Die Lohnbewegungen der Gewerkschaftsdemokratie: Ein antikritischer Beitrag zum Gewerkschaftsproblem [Reprint 2021 ed.] 9783112435625, 9783112435618


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German Pages 71 [84] Year 1915

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Die Lohnbewegungen der Gewerkschaftsdemokratie: Ein antikritischer Beitrag zum Gewerkschaftsproblem [Reprint 2021 ed.]
 9783112435625, 9783112435618

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Kölner Studien zum Staatsund Wirtschaftsleben. Heft 1

Privatdozent

Dr. J. Hirsch,

Detailhandel.

Die

Fi Mal betriebe im

Preis 6 . - M . , Subskriptionspreis 5.60 M .

Die Untersuchung behandelt im ersten Teil Definition und Arten des Detailhandels, sowie dessen Entwicklungstendenzen als die Vorbedingungen des Filialwesens. — Der zweite Teil stellt die Großfilialbetriebe innerhalb ihrer einzelnen Geschäftszweige d a r : im Nahrungsmittel- (Kaffee-, Schokoladen- und „allgemeinen Kolonialmaren"-)Handel, im Tabak und Schuhwarengeschäft, sowie bei Waren- und Kaufhäusern — und zwar Entstehung und Ausbreitung, Organisation und Arten, Kalkulation und Gewinn, das Personal, die Bedeutung und Wirkungen der Filialen innerhalb des betreffenden Geschäftszweiges. — Der dritte Teil betrachtet die Filialbetriebe im Rahmen der Volkswirtschaft : Die Filialen nach der Betriebszählung von 1907. Die Filialen in den einzelnen Städten (Mittel- und Großstädte, in einer wichtigen Geschäftsstraße) ; desgl. im Auslande. Der letzte Abschnitt gibt die volkswirtschaftliche und sozialpolitische Beurteilung des Filialwesens.

Heft 2

Wlad. W. Kaplun-Kogan, der Juden.

Die

Wanderbewegungen

Preis 4 . - M . , Subskriptionspreis 3 . 6 0

M.

Das Buch behandelt die Wanderbewegungen der Juden von ihren ersten Wanderungen bis in die Gegenwart hinein, und zwar im Zusammenhange mit der Lage der J u d e n in den Ländern, die sie auf ihren Wanderungen berührten. Die überseeische Auswanderung der Neuzeit hat eine besonders ausführliche Darstellung gefunden, wobei vor allem die amtliche amerikanische Statistik benutzt wurde. — Es war die vornehmlichste Aufgabe des Verfassers, die Hauptrichtungen und Tendenzen der jüdischen Wanderbewegungen der Vergangenheit und der Gegenwart darzustellen.

Hefit 3 H. Cl. Schmid-Burgk, Der Wartestand nach deutschem Beamten recht. Preis 1.80 M., Subskriptionspreis 1.60 M . Der Zweck dieser Abhandlung ist es, das in sämtlichen deutschen Beamtengesetzen über den Wartestand (die „Zur Dispositionsstellung") enthaltene Material möglichst lückenlos zusammenzustellen und damit eine Übersicht über die Voraussetzungen und Wirkungen des Wartestandes nach deutschem Recht zu geben. — Der erste Teil beschäftigt sich mit der Versetzung in den Wartestand, mit ihren Motiven, dem Verfahren und den Normen über den Beginn. — Der zweite Teil behandelt die rechtliche Stellung des Wartebeamten und die außerordentlich eingehenden Bestimmungen über das Wartegeld. — Der dritte Hauptteil stellt kurz die Endigung des Wartestandes dar. — In einem Anhang befinden sich die Bestimmungen über die Richter der ordentlichen Gerichte.

A. M a r c u s u n d E. W e b e r s

Verlag

Bonn

a.

Rhein

KÖLNER STUDIEN ZUM STAATS- UND WIRTSCHAFTSLEBEN HERAUSGEGEBEN VON

P. ABERER, CHR. ECKERT, J. FLECHTHEIM, J. K. JUL. FRIEDRICH, ED. GAMMERSBACH, H. GEFFCKEN, K. HASSERT, J. HIRSCH, B. KUSKE, PAUL MOLDENHAUER, F. STIER-SOMLO, ADOLF WEBER, K. WIEDENFELD, A. WIERUSZOWSKI, W. WYGODZINSKI Schriftleitung: BRUNO KUSKE

Heft 7:

Die Lohnbewegungen der Gewerkschaftsdemokratie. Ein antikritischer Beitrag zum Gewerkschaftsproblem von

PROF. DR ADOLF W E B E R . CÖLN-BRESLAU

B o n n 1914 A. M A R C U S UND E. W E B E R S V E R L A G Dr. jur. ALBERT AHN

Die Lohnbewegungen der Gewerkschaftsdemokratie. Ein antikritischer Beitrag zum Gewerkschaftsproblem

von

PROF. DR- ADOLF WEBER. CÖLN-BRESLAU

Bonn 1914 A. M A R C U S UND E. W E B E R S Dr. jur. ALBERT AHN

VERLAG

Alle

Rechte

vorbehalten.

Einleitung. Eine längere kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen meines Buches über „den Kampf zwischen Kapital und Arbeit" schließt Ed. B e r n s t e i n 1 ) mit dem Zugeständnis: „ . . . es gibt bei einem gewissenStand der Technik und Leistungshöhe Grenzen, die sich ohne Schaden für alle Beteiligten nicht ignorieren lassen. Wo diese Grenzen jeweilig liegen, ist nicht so leicht zu bestimmen." Er fügt freilich hinzu: „Mit der wachsenden Erfahrung wird die Arbeiterbewegung, die im Ganzen ja doch noch recht jung ist, in allen ihren Verzweigungen diese Fähigkeit erwerben." Noch energischer weist Th. B r a u e r , ein Führer der christlichen Gewerkschaftsbewegung, in seiner Schrift „Gewerkschaft und Volkswirtschaft" 2 ), die sich ebenfalls vorzugsweise mit meinem eben schon erwähnten Buche beschäftigt, auf die Grenzen der Lohnbewegung hin: Es gebe kein Gesetz unablässig fallender Produktionskosten, hier gebe es eine Grenze ebenso wie für das Maß der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, und diese Grenze ließe aber auch kein Gesetz immerwährender Lohnsteigerungen aufkommen. Brauer schließt seine Untersuchungen mit dem Satze, den er für wichtig genug hält, um ihn durch Sperrdruck hervorzuheben: „DiejenigeGewerkschaftsbewegung, der es gelingt, einen größtmöglichen Prozentsatz ihrer Mitgliedschaft im Sinne der positiven Anteilnahme an einer rationellen Produktionssteigerung zu beeinflussen, hat ihre Aufgabe für das nächste Menschenalter deutscher Wirtschaftsentwickelung gelöst!" Dieser christliche Gewerkschaftsführer, der über ein beträchtliches Maß sozialökonomischer Einsicht verfügt, 1) Sozialistische Monatshefte 1911, Seite 20/28 und 165/174. 2) Jena 1912, Seite 98 bzw. 104. Adolf W e b e r , Die Lohnbewegungen.

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führt ebenso wie andere Arbeiterführer, so z. B. aus dem Lager der Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine E r k e l e n z 1 ) , nachdrücklich Klage darüber, daß die neuere nationalökonomische Wissenschaft bei der Schaffung einer Gewerkschaftstheorie versagt habe, daß selbst Adam Smith manche Teilfrage besser erfaßt habe als seine hundert Jahre später lebenden Nachkommen. Erkelenz bedauert das vom Standpunkte der Gewerkschaften, denn eine klare Gewerkvereinstheorie würde den Gewerkvereinen aller Richtungen sehr nützen, sie würde auch den Gegensatz zwischen Marxismus und Gewerkvereinen klarer zum Vorschein kommen lassen. Daß die Klagen über das Versagen der wissenschaftlichen Theorie gegenüber dem modernen Gewerkschaftsproblem, das S c h m o l l e r noch jüngst mit Recht „das Zentralproblem der industriellen Arbeiterschaft" nannte, nicht unberechtigt sind, betont auch H e r k n e r 2 ) in seiner Kritik meines Buches. Er meint, „die theoretische Erfassung der Konsequenzen, die durch Koalitionen erzwungene Lohnerhöhungen haben, läßt noch recht viel zu wünschen übrig", ein Respekt heischendes Selbstbekenntnis eines Fachgelehrten, der seine Studien fast ausschließlich der industriellen Arbeiterfrage zugewandt hat. Leider macht Herkner bei seiner Kritik nicht einmal den Versuch, in tiefergrabender, eingehender Antikritik lange Versäumtes nachzuholen. Es trägt wirklich nicht bei zur Förderung der Wissenschaft, wenn der Kritiker aus irgend einem Grund unbequeme, vermeintlich unrichtige wissenschaftliche Ergebnisse auf fehlerhafte Gesinnung des Autors zurückführen will. Herkner macht mir den Vorwurf, daß ich auf „kapitalfreundlichmanchesterlichem Standpunkte" stehe. Darauf und auf meine angebliche „Abneigung" gegen die Gewerkschaften glaubt er die Ergebnisse meiner wissenschaftlichen Untersuchungen zurückführen zu können. Ich halte es nicht für 1) Hilfe 1912, 21. November. 2) Preußische Jahrbücher 1911, Bd. 144, S. 326 u. ff. Über die Art, wie Herkner mein Buch kritisiert, macht P o h l e in seiner Zeitschrift 1911, S. 625 u. ff. einige Randbemerkungen, denen gewiß alle die zustimmen werden, denen die Verteidigung eines sozialpolitischen Dogmas weniger hoch steht, als nüchterne wissenschaftliche Überlegung.

überflüssig, auch gegenüber den Lesern dieser Abhandlung festzustellen, daß ich Seite 163 meines hier in Rede stehenden Buches, obwohl ich sonst Werturteile vermeide, betone: „ D u r c h a u s z u t r e f f e n d sind die s c h ö n e n Worte von Bethmann-Hollwegs, die er am 23. März 1906 im preußischen Abgeordnetenhause sprach: „ I c h e r b l i c k e in dem S t r e b e n , die S c h w a c h e n des V o l k e s emporzuheben, ein großes, v i e l l e i c h t das g r ö ß t e und e d e l s t e G e s e t z der M e n s c h h e i t , und es muß ein Stolz für j e d e n s e i n , an der Verwirklichung dieser Absicht mitzuarbeiten." Daß es mir damit ernst ist, und daß ich dieses Ziel nicht nach kapitalistisch-manchesterlichen Rezepten für erreichbar halte, mag man daraus ersehen, daß ich zu der Zeit, als ich mein Buch schrieb, Vorsitzender der Kölner Ortsgruppe der Gesellschaft für soziale Reform war . Und was meine angebliche Abneigung gegen die Gewerkschaften angeht, so mag es genügen, wenn ich darauf hinweise, daß ich ausdrücklich von dem „großen sozialen Verdienst" derer spreche, die für den Gewerkvereinsgedanken in Deutschland arbeiteten. Seite 528 meines Buches bringe ich einen langen Katalog der sozialen Wirkungen der Gewerkvereine, der selbst dem flüchtigen Leser zeigen sollte, wie weit entfernt ich von Abneigung gegen die Gewerkschaften bin. Die sozialen Wirkungen fasse ich folgendermaßen zusammen: 1. Sie wirken durch Verhandeln mit den Unternehmern, oder durch die eingehender geschilderten Zwangsmaßnahmen, auf den Arbeitsvertrag ein zwecks a) Erzielung besserer Arbeitsbedingungen: höheren Lohns, kürzerer Arbeitszeit, besserer Behandlung, Mitbestimmung bei der Arbeitsvertragsgestaltung; b) Feststellung der Arbeitsbedingungen und Sicherung ihrer Stabilität während vertragsmäßig bestimmter Zeiten (Tarifverträge). 1) Freilich halte ich mich schon seit einer Reihe von Jahren, schon seit meiner Privatdozentenzeit, von dem Verein für Sozialpolitik fern, aber nur aus dem Grunde, weil ich die Disharmonie zwischen dem S e i n des Vereins: Förderung der P o l i t i k nach bestimmter Richtung hin und dem S c h e i n : Vertretung der deutschen sozialökonomischen Wissenschaft — für Politik und Wissenschaft nicht unbedenklich finde.

2. Sie wirken auf die Gesetzgebung a) durch Anregung von neuen Gesetzen zum Schutze und im Interesse der Arbeiterschaft, durch Darbietung von Material und durch Agitation; b) durch Sorge für Anwendung bestehender Gesetze, Gewährung von Rechtsschutz, insbesondere durch die Errichtung von Arbeitersekretariaten und Rechtsauskunftsstellen. 3. Sie fördern die wirtschaftliche Selbsthilfe einerseits durch Errichtung von materiellen Wohlfahrtseinrichtungen, Versicherungsinstitutionen und dergleichen, andererseits durch Förderung der fachlichen und allgemeinen geistigen Ausbildung. 4. Sie heben das Solidaritäts- und Standesbewußtsein, geben dadurch namentlich den Arbeitern in den modernen Riesenansiedelungen Ersatz für verloren gegangene Ideale, namentlich für das verloren gegangene Heimatbewußtsein. Der persönliche Egoismus wird dadurch eingedämmt. An seine Stelle tritt ein Standesegoismus, der zwar immerhin denen nicht genügen mag, die die s o z i a l e Erziehung des Individuums anstreben möchten, aber nach diesem Ziele zu bedeutet doch der Gewerkschaftsegoismus einen bedeutenden Schritt vorwärts. Gerade die Erziehungsarbeit verdient nachdrücklich hervorgehoben zu werden

Mein ehrlicher und dringender Wunsch, die Arbeiterschaft, in der m. E. so viel mehr gesunde geistige und körperliche Kraft steckt, als in den oberen Schichten, möge immer mehr zur „Kulturmenschwerdung" fortschreiten, hindert mich aber nicht, ohne Scheuklappen zu denken und zu sehen; als Gelehrter habe ich dazu nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht — ohne Rücksicht auf Freund und Feind, ohne Rücksicht auch auf eigene Hoffnungen und Wünsche. Wenn übrigens Herkner über die Ergebnisse meiner Untersuchungen so viel mehr entrüstet ist als Männer, die der praktischen Gewerkschaftsbewegung nahestehen — was für ihn gilt, gilt auch für einige andere — so ist das psychologisch recht wohl zu erklären: Die harte Praxis zeigt tagtäglich Schwierigkeiten — wenigstens den weiterdenkenden Führern —, die der begeisterte, von fern zusehende Freund der Gewerkschaftsbewegung, der mit ehrlicher Begeisterung ihre glänzenden ä u ß e r e n Erfolge, das „induktive Material", sieht, gar nicht merkt; daraus ergibt sich dann von selbst eine große Entrüstung wegen der angeblich vorgefaßten Meinung derer, die nicht unbedingt g l a u b e n wollen.

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Noch beunruhigter als Herkner ist offenbar G. K e ß l e r 1 ) , auch ein Spezialist für Arbeiterfragen, durch das, was er vielleicht vom Hörensagen über mein Buch vernommen hat, mit der Wirkung, daß er es allem Anschein nach nicht einmal über sich brachte, das Buch auch nur einigermaßen aufmerksam zu durchblättern. Die Folge ist eine Rezension, die eine fast ununterbrochene Kette von Irrtümern und Mißverständnissen unbegreiflicher A r t darstellt. Keßler behauptet z. B., ich halte die „gesamte (!) Gewerkschaftsarbeit", volkswirtschaftlich betrachtet, für schlimmer noch als Sisyphusarbeit, er versichert, daß ich in der Lohntheorie die „alte Lehre vom Lohnfonds" verfechte, er erzählt mit ernster Miene seinen Lesern, meiner Ansicht nach müsse vor der Verkürzung der Arbeitszeit dringend abgeraten, werden, denn sie habe die Tendenz, den Soziallohn zu verringern; Beweise für eine Steigerung der Arbeitsleistung bei verkürzter Arbeitszeit lägen meiner Behauptung nach gar nicht vor. Als „Musterbeispiel" für meine Art, die Maßregeln der Unternehmer darzustellen, weist Keßler auf meinen Abschnitt über den Arbeitsnachweis der Arbeitgeber hin. Was tue ich in diesem Abschnitt? Ich spreche das aus, was einige Zeit später Keßler auf dem Kongreß deutscher Arbeitsnachweise als seine. Ansicht ebenfalls vertreten hat, daß der Arbeitgeber-Nachweis als Kampfeswaffe h e u t e seine Zeit hinter sich habe. Ich weise aber nicht nur darauf hin, daß er ursprünglich als Maßregelungsinstitut gegründet worden 1) Annalen für Sozialpolitik und Gesetzgebung 1911, S. 366 ff. cf. dazu meine Auseinandersetzung mit Keßler ib. S. 637 ff. Eins will ich hier noch bemerken zwecks Zerstreuung falscher Vorurteile. In meinem Buche führe ich S. 117 aus, daß es auch im sozialistischen Zukunftsstaate weder eine einheitliche, allein richtige Idee, noch einen brauchbaren technischen Maßstab gebe, um zwischen einem gerechten Mein und einem gerechten Dein in der Volkswirtschaft zu unterscheiden. In der Volkswirtschaft könne es in diesem Sinne kein suum cuique geben. Der christliche Gewerkschaftsführer J o o s benutzt nun in seiner wesentlich gegen mich gerichteten Schrift „Die Gewerkschaften im Lichte der Volkswirtschaftslehre 1913" den letztgenannten Satz wiederholt, um zu zeigen, wie verwerflich meine Lehren sind. Hätte Joos den Zusammenhang mitgeteilt, so würde sich wahrscheinlich der Schrecken gerade der Leser, an die er sich wendet, in Beifall verwandelt haben. Wenn aber Joos wirklich eine allein richtige Idee und einen zweckmäßigen technischen Maßstab für ein gerechtes suum cuique wissen sollte, dann muß er der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung, in der ja Glück und Zufall eine so große Rolle spielen, jedenfalls den Rücken wenden.

ist, sondern schließe meinen Abschnitt mit einigen kritischen Äußerungen über den Arbeitgebernachweis, die ich wörtlich dem Jahrbuch des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes pro 1909 entnehme; ich füge hinzu, daß ich diese Äußerungen „zu den meinigen mache", und daß ich sie „für wichtig genug halte", damit mein Kapitel über den Arbeitsnachweis als „Kampfmittel" zu schließen. Das alles einschließlich seiner eigenen optimistischen Auffassungen von dem Arbeitgebernachweise in der Gegenwart verschweigt Herr Keßler, um den Eindruck zu erwecken, daß ich es an der nötigen Objektivität habe fehlen lassen. Endlich nur noch ein Beispiel für die erstaunliche Flüchtigkeit Keßlers: Er versichert, daß meiner Meinung nach das „Koalitionsrecht so vortrefflich sei, daß es einer Änderung nicht bedürfe"; er hat die Kühnheit, sogar eine Seitenziffer in Klammern hinter diese Stelle zu setzen; es handelt sich um die Seite 181 meines Buches. Dort ist nun nicht im geringsten die Rede von der Vortrefflichkeit des Koalitionsrechts. Es wird dort nur angeführt, daß man, um drakonische Urteile auf Grund der §§ 152 u. 153 der G. O. zu vermeiden, in erster Linie die soziale Einsicht und das soziale Verständnis der Richter heben müsse, e i n e Ä n d e r u n g in d e r G e s e t z g e b u n g s c h a b 1 o n e s e i d a z u n i c h t e r f o r d e r l i c h . Und darauf stützt Keßler seine Behauptung; Meiner Ansicht nach sei das Koalitionsrecht so vortrefflich, daß es einer Änderung nicht bedürfe! Hätte er ein paar Seiten zurückgeblättert, so würde er dort zu seinem Erstaunen gefunden haben, daß ich die Forderungen des Frankfurter Arbeiterkongresses wegen Ausgestaltung des Koalitionsrechts ausdrücklich als notwendige Konsequenzen der schon gewährten Rechte bezeichne!

Es ist für mich aber eine besondere Freude, feststellen zu können, daß die Rezensionen Herkners und Keßlers doch Ausnahmeerscheinungen sind; sie bilden eine Kategorie für sich. Unter den rund 4 Dutzend Rezensionen, die mir bekannt geworden sind, sind manche, die mit meinen Ergebnissen ganz und gar nicht einverstanden sind, einige lassen es auch an recht groben Worten nicht fehlen, aber nirgendwo bin ich so mißverstanden worden wie von den beiden genannten Autoren. Besonderes Mißfallen haben meine von der herrschenden Meinung allerdings erheblich abweichenden Ansichten über die Erfolgsmöglichkeiten der Lohnbewegungen gefunden; namentlich Herkner und Keßler lehnen diese Ergebnisse meiner Arbeit ab, ohne freilich auch nur den Versuch zu machen, ihre gegenteilige Ansicht zu begründen. Ich habe über 2 Jahre lang gewartet, ob das von ihnen nicht irgendwo und irgendwie nachgeholt würde; meine Erwar-

tungen sind getäuscht worden. Es ist daher nicht meine Schuld, wenn auf den folgenden Seiten nur die recht spärlichen Reste sachlicher Kritik meiner beiden Hauptgegner berücksichtigt werden können. Ich hoffe aber, daß dieses Büchlein die beiden Herren nach Revision ihrer irrigen Voraussetzungen, die mir, wie gesagt, psychologisch begreiflich sind, ermutigen wird, sich mit mir nun auch ü b e r d e n K e r n d e r S a c h e zu unterhalten.

I. A b s c h n i t t .

Die äußeren Erfolge der Lohnbewegungen unserer Gewerkschaften und die Fortentwickelung ihrer Taktik. Auch dann, wenn man ausschließlich auf die Lohnbewegungen der Gewerkschaften sieht, muß man ihre äußeren Erfolge bewundernswert nennen. Vor einigen Jahren machte den Gewerkschaften eine herabsetzende Kritik der Gewerkschaftsarbeit durch einige sozialdemokratische Schriftsteller viel zu schaffen. Es kam das Wort von der Sisyphusarbeit der Gewerkschaften auf. In einer Broschüre „Der Weg zur Macht" hat auch K a u t s k y die pessimistische Auffassung von der Gewerkschaftsbewegung gestützt: Die wirtschaftlichen Erfolge würden geringfügiger, der Reallohn gehe zurück, denn die Preise der Lebensmittel stiegen mehr als die Löhne, die Übermacht der Unternehmerverbände hemme in den letzten Jahren den siegreichen Vormarsch der Gewerkschaften immer mehr, „sie werden allenthalben in die Defensive gedrängt, dem Streik wird die Aussperrung immer wirksamer entgegengesetzt, die günstigen Zeitpunkte, in denen sie noch erfolgreiche Schlachten schlagen konnten, werden immer seltener" 1 ). Diesem Pessimismus trat das Korrespondenzblatt der Zentralkommission der Gewerkschaften Deutschlands in einer Reihe von Artikeln im Jahre 1911 entgegen. Es konnte durch umfassendes Material „ a u s e i n i g e n B e r u f e n m i t e r s t a r k t e r Arbeiterorganisation" der Nachweis erbracht werden, daß die Gewerkschaften während der letzten Gewerkschaftsära ganz ansehnliche Lohnsteigerungen erzielt 1} 1909 Seite 73.

haben. Von diesen Lohnsteigerungen sei aber auf die Steigerung der Lebensmittelpreise nur ein Teil aufzurechnen, entsprechend dem Teil des Lohnes, der für diese Zwecke verausgabt zu werden pflege. So verbleibe von den Lohnsteigerungen ein anderer Teil „zur Bestreitung auch anderer Ausgaben der Arbeiterfamilie, wie für bessere Wohnung, Lebens- und Genußmittel in besserer Qualität, eventuell auch in größerer Quantität usw." x ). Ich betone nachdrücklich, daß mir diese Feststellungen durchaus einwandfrei zu sein scheinen. Die Achtung vor dem, was die Gewerkschaften erreichten, steigert sich noch, wenn man sieht, w i e sie ihre Erfolge erzielen wollen. Jedenfalls muß man es als einen erheblichen Aktivposten für die Würdigung unserer Gewerkschaften in der öffentlichen Meinung bezeichnen, daß die Sabotage — die mutwillige, meist hinterlistige Zerstörung des Eigentums, insbesondere der Produktionsmittel der Arbeitgeber, um dadurch auf diese einen erpresserischen Druck auszuüben — von den deutschen Gewerkschaften aller Richtungen g r u n d s ä t z l i c h mit Entschiedenheit als ungeeignetes Kampfmittel verworfen wird. Als gelegentlich der Vorwurf gemacht wurde, auch die deutschen Gewerkschaften wendeten die Sabotage als Kampfmittel an, erklärte der in erster Linie durch den Vorwurf getroffene Zentralverband der Maschinisten und Heizer, daß er gleich anderen deutschen Gewerkschaften „nie an die Sabotage gedacht habe, sie nie angewandt habe, noch anwenden werde. Von unserer Aufgabe, die Lebenslage unserer Mitglieder zu heben, weichen wir allerdings nicht ab, doch immer geschieht es mit gesetzlichen Mitteln und sei es auch, wenn alles andere versagt, durch offenen ehrlichen Kampf. Ist das Unternehmertum rücksichtslos und eisenstirnig, so setzen dem die Arbeiter die Macht ihrer Solidarität entgegen. Aber die Maschinen, die Meisterwerke der Technik und der menschlichen Arbeitskraft, wollen sie nicht zerstören, sie stehen auf höherer Warte."

