskampf des provenzalischen Rittertums in der Albigenseraffäre, während des letzten Aufzuckens um 1242, und endlich zur Zeit, da die letzten Hohenstaufen nostalgisch als die letzten Ritter erschienen“.48 Als weite funktionale Definition der Gattung kann Buschingers Einordnung herangezogen werden: „Jede Dichtung ist politisch, sofern sie die sozio-historische Wirklichkeit widerspiegelt und auf diese Wirklichkeit wirken will.“49 ‚Politische Wirkung‘ meint dabei auch persönliche Schmähung des Gegners. Alfred Adlers Übersicht zur politischen Satire im romanischen Mittelalter betont dies im Gattungsvergleich mit Kreuzzugsliedern, politischen Pastourellen, epigrammartigen Coblas, obszönen Sonetten, kämpferischen Tenzonen, aber auch Kanzonen und religiösen Liedern: Er stellt das Beleidigen des Sirventes über den vielleicht naheliegenden Aspekt eines politischen Realismus, „als ob ihre Bezugnahme auf die Wirklichkeit hauptsächlich dem Zweck des (scherzhaften oder strafenden) Beschämens zu dienen hätte“.50 Weitere Vergleiche zum Nachleben der Gattung innerhalb der romanischen Dichtung gelten der politischen Kanzone in Italien, die zwischen provenzalischer Kanzone und Sirventes eingeordnet werden kann: „Der Verfasser, mag er hoch oder niedrig gestellt, fiktiv oder in Wirk-

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Ricarda Bauschke, Sirventes: Rügelied, Klagelied, Kreuzzugslied, in: Dieter Lamping (ed.), Handbuch Lyrik, 2. Aufl., Stuttgart 2016c, 362–363. „Die spezifische Form der Nützlichkeit, die das Sirventes, das politische, soziale und moralkritische Chanson des Mittelalters, als auf die Dominante des Systems bezogene Stützgattung erfüllte, war mit dem Zerfall des trobadoresken Gattungssystems und seines Sitzes im Leben hinfällig geworden.“ Rieger 2005, 28. Michael Bernsen, Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter: eine Untersuchung zum Diskurswandel der Liebesdichtung von den Provenzalen bis zu Petrarca, Tübingen 2001, 172. Adler 1968, 287. Danielle Buschinger, Politische Lyrik im deutschen Spätmittelalter, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 43, 1 (1995), 131–149. Adler 1968, 275.

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lichkeit jemandes sirven sein, tadelt, rügt und schimpft, lobt auch tendenziös, genießt ein gewisses literarisches Ansehen, steckt sich für seine Fechterspiele gelegentlich ein weites Feld ab, ohne doch wohl das politische Niveau der italienischen politischen Kanzone zu erreichen.“51 Macht und Herrschaft werden metonymisch verhandelt, im konkreten Anlass oder der Person, man denke an Alfons II. von Aragón, sowie an Bertran de Borns Engagement für Heinrich II. Plantagenet, bis hin zu seinem Aufruf zur Revolte – weshalb Dante in Inferno 28 der ‚Commedia‘ dem Trobador die Verantwortung für die Entzweiung der Herrscherfamilie zuschreibt.52 Storost betont in ähnlicher Überhöhung des Trobadors, die Sirventes-Dichtung sei nicht eigentlich Kunst, sondern Waffe im Kriegshandwerk und damit Teil politischer Kommunikation, erst nur als Anhang anderer Dichtung, dann aber gattungsbildend: „Sein [Bertrans, K.N.] hauptgebiet ist das sogenannte politische sirventes, weil sein hauptberuf der krieg, nicht das dichten war. Es ist zweckdichtung. Das unterscheidet ihn von seinen vorgängern hierin. Sie wollten nicht den kampf, sondern den sieg ihres gönners. Daher kann Bertran auch als erster ein ganzes lied mit diesem thema füllen, das – soweit uns proben überliefert sind – vorher nur kurz an ein gedicht anderen inhalts angehängt wurde. ‚Politik‘ als vollständiges lied begegnet vor ihm – aber ganz andersartig – nur als kreuzzugthema.“53 Im Sirventes ist der Ausdruck einer ‚öffentlichen‘ Meinung zwischen gelebter und künstlerisch wahrgenommener bzw. dargestellter Ordnung zu finden; dies macht in Dietmar Riegers Begriff seinen besonderen ‚Sitz im Leben‘ aus. Auch wenn seit Friedrich Diez eine Dreiteilung in politisches Sirventes, ein persönliches und ein moralisches vertreten wurde,54 ist die Trennung zwischen persönlicherer Moralkritik und auf politische Handlungssphäre ausgerichtetem Text nicht immer scharf möglich. So stellt Bertrans Planh55 ‚Mon chan fenisc ab dol et ab maltraire‘ auf den Tod Heinrichs die Vorbildlichkeit des verstorbenen Königs und das eigene Trauern in eine Reihe mit allen stumm trauernden Völkern: Seingner, per vos mi voill de joi estraire, / E tut aqil que·us avion vezut / Devon estar per vos irat e mut, / E ja mais jois la ira no m’esclaire; / Engles e Norman, / Breton et Irlan, /

