Die Kunst des Herrn Nestler: Bildhauer, Zeichner und Performer [mit zahl. farb. Abb. ed.] 9783110412710, 9783110412703

First Monograph This book offers the first comprehensive insight into the work of the Austrian painter, draftsman, and

205 86 19MB

German Pages 124 Year 2015

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die Kunst des Herrn Nestler
Das Geheimnis des Dr. Fu Manchu. Momente im Frühwerk von Norbert Nestler
Körper und Raum bei Norbert Nestler
The Art of Mr. Nestler. Overview of exhibition and catalogue
Werke der Ausstellung. Abbildungen mit Originalzitaten von Norbert Nestler
Index
Biografie Norbert Nestler
Autor/innen
Impressum
Katalog
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Die Kunst des Herrn Nestler: Bildhauer, Zeichner und Performer [mit zahl. farb. Abb. ed.]
 9783110412710, 9783110412703

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Die Kunst des Herrn Nestler

Katrin Bucher Trantow, Peter Pakesch (Hg.)

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Die Kunst des Herrn Nestler

Die Kunst des Herrn Nestler Bildhauer, Zeichner und Performer

Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum 24. Oktober 2014 – 22. Februar 2015 Kuratorin Katrin Bucher Trantow

Neue Galerie Graz

Universalmuseum Joanneum

4 —  5 Inhaltsverzeichnis

Katrin Bucher Trantow, Peter Pakesch 6 Vorwort

8

Katrin Bucher Trantow Die Kunst des Herrn Nestler

Günther Holler-Schuster 16 Das Geheimnis des Dr. Fu Manchu Momente im Frühwerk von Norbert Nestler Elisabeth Fiedler 24 Körper und Raum bei Norbert Nestler

→ 28

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The Art of Mr. Nestler Overview of exhibition and catalogue 

Werke der Ausstellung Abbildungen mit Originalzitaten von Norbert Nestler

114 Index   117 Biografie 121 Autor/innen 122 Impressum

6 —  7

Vorwort

Als Bildhauer, Zeichner, Performer und auch als Kunsterzieher hat Norbert Nestler (1942–2014) das Kunstgeschehen in Österreich und insbesondere in Graz lange begleitet und mitgeformt. Aus der Malerei kommend, untersuchte Nestler die Durchdringung des Raumes zwischen Abstraktion und Figuration und war bestrebt, die Kunst in den Real- bzw. Interaktionsraum, also in ein für die Betrachter relevantes Diesseits zu überführen. Seit seinem Studienabschluss an der Akademie der bildenden Künste Wien im Jahr 1965 experimentiert Nestler mit neuen Techniken wie der Lichtpause und Materialen wie Plexiglas und prüft sie auf ihre Durchlässigkeit im Ästhetischen, Funktionalen sowie im Interaktiv-Partizipativen. Licht wird dabei immer wieder zum aktiven Teil der Arbeit, die Fläche zur geschichteten Plastik, der Schlauch zum Motiv des Zukünftigen.  Mit seiner Wettbewerbseinreichung zur Dreiländerbiennale „trigon“ 1969 und seinem Beitrag zur „trigon“-Ausstellung intermedia urbana 1971 in Graz verlässt Norbert Nestler das Abbildend-Figurative und wendet sich vermehrt dem Räumlichen und damit dem Kontextuellen zu. Mit den Mitteln der seriellen Multiplikation, mittels Medienerkundungen und -erweiterungen widmet er sich sowohl grafisch als auch plastisch – im Sinne des Pneumatischen – dem Durchdringen und DurchdrungenWerden und arbeitet dabei vermehrt formal abstrahiert. In der noch gemeinsam mit dem Künstler entwickelten Retrospektive Die Kunst des Herrn Nestler zeigte die Neue Galerie Graz 2014/15 zum ersten Mal eine chronologische Werkauswahl von 1967 bis 2014. Zu sehen waren experimentelle Objekte, Instal­lationen, Grafiken und eine letzte, für das Stiegenhaus der Neuen Galerie Graz entworfene Schlauchgrafik (→ Abb. S. 35). Die Auswahl der Arbeiten fokussierte auf Nestlers wegweisende Anfänge in Grafik und Skulptur, wo hinsichtlich Konsequenz und Bedeutung seine radikalsten Zugänge zu finden sind. Die retrospektive Schau verfolgte in Beispielen Nestlers gesamte künstlerische Laufbahn, deren Entwicklungen im Zwei- wie auch im Dreidimensionalen parallel zu sehen sind. Dabei widmete sich die Ausstellung vorrangig seinem eigenständigen Werkkomplex, unabhängig von jenem, der in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau Friederike Jeanne NestlerRebeau entstand. So formte sich das Porträt eines zeichnenden Objektmachers im Sinne der medialen Erweiterung und der kinetisch-performativen Durchdringung seiner Zeit.

Dieser Katalog dokumentiert die Ausstellung und lässt den leider viel zu früh verstorbenen Künstler auch selbst zu Wort kommen, versammelt Zitate und Erinnerungen zu einzelnen Arbeiten, wobei Nestlers Originaltöne teilweise redaktionell ergänzt wurden. Die Publikation verhandelt zugleich zentrale Aspekte von Norbert Nestlers Schaffen aus unterschiedlichen Perspektiven, indem den Objektbeschreibungen drei Texte gegenübergestellt werden, deren Autorinnen bzw. deren Autor Nestlers Werk seit Langem begleiten und gut kennen: Elisabeth Fiedler befasst sich mit Nestlers Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum und richtet ihren Blick auf die Bedeutung seiner Arbeit für die Wahrnehmung des städtischen Raums als gesellschaftspolitischen und künstlerischen Verhandlungsraum. Günther Holler-Schuster beschäftigt sich mit Nestlers frühen plastischen Arbeiten, die den pneumatischen Objekten der erweiterten Architektur nahestehen, und setzt sie in ihre historischen Zusammenhänge. Er zeigt dabei auf, wie sehr der Objektkünstler Norbert Nestler an aktuellen Strömungen einer Erweiterung des Kunstbegriffs arbeitete und dabei anstrebte, den Kunstraum in einen Handlungsraum zu überführen. Ebendort setzt auch der Text von Ausstellungskuratorin Katrin Bucher Trantow an. Sie räumt dem verbindenden raum- und medienerweiternden, dem performativen und partizipativen, damit auch dem kunsterzieherischen Aspekt von Nestlers Objekten, Zeichnungen und Bildern gebührenden Platz ein. Dort werden sein gesellschaftlicher Gestaltungswille und seine Materialneugier, seine bis zuletzt andauernde experimentelle Vorgangsweise im Erkunden neuer Materialien zur Differenzierung aktueller Wahrnehmungszusammenhänge mit seinem den Rezeptionsraum öffnenden Verhandlungswillen verbunden. In diesem Sinne erkennen wir in Norbert Nestler einen Künstler, der – von der Aufbruchsstimmung der 1960er-Jahre inspiriert – aktiv an der Teilhabe am Kunstprozess, an einem aufklärerischen Wahrnehmungsprozess, interessiert war. Seine Werke werden nichtsdestotrotz auch heute als Aufforderung zur Mitgestaltung einer reflektierenden Gesellschaft verstanden und haben damit nichts an Gültigkeit verloren. An dieser Stelle wollen wir Dank aussprechen: In erster Linie gilt unser Dank Norber­t Nestlers Witwe und langjähriger künstlerischer und persönlicher Weggefährtin Friederike Jeanne Nestler-Rebeau sowie seinem Sohn Michael Nestler, die beide an der Recherche und Auffindung der Werke maßgeblich beteiligt waren. Außerdem möchten wir hier auch Reingard Lang für die zur Verfügung gestellte Diplomarbeit über den Künstler Norbert Nestler danken. Für die Leihgaben geht unser Dank an das Kulturamt der Stadt Graz, die ALBERTINA, Wien, die Artothek des Bundes, die Galerie Kunst & Handel, Sommer GmbH und insbesondere an die Galerie Lang Wien – für die nachfolgende Schenkung zweier Pharisäer (→ Abb. S. 39) für die Sammlung der Neuen Galerie Graz. Des Weiteren gilt der Dank den Autorinnen und dem Autor, die das Werk hier noch einmal tiefergehend erforscht und beleuchtet haben; dem Land Steiermark; der Stadt Graz und Stadträtin Lisa Rücker, dem Kulturamt der Stadt Graz und seinem Leiter Peter Grabensberger, deren beider Interesse und Wertschätzung von Norbert Nestlers Arbeit zu einer Unterstützung dieses Kataloges führte. Katrin Bucher Trantow, Kuratorin Peter Pakesch, Intendant Universalmuseum Joanneum

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Die Kunst des Herrn Nestler Katrin Bucher Trantow

„,Hier kann man mehr oder weniger frei für sich, für andere und miteinander arbeiten‘ (Kolleritsch). Das ist unsere Stärke. Aus der wachsenden, kritischen Reflexion der Gegenwart entspringen utopisch­e Impulse, die die Welt verändern.“1

Barnett Newman, Onement, I, 1948, The Museum of Modern Art, New York

1 Norbert Nestler: Dokumentationsausstellung I und II, Forum Stadtpark. Graz 1973, o. S. 2 Interview mit Norbert Nestler, Oktober 2013.

Norbert Nestler war, als er 1966 in Graz ankam und bald darauf auf eine Gruppe junger aufbrechender Geister rund um das „Forum Stadtpark“ traf, ein expressionistisch geprägter Maler. Sein großes Vorbild war Barnett Newman mit seinen meditativen und gleichzeitig diesseitig-konkreten Farbfeldern. In dessen Zip Paintings, die als Erfahrung zwischen dem imaginativen Dort des Farbfeldes und dem faktischen Hier der vertikalen Linie bzw. des Unterbruchs galten, schien ihm eine Ganzheit zu erwachsen, die er in seiner Kunst zeit seines Lebens anstrebte.2 Nestler war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Er war von den aufbrechenden 1960er-Jahren in Wien geprägt und hatte dort von 1960 bis 1965 an der Akademie der bildenden Künste Malerei studiert – sein Erfolg war dabei ebenso unterschiedlich wie die Persönlichkeiten seiner Lehrer Josef Dobrowsky, Herbert Boeckl und Max Weiler. Er war mit Künstlern wie seiner späteren Frau Friederike Johanna Bauer und Cornelius Kolig, mit dem er ein Atelier teilte, befreundet und experimentierte schon sehr früh mit malereifremden Materialien. Mit Kolig etwa verband ihn sein Interesse für das neue, lichtdurchlässige Material Plexiglas, mit Friederike der Wunsch nach dialogischer Unmittelbarkeit des Werks, die sich bei ihm ab den 1970er-Jahren in Aktionen abseits der Institution (z. B. Tragen Sie unsere Ideen, 1971) manifestierte. Die Provokation und Radikalität der in Wien auftretenden Aktionisten wie Rudolf Schwarzkogler und Günter Brus kannte er zwar (1965 machte etwa Brus seinen breit diskutierten Wiener Spaziergang), sie gingen ihm aber politisch wie auch soziokulturell zu weit und führten über die ihn beschäftigenden Fragen nach den Bedingungen des Bildes hinaus. Nach dem Abschluss des Studiums übersiedelte das Paar 1966 nach Graz, wo beide ihren künstlerisch-vermittelnden Ansatz mit der Rolle als Kunsterzieher verbanden. Norbert Nestler erhielt eine Anstellung als Kunsterzieher und Kunstvermittler in der Mittelschule, was sein Schaffen ein Leben lang begleiten und prägen sollte. Er unterrichtete Künstler wie Erwin Wurm, Gregor Schmoll und Gerhard Raab und war als neugieriger Erforscher zwischen den Medien bekannt. 1970 lud Günter Waldorf sowohl Friederike als auch Norbert Nestler ein, Mitglieder im „Forum Stadtpark“ zu werden. Nestler fand dort nicht nur Gleichgesinnte, sondern auch sogleich die Möglichkeit auszustellen. Von 1973 bis 1976 war er gemeinsam mit Peter Gerwin Hoffmann Co-Referent im von Hartmut Urban geleiteten Referat

Norbert Nestler, Der Vertreter, 1968

Norbert Nestler, Zustandsplastik, 1984–90, Serie Metalle

Norbert Nestler, Schachbrettbein, 1967/68 (Detail) 3 Vgl. Christine Riegler: Forum Stadtpark. Die Grazer Avantgarde von 1960 bis heute. Wien 2002, S. 71. 4 Vgl. Manuela Ammer: Das Sockelprob­lem. In: http://frieze-magazin. de/archiv/features/ das-sockelproblem [Zugriff: 02.02.2015] und Michael Fried: Art and Objecthood. In: Artforum, Vol. 5, Nr. 10, Juni 1967, S. 1223 (auf Deutsch erschienen als Kunst und Objekthaftigkeit in: Gregor Stemmrich (Hg.): Minimal Art. Eine kritische Retrospektive. Dresden 1995).

Bildende Kunst des „Forums Stadtpark“. Gemeinsam förderten sie die vermittelnde Auseinandersetzung mit Druck- und Originalgrafik und organisierten dazu entsprechende Workshops. Im Untergeschoss wurde die von Peter Pongratz installierte Druckerpresse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht und von Nestler eine Siebdruckanlage installiert.3 1975 demonstrierte eine Druckgrafikwoche und die daraus resultierende Ausstellung Grafik live die neuen drucktechnischen Möglichkeiten. Bereits seit 1968 hatte sich Nestler vermehrt mit der Druckgrafik und der Nutzung ihrer technischen Eigenschaft der Abstraktion und subjektiven Distanziertheit gewidmet. Anfangs war es vor allem die preisgünstigere Lichtpause oder Kontaktkopie, die als Medium das malerische Vorgehen erweiterte. Aus diesem fototechnischen Vervielfältigungsverfahren, mit dem die Zeichnung von einer transparenten Vorlage auf lichtempfindliches Papier übertragen wird, entstanden Arbeiten wie das Selbstporträt (→ Abb. S. 50) oder Der Vertreter (beide 1968). Die im typisch blassen Lichtpausenblau festgehaltenen Abzüge einer Zeichnung befinden sich in einem zeitlichen sowie inhaltlichen Übergang und lassen die Figur zur Schablone zwischen Abstraktion und Figuration werden. Über die Belichtung als Druckverfahren schiebt sich eine zeitliche Distanz zwischen Betrachterauge und Erschafferhand, die Nestler sowohl inhaltlich als auch im Herstellungsverfahren als „Blende“ einzieht und sichtbar macht. Das Werk wird zu einem Streben nach Ent-Subjektivierung. Anhand der Übersetzung des technischen Vorgehens erkennen wir auch ein Vorgehen der EntAuratisierung, die Nestler zugunsten einer Teilhabe des Publikums einsetzt, in späteren Arbeiten immer wieder aufgreift und dabei Illusionismus von Technik trennt: so im Fotogramm Lugus (1978, → Abb. S. 63), in den Lithografien der Metalle (1984–90) und Computergrafiken (1989/90, → Abb. S. 102, 103), aber auch in gewissem Sinne in den analogen Fotografien der Movings, die Bewegungsabläufe am Fernseher als ineinanderlaufende und übereinandergelegte Farbfelder erkennen. Prinzipien des eigenen Sehens und des bild-technischen Erschaffens werden in den unterschiedlichen Medien immer wieder von Neuem überprüft und für die Betrachter lesbar zueinander in Beziehung gesetzt. Im Schachbrettbein (1967/68, → Abb. S. 43), einer der frühesten noch erhaltenen skulpturalen Arbeiten Norbert Nestlers, thematisiert er die gleichen Fragen der Distanz durch Reproduktion und der Ent-Auratisierung durch sichtbar gemachte Technisierung in der dritten Dimension: Bei dieser gedrechselten, körperrosa bemalten Figur handelt es sich wohl um ein Tischbein, das als ornamentale Form zwischen Gestalt und Schattenriss, schlank und schlaksig auf einem Sockel aus Spiegeln steht. Figur und Raum werden darin verdoppelt, verschmelzen miteinander und nehmen den Betrachter in sich auf. Das Objekt, das als Angelpunkt einer Auseinandersetzung zwischen Raum, Fläche und Figur dienen kann, scheint dabei zu schweben und lässt sich nur schwer räumlich verorten. Im körperhaften Readymade findet ein Zusammentreffen zwischen anthropomorpher Figur und abstrakter Form statt, das sich dem Publikum in Form eines Dialogs – und nicht in Form eines die Kunstgeschichte prägenden Wettstreites um Vorreiterschaft – zeigt. In der Verunklärung der Sockel- und Rahmensituation hingegen sind Überlegungen zur Frage einer Öffnung des Interaktionsraumes zwischen Werk und Betrachter eingebettet. „Eine Kunst, die sich systematisch des Sockels als vertikalem Distanzhalter entledigt, die mit dem Betrachter Grund und Boden teilt und darüber hinaus das ästhetische Ereignis zwischen Objekt und Betrachter verortet, hat ihre Autonomie eingebüßt. Sie liefert sich, so die einschlägige Kritik Michael Frieds an der Minimal Art, den Kontingenzen von Präsentation und Rezeption aus: Der geteilte Boden wird zur Bühne und das Werk theatralisch.“4

10 —  11 Katrin Bucher Trantow

Norbert Nestler, art play, 1968

Norbert Nestler, Stiegenschlauch­ grafik, 2013/14, Neue Galerie Graz

Genau dies macht einen Teil der Spannung von Norbert Nestlers Arbeiten aus. Seine Arbeiten verunklären Sockel- und Rahmensituationen, sie durchdringen plastische, mediale und institutionelle Räume und sind im besten Sinne theatralisch. Sie lassen sich direkt auf die Betrachter ein, nehmen auf und teilen den Verhandlungsraum mit ihrem Publikum. Die ausgehend von der wegweisenden Ausstellung art play in der Galerie beim Minoritensaal (1970) weiterentwickelte Idee der Schlauchgrafik schlängelt sich auch in der Ausstellung in der Neuen Galerie Graz (2014/15) an erster Stelle durch den realen Raum des Publikums. Sie dreht das Verhältnis der Kunst als Gegenüber völlig um. Sie lässt gar auf der Kunst entlangschreiten und ist damit die konsequente Fortsetzung der früheren Bilderweiterungen Der Vertreter, des Gemäldes Wohin geht ihr, fliegende Brüste (1967, → Abb. S. 37), für das er mit dem JoanneumKunstpreis ausgezeichnet wurde, und der gesamten Bildserie der art play-Grafiken (1968–70, → Abb. S. 44, 45, Umschlag), in der fortschreitend von der menschlichen Form abgeleitet und abstrahiert wird. Schichtungen spielen dabei im Zweidimensionalen wie auch im Dreidimensionalen eine konsequente Rolle. Sie fungieren als gegenseitiger Verweis und als Konstruktionsanleitung zum Bildraum bzw. zum Objektaufbau und werden in Arbeiten wie Die Seele des Spiegelkäfigs: Der Körper / Die Teile (1993/94, → Abb. S. 64–66) auf ihren – auch illusionistischen – Verweischarakter im Bezug auf den Körper bzw. auf das Objekt hin untersucht. Nestlers Stiegenschlauchgrafik (→ Abb. S. 35) ist dementsprechend die systematische, technische Reduktion der zweidimensionalen Figur als betrachterinkludierende Form und ist damit geradezu das Paradebeispiel ortspezifischer, sockel- bzw. rahmenloser Kunst. Im Sinne der Erweiterung des Kunstbegriffs und einer Wahrnehmung der Ortsspezifik geschieht hier bei Nestler, was Fried in Bezug auf die Minimal Art und die daraus erwachsende Institutionskritik und der späteren Relational Aesthetics mit abweisender Kritik bedachte. Nestlers Arbeit legt den Fokus auf jene Kategorien, die Theatralität implizieren: Kontextualität, Relationalität und Performanz.