Da auch der Boykott sich nur selten als geeignete Waffe für die Arbeiter bewährt, — er kann nur in den Gewerben, für die der Massenkonsum der Arbeiter ein ausschlaggebender Faktor ist, und dann auch nur, wenn die Arbeiter aller 1) Korrespondenzblatt 1909, Seite 6191.



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Branchen sich beteiligen, ein ausschlaggebender Faktor werden — und da ferner die passive Resistenz sich vorläufig nur hier und da schüchtern hervorwagt, so gibt der Streik bzw. die Drohung mit dem Streik der deutschen Gewerkschaftsbewegung — nur um diese handelt es sich hier — ihren eigenartigen Charakter. Zwar war das Streiken stets mit der gewerkschaftlichen Organisation eng verbunden, aber der Unterschied zwischen dem Streik in der Frühzeit der gewerkschaftlichen Entwicklung und in der Gegenwart ist so außerordentlich groß, daß eigentlich nur der Name gleich geblieben ist. Einst wurde ohne viel Vorbereitung der „wilde Streik" inszeniert. Auf den Gängen der Fabriken oder draußen auf den Höfen, auf den Straßen oder auch im Wirtshaus trafen sich die Mißvergnügten. Schnell entschlossen sie sich, die Brocken hinzuwerfen; dem Entschlüsse folgte die Tat meist unmittelbar auf dem Fuße. Heute handelt es sich bei dem Streik dagegen meist um große, wohl überlegte Kämpfe, die sich auf starke Organisationen stützen, und die durchgeführt werden auf Grund paragraphenreicher Streikreglements, die der Taktik und der Diplomatie der Arbeiterführer alle Ehre machen. Namentlich im Laufe der letzten Jahre haben sich die Reihen immer enger geschlossen. Die einzelnen Berufsorganisationen begnügen sich nicht mehr mit gelegentlicher gegenseitiger Hilfe, in großen Industrieverbänden organisieren sie sich einheitlich. Die Metallarbeiter aller Branchen haben damit den Anfang gemacht mit dem Erfolge, daß heute allein in dem Deutschen Metallarbeiterverbande fast 600 000 Mitglieder zusammengefaßt sind. Insgesamt gab es in Deutschland Ende 1912 47 Zentralorganisationen gegen 65 im Jahre 1891, während die englischen Gewerkvereine zurzeit rund 1100 mehr oder weniger selbständige und unabhängige Organisationen nebeneinander haben . Diese 1) Übrigens ist die Konzentration in der Gewerkschaftsbewegung Deutschlands faktisch noch intensiver, denn nach 1891 sind für eine Reihe von Berufen, z. B. die Blumenarbeiter, die Asphalteure, die Bureauangestellten, die Fleischer, die Gastwirtsgehilfen, die Zivilmusiker, gewerkschaftliche Organisationen geschaffen worden. Berück-



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Zentralisation macht schnell weitere Fortschritte, und schon überlegt man, wie man selbst über die reinen Industrieverbände hinaus die bisherigen unverbindlichen Verpflichtungen zur gegenseitigen Hilfeleistung durch ein bleibendes Vertragsverhältnis unter den Gewerkschaftsverbänden ersetzen kann. Hinzugefügt werden muß freilich, daß bei uns in Deutschland der straffe fachliche Ausbau beeinträchtigt wird durch eine horizontale Gliederung auf Grundlage verschiedener Weltanschauungen, die in anderen Ländern in dem Maße nicht bekannt ist; neben den auf sozialdemokratischem Boden stehenden freien Gewerkschaften mit 2 583 492 Mitgliedern (Ende 1912) kommen bei uns in Betracht die christlichen mit 350 930 Mitgliedern und die vom politischen Liberalismus ausgegangenen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine mit 109 225 Mitgliedern. Aber auch diese Organisationen bemühen sich, die Basis für den Streik immer breiter und solider zu gestalten. J e größer die Organisation wird, um so größer wird die Gefahr, daß aus einem partiellen Streik von nur lokaler Bedeutung ein großer allgemeiner Kampf wird, der Hunderttausende von Arbeitern in Mitleidenschaft zieht. Die Verantwortung, die die Proklamierung eines Streiks nach sich zieht, wird somit immer ernster. Die Organisationsleitung sucht daher die Streikerklärung mehr und mehr unabhängig zu machen von nur lokalen Erwägungen; „sämtliche Streiks innerhalb des Verbandes unterliegen der Oberleitung des Verbandsvorstandes", so beginnt das Streikreglement der Holzarbeiter, und fast alle anderen Verbände kennen ähnliche Bestimmungen. Und noch eins hat man mit dem Größerwerden der Verbände immer mehr gelernt: Den Respekt vor der öffentlichen Meinung. Auch hier wiederum nur einige Beispiele für viele: In einem ausschließlich für die Verwaltungspersonen herausgegebenen Leitfaden des Zentralverbandes der sichtigt man dies, so kann man feststellen, daß ungefähr 30 Zentralorganisationen in größeren Verbänden aufgegangen sind. cf. L e g i e n: „Die Konzentration der Kräfte in der wirtschaftlichen Arbeiterbewegung", Sozialistische Monatshefte 1912, S. 1140 ff.



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Steinarbeiter Deutschlands heißt es über die A u f g a b e n und P f l i c h t e n w ä h r e n d des S t r e i k s : „Die Streikleitung hat darauf zu achten, daß, nachdem die Arbeitseinstellung überall in Ruhe und Ordnung erfolgt ist, die Streikenden auch für die weitere Folge eine ruhige und würdige Haltung bewahren, und zwar nicht nur wegen des wachsamen Auges der Polizeiorgane, sondern mehr noch um der Sympathie des Publikums und der öffentlichen Meinung willen." „Den Streikenden ist zur Pflicht zu machen, jeden unnötigen Aufenthalt in Wirtshäusern zu vermeiden, den Polizeiorganen und auch den Unternehmern möglichst aus dem Wege zu gehen und der Einwohnerschaft keinen Anlaß zu übler Nachrede zu geben." Und in Sperrdruck ist hervorgehoben: „Stellt sich bei Prüfung der Angelegenheit heraus, daß das Mitglied trotz der Verwarnung die Anklage provoziert, dann kommt der Verband für Rechtsschutz nicht auf." In den „praktischen W i n k e n f ü r die deutsche Zimmererbewegung", herausgegeben vom Zentralverbande der Zimmerer und v e r w a n d t e r Berufsgenossenschaften, ist folgender Passus enthalten: „Die Streikleitung soll ferner die Streikenden instruieren, daß sie auch außerhalb des Streiklokals in jeder Beziehung eine ruhige und würdige Haltung bewahren und gegenüber Streikbrechern ein vorsichtiges Verhalten beobachten. Soweit mit letzteren durchaus gesprochen werden muß, um sie auf das Unsolidarische und Schädliche ihrer Handlungen aufmerksam zu machen und sie für den Streik zu gewinnen, sind besonnene Kameraden damit zu betrauen, die ihren Worten Zügel anzulegen verstehen." Natürlich sind die A n w e i s u n g e n der christlichen G e w e r k s c h a f t e n f ü r das V e r h a l t e n ihrer Mitglieder bei Streiks in ähnlichem Sinne gehalten. In den A n w e i s u n g e n f ü r die O r t s v e r w a l t u n g e n des Zentralverbandes christlicher Holzarbeiter heißt es: „ . . . Was für die Versammlungen gilt, gilt auch für das Abfassen von Flugblättern und für Mitteilungen an die Presse. Sie müssen streng sachlich und wahrheitsgetreu abgefaßt sein. Alles, was geschrieben wird, muß zeugeneidlich bewiesen werden können und darf keine Beleidigungen enthalten . . . Während des Streiks ist von den Streikenden auf Ruhe und Ordnung und auf ein nach allen Seiten hin mustergültiges Betragen das größte Gewicht zu legen." Im Vorübergehen will ich hier bemerken, daß dieses ernste Bemühen der Gewerkschaftsleitungen, mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung und mit Rücksicht auf ihre a l l mählich reich angefüllten K a s s e n Ruhe und Ordnung bei ihren Bewegungen nach Möglichkeit a u f r e c h t e r h a l t e n zu



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wollen, bei der Erörterung, die sich mit dem „Problem der Arbeitswilligen" beschäftigt, berücksichtigt werden muß, wenn auch die betreffenden Reglements in ihrer praktischen Bedeutung nicht überschätzt werden dürfen: „In Zeiten höchster Erregung sind statuarische Bindungen sehr leicht zerrissen" 1 ). Ich selbst bin für Schutz der Arbeitswilligen auch nach außen hin energisch eingetreten, ehe das gewissermaßen Modesache geworden i s t 2 ) . Ich habe stets betont, daß ich eine generelle Verurteilung der Arbeitswilligen vom Standpunkte der Demokratie, der Gewerkschaftspraxis und auch vom Standpunkte der Sozialreform weder für konsequent noch für zweckmäßig halte 3 ). Umsomehr halte ich es für meine Pflicht, hier erneut zu betonen, daß meiner Ansicht nach dadurch, daß man durch harte Strafandrohungen die offiziellen Streikposten unmöglich macht, ein größerer Schutz der Arbeitswilligen nicht erreicht wird. Beseitigt man die offiziellen Funktionäre, so wird der inoffizielle Janhagel, in dem der Einzelne, durch das Gesetz zu fassende verschwindet, dafür ein um so größeres Spielfeld haben; auch sollten doch die Erfahrungen des Sozialistengesetzes deutlich genug zei1) Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, 1912, S. 186. 2) cf. z. B. meine Auseinandersetzung mit Dr. Fanny I m 1 e im „Deutschen Metallarbeiter" April 1910 im Anschluß an einen Vortrag, den ich vor dem Verein der Industriellen des Regierungsbezirks Köln im März 1910 hielt. 3) Daß für die christlichen Gewerkschaften noch andere Gesichtspunkte beim Schutz der Arbeitswilligen in Betracht kommen, betont die bekannte Wortführerin der Gewerkschaftsdemokratie Dr. Fanny I m 1 e: „ . . . Ohne fast militärische Disziplin keine erfolgreiche Selbsthilfe, darüber sind sich die Organisationsgruppen aller Weltanschauungen einig. Und doch verlangt eine gutgläubige und den Menschengeist, sowie die moralische Verantwortung jedes einzelnen Menschen betonende Auffassung die Freiheit der sittlichen Persönlichkeit und Freiwilligkeit bei der Beteiligung an Massenbewegungen. J e d e Art von Terrorismus ist verwerflich und soll sogar von der Zwangsgemeinschaft Staat nach Möglichkeit Rücksicht auf die individuelle Unabhängigkeit genommen werden. Eine christliche Gewerkschaft sollte sich jedenfalls vor allen anderen durch Achtung der geistigen, sittlichen Freiheit ihrer Mitglieder auszeichnen." (Monatsschrift für christliche Sozialreform, 1912, S. 599.)

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gen, daß man große Bewegungen nicht dadurch in wünschenswerte Bahnen bringt, daß man Staatsanwalt und Polizei zu möglichst rücksichtslosem Vorgehen antreibt. Die oben angeführten Auszüge aus den für den internen Gebrauch bestimmten Anweisungen der Gewerkschaften zeigen, daß die Führer sich ihrer Verantwortlichkeit namentlich mit Rücksicht auf die Stimmung der öffentlichen Meinung bewußt sind; dieses Bewußtsein darf nicht geschwächt werden, und das würde geschehen, wenn man die ganze Verantwortlichkeit auf die Polizeiorgane abzuwälzen sucht. Dabei will ich gar nicht davon reden, daß unsere Gesetzgebung sicherlich keine hemmenden Schranken für die Arbeiterorganisationen aufrichten wird, ohne die Arbeitgeber entsprechend zu bedenken. Die Koalitionen der Arbeiter können aber eine derartige Belastung sehr viel leichter überwinden als die für Koalitionen meist sehr viel weniger geeigneten Arbeitgeber. — Seltener wird es auch, daß der Streik nur als Lockmittel angewandt wird, um Mitglieder zu gewinnen. Es wird von den Gewerkschaften ohne weiteres zugegeben, daß in den Jugendjahren der Arbeiterbewegung jeder Streik „schon um seiner aufrüttelnden Wirkung wegen" willkommen geheißen wurde, aber man hat doch allmählich eingesehen, daß man zu große materielle Opfer brachte eines nur vorübergehenden Nutzens wegen, auch machte man häufig die Erfahrung, „daß ein verlorener Kampf nicht allein nutzlose Opfer erforderte, sondern auch mühselig aufgerichtete Organisationen bis zu völligem Verschwinden schädigte" 1 ). Wichtiger aber noch als Organisation undTaktik scheint für den eigentlichen Erfolg der Umstand zu sein, daß man die jeweilige wirtschaftliche Lage der Unternehmer, denen der Kampf gilt, vor der Eröffnung der Lohnbewegung immer sorgfältiger in Erwägung zu ziehen bemüht ist. Die Textilarbeiter haben zu dem Zwecke sogar eine besondere Instanz geschaffen, deren ausschließliche Aufgabe es ist, Umschau zu halten über die jeweilige wirtschaftliche Lage des Gewerbes, um Winke zu geben, wann, wo und wie die Schlacht 1) W i n n i g , Der große Kampf im deutschen Baugewerbe 1910. Herausgegeben vom Deutschen Bauarbeiterverband, 1911. S. 3.



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am besten geschlagen und gewonnen wird. Im „Steinarbeiter", dem Organ des Zentralverbandes der Steinarbeiter, wurde Ende 1912 hinsichtlich der Wichtigkeit der Konjunkturkunde für die Arbeiter u. a. ausgeführt: „Die genaue Erforschung der Geschäftskonjunktur ist eins der wichtigsten Erfordernisse in der Lohnbewegung. Diese Erforschung, die der von seinen Gefühlen geleitete Draufgänger selten in Rechnung stellt, ist ungleich schwieriger als die Feststellung der Schlagfertigkeit und Zuverlässigkeit des Zusammenschlusses. Die Arbeiter kennen sich untereinander und wissen schon im Voraus recht gut zu unterscheiden, auf wem bei einem Kampfe Verlaß ist oder nicht. Ziemlich zutreffend können sie voraussagen, wer wohl im Ausstande als .Streikbrecher' stehen bleibt, und wer den Kampf mitmacht. Das Gefechtsfeld läßt sich also hier schon im Voraus ziemlich sicher überschauen. Anders liegen die Dinge bei der Erforschung des G e s c h ä f t s ganges. Der Unternehmer läßt die Arbeiter nicht in seine Geschäftsbücher hineinsehen. Die Arbeiter sind darauf angewiesen, die Lagerbestände und etwaige spätere Aufträge zu schätzen. Bauarbeiter wieder müssen die in Aussicht stehenden Bauten zählen und die darauf bezügliche Arbeit abschätzen. Das ist allerdings leichter; schwieriger ist die Feststellung der zu erwartenden Aufträge in Fabrikbetrieben. Vor allem ist es auch notwendig, den Gesamtgeschäftsgang, und zwar nicht nur des einzelnen Ortes, sondern möglichst des ganzen Landes zu erfassen und daraus die Möglichkeit der glücklichen Durchführung eines Lohnkampfes zu erforschen."

Rein äußerlich scheint diesen vermehrten Anstrengungen und der verbesserten Taktik auch der Erfolg zu entsprechen. Nach den Zahlenangaben der freien Gewerkschaften waren in den Jahren 1890—1899 *): Bei den

Angriffstreiks:

Erfolgreich

1890/99 1900/12 1910 1911 1912

49,0% 56,4% 62,2% 65,9% 61,5 %

Teilweise erfolgreich

27,6% 23,9 % 20,9% 17,0 % 19,0%

Erfolglos

15,2 % 18,2 % 14,2% 16,7 % 19,3%

1) Zwischen der gewerkschaftlichen und der amtlichen Streikstatistik bestehen nicht unerhebliche Unterschiede, und zwar behaupten die Gewerkschaften, daß die amtliche Statistik „wissenschaftlich



Bei Abwehrstreiks Erfolgreich

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und

Aussperrungen:

Teilweise erfolgreich

Erfolglos

33,8% 1890/99 41,3% 15,7% 12,3% 56,5 % 1900/12 28,8°/, 62,1 o/0 1910 11,6 % 23,1°/, 1911 68,5 % 21,2«/, 9,9 % 66,3 % 1912 7,2% 21,4«/, Zwar haben sich die Arbeitgeber, namentlich im Laufe der letzten Jahre, zu immer größeren Organisationen zusammengeschlossen, aber den Gewerkschaften brachte die organisatorische Erstarkung des Gegners immer größeren Zuzug, — in den Jahren 1910 bis 1912 nahmen die freien Gewerkschaften allein um 697 723 Mitglieder zu, d. h. die Zunahme war größer als der gesamte Mitgliederbestand im Jahre 1901. Da, wo die Unternehmer eine „freigestellte" Arbeitskraft in den Kampf stellen können, eine Kraft zudem, die in der Regel nicht für die eigene Sache, sondern für die fremde Sache der Auftraggeber kämpft, da verfügen die Gewerkschaften über Dutzende von Beamten, die aus den Reihen der Arbeiter selbst emporgewachsen sind; die Unterstützungsvereinigungen der in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung tätigen Beamten zählten 1912 allein 1937 Gewerkschaftsangestellte gegen 111 im Jahre 1902. Dazu kommt, daß die Gewerkschaften durch ihre Presse und die ihnen nahestehenden Parteien einen größeren Teil der öffentlichen Meinung beherrschen als die Unternehmer. Wichtig ist insbesondere für das Abwägen der Kräfteverhältnisse, daß die Arbeiter zwar längst nicht eine so „homogene Schicht" sind, wie man sich das manchmal vorstellen mag, aber in ihren einzelnen Berufsverbänden sind sie viel freier von Konkurrenzneid als die Unternehmer, namentlich die am meisten dem Kampf ausgesetzten kleinen und mittleren Unternehmer. So wird man wahrscheinlich, trotz der energischen Bemühungen der Arbeitgeber, den Arbeitern in geschlossener Front gegenüber zu treten, auch in Zukunft für die Arbeiter relativ günstige Erfolge in der Streikstatistik buchen können. nicht einwandfrei" sei. Vgl. darüber die Ausführungen Legiens im Korrespondenzblatt der Generalkommission 1912 S. 777 ff.



II.

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A b s c h n i t t .

Die Wirkungen der Lohnbewegungen. Nun drängen sich aber zwei Fragen auf. E r s t e F r a g e : Sind die E r f o l g e , die die G e w e r k s c h a f t e n in F o r m v o n h ö h e r e n L ö h n e n a u f weisen, auch wirklich F o l g e der Lohnb e w e g u n g , wären die höheren Löhne nicht auch ohne eine solche Bewegung infolge der w i r t s c h a f t l i c h e n Entwicklung erreicht w o r d e n ? O p p e n h e i m e r 1 ) glaubt die These auf1) Die Lohntheorie Oppenheimers läßt sich allerdings m. E. nicht halten. Er meint, die niederste Lohnklasse, die zahlreichste und schlechtest gelohnte, diejenige, deren Konkurrenz das Emporsteigen aller anderen Klassen am stärksten zurückhalte, stellten die Landarbeiter dar. Die Nachfrage nach Arbeitskraft werde nun aber auf dem Lande d a n k d e r M a s s e n f o r t w a n d e r u n g durch das Angebot nicht nur nicht übertroffen, sondern bleibe in einem steigenden Maße unbefriedigt, je mehr die intensive, kapitalistische Agrikultur sich verbreite. Darum müsse auf diesem Teilmarkte der Preis der Ware Arbeitskraft regelmäßig steigen — und d a r u m steige die Lohnklasse der städtischen Ungelernten trotz dem ehernen Lohngesetz, und die höheren Lohnklassen trotz dem Überangebot von Arbeit auf ihren Teilmärkten. „Die Basis der Lohnpyramide hebt sich und mit ihr heben sich alle höheren Stockwerke. Das ist des Rätsels einfache Lösung!" Vgl. Theorie der reinen und politischen Ökonomie, Berlin 1910, S. 397 ff. Aber wie erklärt sich die Massenfortwanderung? Wie erklärt sich die Rentabilität fortschreitender intensiver kapitalistischer Agrikultur trotz des dadurch vermehrten Angebots an Produkten und trotz der gestiegenen Löhne? Woher nimmt die städtische Produktion die Mittel für die höheren Löhne, deren Ursachen angeblich außerhalb ihrer Sphäre liegen? Sucht man die Antwort auf diese und manche anderen Fragen, die Oppenheimers „Lösung des Rätsels" übrig läßt, dann kommt man schließlich zu der Überzeugung, daß er einer zufälligen Teilerscheinung zu viel Gewicht beigelegt hat, daß er die dauernd wirkenden Kräfte übersehen hat. Das ist aber steigende Produktivität der Arbeit, die auch dann den Lohn in die Höhe treiben muß, wenn die Massenfortwanderung vom Lande ihr Ende gefunden hat, ja dann erst recht. Adolf Weber, Die Lohnbewegungen.