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Adler 1968, 287. Vgl. die kritische Bewertung bei Klein 1968, 612–630. Storost 1931, 144. Vgl. etwa Storost 1931, 45. Zumthor vergleicht beide Gattungen: „The sirventes and the planh are cansos that are distinguishable by their subject matter: the first is satiric or polemic, most often with a political and feudal purpose; the second is a lament for a famous man or a beloved woman who has died.“ Paul Zumthor, An Overview, in: F. R. P. Akehurst/Judith M. Davis (edd.), A Handbook of the Troubadours, Berkeley 1995, 13.

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Guian e Gasco. / Et Anjaus pren dan / E·l Maines e Tors. / Fransa tro Compeingna / De plorar no·s teingna, / E Flandres de Gan / D’aqui a Guizan. / Ploron neis li Aleman!56

Politische Wirkung meint aber auch Mitwirkung der Gattung an der politischen Willensbildung. In diesem Sinne urteilt Wilk Klein, Bertran übernehme vom Standpunkt feudalistisch-ethischer Weisheit in seiner machtpolitischen Dichtung mit seinen konkreten strategischen Empfehlungen (bspw. in Kriegsdingen) die Rolle als Ratgeber der Herrscher: „His message remains consistent: gain territory, subdue vassals, assert suzerainty, do not compromise strength. War is the way the game of power politics is played in this society; therefore, advises the poet-counselor, go to war. War fits into Bertran’s scheme of things, not as a goal in itself, but as a means to an end.“57 Politische Trobadordichtung ist also häufig auf einen Gegner bzw. Gönner ausgerichtet, so wie Guillem de Berguedan in seinem Hass auf Alfons II. von Aragón und seine Mitstreiter, so wie Marcabru als Kämpfer für Guillaume VIII. von Poitiers und zunächst als Bewunderer der spanischen Kreuzritter. Adlers Darstellung des politischen Sirventes zeigt an Marcabru: „Seine Leistung als Dichter besteht aber nicht darin, daß er seinen Gefühlen die Zügel schießen läßt, sondern eben darin, daß er als Dichter die Bauwerke seiner Gedichte aus Bausteinen (historischen Andeutungen) herstellt, die als ungeeignet (moralisch verwerflich) gelten sollen und eben doch von dem Baumeister zu imponierenden Ganzheiten zusammengefügt werden.“58 Die Geste des Ratgebers nimmt der Trobador am explizitesten in der Untergattung Sirventes-Conselh ein. Nickel sah vor allem provenzalische Angelegenheiten des Nahbereichs wie das „Salzmonopol, das sich Karl von Anjou angeeignet hatte“,59 im Interessenbereich der Sirventesendichtung, so wie das Verhältnis zu Nordfrankreich, benachbarte Kämpfe in Italien und die spanische Politik. Nehmen wir den Beginn des politischen Rügelieds ‚Leus sonetz‘ von Raimbaut de Vaqueiras, das die metrische Form und einen Teil der Reimwörter des Canso-Sirventes ‚Los aplegz‘ von Giraut de Bornelh übernimmt60. Raimbaut diskutiert in diesem Sirventes den Konflikt zwischen den Häusern Toulouse und Barcelona kurz vor 1190: 56 Bertran de Born, ‚Mon chan fenisc ab dol et ab maltraire‘, in: Bertrand von Born: sein Leben und seine Werke, ed. Albert Stimming, Halle a. d. Saale 1892, 72. Rieger spricht von der „alle trobadoresken Individuen umfassende[n] Gruppe und [der] Realität selbst“, Rieger 1983, 293. 57 Klein 1968, 630. 58 Rieger 1983, 284. 59 Nickel 1907, 10–11. 60 Vgl. Judith A. Peraino, Giving Voice to Love. Song and Self-Expression from the Troubadours to Guillaume de Machaut, Oxford 2011, 96; Frank M. Chambers, An Introduction to Old Provençal Versification, Philadelphia 1985, 113.