Kontextualität

Richard Serra, Splashing, 1968 Castelli Warehouse, New York

5 Douglas Crimp: Redifining Site Specifity. In: Rosalind Krauss (Hg.): Richard Serra / Sculpture. New York 1986.

Douglas Crimp beschreibt die Entstehung des Kontexts in der Kunst als eine bewusste Verankerung des Werkes in Raum und Zeit, die mit dem Thematisieren der Grenze einherging. Er analysiert eine mit Nestlers Schläuchen verwandte frühe Arbeit von Richard Serra als eine Diffusion und Auflösung von räumlichen Grenzen: Serras Splashing (1968) war als Teil einer von Robert Morris 1968 organisierten Ausstellung in einem alten Warenlager, das die Leo-Castelli-Galerie nutzte, zustande gekommen. Entlang einer Kante, dort, wo Fußboden und Wand sich treffen, hatte Serra geschmolzenes Blei hingeworfen, sodass es sich unregelmäßig in und entlang der Kante, an Wand und Fußboden verteilte und fest wurde. Man ging durch und über das Werk hinweg. „Durch die vielen Spritzer wurde die Grenze zwischen Werk und Nichtwerk diffus. Das Werk war mit dem Außenraum verklebt.“5 Genauso wie bei Serra ist bei Nestler die Durchdringung des Betrachterraumes, aber auch des Institutionsraumes zentrales Thema, das sich formal wie inhaltlich durch das Schaffen des Künstlers zieht. Von der Schlauchgrafik und den damit verwandten Arbeiten, die Objekt und Umraum mit den Betrachtern verbinden, teilt sich Nestlers Werk in ein zweidimensionales und ein dreidimensionales auf, bei der die behandelten Themen der Entgrenzungen eng verwandt sind. Wo in der Grafik das Rahmenproblem in gewissem Sinne aufgehoben wird und das Bild sich über den Betrachterraum ausbreitet, widmet sich das Objekt dem physischen Erfahrungsraum per se.

Norbert Nestler, Pharisäerraum, 1972, Joanneum-Ecksaal, Graz

Norbert Nestler, Pharisäer, 1971/72 (Detail)

6 zit. n. Reingard Lang: Norbert Nestler. Leben und Werk. Diplomarbeit, Graz 2011, S. 76.

Die Pharisäer (1971/72, → Abb. S. 39, 40) sind eine Installation aus sechs in etwa kindshohen Plexiglasfiguren, die in der ursprünglichen Installation von 1972 zum „steirischen herbst“ im Ecksaal des Joanneums in einem begehbaren, rechteckig mit Schnüren begrenzten Raum gezeigt wurden, der an den Spazio elastico (1967, → Abb. S. 19) von Gianni Colombo angelehnt ist und damit an die Bedingungen des Erlebnisraums anknüpft. Nestlers Pharisäer, die sogenannte „Alte Schule“ und Jesus’ Gesprächspartner im Neuen Testament, besetzen damit eine Diskussion, die als Rekurs auf eine Auseinandersetzung zwischen dem Minimalismus und der sozialen Plastik stattfindet. Dieser ist als Strategie der Erweiterung im Sinne der Architekturdebatten und Mediendiskussionen rund um die wegweisenden Erfahrungen der Ausstellungen der Dreiländerbiennale „trigon“ in Graz u. a. zu sehen. Durchaus sind die witzigen kleinen Wesen daher auch als ironisches Mahnmal zu verstehen, das auf einer „abgesetzten, in sich geklärten, einfachen und spannenden, fast technoiden Ebene“6 mit dem Publikum interagiert. Die technoiden Pharisäer sind Mahnende gegenüber einer Zeit gesteigerter Künstlichkeit. Sie sind Diskussionspartner und – mit ihren großen, in der Natur gefundenen Seeigel-Augen, die dem Publikum aus der Plexiglashaube entgegenglotzen, sowie den glänzenden Plattfüßen – von ihrem Sockel niedergestiegene Wesen einer anderen Art. Im Sinne einer Warnung vor einer Science-Fiction-artig entfremdeten Gesellschaft berühren sie auf mehrfachen, durchaus auch sexuellen und ironisch gebrochenen Ebenen den emotionalen Raum des Publikums.

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Norbert Nestler, Ambientale Wandgestaltung, 1976 (Detail)

Zusammen mit den Menschgewohnheiten 1984 (1974, → Abb. S. 79), die auf George Orwells gesellschaftskritisches Buch 1984 Bezug nehmen, und den beiden Samt­ finger-Fassungen (1979, → Abb. S. 81), die in der Ausstellung Der Kunstraum. Dialog und Ritual (1983) als Wächterfiguren den Eingang flankierten, thematisiert Nestler hier die Ambivalenz jeder Utopie. In seinen Modellobjekten, die von den bewusstseinserweiternden pneumatischen Architekturen der Gruppen Haus-Rucker-Co, den kollektiven Ideen der Grazer Architekten Domenig/Huth oder von den partizipativen Kunstobjekten des befreundeten Cornelius Kolig inspiriert waren, bricht Nestler die technisch-utopische Künstlichkeit durch gefundene Elemente aus der Natur wieder auf. In der dabei auftauchenden formalen Verwandtschaft weist er auf eine innere Gemeinsamkeit zwischen Formen der Kultur und der Natur bzw. zwischen dem Zukünftigen und dem bereits Entstandenen hin. Auch bei den Arbeiten Retort Happi­ ness oder des eigenwilligen Apfels eigenwilliger Kern (1971, → Abb. S. 73) oder dem Voyeur (1973/74, → Abb. S. 71) entpuppt sich Nestler als Kritiker des technisch Gefertigten und wird durch die Inklusion des natürlichen Materials zum Vermittler zwischen dem Organischen und dem Künstlichen. Performanz und Relationalität

Norbert Nestler, Galerie der erleuchteten Schatten, 1986

Friederike Jeanne NestlerRebeau, Norbert Nestler, Der große Wald, 1987 Modell eines begehbaren Groß­ skulpturenprojekts aus DrakenKampfflugzeugen

Serge Spitzer, Brunnenwerk, 1985, Stadtpark, Graz 7 „[…] inter-subjectivity [...] is the quintessence of artistic practice“. In: Nicolas Bourriaud: Relational Aesthetics. Dijon 2002, S. 22.

Ab dem Ende der 1970er-Jahre befasst sich Nestler vermehrt mit dem öffentlichen Raum als Interaktionsraum für seine skulpturalen Objekte. Arbeiten wie die inzwischen zerstörte Brunnenskulptur (1972/78, → Abb. S. 101) auf dem Areal der Landesnervenklinik Sigmund Freud in Graz (eine Weiterentwicklung der Eisernen Jungfrau hoffend, 1971, → Abb. S. 55), die Entwürfe der Ambientalen Wandgestaltung (1976) oder die Galerie der erleuchteten Schatten (1986) bringen seine technoiden Plastiken in den gesellschaftlichen Verhandlungsraum. Sie sind dabei einerseits Seh- und Wahrnehmungsmaschinen, die das Licht und dessen Veränderung als Hauptakteur der Wahrnehmung aufzeigen, und andererseits – wie in dem mit Friederike Jeanne Nestler-Rebeau gemeinsam entwickelten Projektentwurf Der große Wald (1987) – als demokratische Objekte einer öffentlichen Verhandlung von gesellschaftlichen Wahrheitskonstruktionen zu sehen. Nach 1982 übernahm Norbert Nestler – inzwischen mit seinen Grafiken auch im Ausland erfolgreich – die Funktion des Referenten für Bildende Kunst im „Forum Stadtpark“ und brachte sich als Künstler und Kunstvermittler wiederum verstärkt in die institutionelle Seite des künstlerischen Gestaltens ein. Das Referat für Bildende Kunst legte damals einen Schwerpunkt auf Kunst und Öffentlichkeit hinsichtlich politischer und sozialer Aspekte und lehnte sich dabei weit in den öffentlichen Stadtraum hinaus. Der „rostige Nagel“ – das noch immer umstrittene Brunnenwerk (1985) von Serge Spitzer im Grazer Stadtpark – ist als Offenlegung einer inneren Struktur ein Zeuge aus dieser Zeit. Nestler versuchte, sich über die Ambivalenz und Abhängigkeit der Rollenkonstruktionen zwischen Schaffendem und Institutionellem Klarheit zu verschaffen. Dies zeigen zwei Arbeiten, die sich über die mehr als 10 Jahre Verbundenheit mit dem „Forum Stadtpark“ hinziehen. Zum Zeitpunkt der erneuten eigenen Doppelrolle als Künstler und Institutionsvertreter widmet er sich in der Ausstellung Der Kunstraum. Dialog und Ritual (1983) im Künstlerhaus Graz den eigenen Relationen zum Umfeld und setzt sein Schaffen in ein direktes Verhältnis zur tragenden Rolle des Publikums. Wenn es nach Nicolas Bourriaud in der Relationalität der Kunst 10 Jahre später um ein gesteigertes Verhältnis zwischen den Subjekten im künstlerischen Produktions- und Rezeptionsprozess7 bedarf, so versucht dies Nestler bereits über die Aktion von 1983 zu erreichen – und dabei das Erleben der Kunstwelt selbst als künstlerischen Akt erfahr- und durch die eigene Beteiligung erlebbar zu machen.

Der Titel dieses Textes wie auch der Titel der Retrospektive in der Neuen Galerie Graz basiert auf dem Film Die Kunst Hrn Norbert Nestlers, den der auch für VALIE EXPORT und andere Aktionisten arbeitende Filmemacher Herbert Baumgartner 1974 als Abschlussarbeit seines Filmstudiums plante, ihn aber erst 1983 für Nestlers Personale Der Kunstraum. Dialog und Ritual finalisierte. Der Film ist ein reichhaltiges Zeitdokument, das als Metapher für das Kunstschaffen und alle seine Beteiligten steht. Er verbindet lokale Institutionskritik mit einem ironischen Porträt eines heroischen Künstlermagiers und paraphrasiert gleichzeitig die Rezeption zeitgenössischer Kunst als Ereignis, in dem sich Kunst und Gesellschaft gegenüberstehen.  Im surreal aufgeladenen Film beginnt Nestlers filmisch dokumentiertes Schaffen mit dem Finden des Materials. Es ist eines seiner häufig verwendeten Seeigel-Skelette, das er am Murufer in Graz entdeckt. Der Film begleitet Nestler weiter zu den handwerklichen Fertigungsorten seiner Kunstobjekte und geht dann über zu einer Juryszene, in der die Sichtung der Einreichungen zum Kunstfestival „steirischer herbst“ von 1974 erscheint. Wilfried Skreiner, der damalige Leiter der Neuen Galerie Graz und Kuratoriumsmitglied beim „steirischen herbst“, sowie Otto Breicha, damals Leiter des Kulturhauses der Stadt Graz und Direktoriumsmitglied beim „steirischen herbst“, prüfen vor laufender Kamera die Einreichungen und werden durch ihre lapidaren Entscheidungen über Teilnahme oder Ausschluss als Kunstmacher der anderen Art entlarvt. Als Gegenstück zur institutionellen Kritik folgt darauf eine Szene, in der Norbert Nestler in den Innenstädten von Graz und Wien mit Passanten über den Wert oder den Sinn seiner Kunst diskutiert. Eine parasitäre Metallplastik (es handelt sich um einen Teil des Objekts Die Staffeleien wachsen aus von 1972, → Abb. S. 16, 63) dient dabei als Ausgangs- und Anhaltspunkt für die Gespräche, in denen der Künstler seine „sinn­losen“ Werke verteidigt. Zu Wort kommen auch der Künstler Oswald Oberhuber und der Schauspieler Klaus Maria Brandauer, der Nestlers Eiserne Jungfrau hoffend (→ Abb. S. 55) als hübsche Ablage nutzt, aber auch als „Scheiße“ herabwürdigt. Es scheint, als würde alles zusammengefasst, wenn sich Nestler in der finalen Szene im Schlamm windet – im Schlamm des gesellschaftlichen Normdenkens –, der aber dem geradezu über-selbstbewussten „Kunstmagier“ Nestler nichts anhaben kann. Er entsteigt dem Morast völlig unversehrt. Herbert Baumgartner, Die Kunst Hrn Norbert Nestlers, 1974/83 (Filmstills)

Norbert Nestler, Lebendbüste, 1983, Ausstellung Der Kunst­ raum. Dialog und Ritual, Künstler­haus Graz, Graz

Wie sehr sich Nestler mit der kulturell determinierten Sprache der Kunst auseinandersetzte, sie nutzte und paraphrasierte, zeigt der Aufbau der Ausstellung Der Kunstraum. Dialog und Ritual, wo der Film erstmals gezeigt wurde und in der sich Nestler als Lebendbüste auf bzw. in einem verspiegelten Sockel inmitten zeitgenössischer Kunst-Kultur-Köpfe wie Peter Weibel, Wilfried Skreiner oder Walter Koschatzky, allesamt Leiter der Neuen Galerie Graz, inszenierte. Hier war der Kunstraum nicht mehr nur der architektonische Raum, den es in seiner Dimension zu sprengen und zu erweitern galt, sondern eine Institution, eine Vereinbarung der Sprachen, in der auch der Künstler als schützenswertes Original aufscheint, dessen Identität durch die Verflechtung und Definition der anderen bestimmt wird. Bei der Performanz handelt es sich laut Judith Butler um einen Sprechakt, der ein kulturelles Feld oder einen bestimmten Menschen bezeichnet und dabei dessen Identität kreiert. Umgekehrt strebt Nestler nach einem Verlust oder einer Negation der persönlichen Identität, wenn er die Selbstbezeichnung als „Herr“ und seine Initialen „N. N.“ – also Irgend­ jemand – verwendet. Eine theatralische Selbstbezeichnung wird dabei zum durchaus irritierenden, in gewissem Sinne auch anmaßenden Flirt mit dem vorgespielten Entzug aus dem Kunstsystem.

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Norbert Nestler, Günter Kainz, Tragen Sie unsere Ideen, 1971 Aktion zur Ausstellung intermedia urbana im Rahmen der Drei­ länder­biennale „trigon“, Graz

Tragen Sie unsere Ideen (→ Abb. S. 52) heißt eine frühe Arbeit, die vieles bereits beinhaltet, was die Stärke, den Humor der Selbstinszenierung und innere Auseinandersetzungen mit den Fragen des Kunstwerks, seines Rahmens und seiner Sprengkraft durch die Erweiterungen in den Betrachterraum hinein ausmacht. Die von Norbert Nestler gemeinsam mit Günter Kainz 1971 aus Anlass der „trigon“-Ausstellung intermedia urbana entworfene Arbeit fand ihre Bestimmung an der Hand des damals 29-Jährigen, der sie als Kunstofferte und dialogische Kunstaktion durch die Grazer Innenstadt spazieren führte. Das Objekt beinhaltet politisch-soziale Vorschläge zur erweiterten und bewusstseinserweiternden Stadtnutzung, die Nestler und Kainz als künstlerische Handlungsreisende mit ihren Kofferwelten zur Diskussion stellen. Beim Koffer handelt sich um ein handliches Plexiglasobjekt, durchscheinend, wohlgeformt, geeignet zum Aufklappen und Aufstellen sowie zum Verhandeln und Betrachten. Es ist materialtechnisch präzisest ausformuliert und enthält – einem Leporello gleich – zeichnerisch ausformulierte Ideen zur Veränderung der Stadt, die u. a. das Grazer Rathaus als ideale Projektionsfläche vorschlagen (eine heute tatsächlich zu Werbezwecken so genutzte Fläche), die Mur als Lichtfluss gestalten oder die unbekannte und verdrängte Blutgasse als direkte Verbindung von den Gefängnissen des Schlossbergs zum Landhaus öffnen und dieses Areal den Grazerinnen und Grazern als künstlerischen Geschichts- und Stadterfahrungsraum näherbringen.

Tragen Sie unsere Ideen verbindet als direkte Aufforderung an das Publikum fast alles, was die Kunst des Herrn Nestler ausmacht: Gattungsgrenzen werden hier auf der Basis des pneumatisch-architektonischen Formenvokabulars aufs Charmanteste durchschritten und das Werk aus dem Ausstellungskontext in den sozialen, aber auch performativen Raum eines städtischen Miteinanders geführt. Materialneugier und -kenntnis führen zu einem radikal avantgardistischen Objekt, das die Idee des begierig erwünschten, funktionalen Kunstaccessoires ebenso in sich trägt wie das figurativ Erweiternde. Aber in Ansätzen steckt auch das Prozesshafte, das Interaktive und Performative als Handlungsanweisung in der Arbeit. Der Rahmen des Skulpturalen, aber auch des Zeichnerischen wird zum erweiterten Erfahrungsraum hin geöffnet. Das Objekt wird zur geschichteten Figur, zum biomorphen Gegenüber, das das Künstliche mit dem Organischen verbindet. Der Künstler gibt im „Koffergespräch“ die Rolle des Erschaffers, Vermittlers, Performers und Gesellschaftsgestalters mit viel Witz an den Rezipienten zur kritischen Reflexion der Gegenwart weiter.

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Das Geheimnis des Dr. Fu Manchu Momente im Frühwerk von Norbert Nestler Günther Holler-Schuster

Herbert Baumgartner, Die Kunst Hrn Norbert Nestlers, 1974/83 (Filmstill)

1 Fu Manchu, eigentlich David Bamberg (1904– 1974), hatte in den USA als Illusionist und Zauberkünstler großen Erfolg. Fu Manchu ist aber auch die Hauptfigur der gleichnamigen Romanserie, die Sax Rohmer zwischen 1913 und 1959 schrieb. 2 Die Kunst Hrn Norbert Nestlers, 1974/83, Regie: Herbert Baumgartner, Kamera: Bernd Neuburger.

Als mysteriöse Figur à la Fu Manchu mit schwarzem Cape zieht Norbert Nestler durch die Wiener Innenstadt und spricht Passantinnen und Passanten an, denen er ein technoides Metallteil vor die Nase hält mit der Frage, was denn das sei.1 Man kann sich die Ratlosigkeit, die derartige Fragestellungen auslösen, vorstellen … Der Künstler mit seinem Kunstwerk auf Werbetour in eigener Sache.2 Wesentlich ist aber, dass sich in der kleinen Szenenabfolge Entscheidendes in Bezug auf Nestlers Kunst verdichtet darstellt: Der Akteur wendet sich im öffentlichen Raum direkt an das Publikum und versucht Fragen zu stellen, die das Kunstwerk allgemein betreffen – es gleichsam definieren sollen. Gerade damals, in den frühen 1970er-Jahren, wurden Veränderungen innerhalb einer konservativen und noch sehr wenig aufgeschlossenen Öffentlichkeit nicht begrüßt – wenn sie überhaupt bemerkt wurden. Entsprechend skurril kann

eine Publikumsbeteiligung, wie sie gerade beschrieben wurde, auch anmuten. Andererseits zeigt sich an diesem Punkt die Problematik zwischen Kunst und Rezeption. Für Nestler war es immer klar, dass sich die Kunst nicht im Verborgenen vollzieht, sondern dass das Publikum – in welcher Form auch immer – einen wesentlichen Anteil an der Natur eines Kunstwerks hat. Das Publikum folgt nicht selbstverständlich den Intentionen des Künstlers, des Museums, der Galerie etc. Vielmehr muss überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht werden, was Kunst zum jeweiligen Zeitpunkt überhaupt sein und bewirken kann. Wie in Nestlers Fall haben die Künstler im 20. Jahrhundert vielfach begonnen, an eigenen Begrifflichkeiten zu arbeiten und alternative Rezeptionskanäle aufzutun. Konfrontation, Partizipation und Interaktion sind dabei starke methodische Ansätze geworden.

3 Norbert Nestler: Der Kunstraum – Dialog und Ritual. Notizen zum Projekt. In: Norbert Nestler. Der Kunstraum. Dialog und Ritual, Künstlerhaus Graz. Graz 1983, o. S.