2



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stellen zu können: „Die Gewerkschaften blühen, weil der Lohn steigt, nicht aber steigt der Lohn, weil die Gewerkschaften blühen." Mit mathematischer Sicherheit ließe sich dies durch die eine Tatsache beweisen, daß nirgends eine Klasse im Lohne höher gestiegen sei als die Landtagelöhner. Man könne die Steigerung ihres Reallohnes in England seit etwa 60 Jahren auf 150°/o, in Deutschland auf ungefähr ebenso viel veranschlagen. Hier aber bestände gar kein irgendwie gearteter Zusammenschluß zur Hebung der Lebensbedingungen. B r a u e r meint demgegenüber, es bedürfe doch nur eines Momentes der Überlegung, um darauf zu stoßen, daß gerade die Veränderungen in den Lohnbedingungen der Landarbeiter eines der schlagendsten Beispiele sei für die Fernwirkung der Gewerkschaften. Meinen Hinweis auf die starken Reallohnsteigerungen der Dienstboten glaubt er dadurch erledigen zu können, daß er auf die besonders günstige Stellung der Dienstboten hinweist. „Sie sind einfach nicht entbehrlich, haben überdies ihren Arbeitgeber gewissermaßen in der Hand, da das häusliche Wohlbehagen in großem Maße von dem guten Willen der Dienstboten abhängt." Schon Heinrich K o c h hat demgegenüber darauf hingewiesen 1 ), daß sich B r a u e r in einem circulus vitiosus bewegt. Wenn Dienstboten und ländliche Arbeiter ohne Gewerkschaften ihre Lohnverhältnisse gebessert hätten, so könne diese Argumentation nicht einfach dadurch abgetan werden, daß man sage, die Hebung dieser Gruppen sei eine Fernwirkung der Gewerkschaften, gerade die Wirkung der Gewerkschaften stehe ja in Frage und müsse positiv nachgewiesen werden. Sieht man aber von diesem Einwände ab, so läßt sich der Beweis für starke Lohnsteigerungen ohne Gewerkschaftsarbeit doch unschwer erbringen, wenn man Zeitverhältnisse ins Auge faßt, bei denen die Tätigkeit der Gewerkschaften auch als Fernwirkung ausgeschlossen war. Ich habe in meinem Buche eine Reihe von Beispielen auch aus fremden Ländern nach dieser Richtung gebracht. Meine Gegner haben diese Ziffern meist ganz übersehen. Ich will sie nun1) Soziale Kultur, 1913, S. 661.



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_

mehr noch ergänzen durch einige Zahlen, die ich auf Grund des Werkes von R. K u c z y n s k i „Arbeitslohn und Arbeitszeit in Europa und Amerika 1870—1909" zusammenstelle, Jahr: 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895

Tabelle I. Durchschnittliche Tagelöhne der Maurer (in Mark). Nürnberg: Paris: London: Newyork: I II I II I II I II 100 100 4.20 100 6,43 100 12.12 2.20 110 2,24 102 4,20 100 6,43 100 13,28 100 6,34 99 13,47 111 2,68 122 4,20 13,04 3,12 142 4,40 105 6,71 104 108 11,31 93 3,34 105 6,71 104 152 4,40 3,41 6,71 104 11,20 92 155 4,40 105 104 9,31 77 3,43 156 4,40 105 6,71 7,91 3,36 153 5,20 124 6,71 104 65 3,42 155 5,20 124 6,71 104 8,28 68 10,50 87 3,34 152 5,20 124 6,71 104 10,50 87 3,39 154 6,00 143 6,71 104 12,60 104 3,41 143 6,71 104 155 6,00 14,70 121 153 6,71 104 3,25 148 6,40 14,70 121 145 6,40 153 6,71 104 3,18 3,27 149 153 6,65 103 14,70 121 6,40 6,40 153 6,65 103 13,65 113 3,47 158 121 3,43 6,40 153 6,65 103 14,70 156 103 121 3,45 157 6,40 153 6,65 14,70 3,46 153 6,65 103 14,70 121 157 6,40 153 6,65 103 14,70 121 3,65 166 6,40 16,80 139 3,61 164 6,40 153 6,71 104 104 139 3,64 6,40 153 6,71 16,80 166 99 16,80 139 3,65 166 6,40 153 6,38 6,40 153 6,74 105 16,80 139 3,64 166 139 153 6,74 105 16,80 3,67 167 6,40 139 3,79 172 6,40 153 6,74 105 16,80 I. Absolute Höhe.

II. Verhältniszahl.

Dabei ist zu bemerken, daß die tägliche Arbeitszeit der Maurer, Putzer, Steinhauer in Nürnberg von 1870—1889 je 11 Stunden und von 1890—1903 täglich 10 Stunden betrug. In Paris dagegen betrug die Arbeitszeit Tag für Tag 11 Stunden, Da außerdem auch meist Sonntags gearbeitet wurde, überragte die Arbeitszeit diejenige in Nürnberg ganz erheblich. In England und in den Vereinigten Staaten war die Arbeitszeit kürzer als in Deutschland. Der sehr erhebliche Unterschied in der Lohnsteigerung zugunsten Deutsch-



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lands kann jedenfalls nicht erklärt werden durch entgegengesetzte Unterschiede in der Arbeitszeit. Nun fällt jedoch die starke Steigerung des Arbeitslohnes gerade in die Zeit von 1885 an. In dieser Zeit aber war die Wirksamkeit der Gewerkschaften in Deutschland (Sozialistengesetz) fast gleich Null, Auch im Jahre 1895 zählten die freien Gewerkschaften erst 259 000 Mitglieder, die Hirsch-Dunckerschen und die christlichen Gewerkschaften wiesen zusammen nur einen Bruchteil dieser Ziffer auf. In dem gewerkschaftlich fortgeschrittenen England war die Lohnsteigerung also wesentlich geringer als in dem damals gewerkschaftlich fast ohnmächtigen Deutschland. Für die Möbeltischler läßt sich feststellen, daß ihre Stundenlöhne stiegen: in Berlin von 33 Pfg. im Jahre 1885 auf 51,6 Pfg,, im Jahre 1895 also um 56,5%, in Paris dagegen nur von 61,7 auf 66,3 Pfg., also um 7,5%. Die durchschnittlichen Stundenlöhne der Eisenformer stiegen von 1890 bis 1902: in Berlin von 49,2 auf 56,5 Pfg., also um 14,9%, in Großbritannien dagegen nur von 70,5 auf 74,2 Pfg., also um 5,3%. Der Lohn der Installateure betrug pro Kopf in Berlin in Paris 1880 39,5 Pfg. 57,7 Pfg. 1892 43,9 Pfg. 61,2 Pfg. Steigerung 11,2% 6,1 % Von 1890 bis 1903 stieg der Stundenlohn der Installateure in Berlin von 43,5 auf 58,6 Pfg., also um 34,7%, in Großbritannien von 73,8 auf 85,1 Pfg., also um 15,3%. Eigentlich sollten aber schon die deutschen Bergarbeiterlöhne jedem Unbefangenen klar genug zeigen, daß Lohnsteigerungen auch ohne gewerkschaftlichen Druck recht wohl möglich sind.

Ruhrb



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Obers

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SchichtJahresSchichtJahresverdienst verdienst verdienst verdienst (Nach der preußischen amtlichen Lohnstatistik.)

536 2,92 848 2,03 2,71 748 3,98 1183 1114 2,78 740 3,75 1592 3,57 983 5,16 3,50 970 4,84 1370 5,37 1589 3,91 1068 6,02 4,22 1196 1858 Steigerung der Löhne bei den Bergarbeitern des Ruhrbezirks 119% in Oberschlesien aber 124% Steigerung der Löhne im Ruhrbezirk 1886—1890 von 2,92 auf 3,98, mithin 3 6 % 1908—1912 von 5,86 auf 6,02, mithin 3 % Daraus ergibt sich, daß in Oberschlesien, das bekanntlich für die gewerkschaftliche Organisationsarbeit kein besonders gutes Feld bietet, die Lohnsteigerungen relativ noch größer waren als in dem Ruhrbezirk mit seinen wiederholten starken Lohnbewegungen, und ferner zeigt sich, daß in den Jahren 1886—1890, wo die Bergarbeiter noch so gut wie gar nicht organisiert waren, auch im Ruhrbezirk die Lohnsteigerungen relativ höher waren als später in Zeiten strafferer Organisation. Doch genug der Zahlenbeispiele! Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß geradezu erdrückendes statistisches Material für die These, die für den denkenden Sozialökonomen selbstverständlich ist, beigebracht werden kann, daß fortschreitende Verbesserung der wirtschaftlichen Konjunktur die Unternehmer zu höheren Löhnen zwingt auch dann, wenn der Zwang der Gewerkschaften nicht hinter ihnen steht. Zweite Frage: Wichtiger aber noch als d i e s e s P r o b l e m i s t d i e a n d e r e F r a g e , ob der s t a t i s t i s c h e E r f o l g der Lohnbewegung e n a u c h e i n E r f o l g im S i n n e d e r G e w e r k s c h a f t s d e m o k r a t i e ist. Ich brauche hier den 1886 1890 1895 1900 1905 1910 1912



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Ausdruck Gewerkschaftsdemokratie, um anzudeuten, daß es sich bei den Lohnbewegungen der modernen Arbeiter um eine Massenaktivität handelt, die der Masse in ihrer Gesamtheit zugute kommen soll. Ein Erfolg im Sinne der Gewerkschafts demokratie ist daher noch nicht gegeben, wenn eine Gruppe von Arbeitern auf Kosten irgend einer anderen Gruppe von Arbeitern Erfolge erzielt. Daß die modernen Gewerkschaften, wiederum insbesondere die deutschen Gewerkschaften, derartige zünftlerische Bestrebungen in der Regel grundsätzlich streng ablehnen, dürfte unbestritten sein. Sowohl seitens der christlichen wie der sozialdemokratischen Führer der Gewerkschaften ist der Gedanke mit Nachdruck verfochten worden, „daß es nicht auf den Aufstieg einer einzelnen Lohnklasse ankommt, sondern daß ein dauernder Aufstieg der gesamten Arbeiterschaft erstrebt werden muß als Voraussetzung für den Aufstieg jeder einzelnen Gruppe", Ist nun in diesem Sinne der erfolgreiche Streik, die erfolgreiche Lohnbewegung auch in Wirklichkeit ein Erfolg? Wenden wir unsere Aufmerksamkeit einem praktischen Falle zu! Im Mai 1913 erreichten die Bauarbeiter für 370—380 000 organisierte Arbeiter eine Tariferneuerung. Insgesamt erhielten infolge dieser Lohnbewegung ohne Arbeitseinstellung etwa 1/3 der an der Lohnbewegung beteiligten Arbeiter 3—4 Pfg., ein starkes Drittel 5 Pfg. und ein schwaches Drittel noch mehr, bis zu 12 Pfg. pro Stunde. Gleichzeitig wurde für einen beträchtlichen Teil der beteiligten Arbeiterschaft eine Verkürzung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde erreicht. Natürlich sind die errungenen Erfolge nicht nur den organisierten Arbeitern zugute gekommen. Im Ganzen wird man daher wohl annehmen können, daß infolge der Tarifbewegung im Baugewerbe seit 1913 jährlich mindestens 100 Mill. Mk. an Bauarbeiterlöhnen in unserer Volkswirtschaft mehr verausgabt werden. Ein etwa ebenso hohes Plus erforderte aber auch schon die letzte Tarifbewegung in demselben Gewerbe im Jahre 1910, sodaß also in der Zukunft jährlich mindestens

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200 Millionen Mk. an Bauarbeiterlöhnen mehr „ausgegeben" werden als 1910, An anderer Stelle *) habe ich zu skizzieren versucht, welches die volkswirtschaftlichen Folgen gerade dieser Arbeiterbewegung sein können. Was für eine Lohnbewegung gilt, wird auch mit einigen Modifikationen auf andere Lohnbewegungen zutreffen. Ich will den dort niedergelegten Gedankengang hier etwas näher verfolgen und dabei auf einige kritische Einwände, die mir gemacht wurden, etwas näher eingehen. Um sich klar zu machen, was die Mehrzuteilung der erwähnten Riesensumme an eine verhältnismäßig doch nur kleine Quote der Lohnarbeiterschaft bedeutet, müssen wir daran denken, daß die Geldsumme, durch die der Betrag zum Ausdruck gebracht wird, doch nur eine Anweisung darstellt auf volkswirtschaftliche Werte, auf Waren oder Leistungen. Es muß ferner berücksichtigt werden, daß die Arbeiter ganz überwiegend, fast ausschließlich das, was sie mehr bekommen, für konsumtive Zwecke ausgeben. Immer wieder ist ihnen ja bei den Vorbereitungen zur Lohnbewegung und während der Lohnbewegung versichert worden, daß ihre Lebenshaltung dringend der Besserung bedürftig sei, wie es denn auch von den Gewerkschaften als eine ihrer Aufgaben bezeichnet wird, „die vernünftige Begehrlichkeit nach kultureller Lebensweise" zu steigern. Auch wird man ja von einer Arbeiterfamilie, die täglich einige Pfennige pro Kopf mehr einnimmt, deshalb nicht erwarten dürfen, daß sie mehr spart, zumal ja für die Zukunft einigermaßen schon durch die Sozialversicherungsgesetzgebung gesorgt ist. Auf Grund der Erhebungen von Wirtschaftsrechnungen minderbemittelter Familien im Deutschen Reiche, die 1909 das Kaiserliche Statistische Amt bearbeitete, ergab sich/ daß von den 522 Arbeiterfamilien, die vollständige Jahresrechnungen ablieferten, die also schon deshalb zu den besonders ordentlichen und haushälterischen Familien gehören werden, bei einem Durchschnittseinkommen von 1835 Mk. nur 17 j / 2 Mk. pro Familie gespart wurden. Das aber, was die 1) In dem Sammelwerk „Das Jahr", herausgegeben von Dr. S a r a s o n.



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Arbeiter jährlich mehr aufbringen für ihre Organisation, für Gewerkschaften, Genossenschaften, Partei u n d v o n d i e s e n n u t z b r i n g e n d a n g e l e g t w i r d — darauf kommt es natürlich an — ist doch nur eine ganz kleine Quote der erreichten Lohnsteigerung. Das, was die Arbeiter mehr verbrauchen, muß nun entweder dadurch aufgebracht werden, daß andere ihre Bedürfnisse einschränken, oder es müssen die Gesamtleistungen der nationalen Arbeit entsprechend gesteigert werden. Ein Drittes gibt es nicht! Ist zu erwarten, daß die gewaltigen Summen, die erzwungene Lohnsteigerungen der Arbeitermassenbewegungen verlangen, dadurch zur Verfügung gestellt werden, daß die Unternehmer ihre Bedürfnisse entsprechend einschränken? Diese Einschränkung der Bedürfnisse wird jedenfalls das Allerletzte sein, das in Betracht kommt, dann, wenn gar kein anderer Ausweg mehr übrig bleibt. Das gilt insbesondere für die Gegenwart, wo das über die Verhältnisse hinaus Leben fast zur Mode geworden ist, wo namentlich in den Großstädten nicht nach dem S e i n , sondern nach dem S c h e i n geurteilt wird, wo vielfach der Geschäftsmann allen Ernstes versichert, daß nach dem Maße seiner Ausgaben sein Kredit sich bemesse. Eher wäre daran zu denken, daß die Unternehmer zwar nicht weniger ausgeben für ihre eigene Bedürfnisbefriedigung, aber doch weniger zurücklegen. Das würde aber für die Arbeiter ein recht schlechter Tausch sein. Der Gewerkschaftserfolg wäre in diesem Falle nur ein Scheinerfolg, die Arbeiter würden eines momentanen Vorteiles wegen die Henne töten, die die goldenen Eier legt. Das, was der Unternehmer zurücklegt, bildet einen Teil des Produktivkapitals, das in nicht geringerem, sondern in immer größerem Umfange vorhanden sein muß, damit für die steigende Volksziffer geeignete Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden. Würden Hunderte von Millionen, die bislang für produktive Zwecke verwandt wurden, also um dauernd Arbeiter zu beschäftigen, nunmehr für konsumtive Zwecke benutzt, also um für eine begrenzte Zeit eine Gruppe von Arbeitern besser zu nähren, zu kleiden, ihnen eine bessere Wohnung zu



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verschaffen, so würde die Arbeiterschaft insgesamt auf die Dauer u n t e r s o n s t g l e i c h b l e i b e n d e n U m s t ä n d e n durch geringere Beschäftigung und durch geringeren Reallohn, der sehr wohl mit steigendem Reallohn Hand in Hand gehen kann, dafür büßen müssen. Faktisch werden die Unternehmer aber die erzwungenen Lohnerhöhungen nur vorübergehend zu tragen haben, sie strecken sie gewissermaßen nur vor, andere Volkskreise haben sie auf die Dauer zu tragen. Das gilt namentlich für das Baugewerbe, dem wir in diesem Zusammenhange unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Die Rentabilität von 238 baugewerblichen Unternehmungsgesellschaften belief sich im Jahre 1910/11 nur auf 3,4%, im Jahre 1911/12 auf 3,3% und sie sank 1912/13 auf 2,3% Daß die Lage der Wohnungsunternehmer, d. h. derjenigen, die die erbauten Häuser vermieten, nicht günstiger ist, wird wohl in der Gegenwart kaum bestritten werden. In einer Untersuchung über die Rentabilität der Miethäuser in Dresden kommt G. S c h m i d t 1 ) zum Ergebnis, daß von der Gesamtzahl der Grundstücke sich überhaupt nur 65°/ 0 für den Eigentümer rentieren, 26°/0 verlangen sogar einen jährlichen Zuschuß. Aber auch dann, wenn die Konjunktur besser wäre, würde die Aussicht, daß die erzwungenen Lohnerhöhungen auf Kosten des Unternehmergewinnes erzielt werden können, nur gering sein. Nur in seltenen Ausnahmefällen, unter besonders günstigen Umständen wird es möglich sein, Lohnsteigerungen auf Kosten des Unternehmergewinnes zu erzwingen, wie man denn auch sehr lange suchen kann, ehe man etwa eine Aktiengesellschaft findet, die wegen erzwungener Lohnerhöhungen ihrerseits gezwungen war, die Dividende auch nur um ein Prozent herunterzusetzen. Da, wo nach einem Streik oder nach einer Aussperrung die Dividende zurückging, war das regelmäßig nicht die Folge der erhöhten Löhne, sondern der mehr oder minder langen Stilllegung der Betriebe und geänderter Verhältnisse, die mit der Lohnbewegung nichts zu tun hatten. Wenn die erzwungene Lohnerhöhung dauernd den Unternehmergewinn 1) Archiv für Sozial Wissenschaft, 1912, X X X V . Bd., 487 ff.



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reduziert, so werden bei sonst gleich bleibenden Umständen diejenigen Unternehmungen, die sich vordem mit den geringsten Profiten begnügen mußten, entweder zu Grunde gehen, oder dahin gedrängt, sich durch Anschluß an die großen, bessere Gewinne erbringenden Unternehmungen vor dem Untergange zu bewahren; die dadurch bedingten Änderungen in den Konkurrenzverhältnissen mögen dann dahin wirken, daß auch eine wirklich vorübergehend erreichte Lohnerhöhung auf Kosten des Profits auf die Dauer doch auf andere Schultern abgewälzt wird. Das, was ich über Lohnerhöhungen auf Kosten des Profits früher ausführte, unterstützt B e r n s t e i n 1 ) durch die Feststellung, daß die Gesellschaft, als Ganzes genommen, „bis auf Weiteres mit keinem erheblichen Sinken der Profitrate rechnen kann". In diesem Zusammenhange ist auch darauf aufmerksam zu machen, daß infolge der in allen Kulturländern stark gestiegenen Ausgaben für unproduktive Zwecke, namentlich für Rüstungen, die gesicherte Verwertungsmöglichkeit des Kapitals außerhalb der volkswirtschaftlichen Produktivitätssteigerung zunimmt mit der Wirkung, daß dadurch dem Sinken des Durchschnittsprofits entgegengewirkt wird. Dem Druck nach unten, den die koalierte Arbeiterschaft — in der Regel vergebens — gegen die Profitrate auszuüben versucht, steht auf der anderen Seite der stärkere Gegendruck gegenüber, der von der Mobilmachung von Kapitalien für unproduktive Zwecke ausgeht. Eine e n t s c h e i d e n d e Bedeutung hat aber diese Erwägung für unser Problem nicht Wenden wir unsere Aufmerksamkeit wiederum dem Spezialfälle zu, so wird man feststellen können, daß das Baugewerbe gewiß eine etwas unbequeme Übergangszeit zu überwinden haben wird, die vielleicht manche schwächere Existenz ausmerzt, wodurch — wie schon angedeutet — die Konkurrenzverhältnisse sich für die Großunternehmer auf die Dauer um so angenehmer gestalten, alsbald wird es aber den Unternehmern möglich sein, die höheren Löhne auf die Konsumenten, in unserem Falle auf die Wohnungsbedürfti1) a. a. O. 169.



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gen abzuwälzen. J a , es mag sogar nicht ganz unmöglich sein, daß der Unternehmer die Tatsache der Lohnerhöhung benutzt, um psychologische Widerstände der Konsumenten gegen Preiserhöhungen in noch größerem Grade zu überwinden, als der Mehrausgabe für Lohn entspricht. S i l b e r s t e i n 1 ) glaubt sogar allgemein sagen zu können, daß dann, wenn es sich umProdukte handelt, die so sehr begehrt sind, daß die Nachfrage nach anderen Gütern sinkt, um den Konsum der im Preise steigenden Produkte aufrechterhalten zu können — man wird wohl sagen dürfen, daß das in der Regel bei der Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses der Fall ist — daß dann die Arbeitgeber nicht nur die Lohnerhöhung auf die Preise schlagen, sondern, da sie ihr Kapital bei steigenden Produktionskosten entsprechend vergrößern müssen, auch die für dieses mehrbenötigte Kapital aufzubringenden Zinsen. Der Unternehmer muß seinen Kredit vergrößern, hat höhere Lasten zu tragen und wird diese Ausfälle durch entsprechende Preisgestaltungen wieder einzubringen suchen. Nun hat man freilich eingewandt: Wenn auch der erzwungene Lohn von den Unternehmern auf die Konsumenten abgewälzt werden kann, so ist doch anzunehmen, daß dieser die wohlhabenden Kunden schon entsprechend höher belastet, sodaß der Wellenschlag der Preiserhöhung die kleineren Kunden gar nicht erreichen wird. So meint B r a u e r 2 ) z. B. speziell in Bezug auf die Baukosten: Die Unternehmer würden sich zweifelsohne zum größten Teile schadlos halten an den kostspieligeren Bauten, die nicht durch und für die Arbeiter errichtet würden. Das ist aber eine völlige Verkennung der volkswirtschaftlichen Tatsachen. Man muß daran denken, — ganz abgesehen davon, daß auch hier wieder mit Einschränkung der Kapitalisierung und erst in zweiter Linie mit Einschränkung des Bedarfs gerechnet werden muß, — daß das Wohnungsbedürfnis der breiten Masse der unteren Schichten absolut sehr viel größer ist als das 1) Dogmenkritische und systematische Versuche zur Lohntheorie. Bonn 1912, Seite 98. 2) a. a. 0 . Seite 70.



