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German Pages 197 Year 2017
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1359
Die „Kultur des Friedens“ – Thema der universalen Verfassungslehre Oder: Das Prinzip Frieden
Von
Peter Häberle
Duncker & Humblot · Berlin
PETER HÄBERLE
Die „Kultur des Friedens“ – Thema der universalen Verfassungslehre
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1359
Die „Kultur des Friedens“ – Thema der universalen Verfassungslehre Oder: Das Prinzip Frieden
Von
Peter Häberle
Duncker & Humblot · Berlin
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Vorwort Der Verf. hat das Thema dieser Studie erst im Herbst 2015 für sich „entdeckt“, damals aus Anlass eines Beitrages für die Festschrift für P. Ridola. Das Thema liegt für ihn spätestens heute nahe: angesichts der älteren Tetralogie in Sachen Feiertage (1987), Nationalhymnen (2007/2013), Nationalflaggen (2008) und Erinnerungskultur (2011) sowie im Blick auf die Publikation des Buches „Der kooperative Verfassungsstaat – aus Kultur und als Kultur. Vorstudien zu einer universalen Verfassungslehre“ (2013). Der 1982 begonnene kulturwissenschaftliche Ansatz hätte schon früher sensibel sein müssen für das „Prinzip Frieden“, zumal in unserer heute so unfriedlich gewordenen Welt. Frieden bleibt ein Menschheitsthema. Der Verf. dankt seinen studentischen Mitarbeitern N. Wadenpohl, Frau E. Hören und G. Hanke für große Hilfe nicht nur beim Korrekturlesen, sondern auch bei der Arbeit mit dem Internet. Frau H. Walther sei für große technische Hilfe bei der Erstellung des Manuskriptes besonders gedankt. Gewidmet ist diese Studie den Freundeskreisen in Bern, St. Gallen, Rom, Granada, Mexico-City, Lima, Brasilia, Buenos Aires und Montpellier. Ohne die jahrzehntelangen wissenschaftlichen Kontakte mit dortigen Kollegen wäre das Büchlein wohl nicht entstanden. Bayreuth/Granada im Mai 2017
Peter Häberle
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Erster Teil Bestandsaufnahme: Der Friedensgedanke im Internationalen Recht, im Europarecht sowie in nationalen Verfassungen – eine Textstufenanalyse in Raum und Zeit, Geschichte und Gegenwart
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I. Universelle völkerrechtliche Abkommen als erste Textstufe, Konventionen, Verträge und Dokumente (der Friedensgedanke im Internationalen Recht), Fortschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Dokumente vor 1945
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2. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Dokumente seit 1945 20 3. Völkerrechtliche Texte unter speziell deutscher Beteiligung (Nachbarschaftsverträge etc.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Der Friedensgedanke im Europarecht im weiteren und engeren Sinne . . . . . . . 26 a) Der Friedensgedanke im Europarecht im weiteren Sinne (Europarat und OSZE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Der Friedensgedanke im Europarecht im engeren Sinne – die EU als Friedens-, Werte- und Rechtsgemeinschaft (Verfassungsgemeinschaft) . . . . . . . 28 5. Friedensdokumente der OAS (1948/67/69) in Amerika und der Banjul Charta in Afrika (1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Die Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten (Bogotá-Charta) von 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Die afrikanische Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte für Völker (1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen in Raum und Zeit, Geschichte und Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Nationale Verfassungen vor 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Nationale Verfassungen nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Die Verfassungen der (späteren) Mitgliedsländer der EU . . . . . . . . . . . . 36 bb) Andere EU-Mitgliedsländer im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 cc) Die neuen Verfassungen der EU-Staaten in Mittel- und Osteuropa nach 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
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Inhaltsverzeichnis dd) Übrige Länder in Europa, Nicht-EU-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Nordamerika und Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Verfassungen in Nordamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Verfassungen in Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4. Arabische bzw. islamische Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Inkurs A: Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte vom 05. 08. 1990 . . . . . . 123 Inkurs B: Die Arabische Charta der Menschenrechte vom 15. 09. 1994 . . . . . . . 124 5. Asien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Inkurs C: Die ASEAN-Erklärung der Menschenrechte vom 18. 11. 2012 . . . . . 137 6. Australien und andere Weltregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Andere Weltregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 7. Exkurs: Die ehemaligen Verfassungen der kommunistischen Staaten unter Einbeziehung der geltenden Verfassungen Chinas, Kubas und Nordkoreas . . . . 143 III. Zwischenergebnis zur Bestandsaufnahme von Friedenstexten in nationalen Verfassungen sowie im Völker- und Europarecht als „Sprache des Friedens“ . . . . . . . . . . 149 1. Der Friedensgedanke in Verfassungspräambeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Das „Prinzip Frieden“ in der Reihe der verfassungsstaatlichen Grundwerte . . . 151 3. Der Friedensgedanke nach dem Modell von Art. 1 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . 153 4. Souveränitätsbeschränkungen im Interesse des regionalen und universalen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5. Verbot von Angriffskriegen und Kriegspropaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 6. Textstücke zur Unterscheidung von innerem (öffentlichen) und äußerem (internationalen) Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 7. Friedlich als Tatbestandsmerkmal von Grundrechten, Frieden im Gewand von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 8. Der Friedensgedanke in verfassungsrechtlichen Erziehungszielen . . . . . . . . . . . 157 9. Der bereichsspezifische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 10. Der Friedensgedanke in staatlichen Kompetenzverteilungsnormen . . . . . . . . . . 159 11. Der Friedensgedanke in Nationalhymnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 12. Das Friedensthema in Gestalt von Amtseiden, Wappen, Nationalflaggen, Siegeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 13. Motti und Wahlsprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 14. Friedensnahe Ersatzbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 15. Frieden als Textelement aus dem Völkerrecht und Europarecht . . . . . . . . . . . . . 164 16. Positiver und negativer Friedensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Inhaltsverzeichnis
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Zweiter Teil Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
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I. Der kulturwissenschaftliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Das Grundlagendenken und der Frieden als finales Zielprinzip („Friedenskultur“) 170 III. Das Friedensgebot für Grundrechte und das verfassungsstaatliche Gewaltmonopol 175 IV. Die Sprache des Friedens in verfassungsrechtlichen Grundwertekatalogen . . . . . . . 177 V. Funktionale Äquivalente für das Prinzip Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VI. Friedenspolitik, Friedensarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 VII. Stetige Reformbereitschaft als Friedensgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 VIII. Noch einmal: Das Prinzip Frieden – der Wille zum Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 IX. Das Prinzip Frieden in Teilverfassungen des Völker- und Europarechts . . . . . . . . . 181 X. Frieden als Element im „Geiste“ der Verfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 XI. Frieden als konstitutioneller Zustand und öffentlicher, kommunikativer Prozess . . 182
Dritter Teil Ausblick und Schluss – Verfassungspolitik für das Prinzip Frieden – Der kooperative Verfassungsstaat als Friedensprojekt
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I. Handlungspraktische Maximen für die Sprache des Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. Bibeltexte und Klassikertexte zum Prinzip Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Einleitung Über das „Prinzip Frieden“ in heutiger Zeit zu schreiben, erfordert einigen Mut, denn seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Welt wohl noch kaum so unfriedlich wie heute wegen vieler Bürgerkriege, Stellvertreterkriege und Krisenherde, auch Hunger, Flüchtlingselend, Verfolgung und Not. Man muss sich buchstäblich zum wissenschaftlichen Optimismus zwingen, auch wenn man heute deutlicher denn je die Leistungsgrenzen der Wissenschaft sowohl im Völkerrecht wie auch im Europarecht und nationalen Verfassungsrecht erkennt. Immerhin liegen Materialien aus vielen Bereichen bereit, die es ermöglichen, dem Thema schrittweise näher zu kommen. In mehreren Anläufen sei in dieser Einleitung umrissen, wie das Thema „Kultur des Friedens“ wissenschaftlich behandelt werden könnte: ausgehend von der „Sprache des Friedens“ in Rechtstexten bis hin zur Judikatur des BVerfG, die sich als direkte oder indirekte „Friedensjudikatur“ unerwartet ertragreich erweisen wird. Das Ganze ist ein Beitrag zur Friedenswissenschaft. Dabei scheue man sich nicht, auch als Wissenschaftler einen religiösen Text in Erinnerung zu rufen: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Friede gebe ich euch“ (Joh 14, 27). Gehen wir von der Gegenwart aus und dies nur in wenigen Stichworten: der völkerrechtswidrige Krieg und Einmarsch der USA im Irak (2003), die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland (2014), die vielen Bürgerkriege in Afrika und Kriege im Nahen Osten, die Flüchtlingsströme. Zu Recht wurde seitens der Politik und der Medien danach gesucht, ob und wie der Frieden von Münster und Osnabrück (1648) ein Vorbild für heutige Friedensschlüsse sein könnte. Der Friedensprozess für den Nahen Osten, d. h. der sog. Oslo-Prozess (seit 1993), ist in Sachen Palästina/Israel eingefroren, also nicht vollendet (Stichwort: Zwei-StaatenLösung), Gleiches gilt für den Konflikt in der Ostukraine. Kolumbien hat nach 50 Jahren Bürgerkrieg und ca. vier Jahren Verhandlungen mit der Rebellenorganisation FARC jüngst zuvor einen ersten Friedensvertrag geschlossen. Dieser wurde indes durch das kolumbianische Volk mit knapper Mehrheit unerwartet abgelehnt. Der soeben (2016) mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Präsident J. M. Santos brachte einen zweiten Friedensvertrag auf den Weg, den der Kongress in Bogotá jüngst (November 2016) gebilligt hat. Im Dezember 2016 erging ein AmnestieGesetz zugunsten der Rebellen, die die Waffen niederlegen müssen und dies inzwischen taten. (Süd-)Korea hofft bis heute auf eine friedliche Wiedervereinigung. Deutschland ist dies 1989/90 geglückt1. Die OSZE bemüht sich in der Ostukraine um 1 Im Herbst 1989 wurde das Machtmonopol der SED u. a. durch den „Runden Tisch“ beendet und die friedliche Wiedervereinigung kam zu ihrem Ende. Zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands: BVerfGE 112, 1 (29, 37); E 112, 368 (397): Herstellung der Deutschen
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Einleitung
friedenserhaltende Maßnahmen (nach „Minsk“) mit unterschiedlichem Erfolg. Die EU gilt bis heute als epochemachendes Friedensprojekt („Friedensdividende“). Der spätere Bundespräsident F.-W. Steinmeier sucht Lehren aus der Geschichte des Friedenskongresses von Münster und Osnabrück, um Lösungen für den grausamen Krieg in Syrien zu finden2. Erinnert sei daran, dass kein geringerer als V. Hugo am 21. August 1849 den Pariser Friedenskongress eröffnete. Die elsässische Zeitung Le Dernières Nouvelles d’Alsace (Straßburg) deutete im Juli 2017 die Trauerfeier für Helmut Kohl als „Friedensbotschaft“. Blicken wir in die Kulturgeschichte. Hier gibt es viele erste Stichworte und Klassikertexte. Heraklit spricht vom Krieg als „Vater aller Dinge“; Augustus baute in Rom die „Ara pacis“; schon in der Antike stritt man über die Frage: si vis pacem para pacem, oder: si vis pacem para bellum, Kant schrieb das „Traktat zum Ewigen Frieden“ (1795). L. Tolstoi verfasste den epochemachenden Roman „Krieg und Frieden“ (1869). Wir denken an den Kalten Krieg bis zum annus mirabilis 1989. Es gibt Friedensgedichte von Hölderlin (Der Frieden, „Wie wenn die alten Wasser, die… in andern Zorn“; oder auch Die Friedensfeier), Friedenshymnen in einzelnen Ländern und Friedensgedenkorte wie im pazifistischen Japan. Dass der Frieden viele Anstrengungen erfordert und oft nur in langen Prozessen gelingen kann, wird immer klarer. Erinnert sei an die sog. „damnatio memoriae“ in der Antike, der etwa der römische Kaiser Commodus unterlag. Erinnert sei auch an die „Antigone“ von Sophokles, in der das kollektive Gedächtnis der Bürgergemeinschaft an den Bruder von Antigone Polyneikes durch das Verbot von dessen Beerdigung ausgelöscht werden sollte. In der neueren Zeit sind Amnestien und Gnadenakte (zum Beispiel an Weihnachten oder zum Ende der Amtszeit eines U.S.-Präsidenten, so im Januar 2017) Versuche, auf diese Weise zum Frieden zu kommen. Das Vergessen kann friedensstiftende Wirkung entfalten. Dafür gibt es Beispiele aus der französischen Revolution und nach dem englischen Bürgerkrieg. Der große Satz des universalen Völkerrechts „pacta sunt servanda“3 ist eine kulturelle Friedensleistung ersten Ranges, ebenso wie das Prinzip „Treu und Glauben“4 und die Verjährung von Ansprüchen oder Delikten5. An große Pazifisten sei erinnert: B. Suttner, D. Hammarskjöld, N. Mandela. Das Völkerrecht insgesamt erscheint schon auf den ersten Blick als Einrichtung zur Garantie des Friedens, insbesondere die Arbeit der UNO (Friedensmissionen) und ihres Sicherheitsrats, so ineffektiv sie sich oft trotz des
Einheit als Ziel des Gemeinwohls; zur „Friedensbewegung“ in der Noch-DDR: O. Luchterhandt, Die staatliche Teilung Deutschlands, in: HStR Bd. 1, 3. Aufl., 2003, § 10, Rn. 160. 2 SZ vom 21. 09. 2016, S. 10: „Im Mittelpunkt: Frieden“ (Beginn des 51. Deutschen Historikertages in Hamburg); vgl. auch R. Hermann, Was wir vom Westfälischen Frieden für die arabische Welt heute lernen können, FAZ vom 18. 08. 2016, S. 8. 3 Dazu BVerfGE 141, 1 (20); s. auch E 34, 216 (230, 232). 4 Dazu BVerfGE 141, 1 (25); E 52, 391 (406); E 104, 220 (232); 115, 51 (68). 5 BVerfGE 133, 143 (159): „Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen“.
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Gewaltverbots in Art. 2 Ziff. 4 UNO-Charta erweist. Erinnert sei auch an die neue Lehre von der „Schutzverantwortung“ (2005)6. Gleichzeitig erinnern wir uns der vielen auch tatsächlich verliehenen Friedenspreise: an erster Stelle an den Friedensnobelpreis, den Friedenspreis des deutschen Buchhandels (zum Beispiel an A. Lindgren, M. Frisch), den Friedenspreis von Osnabrück sowie an Weltfriedenstage7. Der kürzlich verstorbene Trutz Rendtorff verfasste 1982 die Denkschrift „Frieden wahren, fördern und erneuern“. In Verdun gibt es einen „Keller des Friedens“. Papst Franziskus stellte seine Ägyptenreise im Frühjahr 2017 unter das Motto „Papst des Friedens im Ägypten des Friedens“8. Franziskus prägte auch den Satz: Weltfrieden braucht „zuerst Frieden im Kleinen“9. Schon hier seien Klassikertexte erwähnt, etwa die berühmte Unterscheidung zwischen dem Naturzustand und dem vertraglichen Zustand bei T. Hobbes bzw. J. Locke sowie I. Kant und dem damit verbundenen unterschiedlichen Menschenbild. Erinnert sei an das negative, pessimistische Denken von Hobbes: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, und an das eher optimistische von Locke. Aus Sicht des Verf. ist ein gedämpft optimistisches Menschenbild im Verfassungsstaat und im Völkerrecht angemessen. Der vielzitierte „homo oeconomicus“ ist nur eine Teilwahrheit (man denke an den homo ludens und den homo faber). Die staatliche Gewaltenteilung ist ein Versuch, der Anfälligkeit des Menschen für Machtmissbrauch in Amt und Mandat entgegen zu wirken. Die Garantie der offenen Gesellschaft und der Grundrechte ist eine Referenz in Bezug auf das Gute im Menschen, ebenso die Unschuldsvermutung im Strafrecht sowie die Vermutung des „guten Glaubens“ im deutschen Bürgerlichen Recht. Für einen einzelnen Gelehrten wäre es eine Lebensaufgabe, die ganze Kulturgeschichte zum Frieden zu ergründen. Heute könnten sich die interdisziplinären Heerscharen von wissenschaftlichen Instituten darum bemühen. Der Verf. muss sich aus vielen Gründen selbst beschränken. Er kann nur von einer Seite her sein Thema angehen: mit seinen Methoden und begrenzt auf bestimmte Gegenstände. Einschlägig wird der 1982 begonnene kulturwissenschaftliche Ansatz gepaart mit der Textstufenmethode (1989) und dem komparistischen Ansatz sowie der Kontextthese (1979/2001), in vielen Schriften hat sich der Verf. darum bemüht („Auslegen durch
6 Zu ihr gehört auch die neue „Responsibility to Rebuild“ als Verantwortung zum Wiederaufbau von Post-Konflikt-Staaten, dazu gleichnamig, S. Hümmerich-Welt, 2016. Auch dies gehört zur Aufgabe der Friedenswissenschaften. 7 Eine reiche Fundgrube für Äußerungen und Handlungen großer Persönlichkeiten in Sachen Frieden ist R. B. Motsch (Hrsg.): Kurze Texte zum Frieden, 2015 sowie R. B. Motsch u. a. (Hrsg.), Zum Frieden im 21. Jahrhundert, 2016. Primäre Forschungsliteratur ist H. Hofmann, Bilder des Friedens oder die vergessene Gerechtigkeit, 2. Aufl., 2008. 8 FAZ vom 29. 04. 2017, S. 2. 9 http://de.radiovaticana.va/news/2016/09/08/papstmesse_weltfrieden_braucht_zuerst_% E2 %80 %9Efrieden_im_kleinen%E2 %80 %9C/1256613.
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Hinzudenken“)10. In Sachen Frieden ist von Rechtstexten auszugehen, die weltweit rezipiert oder in Verarbeitung von Praxis (insbesondere Judikatur) „nachgeführt“, umgeschrieben und fortentwickelt werden, sie finden sich teils im Völkerrecht und Europarecht, teils in Hunderten von geltenden und überholten Verfassungen; oft wird auch im guten Sinne „abgeschrieben“. Der Rechtsvergleicher und Verfassungsinterpret muss sich hinter die Verfassungstexte stellen, nicht über oder neben sie. Wichtig wird die Kontextthese von 1979/2001. Sensibel sind herauszufinden die typischen Kontexte, in denen der Friedensgedanke im Völkerrecht und Europarecht oder im nationalen Verfassungsrecht zum Ausdruck kommt. Erhofft sei dadurch die Skizzierung einer Typologie: die typischen Konstellationen, in denen der Friedensgedanke in vielen Spielarten textlich erscheint. Vielleicht gelingt es, den Begriff „Kultur des Friedens“ in seiner ganzen Komplexität und seiner Vielgliedrigkeit zu erfassen. Er ist nicht nur ein wissenschaftlicher Vorschlag des Verf. im Jahre 2016/ 2017, sondern findet sich glücklicherweise ausdrücklich in einigen neueren Texten in Europa und in Lateinamerika, sogar in Afrika. Schon theoretisch liegt der Begriff „Kultur des Friedens“ nahe: er ist ein Ergebnis des kulturwissenschaftlichen Verständnisses von Verfassungen, aus einer ganzen Fülle von Texten lässt er sich umreissen. Dazu zählen auch Erscheinungsformen der Kunst wie Nationalhymnen und Nationalflaggen in bestimmten Versen, Melodien bzw. Farben und Zeichen, auch besondere Ausprägungen wie Wahlsprüche und Motti – all dies ist Erscheinungsform von Kultur in Sachen Frieden, gelegentlich in Metaphern. All dies wird im Verlauf dieser Studie belegt („Friedenskultur“). Ohne anmaßend werden zu wollen, sei der Satz gewagt, dass das mehr oder weniger diffus, vielgliedrig und inhaltsreich schon vorhandene „Prinzip Frieden“ im Blick auf den Typus Verfassungsstaat sich zwei anderen Prinzipien zugesellt: dem „Prinzip Hoffnung“ (E. Bloch) und dem „Prinzip Verantwortung“ (H. Jonas). Beide Prinzipien sind auch auf das Prinzip Frieden hin zu denken. Dies wird eine Aufgabe dieser kleinen Studie sein. Wer die mühsame Arbeit am Frieden wagt (theoretisch und praktisch), braucht Hoffnung und Verantwortung zugleich. Wenn irgendwann die Wortschöpfung „Kultur“ von Cicero angemessen ist, dann in Bezug auf den Frieden: als „Kultur des Friedens“. Der gelegentlich gegen die Textstufenmethode vorgebrachte Einwand lautet, damit werde ja nicht die Verfassungswirklichkeit erfasst. Dabei wird indes oft übersehen, dass die Texte an sich schon als Schatzhaus und Speicher wirken, ein großes juristisches und wissenschaftliches Potential haben können, so dass sie eines Tages hier und dort oder gar weltweit zur Wirklichkeit werden und normative Kraft 10 Das BVerfG verwendet seit längerem nicht ganz selten den Begriff Kontext, z. B. E 37, 271 (279): „Kontext der Gesamtverfassung“; s. auch E 35, 311 (356); E 39, 334 (368); E 85, 23 (33); E 136, 9 (41); E 93, 266 (299, 304); 98, 49 (60); E 108, 370 (391); E 131, 152 (205): „europäischer Kontext“. Mitunter bedient es sich funktionaler Äquivalente für den Kontext, nämlich des Begriffs „Gesamtzusammenhang“, E 45, 1 (31); E 86, 28 (45); E 105, 313 (335): „Sinnzusammenhang“; E 113, 273 (302 f.): öffentliche Kontexte; E 130, 1 (26): „Gesamtschau“; ebenso E 139, 64 (113).
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entfalten. Dazu gibt es gerade in Sachen Frieden viele Beispiele. Viele jüngere Verfassungen schreiben das in Texten fest, was die Wirklichkeit, insbesondere Praxis, Judikatur und Literatur – auch Wissenschaft – hier und dort entwickelt hat (die Schweizer „Nachführung“ der Bundesverfassung: 1999). Beispiele aus vielen Ländern sind die Fortschreibungen der Parteienartikel oder die Weiterentwicklung des Medienrechts vom Pluralismus-Gedanken des BVerfG her, die sich bis in die EUTexte hinein nachweisen lässt. Im Übrigen lassen die nachstehenden Textanalysen den weltweiten Kosmos des Austausches von konstitutionellen Texten in Prozessen der Produktion und aktiven Rezeptionen erkennen. Akteur ist auch die Wissenschaft. Die Frage „post“ oder „propter“ lässt sich freilich meist nicht klären (man kennt die Rezeptionsmittler oft nicht). Dies zeigt sich etwa bei dem „Sprung“ des Verfassungstextes „Kultur des Friedens“ von Slowenien und Italien nach Lateinamerika und von dort zurück nach Afrika: auf eine Weise ein Friedensgespräch. Die Welt ist eine Lehr- und Lerngemeinschaft in Sachen kooperativer Verfassungsstaat und seinen Ausprägungen, wie des Ringens um Frieden als Thema der universalen Verfassungslehre. Vielleicht darf man schon von einem universalen Gesprächsforum in Sachen Verfassungsstaat und insbesondere in Sachen Friedenstexte reden. Der Verf. wagte 2001/02 eine europäische Verfassungslehre (7. Aufl. 2011, 8. Aufl. zusammen mit M. Kotzur 2016) und 2013 erschien das Buch „Der kooperative Verfassungsstaat, aus Kultur und als Kultur, Vorstudien zu einer universalen Verfassungslehre“. Es übersteigt wohl die Möglichkeiten des älteren Gelehrten, aus einer Hand eine „ganze“ universale Verfassungslehre zu erarbeiten. Darum sei mit dem Folgenden nur ein weiterer Mosaikstein dieses allzu großen Projekts behandelt. Der Friedensgedanke eignet sich dafür besonders gut, findet er sich doch bislang etwas vernachlässigt in vielen einzelstaatlichen Verfassungen der älteren und neueren Generation und ist er doch für unsere Welt das große Ideal, spätestens seit I. Kant (1795). Der Verf. versucht mit seiner Textstufenmethode zu arbeiten, die unerwartet reichen Ertrag bringt, wie zu zeigen sein wird. Das Faszinierende an diesem Thema ist, dass der Friedensgedanke auf und in der staatlichen Seite innerlich verknüpft ist mit dem, was das Völkerrecht in Sachen Frieden anstrebt, leistet und oft genug verfehlt. Die Friedensidee bindet wie kaum ein anderes Bauelement das Völkerrecht, verstanden als konstitutionelles Menschheitsrechts und gedeutet in seinen Teilverfassungen, z. B. der UN-Charta oder des Seerechtsübereinkommens, den Genfer, Wiener und Haager Konventionen, Völkerrecht und Verfassungsrecht zusammen. Nimmt man das Vorrücken der Internationalen Gerichte als Teilverfassungsgerichte hinzu – und die Internationalen Gerichte sind in einem tiefen Sinne „Friedensgerichte“ – so liegt es noch näher, den Friedensgedanken universal zu verfolgen. Man hätte dann ein Grundelement, das ein Stück der universalen Verfassungslehre erfasst und verfasst. Man darf von Kultur des Friedens und dem Prinzip Frieden sprechen. Hinzu kommt, dass schon prima facie der kulturwissenschaftliche Ansatz ergiebig ist. Man denke an die vielen „kulturellen Kristallisationen“, in denen sich der
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Einleitung
Friedensgedanke in der Geschichte und Gegenwart äußert, in der Kunst, in der Dichtung und in der Architektur11. Ein interdisziplinäres Projekt zu einer allgemeinen Kulturtheorie des Friedens könnte wie folgt strukturiert sein. Zu untersuchen wären diese Bereiche: (1) Ausdrucksformen der Kultur des Friedens in den Religionen, Altes und Neues Testament, Thora, Koran und weitere Buchreligionen (Buddhismus), die Auswirkungen in der Geschichte, aber auch Kreuzzüge, Inquisition, Vernichtung der Ureinwohner in Amerika, der heutige islamische Fundamentalismus, aber auch Totenehrung „requiescat in pace“ auf Friedhöfen und Friedwäldern, die Goldene Regel von Christus bis I. Kant, die Grußformel „shalom“, Christus als Friedensfürst. (2) Ausdrucksformen der Kultur des Friedens in den Künsten: in der Musik (Nationalhymnen, klassische Friedensmusik, „Ein bisschen Frieden“ – Eurovision Song Contest 1982), zuletzt das Hamburger Friedenskonzert in der Elbphilharmonie am 08. 07. 2017 als Dank für das Verständnis der Bürger für den G 20-Gipfel; in der bildenden Kunst (Antikriegsbilder, z. B. Guernica und Friedenstaube Picassos, Friedensarchitektur des Holocaust Denkmals in Berlin, Friedensglocke in Hiroshima, Ara Pacis von Kaiser Augustus in Rom, pax augustana 27 v. Chr., Friedenspfeife der Indianer, der „peacewalk“ im Chicago von 2017); in der Literatur (Hölderlin-Gedichte; aber auch „Krieg den Palästen, Friede den Hütten“ (1834): G. Büchner; Tolstoi: „Krieg und Frieden“; andere Friedensymbole). (3) Ausdrucksformen der Kultur des Friedens in der Philosophie: „Krieg als Vater aller Dinge“ Heraklit, aber I. Kants Traktat zum Ewigen Frieden 1795; juristische Klassiker von Hobbes über Locke bis Kant – vom Naturzustand zum Kulturzustand. (4) Ausdrucksformen der Kultur des Friedens in der Politik: in der Schweiz: Nikolaus von der Flüe (1417 – 1487): „Mischt Euch nicht in fremde Händel“; der ewige Landfriede von 1495 unter Maximilian I.; Augsburger Religionsfrieden 1555; Hugo Grotius (1625): Vom Recht des Krieges und des Friedens; die Wende in der Politik: Völkerbund (1919) und UN (1947); zuletzt die chinesische Panda-Politik in Berlin 2017; aber auch die Gefährdung des Weltfriedens, heute insbesondere der völkerrechtswidrige Einmarsch der USA in Irak (2003) und die Annexion der Krim (2014), die Bürgerkriege in Afrika und dem Nahen Osten, weltweite Flüchtlingsströme, früher mörderische Kolonialkriege Europas; star wars als negative Utopie. 11 Überaus ergiebig zur Wort-, Begriffs- und Geistesgeschichte des Begriffs „Friede“: W. Janssen, Friede, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsgg. von O. Brunner u. a., Band 2, 1975, S. 543 ff. (mit Klassikertexten von Thomas v. Aquin über Nikolaus von Kues, Hobbes bis Kant; weitere Lexikonartikel in Brockhaus-Enzyklopädie, 21. Aufl., 2006, Art. Frieden, S. 477 ff.; J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 9. Bd., Neudruck 2001, Art. Friede, Sp. 1058 ff.; Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 9, 1971, Art. Friede, S. 433 ff.; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2000, Art. Friede, S. 375 f.). Artikel Frieden, in RGG, 4. Aufl., 2000, Sp. 359 ff.; Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe 2006, Artikel Frieden, Friedensbewegung (E. Pausch), Sp. 664 ff. Freilich: Keiner der hier zitierten Lexikon-Artikel bezieht den reichen Fundus der nationalen Verfassungstexte, wie sie diese Studie erarbeitet, systematisch ein.
Einleitung
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(5) Welches Menschenrecht bzw. Grundrecht ist kulturanthropologisch das älteste? die Religionsfreiheit (so G. Jellinek), die Freiheit aller sich zu versammeln (so die US-amerikanische Tradition) oder das Recht auf Sicherheit (vgl. Art. 2 S. 2 Französische Menschenrechtserklärung von 1789)? (6) Was heißt kulturanthropologisch: „in Frieden leben“? (7) Was sind die Ursachen von Konflikten? Menschliche Neigung zu Aggressionen?
Erster Teil
Bestandsaufnahme: Der Friedensgedanke im Internationalen Recht, im Europarecht sowie in nationalen Verfassungen – eine Textstufenanalyse in Raum und Zeit, Geschichte und Gegenwart I. Universelle völkerrechtliche Abkommen als erste Textstufe, Konventionen, Verträge und Dokumente (der Friedensgedanke im Internationalen Recht), Fortschreibungen Vorbemerkung: Die Friedensklauseln im Völkerrecht1 werden in der Wissenschaft oft behandelt2, ganz im Gegensatz zu den Friedenstexten in nationalen Verfassungen. Daher seien im Folgenden nur einige internationale Texte in Stichworten vorgeführt. Man denke an das Verbot des Angriffskrieges (als negativer Friedensbegriff), an die internationalen Menschenrechtsgarantien (als positive Friedenswerke), an die friedliche Streitbeilegung, an Friedenszonen (als Elemente des positiven Friedensbegriffs). Innerstaatlich gibt es in der älteren Zeit nur wenige einschlägige Texte, so in der Verfassung Frankreichs von 1791 und danach, in der Schweiz, in Spanien (1931) sowie in Deutschland (1919) und Irland (1937). Eine systematische Ordnung der folgenden Texte geht von der Idee einer hier freilich nur partiell geleisteten universalen Verfassungslehre aus. In deren Theorierahmen stellen sich völkerrechtliche Verträge m. E. schon als Teilverfassungen dar 1 Parallel zu führen sind auch, soweit möglich, Aussagen von Verfassungsgerichten, so recht versteckt, aber prägnant: BVerfGE 122, 120 (147): das friedliche Zusammenleben der Völker als Schutzgut von erheblichem Gewicht. 2 Pionierhaft, besonders auf Staatszielbestimmungen bezogen, K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 252 ff. Aus der weiteren Lit.: C. Starck, Frieden als Staatsziel, FS Carstens, Band 2, 1984, S. 867 ff.; N. López Calera, In Frieden leben – Frieden und Menschenrechte, FS W. Krawietz, 1993, S. 529 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983; E. Benda, Frieden und Verfassung, AöR 109 (1984), S. 1 ff.; A. Proelß, Das Friedensgebot des Grundgesetzes, in: HStR Bd. XI, 3. Aufl., 2013, S. 63 ff., mit Stichworten wie: Frieden als Motiv und Ziel einer jeden Rechtsordnung, „kein Verfassungsprinzip“, Friedensbezug der Präambel als Staatszielbestimmung, „begrenzte Steuerungfähigkeit und Justitiabilität“, „Friedensgebot kein Rechtsprinzip“, „Verknüpfung von Verfassungs- und Friedensvölkerrecht“.
I. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Verträge, Dokumente
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(hohe Werte, dauerhafte Geltung), insbesondere die UN-Charta (1945)3, die Menschenrechtspakte (1966)4, die Konventionen von Genf über Wien bis Den Haag (das Seerechtsübereinkommen als „Verfassung der Meere“, 1982), mit den vorrückenden Internationalen Gerichte als vitalen Akteuren; sie sind Teil-Verfassungsgerichte. Der internationale Strafgerichtshof in Den Haag nach dem Römischen Statut (1998) gehört ebenfalls hierher5.
1. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Dokumente vor 1945 Im I. Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle (1907) finden sich folgende Stichworte: Willen zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens, Begünstigung der friedlichen Erledigung internationaler Streitigkeiten, Solidarität, Herrschaft des Rechts6, internationale Gerechtigkeit, Sicherheit der Staaten. Der erste Titel ist überschrieben mit den Worten „Erhaltung des allgemeinen Friedens“. Mit all dem sind bereits erste Elemente einer „Sprache des Friedens“ gefunden. Das IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges (1907) formuliert in der Präambel den Passus: „dass bei allen Mühen, Mittel zu suchen, um den Frieden zu sichern und bewaffnete Streitigkeit zwischen den Völkern zu verhüten“. Es geht um das Kriegsrecht7. Die Satzung des Völkerbundes (1919)8, die von vielen Hoffnungen der Pazifisten seiner Zeit begleitet waren, beginnt in ihrer Präambel mit dem großen Satz: In der Erwägung, dass es zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen und zur Gewährleistung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit wesentlich ist …
3 Aus der Judikatur des BVerfGE 140, 160, Stichwort Libyen mit Hinweisen auf den Begriff der Selbstverteidigung, „die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist“, Blauhelmeinsätze und militärische Auseinandersetzungen (S. 192 f.). – Aus der Lit.: R. Wolfrum, Deutschland in den Vereinten Nationen, HStR Bd. X, 3. Aufl, 2012, § 219, Rn. 11 zu „Friedenstruppen“. 4 Dazu etwa BVerfGE 132, 134 (162) zum Recht auf soziale Sicherheit. 5 Dazu BVerfGE 113, 273 (296 ff.). 6 Dazu abweichende Meinung der Richterin Lübbe-Wolff, BVerfGE 134, S. 419. 7 Aus der Judikatur des BVerfG zur Haager Landkriegsordnung als „Sonderrecht des Krieges“: E 92, 277 (323). In E 96, 68 (83) wird auf die Diplomatie mit ihren Privilegien als Instrument der effektiven Kooperation innerhalb der internationalen Gemeinschaft verwiesen, auch um Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten mit friedlichen Mitteln beizulegen; siehe auch E 112, 1 (30) zum „humanitären Kern“ der Haager Landkriegsordnung. 8 Zum Völkerbund: S. Oeter, Systeme kollektiver Sicherheit, HStR Bd. XI, 3. Aufl., 2013, § 243, Rn. 5.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
In Art. 11 Abs. 1 ist von wirksamem Schutz des Völkerfriedens die Rede, im Zusammenhang mit dem Kriegsverbot. In Art. 12 wird die Verpflichtung zur friedlichen Streiterledigung normiert, in Art. 13 die Schiedsgerichtsbarkeit eingerichtet, Art. 16 definiert den „Friedensbruch“. Der Vertrag über die Ächtung des Krieges (1928), der Kellogg-Pakt9, spricht in seiner Präambel von einem „offenen Verzicht auf den Krieg als Werkzeug der Politik, um die jetzt zwischen ihren Völkern bestehenden friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen dauernd aufrecht zu erhalten“. Auch ist die Rede vom „gemeinsamen Verzicht“ auf den Krieg als Werkzeug der internationalen Politik. Man erkennt Textstufen.
2. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Dokumente seit 1945 Die Charta der Vereinten Nationen (1945)10 ist schon in der Präambel ergiebig – man spürt in ihr die Schrecken des zweiten Weltkrieges. Nicht ohne Pathos wird von der „Geißel des Krieges“ gesprochen und von dem Zweck der Völker „als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben“. In Art. 1 wird immer wieder vom „Weltfrieden“ gesprochen. Gleiches gilt für die Grundsätze in Art. 2, wobei auch die internationale Sicherheit und Gerechtigkeit figuriert. Das Gewaltverbot in Art. 2 Ziff. 4 ist zentral. Gemäß Art. 4 Abs. 1 können alle „sonstigen friedliebenden Staaten“ Mitglied der UN werden. In Art. 11 wird die „Wahrung des Weltfriedens“ erneut postuliert. In Art. 14 ist von „friedlicher Bereinigung“ gefährlicher Situationen die Rede. Kap. VI regelt die friedliche Beilegung von Streitigkeiten. All dies sind Stufen der kulturellen Evolution des Prinzips Frieden, zum Teil in neuer Sprache. Die Satzung der UNESCO (1945) formuliert in der Präambel den vortrefflichen Satz: Dass, da Kriege im Geiste des Menschen entstehen, auch die Verteidigung des Friedens im Geiste des Menschen ihren Anfang nehmen muss ….
Dieser Satz, eine Variante der typischen kulturellen Geist-Formel, ist in jede Verfassungstheorie des Prinzips Friedens zu integrieren. Er verweist auf die Natur von Kriegen und die Kultur des Friedens. In den weiteren Passagen ist ähnlich gedacht. Es heißt dort: „dass der Friede, wenn er erhalten bleiben soll, in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit seine Grundlage haben muss“. Damit ist 9 Aus der Judikatur des BVerfG: E 94, 315 (324). In dieser E findet sich auch eine Übersicht über die Praxis von Friedensverträgen in aller Welt (332 ff.). 10 Aus der Lit.: S. Oeter, Systeme kollektiver Sicherheit, HStR Bd. XI, 3. Aufl., 2013, § 243, Rn. 6; R. Wolfrum, Deutschland in den Vereinten Nationen, HStR Bd. X, 3. Aufl., 2012, § 219, Rn. 1 – 12.
I. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Verträge, Dokumente
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eine Forderung an das universale Menschenbild formuliert – von der Kultur her („geistige Solidarität“) – Solidarität ist ein in den nationalen Verfassungen oft vorkommendes Prinzip und Friedenselement. Am Schluss der Präambel ist vom „internationalen Frieden“ und „allgemeinen Wohlstand der Menschheit“ die Rede. Ganz in diesem Geist ist auch die Satzung der Weltgesundheits-Organisation (WHO 1946) konzipiert. In der Präambel heißt es in Absatz 3: Die Gesundheit aller Völker ist die Grundlage des Friedens und der Sicherheit; sie setzt engste Zusammenarbeit der Einzelmenschen und Staaten voraus.
Einen solchen Friedenstext hätte man als Rechtsvergleicher auf dem Felde der Gesundheit nicht ohne weiteres erwartet. Er wurde von der vergleichenden Verfassungsrechtswissenschaft bislang wohl kaum beachtet. „Sicherheit“ ist hier ganzheitlich zu verstehen. Gleiches gilt für die Verfassung der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1946 bzw. von dem ersten Satz der Präambel: „Der Weltfriede kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden“. An späterer Stelle ist von „Welteintracht“ und „dauerndem Weltfrieden“ die Rede. Merkposten ist die Idee, dass die soziale Gerechtigkeit Grundlage des Weltfriedens ist (ein Beweis für das „Grundlagendenken“ und die Relevanz des Rechts). In der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN (1948)11 ist von der Würde und den gleichen und unveräußerlichen Rechten als Grundlage u. a. „des Friedens in der Welt die Rede“, ebenso vom „Gewissen der Menschheit“ und vom „höchsten Bestreben der Menschheit“ sowie „vom Geist der Brüderlichkeit“. Art. 26 Abs. 2 („kulturelle Betreuung“) schreibt als Ausbildungsziel fest, dass die Tätigkeit der UN zur Aufrechterhaltung des Friedens begünstigt wird. Der Friedensauftrag der UN ist damit zu einem menschenrechtlichen Ausbildungsziel geworden – wichtig für die materiale Verfassungstheorie. In der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords (1948), von R. Lemkin erarbeitet, wird in der Präambel die „zivilisierte Welt“ beschworen und die Überzeugung geäußert, dass zur „Befreiung der Menschheit“ von der „Geißel“ des Völkermords die internationale Zusammenarbeit erforderlich ist. Das Folterübereinkommen (1984)12 spricht in der Präambel von „unveräußerlichen Rechten aller Mitglieder der menschlichen Gesellschaft“ als „Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Schon das auch von E. Mann-Borgese mit erarbeitete Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (1982) liefert in der ausführlichen Präambel ebenfalls reichhaltige Textelemente zu unserem Thema: „Erhaltung von Frieden, Gerechtigkeit und Fortschritt für alle Völker der Welt“, „Interessen und Bedürfnisse der gesamten Menschheit“, „Ressourcen als gemeinsames Erbe der Menschheit, deren Erforschung und Ausbeutung zum Nutzen der 11 12
Dazu BVerfGE 134, 204 (229). Dazu BVerfGE 108, 129 (139).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
gesamten Menschheit“ (…) durchgeführt werden sowie von „Fortschritt aller Völker der Welt“. Art. 136 definiert: „Das Gebiet und seine Ressourcen sind das gemeinsame Erbe der Menschheit“. Art. 140 Abs. 1 postuliert das Ziel des „Nutzens der gesamten Menschheit“ (ebenso Art. 246 Abs. 2); Art. 192 verlangt von den Staaten, die „Meeresumwelt zu schützen“ – auch dies ist universal gedacht. Gleiches gilt für die „weltweite und regionale Zusammenarbeit zur Bewahrung der Meeresumwelt“ (Art. 197 – 201). Art. 88 bestimmt lapidar: „die Hohe See ist friedlichen Zwecken vorbehalten“13. Besonders geglückte Formulierungen mit viel Optimismus stehen im Vertrag über die Grundsätze der Tätigkeit von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums (1967). Hier finden sich folgende Textzeilen: „Großartige Aussichten, die der Vorstoß des Menschen in den Weltraum der Menschheit“ eröffnet (Präambel). Verlangt ist die Nutzung des Weltraumes zu „friedlichen Zwecken“ (s. auch Art. IV). Art. I Abs. 1 macht die Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes zur „Sache der gesamten Menschheit“. Art. VAbs. 1 S. 1 betrachtet die „Raumfahrer als Boten der Menschheit“ – ein inspirierter und inspirierender Text. Art. XI formuliert eine Unterrichtungspflicht der Vertragsparteien über ihre Arbeit gegenüber der „Öffentlichkeit und wissenschaftlichen Welt“ in größtmöglichem Umfang – damit ist die Weltöffentlichkeit angedeutet. Das Übereinkommen über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände (1972) anerkennt das „gemeinsame Interesse der gesamten Menschheit an der Förderung der Erforschung und Nutzung des Weltraumes zu friedlichen Zwecken“. In ähnlichen Dimensionen denkt das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (1992). Denn ihr Art. 6 a) iii) postuliert für die Vertragsparteien die Pflicht zur Beteiligung der „Öffentlichkeit“ – damit kann nur die Weltöffentlichkeit gemeint sein. Dasselbe gilt für lit. b) i) zur „Förderung“ des öffentlichen Bewusstseins in Bezug auf die „Klimaänderungen und ihre Folgen“. Das Klimaschutzabkommen von Paris (2016) ist ein richtiger Schritt in diesem Sinne. Der Nato-Vertrag14 (1949) verpflichtet sich an mehreren Stellen auf den Frieden: z. B. beim Wunsch mit allen Völkern und allen Regierungen in Frieden zu leben 13
Hierzu gehört auch das Recht auf „friedliche Durchfahrt“. Aus der Lit.: W. Graf Vitzthum, Staatsgebiet, HStR Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 18, Rn. 30. 14 Zur NATO aus der Judikatur des BVerfG (Stichwort: Stationierung von Pershing IIRaketen): E 66, 39 (56 ff.), auch zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. E 68, 1 (32 ff.), ebenfalls zu diesen Waffensystemen und einem Zitat von H. Grotius, ebd. S. 33 sowie zum Verteidigungsauftrag S. 96 ff. Das BVerfG beruft sich auch auf den Vorspruch zum NATOVertrag (S. 99): „die Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen“. Das Sondervotum von Mahrenholz bezieht sich u. a. auf C. F. von Weizsäcker, Der bedrohte Frieden, 1983 (ebd. S. 123). Es zeigt einmal mehr, dass sich Sondervoten durch Klassikerzitate und Rechtsvergleichung stärker engagieren und legitimieren müssen. Zum AWACS-Einsatz: BVerfGE 88, 173 (182 ff.) unter Hinweis auf die friedenserhaltenden und friedensherstellenden Operationen unter der Autorität des UN-Sicherheitsrates; ebd. S. 184 ein Hinweis auf die Charta der UN bzw. den Weltfrieden. Zum NATO-Vertrag auch E 104, 151; in der E zum ISAF-Mandat (Afghanistan) E 118, 244 finden
I. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Verträge, Dokumente
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(Präambel) sowie in der Verpflichtung, alles auf friedlichem Wege zu regeln, den internationalen Frieden, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht zu gefährden (Art. 1) sowie zu friedlichen und freundschaftlichen internationalen Beziehungen beizutragen (Art. 2). Freilich spricht Art. 3 von der gemeinsamen Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe (vgl. auch Art. 5 und 6). Gemeinsame Verteidigung ist versprochen. Der Antarktisvertrag (1959) legt fest, dass die Antarktis für immer ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke genutzt wird. Darin liegt ein Stück Friedensarbeit für alle Zukunft. Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (1961)15 verweist auf die UN-Charta bzw. die Grundsätze zur Wahrung des Weltfriedens (Präambel). Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (1969) qualifiziert die Verträge als Mittel zur Entwickluang der friedlichen Zusammenarbeit, auch ist der Weltfriede gemäß der UN-Charta als Ziel genannt. Diese wird auch später immer wieder zur Bezugsgröße: eine aktive Rezeption. Der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) ist schon in der Präambel sehr aussagekräftig: Würde, Gleichheit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte bilden danach „die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Diese Formulierung erinnert an die in nationalen Grundwertekatalogen oft vorkommende Trias, auch an Art. 1 Abs. 2 GG. Art. 20 Abs. 1 verbietet jede Kriegspropaganda. Abs. 2 ebd. verbietet jedes Eintreten für nationalen, rassistischen oder religiösen Hass, durch welche zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) benutzt in der Präambel analoge Formulierungen: so in Sachen Rechten, die die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden. Art. 13 normiert das Recht eines Jeden auf Bildung. Dieses wird im Kontext von Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern auf die Unterstützung der Tätigkeit der UN zur Erhaltung des Friedens festgelegt (Abs. 1). Das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (1977) beginnt in der Präambel mit dem Satz: Die Hohen Vertragsparteien – den ernsthaften Wunsch bekundend, dass unter den Völkern Friede herrschen möge, … sich wesentliche Stichworte zur „Friedenswahrung“, z. B. S. 261 f., 264 f., 275, unter Bezugnahme auf die NATO, aber auch auf Art. 24 Abs. 2 GG. Prägnant S. 270 ebd.: das GG enthält sich einer Definition dessen, was unter Friedenswahrung zu verstehen ist. BVerfGE 121, 135 (160 f.) führt diesen Gedanken zum Gebot der Friedenswahrung im Kontext von Art. 24 Abs. 2 GG fort. – Aus der Lit.: S. Oeter, Systeme kollektiver Sicherheit, HStR Bd. XI, 3. Aufl., 2013, § 243, Rn. 27. 15 Dazu BVerfGE 96, 68.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Das spätere Zusatzprotokoll II (1977) verbietet in Art. 16 feindselige Handlungen gegen geschichtliche Denkmäler, Kunstwerke oder Kultstätten, die zum kulturellen und geistigen Erbe der Völker gehören. Kultur und Frieden werden hier zusammen gedacht16. Mehr als ein Merkposten sei das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998) zitiert. Schon in der Präambel findet sich der Satz: „in der Erkenntnis, dass solche schwere Verbrechen den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen“. Das Statut verurteilt das Verbrechen des Völkermords, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und die Aggression (Art. 5 Abs. 1). Art. 8 leistet eine präzise Legaldefinition der Kriegsverbrechen. Schon die bloße Androhung bzw. die Generalprävention ist ein Stück indirekter Friedensvorsorge und kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
3. Völkerrechtliche Texte unter speziell deutscher Beteiligung (Nachbarschaftsverträge etc.) Im Folgenden seien einige Dokumente zusammengestellt, an denen im völkerrechtlichen Raum Deutschland prominent beteiligt ist. Begonnen sei mit der deutschfranzösischen Erklärung von 196317. Sie spricht von der Überzeugung, dass die „Versöhnung“ zwischen dem deutschen und dem französischen Volk ein „geschichtliches Ereignis“ darstellt. Auch ist von „enger Solidarität“ der beiden Völker die Rede. Im Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (12. 09. 1990), dem Zwei-plus-Vier-Vertrag18, ist in der Präambel gesagt: „in dem Bewusstsein, dass ihre Völker seit 1945 miteinander in Frieden leben“. Auch wird die „Festigung des Weltfriedens“ beschworen und zum Ausdruck gebracht, dass Prinzipien wie die Selbstbestimmung der Völker „feste Grundlagen für den Aufbau einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in Europa geschaffen haben“. Schließlich findet sich der Passus „staatliche Einheit Deutschlands …, um als gleichberechtigtes und souveränes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“, eine wörtliche Wiederholung der Präambel des GG. Zuletzt ist in der Präambel von der Vereinigung Deutschlands als Staat die Rede bzw. der „Beitrag zu Frieden und Stabilität in Europa“19. In Art. 1 Abs. 1 Satz 3 wird gesagt: „Die 16 Aus der völkerrechtlichen Literatur zum Friedensthema: A. von Arnauld, Völkerrecht, 2. Aufl. 2014, S. 427 ff.: „Recht der Friedenssicherung“; W. Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, S. 637 ff.: „Friedenssicherung und Kriegsrecht“ (M. Bothe). 17 Zit. nach Völkerrechtliche Verträge, Textausgabe, 8. Aufl. 1998. Daraus auch die folgenden Zitate. 18 Aus der Lit.: M. Schweitzer, Verträge Deutschlands mit den Siegermächten, HStR Bd. X, 3. Aufl., 2012, § 224, Rn. 27 ff. 19 Zuvor hat das BVerfG im Grundlagenvertragsurteil erarbeitet, dass das Ziel der Wiedervereinigung Deutschland, integriert in die Europäische Gemeinschaft „mit friedlichen Mitteln“ anzustreben ist, E 36, 1 (22) – Deutschlandvertrag; s. auch ebd. S. 25 f.: friedliche
I. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Verträge, Dokumente
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Bestätigung des endgültigen Charakters der Grenzen des vereinten Deutschland ist ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa“. Die sprachliche Wendung „Friedensordnung in Europa“ kann gar gerade heute nicht genug betont werden. Sie findet sich in späteren Dokumenten so oder ähnlich immer wieder und ist ein sich fortschreibendes Narrativ: mit großer Relevanz für das Heute bis in Entscheidungen des BVerfG hinein (Afghanistan, BVerfGE 118, 244). Im Vertrag über gute Nachbarschaft mit der UdSSR (9. 11. 1990)20 ist in der Präambel von der „Verantwortung für die Erhaltung des Friedens in Europa und der Welt“ die Rede, auch von „durch gemeinsame Werte vereintes Europa“ sowie „dauerhafte und gerechte europäische Friedensordnung“ und Menschenrechten als „Teil des gesamteuropäischen Erbes“. Art. 1 Abs. 5 formuliert das Bekenntnis zu dem Grundsatz, „dass jeder Krieg, ob nuklear oder konventionell, zuverlässig verhindert und der Frieden erhalten und gestaltet werden muss“ (s. auch Abs. 7). Der Vertrag Deutschlands mit Polen (17. 6. 1991) formuliert in der Präambel die Überzeugung „von der Notwendigkeit, die Trennung Europas endgültig zu überwinden und eine gerechte und dauerhafte europäische Friedensordnung zu schaffen“. Auch ist vom „gegenseitigen Verständnis“ und von der „Aussöhnung der Völker“ die Rede, ebenso von den Minderheiten als „natürlichen Brücken zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk“ (Art. 2 Abs. 8) – eine schöne Metapher. Auch an anderer Stelle des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags ist vom Geist der Verständigung und der Versöhnung die Rede (Art. 28 Abs. 2 und 3 sowie Art. 31 Abs. 1). Auf das Ziel intensiven Kulturaustausches sei verwiesen (Art. 27, 28). Der Vertrag zwischen beiden Ländern über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze (14. 11. 1990) spricht in seiner Präambel erneut von der europäischen Friedensordnung sowie von der Gewährleistung von „dauerhaftem Frieden, Freiheit und Stabilität“ – ein beredtes Narrativ. Der Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik (27. 2. 1992) spricht in der Präambel von „freundschaftlicher Zusammenarbeit“ und der Überzeugung, „dass die Erfüllung der Sehnsucht ihrer Völker nach Verständigung und Versöhnung wesentlich zur Festigung des Friedens in Europa beiträgt“. Auch ist die Rede von dauerhafter europäischer Friedensordnung einschließlich kooperativer Strukturen der Sicherheit. Art. 2 formuliert Grundsätze zu Fragen des Friedens, der Sicherheit und ZusamMittel, gutnachbarliche Beziehungen. In E 77, 137 (161) ist von dem Willen die Rede, die Spaltung Deutschlands auf friedliche Weise zu überwinden. Siehe auch den Brief zur deutschen Einheit, ebenda S. 162: Zustand des Friedens in Europa. 20 Vorausgegangen waren die Ostverträge, z. B. der Moskauer Vertrag von 1972. Dessen Texte sind z. T. abgedruckt in: BVerfGE 40, 141 (143 f.). Sie enthalten wichtige Friedensaussagen, z. B. Art. 3: dass der Friede in Europa nur erhalten werden kann, wenn niemand die gegenwärtigen Grenzen antastet. S. auch E ebd. S. 165; für Polen S. 169 ebd.: friedliche Entwicklung. Zum deutsch-tschechoslowakischen Vertrag (1973): E 43, 203 (204 f.) mit reichen Friedensaussagen, z. B. ein Recht auf eine gesicherte friedliche Zukunft für die neue Generation, „friedliche Mittel“.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
menarbeit in Europa und in der Welt, genannt ist u. a. das Ziel „bewaffnete Konflikte und jede Art von Krieg wirksam zu verhindern“. Eine kaum besser formulierbare Summe zieht Art. 5 Abs. 2 mit den Worten: Ziel dieser Bemühungen ist die Festigung von Frieden, Stabilität und Sicherheit und das Zusammenwachsen Europas zu einem einheitlichen Raum der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.