Seit den beginnenden 1960er-Jahren entwickelte Norbert Nestler seine künstlerische Sprache auf vielfältige Weise und wurde damit rasch zu einem Fixpunkt in der heimischen Kunstszene. Bis zu seinem Tod 2014 entstand so ein bemerkenswertes, umfangreiches Werk, das wesentliche Schritte innerhalb einer sich schnell verändernden Kunstentwicklung mit vollzog. Man bezeichnete ihn gerne als Grenzgänger, Interdisziplinären oder Kunstbegriffserweiterer. Mehr und mehr setzte sich schließlich der Begriff Objektkünstler zur Festlegung seiner Arbeit durch. Seine technoiden Formationen, meist aus Plexiglas und Aluminium, sind synonym geworden für ein Werk, das sich von der Malerei zur Skulptur, hin zur Performance sowie zur Fotografie verfolgen lässt. Er arbeitete an neuen Formen der Präsentation und experimentierte mit Kunststoffen, die den industriellen Charakter der Objekte betonten sollten. Als ausgebildeter Maler stieß er bald an die Grenzen des künstlerischen Ausdrucks in der Zweidimensionalität. Das Tafelbild, das in den 1960er-Jahren international erneut infrage gestellt wurde, geriet auch für Norbert Nestler zum Ausgangspunkt eines Transformationsprozesses, den damals viele junge Künstler/innen durchliefen. Nestler verhielt sich nie als kompromissloser und radikaler Avantgardist. Er strebte nicht in die Richtung des radikalen Aktionismus oder neuerer Formen der Medienkunst. Trotzdem aber gelang es ihm immer wieder seine künstlerische Sprache so zu formulieren, dass sie auf der Höhe der Zeit stand und verblüffend weitsichtig erschien. Die Auflösung des Zweidimensionalen in der Dreidimensionalität war ein erster Schritt in diese Richtung. Die Hinwendung zum Räumlichen blieb dabei keinesfalls im klassischen Kanon der Skulptur verhaftet. Durch den Begriff des Objekts gelang es Norbert Nestler auch den Funktions- bzw. Handlungszusammenhang in seine künstlerischen Überlegungen zu integrieren und damit ins Performative vorzudringen. Die Monumentalität des plastischen Werkes versuchte er damit von Beginn an abzuwenden. Für Nestler war klar: „[…] daß Kunst nicht das Objekt, sondern das Relationsbündel der Zustände des Objekts ist.“3 Das „Relationsbündel“ beinhaltet somit nicht nur die äußere Form des Objekts und dessen Materialität, sondern auch die kontextuelle Umgebung, die sich mit nicht sichtbaren Phänomenen beschäftigt. Das „Relationsbündel“ ist aber auch der menschliche Körper mit seinen organischen, psychischen und sozialen Bedingtheiten. Bereits als Maler ging Nestler immer vom menschlichen Körper als Grundkonstante aus. Diese anthropomorphe Grundhaltung sollte ihn sein gesamtes Werk lang begleiten. Norbert Nestlers Arbeiten der 1960er- und 1970er-Jahre bieten in rascher Abfolge eine Entwicklung, die in manchen Ausformungen durchaus als Vorwegnahme späterer Erscheinungen gelten kann. Allgemein zeigt sich immer mehr, dass die Kunst zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit ihren Crossovers, multimedialen Installationen, postmedialen Environments, mit ihrem Ereignischarakter, mit ihren Materialverwendungen aus der Alltagskultur und ihren Bezügen auf die Massenmedien wesentlich vom künstlerischen Aufbruch der 1960er- und frühen 1970er-Jahre abhängig ist. Viele

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Marcel Duchamp, Portebouteilles, 1914

Kasimir Malewitsch, Architekton Gota, 1923, Version 1926, Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg

Constantin Brâncuşi, Tabouret, ca. 1920

Quellen der aktuellen Kunst finden sich im Spannungsfeld zwischen Abstraktion, Ausdehnung in den Raum, Verwendung neuer Materialien, einer Hinwendung zum Performativen oder zum Immateriellen, wie sie in den Strömungen Fluxus, Happening, Minimal- oder Konzeptkunst zu finden sind. Nestler hatte in diesem historischen Moment einen großen Anteil an der Artikulation neuer Kunstformen. Wenn gerade erwähnt wurde, dass Nestlers Werk stets dem Anthropomorphen verpflichtet war, so sollte man nicht vergessen, dass einer der Hauptaspekte der modernen Skulptur darin lag, den Körperbezug aufzulösen. Das Abbild der Anatomie des Menschen erlebte dadurch gleichsam eine Absage. Zwei Strömungen waren um 1900 in Bezug auf den avantgardistischen Aufbruch entscheidend: Abstraktion und Vergegenständlichung. Was wie ein Widerspruch anmutet, kann als zweifache Entwicklung verstanden werden. Durch die Abstraktion wird der Gegenstand genauso wie der menschliche Körper formal aufgelöst. Die gleichzeitig stattfindende Vergegenständlichung meint andernorts den Einsatz von realen Dingen. Mit Marcel Duchamps Readymades sind industriell gefertigte Gegenstände direkt zu Kunstwerken erhoben worden. Keine individuelle künstlerische Handschrift war dabei mehr sichtbar. Realität statt Repräsentation. Bei Kasimir Malewitsch andererseits kann man beobachten, wie geometrische Figuren und mathematische Modelle als Elemente der Abstraktion sowohl in der Zweidimensionalität als auch in der Dreidimensionalität zum Einsatz kommen. Damit entstanden zwei Grundlinien innerhalb der Skulptur, die sich in der Folge unterschiedlich verdichten und weiterentwickeln sollten. Im Werk von Constanti­n Brâncuși kann man eine Symbiose der beiden genannten Aspekte feststellen. Einerseits ist es die zunehmende Abstraktion von Mensch und Natur, andererseits wendet sich der Künstler auch expliziter der Gegenstandswelt zu. Er tut dies, indem er den Funktionszusammenhang der jeweiligen Werke steigert. Erst durch den Handlungszusammenhang werden seine skulpturalen Gebilde zu Objekten und positionieren sich außerhalb des klassischen Skulpturenbegriffs. Brâncușis Objekte sind gleichzeitig Skulpturen, Sitzmöbel und Podeste. Auch die Materialfrage bedeutete eine Erweiterung der Möglichkeiten. War die Skulptur im klassischen Sinn auf edle Werkstoffe wie Marmor oder Bronze festgelegt, erfolgte am Beginn des 20. Jahrhunderts eine massive Öffnung in diesem Bereich. Materialien wurden plötzlich bewusster nach ihren Eigenschaften ausgewählt und in ihrer Vielfalt wahrgenommen. So war es naheliegend, auch die Schwere innerhalb der Skulptur – eines der immanentesten Merkmale der klassischen Skulptur – zu hinterfragen und nach und nach aufzulösen. Verspannte Drähte und Schnüre sowie der Einsatz von Licht und die Einbeziehung des Umgebungsraumes ließen neben dem Aspekt der Bewegung neue Aufgaben für die Skulptur entstehen. Die Idee der Immaterialität kam dabei zusätzlich als wesentlicher Faktor ins Spiel. Selbstverständlich war auch die Position bzw. die Präsentation der Skulptur oder des Objekts infrage gestellt. Die Immaterialität bzw. Objektlogik machte es möglich, dass die skulpturalen Gebilde schweben oder in Bewegung versetzt werden konnten. Die Frage nach dem Material spielte nicht nur in Bezug auf das Objekt eine Rolle, sondern sie war auch im Zusammenhang mit dem Gebrauch oder Nichtgebrauch eines Objekts entscheidend. Die Benutzbarkeit eines Kunstwerks stand im Gegensatz zu seiner historischen Funktion als Monument oder Ritualgegenstand. In den 1960er-Jahren waren die Materialüberlegungen zur Skulptur nahezu ausgelotet. Man kann sagen, dass sich alles – von Wasser, Feuer, Luft und Erde bis zu Handlungen und deren bildhafte Dokumentation – als Material für Skulpturen eignete. Die Auflösung einer klassischen Kategorie war mehr oder weniger vollzogen. Ein nächster Schritt war zweifellos die Thematisierung des Betrachters als aktiven Part im System – Handlungen und Handlungsanweisungen. Künstler wie Franz Erhard Walther

oder Robert Morris forderten das Publikum Ende der 1960er-Jahre zur Interaktion auf. Damit schienen alle wesentlichen Spielarten des Skulpturalen entwickelt zu sein. Sie fanden durch ihre jeweiligen Verdichtungen und Variationen ihre Weiterführung.

Miroslav Šutej, Rain, 1967

Gianni Colombo, Spazio elastico, 1967

Walter Pichler, TV-Helm (Tragbares Wohnzimmer), 1967, Sammlung Generali Foundation

Haus-Rucker-Co, EnvironmentTransformer: Fliegenkopf, Blickzerstäuber und Dizzler, 1968 4 Einreichunterlagen von Norbert Nestler für den Wettbewerb Architektur und Freiheit, „trigon ’69“. Archiv der Neuen Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum. 5 Steiermärkisches Landesarchiv, Neue Galerie Graz, „trigon ’69“, Protokoll über die Vorbesprechung für die Ausstellung „trigon ’69“ in Graz, Graz, 04.07.1968.

Norbert Nestler hat 1967 als junger Künstler überraschend den Joanneum-Kunstpreis erhalten. Mit dem Ölbild Wohin geht ihr, fliegende Brüste (→ Abb. S. 37) schaffte er es – nicht nur durch den enigmatischen Titel –, sowohl die Jury als auch das Publikum zu verblüffen. Organische Gebilde mit schlauch- bzw. röhrenartigen Erweiterungen bilden den Inhalt dieses Gemäldes, von dem einige formale Versatzstücke später wiederkehren sollten. Das Ungenügen der Zweidimensionalität war dem Künstler bereits anzumerken und sollte wenig später Anlass zum Ausstieg aus dem Tafelbild geben. Das Skulpturale war Nestler bereits während seines Studiums an der Akademie der bildenden Künste in Wien nahe gelegen. Ein frühes Resultat diesbezüglich ist zum Beispiel ein menschlicher Torso (Beflügelte Figur, 1966/70, → Abb. S. 25), der im Wesentlichen aus lamellenartigen Metallelementen konstruiert ist und an dem sich Nestlers Unentschiedenheit zwischen Bild und Gegenstand zu artikulieren beginnt. Die Auseinandersetzung mit dem realen Raum wird damit für ihn ein zentrales Anliege­n. Künstlerische Aussage bedeutet für ihn ab diesem Zeitpunkt die Bewältigung bzw. die besondere Wahrnehmung des Raumes. Mit dem Werk Engagierte Kunstkugel – einem nicht realisierten Konzept aus dem Jahre 1968 – versucht der Künstler massiv in den Raum vorzudringen. Einen eigenen Raum zu kreieren war das Ziel. Das Wesen dieses Raumes sollte in seiner Aktivierung bestehen. Eine innen vollständig verspiegelte Kugel von etwa vier Metern Durchmesser, die man von unten betreten kann, sollte den Betrachter in eine vollständig andere Realität versetzen. Das Durchbrechen der Seh- und Wahrnehmungsgrenzen ist hier sein zentrales Anliegen. In Bezug auf den klassischen Skulpturenbegriff vertauscht er die Erlebbarkeit des Skulpturalen von außen nach innen und letztlich vom Sehen zum Empfinden. Durch die gewaltige Dimension erreicht er eine architektonische Komponente, die das Kunstwerk zum Erlebnisraum macht. Bemühungen dieser Art sind in den 1960er-Jahren mannigfaltig vorhanden. Man muss nur an die „trigon“-Ausstellung ambiente / environment in Graz aus dem Jahr 1967 denken, in der wesentliche internationale Positionen diesbezüglich vorgestellt wurden. Ob es das psychedelische Environment Rain von Miroslav Šutej war oder der Spazio elastico von Gianni Colombo, man gelangte auf unterschiedlichen Wegen zu ähnlichen Resultaten. Immer sollte sich das Kunstwerk dabei in den Raum ausweiten, den Betrachter integrieren, seine Wahrnehmung verändern und ihn zum integralen Bestandteil des Kunstwerks machen: Partizipation zur Steigerung der Kreativität des Betrachters und als Synonym für allgemeines Demokratiebewusstsein. Nestler sah in letzter Konsequenz sogar vor, dass seine Engagierte Kunstkugel im Orbit kreisen sollte, um so auch die Gesetze der Schwerkraft ausschalten zu können. In der Folge konzipierte der Künstler 1969 sogenannte Klimaschalen, die er beim offenen Wettbewerb zur Ausstellung „trigon ’69“ zum Thema Architektur und Freiheit einreichte. Die Idee war ein Habitat, das alle Grundvoraussetzungen der individuellen Existenz erfüllen sollte – „Schutz gegen klimatische Einflüsse durch eine mehrschichtige Hülle aus hartem Klarsicht Kunststoff mit Temperaturzone und flüssigen Farbschalousien […].“4 Der Wettbewerb sah vor, dass „jeder Teilnehmer den Spielraum der individuellen gesellschaftlichen Freiheit innerhalb der Architektur von morgen aufzeigt und unter besonderer Berücksichtigung neuer Bauformen, neuer visueller Formen eine Verflechtung verschiedener Kunstarten, Ideen und Entwürfe liefert.“5 In diesem Zusammenhang ist interessant, dass sich der damalige Architekturstudent und Künstler Hartmut Skerbisch und der Architekt Manfred Wolff-Plottegg, die auch am Wettbewerb teilnahmen und nicht in die Preisauswahl kamen, grundsätzlich kritisch gegenüber der Themenstellung Architektur und Freiheit äußerten. Ihrer Meinung

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Haus-Rucker-Co, Ballon für zwei, 1972

Hans Hollein, Mobiles Büro, 1969

Cornelius Kolig, Ohne Titel, 1970

Coop Himmelb(l)au, Wolke, 1968 6 Steiermärkisches Landes­archiv Graz, Neue Galerie Graz, „trigon ’69“, Flugblatt von Hartmut Skerbisch und Manfred Wolff-Plottegg. 7 Eugen Gross: TRIGON 69 in Graz – Architektur zwischen Aggression und Konfusion. In: Bauwelt 1/2, 12.01.1970, 61. Jg., Berlin 1970, S. 48.

nach könne Freiheit weder definiert noch mittels Dingen dargestellt werden, da alle Versuche im Determinismus enden müssten. Den Darstellungen hafte somit an, „nicht das Dargestellte zu sein, sondern hauptsächlich ein Ausdruck der eigenständigen Automatik der gewählten Darstellungsart.“6 Der Grazer Architekt Eugen Gross fasste den Sinn des Projektes etwas konkreter: „Zweck der Gesamtveranstaltung ist es, Maximen für das verantwortliche Handeln in der unmittelbaren Gegenwart durch das Bild einer begrenzten Utopie der Zukunft zu gewinnen. Das Traumbild, das Wunschbild, das Angstbild der Zukunft ist ihr Gegenstand.“7 Nestlers Klimaschalen waren für einen imaginären zukünftigen Lebensrhythmus gedacht. Sicher wären derlei Raumkonzepte ohne ihre berühmten Vorläufer aus der Kunstgeschichte – Kurt Schwitters’ Merzbau, 1923, El Lissitzkys Prounenraum, 1923, Piet Mondrians Salon de Madame B., 1926 – nicht möglich gewesen. Näher war Norbert Nestler in diesem Moment allerdings den visionären Ideen der Architektur, die sich im Spannungsbereich zwischen skulpturalen Formen und Funktionsweisen abspielten. So hat Walter Pichler bereits 1967 Helme entwickelt, die im Inneren mit Monitoren ausgestattet waren, um so eine Realitätsverschiebung beim Träger derartiger Helme auszulösen – ein tragbares Wohnzimmer. Die Architektengruppe Haus-Rucker-Co entwickelte 1968 ihre Serie Environment-Transformer: Fliegenkopf, Blickzerstäuber und Dizzler. Diese Helme verwandelten optisch und akustisch den Prozess der Wahrnehmung. Auch die 1972 entstandene Idee eines Ballons für zwei – eine pneumatische Ausformung vor einem Wiener Wohnhaus – fällt in diese Überlegungen. Hans Hollein demonstrierte 1969 den Aspekt der Flexibilität und Mobilität, indem er sein Mobiles Büro aufs freie Feld stellte und in eine pneumatische Konstruktion hüllte. Ideen wie Transparenz, Flexibilität und Improvisation waren auch von Beginn an Ziele der visionären Architektengruppe Coop Himmelb(l)au. Das Motiv der Wolke zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Werk. Kapsel und Helm waren ebenso wesentliche Elemente bei der Realisierung ihrer Überlegungen. Diese Wolkengebilde – sie entstanden von 1968 bis 1972 – waren mit komplizierten technischen Apparaturen ausgestattet, die im Zusammenhang mit der pneumatischen Hülle einen Lebensraum für die Zukunft bedeuten sollten. Im Weißen Anzug von 1969 spielt die Dimension der Medien eine zentrale Rolle. Mit dem Anzug und dem dazugehörenden Helm ausgestattet, ist man gleichzeitig mit diversen Sendern und Informationstools verbunden, die eine virtuelle Dislozierung des Trägers forcieren. Überlebenskapseln, Helme, Datenanzüge bzw. -handschuhe waren in der Zeit der späten 1960er- und beginnenden 1970er-Jahre weit verbreitet. Die Möglichkeit des pneumatischen Körpers (Ballon, Schlauch etc.) brachte mannigfaltige Möglichkeiten hinzu. Vielerorts wurden Schläuche in unterschiedlichsten Dimensionen und Funktionszusammenhängen verwendet, die einerseits Zeichen von Flexibilität und Transparenz waren, andererseits Informations- und Kommunikationsleitungen oder einfach Werkstoff, dem futuristische Qualitäten zugesprochen wurden. Der Grazer Architekt Manfred Wolff-Plottegg entwickelte 1968 ein gestülptes Schlauchsystem, das sich problemlos biegen ließ, ohne geknickt zu werden. Die transparente Pneuma­ tische Konstruktion war eine auch später von ihm variierte, beliebig ausdehnbare Raumstruktur. Ob Architektur oder bildende Kunst – man wollte diese Trennung ohnehin nicht mehr weiter akzeptieren – Kunststoffe waren durch ihre Möglichkeiten ideal für die Artikulation aktueller formaler Fragestellungen. In Ljubljana gingen Mitglieder der Gruppe OHO 1968 in den öffentlichen Raum (Zvezda-Park) und platzierten transparente Schlauchleitungen derart, dass sie – mit einem Staubsauger aufgeblasen – mitten unter den Passanten plötzlich wuchsen und sich aufbäumten bzw. ein weiches Hindernis darstellten. Der Australier Jeffrey Shaw und der Niederländer Theo Botschuijver legten 1970 einen überdimensionalen, 250 Meter langen und im Inneren begehbaren Schlauch, Waterwalk Tube, über den Maschsee in Hannover, sodass beide

Coop Himmelb(l)au, Herz Stadt – Der weiße Anzug, 1969

Manfred Wolff-Plottegg, Pneu­ matische Konstruktion, 1968

Milenko Matanović, Happening im Zvezda-Park, Ljubljana, 1968

Jeffrey Shaw, Theo Botschuijver, Waterwalk Tube, 1970

8 Norbert Nestler, Graz 1983, o. S. 9 Norbert Nestler, art play. Einladungsposter der Ausstellung in der Galerie beim Minoritensaal (Kulturzentrum bei den Minoriten), Graz, Eröffnung: 09.06.1970, o. S.