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der verhältnismäßig wenig zahlreichen Besitzenden. Der Prozentsatz des Einkommens, der von den Reichen für die Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses ausgegeben wird, ist bekanntlich sehr viel niedriger als der entsprechende Prozentsatz bei den Arbeitern, auch ist der Wohnungsverschleiß, die Häufigkeit der Reparaturbedürfnisse usw. bei Kleinwohnungen erheblich größer als bei den großen Wohnungen. Bekannt ist ferner, daß in fast allen unseren Städten die sogen, besseren Wohnungen regelmäßig in durchaus genügendem Maße vorhanden sind, während an Kleinwohnungen infolge der Unbequemlichkeit, die ihre Verwaltung mit sich bringt, fast stets Mangel herrscht. Während also dort die starke Konkurrenz der Unternehmer untereinander die Abwälzung höherer Lohnkosten sehr erschwert, manchmal unmöglich macht, reizt hier die notorisch schwache Konkurrenz sehr dazu an, den Versuch zu machen, und er wird fast stets von Erfolg begleitet sein, wie denn überhaupt die Furcht, den guten, zahlungsfähigen Kunden zu verlieren, eher zu Preiszugeständnissen führt als die Möglichkeit, daß die kleineren Kunden dem Unternehmer und dem Lieferanten untreu werden. Verfehlt ist es auch, anzunehmen, deshalb, weil der Reiche für seine Kleider, Möbel etc. sehr viel mehr bezahlt als der Arbeiter, stecke in jedem einzelnen Stück, das er kauft, entsprechend mehr Arbeitslohn. In sehr vielen Fällen ist es die „Idee", die „Mode" und dgl., was der Wohlhabende mit einem Liebhaberpreis bezahlt. Nicht unbedingt bleiben die Wirkungen der Lohnerhöhungen auf den Markt beschränkt, auf dem sie zuerst in die Erscheinung traten. Die Wohnungsbedürftigen z. B. können die höheren Mieten vielleicht nur dadurch aufbringen, daß sie anderswo sparen, z. B. an Kleidern, an Möbeln oder was es sonst sein mag, sodaß schließlich infolge der dadurch verminderten Nachfrage und der verminderten Beschäftigungsmöglichkeit bei der Textilindustrie, bei der Hausindustrie usw. der Druck zuletzt lasten bleibt, der von einer sogen, erfolgreichen Lohnbewegung im Baugewerbe ausgeht. H e r k n e r hat es mir besonders übel vermerkt, daß ich die M ö g l i c h k e i t betont habe, daß die Verbesse-



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rung der Arbeitsbedingungen der organisierten Arbeiter auf Kosten der weniger organisationsfähigen, der weiblichen Arbeit, der Heimarbeit, sich vollzogen haben könne. Für ihn ist ein derartiger Gedanke „absurd". Er verlangt nachdrücklich einen induktiven Beweis für eine derartige Behauptung. Was das induktive Material angeht, so meine ich, kann kein Zweifel darüber sein, daß L. v. M i s e s durchaus Recht hat, wenn er meint, daß die vielbändigen Veröffentlichungen der statistischen Ämter mit ihren ziffernreichen Tabellen die Probleme, die ihren Ursprung in Preisveränderungen haben, keinen Schritt der Lösung näher bringen konnten. J e d e n f a l l s muß die theoretische Erkenntnis vorangehen, ehe man „durch das Dunkel der Ziffernkolonnen einen Weg s u c h t " 2 ) . Auch derjenige, der noch dem eigentlich doch wissenschaftlich längst aufgegebenen Aberglauben an die allein beweiskräftige induktive Methode huldigen sollte, kann sich doch unmöglich der immer wieder bestätigten Erkenntnis verschließen, daß im wirtschaftlichen Leben die Schwachen manchmal die Prügel erhalten, die die Starken mit Erfolg von sich abwehren. Das wahrscheinliche Resultat zahlreicher Lohnerhöhungen, die rasch aufeinander folgen, bald in diesem, bald in 1) Archiv für Sozialwissenschaft 1913, S. 557. 2) Mit Herkner trifft sich v. Schmoller in der Sehnsucht nach induktivem Material, nach Ziffernkolonnen. Bei Besprechung meines Buches führt er in seinem Jahrbuch (1912 S. 918) aus: „Ich gehöre zu den Ketzern, die nicht glauben, daß mit solch abstrakten Formulierungen die Kontroversen der Lohntheorie zu entscheiden seien . . . Ein s i c h e r e s U r t e i l k ö n n t e n wir nur abgeben, wenn wir d i e s e f e i n e n , k o m p l i z i e r t e n P r o z e s s e a l l e zahl e n m ä ß i g m e s s e n k ö n n t e n." Hier drängt sich aber doch die Frage auf: Wie kommt es, daß trotz jahrzehntelanger Forscherarbeit im Sinne der Schmollerschen Auffassung so gut wie nichts an Material vorliegt, um die gewerkschaftlichen Lohnbewegungen sozialökonomisch zu würdigen? Und doch ist das Gewerkschaftsproblem nach Schmoller das Zentralproblem der industriellen Arbeiterfrage, also der Frage, die ein Menschenalter hindurch das A und O unserer Wissenschaft war. Wenn man jetzt die Beweislast ganz denen zuschiebt, die nicht ohne weiteres an die Dogmen der historisch-ethischen Schule glauben, so ist das ein Vorgang, der nicht gerade geeignet ist, den Niedergang dieser Richtung aufzuhalten, zumal ein. derartiges Verhalten auf anderen Gebieten in ähnlicher Weise festzustellen ist, ich erinnere z. B. an die Boden- und Wohnungsfrage.



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jenem Gewerbe wird indessen sein, daß zwar die Nominalhöhe der Löhne steigt, aber die Preise steigen auch, die Kaufkraft der Löhne sinkt, der Arbeiter glaubt mehr zu haben als früher, und er kommt doch nicht besser aus als früher; die allgemeine Unzufriedenheit erhält dadurch natürlich reiche Nahrung. Das scheint mir der Hauptgrund zu sein, weshalb sozial erzwungene Lohnerhöhungen, die keine dauernde Steigerung des r e a l e n Soziallohnes mit sich bringen, bedenklich sind. Daß wirklich infolge der erzwungenen Lohnerhöhungen die materielle Lage der Gesamtarbeiterschaft tatsächlich v e r s c h l e c h t e r t wird, kommt demgegenüber schon deswegen nicht in Betracht, weil es bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen immerhin ein Ausnahmefall sein wird, aber möglich ist auch das. Da, wo die Auslandkonkurrenz in Betracht kommt, kann die heimische Produktionsmöglichkeit durch erzwungene Lohnerhöhungen ungünstig in einzelnen Branchen beeinflußt werden. Ich gehe darauf in diesem Zusammenhange nicht näher ein, ebensowenig wie ich großes Gewicht auf die Möglichkeit legen möchte, daß infolge der Lohnbewegungen, der dadurch bedingten ständigen Beunruhigungen des Unternehmers und dergleichen die Unternehmungslust beeinträchtigt werden kann. Sicher ist jedenfalls das Eine, daß die Arbeiterschaft sich nur dann unbedenklich freuen kann über die Lohnsteigerungen, die eine Gruppe von Arbeitsgenossen erzwungen hat, wenn eine Voraussetzung erfüllt ist: E s m u ß i n f o l g e des S t r e i k s m i n d e s t e n s in H ö h e der L o h n s t e i g e r u n g e n m e h r an v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n W e r t e n g e s c h a f f e n werden. M ö g l i c h ist das auf verschiedenen Wegen: Denkbar ist zunächst, daß die Leistungsfähigkeit der Arbeiter gesteigert wird. B r a u e r weist diesbezüglich auf die bekannten Ausführungen von Adam Smith hin: „Der Lohn der Arbeit ist die Aufmunterung zum Fleiß, der, wie jede andere menschliche Eigenschaft sich entwickelt, wie er Aufmunterung findet. Eine reichliche Nahrung kräftigt den Körper des Arbeiters, und die tröstliche Aussicht, seine Lage zu verbessern und seine Tage vielleicht im Wohlstand



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zu enden, spornt ihn zur äußersten Anstrengung seiner Kräfte." Smith fügt freilich auch hinzu: „Allerdings gibt es Arbeiter, die, wenn sie in 4 Tagen verdienen können, was zu ihrer Ernährung für 7 Tage ausreicht, 3 Tage müßig gehen. Das ist jedoch keineswegs bei der Mehrzahl der Fall." Das Eine wie das Andere ist jedenfalls grundsätzlich als richtig zuzugeben, aber man muß doch berücksichtigen, daß sich die Verhältnisse sehr wesentlich geändert haben, seitdem Adam Smith diese Worte niederschrieb. Es kann gar nicht bestritten werden, daß die Arbeitskraft nicht beliebig steigerbar ist; es gibt hier eine Grenze, die vielleicht bei dem eigentlichen Proletariat noch nicht erreicht ist, der aber die stark organisierten Berufsarbeiter immer näher gerückt sind, je höher die Lohnsteigerungen geworden sind. Auf alle Fälle gehört aber zur Steigerung der Arbeitsleistung nicht bloß Arbeitskraft, sondern auch entsprechend zunehmender Wille zur Arbeit. Ist es nun aber wahrscheinlich, daß erzwungene Lohnerhöhungen eine erhöhte Bereitwilligkeit der Arbeiterwehr zu leisten, nach sich ziehen werden unter dem Einfluß der Ausbeutungstheorie des VulgärSozialismus, unter dem Einfluß aber auch der Taktik der freien Gewerkschaften, die ihr Führer L e g i e n , ohne Widerspruch bei seinen Gewerkschaftskollegen zu finden, in den einen Satz zusammenfaßt: „Vorenthaltung der Arbeitskraft, um eine Steigerung ihres Wertes herbeizuführen", unter dem Einfluß ferner der unmittelbaren Vorbereitungen zu den Lohnbewegungen, bei denen aus agitatorischen Rücksichten die Übertreibung ihre erhebliche Rolle spielt, unter dem Einflüsse endlich der Tatsache, daß die unmittelbaren, sichtbaren Folgen der Lohnbewegungen in einem sehr großen Teil der Fälle den Erwartungen der Arbeiter nicht entsprechen, und daß die mittelbare Folge ist: zunehmende Inkongruenz zwischen Nominallohn und Reallohn? Es mag sein, daß diese Frage für die christlichen Arbeiter wesentlich anders beantwortet werden muß, als für die überzeugten Gegner der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung, aber diese sind nun einmal in der großen Majorität, und selbst die christlichen Gewerkschaften lehnen es — im



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Gegensatz zu Brauer, einem ihrer Führer — grundsätzlich energisch ab, daß es für sie l e i t e n d e s Prinzip werden könne, „sich ernsthaft in den Dienst einer positiven Produktionserweiterung zu stellen" . Volkswirtschaftlich günstig kann der Streik auch da wirken, wo das privatwirtschaftliche Rentabilitätsinteresse mit dem volkswirtschaftlichen Produktivitätsinteresse zusammenstößt: Da, wo der Unternehmer z. B. schwache Kinderkraft zu seinem Vorteile ausbeutet und in ihrer Entwickelung hemmt, schädigt er die Volkswirtschaft dadurch, daß er ihre wertvollste Produktivkraft, die menschliche Arbeitskraft, auf die Dauer quantitativ und qualitativ beeinträchtigt. Können da Korrekturen erreicht werden durch Zwangsmaßnahmen der organisierten Arbeiter, möglicherweise auf dem Umwege über Lohnerhöhungen, so mag dadurch ein Dauererfolg erzielt werden für die Volkswirtschaft und damit für die Arbeiter in ihrer Gesamtheit. Derartige Erfolge sind aber in der Gegenwart nur verhältnismäßig selten zu erzielen, die soziale Gesetzgebung hat die hier in Betracht kommenden Mißstände in der Hauptsache generell beseitigt. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die moderne Lohnbewegung sich in der Regel nicht mehr gegen Einzelne richtet, die rückständig geblieben sind; es handelt sich vielmehr meist um Machtkämpfe, die das ganze Gewerbe erfassen. So richten denn die Freunde der Gewerkschaftsbewegung, denen diese sozialökonomischen Zusammenhänge nicht ganz unbekannt geblieben sind, den größten Teil ihrer Hoffnungen auf die durch die Gewerkschaften veranlaßten technischen und organisatorischen Fortschritte. Man hat sogar die These aufgestellt: „Ohne eine kraftvolle Gewerkschaftsbewegung fehlt der Antrieb zu technischen Fortschritten" 2). H e r k n e r scheint dieser Auffassung nicht allzu fern zu stehen, seiner Meinung nach hat in den letzten zehn Jahren für die ganze Konstruktionsarbeit in Hütten und Stahlwerken, in der Elektrotechnik, im Kaibetrieb, im Bergbau, in 1) Vgl. Joos a. a. O. S. 29. 2) Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, 1911, S. 19.



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den Gaswerken, in den Brauereien und anderwärts den leitenden Gesichtspunkt der Wunsch gebildet, sich durch mechanische Verbesserungen von der Masse der mindergelemten, niedriger bezahlten und deshalb stets zu Streiks geneigten Arbeiter möglichst unabhängig zu machen. Sieht man sich derartige Behauptungen kritisch an, so wird man vorab daran erinnern müssen, daß überaus glänzende technische Fortschritte gemacht wurden zu einer Zeit, wo die Gewerkschaften überhaupt noch gar nicht existierten, und auch die Gegenwart bietet zahlreiche Beispiele dafür, daß organisatorische und technische Verbesserungen in den Industrien sehr häufig sind, die mit Streiks sehr wenig zu tun haben, z, B. in der chemischen Industrie; dagegen sind Streiks in den Gewerben außerordentlich häufig, in denen wegen ihres handwerksmäßigen Charakters dem technischen Fortschritt sehr enge Grenzen gezogen sind, oder in Gewerben, wo die technische Entwickelung schon so ins Einzelne vorgeschritten ist, daß weitere umwälzende technische Neuerungen nicht mehr erwartet werden können, z. B. in der Baumwollindustrie . Sieht man sich nach inneren Gründen für die hier zur Erörterung stehende These um, so wird man ja zunächst zugeben müssen, daß die wenigstens für eine Übergangszeit bestehende Schwierigkeit, die Lohnerhöhung auf die Konsumenten abzuwälzen, die Produzenten anregen kann, durch technische und organisatorische Verbesserungen die Erhöhung der Gestehungskosten wett zu machen. Möglich ist ferner auch, daß gelegentlich ein Unternehmer ebenso wie H e r k n e r den Irrtum hegen kann, daß er dann von den Arbeitern unabhängiger wird, wenn er an Stelle einer Masse von mindergelernten Arbeitern eine geringere Zahl von gelernten Arbeitern einstellt. Aber diesen Erwägungen stehen eine Anzahl von Gegengründen gegenüber! Um zunächst bei dem letztgenannten zu beginnen: Die Arbeiterführer selbst bezeichnen es geradezu als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h , „daß der Arbeitgeber durch die Verbesserung seiner maschinentechnischen Hilfsmittel eher mehr als weniger 1) Vergl. dazu B e r n s t e i n a . a . O . Seite 171. A. W e b e r / Lohnbewegungen.

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abhängig wird von seinen Arbeitern" *). J e größer der Wert der individuellen Arbeitskraft für den Betrieb wird, desto mehr steigen unter sonst gleich bleibenden Umständen die Aussichten einer gutgeleiteten Arbeiterbewegung. Die Redensart, daß der Streik d e s h a l b die Arbeitgeber zu technischen Neuerungen anrege, weil sie dadurch unabhängiger würden von der persönlichen Arbeitskraft, kann jedenfalls, wenn man damit eine Regel aufstellen will, nicht ernst genommen werden. Die Frage ist nur die, ob infolge des Streiks technische und organisatorische Verbesserungen zur Einschränkung der Unkosten des Betriebes vorgenommen werden. Man muß dabei zunächst in Rechnung stellen, daß auch von verständigen Arbeiterführern wieder ohne Weiteres zugegeben wird, daß „die Konkurrenz, die der Kapitalismus entfesselt hat, der Hauptantrieb ist zu den ungeahnten Fortschritten der Technik 2 ). Diese Konkurrenz wird aber wieder in gewissem Sinne gefesselt durch die Notwendigkeit des Zusammenschlusses, die den Arbeitgebern durch die organisierten Arbeiter aufgedrängt wird; auch durch die Tarifverträge, deren Vorteile im Einzelnen gar nicht verkannt werden sollen, mag doch die Unternehmertätigkeit zuweilen in Schablonen eingezwängt werden, die die „Experimentiermöglichkeit", dieser stärksten Quelle technischer Entwickelungsmöglichkeiten, enger einfassen kann, als es wünschenswert sein mag. Sehr wesentlich ist ferner die Frage, ob die Arbeiter ihrerseits die Einführung arbeitssparender Maschinen als einen Erfolg ihrer Lohnbewegung bezeichnen, oder ob nicht vielmehr durch die Einführung dieser Maschinen ein Grund für neue Unzufriedenheit in die Arbeiterschaft hineingetragen wird. Auf die Dauer wird die Maschine, weil sie die Produktivität der Arbeit günstig beeinflußt, gewiß auch der G e s a m t h e i t der Arbeiterschaft materiellen Nutzen bringen, aber es läßt sich nicht leugnen, daß in der Regel in dem Gewerbe, in dem die arbeitsparende Maschine eingeführt wird, die Arbeiter selbst unter Umständen empfindlich unter den Übergangswehen zu leiden haben. Man kann daher recht 1) B r a u e r a. a. O, Seite 80. 2) Correspondenzblatt d. Gewerkschaften Deutschlands 1911, S. 031.



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wohl begreifen, daß sie einem derartigen technischen Fortschritt von ihrem berufsegoistischen Standpunkte aus skeptisch gegenüber stehen. Als jüngst im Buchdruckergewerbe der Tarifvertrag erneuert werden sollte, äußerten die Prinzipale — im Oktober 1912 — als Wunsch ihren Gehilfen gegenüber, „die Freiheit in der Ausnützung der technischen Hilfsmittel und technischen Fortschritte solle bei Anerkennung humaner Grundsätze nicht eingeengt werden". Das Korrespondenzblatt der organisierten Buchdrucker nahm daraufhin Veranlassung, die Frage in einer Reihe von Artikeln unter der Überschrift: „Organisationsbestrebungen und technischer Fortschritt" zu untersuchen. Es kam dabei zu dem Ergebnis: „Ähnliche Folgeerscheinungen, wie wir sie in anderen Gewerben mit vervollkommneter Maschinentechnik zu beobachten Gelegenheit haben, traten auch im Buchdruck bei der Einführung von Setzmaschinen zutage. Ihre Anwendung steigerte die Produktivität der Arbeit, wodurch namentlich in der Übergangsperiode viele Handsetzer überflüssig wurden . , . Daß der Verband der Deutschen Buchdrucker in der Lage war, die berechtigten Interessen seiner Mitglieder wahrzunehmen, kann vom gewerkschaftlichen Standpunkte nicht hoch genug veranschlagt werden."

In anderem Zusammenhang erklärte dieselbe Zeitschrift (1913 Nr. 22): Zwar sei der Arbeiter als Mitglied der menschlichen Gesellschaft stärker noch als die sozial gehobenen Bevölkerungsschichten an der Warenverbilligung interessiert; als eigentlicher Arbeitnehmer habe er indessen mit aller Wachsamkeit darauf zu achten, daß er durch die Maschine nicht aus dem Produktionsprozesse ausgeschaltet werde. Es komme daher darauf an, den technischen Fortschritt gewissermaßen durch eine technische Bändigung in ein erträgliches Verhältnis zu den Bedürfnissen der Arbeiterschaft sowohl als zu den Interessen der Allgemeinheit zu bringen. — Und ist diese Auffassung von dem branchenegoistischen Standpunkt der organisierten Arbeiter nicht ganz richtig, ja selbstverständlich? Ich glaube, alle Gewerkschaften werden diese Frage bejahen und ohne Zögern ähnlich handeln, wie die Buchdrucker, wenn sie organisatorisch einmal so erstarkt sind wie diese. Vergessen wir endlich doch auch nicht, daß es nicht ankommt auf Fortschritte der Technik an und für sich, son-



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dem auf die Größe der dadurch ermöglichten Produktionsverbilligung, die mit fortschreitender Entwicklung der Technik in derselben Branche die Tendenz hat, relativ abzunehmen 1 ). Organisatorische Fortschritte können aber nun auch noch dadurch erreicht werden, daß die mechanische und persönliche Arbeitskontrolle verschärft wird, und dadurch eine erhöhte Leistungsfähigkeit nach der erzwungenen Lohnerhöhung erreicht wird. Über dieses Problem haben sich die Gewerkschaften jüngst eingehend unterhalten im Anschluß an das sogen. Taylor-System. Auf Grund ausgedehnter Erfahrungen hat Taylor bekanntlich planmäßig zu ermitteln versucht, in welcher kürzesten Zeit jede Arbeit vom Arbeiter zu leisten ist, und auf diese Erfahrungen gestützt, sucht er aus der persönlichen Arbeitskraft herauszuholen, was nur herauszuholen ist. Er weist jedem Arbeiter den seiner Leistungsfähigkeit und seiner individuellen Veranlagung entsprechenden Platz an, er sucht ferner z. B. festzustellen, welche Körperhaltung beim Schaufeln bezw. beim Verladen von Erzen eingenommen werden muß, um eine größtmöglichste Arbeitsleistung zu erzielen. Die Arbeiter selbst sind aber von derartigen Versuchen, ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen, durchaus nicht erbaut. Einer von ihnen meinte, „wenn die ohnehin in vielen Fällen ganz stumpfsinnige Arbeitsweise noch weiter schematisiert wird, der Arbeiter also vollständig zur Maschine werden soll, dann ist es wirklich sehr zweifelhaft, ob die Leistungserhöhung die sonstigen Schädigungen wettmacht". In der Tat wird man zugeben müssen, daß auch über dem volkswirtschaftlichen Produktivitätsinteresse doch noch höhere sozial-menschliche Interessen stehen, die durch ein allzu rationell ausgedachtes Arbeitssystem verletzt werden können. Man wird ferner zugeben müssen, daß „der Tüchtige den Untüchtigen ausrangiert", die Regulierung der Altersgrenze möglichst nach unten hin fast zur Selbstverständlichkeit wird. Ein Journalist H o l i t s c h e r , der amerikanische Betriebe besuchte, erzählt 2 ) : 1) Vgl. Jul. Wolf: Nationalökonomie als exakte Wissenschaft S. 57. 2) „Amerika heute und morgen", cit. n. Korrespondenzblatt 1913, S. 419.

— 37 — „In Newyork hat man mir einen Arbeiter gezeigt, der sich die Haare färbte. Daß sich Arbeiter, ehe sie in ihren „job" gehen, die Schläfe mit Schuhwichse schmieren, gehört zu den alltäglichen Beobachtungen; welche legen Rot auf; andere geben 10 Dollar im Monat für „drugs" aus, d. h. für Arsenikpräparate, die die Herztätigkeit während der Arbeitszeitstunden künstlich stimulieren."

So weit wird es in Deutschland die stark organisierte Arbeiterschaft nicht kommen lassen, das Korrespondenzblatt der Gewerkschaften läßt darüber bei Erwähnung der oben genannten Schrift keinen Zweifel aufkommen: „Wir müssen den neuen amerikanischen Arbeitsmethoden, die kommen werden und kommen müssen (nach den Gesetzen des kapitalistischen Wettbewerbs), die Giftzähne ausbrechen. Für das Maß der Arbeitsleistung, das die Arbeiter herzugeben haben, müssen sich die Arbeiter selbst ein Mitbestimmungsrecht schaffen. Wenn der Unternehmer durch ,Probearbeiter', durch .Geschwindigkeitsmeister' mit Stoppuhr und Zeitstudie die höchsten Arbeitswerte herauspressen will, müssen diese Bemühungen scheitern an dem organisierten Widerstande der Arbeiter selber. Neben dem .Geschwindigkeitsmesser' muß an der Arbeitsmaschine der Arbeitsverteiler stehen: Sie können mit der Stoppuhr ausrechnen und ausmessen, was sie wollen, das Maß der Arbeitsleistung, das wir hergeben wollen, b e s t i m m e n w i r m i t."