In vielen Artikeln ist der kulturelle Austausch von der Denkmalpflege über den Zugang zur Sprache und Kultur des jeweils anderen Landes sowie zur Identität von Minderheiten besonders ausgeprägt. Auch wird das gemeinsame europäische kulturelle Erbe eindrucksvoll beschworen (z. B. Präambel vorletzter Absatz). Kultur erweist sich hier als kulturelles Bindemittel zwischen den Völkern. Im Ganzen sieht man, wie die Bundesrepublik Deutschland durch gemeinsame Textstufen in Sachen Frieden sich in die gesamteuropäische Friedensordnung, gerade auch durch die Nachbarschaftsverträge eingeordnet hat. Man darf von Kultur der europäischen Friedensordnung sprechen, in der sich viele Friedensklauseln finden. Sie ist das heute in den Medien vielzitierte „Narrativ“ Friedensordnungen: in vielen textlichen Spielarten21.
4. Der Friedensgedanke im Europarecht im weiteren und engeren Sinne Vorbemerkung: Im Folgenden sei i.S. der Textstufenanalyse das Europarecht im weiteren und engeren Sinne behandelt, gemeint sind Europarat und OSZE einerseits, das EU-Verfassungsrecht andererseits. Eigentlich wäre chronologisch dieser Teil nach den nationalen Friedenstexten zu platzieren, denn diese sind meist älter und haben eine lange Entwicklung hinter sich. Europa ist heute eine regionale Verfassungsgemeinschaft. Doch gibt der Verfasser dem Europarecht hier systematisch den Vorrang. Das universale Völkerrecht wurde seinerseits vor den nationalen Textstufen auf die Friedensidee hin untersucht, weil es sich früher der Friedensthematik angenommen und die nationalen Verfassungen beeinflusst hat („Wanderung“ von Texten). Nur die Pioniertexte aus dem Frankreich von 1791/93 und Texte aus der Schweiz, auch Spanien, waren älter, wohl auch einige Texte aus den werdenden USA.
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Von „Friedensordnung des GG“ spricht W. März, Äußerer Notstand, HStR Bd. XII, 3. Aufl., 2014, § 281, Rn. 47, 62, 80; zur „institutionellen Friedensordnung“ der durch die Bundesverfassung geeinten Länder: J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im GG, in: HStR Bd. IV, 1. Aufl., 1990, § 98, Rn. 220, unter Verweis auf G. Jellineks gesamtstaatliche „Friedensgenossenschaft“.
I. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Verträge, Dokumente
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a) Der Friedensgedanke im Europarecht im weiteren Sinne (Europarat und OSZE) Begonnen sei mit der wegweisenden Satzung des Europarates (1949). Schon die Präambel beginnt mit einem großen Friedenstext: In der Überzeugung, dass die Festigung des Friedens auf den Grundlagen der Gerechtigkeit und internationalen Zusammenarbeit für die Erhaltung der menschlichen Gesellschaft und der Zivilisation von lebenswichtigem Interesse ist;
Die frühe Benennung des Zusammenhangs von Frieden, Gerechtigkeit und menschliche Gesellschaft sowie Zivilisation ist bahnbrechend. Freilich sei hier schon angemerkt, dass die Durchsetzung dieser Ideale schon einen Zustand des Friedens voraussetzt. Die EMRK (1950), sie hat in der Schweiz und Österreich Verfassungsrang, bekräftigt in ihrer Präambel den „tiefen Glauben“ an diese Grundfreiheiten, welche die „Grundlage der Gerechtigkeit und des Frieden in der Welt bilden“ und die am besten durch eine „wahrhaft demokratische politische Ordnung gesichert werden“. Damit kommt der Zusammenhang zwischen Demokratie, Menschenrechten und Gerechtigkeit plastisch zum Ausdruck. Bemerkenswert ist die Garantie des Rechts auf Freiheit und Sicherheit in Art. 5. Damit ist indirekt auch ein Aspekt des Friedens berührt. Dies gilt erst recht für die vielen Gesetzesvorbehalte bei den Grundrechten wie Art. 9, 10 und 11 EMRK, in der als begrenzende Güter die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit22, die äußere und innere Sicherheit genannt sind. In einigen neuen Verfassungen in Übersee wird ein persönliches Recht auf Frieden postuliert23. Besteht eine Teilidentität zwischen dem Recht auf Sicherheit und Recht auf Frieden? Die Schlussakte der KSZE von Helsinki (1975), Korb 1, heute OSZE genannt, mit derzeit 57 Mitgliedsstaaten, spricht von Bedingungen, unter denen „ihre Völker in echtem und dauerhaftem Frieden leben können“. Überdies ist von einer „engen Verbindung zwischen Frieden und Sicherheit in Europa und in der ganzen Welt“ die Rede, ebenso vom Beitrag der Völker zur „Festigung des Friedens und der Sicherheit in der Welt“. Schließlich findet sich das Bekenntnis zum „internationalen Frieden“ im Abschnitt über die Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Auch in Korb 3 heißt 22 Zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, z. B. BVerfGE 20, 150 (161), E 139, 194 (LS. 3). Hier handelt es sich um „indirekte Friedensjudikatur“ des BVerfG. 23 Dieses Recht auf Frieden könnte von einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen (1984) beeinflusst sein, dazu K.-P. Sommermann, a.a.O., S. 257, Anm. 831; ders. aber zweifelnd am Menschenrecht auf Frieden, ders., ebd. S. 261; das Recht auf Frieden wurde im beratenden Ausschuss des UNO- Menschenrechtsrates als Resolution angenommen (2012): https://www.humanrights.ch/de/internationale-menschenrechte/nachrichten/diverse-gre mien/impuls-menschenrecht-frieden. Zum Recht auf Frieden als „Menschenrecht der dritten Generation“: C. Tomuschat, Gewährleistung der Menschenrechte durch die UN, HStR Bd. X, 3. Aufl., 2012, § 208, Rn. 13 f.; zurückhaltend zum Frieden als Menschenrecht der Dritten Generation: K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: HStR Bd. V, 2. Aufl., 2000, § 108, Rn. 61.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
es: Die Teilnehmerstaaten, Von dem Wunsch geleitet, zur Stärkung des Friedens und der Verständigung zwischen den Völkern … beizutragen. Auffallend sind die vielen „Geist-Formeln“ und die reichen Kulturgehalte („Zusammenarbeit und Austausch im Bereich der Kultur“)24. Das Europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (1957), ein Dokument des Europarates, formuliert in der Präambel den Passus: In der Überzeugung, dass die Festigung eines auf Gerechtigkeit beruhenden Friedens für die Erhaltung der menschlichen Gesellschaft und Zivilisation von lebenswichtiger Bedeutung ist,
Die Charta von Paris für ein neues Europa (1990) ist in besonderer Weise vom Friedensgedanken geprägt. Nur einige Stichworte seien erwähnt: Mit Helsinki breche „in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an“. Die Einhaltung und ungeschränkte Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bilden die „Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“. „Zur Wahrung und Förderung von Demokratie, Frieden und Einheit in Europa bekennen wir uns feierlich und uneingeschränkt zu den zehn Prinzipien der Schlussakte von Helsinki“. Auch wird das Bekenntnis zur friedlichen Beilegung von Streitfällen bekräftigt. Verlangt wird ein Europa, „von dem Frieden ausgeht“. Im Abschnitt über die KSZE und die Welt findet sich wieder die Trias von „Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit in der Welt“. Schließlich werden „Friede, Gerechtigkeit, Stabilität und Demokratie“ im Blick auf Minderheiten aller Art beschworen. Auch ist von der „friedlichen Beilegung von Streitigkeiten“ für die Festigung des Weltfriedens im „Einklang mit dem Völkerrecht“ die Rede. Die Ausstrahlung völkerrechtlicher Abkommen auf diesen Text ist evident. Im Ganzen lässt sich erkennen, wie intensiv einige Textpassagen vom einen (älteren) Dokument in das andere (jüngere) rücken. Die großen Prinzipien wie Menschenrechte, Gerechtigkeit, Sicherheit, Demokratie und Frieden kehren immer wieder. Das Prinzip Frieden steht fast immer im engen Verbund mit ihnen. Die Wissenschaft muss die Art ihres inneren Zusammenhanges noch ergründen, vor allem in Blick auf das Recht („Gerechtigkeit“). b) Der Friedensgedanke im Europarecht im engeren Sinne – die EU als Friedens-, Werte- und Rechtsgemeinschaft (Verfassungsgemeinschaft) Begonnen sei mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1951). Hier, fast unmittelbar nach den Verwüstungen des zweiten Weltkrieges, ist die Idee des Friedens besonders präsent und zwar in der 24 Bemerkenswert jetzt der gemeinsame Aufsatz dreier europäischer Außenminister: F.-W. Steinmeier / S. Kurz / P. Gentiloni, Eine starke OSZE für ein sicheres Europa, FAZ vom 07. 12. 2016, S. 10.
I. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Verträge, Dokumente
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Präambel25. Die Rede ist vom „Weltfrieden“, der nur durch „schöpferische … Anstrengungen“ gesichert werden könne; sodann vom Beitrag, den ein „organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten könne“, was zur Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen unerlässlich sei; auch wird vom Bemühen gesprochen, durch die Ausweitung der Grundproduktionen zur Hebung des Lebensstandards und zum „Fortschritt der Werke des Friedens“ beizutragen. Die Wirtschaft steht hier im Dienste des Prinzips Frieden: ein wichtiger Merkposten für die Friedenswissenschaften. Die schöne Metapher von den „Werken des Friedens“ sollte das wissenschaftliche Bemühen um die Kultur des Friedens inspirieren, auch der Gedanke, dass die Durchsetzung des Friedens schöpferische „Anstrengungen“ erfordert. Jeder Politiker dürfte dies nur zu gut wissen. Der Euratom-Vertrag (1957) formuliert in seiner Präambel den Wunsch, andere Länder zu beteiligen und mit den zwischenstaatlichen Einrichtungen zusammenzuarbeiten, die sich mit der friedlichen Entwicklung der Kernenergie befassen (zur friedlichen Verwendung der Kernenergie auch Art. 2 lit. h.). Zuvor wird die Kernenergie als „unverzichtbare Hilfsquelle (…) für den friedlichen Fortschritt“ eingestuft. Heute (d. h. seit der Energiewende 2012) sieht (nur) Deutschland dies ganz anders26. Im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (1957/1992) heißt es schon in der Präambel feierlich und hochrangig in einem Textstück, das schon aus den bisherigen Dokumenten bekannt ist (Stichwort Frieden durch Wirtschaftskooperation): Entschlossen, durch diesen Zusammenschluss ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen, und mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen.
Die Einheitliche Europäische Akte (1986) spricht in ihrer Präambel im Kontext von Demokratie, Wahrung des Rechts und der Menschenrechte vom „eigenen Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“. Das Ausgreifen in die Welt verdient Beachtung, auch die Erwähnung des Rechts, womit die positive Rechtsordnung und/oder überpositive Rechtsgrundsätze gemeint sein können27. Allgemeine Rechtsgrundsätze gleichen dem „offenen Kunstwerk“, sie sind 25
Aus der Judikatur des BVerfG: E 51, 222 (238 f.). Zur Vereinbarkeit der seinerzeitigen friedlichen Nutzung der Kernenergie mit dem Grundgesetz: BVerfGE 49, 89. 27 Bemerkenswert BVerfGE 26, 327 (337): Die Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze liegt in der Natur der Tätigkeit der höheren Gerichte. Ebd. S. 334 findet sich auch der Topos der „Einheit der Rechtsordnung“. BVerfGE 28, 243 (261) verweist auf die „Einheit der Verfassung“; E 36, 342 (362); E 51, 304 (323): das GG als „Sinnganzes“, E 75, 201 (218). S. auch E 34, 269 (287) zur richterlichen Lückenfüllung nach den „Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“; E 58, 1 LS 2 a, „fundamentale Rechtsgrundsätze“; E 59, 63 (91) „fundamentale Grundsätze“, „internationaler 26
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1. Teil: Bestandsaufnahme
nie abgeschlossen, sondern entwickeln sich in kulturellen Kontexten weiter. Beispiele finden wir im Europarecht28, aber auch im Völkerrecht29. Sie verarbeiten traditional rechtskulturelles Erbe30 (aus Rechtsregeln, Judikatur, Praxis und Wissenschaft) und ringen um die Zukunft. Der Vertrag über die Europäische Union (1992) – Maastricht – formuliert in Titel V Art. 11 als Ziel: „Die Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit“ (mit Verweis auf die UN-Charta, auf Helsinki und auf die Charta von Paris): eine Summierung von Textstücken, die schon gelten.
Mindeststandard an elementarer Verfahrensgerechtigkeit“; zur „Verfahrensgerechtigkeit“ E 60, 253 (304). S. auch E 95, 48 (62): Die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze dient der „Einheit des Rechts und der Rechtssicherheit“. Angesichts der Europäisierung ist freilich zu fragen, ob der Topos „Einheit der Verfassung“ im Sinne des BVerfG (z. B. E 55, 274 (300)) und K. Hesses weiter verwendet werden kann: die europäischen Teilverfassungen der EU und der EMRK verlangen eine Differenzierung. 28 Dazu BVerfGE 73, 339 (368) im Blick auf den EWGV: BVerfGE 104, 214 (219), im Blick auf EGV und EU; E 126, 286 (305 f.). 29 Vgl. BVerfGE 109, 13 (27); 118, 124 (134 f.). 30 E 51, 60 (74): ungeschriebene Verfassungsgrundsätze und Grundentscheidungen des GG; E 55, 274 (297 ff.): Erarbeitung des gemeindeutschen Begriffs Steuerrecht; E 61, 149 (174 ff.) verarbeitet das rechtskulturelle Erbe in Deutschland im Bezug auf den Begriff „bürgerliches Recht“; s. auch ebenda S. 201: Grundgesetz als „Erbe einer eigentümlichen kompetenzrechtlichen Lage“; E 62, 374 (382 ff.): Erarbeitung des Art. 33 Abs. 5 GG bzw. E 63, 266 (282 ff.): Erarbeitung der „freien Advokatur“ als kulturelles Erbe, freilich auch mit einem Hinweis auf den „Kampf um das Recht“; E 66, 214 (223): zum Prinzip der Steuergerechtigkeit; E 67, 100 (128 ff.): zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss. E 67, 299 (315 ff.) für das Recht der öffentlichen Straßen und Wege; E 68, 319 (328 ff.) bei der Auslegung von Kompetenznormen; E 74, 244 (251 ff.) zum Religionsunterricht; zu Privatschulen: E 75, 40 (56 ff.); zur Beugehaft im parlamentarischen Untersuchungsausschuss: E 76, 363 (384 ff.); E 77, 1 (42 ff.) zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss; auch E 105, 197 (221 ff.); E 78, 205 (210 f.) zum Regalbegriff. Rechtskulturell ist auch die kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG erarbeitet: E 79, 127 (143 ff.); E 91, 228 (236). Aus der Verfassungstradition in Sachen Staatsverschuldung schöpft das BVerfG in E 79, 311 (352 ff.). In E 83, 37 (56 ff.) für das kommunale Wahlrecht in Deutschland, E 83, 341 (354 ff.) für die religiöse Vereinigungsfreiheit; E 83, 363 (381 ff.) für die „überkommenen identitätsbestimmenden Merkmale bei der kommunalen Selbstverwaltung“; E 84, 239 (269 f.) für den Grundsatz der steuerlichen Lastengleichheit („lange Regelungstradition“); E 88, 40 (47 ff.) zum „Weimarer Schulkompromiss“ bzw. Art. 7 Abs. 5 GG; E 89, 214 (231 ff.), zum Vertragsrecht, mit einem Hinweis auf den Klassiker F. Wieacker; E 90, 286 (383), zum Parlamentsvorbehalt: zur Bedeutung des „ Traditionellen“ und „ Herkömmlichen“ bei Kompetenzen: E 97, 198 (219 ff.). Zu Art. 140 GG: E 102, 370 (385 ff.); E 103, 111 (125 ff.), für das Wahlprüfungsrecht; E 104, 310 (326 ff.), für die Immunität; E 106, 1 (20 ff.), für Oberfinanzdirektionen; E 106, 62 (105 ff.), für die „Heilberufe“. E 112, 332 (350 ff.) erarbeitet das Erbrecht und das Pflichtteilsrecht als traditionelle Kernelemente seit dem römischen Recht heraus. Rechtskulturelles Erbe ist auch der Sonntagsschutz: BVerfGE 125, 39 (81 ff.); eine bewusste Anknüpfung an jahrzehntelange Verfassungstraditionen auch in E 129, 356 (366). Zum Strafrecht als „vorgefundenen Normbereich“: E 134, 33 (55 f.). Zum Grundrecht auf Freizügigkeit und seiner historischen Tradition: E 134, 242 (323); E 138, 1 (23 f.): historisch gewachsener Aufgabenbestand der Kommunen.
I. Universelle völkerrechtliche Abkommen, Konventionen, Verträge, Dokumente
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Der Vertrag über die EU in der Fassung des Vertrages von Lissabon (2007)31 formuliert in der Präambel die Entschlossenheit, die Identität und Unabhängigkeit Europas zu stärken, um „Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern“. Zuvor ist von der Solidarität zwischen den Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihren Traditionen die Rede. Auch wird der feste Wille zur Stärkung des Zusammenhalts beschworen. Art. 3 Abs. 1 sagt: „Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“. Nach Art. 8 (Nachbarschaftsbeziehungen) will sich die Union durch „enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit“ auszeichnen. In der Präambel des AEUV (2007) heißt es: „Entschlossen, durch diesen Zusammenschluss ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen“: eine schon bekannte Forderung. Zu erwägen ist, von der EU nicht nur als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu sprechen32, sondern auch als Raum des Friedens33. Stichwort ist die oft genannte „Friedensdividende“.
5. Friedensdokumente der OAS (1948/67/69) in Amerika und der Banjul Charta in Afrika (1982) Ein Blick in regionale Friedensgemeinschaften sei jetzt für Amerika bzw. Afrika unternommen, auch wenn diese nicht die normative Dichte der EU haben34. a) Die Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten (Bogotá-Charta) von 1948 Die Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten (Bogotá-Charta) von 1948 formuliert früh in der Präambel u. a. den Wunsch der amerikanischen Völker, 31 Zum Schutz der nationalen Identität nach Art. 6 Abs. 3 EUV: BVerfGE 113, 273 (298 f.); ebd. S. 301 zum Unionsrecht als „Teilrechtsordnung“. Zum Begriff der nationalen Identität nach Art. 4 Abs. 2 EUV: BVerfGE 134, 366 (386), auch E 140, 317 (337). – Das Lissabon-Urteil des BVerfG E 123, 267 ist überreich an einschlägigen Stichworten zur Friedensthematik: Friedens- und Integrationsauftrag des GG (S. 344), friedenserhaltende Systeme wie die UN (S. 345), „friedlicher Interessenausgleich“ (S. 345 f.), souveräne Staatlichkeit als „befriedeter Raum“, S. 346, „internationale Friedensordnung“ als Wille des GG (S. 347), friedenserhaltende Systeme in internationalen Organisationen (S. 351), europäische Friedens- und Einigungsidee (S. 357), ziviles und militärisches Gewaltmonopol demokratischer Gestaltung (S. 358). – Gelegentlich nimmt das BVerfG auch auf die EU-Grundrechtecharta Bezug, z. Bsp. E 124, 199 (220), in concreto verneinend E 133, 277 (313); s. auch E 110, 339 (342); E 140, 317 (361 f.). – Aus der Lit.: P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozess der europäischen Integration, HStR Bd. X, 3. Aufl., 2012, § 214, Rn. 20 f.: Friedenssicherung nach innen und außen als Unionsziel. 32 Dazu BVerfGE 113, 273 (297). 33 Ein früher Versuch zu einer kulturwissenschaftlichen Raumtheorie bei P. Häberle, Kulturpolitik in der Stadt – ein Verfassungsauftrag, 1979, S. 38 ff. 34 Zu Europa als „Friedensgemeinschaft“ mein Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 75 (2016), S. 105.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
„in Frieden zusammenzuleben“. Sie spricht überdies von amerikanischer Solidarität und guter Nachbarschaft. Sie formuliert die Überzeugung, dass die juristische Organisation eine notwendige Bedingung für Sicherheit und Frieden sei, die auf der moralischen Ordnung und der Gerechtigkeit beruhe, eine tiefe Einsicht, die später aufzugreifen ist. Auch Art. 1 bekennt sich zu der Idee, dass diese Charta entwickelt wurde, um eine „Ordnung von Frieden und Gerechtigkeit zu etablieren“. Art. 4 formuliert die Ziele, Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent zu stärken und bei Schwierigkeiten eine friedliche Regelung zu finden. Auch ist die Sorge festgeschrieben, im Falle einer Aggression diese durch eine gemeinsame Aktion abzuwehren. Art. 5 lit. l) lautet: The education of peoples should be directed towards justice, freedom and peace.
Hier ist in eindrucksvoller Weise die Erziehung der Völker auf die Trias von Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden festgeschrieben, ein Gedanke, der sich später in nicht wenigen nationalen Verfassungen bei den Grundwerten findet und der theoretisch aufzuschlüsseln ist, um der „Sprache des Friedens“ näher zu kommen. Die Satzung der OAS (1967) sagt in ihrer Präambel, dass in zahlreichen Abkommen die amerikanischen Völker ihrem Wunsche Ausdruck gäben „in Frieden zusammenzuleben“. Auch ist von „amerikanischer Solidarität und guter Nachbarschaft“ die Rede. Bemerkenswert ist der Hinweis, „dass eine rechtliche Organisation eine notwendige Bedingung für die Sicherheit und eines auf moralischer Ordnung und auf Gerechtigkeit beruhenden Friedens darstellt“ – eine Wiederholung der eben zitierten Texte. Nicht minder ergiebig und prägnant sind die Grundsätze in Art. 3: „Die amerikanischen Staaten verurteilen den Angriffskrieg; der Sieg gibt keine Rechte“ – welch‘ eine große idealistische Aussage! Sodann: „Soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit sind die Grundpfeiler eines dauernden Friedens“. Und schließlich: „Die Erziehung der Völker soll auf Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden gerichtet sein“. Kaum je findet sich ein derartiges Gebot: Der Friede wird zum Erziehungsziel und Orientierungswert für alle Völker! Dieser Text ist in eine universale Verfassungslehre und ihr Prinzip Frieden einzubringen. Gleiches gilt für Art. 43 Satz 1: In der Überzeugung, dass die Menschheit die volle Verwirklichung ihrer Ziele nur innerhalb einer gerechten sozialen Ordnung in Verbindung mit wirtschaftlicher Entwicklung und einem wahren Frieden erreichen kann, kommen die Mitgliedsstaaten überein, jegliche Anstrengungen zur Anwendung folgender Grundsätze und Verfahren zu unternehmen.
Diese Aussage verdient über Amerika hinaus Aufmerksamkeit. Prägnant sind die Voraussetzungen und Bedingtheitsverhältnisse in Sachen Frieden angesprochen, u. a. die wirtschaftliche Entwicklung. Die AMRK (1969) formuliert in ihrer Präambel die „Freiheit von Furcht und Not“ – eine friedensnahe Erkenntnis – und garantiert in Art. 15: das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dieselbe Präambel formuliert auch den Wunsch, dass die amerikanischen Völker in Frieden zusammen leben und dies in gegensei-
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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tigem Verständnis. Überdies ist die Rede von auf Gerechtigkeit beruhendem Frieden. In Art. 27 ist der Kriegs- und Notstandsfall geregelt. Bemerkenswerterweise findet sich die Versammlungsfreiheit nicht unter den Artikeln, die in diesem Fall nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen: Im Notstandsfall kann die Versammlungsfreiheit naturgemäß keinen Platz haben. Der Staat ist gerade hier und jetzt in seinem rechtsstaatlich disziplinierten Gewaltmonopol gefordert. Art. 44 postuliert die regionale lateinamerikanische Integration35. b) Die afrikanische Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte für Völker (1982) Die afrikanische Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte für Völker (1982) spricht sich in ihrer Präambel gegen alle Formen von Kolonialismus und Apartheid sowie Diskriminierungen aller Art in Afrika aus. Jedermann hat nach Art. 6 ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit – damit dürfte der Friede mitgemeint sein. Prominent ist Art. 23 Abs. 1 Satz 1. Er gibt allen Völkern „ein Recht auf nationalen und internationalen Frieden“. Kritiker mögen einwenden, es handele sich um eine Utopie. Gleichwohl sollte dieser Text ernst genommen werden, so schwierig seine Justiziabilität ist. Auch I. Kants Friedenstext (1795) ist derzeit (noch) eine konkrete Utopie. Schließlich sei Art. 28 erwähnt, der ein Baustein für den inneren Frieden ist, unter dem Stichwort „Achtung der Mitmenschen“. Auch Art. 29 Ziff. 7 spricht von „positiven afrikanischen kulturellen Werte im Geiste der Toleranz, des Dialogs und der Zusammenarbeit“. Damit ist der innere Friede gemeint, er hat aber auch Ausstrahlungswirkung in Bezug auf den äußeren, internationalen Frieden. Toleranz und Dialog als Spielart des Friedens werden hoch bewertet, die Zusammenarbeit ist ein Friedenselement, ebenso wie die Achtung des „Mitmenschen“. Im Ganzen: Die regional-afrikanischen Dokumente sind für eine Verfassungstheorie in Sachen Kultur des Friedens höchst ergiebig. Afrika gelingen neue Textstücke, die für andere Weltregionen vorbildlich sein können. Umgekehrt sind Rezeptionen bzw. Fortentwicklungen aus diesen zu vermuten, mindestens „Wahlverwandschaften“, gelegentlich dank räumlicher Nachbarschaft.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen in Raum und Zeit, Geschichte und Gegenwart Auch hier mögen Wachstumsprozesse, Fortschreibungen, Nachführungen und aktive Rezeptionen erkennbar sein: Materialien für die Kultur des Friedens aus nationalen Verfassungen. Begonnen sei wegen seiner Pionierleistungen mit Europa. 35 Dazu tiefdringend: J. J. Vasel, Regionaler Menschenrechtsschutz als Emanzipationsprozess, 2017, S. 93 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Dies auch aus Gründen der Chronologie und Geschichte, überdies deshalb, weil bei aller Vielfalt Europa selbst durch eine gemeinsame Kultur gekennzeichnet ist. Die reiche direkte und indirekte Friedensjudikatur des BVerfG sei „mitgeführt“.
1. Europa a) Nationale Verfassungen vor 1945 (1) In der Verfassung Frankreichs von 179136 finden sich drei bemerkenswerte Texte zu unserem Thema. Viertes Kapitel Dritter Abschnitt Art. 3 lautet: Es steht dem Könige zu, alle Friedens-, Allianz- und Handelsverträge mit den fremden Mächten, wie auch die übrigen Conventionen, die er fürs Wohl des Staates nöthig halten wird, zu schließen und zu unterzeichnen; doch wird dazu die Ratification des gesetzgebenden Corps erfordert.
Und vor allem Sechster Titel Art. 1 Abs. 1: Die französische Nation entsagt aller Unternehmung eines Krieges, um Eroberungen zu machen, und wird nie ihre Armeen gegen die Freiheit irgendeines Volkes gebrauchen.
Hier handelt es sich um einen schon klassischen Pionier-Artikel, unabhängig von der Frage, ob und wann er Verfassungswirklichkeit geworden ist. Seine weltweite Bedeutung für das nationale Verfassungsrecht und die universale Verfassungslehre kann gar nicht überschätzt werden: weltweit in Raum und Zeit (auch für das Völkerrecht). Titel 1 Ziff. 3 der Verfassung von 1791 lautet: „La liberté aux citoyens de s’assembler paisiblement et sans armes“ – dies ist wohl das große Vorbild für alle späteren Regelungen in Europa (vgl. § 161 Verf. von 1849, Paulskirche). Die Verfassung von 1793 formuliert in Art. 118: „Das französische Volk ist der Freund und der natürliche Bundesgenosse der freien Völker“. Art. 120 gibt allen um der Freiheit willen Vertriebenen einen Zufluchtsort. Art. 121 schließlich bestimmt: „Es (das französische Volk) schließt mit keinem seiner Feinde Frieden, welcher sein Gebiet besetzt hält“. Bemerkenswert ist auch Art. 6 Verf. 1795: „Wer die Gesetze offenbar verletzt, erklärt sich in Kriegszustand mit der Gesellschaft.“ Diese Hochzonung des Gesetzes ist bemerkenswert. Die Idee der „Gesellschaft (wohl eine Bezugnahme auf den Gesellschaftsvertrag) klingt an (auch heute kann für die offene Gesellschaft die Idee des Gesellschaftsvertrags im Sinne von J. Locke und I. Kant noch erarbeitet werden; dabei ist der „Generationenvertrag“ als in die Zeit projizierter Gesellschaftsvertrag zu deuten). Die Charte constitutionnelle vom 4. Juni 1814 formuliert in ihrer ausführlichen Präambel u. a. die Sätze: „Der Friede war das erste Bedürfnis unserer Untertha36
Zit. nach Gosewinkel/Masing (Hrsg.), Die Verfassungen in Europa 1789 – 1949, 2006.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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nen“ …, „daß Wir Worte des Friedens und des Trostes an sie zu richten, bemüht sind.“ Hier wird die revolutionäre und kriegerische Vergangenheit aufgearbeitet. (2) In Deutschland ragt die Weimarer Reichsverfassung (1919) hervor, schon in der Präambel heißt es: Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben.
Schon die Wendung „einig in seinen Stämmen“ verweist auf kulturelle Verwurzelung sowie auf die Eintracht und damit auf den Frieden. Auf das Erziehungsziel „Völkerversöhnung“ in Art. 148 Abs. 1 WRV37 sei schon hier verwiesen. Es hat Epoche gemacht, wie auch Art. 123 Abs. 1 WRV. Aufschlussreich ist ein kurz zuvor geschaffenes Verfassungsdokument für Bayern vom 4. Januar 191938, in dem es heißt: „Das bayerische Volk ist … entschlossen, als ein kraftvolles, selbsttätiges Glied in einigem Verein deutscher Staaten und im Geiste des kommenden Völkerbundes zu wirken, der die Menschheit zu friedlicher, gemeinschaftlicher Arbeit für alle Zeiten zusammenschließt“. Hier wirkt das künftige Völkerrecht in ein nationales Verfassungsdokument hinein, ausgerechnet im kurzfristig revolutionären Bayern. Dies war eine Pionierleistung über Deutschland hinaus. In gliedstaatlichen Verfassungen Deutschlands zur Weimarer Zeit kommt der Friedensgedanke noch recht selten zum Ausdruck. Immerhin findet sich in der Verfassung des Freistaats Mecklenburg-Schwerin (1920) in § 12 das Gebot der Friedlichkeit für die Versammlungsfreiheit. In der Verfassung der freien Stadt Danzig (1930) normiert der Verfassunggeber Gleiches (wie zuvor schon in der Verfassung von 1920: Art. 8439). Bereits in älteren deutschen Dokumenten klingt der Friedensgedanke an: so in der Austrittserklärung der Rheinbundstaaten vom 1. August 180640 : „Reichskrieg und Reichsfrieden wurden Worte ohne Schall“; so in der Erklärung zur Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. (1806): „Die Segnung des Friedens unseren Völkern zu erhalten, die glücklich wiederhergestellten friedlichen Verhältnisse allenthalben zu befestigen“; so in der preußischen Ablehnung der Reichsverfassung (1849): „… Der Weg, den sie (die königliche Regierung) hätte verlassen sollen, war 37 Aus der damaligen Lit. das Standardwerk von G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, 14. Aufl., 1933 (Nachdruck 1960), der unter Ziffer 2 (S. 687) die „Völkerversöhnung“ ernst nimmt, jedoch auch den Friedensvertrag von Versailles in Erinnerung ruft („Kränkung unseres nationalen Ehrgefühls“). 38 Zit. nach F. Wittreck (Hrsg.), Weimarer Landesverfassungen, 2004, S. 101 f. (das Dokument ist unterzeichnet von K. Eisner). 39 Zit. nach F. Wittreck (Hrsg.), Weimarer Landesverfassungen, 2004, S. 388 bzw. S. 801, 848. 40 Zit. nach E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 1, 1961.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
der Weg des Rechtes und des Friedens, der Konsequenz und der Treue“; so in der Proklamation des Königs über die deutsche Politik Preußens (1848): „Nur Eintracht und Stärke vermögen heute den Frieden in unserem schönen, durch Handel und Gewerbe blühenden Gesamtvaterland zu erhalten“; so in der Antwort des dänischen Königs Friedrichs VII. an die schleswig-holsteinische Deputation (1848): „Dass es unser ernster Wunsch ist, im aufrichtigen Einverständnis mit Unseren lieben und getreuen Untertanen Frieden und Freiheit in unseren Landen zu gründen“. All diese Texte sind kaum Realität geworden und im Rückblick nur rhetorisch. Doch bleiben sie im wissenschaftlichen Gedächtnis virulent. b) Nationale Verfassungen nach 1945 aa) Die Verfassungen der (späteren) Mitgliedsländer der EU Im Folgenden seien die Verfassungen der (späteren) Mitgliedsländer der EU auf das Friedensthema hin befragt. Auch hier dürfte ein reicher Ertrag zu erwarten sein, zumal sich der Einfluss des internationalen Rechts auf das innerstaatliche Verfassungsrecht nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich verstärkt hat. Zu erwarten ist auch, dass das Friedensthema in sehr verschiedenen Kontexten von den nationalen Verfassunggebern behandelt wird und je nach individueller Verfassungs- und Kulturgeschichte in unterschiedlicher Gestalt auftritt. Die einzelnen Spielarten der Texte sensibel aufzuschlüsseln ist vor allem Sache der Theorie. Die Vorwegnahme der EUMitgliedsländer beruht auf einer unumgänglichen Systematik. Aus Italien seien hier auch schon vorgreifend neuere Regionalstatute berücksichtigt. (1) Die Verf. Italien (1947) sagt in Art. 1141: Italien verwirft den Krieg als Mittel des Angriffs auf die Freiheit anderer Völker und als Mittel zur Lösung internationaler Streitfragen. Unter der Bedingung der Gleichstellung mit den anderen Staaten stimmt es Souveränitätsbeschränkungen zu, die für eine Ordnung notwendig sind, welche den Frieden und die Gerechtigkeit unter den Nationen gewährleistet. Es fördert und begünstigt internationale Organisationen, die diesem Zweck dienen.
Wie so oft, wird hier der Frieden neben der Gerechtigkeit als Staatsziel ausgewiesen, zuvor wird der Krieg geächtet. Das frühe Vorbild aus Frankreich ist offenkundig. Art. 17 Abs. 1 garantiert das Recht, „sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln“. In vielen Verfassungen findet sich als Tatbestandsmerkmal das Wort „friedlich“ speziell bei der Versammlungsfreiheit: als Absage an Gewalt im gesellschaftlichen Raum: man kann wohl diesbezüglich von „Gemeineuropäischem
41 Das Friedensgebot des Art. 11 mit seiner Ächtung des Krieges wurde im Zusammenhang mit der italienischen Beteiligung am Waffengang im Kosovo streitig diskutiert: M. Dogliani/ C. Pinelli: Italien, in: Ius Publicum Europaeum, Band I, 2007, § 5, Rn. 53.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Verfassungsrecht“ sprechen42. Der Staat besteht indes zurecht auf seinem rechtstaatlich wahrgenommenen Gewaltmonopol43. Im Folgenden seien aus systematischen Gründen einige Regionalstatute Italiens schon hier behandelt, obwohl diese sehr viel später ergangen sind und im Grund einer anderen Verfassungsepoche, dem Heute, angehören44. Das Regionalstatut Apulien (2004) formuliert in Art. 3: 1. La Regione riconosce nella pace, nella solidarietá e nell’ accoglienza… Noch besser formuliert das Regionalstatut Kalabrien (2004) in seinem Art 2 Abs. 1 (Prinzipien und Ziele) die Textreihe: „…guistizia, solidarietà, sussidiarietá, pari dignità sociale, pace e non violenza…“. Der Friede wird als Prinzip und als Regionalziel einfach in die anderen Grundwerte wie Gerechtigkeit und Solidarität eingereiht, wie dies auch in anderen Verfassungstexten geschieht. Die Klärung ihres Verhältnisses untereinander bleibt eine Aufgabe der Wissenschaft. Eindrucksvoller formuliert das Regionalstatut Latium (2004) in Art. 6 Abs. 9 (Rechte und Grundwerte): „Promuove la pace e l’amicizia tra i popoli e sostiene ogni iniziativa volta a favorire la loro realizzazione“. Latium greift hier in die Völkergemeinschaft aus („Freundschaft“). Das Regionalstatut Piemont (2005) sagt in seiner ausführlichen Präambel zu Grundwerten und Erziehungszielen Vorbildliches: ..assumendo, come valori fondanti, l’educazione alla pace e alla nonviolenza; la cultura dell’accoglienza, della coesione sociale e della pari dignità di genere; l’integrazione e la cooperazione tra i popoli;
Das Regionalstatut Marken (2005) normiert in seiner Präambel (Abs. 2) den ins Völkerrecht führenden Satz, der an Frankreich erinnert: Il Consiglio regionale delle Marche promuove…la pace e il ripudio della guerra come strumento di offesa alla libertà dei popoli e come mezzo di risoluzione delle controversie internazionali
Dieser Passus findet sich im Kontext eines Europa-Artikels und einer Aufarbeitung der Verfassungsgeschichte vom Risorgimento bis zur Resistenza. Es ist erstaunlich, dass sich dieses italienische Regionalstatut des Friedensthemas in solch konzentrierter Weise annimmt und auch auf internationale Konflikte eingeht. Überhaupt erweisen sich die Regionalstatute Italiens als „Werkstatt“ für neue Verfassungsthemen. Vielleicht darf man in Bezug auf die Regionalstatute schon von 42 Früh spricht das BVerfG von „jahrhundertelanger gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur“: E 75, 223 (243 f.); E 111, 307 (329): gemeineuropäische Grundrechtsentwicklung; E 113, 273 (295) gemeineuropäische Überzeugung im Blick auf Art. 16 GG. Aus der Lit.: P. Häberle, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, EuGRZ 1991, S. 261 ff. 43 Eine innere Nähe dürfte zum „demokratischen Legitimationspotential“ (BVerfGE 131, 152 (198)) bestehen. 44 Nach der Dokumentation in JöR 58 (2010), S. 456 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
„kleinen Verfassungen“ sprechen. Die universale Verfassungslehre kann sich durch diese Texte in Sachen Frieden inspirieren lassen: auf der Suche nach Friedenskultur. Ähnlich denkt das Regionalstatut Emilia-Romagna (2004), wenn es in der Präambel unter lit. c formuliert: la pace e il ripudio della guerra come strumento di offesa alla libertà degli altri popoli e come mezzo di risoluzione delle controversie internazionali.
Die Inspirationsquelle des Völkerrechts und Frankreichs wird evident. Geradezu sensationell ist der Textfund im Regionalstatut Umbrien (2005), das in Art. 2 (Identität und Werte) formuliert: La Regione assume come valori fondamentali della propria identità, da trasmettere alle future generazioni: – la cultura della pace, della non violenza e il rispetto dei diritti umani;
Dieser Textpassus kann weltweit gar nicht überschätzt werden: hier ist „die Kultur des Friedens“ zu einem Verfassungstext geronnen und in den Kontext des Gewaltverbots und des Respekts vor den Menschenrechten gebracht. Dieser Text wird sich im Rahmen des theoretischen zweiten Teils dieser Schrift als fruchtbar erweisen. Das Textstufenparadigma erfährt eine eindrucksvolle Bestätigung und bekräftigt den kulturellen Ansatz in Bezug auf die eigene Identität der Regionen. Auch ist die Einbeziehung künftiger Generationen beachtenswert. Das Regionalstatut Ligurien (2005) formuliert eher traditionell in Art. 2 Abs. 1 (Principi dell’ordinamento e dell’azzione regionale): La Regione ispira il proprio ordinamento ed informa la propria azione ai principi di libertà, democrazia, uguaglianza, sussidiarietà, pluralismo, pace, giustizia, solidarietà.