Ufer des Sees miteinander verbunden waren. Die spirituelle Dimension – auf dem Wasser zu gehen – war dabei selbstverständlich immanent. Man kann diese Entwicklung als leichtfertiges Spiel mit den Möglichkeiten in einer ästhetisierten Zukunft ansehen, aber es handelt sich bei all diesen Überlegungen auch um den modellhaften Verweis auf ein Leben in einer belasteten, zerstörten Umwelt. Die Spiel- und Abenteuerlandschaften kalkulierten zusätzlich meist mit einem aktiven Publikum. Partizipation in dieser Form war typisch für die Kunst dieser Zeit. In diesem Zusammenhang entstehen auch die zahlreichen apparatehaften Objekte aus diversen Kunststoffen wie Plexiglas und Aluminium. Sie erscheinen modellhaft und werden zwischen Architektur und Skulptur rezipiert. Die überhöhte Schönheit, die diesen technoiden Produkten innewohnt, kann auch gegenteilig interpretiert werden. Eine Kritik an einer kühlen, allgegenwärtigen Technikbegeisterung – es war beispielsweise die aktivste Zeit der Weltraumforschung – wurde vielfach bemerkbar. Anhand dieser kurzen Aufzählung wird klar, wie nahe Norbert Nestler dem aktuellen Diskurs damals war. Seine Überlegungen – Engagierte Kunstkugel und Klimaschalen – verfolgten ähnliche Ziele. Das Formenvokabular war reichhaltig und gut vorbereitet, und das Zusammenspiel aus Skulptur, Performance und Medien erweiterte nicht nur die Architekturkonzepte, sondern wirkte in alle Sparten der Kunstausübung dieser Zeit hinein. Norbert Nestler war zwar nicht direkt mit aufblasbaren Schlauchsystemen beschäftigt, er entwickelte aber Formen, die eindeutig diesem Kontext folgten. Nicht nur, dass der Schlauch bzw. die Röhre als Modul von ihm vielfach eingesetzt wurde, auch im Objektbereich gelangte Nestler zu einem für ihn zentralen Formalansatz. 1968 beginnt der Künstler an einer Skulptur zu arbeiten, die für sein weiteres Tun richtungsweisend wurde – Peddigobjekt (→ Abb. S. 57). Diese etwa drei Meter hohe geflochtene Säulenform mit abgerundeten Enden kann als eine aus dem menschlichen Körper – wohl dem Körper des Künstlers selbst – entwickelte Formulierung angesehen werden. Wieder ist das eingangs erwähnte Zitat des Künstlers zutreffend: „Kunst ist nicht das Objekt, sondern das Relationsbündel der Zustände des Objekts.“8 Nestler verwendet in der Folge diese als „Primärfigur“ aufgefasste Säulenform in unterschiedlichster Materialität. Auch die Funktionsweisen dieses Objekts waren mannigfaltig. Es konnte im Raum bewegt bzw. getragen werden, es konnte von der Decke hängen, am Boden liegen, als Performancetool fungieren oder, von innen beleuchtet, die Funktion einer Leuchte übernehmen. Selbstverständlich war diese Lampenfunktion nicht im Designkontext gedacht, sondern trug zur Immaterialität des Kunstwerks bei. Das Licht, das durch die Flechtstruktur der Säule Schattenstrukturen im Raum erzeugte, war somit als gleichwertiger Werkstoff eingesetzt. Derart wurde der Raum in das Werk integriert. Man ist an Kunstwerke wie Bruno Munaris Konkav – Konvex von 1949 erinnert, wo ein abstraktes Drahtgeflecht von der Decke hängt und so beleuchtet wird, dass sich das Schattenbild an der gegenüberliegenden Wand abzeichnet. Durch die Flexibilität des hängenden Objekts ist dem Werk auch ein gewisser Grad an Bewegung eigen, die die Raumwahrnehmung beeinflusst. Eine der bemerkenswertesten Ausstellungen von Norbert Nestler fand 1970 im Kultur­zentrum bei den Minoriten in Graz statt – art play. Dabei produzierte der Künstler Lichtpausen von Grafiken, die unterschiedliche Schlauchsegmente zeigten (vgl. → Abb. S. 44, 45, Umschlag). Diese in großer Zahl vorhandenen Lichtpausen konnten vom Publikum in beliebiger Art und Weise im Ausstellungsbereich platziert werden und sollten so den kreativen Part an das Publikum weitergeben. Nestler: „Die Originalität des Kunstwerks entsteht in der Produktion selbst.“9 Die Kritik sah darin ein Potenzial für die Zukunft. „Wenn man Nestlers bisherige Entwicklung auf weitere

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Bruno Munari, Konkav – Konvex, 1949

mögliche extrapoliert, könnten interessante Ergebnisse die Regel werden.“10 Nestler ist hier an einem Punkt angelangt, wo er den Kunstbegriff weit fasst und herkömmlichen Produktionsweisen weitgehend eine Absage erteilt. Er kehrt allerdings wieder zur Sphäre des Objekts, des vom Künstler zur Gänze konzipierten und ausgeführten Kunstwerks zurück. Objekte aus Plexiglas, Glas und Aluformrohren, die die Schläuche ersetzten, waren in der Folge sein Ziel. Hier drängt sich auch die Frage nach dem Objektbegriff auf. In der Tradition der Readymades von Duchamp ist das Objekt ein Teil der Realität, der zum Kunstwerk ernannt wird – etwa ein industriell gefertigter Gebrauchsgegenstand (Urinal, Flaschentrockner etc.). Dessen Form bleibt dabei erhalten, nur der Funktionszusammenhang wird verändert. Anderen Werken mit Objektcharakter ist ein Funktionszusammenhang auch formal eigen. Apparatehaft, technoid, aus industriell gefertigten Elementen zusammengesetzt, wird dabei eine Funktion angedeutet. Gegenüber dem klassischen Readymade ist das eine Verdichtung des Vokabulars. Das Kunstwerk begibt sich dadurch wieder auf die Ebene der Repräsentation, während die Readymades oder auch die Objektakkumulationen der Nouveaux Réalistes der 1960er-Jahre die Realität direkt einsetzten. Bei Nestler ist der Realitätsbezug im Objekt zwar da, jedoch hat sich die Ursprungsidee bzw. der Funktionszusammenhang aufgelöst. Nur mehr die formale Ähnlichkeit stellt einen Bezug zum Ausgangsobjekt dar. Gut zu beobachten ist dies im Werk Eiserne Jungfrau hoffend von 1971 (→ Abb. S. 55). Den Ausgangspunkt bildete eine reale Dusche, die den Benutzer in eine käfigartige Röhrenkonstruktion stellt, wobei das Wasser von allen Seiten durch kleine Löcher kommt. Die Konstruktion folgt somit formal der Form des menschlichen Körpers – sie umfängt ihn. In der Folge belässt Nestler die Röhrenstruktur und setzt horizontal grüne Plexiglasscheiben ein, die wie Rippen erscheinen. Damit wird die Idee des Readymades variiert und dieses gleichsam in eine symbolische Ebene zurückentwickelt. Weitere Objekte dieser Art, die immer wieder eine Verbindung zwischen Gegenstand und Körper eingehen, sollten folgen.

Peter Kogler, Schindler Discotheque, 1996

Nestler hat, wie hier zu sehen ist, seine künstlerische Sprache entlang der Tendenzen seiner Zeit entwickelt. Die Reise vom Bild zum Objekt, weiter zum Körper, zur Handlung und wieder zurück zum Bild vollführt er in einem relativ kurzen Zeitraum. Die Säulenform, die letztlich den eigenen Körper als Ausgang hat, die Schlauchform, die Verwendung spezieller Metalle und Kunststoffe, das Performative sowie die Fotografie werden bis zum Schluss wesentliche Faktoren in seinem Werk bleiben. Seine radikalsten Ansätze kann man zweifellos im Zeitraum zwischen Ende der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre beobachten. Von diesen ausgehend ergaben sich mannigfaltige Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Werkes. Man ist in dieser Zeit international wie auch hier in Graz zu neuen Formen und Methoden aufgebrochen, die das Dagewesene für immer veränderten. In Strömungen wie Happening, Fluxus, Performance und Konzeptkunst konnten revolutionäre Veränderungen bewirkt werden. Der Wiener Aktionismus als radikale Körperkunst und gesellschaftspolitische Bombe hatte in dieser Zeit genauso seinen Höhepunkt wie die Experimente und Entwicklungen innerhalb der technischen Medien. So stellte die frühe Videokunst ein enormes Potenzial an Möglichkeiten zur Verfügung – sowohl inhaltlich als auch formal. Das performative Element konnte direkter und vielfältiger auf das Publikum übertragen werden. Durch die neuen Medien hatte man überzeugende Tools im Zusammenhang mit der Konstruktion einer Wirklichkeit, die das Kunstwerk sichtbar machen sollte.

10 Dietmar Polaczek: Von der Ideologie des Spiels. In: Neue Zeit Graz, 11.06.1970, o. S.

Dass Nestlers Überlegungen Perspektiven in sich tragen, zeigt beispielsweise in den 1990er-Jahren die viel spätere Verwendung von Röhren- und Schlauchformen durch Peter Kogler. Auch Kogler lässt die Röhren, die er mit dem Computer generiert,

Getulio Alviani, Environment Cubo, 1969

vom Bild in den realen Raum wachsen. Den partizipativen Ansatz, den Nestler noch anstrebte, findet man bei Kogler nicht mehr in der Form, dass sich das Publikum an der Gestaltung beteiligt, sondern eher in der Manipulation der Raumwahrnehmung, erzeugt durch die unterschiedlichen Rasterstrukturen an den Wänden, die in weiterer Folge durch aufwendige Projektionen auch tatsächlich in Bewegung geraten.

Norbert Nestler, Spontanobjekt (Der Strandläufer), 1977

Norbert Nestler, Spontanobjekt (Kretazaun), 1977

Erwin Wurm, Ohne Titel (One Minute Sculptures), 1997/98, FRAC Limousin, Limoges

In Nestlers 1977 entstandenen Spontanobjekten, in denen er zufällig gefundene Gegenstände, aber auch Teile seiner Objekte zusammenfügt, sollte diese Perspektive nochmals sichtbar werden. Die labilen und spontan entstandenen Kompositionen fotografiert er und überlässt sie ihrem weiteren Schicksal. Erwin Wurm sollte sich viel später, in den 1990er-Jahren, mit seinen weltberühmt gewordenen One Minute Sculptures beschäftigen. Hier wie dort kalkulieren die fotografierten Gegenstände mit der Akzeptanz der medialen Realität. Dem Foto nimmt man die direktere Vermittlerrolle zur Wirklichkeit eher ab, und man erlebt gleichsam die dokumentierte Handlung bzw. die vermittelte Realität. Wurm hat den performativen Aspekt deutlicher formuliert und setzt auch Personen ein, die sich in Aktion befinden. Er friert gleichsam einen bewegten Moment ein, während Nestler beim Objekt bleibt und dadurch eher die Massivität und die mit einem Ewigkeitsanspruch versehene klassische Skulptur zu unterlaufen versucht. Indem er die Objektkompositionen äußerst labil hält und somit der raschen formalen Veränderung überlässt, erzeugt er einen Gegensatz zur traditionellen Vorstellung von Skulptur, die in der Schwere und Stabilität liegt. Norbert Nestlers Werk ist zweifellos ein vielfältiges, das sich in vielen Medien der Kunst ausdrückt und das immer wieder Momente erreicht, die wie Bifurkationspunkte Möglichkeiten in unterschiedliche Richtungen aufmachen. Die Entscheidung, welchen Weg zu gehen notwendig ist, fällt der Künstler selbst. Die Zukunft unterstützt ihn dabei oft in der Vergangenheit und löst so die Geheimnisse des Dr. Fu Manchu weit­ gehend auf.

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Körper und Raum bei Norbert Nestler Elisabeth Fiedler

Das Interesse an einer offenen, demokratischen Gesellschaft, die immer wieder neu untersucht, befragt und herausgefordert werden soll, ist Teil der Denk- und Arbeitsweise von Norbert Nestler, in der er physische Präsenz mit dem Naturraum oder urbaner Struktur künstlerisch konfrontiert. Transparenz und Durchlässigkeit sind ihm nicht nur gesellschaftspolitische Anliegen, sondern auch seinen Arbeiten inhärent. Sozialisiert in der Nachkriegszeit und ausgebildet in den 1960er-Jahren, stellen seine Erweiterungen formaler wie auch inhaltlicher Überlegungen und Umsetzungen ein spezifisches Reagens auf soziale Bedingungen in Reflexion auf Geschichte und Kunstgeschichte dar. Seine ebenso expressiven wie konzeptuellen Überlegungen sind bezeichnend für die künstlerische Auseinandersetzung im Österreich der damaligen Zeit. Norbert Nestler, Peddigobjekt, 1968–70, gehalten von Michael, dem Sohn Norbert Nestlers

Die Geschichte des abstrakten und konzeptuellen Denkens in Österreich geht bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück, unter anderem auf die Publikationen Adolf Hölzels in der Zeitschrift Ver Sacrum. Trotz dessen Einflusses auf Johannes Itten und theoretischer Ansätze des Bauhauses sowie der Leistungen der Zweiten Wiener Schule (Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern u. a.) und Josef Matthias Hauers dominieren expressionistische Ausdrucksformen die damalige österreichische Kunst. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wird kontextuelle Kunst mit dem Art Club und der Wiener Gruppe möglich. Man setzt sich mit bis dato weitgehend unbekannten Kunstformen wie Kubismus, Konstruktivismus, Surrealismus, Dada oder Abstraktion auseinander. Daraus ergeben sich verschiedene Formen der Abstraktion und des Informel ebenso wie der österreichische Phantastische Realismus. Haben bereits in den 1920er-Jahren Maler/innen, Bildhauer/innen, Fotografinnen/ Fotografen und Avantgardefilmer/innen den Bereich der Medienkunst geöffnet und die Gleichberechtigung aller Materialien deklariert, ist die österreichische Kunst der 1960er-Jahre in Rückblick und Weiterentwicklung dieser Tendenzen von spezifischen Ausdrucksweisen gekennzeichnet. Dies deshalb, weil auf Basis der sprach- und psychoanalytischen Tradition von Wittgenstein und Freud nun sowohl konzeptuelle als auch expressive und körperbetonte Ausdrucksweisen möglich werden. In der

Untersuchung des Seins in der Welt und aus der Erfahrung politisch-diktatorischer Wahnvorstellungen wird auf unterschiedlichen Ebenen der Weg für kontextuelles Denken ebenso frei wie für den Aktionismus. Raum, Zeit, der Einsatz künstlerischer und Naturprozesse sowie Eingriffe in die Öffentlichkeit werden wesentliche Parameter für eine Kunst, die nicht mehr die Welt repräsentiert, sondern Aktionsfeld sein sollte.

Norbert Nestler, Beflügelte Figur, 1966/70

Vor diesem Hintergrund eminenter sozialer, politischer und künstlerischer Wandlungen generiert auch Norbert Nestler seine Überlegungen und Umsetzungen, die einerseits die eigene Handschriftlichkeit in den Hintergrund rücken, andererseits den eigenen Körper als Maß und Arbeitsmaterial integrieren. Als Wiener, der 1966 nach Graz übersiedelt, schließt er sich vorerst dem „Werkbund“ an und wird 1970 auf Einladung von Günter Waldorf Mitglied des „Forums Stadtpark“, jenes ersten Mehrspartenhauses, das aufgrund fehlender Akademien oder adäquater Ausbildungsstätten zum Zentrum von Literaten, Architekten, Malern, Filmemachern, Fotografen, Journalisten, Wissenschaftlern und Theatermachern wird. Ausgebrochen aus der Tradition von Graz als „Stadt der Volkserhebung“ kann sich dieses Haus 1960 trotz ursprünglicher Ablehnung durch Politik und Behörden in revolutionärer Selbstbestimmung als wesentlicher Ort intellektueller Auseinandersetzung in Graz erfinden und etablieren. Auch Norbert Nestler, der sich ausgehend vom Konstruktivismus mit Minimal Art oder Happening beschäftigt, findet hier neue Freunde, Diskussionspartner und entwickelt seine eigenen Vorstellungs- und Ausdrucksformen. In seiner ersten Einzelausstellung Pastellarbeiten im Café Express (das heutige Café Muhr) am Grazer Hauptplatz, ausgestattet von den Architekten Günther Domenig und Eilfried Huth, erläutert Nestler seinen Standpunkt: „[…] der ‚nicht-laie‘ glaubt oft an die absurdität der gegenständlichen malerei. der gegenstand ist nicht tot. das leben ist abstrakt, aber es erfüllt sich im gegenstand […] daher ist das wesen des abstrakten durch den gegenstand auszudrücken.“1 Mit der Arbeit Wohin geht ihr, fliegende Brüste, 1967 (→ Abb. S. 37), in der er Malerei als Prinzip hinterfragt und erweitert und für die er den Joanneum-Kunstpreis erhält, beginnt auch seine Auseinandersetzung mit Körper und Raum. Als Resultat entsteht seine erste Zinkplastik Beflügelte Figur, 1966/70, die das Potenzial der Öffnung nach außen in sich trägt.

Norbert Nestler, Friederike Jeanne Nestler-Rebeau, Das Bild zer­ bricht, Herrengasse, Graz, eine Installation zum Projekt Skin­ progress, 1983

1 Einladungskarte zur Ausstellung im Café Express, Hauptplatz 17, Graz, März 1967, Archiv der Neuen Galerie Graz.

Sein Bestreben nach Aktivierung der Beziehung von realem Raum, unter dem er jenen durch den Stoff gegliederten Raum versteht, und imaginärem Raum, jenem durch den Menschen erlebten oder nicht erlebten Raum, zeigt sich bereits 1968 mit der Enga­ gierten Kunstkugel, einem konzeptuellen Entwurf für eine begehbare, innen komplett verspiegelte Sphäre. In einer performativen Arbeit im öffentlichen Raum versucht er die Überschneidung dieser Räume erlebbar werden zu lassen, neue Wahrnehmungen zu provozieren: In Zusammenarbeit mit Friederike Jeanne Nestler-Rebeau positioniert er einen über­ dimensionierten Bilderrahmen in der Herrengasse – die Installation Das Bild zerbricht aus dem Projekt Skinprogress, 1983. Während man den Rahmen durchschreitet, hört man Splittergeräusche zerbrechenden Glases. Natürlich geht es hier um den berühmten Blick hinter den Spiegel, und man erkennt Nestlers Auseinandersetzung mit dem Surrealismus. Mit dieser Methode sucht er hier neue Räume zu öffnen und bereits bekannte in ein anderes Bewusstsein zu bringen.

26 —  27 Elisabeth Fiedler

1967 beteiligt er sich am Wettbewerb für den Kunstförderungspreis der Landeshauptstadt Graz. Er widersetzt sich der Vorgabe zur Erstellung einer „Grazer Mappe“, eines „Zyklus von neun Grazer Motiven in hochwertiger Schwarz-Weiß-Technik“2 und schlägt der Jury aufgrund seiner Recherche nach Grazer Motiven stattdessen vor, die Grazer Blutgasse wieder zugänglich zu machen und es zur Gänze rot anzustreichen. „Vom Schlossberg aus gesehen müsste die enge Schlucht wie ein roter Faden, den man zwischen den Dächern der Altstadt verfolgen könnte, sichtbar sein. Die rote Gasse wäre eine symbolische Blutspur jener Delinquenten, die ehemals vom Gefängnis am Schlossberg bis zur Richtstätte am Hauptplatz geführt worden sind.“3 Mit diesem Vorschlag durchbricht er nicht nur genormtes Regelwerk, er öffnet sich auch stadthistorischen Gegebenheiten, will Geschichte ins Bewusstsein zurückrufen und zeigt seine erweiterte Vorstellung von Kunst und öffentlichem Raum. Formales An-die-Oberfläche-Holen historischer Konzepte realisiert er im selben Jahr mit der Arbeit Schachbrettbein (→ Abb. S. 43), für die er ein gefundenes Tischbein rosa bemalt und auf einen verspiegelten Sockel stellt.

Norbert Nestler, Günter Kainz, multimediaaktion put. Konglomerate zeitgenössischer Kunstauffassungen, 1971 (Ausstellungsplakat)

Als tragbare Skulptur realisiert er 1968–70 das Peddigobjekt (→ Abb. S. 57), ein 2,8 m langes und 29 cm tiefes Gebilde aus Peddigrohr, das Nestler in jahrelanger Arbeit gefertigt hatte. Untertitelt mit Meditationsobjekt kann dieses vom Menschen umfasst und durch die Landschaft getragen werden. 1970 erweitert er es, von innen beleuchtet, zum Lichtobjekt, in dem Transparenz und Durchlässigkeit ebenso wichtig erscheinen wie die Transformation des Umraumes durch die Leuchtkraft und Flechtstruktur. Diese Intention der Transparenz und Durchlässigkeit erweitert sich in seinen seriellen Plexiglasobjekten ab 1969, aber auch in seinen kunst- und gesellschaftserweiternden Aktionen. So gründet er 1971 gemeinsam mit Günter Kainz die Multimediaaktion PUT als informelle Gruppe (bis 1973), die Aktivitäten in der Gesellschaft setzen und damit neue Publikumsschichten ansprechen will. Ausgehend vom Wort „put“, das im Serbokroatischen „Weg“ oder „Straße“, im Englischen „setzen“, „legen“, „stellen“ bedeutet, ist PUT „das Zeichen oder Werk, das der Künstler setzt oder hinstellt und auf diesem Weg an die Öffentlichkeit bringt.“4 Nach außen zu gehen, Menschen zu erreichen und Positionen zu setzen sucht er im Clublokal CA6, in dem vor allem Peter Gerwin Hoffman­n mit seiner Performance Mit kurzem Haar töte! schockiert.