Ein anderes Gewerkschaftsorgan 1 ) meinte, das, was Taylor wolle, den Arbeiter nach seiner Fähigkeit zu beschäftigen, klinge zwar sehr schön, laufe aber in der Praxis darauf hinaus, „die Arbeiter untereinander zu entzweien". Wenn das System z. B. bei den Steinmetzen eingeführt werde, „müßte die ganze Solidarität zum Teufel gehen". Man sieht, daß aus verschiedenartigen Gewerkschaftsinteressen nur in engen Grenzen erzwungene Lohnerhöhungen durch erzwungene Mehrleistungen ausgeglichen werden können. Diejenigen gar, die glauben, daß die Arbeiter Lohnerhöhungen dann erreichen werden, wenn nach Ausmerzung der Schwachen die Starken im volkswirtschaftlichen Konzentrationsprozeß sich fortentwickeln, verkennen die Möglichkeit dieser Konzentration durchaus. Es ist wissenschaftlich längst durchaus klar erkannt, daß das Gesetz des abnehmenden Ertrages in der Landwirtschaft durchaus 1) Der Steinarbeiter 1913, Nr. 21.



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nicht ein Gesetz des zunehmenden Ertrages in der Industrie zur Seite hat, auch vermehrter Kapitalaufwand im Gewerbe wird nur dann zunehmenden Ertrag erbringen, wenn die Leistungsfähigkeit der technischen Anlage bis dahin nicht vollkommen ausgenützt war. Trifft diese Voraussetzung nicht zu, so kann man recht wohl mit M a n n s t ä d t auch im Gewerbe von einem Gesetz des abnehmenden Ertrages sprechen J ) . Auch B ü c h e r s Gesetz der Massenproduktion bringt nachdrücklich in Erinnerung, daß die Kostenverminderung sich im allgemeinen langsamer vollzieht, als die Produktionsmasse steigt. In der Regel wird man sagen können, daß technische und organisatorische Fortschritte gemacht werden t r o t z der ständigen Beunruhigungen der Gewerbe durch die Lohnbewegungen und nicht w e g e n dieser Beunruhigungen. Daß es Ausnahmen gibt, Fälle, wo derartige Verbesserungen nicht erfolgt wären ohne den Druck, der von den Lohnbewegungen ausgeht, soll nicht bestritten werden. Im Ganzen wird aber die Produktivitätssteigerung, von der der materielle Fortschritt der Arbeiterschaft stets abhängig war und immer abhängig ist, eher zu erwarten sein, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer einträchtig das gemeinsame Ziel im Auge haben, als wenn sie sich gegenseitig schädigen im Streite über Fragen, die durch den Streik nur in seltenen Fällen im Sinne der Gewerkschaftsdemokratie behandelt werden können. Es drängt sich aber nun weiterhin die Frage auf: Gibt es denn wirklich keine anderen Gründe dafür, daß erzwungene Lohnerhöhungen im dauernden Interesse der Gesamtarbeiterschaft liegen können, als die Erwartung einer Produktivitätssteigerung infolge der Lohnbewegung? Was hat die communis opinio, die diese Frage doch mit großer Selbstverständlichkeit bejaht, für Gründe bei der Hand? Nun, die meisten begnügen sich mit dem Hinweis auf das induktive Material: Die Geldlöhne sind nach der Lohnbewegung höher als vorher, also sind sie die Folge des von den Arbeitern ausgeübten Zwanges. Man macht sich keine Sorge darum, daß das post hoc durchaus nicht immer ein 1) Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 1913, S. 408 ff.



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propter hoc ist, und daß Steigerung des Branchenlohnes nicht Steigerung des Soziallohnes zu bedeuten braucht. Das, was man darüber hinaus in der sozialpolitischen Literatur an Gründen findet, ist dürftig genug, in der Regel ist es nur eine höchst primitive Ausbeutungstheorie: Der Arbeitgeber nimmt, was er bekommen kann; macht der Arbeiter es ihm nicht entsprechend nach, so muß er sich gefallen lassen, geduldiges Objekt der Ausbeutungskunst des Unternehmers und des Kapitalisten zu sein. Darum Zusammenschluß, Kampf gegen die Ausbeuter; die Zugeständnisse, die in diesem Kampfe von den Arbeitern errungen werden, können als sichere Beute von ihnen nach Hause getragen werden, ja zuletzt können sich die Unternehmer noch über diese Zugeständnisse freuen, und zwar um so mehr, je größer der Lohnzuwachs ist, denn die Arbeiter sind infolge der gestiegenen Löhne konsumkräftiger geworden. Die Kritik dieser Auffassung ergibt sich aus den bisherigen Darlegungen von selbst, nur nach einigen Richtungen hin erfordern sie noch eine Ergänzung. B r a u e r 1 ) bekennt sich auch seinerseits als Anhänger der Auffassung, daß eine Steigerung des Arbeitseinkommens, die sich restlos in einem erhöhten Konsum äußert, ohne daß also der Volkswirtschaft erweitertes Unternehmungskapital zugeführt wird, und ohne daß eine Produktivitätssteigerung stattfindet, schon an und für sich volkswirtschaftlich nützlich sei 2 ). Er glaubt sich dabei auf Adam Smith stützen zu können, der gelegentlich folgendes ausführt: „Ein Handwerker, der in den ersten sechs Monaten nach der Ernte für 10 L. Arbeit liefert, würde, auch wenn er in demselben Zeit-

1) a. a. O. S. 84. 2) Das, was den Anhängern dieser Auffassung in der Regel vorschwebt, drückt Joos (a. a. 0 . S. 28) einfach und klar folgendermaßen aus: „Die Arbeiter geben das Errungene wieder aus, sie steigern oder verbessern ihren Konsum. W o fließt die Summe der Lohnerhöhung hin? Sie s a m m e l t sich doch w i e d e r in einzelnen K a p i t a l r e s e r v o i r s." W e r anderer Meinung ist, steht nach Joos im Banne lebensfremder Abstraktion. Der volkswirtschaftliche ABC-Schütze wird Joos aber schon genügend klar machen können, daß er die Elementarbegriffe Geld und Kapital durcheinander wirft.



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räume für 10 L. an Getreide und anderen Lebensbedürfnissen verzehrte, dennoch zu dem Jahresertrage des Bodens und der Arbeit den wirklichen W e r t von 10 L. hinzufügen. Während er ein halbjährliches Einkommen von 10 L. in Getreide usw. verzehrte, produzierte er einen gleichen W e r t in Gegenständen, die ein gleiches halbjährliches Einkommen entweder für ihn oder sonst jemanden zu schaffen vermochten. Der W e r t dessen, was innerhalb dieser sechs Monate konsumiert und produziert worden, beträgt daher nicht 10, sondern 20 L . "

Brauer meint, man brauche dieses Beispiel nur entsprechend abzuändern, um zu dem Schlüsse zu kommen, daß die Erhöhung der Konsumkraft der Arbeiterklasse an sich schon der Volkswirtschaft zugute komme, indem sie indirekt zu einer Vermehrung der verzehrlichen Gegenstände führe. Nehme man eine lOprozentige Lohnerhöhung an, so würde sich nach dem Satze Smiths, daß der Wert einer Ware ihrem natürlichen Preise entspreche, dieser aber dem jeweiligen Preise gleiche, zu welchem eine Ware verkauft werde, die Summe von 10 L. in beiden Fällen auf 11 L. erhöhen. Das Endergebnis wäre also, daß der Wert der Konsumtion und Produktion innerhalb der sechs Monate 22 L. betragen würde. Dieses Ergebnis ist ganz richtig, wenn die Lohnerhöhung eine Folge der durch Produktivitätssteigerung vermehrten Arbeit ist, aber wenn die Konsumkraft des Arbeiters steigt, indem die Konsumkraft des Nichtarbeiters entsprechend abnimmt, ist alles beim Alten geblieben, und wenn die Konsumkraft der Arbeiter irgend einer Branche steigt, und infolgedessen verminderte Kapitalisation den Lohn der Arbeiter in anderen Branchen entsprechend ungünstig beeinflußt, da bliebe wiederum alles beim Alten. Die Steigerung des Arbeitseinkommens, der nicht eine Mehrung des Gesamtgütervorrates gegenübersteht, hat also nicht den Nutzen, den B r a u e r davon erwartet. Derselbe Autor glaubt mir ferner vorhalten zu müssen, daß ich bei Aufstellung meiner Grundsätze über das Sparen mich nicht vor der Weiterung gehütet habe, vor der bereits D i e t z e l gewarnt habe. Er verweist dabei auf eine Stelle in der Theoretischen Sozialökonomik Dietzels 1 ), wo mit vollem Recht ausgeführt wird, das Sparprinzip laute nicht: l) S. 176.



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Gib so wenig aus als möglich, sondern gib so viel, aber nicht mehr aus, daß das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen sich so stellt, daß die Kosteneinheit das Maximum von Nutzeneinheiten abwirft. Wenn z. B. jemand einen Anzug nötig hat, so rät das Sparprinzip ihm keineswegs, einen Anzug, der nur wenige Monate halten wird, für 40 Mark zu erstehen, wenn ein teuerer Anzug mehrere Jahre halten wird. Kauft man hier den absolut zwar billigeren, aber relativ teuereren Anzug, so ist das nach Dietzel nicht Sparsamkeit, sondern Verschwendung. Was das alles mit dem Problem der erzwungenen Lohnerhöhungen zu tun hat, ist mir ganz unerfindlich, es handelt sich hier um die alte Regel, daß billig und schlecht einkaufen unwirtschaftlicher ist als teuer und gut. Als früher der Landmann bei geringerem Einkommen seine Kleider in der eigenen Haushaltung anfertigen ließ, hat er diesem Prinzip wahrscheinlich sehr viel mehr Rechnung getragen als später, wo er sie in der Stadt im Warenhause kaufte und nun' allerdings die Möglichkeit hatte, nach außen mehr zu erscheinen, als er bis dahin war. Daraus ergibt sich, daß höhere Einnahmen durchaus nicht in dem Sinne wirken müssen, daß sie eine richtige Befolgung des Sparprinzips gewährleisten. Das, was in der Gewerkschaftspresse über die Wirkungen erzwungener Lohnerhöhungen auseinandergesetzt wird, zeigt meist eine völlige Verkennung der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge. Da wird z. B. in dem Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands J ) ausgeführt: Die Konsumkraft der Arbeiter werde durch die Kampferfolge gestärkt, das bedeute auch eine Erweiterung der Produktion. „Die Arbeiter haben diese durch erfolgreiche Streiks nicht eingeschränkt, sondern im Kampfe gegen das Kapital sogar noch erweitert. Da bei der Produktion von Konsumgütern das Kapital Gewinn erzielt, sind Streiks in gewissem Sinne sogar Mehrer des .Nationalvermögens'."

Eine noch eigenartigere Theorie vertritt „Der Zimmerer", das Organ des Zentralverbandes der Zimmerer und 1) 1910 Nr. 42 (S. 664). Vgl. dazu den Aufsatz von Sig. Kaff „Grenzen der Lohnerhöhungen" in derselben Zeitschrift 1912, S. 754 ff.



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verw. Berufsgenossen Deutschlands 1 ). des aus:

Er führt Folgen-

„Bei der eigentlichen Güterherstellung übt das Kapital keinerlei Funktionen aus; für diesen Prozeß ist es zweifellos überflüssig. Eine andere Frage ist die, ob es auch als Organisationsmittel entbehrt werden könnte. Theoretisch betrachtet, ist da mit einem bedingungslosen , J a ! ' zu antworten. Der an den Arbeiter gezahlte Lohn, wie auch jede andere Quittung über geleistete Arbeit könnte z. B. in Gestalt eines Zertifikates ausgestellt werden. Der Arbeiter, der 100 Mk. als Lohn erhält, hat damit eine Quittung in Händen, die vergegenständlicht, daß er der Gesellschaft Arbeit geleistet, die dem in 100 Mk. Lohn ausgeprägten W e r t e entspricht. E r hat das Anrecht erworben, von den durch das Zusammenwirken aller Produzenten hervorgebrachten Gütern so viele für seinen Konsum zu entnehmen, als dem in 100 Mk. ausgedrückten Wertanteil entspricht. Der Arbeiter gebraucht die 100 Mk. als Tauschmittel; sie sind ein Wertmaßstab. Daß dieser Wertmesser aber auch eine andere Form haben kann, dafür liefert der moderne Warenaustausch schon ganz interessante B e weise. Von Lieferant zu Lieferant, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land vollzieht sich der Austausch in großem Umfange heute nicht mehr durch wirkliche Begleichung der Verpflichtungen mittels Geldes, sondern auf dem rein technischen W e g e der Buchungen. Aber, und damit ist die Schädlichkeit des Kapitals deutlich illustriert: Selbst für die lediglich durch Buchungen hin und her geschobenen Summen, wobei das Geld gar nicht körperlich als Tauschmittel in Funktion tritt, ist die Arbeit dem Kapital tributpflichtig!"

Offenbar eine ähnliche Verwechslung von „Geld" (Umlaufsmittel) und „Kapital" (produziertes Produktionsmittel), wie wir sie bei Joos als Fundament einer Gewerkschaftstheorie kennen lernen (s. o. S. 39 Anm. 2). Diese Auffassungen, die ja an Naivität nichts zu wünschen übrig lassen, und die doch von F ü h r e r n der Gewerkschaften ausgesprochen wurden, ohne daß sie von anderen Kollegen berichtigt wurden, zeigen, wie wichtig klare theoretische Kenntnisse auch für die Gewerkschaftspraxis sind. Die Frage könnte nur noch aufgeworfen werden, ob Lohnsteigerungen nicht dadurch erzwungen werden können zum dauernden Nutzen der Arbeiter, daß der Kapitalzins reduziert wird. P h i l i p p o v i c h 2 ) , der im allgemeinen ebenso wie das hier geschieht, die These vertritt: „Eine M 7. Dezember 1912. J Grundriß der politischen Ökonomie, 10. Aufl., 1913, S. 392.

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— 43 — dauernd gesicherte Lohnsteigerung ist im wesentlichen nur durch Erhöhung der Produktivität der Volkswirtschaft zu erzielen", scheint doch anzunehmen, daß in Ausnahmefällen eine Lohnsteigerung auf Kosten des Kapitalzinses zu erreichen sei. Eine allgemeine Erhöhung der Löhne auf Kosten der Gewinne werde in der Regel zwar eine Vermehrung der auswärtigen Kapitalanlagen und des Leihkapitals zur Folge haben, sodaß im Inlande die Unternehmertätigkeit eingeschränkt, und dadurch wieder ein Druck auf die Löhne ausgeübt werde. Ausnahmsweise ließe es sich aber wohl denken, daß auswärtige Kapitalanlagen wegen Mangel an Gelegenheiten oder wegen besonderer Schwierigkeiten nur in beschränktem Maße vorgenommen würden, dann könne durch Vermehrung des Leihkapitals der Zinsfuß zum Sinken gebracht, und dadurch wieder die Unternehmertätigkeit angespornt werden, sodaß in diesem Falle endgültig die Lohnsteigerung zu Lasten des Kapitalgewinnes sei. Daß tatsächlich der Zins infolge der Lohnsteigerungen nicht gesunken ist, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Theoretisch scheint mir die Sache so zu liegen: Für die Höhe des Zinsfußes ist die Menge der in einem Lande vorhandenen Kapitalien im Verhältnis zu ihrem Bedarf entscheidend. Die Menge des Kapitals hat aber nun unter sonst gleichbleibenden Umständen die Tendenz, mit den durch die Koalitionen erzwungenen Lohnsteigerungen, wenn diese keine Produktivitätssteigerung zur Folge haben, relativ abzunehmen. Der Bedarf hingegen wird eher größer sein, denn einmal bedingt nicht nur die Arbeitseinstellung, sondern auch die durch ihren Erfolg bedingte Wirtschaft' liehe Strukturveränderung Kapitalstockungen und Kapitalzerstörungen; auch wenn man mit der Möglichkeit rechnet, daß die Arbeitgeber sich unabhängig von den Arbeitern zu machen versuchen durch technische Neuerungen, so ist auch aus dieser Erwägung stärkere Kapitalnachfrage und damit Erhöhung, nicht Erniedrigung des Zinsfußes wahrscheinlich, und endlich wird die vermehrte Aufwendung von Mitteln für die Entlohnung der Arbeiter vermehrte Nachfrage nach Kapital zur Folge haben, sodaß also alles in allem eher mit Zinsfußsteigerung anstatt mit Zinsfußsenkung zu rechnen ist.



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In meinem „Kampf zwischen Kapital und Arbeit" habe ich aber bereits darauf aufmerksam gemacht, daß in einem Falle die Arbeiter Lohnerhöhungen sich dauernd sichern können auch dann, wenn Produktivitätssteigerungen nicht erreicht werden: Wenn die Koalitionen vorsichtig und umsichtig zu Werke gehen, dann wird es möglich sein, in einzelnen Fällen Lohnerhöhungen dadurch zu beschleunigen, daß sie die vis inertiae, die in der Praxis die theoretisch richtig erkannte Tendenz verlangsamen mag, beseitigen. Dann, wenn eine günstige Konjunktur im Anzüge ist, können dadurch Unternehmern und Spekulanten Zufallsgewinne in den Schoß fallen. Bei derartigen Zufallsgewinnen kann allerdings recht wohl der Satz Adam Smiths zutreffen: „Eine höhere Profitrate scheint überall die Sparsamkeit zu zerstören." Wenn diese Konjunkturgewinne statt in die Taschen der Unternehmer und Kapitalisten in die Taschen der Arbeiter fließen, wird das für die Arbeiter ein Vorteil sein, dem kein Nachteil gegenübersteht. Freilich muß auch hier wieder daran erinnert werden, daß a u f d i e D a u e r die Vorteile günstiger Konjunkturen auch den Arbeitern ohne Lohnbewegungen zugute kommen müssen. Die Möglichkeiten für die Arbeiter, vorübergehende Vorteile, die ihnen der Markt nicht von selbst geboten hat, durch ihre Koalitionen für sich einzuheimsen, dürfen aber nicht überschätzt werden. Das scheint mir v. M i s e s 1 ) zu tun. Auch er vertritt die Meinung: Die Lohnhöhe könne als Markterscheinung durch Eingriffe, die nicht mit den Mitteln des Marktes arbeiteten, nicht beeinflußt werden. Eine unmittelbare Beeinflussung sei beim Lohne ebenso unmöglich wie bei den anderen Preisen des Marktes. Sie müsse notwendig zu einer Reaktion führen, die das natürliche Verhältnis wiederherstelle. Wenn die Geschichte der letzten Jahrzehnte dem scheinbar widerspreche, wenn man faktisch sehe, wie die organisierten Arbeiter einen Erfolg nach dem anderen erzielten, so übersehe man, daß ein Teil dieser Lohnsteigerung eine Folge sei des Sinkens des inneren objektiven 1) Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Band 37 (1913), 557 ff.: Die allgemeine Teuerung im Lichte der Sozialökonomik.



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Tauschwertes des Geldes, und ein anderer Teil sei auf die Steigerung des Ertrages der menschlichen Arbeit zurückzuführen. Wenn so auch v. M i s e s der Ansicht ist, daß es keinen Bemühungen der Gewerkvereine gelingt, dauernd den Arbeitslohn über das Niveau des natürlichen Lohnes hinauszuheben, so könnten die gewerkschaftlichen Organisationen doch dadurch Erfolge erzielen, daß sie Vorteile erreichten, die den Arbeitern während der Übergangszeit, während welcher sich der erhöhte Geldlohn durch Steigerung der Warenpreise dem Niveau des natürlichen Arbeitslohnes anpasse, zukämen. „Ist diese Anpassung vollendet, dann ist auch der Erfolg, den die Arbeiterklasse durch die Geldlohnerhöhung erzielt hat, endgültig vorbei. Die Gewerkschaften vermögen die Vorteile, die sie den Arbeitern bieten, nur dadurch zu dauernden zu gestalten, daß sie immer wieder von neuem versuchen, den Geldlohn über das natürliche Niveau zu heben. Damit aber schaffen sie immer wieder von neuem eine Tendenz zur Senkung des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes." M i s e s scheint zu übersehen, daß derartige künstlich geschaffene Übergangsperioden stets zugleich auch mehr oder minder Übergangs w e h e n sind, die Kapitalverluste, Betriebseinschränkungen und Arbeiterentlassungen mit sich bringen; auch die Opfer der Lohnbewegung selbst sind nicht ganz außer Acht zu lassen. Sobald sich die Arbeiter — immer ist dabei an die Gesamtheit der Arbeiter zu denken — von diesen Nachteilen der Übergangsperiode erholt haben, werden die Vorteile, die möglicherweise die Arbeiter für die Übergangsperiode erzielen, durch Anpassung ausgeglichen sein.



III.

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Abschnitt.

Die gewerkschaftliche Schulung und ihre Hemmnisse. Wenn man nun aber auch der Meinung sein sollte, die in dem zweiten Abschnitte dieser Abhandlung vertretene Auffassung sei zu pessimistisch, wenn man nur das zugeben will, was B e r n s t e i n in dem in der Einleitung zitierten Satze feststellt, daß es bei einem gewissen Stande der Technik und Leistungshöhe Grenzen gibt für die Lohnerhöhungen, die sich ohne Schaden für alle Beteiligten nicht ignorieren lassen, dann wird man im Interesse der Gesamtvolkswirtschaft doch immerhin die Forderung aufstellen müssen, daß die Gewerkschafts demokratie sich ernstlich bemüht, diesen Grenzen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sicher ist auch jedenfalls, daß dann, wenn es der Gewerkschaftsdemokratie darauf ankommt, durch Lohnbewegungen d a u e r n d e materielle Hebung der Gesamtarbeiterschaft zu erzielen, sie nicht bloß die gegenwärtige wirtschaftliche Konjunktur und deren voraussichtliche zukünftige Entwickelung zu berücksichtigen hat, sondern insbesondere auch die Frage sich vorlegen muß: Wie wirkt die erfolgreiche Lohnbewegung ein auf die Preise, wie auf die Kapitalbildung, wie auf die Unternehmertätigkeit, wie auf den technischen und organisatorischen Fortschritt der kapitalistischen Unternehmung? Das alles sind aber Fragen, die bislang bei einem Streik kaum jemals ernsthaft aufgeworfen worden sind. J e größer nun aber die Gewerkschaftsbewegung wird, je umfassender die Lohnbewegungen und ihre statistischen Erfolge sind, um so größer wird der Ernst all' dieser Fragen für die Arbeiterschaft und ihre Führer, die sich nicht durch den glänzenden Schein der jüngsten Vergangenheit hinwegtäuschen lassen über ernstere Möglichkeiten einer näheren oder ferneren Zukunft.