Das Regionalstatut Abruzzen (2007) nimmt sich des Friedens gleich an zwei Stellen seiner Grundlagenartikel an. Art. 2 Abs. 4 formuliert die Prinzipien der Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit, des Friedens, der Solidarität, der Subsidiarität und des Pluralismus. Art. 3 Abs. 1 (Pace e cooperazione internazionale) normiert: La Regione riconosce nella pace un diritto fondamentale delle persone e promuove la cultura della solidarietà e del dialogo tra popoli e religioni.
Dieser Absatz kann an Kühnheit kaum übertroffen werden. Denn das Regionalstatut formuliert ein fundamentales Recht der Person auf Frieden (eine Utopie?) und bekennt sich zu einer „Kultur der Solidarität und des Dialogs zwischen den Völkern und Religionen“. Aktueller kann ein Text kaum sein. Zugleich erfährt der kulturwissenschaftliche Ansatz eine Bestätigung an unerwarteter Stelle. Bauelemente der universalen Verfassungslehre in Sachen Frieden können hier eine Quelle der Inspiration sein. Ein persönliches Recht auf Frieden ist indes wohl utopisch, es kann vielleicht aber über die Generalklausel des Polizeirechts wirken.
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(2) Die Verf. von Frankreich (1958) gibt für eine Analyse wenig her. Immerhin wird man in der Präambel der Verf. von 1946 fündig, die integrierender Bestandteil der Verf. von 1958 ist, also rezipiert wird, wenn es dort heißt: Die französische Republik hält sich, ihrer Tradition getreu, an die Regeln des Völkerrechts. Sie wird keinen Eroberungskrieg führen und ihre Streitkräfte niemals gegen die Freiheit irgendeines Volkes einsetzen. Unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit stimmt Frankreich den zur Organisation und Verteidigung des Friedens notwendigen Einschränkungen seiner Souveränität zu.
Ein schon zitierter Pioniertext war freilich Titel VI der Verfassung von 179145: „La Nation française renonce à entreprendre aucune guerre dans la vue de faire des conquêtes, et n‘emploiera jamais ses forces contre la liberté d’auçun peuple“. Dieser frühe Klassikertext ist ein Eckstein der universalen Verfassungslehre in Sachen „Kultur des Friedens“. Er wird hier absichtlich wiederholt. (3) Nun zu Deutschland, zunächst auf Bundesebene. Dem deutschen Grundgesetz (1949) gelingt schon in der Präambel eine hochrangige Formulierung, die die verfassunggebende Gewalt in den Dienst des Friedensauftrags stellt und sich in völkerrechtlichen Texten wiederfindet46: von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben47.
Art. 1 Abs. 2 lautet: Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Die Aussagekraft dieses weltweit vorbildlichen Artikels ist groß48. Es handelt sich um universales Menschheitsrecht, um einen Universalitätsanspruch von Frieden und 45
Zit. nach J. Godechot, Les Constitutions de la France depuis 1789, 1979/2006. Aus der Kommentarliteratur: P. Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Aufl., 2012, Präambel, Rn. 20: „innerer Zusammenhang“ zwischen der Präambel, Art. 1 Abs. 2, 23 bis 26 GG. 47 Aus der Lit. zur Friedensförderungspflicht der Präambel: R. Wolfrum, Deutschland in den Vereinten Nationen, HStR Bd. X, 3. Aufl., 2012, § 219, Rn. 17. 48 Aus der Judikatur des BVerfG zu Art. 1 Abs. 2 GG: E 141, 1 (15); besonders nachdrücklich schon E 31, 55 (76): „jeder menschlichen Gemeinschaft …“; s. auch E 35, 382 (407); in E 66, 39 (60 f.) aktiviert das BVerfG Art. 1 Abs. 2 sowie Art. 24 Abs. 2 GG; E 84, 90 (121) aktiviert Art. 1 Abs. 2 GG im Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG; E 94, 49 (102 f.) nimmt ebenfalls Bezug auf Art. 1 Abs. 2 GG im Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG; s. auch BVerfGE 109, 279 (310); E 111, 307 (329); E 141, 220 (341) behandelt Art. 1 Abs. 2 im Kontext mit Art. 9 Abs. 2, 16 Abs. 2, 23 bis 26 und 59 Abs. 2 GG und sieht die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet; ebd. S. 345: Hinweis auf Art. 1 Abs. 2 GG im Kontext internationaler Menschenrechtsverträge; s. auch E 142, 234 (253). – Aus der Kommentarliteratur: H. Dreier, in: ders. (Hrsg), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl., Band 1, 2013, 46
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Menschenrechten sowie um „nationales Weltverfassungsrecht“. Die Kühnheit dieser Norm der Väter und Mütter des Grundgesetzes sucht ihresgleichen. Sie wird später in Übersee zum Vorbild werden und „Nachbilder“ finden. Art. 1 Abs. 2 entspricht aber auch in Sachen Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit den Grundwerteartikeln, die sich in anderen Verfassungen oft weltweit belegen lassen. Ganz in diesem Geist sagt Art. 24 Abs. 2 GG (in Wahlverwandschaft zu Italien): Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern49.
Auch dieser Text ist ein universales Modell und als solches für die universale Verfassungslehre höchst relevant50. Nicht vergessen sei Art. 8 GG zur friedlichen Versammlungsfreiheit und Art. 9 Abs. 2 GG, der Vereinigungen verbietet, die sich u. a. gegen den „Gedanken der Völkerverständigung“ richten51. An recht versteckter Art. 1 Abs. 2 GG mit kulturgeschichtlichen Bezügen bis hin zur alteuropäischen Iustitia et Pax und der breiten Rezeption von I. Kant; C. Starck, Art. 1 Abs. 2 GG, in: Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Band 1: Rn. 139: „Frieden und Gerechtigkeit“; zu Art. 1 Abs. 2 GG: C. Enders, Normalitätserwartung der Verfassung, HStR Bd. XII, 3. Aufl., 2014, § 276, Rn. 17. 49 Aus der Judikatur des BVerfGE 141, 1 (16); E 75, 1 (17) aktiviert Artt. 24 – 26 GG sowie die Präambel des GG, um die Achtung von fremden Rechtsordnungen zu begründen. BVerfGE 89, 155 (174) unterstreicht die Offenheit für eine europäische Integration unter Hinweis auf die Präambel und Art. 23 und 24 GG. Grundlegend zu Art. 24 GG: E 90, 286 mit Stichworten wie „friedenssicherndes Regelwerk“, „Friedenswahrung“ unter Hinweis auf den HCHE-Text: „Verzicht auf den Krieg als Mittel der Politik“, ebd. S. 354; siehe auch E 126, 55 (71) zu Art. 24 Abs. 2 GG. Einschlägig ist auch E 104, 151 (195) mit den Stichworten: Erhaltung des Friedens, friedliche Streitbeilegung (ebd. S. 213 f.). Zur Achtung vor fremden Rechtsordnungen unter Hinweis auf die Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs.2, Art. 23 bis 26 GG: E 108, 129 (137); E 111, 307 (324); E 113, 154 (162 f.); E 141, 220 (344). Zu „speziellen Öffnungsklauseln“, insbesondere Art. 23 – 25 GG: E 141, 1 (19). Zum „friedlichen Zusammenleben der Völker“: E 110, 33 (48, 67). – Aus der Kommentarliteratur: F. Wollenschläger, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl., 2013, Band I, Art. 24 Abs. 2 GG, Rn. 69: „Ziel der Friedenswahrung“; U. Fink, Art. 26 Abs.1: „Schutz des friedlichen Zusammenlebens der Völker“, in: Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 2005. 50 Art. 24 Abs. 3 GG bekennt sich zur obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, dazu BVerfGE 55, 349 (367): „Der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung gebricht es… an einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit“. In E 111, 307 (318) wird Art. 24 Abs. 2 und 3 GG aktiviert, auch Art. 26 („Friedensstörung“). 51 Bemerkenswert ist Art. 18 GG (Verwirkung von Grundrechten). Dort ist im Sinne der wehrhaften Demokratie vom „Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ die Rede. Hinzuzunehmen ist auch die Möglichkeit des Parteiverbotes nach Art. 21 Abs. 2 GG und die Judikatur des BVerfG („aggressives, kämpferisches Verhalten“, z. B. E 5, 85). Damit ist indirekt eine Aussage getroffen zum normalen friedlichen Leben in der freiheitlichen Ordnung; s. auch die Charakterisierung des Widerstandsrechts als „letztes verbleibendes Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Rechts“. Auf Art. 20 Abs. 4 GG sei verwiesen (dazu aus der Lit.: C. Starck, FS Carstens, a.a.O., S. 881 ff. bzw. zum „zivilen Ungehorsam“). Schließlich ist Art. 4 Abs. 3 GG zu erwähnen: „Kriegsdienst mit der Waffe“. Immerhin spricht BVerfGE 25, 88
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Stelle kommt die Sache Krieg und Frieden im Kompetenzteil zum Ausdruck. Art. 74 Abs. 1 Ziff. 9 und 10 GG denkt in Sachen konkurrierende Gesetzgebung an Kriegsschäden, Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene, Kriegsgefangene, Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges. Art. 79 Abs. 1 GG trifft eine Sonderregelung für völkerrechtliche Verträge, die eine Friedensregelung oder die Vorbereitung einer Friedensregelung zum Gegenstand haben. Auf die Judikatur des BVerfG sei schon hier verwiesen52. Die Beseitigung der Kriegsschäden und der Wiederaufbau nach Kriegen gehört zur Friedensarbeit. (100) im Blick auf Art. 21 Abs. 2 und Art. 18 GG von „Sicherung gegenüber Verfassungsfeinden“. E 28, 243 (262) spricht im Blick auf den Zweck von Art. 4 Abs. 3 GG über die Stellung des Kriegsdienstverweigerers im Krieg sowie im Frieden. Einschlägig ist auch E 69, 1 (22 ff.), mit dem Hinweis auf die katholische Lehre vom gerechten Krieg und einem Text der deutschen Bischofskonferenz (1983): Gerechtigkeit schafft Frieden (ebd. S. 81). – Aus der Kommentarliteratur: H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl, Band I, 2013, Art. 8 GG. – Aus der Handbuchliteratur: W. Hoffmann-Riem, Versammlungsfreiheit, in: Handbuch der Grundrechte, IV, I, 2011, § 106, insbes. Rn. 1 f.: „Versammlungen als ubiquitäre Erscheinung“. 52 Die einschlägige Judikatur des BVerfG verdiente einen eigenen Rechtsprechungsbericht (freilich helfen die Sachregister nur zum Teil). Er kann hier nicht geleistet werden. Wohl aber seien in Stichworten wichtige Fundstellen nachgewiesen. Da das BVerfG in seinen großen Entscheidungen konstitutionellen Texten fast gleichkommt, sei es systematisch an der vorliegenden Stelle der Bestandsaufnahme berücksichtigt: Sehr früh bereits: BVerfGE 2, 380 (403) „Rechtsfriede und Rechtssicherheit sind von so zentraler Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit, daß um ihretwillen die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung in Kauf genommen werden muß.“; zum Rechtsfrieden auch: BVerfGE 1, 351 (359); 11, 203 (245); 11, 61 (63); 13, 215 (225); 15, 313 (322), BVerfGE 47, 146 (165) – Schneller Brüter; BVerfGE 5, 85 – KPD-Urteil, befasst sich vielfältig mit dem Friedensbegriff der KPD (siehe schon BVerfGE 2, 263 bezüglich der SRP); BVerfGE 12, 45 (56 f.) beschäftigt sich mit dem Thema „Friedenswehrdienst“; s. auch E 48, 127 (164 „Wehrdienst in Friedenszeiten“); BVerfGE 13, 1 befasst sich mit sog. „Friedenswahlen“ in Schleswig-Holstein; das Lebach-Urteil thematisiert den Rechtsfrieden in BVerfGE 35, 202 (231 f.); eine schon klassische Fundstelle ist der „Brokdorf-Beschluss“ in BVerfGE 69, 315 (342 ff.) zur Friedlichkeit i.S.v. Art. 8 GG; ebenso rekurriert das BVerfG im Kontext von Art. 8 GG auf den Gewaltbegriff des § 240 StGB, in E 73, 206 auf die Friedlichkeit von Sitzblockaden (246 ff.); E 93, 352 (359 ff.) arbeitet mit dem Begriff des „Betriebsfriedens“; E 118, 244 (263 ff.) erörtert den friedenswahrenden Einsatz der NATO in Afghanistan und bekräftigt deren Friedensauftrag. Zudem sei auf die Auslegung des Begriffs Friedenswahrung nach Art. 24 Abs. 2 GG (270 ff.) verwiesen. Im „Lissabon-Urteil“ E 123, 267 (344 ff.) spricht das BVerfG in vielen Kontexten über die „europäische Friedenseinigung“, das „friedliche Zusammenwirken der Nationen“, die „Friedenswahrung des GG als Ziel“ sowie im Blick auf Art. 23 GG von der „Beteiligung an einer friedensförderlichen supranationalen Kooperationsordnung“, auch ist von der Einfügung in „friedenserhaltende Systeme“ die Rede, sowie von der „Europäischen Friedens-und Einigungsidee“, dies auch zu Art. 24 Abs. 2 GG; Der Rudolf-Heß-Beschluss, E 124, 300 (329 ff.) operiert mit den Stichworten „Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potenzial“, öffentlicher Friede als legitimer Zweck im Kontextes des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, „eingegrenzter Begriff des öffentlichen Friedens“, „Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung“, „Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit und Schutz des öffentlichen Friedens, kontextuelle Auslegung des Tatbestandsmerkmals (§ 130 Abs. 4 StGB) Störung des öffentlichen Friedens; kaum je wurde der Begriff öffentlicher Friede vom BVerfG bislang so vertieft. Zum öffentlichen Frieden „als Schutzzweck
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Zuletzt sei Art. 26 GG mit seinem Verbot des Angriffkrieges zitiert (Verfassungswidrigkeit von Handlungen, die geeignet sind „das friedliche Zusammenleben der Völker“ zu stören)53. Bemerkenswert ist, dass das BVerfG in einem ganz unvermuteten Zusammenhang Art. 26 GG aktiviert. Es folgert den „Verfassungsrang“ des „friedlichen Zusammenlebens“ intern „u. a.“ aus Art. 26 GG54. Vielleicht lässt sich sagen, dass das GG von 1949 dem Idealtypus einer pazifistischen Verfassung nahe ist. Immer wieder wird sich zeigen, dass das BVerfG in seinem Argumentationshaushalt weit über die Horizonte der geschriebenen Verfassung hinaus greift und zugleich seinen Blick in die rechtskulturelle Vergangenheit richtet55. Schon an dieser Stelle sei auf das Asylrecht (Art. 16 a neu GG) verwiesen. Den Gehalt des alten Artikels 16 erschließt das BVerfG mithilfe der Friedensthematik56. Besonders eindrucksvoll ist das Wort von der „übergreifenden Friedensordnung“ der staatlichen Einheit57: direkte Friedensjudikatur des BVerfG! von § 130 Abs. 4 StGB sehr ergiebig E 124, 300 (331 ff.): Gewährleistung von Friedlichkeit, öffentlicher Friede, Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung. – Weitere Fundstellen zum Friedensbegriff des BVerfG: „häuslicher Familienfrieden“, BVerfGE 127, 263 (280); „Schulfrieden“, BVerfGE 127, 263 (271 f.), 138, 296 (302 ff., 310); „Einrichtungsfrieden“, Beschluss des Ersten Senats vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10 – Rn. 2 ff.; „sozialer Frieden im Unternehmen“ BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 09. Januar 2014, 1 BvR 2344/11 – Rn. 42; „religiöser Friede“, BVerfGE 93, 1 (16); E 108, 282 (300); „Religionsfrieden“: BVerfGE 138, 296 (316). Zum „Gemeindefrieden“: BVerfGE 14, 56 (74). 53 Erinnert sei an die Nürnberger Prozesse von 1946. Der Deutsche Bundestag berät derzeit ein Gesetz über das Verbrechen der Aggression: Nie wieder Angriffskrieg, FAZ vom 04. 10. 2016, S. 10; R. Effinowicz, Aktuelles Gesetzgebungsvorhaben: Neufassung des Verbrechens der Aggression, JuS 2017, S. 24 ff. 54 BVerfGE 47, 327 (382 f.). – Aus der Kommentarliteratur: R. Streinz, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Aufl., 2009, Art. 26 GG, Rn. 9 ff. – Aus der Lehrbuchliteratur: K. Ipsen, Völkerrrecht, 4. Aufl., 1999, S. 928 ff.: „Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung“; aus der Handbuchliteratur zu Art. 26: C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der überstaatlichen Verflechtung; HStR Bd. II, 3. Aufl., Rn. 132; ebd. Rn. 130 zum „positiven Friedensbegriff“ des GG; zu Art. 26 GG: A. Proelß, Das Friedensgebot des GG, HStR Bd. XI, 3. Aufl., 2013, § 227, Rn. 24 ff.; anschaulich spricht H. Hofmann, Grundpflichten und Grundrechte, in: HStR Bd. V, 2. Aufl., 2000, § 114, Rn. 21, von „weltbürgerlicher Friedenspflicht des internationale Verantwortung übernehmenden Verfassungsstaats“. 55 Vgl. BVerfGE 59, 104 (114 ff.). 56 Dazu BVerfGE 74, 51 (57 ff., 63), E 76, 143 (158 f.) zur humanitären Intention des Asylrechts, zum „religiösen Existenzsminimum“ sowie zum ordre public und etwaiger „friedensstörender“ Eingriffe. Eine Leitentscheidung war die verfassungsrechtliche Beurteilung von Sitzblockaden als Nötigung E 76, 211, wo das BVerfG freilich „mit gespaltener Zunge spricht“ (4:4 Entscheidung). Gleiches gilt für E 82, 236 bzw. zur Verurteilung wegen Landfriedensbruchs aufgrund eines Demonstrationsaufrufs. 57 BVerfGE 80, 315 (Ls. 2 und S. 235), s. auch ebenda S. 239: bestimmte schwere Störungen des öffentlichen Friedens sind auch asylrechtlich nicht hinzunehmen, ein Gedanke des Parlamentarischen Rates. S. auch das Argument von den Staaten, die ihr Gebiet unter eine „Kultur- und Rechtsordnung“ fassen; E 81, 142 (152 f.): „übergreifende staatliche Friedensordnung“, im Kontext terroristischer Aktivitäten. Ein solcher Terrorist „sucht nicht den Schutz
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Der deutsche Einigungsvertrag von 1990 widmet sich vor allem in der Eingangsformel der Friedensthematik. Stichworte sind „gemeinsam in Frieden und Freiheit“, „dankbarer Respekt vor denen, die auf friedliche Weise der Freiheit zum Durchbruch geholfen haben“, „demokratische Entwicklung in Deutschland, die der Achtung der Menschenrechte und dem Frieden verpflichtet bleibt“, „Aufbau einer europäischen Friedensordnung“, „Unverletztlichkeit der Grenzen als grundlegende Bedingung für den Frieden“58. Nimmt man das Friedensgebot der Präambel des GG, das grundrechtsorientierte Friedesthema in Art. 1 Abs. 2 GG und die weiteren Prinzipien der Art. 24 bis 26 GG zusammen, so ergibt sich ein verfassungspazifistisches Ensemble, das unseren Verfasssungsstaat mit einer Fülle von friedensbezogenen dogmatischen Figuren auszeichnet (man denke an Staatsziele bis hin zu Erziehungszielen etc.)59. Vielleicht kann schon jetzt für eine Zusammenschau der Friedenselemente in der Präambel, in Art. 1 Abs. 2 GG und Art. 24 GG unter Einbeziehung der Friedenstexte in deutschen Landesverfassungen sowie der Judikatur des BVerfG die These gewagt werden, dass Deutschland „Verantwortungspazifismus“ (W. Huber) praktiziert. (4) Die Länderverfassungen in Deutschland-Ost nach 1945 Begonnen sei bewusst mit deutschen Länderverfassungen, die im Osten Deutschlands erlassen wurden, heute aber nicht mehr gelten. Denn diese Texte sind uns heute eher fremd und noch im Machtbereich des Marxismus/Leninismus ergangen. Immerhin findet sich auch Versöhnliches. So heißt es in der Verfassung für die Mark Brandenburg (1947)60 in Art. 61 Abs. 2 als Erziehungsziel durchaus wegweisend. Als Mittlerin der Kultur hat die Schule die Aufgabe, die Jugend im Geiste friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker zu Demokratie und Humanität zu erziehen.
Damit ist wohl auch der innere Frieden, aber vor allem der äußere, internationale Friede als Erziehungsziel eindrucksvoll und glaubhaft postuliert („freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker“). „Humanität“ ist ein friedensnaher Begriff. des Friedens, den das Asylrecht gewähren will“. Zur „übergreifenden Friedensordnung“ des Staates im Kontext des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG auch: E 83, 216 (230). E 94, 49 Ls 1 b: Das Asylgrundrecht gehört nicht zum Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1 GG. 58 In der Gemeinsamen Erklärung über offene Vermögensfragen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland wird ausdrücklich die Sicherung des „Rechtsfriedens“ in einem künftigen Deutschland als Ziel normiert, dazu BVerfGE 84, 90 (91). Zum friedlichen und einvernehmlichen Beitritt der DDR: E 92, 277 (322). In E 95, 48 (58) ist die Rede von dem die „Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtseindeutigkeit sowie das Recht auf Eigentum berücksichtigenden Rechtsfrieden im wiedervereinigten Deutschland“. 59 Treffend C. Starck, in: v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, 1, 3. Aufl., 1985, Präambel, Rn. 22 der Satz: „Der erste…und elementarste Staatszweck ist die Sicherung des inneren Friedens“; Siehe auch ebd., Art. 1 Abs. 1 GG, Rn. 8: drei Hauptziele des Staates: Frieden, Freiheit und sozialer Ausgleich; sowie Art. 4 Abs. 2 GG, Rn. 52: „Friedensfunktion des Staates“ sowie Art. 4 Abs. 3 GG: „Friedensvorsorge“ (Friedenspolitik). 60 Zit. nach B. Dennewitz (Hrsg.), Die Verfassungen der modernen Staaten, Bd. 2, 1948.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Ebenfalls ähnlich geht in Sachen Erziehungsziele die Verf. von MecklenburgVorpommern von (1947) vor. Art. 98 Abs. 2 normiert: Als Mittlerin der Kultur hat die Schule die Aufgabe, die Jugend im Geiste des friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker und einer echten Demokratie zu wahrer Menschlichkeit zu erziehen.
Sehr ähnlich formuliert die Verfassung des Landes Sachsen von 1947 (ebenfalls im Abschnitt Volksbildung) den Friedensgedanken in Gestalt eines Erziehungsziels (Art. 88 Abs. 2); Ähnliches gilt für die Verf. von Sachsen-Anhalt (1947) in Art. 88 Abs. 2 und die Verfassung Thüringens (1946) in Art. 72 Abs. 2. Meistens ist im vorangehenden Absatz das Leitbild des „selbstständig denkenden und verantwortungsbewusst handelnden Menschen“ fixiert: ein heute gemeindeutsches Menschenbild, das ebenso dem Frieden verpflichtet ist. Für Deutschland-Ost bzw. die dortigen Länderverfassungen darf man von Friedensklauseln sprechen, die fast kanonisch im gleichen Geist formuliert sind und noch nicht ganz vom „Friedensideal“ des Marxismus bzw. der Sozialistischen Staaten (dazu Exkurs) vereinnahmt sind. Diese Erziehungsziele formulieren durchaus ein Stück der Kultur des Friedens im Verfassungsrecht, auch wenn sie heute formal nicht mehr gelten61. (5) Die Länderverfassungen in Deutschland-West nach 1945 Begonnen und eigens behandelt sei mit Länderverfassungen, die im „Südweststaat“ von 1953 (Baden-Württemberg) aufgegangen sind, also außer Kraft getreten sind. Nach der Textstufentheorie des Verfassers sind aber sowohl solche nicht mehr geltenden Texte als auch Verfassungsentwürfe, die nie in Kraft getreten sind, für die Wissenschaft ergiebig. Denn Texte, einmal in der Welt, können oft hier und dort zunächst nicht vorausgesehene normative Kraft entfalten. Hierfür gibt es viele Beispiele. Man denke an die Schweiz. In der Verf. von Württemberg-Baden (1946)62 findet sich erstaunlicherweise der Friedensgedanke nicht expresis verbis in den Erziehungszielen. Doch ist immerhin in Art. 36 Abs. 1 vom „Geiste der Brüderlichkeit aller Menschen“ die Rede, „Brüderlichkeit“ ist ein Nachbarbegriff zum Frieden, ein funktionales Äquivalent. Wohl aber werden in Art. 37 Abs. 3 für die Volksschulen die „Werte der Humanität und des 61
Nicht vergessen sei die Verfassung der DDR von 1949 (zit. nach R. Schuster (Hrsg.), Deutsche Verfassungen (1985/92). In der Präambel ist von der Sicherung des Friedens die Rede. In Art. 5 wird die Pflicht zur Wahrung freundschaftlicher Beziehungen zu allen Völkern formuliert. Auch darf kein Bürger „an kriegerischen Handlungen teilnehmen, die der Unterdrückung eines Volkes dienen“. – Ergiebige Stichworte liefert auch der Entwurf der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Tisches (1990) – zit. nach Schuster, a.a.O.: als friedliche, gleichberechtigte Partner in der Gemeinschaft der Völker zu leben (Präambel), friedliches Versammlungsrecht (Art. 16 Abs. 2), Schaffung einer gesamteuropäischen Friedensordnung (Art. 41 Abs. 1); berüchtigt war einst Art. 6 („Boykotthetze“), in dem u. a. die Kriegshetze geächtet wird. 62 Zit. nach B. Dennewitz, a.a.O.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Sozialismus“ beschworen – ein erstaunlicher Text. Im Abschnitt über den Staat kommt der Friedensgedanke dann als eigenes Staatsziel für das Völkerrecht in Art. 47 zum Ausdruck: Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, eine friedliche Zusammenarbeit der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, ist verfassungswidrig.
Hier ist eine berechtigte Polemik gegen das kriegerische Handeln seitens des NSStaates zu spüren, auch dürfte das Völkerrecht wirken. Art. 47 dürfte auch als Erziehungsziel zu verstehen sein63. Fast ähnlich ist Art. 8 Verf. Württemberg-Hohenzollern (1947) gestaltet. Dort findet sich im Abschnitt über Erziehung und Unterricht am Ende von Art. 111 Abs. 2 folgendes Erziehungsziel: „Die Jugend soll …, zur Versöhnung und zum Ausgleich sowie zum achtungsvollen Verständnis für andere Völker und Staaten angehalten werden“. Der Wille zum Frieden soll so gestärkt werden. Erneut kann man die Gestaltungskraft der „kleinen Länder“ in Süddeutschland nur bewundern. Sie engagieren sich in Sachen innerer und äußerer Frieden sehr authentisch. Dies gilt auch für die Verf. des Landes Baden (1947). Art. 26 lautet in Sachen Erziehungsziel prägnant: Die Jugend ist in der Ehrfurcht vor Gott, in der Liebe zu Volk und Heimat, im Geiste der Friedens- und Nächstenliebe und der Völkerverständigung, zu sittlicher und politischer Verantwortung, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Staatsgesinnung zu erziehen.
Eine besonders reichhaltige Norm im Abschnitt „Staatsaufbau“ findet sich in Art. 57 Abs. 1: Jede Handlung, die geeignet ist, eine friedliche Zusammenarbeit der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, ist verfassungswidrig und verboten. Es ist auch Aufgabe des Staates, Bestrebungen und Arbeiten für einen dauernden Frieden zu fördern.
Im scheinbar kleinen Baden findet das Vorbild Frankreich, I. Kant und der deutsche Idealismus in einer neuen Textstufe vorbildlichen Ausdruck („dauernder Frieden“): auch als Erziehungsziel in den Schulen zu lesen. Diese Verfassungstexte könnten auch in großen nationalen Verfassungswerken ihren Platz haben. Nun ein Blick auf die mit Änderungen geltenden Verfassungen der westdeutschen Bundesländer. Die Verf. Bayern (1946) verdient ebenso wie die Verf. Hessen (1946) einen ersten Platz. Schon die bayerische Präambel formuliert den eindrucksvollen Satz:
63 Zur „pädagogischen Verfassungsinterpretation“ mein Beitrag: Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele, in: FS für Hans Huber, 1981, S. 211 – 239 (auch in: Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 321 ff.).
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1. Teil: Bestandsaufnahme (…) In dem festen Entschluß, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern …
Einmal mehr sind Frieden, „Menschlichkeit“ und Recht zu einer Trias zusammengefügt, doch bleibt das Verhältnis ungeklärt. Zuweilen ist Menschlichkeit auch ein anderes Wort für Frieden wie die Brüderlichkeit. Unter „Recht“ darf sowohl die positive Rechtsordnung als auch Überpositives verstanden werden. Der reichhaltige einschlägige Art. 131 Verf. Bayern sagt in Abs. 3 in Sachen Erziehungsziele64 : Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.
Die Weimarer „Völkerversöhnung“ war und ist ein anderes schönes Wort für den Friedensgedanken. Einmal mehr zeigt sich, dass die Erziehungsziele in Deutschland der schon klassische Ort für den Friedensgedanken sind und als Kultur gelebt werden (können und sollen). Weitergehend und konkreter lautet Art. 56 Abs. 4 und 5 Verf. Hessen (1946). Hier ist anspruchsvoll vom Erziehungsziel zum selbstständigen und verantwortungsvollen Dienst an der Menschheit die Rede (Abs. 4). Noch anschaulicher arbeitet, fast kulturwissenschaftlich, Abs. 5 ebenda: Der Geschichtsunterricht muss auf getreue, unverfälschte Darstellung der Vergangenheit gerichtet sein. Dabei sind in den Vordergrund zu stellen die großen Wohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft, Zivilisation und Kultur, nicht aber Feldherren, Kriege und Schlachten. Nicht zu dulden sind Auffassungen, welche die Grundsätze des demokratischen Staates gefährden.
Damit ist Wahrheitspflicht für den Geschichtsunterricht und damit auch die dieser zugrunde liegenden Wissenschaft festgeschrieben.65 Zugleich klingt der Friedensgedanke – allgemein kulturell gedacht – deutlich an, auch der Humanismus ist präsent. Art. 69 lautet: Frieden, Freiheit, Völkerverständigung. (1) Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. (2) Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.
Die Verfassung von Baden-Württemberg (1953) spricht in ihrem Vorspruch von dem Willen, dem Frieden zu dienen. Auch ist von der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit die Rede. Art. 1 Abs. 2 formuliert die Aufgabe des Staates, die in seinem Gebiet lebenden Menschen zu einem geordneten Gemeinwesen zusammenzufassen. Bei den Erziehungszielen ist in Art. 12 Abs. 1 die 64 Aus der Kommentarliteratur: T. Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 1991, Art. 131, Rn. 8, mit einem Hinweis auf die „Segnungen des Friedens“. 65 Dazu schon P. Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, 1995, S. 19.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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„Friedensliebe“ genannt. In allen Schulen soll der Geist der Duldsamkeit und der sozialen Ethik walten (Art. 17 Abs. 1). Die Idee der Friedensliebe ist beispielgebend. Ein Blick nach Norddeutschland: Die Verf. Bremen (1947) nimmt sich des Friedensgedanken schon in der Präambel an. Dieser „höchste Ort“ einer Konstitutionalisierung der Friedensidee, nämlich die Präambel ist für die Verfassungstheorie im Auge zu behalten, denn damit nimmt der „Frieden“ an allen normativen Besonderheiten der Präambeltheorie teil.66 Die eindrucksvolle Platzierung in der Präambel lautet: … sind die Bürger dieses Landes willens, eine Ordnung des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen, in der die soziale Gerechtigkeit, die Menschlichkeit und der Friede gepflegt werden, …
Wie dies der Ausstrahlungswirkung von Präambeln auf den nachstehenden Verfassungstext entspricht, sagt Art. 26 Ziff. 1: „Gemeinschaftsgesinnung, die … zur friedlichen Zusammenarbeit mit anderen Menschen und Völkern“ aufruft und Ziff. 4: „Die Erziehung zur Teilnahme am kulturellen Leben des eigenen Volkes und fremder Völker.“ Während die Präambel wohl primär an den inneren Frieden denkt, wagt die Textstufe in Art. 26 Ziff. 4 den Blick auf das kulturelle Leben auch fremder Völker. Damit ist der kulturelle Kontext beim Namen genannt. Die Textstufe ist vorbildlich und sollte in die Theorie der universalen Verfassungslehre einfließen: als Mosaikstein im Kosmos der Kultur des Friedens und seiner Sprache. In Art. 65 ist die Friedensthematik besonders häufig angesprochen, bei den Staatszielen: Frieden und Völkerverständigung, friedliche Entwicklung der Welt: Stichworte für die Friedenswissenschaften. Art. 65 Abs. 1 formuliert das Bekenntnis Bremens zur Demokratie, sozialen Gerechtigkeit, Freiheit, Schutz der natürlichen Umwelt, Frieden und Völkerverständigung. Abs. 2 ebd. will die friedliche Entwicklung der Welt fördern. In Gestalt einer Geist-Klausel, eine traditionelle Form der Kultur, wird man in Bezug auf den Friedensgedanken in der Freien und Hansestadt Hamburg (1952) fündig. Es heißt in der Präambel, die sich in der Vorläufigen Verfassung von 1946 noch nicht findet: …Sie (sic. Die Freie und Hansestadt Hamburg) … will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein.
Weitergreifend und tiefergehend kann der kulturelle Friedensauftrag einer Republik bis hin zu Erziehungszielen kaum formuliert werden. Die Verf. von NordrheinWestfalen (1950) verlangt in ihren Erziehungszielen unter anderem „Liebe zu Volk und Heimat und zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung (Art. 7 Abs. 2), eine sprachlich neue Wendung. Ergiebig ist auch die Verfassung von Rheinland-Pfalz von (1947). Der Friedensgedanke ist hochrangig im sog. Vorspruch zum Ausdruck gelangt in dem Passus „… ein neues demokratisches Deutschland als lebendiges 66 Dazu die Bayreuther Antrittsvorlesung des Verf.: Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, FS Broermann, 1982, S. 211 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Glied der Völkergemeinschaft zu formen, …“. Fündig wird man auch in der Verf. Saarland (1947), weil in Art. 30 als Ziel der Jugenderziehung u. a. die Völkerversöhnung genannt ist: ein Geschenk der WRV. Bei all diesen Texten steht der Friedensgedanke im Hintergrund („Friedenskultur“). Ein Zwischenergebnis: Die bisherigen (westdeutschen) Landesverfassungen zeigen, dass der Friedensgedanke teils als Erziehungsziel wörtlich oder der Sache nach normiert ist, teils den Geist der Präambel mitprägt. Teilweise bezieht sich der Friedensauftrag auf das gesellschaftliche Leben, teilweise auch auf das Zusammenleben der Völker im Ganzen (äußerer, internationaler Friede): ein Stück Kultur des Friedens. (6) Die neuen Bundesländer nach 1989 Einen Einschnitt mit neuen Textstufen bringen die Verfassungen der neuen Bundesländer seit 1990. Begonnen sei mit der Verfassung Sachsen (1992). Schon in der Präambel findet sich der Passus: „ von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen“ – Letzteres ist neu. Auch ist von der „friedlichen Revolution“ des Oktobers 1989 die Rede. Kongenial lautet Art. 12: Das Land strebt grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit an, die den Ausbau nachbarschaftlicher Beziehungen, auf das Zusammenwachsen Europas und auf eine friedliche Entwicklung in der Welt gerichtet ist.
Europa ist hier zu einer eindrucksvollen Textstufe gereift, ebenso das Ziel einer friedlichen Welt. Nicht minder kongenial heißt es in Art. 101 Abs. 1: „Die Jugend ist zur Ehrfurcht vor allem Lebendigem, zum Frieden … zu erziehen.“ Andere Erziehungsziele sind die Erhaltung der Umwelt, die Gerechtigkeit und die freiheitlich demokratische Haltung. Die Verf. Sachsen-Anhalt (1992) formuliert das Staatsziel, das Land SachsenAnhalt zu einem lebendigen Glied der Bundesrepublik Deutschland und der Gemeinschaft aller Völker zu gestalten – auch dies ist ein Friedensauftrag: sogar weltweit. Der Einfluss des GG und westdeutscher Landesverfassungen ist unverkennbar (s. auch Art. 1 Abs. 1 Verf. Sachsen-Anhalt „Europäische Völkergemeinschaft“). Eine Anreicherung der Erziehungsziele gelingt Art. 27 Abs. 1 in Bezug auf künftige Generationen und die ganze Welt. Er lautet: Ziel der staatlichen und der unter staatlicher Aufsicht stehenden Erziehung und Bildung der Jugend ist die Entwicklung zur freien Persönlichkeit, die im Geiste der Toleranz bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern und gegenüber künftigen Generationen zu tragen.
Die Verf. Thüringen (1993) beruft sich auf den Friedensgedanken schon in der Präambel unter vielen Aspekten: „Erfolg der friedlichen Veränderungen im Herbst 1989 … inneren wie äußeren Frieden zu fördern … Trennendes in Europa und der Welt zu überwinden.“ Art. 22 zu den Erziehungszielen formuliert in Abs. 1 neu: „Die Friedfertigkeit im Zusammenleben der Kulturen und Völker zu fördern“, Abs. 2
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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verlangt „unverfälschte Darstellung der Vergangenheit“ – eine Rezeption aus dem Geist der Verfassung von Hessen (1946). Wir sehen, wie das Jahr 1989 die Verfassunggeber zu neuen Friedenstexten inspiriert oder zu kraftvollen Rezeptionen veranlasst (Transferprozesse). Die Verf. Brandenburg (1992) spricht in der Präambel vom Land als „lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem sich einigenden Europa und in der einen Welt zu gestalten.“ Dieser Ansatz wird fortgedacht in den Erziehungszielen in Art. 28 mit den Worten „Friedfertigkeit und Solidarität im Zusammenleben der Völker“. Der Weltbezug ist vorbildlich und ein Schritt zur universalen Verfassungslehre. „Friedfertigkeit“ ist ein neues schönes Wort. Friedfertigkeit des Menschen darf als Ideal des Verfassungsstaats gelten. Die „eine Welt“ stammt aus völkerrechtlichen UN-Dokumenten. Solidarität ist ein Element des Friedens, wohl eine Voraussetzung für diesen. Die Verf. von Mecklenburg-Vorpommern (1993) statuiert schon in der Präambel den Willen „ … dem inneren und äußeren Frieden zu dienen …“. Art. 15 Abs. 4 verlangt das Erziehungsziel Toleranz, Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern sowie gegenüber künftigen Generationen. Damit liefert die Verfassung ein neues Stichwort im Interesse künftiger Generationen. Das Prinzip Verantwortung (H. Jonas) wird zu einer Textstufe, die Toleranz verlangt. Die Verf. Berlin (1995) sagt im Vorspruch: „dem Geist des sozialen Fortschritts und Friedens zu dienen“ (Frieden als Staatsziel). Sehr kreativ schafft Art. 30 Abs. 1 eine neue Textstufe mit Hilfe einer „Geist-Klausel“, die kulturwissenschaftlich zu erschließen ist67. Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, widersprechen dem Geist der Verfassung und sind unter Strafe zu stellen.
Diese Regelung dürfte auch als Erziehungsziel in den Schulen gedacht werden, jedenfalls kann sie so interpretiert werden. Man beachte die Geist-Klausel für die Verfassung im Ganzen – eine Ermutigung, die Texte von der Kultur insgesamt her zu denken. bb) Andere EU-Mitgliedsländer im Westen Jetzt zu anderen Ländern bzw. Nationen, die heute zur EU gehören: (1) Die Verfassung von Zypern68 (1960) sagt in Appendix C in starken Worten von den Republiken Zypern, Griechenland und der Türkei, dass sie gemeinsam den Wunsch haben, den Frieden aufrecht zu erhalten und gemäß den Grundsätzen der UN
67 Dazu P. Häberle, Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 600 ff., 613, 617, 621 f. 68 www.confinder.richmond.edu.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
zu bewahren. Ausgerechnet dieser Passus findet sich in der neuen Verfassung69 (2013) nicht mehr. Dies ist ein Beispiel dafür, dass konstitutionelle Friedenstexte im Verlauf der Verfassungsgeschichte auch verloren gehen können: hoffentlich nur deshalb, weil der Friedenszustand in anderer Weise gewahrt bleibt bzw. eine Wiedervereinigung des Landes möglich erscheint. So im Fall Zypern (2017)70. (2) Die Verf. der Republik Griechenland (1975) bestimmt Staatsziele im Gleichklang mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts in Art. 2 Abs. 2 eher konventionell: Griechenland ist bestrebt, unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, den Frieden, die Gerechtigkeit und die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Völkern und Staaten zu fördern.
Art. 11 Abs. 1 garantiert das Recht – wie so oft – sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, Art. 36 Abs. 1 schreibt dem Präsidenten der Republik das Recht zu, den Krieg zu erklären sowie Friedens- und Bündnisverträge zu schließen. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 regelt den Kriegsfall. Art. 106 Abs. 1 gibt dem Staat zur Sicherung des „gesellschaftlichen Friedens“ und zum Schutz des allgemeinen Interesses im wirtschaftlichen Bereich eine Planungsaufgabe. (3) Das Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich (1920/99) erwähnt in Art. 3 Abs. 2 Friedensverträge und in Art. 9 a Abs. 1 die „immerwährende Neutralität“. Erstaunlich wenig ergiebig sind die österreichischen Landesverfassungen71 – dies im Gegensatz zu den Schweizer Kantonsverfassungen und den Regionalstatuten in Italien. So spricht die Landesverfassung Niederösterreich (1979) nur, aber doch immerhin, von der Förderung des „Zusammenhaltes aller gesellschaftlichen Gruppen“ – damit ist ein anderes Wort für den inneren Frieden gefunden (Art. 4 Abs. 1), ein funktionales Äquivalent. Die Tiroler Landesordnung (1989) spricht in ihrer Präambel von der Wahrung der geistigen und kulturellen Einheit des ganzen Landes. Dieses magere Ergebnis ist erstaunlich, denn die Landesverfassungen Österreichs sind sonst sehr inhaltsreich, etwa in Bezug auf Europaartikel, den Umweltschutz, die Bildung, die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (Art. 13 Landesverfassung Oberösterreich, 1920/98). (4) Die Verf. der Republik Irland (1937/99) normiert in der Präambel zwar kein ausdrückliches Friedensziel, wohl aber früh das Ziel, die „Eintracht mit anderen Nationen“ herzustellen, was dasselbe meint. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 will Harmonie und Freundschaft aller Menschen auf dem Territorium der Insel Irland. Diese Formulierungen sind friedensnahe Ersatzbegriffe. Ein „echter Fund“ ist Art. 29 Abs. 1 und 2 (schon vor 1945 in Geltung):
69 70 71
www.confinder.richmond.edu. www.verfassungen.eu/griech. Zit. nach JöR 54 (2006), S. 384 ff.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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(1) Irland bekräftigt seine Ergebenheit gegenüber dem Ideal des Friedens und der freundschaftlichen Zusammenarbeit unter den Völkern auf der Grundlage internationaler Gerechtigkeit und Moral. (2) Irland bekräftigt sein Festhalten am Grundsatz der friedlichen Erledigung internationaler Streitfragen durch schiedsrichterliche oder richterliche Entscheidung auf internationaler Ebene.
Während Abs. 2 ganz offenbar vom Völkerrecht her inspiriert ist, gelingt Irland sehr früh mit den Worten „Ideal des Friedens“ ein inhaltlicher und formal vorbildlicher Text, der in die Verfassungstheorie der Kultur des Friedens einzubeziehen ist. Am Ideal des Friedens als solchen ist festzuhalten, auch wenn die Wirklichkeit oft unfriedlich ist. (5) Jetzt zur alten Verfassung von Belgien (1831/197072) als Rückblick. Sie ist in der deutschen Tradition bis heute berühmt73. Art. 19 Abs. 1 gibt den Belgiern das Recht, sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln – das französische Vorbild von 1791 wirkt. Art. 125 legt für das Wappen die Inschrift fest: „Einigkeit macht stark“. Art. 131bis lautet: Keine Verfassungsrevision kann in Kriegszeiten oder wenn die Kammern verhindert sind, auf dem Staatsgebiet frei zusammenzutreten, begonnen oder fortgeführt werden.
Dieses Prinzip findet sich später zu Recht auch in anderen Verfassungsstaaten. Die neue Verf. Belgien (1994/99) ist wenig ergiebig. An den Frieden ist nur gedacht in Kompetenznormen. Art. 167 § 1Absatz 2 lautet: Der König befehligt die Streitkräfte, stellt den Kriegszustand sowie das Ende der Kampfhandlungen fest. Der König setzt die Kammern davon in Kenntnis, sobald das Interesse und die Sicherheit des Staates es erlauben, und fügt die angemessenen Mitteilungen hinzu.
Immerhin findet sich eine neuartige Regelung in Art. 196. Sie lautet: In Kriegszeiten oder wenn die Kammern daran gehindert sind, sich frei auf dem föderalen Staatsgebiet zu versammeln, darf keine Revision der Verfassung eingeleitet oder fortgeführt werden.
Diese Norm steht im weltweiten Vergleich nicht allein da. Mehrfach gibt es Verfassungen, die ähnliche Regelungen vorsehen, damit im Kriegsfall oder Ausnahmezustand keine Verfassungsänderung vorgenommen wird (vgl. als Beispiel hier nur Art. 81 Abs. 4 GG). Verfassungsänderungen setzen Frieden und Normalität voraus. Auch besteht sonst die Gefahr des Machtmissbrauches. Aktuell ist diese Grundsatzfrage bei der geplanten und dann auch „erfolgreichen“ Verfassungsrevision in der Türkei in Sachen Präsidialdemokratie (Frühjahr 2017).
72 73
Zit. nach P. C. Mayer-Tasch (Hrsg.), Die Verfassungen Europas, 2. Aufl., 1975, S. 40 ff. Vgl. etwa BVerfGE 32, 54 (69).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
(6) Finnlands Grundgesetz (1999/2000)74 erfindet eine eigene Textstufe, § 1 Abs. 2 lautet: Finnland beteiligt sich an der internationalen Zusammenarbeit in der Absicht, Frieden und Menschenrechte sicherzustellen, und in der Absicht, die Gesellschaft zu entwickeln.