Norbert Nestler, Brunnen, 1972/78 (Modell) 2 Reingard Lang: Norbert Nestler. Leben und Werk. Diplomarbeit, Graz 2011, S. 18. 3 Lang, S. 19. 4 Multimediaktion PUT. Konglomerate zeitgenössischer Kunstauffassungen, Folder zur Eröffnungs­ ausstellung im CA6, Graz 4.2.-6.3.1971, zit. nach Lang, S. 21.

Gemeinsam mit Günter Kainz entwickelt er auch die Arbeit Tragen Sie unsere Ideen, zwei Ideenboxen mit vier Projekten für den Stadtraum Graz (→ Abb. S. 52): U(h)r Steirer, Programmierter Lichtfluss, Disturb Art, Kontaktkorridor Blutgasse/Graz. Mit diesen kofferähnlichen Tragobjekten gehen die beiden Künstler während trigon ’71. intermedia urbana durch die Grazer Innenstadt und legen Passanten die Idee des Projekts dar. In seiner ersten Großplastik Balanceakt’70 (→ Abb. S. 49), die in der Ausstellung Österreichische Kunst ’70. Skulpturen, Plastiken, Objekte in Schloss und Garten Eggenberg gezeigt wurde, geht er einmal mehr von der anthropomorphen Form aus – in Plexiglas, auf einem Stahlteller balancierend – und setzt diese der Frage nach Masse und Masselosigkeit, Leichtigkeit und Schwere sowie der Eroberung des Raumes aus. Einflüsse der kinetischen Kunst erscheinen hier ebenso deutlich wie seine Frage nach Verbindung von Mensch und Umfeld.

Im Brunnen (→ Abb. S. 101), den er 1978 als Projekt für „Kunst am Bau“ auf dem Areal der heutigen Landesnervenklinik Sigmund Freud in Graz errichtet, stapelt er durchsichtige Plexiglasscheiben mit Abständen zum Transparentobjekt, an und zwischen denen Wasser in unterschiedlichen Lichtsituationen in ein Becken rinnt. Auch diese Form ist übersetzbar auf den menschlichen Torso und sein Verhältnis zur Natur. Unmittelbar in den Stadtraum greift er planerisch noch einmal gemeinsam mit Friederik­e Jeanne Nestler-Rebeau mit einem Kunsthaus Graz Impulsvorschlag im Jahr 1999 ein. Nach Bekanntwerden des Bauvorhabens am jetzigen Standort des Kunsthauses skizziert er eine weitläufige Architektur, die sich über das rechte Ufer der Mur auf den Fluss zu erstreckt. Die Erdgeschossfläche bleibt frei bespielbar. Statt Abgeschlossenheit und Stadtteilzuordnung wird hier ein möglichst offenes architektonisches Gebilde skizzenhaft vorgeschlagen. Norbert Nestler, Friederike Jeanne Nestler-Rebeau, Kunsthaus Graz Impulsvorschlag, 1999 (Auswahl)

So bleibt Norbert Nestler seiner Intention treu, sich einzumischen, nach außen zu tragen und aktuelle Fragen zur Kunst und ihrer Vermittlung zu stellen. Körper, Bewegung und Raum sind dabei seine ständigen Koordinaten, die er sowohl inhaltlich als auch formal reduziert, dynamisiert oder als Idee dem Stadtraum einschreibt.

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The Art of Mr. Nestler Overview of exhibition and catalogue

As a sculptor, draughtsman, performer and art teacher, Norbert Nestler (1942–2014) was for many years a protagonist within, and shaper of, the art world in Austria, particularly in Graz. From his early beginnings as a painter, Nestler investigated the interpenetrating space between abstraction and figuration, and sought to migrate art into the realm of real or interactive space, that is, to translate it to the contemporary arena, such that it would be relevant to the viewer. After completing his studies at the Academy of Fine Arts in Vienna in 1965, Nestler experimented with new techniques, such as light-sensitive printing, and new materials, including Plexiglas, testing them for their permeability in aesthetic and functional terms, and for how they might be employed in an interactive or participative manner. Thus, light repeatedly became an active element in his oeuvre, the plane a layered sculpture, and tubing a motif representing the future. In both Nestler’s entry to the ‘trigon’ biennial in 1969 and his contribution to the ‘trigon’ exhibition, intermedia urbana, held in Graz in 1971, the artist abandoned the representational and figurative, instead focusing more on the spatial, and, along with it, the contextual. He worked using serial multiples, exploring and expanding on the possibilities of the media he employed. In his drawing and sculptural work, he concentrated both on the penetrative and what it is to be penetrated working in an increasingly abstract formal manner. In the 2014/15 retrospective, Die Kunst des Herrn Nestler (The Art of Mr. Nestler), which was developed with the artist prior to his death, Neue Galerie Graz for the first time exhibited a chronological selection of the artist’s work dating from 1967 to 2014. On show were experimental sculptural objects, installations and drawings, as well as the piece, Schlauchgrafik (Tube Graphics), executed specifically for the stairwell at Neue Galerie Graz. The works selected focused on Nestler’s pioneering early drawings and sculptural works, which demonstrate the consistency and signification of the radical approaches he employed. Inspired by the spirit of optimism of the 1960s, Norbert Nestler took an active interest in the production of art as an artist, and in the associated elucidatory process of perception. Today, his oeuvre is also seen to be issuing a challenge, demanding that a reflective society be created collaboratively, and thus to have lost nothing in terms of its validity.

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This catalogue documents the exhibition and includes texts by the artist, who sadly died far too early, in the form of brief comments on, and recollections about, individua­l works. Abstracts of the three extended essays also featured in the volume are reproduced below:

The Art of Mr. Nestler Katrin Bucher Trantow In her essay, the curator of the exhibition focuses on the interlinking elements of Nestler’s work that expanded the possibilities of space and media, such as they were employed by the artist: the performative and participatory aspects, and the educational facets of his oeuvre. She traces those key moments of his life story that had a great influence on Nestler’s development as an artist, such as his artistic involvement in the ‘Forum Stadtpark’ in Graz. From an early stage of his career, he concerned himself with issues relating to the reproduction and demystification of the artwork, in favour of audience participation. Nestler sought to do so, for instance, by using technical procedures, such as those employed in print media, or in the instrumentalisation of objets trouvés and multiples. Nestler’s work transcends genre boundaries, and throws into question notions of pedestal and frame. It penetrates sculptural, mediarelated and institutional space, and it is theatrical, opening up a site of interaction between artwork and viewer—from the late 1970s onwards it would increasingly do so in the public space. The author addresses the key themes of contextuality, performativity and relationality in Nestler’s oeuvre, tracing them in the series of objects, the Pharisäer (The Pharisees), the exhibition, Der Kunstraum. Dialog und Ritual (The Creative Space. Dialogue and Ritual), the film project, Die Kunst Hrn Norbert Nestlers (The Art of Mr. Norbert Nestler) and the ‘idea boxes’/action, Tragen Sie unsere Ideen (Carry Our Ideas).

The Secret of Dr. Fu Manchu Moments in the early work of Norbert Nestler Günther Holler-Schuster The author investigates Nestler’s sculptural work circa 1970, which is closely related to the pneumatic objects of expanded architecture (e. g. Haus-Rucker-Co, Coop Himmelb(l)au), placing it within its art-historical context. In doing so, he reveals just how closely the sculptural artist, Norbert Nestler was in his oeuvre to that of artists working contemporaneously to expand the notion of art, even if he was not amongst the most radical exponents of the tendency. There is an evident dynamic in Nestler’s early work, in particular, that would soon lead the artist from the image to object, and then on to the body, to action and then back again to the image. Art, for Nestler, was not merely the object alone. Instead, it was about the ‘relational cluster of the object’s conditions’—that is, form, materiality, mobility, utility, presentation, position and correspondences within space, and its relation to those viewing it. Of particular value to Nestler was the relationship with the human body on the physical, mental and social levels. There was a close correspondence in Nestler’s early work of around 1970 to visionary architectural ideas concerned with the perception and active experiencing of space, with flexibility and transparency. This was also apparent in the

artist’s investigations into pneumatic entities, such as the tube, its form being central to Nestler’s oeuvre. Finally, the author considers pieces by two artists working in the 1990s, Peter Kogler’s tube forms and Erwin Wurm’s One Minute Sculptures, which he juxtaposes with Nestler’s Spontanobjekte (Spontaneous Objects).

Body and Space in Norbert Nestler’s Oeuvre Elisabeth Fiedler The author turns her attention to the significance, amongst other things, of Nestler’s work for the perception of public space as a site of socio-political and artistic negotiation. She exemplifies this by demonstrating how Nestler attempted to elicit new perceptual processes by means of sculptural designs, installations, performances and other media in order to activate the relationship between material and experiential space, thus seeing art as a field of action. The relationship between man with his human body and his environment was one of Nestler’s constant preoccupations. Participation, interaction, permeability and transformation of surrounding space are the key concepts of his approach to art. Nestler’s own physical presence was central to this; he instrumentalised his body both as a standard of measure and working material, which can be seen in his marked interest in performative actions and the anthropomorphic formal language of his drawings and sculpture.

Werke der Ausstellung mit Originalzitaten von Norbert Nestler

34 —  35 Stiegenschlauchgrafik, 1969/70, 2013/14, Ausstellungsansicht Neue Galerie Graz

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Erstmals war die Installation in meiner Personal­ ausstellung 1970 im Stiegenhaus zum Minoritensaal (Galerie beim Minoritensaal, Graz) zu sehen: Schlauchformen (zweidimensional), 4,6 Meter lang im Lichtdruckverfahren hergestellt, foliert, waren über die Stufen gelegt. Neueinrichtung der ­Installation als Replik: wird im Stiegenhaus des Joanneums zu meiner großen Perso­ nalausstellung in der Neuen Galerie Graz ausgelegt. Die Vorlage (Transparent­papier, Tusche gespritzt) wird den ­Farben der Lichtpausen (rot, blau) ange­ passt und foliert. Jene bänderartigen Formen, die sich in Nestlers f­ rühen Pastell-, Öl- und Acrylarbeiten ­spielerisch um ein Zentrum winden, entwickeln sich zu einem ­formalen Stilmerkmal, dem Schlauch, den Nestler ­grafisch modulartig variiert und auch ­dreidimensional im Peddigobjekt aufnimmt, ­changierend zwischen einer natürlichen und stark abstrahierten Formgebung. Anlässlich der Ausstellung art play 1970 produziert Nestler Zeichnungen von schlauchartigen „Urelementen“, die mittels ­Lichtpausverfahren auf Klebefolien seriell ­vervielfältigt werden können. Jeder Rezipient soll diese Grafiken auf Wänden, Treppen oder Möbeln frei kombinieren und somit spielerisch technoid-­ organische Röhrensysteme gestalten ­können.

36 — 37 Wohin geht ihr, fliegende Brüste, 1967

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Diese Arbeit brachte mir überraschend den ­Joanneum-Kunstpreis für zeitgenössische Kunst 1967. Den Preis hätte ich gar nicht entgegennehmen dürfen, denn statutengemäß bin ich weder in der Steiermark geboren, noch war ich damals fünf Jahre in der ­Steiermark ansässig. Doch war ich Mitglied der Kunstvereinigung Werkbund, einer Vereinigung, der ich bald adieu sagte, da sie meiner Intention nicht entsprach. Die Überraschung, dass ein so jun­ ger Künstler den damals größten Preis des Landes allen gestandenen Künstlergrößen der Steiermark ­wegschnappte, war riesengroß, die Folgen verheerend. Fast drei Jahre habe ich keinen Fuß auf heimischen Boden bekommen. Das Bild war Ergebnis meiner mehrjährigen Ausein­ andersetzung mit dem Prinzip Malerei. Vorarbeiten in Pastell wurden von mir in Ölfarbe umgesetzt und erweitert. […] Mit dieser Arbeit habe ich den reinen Malprozess, nämlich Bilder zu machen, ­abgeschlossen, da meine Gedanken bereits nach real räumlichen Auseinandersetzungen orientiert waren. Später ist mir bewusst geworden, dass ich oft Kunst­ äußerungen, die in der Gesellschaft von Erfolg gekrönt waren, statt sie weiterzupflegen verlassen habe, um immer wieder neue Erkenntnisse zu ­erlangen.

38 — 39 Pharisäer / Pharisäerraum, 1971/72, Ausstellungsansicht Neue Galerie Graz

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Diese Objekte habe ich im übertragenen Sinne ­figural neu interpretiert und in wenigen Exemplaren ­hergestellt. Damals entstand für solche Arbeiten der Begriff „Multiple“. Sechs Objekte wurden von mir in meiner Personale im Joanneum-Ecksaal im steirischen herbst ’72 in einem quadratischen Schnurraum („Pharisäerraum“) ­ausgestellt (→ Abb. S. 11). Ein Kubus aus schlauchartigen Stahlgestängen mit Schnurvorhängen funktioniert 1972 als Raum im Raum, in dem die sechs Objekte in strenger Anordnung positioniert werden – vielleicht als Verweis auf ihre intendierte serielle Herstellung, charakteristisch für eine industrialisierte, von Künstlichkeit geprägte Zeit. Die Pharisäer besitzen eine besondere formale Qualität, die sich zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen technoider und organischer Gestalt bewegt. Die Augen aus natürlichen Seeigel-Schalen und die weißen comicartigen Plattfüße verleihen den Pharisäern einen wesenhaften, witzig-ironischen Anstrich, der einen Link zur Science-Fiction herstellt. Wortwörtlich könnten die Pharisäer in ihrer fast militärischen inneren Formation als „Abgesonderte“ betrachtet werden, ihr Existenzraum ist jedoch nach außen hin durchlässig und korrespondiert mit jenem des Publikums.

40 —  41 Pharisäer, 1971/72 (Detail) → Warum zittert die Lady?, 1970

42 —  43 Schachbrettbein, 1967/68

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Im Keller des Hauses in der Riesstraße in Graz, wo wir damals wohnten, fand ich einen verrotteten, alten Schachtisch. Mich interessierte der Tischfuß, der kunstvoll gedrechselt war. Ich stellte den Fuß auf den Kopf und bemerkte die raumgreifende Wirkung der zwei aus der Achse befindlichen Kugeln. Unwill­ kürlich stellte ich dieses Gebilde vor mir auf einen Spiegelsockel, überzog diese Readymade-Form mit Kaseintempera in „terra pozzuoli“ und hatte meine erste spezifische Objektskulptur geschaffen. Nestlers Interesse an dem röhrenartigen, geschichteten Objet trouvé (gefunden 1965) lässt erahnen, wohin sich seine plastische Arbeit zu Beginn der 1970er-Jahre bewegen würde. Die sowohl geometrisch als auch organisch erscheinenden Ausstülpungen – hier noch in traditioneller Materialität, filigran, doch ­massiv – legen eine Parallele zu pneumatischen Plastiken um 1970, erinnern an tiefgezogene Plexiglassphären. Nestler verfremdet das Objekt, zerstört seinen Funktionszusammenhang bzw. kehrt ihn ins Gegenteil, indem er das Tischbein auf einen Sockel stellt. In ­Komposition mit dem verspiegelten Podest, das mehr als nur ein Unterbau ist, bezieht Nestler den umgebenden Raum, den Rezipienten in seine Objektkunst mit ein. Das Spiegelbild wird Teil des Kunstwerks und lädt ein zu einem Spiel mit der Körper­wahrnehmung.

44 —  45 art play, 1968 → Eruptive Schlauchformation, 1968, Serie art play

46 —  47 Ausstellungsansicht: Balanceakt’70, 1970, Bosom, 1972, Tragen Sie unsere Ideen, 1971, Die Zukunft beginnt mit Schläuchen, 1969 → Ausstellungsansicht: Serie art play, 1968/69, Der Schnüffler, 1971, Schlauchgrafik, 1970

48 —  49 Billardtrophäe, 1969–71 → Balanceakt’70, 1970 (historische Ansicht)

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„Billardtrophäe“ Eine während des Studiums getriebene Form in ­Kupfer sollte ein Kännchen für türkischen Kaffee ­werden. Da der Boden zu dünn war, habe ich daraus mit Plexiglasstreifen und konzentrischen Linien meine Vorliebe für das Billardspiel zum Ausdruck gebracht. Auf eine Aluplatte mit schablonisierten Flügelzeichen montiert, war die Arbeit in der Galerie beim Minoritensaal in Graz ausgestellt. Eine als Preispokal gedachte Kupferform ist der Ansatzpunkt von zwei Plexiglasstreifen, die den Lauf einer Billardkugel beschreiben. In rhythmischen Abständen werden die Bahnen durch Linien unterbrochen, die die Bewegung der Kugel darstellen und deren Beschleunigung, Bremsen, Nähe zur Bande etc. abbilden. Diese Linien sind ein Gegenstück zu jenen dreidimensionalen Darstellungen von dynamischen Vorgängen, die Nestler mittels geschichteter ­Plexiglasscheiben umgesetzt hat.

„Balanceakt’70“ Über Aufforderung von Prof. Dr. Wilfried Skreiner, damals Leiter der Neuen Galerie Graz, eine große Arbeit für die österreichische Skulpturen- und Objektschau „Österreichische Kunst ’70“ im Gelände des Schlosses Eggenberg zu fertigen, habe ich meine erste [2,2 Meter hohe] Großplastik in Plexiglas und Stahl geschaffen, „Balanceakt’70“. Ausgehend von menschlicher Form ist bereits meine Vorliebe für ­Masse/­Masselosigkeit und schwebende, den Raum erobernde, skulpturale Leichtigkeit klar ersichtlich. Die Arbeit, die in der der Ausstellung im Hof des Schlosses postiert war, ist sehr gut angekommen. Es gab eine hervorragende Resonanz. Prof. Dr. Skreiner meinte anfangs scherzhaft, wenn ihm die Arbeit nicht gefalle, kaufe er sie für die Sammlung. Nach Fertig­ stellung meinte er wieder scherzhaft, dass ihm die Arbeit nicht gefalle, aber er hat sein Versprechen nicht gehalten. Mit dieser Skulptur habe ich in Graz einen entsprechenden Namen erreicht. Leider, da nicht angekauft, hat ein Sturm die im ­Garten zerlegt gelagerte Skulptur zerstört.