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Ist nun aber anzunehmen, daß die Theorie der Lohnbewegungen in Zukunft gegenüber ihrer Praxis wieder mehr Beachtung findet? B e r n s t e i n selbst ist geneigt, diese Frage zu bejahen; er erwartet von der wachsenden Erfahrung der Arbeiterbewegung zunehmende Fähigkeit, auch den Grundlagen der Lohnbewegung Aufmerksamkeit zuzuwenden. Von der sehr großen Wichtigkeit gewerkschaftlicher Schulung ist auch B r a u e r überzeugt; er spricht von der immer stärker vermehrten Verpflichtung der Gewerkschaften, auf die Hebung der Produktionskraft ihrer Mitglieder durch entsprechende Schulung hinzuwirken, und er ist der Meinung, daß die Erkenntnis wenigstens in solchen Gewerkschaftskreisen, die nicht d u r c h d e n R a d i k a l i s m u s r a d i k a l i s i e r t seien, immer mehr Gemeingut werde, daß ein möglichst großer Mitgliederkreis innerhalb der Gewerkschaften erforderlich sei, der die technische Entwicklung und die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu übersehen vermöge. Daß die parteipolitischen Veranstaltungen für die Zwecke der gewerkschaftlichen Schulung nicht genügen, hat B e r n s t e i n 1 ) — so weit es sich um sozialdemokratische Bestrebungen handelt — gelegentlich betont, und das, was er darüber sagt, kann auf andere politische Einrichtungen entsprechend angewandt werden: Die Lehrer der Parteischule hätten bisher wenig Neigung gezeigt, das Gewerkschaftsproblem so zu behandeln, wie es den neuen Bedürfnissen des Arbeitskampfes entspreche . . . Wer von der Theorie verlange, daß sie das aufkeimende Neue rechtzeitig erkenne und würdige, um so die verantwortlichen Führer der praktischen Bewegung in den Stand zu setzen, dasjenige, was sie gemäß dem Gebot der neuen Umstände tun m ü s s e n , auch mit gutem theoretischen Gewissen tun und vertreten zu k ö n n e n — und das sei doch eine der Hauptaufgaben der Theoretiker in der Partei —, der komme mit Notwendigkeit zu einem wenig befriedigenden Ergebnisse, wenn er nicht annehmen wolle, daß die Lehrer in der Parteischule aus einem anderen Geiste heraus unterrichten als dem, den sie auf den Kongressen und in den Zeitschriften 1) In einer Zuschrift an den „Vorwärts" vom 3. Dezember 1909.



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der Partei zu vertreten pflegten. Nicht die Form und auch nicht der Ton der Vorträge in den Kursen der politischen Partei sei in Frage gestellt, sondern der wissenschaftliche Standpunkt. Die Gewerkschaften der verschiedenen Richtungen haben denn auch seit etwa 10 Jahren sich ernstlich bemüht, die Schulung ihrer Mitglieder selbst in die Hand zu nehmen. Die freien Gewerkschaften allerdings haben es für notwendig gehalten, bei einer sehr wichtigen, vielleicht der wichtigsten Erziehungsaufgabe mit der politischen Partei gemeinschaftlich vorzugehen: bei der Erziehung der Jugend. Der sozialdemokratische Parteivorstand und die Generalkommission hatten 1908 Vorschläge für eine Organisation zur Erziehung der Jugend ausgearbeitet, die von den beiden maßgebenden Instanzen, Gewerkschaftskongreß und Parteitag, unverändert angenommen wurden. Es ist eine Zentralkommission eingesetzt worden, der vier Vertreter des Parteivorstandes, vier Vertreter der Generalkommission der Gewerkschaften und vier Vertreter der Jugendlichen angehören. Die Kommission gibt seit dem 30. Januar 1909 eine Zeitung für die Arbeiterjugend „Die Arbeiter-Jugend" heraus. Für die Einzelarbeit werden örtliche Jugendkommissionen eingerichtet, die von den Gewerkschaftskartellen in Verbindung mit den örtlichen Parteiorganisationen eingesetzt werden. Die Generalkommission schärft in ihrem Berichte für das J a h r 1908 den Gewerkschaftsmitgliedern nachdrücklich ein, „diesem Tätigkeitsgebiete die größte Aufmerksamkeit zu schenken", damit bald das nachgeholt werde, was hierin seitens der Arbeiterbewegung versäumt worden sei. In ihrem Bericht für das J a h r 1912 kann sie davon sprechen, daß die proletarische Jugendbewegung fortschreitend sich gut entwickele, „Die Arbeiter-Jugend" habe ihre Abonnenten auf 90 000 vermehrt (inzwischen ist das erste Hunderttausend bereits erreicht), Jugendausschüsse seien nunmehr in 637 Orten vorhanden, im Jahre 1912 seien 10 Flugblätter der Zentralstelle in rund 70 000 Exemplaren abgesetzt worden, von dem Jugendliederbuche habe man 22 000 Exemplare verkauft, von der bekannten Schrift L a m s z u s „Das Menschenschlachthaus" habe die



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Zentralstelle eine billige aber ungekürzte Volksausgabe herstellen lassen, von der 20 000 Exemplare zum Preise von 30 Pfg. das Stück verkauft worden seien etc. Die Frage ist nur die, ob die geistige Anregung und Bildung, die die Jugend in diesen Organisationen erhält, geeignet ist, gerade für die nüchterne Arbeit der Gewerkschaften vorzubilden, ob der entfachte Enthusiasmus der Jugendlichen nicht in weit größerem Maße dem Radikalismus der politischen Partei zugute kommt. ^ Wenn z. B. der Jugendliche den begeisternden Appell auf sich wirken läßt, der ihn im offiziellen Kalender der Zentralstelle für die arbeitende Jugend pro 1914 x ) auffordert: „Festigen wir uns in der Gewißheit, daß der Sieg des Sozialismus unaufhaltbar ist . . . Du sollst die Begeisterung, die dich erfüllt, deinen Jugendgenossen und -genossinnen mitteilen . . . Wenn so jeder auf seinem Posten seine Schuldigkeit tut, wird und muß es mit R i e s e n s c h r i t t e n vorwärts gehen, der Sonne der Freiheit entgegen, in ein Land ohne Not, in das Zukunftsreich des Völkerfriedens und des Völkerglücks!"

— wenn der Jugendliche diesen Appell auf sich wirken läßt, dann mag ihm gar leicht die ruhige Gewerkschaftsarbeit als unnützer Umweg erscheinen, zumal ihm kurz vorher auf die Frage: Wie werden wir unsere Ideale verwirklichen? die bestimmte Antwort zuteil wurde: „Indem wir zunächst die politische Macht erobern." Übrigens haben einige der größeren freien Gewerkschaften auch ihrerseits noch besondere Jugendabteilungen eingerichtet, der Metallarbeiterverband hatte nach seinem letzten Jahresberichte im Jahre 1911 18. Überall war ein besonderer, für die Gewinnung der jugendlichen Arbeiter und Lehrlinge geeigneter Kollege als Vertrauensmann aufgestellt worden, dem die jungen Leute unterstellt waren. Aber derartige besondere Einrichtungen der Gewerkschaften sind Ausnahmeerscheinungen. Für die Vollmitglieder der Verbände veranstalten die Gewerkschaften regelmäßige Versammlungen und Sitzungen der Ortsverwaltungen und Bezirksleitungen, die als das 1) Jungvolk: „Was ist's mit dem Sozialismus?" jungen Freund von W. Riepekohl, S. 61. A . W e b e r , Lohnbewegungen.

Briefe an einen 4



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nachhaltigste Mittel zwecks Aufklärung und gewerkschaftlicher Erziehung der Mitglieder zu gelten haben. Der Metallarbeiterverband veranstaltete im Jahre 1912 nicht weniger als 92 347 derartige Versammlungen. Während diese Versammlungen vorzugsweise zur Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten und zur Vorbereitung und Durchführung von Lohnbewegungen dienen, sind andere Einrichtungen der Gewerkschaften der eigentlichen Fortbildung der Mitglieder gewidmet. Der Dresdener Gewerkschaftskongreß (im Jahre 1911) hatte den Zentralverbänden die Aufgabe gestellt, für die Fortbildung ihrer Mitglieder zu sorgen, „ihnen Kenntnisse zu vermitteln, die geeignet sind, sie als Menschen zu heben und als kämpfende Arbeiter in ihrem Kampfe zu unterstützen." Um das zu erreichen, wird den Gewerkschaften die Beteiligung an den örtlichen Bildungsausschüssen, die Veranstaltung eigener Vortragskurse, die Pflege des Bibliothekwesens dringend empfohlen. Im Sinne dieses Beschlusses haben die Gewerkschaften sich bemüht, u. a. den Mitgliedern allgemein bildende Lichtbildervorträge aus dem Gebiete der Naturwissenschaft, der Länder- und Völkerkunde sowie aus dem Gebiete der Technik zu veranstalten. Der so in den Dienst der Gewerkschaften gestellte Anschauungsunterricht kann auch recht wohl den speziellen Fachinteressen dienstbar gemacht werden. So richtete der Metallarbeiterverband beispielsweise Lichtbildervorträge ein über „die deutsche Eisen- und Stahlindustrie, ihre Entwickelung und ihre Arbeiter". An diesen Vorträgen, die bis Ende 1912 an 448 Orten stattfanden, nahmen 118110 Besucher teil. Neben das gesprochene Wort tritt die indirekte, aber besonders wesentliche Einwirkung auf die Mitglieder der Gewerkschaften und solche, die es werden wollen, durch Druckerzeugnisse. Wenden wir auch hier unsere Aufmerksamkeit dem größten gewerkschaftlichen Zentralverbande, dem Deutschen Metallarbeiterverbande, zu, so kann man auf Grund seines letzten Jahresberichtes feststellen, daß in dem einen Jahre rund eine Million Flugblätter verteilt wurden, außerdem wurden aber von den Verwaltungsstellen eine Reihe größerer Untersuchungen veranstaltet, die auch



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für die wissenschaftliche Bearbeitung erhebliches Interesse beanspruchen, so z. B. Darstellungen über „Die Schwereisenindustrie im deutschen Zollgebiet, ihre Entwickelung und ihre Arbeiter", „Die Arbeitsverhältnisse der Graveure und Ziseleure", „Die Arbeitsverhältnisse der Eisen-, Metall-, Möbel-, Werkzeug-, Revolver- und Automatendreher Deutschlands", „Die Arbeitsverhältnisse der in den Zigarettenfabriken beschäftigten Maschinenführer", „Die Tarifverträge im Heizungsgewerbe". Ähnliche Untersuchungen, die sich meist auf ein ausgedehntes statistisches Material stützen, gaben fast alle Gewerkschaften heraus; sie werden in der Regel den Bibliotheken und den Beamten der Gewerkschaft unentgeltlich, den Mitgliedern zum Selbstkostenpreise überlassen. Das wichtigste Druckerzeugnis für die Gewerkschaften aber ist die Gewerkschaftspresse. Jeder Verband hat sein Zentralorgan, das durch Beiblätter unterhaltenden und belehrenden Inhalts ergänzt wird. So weit es erforderlich ist, werden auch besondere Zeitschriften für die ausländischen Mitglieder des Verbandes, die in Deutschland arbeiten, ausgegeben. So verbreitete z. B. der Deutsche Bauarbeiterverband fremdsprachige Zeitungen für die Italiener, für die Polen, für die Tschechen und für die Holländer. In einer kleinen Werbeschrift, die der Deutsche Holzarbeiterverband jüngst herausgegeben hat, wird das Verbandsorgan das wichtigste Mittel zur Belehrung und Aufklärung der Mitglieder genannt, das geistige Band, das die Mitglieder, die sich persönlich nicht kennen, zusammenbindet. „Das Verbandsorgan ist eine Stätte allgemeiner Aufklärung, wo die besten Gelehrten und Volkswirtschaftler ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Es ist aber auch eine Tummelstätte für die Meinungsäußerungen der Mitglieder, ein Sprechsaal, in dem jeder seine Anregungen und Wünsche zu Gehör bringen kann." Manche Gewerkschaftsorgane lassen sich die fachtechnische Ausbildung ihrer Mitglieder besonders angelegen sein. Es ist üblich geworden, daß zu dem Zweck besondere Fachblätter herausgegeben werden. Mustergültiges leisteten nach dieser Richtung namentlich die Holzarbeiter. Inzwischen haben aber auch die Gärtner, die Sattler, die

— 52 — Steinsetzer, die Schneider, die Textilarbeiter Zeitschriften für die Fortbildung ihrer Mitglieder herausgegeben. Interessant ist es, wie die Gewerkschaften die besondere Pflege der Fachbildung zu begründen versuchen. Als jüngst der Textilarbeiterverband seinen Mitgliedern bekannt machte, daß er nunmehr auch seinerseits eine fachtechnische Zeitschrift „Die Textilpraxis" den Mitgliedern zur Pflege der gewerblichen Bildung bieten wolle, bemerkte dazu „Dar Textilarbeiter" : „Eine Orientierung auf dem fachtechnischen Gebiete ist aber bei der rastlosen Tätigkeit der Technik für alle Arbeiter und Arbeiterinnen, die vorwärts kommen wollen, unbedingt nötig. .Wissen ist Macht, auch auf dem Gebiete der fachtechnischen Berufsfragen. E i n f a c h t e c h n i s c h gut b e w a n d e r t e r A r b e i t e r hat gegenü b e r dem U n t e r n e h m e r e i n e n w e i t s i c h e r e r e n Boden u n t e r d e n F ü ß e n wie ein Arbeiter, der von jeder ungelernten Arbeitskraft ersetzt werden kann. ,Die Geraer W e b e r muß man anfassen wie ein rohes Ei', hat kürzlich der Geraer Textilfabrikant Focke gesagt. In diesen W o r t e n ist ein Körnchen Wahrheit, wenn es auch nur zum Vorschein gekommen sein mag aus Ärger, daß die Geraer Textilfabrikanten nicht mit ihren Webern umspringen können wie ostelbische Junker mit ihren Pferdeknechten. Wiederum aber müssen die Geraer Textilfabrikanten ihre W e b e r anständig behandeln, weil es h o c h q u a l i f i z i e r t e Arbeiter sind."

Die Unterhaltung der Bibliotheken und Lesezimmer ist in neuerer Zeit immer mehr den Gewerkschaftskartellen anvertraut worden zwecks Zentralisation dieser Einrichtungen. Von den Gewerkschaftskartellen waren im Jahre 1905 252 und im Jahre 1912 581 gemeinsame Bibliotheken eingerichtet worden. Außerdem unterhielten sie im Jahre 1905 39 Lesezimmer und im Jahre 1912 98. Die Aufwendungen der einzelnen Gewerkschaften für Bildungszwecke sind nicht unerheblich. Die Metallarbeiter wandten 1912 577 887 Mk. diesen Bildungseinrichtungen zu, davon entfielen allerdings 398 000 Mk., also der weitaus größte Teil, auf das Zentralorgan. Pro Kopf der Mitglieder wurde von diesem Verbände 1,07 Mk. für Bildungszwecke ausgegeben (darunter 0,74 Mk. für die Zeitung). Für Streikunterstützung mußten 6,40 Mk. pro Kopf der Mitglieder aufgewandt werden und 1) Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands 1913, S. 763.



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für die Verwaltung 5,23 Mk. Die sämtlichen freien Gewerkschaften gaben 1912 aus für: Verbandsorgane 2 604 411 Mk. Sonstige Zeitungen 92 256 „ Bibliotheken 322 913 „ Unterrichtskurse und Bildungszwecke 56 099 „ Statistiken 145 232 „ Im gleichen Jahre gaben die christlichen Gewerkschaften aus für: Verbandsorgane 549 973 Mk. Bibliotheken u. sonstige Bildungszwecke 133 267 „ Nicht unerwähnt darf bleiben, daß seit August 1906 die Generalkommission der freien Gewerkschaften für die Gewerkschaftsfunktionäre besondere Kurse veranstaltet, die in den letzten Jahren in der Regel sechs Wochen dauerten. Der,Lehrplan umfaßt: Geschichte und Theorie der deutschen Gewerkschaftsbewegung, die gegnerischen Gewerkschaften in Deutschland, die Gewerkschaftsbewegung im Auslande, die Versicherungsgesetzgebung, Arbeiter schütz, gewerblicher Arbeitsvertrag, Nationalökonomie, Kartelle und Unternehmervereinigungen, Einführung in die Statistik, gewerkschaftliche Literatur, Bankwesen und Geldverkehr, Strafrecht und Gewerbehygiene. Als Lehrer fungieren hervorragende Führer der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften, so u. a. Bernstein, Calwer, Heinemann, Katzenstein, Legien, Sassenbach, Schippel, Schmidt, Umbreit. Zu den einzelnen Gewerkschaftskursen werden bis zu 72 Teilnehmer zugelassen. Diese Maximalzahl wurde in der Regel aber bei den Kursen nicht erreicht. Die Gewerkschaftsbeamten, die an dem Kurse teilnehmen, erhalten Tagesdiäten aus der Kasse der Generalkommission, die verauslagten Beträge werden dann von den Verbänden, denen die Kursisten angehören, zurückerstattet. Seit dem Herbst 1910 werden jedem Kursusteilnehmer zum Ankauf von Büchern 40 Mk. zur Verfügung gestellt. Ich habe mit Absicht die Bestrebungen der Gewerkschaften zwecks Fortbildung ihrer Mitglieder etwas eingehender geschildert; es ist unverkennbar, daß sie sich ernstlich bemühen, auch nach dieser Richtung hin möglichst



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intensiv zu arbeiten. 1907 meinte Prof. F r a n c k e 1 ) , der Redakteur der Sozialen Praxis, in einem Gutachten, das er für den Deutschen Volkswirtschaftlichen Verband erstattete: „Was den meisten Arbeiterbeamten fehlt, ist der Einblick in den Zusammenhang der sozialen und wirtschaftlichen Dinge und Ereignisse. Die Einseitigkeit ihres Wissens und Könnens vermag die Stoßkraft bei manchen Fällen zu erhöhen, aber sie führt häufig genug in Sackgassen und vor unüberwindliche Mauern, woran die Interessen der Vereine zu schwerem Schaden kommen können." Francke meint dann allerdings weiterhin, daß die von den Verbänden eingerichteten Kurse geeignet seien, die Lücken der Arbeiterbildung auszufüllen. Demgegenüber wäre zunächst darauf hinzuweisen, daß auch ein sechswöchentlicher Kursus kaum genügen wird, die wünschenswerten Kenntnisse und Einsichten zu vermitteln, selbst dann, wenn dieser Kursus allen Gewerkschaftsbeamten zugängig wäre. Tatsächlich hat aber nur ein kleiner Prozentsatz der Gewerkschaftsbeamten die Möglichkeit, daran teilzunehmen. Weit wichtiger ist es aber, daß der Gewerkschaftsbeamte auch später in der Praxis Zeit findet, sich fortlaufend über die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge und neuen volkswirtschaftlichen Erkenntnisse ein selbständiges Urteil zu bilden, u n d n a m e n t l i c h , d a ß d i e G e werkschaftsmitglieder genügend geschult s i n d , um d e n e i n s i c h t i g e n G e w e r k s c h a f t s f ü h r e r n zu f o l g e n . Es ist sicher, daß es sich bei den Gefahren, die den dauernden materiellen Erfolgen der Gewerkschaftsdemokratie drohen, um Schwierigkeiten handelt, denen gegenüber die anderen gewerkschaftlichen Schwierigkeiten, denen man durch Statuten und Reglements, durch Organisation und Bureaus beizukommen versucht, geradezu Kinderspiel sind. Damit die sehr verwickelten volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, um die es sich hier handelt, richtig erkannt werden, und damit der richtigen Erkenntnis entsprechend auch richtig gehandelt wird, bedarf es starker 1) Die Vorbildung für den Beruf der volkswirtschaftlichen Fachbeamten, 1907, S. 129.



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und eigenartiger q u a l i t a t i v e r Fortschritte der Gewerkschaftsdemokratie, namentlich wird man von den Mitgliedern in immer größerem Umfange Einsicht und Disziplin verlangen müssen. Unglücklicherweise sind nun aber sehr beachtenswerte Anzeichen dafür vorhanden, daß mit dem quantitativen Anwachsen der Gewerkschaftsbewegung die qualitative Stärke nach dieser Richtung hin nicht entsprechend zunimmt. Ein sehr großer Teil der Gewerkschaftsmitglieder, in manchen Organisationen die starke Majorität, besteht nur aus Gelegenheitsgästen; namentlich dann, wenn eine Lohnbewegung im Anzüge ist, „kommen die Massen, um sich schleunigst noch das Recht auf Streikunterstützung zu sichern" 1 ), um dann einige Zeit nach dem Streik wieder zu verschwinden. In dem letzten Jahrbuche der Kölner Gewerkschaften wird darüber geklagt, daß viele von den Kollegen „die Organisation lediglich als Durchgangsstation betrachteten, der anzugehören sie nur so lange für notwendig erachteten, als sie unter strenger Kontrolle standen" 2 ). Bei dem stärksten Verbände, dem Metallarbeiterverbande, ergaben die Verhältniszahlen der Mitgliederbewegung in den Jahren 1903 bis 1912 folgendes Bild. Vom Zugange des Jahres gingen im gleichen Jahre wieder ab: 1903 1904 1905 1906 1907 69,97% 65,40% 59,34% 59,79% 83,09% 1908 1909 1910 1911 1912 100,12% 90,13% 56,65% 75,49% 78,41 % Die Folge ist, daß die Zahl der Mitglieder, die längere Zeit dem Verbände angehören, relativ gering ist. Von den Gewerkschaftlern, die Ende 1912 dem Deutschen Metallarbeiterverband angehörten, gehörten 52,55% noch keine drei Jahre dem Verbände an. Das alles gibt um so mehr zu denken, weil die jugendlichen Elemente unter 30 Jahren durchweg in den Gewerkschaften die starke Majorität für sich haben. Unter 30 Jahren waren beispielsweise beim Metallarbeiterverband im Jahre 1912 57,97% der Mitglie1} V. E l m , Koir.-Blatt 1911, S. 138. 2) S. 77.



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der. Aber auch der treue Stamm derer, die in guten und bösen Zeiten zu ihrer Gewerkschaft halten, die Versammlungen regelmäßig besuchen, die Bibliotheken benutzen, an den Vortragskursen teilnehmen, ist heute qualitativ nicht mehr das, was er früher war. Dem Großstadtmilieu, in dem die Arbeiterbewegung ihre stärksten Wurzeln hat, stellte gelegentlich der Arbeiterführer v. E 1 m das Zeugnis aus, daß „in ihm die Macht der Phrase allen, von den Spitzen bis zum kleinsten Schusterjungen, Gemeineigentum" geworden sei. Dabei ist daran zu erinnern, daß die große Mehrzahl der Zentralorgane der sozialistischen Gewerkschaften in Berlin erscheint. Noch beachtenswerter scheint mir die Erwägung zu sein, daß das, was man vielleicht die qualitative Schwäche der Gewerkschaftsbewegung nennen kann, in der äußeren Erstarkung der Arbeiterbewegung wurzelt, „Wie oft schon hörte ich die wehmütige Klage" — meinte ganz kürzlich ein Gewerkschaftsführer — : „Ich komme zu nichts mehr vor lauter Sitzungen und nochmals Sitzungen, kaum recht zum Zeitunglesen" 1 ). Mit dem steigenden Umfange der Arbeiterbewegung, der wachsenden Beteiligung der Arbeiter an allen Zweigen des öffentlichen Lebens, mit der fortschreitenden Entwickelung sozialer Institutionen, die unter unmittelbarer Mitwirkung der Arbeiter verwaltet werden, verbindet sich, muß sich verbinden eine Zersplitterung der Geisteskräfte unserer Arbeiterschaft, die dem ruhigen Überlegen über die Erfolgsmöglichkeiten der Gewerkschaftsdemokratie nicht günstig sein kann. Auch muß in Rechnung gezogen werden, daß naturgemäß die geistige Energie einer Bewegung mit dem Nachlassen der äußerlich sichtbaren Schwierigkeiten abnimmt. Die „Märtyrer" einer Bewegung waren stets deren erfolgreichste und opferwilligste Agitatoren. Eine zahlenmäßige Illustration der hier berührten Tendenzen scheint mir die Statistik der Arbeiterbibliotheken zu bieten. Sie zeigt mit überraschender Übereinstimmung eine starke relative Abnahme der Entleihungen der Bücher, 1) Sozialistische Monatshefte 1912, S. 981.