Hier ist das Friedensthema als Staatsziel zukunftsweisend mit den Menschenrechten verknüpft, sogar im weltweiten Horizont. In § 93 Abs. 1 ist die Kompetenz des Präsidenten geregelt, über Krieg und Frieden zu beschließen. (7) Ein Blick auf die iberische Halbinsel erweist sich als fruchtbar. Die ganz allgemein sehr geglückte Verfassung Portugals (1976/97)75 ist in Sachen Friedensgedanke durchweg ergiebig. In der Präambel ist die Rede vom „brüderlichem Land“ – damit ist gewiss der innere Friede gemeint – Brüderlichkeit als verfassungsethisches Postulat. Art. 7 Abs. 1 spricht (wie später und zuvor auch andere Verfassungen) vom Ziel der „friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten“ – ein universales, aus dem Völkerrecht stammendes Ideal – sowie von der Zusammenarbeit zwischen den Völkern im Dienste der Befreiung und des Fortschritts der Menschheit“ – Fortschritt denkt sicherlich die Friedensidee mit. Im gleichen Geist fordert Art. 7 Abs. 2 die Einrichtung eines „internationalen Sicherheitssystems zur Schaffung einer internationalen Ordnung, die den Frieden und die Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen den Völkern zu gewährleisten imstande ist.“ Hier geht es um verfassungsstaatliche Friedenspolitik. Art. 7 Abs. 5 sieht schon für Europa typische Einschränkungen der Souveränität vor in den Worten: Portugal verpflichtet sich, den europäischen Einigungsprozess und die Vorhaben der europäischen Staaten für Demokratie, Frieden, wirtschaftlichen Fortschritt und Gerechtigkeit unter den Völkern zu unterstützen.
Einmal mehr ist der Gedanke des Friedens universal und hochrangig mit der Demokratie, dem wirtschaftlichen Fortschritt und der Gerechtigkeit unter den Völkern kontextualisiert. Auch ist eine menschheitsrechtliche Dimension erkennbar, doch bleibt das Verhältnis dieser Grundwerte untereinander ungeklärt: eine Aufgabe für die Wissenschaft. Die Ausstrahlung des geltenden Völkerrechts ist offenkundig. Eine neue Textstufe, nämlich die Kombination des Friedensgedankens mit einem Grundrecht wie dem Asylrecht, gelingt in Art. 33 Abs. 7 Verf. Portugal: Ausländern und Staatenlosen, die infolge ihres Eintretens für die Demokratie, soziale und nationale Befreiung, Frieden zwischen den Völkern, Freiheit und für die Menschenrechte in schwerwiegender Weise bedroht oder verfolgt werden, ist das Asylrecht gewährleistet.
Diese Innovation kann im weltweiten Vergleich gar nicht überschätzt werden. Sie verdient zusammen mit anderen Beispielen die Bildung einer eigenen Kategorie: der Friedensgedanke in Verbindung mit einem Grundrecht wie dem Asylrecht. Damit sucht ein nationaler Verfassunggeber auf dem Weg über Grundrechte, mit dem 74 75
www.verfassungen.eu/fin. www.verfassungen.eu/p.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
53
Frieden zwischen den Völkern universal Ernst zu machen. Er erfindet einen neuen Texttypus in Sachen Frieden. Die nationale Verantwortung für den Frieden wird punktuell auf die Welt übertragen. Auch kehren die bekannten Grundwerte Demokratie, Frieden, Menschenrechte wieder. Ein Pioniertext findet sich in der nicht mehr geltenden und leider wohl auch nie recht wirksamen Verfassung der Republik Spanien von 1931. Ihr Art. 676 wagt die Textstufe, die bislang nur aus Frankreich und der Schweiz bekannt war (sie sei hier nachgetragen, obwohl sie vor 1945 erging, aber zum Patrimonium Spaniens gehört): España renuncia a la guerra como instrumento de politica nacional.
Dieser Satz zur Ächtung des Krieges kann in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden. Er bereichert alles Denken über das Prinzip Frieden und beweist einmal mehr, wie wichtig es für die vergleichende Wissenschaft ist, nicht mehr geltende Verfassungstexte im Reservoir der Verfassungsgeschichte aufzuspüren, um ihm ggf. normative Kraft im weltweiten wissenschaftlichen Diskurs zu vermitteln. Zuletzt in der iberischen Halbinsel ein Blick auf die heutige Verfassung Spaniens (1978)77. Sie ist nicht ganz so ergiebig wie Portugal, geht aber in einem Punkt durchaus einen eigenen Weg. In der Präambel findet sich am Schluss der Passus zum Frieden als Staatsziel: … bei der Stärkung friedlicher und von guter Zusammenarbeit gekennzeichneten Beziehungen zwischen allen Völkern der Erde mitzuwirken. Kraft dessen beschließen die Cortes und ratifiziert das spanische Volk die folgende Verfassung.
Hier wird die Idee des „kooperativen Verfassungsstaates“ (1978) ebenso virulent wie der universale Blick auf die Erde im Ganzen. Während hier der äußere (internationale) Friede gemeint ist, denkt Art. 10 Abs. 1 an den inneren Frieden78. Er lautet: Die Würde des Menschen, die unverletzlichen Rechte, die ihr innewohnen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung des Gesetzes und der Rechte anderer sind die Grundlagen der politischen Ordnung und des sozialen Friedens.
Damit ist der „soziale Friede“ im Kontext der Menschenwürde zu einem guten – neuen – Text geronnen, überdies sind die Menschenrechte als Elemente des Rechtsstaates als Voraussetzung des Friedens ausgewiesen (ähnlich wie im GG von 1949, Stichwort Grundlagendenken). In die Kategorie der Kompetenznormen gehört schließlich Art. 63 Abs. 3 Verf. Spanien: Dem König obliegt es, nach vorheriger Ermächtigung durch die Cortes Generales den Krieg zu erklären und Frieden zu schließen. 76
Zit. nach J. de Esteban (Hrsg.), Las Constituciones de España, 2. Aufl. 2000, S. 278. www.verfassungen.eu/es/es/verf78-index.htm. 78 Dazu: A. López-Castillo: Spanien, in: Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band II, 2008, § 24, Rn. 66. 77
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1. Teil: Bestandsaufnahme
(8) Die Verfassung von Malta (1964/2014)79, das im ersten Halbjahr 2017 die EURatspräsidentschaft innehat, sagt schon in Artikel 1 Absatz 3 im Kontext der Grundwerte und Grundrechte: „Malta is a neutral state actively pursuing peace, security and social progress among all nations“. Im Kontext werden ausländische Militärbasen auf dem Gebiet Maltas ausgeschlossen. Artikel 32 Absatz 1 garantiert die friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (siehe auch Artikel 42 Absatz 1). Auf die Kontext-Argumentation in Artikel 124 Absatz 1, 5 und 12 sei verwiesen: „unless the context otherwise requires“ – ein großer Text zum Kontext! Dies sollte auch wissenschaftlich Schule machen (kontextwissenschaftliches Verfassungsverständnis). cc) Die neuen Verfassungen der EU-Staaten in Mittel- und Osteuropa nach 1989 Nach dem annus mirabilis 1989 begann in Mittel- und Osteuropa buchstäblich ein neues Verfassungszeitalter. Es kam zu einer Rezeptionswelle in Sachen Texte, Theorien und Judikatur von West nach Ost, wobei die neuen Verfassunggeber in Mittel- und Osteuropa sich indes durchaus durch schöpferische eigene Leistungen auszeichnen, auch wenn sie an die Textgruppen aus dem Westen in Sachen Frieden anknüpfen (Beispiele für „aktive Rezeptionen“, Fortschreibungen, Umschreibungen). (1) Die Verfassung Lettlands (1922/1998)80 sagt als eine der wenigen geltenden nationalen Verfassungen nichts über den Friedensgedanken, sie regelt in Art. 44 nur den Fall, dass ein anderes Land Lettland den Krieg erklärt. (2) Die alte Verfassung der Republik Ungarn (1949/89) war sehr ergiebig. Ihr Abschnitt 6 lautet81: (1) Der Staat der Republik Ungarn lehnt den Krieg als Instrument zur Lösung von Streitigkeiten zwischen den Völkern ab und enthält sich der Anwendung oder der Androhung von Gewalt gegen die Unabhängigkeit oder territoriale Souveränität anderer Staaten. (2) Die Republik Ungarn strebt nach einer Zusammenarbeit mit allen Völkern und Ländern der Erde.
Hier wirkt der Text aus Frankreich (1791) nach: die Ächtung des Krieges. Abschnitt 2 Abs. 3 lautet: Keine Organisation der Gesellschaft, kein staatliches Organ und kein Staatsbürger darf eine Tätigkeit ausüben, die die gewaltsame Übernahme, gewaltsame Ausübung oder den ausschließlichen Besitz der Macht zum Ziele hat.
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8566. 80 81
Zit. nach: http://justiceservices.gov.mt/DownloadDocument.aspx?app=lom&itemid= www.verfassungen.eu/lv/verf22-index.htm. Zit. nach JöR 39 (1990), S. 258.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Dieser Text ist im Rückblick wohl auf die gewaltsame Übernahme der staatlichen Macht durch den Kommunismus in Ungarn nach 1945 zu verstehen. In einer späteren ägyptischen Verfassung (siehe dort) findet sich ausdrücklich die Idee vom friedlichen Machtwechsel. Ungarn verbietet das Ziel des gewaltsamen Machtwechsels und hat damit einen seinerzeit neuen Text geschaffen, in welchem sich die negativen Erfahrungen des Landes speichern. Die neue Verfassung Ungarns (2011)82, die der Verf. schon an anderer Stelle kommentiert und kritisiert hat83, ist trotz ihrer vielen Eigenwilligkeiten in mancher Hinsicht ergiebig. Art. Q Abs. 1 sagt: „Ungarn strebt im Interesse der Schaffung und Wahrung des Friedens … die Zusammenarbeit mit allen Völkern und Ländern der Welt an.“ Wie ein Paukenschlag endet die Verfassung mit dem Wunsch: Es herrsche Frieden, Freiheit und Einvernehmen.
Dies erinnert ein wenig an Wahlsprüche bzw. Motti in afrikanischen Verfassungen. Der Anspruch dieses Textes ist groß und soll wohl ganz Ungarn prägen. Die Verfassungswirklichkeit von heute sieht freilich zum Teil anders aus, entwickeln sich doch unter Ministerpräsident Orbán gewisse autoritäre Strukturen. (3) Die Verfassung der Republik Kroatien (1990)84 denkt in ihrer ausführlichen Präambel an die staatliche Souveränität des kroatischen Volkes, welches auch das unverletzbare Recht auf Abspaltung und Vereinigung beinhaltet: „gleichsam als grundlegende Voraussetzung für den Frieden und die Stabilität der zwischenstaatlichen Ordnung“. Dieses fragwürdige Sezessionsrecht im Zusammenhang mit der zwischenstaatlichen Ordnung ist eine Besonderheit Kroatiens, die wohl nur aus der „Nachlassgeschichte Jugoslawiens“ zu verstehen ist. In Art. 3 sind kongenial und prominent sowie linear die höchsten Werte der Republik genannt: Freiheit, Gleichheit, nationale Gleichberechtigung, Friedensstiftung85, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Natur und Umwelt etc. Die Reihung der Werte scheint gleichrangig zu sein. Später ist wissenschaftlich zu klären, wie ihr Verhältnis untereinander im Einzelnen zu gewichten ist. Art. 39 verbietet vorbildlich jede Aufhetzung zum Krieg, Art. 42 garantiert das Recht auf friedliche Versammlung und öffentlichen Protest. Art. 101 Abs. 1 regelt den Fall eines Kriegszustandes. (4) Die Verf. von Rumänien (1991)86 sagt in Art. 10 zu den internationalen Beziehungen:
82 http://www.kormany.hu/download/7/81/40000/Grundgesetz%20Ungarns%202011. pdf#!DocumentBrowser. 83 Das neue Grundgesetz Ungarns (2012) – Keine „kosmopolitische“ Verfassung, FS Thürer 2015, S. 203 ff. 84 www.verfassungen.eu/hr/verf90-i.htm. 85 Treffend formuliert C. Starck, Grundrechtliche und Demokratische Freiheitsidee, HStR Bd. III, 3. Aufl., 2005, § 33, Rn. 3: „Deshalb bedarf die Freiheit des Frieden stiftenden Rechts“. 86 www.verfassungen.eu/ro/index.htm.
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1. Teil: Bestandsaufnahme Rumänien unterhält und entwickelt, gegründet auf die Grundsätze und die anderen allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts, friedliche Beziehungen zu allen Staaten sowie in diesem Rahmen gutnachbarschaftliche Beziehungen.
Auf die Textvariante „gutnachbarschaftliche Beziehungen“ sei eigens hingewiesen. Sie ist eine bessere Variante im Vergleich mit Art. 24 Abs. 1 a GG („grenznachbarschaftliche Einrichtungen“). Art. 36 erweitert die Versammlungsfreiheit auf Kundgebungen, Prozessionen und Umzüge sowie andere Versammlungen, also z. B. auf Demonstrationen, verlangt aber eine „friedliche Weise“ und fixiert so das friedensstiftende Gewaltverbot, welches die innere Konsequenz des rechtsstaatlich disziplinierten Gewaltmonopols des Verfassungsstaates ist. Art. 148 Abs. 3 formuliert den schon aus anderen Verfassungen bekannten klugen Gedanken, dass die Verfassung in Kriegszeiten nicht geändert werden kann. (5) Die Verfassung der Republik Bulgarien (1991)87 stellt in ihrer Präambel Abs. 2 wiederum den textlichen Gleichklang von Freiheit, Frieden, Humanismus, Gleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz her. Diese Gedanken- und Textreihe wird für den späteren Theorierahmen hilfreich sein, wobei dann die Grundwerte im Einzelnen zu gewichten sind. In Art. 24 Abs. 2 ist von der Mitwirkung bei der Errichtung einer gerechten internationalen Ordnung die Rede. Bei einer Interpretation darf man hier den Frieden mitdenken („gerecht“). Art. 43 gewährleistet wie so viele Verfassungen in Abs. 1 das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Manifestationen zusammen zu kommen – es handelt sich schon heute um ein Element der universalen Verfassungslehre. Art. 57 Abs. 3 regelt Kriegserklärung und Kriegszustand bzw. die Einschränkung von Bürgerrechten. Art. 84 Ziff. 12 den Kriegszustand. (6) Die Verfassung der Republik Slowenien (1991) schafft in Art. 124 Abs. 3 eine bahnbrechende Innovation, die für die Verfassungstheorie in Sachen Kultur des Frieden beispielgebend ist und ermutigt, an einer universalen Verfassungslehre zu arbeiten. Der Staat geht bei der Wahrung der Sicherheit vor allem von der Friedenspolitik und der Kultur des Friedens sowie von der Nichtanwendung von Gewalt aus.
Diese Textstufe kann in ihrer Originalität und Fruchtbarkeit gar nicht überschätzt werden. Jeder Versuch, einer universalen Verfassungslehre durch Vergleich schrittweise nahezukommen, sollte auf sie zurückgreifen. Mit dem Begriff „Kultur des Friedens“ (s. später Art. 5 Regionalstatut des benachbarten Umbrien von 2005 – eine bewusste Rezeption aus Gründen der Nachbarschaft?) ist ein übergreifendes Ganzes geschaffen, das die schon anderen bekannten konstitutionellen Friedensformeln zusammenfasst, etwa den Frieden als Grundwert, Frieden durch Verbot von Kriegspropaganda, von Hass und Intoleranz, das Verbot von Verfassungsänderungen im Kriegszustand, das Gewaltverbot, die Völkerversöhnung als Erziehungsziel und die Garantie des Asylrechts für Menschen, die sich für den Frieden einsetzen sowie die Garantie der friedlichen Versammlungsfreiheit, Demonstrations- und Petiti87
www.verfassungen.eu/bg/verf91.htm.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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onsfreiheit. Einmal mehr zeigt sich, dass konstitutionelle Textstufen als Konzentrat von Wissenschaft und Wirklichkeit, vergleichend betrachtet und kontextualisiert, für die universale Verfassungslehre höchst ergiebig sind. Wissenschaft und Judikatur können auf sie zurückgreifen und sie weiterentwickeln: im konstitutionellen Weltgebäude des Friedens bzw. der Friedenskultur. (7) Ergiebig ist auch die Verfassung Litauens (1992)88. In der Präambel ist von der Pflege der „nationalen Eintracht“ auf dem Boden Litauens die Rede. Dies ist ein anderes Wort für den „inneren Frieden“ (schon aus Irland bekannt). Das Versammlungsrecht ist in Art. 36 Abs. 1 garantiert („friedliche Zusammenkünfte“). Art. 135 Abs. 1 spricht idealistisch von einer „auf Recht und Gerechtigkeit gegründeten Ordnung zwischen den Völkern“, Abs. 2 verbietet „Kriegspropaganda“ und formuliert damit eine neuartige Textstufe, die ein Element der Kultur des Friedens bildet. Art. 144 Abs. 1 ermöglicht die Verhängung des Ausnahmezustandes bei einer „Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung oder den öffentlichen Frieden“. Damit ist zum Ausdruck gebracht, wie wichtig öffentlicher Friede für die verfassungsmäßige Ordnung ist (auch das BVerfG arbeitet mit dem Begriff: „öffentlicher Friede“). Bemerkenswert ist auch Art. 147 Abs. 2, der verbietet, während eines Ausnahmezustandes oder eines Kriegszustandes die Verfassung abzuändern. Verfassungsänderungen setzen eine Normalität voraus – eine wichtige wissenschaftliche Erkenntnis, die für den Verfassungsstaat als Typus wichtig und textlich mehrfach nachweisbar ist und heute weltweit anerkannt werden sollte. (8) Jetzt ein Blick auf die Verfassung der Republik Estland (1992)89: Die Präambel schafft eine neue Textstufe in der Zeile: Staat, „der zum Schutz des inneren und äußeren Friedens und dem gesellschaftlichen Erfolg und gemeinsamen Nutzen zukünftiger Generationen dient“. Damit ist nicht nur die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Frieden geglückt, sondern zugleich für das Staatsverständnis die Generationenperspektive gewonnen – Letzteres ist ein neuer Aspekt (Frieden im Generationenzusammenhang). § 104 Ziff. 17 regelt die Gesetzeskompetenzen über die Staatsverteidigung in Friedenszeiten. Auch hier zeigt sich ein ähnliches Textbild. (9) Die Verfassung der Slowakischen Republik (1992) bekennt sich in ihrer Präambel als außenpolitisches Staatsziel zu dauerhafter friedlicher Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Staaten. Sie garantiert in Art. 28 Abs. 1 das Recht auf friedliche Versammlung und geht damit einen gemeineuropäischen Weg. (10) Die Verfassung der Tschechischen Republik (1992) macht in ihrer Präambel ihre Bürger zum „Bestandteil der Familie der Demokratien in Europa und der Welt“. Damit ist das Bekenntnis zur Weltgemeinschaft in eine neue Form gegossen. Implizite ist damit auch an den Frieden gedacht (im schönen Begriff „Familie“). Art. 6 verpflichtet sich auf allseitigen und gerechten Frieden. Die Charta der Grundrechteund Freiheiten (1992) hofft in ihrer Präambel auf die „Sicherung dieser Rechte durch 88 89
www.verfassungen.eu/H/index.htm. Siehe auch den Textanhang in JöR 43 (1995), S. 306 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
gemeinsame Anstrengung aller freien Völker“; damit ist anerkannt, dass die Herstellung von Frieden viel mühsame Arbeit verlangt. Ein Stück nationales Weltverfassungsrecht mit neuen Textbausteinen klingt in der Präambelzeile an: … in Gedenken an seinen Anteil an der Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen für das Schicksal allen Lebens auf der Erde ….
Diese Verantwortungsethik in Bezug auf künftige Generationen und „alles Leben auf der Erde“ erinnert an das „Prinzip Verantwortung“ (H. Jonas) als junger Klassikertext. Die Wendung von der „einen“ Welt liegt nahe. (11) Die Verf. der Republik Polen (1997)90 prägt in ihrer inhaltlich und formal überaus reichen Präambel die Worte: „mit allen Ländern zum Wohle der Menschheitsfamilie zusammenzuarbeiten“, auch setzt sie auf den „gesellschaftlichen Dialog“. Art. 13 verbietet u. a. „völkischen Hass“ und Art. 43 gelingt eine neue Textstufen in dem Satz: „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterliegen keiner Verjährung“. Ähnliches findet sich in außereuropäischen Verfassungen wieder. Art. 231 gibt dem Präsidenten der Republik die Möglichkeit, im Kriegszustand Ausnahmeverordnungen zu erlassen. dd) Übrige Länder in Europa, Nicht-EU-Staaten (1) Ein Blick in die Schweiz: zunächst in die Geschichte91. 1712 gab es ein Publikationsmandat des Landfriedens für die Gemeinen Herrschaften mit den Worten: „liebe Frid und Ruhestand des Vatterlandes“. 1713 findet sich der Geschworene Brief von Zürich u. a. mit den Worten: „auch um Friden, Schirms, Ruh und Wohlstands willen“. Bemerkenswert ist aus dem Jahre 1738 das „Règlement de l’Illustre Médiation pour la pacification des troubles de la République de Genève“. Die Verfassung der helvetischen Republik (1798) lautet in Ziff. 6: Die Gewissensfreiheit ist uneingeschränkt; jedoch muß die öffentliche Äußerung von Religionsmeinungen den Gesinnungen der Eintracht und des Friedens untergeordnet sein.
Aus der Mediationszeit 1803 – 1813 verdient ein Passus aus der Mediationsakte Aufmerksamkeit (1803): „Helvetien, der Zwietracht preisgegeben, war mit seiner Auflösung bedroht“ (Präambel). Vom 20. November 1815 stammt die Anerkennungs- und Gewährleistungs-Urkunde der immerwährenden Neutralität der Schweiz92. 90
www.constituteproject.org. – Vgl. auch den Textanhang in JöR 43 (1995), S. 247 ff. Alle folgenden Zitate stammen aus dem Quellenbuch vom Ende der Alten Eidgenossenschaft bis 1848, hrsgg. von A. Kölz. 92 Zum Verständnis der Neutraltität der Schweiz: R. Rhinow/M. Schefer, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 704 ff.; dort auch die Rezeption des Begriffs des Verfassers: „kooperativer Verfassungsstaat“ (1978); Biaggini/Gächter/Kiener (Hrsg.), Staatsrecht, 2. Aufl. 2015, S. 64 f.; D. Thürer, Die Neutralität der Schweiz, in: G. Schöpfer (Hrsg.), Die Österreichische Neutralität, 2015, S. 115 ff. 91
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Zunächst zur Bundesebene im 19. Jahrhundert. Die Bundesverfassung von 1874/ 1971 formuliert als Zweck der Schweiz u. a. (Art. 2): Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern. Art. 8 gibt dem Bund allein das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen. Art. 34 b von 1947 erhielt durch Volksabstimmung einen neuen Text: „Der Bund ist befugt, Vorschriften aufzustellen: c) über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und von andern gemeinsamen Vorkehren von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zur Förderung des Arbeitsfriedens“ – ein wichtiger Teilaspekt des gesellschaftlichen Friedens. Art. 50 gibt dem Bund die Kompetenz, zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgesellschaften sowie gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und des Staates die geeigneten Maßnahmen zu treffen. Im Jesuitenartikel 51, der 1973 aufgehoben wurde, hieß es: Der „Orden der Jesuiten und die ihm affillierten (angeschlossenen) Gesellschaften dürfen in keinem Teile der Schweiz Aufnahme finden, und es ist ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt. Dieses Verbot kann durch Bundesbeschluss auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden, deren Wirksamkeit staatsgefährlich ist oder den Frieden der Konfessionen stört“. Damit sind die Begriffe Friede und öffentlicher Friede der Konfessionen (als Staatsziel) auf eine einprägsame Textstufe gebracht. Sie bleiben für jeden Verfassungsstaat unverzichtbar und vorbildlich, ebenso wie der „Arbeitsfrieden“ (Stichwort: bereichsspezifischer Friedensbegriff: z. B. „Religionsfrieden“ im Religionsverfassungsrecht). Der Verfassungsentwurf 1977 der Expertenkommission für eine Totalrevision der BV formuliert an gleich mehreren Stellen das Friedensthema93. In der Präambel heißt es: „Pflicht mitzuwirken am Frieden der Welt“ – hier erweist sich das deutsche Grundgesetz als Inspirationsquelle. Art. 2 (Ziele) sagt in Abs. 1: „Der Staat sorgt für das friedliche Zusammenleben der Menschen in einer gerechten Ordnung“. Überdies formuliert Abs. 8 ebenda: „er wahrt die Unabhängigkeit des Landes und setzt sich ein für eine „friedliche und gerechte internationale Ordnung“. Beschrieben wird damit die Verfassungswirklichkeit der Schweiz in Jahrzehnten: im Innern wie auch international. Der berühmte Privatentwurf von A. Kölz/J. P Müller94 formuliert in der Präambel „die Bereitschaft, mitzuwirken an der Linderung von Hunger und Armut auf der Welt und am Frieden zwischen den Völkern.“ Damit ist wieder einmal das Friedensthema in die Präambel aufgerückt: als universales Prinzip, ein Stück nationales Weltverfassungsrecht. Die geltende Schweizer BV von 1999 thematisiert den Frieden an mehreren Stellen. Hochrangig und feierlich zunächst in der von dem Dichter A. Muschg entworfenen Präambel: „im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der 93 94
Zit. nach JöR 34 (1985), S. 536 ff. Zit. nach JöR 34 (1985), S. 551 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Welt zu stärken“. Im Grundrechtsteil ist Art. 28 Abs. 3 einschlägig: „Streik und Aussperrung sind zulässig, wenn sie Arbeitsbeziehungen betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen.“ Der Begriff „Arbeitsfriede“ ist in der Schweiz als Verfassungstext offenbar üblich (geworden). Art. 58 formuliert eine für die Schweiz und ihre jahrhundertealte Tradition der Neutralität typische Textstufe, die so wohl selten aufzufinden ist: „Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung.“ Im weltweiten Vergleich ist dies wohl ein Unikat und zugleich Vorbild. Ein typisch schweizerischer Traditionsbestand findet sich schließlich auch in Art. 72 Abs. 2 und 3: „Bund und Kantone können im Rahmen ihrer Zuständigkeit Maßnahmen treffen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Der Bau von Minaretten ist verboten.“ (Dieser Zusatz von 2009 ist das berühmte durch Volksabstimmung als Teilrevision zustande gekommene, weltweit sehr umstrittene Minarettverbot – ob dieses wirklich den konfessionellen Frieden dient, bleibe offen). Ergiebig sind auch manche Kantonsverfassungen der Schweiz. Der Verf. hat die Schweiz früh als „Werkstatt“ bezeichnet95. Immer neue Texte und Themen finden sich in den Schweizer Verfassungsdokumenten, auch in Sachen Frieden. Die Kantonsverfassung Jura (1977)96 formuliert ihren Art. 21 wie folgt: Paix Sociale: L’etat instaure un organe cantonal de conciliation et d’arbitrage chargé d’intervenir dans les conflits sociaux.
Damit ist der „gesellschaftliche Friede“ prominent zum Verfassungstext geronnen. Die eigene Friedenskommission ist bemerkenswert. Ihre Praxis wäre gesondert zu studieren. Die Kantonsverfassung Uri (1984) formuliert in Art. 2 als „Staatsziele“ unter anderem: eine gerechte Ordnung für das friedliche Zusammenleben der Menschen zu schaffen. Die Gerechtigkeit erweist sich textlich als eine Grundlage des Friedens (die Wissenschaft ringt darum). Sie ist auch sonst oft ein Grundwert und sollte die positive Rechtsordnung bei ihrem Ausgleich der Interessen prägen. Der Vernehmlassungsentwurf des Kantons Solothurn (1984)97 fixiert in der Präambel das Staatsziel „den Frieden im Innern und den Zusammenhalt des Volkes zu wahren“. Dass gerade Kantonsverfassungen sich dem Frieden verpflichten, zeigt, wie dieser „von unten“ her, von der kleineren staatlichen Einheit her, wichtig genommen wird (Frieden als konstitutioneller Zustand und öffentlicher, kommunikativer Prozess). 95 Dazu P. Häberle: „Werkstatt Schweiz“: Verfassungspolitik im Blick auf das künftige Gesamteuropa, in: JöR 40 (1991/92), S. 167 ff. 96 Die Texte sind zit. nach: JöR 34 (1985), S. 424 ff. 97 Zit. nach JöR 34 (1985), S. 497.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Die Verfassung des Kantons Graubünden (2003)98 formuliert bereits in der Präambel unter anderem das „Bestreben, Freiheit, Frieden und Menschenwürde zu schützen, Demokratie und Rechtsstaat zu gewährleisten…“. Art. 89 Abs. 1 sagt zum Unterricht an den öffentlichen Schulen: „Er ist konfessionell und politisch neutral und von Toleranz geprägt.“ Das Erziehungsziel Toleranz dient dem Frieden. Die Verfassung des Kantons Vaud (Waadt) (2003) normiert in Art. 6 (Ziele und Prinzipien) unter lit. c den vornehmen Zusammenklang von Frieden und Gerechtigkeit: fait prévaloir la justice et la paix, et soutient les efforts de prévention des conflits;
Ihr Artikel 23 Abs. 4 formuliert eine neue Textstufe zur „Liberté syndicale“ in den Worten: La grève et la mise à pied collective sont licites quand elles se rapportent aux relations de travail et qu’elles sont conformes aux obligation de préserver la paix du travail ou de recourir à une conciliation.
Kein deutscher Staatsrechtslehrer könnte wissenschaftlich das Nebeneinander von Arbeitsfrieden und Streikrecht besser formulieren. Die Textstufe bringt das Problem vorbildlich auf den Punkt. Die Verfassung des Kantons Fribourg (Freiburg) (2004)99 bekennt sich schon in der Präambel zu dem Bestreben, „an einer offenen, dem Wohlergehen und der Solidarität verpflichteten Gesellschaft zu bauen“. Art. 3 Abs. 1 formuliert u. a. das Staatsziel des kantonalen Zusammenhalts „unter Achtung der kulturellen Vielfalt“. Art. 62 lautet: „Staat und Gemeinden fördern das Verständnis und die Solidarität zwischen den Generationen“. Dieses Ausgreifen in den Generationenzusammenhang wird hier zu einer neuen Textstufe. „Solidarität“ ist ein Bindemittel im Interesse des Friedens: ein friedensnaher Begriff, so schwer die Konkretisierung ist. Der Zürcher Verfassung (2004) gelingt eine kreative Textstufe in Art. 7 („Dialog“): „Kanton und Gemeinden schaffen günstige Voraussetzungen für den Dialog der Kulturen, Weltanschauungen und Religionen.“ Art. 115 zum Bildungswesen verlangt, die Verantwortung des einzelnen Menschen und seinen Gemeinsinn zu stärken. Damit ist auch der Friedenswille gemeint. „Gemeinsinn“ ist mindestens ein Nachbarbegriff zum (inneren) Frieden, wenn nicht sogar identisch mit ihm. Schließlich ein Blick auf die Verfassung Basel-Stadt (2005). Ihr Paragraph 17 sagt zu den Grundsätzen der Bildung und Erziehung, es gehe darum, das Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Mitmenschen und Mitwelt zu stärken sowie das Hineinwachsen in die Gesellschaft vorzubereiten und zu begleiten. Dieser Gedanke darf ohne weiteres für alle politischen Versuche übernommen werden, die friedliche Integration im politischen Gemeinwesen, vielleicht sogar von Migranten zu beför98 99
Zit. nach JöR 56 (2008), S. 360 ff. Zit. nach JöR 56 (2008), S. 390 ff.
62
1. Teil: Bestandsaufnahme
dern. Der Verfassungstext ist höchst kreativ und sollte das verfassungsstaatliche Menschenbild prägen. (2) Die Verfassung des Königreichs Norwegen (1814/2012)100 gibt in Art. 26 dem König das Recht, Kriege zur Verteidigung des Landes zu beginnen und Frieden zu schließen. Art. 93 Abs. 1 gestattet im Interesse des internationalen Friedens Hoheitsrechte auf eine internationale Organisation zu übertragen. Art. 99 Abs. 2 erlaubt den Einsatz militärischer Mittel, wenn eine Versammlung „disturbs the public peace“. Damit ist das Friedensthema an drei auch sonst bekannten Textstellen bzw. Konstellationen angesprochen. Der Begriff „öffentlicher Frieden“ wird üblich. (3) Die Verfassung von Island (1944/2013)101 verwendet den Friedensgedanken nur an einer Stelle, dies freilich in neuer Weise. Art. 36 sagt: „Althingi is inviolate. No person may disturb its peace or violate its freedom.“ Das Parlament als „Friedenszone“ (!) ist vermutlich ein uralter Gedanke. (4) Die Verfassung des Fürstentums Andorra (1993)102 bekennt sich in ihrer Präambel zu harmonischen Beziehungen mit dem Rest der Welt und besonders mit den Nachbarländern: „ on the basis of mutual respect, co-existence and peace,…“. Eine fast poetische Formulierung findet sich im Kontext des Mottos „virtus, unita, fortior, which as precided over the peaceful journey of Andorra over its more than seven hundred years of history“. Einmal mehr zeigt sich, dass kleine Länder sich bei ihren verfassungsrechtlichen Staatssymbolen in Sachen Frieden besonders auszeichnen wollen (siehe auch Art. 65 in Sachen internationale Beziehungen und Frieden) und ihre Identität stabilisieren möchten. Sie suchen und finden ihre eigene „Sprache des Friedens“103. (5) Die Verfassung der Ukraine (1996) denkt an das Friedensthema in Art. 18 in den Worten: Die außenpolitische Tätigkeit der Ukraine ist auf die Gewährleistung ihrer nationalen Interessen und ihrer Sicherheit im Wege der Pflege der friedlichen und gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft gemäß den allgemeingültigen Prinzipien und Normen des Völkerrechts gerichtet.
Damit ist das Völkerrecht vorbildlich in den Kontext des Friedens gerückt. Die Wirklichkeit von heute sieht leider vielfach anders aus (Sezession der Ostukraine, russisches Vordringen, Annexion der Krim durch Rußland).
100
www.verfassungen.eu/n/. www.constituteproject.org/constitution/Iceland_2013?lang=en. – Zum Verfassungsentwurf Islands (2013): P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassunggeber, JöR 62 (2014), S. 609 ff. 102 Quelle: Confinder.richmond.edu. 103 Max Frisch, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, hat sein Werk „Andorra“ (1961) bewusst als „Name für ein Modell“ gewählt, um sich mit einem Land als „Hort des Friedens“ auseinanderzusetzen. 101
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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(6) Die alte Verf. der Republik Serbien (1990)104 verzichtet fast vollständig auf den Friedensgedanken. Schon in der Präambel ist vom jahrhundertelangen Kampf die Rede, immerhin aber auch vom gemeinsamen Leben aller Völker in Serbien. Auch ist von sozialer Gerechtigkeit und gleichberechtigten Bedingungen für die Weiterentwicklung des Einzelnen die Rede – dies könnte man als friedensnahe Wendung betrachten. Gleiches gilt für Artikel 1, in dem die Republik Serbien als Staat aller in ihm lebenden Bürger charakterisiert wird. Im Übrigen findet sich der Friedensgedanke ausdrücklich im Eid des Präsidenten der Republik, Art. 86 verpflichtet diesen auf die „Wahrung von Frieden und Wohlstand“. Vermutlich hängt all dies mit der besonderen Geschichte Serbiens und seinen Bürgerkriegen bzw. seinen anderen Kriegen zusammen. Die neue Verfassung von Serbien (2006)105 formuliert in Art. 1 das Selbstverständnis, verwendet jedoch nicht das Prinzip Frieden, sondern nur friedensnahe Prinzipien: Republic of Serbia is a state of Serbian people and all citizens who live in it, based on the rule of the social justice, principles of civil democracy, human and minority rights and freedoms, and commitment to European principles and values.
Vielleicht ist der Friedensbegriff zu sehr mit der jüngsten Geschichte vor Ort belastet. Unter den Kompetenzen der Nationalversammlung (Art. 99) figuriert die Entscheidung über Krieg und Frieden. Art. 58 Abs. 1 verknüpft das Friedensgebot in erstaunlicher Weise mit dem privaten Eigentum, welches sich in dieser Gestalt regional und weltweit anderwärts kaum findet: Peaceful tenure of a person’s own property and other property rights acquired by the law shall be guaranteed.
Art. 114 hingegen verwendet für den Amtseid des Präsidenten der Republik die Aufgabe, den Frieden und die Wohlfahrt aller Bürger zu bewahren. Damit kommt ein Gedanke zum Ausdruck, der auch in anderen Ländern für präsidiale Amtseide nachweisbar ist. Bemerkenswert ist der Artikel zum „Geist der Toleranz“; er lautet vorbildlich: In the field of education, culture and information, Serbia shall give impetus of the spirit of tolerance and intercultural dialogue and undertake efficient measures for enhancement of mutual respect, understanding and cooperation among all people living on its territory, regadless of their ethnic, cultural, linguistic or religious identity.
Dieser neuartige Toleranzartikel ist ein umfassendes vorbildliches Friedensgebot. Innerlich konsequent ermöglicht Art. 44 Abs. 2 dem Verfassungsgericht, Kirchen und religiösen Gemeinschaften zu verbieten, die nationale oder rassische Intoleranz praktizieren: eine neue Textstufe. 104 Soweit nichts anderes vermerkt, zit. nach: H. Roggemann (Hrsg.), Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, 1999, S. 820 ff. 105 www.constituteproject.org/constitution/Serbia_2006.pdf?lang=en.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
(7) Die Verfassung des Kosovo (2008)106 erfindet neue Textstufen und Spielarten in Sachen Frieden. Wegen der besonderen Vorgeschichte des Landes ist dies auch konsequent. Schon in der Präambel ist das Selbstverständnis des Kosovo als „friedliebendes Land“ umschrieben. Überdies ist ein Bekenntnis abgelegt zur Familie der „friedliebenden Staaten in der Welt“. Konsequent ist in Art. 2 Abs. 3 die Republik auf den internationalen Frieden verpflichtet. Auch der Artikel zu den Grundwerten enthält die aus anderen Verfassungen schon bekannte lineare Reihung der Prinzipien der Freiheit, des Friedens, der Demokratie, der Gleichheit und der Rule of Law (Art. 7 Abs. 1). In Sachen internationale Vereinbarungen ist in Art. 17 Abs. 2 kongenial getextet: „The Republic of Kosovo participates in international cooperation for promotion and protection of peace, security and human rights“. Art. 33 Abs. 1 befasst sich mit dem unverjährbaren Völkermord – eine vortreffliche Folgerung aus dem Völkerrecht. Art. 43 gewährt weitgehende Versammlungsfreiheit: in friedlicher Weise. Art. 58 Abs. 2 schreibt die Verantwortung des Staates u. a. im Blick auf Toleranz, Dialog und Unterstützung der Versöhnung in Europa fest. All dies sind friedensbezogene Grundwerte, Facetten des Prinzips Frieden. (8) Die Verfassung Mazedoniens (1991)107 bekennt sich in der Präambel zu dem Ziel, „den Frieden und das Zusammenleben des mazedonischen Volkes mit den in der Republik Mazedoniens lebenden Nationalitäten zu gewährleisten“. Vielvölkerstaaten brauchen wohl eine besondere Garantie des friedlichen Zusammenlebens. Art. 21 Abs. 1 gewährleistet das Recht, sich friedlich zu versammeln, Art. 36 gibt den „Kämpfern des antifaschistischen Krieges“ soziale Sonderrechte – im Rechtsvergleich gesehen wohl ein neuer Verfassungsgedanke. Art. 54 Abs. 2 regelt die Einschränkung von Freiheiten im Kriegszustand108 (s. auch Art. 124 Abs. 1). (9) Die Verfassung von Bosnien und Herzegowina (1995)109 bringt die Friedensidee in großen Worten als hohe Ideale schon in der Präambel zum Ausdruck: Based on respect for human dignity, liberty, and equality, Dedicated to peace, justice, tolerance, and reconiliation, Convinced that democratic governmental instituions and fair procedures best produce peaceful relations within a pluralistic society,…
Schon dem Druckbild nach, ist zu erkennen, welchen hohen Stellenwert der Friede, die Toleranz, die Wiederversöhnung, die Würde, Freiheit und Gleichheit, das Verfassungswerk und das Zusammenleben im Bosnien-Herzegowina prägen sollen. Kongenial ist auch auf die Prinzipien der UN und viele ihrer Deklarationen Bezug genommen. Wie im Einzelnen das Verhältnis von Menschenwürde, Freiheit, Ge106 www.constituteproject.org. Aus der Lit.: P. Häberle, Vergleichende Verfassungstheorie und Verfassungspraxis, 2016, S. 117 ff. 107 www.confinder.richmond.edu. 108 Die Verfassungswirklichkeit in Mazedonien ist derzeit dramatisch. Die amtierende Regierung verweigerte sich einem geordneten Machtwechsel, es kam zu einer Erstürmung des Parlaments, FAZ vom 24. 04. 2017, S. 1, FAZ vom 29. 04. 2017, S. 5. Mittlerweile glückten Neuwahlen. 109 Confinder.richmond.edu. – Vgl. auch den Textanhang in JöR 50 (2002), S. 532 ff.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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rechtigkeit und Toleranz zu bestimmen ist, bleibt wie in fast allen hier zitierten und kommentierten Texten offen. Der Verfasser wird in seinem zweiten theoretischen Teil zur Verfassungstheorie der Kultur des Friedens wissenschaftlich darum ringen, der Entwicklung der Friedenswissenschaften zu dienen. Diese müssten ergründen, was die Kultur in Sachen Frieden (leider auch in Sachen Krieg) geschaffen hat (bis hin in die Dichtung und die Musik). (10) Die Verfassung Georgiens (1995) verpflichtet die Bürger auf die Förderung der „friedlichen Beziehungen zu anderen Völkern“. Art. 26 Abs. 3 verbietet Aktivitäten von gesellschaftlichen und politischen Vereinigungen, die Gewalt und Krieg propagieren oder die Bevölkerung zu nationaler, regionaler, religiöser oder sozialer Feindschaft aufhetzen. Damit ist sowohl die internationale als auch die innerstaatliche Ebene gemeint. Das Verbot von Kriegspropaganda war bzw. ist eine wichtige neue Textstufe, die Beifall verdient und universal gedacht ist; sie findet sich recht oft. (11) Die insgesamt sehr gelungene Verfassung der Republik Albanien (1998)110 nimmt sich des Themas Frieden schon in dem geglückten letzten Absatz der Präambel an: … in der tiefen Überzeugung, dass Gerechtigkeit, Frieden, Harmonie und Zusammenarbeit zwischen den Nationen zu den höchsten Werten der Menschheit gehören ….
Damit sind die hohen Begriffe Gerechtigkeit, Frieden, Harmonie, Kooperation und Menschheit zu einem eindrucksvollen menschheitsbezogenen Gleichklang gefügt. In Art. 2 Abs. 3 spricht die Verfassung von der Möglichkeit, „zur Bewahrung des Friedens und der nationalen Interessen“ an einem kollektiven Sicherheitssystem teilzunehmen. Art. 47 Abs. 1 gewährleistet die Freiheit, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Auch dies ist ein aus der bisherigen Bestandsaufnahme bekanntes Textstück (nach französischem Vorbild von 1791). Gleiches gilt für die Kompetenznorm in Art. 121 Abs. 1 a in Bezug auf völkerrechtliche Abkommen in Sachen Territorium, Frieden und Bündnissen. Art. 151 Abs. 2 regelt die „Erklärung von Krieg und Frieden“, die nicht zum Referendum gestellt werden können (ein wohl seltenes Verbot). Art. 169 Abs. 1 spricht von Friedenszeiten, in denen der Präsident die Leitung der Streitkräfte durch den Ministerpräsidenten etc. ausübt. Art. 170 Abs. 1 regelt die außerordentliche Maßnahme aus Gründen des „Kriegszustandes“ (s. auch Art. 171 Abs. 1 und 175). Mit all dem sind hier besondere Textstücke geschaffen und zum Teil neue Spielarten der Friedensidee gefunden: die „Sprache des Friedens“ bereichert sich. Freilich, sie muss auch umgesetzt werden. (12) Die Verfassung von Armenien (1995/2005)111 verwendet in ihrer Präambel statt dem Wort Frieden die Formel „civic harmony of future generations“. Damit wird das funktionale Äquivalent im Geiste der Zivilgesellschaft auf die künftigen Generationen erstreckt (Stichwort Friede zwischen den Generationen). Im Übrigen
110 111
Zit. nach H. Roggemann (Hrsg.), Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, 1999. www.constituteproject.org/constitution/Armenia_2005?lang=en.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
taucht das Wort Frieden in den klassischen Kontexten wie Erklärung von Krieg und Frieden (Art. 81 Abs. 3) sowie bei der Versammlungsfreiheit (Art. 29) auf. (13) Die Verfassung der Republik Montenegro (1992) dient dem Friedensgedanken mit hohen Worten schon in der Präambel. Die Rede ist von „Freundschaft zwischen den Völkern“, von „Segen des Friedens, der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit“. Dieser textliche Gleichklang ist für die Verfassungstheorie in Sachen Kultur des Friedens im Auge zu behalten bzw. zu hinterfragen. Der Verfassunggeber macht mit seinen hohen Bekundungen in der Präambel Ernst. Denn in dem späteren Art. 42 Abs. 1 ist die Erregung von Hass und Intoleranz zwischen den Nationen seitens politischer oder sonstiger Organisationen verboten. Auch Art. 43 verbietet Hass und Intoleranz zwischen Nationen, Rassen und Glaubensrichtungen. Diese Textstufe ist vorbildlich. Sie ist auch als Erziehungsziel in staatlichen Schulen relevant bzw. als solches zu „lesen“. Toleranz wird auf dem Balkan hoch gewertet, aber in der Wirklichkeit oft verfehlt. (14) Die Verfassung der Russischen Föderation (1993) verlangt in der Präambel das Bewusstsein dafür, „ein Teil der Weltgemeinschaft zu sein“. Dies ist eine neue Formel in Sachen Universalität, die freilich der Umsetzung in die Wirklichkeit bedarf (Annexion der Krim und Eindringen in die Ostukraine!). „Welt“ als Gemeinschaft ist indes ein gelungenes Wort. (15) Die Verfassung der Republik Weißrußland (1994)112 bringt das Friedensthema schon in der Präambel zum Ausdruck, indem sie sich als „vollberechtigtes Mitglied der Weltgemeinschaft“ definiert und zu der „Treue zu den allgemein menschlichen Werten“ bekennt. Art. 5 Abs. 3 verbietet politischen Parteien sowie anderen gesellschaftlichen Organisationen die Propagierung von „Krieg, sozialem, nationalem, religiösem und Rassenhass“, eine neue Textvariante. Art. 51 Abs. 1 schafft etwas Neues, insofern Jedermann Zugang zu den in staatlichen und gesellschaftlichen Fonds befindlichen Werten der eigenen National- und der Weltkultur garantiert. Damit ist der Gedanke einer „Weltkultur“ in ein nationales konstitutionelles Textbild geraten und das universale Kulturverfassungsrecht vom Einzelnen her enorm bereichert. Art. 59 Abs. 1 lautet: Der Staat ist verpflichtet, alle ihm möglichen Maßnahmen zur Schaffung einer inneren und internationalen Ordnung zu ergreifen, die für die volle Wahrnehmung der durch die Verfassung bestimmten Rechte und Freiheiten der Bürger der Republik Weißrußland erforderlich sind.