50 —  51 Selbstporträt, 1968 → Ausstellungsansicht: Tragen Sie unsere Ideen, 1971, Die Zukunft beginnt mit Schläuchen, 1969, Eiserne Jungfrau hoffend, 1971

→→ Tragen Sie unsere Ideen, 1971

54 —  55 art play nestler, 1970 (Ausstellungsplakat) → Eiserne Jungfrau hoffend, 1971

56 —  57 Peddigobjekt, 1968–70

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Diese von mir auch als „Primärskulptur“ bezeichnete Arbeit wurde eigenhändig im Zeitraum von ca. zwei Jahren in Peddigrohr geflochten, eine meditative Arbeit, die mir viele neue Gedanken ermöglichte. Von innen mit Licht ausgestattet wird diese Licht­ skulptur zum raumbestimmenden Strukturwandler. „Peddigobjekt, das ist 162.975 cm3 eingefangene Leere mit einer Fadenlänge von 1315 Laufschritten, 1734 mal um eine Achse gedreht – leicht – beweglich – raumbestimmend.“* … und stellt die Urform in Nestler­s ­plastischem ­Schaffen dar, auf die er sich seine gesamte ­Laufbahn hindurch auch in zweidimensionalen Medien bezieht. Er führt sie in unterschiedlichen Materialien aus, biegt, segmentiert, verkleidet die Primärform oder nutzt sie performativ. Der Skulpturkörper – eine Reduktion des menschlichen Körpers, vielleicht jenes des Künstlers – funktioniert nicht nur als hängendes Objekt, er kann auch getragen werden und – 1970 innen mit Licht ausgestattet – den umgebenden Raum optisch verändern bzw. durch seine Transparenz und Bewegung definieren. * Ausstellungsplakat art play nestler, 1970. Galerie beim Minoritensaal, Graz (→ Abb. S. 54)

58 —  59 Schlauchgrafik, 1970 →→ Ausstellungsansicht: Schlauchgrafik, 1970, Die Staffeleien wachsen aus, 1972, Der Morgen ist das Gefängnis von gestern, 1976

62 —  63 Ausstellungsansicht: Ambientale Wandgestaltung, 1976, Die Staffeleien wachsen aus, 1972, Lugus 1 oder das Bild ist tot, es lebe das Bild, 1978

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STAFFELEIKONZEPT AUFGESETZT IM MAI 1968 STAFFELEI – STAFFEL – STUFE – FUNKTIONSGERÄT – POSITION DER MALEREIFLÄCHE – GEBRAUCHS­ GEGENSTAND – DER SCHAFFENDE BRAUCHT SIE UND BRAUCHT SIE NICHT – BILDER WERDEN IM GEHEN, STEHEN, SITZEN, LIEGEN GEMACHT – WESENTLICH UND UNWESENTLICH ZUGLEICH – EIN SKELETTKÖRPER IM ­GESCHLOSSENEN RAUM – WEISS IST SIE – BERUHIGEND ALS STOFF, BEUNRUHIGEND ALS FREIGESEHENER GEGEN­ STAND – BETRACHTUNGSOBJEKT – DURCH ­PROJEKTION AUF DIE LEINWAND DER OPTISCHEN REGISTRIERMASCHINE MENSCH – KANN SIE, WIE JEDER KÖRPER, IN VERBINDUNG MIT SENSIBLER EMPFINDUNG ZU FORMEN HERANREIFEN, DIE DER FUNKTION ENTGEGENSTEHEN – DER ­AUGENBLICK DER BILDERWEITERUNG – KÖRPER WERDEN ZERSTÖRT, UM IN ZWECKFREIEN FORMEN NEU GESCHAFFEN ZU WERDEN – DIE AUSDEHNUNG ERFÜLLT DEN RAUM – SPRUNG IN DIE SPHÄRE, DIE AUSGANGSPUNKT KÜNSTLERISCHEN ­SCHAFFENS IST – ALLES IST ÜBERFÜHRBAR IN NEUE RAUM­ QUANTEN, MOBIL IN DER ZEIT – WEISS IST SIE – EINE STAFFELEI STEHT IM RAUM – BEFREITER RAUM – BEFREITER GEGENSTAND – BEGINN ­MEINER ARBEIT – ICH VERSUCHE, DIE BEFREIUNG DES MENSCHEN ZU REALISIEREN – STUFE UM STUFE – STAFFEL UM STAFFEL – „DAS ZIEL“ GIBT ES NICHT – JEDES ZIEL IST WIEDERUM START IN UNBEKANNTES – DER ZUSTAND IST NICHTS UND ALLES – ABSURD – LEBENDIG

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„Die Staffeleien wachsen aus“ 1968 bewohnten Jeanne und ich einen Raum in der Riesstraße in Graz, der gleichzeitig Wohn-, Schlaf­ raum und Atelier war. Aus Platzmangel kam mir die Idee, spezielle Staffeleien zu machen, zwei Stück für Jeanne und mich. Im Zuge der Fertigung entstand die Niederschrift für mein „Staffeleikonzept“ – eine ­persönliche Betrachtung über die Erstellung von ­Bilderkunst. Mit diesem Konzept manifestierte sich meine ­Einstellung zur Malerei, letztlich zur Kunst all­ gemein. Die erweiterte Ansicht von Kunst führte mich zu dreidimensionalen Kunstäußerungen der Objekt­ kunst, ein Novum in dieser Zeit. Die Begriffe werden ­verändert. Damit wurde das Gebrauchsobjekt zur freien Objektskulptur „Die Staffeleien wachsen aus“. 1972 ergänzt Nestler die Staffeleien mit ­phallischen Formen aus Zinkblech, die durch ihre versetzte Scheibenkonstruktion – nach unten bzw. oben strebend – einen dynamischen Eindruck vermitteln.

64 —  65 Die Seele des Spiegelkäfigs: Der Körper, 1993

66 — 67 Die Seele des Spiegelkäfigs: Die Teile, 1994 → Bold Man Project, 1980

68 — 69 Raumgreifende Form, 1974 → Falkensteinprojekt, 2004 (Modell)

→→ Ausstellungsansicht: Bosom, 1972, Raumgreifende Form, 1973, Retort Bosom oder wir schaffen unsere eigene Schönheit, 1972, Menschgewohnheiten 1984, 1974, Der Voyeur, 1973/74, Retort Happiness oder des eigenwilligen Apfels eigenwilliger Kern, 1971

72 —  73 Retort Happiness oder des eigenwilligen Apfels eigenwilliger Kern, 1971

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Ein treffendes Beispiel meiner dreidimensionalen Kunstauffassung führte wieder zu auffallenden ­Diskussionen beim Joanneum-Kunstpreis 1971, zu dem ich diese Arbeit eingereicht habe. Im Vorfeld seiner Personale Objekte 1972 entwirft Nestler plastische Arbeiten mit intensiver Farben­ sprache, mit ausgeprägten, zusammengesetzten ­Formen, die auch aufgrund der Werkstoffe künstlich und technisiert wirken, aber noch Anklänge an alltägliche Materialität der Konsumwelt zulassen. Nestler führt die abstrahierten Gestaltungen handwerklich präzise aus, was deren Eindruck von Künstlichkeit weiter hebt. Dieser wird durch die fantastischironischen Werktitel noch verstärkt. Retort Happiness scheint fast über dem Boden zu schweben; aus der weißen Kunstlederfläche stülpt sich eine rosarot fluoreszierende Kuppel, die eine geschichtete anthropomorphe Form einschließt. Im Spiegel verdoppeln sich Plexiglassphäre und Körperform und schaffen so die Illusion einer räumlichen Erweiterung.

74 —  75 Retort Bosom oder wir schaffen unsere eigene Schönheit, 1972

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Ein weiterer Solitär meiner damaligen Arbeits­ phase wurde im 2. Durchgang der Jurierung zum ­Joanneum-Kunstpreis ’72 aus dem Bewerb ­genommen und zwar mit der Begründung, die Arbeit sei zu stark der Skulptur zuzuordnen. Erst später wurde der damals größte Preis der Steiermark in der Auffassung erweitert. Gemeinsam mit den Pharisäern und Retort Happiness aus derselben Werkphase erhält Norbert Nestler für Retort Bosom 1972 den Förderungspreis für Plastik des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, Wien. Der Künstler schafft mit dieser Arbeit seine „eigene Schönheit“, wie bei den Pharisäern eine Mischung aus starrender Künstlichkeit, die Nestler mit natürlichen Anklängen als kritischen Kommentar durchbricht. Es entsteht eine – nicht zuletzt durch die Betonung der Augen – wesenhafte Figur, die sich aus gegensätzlichen Materialien wie Stahl oder Samt und vielfältigen Formen – die „Sockelfrage“ heraus­for­dernd – zusammensetzt.

76 —  77 Bosom, 1972

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Während meine Personalausstellung im steirischen herbst ’72 im Joanneum-Ecksaal bereits aufgebaut wurde, habe ich noch eine spezifische Objektskulptur in fluoreszierendem rosa Plexiglas und Aluminium­ stangen angefertigt, um eine schmale Abschlusswand zu akzentuieren. Nestler gibt hier einen Kommentar auf die Idealisierung und Fetischisierung des weiblichen Busens ab, der in klarer Formen- und Materialsprache und greller Farbigkeit den Gesetzen der Schwerkraft trotzt. Seine aufgerichtete Position weist auf männliche, phallische Formen hin, wie sie in Nestlers Werk häufig zu finden sind. Mit den Mitteln der Übertreibung wirft Nestler einen ironischen Blick auf den Umgang mit weiblichen Körperformen, auf Wunsch und Wirklichkeit, Künstlichkeit und Natürlichkeit.

→ Abb. S. 55 „Eiserne Jungfrau hoffend“ Die Struktur dieser Skulptur (Plexiglasscheiben mit horizontaler, weißer Besprühung, die je nach Sicht einen figuralen Torso bilden) nimmt den Aufbau meines großen Brunnens (1972–78, → Abb. S. 101) vorweg und wurde von mir bei den Internationalen Malerwochen auf Schloss Retzhof in der Südsteier­ mark gemacht. Die Idee stammt von einer besonderen Duschform in früheren, öffentlichen Bädern, wobei nicht nur von oben sondern auch waagrecht kalte Wasserstrahlen auf den Menschen prasselten. Eine solche Duschform kommt auch 1974 im Film von Herbert Baumgartner „Die Kunst Hrn Norbert Nestlers“ vor. Die Filmszene spielt im damals noch geschlossenen Amalienbad in Wien Favoriten. Eine weitere Arbeit in fluoreszierendem Rosa („Eiserne Jungfrau errötend“) blieb unrealisiert.

78 —  79 Menschgewohnheiten 1984 , 1974

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Die freihängende Bildskulptur entstand 1974. Der Titel bezieht sich – in Anlehnung an den berühmt gewordenen Roman mit gleichem Titel von George Orwell – auf den Zustand des Menschen allgemein, die Situation und gesellschaftliche Entwicklung. Ein Zeitzeichen, dass jede Bemühung letztlich in einem mumienartigen Zustand endet. Für mich war das Interesse an der Ausführung der Arbeit besonders stark, da es mir gelang, nicht nur Farbe, sondern auch dreidimensionale Körper schwebend in den Raum zu stellen. Der Übergang vom scheinbar schwebenden Samt­ körper zur transparenten Plexiglasplatte wird mittels Farbe in Spritztechnik weicher gestaltet und täuscht so eine sich auflösende Gestalt vor, die nur noch durch Aluminiumschläuche in Position gehalten wird.

Ich habe diese Arbeiten, da sie in schwarzem Samt gefertigt sind, „Velvetskulpturen“ genannt. Im Anschluss an die Plastiken aus Plexiglas und Metall­schläuchen versieht Nestler zwischen 1974 und 1984 skulpturale Arbeiten zusätzlich mit samtbezogenen, voluminösen Formen.

80 —  81 Samtfinger / Der Fingerzeig, 1979

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Mit der Arbeit „Das letzte Idol der Alten Welt“, 1976 [nicht in der Ausstellung] habe ich mein Bestreben, sowohl Farbe als auch Körper frei in den Raum zu stellen, weiterentwickelt. Gleich einem ­Baukasten­system fügen sich die Teile ineinander und streben über weißer Fläche empor. Weitere Skulpturen dieser Art folgten, wie zum Bei­ spiel „Samtfinger / Der Fingerzeig“ in einer Auflage von zwei Stück. Ein zylinderartiger Körper ragt aus einem Samtsockel schräg hervor. Zusammengesetzt aus Plexiglasscheiben, die an einem zentralen, samtbezogenen Rundkörper hängen, täuscht der Samtfinger zunächst eine geschlossene Einheit vor. Diese Massenhaftigkeit wird aber je nach Perspektive durch Lichteffekte und durch die farbige Gestaltung der transparenten Plexiglasscheiben wieder infrage gestellt.

82 —  83 Potenzwaage, 1972

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Der Holzkern meiner Objektskulptur „Retort Bosom“ (→ Abb. S. 75) inspirierte mich zu einer neuen Arbeit. Balance und Schweben sind immer wichtige Zustände meiner Kunstüberlegungen. So ist es mir gelungen, durch Einziehen mehrerer Plexiplatten den Holzteil der Skulptur in Schwebe zu halten und durch ­Symmetrie in Balance zu setzen. Mit dem Plexiglas, in für mich typische Formen geschnitten, und mit weiteren kreisrunden, parallel gesetzten Plexigläsern habe ich einen weiteren kraft­ vollen Schritt [in meiner Auseinandersetzung mit] Masse und Masselosigkeit gesetzt. Kraft und Ausge­ wogenheit. Die Plastik erinnert durch ihre symmetrische Anordnung an eine Waage oder Wippe, die nur durch aus­ gewogene Belastung im Gleichgewicht gehalten werden kann. Die Objektskulptur negiert diese Funktionalität jedoch insofern, als ihre Konstruktion und Materialität – insbesondere die transparenten Plexiglas­scheiben – den Eindruck von gänzlicher Masse­losigkeit ­vermitteln.

84 —  85 Raumgreifende Form, 1973 (Modell) →→ Ausstellungsansicht: Mirror Gate, 2004, Bold Man Project, 1980, Menschgewohnheiten 1984, 1974, Schindelfinger, 1982/84, Säule, 1981, Käfigbrecher, 1984, Bosom, 1972, Raumgreifende Form, 1973, Samtfinger / Der Fingerzeig, 1979

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Das Modell der Großskulptur (für den öffentlichen Raum) habe ich zum ersten Mal im Forum Stadtpark in der „Dokumentationsausstellung I/II“ der ForumKünstler gezeigt. Ich habe das Modell auf einen dre­ henden Zylindersockel in Schwarz, die Ausrichtung nach dem Wind symbolisierend, gesetzt. (Die Skulp­ tur sollte auf eine kugelgelagerte Drehscheibe ins Gras gestellt werden.) Die Gesamtinstallation wurde von mir in einen schwarzen [Raum?] (schwarze Baufolie) gestellt und mit UV-Licht zum Leuchten gebracht. Für den Außenraum der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur plant Nestler eine in den Raum ausgreifende Großskulptur aus Plexiglaslamellen und Metall, die sich auf einer Drehscheibe befinden und nach dem Wind ausrichten soll. Die Idee der Raumgreifenden Form wird zwar nicht im öffentlichen Raum realisiert, jedoch im grafischen Werk von Nestler ­weitergeführt (→ Abb. S. 68).

88 — 89 Käfigbrecher, 1984 (Modell) → Säule, 1981 (Modell)

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„Käfigbrecher“ Diese Modellserie habe ich in Weiterführung meiner geschichteten Skulpturobjekte gebaut. Statt Scheiben streben waagrechte Metallringe empor und werden von nach oben gekrümmten Metallstangen gehalten, daher der Titel „Käfig…“. Darin habe ich geschwun­ gene Flächen, farbig gestaltet, eingezogen, die die nicht zu bändigende Kraft symbolisieren sollen. Her­ ausgekommen sind Modelle für Großskulpturen in rostfreiem Stahl und Emaille. Um die reale Wirkung dieser Großkulturkonzeption zu zeigen, habe ich fotografisch die Modelle als Riesenskulpturen in der Landschaft erscheinen lassen.

„Säule“ Mir wurde ein Auftrag zugesprochen, im Rahmen von „Kunst im öffentlichen Raum“ eine architektonische Fehlplanung künstlerisch zu kaschieren. Die Aufgabe reizte mich insofern, da es sich hier nicht um eine Behübschung von Architekturstrukturen, sondern um eine intelligente Aufgabe handelte. Das Architekten­ team tut nichts zur Sache, der Ort ist die Rotkreuz­ zentrale Graz, Münzgrabenstraße. Eine das ganze Haus tragende, dicke Betonsäule ­mitten im eher kleinen Eingangsraum war Vor­ gabe. Als einzige Möglichkeit sah ich, die Säule als ­„tragende Säule“ zum Verschwinden zu bringen. Ich habe eine „organische“, frei stehende, offene und in Einzelteilen geschichtete Form entworfen, die etwas unterhalb der Decke in zeichenhafte Blattformen ­auswächst und so den Eindruck einer freistehenden, in den Raum gezwängten Baumskulptur vermittelt. Die Realisierung erfolgte 1981.

90 —  91 Schindelfinger, 1982/84 (Modell)

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Das Modell zu dieser Skulptur im öffentlichen Raum (Originalaussehen durch Modelliertechnik mit Fimomasse imitiert) wurde für die Straßenmeisterei Scheifling ausgelobt. Die Straßenmeisterei wurde damals nicht gebaut und daher mein „Schindelfinger“ nicht realisiert. Spätere Versuche, diese eigenwillige Holzskulptur andernorts aufzustellen, schlugen fehl. Mein Wunsch, diese Skulptur zu realisieren, lebt bis heute. Nestler plant den 6,5 Meter hohen, schindelgedeckten Bildstock aus Fichtenholz für den ländlichen Raum, wo der Fingerzeig an einen unbestimmten Ort verweisen und nur scheinbar der Orientierung dienen soll. Nach möglichen Aufstellungsorten in Scheifling und Gleisdorf wird 1985 von ORF-Intendant Emil Breisach, Architekt Gustav Peichl und Peter Vujica, Intendant des „steirischen herbstes“, eine Positionierung im Skulpturengarten des ORF in Graz vorgeschlagen, aufgrund der städtischen Umgebung jedoch nicht umgesetzt.

92 —  93 Schindelfinger, 1982/84 → Hermes 88 oder Die Boje des Wissens, 1988

94 —  95 Der Kunstraum ..., 1981 → TV-Teiler, 1982

→→ Ausstellungsansicht: Der Kunstraum ..., 1981, TV-Teiler, 1982, Turmkäfigbefreiung, 1985/89, Zustandsplastik, 1984/90, Impulsvorschlag Kunsthaus Graz, 1999, Falkensteinprojekt, 2004/05, Parasitenskulpturen im Joanneumsviertel Graz, 2013

98 — 99 Parasitenskulpturen im Joanneumsviertel Graz, 2013

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Diese stillen Vulkankrater, diese Glastrichter des neuen Joanneums faszinieren. Du fährst in die Tiefe, zum Boden der kreisrunden Glasräume, um danach zur Kunst aufzusteigen. „Parasitenskulpturen“ So wie Flechten, Gewächse in der Natur sich ansie­ deln, Bestehendes besetzen, entstehen skulpturale Wucherungen in potenziellen, künstlichen Formen. Eingriffe in die Tiefenarchitektur. Die Formensprache, meine spezifische Ausformung, leitet sich von meiner Serie der „Bozzetti“ ab. Der Kreis, eine immaterielle Scheibe, korrespondiert mit plastischer Struktur aus Flächen und Scheiben. „Die Welt in Scheiben schneiden“ – (vergleichbar den analytischen Verfahren in der Medizin, in den menschlichen Körper vom Gehirn bis zur Fußsohle schauen) – eine Vorgabe von mir, in neue Sichten der Welt und des Menschen einzutauchen. Meine Parasi­ tenskulpturen tauchen dort auf, wo du Skulptur nicht vermutest.

100 —  101 Brunnen, 1972–78, Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz (historische Ansicht)

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1972 nahm Norbert Nestler erfolgreich an einem Wettbewerb zur Gestaltung eines Brunnen im Hof des Neubaus der Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz, teil. Das Modell meiner Brunnenskulptur habe ich authentisch in Plexiglas und Aluminiumstangen im Maßstab 1:10 angefertigt (mit weißer DC-Fix-Folie in Einzelformen, entsprechend den weißen, opaken ­Plexiglasscheiben der Skulptur), in der Zusammen­ schau einen menschlichen Torso ergebend. Sechs Jahre hat es bis zur Realisierung gebraucht. Die Entscheidung wurde auf höchster Ebene durch [den prägenden steirischen Kulturpolitiker und Landtags­ präsidenten] Hanns Koren gefällt. Wie die Vorläuferarbeit Eiserne Jungfrau hoffend (Abb. → S. 55) erinnert die Form des Brunnens an ein Skelett, das durch Metallrohre gehalten wird. Entlang der Mittelachse aufgesprühte weiße Kreisflächen konturieren – je nach Perspektive – eine innenliegende Lichtgestalt, die den psychisch und physisch eingeschlossenen Menschen symbolisieren soll. Der Brunnen wurde 2012 demontiert, das Modell ist nicht auffindbar.

102 —  103 Ausstellungsansicht: Ohne Titel (Computergrafiken), 1989/90, Glasfenster, 1988 → Ohne Titel, 1989/90

104 —  105 Mirror Gate, 2004

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In Fortführung meines verstärkten Einsatzes von Spiegeln* habe ich die Doppelskulptur „Mirror Gate“ 2004 begonnen. Wichtig war mir die Größenord­ nung. Der Durchlass des Tores sollte etwas niedriger sein als eine Person in meiner Statur und Größe. Damit habe ich der formalen Gestaltung eines struk­ turellen Spiegelschlauches eine inhaltliche Dimension gegeben, nämlich die Fragestellung: Was passiert mit einem fiktiven Tordurchgang, durch den ich nicht aufrecht gehen kann? Die zweite Skulpturstruktur in Pappelholz blieb bis heute unvollendet (unverkleidet). Ich konnte mich nicht entscheiden, die beiden „Gates“ zu trennen. Man könnte auch sagen, ich wollte dem Objekt seinen Schatten nicht entziehen. * z.B. „The Visual Cage Room“, 1994, und die vierteilige Großskulptur „Black and White“, 1998, die bei der Internationalen Triennale für Skulptur in Osaka ausge­ zeichnet wurde.