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Leus sonetz, / Si cum suoill, / Vuoill ades e mon chan, / C’un sirventes prezan / Vuoill far; mas hom no.is cui / Q’ieu ja cel avol brui / Estiers ni en chantans, / Q’anta e dans / Mi par e volpillatges, / Qand ja.is part bos lignatges / Ni l’uns a l’autre faill; / Q’ieu vei que.l Bautz assail / E tal’ et es talatz, / Et a parens assatz, / Manens e sojornatz, / E mains altres juratz, / Cui faill cors e barnatz.61

Jeanroy schreibt über die Sirventesen: „s’ils ne sont pas les reflets de l’opinion publique, ils ont pu contribuer à la former. Le fait que les princes en ont fait composer pour défendre leur politique, que parfois ils ont répondu ou fait répondre à ceux où ils étaient attaqués“.62 Das führt zu einer persönlichen Konfrontation von Gelobtem und Getadeltem: „Ein technisches Mittel von der besten Wirksamkeit ist es, dem Getadelten einen Lobenswerten gegenüber zu stellen. […] Bertran de Born vergleicht Richard mit Philipp August wie Walther Otto mit Friedrich zum grösseren Lobe Richards und Friedrichs und zum grösseren Tadel Philipp Augusts und Ottos. Beide tun es unter Heranziehung eines Bildes. Bertran nimmt es von der Jagd, Walther hat das Messen. Bertrans Sirventes ist, wie zu erwarten, politisch, Walthers Strophe bezieht sich auf die milte. An einer anderen Stelle vergleicht Bertran Richard mit einem Löwen, und Philipp, weil er sich berauben lasse, mit einem Lamm. Am Schlusse eines Scheltliedes auf Richard lobt er Gottfried. Bernart de Rovenac, der manches von Bertran gelernt hat, tadelt die Könige von Aragón und England, die sich berauben lassen, und lobt in der 6. Strophe den König Alfons“.63 Wir stellten eingangs Friedrich Diez’ Deutung des Trobadors als Berater und Freund der Herrscher vor. Emil Winkler grenzt sich von solchem Romantisieren in seiner Arbeit zum Sirventes von 1941 ab, er bewertet den politischen Gehalt der provenzalischen Sirventese „als recht dürftig, um nicht zu sagen als belanglos“. Er stößt in den Liedersammlungen „kaum irgendwo auf eine tiefere politische Einsicht oder einen eigenständigen politischen Gedanken.“ Das Lob der Trobadors erscheint Winkler wohlfeil, ihr Schmähen von Gemeinplätzen durchsetzt; so kommt er für diese Dichtung zu dem Fazit: „Ein wirkliches politisches Bild gibt sie kaum. Wäre man auf sie angewiesen, man wüßte wenig von den großen politisch-geistigen Triebkräften der Zeit.“64 Die Wahrheit wird freilich zwischen beiden Positionen liegen. Die politischen Inhalte des Sirventes sind nicht etwa auf lexikalischer Ebene durch einschlägige politische Terminologie 61 Vgl. dazu Joseph Linskill, An Enigmatic Poem of Raimbaut de Vaqueiras, in: The Modern Language Review 53, 3 (1958), 355–363. Übers. in Jörn Gruber, Die Dialektik des Trobar. Untersuchungen zur Struktur und Entwicklung des occitanischen und französischen Minnesangs des 12. Jahrhunderts, Tübingen 1983, 165. 62 Alfred Jeanroy, La poésie lyrique des troubadours, 2 Bde., Bd. 2: Histoire interne, les genres, leur évolution et leurs plus notables représentants, Genève 1934, 176. 63 Nickel 1907, 67. 64 Winkler 1941, 13.