Auch damit greift Weißrussland über das Nationale im Verständnis der Grundrechte weit hinaus. Gleiches gilt für Art. 61, der Jedermann berechtigt, „sich gemäß den von der Republik Weißrussland ratifizierten Völkerrechtsakten mit dem Ziel des Schutzes seiner Rechte und Freiheiten an internationale Organisationen zu wenden“. Voraussetzung ist die Erschöpfung aller vorhandenen innerstaatlichen Rechtsmittel. 112
www.constituteproject.org. – Vgl. auch den Textanhang in JöR 46 (1998), S. 307 ff.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
67
Dieses subsidiäre Zugangsrecht der eigenen Bürger zu internationalen Rechtsmitteln verdient große Beachtung und findet sich sonst selten. Leider bleibt anzumerken, dass diese Texte im derzeit autoritären Weißrussland wohl kaum real gelten. (16) Die Verfassung der Republik Moldau (1994) bekräftigt im letzten Absatz erneut „unsere Treue zu den allgemein menschlichen Werten“, „unseren Wunsch, in Frieden und guten Einvernehmen mit allen Völkern der Welt zu leben“. Wenn hinzugefügt ist, dass dies im „Einklang mit den einmütig anerkannten Grundsätzen und Normen des Völkerrechts“ geschehen soll, so ist hier schon im Text die Verklammerung von Frieden und Völkerrecht zu Ausdruck gelangt: eine Kultur. Art. 31 Abs. 3 verbietet auf neue Weise „religiöse Feindseligkeit der Religionsgemeinschaften untereinander“. Die Sicherung des religiösen Friedens wird zur Staatsaufgabe. Damit ist an den inneren Frieden gedacht. Gleiches gilt für die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit nach Art. 40 („friedliche Weise“). Die Demonstrationsfreiheit wird ausdrücklich getextet. (17) Die völkerrrechtlich nicht anerkannte Republik Transnistrien (1996)113 verankert in der Präambel das Streben nach Frieden und Harmonie mit allen Völkern – „Harmonie“ ist ein neues Prinzip für die Sache des Friedens. Art. 10 verpflichtet die auswärtige Politk auf die friedliche Regelung von Streitigkeiten. In weiteren Artikeln wird die Friedensgerichtsbarkeit ausgebaut (Art. 83). Sie findet sich auch noch in manchen älteren Texten Amerikas. (18) Die alte Verfassung der Türkischen Republik (1961/73)114, die hier unabhängig von ihrer Geltung und von den mehrfachen (Militär-)Putschen als Verfassungstext ernst genommen wird, da ihre Texte als solche für die Wissenschaft des Textstufenparadigmas relevant bleiben, macht durchaus bemerkenswerte Aussagen. In ihrer sehr nationalistisch klingenden Präambel formuliert sie fast pathetisch den Grundsatz „Frieden im Land und Frieden in der Welt.“ Dies ist gesagt unter Hinweis auf den Geist des nationalen Freiheitskrieges und der Reformen Atatürks: eine bekannte Ambivalenz. Art. 28 Abs. 1 garantiert das Recht, ohne vorherige Erlaubnis unbewaffnet und friedlich Versammlungen abzuhalten. Dies entspricht einem in vielen Verfassungen vorkommenden Text. Das Verbot von Gewalt in Versammlungen ist für jeden Verfassungsstaat unverzichtbar, ihm zugehörig ist das eigene rechtsstaatlich disziplinierte Gewaltmonopol des Verfassungsstaates; es ist unentbehrlich. Die offene Gesellschaft muss – u. a. durch das Strafrecht115 gesichert – bei allen Konflikten116
113
http://mfa-pmr.org/en/bht. Zit. nach P. C. Mayer-Tasch/I. Contiades (Hrsg.), 2. Aufl., 1975. 115 Vgl. BVerfGE 27, 18 (29): „Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen“; E 113, 29 (54): Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht; E 123, 267 (408): Sicherung des Rechtsfriedens in Gestalt der Strafrechtspflege als zentrale Aufgabe staatlicher Gewalt. 116 Zur Bewältigung von Konflikten in Staat und Gesellschaft: BVerfGE 105, 279 (302). 114
68
1. Teil: Bestandsaufnahme
gewaltfrei sein. Darin besteht eine wesentliche Aufgabe der jeweils geltenden Rechtsordnung. Die (bis 2017) neue Verfassung der Türkischen Republik (1982)117 ist ebenfalls ergiebig. Am Ende eines Vorspruchs nach der Präambel und vor den allgemeinen Grundsätzen heißt es: „sowie im Wunsch und Glauben von „Frieden in der Heimat“, Frieden in der Welt“, eine Rezeption aus der Verfassung von 1961. In Art. 13 Abs. 1 wird gesagt, dass die Grundrechte zum Schutz der öffentlichen Ordnung, des inneren Friedens etc. eingeschränkt werden können. Art. 34 Abs. 1 gewährt Jedermann das Recht, unbewaffnet und friedlich Versammlungen abzuhalten und Demonstrationszüge zu veranstalten. Art. 49 Abs. 3 stellt den Staat in den Dienst von Maßnahmen zum Schutz des Arbeitsfriedens. Art. 61 Abs. 1 nimmt sich der Witwen und Waisen von Kriegsgefallenen an. Art. 103 gibt den Amtseid für den Präsidenten der Republik in den Worten vor: „Gewährung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für Jedermann im Geiste des Friedens und der Wohlfahrt der Nation“. Diese Ziele verdienen Aufmerksamkeit, ebenso die Geist-Klausel; all dies gerade heute, da Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei seit 2016 besonders gefährdet sind. Die für 2017 angekündigte und jetzt eingeführte Präsidialverfassung der Türkei kann noch nicht berücksichtigt werden. Doch ist das („erfolgreiche“) Verfassungsreferendum im April 2017, das während des Ausnahmezustandes stattfand, zutiefst fragwürdig118.
2. Nordamerika und Lateinamerika a) Verfassungen in Nordamerika (1) Ein Blick auf die USA. Die Bundesverfassung der Vereinigten Staaten von Amerika (1789/1992)119 prägt in ihrer Präambel einen friedensnahen Begriff: „insure domestic Tranquility“. Das Prinzip Frieden selbst kommt dann in Art. I Section 6 vor, wobei die Kongressabgeordneten u. a. bei Friedensverbrechen ihre Privilegien, vor einer Verhaftung geschützt zu werden, nicht besitzen. Art. I Section 10 trifft eine Regelung für Friedenszeiten. Das Amendment I garantiert „the right of the people peaceably to assemble,…“. Bemerkenswert ist, dass hier die Versammlungsfreiheit textlich auf das Volk bezogen ist, nicht auf die Staatsbürger als einzelne. Darin kommt der Zusammenhang zwischen Demokratie und Versammlungsfreiheit, den das deutsche BVerfG in seinem Brokdorf-Beschluss (E 69, 316 (342 ff.))120 unter Be117
Zit. nach Ernst E. Hirsch, Verfassung der türkischen Republik, JöR 32 (1983), S. 552 ff. Die hier aufgeführten Bestimmungen sind im Verfassungsreferendum vom 16. 04. 2017 soweit ersichtlich, nicht aufgehoben worden. https://politicsandlawinturkey.wordpress.com/ publications/. 119 www.constituteproject.org/constitution/United_States_of_America_1992.pdf?lang=en. 120 Dazu: O. Lepsius, Der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Eine Veröffentlichung aus dem Arbeitskreis für Rechtswissenschaft und Zeitgeschichte an der Mainzer 118
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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zugnahme auf die USA so vorbildlich hergestellt hat, schon im Text besser zum Ausdruck als bei einer bloßen subjektiv-individualrechtlichen Fassung, wie sie sich sonst häufig findet. Es geht bei der Versammlungsfreiheit (auch) um ein „Volksrecht“ im Sinne der Schweizer Tradition. Für Deutschland darf man durchaus schon von „Versammlungskultur“ sprechen (in Hamburg wurde sie im Juli 2017 freilich in Frage gestellt). Das US-Amendment III lautet: No soldier shall, in time of peace be quartered in any house, without the consent of the Owner, nor in time of war, but in a manner to be prescribed by law.
Weiterhin sind nur relativ wenige gliedstaatliche Verfassungen ergiebig: Begonnen sei mit der sehr frühen Verfassung von Virgina (1776/2013)121. Fast wie aus Marmor gemeißelt, finden sich drei Aussagen in Section 12 und 13: „right peaceably to assemble, and to petition; standing armies in time of peace should be avoided as dangerous to liberty; military should be (…)governed by the civil power.“ Die Ausdehnung des Friedensgedankens auf das Militär ist bemerkenswert. Das Verbot stehender Armeen findet sich später bei I. Kant (1795). Es wird in der Schweiz seit langem gelebt, in Costa Rica später dekretiert. Die Verfassung von Massachusetts (1780)122 gilt als eine der ältesten Verfassungen der Welt. Im letzten Abschnitt ihrer eindrucksvollen Präambel, die noch ganz den Geist der Neugründung und des Aufbruchs sowie der Frömmigkeit der Pilgerväter spiegelt, heißt es: We, therefore, the people of Massachusetts, acknowledging, with grateful hearts, the goodness of the great Legislator of the universe, in affording us, in the course of His providence, an opportunity, deliberately and peaceably, without fraud, violence or surprise, of entering into an original, explicit, and solemn compact with each other;
Hier finden sich sowohl der alte Vertragsgedanke eines J. Locke als auch die Ablehnung von Betrug und Gewalt. Umschrieben wird ein glücklicher Urzustand, auch im Blick auf die Nachkommen. Berührend ist auch die Formel von „a new constitution of civil government“. Im Grundrechtskatalog ist das Postulat der Friedlichkeit bei der Religionsfreiheit (Art. II) vorgesehen. Auch wird von allen christlichen Bekenntnissen verlangt, dass sie sich friedlich verhalten (siehe auch Amendments Art. XI). Überdies dürfen diese den öffentlichen Frieden nicht gefährden. Art. XVII bringt eine sehr US-amerikanische Tradition zum Ausdruck: Akademie der Wissenschaften und der Literatur (zusammen mit A. Doering-Manteuffel und B. Greiner), 2015, S. 230; R. C. van Ooyen, Hans Kelsen und die offene Gesellschaft, 2. Aufl. 2017, S. 285 ff. – BVerfGE 122, 342 (367): „demokratische Funktion des Versammlungsrechts“, „Friedlichkeit von Versammlungen“; E 128, 226 betont erneut die für die Demokratie konstituierende Bedeutung der Versammlungsfreiheit (S. 254, 259), bemerkenswert ist der Hinweis auf angelsächsische höchste Gerichte (Stichwort Nutzung der Flughafenflächen zu Versammlungen, S. 276). Zum Eilrechtsschutz und zur Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie: E 110, 77 (87, 89, 91). 121 www.verfassungen.net/us/va. 122 www.verfassungen.net/us/ma.
70
1. Teil: Bestandsaufnahme The people have a right to keep and to bear arms for the common defence. And as, in time of peace, armies are dangerous to liberty, they ought not to be maintained without the consent of the legislature.
Dieser letzte Satz atmet den Geist der alten Schweiz und des späteren Immanuel Kant. Art. 27 lautet: „In time of peace, no soldier ought to be quartered in any house, without the consent of the owner..“. Eine Variante im Vergleich mit späteren Grundrechtsgarantien findet sich in Art. XIX: The people have a right, in an orderly and peaceable manner, to assemble to consult upon the common good; give instructions to their representatives, and to request of the legislative body, by the way of addresses, petitions, or remonstrances, redress of the wrongs done them, and of the grievances they suffer.
Die Versammlungsfreiheit des Volkes (in Sachen Beratung über das Gemeinwohl bezweckt: Versammlungsdemokratie), die später fast weltweit ohne diese vorbildlichen Kontexte für den Jedermann garantiert wird, ist hier in der ganzen Wirklichkeit ihrer Ausübung bis hin zu Petitionen, Remonstrationen und Beschwerden garantiert (siehe auch Art. XLVIII – in den späteren Amendments: Verbot, die Versammlungsfreiheit einem Referendum zu unterwerfen): eine neuartige Idee, ein Stück Ewigkeitsgarantie. Im Notstandsfall ist das Staatsziel der Bewahrung des öffentlichen Friedens fixiert (Articles of Amendment, Article XLVIII, VI. Conflicting and Alternative Measures). Jetzt ein Blick auf die Verfassung von Maryland (1867/2015)123. Ihr Art. 13 erfindet in Sachen Petitionsrecht (ähnlich wie Massachusetts) einen neuen Text: That every man has a right to petition the Legislature of the redress of grievances in a peaceable and orderly manner.
Die ausdrückliche Begrenzung des an die Legislative gerichteten Petitionsrechts durch die Friedlichkeit kommt in Europa textlich nicht vor. Sehr amerikanisch ist Art. 31, der es verbietet, in Friedenszeiten Soldaten in Privathäusern einzuquartieren (anderes gilt in Kriegszeiten, wenn dies ausdrücklich im Gesetz geregelt ist). Art. 36 Abs. 1 begrenzt die Freiheit der Religionsausübung durch die Trias von guter Ordnung, Frieden und Staatssicherheit124. Art. 44 ist ein Unikat. Er bestimmt ausdrücklich, dass die US-Verfassung und die Landesverfassung in Zeiten von Krieg und Frieden gilt und fügt hinzu: „and any departure therefrom, or violation thereof, under the plea of necessity, or any other plea, is subversive of good Government, and tends to anarchy and despotism“. In einzigartiger Weise wird hier die Verfassung zur Schutzgarantie gegen Anarchie und Despotismus in Stellung gebracht. Auch ist die „gute Regierungsführung“ wie so oft zum Staatsziel erhoben. Im Abschnitt über die Justiz (Article IV Judiciary Department Part I – General Provisions) wird die Judikative in die Friedenverpflichtung einbezogen; dies in den Worten: „All Judges 123 124
wert“.
http://mgaleg.maryland.gov/Pubs-current/current-constitution-maryland-us.pdf. Aus der Judikatur des BVerfG: E 57, 250 (268): „Staatssicherheit als Gemeinschafts-
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
71
shall, by virtue of their offices, be Conservators of the Peace throughout the State.“ Kaum je in der Welt ist, soweit ersichtlich, der Friedensauftrag der dritten Gewalt in dieser Weise festgeschrieben worden. Die Verfassung von Vermont (1793/2010)125 formuliert den fast US-gemeinamerikanischen Satz, dass das Volk das Recht hat, Waffen zu tragen (Kapitel I, Art. 16) und fügt hinzu, „and as standing armies in time of peace are dangerous to liberty, they ought not of to kept up“. Das Verbot stehender Armeen ist in der Schweiz seit langem Tradition (Stichwort: Milizsystem). Kapitel II, § 39 verknüpft die Friedensidee mit den Aufgaben der Judikative: All prosecutions shall commence, By the authority of the State of Vermont. All indictments shall conclude with these words, against the peace and dignity of the State.
Man mag über das Wort von der „Würde des Staates“ stolpern, indes ist die Berufung auf den Frieden in den Anklageschriften eine erstaunliche Textstufe. Ähnliches gilt für § 42, wo vom Wähler verlangt wird, dass er u. a. „quiet and peaceable behaviour“ an den Tag legt. Dieses Gebot sollte heute vor allem in den USA allgemein Schule machen. Besonders prägnant und ideenreich präsentiert sich die Verfassung von Pennsylvania (1874/1968)126. Sie schmückt sich in ihrer Menschenrechtserklärung in Abschnitt 2 mit einem großen Text, der sich, im Zusammenhang mit dem Frieden, so kaum sonst findet: All power is inherent in the people, and all free governments are founded on their authority and instituted for their peace, safety and happiness of the advancement of these ends they have at all times an inalienable and indefeasible right to alter, reform or abolish their government in such manner as they may think proper.
Es handelt sich um einen in die Form eines Verfassungstextes gegossenen Klassikertext, der sich aus vielen philosophischen Traditionen speist (aus der Sicht des Verfassers sind Klassikertexte Verfassungstexte in einem weiteren und tieferen Sinne)127. Das Recht, die Regierungsform zu ändern, ist dem Volk jederzeit eröffnet, ein kühnes Ideal, das Art. 79 Abs. 3 GG in Frage stellt. Die Verfassung von Delaware (1897/2015)128 schränkt die Immunität für Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses ein, wenn es um Hochverrat oder Friedensbruch geht. Art. XV § 1 bestimmt, dass Kanzler, Richter und Staatsanwalt im ganzen Land „shall be conservators of the peace throughout the state“. Zu vermuten ist, dass gerade älteren, seinerzeit neu gegründeten Staaten und Verfassungen 125
http://legislature.vermont.gov/statutes/constitution-of-the-state-of-vermont/. http://sites.state.pa.us/PA_Constitution.html. 127 Das deutsche BVerfG arbeitet immer wieder mit (seinen) Klassikertexten, z. B. E 95, 96 (134 f.): G. Radbruch; E 101, 158 (217): G. Husserl; ebd. S. 218: J. Rawls. – Aus der Lit.: P. Häberle, Klassikertexte im Verfassungsleben, 1981. 128 Delcode.delaware.gov/constitution/constitution.pdf. 126
72
1. Teil: Bestandsaufnahme
der spezifische Friedensauftrag der dritten Gewalt eher bewusst ist als den jüngeren, wie in Europa. Die Verfassung von New Jersey (1947/2016)129 normiert unter ihren allgemeinen Bestimmungen (Art. X, Ziff. 3) die schon von anderen Gliedstaaten her bekannte Formulierung: „All writs shall be in the name of the State. All indictments shall conclude: „against the peace of this State, the government and dignity of the same“.“ Diese erstaunliche Wendung bei Anklageschriften findet sich nur in gliedstaatlichen Verfassungen der USA. Die Verfassung von Georgia (1983/2005)130 eröffnet ihre hoch konzentrierte feierliche Präambel mit den Worten: „To perpetuate the principles of free government, insure justice to all, preserve peace, promote the interest and happiness of the citizen.“ Art. 1 (bill of rights) garantiert die Religionsfreiheit in den Grenzen des Friedens und der Sicherheit der Staaten (Paragraph IV). Article I, Section I, Paragraph IX gewährleistet das Recht zu friedlichen Versammlungen. Article III, Section IV, Paragraph IX garantiert den Mitgliedern beider Häuser Immunität, ausgenommen bei Hochverrat oder Friedensbruch. Eine im Vergleich zu den anderen US-Bundesstaatenverfassungen leicht abweichende Variante bestimmt Article V, Section II, Paragraph II: „Law enforcement. The Governor shall take care that the laws are faithfully executed and shall be conservator of the peace throughout the state.“ Hier wandert der Friedensgedanke innerhalb der USA zur Exekutive, nachdem sie in einigen Gliedstaaten die Judikative geprägt hat. Im Ganzen: Die gliedstaatlichen Verfassungen der USA wissen um die hohe Bedeutung des Friedens in Staat und Gesellschaft als Grundwert. Textlich erfinden sie teils Konstanten, teils Varianten im Wortlaut und in der Sache. Es handelt sich um so etwas wie verfassungsrechtliche Urtexte zum Prinzip Frieden in mancherlei Spielarten – und dies zu einer Zeit, da in Europa nur Frankreich, später die Schweiz, Deutschland und Spanien, auch Irland das Prinzip Frieden in den nationalen Verfassungen zum Ausdruck gebracht haben. Vielleicht ist sogar ein Teil dieser großen Texte aus den werdenden USA nach Europa, insbesondere Frankreich gewandert (Stichwort Lafayette als Rezeptionsmittler?). (2) Jetzt zu Kanada: Erstaunlicherweise wird man für den Bund, soweit ersichtlich, nur in der Verfassungsakte Kanadas (1982)131 fündig. In Art. 2 lit. c wird die „freedom of peaceful assembly“ garantiert. In Art. 91 wird im Abschnitt über die gesetzgebenden Gewalten die Kompetenz erteilt, „to make Laws for the Peace, Order, and good Government of Canada, …“. Diese Textzeile findet sich später wörtlich als Rezeption über Kontinente hinweg, z. B. in Art. 73 Abs. 3 der Verfassung von Sierra Leone (1991). Ein solcher Textfund bzw. Rezeptionsvorgang belegt einmal mehr, wie sich die Verfassunggeber bei neuen Textstufen heute fast weltweit 129 130 131
http://www.njleg.state.nj.us/lawsconstitution/constitution.asp. Senate.ga.gov./Documents/gaconstitution.pdf. www.confinder.richmond.edu.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
73
austauschen, sie sind vernetzt. Die Verpflichtung des Gesetzgebers auf den Frieden und gute Regierungsführung ist bemerkenswert und gehört wohl zur angloamerikanischen Kultur. An die Wissenschaft in Sachen „governance“ sei erinnert. Sichtbar wird heute die Möglichkeit zu universaler Jurisprudenz. Die gliedstaatlichen Verfassungen in Kanada sind teilweise ergiebig. Die Verfassung des Nordwestterritoriums132 (1787) macht die Bewahrung des Friedens zum Kriterium der Ernennung von Beamten seitens des Gouverneurs (Präambel). Eine Neuheit findet sich in Art. 1: No person, demeaning himself in a peaceable and orderly manner, shall ever be molested on account of his mode of worship or religious sentiments, in the said territory.
Damit ist das Friedensgebot auf die Religionsfreiheit bezogen, was dem Religionsfrieden im Ganzen dient: eine eigenwillige Textstufe. Art. 3 verpflichtet auf gute Regierungsführung und „happiness of mankind“, dies auch als Erziehungsziel. Dasselbe wird im Verhältnis zu den Indianern verlangt. Hier wird zu den Gesetzen des Parlaments gesagt, sie müssten auf Gerechtigkeit und Humanität gegründet sein und Frieden und Freundschaft mit den Indianern bewahren. Diese Friedensklausel gegenüber den Eingeborenen offenbart vorbildliche Toleranz gerade Kanadas (in den USA ist sie textlich nicht nachweisbar). Die Verfassung von Québec (1867)133 fällt durch außerordentliche Sorgfalt bei der Festschreibung der Staatssymbole Sprache, kulturelles Erbe, Hauptstadt, Flagge und nationale Feiertage auf (Kap. IV-VII). Der Friedensgedanke kommt in Art. 1 Abs. 6 zum Ausdruck: „Québec contributes to the maintance of peace and international security and supports social progress, economic prosperity and cultural diversity throughout the world.“ Der Friede ist als erstes Staatsziel fixiert. Zugleich wird die ganze Welt in den Blick genommen: selbst vom relativ kleinen, aber selbstbewussten Land aus. Die Verfassung von Manitoba (1870)134 findet für den Friedensgedanken einen neuen Anwendungsbereich: Art. 32 befasst sich mit der Regelung des friedlichen Besitzes von Land – offenbar eine Anspielung auf die überwundene Kolonialzeit. Die Verfassung von Alberta (1905)135 formuliert bereits im ersten Absatz ihrer Präambel die Aufgabe des Gesetzgebers für das Verabschieden von Gesetzen für den Frieden, die Ordnung und die gute Regierungsführung: eine bekannte Trias, die sich, soweit ersichtlich, in europäischen Verfassungen nicht findet. Ein Stück Kulturgeographie und Friedenspolitik wird sichtbar im Namen des „Peace Rivers“ (Art. 24), dessen Bezeichnung aus dem Namen der im Friedensvertrag gezogenen 132 133 134
pdf. 135
www.varsitytutors-com/earlyamerica/text/-northwest-ordiance. www.assnat.qc.ca/en/travaux-parlamentaires/projets-loi-196 – 38 – 1.html. www.metisportab.ca/MetisRights/wp/wp-content/uploads/2009/10/Manitoba-Act-1870. www.solon.org/Constitutions/Canada/Englsih/aa-1905html.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Grenze zwischen den verfeindeten Indianerstämmen des Nordens und Südens hergeleitet ist136. Die Verfassung von Saskatchewan (1905)137 verwendet in ihrer Präambel die schon bekannte Formel für die Aufgabe des Parlaments, Gesetze zu schaffen für den Frieden, die Ordnung und gute Regierungsführung. Die vergleichende Verfassungslehre müsste diese Trias noch aufschlüsseln und den Gesetzesbegriff neu denken; die Friedenswissenschaft hätte sie zu integrieren. Die Verfassung von Nunavut (1993)138, ein Territorium auf der größten kanadischen Insel (Baffininsel), fällt durch ihre speziell ausgebaute Friedensgerichtsbarkeit auf (Part IV, Section 76.13). Nicht behandelt werden kann hier die Frage, wie sich diese Friedensgerichtsbarkeit im Einzelnen von der normalen Gerichtsbarkeit unterscheidet und vermutlich die Kompetenz für kleine Streitigkeiten und aus Achtung vor der Tradition der Ureinwohner regelt. Relativ selten auf der Welt findet sich in manchen Verfassungen keinerlei Bezugnahme auf den Frieden. Dies gilt in Kanada etwa für Britisch Kolumbien (1867) sowie Neufundland Labrador (1949). b) Verfassungen in Lateinamerika Im Folgenden sei eine Auswahl lateinamerikanischer Verfassungen139 behandelt. Der Konstitutionalismus in Lateinamerika ist sehr lebendig und kreativ. Besonders ergiebig sind Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Brasilien und Kolumbien – in diesem Land ist das Friedensthema im Moment (Herbst 2016) beherrschend. Es geht um das Friedensprojekt mit den Rebellen der FARC (nach 50 Jahren Bürgerkrieg). Es wurde einem Referendum in Kolumbien unterworfen, das im Herbst 2016 knapp verloren ging. Zu Recht wurde Präsident J.M. Santos 2016 gleichwohl mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Trotz dieses unseligen Referendums scheint der Waffenstillstand zwischen den Beteiligten bisher zu halten. Glaubt man den Medien, so stimmte eine knappe Mehrheit der Kolumbianer deshalb gegen den Friedensvertrag, weil ihnen die Straflosigkeit der FARC-Rebellen zu weit ging. Beide Seiten halten sich zum Glück bislang an den nicht in Kraft getretenen Vertragstext, ein schönes Beispiel für die „Vorwirkung“ von Normen bzw. Verträgen. Der Friedensvertrag bleibt jedoch als Text in der Welt, und es ist zu vermuten, dass die lateinamerikanischen Wissenschaftlergemeinschaften sich auf dieser Grundlage intensiv dem Prinzip Frieden als Grundfrage der universalen Verfassungslehre widmen werden. Zuletzt wurde ein neuer Vertrag ausgehandelt, gebilligt vom 136
https://de.wikipedia.org/wiki/Peace_River. – Aus der Lit.: H. Koll/H. Kloft (Hrsg.), Elbe, Rhein und Delaware. Flüsse und Flussübergänge als Orte der Erinnerung, 2017. 137 http://www.solon.org/Constitutions/Canada/English/sa_1905.html. 138 www.laq-lois.justice.gc.ca/eng/acts7N-28.6/page-1html#docCont. 139 Zitate, soweit nichts anderes vermerkt, nach L. Lopez Guerra/L. Aguiar (Hrsg.), Las Constituciones de Iberoamerica, 1998.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Kongress in Bogotá, er sieht u. a. eine Amnestie zugunsten der Rebellen vor. Diese lassen sich derzeit entwaffnen. Die weitere Entwicklung ist abzuwarten140. Wie bei den anderen bisher analysierten Verfassungen und sonstigen Texten seien im Folgenden typologisch die einschlägigen Textstufen in Sachen Frieden erfasst. Auch hier wird man – wie später in Afrika – durchaus fündig: auf der Suche nach der „Sprache des Friedens“. (1) Die Verfassung von Costa Rica (1949/97) dekretiert in Art. 12 Abs. 1: „Die Armee als dauerhafte Institution wird abgeschafft“. Damit sind Buchstabe und Geist des Traktats zum Ewigen Frieden von I. Kant umgesetzt. In Art. 26 wird die friedliche Versammlungsfreiheit garantiert. („..right to meet peacefully…“) und auf alle Arten von Themen erstreckt. Art. 121 Ziff. 6 gibt der Exekutive das Recht, Friedensübereinkommen zu schließen. Art. 147 Ziff. 1 führt diesen Gedanken für das Council of Goverment fort. (2) Die Verfassung von Argentinien (1995) formuliert schon in ihrer Präambel das Staatsziel, „den inneren Frieden zu konsolidieren“, auch die „gemeinsame Verteidigung“ zu gewährleisten. Einmal mehr ist der „innere Friede“ als hoher Wert erkennbar, ebenso der äußere bzw. internationale Frieden. (3) Die Verfassung der Falkland- Inseln (2008)141 ist zum Teil in den klassischen Textstellen für den Friedensgedanken ergiebig. Schon in der königlich-britischen einleitenden Anordnung findet sich die Formel (Art. 11), dass Ihrer Majestät die volle Kompetenz verbleibt, Gesetze für den Frieden, die Ordnung und die gute Regierung zu machen. In Art. 1 des Verfassungstexts findet sich wie gewohnt die friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Dasselbe wird für die Gewerkschaften und andere Vereinigungen in der kollektiven Ausübung garantiert (Art. 14). Art. 37 gibt dem Gouverneur mit Zustimmung der Legislative die Kompetenz, Gesetze für den Frieden, die Ordnung und die gute Regierungsführung zu erlassen. (4) Die Verfassung von Uruguay (1966/2004)142 zeichnet sich durch die breite Einrichtung von Friedensgerichten aus (Artt. 239, 247 – 249, 255). Fast selbstverständlich findet sich das Recht auf friedliche Zusammenkunft (Art. 38) sowie das Gebot friedlicher Streitbeilegung bei internationalen Konflikten (Art. 6 Abs. 1). Ausgerechnet am Schluss der Verfassung steht eine Norm zu den Grundrechten (Art. 332) die höchste Aufmerksamkeit verdient, weil sie ein Element der universalen Verfassungslehre formuliert: The provisions of the present Constitution which recognize individual rights, as well as those which confer powers and impose duties on public authorities, shall not be without effect by
140
Zuletzt FAZ vom 27. 06. 2017, S. 3: Friedenskater im Schlamm. An diesem Dienstag geht in Kolumbien eine Ära zu Ende, denn die Kämpfer der FARC sollen ihre letzten Waffen abgeben. 141 www.legislation.gov.ulc/uksi/2008/2846. 142 www.constituteproject.org/constitution/uruguay/pdf.
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1. Teil: Bestandsaufnahme reason of the lack of corresponding regulations, but such regulations shall be supplied on the basis of analogous laws, general principles of justice, and generally accepted doctrines.
Der Verweis auf allgemeine Gerechtigkeitsprinzipien und allgemein akzeptierte wissenschaftliche Lehrmeinungen schon im Text dieser Verfassung kann gar nicht überschätzt werden (universale Jurisprudenz wird möglich). Auch das BVerfG arbeitet diesbezüglich kongenial (s. oben) an einer universalen Verfassungslehre. Auffallend ist Art. 37 Abs. 2 in Sachen Einwanderung, eine seltene Norm. Er lautet: Immigration shall be regulated by law, but in no case shall an immigrant be admitted who has physical, mental, or moral defects which may injure society.
(5) Ergiebig ist die Verfassung Brasiliens (1988)143, dies gleich an zwei prominenten Textstellen. In der Präambel ist – in Wahlverwandtschaft zum Frieden – von „sozialer Harmonie“ und „brüderlicher Gesellschaft“ die Rede, auch von friedlicher Lösung der internationalen Streitigkeiten. In Art. 4 wird normiert, dass sich die föderative Republik Brasilien in ihren internationalen Beziehungen u. a. von folgenden Prinzipien als Staatsziele leiten lässt: „defesa da paz, solução pacífica dos conflitos“ (VI, VII). „Verteidigung des Friedens“ ist ebenso realistisch wie konsequent. Diese juristischen Verfassungstexte in Brasilien seien um Entsprechungen in der traditionellen Nationalhymne ergänzt. In der zweiten Strophe heißt es144 : Brasilien, unserer ewigen Liebe sei Symbol die Flagge, stolz gehisst und voller Sterne, in Lorbeergrün kündet sie, von einer Zukunft in Frieden und vergangenem Glanz.
Erneut zeigt sich, wie der eher poetische Text bzw. Vers einer Nationalhymne mit dem eher fachspezifischen juristischen Text der Verfassung inhaltlich übereinstimmt. Die Hymne stammt aus dem Jahr 1822 (ihre Melodie wäre eigens zu würdigen). Sie erweist sich in der nationalen Verfassungsgeschichte als Konstante und gehört zur Identität des Volkes: Verfassungsrecht vergeht, Nationalhymen bestehen! (6) Die ungemein inhaltsreiche, sehr differenzierte Verfassung der Republik Kolumbien (1996), die im Ganzen und Einzelnen hohe Textstufen des lateinamerikanischen Konstitutionalismus schafft, ist auch in Sachen Frieden höchst ergiebig und innovationsreich. In der Präambel figuriert u. a. das Ziel, die Gerechtigkeit, die Gleichheit, die Freiheit und den Frieden zu sichern – eine oft verwendete Reihung. In Art. 2 Abs. 1 heißt es: „y asegurar la convivencia pacífica y la vigencia de un orden justo“. Der Friede und die Gerechtigkeit werden denkbar eng zusammengedacht, eine Wegweisung für die Theorie. Eine besonders kühne Textstufe wagt der Verfassunggeber in Art. 22: La paz es un derecho y un deber de obligatorio cumplimiento. 143 144
Vgl. den Textanhang in JöR 38 (1990), S. 462 ff. Nationalhmyne Brasilien, https://de.wikipedia.org/wiki/Hino_Nacional_Brasileiro.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Wie soll mit den Mitteln gängiger Auslegungsmethoden dieser Satz als subjektives Recht interpretiert werden? Er ist kaum justiziabel und kann am ehesten als objektiver Verfassungsauftrag, Frieden herzustellen, ausgelegt werden. Wir bewegen uns im Kontext einer etwaigen „Kultur des Friedens“. Ein persönliches Grundrecht auf Frieden dürfte eine konkrete Utopie im Sinne von E. Bloch sein, eine Grundpflicht der Bürger nicht (eine allgemeine Friedenspflicht des Bürgers, aus dem realen oder fiktiven Gesellschaftsvertrag begründet, kann theoretisch konzipiert werden, doch bedarf sie jeweils der positiv-rechtlichen Konkretisierung). Vielleicht strahlt Art. 22 auf das Verständnis der anderen Grundrechte wie Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit aus, auch die Petitionsfreiheit, die textlich oft auf die friedliche Weise verpflichtet werden. Den Friedenswissenschaften öffnen sich weite Arbeitsfelder145. (7) Der zum britischen Commonwealth gehörende Inselstaat Tuvalu (1986)146 schafft in seiner etwas überdimensionierten Verfassung im Anfangsteil seiner Verfassungsprinzipien eine neue Textstufe. Art. 3 lautet: While believing that Tuvalu must take its rightful place amongst the community of nations in search of peace and the general welfare, nevertheless the people of Tuvalu recognize and affirm, with gratitude to God, (…) maintenance of Tuvaluan values, culture and tradition.
Auch ist ausdrücklich the „sense of identity“ festgeschrieben, vermutlich um sich des Selbstverständnisses der Bewohner von Tuvalu zu versichern147. Das Friedensziel ist für Inseln besonders wichtig. (8) Die Verfassung von Surinam (1987)148 entspricht schon in ihrer Präambel vielen Anforderungen, die eine Präambeltheorie formulieren konnte: Verarbeitung der Geschichte und Gegenwart (Bewusstmachung des Kampfes gegen Neokolonialismus. Pflicht zum Kampf gegen jede Form ausländischer Beherrschung), Formulierung großer Ziele wie kulturelle Entwicklung, Freiheitsrechte, gerechte Gesellschaft und der feierliche Satz: „determined to collaborate with one another and with all peoples of the world on the basis of freedom, equality, peaceful coexistence and international solidarity“. Man fühlt sich an den Geist von Art. 1 Abs. 2 GG erinnert, wobei auch hier die Frage „post“ oder „propter“ offen bleiben muss: bewusste Rezeption (durch welche Rezeptionsmittler?) oder zufällige kulturanthropologische Wahlverwandschaft? Art. 7 Abs. 2 formuliert die Untersützung friedlicher Regelungen internationaler Streitigkeiten. Abs. 4 und 5 ebenda bekennen sich zum Frieden und sozialen Fortschritt (Solidarität mit anderen Völkern im Kampf 145 Dabei wäre der Begriff der „Gewalt“ zu erarbeiten, dazu FAZ vom 19. 07. 2017, S. N4: Spurensuche an den Tatorten der Gewalt. Mit einem Hinweis auf den Begriff des „Gewaltraums“. 146 www.constituteproject.org/constitution/Tuvalu_1986?lang=en; die Kulturgeschichte der Insel gehört hierher. 147 In der Garantie der persönlichen Freiheit bei Art. 17 Abs. 2 lit. f ist ausdrücklich an Gewalttaten oder den Bruch des Friedens gedacht. 148 www.ilo.org/wcmsp5/groups/public7wcms_132649.pdf.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
gegen den Kolonialismus) sowie zur „friedlichen Koexistenz“, zu Frieden und Fortschritt für die Menschheit. Einmal mehr wird die Ambivalenz des Begriffs „Kampf“ im Kontext für den Frieden sichtbar. Art. 20 und 21 garantieren die friedliche Vereinigungs-, Versammlungs-, und Demonstrationsfreiheit. Art. 102 verpflichtet den Präsidenten im Ausnahmezustand auf die Wiederherstellung des Friedens, und Art. 177 stellt der nationalen Armee die Aufgabe, die höchsten Rechte und Freiheiten sowie Frieden und Sicherheit zu schützen. Das Nebeneinander von Frieden und Sicherheit ist schwer zu deuten. Diese steht wohl im Dienst von jenem149. (9) Die Verfassung von Chile (1980/2015)150 findet in ihrer Regelung des Arbeitsverfassungsrechts eine der Schweiz ähnliche Lösung. Art. 16 Abs. 4 beinhaltet in Sachen Arbeitsfrieden die Textzeile: the law shall establish the procedures for collective negotiation and the adequate procedures to produce a just and peaceful solution in it.
(10) Die alte Verfassung von Ecuador (1979/98) bleibt demgegenüber eher in dem schon bekannten Rahmen. In der Präambel rangiert der Friede in einer Zeile u. a. mit Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, was in den nationalen Verfassungen oft vorkommt, und in Art. 4 werden die Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft auf den Frieden und die Kooperation hin angelegt. Auch sollen internationale Kontroversen durch „juristische und friedliche“ Methoden gelöst werden. Bemerkenswerter Weise findet sich im Grundrechtsteil der Satz (Art. 27 Ziff. 19): „La libertad de asociación y de reunión, con fines pacíficos“ – ein neuer Text. Die neue Verfassung von Ecuador (2008)151 geht in ihrer Präambel nicht auf das Friedensthema ein, doch findet sich in dieser die neue Formulierung vom „Kompromiss zwischen Gegenwart und Zukunft“ – eine glückliche Anspielung auf den Generationenvertrag152. Besonders ergiebig sind freilich die späteren Artikel. So lautet Artikel 3 Ziffer 8 im Kontext der Grundpflichten des Staates: Garantizar a sus habitantes el derecho a una cultura de paz, a la seguridad integral y a vivir en una sociedad democrática y libre de corrupción.
Es mag strittig bleiben, wie das persönliche „Recht auf eine Kultur des Friedens“ praktisch garantiert werden soll: Die Textstufe als solche bleibt jedoch ein kostbarer 149 Zu Frieden und Sicherheit als Staatszweck: J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 15, Rn. 85. 150 www.confinder.richmond.edu – Vgl. auch den Textanhang im JöR 41 (1993), S. 528 ff. 151 www.constituteproject.org/constitution/Ecuador_2015?lang=en. – Aus der Lit.: P. Häberle, Vergleichende Verfassungstheorie und Verfassungspraxis, 2016, S. 227 ff. 152 Aus der Judikatur des BVerfG zum Generationenvertrag, die hier bewusst parallel zu den ausländischen Texten geführt wird – im Blick auf eine universale Verfassungslehre: E 53, 257 (292, 295); E 54, 1 (28); E 87, 1 (37): „nachrückende Generation“; s. auch E 94, 241 (263) sowie E 94, 268 (285) im Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG; E 112, 332 (353): Solidarität zwischen den Generationen im Bereich des Erbrechts. Zuletzt unter Bezugnahme auf den geschriebenen Artikel 20a GG: E 128, 1 (37); E 131, 195 (247): keine irreversible Präjudizierung künftiger Generationen, ebenso E 135, 317 (405).
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Fund für die universale Verfassungslehre bzw. das Prinzip Frieden und dessen Sprache. Gleiches gilt für Artikel 5 Satz 1: „El Ecuador es un territorio de paz.“ Besser kann die „Friedensstaatlichkeit“ (K.-P. Sommermann)153 nicht ausgedrückt werden, zumal ausländische Militärbasen strikt verboten sind. Aufschlussreich ist auch Artikel 83 Ziffer 4, der als Grundpflicht der Bürger die Zusammenarbeit und Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit formuliert. Nicht minder ergiebig ist Artikel 416, der in mehreren Ziffern bei den internationalen Beziehungen das friedliche Zusammenleben, die friedliche Regelung von Streitigkeiten, die Förderung des Friedens und die universale Abrüstung beschwört. Nur am Rande sei erwähnt, wie fortschrittlich Artikel 11 zu den Prinzipien der Grundrechtsauslegung formuliert ist. Wir finden sowohl die Garantie der Justiziabilität als auch einen Schutz des Wesensgehalts und den Gedanken der optimalen Grundrechtseffektivität. All diese Aussagen sind kongenial zu dem, was in Deutschland wissenschaftlich in Sachen Grundrechtsauslegung in vielen Jahren erarbeitet worden ist: eine Rezeption von Wissenschaft und Judikatur. Mag auch der Reichtum der Textstufen durch die Wirklichkeit im Ecuador von heute zum Teil dementiert werden: Die Texte verdienen unabhängig von ihrer vielleicht (noch) defizienten Umsetzung die Aufmerksamkeit der Wissenschaft, zumal für die Zukunft. Auch in Ecuador finden wir in der Hymne eine Textzeile zum Frieden (1948): „Your breast overflows with joy and peace“154. Verfassungstexte und Texte von Nationalhymnen sind hier konkordant, auch wenn die Hymnen meist älter sind und sich wohl auch wegen der emotionalen, den Bürger einstimmenden Seite im Vergleich mit den juristischen Verfassungstexten als Konstante erweisen. Der Charakter der Melodie wäre eigens zu untersuchen. Diese neue Verfassung von Ecuador (2008/2015) steht offenbar unter dem Einfluss der jüngsten Verfassung von Venezuela, sie erfindet aber auch neue Textvarianten. Hier sei in Erinnerung gerufen, dass in den Verfassungen Lateinamerikas Friedenstexte in den unterschiedlichen Kontexten und Konstellationen vorkommen, zum Beispiel in der Präambel, bei den Grundwerten, den Staatsaufgaben, bei den Grundrechten und Grundpflichten, bei den Erziehungszielen oder bei den Leitlinien der Außenpolitik. Kaum eine nationale Verfassung bedenkt freilich all diese unterschiedlichen Kontexte gleichzeitig mit allen Friedenstexten, was auch Vorteile hat. Doch die wissenschaftliche Analyse sollte sich diese Vielzahl von Kontexten und Spielarten von Texten vor Augen halten: auf dem Weg zur Kultur des Friedens. All dies zeigt sich auch in der neuen Verfassung von Ecuador. Ihre Präambel entspricht allen theoretischen Anforderungen an diese Kategorie. Sie zeichnet in feierlicher Sprache die Geschichte nach („Textereignis“), entwirft Leitbilder für die Zukunft und Bekenntnisformeln. Sie liefert ein „Konzentrat“ der Verfassung, das in den späteren Artikeln konkretisiert wird. Im Einzelnen: Auffällig ist die Huldigung an die Natur, die Rede ist von „Mutter Erde“, ganz offenbar eine Erinnerung an die Eingeborenen-Kultur. Auch wird von der „Harmonie mit der Natur“ gesprochen und 153 154
K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatsbestimmungen, 1997, S. 237 ff. https://en.wikipedia.org/wiki/Salve,_Oh_Patria.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
schließlich Friede und Solidarität mit allen Völkern der Erde gelobt. Erde kann hier „als Natur“ im Sinne der Eingeborenen oder/und im heutigen Verständnis gesehen werden. Art. 3 formuliert Grundpflichten des Staates und nennt als Ziffer 8 das Recht auf eine „Kultur des Friedens“ („Guaranteeing its inhabitants the right to a culture of peace, to integral security and to live in a democratic society free of corruption“). Man darf von „Grundrechtspflichten“ des Staates sprechen, im Sinne des Vorschlags des Verfassers von 1971155. Mit dem BVerfG sollte man von staatlichen Schutzpflichten jetzt in Bezug auf das Recht auf Kultur des Friedens sprechen (so wie es eine „Kultur der Freiheit“ gibt)156. Unmittelbar einklagbar ist das Recht auf Kultur des Friedens wohl nicht. Einen eigenen Weg geht Art. 27 in Sachen Erziehung. Es heißt dort in Abs, 1: education shall be participatory, compulsory, intercultural, democratic, inclusive and diverse, of high quality and humane; it shall promote gender equity, justice, solidarity and peace.
Frieden als Erziehungsziel zu normieren (aus Europa vor allem in Deutschland bekannt: „Völkerversöhnung“, „Friedensliebe“), ist in einer Verfassung mit dem Staatsziel Frieden konsequent. Es könnte m. E. auch durch „pädagogische Verfassungsinterpretation“ gewonnen werden. Ein neues Textfeld erschließt sich sogar noch aus Art. 45 Abs. 2, wo den Kindern und Jugendlichen das Recht versprochen wird „to have a family and enjoy peaceful coexistence with family and community;…“. Das friedliche Zusammenleben mit Familien und der Gemeinschaft ist hier zu einem eindrucksvollen Text geworden. Aus der Ferne wirkt vielleicht Art. 1 Abs. 2 GG („Gemeinschaft“) oder aber es handelt sich um eine kulturanthropologische Erkenntnis. Mag auch dieses Versprechen allzu idealistisch sein und noch viel Arbeit im Alltag erfordern, der Text bleibt eine wichtige Mahnung. Gleiches gilt für Art. 57 Ziff. 9, wonach Eingeborenen-Gemeinschaften etc. ihre eigenen Formen friedlicher Koexistenz haben sollen (Vermeidung eines Bürgerkrieges). So kommt es zu einem „Pluralismus der Rechtsordnungen“ im gleichen Land. Im Abschnitt über Grundpflichten wird den Ecuadorianern nahe gelegt (Art. 83 Ziff. 4): „To cooperate in keeping the peace and safety“ – ein guter Text. In Art. 410 schließlich verpflichtet sich Ecuador in Bezug auf die internationalen Beziehungen zu friedlicher Koexistenz und friedlicher Regelung von Streitigkeiten, auch zur Förderung des Friedens und universaler Abrüstung (Ziffer 1, 2, 3, und 4) – ein vorbildlicher, vom Völkerrecht her inspirierter universaler Text. Auch im Völkerrecht gibt es eine Sprache des Friedens, die sich Schritt für Schritt entwickelt hat und hoffentlich weiter entfaltet und in die nationalen Verfassungen ausstrahlt: bis zur Umsetzung in die Praxis.