106 — 107 The Visual Cage Room, 1993/94

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Über diesem großen Projekt stand die Überlegung, dass wir in der Lage sind, optisch nur einen Teil ­unserer Umgebung gleichzeitig wahrnehmen zu können. Einerseits ist unser Sehwinkel begrenzt, und andererseits können wir bei Betrachtung immer nur einen Ausschnitt fokussieren. Die Arbeit besteht aus zwei Stützstrukturen aus Holz. Über einem an den Enden gerundeten Zylinder (Vergleich „Primärskulptur“) habe ich gleichsam eine Haut aus Glasspiegelteilen und Bleiruten gestaltet. Den zweiten Teil dieser Skulptur habe ich in der Struktur­form belassen und schwarz gefärbt, sym­ bolisch Licht und Schatten bezeichnend (der helle und blinde Fleck im Menschenauge). Dazu habe ich eine Mappe mit Fotos von den Einzelteilen der Skulp­ turstruktur und einer Atelierperformance mit dem Skulpturkörper zusammengestellt. Diese Performance ist aus einer Serie von eigenen Körperhaltungen mit der Skulptur in Selbstauslöseraufnahmen entstanden und steht für den Prozess des Werdens und Wachsens. Die Mappe nenne ich „Die Seele des Spiegelkäfigs“ (→ Abb. S. 64–66).

108 — 109 Peddig Twice, 1988–90 →→ Ausstellungsansicht: Peddig Twice, 1988–90, The Visual Cage Room, 1993/94, Mirror Gate, 2004

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Das Peddigobjekt von 1968–70 (→ Abb. S. 57) erfährt nach 20 Jahren eine Erweiterung, indem Norber­t Nestler die frei hängende Primärskulptur durch ein scheinbar schräg aus dem Boden ragendes, fest ­fixiertes Pendant ergänzt. Das auf Gegensätzlichkeiten anspielende Skulpturenpaar funktioniert fakultativ mit Einsatz von Licht: Nestler stattet das ­transparente Hängeobjekt innen mit einer Lichterkette aus und/ oder sieht eine am Boden fixierte Leuchtstoffröhre vor, sodass der Umgebungsraum durch Licht- und ­Schattenspiel verändert werden kann.

Anhang

Index

Werke der Ausstellung Courtesy Familie Nestler (wenn nicht anders angegeben) Malerei, Grafik Wohin geht ihr, fliegende Brüste, 1967 Öl auf Leinwand, 138 × 180 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz Joanneum-Kunstpreis 1967 → Abb. S. 37 Der Vertreter, 1968 Lichtpause, 54,2 × 73,4 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 9 Selbstporträt, 1968 Lichtpause, 45,5 × 61 cm → Abb. S. 50 Eruptive Schlauchformation, 1968 Serie art play Lichtpause nach Grafitzeichnung, Kunststofffolie, 56,1 × 72,1 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 45 art play, 1968 Lichtpause nach Grafitzeichnung, Kunststofffolie, 55,5 × 72,5 cm → Abb. S. 44, 47 art play, 1968 Lichtpause nach Grafitzeichnung, 52,5 × 72,3 cm → Abb. S. 10, 47 art play, 1969 Lichtpause nach Grafitzeichnung, Kunststofffolie, 53,6 × 61,9 cm → Abb. S. 47, Umschlag Die Zukunft beginnt mit Schläuchen, 1969 Acryl auf Leinwand, 105 × 85 cm Artothek des Bundes → Abb. S. 46, 51 Warum zittert die Lady?, 1970 Bleistift, Tinte, Deckfarben, Tusche, Kreide, Spritztechnik auf Papier, 68,9 × 84,8 cm, gerahmt 84,5 × 103,8 cm ALBERTINA, Wien – Dauerleihgabe der Artothek des Bundes → Abb. S. 41

Schlauchgrafik, 1970 Spritztechnik (Tusche), Transparentpapier mit D-C-Fix-Folie beschichtet, auf Unterlagskartons befestigt, 10 Blätter aus einer Serie von 16: je 86,8 × 43,8 cm (Blatt), 100 × 50 cm (Unterlagskartons) Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 58–60 Der Schnüffler, 1971 Spritztechnik (Tusche, Lack), Grafit, Kreide auf Papier, 70 × 85,2 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 47 Raumgreifende Form, 1974 Spritztechnik (Lack), Bleistift auf Aluminium, 48 × 57 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 68 Der Morgen ist das Gefängnis von gestern, 1976 Pastell, Spritztechnik (Lack), Grafit auf Papier, 100 × 100 cm, gerahmt 112 × 112 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 61 Ambientale Wandgestaltung, 1976 Lichtpause, Papiercollage, 3 Blätter: 70 × 49,8 cm, 70 × 99,6 cm, 70 × 99,9 cm Entwurfskonstruktion für die künstlerische Gestaltung der Pausenhalle des Musischpädagogischen Bundesrealgymnasiums Bad Radkersburg, nicht realisiert Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 12, 63 Lugus 1 oder das Bild ist tot, es lebe das Bild, 1978 Acryl, Pastell auf Fotoleinen, 115 × 172,5 cm → Abb. S. 63 Der Kunstraum – über die Unmöglichkeit, eine Fläche flach zu halten – 2 Bügeleisen – gerauhtes, getempertes Plexiglas, 1981 Filzstift, Lichtpause auf Transparentpapier, 38,5 × 35,5 cm, Passepartout: 70 × 50 cm → Abb. S. 94, 96 TV-Teiler, 1982 Filzstift, Lichtpause auf Transparentpapier, 38,5 × 35,5 cm, Passepartout: 70 × 50 cm → Abb. S. 95, 96

Schindelfinger, 1982/84 Lichtpause, Filzstift auf Transparentpapier, 50 × 50 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 92 Zustandsplastik, 1984/90 Serie Metalle Einzeldruck (Lithografie) auf Metallfolie, Vorlage: Grafit auf Transparentpapier, 103 × 77 cm → Abb. S. 9, 97 Turmkäfigbefreiung, 1985/89 Serie Metalle Einzeldruck (Lithografie) auf Metallfolie, Vorlage: Grafit auf Transparentpapier, 103 × 77 cm → Abb. S. 97 Ohne Titel, 1989/90 Computergrafik auf Fotopapier, 42,5 × 57 cm, Passepartout: 70 × 100 cm → Abb. S. 102 Ohne Titel, 1989/90 Computergrafik auf Fotopapier, 42,5 × 57 cm, Passepartout: 70 × 100 cm → Abb. S. 102, 103 Die Seele des Spiegelkäfigs: Der Körper, 1993 Serie The Visual Cage Room 10 Fotografien einer Atelierperformance, je 59,5 × 43 cm Foto: Friederike Jeanne Nestler-Rebeau → Abb. S. 64, 65 Die Seele des Spiegelkäfigs: Die Teile, 1994 Serie The Visual Cage Room Collage von 9 Fotoabzügen auf 3 verbundenen, klappbaren Kartonblättern, 20,4 × 160 cm → Abb. S. 66 Norbert Nestler, Friederike Jeanne Nestler-Rebeau Kunsthaus Graz Impulsvorschlag, 1999 Kreide, Filzstift, Papiercollage auf Laserkopien, 2 Blätter aus einer Serie von 5: je 15,2 × 21,6 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 27, 97 Falkensteinprojekt, 2004/05 Kreide, Gouache auf Fotoabzug, 60,6 × 40,5 cm → Abb. S. 97

AT4 2005 8 „Wählt Zustand – Weltzustand“, 2005 aus Aterballetto N Tanz, Serie Movings Einzeldruck auf Leinwand, 140 × 225 cm

Retort Happiness oder des eigenwilligen Apfels eigenwilliger Kern, 1971 Plexiglas, Aluminium, Spiegel, Kunstleder, 56 × 130 × 130 cm → Abb. S. 71, 73

Parasitenskulpturen im Joanneumsviertel Graz, 2013 Kreide, Gouache auf Laserdruck, 2 Blätter: je 29,7 × 42 cm → Abb. S. 97, 99

Pharisäer, 1971/72 6 Plastiken: Plexiglas, Aluminium, Spiegel, mit Acryl überzogene Hartfaserplatten, Seeigel, je 130 × 65 × 65 cm Familie Nestler (2 Exemplare, dunkelrot und schwarz) Galerie Lang, Wien (2 Exemplare, weiß und schwarz) Artothek des Bundes (1 Exemplar, weiß) Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum (1 Exemplar, schwarz) Die Pharisäer wurden erstmals zum steirischen herbst 1972 im Joanneum gezeigt, in der Ausstellung Norbert Nestler. Objekte. → Abb. S. 11, 39, 40

Stiegenschlauchgrafik, 1969/70, 2013/14 Digitaldruck auf selbstklebender Kunststofffolie mit Bodenlaminat, 3 Exemplare: je 465 × 52 cm → Abb. S. 10, 35 Plastik Schachbrettbein, 1967/68 Gedrechseltes Holz (Fuß eines Schachbretttisches), Kaseintempera, Holzquader, Spiegelglas, 136,5 × 17 × 17 cm → Abb. S. 9, 43 Billardtrophäe, 1969–71 Getriebenes Kupfer, Plexiglas, 120 × 27 × 20 cm → Abb. S. 49 Norbert Nestler, Günter Kainz Tragen Sie unsere Ideen, 1971 2 Ideenboxen mit 4 Projekten für den Grazer Stadtraum 1. U(h)r Steirer: „zwei Betonhörner als Aussichtstürme auf dem Schlossberg, neues Wahrzeichen von Graz“ 2. Programmierter Lichtfluss: „optische Umkehr der Flussrichtung Mur“ 3. Disturb Art: „visuelle Adaptionen historischer Urbankunst an die Zeitkunst“ 4. Kontaktkorridor Blutgasse/Graz: „Aufbrechen urbaner Hinterlandschaften durch Kunstintegration“ Kunststoff, Aluminium, Fotografien, Papier, Selbstklebeband, je 55 × 46 × 30 cm Projekt für die Dreiländerbiennale trigon’71. intermedia urbana, Künstlerhaus Graz, Graz → Abb. S. 14, 46, 51, 52 Eiserne Jungfrau hoffend, 1971 Metall, Plexiglas, Nitrolack, 182 × 65 × 65 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 51, 55

Potenzwaage, 1972 Holzrahmen, Plexiglas, 72 × 150 × 45 cm → Abb. S. 83 Die Staffeleien wachsen aus, 1972 Staffelei (Staffeleikonzept, 1968) mit Plastik aus Zinkblech, 1 von 2 Exemplaren, 201 × 51 × 62,5 cm → Abb. S. 61, 63 Retort Bosom oder wir schaffen unsere eigene Schönheit, 1972 Plexiglas, Aluminium, Samt, Holz, Stahl, Lack, 128 × 78 × 93 cm → Abb. S. 71, 75 Bosom, 1972 Aluminium, Plexiglas, Lack, 70 × 50 × 45 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 46, 70, 77, 87 Der Voyeur, 1973/74 Plexiglas, Lack, Aluminium, Samt, Schaumstoff, mit Polyester überzogene Seeigel, 121 × 142 × 30 cm → Abb. S. 71 Menschgewohnheiten 1984, 1974 Plexiglas, Samt, Nitrolack, Aluminium, 200 × 120 × 72 cm → Abb. S. 71, 79, 87 Samtfinger / Der Fingerzeig, 1979 Objekt in zwei Fassungen: Plexiglas, Samt, Holz, Aluminium, Lack, je 78 × 66 × 66 cm auf zwei zylinderförmigen, je 123 cm hohen Sockeln → Abb. S. 81, 87

Glasfenster, 1988 Bleiglasfenster mit Innenbeleuchtung, eingebettet in Köflacher Braunkohle, Fensterrahmen aus Glas, Fensterscheiben aus gepresstem Kohlestaub, Maße variabel, ca. 200 × 200 × 200 cm Die Installation wurde mit Steinkohle realisiert, da weststeirische Braunkohle nicht mehr verfügbar ist. Projekt für die Steirische Landesausstellung Glas und Kohle, Bärnbach, 1988 → Abb. S. 102 Peddig Twice, 1988–90 Rauminstallation aus Peddigobjekt (1968–70, hängend, → Abb. S. 24, 57) und Gegenform 2 handgefertigte Objekte aus Peddigrohr, je 280 × 29 × 29 cm, Leuchtstoffröhre, Installationsmaße variabel, ca. 330 × 150 × 150 cm → Abb. S. 109, 110 The Visual Cage Room, 1993/94 Licht- und Schattenskulptur: Pappelholz, Spiegel bzw. Acrylfarbe, 280 × 30 × 30 cm, 290 × 29 × 29 cm → Abb. S. 107, 111 Mirror Gate, 2004 Pappelholz, verspiegeltes Plexiglas, 2 Teile: je 186,5 × 89,5 × 21,5 cm → Abb. S. 86, 105, 111 Modelle Balanceakt’70, 1970 Blech, Lack, Plexiglas, 19 × 30 × 20 cm Modell für eine Großplastik aus Plexi­ glas mit Rundteller aus poliertem Stahl Temporäres Projekt im Hof von Schloss Eggenberg zum steirischen herbst ’70 Galerie Kunst & Handel, Sommer GmbH → Abb. S. 46, 49 (historische Ansicht) Raumgreifende Form, 1973 Plexiglas, Metall, Pressspanplatte, Karton, 38 × 48 × 34 cm, Bodenplatte: ø 34 cm Modell für eine Großplastik im öffentlichen Raum, Bezirks­haupt­ mannschaft Bruck an der Mur, nicht realisiert. Die Großplastik hätte sich auf einer Drehscheibe befunden und nach dem Wind ausgerichtet. Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 70, 85, 87 Bold Man Project, 1980 3 Kartonobjekte männlich–weiblich, 33 × 26 × 8 cm, 48 × 28 × 12 cm, 40 × 40 × 40 cm, 25 × 44 × 18 cm → Abb. S. 67, 86

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Schindelfinger, 1982–84 Fimo-Modelliermasse, Pressspanplatte, Holz, Acrylfarbe, Plexiglaskubus, 46 × 27 × 27 cm Modell für eine 6,5 m hohe Holzplastik mit Lärchenschindeln für die Straßenmeisterei Scheifling, Bezirk Murau, nicht realisiert. Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 87, 91 Säule, 1981 Schichtholz, Kunststoffbeschichtung, Plexiglas, 60 × 45 × 33 cm Modell für die Verkleidung einer tragenden Säule, realisiert 1981 in der Bezirksstelle des Roten Kreuzes, Münzgrabenstraße 151, Graz → Abb. S. 87, 89 Käfigbrecher, 1984 Messing, Karton, Farbfassung, 57 × 30 × 20 cm Modell für eine Serie von 4,8 m hohen Plastiken aus rostfreiem Stahl und Emaille, nicht realisiert → Abb. S. 87, 89 Falkensteinprojekt, 2004 Karton, 17 × 30 × 9 cm Modell für eine Großplastik auf dem Falkenstein am Wolfgangsee, Salzburg, nicht realisiert → Abb. S. 69, 97 Film Herbert Baumgartner Die Kunst Hrn Norbert Nestlers, 1974/83 s/w-Film, digitalisiert, Ton, Kamera: Bernd Neuburger 17 min 53 s → Abb. S. 13, 16 Ausstellungsplakate art play nestler, 1970 Galerie beim Minoritensaal, Graz 89,9 × 44,8 cm → Abb. S. 54 Norbert Nestler, Günter Kainz multimediaaktion put. Konglomerate zeitgenössischer Kunstauffassungen, 1971 Clublokal CA6, Graz 85 × 50 cm → Abb. S. 26 Der Kunstraum. Dialog und Ritual, 1983 Künstlerhaus Graz, Graz 84,5 × 60 cm

shift. Die Diktion der Grafik über die Fotografie, 1994 Galerie-Atelier Yin Yang, Graz 62,3 × 43 cm Werkdokumentation Brunnen, 1972–78 5 Fotoabzüge, je 18 × 13 cm Dokumentation einer Brunnenskulptur (bzw. Modell 1:10): 3 Stahlrohre, 25 Plexiglasscheiben, beklebt mit weißen, opaken Plexiglasscheiben, Betonbecken, realisiert 1978 im Hof des Neubaus der Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz, 2012 demontiert, Modell nicht auffindbar → Abb. S. 26, 101 Menschverhaltensturm, 1976 4 Fotografien und Papiercollage auf Karton, 30 × 30 cm Dokumentation eines Objekts aus Plexiglas, Aluminium, Kunststoffkordel, Lack, 270 × 60 × 60 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz Galerie der erleuchteten Schatten, 1986 3 Fotoabzüge, 18 × 13 cm, 18 × 13 cm, 30 × 20 cm Dokumentation von 4 Großplastiken aus rostfarbig beschichteten Stahlplatten, mit Plexiglas überzogenen Lichtbahnen und Kugelleuchten auf Pfosten, realisiert für die Bundesschulen Fohnsdorf → Abb. S. 12 Hermes 88 oder Die Boje des Wissens, 1988 Projektmappe mit Fotografien, Zeichnungen und Texten, 30,7 × 43,3 cm; Fotoabzug, 18 × 13 cm Entwurf einer Stahlplastik – dem Peddigobjekt (1968‑70) folgend – für das Bundesoberstufenrealgymnasium Monsbergergasse, Graz Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Graz → Abb. S. 93

Biografie Norbert Nestler

Norbert Nestler, Body-Projekt, 1972 Fotocollage, Ausstellung Objekte, JoanneumEcksaal, Graz, 1972 * 24. März 1942, Wien (AT) † 9. Jänner 2014, Graz (AT) 1960–65 Akademie der bildenden Künste, Wien: zunächst in der Malereiklasse, ab dem 2. Studienjahr Ausbildung zum Kunsterzieher mit Lehramt (Professoren Josef Dobrowsky, Herbert Boeckl und Max Weiler). Universität Wien: Studium der Geschichte als Zweitfach für das Diplom als Kunsterzieher. Arbeit im Turmatelier der Akademie mit Studienkollegen Cornelius Kolig und Friederike Johanna Bauer. 1964 Heirat mit Friederike Johanna Bauer, Umzug nach Leoben (AT) 1965 Diplom für Malerei, Geburt von Sohn Michael 1966 Umzug nach Graz, kurzzeitige Mitgliedschaft in der Künstler/ innenvereinigung Werkbund, Graz 1966–2000 Tätigkeit als Bildnerischer Erzieher, zunächst am Musischpädagogischen Realgymnasium für Mädchen am Hasnerplatz, Graz, und in Deutschlandsberg, am Musischpädagogischen Realgymnasium für Knaben am Hasnerplatz, Graz und weiters am Bundesoberstufenrealgymnasium Monsbergergasse, Graz

Ab 1970 Mitgliedschaft im Forum Stadtpark, Graz 1971 Teilnahme an den internationalen Malerwochen, Schloss Retzhof, Leitring/ Wagna 1971–73 Informelle Künstlergruppe Multimediaaktion PUT mit Günter Kainz, Clublokal CA6, Graz 1973/74 Weiterbildung im Bereich der Lithografie (bei Werner Otte und Anton Drioli, Salzburg), Aktivierung der Druckereiwerkstätte im Forum Stadtpark 1973–76 Co-Referent für Bildende Kunst im Forum Stadtpark mit Peter Gerwin Hoffmann (Referent: Hartmut Urban) 1982 Referent für Bildende Kunst im Forum Stadtpark 1983 Mitorganisator des Kunstprojekts Die Schöpfer Gottes, steirischer herbst, Forum Stadtpark, Galerie beim Minoritensaal und Innenstadt, Graz 1985 Mitorganisator des Ausstellungsprojekts Die neue Dimension. Skulptur und Raum, steirischer herbst, Forum Stadtpark und Innenstadt, Graz