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gekennzeichnet, sondern in allgemeinen Begrifflichkeiten und in Form von Konstruktionen bzw. Dekonstruktionen in die Texte eingeschrieben, wie in den antipäpstlichen Rügeliedern.65 Die politische Ideengeschichte der Vormoderne beinhaltet demnach Textsorten an den Korpusrändern, die nicht als theoretische Traktate, als Fürstenspiegel o. ä. erscheinen und die oftmals auch gar nicht darauf angelegt sind zu zeigen, „wie man über Politik dachte“, sondern sie sind Zeugnisse politischer Praxis, vielfältiger Rituale und Inszenierungen, denen die v. a. auf expositorischen Texten beruhende Ideengeschichte „nicht gerecht werden kann“.66 Es geht also um die Anfänge einer Schriftkultur, in der – etwa im Gegensatz zum Humanismus der Frühen Neuzeit – auch Nicht-Gebildete angesprochen werden; hierfür muss die „Ebene einer Anschaulichkeit und Öffentlichkeit“67 gewählt werden. Thematisch gilt wohl Vergleichbares für episches oder novellistisches Erzählen und Thematisierung vormoderner Macht und Herrschaft in diesen Gattungen, auch im Verhältnis von Idealität und Realität, zwischen Legitimation des eigenen Herrschers und gegnerischer Delegitimierung, freilich nicht bezüglich des mehr oder weniger freien Diskursraums der Trobadorlyrik und im Grad der Invektivität.68 Es bleibt interdisziplinäres Desiderat, soweit ich sehe, eine trobadoreske Politik des Sirventes zwischen politischer Ideengeschichte und romanistischer Mediävistik jenseits von Einzelstudien zu sichten und umfassend zu deuten.69

Quellenverzeichnis Bertrand von Born: sein Leben und seine Werke, ed. Albert Stimming, Halle a. d. Saale 1892. Die beiden ältesten provenzalischen Grammatiken Lo Donatz Proensals und Las Rasos de Trobar nebst einem provenzalisch-italienischen Glossar, ed. Edmund Stengel, Marburg 1878. Paul Meyer, Traités catalans de grammaire et de poétique, in: Romania 6 (1877), 341–358. 65 Ulrich Müller, Sirventes und Sangspruch: interkulturelle und anti-päpstliche Polemik. Beobachtungen und Überlegungen zur Wirksamkeit politischer Lyrik (nicht nur im Mittelalter), in: Dorothea Klein (ed.), Sangspruchdichtung. Gattungskonstitution und Gattungsinterferenzen im europäischen Kontext, Tübingen 2007, 95–128. 66 Ottmann 2004, 4. 67 Ottmann 2004, 4. 68 Vgl. das SFB-Teilprojekt von Mechthild Albert, ‚Macht und Herrschaft in der novellistischen Weisheitsliteratur Kastiliens (1250–1350)‘. 69 In Bezug auf die politische Sirventesdichtung zog Rieger das Fazit: „Eine erschöpfende Darstellung der Entwicklung der romanischen Genera und Subgenera wäre aufzubauen auf einer ganzen Folge von Arbeiten, die noch zu leisten sind. So ist z. B. eine genaue Beurteilung des politischen Sirventes nicht möglich ohne eine kritische Ausgabe aller Stücke dieser Gattung.“ Rieger 1983, 280.