155 P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43 (93 f.); siehe auch das Wort von den grundrechtlichen Schutzaufträgen, ebd., S. 94. 156 Dazu P. Häberle, vgl. unten Fn. 166.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Es dürfte kaum überraschen, dass in der Nationalhymne von Ecuador „Salve, Oh Patria“ (1948) für einen Chor die Textzeile steht157: Your breast overflows with joy and peace;
Die Friedensidee in der neuen Verfassung ist so wieder einmal schon in der deutlich älteren Hymne präsent (wie friedlich klingt die Melodie?). (11) Die Verfassung des plurinationalen Staates Bolivien (2009)158 formuliert ihr Selbstverständnis als typisch postkoloniales Narrativ in der Präambel, wie wir dies schon von Ecuador kennen. Die Rede ist von der „heiligen Mutter Erde“, von der Überwindung der schrecklichen Zeiten der Kolonialisation, der Sklavenmärkte, von dem Kampf um Land und von den Märtyrern. Für die Zukunft wird der kulturelle Pluralismus beschworen sowie der Zugang zu Wasser (!), Arbeit, Erziehung, Gesundheit und Wohnungen garantiert. Sodann heißt es, man werde einen plurinationalen Sozialstaat bauen, „which includes and articulates the goal of advancing toward a democratic, productive, peace-loving and peaceful Bolivia,..“. Nach dieser ebenso ehrlichen wie hochgestimmten Introduktion überrascht Art. 10 Abs. 1 zur „Friedensstaatlichkeit“ (K.-P. Sommermann) nicht mehr. Er lautet: „Bolivia is a pacifist State that promotes the culture of peace and the right of peace.“ Beide Aussagen ebenso kühn wie neuartig. Mit diesen Staatszielen wird ernst gemacht, insofern Abs. 3 ausländische Militärbasen auf bolivianischem Boden verbietet. Das Recht auf Frieden gewinnt textlich neues Terrain. Die Praxis ist gefordert. Art. 108 nennt unter den Grundpflichten der Bolivianer in Ziff. 4: „To defend, promote, and contribute to the right to peace, and to encourage a culture of peace“ – eine Überforderung des Einzelnen? – jedenfalls ein Beleg für die „Kultur des Friedens“ und dessen Sprache sowie eine Herausforderung für die Wissenschaft. Wieder einmal ist die „Kultur des Friedens“ getextet, welche sich in Europa nur zweimal findet, (Slowenien, Umbrien), wohl aber in Lateinamerika mehrfach, zuletzt in Afrika (Südsudan). Im Kapitel über Internationale Beziehungen steht das Bekenntnis zur friedlichen Lösung von Konflikten (Art. 255 Ziff. 1) und im Kapitel über „Maritime Restoration“ wird der bekannte politische Streit um einen Zugang Boliviens zum Pazifik auf friedliche Mittel verpflichtet (Art. 267 Abs. 2). Leider fehlt ein Text zum friedlichen Machtwechsel, der die wiederholte Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten (E. Morales) nach zwei Perioden untersagt hätte. Fündig wird man auch in der Nationalhymne von 1851159 : Dort heißt es im ersten Vers: The martial turmoil of yesterday, and the horrible clamor of war, are followed today, in harmonious contrast, by sweet hymns of peace and unity. Are followed today, in harmonious contrast, by sweet hymns of peace and unity. 157 158 159
https://en.wikipedia.org/wiki/Salve,_Oh_Patria. www.constituteproject.org/constitution/Bolivia_2009. https://en.wikipedia.org/wiki/National_Anthem_of_Bolivia.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Einmal mehr zeigt sich: nationale Verfassungen „kommen und gehen“, „werden und vergehen“, die Nationalhymnen eines Volkes aber bleiben über Jahrzehnte bestehen und erweisen sich als dauerhafter emotionaler Text für den Bürger: als eine musikalische und versliche Konstante. Krieg und Kampf in der Vergangenheit werden in Erinnerung gerufen, als Kontrast zum jetztigen harmonischen und friedlichen Zustand (s. auch „sweet hymns“). Diese Charakterisierung der Musik ist ein seltenes und glanzvolles Textstück. (12) Die Verfassung von Salvador (1983/96) verzichtet in ihrer eindrucksvollen Präambel auf die Nennung des Friedens (vergleiche die wohl einzigartige schöne Formulierung „de nuestra herencia humanista“), der Frieden ist in diesem Passus zum humanistischen Erbe wohl mitgedacht. Wohl aber ist Art. 7 Abs. 1 ergiebig: Los habitantes de El Salvador tienen derecho a asociarse libremente y a reunirse pacíficamente y sin armas para cualquier objeto lícito.
Man darf schon hier und jetzt die These wagen, dass die friedliche Vereinigungsund Versammlungsfreiheit und das ihnen immanente private Gewaltverbot ein Element der universalen Verfassungslehre ist – sie begegnet weltweit in vielen nationalen Verfassungstexten (vgl. universal Art. 21 UN-Menschenrechtspakt über bürgerliche und politische Rechte). (13) Die Verfassung von Guatemala (1985/97) bleibt in Sachen Frieden eher konventionell. Art. 2 lautet: Deberes del Estado. Es deber del Estado garantizarle a los habitantes de la República la vida, la libertad, la justicia, la seguridad, la paz y el desarollo integral de la persona.
Wie so oft wird das Friedensziel oder genauer die Friedensverpflichtung des Staates linear in eine Reihe mit Grundwerten wie Gerechtigkeit und Sicherheit, auch Leben und Freiheit sowie dem Persönlichkeitsrecht gestellt, ohne dass ihr Verhältnis untereinander geklärt wird. Im Kapitel über internationale Beziehungen wird Guatemala in Art. 149 vorbildlich auf Frieden und Freiheit sowie auf die Verteidigung der Menschenrechte verpflichtet. Art. 151 spricht von Beziehungen der Freundschaft und der Kooperation mit anderen Staaten, die im Entwicklungsstand Guatemalas vergleichbar sind. Diese Klausel ist weltweit ein Solitär („Verwandtschaftsklausel“); sie verdient eine gesonderte wissenschaftliche Durchleuchtung. Wenig überraschend dürfte der Textfund in der Nationalhymne von Guatemala (1896) sein160. In der sechsten Strophe heißt es: For your sons, brave and zealous, who adore peace as a great treasure will never avoid the rough battle to defend their land and their home.
Einmal mehr zeigt sich, wie Nationalhymnen bzw. ihre Texte die musikalische „Fortsetzung“ konstitutioneller Staatsziele sein können. Die Verszeile ist recht poetisch und im guten Sinne altmodisch, weil er aus einer anderen Zeit stammt 160
https://en.wikipedia.org/wiki/National_Anthem_of_Guatemala.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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(1896). Freilich wird der „Kampf“ auch thematisiert – offenbar aus geschichtlicher Erfahrung als Weg zum Frieden. Die Melodie der Hymne wäre eigens zu untersuchen. (14) Die Verfassung von Antigua und Barbuda (1981/2011)161, eines Mitgliedslands des britischen Commonwealths, garantiert in Art. 3 die friedliche Versammlung und Vereinigung (s. auch Art. 13). In Art. 7 werden Friedensgerichte etabliert. Bei Grundrechtsbeschränkungen sind öffentliche Ordnung, öffentliche Gesundheit, öffentliche Sicherheit oder Verteidigungsinteressen genannt (Art. 12), das Friedensthema fehlt hier, es dürfte in der „öffentlichen Sicherheit“ angesprochen sein. (15) Die Verfassung von Belize (2012)162 spricht in ihrer Präambel von der Menschheitsfamilie, auch von dem berühmten „pursuit of happiness“. Als Staatsziel werden unter anderem der internationale Frieden, die Sicherheit und die Kooperation genannt. Art. 68 gibt der Nationalversammlung die Kompetenz to „make laws for the peace, order and good government of Belize“. Diese Textstufe beginnt sich fast weltweit zu verbreiten, eine Trias des staatlichen Selbstverständnisses. (16) Die Verfassung von Honduras (1982/95) hebt in der Präambel feierlich Gerechtigkeit, Freiheit, Sicherheit, Pluralismus und Frieden als Grundwerte hervor. Einmal mehr bleibt das Verhältnis dieser großen Prinzipien untereinander ungeklärt (dazu der Versuch im theoretischen Zweiten Teil dieser Schrift). Art. 79 Abs. 1 garantiert (wie auch weltweit andere Verfassungen) die friedliche Versammlungsund Demonstrationsfreiheit, denn zu groß ist die soziale Sprengkraft unfriedlicher Versammlungen und Demonstrationen für den Verfassungsstaat und sein rechtsstaatlich diszipliniertes, staatliches Gewaltmonopol (aktuell in Rumänien im Februar 2017) ist unverzichtbar. In der offenen Gesellschaft darf es keine andere Gewalt geben. Gesichert ist dies durch die positive Rechtsordnung bzw. ihre Teilgebiete, etwa das Strafrecht und das Zivilrecht, auch das Wirtschaftsrecht, das Insolvenzrecht. Ein dem Frieden verpflichtetes Internetrecht ist erst noch zu schaffen: auf dem Weg vom status naturalis zum status culturalis. (17) Die Verfassung von Mexiko (1917/97) bekennt sich in Art. 3 II lit. c zu den Idealen der Brüderlichkeit und Gleichheit aller. Der Friede taucht als solcher überraschend und neuartig in Art. 8 Abs. 1 zur Petitionsfreiheit auf („de manera pacífica y respetuosa“) – die Petitionsfreiheit ist textlich in anderen Ländern eher selten auf den Frieden festgelegt. Der Verfassunggeber in Mexiko fürchtet wohl massenhafte Petitionen, die zur Gewaltausübung führen könnten. In Art. 16 letzter Absatz, Art. 29, und Art, 32 Abs. 1 regelt die Verfassung die Geltung der Grundrechte in „Friedenszeiten“. Das sollte veranlassen, die Friedenszeit als normalen Zustand und offenen kommunikativen Prozess im Verfassungsstaat inhaltlich, strukturell und funktionell näher zu umschreiben (dazu Zweiter Teil).
161 162
http://pdba.georgetown.edu/Constitutions/Antigua/antigua-barbuda.html. www.confinder.richmond.edu.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
(18) Die Verfassung von Nicaragua (1987/95) beschwört in der Präambel die „kämpferische“ Tradition des Volkes und schließt dann doch mit dem Satz „…por la paz“ – fast ein Wahlspruch, dessen Kontext mit dem „Kampf“ freilich die alte Ambivalenz zwischen Kampf und Frieden anklingen lässt. Art. 5 Abs. 5 beruft sich auf das völkerrechtliche Prinzip, internationale Kontroversen mit friedlichen Mitteln zu lösen. Art. 9 bekräftigt die Kooperation mit Zentralamerika und die Bewahrung des Friedens in der Region. Aufschlussreich ist Art. 42 Abs. 1: En Nicaragua se reconoce y garantiza el derecho del refugio y el asilo. El refugio y el asilo amparan únicamente a los perseguidos por luchar en pro de la democracia, la paz, la justicia, y los derechos humanos.
Wie in einigen anderen Verfassungen ist damit beim Asylrecht der Einsatz für den Frieden ausdrücklich als Asylgrund genannt, neben Demokratie, Gerechtigkeit und Menschenrechten. Einmal mehr bleibt das Verhältnis dieser Grundwerte untereinander freilich ungeklärt, doch stehen sie in einer Reihe mit Idealen von hoher Wertigkeit, die wohl die ganze Verfassung mitprägen sollen. Die bedauerlichen autoritären Strukturen im Nicaragua von heute seien erwähnt. (19) Die Verfassung von Paraguay (1992)163 nimmt sich des Themas Frieden im Kapitel über die Erziehung und die Kultur an. Blickt man auf den Kontinent Lateinamerika als Ganzem so zeigt sich, wie das Friedensthema in den einzelnen Verfassungen „wandert“ und in immer neuen Kontexten und Konstellationen auftaucht. In Paraguay findet sich neu als Erziehungsziel Art. 73 Abs. 1: Toda persona tiene derecho a la educación integral y permanente, que como sistema y proceso se realiza en el contexto de la cultura de la comunidad. Sus fines son el desarollo pleno de la personalidad humana y la promoción de la libertad y la paz, la justicia social, la solidaridad, la cooperación y la integración de los pueblos.
Der Verfassunggeber bediente sich ausweislich dieses vorzüglichen Textes der kontextwissenschaftlichen Methode („contexto de la cultura“), darüber hinaus ist der Friede als Erziehungsziel ausgewiesen, neben der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität und zum Beispiel auch den Menschenrechten. Der Text ist auch eine hommage an den kulturwissenschaftlichen Ansatz oder darf jedenfalls so gelesen werden. Nicht minder ergiebig ist Art. 144: „ De la renuncia a la guerra“. Er lautet: La República del Paraguay renuncia a la guerra, pero sustenta el principio de la legítima defensa.
Dieser Satz erinnert an die französische (1791) und schweizerische, auch spanische (1931) Tradition der Ächtung des Krieges. Er ist überdies eingeordnet in die 163 Bemerkenswert ist, dass es jüngst zu Unruhen in Paraguay kam (FAZ vom 03. 04. 2017, S. 2). Es sollte eine Verfassungsänderung auf den Weg gebracht werden, die eine Wiederwahl des Staatspräsidenten ermöglicht hätte. Daraufhin kam es zu Zusammenstößen zwischen gewaltbereiten Demonstranten und der Polizei. Das Parlamentsgebäude wurde besetzt. – Man sieht erneut, wie der friedliche Machtwechsel in jungen Ländern oft nicht gelingen will bzw. wie die Staatspräsidenten an ihrem Amt hängen.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Organisation der Vereinten Nationen und der amerikanischen Staaten (s. auch Art. 145). Völkerrechtliche Prinzipien und nationales Verfassungsrecht begegnen sich so im gleichen Dokument, ein Beleg für die jahrzentealte These des Verf. von der „Permeabilität“ zwischen beiden Ordnungen164. (20) Die alte Verfassung von Venezuela (1961/83) geht in ihrer Präambel zum Teil neue Wege. Zunächst wird die Bekräftigung der Freiheit, des Friedens und der Stabilität der Institutionen beschworen. Sodann findet sich die Verwerfung des Krieges und schließlich bekennt sich der Verfassunggeber zu dem Ziel der Verbreitung der Menschenrechte und der Würde der Bürger in friedlicher Weise auf alle Völker der Erde – eine universale Tendenz und neue Textstufe. Art. 136 Abs. 2 verpflichtet die nationale Gewalt auf die Bewahrung des öffentlichen Friedens, Art. 241 regelt den Notstandsfall („Störung des Friedens der Republik“). Wieder stellt sich die Notwendigkeit, den alltäglichen „Frieden“ einer Republik als Zustand und Prozess inhaltlich zu charakterisieren (Wettbewerb, Dissense, Konflikte, aber auch Grundkonsens, Kommunikation, Interessenausgleich und Friedfertigkeit). Die neue Verfassung der bolivarischen Republik von Venezuela (1999) ist besonders reich an Friedenstexten165. Das Land dürfte in den allgemeinen, heute weltweiten Austausch der Produktion und aktiven Rezeption von Verfassungstexten in Lateinamerika und darüber hinaus einbezogen sein, extensiv und intensiv, aktiv und passiv, auch in Gestalt von Fortschreibungen und Umschreibungen. Der Textvarianten gibt es viele. Auffällig bleibt überdies, dass oft von kulturellen Themen die Rede ist. Der kulturwissenschaftliche Ansatz des Verf. seit 1982 darf sich bestätigt fühlen. So finden sich Begriffe wie „Kultur des Friedens“, „Kultur der Menschenrechte“ usw. Der Verf. hat im Jahre 1983 den Begriff „Kultur der Freiheit“ vorgeschlagen166. Schon 1982 wurde der Begriff „Verfassungskultur“ gewagt (mittlerweile oft gebraucht im Englischen als „constitutional cultures“). Wiederholt sei die These des Verfassers, dass die weltweit dargestellten und zusammengedachten Textstufen ein Speicher (eine Art Reservoir) von Wissenschaft und Praxis, auch Judikatur sind. Der Vergleich der Texte kann also nicht deshalb abgelehnt werden, weil nicht immer garantiert ist, dass ihnen eine vor Ort jederzeit kongeniale Verfassungswirklichkeit entspricht. Mitunter kann dies „nachgeholt“ werden, hier oder anderwärts, sogar weltweit. Der Text bleibt für die Wissenschaft relevant. Jetzt zu Venezuela im Einzelnen: Die Präambel ist in hoher idealistischer Sprache ungemein dicht gearbeitet. Gleiches gilt für den Abschnitt über die grundlegenden Prinzipien und andere Teile der Verfassung. Nach einer „invoking the protection of 164 Gegen die „Ideologie der Impermeabilität“: P. Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat, FS Schelsky, 1978, S. 141 (146) (auch in: Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978 (3. Aufl. 1998)); ebd. S. 176 eine Umschreibung der „Permeabilität“; später M. Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht, 2011; treffend zur „Verältnisbestimmung: Permeabilität“: F. C. Mayer, Verfassung im Nationalstaat, VVDStRL 75 (2016), S. 7 (38 ff.). 165 www.venezuelaemb.or.kr. 166 P. Häberle, Zeit und Verfassungskultur, in: Die Zeit (Hrsg. H. Gumin/H. Meier) von 1983, S. 289 (324, Fn. 114a).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
God“ und der Huldigung an S. Bolivar sowie den Heroismus und die Opfer der Ureinwohner (!) wendet sich die Präambel der Etablierung einer demokratischen, partizipatorischen Demokratie zu. Beschworen wird eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft. Zum Staat heißt es: „that embodies the values of freedom, independence, peace, solidarity, the common good,..“. Einmal mehr ist also der Friedensgedanke mit anderen hohen Grundwerten kontextualisiert, ohne dass ihr Verhältnis untereinander geklärt wird – diese Aufgabe kann nur eine Verfassungstheorie zur Kultur des Friedens leisten (Stichwort: wechselseitige Bedingtheit, Frieden als Reserveprinzip, Potenzial für Reformaufgaben). Auch wird die „rule of law“ vorbildlich für die jetzigen und künftigen Generationen festgelegt. Schließlich soll die „friedliche Kooperation“ zwischen den Nationen gefördert werden: ein Stück kooperativer Verfassungsstaat und „Völkerrechtspolitik“. In diesem Geist ist auch Art. 1 formuliert, der bekannte Grundwerte linear in eine Reihe rückt: „values of freedom, equality, justice and international peace“. Gleiches gilt für Art. 3, in dem es als Staatsziel heißt: „the building of a just and peace loving society“ – ein fast poetischer Text. Erneut werden Gerechtigkeit und Frieden zusammengedacht, vermutlich stehen sie in einem wechselseitigen Bedingtheitsverhältnis. Das Adjektiv „friedliebend“ sollte durch den Gebrauch in überholten sozialistischen Verfassungen nicht auf Dauer desavouiert sein. In Art. 13 wird in Satz 1 und Satz 3 ausgeschlossen, dass das Staatsgebiet an fremde Staaten zu militärischen Zwecken überlassen wird. Apodiktisch heißt es in Satz 2: „The geographical space of Venezuala is an area of peace.“ Diese Aussage gibt Grund, die von G. Jellinek kanonisierte Lehre von den drei Staatselementen zu vertiefen bzw. zu ergänzen. Die territoriale Dimension des Staates bzw. das Staatsgebiet wird kulturgeprägt, insofern sie eine friedliche Zone sein soll. Damit erweist sich die Kultur als „viertes Staatselement“ (G. Dürig) bzw. als erstes. Die Verpflichtung auf den Frieden von einem Stück Natur (Gebiet) macht dieses zur Kultur! Das Prinzip Frieden gewinnt rechtliche Gestalt. Sichtbar wird ein Element in der Architektur des Friedens und seiner Sprache, auch die Aufgabe der Friedenswissenschaft als interdiszipliäres Projekt. Eine neue Textwendung findet sich auch in Art. 68 in Sachen Grundrechte. Hier wird einerseits das Recht auf friedliche und unbewaffnete Demonstration gewährleistet, man darf insoweit schon heute von einem gemeinlateinamerikanischen Grundrecht sprechen. Neu ist jedoch der Zusatz: „The use of firearms and toxic substances to control peaceful demonstrations is prohibited.“ Dieses Verbot von bestimmten Waffen als Begrenzung der Kompetenzen der Polizeikräfte ist ein schöpferischer Textfortschritt und wohl ein Unikat bei friedlichen Demonstrationen. Diese Fortschreibung sollte Schule machen. Ebenso kreativ ist Art. 132 in Sachen Grundpflichten: Everyone has a duty to fulfill his or her social responsibilities and participate together in the political, civic and communitiy life of the country, promoting and protecting human rights as the foundation of democratic coexistence and social peace.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Hier werden vorbildlich die „demokratische Koexistenz“ und der „soziale Frieden“ als Grundlage des Ganzen zusammen gedacht (Ziel des friedlichen Zusammenlebens, Frieden als erhoffter Zustand). Die Menschenrechte sind als „Grundlage“ des sozialen Friedens konzipiert, doch sei schon hier angemerkt, dass ihre Etablierung bereits Frieden voraussetzt. Artikel 1 Abs. 2 GG ist fruchtbar umgestaltet, die „Sprache des Friedens“ hat sich bereichert. Art. 155 in Sachen Internationale Beziehungen verlangt eine spezielle Friedensklausel: „a clause shall be inserted whereby the parties agree to resolve by peaceful means“. Auch diese Textvariante ist in Lateinamerika neu und für andere Kontinente vorbildlich. Bei den Kompetenzen der nationalen öffentlichen Gewalt verlangt Art. 156 Ziff. 2 als Staatsziel: Defense and supreme vigilance of the general interests of the Republic, public peace keeping and the proper enforcement of the laws throughout the national territory.
„Public peace keeping“ ist eine, aus dem Völkerrecht stammende neue Formulierung für das Staatsziel Frieden. Ein Element der Teilverfassung des Völkerrechts wird zum Text des nationalen Verfassungsrechts. Beide „Ebenen“ begegnen sich komplementär, wirken in Osmose. Die Einrichtung von Friedensgerichten in speziellen Gemeinschaften sei nur erwähnt (Art. 258), wohl eine Tradition der Eingeborenen-Kulturen. Wichtiger sind letzte Texte zu den Prinzipien der nationalen Sicherheit im Kontext großer Grundwerte. Art. 326 S. 1 lautet: National security is based on shared responsibility between the State and civil society to implement the principles of independence, democracy, equality, peace, freedom, justice, solidarity, promotion and conservation of the environment and affirmation of human rights,…
Man mag einwenden, dass die Verfassungswirklichkeit im heutigen bürgerkriegsbelasteten in einer tiefen Wirtschaftskrise befindlichen Venezuela diese Texte denunziert167. Dies mag so sein (erstaunlich ist immerhin die kostenlose Musik167
Monatelang kam es zu zunächst friedlichen Protesten, die dann eskalierten und viele Menschenleben forderten. Die Massendemonstrationen verlangten den Rücktritt von Staatspräsident Maduro sowie Neuwahlen. Es kam zu einer Gewaltspirale zwischen Polizeieinsätzen und Demonstranten: FAZ vom 28. 04. 2017, S. 1; siehe auch das Interview des Präsidenten der venezulanischen Nationalversammlung J. Borges: „Maduro steht mit dem Rücken zur Wand“, FAZ vom 26. 04. 2017, S. 6; eindrucksvoll der Pazifist F. Guevara mit seinem Aufruf: „Setzt den friedlichen Widerstand fort, verfallt niemals der Versuchung der Gewalt…, unser Kampf des zivilen Widerstands aber ist demokratisch und pazifistisch“, FAZ vom 21. 04. 2017, S. 8. Nach Maduro soll eine neue Verfassung das Land aus der Krise führen, doch möchte die Opposition jetzt erst recht demonstrieren: FAZ vom 03. 05. 2017, S. 6. Auch Ende Mai 2017 kam es zu neuen Ausschreitungen bei Protesten, vgl. FAZ vom 22. 05. 2017, S. 4: „Massaker am Volk“. Venezuelas Oberstes Gericht revidierte sein eigenes Urteil zur Entmachtung des Parlaments, FAZ vom 03. 04. 2017, S. 2. Jüngst kam es zu einem „symbolischen Referendum“ der Opposition gegen Maduros Verfassungsreform, dazu FAZ vom 18. 07. 2017, S. 3: „Blut und Panik“, „Die Gewalt ist längst zum Alltag geworden“. Das Land implodiert zur Diktatur.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
ausbildung für jedes Kind). Auf lange Sicht gesehen können sie jedoch normative Kraft entfalten und von anderen Ländern erfolgreicher rezipiert werden, auch in Sachen Umsetzung in die Wirklichkeit hier wie dort. Für die vergleichende Verfassungslehre als Wissenschaft bleiben solche Texte ein Geschenk. Die Erwähnung der aufgabenorientierten „Zivilgesellschaft“ ist bemerkenswert, ebenso der Umweltschutz. Ungeklärt bleibt, wie meist, das Verhältnis der Grundwerte untereinander, etwa das Verhältnis des Friedens zur Demokratie. Diese schafft Frieden, setzt aber auch einen solchen voraus. Man denke an die gelingende „halbdirekte Demokratie“ der Schweiz, in ihr haben Volksabstimmungen weithin eine oft bewiesene befriedende Wirkung. Auch Art. 332 Abs. 1 erfindet eine neue Textvariante in Sachen Grundrechte: „The National Executive, in accordance with law, to maintain, and restore public order; protect citizens, homes and families; support the decisions of the competent authorities and ensure the peaceful enjoyment of constitutional guarantees and rights.“
Das „friedliche Sicherfreuen“ an den verfassungsrechtlichen Garantien und Rechten ist sprachlich eine neue und geglückte Wendung. Einen Höhe- und Schlusspunkt bildet Art. 350, insofern er für den Unabhängigkeitskampf Frieden und Freiheit zusammenbindet. Er lautet: „The people of Venezuela, true to their republican tradition and their struggle for independence, peace, and freedom, shall disown any regime, legislation or authority that violates democratic values, principles and guarantees or encroaches upon human rights.“
Die Trias von erkämpfter nationaler Unabhängigkeit, Frieden und Freiheit ist einmal mehr als solche zum Text geronnen. Die Wissenschaft muss klären, wie Frieden und Freiheit zusammengehören (kein Frieden ohne Freiheit) – auch wenn Staatspräsident Maduro derzeit viele Prinzipien des Verfassungsstaates in Venezuela verletzt. Die Garantie der friedlichen Versammlungsfreiheit artet derzeit in Straßenkämpfen und polizeilichen Gewalteinsätzen aus (April 2017). Die Opposition bekämpft u. a. die Aufschiebung von Wahlen, die vorübergehende Entmachtung des Parlaments durch einen Machttransfer auf das oberste Gericht, was wieder zurückgenommen wurde und die desolate wirtschaftliche und soziale Situation. Es kommt in Straßenschlachten zu Toten und Verletzten. Präsident Maduro verteilt Waffen an seine Milizionäre und es droht ein Bürgerkrieg. Einmal mehr zeigt sich, was aus gewaltsamen Demonstrationen werden kann (Gewalt erzeugt Gegengewalt). Teile des Volkes „bemächtigen“ sich der Versammlungsfreiheit und sogar des Staates und seiner Organe, die ihrerseits rechtswidrig handeln. (21) Die Verfassung von Grenada (1974/1991/1992)168 enthält zwar in ihrer Präambel den Friedensgedanken nicht direkt, doch finden sich erstaunliche Kulturaussagen. Eingerahmt durch die doppelte Berufung auf das Volk von Grenada einerseits und die Vorherrschaft Gottes andererseits. Überdies findet sich der erstaunliche und beim Vergleich mit vielen anderen Verfassungen neuartige Satz: „and 168
www.constituteproject.org/constitution/Grenada_1992?lang=en.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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since moral conduct constitutes the noblest flowering of their culture and their plural heritage (…) their constitution should reflect the above mentioned principles and beliefs.“ (Verfassung als Spiegelbild der vielfältigen Kulturen). Damit ist zugleich die Friedfertigkeit umschrieben. Im Übrigen gibt Art. 38 dem Parlament die Kompetenz „to make laws for the peace, order and good government for Grenada.“ Einmal mehr ist die Aufgabe des Parlaments auf die bekannte Trias hin gedacht. Überdies zeigt sich, dass gerade sehr kleine Staaten größte Sorgfalt auf die Gestaltung ihrer kulturellen Identität schon in der Verfassung verwenden und diese hoch schätzen. (22) Der Verfassung der Republik Haiti (1987/2012)169 gelingt in der Präambel eine meisterhafte Verknüpfung zwischen der Demokratie und dem Pluralismus einerseits und dem politischen Machtwechsel andererseits. Auch wird als Staatsziel der „soziale Friede“ festgelegt. Art 31 lautet: Freedom of unarmed assembly and association for political, economic, social, cultural or any other peaceful purposes is guaranteed.
Dies ist eine eindrucksvolle Erweiterung („Fortschreibung“) der fast weltweit garantierten Versammlungsfreiheit unter dem Gebot des Friedens. Im Grundpflichtenkatalog des Art. 52 – 1, lit. k wird die Grundpflicht für den Frieden zu arbeiten, festgeschrieben. Dieser Text ist kaum justiziabel, indes kann eine Grundpflicht zum Frieden eine bürgerethische Dimension haben (auch als Erziehungsziel in den Schulen). In Art. 173 wird eine spezielle Friedensgerichtsbarkeit eingerichtet (siehe auch Art. 175, 178 – 1), wohl eine Referenz mit Verbeugung an die Ureinwohner. (23) Die Verfassung der Bahamas (1973/2002)170, in gewissen Kreisen heute aus anderen Gründen bekannt (Stichwort: steuersparende „Panama-Papers“), normiert in Art. 52 Abs. 1 die Aufgabe, dass das Parlament Gesetze für „Frieden, Ordnung und gute Regierungsführung“ macht. Diese Trias ist wohl eine Eigenheit angelsächsisch beeinflusster Verfassungen. In Europa findet sich soweit bekannt ein solcher Verfassungsauftrag für die Parlamente nicht, obwohl er von der wissenschaftlichen Staatszielelehre nahe läge171. (24) Die Verfassung von Peru172 (2009) spricht in ihrem Grundrechtskatalog in Art. 2 unter anderem von einem Recht (Ziff. 22) „to peace, tranquility, enjoyment of leisure time, and rest, as well as to a balance and appropriate environment for the development of his life“. Dieses Grundrecht auf Frieden ist kaum justiziabel. Man kann es aber als speziellen Friedensauftrag für den Staat deuten, also als Beitrag zum 169 www.constituteproject.org/constitution/Haiti_2012.pdf?lang=en. – Vgl. auch den Textanhang in JöR 42 (1994), S. 638 ff. 170 www.constituteproject.org/constitution/Bahamas_2002?lang=en. 171 Art. 24 Abs. 1 schreibt das Friedensgebot für Versammlungen und Vereinigungen sowie die Gründung politischer Parteien vor. – Aus der Lit.: P. Häberle, Verfassungsstaatliche Staatsaufgabenlehre, AöR 111 (1986), S. 595 ff. 172 www.confinder.richmond.edu.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Thema „Frieden als Staatsziel“. Art. 28 Ziff. 2 regelt das Streikrecht: Dem Staat wird zur Aufgabe gemacht, dass es demokratisch ausgeübt wird und dass es zu friedlichen Regelungen von Arbeitsstreitigkeiten kommt. Dieser Vorstoß ins Arbeitskampfrecht ist als Textstufe in Lateinamerika wohl neu. Ähnliches findet sich nur in der Schweiz. Art. 137 gibt dem Präsidenten im Ausnahmezustand bei Störungen des Friedens oder der heimischen Ordnung gewisse Kompetenzen. Art. 149 sieht Friedensgerichte vor (wohl für Ureinwohner). Bei den Übergangsbestimmungen verpflichtet sich Peru als Land in der südlichen Hemisphäre nahe der Antarktis dazu, diese als „Zone des Friedens“ zu bewahren. Diese Verbindung von Umweltrecht und Friedenskultur ist jetzt wohl zum Teil eingelöst durch die größte „Meeresschutzzone der Welt“ (in der Antarktis, Herbst 2016). In dem Text Perus findet sich auch das Wort „zum Wohl der ganzen Menschheit“. Hier begegnen wir zum Glück einem Beispiel dafür, dass kühne Texte von nationalen Verfasssungebern in Sachen Frieden in der Wirklichkeit durch politisches Handeln später auch tatsächlich eingelöst werden. Mit dem Meeresschutz wird ernst gemacht. Zusammenfassend zu Lateinamerika: Ohne Anspruch auf Vollständigkeit aller einschlägigen konstitutionellen Textzitate (man bräuchte die „Weltübersicht“ eines Goethe) darf Folgendes für Lateinamerika festgestellt werden: In den unterschiedlichsten Zusammenhängen und Konstellationen tauchen in vielen älteren und neueren Verfassungen Lateinamerikas Friedenstexte auf: teils in Präambeln, teils in Staats-und Erziehungszielen, teils in Gestalt der Absage an Kriege, teils in Zusammenhang mit der Vereinigungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit und einmal als Asylgrund; überdies als Prädikat für ein Staatselement bzw. das Staatsgebiet: Zone des Friedens. Diese reiche Ausbeute ist später im theoretischen Teil zu nutzen. Wie so oft ist kritisch anzumerken, dass der Begriff „Friede“ immer wieder ohne Klärung seines etwaigen Vorrangs linear in eine Reihe mit Grundwerten wie Solidarität, Kooperation, Demokratie und Menschenrechte gestellt wird. Nicht erkennbar ist, ob der Friede letztlich und erstlich Grundlage der ganzen Rechtsordnung ist oder ob nicht umgekehrt die Rechtsordnung Frieden schafft (Frieden durch Recht und Rechtsstaat bzw. soziale Gerechtigkeit). Vom Verfasser derzeit nicht zu klären ist die Frage, was das „Grundrecht auf Frieden“ oder die Friedenspflicht praktisch bedeuten, etwa im Polizei- und Verwaltungsrecht oder auch im Versammlungsrecht. Die facettenreiche Kultur des Friedens ist eine Grundlage für den Verfassungsstaat aus Kultur. Das Prinzip Frieden wird sichtbar: mit vielen Bausteinen in der verfassungsstaatlichen Architektur. Die „Sprache des Friedens“ ist reichhaltig. Die vielfältige „Sprache des Friedens“ ist jetzt erkennbar die Sprache des Verfassungsstaates, hoffentlich auch in der Wirklichkeit.
3. Afrika In Sachen „Verfassungsstaat“ ist Afrika ein junger Kontinent. Interessant wird sein, ob und wie Rezeptionsvorgänge in Sachen Frieden mit älteren Ländern,
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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weltweit in Raum und Zeit nachweisbar sind. Man ist erstaunt: Die postkolonialen Verfassungen in Afrika schaffen reiche Textbilder in Sachen Frieden, was angesichts ihrer besonderen Geschichte ein kostbares Gut für die Zukunft ist. Sie erfinden zum Teil neue Formeln, die später im theoretischen Teil dieser Studie fruchtbar gemacht werden können, zum Teil rezipiert oder umgeschrieben worden sind. Der wissenschaftliche Vergleich ist auch hier überaus ergiebig173. Im Einzelnen: (1) Die alte Verfassung der Elfenbeinküste (1960/1995) bekräftigt in ihrer Präambel den Willen des Volkes, „in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern, die sein Ideal der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit und der menschlichen Solidarität teilen, zusammenzuarbeiten“. Damit sind die Aspekte der Kultur des Friedens und zwar des inneren und äußeren vorbildlich zur Sprache gebracht; freilich bleibt es hier bei einer linearen Reihung von Grundwerten, deren Verhältnis untereinander nicht geklärt ist. Die Gerechtigkeit wird wie die Brüderlichkeit und die Solidarität als Ideal hochgehalten. Beide Prinzipien besitzen eine innere Nähe zum Prinzip des Friedens. Sie sollen die offene Gesellschaft friedlich machen. Frieden ist das Zielprinzip. Die neue Verfassung174 (2000) hat diese schönen Friedenstexte leider gestrichen. Sie nennt nur noch Grundwerte, zum Beispiel einer in Solidarität aufgebauten Nation (ein Stück Frieden steckt freilich im Begriff der „Solidarität“). Ein solcher verfassungsrechtlicher Textverlust in Bezug auf große Themen ist eher selten. Der Verfasser vermag die Hintergründe dieses „Kulturbruchs“ nicht zu ergründen. Gleichwohl behalten die alten guten Texte für die universale Verfassungslehre ihren rechtswissenschaftlichen Wert, wie immer die alte und neue Verfassungswirklichkeit der Elfenbeinküste aussah bzw. aussieht. Die jüngste Verfassung der Elfenbeinküste aus dem Jahre 2016175 mag zunächst irritieren, weil in rascher Folge aufeinander mehrere Verfassungen ergangen sind. Indes ist auffällig, dass der derzeitige Staatspräsident die jüngste Verfassung als „promise of peace“ charakterisiert176. In der Präambel heisst es dann auch: „Instruit des leçons de notre histoire politique et constitutionelle, désireux de bâtir une nation fraternelle, unie, solidaire, pacifique et prospère, et soucieux de préserver la stabilité politique.“ Entgegen dieser etwas vollmundigen präsidialen Ankündigung ist der Friedensgedanke in der Verfassung im Ganzen keineswegs prägender als in anderen Dokumenten. Art. 20 garantiert die friedliche Versammlungs- und Vereinigungs173 Die Wirklichkeit in Afrika ist zum Teil desaströs. Aus der Lit.: T. Burgis, Der Fluch des Reichtums. Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas, 2016; A.C. Berger, Bewaffnete Konflikte in Afrika, Eine kritische Analyse des völkerrechtlichen Gewaltverbotes, 2017. – Die folgenden Texte sind, soweit nichts anderes vermerkt, zit. nach H. Baumann/ M. Ebert (Hrsg.), Die Verfassung der frankophonen und lusophonen Staaten des subsaharischen Afrikas, 1997. 174 www.verfassungen.net/ci/index.htm. 175 www.Presidence.ci/acutalite/424/projet-de-constitution-qui-sera-soumis-a-referendumle-30-octobre-2016. 176 www.reuters.com/article/us-ivorycoast-politics-idUSKBN1332EC.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
freiheit. Jedoch findet sich ein großer Text ganz am Schluss, in Bezug auf die nationale Kammer der traditionellen Stammesführer (Art. 175) die Aufgabe: „de la promotion des idéaux de paix“. (2) Die Verfassung von Ghana (1992/1996)177 ist an mehreren Stellen ergiebig. Die Präambel beginnt mit dem berühmten „We the people of Ghana…“, das schon für sich genommen die Zusammengehörigkeit eines Volkes als Narrativ umschreibt. In derselben Präambel findet sich ein Beispiel für eine klassische Geistformel „IN A SPIRIT of friendship and peace with all peoples of the world…“. Art 37 verlangt staatliche Sportpolitik, um sowohl die nationale Integration als auch internationale Freundschaft zu fördern (Abs. 5) – eine neue Wendung. Art. 40 fordert bei internationalen Streitigkeiten die Anwendung friedlicher Mittel: eine Textrezeption aus dem Völkerrecht. (3) Die Verfassung der Republik Kamerun (1972/96)178 leistet in ihrer Präambel einen beachtlichen Beitrag zum Friedensthema, insofern von „friedlichen und brüderlichen Beziehungen“ mit den anderen Nationen der Welt die Rede ist. Einen ganz eigenen Weg geht sie, insofern sie das Thema Frieden in die Regelung der identitätsstiftenden Staatssymbole einrückt. Art. 1 Abs. 4 formuliert den Wahlspruch der Republik: „Frieden – Arbeit – Vaterland“. Im Siegel der Republik ist dieser nationale Wahlspruch wiederholt (Abs. 7), Gleiches gilt für das Wappen als ein Stück Kultur. Diese kulturbezogene Aufwertung des Friedens zum Bestandteil des Wahlspruchs bzw. des Siegels und Wappens kann gar nicht überschätzt werden. Er findet sich weltweit relativ selten und bezieht den Bürger von seiner emotionalen Seite ein. Der Kontext „Arbeit“ könnte an die Friedensarbeit erinnern. Erneut darf sich das kulturwissenschaftliche Verständnis von Verfassungen bestätigt fühlen (Friedenselemente als Kunst, Kunst als Sprache). (4) Die Verfassung der Republik Tansania (1977)179 nennt in Artikel 19 den Frieden in der Gesellschaft als einen Grund, mit dem einzelne Grundrechte in Einklang stehen müssen. Art. 20 schützt das friedliche Versammlungsrecht. Art. 30 zählt Verfassungsgüter wie die öffentliche Gesundheit und den „öffentlichen Frieden“ allgemein als Grenze der Menschenrechte und Freiheiten auf: ein neuer Aspekt, der in der Sache auch in anderen Ländern gelebt wird (ohne textliche Absicherung). (5) Die Verfassung der Republik Guinea-Bissau (1984/1993) lässt ebenfalls dem Friedensthema Raum, und dies in den unterschiedlichsten Kontexten, die vor allem bei den bisher analysierten Verfassungen in Afrika bekannt sind: Art. 4 Abs. 4 verbietet politische Parteien, die für die Erreichung ihrer Ziele gewaltsame Methoden 177 www.constituteproject.org/constitution/Ghana_1996?lang=en. In Ghana glückte 2017 ein geräuschloser Machtwechsel im präsidialen Amt nach Wahlen, vgl. FAZ vom 01. 03. 2017, S. 6. Aus der Judikatur des BVerfG zur Lebenswirklichkeit bzw. den allgemeinen politischen Verhältnissen in Ghana: E 94, 115, auch im Blick auf Art. 16 a GG ebd. S. 132 ff. Zur „Lebenswirklichkeit“ in der ehemaligen DDR: E 101, 54 (78). 178 Soweit nicht anders vermerkt, zit. nach H. Baumann/M. Ebert (Hrsg.), a.a.O. 179 www.confinder.richmond.edu.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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(und das sind unfriedliche Mittel) anzuwenden bereit sind. Art. 5 Abs. 1 leistet Vergangenheitsbewältigung insofern er „unauslöschliche“ Dankbarkeit gegenüber den Kämpfern formuliert, die sich für die „Wiedergewinnung der Würde und des Rechts unseres Volkes, der Freiheit, Fortschritts und Frieden“ aufgeopfert haben (Frieden nach Kampf ist freilich ambivalent). Art. 18 Abs. 1 formuliert ein Stück Friedenspolitik, wenn es die „friedliche Koexistenz“ zwischen den Staaten zur Aufgabe der Republik macht. Abs. 2 bekennt sich zur „friedlichen Lösung von internationalen Konflikten“ und zu Bemühungen, „Frieden und Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen den Staaten zu gewährleisten“. Dies ist Friedenspolitik par Excellence. Das Völkerrecht wird z. T. verfassungsstaatliches Innenrecht. Das Ziel „friedlicher Koexistenz“ bleibt ein Gewinn für die Wissenschaft und Praxis. (6) Die Verfassung der Republik Senegal (2001/2009)180, offenkundig dem französischen Kulturkreis verpflichtet, schafft eine reiche Präambel. Sie besticht schon durch die erste Textzeile „attaché à ses valeurs culturelles fondamentales qui constiuent le ciment de l’unité nationale..“. Schon dieser kulturwissenschaftliche Ansatz in Sachen Selbstverständnis ist bemerkenswert. Gleiches gilt für die Bekräftigung der Verbundenheit mit zahlreichen Menschenrechtserklärungen bis hin zur Konvention über die Rechte des Kindes (1989). Weitere Grundwerte sind die Transparenz und das Prinzip der guten Regierung. Erstaunlich ist dann die Textzeile „lutter pour la paix et la fraternité avec tous les peuples du monde“. So positiv das Ausgreifen in die ganze Welt ist, das Wort „Kampf für den Frieden“ bleibt ambivalent. Ein suggestiver Text gelingt aber in Art. 7 Abs. 3, er erinnert an das deutsche Grundgesetz (Art. 1 Abs. 2): Le peuple sénegalais reconnaît l’existence des droits de l’homme inviolables et inaliénables comme base de toute communauté humaine, de la paix et de la justice dans le monde.
Damit wird herausgearbeitet, dass die Menschenrechte Grundlage des Friedens und der Gerechtigkeit sind, so sehr sie auch Frieden voraussetzen. Art. 10 bereichert die Textwelt in Sachen Frieden durch die Garantie auch des „Friedensmarsches“ (marche pacifique), vorausgesetzt, er verletzt nicht die Rechte anderer, die öffentliche Ordnung und andere Verfassungsgüter. Die Verfassungswirklichkeit von Friedensmärschen hat offensichtlich diese neue Textstufe provoziert. Dies verdient Beifall. Verfassunstexte reagieren also auf eine neue Wirklichkeit (man denke auch an „Menschenketten“). (7) Die Verfassung von Sierra Leone in Westafrika (1991)181 zeichnet sich durch eine fast sensationell geschriebene Kontextargumentation aus. Art. 7 lautet: The State shall within the context of the ideals and objectives for which provisions are made in this Constitution – a harness all the natural resources of the nation to promote national prosperity and an efficient, dynamic and self-reliant economy; 180 181
www.constituteproject.org/constitution/Senegal_2009.pdf?lang=en. www.sierra-leone.org/laws/constitution1991.pdf.
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1. Teil: Bestandsaufnahme b manage and control the national economy in such a manner as to secure the maximum welfare and freedom of every citizen on the basis of social justice and equality of opportunity c…
Es folgen weitere Staats- bzw. Verfassungsziele in Sachen Frieden. Art. 10 schreibt als Ziele für die auswärtige Politik unter anderem die Beförderung der internationalen Kooperation und des internationalen Friedens vor. Art. 29 Abs. 2 gibt dem Präsidenten im Ausnahmezustand das Recht, den Frieden wiederherzustellen (siehe auch Abs. 4). Eine neue Textstufe findet sich in Art. 73 Abs. 3, insofern hier dem Parlament ganz allgemein die Aufgabe zugeteilt ist, „Frieden, Sicherheit, Ordnung und good government“ (gute Regierungsführung) in Sierra Leone durch entsprechende Gesetze herzustellen. Damit wird das Parlament direkt in den Dienst des Friedensauftrages gestellt – ein immer üblicher werdender Verfassungstext. Im Ganzen finden sich der Sache nach viele einzelne Elemente zur „Kultur des Friedens“, die freilich gelebt werden muss. (8) Die Verfassung der Republik Benin (1990) bekräftigt in ihrer Präambel als Staatsziel den Willen, „in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern zusammenzuarbeiten“. Art. 36 formuliert die Pflicht jeden Bürgers, „den Respekt, den Dialog und die gegenseitige Achtung im Interesse des Friedens und der nationalen Zusammengehörigkeit zu wahren, zu stärken und zu fördern“. Damit ist der Versuch unternommen, zu umschreiben, was die Bürger für die Kultur des inneren Friedens leisten sollen (Grundpflicht zum Frieden als neues Textelement – eine Überforderung?). Der Bürgerdialog wird zum Verfassungstext und Friedenselement. Fündig wird man auch bei den Inhalten des Eides, den der Präsident der Republik zu leisten hat. Art. 53 verlangt u. a., „alle unsere Anstrengungen auf die Sicherung und Förderung des Gemeinwohls, des Friedens und der nationalen Einheit zu richten“ – eine aus anderen Verfassungen bekannte Textzeile (der Eid hat konstitutive Inhalte). Damit ist das Gemeinwohl neben dem Frieden zum Staatsziel gemacht – beides gehört zusammen. Auf die Regelung des Art. 101 Abs. 1 zur Kriegserklärung und des Art. 145 zur Kompetenz für Friedensverträge sei verwiesen. (9) Das Grundgesetz der Republik Guinea (1990) zieht in seiner Präambel zahlreiche „Lehren aus seiner Vergangenheit“ und nennt u. a. den Willen, „Beziehungen der Freundschaft und der Kooperation mit allen Völkern der Welt herzustellen“. Damit wird schon textlich sichtbar, dass der Umbruch vom kolonialen Kriegszustand in den allgemeinen Friedenszustand weltweit bewusst gewollt ist. Art. 5 Abs. 2 eröffnet nach der Garantie der Menschenwürde in Abs. 1 wohl gemäß dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 2) den Grundrechtsteil in den Worten: Die nachfolgend genannten Rechte und Freiheiten sind unverletzlich, unveräußerlich und unverlierbar. Sie sind die Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft und garantieren den Frieden und die Gerechtigkeit auf der Welt.