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deren Lektüre mit geistiger Anstrengung verbunden ist, wobei wiederum eine besonders starke relative Abnahme der Entleihungen von Büchern aus dem Gebiete der Sozialwissenschaften, der Gewerkschaftsbewegung und dergl. zu konstatieren ist. In den Sozialistischen Monatsheften hat J. K 1 i c h e statistisch festzustellen versucht, welche Bücher in den Arbeiterbibliotheken verschiedener Städte und Gewerkschaftsorganisationen gelesen zu werden pflegen. Seine Übersicht ergibt als Resultat, daß die Mehrzahl der Benutzer sehr viel mehr Neigung zeigt zu den rein literarischen Werken als zu den wissenschaftlichen und belehrenden. Diese Ergebnisse sind später in derselben Zeitschrift nachdrücklich unterstrichen worden durch eine Untersuchung von Wilhelm N i t s c h k e 2 ) . Ihm dient als Grundlage die seit 20 Jahren gewissenhaft fortgeführten Aufzeichnungen der Zahlstellenbibliothek des Holzarbeiterverbandes in Berlin. Daraus ergibt sich, daß von je 100 Bücherentleihungen auf die Gruppe Sozialwissenschaft und Arbeiterbewegung entfielen: 1891

22,7%

1903

4,2°/0

1892

24,3%

1910

2 , 4 o/0

1893

19,4%

1911

2,2%

Die entsprechenden Ziffern dagegen für Romane, Erzählungen und Novellen waren: 1891

14,6

%

1903

1892

13,5%

1910

71,5

%

1893

22,7%

1911

70,4

%

51,3%

Was Nitschke hier für eine Bibliothek feststellt, wobei er betont, daß die Berliner Holzarbeiter intellektuell eine Mittelschicht unter der organisierten Arbeiterschaft darstellen, läßt sich in ganz ähnlicher Weise für die Arbeiterbibliotheken überhaupt feststellen. Aus den Berichten der Arbeitersekretariate seien hier folgende Ziffern zusammengestellt: 1) 1911, S. 315 ff. 2) Sozialistische Monatshefte 1913, Seite 366.



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Büchercntleihungen in A u g s b u r g :

Jahr:

Total:

Davon Sozialwissenschaft und Nationalökonomie absolut in %

1909 1996 169 8,5% 1910 3309 244 7,4% 1911 4177 197 4,7% 1912 9733 191 2,0% B r e m e r h a v e n und Umgegend:

Jahr:

1908 1909 1910 1912 Jahr:

1907 1908 1910 1911 Jahr:

1907 1908 1909 1911 1912 Jahr:

Entleihungen überhaupt

Davon: Unterhaltende Literatur

5395 6504 8288 9680 B o c h u m und Total: ~

Belehrende Literatur

65% 78% 80% 81% Umgegend:

Davon Volkswirtschaft, Sozialwissenschaft, Sozialismus, Gewerkschaftsbewgung

3904 463 = 5115 612 = 4691 449 = 3574 182 = Bücherentleihungen in E r f u r t : Total:

35% 22% 20% 19%

11,9% 12,0% 9,6% 5,1%

Davon Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung

8842 674 = 7,6% 9446 656 = 9,0% 8043 501 = 6,2% 10132 486 = 4,8% 9509 418 = 4,4% Bücherentleihungen in N ü r n b e r g : Total:

Davon: Sozialwissenschaft und Volkswirtschaft

1909 15189 908 = 6,0% 1911 17 843 839 = 4,7% 1912 19 878 864 = 4,6% Besonders nachdrückliche Aufmerksamkeit scheint das Gewerkschaftskartell Hannover-Linden dem Arbeiterbildungswesen zuzuwenden. Es erreichte, daß die Bücherentleihungen nach der 1910 erfolgten Zentralisation sich steigerte von ca. 15 000 Büchern bei 18 Bibliotheken auf



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48 435 Bücher im Jahre 1911 bei der Zentralbibliothek und auf 68,877 im Jahre 1912. Die Statistik über die Entleihungen der einzelnen Abteilungen, die ausdrücklich keineswegs befriedigend genannt wird, ergibt folgende Ziffern: Arbeiterfrage 1,44% Volkswirtschaft, Staats- u, Kommunalpolitik 0,60% Geschichte 4,95 % Erziehungs- und Bildungswesen, Philosophie und Religion 1,45% Naturwissenschaften 1,05 % Länder- und Völkerkunde 1,64% Gesundheitspflege 0,96 % Schöne Literatur 70,62% Technik (Fachliteratur) 1,56% Rechtskunde 0,18% Jugendschriften 12,00% Zeitschriften 3,52 % Der Bericht fügt dem folgendes hinzu *): „Dieses Ergebnis wird wohl auch an anderen Arbeiterbibliotheken festgestellt werden; trotz aller Bemühungen der Bibliotheksleitungen bleibt es immer nur ein kleiner Kreis, der Bücher zur politischen oder wissenschaftlichen Schulung benutzt, — mangelnde Zeit, Unlust nach langer, ermüdender Tagesarbeit und ungenügende Vorbildung beheben die Versuche, hierin Wandel zu schaffen."

Im einzelnen ergibt sich aus dem Berichte des Gewerkschaftskartells in Hannover, daß von den 112 wissenschaftlichen Zeitschriften, die die Bibliothek aufwies, im Jahre 1912 überhaupt nur 22 gelesen wurden, sodaß auf jede Zeitschrift nur 0,19 Entleihungen kamen. Selbst auf die vorhandenen Bücher über Sozialpolitik kamen nur 0,58 Entleihungen; volkswirtschaftliche Bücher wurden nur 99 mal verlangt, während die Literatur über Sozialismus und Sozialdemokratie charakteristischer Weise stärkeren Anreiz ausübte. 336 Bücher waren darin vorhanden, die im Ganzen 602 mal ausgeliehen wurden, sodaß durchschnittlich jedes Buch im Jahre 1912 zwei Entleiher fand. Was über Volksbibliotheken zu sagen ist, trifft in ganz ähnlicher Weise auch für die von den Gewerkschaftskartel1) S. 64.



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len und Einzelgewerkschaften eingerichteten Unterrichtskurse zu. Ein Vortragskursus, der von dem Leipziger Kartell für Gewerkschaftsfunktionäre 1912 abgehalten wurde und bei dem an jedem Vortragsabend festgestellt wurde, wer entschuldigt und wer unentschuldigt fehlte, begann mit 110 Personen, am letzten Vortragsabend waren aber nur noch 44 Teilnehmer anwesend. Der Bericht glaubt feststellen zu können, „daß nicht Interesselosigkeit, sondern anderweitige dringende Geschäfte die Gründe für das Fernbleiben bildeten". Über die Kurse, die in Hannover veranstaltet wurden, heißt es in dem Berichte des Kartells für 1912 x ): „Die Anteilnahme an den Kursen — welche der geistigen Vertiefung dienen —• befriedigt uns nicht. Es ist gewiß richtig, daß die gewerkschaftliche und politische Organisation mit ihrer vielseitigen funktionellen Tätigkeit außerordentlich umfangreich ist und viele Kräfte absorbiert. Darunter darf aber die geistige Fortbildung nicht leiden. Auch die Finanzierung der letzten beiden Kurse machte uns Schwierigkeiten; es waren nicht unerhebliche Zuschüsse erforderlich."

Der Verband der Bergarbeiter Deutschlands veranstaltete im Winter 1912/13 sechzig verschiedene Kurse, auf denen beliebte Redner die Themata erörterten: Geschichte des Verbandes, seine Aufgaben und Einrichtungen, internationale Gewerkschaftsbewegungen, die gegnerischen Gewerkschaften, die Taktik gegenüber den Unternehmern und den gegnerischen Gewerkschaften. An jedem Kursus nahmen im Durchschnitt 50 Arbeiter teil; der Jahresbericht des Verbandes bemerkt aber nun: „Es wäre nur zu wünschen gewesen, daß die Kameraden, welche an den Kursen teilnahmen, mehr Ausdauer an den Tag gelegt hätten; denn wenn von 3006 Teilnehmern nur 1158 oder 38,52°/0 an sämtlichen sechs Vorträgen teilnahmen, dann ist das kein besonders gutes Zeichen."

Später wird nochmals darüber geklagt, daß auch mancher belehrende Vortrag in den Mitgliederversammlungen nicht genügend wirksam war, „weil die Versammlungen sehr oft schlecht besucht wurden". Die Annahme, daß ein gewisser Ersatz geboten werden könne durch die sehr viel umfangreicher gewordene Arbeiterpresse, ist irrig, sind doch die Klagen gerade der Gell S. 73.



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wcrkschaftsführer fast allgemein, daß diese Presse ebenfalls infolge des stark gewachsenen Umfanges der Gesamtbewegung gezwungen sei, immer breiteren Raum den Tagesangelegenheiten zu widmen. Die Frage ferner, ob es nicht denkbar sei, daß die Arbeiter heute mehr Bücher k a u f t e n , beantwortet N i t s c h k e in dem oben erwähnten Artikel dahin, daß es keine Gründe gebe, die für eine solche Annahme sprechen könnten. Jeder ältere Genosse werde sich erinnern, wie gerade umgekehrt in den 90er Jahren eine ganz andere Schriftenpropaganda in der Partei getrieben wurde als jetzt, und auf der anderen Seite seien die Bibliotheken der Gewerkschaften und der Parteiorganisation so an Zahl und Größe gestiegen, daß die Arbeiter heute eine weit bequemere Gelegenheit zum Ausleihen von Büchern hätten als früher, sodaß sie viel weniger als früher auf den eigenen Besitz von Büchern angewiesen seien. Geklagt wird endlich in den Gewerkschaften in immer steigendem Maße über den schlechten Versammlungsbesuch. Im Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands meinte ein Gewerkschaftsführer, daß man nach seinen Erfahrungen „zu viel sagen würde", wenn man die Zahl der Versammlungsbesucher auf */4 der Gesamtheit der organisierten Arbeiter schätze. Viel größer als der Kreis der Versammlungsbesucher sei aber auch der Leserkreis der Gewerkschaftspresse nicht. Wiederholt haben die Organisationen versucht, namentlich den Versammlungbesuch zu heben. So war z. B. auf der letzten Generalversammlung des Kürschnerverbandes 2 ) der Antrag gestellt worden von der Filiale Hamburg, daß Mitglieder, welche in einem Kalendervierteljahre keine Filialversammlung ohne genügende Entschuldigung besucht hätten, für das nächste Vierteljahr nicht unterstützungsberechtigt sein sollten. Hier wie so häufig ergab sich aber bei der Erörterung, daß mit derartigen Zwangsmaßnahmen die Lauigkeit nicht beseitigt werden kann. Hat sich nun aber das tiefergehende Gewerkschafts1) 1912 S. 186. 2) Protokoll des 4. Verbandstages 1912, S. 228.



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interesse der organisierten Arbeiter relativ nicht nur nicht gehoben, sondern sogar vermindert, und ist es andererseits wahr, daß dauernde materielle Erfolge der Gewerkschaftsdemokratie abhängig sind von der Lösung sehr komplizierter Probleme, dann ist die Annahme, daß die Gewerkschaftsdemokratie durch Majoritätsbeschlüsse zu Erfolgen bei den Lohnbewegungen geführt werden könne, unhaltbar. Von der Respektierung einer Aristokratie in den Gewerkschaftsorganisationen wird und muß aber der Erfolg der Lohnbewegungen für die Arbeiterschaft, soweit überhaupt davon die Rede sein kann, abhängig sein 1 ). Hier ist der Punkt, wo die Frage von entscheidender Bedeutung wird, wie sich die Masse der Gewerkschaftsmitglieder zu ihren Führern stellt. Darüber, daß die Massenpsyche ihre besondere Eigenart hat, hat man sich erst in letzter Zeit etwas genauer Rechenschaft abgelegt. Da, wo sich die Massen um einen beliebten Führer gruppieren, oder da, wo sie mit gleichem Sinne den neuesten Leitartikel ihres Parteiblattes lesen, da sind sie so ganz ein Herz und eine Seele, daß der Einzelne sich selbst untreu wird; er wird dienendes Glied der Masse, das Denken wird durch die Leidenschaft verdrängt. Der Volksredner versteht daher sein Geschäft schlecht, der mit den Regeln strenger Logik sein Publikum für seine Pläne begeistern will. Ein hervorragender englischer Publizist, W a l l i s , schilderte jüngst, wie der politische Neuling, wenn er frisch von seinen Büchern zum Rednerpult komme, zunächst seine Rede vorbereite in der Überzeugung,, daß er die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung möglichst klar machen müsse. Aber schon bald werde ihn sein Fiasko lehren, daß er sich nur von solchen Ideen Erfolg versprechen dürfe, die so einfach und schlagend wie möglich den halbbewußten Erinnerungen, Sympathien und Antipathien viel beschäftigter Menschen angepaßt seien, m. a. W.: Dann, wenn man die Masse nicht führt, sondern sich von ihr führen 1) Es ist durchaus richtig, was der Demokrat Gustaf F. Steffen in seiner Schrift: „Das Problem der Demokratie" (Jena 1912, S. 101) sagt: „ E i n in d e r T i e f e w u r z e l n d e r A r i s t o k r a t i s m u s i s t d a s S a l z d e s l e b e n s k r ä f t i g e n D e m o k r a t i s m u s."

— 63 — läßt, wird man den größten, freilich auch billigsten Volksführererfolg erwarten dürfen. Routine und Geschick sind mithin in erster Linie erforderlich, wenn man auf die Massen Einfluß ausüben will. Da schließlich alles ankommt auf die „Kunst der Impulsbeherrschung", könnte diese „Kunst" ebenso wie an dem Rednerpult der politischen Partei auf der Bühne irgend eines Variete-Theaters als Nummer nach einem Jongleur oder Zauberkünstler vorgetragen werden, wenn nicht zum Erfolg gehörte eben die Überzeugung des Publikums, daß das, was der Volksführer bietet, mehr ist als bloße Kunst. Allerdings ist es dem geschickten Demagogen nicht schwer, der Masse diese Überzeugung beizubringen, da die Einbildungskraft der Massen so viel mächtiger, so viel leichter beeinflußbar ist als diejenige jedes einzelnen außerhalb der Massensuggestion stehenden Menschen. Leicht ist es, dem überzeugten Parteimann einzureden, daß seine Führer die besten und edelsten und klügsten Menschen der Welt sind, leicht ist das namentlich deshalb, weil die Parteipresse es für ihre selbstverständliche Pflicht hält, dem anerkannten Führer den Weg zu immer größerem Volksruhm zu bahnen, und je weniger das individuelle Denken der einzelnen in der Masse geschult ist, um so erfolgreicher wird die Presse in dieser Richtung hin sein. „In Deutschland kann man beobachten", meinte Robert M i c h e l s 1 ) , „daß die anonymen Artikel und Polemiken des Zentralorgans (Vorwärts', zumal bei den Parteimassen in den preußischen Provinzen, als eine Art fortlaufende heilige Schrift gewertet werden." Die große Einbildungskraft der Masse macht es nun aber nicht blos möglich, den Führernimbus bis zur Gottähnlichkeit zu steigern, sie gibt zugleich auch den Führern die Masse in die Hand, wo Unmögliches angestrebt wird. Die Masse nimmt sich keine Zeit, über die Schwierigkeiten des Unternehmens nachzudenken, sie will kein Wenn und kein Aber hören 2 ). J e entschiedener der Führer auftritt, um so 1) In seiner prächtigen Darstellung „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie", 1911, S. 158. 2) Die mit den gröbsten Effektmitteln vorgetragene Rede des An-



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eher darf er bei den Massen auf Erfolg rechnen; je radikaler die Forderungen, um so heldenhafter erscheint der Führer. Die sich aus der Massenpsyche ergebenden Schwierigkeiten für den Gewerkschaftsführer werden noch verschärft durch die Eigenart der größten Gruppe unserer Gewerkschaften, der freien Gewerkschaften; sie sind aufs engste verbunden mit der Sozialdemokratie. Die Verkoppelung aber einer Organisation, die ihrem Wesen nach die Reparatur der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung will, mit einer Organisation, als deren Lebenselement die Vernichtung dieser Wirtschaftsordnung gilt, muß immer wieder zu harten Schwierigkeiten führen. Die denkenden Gewerkschaftsführer sind sich über diese Sachlage nicht im Unklaren. In einem Vortrage, den v. E l m im November 1910 in Hamburg über „Massen und Führer" hielt, führte er u, a. aus *): „Bei uns in Deutschland ist die Sache (das Führerproblem) deswegen besonders schwierig, weil politische und gewerkschaftliche Bewegung so eng mit einander verbunden sind, daß die Arbeiter aus D i s k u s s i o n e n auf politischem G e b i e t e ohne weiteres die Nutzanwendung auf g e w e r k s c h a f t l i c h e Vorgänge ziehen." v. Elm forderte stärkere Disziplin der gewerkschaftlichen Masse gegenüber den Anordnungen und Einsichten der Gewerkschaftsführer. Das Korrespondenzblatt der Generalkommission nannte die betreffende Rede v. Elms „sehr beachtenswert". Aber auf den Plakatsäulen der Stadt Hamburg erschien alsbald, von der sozialdemokratischen Parteileitung veranlaßt, die Einladung zu einer öffentlichen Versammlung mit dem Thema: „Sind die Massen eine Hammelherde oder nicht?" Mögen die Gewerkschaftsführer auch noch so tief eingedrungen sein in die tonius an der Leiche Casars versetzte die Römer in einen solchen Taumel, daß sie einen Volkstribun namens C. Helvetius Cinna zerrissen, nur weil er zufällig denselben Namen hatte wie der Prätor L, Cornelius Cinna, der öffentlich die Mörder Casars gepriesen hatte. Das Volk verübte diese Untat nach den Mitteilungen Appians, ohne ein Wort davon hören zu wollen, daß die beiden Cinna nur den Namen gemeinsam hatten. Vgl. Christensen, Politik und Massenmoral, 1912, S. 37. 1) Korr.-Blatt 1911 S. 6.

— 65 — Zusammenhänge der Sozialpsychologie und noch so nachdrucksvoll ihre Einsichten den Massen vermittelt haben, diejenigen, die durch dieses Plakat an die Eigenliebe des großen Haufens appellierten, haben schon durch die Art der Fragestellung gezeigt, daß sie Virtuosen sind in der Behandlung der Massenseele, sie können daher auch mit viel größerer Wahrscheinlichkeit auf den endgültigen Sieg den Massen gegenüber rechnen *). Die sich aus dem Gegensatz zwischen Partei und Gewerkschaft ergebenden Schwierigkeiten zeigen sich in der Praxis immer wieder. Hier nur ein Beispiel aus dem Jahresberichte des Metallarbeiterverbandes für 1912 2 ). Es heißt darin mit Rücksicht auf ein besonderes Vorkommnis in Göppingen: „Stets und ständig wurde bei allen möglichen Gelegenheiten durch die .radikale Seite' den Arbeitern eine Macht vorgegaukelt, die sie zur Zeit noch lange nicht haben, und mußten bei Bewegungen die Funktionäre einer Organisation dann den wirklichen Sachverhältnissen Rechnung tragen, dann waren sie die .Revisionisten', die .Bremser', die nur zu feige waren, dem Klassenstaat die Zähne zu zeigen. Diese Ansichten wurden schriftlich und mündlich den Arbeitern bei allen möglichen passenden und unpassenden Gelegenheiten imputiert, und es ist begreiflich, daß es da Kontroversen unliebsamer Natur gab, die sich täglich fühlbar machten."

Dem sozialdemokratischen Parteiführer mag es genug sein, wenn er den Massen schmeichelt, ihnen die Überzeugung beibringt, daß sie selbst ihres Glückes Schmied sein können; mit Schlagworten ähnlich dem Marx'schen Satze: „Die Arbeiter haben nichts zu verlieren als ihre Ketten", mag er schon die Massen zu großen Taten begeistern, zu Taten, deren größte doch vorläufig nur die ist, den richtigen 1) Es darf übrigens nicht übersehen werden, daß die Verbindung zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie es wesentlich erleichterte, daß über den Branchenegoismus hinweg große Industrieverbände zustande kamen, in denen der Gegensatz zwischen gelernten und ungelernten Arbeitern zwar nicht beseitigt ist, aber doch weit weniger zum Ausdruck kommt, als dies bei der englischen Gewerkschaftsbewegung der Fall ist. Die gemeinsame Weltanschauung hat wirtschaftliche Gegensätze wenigstens teilweise überbrückt, ähnliches ist bei unseren christlichen Gewerkschaften der Fall. 2) S. 129. 5



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Stimmzettel a b z u g e b e n 1 ) . G a n z anders beim Gewerks c h a f t s f ü h r e r : E r m u ß d e r M a n n d e s W e n n u n d A b e r sein, m u ß ihnen i m m e r w i e d e r p r e d i g e n , d a ß d i e M a s s e d e r M i n o r i t ä t d e r E i n s i c h t s v o l l e n zu f o l g e n h a t , j a er m u ß b l i n d e n G e h o r s a m manchmal von der M a j o r i t ä t verlangen, denn wie bei j e d e m K a m p f e , ist e s a u c h b e i m G e w e r k s c h a f t s k a m p f e erforderlich, daß die K a m p f v o r b e r e i t u n g e n , die E r w ä g u n g e n f ü r d e n K a m p f a b b r u c h in i h r e n E i n z e l h e i t e n d e n G e g n e r n nicht b e k a n n t w e r d e n . D a s ist a b e r n u r d a n n g e s i c h e r t , w e n n d i e H a u p t ü b e r l e g u n g e n in k l e i n e m K r e i s e hinter v e r s c h l o s s e n e n T ü r e n e r f o l g e n . S o ist i n s b e s o n d e r e a u c h g a r nichts A u f f ä l l i g e s a n d e n b e k a n n t e n K l a g e n d e r G e w e r k s c h a f t s f ü h r e r , d a ß d i e s o z i a l d e m o k r a t i s c h e P a r t e i p r e s s e die grundsätzlichen F r a g e n der G e w e r k s c h a f t s b e w e g u n g von e i n e m S t a n d p u n k t b e h a n d e l e , d e r sich m a n c h m a l mit d e n r e e l l e n B e d ü r f n i s s e n d e r B e w e g u n g g a r nicht v e r e i n b a r e n l a s s e . D i e S c h w i e r i g k e i t e n s t e i g e r n sich n o c h d a d u r c h , d a ß d i e Z u s a m m e n s e t z u n g d e r F ü h r e r s c h a f t in d e r P a r t e i u n d 1) Die Dinge würden allerdings wesentlich anders liegen, wenn die Sozialdemokratie als Massenbewegung sich einer Anschauung anpassen würde, die Gerhard Hildebrand in einem Aufsatze über „Die Entfaltung der Produktivkräfte als Angelpunkt sozialdemokratischer Politik" zu der seinigen macht. Da heißt es u. a.: „Was bleibt unter diesen Umständen vom traditionellen Programm der Arbeiterbewegung, oder, konkreter gesprochen, der deutschen Sozialdemokratie noch übrig? Ich würde keinerlei Wissens- und Gewissensbedenken haben, darauf zu antworten: alles Wesentliche, nämlich a l l e s a u f d i e E n t f a l t u n g d e r P r o d u k t i v k r ä f t e G e r i c h t e te. Denn es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß von dem gemeinsamen Ausgangspunkt aus die Entwickelung der Produktivkräfte das Ubergeordnete, die Geschichtsdialektik das Untergeordnete, die erstere der geschichtliche Inhalt, die letztere bestenfalls geschichtliche Bewegungsform ist. Gelangt die Bewegungsform nur in sehr abgeschwächtem Maß und innerhalb sehr ausgedehnter Fristen zur Geltung, dann kann die Sozialdemokratie auf diese Karte nicht mehr alles setzen sondern muß ihre Arbeit den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend auf eine veränderte Methode aufbauen: die Methode wird nicht mehr in erster Linie dialektisch sein können, sondern vor allem organisch werden müssen. Die Partei wird den Hauptwert ihrer Tätigkeit nicht mehr vornehmlich auf die Herausarbeitung von Gegensätzen, sondern auf die Beachtung und Verstärkung der geraden Richtlinien des Gesamtprozesses zu richten haben." (Soz. Monatshefte 1912, S. 669.)