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Literaturverzeichnis Alfred Adler, Die politische Satire, in: Hans Robert Jauss (ed.), Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, 11 Bde., Bd. 6: La littérature didactique, allégorique et satirique, Heidelberg 1968, 275–314. Eugène Baret, Les troubadours et leur influence sur la littérature du midi de l’Europe, Paris 1867. Karl Bartsch, Grundriss zur Geschichte der provenzalischen Literatur, Elberfeld 1872. Bernd Bastert, Vom ‚Sänger des Reiches‘ zum ‚Franzosen‘. Zur Sangspruchlyrik Walthers von der Vogelweide, in: Dorothea Klein (ed.), Vom Verstehen deutscher Texte des Mittelalters aus der europäischen Kultur. Hommage à Elisabeth Schmid, Würzburg 2011, 41–54. Ricarda Bauschke, Altokzitanische Lyrik, in: Dieter Lamping (ed.), Handbuch Lyrik, 2. Aufl., Stuttgart 2016a, 359–363. Ricarda Bauschke, Politische und moraldidaktische Lyrik, in Dieter Lamping (ed.), Handbuch Lyrik, 2. Aufl., Stuttgart 2016b, 369–370. Ricarda Bauschke, Sirventes: Rügelied, Klagelied, Kreuzzugslied, in: Dieter Lamping (ed.), Handbuch Lyrik, 2. Aufl., Stuttgart 2016c, 362–363. Karin Becker, Früh-und Hochmittelalter, in: Jürgen Grimm (ed.), Französische Literaturgeschichte, 5. Aufl., Stuttgart 2006, 1–88. Michael Bernsen, Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter: eine Untersuchung zum Diskurswandel der Liebesdichtung von den Provenzalen bis zu Petrarca, Tübingen 2001. Ulrike Bunge, Übersetzte Trobadorlyrik in Deutschland. Das Sirventes, Frankfurt am Main 1995. Danielle Buschinger, Politische Lyrik im deutschen Spätmittelalter, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 43, 1 (1995), 131–149. Frank M. Chambers, An Introduction to Old Provençal Versification, Philadelphia 1985. Luigi Cibrario, Économie politique du moyen âge, 2 Bde., Bd. 2, Paris 1859. Thomas Cramer, Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, 2. Aufl., München 1995. Friedrich Diez, Leben und Werke der Troubadours, 2. Aufl., Leipzig 1882. Friedrich Diez, Die Poesie der Troubadours, Zwickau 1826. Gérard Gouiran, L’amour et la guerre. L’œuvre de Bertran de Born, Aix-en-Provence 1985. Gérard Gouiran, Bertran de Born, troubadour de la violence?, in: La violence dans le monde médiéval, Aix-en-Provence 1994, http://books.openedition.org/pup/3157 (24.05.19), 235–251. Jörn Gruber, Die Dialektik des Trobar. Untersuchungen zur Struktur und Entwicklung des occitanischen und französischen Minnesangs des 12. Jahrhunderts, Tübingen 1983. Frank-Rutger Hausmann, Die Anfänge der italienischen Literatur aus der Praxis der Religion und des Rechts, Heidelberg 2006. Oliver Hidalgo/Kai Nonnenmacher (edd.), Die sprachliche Formierung der politischen Moderne. Spätmittelalter und Renaissance in Italien, Wiesbaden 2015. Alfred Jeanroy, La poésie lyrique des troubadours, 2 Bde., Bd. 2: Histoire interne, les genres, leur évolution et leurs plus notables représentants, Genève 1934.

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Liste der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. John Baines University of Oxford Faculty of Oriental Studies Pusey Lane Oxford, OX1 2LE United Kingdom [email protected] Prof. Dr. Matthias Becher Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Geschichtswissenschaft Abteilung für Mittelalterliche Geschichte Konviktstraße 11 53113 Bonn [email protected] Prof. Dr. Martin Clauss Technische Universität Chemnitz Institut für Europäische Geschichte Reichenhainer Straße 39 09126 Chemnitz [email protected] Prof. Dr. Stefan Esders Freie Universität Berlin Friedrich-Meinecke-Institut Koserstr. 20 14195 Berlin [email protected]

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Liste der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Beate Kellner Ludwig-Maximilians-Universität München Department für Germanistik, Komparatistik, Nordistik, Deutsch als Fremdsprache Schellingstraße 3 80799 München [email protected] Prof. Dr. Stacy S. Klein Rutgers University Department of English 510 George Street New Brunswick, NJ 08901 United States [email protected] Prof. Shigekazu Kondo Open University of Japan/University of Tokyo 2-6-11 Onaridai Wakaba-ku, Chiba 265-0077 Japan [email protected] Prof. Dr. Kai Nonnenmacher Otto-Friedrich-Universität Bamberg Institut für Romanistik An der Universität 5 96047 Bamberg [email protected] Prof. Dr. Seraina Plotke Otto-Friedrich-Universität Bamberg Institut für Germanistik An der Universität 5 96047 Bamberg [email protected]

Liste der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg Technische Universität Dresden Institut für Soziologie 01062 Dresden [email protected] PD Dr. Annette Schmiedchen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Seminar für Indologie 06099 Halle (Saale) [email protected] Dr. Cornelia Soldat Am Bürenbach 20 40724 Hilden [email protected]

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