Wie in Art. 1 Abs. 2 GG ist hier anspruchsvoll ein Stück von „nationalem Weltverfassungsrecht“ auf den Text gebracht. Der Friedensgedanke wird vom na-
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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tionalen Verfassungsrecht her zum universalen Thema. Dass gerade in Afrika diese aktive Textrezeption geglückt ist, verdient Beifall und große Aufmerksamkeit seitens der Wissenschaft, weltweit. Erneut zeigt sich, dass sich jede Eurozentrik verbietet und schon eine universale Lehr- und Lerngemeinschaft besteht – ein Stück „universaler Jurisprudenz“, gerade auch in Sachen Frieden. (10) Die Verfassung der Republik Mosambik (1990) beschreibt in ihrer Präambel einmal mehr den nationalen Befreiungskampf bzw. die überwundene Kolonialherrschaft (Verarbeitung der Geschichte mit Portugal). So ist es nicht überraschend, dass bei den Grundprinzipien in Art. 6 lit. h „die Herstellung und Entwicklung von Beziehungen der Freundschaft und Zusammenarbeit zu anderen Völkern und Staaten“ genannt sind. Art. 9 Abs. 3 ist wohl vor dem Hintergrund von religiösen Bürgerkriegen zu verstehen. Er formuliert (wohl nach europäischen Vorbildern in Baden-Württemberg (Art. 4 Abs. 2 Verf. von 1953) und Vorarlberg182 (Art. 1 Abs. 1 S. 2 Verf. von 1999), wobei das ewige „post“ oder „propter“ ungeklärt bleibt), eine beachtliche Klausel zum Wert von Religionen für den Staat in dem Satz (eine zufällige Wahlverwandschaft oder bewusste Anknüpfung): Der Staat schätzt das Wirken der religiösen Glaubensrichtungen, das auf ein Klima des Einvernehmens und der sozialen Toleranz und auf die Festigung der nationalen Einheit gerichtet ist.
Damit wird das Wirken von religiösen Gemeinschaften als Inspirationsquelle zum Beitrag für die „Kultur des Friedens“ (vor allem der Toleranz) vorbildlich gewürdigt. Eine solche kulturantropologische Textstufe könnte sich auch im europäischen Kontext formulieren lassen. Ähnliches gilt für das Gebot des Art. 32 Abs. 3. Danach müssen die politischen Parteien durch die politische und staatsbürgerliche Bildung der Bürger zum Frieden und zur Stabilität des Landes beitragen (s. auch Art. 33 zum Verbot, Gewalt zu propagieren). Mittelbar ist hier der Frieden als „Orientierungswert“ für die Bürger auf eine neue Textstufe gebracht. Die politischen Parteien sind gefordert. Ebenso vorbildlich in der Verfassung von Mosambik ist die Verpflichtung des Staates, dem eigenen Volk die kulturellen Errungenschaften anderer Völker zu erschließen (Art. 53 Abs. 2) – eine Wahlverwandschaft mit Bremen (Art. 26 Ziff. 4 Verf. von 1947) – sowie der Erziehungsauftrag zur gesellschaftlichen Achtung und Solidarität (Art. 56 Abs.3). All diese Textelemente dienen der Kultur des Friedens im eigenen Land sowie dem Brückenbau zu anderen Völkern. Die Frage nach den konkreten Rezeptionsmittlern kann leider nicht beantwortet werden (vielleicht Berater aus Portugal?). Nach Art. 64 Abs. 2 gewährt die Republik Ausländern Asyl, „die wegen ihres Kampfes für den Frieden, die Demokratie, die nationale und soziale Befreiung und 182
Aus der im Hinblick auf die universale Verfassungslehre parallel geführten Judikatur des deutschen BVerfG: E 66, 1 (20): „… die Überzeugung des Staates von der besonderen Wirksamkeit dieser Kirchen von ihrer gewichtigen Stellung in der Gesellschaft“; E 137, 273 (321): Unverzichtbarkeit des autonomen Bestands der Kirchen- und Religionsgemeinschaften für die Vielfalt in einer demokratischen Gesellschaft.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
die Verteidigung der Menschenrechte verfolgt werden“. Damit wird das Asylrecht in den Dienst des Kampfes für den Frieden gestellt, was freilich auch problematisch sein kann. Zugleich zeigt sich eine Verantwortung für den Frieden völkerrechtlich. Art. 65 ist ebenfalls sehr ergiebig: 1) Die Republik Mosambik verfolgt eine Politik des Friedens und wendet nur im Falle legitimer Verteidigung Gewalt an. 2) Die Republik Mosambik tritt dafür ein, Konflikte auf dem Verhandlungswege zu lösen. 3) Die Republik Mosambik tritt für das Prinzip der allgemeinen und vollständigen Abrüstung aller Staaten ein. 4) Die Republik Mosambik strebt die Umwandlung des Indischen Ozeans in eine atomwaffenfreie Zone des Friedens an.
Jeder Absatz dieses Artikels liefert wichtige friedensschaffende Stichworte: „Politik des Friedens“ als Staatsziel (Gewaltanwendung nur zur Verteidigung) ebenso wie die Lösung von Konflikten auf dem Verhandlungswege sowie die Utopie allgemeiner Abrüstung und einer atomwaffenfreien Zone des Friedens für den Indischen Ozean. An einer sehr versteckten Stelle, nämlich im Abschnitt über die Gerichte (Art. 161 Abs. 2) heißt es: Die Gerichte erziehen die Bürger zur freiwilligen und bewussten Einhaltung der Gesetze, die ein dem Recht gemäßes und harmonisches gesellschaftliches Zusammenleben fördern.
Damit ist der „innere Friede“ gemeint; indes ist fraglich, ob im Verfassungsstaat gerade die Gerichte eine solche Erziehungsaufgabe gegenüber dem Bürger haben sollen – allenfalls mittelbar, etwa durch Schlichtungen und Anregungen von Vergleichen zwischen den Parteien. Wesentlich bleibt die Erkenntnis der einer positiven Rechtsordnung insgesamt zu verdankenden Friedensgarantie („Frieden durch Recht“, etwa das Strafrecht, das Zivilrecht, aber auch das Arbeitsrecht und das Sozialrecht). (11) Die Verfassung der Seychellen (1993)183 bündelt schon in der Präambel die Grundwerte „Freiheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Frieden und Einheit“. Überdies ist in der Generationenperspektive die Wahrheit, die Gerechtigkeit, der Friede, die Stabilität und das Wachstum als Ziel genannt. Art. 23 garantiert wie fast alle Verfassungen das Recht auf friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Ein Unikat findet sich in Art. 26 Abs. 1: Every person has a right to property and for the purpose of this article this right includes the right to acquire, own peacefully enjoy and dispose of property either individually or in association with others.
Kaum je sonst ist die Eigentumsfreiheit so mit dem Gebot der Friedlichkeit verknüpft.
183
www.wipo.int/wipolex.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
97
(12) Die Verfassung der Komoren (2009)184 enthält zwar keinen Friedenstext, doch in Art. 1 bei der Defintion der Staatssymbole wird das Motto definiert. Es lautet: „Unity-Solidarity-Development“. Während auf dem afrikanischen Kontinent gelegentlich der Frieden als Motto festgeschrieben ist, wird auf den Komoren immerhin die Solidarität genannt. In dieser Studie läuft sie unter dem Stichwort friedensnaher Prinzipien bzw. „funktionaler Äquivalente“. Auch die Aufgabe der „Entwicklung“ darf im Grunde als Friedensdienst verstanden werden. (12) Die Verfassung von Namibia (1990/2010)185 ist in ihrer eindrucksvollen Präambel in Sachen Friedensgedanke sehr ergiebig. Wie dies für ein ehemaliges Kolonialland typisch ist, wird in der Präambel auch Bezug genommen auf den langen Kampf in der eigenen Geschichte. Nach einem Bekenntnis zur Verbundenheit mit den Nationen der Welt findet sich der prägnante Satz: (das Volk von Namibia) will strive to achieve national reconciliation and to foster peace, unity and a common loyalty to a single state;
Damit ist der innere und äußere Friede zum Staatsziel geworden. Danach heißt es, dass die Anerkennung der Würde und unveräußerlichen Rechte unentbehrlich ist für „Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“ – eine Wahlverwandtschaft mit dem deutschen GG. Überdies ist der Friede als Staatsziel normiert: („… achieve national reconciliation and to foster peace…“). Damit sind Menschenwürde und Frieden denkbar eng miteinander verknüpft. Die Wiederversöhnung betrifft den inneren Frieden. In Art. 21 Abs. 1 lit. d wird das Recht auf friedliche Versammlungen garantiert. Art. 63 Abs. 1 erfindet eine neue Textstufe in den Worten: The National Assembly, as the principal legislative authority in and over Namibia, shall have the power, subject to this Constitution, to make and repeal laws for the peace, order and good government of the country in the best interest of the people of Namibia.
Es kommt nicht mehr selten vor, dass eine Nationalversammlung in dieser Weise auf den Frieden hin verpflichtet wird. Es handelt sich wohl um einen angelsächsischen Gedanken. Eher traditionell bleibt Art. 96, insofern er die ausländischen Beziehungen auf Frieden und Sicherheit verpflichtet und für internationale Streitigkeiten friedliche Mittel verlangt: Völkerrecht „im“ nationalen Verfassungsrecht. Unter dem Begriff der politischen Aktivitäten (Art. 17 Abs. 1) findet sich der neuartige Satz: „All citizens shall have the right to participate in peaceful political activity intended to influence the composition and policies of the Government.“ Damit ist das Grundrecht auf friedliche politische, demokratische Teilhabe in einer sonst seltenen Weise normiert.
184
www.confinder.richmond.edu. www.constituteproject.org/constitution/Namibia_2010?lang=en. Vgl. auch den Textanhang in JöR 40 (1992), S. 691 ff. 185
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Die Trias von Aufgabe der Legislative hat manche Entsprechungen in anderen nationalen Verfassungen. Die Verpflichtung des Parlaments unter anderem auf den Frieden ist ein Merkposten für den Theorierahmen und die am Schluss dieser Studie vorgeschlagene Verfassungspolitik als Friedenspolitik186. (13) Die Verfassung von Botswana (1966/2005)187 gehört zu den relativ wenigen Verfassungen, in denen der Friedensgedanke gar nicht oder nur punktuell zu einem Text geronnen ist. Immerhin findet sich die bekannte Trias der Kompetenzziele der legislativen Gewalten: „…Parliament shall have power to make laws for the peace, order and good government of Botswana.“ (14) Das Grundgesetz der Republik Äquatorial-Guinea (1991)188 formuliert in Art. 1 Abs. 1 das Selbstverständnis dieses Staates in den Worten: Äquatorial-Guinea ist ein souveräner, unabhängiger, republikanischer, unitarer, sozialer und demokratischer Staat, in dem Einheit, Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit die höchsten Werte darstellen.
Wie so oft ist dem Verfassunggeber nur eine gleichrangige lineare Reihung der bekannten Grundwerte geglückt. Der Interpret muss das Verhältnis dieser höchsten Werte untereinander und im Einzelnen noch klären. Bemerkenswert ist, dass Art. 5 lit. f die Förderung der sozialen und kulturellen Entwicklung der Bürger verlangt, „damit sie die höchsten Werte des Staates verinnerlichen können“. Damit wird „Integration“ erwartet, was den jungen Bürgern als Erziehung zu teil wird, den Älteren als „Orientierungswert“. Dementsprechend verlangt die Verfassung in Art. 16 Abs. 1 vom Bürger sogar als Pflicht, zur „Erhaltung des Friedens und der nationalen Sicherheit beizutragen“ – dies geht vielleicht zu weit und ist wohl eine sozialethische Überforderung. Im gleichen Geist formuliert Art. 17 das Recht und die Pflicht jeden Bürgers, „friedfertig zu leben, die Rechte anderer zu respektieren und zu einer gerechten, brüderlichen und kooperativen Gesellschaft beizutragen“. Diese Steigerung des Friedensgedankens im Inneren zur Grundpflicht ist bemerkenswert. Das „friedfertige Leben“ jedes Bürgers ist eine neue textliche Wendung, um die Kultur des Friedens zu umschreiben; sie verdient Beifall, ebenso die neue Wendung von der kooperativen Gesellschaft. Die „Zusatzbestimmungen“ sehen die Immunität eines bestimmten Staatspräsidenten vor, der den Übergang vom diktatorischen zum neuen verfassungsmäßigen freiheitlichen Zustand geleistet hat und umschreibt diese Leistung u. a. in den Worten: Entwicklung in einer „Atmosphäre des Friedens, der Gerechtigkeit, der Einheit, der Ruhe, der Ordnung, der Harmonie, der Brüderlichkeit und der nationalen Aussöh186 Speziell Deutschland sieht sich wegen seiner kolonialen Vergangenheit in DeutschSüdwestafrika dem Vorwurf des Völkermordes ausgesetzt, dazu R. Kößler/H. Melber, Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Vergangenheitsbewältigung, 2017. Entschädigungsbemühungen von deutscher Seite aus könnten ein Stück Friedenspolitik sein. 187 www.constituteproject.org/constitution/Botswana_2005?lang=en. 188 www.constituteproject.org.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
99
nung“. Damit hat der Verfassunggeber versucht, die neue Kultur des Friedens auf dem Hintergrund der überwundenen Diktatur bzw. des Bürgerkrieges mit zum Teil neuen Wendungen zu umschreiben – eine bemerkenswerte Textleistung, auch in Sachen Aussöhnung. Fragwürdig ist indes die einzelfallbezogene bzw. einzelpersonbezogene Regelung. Die neue Verfassung von Äquatorial Guinea (1991/2012) ist in Artikel 4 Ziffer 4 im Rahmen der Grundprinzipien des Staates und im Kontext von Nationalsymbolen ergiebig. Als Motto der Republik wird festgelegt: „ Unity, Peace and Justice“ – eine prominente Verpflichtung auf den Frieden und die Gerechtigkeit, die alle angeht. Artikel 16 Absatz 1 verlangt von den Bürgern, einen Beitrag zur Bewahrung des Friedens zu leisten – einmal mehr taucht der Friede als persönliche Grundpflicht auf, eine solche ist jedoch kaum justiziabel. Artikel 17 statuiert sogar für alle Bürger das Recht und die Pflicht friedlich in der Republik zu leben, die Rechte anderer zu respektieren und zu einer brüderlichen Gesellschaft beizutragen. Damit ist die allgemeine Handlungsfreiheit auf den Frieden hin festgelegt – eine neue Textstufe, die die Kultur des Friedens und deren Sprache bereichert und justiziabel sein dürfte. (15) Die alte Verfassung der Republik Ruanda (1991/1996) zeigt sich in der Präambel von der Notwendigkeit überzeugt, „die nationale Einheit, den Frieden, die soziale Gerechtigkeit und die Achtung der menschlichen Persönlichkeit, die auf der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit aller Mitglieder der Menschengemeinschaft in Ruanda beruhen, zu gewährleisten“. Die Präambel bekennt sich auch zur Erhaltung der „friedlichen Koexistenz zwischen den Nationen“. In einem der Staatssymbole (Art. 3), nämlich im Siegel, ist von den „Sinnbildern“ die Rede, die „entsprechend den Frieden, die Arbeit und die Verteidigung der demokratischen Freiheiten darstellen“. Damit ist das Thema Frieden sogar im Siegel versinnbildlicht (Frieden als Thema der Kunst). Dieses Staatssymbol thematisiert den Frieden, was eher selten ist und besondere Würdigung verdient. Das Wort „Sinnbild“ sollte Schule machen. Es ist suggestiv und aussagekräftig, eine neue „Sprache des Friedens“. An den Völkermord in Ruanda und das seinerzeitige Versagen der UN sei freilich erinnert (1994). Die neue Verfassung von Ruanda (2003)189 erweist sich in Sachen Friedensgedanken als durchaus ergiebig. Dies beginnt schon in der reichhaltigen Präambel. Nachdem die kriegerische Vorgeschichte und der Völkermord aufgeführt sind, sagt Ziff. 5 der Präambel (eine Überwindung der leidvollen Vergangenheit): Conscious that peace and unity of Rwandans constitute the essential basis for national economic development and social progress.
189
www.wipo.int/wipolex/en/text.jsp?file_id=317549. – Vgl. auch den Textanhang in JöR 52 (2004), S. 644 ff. sowie den Aufsatz von H. Meyer, ebd. S. 611 ff. Aus der weiteren wissenschaftlichen Literatur: G. Hankel, Leben und Neuaufbau nach dem Völkermord. Wie Geschichte gemacht und zur offiziellen Wahrheit wird, 2016. Heute entwickeln sich autoritäre Strukturen mit einem „ewigen“ Präsidenten.
100
1. Teil: Bestandsaufnahme
Der Frieden wird hier als Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt verstanden, was eine wichtige Erkenntnis ist. An anderen Stellen der Präambel ist nachdrücklich von Toleranz und Dialog die Rede, also von friedensnahen Begriffen. Auch werden die wichtigsten internationalen bzw. völkerrechtlichen Texte von den Menschenrechten bis zur Afrikanischen Charta von 1981 und der UN-Kinderkonvention von 1989 integriert. Mit besonderem Nachdruck wird – neu – die Bekämpfung der Ideologie des Völkermordes als spezielles Staatsziel gefordert (Art. 9) – ein Brückenschlag zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshof von 1998. Diese Verbrechen sowie sonstige Kriegsverbrechen unterliegen keiner Verjährung (Art. 13) – eine weltweit häufiger werdende Textstufe. Auch der Vandalismus wird bestraft (Art. 32) – aktuell im deutschen Hamburg im Juli 2017. Die Freiheit zu friedlicher Versammlung ist garantiert (Art. 36). Etwas überraschend ist eine neue Grundpflicht, die die Bürger freilich wohl überfordert. Art. 47 lautet: All citizens have the duty to participate, through work, in the development of the country; to safeguard peace, democracy, social justice and equality and to participate in the defence of the motherland.
Der durchaus konstitutiv zu lesende Amtseid des Präsidenten (Art. 104) bezieht ausdrücklich und zu Recht die Pflicht ein, den Frieden und die territoriale Integrität zu bewahren, also ein Staatsziel. Art. 191 Abs. 1 verbietet ausländische Militärbasen auf dem eigenen Staatsgebiet, was als spezieller Friedensdienst zu deuten ist. Das Staatsgebiet wird durch Friedlichkeit geprägt. Die nationale Polizei wird auch zu internationalen friedenserhaltenden Missionen bereitgestellt (Art. 171 Abs. 1 Ziff. 7). Gleiches gilt für die Verteidigungskräfte (Art. 173). Beides macht das jeweilige Amt zur „Friedensstaatlichkeit“ (K.-P. Sommermann). Überdies ist das Völkerrecht in Bezug genommen. (16) Die Verfassung von Burkina Faso (1991/1997) verpflichtet sich in der Präambel gegenüber der Geschichte und der Menschheit u. a. zum Frieden, der internationalen Kooperation und friedlichen Regelung von Streitfragen zwischen den Staaten im Zeichen der Gerechtigkeit. Wie nicht selten, wird die Präambel ausdrücklich zum integrierenden Bestandteil der Verfassung erhoben. Die friedliche Regelung von Streitfragen wird zum Element der universalen Verfassungslehre: Diese Aufgabe kommt vom Völkerrecht her und ist dort „Völkerrechtskultur“, ein neuer Theorievorschlag des Verf. von 2013. (17) Das alte Verfassungsgesetz der Republik Angola (1992)190 verzichtet zwar auf eine Präambel, aber im Ersten Teil „Grundprinzipien“ ist das ausgesagt, was andere Verfassungen in der Weise und mit der Kraft der Präambel festlegen. Art. 1 lautet:
190 Diese und die folgenden Verfassungen sind (soweit nichts anderes vermerkt) zit. nach H. Baumann/M. Ebert (Hrsg.), Die Verfassungen der frankophonen und lusophonen Staaten des subsaharischen Afrikas, 1997.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
101
Die Republik Angola ist eine souveräne und unabhängige Nation, deren grundlegende Ziele der Aufbau einer freien und demokratischen Gesellschaft des Friedens, der Gerechtigkeit und des sozialen Fortschritts darstellt.
Damit ist der Friede, wie so oft, hochrangig in die Reihe der Staatsziele bzw. Grundwerte, Gerechtigkeit und des sozialen Fortschritts gerückt – er steht im Kontext der Arbeit für den Frieden. Art. 4 Abs. 4 lit. e. nimmt sich der Tätigkeit der politischen Parteien an. Er verlangt den „ausschließlichen Gebrauch von friedlichen Mitteln in der Verfolgung ihrer Ziele“. Diese Anreicherung eines nationalen Parteienartikels durch den Friedensgedanken ist bemerkenswert und kann auch in Europa fruchtbar gemacht werden. Textlich findet er sich bei uns kaum. Die Wissenschaft sollte sich durch diesen Text bereichern und ihn auch in Deutschland aufgreifen. Art. 15 und 16 bekennen sich grundwertehaft zu „Freundschaft und Zusammenarbeit mit allen Staaten bzw. mit allen demokratischen Kräften der Welt“ – ein Stück kooperativer Verfassungsstaat (1978) – sie sind friedensnahe Klauseln. Art. 18 Abs. 2 normiert am Anfang des Grundrechtsteils (im Kontext der Gleichheit) einen friedenspolitischen Auftrag für den Gesetzgeber mit den Worten: Das Gesetz bestraft streng jede Handlung, die darauf gerichtet ist, auf der Grundlage solcher Faktoren (z. B. den Ethnien der Ideologie, des Bildungsgrades) dem sozialen Frieden zu schaden oder Diskriminierungen und Privilegien zu schaffen.
Damit ist im Grundrechtsteil vorbildlich ein neuer Text für den „sozialen Frieden“ geschaffen. Neue Wege geht auch der Amtseid für den Präsidenten der Republik. Art. 62 Abs. 3 richtet seinen Schwur u. a. darauf, „den Frieden, die Demokratie und den sozialen Fortschritt zu fördern und zu festigen“. Das Verhältnis dieser Grundwerte untereinander bleibt auch hier ungeklärt. Art. 66 lit. p gibt dem Präsidenten u. a. die Kompetenz zum Abschluss von Friedensverträgen (s. auch Art. 88 lit. j). Die neue Verfassung der Republik Angola (2010)191 formuliert in Art. 1 ihr Selbstverständnis in den Worten: „Freie, gerechte, demokratische und solidarische Gesellschaft, die sich dem Frieden, der Gleichheit und dem sozialen Fortschritt verpflichtet“. Art. 11 trägt die Überschrift „Frieden und nationale Sicherheit“. Gleich mehrfach kommt der Friedensgedanke zum Ausdruck, am schönsten in dem Text: „Die Republik Angola ist eine zum Frieden und Fortschritt berufene Nation“ sowie in dem Satz: „Frieden baut auf der Herrschaft von Gesetz und Recht auf“. Dieser Satz ist später im theoretischen Teil aufzugreifen und auszuwerten: der Rechtsstaat ist eine Grundlage des Friedens, ebenso die Rechtsordnung ingesamt, sie schaffen Frieden, setzen aber auch einen solchen voraus („Grundlagendenken“). Art. 12 behandelt die internationalen Beziehungen und betont auch hier die friedliche Beilegung von Konflikten, die Zusammenarbeit mit allen Völkern, für Frieden, Gerechtigkeit und Fortschritt der Menschheit – eine selten so klar formulierte These mit universalem Anspruch. Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 lit. e verpflichtet die politischen Parteien auf friedliches Vorgehen – eine kreative Textstufe. Art. 21 definiert 191
www.confider.richmond.edu/admin/docs/Angola2010German.pdf.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
als wesentliche Aufgaben des Staates u. a. die Sicherung des Friedens und der nationalen Unabhängigkeit. Art. 47 garantiert die friedliche und unbewaffnete Demonstrationsfreiheit. Was Judikatur und Praxis in Deutschland zu Art. 8 GG entwickelt haben, ist hier Text. Diese öffentliche Freiheit erlaubt aber keine private Gewaltausübung192 ! Der Verfassunggeber ist gehalten, sein rechtsstaatlich diszipliniertes Gewaltmonopol bereit zu halten. Die Bürger müssen darauf vertrauen können. Die offene Gesellschaft muss gewaltfrei bleiben. In Deutschland wird diese Frage angesichts von Wahlkampfauftritten türkischer Regierungsmitglieder in Sachen des türkischen Verfassungsreferendums im Lande diskutiert (Frühjahr 2017)193. Art. 56 Abs. 1 Verf. Angola verknüpft die Grundrechte auf neue Weise mit der staatlichen Friedensaufgabe in den Worten: Der Staat erkennt die in der Verfassung verankerten Grundrechte und Grundfreiheiten als unverletzlich an; er schafft, nach den Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes, die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundlagen und sorgt für Frieden und Stabilität, um ihre Verwirklichung und ihren Schutz zu gewährleisten.
In wenigen anderen Verfassung ist der staatliche Friedensauftrag so eng mit der Garantie der Grundrechte und ihrer Verwirklichung verknüpft. Bemerkenswert ist auch der Hinweis auf die „kulturellen Grundlagen“, als Verweis auf den status culturalis zu lesen. Das Amt des Präsidenten der Republik Angola ist gleich in zwei Kontexten an die Friedensidee geknüpft: im Amtseid (Art. 115 lit. d: „den Frieden und die Demokratie zu festigen“ und bei den Zuständigkeiten, lit. m: „den Frieden zu schließen“). Freilich bleibt das Verhältnis von Frieden und Demokratie ungeklärt. Art. 197 institutionalisiert Friedensgerichte in den Worten (Abs. 1: Die „Lösung weniger schwerwiegender sozialer Konflikte durch „Friedensgerichte“ ist zulässig“). Friedensgerichte sind offenbar für leichtere Fälle etabliert: ein Erbe wohl aus der Eingeborenenkultur. Ein besonderer Textfund lässt sich in Anhang 3, der Nationalhymne, auffinden. Hier heißt es u. a. zweimal: „Stolz kämpfen für den Frieden“. Dieser Merkposten für die kulturelle Verfassungstheorie des Friedens sei schon hier hervorgehoben. Nationalhymnen bzw. ihre Art der Musik und ihr Text können eine Ausdrucksform der Friedensidee sein, der sich eine Verfassung emotional verschreibt. Verfassungen kann man nicht singen, wohl aber die zugehörige Nationalhymen (Text und Melo192
Vgl. auch J. Isensee, VVDStRL 41 (1983), S. 131 (Aussprache): „Das Verbot der privaten Gewalt ist die Grundlage des staatsbürgerlichen Zusammenlebens“. 193 Einschlägig ist § 47 Abs. 1 deutsches AufenthG (2005). Danach kann die politische Betätigung eines Ausländers beschränkt oder untersagt werden, soweit sie (1) die politische Willensbildung der Bundesrepublik oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppe im Bundegebiet beeinträchtigt oder gefährdet. Hierauf hat sich jüngst die Regierung des Saarlands berufen (www.faz.net/aktuell/po litik/inland/als-erstes-bundesland-saarland-verbietet-wahlkampfauftritte-auslaendischer-politi ker-14924263.html).
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
103
die), besonders dort, wo sie dieselben Inhalte wie Frieden und Freiheit auf ihren Text bringen. Der stolze „Kampf für den Frieden“ ist freilich eine ambivalente Formulierung. Die Friedenswissenschaften stehen hier vor großen Aufgaben. (18) Die Verfassung der Republik Burundi (1992) ist noch ergiebiger. Schon in der Präambel findet sich das „Bekenntnis zu Frieden und sozialer Gerechtigkeit“. Art. 1 Abs. 3 definiert als Grundwerte der Gesellschaft u. a. die „nationale Einheit, den sozialen Frieden und die soziale Gerechtigkeit“. In einem eigenen Teil zu den Grundpflichten werden die „gegenseitige Achtung und Toleranz“ gegenüber den Mitbürgern ebenso genannt (Art. 45), wie die „Pflicht zur Wahrung des Friedens, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit beizutragen“ (Art. 51) – damit ist der innere Frieden gemeint. Die „konstitutionelle Programmatik“ der Grundpflichten (H. Hofmann) wird also hier, wie auch sonst nicht selten in Afrika, um den Frieden bereichert. Im Parteienartikel (Art. 54 Abs. 2) wird von den politischen Parteien gesagt, sie nähmen „mit friedlichen Mitteln am politischen Leben teil“ – ein vorbildlicher Text. Art. 55 Abs. 2 verlangt von ihnen sogar u. a. die „Absage an Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit sowie die Anwendung von Gewalt in allen ihren Formen“. Die vergleichende Parteienrechtswissenschaft194 sollte diese Anreicherung des Textes aufgreifen. In Art. 68, der den Amtseid des Präsidenten der Republik umschreibt, findet sich wieder das Thema des „sozialen Friedens und der sozialen Gerechtigkeit“ (als spezielles Staatsziel bzw. Amtsauftrag). Erneut wird sichtbar, wie sich in afrikanischen Verfassungen das Friedensthema in neue Textensembles, etwa das Recht der politischen Parteien und den präsidialen Amtseid vorarbeitet und die „Sprache des Friedens“ erweitert, ja intensiviert. Mag man speziell dem Amtseid des Bundespräsidenten von der deutschen Staatsrechtswissenschaft her nur deklaratorische Bedeutung beimessen, die Aussagekraft des erwähnten Textbildes für die Kultur des Friedens in Burundi bleibt. Art. 81 Abs. 1 bezieht in die konstitutionelle Legaldefinition des „Hochverrats“ u. a. die nationale Einheit, den sozialen Frieden und die soziale Gerechtigkeit als Schutzgut ein. Diese Textstufe ist selten, der Friedensauftrag wird auf neue Weise ernst genommen. Die Verfassungswirklichkeit vor Ort verfehlt freilich oft die Texte: So hat der Staatspräsident in Burundi jüngst seine Amtszeit verfassungswidrig verlängert. Es kam zu Protesten. (19) Die (alte) Verfassung der Republik Kongo (1992)195 zeichnet sich durch eine überaus reichhaltige, vielleicht etwas zu lange Präambel aus. Zu den Schlussfolgerungen, die der Verfassunggeber aus dem überwundenen (Kolonial-)Zustand von Intoleranz, politischer Gewalt und Staatsstreich zieht, gehört u. a. der Wunsch, „mit allen Völkern, die die Ideale des Friedens, der Freiheit, der Gerechtigkeit etc. teilen, zusammenzuarbeiten“. Die Präambel beginnt sogar mit dem Bekenntnis zur Einheit, 194
Dazu etwa D. Tsatsos, Verfassung – Parteien – Europa: Abhandlungen aus den Jahren 1962 bis 1998, 1999; M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl., 2015, Art. 21; aus der Judikatur des BVerfGE 5, 85 (389): zum öffentlichen Auftreten, in Form und Stil der politischen Parteien, „kein Feldzug der Verleumdung und Verhöhnung dieser Werte“. 195 H. Baumann/M. Ebert (Hrsg.), a.a.O.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
der Gerechtigkeit, der Würde, der Freiheit und dem Frieden. Einmal mehr zeigt sich, wie durch das Bekenntnis zu bestimmten Grundwerten der vorverfassungsrechtliche Zustand von Gewalt und Krieg, Hass und Totalitarismus, Einparteiensystem und Vetternwirtschaft überwunden werden soll. Dies ist ein wichtiger Merkposten für die spätere verfassungstheoretische Auswertung der Texte im Blick auf die „Kultur des Friedens“ als Thema einer universalen Verfassungslehre. Auch in anderen Zusammenhängen ist die Verfassung des Kongo einfallsreich. Zwar wird in Art. 29 Abs. 1 das Recht, sich friedlich zusammenzufinden garantiert, doch verlangt Abs. 2, dass friedliche Zusammenkünfte und Manifestationen auf öffentlichen Plätzen genehmigt werden. Art. 51 bereichert das Asylrecht im Blick auf diejenigen ausländischen Staatsbürger, die u. a. wegen ihres Kampfes gegen Rassismus und Apartheid verfolgt werden. Damit sind die aus anderen Ländern bekannten Asylgründe vorbildlich angereichert. In Art. 64 ist die Pflicht von Jedermann normiert, „im Geiste der Toleranz, des Dialogs und der gegenseitigen Abstimmung“ zu handeln: ein guter sozialethischer Orientierungswert und ein Ausdruck von Kultur. Freilich kann sich der „Jedermann“ aber auch überfordert fühlen. Die Verfassung der Republik Kongo (2001, Brazzaville)196 bekennt sich schon in ihrer inhaltseichen Präambel prominent zur Friedensidee: Adhérons aux valeurs universelles de paix, de liberté, d’egalité, de justice, de tolérance, de probité et vaux vertus de dialogue, comme références cardinales de la nouvelle culture politique.
Der Friede ist hier als universeller Grundwert einer großen, schon klassischen Textreihe platziert – vermutlich aufgrund des Machtmissbrauchs und politischer Gewalt in der Vorgeschichte dieses Landes. Darum folgt auch die vorbildliche Integrierung fundamentaler Prinzipien aus dem internationalen Recht: von der Charta der UN (1945) bis zur Afrikanischen Charta der Rechte des Menschen und der Völker (1981). Der Friedensgedanke taucht dann im Katalog der Grundpflichten des Bürgers auf (Art. 45 Abs. 1). Er verpflichtet auch die politischen Parteien (Art. 51). Im Amtseid des Präsidenten (Art. 69) findet er sich wieder. Für das Amt des Verfassungsrichters werden Personen ausgeschlossen, die sich eines Kriegsverbrechens oder eines Völkermordes schuldig gemacht haben (Art. 145 Abs. 2). Diese Klausel ist ebenfalls vor dem Hintergrund der fürchterlichen Vergangenheit im Lande zu verstehen; sie ist als Neuerung Ernst zu nehmen und in sich konsequent. Überdies wirkt das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes von 1998. Die Verfassung der demokratischen Republik Kongo (2005, Kinshasa)197 wagt schon in der ersten Zeile den großen Satz: United by destiny and history around the noble ideas of liberty, fraternity, solidarity, justice, peace and work.
196 197
www.constituteproject.org. www.constituteproject.org
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Diese sprachliche Wendung ist neu („noble Ideen“), neu ist auch der Kontext der Friedensidee: die Arbeit. Noch in der Präambel wird das Motto formuliert: „Its motto is „Justice – Peace – Work“. Soweit ersichtlich, hat bislang keine Verfassung den Frieden so mit der Arbeit und Gerechtigkeit kontextualisiert. Für den Theorieabschnitt dieser Studie ist diese Wendung vorzumerken: der Frieden muss erarbeitet werden („Friedensarbeit“) – wie die Gerechtigkeit in der positiven Rechtsordnung. Die Aufnahme der Friedensidee in das Motto charakterisiert die Friedensstaatlichkeit auf neue Weise: von einem Element der Kultur her. Art. 25 garantiert die friedliche Versammlungsfreiheit, Art. 33 das Asylrecht, wobei unter den vielen Asylgründen z. B. das Handeln zugunsten der Demokratie und der Menschenrechte der Friede nicht aufgezählt ist. Umso überraschter nimmt man Art. 52 Abs. 1 zur Kenntnis: All Congolese have the right to peace and security on the national as well as on the international level.
Das Recht auf Frieden und Sicherheit wird sogar auf das internationale Feld erstreckt. Wie es hier wirken soll, ist indes eher utopisch, es ist kaum justiziabel. Im Amtseid des Präsidenten der Republik ist der Satz versteckt: „ … to devote all my strength of the promotion of the general good and of peace …“. Dieser gemeinwohlorientierte, vorbildliche Friedenstext sollte ernst genommen werden – wie schon in den bereits zitierten ähnlichen Texten. Wird er die Verfassungspraxis steuern?, zumal der aktuelle Präsident J. Kabila sich an seine Macht klammert und eine verfassungswidrige Amtsverlängerung durchsetzen wollte – gegen den friedlichen Widerstand von Bürgern seines Landes (Winter 2016/2017)198. In der Nationalhymne des Kongo199 „Steht auf Kongolesen“ (mit der Unabhängigkeit 1960 geschaffen, 1997 wieder eingeführt), deren Text sehr ausdrucksstark ist, ja emphatisch ist, heißt es (konkordant zu den konstitutionellen Friedensnormen): Da wir lange gekrümmt gingen Und nehmen wir endgültig Den besten Anlauf im Frieden. Durch die Arbeit bauen wir im Frieden Ein schöneres Land als zuvor.
Diese Nationalhymne bringt in diesem Vers die Idee des Friedens als langen Prozess und mühsame Arbeit zum Ausdruck. Überdies ist sie ein Beleg dafür, dass Nationalhymnen in den Versen und der Melodie oft konstant bleiben, mögen sich auch die Verfassungen im Laufe der Zeit ganz oder teilweise ändern: als emotionale Basis für
198
Die Wirklichkeit in Kongo-Kinshasa ist durch viel Gewalt gekennzeichnet. So „rebelliert die Landbevölkerung gegen den machtgierigen Präsidenten“: FAZ vom 18. 05. 2017, S. 7, sowie vom 02. 01. 2017, S. 8: „Einigung im Kongo über Machtwechsel“. 199 www.nationalanthems.info/cd.htm.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
das Gemeinwesen. Zu prüfen wäre, ob die Musik eher friedlich oder kriegerisch klingt. Auch das gehört zur „Kunst des Friedens“200. (20) Die Verfassung der IV. Republik Togo (1992) bekräftigt in der umfangreichen Präambel die Entschlossenheit „in Frieden, Freundschaft und Solidarität … mit allen Völkern der Welt, die sich zum Ideal der Demokratie bekennen, zusammenzuarbeiten“ – ein Stück Idealismus zum Völkerrecht hin, überdies ein Text zum „kooperativen Verfassungsstaat“, ein Theorievorschlag des Verf. von 1978. (21) Die Verfassung der Republik Mali (1992)201 bekennt sich in ihrer Präambel u. a. zur „Förderung des Friedens“, zur internationalen Kooperation, zur „friedlichen Streitbeilegung zwischen den Staaten“ – eine Reverenz vor dem Völkerrecht. Die friedliche Streitbeilegung als Thema nationaler Verfassungen ist ein Stück „nationales Völkerverfassungsrecht“. Sie ist ergänzt zu denken durch die einschlägigen Texte der Teilverfassungen des Völkerrechts, also etwa den oben behandelten einschlägigen Genfer, Haager und Wiener Konventionen sowie des Internationalen Seerechtsübereinkommen (1982) als „Verfassung der Meere“. (22) Die alte Verfassung von Madagaskar (1992/95) legt in ihrer Präambel u. a. „das Bekenntnis zum Frieden und zur Brüderlichkeit“ fest. Der Wahlspruch freilich richtet sich auf „Vaterland – Freiheit – Gerechtigkeit“ (Art. 4 Abs. 1), also nicht auch ausdrücklich auf den Frieden, dieser dürfte aber in den Begriffen Vaterland, Freiheit und Gerechtigkeit mitgedacht sein. Die neue Verfassung von Madagaskar (2010)202 nennt in der Präambel bei der reichhaltigen Aufzählung von Verfassungszielen unter anderem die Bewahrung des Friedens, die Praxis der Solidarität und die Verpflichtung auf eine ausgeglichene Entwicklung. Dem Premierminister obliegt es gemäß Art. 65 Ziff. 9 den Frieden und die Stabilität zu bewahren. Ziff. 10 ebenda erlaubt im Fall von politischen Unruhen und der Verkündung des Ausnahmezustandes den „sozialen Frieden“ mithilfe der Ordnungskräfte wiederherzustellen, nachdem Polizeikräfte, Sicherheitsbehörden und Verfassungsorgane Stellung bezogen haben. Offenbar will der Verfassunggeber einen möglichst friedlichen, weil rechtsstaatlichen Zustand nach Unruhen wiedergewinnen. Diese Prozedur findet sich weltweit so detailliert wohl nur in Madagaskar. (23) Die Verfassung von Mauritius203 (1968) nimmt sich des Themas Frieden in ihrem Grundrechtskatalog an (Art. 5) und figuriert dieses als Grenze persönlicher Freiheit: bei Verletzungen des Friedens (Abs. 1 lit. j sowie Abs. 3 lit. c), dieser Tatbestand ist etwas unbestimmt. Auch im Notstandsfall darf der Präsident in den 200 Vielleicht ist hierzu auch das neue Album „Peace Trail“ von N. Young zu rechnen; D. Senghaas, Wie den Frieden in Töne setzen?, in: APuZ 11/2005. 201 Mali gehört seit Februar 2017 zu den fünf Mitgliedstaaten der „G5 Sahel“, bestehend aus den Ländern Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad. Sie beschlossen eine gemeinsame Einsatztruppe für den Kampf gegen den Terrorismus, dazu FAZ vom 05. 07. 2017, S. 8. Heute zerfällt Mali im Bürgerkrieg. 202 www.constituteproject.org/constitution/Madagascar_2010. 203 www.confinder.richmond.edu.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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„Interessen des Friedens, der Ordnung und der guten Regierungsführung“ Maßnahmen ergreifen. Damit kehrt eine Trias wieder, die sich in anderen Verfassungen in einem anderen Kontext etwa als Staatsziele finden. Auch hier sind sie ein Staatsziel, wenn auch eher versteckt. Offener geht Art. 45 vor. Er umschreibt die Kompetenz des Parlaments, Gesetze für den „Frieden, die Ordnung und die gute Regierungsführung“ zu erlassen. Diese Textstufe findet sich auch in einigen anderen, vor allem britisch beeinflussten Verfassungen und sollte auch im „alten Europa“ ernst genommen werden. (24) Die Verfassung der Zentralafrikanischen Republik (1995) spricht in ihrer Präambel von den „Beziehungen der festen Freundschaft mit allen Völkern“ und bestätigt den Willen zur „friedlichen Streitbeilegung zwischen den Staaten“: eine Rezeption von völkerrechtlichen Prinzipien, fast ein „Abschreiben“. (25) Die Verfassung von Uganda (1995)204 erzählt in ihrer Präambel zunächst die Geschichte der Instabilität sowie den Kampf gegen die Tyrannei, die Unterdrückung und Ausbeutung – dieses Narrativ ist typisch für postkoloniale Verfassungen. Dann jedoch folgt die Textzeile: COMMITTED to building a better future by establishing a socio-economic and political order through a popular and durable national Constitution based on the principle of unity, peace, equality, democracy, freedom, social justice and progress.
Einmal mehr sind die Prinzipien von Einheit, Frieden, Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit bzw. Fortschritt ohne Bewertung ihres wechselseitigen Verhältnisses aneinander gereiht – man darf im Ganzen von einer Friedensverfassung sprechen, mit einer reichen Grammatik der „Sprache des Friedens“. Im Abschnitt III „Nationale Einheit und Stabilität“ ist an mehreren Stellen der Friedensgedanke zum Ausdruck gelangt. Auch in Abschnitt XXVIII zu den Zielen der auswärtigen Politik sind die friedliche Koexistenz und die friedliche Beilegung von Streitigkeiten genannt. Im Abschnitt über Freiheitsrechte wird das Versammlungs- und Demonstrationsrecht in friedlicher Weise gesichert; an anderer Stelle heißt es (Ziff. 38 Abs. 2): „Every Ugandan has a right to participate in peaceful activities to influence the policies of government through civic organisations“. Damit wird der Gedanke staatsbürgerlicher Partizipation bzw. demokratische Teilhabe auf einen neuartigen Text gebracht. Die Zivilgesellschaft kommt als Textstufe ins Bild. Sie ist charakterisiert durch ein friedliches Zusammenleben: es ist Zustand und Prozess, nicht zuletzt dank der positiven Rechtsordnung, die einen Krieg Einer gegen Alle verhindert. Das heutige Uganda ist zu rühmen, weil es viele Flüchtlinge aus dem Südsudan bis zur eigenen Kapazitätsgrenze ins Land aufnimmt (allgemein sei angemerkt, dass die Migrationsströme für jeden Verfassungsstaat zu Krisen führen können und ihre Bewältigung viel Friedenswillen verlangen).
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Es überrascht kaum mehr, dass auch die Nationalhymne205 : „Oh Uganda, Land of Beauty, 1962“ dem Friedensgedanken huldigt: „In peace and friendship, we’ll live“. Hymne und Verfassung sind inhaltlich konkordant, die alte Hymne bleibt eine Konstante (wie wir dies aus Deutschland kennen, wo ebenfalls die Nationalhymne viele Verfassungen überstanden hat, in der Melodie ganz, im Text als dritte Strophe). (26) Die Verfassung der IV. Republik Niger (1996) bringt schon in der Präambel den Willen zum Ausdruck, „in Freundschaft und Gleichheit mit allen Völkern zu kooperieren, die dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Freiheit ergeben sind“. Der Wahlspruch der Republik (Art. 1) freilich richtet sich auf „Brüderlichkeit – Arbeit – Fortschritt“, ebenso das Siegel. Der Begriff Friede findet sich hier nicht, ist aber in der „Brüderlichkeit“ für den inneren Frieden wohl mitgedacht. Eine neue Wendung wagt Art. 18 Abs. 4. Zunächst wird die Usurpation der nationalen Souveränität durch Staatsstreich als„unverjährbares Verbrechen“ gegen das Volk bezeichnet. Danach wird gesagt: „jede Person oder jeder Staat, die oder der solche Handlungen beginge, würde dem zentralafrikanischen Volk den Krieg erklären“. Damit ist die Kriegserklärung in einen neuen Kontext gerückt, gemeint ist ein innerer Krieg. Man erinnert sich an die erwähnte alte französische Tradition. (27) Die Verfassung der Republik von Äthiopien (1994)206 bekennt sich schon in ihrer Präambel zum Aufbau einer politischen Gemeinschaft, die auf die „Rule of Law“ gegründet ist und fähig ist, einen „dauernden Frieden“ zu garantieren. Zusätzlich ist der Friede „as a lasting legacy, the peace …“ charakterisiert, eine schöne Wendung – Frieden als Vermächtnis. Art. 26 Abs. 3 begrenzt das Recht auf Privatheit im Interesse der nationalen Sicherheit und – neu – des öffentlichen Friedens (ähnlich wie die Religionsfreiheit, Art. 27 Abs. 5). Art. 30 beschäftigt sich mit der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie dem Petitionsrecht. Auch hier wird eine friedliche Art und Weise des Grundrechtsgebrauchs verlangt. Art. 52 gibt der Polizei die Kompetenz, die öffentliche Ordnung und den Frieden innerhalb des Staates zu gewährleisten (Staatsziele). Bei den auswärtigen Beziehungen finden sich die üblichen fast universalen Texte (Art. 86, Ziff. 6: friedliche Lösung von internationalen Streitigkeiten). Im Notstandsfall wird dem Ministerrat alle Macht gegeben, Frieden und Souveränität des Landes zu schützen (Art. 93 Abs. 4). Eine solche Klausel ist weltweit eher selten. Die Verfassungswirklichkeit Äthiopiens ist heute leider autoritär geprägt. Das Land leidet unter großem Hunger und vielen Konflikten207.