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Werkübersicht (Auswahl) 1964–67 Pastellarbeiten, Umsetzung von Pastellarbeiten in Öl und Acryl Ab 1964 Objektgestaltungen Ab 1968 grafische Experimente (Lichtdrucke) folierte Lichtpausen art play – „Intermedia-Projekte zur persönlichen Kunstbefreiung“, Hinwendung zu Skulptur und Raum, in konzeptueller als auch praktischer Arbeit: 1968/69 Konzept Engagierte Kunstkugel, Ausgangspunkt für das Architekturkonzept Klimaschalen (Wettbewerbseinreichung trigon ’69) Ab 1970 Produktion von Objekten aus Plexiglas, Aluminium, Kunstleder und anderen für die plastische Formgebung neuen bzw. unüblichen Materialien Ab 1972 Entwürfe für Großraumprojekte, Objektbilder (Foto) Ab 1974 körpereigene Aktion (Kunstreflexion Schlammzustände), transparente Bildobjekte, malerische Grafik, teils auf Metallfolie. Zustandsobjekte, Objektgestaltungen unter Verwendung von Samt 1976/77 Art Conception – Sätze zur Kunst, Zustandsbilder (Foto) 1977 kurzlebige Spontanobjekte (auf Kreta). Serie slide pictures, Acryl-Malerei auf Leinwand mit fotorealistischen Elementen 1978 Körper-Karton-Kunst (auch KKKunst) und Lugus, Werkserien zwischen Malerei und Fotografie, Acryl und Pastell auf Fotoleinen 1979 Adapterart 1980 Entwürfe für ambientale Großprojekte (Bold Man Project) Ab 1981 Serie Kunst-Kultur-Köpfe Ab 1982 Handbuch meiner grafischen Niederschriften, Wiederaufnahme grafischer Experimente 1983 Installation/Aktion Der Kunstraum. Dialog und Ritual Ab 1984 (Modelle für) Großraum­ skulpturen 1984–90 Serie Metalle, Grafiken auf Metallfolie 1985 Situationsskulptur Ray-Gun Eye Contact. Optischer Disput 1986 großformatige Siebdrucke auf Leinen 1988-92 Grafikserie Städtemappen, Lithografien auf Metallfolie, Vorlage: Grafit auf Transparentpapier: Köln N Mappe (1988), Spello N Mappe (1990), Prato N Mappe (1992) Ab 1988 Beschäftigung mit raumplastischen Konzepten 1989/90 Computergrafiken 1992-94 s/w-Fotoarbeiten Venezia N Mappe, London N Mappe

1994 Grafikserie shift. Die Diktion der Grafik über die Fotografie (GrafitSkizzen auf Transparentpapier, vom Künstler als Fotografit bezeichnet, mittels Fotogramm umgesetzt) Ab 1995 Aktionsfotos, Bewegungs­ fotografie Ab 1997, besonders ab 2003, Groß­ grafiken in Digitaldruck auf Papier (auf Basis von Fotografit) Ab 1998 Fortsetzung von Großskulptur­ projekten und Bozzetti, Entwürfe für Großskulpturen in Wellpappe Ab 2003 Serie Movings („Bildskulpturen“, Bewegungsfotografie)

1994 Spezialpreis des Wojewoden von Torun, Internationale Grafiktriennale, Krakau (für End-Spannungsliege) 1998 Yomiuri Telecasting Prize, Triennale für Skulptur, Osaka (für Black and White) 2002 Großes Ehrenzeichen des Landes Steiermark 2003 Hauptpreis, Grafiktriennale, Krakau (für Die Spange) Einzelausstellungen

Projekte mit Friederike Jeanne NestlerRebeau 1967 Bewegung – Bacchantenzug Ab 1980 Mehrteiliges Langzeitprojekt Haut: Haut, Seaskin / Seaskin 2x, Walk over the skin of earth, Skinprogress, Informationshaut Zeitung, Skinwall, Skinflag 1987 Der große Wald (nach einer Idee von F. J. Nestler-Rebeau) 1987/88 Der Himmel fällt 1999 Impulsvorschlag Kunsthaus Graz 2010 Teilnahme am kulturpolitischen Projekt Soziale Wärme Preise und Auszeichnungen (Auswahl) 1962 Füger-Preis, Akademie der bildenden Künste, Wien 1967 Joanneum-Kunstpreis, Graz (für das Gemälde Wohin geht ihr, fliegende Brüste) 1972 Förderungspreis für Plastik, Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien Grafik-Preis des Landes Steiermark 1973 Grafik-Preis, Forum Stadtpark, Graz 1976 Special Edition Purchase Award (Alternate), World Print Competition 77, California College of Arts and Crafts, San Francisco Museum of Modern Art, San Francisco (für Liebesschatten) 1980 Preis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, Wettbewerb zum Köflacher Kunstpreis (für Hommage à Lugus) 1983 Förderungspreis der Stadt Graz 1984 Preis des Landes Niederösterreich, 19. Österreichischer Grafikwettbewerb, Innsbruck (für Der gefesselte Schwebezustand)

1967 Pastellarbeiten, Café Express (Inh. Leistentritt), Graz Mein Weg 1962–1967, Galerie Junge Werkstätte, Volksbildungsheim Schloss Retzhof, Leitring/Wagna 1968 Farbpositionen für und um den mensch­ lichen Geist, wider die Vernunft des Computers, Café Express (Inh. Leistentritt), Graz 1969 Galleria il Segnapassi, Pesaro Nestler malt in der Acabana, Sackstraße 40, Graz (Aktion) 1970 art play, Galerie beim Minoritensaal, Graz 1972 Objekte, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz 1974 Schlammzustände, Ausstellung zur Aktion mit Fotografien von Peter Philipp, Fotoboutique, Graz 1975 Galerie Vallombreuse, Biarritz 1976 Art Conception Nestler, AVZ – Audiovisuelles Zentrum, Palais Attems, Graz 1977 Objektbilder, Murgalerie, Leoben 1978 Dokumentation zur Großskulptur Brunnen, Forum Stadtpark, Graz 1979 Tennisbild – Adapterart, Galerie Carneri, Graz 1980 Objektbilder, Basler Versicherung, Graz 1981 Körper-Kunst-Karton, Forum Stadtpark Graz in der Neuen Hauptschule, Schladming 1983 Der Kunstraum. Dialog und Ritual, Künstlerhaus Graz, Graz 1984 1974–84, Steirische Kulturinitiative, Kultursaal, Rottenmann

1991 Metalle, Kulturhaus, Graz In Luce Elettrònica. Kunstkünstlichkeit auf dem persönlichen Prüf­stand. Com­puter­grafik, Bundesober­stufen­ realgymnasium Monsbergergasse, Graz 1998 KKKunst, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz 2010 Ich, Galerie Kunst & Handel, Haus Frey, Graz Reflexionen, Galerie Kunst & Handel, Wien Ausstellungen mit Friederike Jeanne Nestler-Rebeau 1981 Haut, Forum Stadtpark, Graz 1983 Haut II, Galerie Kul, Bruck an der Mur 1987 Der große Wald, Präsentation, Schlossbergbühne Kasematten, Graz 1983 Die Schöpfer Gottes, steirischer herbst, Forum Stadtpark, Galerie beim Minoritensaal und Innenstadt, Graz (Gruppenausstellung, Beteiligung mit dem Projekt Skinprogress, einer zweiteiligen Installation: Das Bild zerbricht, Herrengasse und Projektionskorridor, Forum Stadtpark) 1995 A-8010. 14 Künstler dieser Stadt, Graz, Tournee durch europäische Städte (Gruppenausstellung) 2003 Skinwall, Künstlerhaus Graz, Graz M_ARS. Kunst und Krieg, Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz (Gruppenausstellung) 2005 Die Haut zum Markte tragen, Galerie Kunst & Handel, Galerie remixx, Graz 2008 Skinscapes, Marburger Kunstverein, Marburg/Lahn 2010 Reliqte. Profan-sakrale Bilddiskurse bei den Minoriten 2000-2010, Kulturzentrum bei den Minoriten, Graz (Gruppenausstellung) Gruppenausstellungen (Auswahl) 1962 Akademie der bildenden Künste, Wien 1966-70 Wettbewerbsausstellungen zum Joanneum-Kunstpreis, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz

1969 Galleria 2000, Bologna Forum Stadtpark, Graz 1970 Österreichische Kunst ’70. Skulpturen, Plastiken, Objekte, steirischer herbst ’70, Schloss Eggenberg, Graz Steirische Grafik, Galerie beim Minoritensaal, Graz Improvisationen, Forum Stadtpark, Graz Nestler Kainz. Graphik, Scotch-Club, Graz-Mariagrün 1971 trigon ’71. intermedia urbana, Künstlerhaus, Graz Multimediaaktion PUT. Konglomerate zeitgenössischer Kunstauffassungen, Clublokal CA6, Graz Werke der 6. Internationalen Maler­ wochen in der Steiermark 1971, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz 1972 Meeting ’72 (I.M.A.R. 71), Künstler der 6. Internationalen Malerwochen auf Schloss Retzhof, Clublokal CA6, Graz Acht Künstler des Forum Stadtpark, Secession, Wien Documenti sul Trigon. Retrospettiva degli anni 1963–71, Sala Comunale d’Arte di Palazzo Costanzi, Triest 1973 Dokumentationsausstellung I und II des Referates für Bildende Kunst, Forum Stadtpark, Graz 1974 Art 5’74, Internationale Kunstmesse, Basel 1975 Art 6’75, Internationale Kunstmesse, Basel 1977 World Print Competition 77. An international exhibition of prints, California College of Arts and Crafts, San Francisco Museum of Modern Art, San Francisco (Wanderausstellung durch Museen in den USA und Kanada) Science Fiction, Galerie Lang, Seebarn 1978 Zeitgenössische Kunst aus der Steiermark, Steiermärkische Sparkasse, Graz 1979 Österreichische Kunst, Pinacoteca Comunale di Ravenna, Ravenna 10 Jahre künstlerische Ausgestaltung der Landesbauten in der Steiermark, Künstlerhaus Graz, Graz 1980 Kunst und Öffentlichkeit, Modern Art Galerie, Wien 1981 70-80. 11 Jahre Kunst in der Steiermark, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz Grazer Malerei nach 45, Staatstheater, Darmstadt

1982 Kunst in der Steiermark, Pécsi Galéria, Pécs 1984 19. Österreichischer Grafikwettbewerb, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Hochschule für angewandte Kunst, Wien Sammlung Forum Stadtpark. Kunst nach 1980 in der Steiermark, Forum Stadtpark, Graz 1985 Visitors 2. Los Angeles Summer – styrian autumn, Municipal Art Gallery, Los Angeles Die neue Dimension. Skulptur und Raum, steirischer herbst, Forum Stadtpark und Innenstadt, Graz 1985, 1987 Internationale Grafik-Biennale, Moderna galerija, Ljubljana 1986 Die unbekannte Sammlung, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz 1988 Glas und Kohle, Steirische Landessausstellung, Köflach Hommage à Koren, Galerie Eder, Köflach 1989 Menschen, Münzen, Märkte, Steirische Landesausstellung, Judenburg 1991 Triennale für Grafik, MyDome, Osaka 1992, 1996, 1998 Triennale für Skulptur, MyDome, Osaka 1994 Styrian Window, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz shift. Die Diktion der Grafik über die Fotografie, Galerie-Atelier Yin Yang, Graz 1994, 1997, 2000, 2003, 2006, 2009 Internationale Grafiktriennale, Galeria BWA, Pałac Sztuki, Krakau 1997 Jenseits von Kunst, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz 2003 Meisterwerke der steirischen Moderne, Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas, Burg Rabenstein, Frohnleiten 2004 Fotografie im 20. Jahrhundert, Galerie remixx, Graz Eurografik Moscow 2004. European Culture Integration Bridge, Moscow Manege central exhibition hall, Moskau kunst wien, MAK, Wien 2004 International Mini-Print Triennial, Tama Art University, Tokyo 2006 Support 3. Die Neue Galerie als Sammlung. Fluxus, Happening, Konzeptkunst, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz photo graz 06, ESC, Graz

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2007 Rückblende. Die Fotosammlung der Neuen Galerie Graz, Neue Galerie Graz, Landesmuseum Joanneum, Graz 2008 photo graz 08, Künstlerhaus, Graz 2010 Impuls der Zeit, Galerie remixx, Graz Kataloge / Publikationen (Auswahl) Norbert Nestler: norbert nestler ich. Graz 1968. (Prototyp) Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum (Hg.): norbert nestler objekte ecksaal. Graz 1970. Forum Stadtpark Graz, Audiovisuelles Zentrum Graz (Hg.): Art Conception Nestler. Graz 1976. Murgalerie Leoben (Hg.): Handschriftliches. Zur Ausstellung Norbert Nestler Objektbilder. Leoben 1977. Galerie Carneri, Graz (Hg.): Nestler. Handschriftliches II. Zur Ausstellung Norbert Nestler Tennisbild – Adapterart. Eine Installation für vierundzwanzig Stunden. Graz 1979. Forum Stadtpark Graz (Hg.): Nestler. Körper Karton Kunst. Handschriftliches III. Zur Ausstellung Norbert Nestler Körper–Karton–Kunst, Forum Stadtpark in Schladming. Graz 1981.

Norbert Nestler (Hg.): Norbert Nestler. Der Kunstraum. Dialog und Ritual. Zur Ausstellung im Künstlerhaus Graz. Graz 1983. Norbert Nestler: Norbert Nestler. Metalle. Grafische Arbeiten auf Metallfolien 1984–1990 (Auswahl). Zur Ausstellung im Kulturhaus der Stadt Graz. Graz 1991. Galerie-Atelier Yin Yang (Hg.): Norbert Nestler. Shift. Die Diktion der Grafik über die Fotografie. Grafische Arbeiten 1994. Graz 1994. Neue Galerie Graz (Hg.): Norbert Nestler. KKKunst, Graz 1998. (Ausstellungs­ folder). Norbert Nestler, Friederike Jeanne Nestler-Rebeau: Skinwall. Zur Ausstellung im Künstlerhaus Graz. Graz 2003. Galerie Kunst & Handel GmbH (Hg.): Nestler-Rebeau & Nestler. Die Haut zu Markte tragen. Grazer Doppelportrait (= Der Einspinner). Graz 2005. Galerie Kunst & Handel GmbH (Hg.): Norbert Nestler. Reflexionen. Graz/Wien 2010. Reingard Lang: Norbert Nestler. Leben und Werk. Diplomarbeit, Graz 2011.

Autor/innen

Katrin Bucher Trantow * 1971 in St. Gallen (CH), lebt und arbeitet in Graz (AT), Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Basel, 2001–03 kuratorische Assistentin an der Kunsthalle Basel, seit 2003 Kuratorin am Kunsthaus Graz, seit 2012 auch stellvertretende Leiterin der Abteilung Moderne und zeitgenössische Kunst, Universalmuseum Joanneum, Graz. Auswahl kuratierter Ausstellungen am Kunsthaus Graz: Katharina Grosse, Berlinde De Bruyckere, Cittadellarte, Michael Kienzer, Vermessung der Welt, Roboterträume (mit dem Museum Tinguely, Basel), Leben?, Die Götter im Exil, M Stadt, Sol LeWitt. Beiträge in Ausstellungskatalogen und Zeitschriften wie Camera Austria International, Domus und Parnass. Elisabeth Fiedler * 1960 in Graz (AT), Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz, Regieassistentin beim ORF, Kulturredakteurin der Neuen Zeit, 1992–96 Referentin für Bildende Kunst im Forum Stadtpark Graz, Eröffnung und Programmierung des Forums Stadtpark Prag, 1996-2001 Referentin für Kunst im Büro des Kulturlandesrates der Steiermark, 2001–06 Kuratorin und stellvertretende Leiterin der Neuen Galerie Graz, 2006–11 Leiterin des Departments Kunst- und Kulturgeschichte, Universalmuseum Joanneum, Graz, seit 2011 Leiterin der Abteilung Kunst im Außenraum, Chefkuratorin des Österreichischen Skulpturenparks und des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, 2012 Lehrauftrag am Institut für Kunstgeschichte, KarlFranzens-Universität Graz. Günther Holler-Schuster * 1963 in Altneudörfl, Steiermark (AT), Studium der Kunstgeschichte und Volkskunde an der Karl-FranzensUniversität Graz, lebt nach Auslandsaufenthalten in den USA, London und China meist in Graz. Kurator der Neuen Galerie Graz und stellvertretender Leiter der Abteilung Moderne und zeitgenössische Kunst, Universalmuseum Joanneum, Graz, Künstler und Gründungsmitglied von G.R.A.M., internationale Ausstellungstätigkeit.

122 —  123 Impressum Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Die Kunst des Herrn Nestler Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum 24. Oktober 2014 – 22. Februar 2015

Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum Joanneumsviertel, Zugang Kalchberggasse 8010 Graz, Österreich T: +43-(0)316/8017-9100 joanneumsviertel@ museum-joanneum.at www.neuegaleriegraz.at

Universalmuseum Joanneum

Ausstellung

Geschäftsführung Peter Pakesch, Wolfgang Muchitsch

Kuratorin Katrin Bucher Trantow

Abteilungsleitung Moderne und zeitgenössische Kunst Peter Peer

Kuratorische Assistenz Johanna Ortner Ausstellungsregistratur Magdalena Reininger Sammlungsregistratur Brigitte Lampl Fachpraktikantinnen Elisabeth Schlögl, Bianca Teubl Restaurierung Paul-Bernhard Eipper (Leitung), Julia Hüttmann, Barbara Molnár-Lang, Ivana Sambolić, Fenna Yola Tykwer Ausstellungsaufbau Robert Bodlos (Leitung Zentral­ werkstatt), Ivan Drlje, Markus Ettinger, Daniel Freudenberg, Helmut Fuchs, Ivan Gorickic, Bernd Klinger, Irmgard Knechtl, Andreas Lindbichler, Josef Lurger, Stefan Reichmann, Klaus Riegler, Michael Saupper, Stefan Savič, Peter Semlitsch und Team Reinigungsdienst IT Bernd Dörling (Leitung), Georg Pachler Hausverwaltung Joanneumsviertel Martin Schantl Office Management Gertrude Leber, Teresa Ruff Kunst- und Architekturvermittlung Monika Holzer-Kernbichler, Astrid Bernhard und Team Außenbeziehungen: Presse, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit Andreas Schnitzler (Leitung), Christoph Pelzl, Anna Fras, Jörg Eipper-Kaiser, Barbara Ertl-Leitgeb, Elisabeth Weixler, Bärbel Hradecky, Astrid Rosmann, Eva Pessenhofer-Krebs Ausstellungsgrafik Michael Posch (Leitung), Leo KreiselStrauß Veranstaltungsmanagement Gabriela Filzwieser (Leitung), Franz Adlassnig, Michael Sladek Besucher/innenservice: Ausstellungsbetrieb Anke Leitner, Eva Ofner (Teamleitung), Sigrid Rachoinig (Personalkoordination) Foyermanagement Joanneumsviertel Sarah Bundschuh, Elisabeth Englmaier, Thomas Kirchmair, Gabriele Lind, Petra Melinz-Schille, Sabine Messner

Mit freundlicher Unterstützung von: Stadt Graz, Land Steiermark

Katalog Herausgeber/in Katrin Bucher Trantow, Peter Pakesch Redaktion Johanna Ortner Lektorat/Korrektorat Jörg Eipper-Kaiser Englische Übersetzungen prolingua, Wien Grafische Konzeption Lichtwitz – Büro für visuelle Kommunikation Layout, Umschlaggestaltung und Bildbearbeitung Karin Buol-Wischenau, Leo KreiselStrauß, Michael Posch Druck Medienfabrik Graz Papier Invercote matt, 300g/m², Bilderdruck matt 150g/m², Bio Top 3 100g/m² Schrift Tram Joanneum, ITC Charter Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF∞  Printed in Austria

Library of Congress Cataloging-inPublication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/ München/Boston © für die abgebildeten Werke bei den Künstlerinnen und Künstlern oder deren Rechtsnachfolgern © für die gedruckten Texte bei den Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern oder deren Rechtsnachfolgern © für die Reproduktionen: Familie Nestler: S. 49 rechts, 57, 101 Universalmuseum Joanneum, N. Lackner: Umschlag, S. 35–49 links, 50–55, 58–99, 102–111 Umschlagabbildung: Norbert Nestler, art play, 1969 ISBN 978-3-11-041270-3 www.degruyter.com

Die Neue Galerie Graz dankt Friederike Jeanne Nestler-Rebeau Michael Nestler Kulturamt der Stadt Graz: Peter Grabensberger, Bettina Messner ALBERTINA, Wien: Sonja Eiböck Artothek des Bundes: Notburga Coronabless Galerie Kunst & Handel, Sommer GmbH: Gerhard Sommer, Gertrude Sommer Galerie Lang Wien: Manfred M. Lang Elisabeth Fiedler Reingard Lang