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in der Gewerkschaft wesentliche Unterschiede aufweist. In der politischen Bewegung stehen vielfach Männer an der Spitze, die nicht aus den Arbeiterkreisen hervorgegangen sind, wie auch die Marx, Engels, Lassalle, Liebknecht, Singer von Haus aus keine Arbeiter waren. Nicht wenigen von diesen Führern mag das Bedürfnis der Arbeiter, materiell vorwärts zu kommen, nur ein Mittel sein für die Erlangung und Festigung politischer Macht in ihrem Sinne. Nicht praktische Arbeit für die Gegenwart, sondern Hoffnungen wecken für die Zukunft, ist das Lebenselement ihrer Taktik. Die Gewerkschaftsführer sind fast ausschließlich aus der Arbeiterschaft selbst hervorgegangen; den Arbeiterkollegen unmittelbar nach Möglichkeit zu helfen, ist ihre Lebensaufgabe. Die politische Macht ist infolgedessen für sie häufig nicht Ziel, sondern Mittel, das sie wie alles andere dem unmittelbaren materiellen Fortschritt ihrer Arbeiterkollegen unterordnen möchten. Es muß betont werden, daß hinsichtlich der hier in Betracht kommenden Schwierigkeiten die christlichen Gewerkschaften wesentlich günstiger gestellt sind als die sozialdemokratischen Organisationen. Die enge Fühlungnahme und doch wieder der große innere Gegensatz zwischen Gewerkschaft und einer die gegenwärtige Wirtschaftsordnung grundsätzlich ablehnenden Partei fehlt. Die christliche Weltanschauung vermag zudem der Führerautorität und der Massendisziplin eher ein starkes Fundament zu geben als die üblichen sozialdemokratischen Grundanschauungen. Es ist daher wahrscheinlich auch mehr als bloßer Zufall, daß bei den christlichen Gewerkschaften, obwohl man Kinderkrankheiten bei ihnen in größerem Maße erwarten sollte als bei den wesentlich älteren freien Gewerkschaften, Unstimmigkeiten zwischen Führern und Massen nicht so häufig und nicht so tiefgehend sind, wie bei den letzteren. Die Versuche, Mißtrauen, von einer gerade hier besonders übel angebrachten konfessionellen Engherzigkeit ausgehend, in die Reihen der christlichen Gewerkschaftler zu tragen, sind bis jetzt erfolglos geblieben.



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Schlußergebnisse. Die Ergebnisse meiner Abhandlungen glaube ich kurz folgendermaßen zusammenfassen zu können: 1. Die erzwungenen Lohnerhöhungen werden meist nicht Minderung des Unternehmergewinnes, sondern Steigerung der Preise zur Folge haben, wobei zu berücksichtigen ist, daß die unteren Schichten nicht nur als Masse der Konsumenten von der dadurch bewirkten Teuerung besonders hart getroffen werden können, sondern auch deshalb, weil sie als schwächere Kunden weniger leic'it der Abwälzung der Lohnerhöhungen auf die Konsumenten Widerstand leisten können; hier kann, nebenbei bemerkt, die Entwickelung der Konsumvereine bis zu einem gewissen Grade Abhilfe schaffen, aber dieses Gegengewicht kommt trotz der glänzenden Entwickelung der Arbeiterkonsumvereine vorläufig noch nicht entscheidend in Betracht. 2. So weit die Lohnerhöhungen die Besitzenden treffen, sei es als Profiteinbuße oder als Konsumverteuerung, ist die Gefahr groß, daß auch dadurch wieder indirekt die Arbeitermassen getroffen werden, denn die Besitzenden werden — der Zeitgeist spricht wesentlich mit — eher weniger zuT rücklegen als äußerlich sichtbare Konsumeinschränkungen vornehmen, die Folge ist verminderte Kapitalisierung und weiterhin geringere oder doch nicht entsprechend vermehrte Beschäftigungsmöglichkeit 1 ). 3. Die erzwungenen Lohnerhöhungen der in den Gewerkschaften organisierten Arbeiter werden jedenfalls in erheblichem Umfange zur Folge haben, daß die kapitalschwachen Kategorien der unteren und mittleren Stände, die einen ähnlichen Zwang nicht auszuüben vermögen (Arbeiter in weniger organisationsfähigen Berufen, Beamte, 1) Eine indirekte Bestätignug der unter 1. und 2. mitgeteilten Schlußfolgerungen kann man aus der Tatsache entnehmen, daß trotz der enorm vermehrten Anstrengungen der Gewerkschaften die Steigerung der Reallöhne in der Zeit von 1900—1912 geringer war als während der Zeit 1895—1900, also der Jahre, wo die deutschen Gewerkschaften noch relativ schwach waren. Ich verweise auf den interessanten Aufsatz von W. Morgenroth über Löhne und Preise im „Einigungsamt" 1914, Heft 1.



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Pensionäre, kleinere Rentner), weniger Bedürfnisse zu befriedigen in der Lage sind, als es sonst die fortschreitende wirtschaftliche Entwickelung ermöglicht hätte. 4, Der Hoffnung, daß die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter die Faktoren, die für eine dauernde Hebung des Soziallohnes, d. h. für eine dauernde Hebung der materiellen Lage der Gesamtarbeiterschaft in Betracht kommen, in Zukunft mehr berücksichtigen werden, steht die Tatsache gegenüber, daß die Qualität der Gewerkschaftsmitglieder keineswegs mit der starken quantitativen Vermehrung Schritt gehalten hat und — soweit die freien Gewerkschaften in Betracht kommen — der Gegensatz zwischen dem Opportunismus der Gewerkschaften und dem Radikalismus der Partei; — das trifft natürlich für die einzelnen Zentralverbände in verschiedenem Grade zu. — Heinr. P e s c h 1 ) meint, die Gewerkschaftsarbeit würde dann eine Sisyphusarbeit sein ohne positive Erfolge, wenn die durch die Gewerkvereine herbeigeführte Lohnerhöhung eine bloß n o m i n e l l e wäre. Ich möchte demgegenüber nochmals betonen, um nicht mißverstanden zu werden, daß nie ernstlich bestritten worden ist, daß die einzelne Gewerkschaft recht wohl mit ihrem Kampfe oder durch Drohungen mit dem Kampfe den R e a l l o h n ihrer M i t g l i e d e r auch dauernd h e b e n k a n n , ebenso ist den Gewerkschaften mittels der Tarifverträge recht wohl Egalisierung und Stabilisierung der Löhne in weitem Umfange möglich, bestritten wird nur, daß die Gewerkschaftsdemokratie der Arbeiterschaft i n i h r e r G e s a m t h e i t — von Ausnahmefällen abgesehen — d a u e r n d Verbesserungen ihrer Lage bringen kann, die nicht die Folge einer gesteigerten Produktivität der Arbeit sind. Weiterhin aber muß gefragt werden: Sind denn die erzwungenen Lohnerhöhungen für die Gewerkschaften so conditio sine qua non, wie P e s c h und andere anzunehmen glauben? Ich habe in meinem Buche bereits meine Ansicht dahin geäußert, daß m. E. die Arbeiterführer sehr verstän1) Lehrbuch der Nationalökonomie, 3. Bd., S. 769.



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dig zu sein scheinen, die die geistigen Werte, die aus der Gewerkschaftsarbeit hervorgehen, weit höher schätzen als die errungenen materiellen Erfolge, wie das z. B. der christliche Gewerkschaftsführer S t e g e r w a l d tut, wenn er sagt: „Viel größer als die materiellen Erfolge sind die Erfolge auf kulturellem, geistigen Gebiete durch die Erziehungsarbeit der Gewerkschaften" 1 ). Aus einem anderen Grunde werden die Unternehmer die Auffassung ablehnen, daß der Kampf um die Lohnerhöhungen das Wesen der Gewerkschaften ausmache. In einem Vortrage über moderne Arbeitskämpfe weist Dr. T ä n z l e r 2 ) darauf hin, daß es gerade bei den größten Kämpfen heutzutage selten gehe um Lohnerhöhungen, vielmehr sehr oft um Fragen, die außerhalb des Betriebes lägen, um Organisationsfragen, um Machtfragen. Da werde mit Erbitterung wochenlang gekämpft um die Forderung, daß die Organisationen Einfluß auf die Feststellung der Arbeitsbedingungen erhielten, da werde monatelang gestritten um das Verlangen, daß der entlassene Organisationsbeamte wieder eingestellt werde . . . Der überzeugungstreue Marxist endlich mag immerhin recht skeptisch urteilen über die Möglichkeiten der Gewerkschaften, den realen Soziallohn dauernd zu erhöhen; er wird deshalb die Gesamtarbeit der Gewerkschaften nicht Sisyphusarbeit nennen, umso weniger, je umfangreicher die Lohnbewegungen werden. „Das sind nicht mehr bloß Lohnkämpfe zwischen Unternehmergruppe und einer Arbeitergruppe" — meinte jüngst ein Sozialdemokrat. — „Quantität schlägt in Qualität um. Der Streik wird zur Revolution . . . Der Streik wirkt nicht mehr durch den Druck auf eine einzelne Unternehmerschicht, er wirkt als Anschlag auf das Leben der ganzen Gesellschaft" 3 ). Wie dem aber auch sei, die Wissenschaft hat die Tatsachen rücksichtslos festzustellen und zum Ausdruck zu bringen. Das habe ich hier zu tun versucht, ebenso wie in meinem Buche über den Kampf zwischen Kapital und Ar1) Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit, S. 529. 2) In einer Beilage zu Nr. 10 des „Arbeitgebers", 1913. 3) Otto Bauer im „Kampf", 1912, S. 289.



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beit. Das, was ich dort ausführte, ist durch die bisherige Kritik in keinem wesentlichen Punkte erschüttert worden. Ich bin überzeugt, daß die Ergebnisse meiner Untersuchungen, wenn sie richtig verstanden werden, den Arbeitern, die ihre gewerkschaftlichen Bestrebungen auf dem Boden der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung verfolgen wollen, nicht schaden, sondern nur nützen können. Der Leser weiß, wie ungewöhnlich naiv das Märchen G. K e ß l e r s ist, ich „warne vor Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen". Das Gegenteil ist richtig: Von der Zukunft erwarte und erhoffe ich bestimmt weitere Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen, freilich nicht als Folge des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit, sondern als Folge der fortschreitenden Produktivität der Arbeit. Ich bin Optimist hinsichtlich der technischen und sozialökonomischen Möglichkeiten unserer Wirtschaftsordnung, Pessimist bin ich nur hinsichtlich des Ausganges eines Kampfes, in dem so manche Sozialpolitiker irrigerweise die unbedingt notwendigen Voraussetzungen für den Aufstieg unserer Arbeiterschaft erblicken.

Inhalt. Seite

Einleitung I. Abschnitt: Die äußeren Erfolge der Lohnbewegungen unserer Gewerkschaften und die Fortentwickelung ihrer Taktik

1 8

II. Abschnitt: Die Wirkungen der Lohnbewegungen . . . .

17

III. Abschnitt: Die gewerkschaftliche Schulung und ihre Hemmnisse

46

Schlußergebnisse

68

A. M A R C U S

& E. W E B E R S

VERLAG

BONN

Moderne Wirtschaftsgestaltungen Veröffentlichungen des Kölner Museums für Handel und Industrie herausgegeben von Dr, K u r t

Wiedenfeld

Prof. der Staatswissenschaften an der Handelshochschule Köln.

HEFT I

Das rheinisch-westfälische Kohlensyndikat von

Prof. Dr. Kurt Wiedenfeld Textband und Beilagenheft zusammen 7.50 M. Die Beschäftigung mit der Wiedenfeld'schen Arbeit kann ganz besonders denjenigen nur dringend angeraten werden, die an der Regelung wirtschaftlicher Fragen nach irgend einer Richtung beteiligt sind. M a r i n e - R u n d s c h a u Januar 1913. S o darf es als ein Verdienst um unsere Wirtschaftsgeschichte und unsere Wirtschaftspolitik bezeichnet werden, wenn uns in klarer und bündiger Form eine Darstellung von den Kämpfen dieses Organismus gegeben wird, wie es durch Kurt Wiedenfeld in seinem neu erschienenen Werke geschehen ist. Z e i t u n g d e s V e r e i n s d e u t s c h e r E i s e n b a h n v e r w a l t u n g e n 15.2.13. Das mit zahlreichen Tabellen ausgestattete und klar geschriebene Buch darf wohl als die bisher beste wissenschaftliche Arbeit über das volkswirtschaftlich so bedeutsame deutsche Syndikat gelten. F r a n k f u r t e r Z e i t u n g 15. 5. 1913. Die wissenschaftlich durchgeführte Arbeit wird, trotzdem sie einen in der letzten Zeit mehrfach behandelten Gegenstand betrifft, in den Kreisen aller, die sish für volkswirtschaftliche Fragen interessieren, um so willkommener aufgenommen werden, als die schwebende Frage der Erneuerung des Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikats mehr und mehr auch die Allgemeinheit zu beschäftigen beginnt und dabei jeder die Bedeutung des Syndikats beleuchtende Beitrag, zumal aus berufener Feder nur dankbar begrüßen kann. Zeitschrift für das Berg-, Hütten- S a l i n e n - W e s e n im Preußischen Staate. Heft 3, Band 60. Ein besonderer Band von Karten und zeichnerischen Darstellungen veranschaulicht noch die verschiedenen Entwicklungsvorgänge, die in der nationalökonomischen Literatur bisher noch nicht in der Schärfe und Reinheit herausgearbeitet worden sind, wie dies Wiedenfeld gelungen ist. K ö l n i s c h e Z e i t u n g 4. 10. 12.

HEFT II

Die Ruhrhäfen, ihre Industrie und ihr Handel Von DipL-Handelslehrer JOH. KEMPKENS. Mit Diagrammen und einem großen Hafen- und Industrieplan.

Preis 5.60 Mk.

A. M A R C U S & E. W E B E R S V E R L A G

BONN

Allgemeines Berggesetz f ü r die p r e u ß i s c h e n S t a a t e n . Von Dr. jur. H. Brassert. Zweite Auflage bearbeitet von

Dr. jur. Hans Gottschalk, Rechtsanwalt in Dortmund.

Der jetzt vorliegende Teil des Gesamtwerkes kann einzeln nicht erworben werden. Seine Abnahme verpflichtet vielmehr auch zum Kauf des demnächst erscheinenden zweiten Teils. Preis des vollständigen broschierten Exemplares 22 Mark. Nach Ausgabe des zweiten Teiles kosten in Halbfranz gebundene vollständige Exemplare 24 Mark 50 Pf.

Von der Erwägung ausgehend, daß ein Gesetzeskommentar, mag er auch von noch so erheblicher Bedeutung sein, in seiner Verwendbarkeit für die Praxis Einbuße erleidet, wenn weder die neuere Gesetzgebung noch auch einerseits die Erscheinungen der Gerichte und Behörden, und anderseits die Ansichten der neueren einschlägigen Literatur in ihm enthalten sind, hat der Bearbeiter es unternommen, eine neue Ausgabe des von dem verstorbenen Herrn Berghauptmann B r a s s e r t , dem Verfasser des Allgemeinen Berggesetzes, herausgegebenen Kommentars, der schon aus diesem Grunde eine gewisse autoritative Bedeutung für sich in Anspruch nehmen kann, zu veranstalten. Bei der Bearbeitung sind die bewährten, aus einer langjährigen Praxis stammenden Ansichten und Darlegungen des Verfassers der ersten Auflage nach Möglichkeit beibehalten worden. Naturgemäß konnte dies nicht in vollem Umfange geschehen, da seit dem Erscheinen des Kommentars vom Jahre 1888 und dem Nachtrage zu demselben aus dem J a h r e 1892 eine umfangreiche Rechtsprechung und wissenschaftliche Erörterung der Bestimmungen des Allgemeinen Berggesetzes stattgefunden hat, die in dem Kommentare nachzutragen und soweit sie von den in der ersten Auflage geäußerten Ansichten in einer nach Ansicht des Herausgebers zutreffenden Weise abweicht, zu berücksichtigen war. Die Notwendigkeit derartiger Abänderungen ergab sich jedoch weniger daraus, daß die Ansichten des Verfassers der ersten Auflage als unzutreffend erschienen, sondern vielmehr aus der modernen Gesetzgebung, vor allem dem Bürgerlichen Gesetzbuche und den mit ihm zusammenhängenden Reichsgesetzen, sowie aus den mehrfachen Novellen zum A. B. G., deren Bestimmungen vielfach von den zur Zeit der Herausgeber der ersten Auflage herrschenden Rechtsanschauungen abweichen. Alle diese Gesetze sowie die neuerliche Rechtsprechung und Literatur in fachgemäßer Weise dem Brassertschen Kommentar unter möglichster Wahrung seines Inhaltes und seiner Form anzufügen, hat sich der Bearbeiter zur Aufgabe gemacht.

A. M A R C U S UND E . W E B E R S

VERLAG

BONN

Das preußische Gewerkschaftsrecht unter Berücksichtigung der übrigen deutschen Berggesetze, kommentiert von

Wilhelm Westhoff, Rechtsanwalt in Dortmund,

in zweiter Auflage bearbeitet von

Fritz Bennhold, Geheimer Bergrat und v o r t r a g e n d e r R a t im Ministerium für Handel und G e w e r b e

1912.

In Leinen gebunden 7 Mark.

Das preußische Wassergesetz auf Grund der Verhandlungen des Landtags erläutert von

Dr. Hans Gottschalk, Rechtsanwalt in Dortmund.

24 Bogen.

Preis gebunden 7 Mark.

Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechtes Von

H u g o L o e r s c h und R i c h a r d

Schröder

Dritte neubearbeitete Auflage von

Dr. R i c h a r d

S c h r ö d e r und Dr. L e o p o l d Professoren in Heidelberg Preis 5.40 Mk., gebunden 6.40 Mk.

Pereis

A. M A R C U S & E. W E B E R S V E R L A G

BONN

Studien zur rheinischen Geschichte, Herausgegeben Dr. jur. ALBERT AHN. Heft 1 :

Niederrheinisches Geistesleben im Spiegel klevischer Zeitschriften des achtzehnten Jahrhunderts. Von Dr. P a u l B e n s e i . Preis M. 6.— Heit 2 :

Die Rheinlande und die Preußische Verfassungsfrage auf dem ersten Vereinigten Landtag (1847). Von Dr. E. H e m m e r 1 e.

Preis M, 6.—

Heft 3 :

Preußens Verfassung und Verwaltung im Urteile rheinischer Achtundvierziger.

Von Dr. phil. H e l e n e N a t h a n .

Pr. M. 3.60

Heft 4 :

Die Rhein- und Moselzeitung. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der katholischen Presse und des politischen Katholizismus in den Rheinlanden. Von Dr. phil. F r i e d r i c h M ö n c k m c i e r . Preis M. 4 — Heft 5 :

Beiträge zur Geschichte des Kölner Kirchenstreites von 1837. Von Dr. phil. P a u l V o g e l .

Preis M. 3.—

Heft 6 :

Das höhere Schulwesen in der Stadt Köln zur französ. Zeit (1794-1814). Von Dr. W i l h e l m L e y h a u s e n .

Preis M. 2.—

Heft 7 :

Josef Görres und die Anfänge der preuß. Volksschule am Rhein 1814-16. Von Dr. phil. A l f o n s S c h a g e n .

Preis M. 3.—

Heft 8 :

Beiträge zur preußischen Finanzpolitik in den Rheinlanden während der J a h r e 1815—1840. Preis M. 3.80.

Von Dr. E m i l

Käding.

Heft 9 :

Gottfried Kinkel im Kreise seiner Kölner Jugendfreunde.

Nach einer beigegebenen unbekannten Gedichtsammlung von Dr. C a r l Preis M. 2.40.

Enders.

Heft 10:

Gottfried Kinkels Kämpfe um Beruf und Weltanschauung bis zur Revolution. Von Dr. M a r t i n B o l l e r t .

Preis M. 3.60.

K ö l n e r S t u d i e n z u m S t a a t s - u. W i r t s c h a f t s l e b e n Heft 4

E. Reinhardt, Die Kupferversorgung Deutschlands und die Entwicklung der deutschen Kupferbörsen. Preis 3.20 M .

Subskriptionspreis 2.80 M .

Die Arbeit gibt einen weltwirtschaftlichen Überblick über Gewinnung und Verbrauch des Kupfers unter besonderer Berücksichtigung der von der elektrischen Industrie ausgehenden Einflüsse. S i e behandelt ausführlich die Organisation der deutschen Kupferversorgung und ausgehend von der Londoner und N e w - Y o r k e r Kupferbörse die Entstehung, die Organisation, die Geschäfte und die Erfolge der Berliner und Hamburger Kupferbörse. Die Geschäfte werden auch nach ihrer technischen S e i t e hin berücksichtigt.

Hefi 5

H. Krüer, Die Markthallen und ihre Hilfskräfte als Faktoren der Lebensmittelversorgung in unseren Großstädten. Preis 2.80 M . Subskriptionspreis 2 . 5 0 M . Die Darstellung beruht namentlich auf den persönlichen Erfahrungen des Verfassers und sucht die bisher sehr lückenhafte und einseitige Literatur über die Lebensmittelversorgung der S t ä d t e wesentlich zu ergänzen, die entweder nur die Fleischversorgung oder die Bautechnik der Markthallen berücksichtigte. Der Verfasser schildert daher unter Erfassung des Typischen die Entwicklung d e r Hallen in Paris, London, Wien, Berlin und den übrigen größeren deutschen Städten und zwar auf ihren allgemeinen wirtschaftlichen und hygienischen Grundlagen. Das Schwergewicht der Arbeit liegt dabei auf technischer Einrichtung der Hallen, den Anforderungen an Lage und Größe und der inneren Ausstattung auf der Organisation und den mannigfachen Arten des Hallenhandels und auf d e r kommunalpolitischen S e i t e Verwaltung und finanzielle Ergebnisse. E i n Schlußteil würdigt die Hallen im Hinblick auf die an ihrem B e t r i e b besonders interessierten Kreise, Konsumenten, Produzenten' den Handel inner- und außerhalb der Hallen, das städtische und allgemeine Wirtschaftsleben.

Hefi 6

Kurt Rein, Konkurrenzmöglichkeiten der deutschen Feinkeramik am Weltmarkt unter besonderer Berücksichtigung der Porzellanindustrie. Preis 2.20 M . Subskriptionspreis 2.00 M . Der Verfasser behandelt di» Produktionsbedingungen und Ziele d e r deutschen Porzellanindustrie und deren Wandlungen und charakterisiert besonders die sich auf den Prinzipien des modernen deutschen Kunstgewerbes aufbauenden Eigentümlichkeiten jenes für unsere weltwirtschaftliche Stellung so bezeichnenden Gewerbes. Von da aus erörtert e r namentlich dessen A'osatzorganisation mit Ausstellungen, Messen, Zeitungsreklame, Exportmusterlagern und die Bedingungen und Mengen des Absatzes im Auslande.

A. M a r c u s u n d E. W e b e r s V e r l a g B o n n a. R h e i n