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www.wikipedia.org/wiki/oh_uganda,_land_of_beauty. www.constituteproject.org. – Aus der Lit.: H. Scholler, Verfassunggebung in Afrika – dargestellt am Beispiel Äthiopiens, JöR 61 (2013), S. 797 ff. – Der Text der Verfassung von 1987 findet sich in JöR 36 (1988), S. 69 ff. 207 Aus der wissenschaftlichen Literatur der angesehene Äthiopier A.-W. Asserate; von ihm: Die neue Völkerwanderung. Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten, 2016. 206
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(28) Die Verf. der Republik Tschad (1996)208 spricht in ihrer Präambel von den „afrikanischen Werten der Solidarität und der Brüderlichkeit“ sowie von dem Willen, „in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern, die unsere Ideale … teilen … zu kooperieren“. Zuvor ist gesagt, dass die Krisen die Entschlossenheit des Volkes nicht gebrochen haben, „zur Schaffung einer Nation, zur Würde, zur Freiheit, zum Frieden und zur Prosperität zu gelangen“ – ein optimistischer Satz. Damit ist wohl der innere Friede gemeint. Adressat ist das Volk, das sich vor eine große Aufgabe gestellt sieht, vergegenwärtigt man sich die vielen Bürgerkriege hier und im Ganzen in Afrika. (29) Die ganze Dialektik zwischen einem Unabhängigkeitskrieg bzw. Bürgerkrieg und dem schließlich erreichten Friedenszustand kommt in dem Narrativ der Präambel der Verfassung von Eritrea (1997) zum Ausdruck. Zunächst ist von dem gemeinsamen heroischen Freiheitskampf die Rede; sodann wird eher rhetorisch von der Pflicht aller Bürger gesprochen, ein starkes Eritrea zu bauen auf der Basis von Freiheit, Einheit, Frieden und Stabilität (eine bekannte Grundwerte-Reihe). Auch ist von der „Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit“ sowie von Brüderlichkeit und menschlicher Würde die Rede. Im letzten Abschnitt der sehr dichten Präambel wird erneut auch für die künftigen Generationen Gerechtigkeit und Frieden sowie die Rule of Law beschworen. Die ungewöhnlich idealistische Verfassung spricht in Art. 2 Abs. 5 ausdrücklich von „constitutional culture“ – bekanntlich ist der Begriff „Verfassungskultur“ im deutschen Sprachraum 1982 vorgeschlagen worden. Im Kapitel über die nationalen Ziele wird die Aufgabe des Staates genannt, friedliche und stabile Bedingungen zu sichern (Art. 6 Abs. 3). Art. 13 schreibt die Ziele der Außenpolitik fest: „promoting the interest of regional and international peace, cooperation, stability and development“ – ein beachtlicher Text. Die Verfassung im Ganzen ist ungemein durchgebildet, was sich beispielsweise an einer grundrechtlichen Wesensgehaltsgarantie zeigt (Art. 26 Abs. 2 lit. b). Dass die Verfassungswirklichkeit heute zum autoritären Staat tendiert, sei leider angemerkt. Auch hier will der friedliche Machtwechsel im Präsidentenamt nicht gelingen. Die Bürger leiden. Die Not ist groß, die politische Verfolgung weitreichend. (30) Die Verfassung der Republik Südafrika (1996)209, bekanntlich weltweit im Ganzen und im Einzelnen als vorbildlich gepriesen und auch durch ihre kongeniale Verfassungswirklichkeit ausgezeichnet, nimmt sich des Themas Frieden an mehreren Textstellen an: erstaunlicherweise nicht in der vorbildlichen Präambel, vielmehr in anderen Kontexten, so in Art. 17: Recht auf friedliche Versammlung, so in Art. 37: Verkündung des Notstandes zum Zweck der Wiederherstellung von Frieden und Ordnung, so dasselbe bei Verhaftungen (ebd. Abs. 6). Die Prinzipien Kooperative Regierung und Intergouvermentale Beziehungen beginnen mit der Aussage (Art. 41 Abs. 1 lit. a: „preserve the peace, national unity and the indivisibility of the republic“). Die Verfassung gründet eine eigene Kommission für die Förderung und den Schutz kultureller, religiöser und sprachlicher Gemeinschaften. Als Aufgabe 208 209
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umschreibt Art. 185 (1) (a): „to promote respect for the rights of cultural, religious and linguistic communities, (b) to promote and develop peace …“ (Frieden als inneres Entwicklungsprogramm). Schließlich verdient Art. 198 Aufmerksamkeit. Die leitenden Prinzipien für den nationalen Sicherheitsdienst in der Republik lauten: (a) National security must reflect the resolve of South Africans, as individuals and as a nation, to live as equals, to live in peace and harmony, to be free from fear and want and to seek a better life. (b) The resolve to live in peace and harmony precludes any South African citizen from participating in armed conflict, nationally or internationally, except as provided for in terms of the Constitution or national legislation.
Der Friedensgedanke erobert hier neue Themenfelder. Es handelt sich um ein Sowohl-als-auch von Staatsziel, Erziehungsziel und Orientierungswert. Das an die eigenen Bürger gerichtete Verbot, an bewaffneten, auch internationalen Konflikten teilzunehmen, ist, soweit ersichtlich, neu. (31) Die Verfassung von Gambia (1997) platziert die Friedensidee hochrangig in der Präambel, dies in den Worten: As we usher in the Second Republic and beyond we give ourselves and generations of Gambians yet unborn this Constitution as a beacon of hope for peace and stability in our society and the good governance of the Gambia for all time.
Fast poetisch wirkt der Ausdruck „beacon“ (Leuchtfeuer). Eindrucksvoller und idealistischer kann ein konstitutioneller Friedenstext kaum formuliert werden. In diesem ausdrucksstarken Text ist die Verfassung als solche wohl erstmals in dem großen Generationenzusammenhang für alle Zeit und als Basis für die leitsternhafte Friedenshoffnung und gute Regierungsführung charakterisiert. Art. 219 lit. c bekennt sich zur schon üblichen friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten: eine Auswirkung völkerrechtlicher Normen auf das nationale Verfassungsrecht. Auch in Gambia wollte der aktuelle Staatspräsident keinen friedlichen demokratischen Machtwechsel. Erst im Februar 2017 gelangte ein neuer Staatspräsident ins Amt, nachdem der bisherige alte durch die westafrikanische Staatengemeinschaft zum Amtsverzicht auf seine Diktatur gezwungen wurde210. In der traditionellen Nationalhymne für das „homeland Gambia“ (1965) findet sich die Textzeile: „Freedom and peace each day“211. Diese Konkordanzen zwischen einigen Nationalhymnen (Text und Melodie) und Verfassungstexten in Sachen Frieden ist schon hier festzuhalten. Verfassungstheoretisch ist dies später zu be210 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 27. 02. 2017, S. 3: „Gambia ist klein, bettelarm und hat sich selbst aus der Diktatur befreit. Nun ruft das Land alle Flüchtlinge zurück. Über einen Neuanfang, der auch Europa Hoffnung macht“; Gambia ist Mitglied der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). Diese hat einen Gerichtshof, der jetzt auch für die Menschenrechte zuständig ist, dazu K. Bado, Der Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) als Verfassungsgericht, 2017. 211 Zu Nationalhymnen als kulturelle Identitätselementen des Verfassungsstaates meine gleichnamige Monographie, 2007, 2. Aufl., 2013.
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werten (Stichwort: emotionale Seite der Kultur des Friedens, Frieden als Thema der Kunst). (32) Die Verfassung der Kap Verden (1992/2010)212 ist reich an einschlägigen Friedenstexten und auch friedensnahen Prinzipien. In der Präambel ist von einem Klima der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit die Rede, welche die Grundlagen der ganzen ökonomischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen der Kap Verden sind. Dieser Text ist neuartig. Art. 1 Abs. 1 anerkennt die unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage für die gesamte menschliche Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit. Dies erinnert an Art. 1 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes. Art. 11 Abs. 1 spricht von Kooperation mit allen anderen Völkern und „friedlicher Koexistenz“. Abs. 3 bekennt sich zur Abrüstung und friedlichen Lösung von Konflikten. Immer wieder werden die Begriffe Frieden und Gerechtigkeit miteinander verknüpft. Die Wissenschaft wird zu erarbeiten haben, wie Frieden und Gerechtigkeit im Einzelnen zusammenhängen. In Ägypten findet man den Satz: Kein Frieden ohne Gerechtigkeit. Schon hier ist anzumerken, dass die Durchsetzung der Gerechtigkeit Frieden schafft und voraussetzt. Art. 7 lit. f spricht in der Aufzählung der Staatsaufgaben vom friedensnahen Begriff Zivilgesellschaft „ to encourage social solidarity, the autonomous organization of civil society, ..“ (ähnlich Art. 50 Abs. 2 lit. e). Damit ist auch der Zustand des öffentlichen Friedens in den Kap Verden gekennzeichnet. Er ist heute Realität. (33) Die Verfassung von Liberia (1986)213 spricht in ihrer Präambel von den Verfassungszielen der Einheit, Freiheit des Friedens, der Stabilität, der Gleichheit, der Gerechtigkeit, der Menschenrechte unter der „rule of law“. Wiederum findet sich die Friedensidee im Kontext anderer hoher Grundwerte. Die Präambel bekennt sich auch zum Leben in Harmonie und zur Verpflichtung die afrikanische Einheit, internationalen Frieden und die Kooperation zu befördern. Art. 14 gewährt u. a. die Religionsfreiheit, verlangt aber deren friedliche Ausübung. Gleiches gilt gemäß Art. 17 für die Versammlungsfreiheit, die Diskussion um das Gemeinwohl, die Petitionsfreiheit und die Mitarbeit in politischen Parteien, Gewerkschaften und anderen Organisationen. Die Friedfertigkeit als Gebot ist damit auf andere Freiheitsformen ausgedehnt. Art. 42 verschont Mitglieder von Senat oder Repräsentantenhaus vom Arrest, ausgenommen bei Hochverrat, Gewaltverbrechen oder Bruch des Friedens. (34) Die ältere Verfassung der demokratischen Republik São Tomé und Príncipe (1990) spricht in Art. 12 von der „Grundlage der Prinzipien des Völkerrechts und der friedlichen Koexistenz zur Wahrung des allgemeinen Friedens“ … und zum gesellschaftlichen Fortschritt der Menschheit“ (Art. 1 nennt sogar die „aktive Solidarität unter allen Menschen und Völkern“). Art. 33 garantiert den Bürgern das Recht, sich friedlich und ohne Waffen an der Öffentlichkeit zugänglichen Orten zu versammeln (Art. 33 Abs. 1). Damit reiht sich diese Verfassung in die erwähnte 212 213
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gemeineuropäische, ja universale Konzeption der Versammlungsfreiheit ein: als Frieden ohne jede private/gesellschaftliche Gewaltausübung. Die Verfassung der demokratischen Republik S. Tomé und Príncipe (2003)214, in portugiesischer Sprache verfasst, erwähnt in der ungemein inhaltsreichen Präambel merkwürdigerweise nicht die Friedensidee. Vielmehr werden vor allem die koloniale Vergangenheit und der frühere große Kampf aufgearbeitet. Das Bekenntnis zur Universalität der Menschenrechte bleibt freilich ebenso bemerkenswert wie die Kennzeichnung der Republik als gerechte und solidarische Gesellschaft (Art. 1). Fündig wird man in Art. 12 zu den internationalen Beziehungen. Hier ist prominent von friedlicher Koexistenz zwischen allen Staaten die Rede, auch von Freundschaft und Kooperation mit den Ländern der portugiesischen Sprache (Art. 12). Art. 34 garantiert das Recht auf friedliche Versammlung an öffentlichen Plätzen. Art. 80 autorisiert die Verteidigungskräfte zu Friedensoperationen auf ausländischem Gebiet unter bestimmten Bedingungen: eine wegweisende Norm, inspiriert wohl vom Völkerrecht bzw. den UN. (35) Die Verfassung von Kenia (2010)215 ist eine der gelungensten Textwerke der letzten Zeit. Dies gilt für die Präambel, die oft kulturwissenschaftlich angelegten allgemeinen Bestimmungen wie auch für den ausgezeichneten Grundrechtskatalog. Für jenes sei Art. 11 Abs. 1 zitiert: This Constitution recognises culture as the foundation of the nation and the cumulative civilization of the Kenyan people and nation. In ähnlichem Geist spricht Art. 59 Abs. 2 lit. a von einer „Kultur der Menschenrechte in der Republik“ als Aufgabe der Menschenrechtskommission. In der Präambel heißt es: „… determined to live in peace and unity as one indivisible sovereign nation“. Art. 37 garantiert die friedliche Versammlungsfreiheit. Ein besonderer Fund ist die im zweiten Anhang ausgewiesene Nationalhymne mit folgenden Textzeilen in Strophe 1: als neue „Sprache des Friedens“: Justice be our shield and defender May we dwell in unity Peace and liberty Plenty be found within our borders.
Hohe Ideale wie Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit werden in diesem Text (als Verfassungsanhang) beschworen. Die Konkordanz mit den juristischen Verfassungstexten ist evident. Einmal mehr wird die inhaltliche Verwandtschaft zwischen Präambeltexten einerseits und Staatssymbolen andererseits belegt. Sie ist auch sonst nachweisbar und prägt so manche Verse von Nationalhymnen in Verbindung mit rechtlichen Texten eines Verfassungsstaates: als Beleg für die Ergiebigkeit des
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www.camara.leg.br/saotomeeprincipe/constituicao/constitutio. www.confinder.richmond.edu. – Aus der Lit.: P. Häberle, Die neue Verfassung von Kenia (2010), JöR 61 (2013), S. 789 ff. Die aktuellen Wahlen sind umstritten. 215
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kulturwissenschaftlichen Ansatzes, jetzt auch auf die Friedenswissenschaften bezogen. (36) Die Verfassung der Republik Somaliland (2000)216, die von dem im Bürgerkrieg zerrütteten Somalia zu unterscheiden ist und international noch nicht anerkannt ist, verdient durchaus die Aufmerksamkeit des Rechtsvergleichers. In ihrer Präambel wagt sie den großen Satz: RECOGNISING that lasting stability and peace can be achieved through a synergy between the economic system and the aspirations of the nation..“
Überdies findet sich das Bekenntnis zur friedlichen Koexistenz mit den Staaten in der Region und weltweit. In Art. 7 zu den Staatssymbolen steht für die Nationalhymne die Aussage, dass diese die nationalen Hoffnungen und die „kooperative soziale Ordnung“ widerspiegeln soll. Letzteres ist ein funktionales Äquivalent für den inneren Frieden. Wie in einigen anderen Verfassungen greift das Prinzip Frieden auch auf ein Staatssymbol über. Art. 9 Abs. 1 enthält die Aussage, dass das politische System auf Frieden, Zusammenarbeit, Demokratie und Pluralität der politischen Parteien aufgebaut ist. Art. 10 Abs. 4 verlangt Dialog und friedliche Mittel bei Auseinandersetzungen in internationalen Beziehungen. Art 32 Abs. 2 garantiert die friedliche Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Art. 38 verpflichtet das Parlament auf Frieden und Sicherheit der Republik (Abs. 4 lit. a). Auch der Präsident wird in seinen Amtspflichten auf den Schutz des Friedens u. a. festgelegt. Gleiches gilt für die Aufgaben der Polizei (Art. 124 Abs. 1). Von Europa aus kann nicht erkannt werden, inwiefern dieser Kultur des Friedens die heutige Verfassungswirklichkeit entspricht. Doch vom wissenschaftlichen Optimismus her sei vermutet, dass diese Texte, einmal in der Welt und in der Region, eines Tages doch normative Kraft entfalten und nicht vergeblich sind; jedenfalls nicht für die universale Verfassungslehre als vergleichende Wissenschaft, die Alternativen speichert. (37) Die Verfassung von Simbabwe (2013)217 überrascht durch ihre außerordentliche Länge (345 Artikel und zahlreiche Anhänge). Dies mag man kritisieren. Perfektionismus in den Texten kann der Idee der Verfassung schaden. Auch muss kritisch darauf hingewiesen werden, dass sich die Verfassungswirklichkeit im Land zum autoritären Staat hin entwickelt hat (R. Mugabe ist seit 1987 Staatspräsident!, verletzt ist das demokratische Prinzip der „Macht auf Zeit“). Gleichwohl verdienen auch solche allzu gesprächige Verfassungen die Aufmerksamkeit des Rechtsvergleichers, denn mitunter können sie Ideen zu Texten gerinnen lassen, die neuartig und vorbildlich sind für spätere Dokumente, national und weltweit. Schon die Präambel formuliert sehr idealistisch und fast poetisch: Cherishing freedom, equality, peace, justice, tolerance, prosperity, and patriotism in search of new frontiers under a common destiny.
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Das Staatsziele-Kapitel formuliert die Verpflichtung auf nationale Einheit, Frieden und Stabilität (Art. 10). Die Außenpolitik soll sich vom Leitbild friedlicher Koexistenz mit anderen Nationen und der friedlichen Regelungen internationaler Streitigkeiten leiten lassen (Art. 12). Problematisch (und selten) ist die Möglichkeit zum Widerruf der Staatsbürgerschaft für Personen, die in einen Krieg mit Simbabwe verwickelt waren (Art. 39). Fast gemeinafrikanisch, ja universal ist die Garantie der Demonstrationsfreiheit und des Petitionsrechts: friedlich ausgeübt (Art. 59). Die Pflichten des Präsidenten werden auf die Förderung der Einheit des Friedens in der Nation festgelegt (Art. 90). Der Text zur nationalen Sicherheit formuliert ein hohes Ideal, das freilich in der heutigen Wirklichkeit oft verletzt wird (Art. 206, Ziff. 1): The national security objectives of Zimbabwe must reflect the resolve of Zimbabweans to live as equals in liberty, peace, and harmony, free from fear, and in prosperity.
Erstaunlich ist die Schaffung einer „Reconciliation Commission“ (Art. 232 – 253). Hier ist von Wahrheit, Dialog und Wiederversöhnung die Rede. Wie dieser Idealismus in der Wirklichkeit von heute aussieht, kann beim bloßen Textvergleich nicht beurteilt werden; doch erinnert diese Kommission an die von Südafrika geprägten und oft, z. B. in Tunesien nachgeahmten Wahrheitskommissionen218. (38) Die Verfassung des Königsreichs Swasiland (2005)219 formuliert schon in ihrer Präambel große Ziele wie die offene und demokratische Gesellschaft und die soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklung der Nation. Gegen Ende findet sich der Satz, der viele bekannte Prinzipien verbindet und sie von der Verfassung erwartet. Whereas a Nation we desire to march forward progressively under our own constitution guaranteeing peace, order and good government, and the happiness and welfare of ALL our people..
Wie in einer Reihe anderer Verfassungen steht das Prinzip Frieden in Kontext mit der „guten Regierung“. Ein Solitär findet sich in Art. 3 zu den Staatssymbolen Hymne, Flagge und Sprachen. Abs. 1 schreibt eine flexible Regelung vor: The National Anthem and Flag of Swaziland shall be the Anthem or Flag lawfully in use at the time of commencement of this Constitution or such other Anthem or Flag as may from time to time be prescribed.
Damit erweisen sich Hymnen und Flaggen einerseits als Konstante, andererseits ist – neu – an die Möglichkeit von Varianten in der Zukunft gedacht. Diese Erneuerungsbereitschaft in Bezug auf Staatsymbole, wohl eine eigene Erfindung vor Ort, verdient zunächst Beifall, sie darf jedoch wegen deren grundierenden Funktion der Staatssymbole nicht die kulturelle Stabilität gefährden. Die übrigen Friedenstexte sind eher konventionell, wie etwa die Garantie friedlicher Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 lit. b sowie Art. 25 Abs. 1 und 218 Dazu P. Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, 1995; ders., Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat – eine Zwischenbilanz, FS für A. Hollerbach, 2001, S. 15 ff. 219 www.confinder.richmond.edu.
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2). Kulturwissenschaftlich inspiriert und neuartig ist jedoch die Festlegung der Staatsziele in Art. 58 Abs. 6: The State shall promote, among the people of Swaziland, the culture of political tolerance and all organs of State and people of Swaziland shall work towards the promotion of national unity, peace and stability.
„Kultur der politischen Toleranz“ ist eine innovative Wendung. Auch die internationalen Beziehungen sind unter das Gebot des Friedens gestellt (Art. 61 und 236 Abs. 1 lit. c). Ein echter „Fund“ ist Art. 106 lit. b: the King and Parliament may make laws for the peace, order and good government of Swaziland.
Die „gute Regierungsführung“ figuriert immer häufiger neben dem Frieden unter den Zielen der Parlamente: wie in vielen neuen Verfassungen, analog den Bemühungen der Wissenschaft. (39) Die Verfassung von Malawi220 (1994) sagt in ihrem „schedule“ (d. h. wohl Präambel) das Volk von Malawi verpflichte sich auf die Suche nach nationaler Harmonie (eine auch sonst vereinzelt zu findende Umschreibung des Friedens) und friedlichen internationalen Beziehungen. Eine neue Textstufe findet sich im Gundrechtskatalog, Art. 12 Abs. 5: As all persons have equal status before the law, the only justifiable limitations to lawful rights are those necessary to ensure peaceful human interaction in an open and democratic society.
Hier wird der Klassikertext von Popper zu einem nationalen Verfassungstext mit kreativen Wendungen geformt („peaceful human interaction“ – ein Hinweis auf die Theorie des kommunikativen Handelns von J. Habermas? ). Nur der Vollständigkeit halber sei auf die Garantie des friedlichen Versammlungsrechts (Art. 38) und der Notstandsfall mit Freiheitseinschränkungen, um „Frieden und Ordnung“ wiederherzustellen, erwähnt (Art. 45 Abs. 6 lit. i und ii). (40) Die sehr neue Verfassung der Republik Südsudan (2011)221, deren Land derzeit im Bürgerkrieg, in Hunger, Not und Flüchtlingselend versinkt, verdient gleichwohl die Aufmerksamkeit der Wissenschaft, gelingen ihr doch einige bemerkenswerte Texte. Die Präambel bezieht sich auf das friedliche Referendum zum Friedensübereinkommen von 2005 – es ging um die Loslösung vom Sudan. Die Rede ist von einer „Gesellschaft durch Dialog“ und von einem Prozess der Heilung, von der rule of law und von der menschlichen Würde. Artikel 1 Absatz 4 verlangt von der multiethnischen und multireligiösen Gemeinschaft, dass sie ihre Unterschiede in friedlicher Koexistenz lebt. Artikel 25 Absatz 1 garantiert die friedliche Versamm220
www.africa.uponn.edu/govern_political/mlwi_const.html; aus der wiss. Lit.: Chr. JonesPauly, Die malawische Verfassung, JöR 47 (1999), S. 543 ff.; vgl. auch den Textanhang in JöR 47 (1999), S. 563 ff. 221 www.confinder.richmond.edu.
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lungsfreiheit, Artikel 36 nimmt Bezug auf den Prozess der nationalen Wiederversöhnung und der friedlichen Koexistenz des Volkes im Südsudan. Absatz 2 lit.c ebenda sagt zu den Zielen der Regierung: „ inculcate in the people a culture of peace, unity, cooperation, understanding, tolerance and respect for customs, traditions and beliefs of each other;“
Damit ist auch in Afrika prominent die „Kultur des Friedens“ als Textstufe bzw. Orientierungswert präsent, vermutlich aus fremden europäischen oder lateinamerikanischen Quellen übernommen, auch die Toleranz ist als Idee genannt. In gleichem Geist ist Artikel 43 verfasst, insofern er sich als Staatsziel auf die Herstellung universalen Friedens für die auswärtige Politik festlegt, sich zur friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten bekennt und gute Nachbarschaft mit allen zum Ziel macht. Auch institutionell macht die Verfassung mit der Friedensidee ernst: Artikel 149 gründet eine eigene Kommission für Entwaffnung und „Reintegration“. Dies ist eine neuartige Regelung, die freilich ihre Bewährungsprobe noch vor sich haben dürfte. Die Friedensidee erweist sich in dem neu gegründeten Staat Südsudan als besonders wichtig. Die Wirklichkeit sieht freilich sehr anders, ja erschreckend aus. Die „Sprache des Friedens“ erreicht das Land in der Realität noch nicht. (41) Ein Blick auf die Verfassung der Republik Jemen (1991/2001)222 ist – als Überleitung zu den arabischen Ländern – durchaus ergiebig, auch wenn man sich vor Augen halten muss, dass das Land seit längerem im Bürgerkrieg und in Stellvertreterkriegen versinkt. Dem Verfassunggeber ist eine Wendung geglückt, die die universale Verfassungslehre bereichert. In Artikel 5 heißt es: The political system of the Republic of Yemen is based on political and partisan pluralism in order to achieve a peaceful transformation of power.
Das Stichwort vom „friedlichen Machtwechsel“ kehrt auch im Kontext der Aufgaben des Präsidenten der Republik wieder (Artikel 110). Damit ist ein wichtiges Stichwort für pluralistische Demokratien geglückt. Der friedliche Machtwechsel ist eine Errungenschaft des Typus Verfassungsstaat. Er ist immer wieder gefährdet, z. B. auch dadurch, dass die Staatspräsidenten rechtswidrig eine zweite oder dritte Wiederwahl durchsetzen wollen (z. B. in Burundi) oder eine neue Wahl blockieren. In westlichen Demokratien gehört der friedliche Machtwechsel zu den Selbstverständlichkeiten des Verfassungsstaates. Er ist jedoch nur indirekt in der Verfassung vorgezeichnet („Macht auf Zeit“). Im Ganzen: Die bisher behandelten nationalen Verfassungen aus Afrika sind in Sachen Frieden in ihren Texten und Kontexten überaus einfallsreich. Wie in einem wissenschaftlichen Schatzhaus versammeln sie vorbildliche Wortprägungen, Motivationsbausteine zum Frieden, die für den weltweiten Vergleich überaus aufschlussreich sind. Die „Kultur des Friedens“ (nach Maßgabe der Verfassung von 222 www.confinder.richmond.edu. – Die Verfassungswirklichkeit ist desaströs: der Jemen schlittert im Würgegriff des Krieges in eine humanitäre Katastrophe: FAZ vom 27. 04. 2017, S. 10.
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Slowenien und des Südsudans sowie des Regionalstatuts von Umbrien und einige lateinamerikanische Verfassungen) kann aus den hier dargestellten Textstufen reichen Gewinn ziehen. Mag auch die Verfassungswirklichkeit in vielen afrikanischen Staaten enttäuschend und defizitär sein: die Texte, einmal in der Welt, sollten ernst genommen werden. Als Verfassungen haben sie eine spezifische Dignität. Man denke nur an die Thematisierung des Friedens in Wahlsprüchen, Amtseiden und manchen Staatssymbolen, aber auch an das Bekenntnis zur friedlichen Streitbeilegung (Friedensvorsorge) und zur „friedlichen Koexistenz“ mit anderen Völkern sowie an die unter das Gebot des Friedens gestellten Grundrechte wie die Versammlungs-, Vereinigungs- und Demonstrationsfreiheit, auch Petitionsfreiheit, sogar die allgemeine Handlungsfreiheit. Europäischer Hochmut ist nicht angezeigt. Afrika hat in manchem eine eigene „Sprache des Friedens“ entwickelt. Dies darf als Ermutigung für die Friedenswissenschaften verstanden werden. Jetzt ein Blick auf die Verfassungen der Mitgliedsländer der Liga der Arabischen Staaten223 sowie islamische Verfassungen:
4. Arabische bzw. islamische Länder Bei diesen Texten ist große Kontextsensibilität gefordert, denn der Islam prägt inhaltlich alle Verfassungstexte. Der Textvergleich stößt hier an seine Grenzen, diese müssen offengelegt werden. Letztlich kann nur die Wissenschaft vor Ort den Inhalt der Texte erarbeiten. (1) Die alte Verfassung von Tunesien (1959/1988)224 spricht in ihrer Präambel vom „gemeinsamen Erbe der Völker“, die für den Frieden, den Fortschritt und die freie Zusammenarbeit der Nationen eintreten. Diese Aneinanderreihung kommt häufig vor, ist aussagekräftig und geglückt. Freilich bleibt offen, wie das Verhältnis von Frieden, Fortschritt und freier Zusammenarbeit untereinander ist. „Fortschritt“ gibt es m. E. nur auf friedlicher Basis, zugleich will und soll der Fortschritt aber auch Frieden schaffen, vor allem durch ständige Reformen. Die neue Verfassung von Tunesien (2014)225 nimmt die Friedensidee sehr ernst. Wie bekannt, ist Tunesien das einzige Land, das aus dem arabischen Frühling als friedlicher Verfassungsstaat hervorgegangen ist (sogar mit einer funktionierenden Wahrheitskommission). Schon in der Präambel finden sich Bekenntnisse zur Kooperation mit allen Völkern der Welt und zur Menschheit bzw. den Werten der Brüderlichkeit, Solidarität und sozialen Gerechtigkeit. Am Ende der Präambel steht 223 Diese Texte sind, soweit nicht anders vermerkt, zit. nach H. Baumann/M. Ebert (Hrsg.), Die Verfassungen der Mitgliedsländer der Liga der Arabischen Staaten (1995). 224 Vgl. auch den Textanhang in JöR 39 (1991), S. 608 ff. 225 www.confinder.richmond.edu.; zur neuen Verfassung der Republik Tunesien mein gleichnamiger Beitrag in: FS Fausto de Quadros, Band 2, 2016, S. 653 ff., auch in: P. Häberle, Vergleichende Verfassungstheorie und Verfassungspraxis, 2016, S. 161 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
das Bekenntnis zum Weltfrieden und zur menschlichen Solidarität: zwei Seiten desselben Gedankens. Artikel 37 garantiert das friedliche Demonstrationsrecht. Artikel 42 nennt beim Recht auf Kultur unter anderem die Grundwerte der Toleranz, des Verzichts auf Gewalt, die Offenheit für unterschiedliche Kulturen und den Dialog zwischen den Zivilisationen. Bei all dem handelt es sich um friedensnahe Grundwerte. Darin kommt mittelbar zum Ausdruck, dass die „funktionalen Äquivalente“ des Friedens zum Kontext der Kultur gehören. Der allgemeine Verzicht auf Gewalt ist ein eigenes Mosaik in der Architektur des Friedens. (2) Die alte Verfassung von Marokko (1972/92)226 formuliert in der Präambel (Abs. 4) die Entschlossenheit des Königsreiches, „für die Erhaltung des Friedens und die Sicherheit in der Welt einzutreten“. Die neue Verfassung von Marokko (2011)227 beschließt ihre Präambel mit dem Satz: „Das Königreich Marokko bekräftigt ebenso seine Entschlossenheit, sich für den Frieden und die Sicherheit der Welt einzusetzen.“ Der Friede figuriert so als ein Staatsziel im Kontext mit der Sicherheit der Welt, welche Formel sich in Völkerrechtstexten findet. „Sicherheit“ dient dem Frieden als Instrument, dieser geht aber darin nicht auf; man denke an die Gerechtigkeit. (3) Die Verfassung von Kuwait (1962/80) stellt den Herrscher schon in der Präambel in den „Dienst des Weltfriedens und der menschlichen Zivilisation“. Der kulturelle Kontext verdient Beifall, Gleiches gilt für die völkerrechtlichen Prinzipien des Weltfriedens und der menschlichen Zivilisation im nationalen Verfassungsrecht. (4) Das provisorische Grundgesetz Quatars (1970/75)228 spricht in Art. 5 lit. e von den freundschaftlichen Banden mit allen friedliebenden Staaten und Völkern. Lit. e nennt ebenfalls den Frieden als Bekenntnisziel. Die neue Verfassung von 2004229 behandelt das Friedensthema ausführlich und konzentriert in den Worten des Art. 7: The foreign policy of the State is based on the principle of strengthening international peace and security by means of encouraging peaceful resolution of international disputes; and shall support the right of peoples to self-determination; and shall not interfere in the domestic affairs of states; and shall cooperate with peace-loving nations.
Diese Wendungen sind eine geglückte Fortschreibung alter Texte. „Friedliebend“ ist m. E. durch die abundante Verwendung in sozialistischen Systemen nicht desavouiert. (5) Die islamische Verfassung des Iran (1979/94/95)230 regelt in ihrem Kapitel I „Allgemeine Bestimmungen“ die grundlegenden Prinzipien und spricht in Art. 2 Abs. 6 lit. a von der Basis des Koran und der Sunna „upon all of whom be peace“. In Art. 17 wird zum Propheten des Islam gesagt, „God’s peace and blessings upon him and his Familiy“. Dieser Friedenswunsch in islamischen Verfassungen sollte ernst 226 227 228 229 230
Vgl. auch den Textanhang in JöR 38 (1990), S. 505 ff. www.marokko.com/index.php?view=article. Zit. nach H. Baumann/ M. Ebert (Hrsg.), a.a.O. www.confinder.richmond.edu. www.confinder.richmond.edu.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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genommen werden. Auch in Art. 121 wird in den Eid des Präsidenten die Formel „peace upon them“ eingefügt. Man erinnere sich, dass in manchen anderen weltlichen Verfassungen die Friedensidee ebenfalls in Eidestexten vorkommt. Art. 146, auch in der heutigen Außenpolitik des Iran relevant, lautet: „The establishment of any kind of foreign military base in Iran, even for peaceful purposes, is forbidden.“ Ein solch scharfes Verbot findet sich weltweit eher selten, es spielt in der Politik des Iran 2016 eine große praktische Rolle. Ganz in diesem Geist verlangt unter dem Stichwort der Grundsätze der auswärtigen Politk Art. 152: „nonalignement with respect of the hegemonist superpowers, and the maintenance of mutually peaceful relations with all nonbelligerent States.“ (6) Die Verfassung von Turkmenistan (1992)231 formuliert in ihrer Präambel die Textzeile: „to live in unity, peace, and accord“ – accord ist eine neue Wendung, man sollte sie nicht als Pleonasmus abtun. Art. 6 bekennt sich außenpolitisch zur friedlichen Koexistenz und zur Absage an den Gebrauch von Gewalt. (7) Jetzt ein Blick auf das traditionsreiche Ägypten. Die alte, mittlerweile längst überholte Verfassung Ägyptens (1971/1980) sagt in ihrer dem Verfassungstext vorausgeschickten „Verfassungserklärung“ u. a.: Erstens: Frieden für unsere Welt – unter der Voraussetzung, dass es keinen Frieden ohne Gerechtigkeit gibt.
Diese Hochschätzung des Friedens (im Kontext der Gerechtigkeit) findet sich auch in anderen Problemkreisen: So garantiert nach Art. 53 Abs. 1 der Staat das Recht auf politisches Asyl für jeden Ausländer, „der aufgrund von Aktivitäten für die Verteidigung der Interessen der Völker, der Menschenrechte, des Friedens oder der Gerechtigkeit verfolgt wird“; so gibt Art. 54 Abs. 1 den Bürgern das Recht, „friedlich und unbewaffnet private Zusammenkünfte ohne vorherige Anmeldung abzuhalten“; so schützt Art. 55 den Bürgern das Recht Vereinigungen zu bilden; Vereinigungen, deren Aktivitäten der gesellschaftlichen Ordnung feindlich oder geheim sind, sind jedoch verboten; so regelt Art. 151 Abs. 2 die Kompetenz der Volksversammlung zur Billigung von Friedensverträgen; so erörtert der Schura-Rat Vorschläge, die notwendig sind, um die Prinzipien der Revolution von 1952 und von 1971 zu wahren und „den sozialen Frieden zu festigen“. Hier ist an den inneren Frieden gedacht. Bereichsspezifisch gedacht sind mehrere Friedensarten schon jetzt zu unterscheiden: der Religionsfriede, der Arbeitsfriede, der Betriebsfriede, der Schulfriede, der Haus- und Familienfriede, dies sei als Vorgriff auf die spätere Theorie bereits hier vermerkt. Zeitlich begrenzt sind der „Olympische Frieden“ und der „Weihnachtsfrieden“ (letzterer z. B. in der Ostukraine 2016/17). Aus der Geschichte ist der „Marktfrieden“ bekannt232, ebenso der „Burgfrieden“ und der „Landfrieden“ sowie „befriedete Gerichtsstätten“233 und in germanischer Zeit der „Thing-Frieden“. Wenn 231 232 233
www.confinder.richmond.edu. Dazu BVerfGE 35, 366 (374). Dazu im Kontext des Asyls: BVerfGE 74, 51 (58).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
das BVerfG zur Umschreibung des Garantiegehalts der Wohnung im Sinne von Art. 13 GG das „umfriedete Besitztum“ nennt, so lebt hier der alte Sprachschatz zur Friedlichkeit innerfamiliärer Bereiche fort234. Das BVerwG arbeitet mitunter mit dem Begriff „Dienstfrieden“235. Zurück zu Ägypten: Die neuere erste Verfassung Ägyptens von 2012 (Mursi)236, mittlerweile aufgehoben, zeichnet sich durch einige wertvolle Texte aus. In der Präambel ist unter „Second“ die Rede von der Demokratie, die den friedlichen Übergang der Macht – eine vorbildliche Textstufe – beinhaltet. Derselbe Text („peaceful transfer of power“) findet sich neben der Gewaltenteilung und der „rule of law“ auch in Artikel 6. Auch an anderen Stellen der Verfassung geht es um den Frieden, z. B. in Artikel 50 als Grenze der Demonstrationsfreiheit sowie in Artikel 64: „peaceful strike is a right, regulated by law“. Eine ganz eigene Gestalt findet sich in Artikel 55 Abs. 3 in Sachen Referenden und Wahlen: „The state guarantees the peacefulness and integrity of referenda and elections.“ Hier ist dem Verfassunggeber eine neue Textstufe geglückt. Die Friedlichkeit des Referendums und der Wahl zu garantieren, ist ausdrücklich zur Sache des Staates erklärt. Dessen Organe dürfen in diese Prozesse nicht eingreifen (Satz 2 ebd.). Dies ist vorbildlich für jeden Verfassungsstaat von heute, weltweit. Man denke an die Gefahren aus dem Internet oder die Unruhen in Venezuela. Die zweite neuere Verfassung Ägyptens (2014) von Al Sisi237 ist reich an Friedensbekenntnissen in unterschiedlichen Kontexten und Konstellationen sowie Spielarten. Überdies bedient sich der Verfassunggeber des sonst nur in Lehrbüchern aufzufindenden Begriffs des „friedlichen Machtwechsels“ in der Demokratie. Im Einzelnen: In der Präambel charakterisiert sich Ägypten selbst als Botschaft des Friedens und der Liebe zu allen Völkern. Überdies ist der Friedensgedanke den beiden Propheten Jesus und Mohammed gleichermaßen zugedacht: „Jesus Peace be Upon Him“ und ebenso in Bezug auf Mohammed. Die Revolution (im Rahmen des arabischen Frühlings) wird verherrlicht durch die Worte Einzigartigkeit, ihrer Friedfertigkeit und ihres Ehrgeizes zugleich Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Ebenfalls noch in der überaus ergiebigen und umfangreichen Präambel findet sich der Satz von der Demokratie als Teil des Lebens, des politischen Pluralismus und des friedlichen Wechsels der Macht, „peaceful rotation of power“ – eine gelungene Metapher238. Auch Art. 5 kennzeichnet das politische System durch den 234
BVerfGE 97, 228 (265). BVerwG, Urteil vom 22. 10. 2002 – 1 D 4.02. 236 www.constitutionaltransitions.org/wp-content/uploads/2013/05/Egypt-Constitution-26December-2012.pdf. 237 www.confinder.richmond.edu – Zu den drei hier behandelten Verfassungen Ägyptens, P. Häberle, Vergleichende Verfassungstheorie und Verfassungspraxis, 2016, S. 209 ff. 238 Der friedliche Machtwechsel ist eine Konsequenz der Einsicht, dass in der Demokratie Herrschaft nur eine Herrschaft auf Zeit ist und die Verfassung der Opposition die Chance auf den Machtwechsel gibt. So prägnant BVerfGE 70, 324 (366, 368): Sondervotum Mahrenholz. Zur Demokratie als Herrschaft auf Zeit: BVerfGE 119, 247 (261); E 121, 205 (220). Zum Recht auf organisierte politische Opposition: E 142, 25 (55 f.). 235
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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friedlichen Machtwechsel. Art. 15 verweist auf das Gesetz in Sachen friedliches Streikrecht. Art. 73 schützt das Recht auf friedliche Proteste, Märsche und Demonstrationen. Gleiches gilt für friedliche Versammlungen. Art. 91 sichert das Asylrecht für diejenigen Ausländer, die wegen ihrer Verteidigung der Interessen des Volkes, der Menschenrechte, des Friedens und der Gerechtigkeit verfolgt werden. Diese Indienststellung des Asylrechts findet sich auch sonst öfters. Sie könnte zu einem Element der universalen Verfassungslehre werden. (8) Die jordanische Verfassung (1952/2014)239 wagt eine weitgehende Grundpflicht in Art. 6 Nr. 2 mit den Worten: The defence of the country, its territory, the unity of its people and the preservation of social peace are sacred duty of every Jordanian.
Der „soziale Friede“ figuriert hier in neuen sprachlichen Wendungen als Grundpflicht – dies mag man kritisieren, doch bleibt das Gewaltverbot. Eigenständig und prägend ist Art. 16 Abs. 2 in Bezug auf Gewerkschaften und politische Parteien: Jordanians shall have the right to establish societies, unions and political parties provided their objective is lawful, their methods peaceful, and their by-laws not in violation of the provisions of the Constitution.
(9) Die „General Foundations of the State“ von Palästina240 (2003) mögen wenig Entsprechungen in der Verfassungwirklichkeit haben, gleichwohl sind sie für die Wissenschaft ergiebig und können als Texte früher oder später hier wie dort doch wirken (alle Welt hofft auf die „Zweistaatenlösung“ mit Israel241). Art. 3 formuliert das Selbstverständnis: „Palestine is a peace loving state that condemns terror, occupation and aggression“. Überdies bekennt sich Palästina bei internationalen und regionalen Problemen zur Anwendung friedlicher Mittel. Herausragend ist Art. 8. Er verpflichtet die politischen Parteien auf die „Prinzipien der nationalen Souveränität der Demokratie und den friedlichen Machtwechsel in Übereinstimung mit der Verfassung“, nachdem zuvor der politische Pluralismus und die Garantie der Menschenrechte als Grundlage formuliert worden ist. Damit ist universales Lehrbuchwissen zu einer Textstufe geronnen. Denn es ist gerade ein Kennzeichen der pluralistischen Demokratie, das die Minderheit zur Mehrheit werden kann242. Neu ist, dass das Parteienrecht den Kontext bildet. Wieder einmal zeigt sich, wie gemäß dem Textstufenparadigma fast weltweit Texte als Speicher von anderen Texten, von Praxis und Judikatur sowie Wissenschaft ausgetauscht werden. In diesem Fall liegt es nahe, dass der Nachbarstaat Ägypten (Mursi-Verfassung von 2012) der Nehmende war. Art. 55 garantiert jedermann das Recht auf Demonstration in friedlicher Weise.
239
www.constituteproject.org/constitution/Jordan_2014?lang=en. www.palaestinianbasicla.org/basic-law/2003-permanent-constitution-draft. 241 Aus der Lit.: M. Asseburg/J. Busse, Der Nahostkonflikt, 2016. 242 Vgl. BVerfGE 138, 102 (109 f.): In einem freiheitlichen Staat müssen Minderheitsgruppen die Möglichkeit haben, die Mehrheit zu werden. 240
122
1. Teil: Bestandsaufnahme
Die Demonstrationsfreiheit figuriert hier textlich, sie wird sonst, etwa in Deutschland, aus der Versammlungsfreiheit abgeleitet. (10) Die Verfassung von Bahrain (1973) spricht in ihrer Präambel von dem Beitrag „zur Erhaltung des Weltfriedens“. „Soziale Sicherheit“ ist zum Teil ein funktionales Äquivalent für Frieden. Art. 4 nennt unter den „Grundpfeilern der Gesellschaft“ u. a. soziale Solidarität und Chancengleichheit der Bürger“. Das kleine Bahrain bekennt sich immerhin zum großen Weltfrieden. (11) Die Verfassung von Syrien (1973) spricht in Art. 21 von einem Beitrag „im Dienste der Menschheit“. Diese Formel dürfte ein friedensnahes Staatsziel sein. Die Wirklichkeit sieht seit langem ganz anders aus (man denke nur an Aleppo, das „Stalingrad“ des Jahres 2016, oder an das Assad-Regime). (12) Die Verfassung Algeriens (1976/82)243 sagt in Art. 25 Abs. 2: Algerien ist bestrebt, „internationale Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu lösen“. Der Eid des Präsidenten der Republik (Art. 73) enthält den Passus: „mit allen meinen Kräften für die Verwirklichung der großen Ideale der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens in der Welt zu wirken“. Dies ist eine gelungene Umschreibung von Aspekten der „Kultur des Friedens“, mit Weltbezug. Der Kontext des Friedens mit Gerechtigkeit und Freiheit bleibt vorbildlich, ist aber verfassungstheoretisch noch näher aufzuschlüsseln (F. Schiller, „Alle Menschen werden Brüder“). (13) Die Verfassung Mauretaniens (1991/2012)244 spricht in ihrer Präambel davon, dass das Volk „für die Festigung des Friedens in der Welt wirken wird“. Der Wahlspruch (Art. 9) lautet: „Ehre, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit“. In der Brüderlichkeit ist die Friedfertigkeit gewiss mitgedacht. Zuvor erfindet Art. 2 Abs. 4 eine ähnlich in Ägypten wiederkehrende Formulierung: „political power is acquiered (…) within the framework of peaceful alternation“. Diese Errungenschaft der pluralistischen Demokratie zum friedlichen Machtwechsel ist hier zum Verfassungstext geworden. Der Passus kann für die Wissenschaft gar nicht hoch genug einschätzt werden. Er ist in Übersee, vor allem in Afrika, in der Realität keineswegs selbstverständlich. (14) Die ursprüngliche Verfassung von Djibouti (1992) bekräftigt in ihrer Präambel den Willen, „in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern der Welt zu kooperieren“. Der Wahlspruch lautet vorbildlich (Art. 1 Abs. 3): Einheit, Gleichheit, Frieden. Solch ein Motto ist mehr als Rhetorik. Es erinnert an die schon erwähnten Wahlsprüche in Frankreich oder Afrika. Wahlsprüche dieser Art sind den verfassungsstaatlichen Geist-Klauseln verwandt. Sie bilden ein Stück Kultur, sie sollen im Grunde das ganze politische Gemeinwesen prägen. Frankreich ging verfassungsgeschichtlich mit der Trias „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ voran. „Brüderlichkeit“ trägt auch die Friedensidee in sich, die „feindlichen Brüder“ sind der Kontrastbegriff. 243 244
Vgl. den Textanhang in JöR 41 (1993), S. 700 ff. www.constituteproject.org.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Diese Verfassung von Djibouti (1992/2010)245 bekräftigt in der Präambel erneut den Willen, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern derselben Ideale zusammenzuarbeiten. Konsequent wird in Artikel 1 das Motto festgelegt: „Unité – Egalité – Paix“, eine geglückte Trias, die alle Teile der Verfassung prägen und alle Amtsträger verpflichten sollte. Der Frieden als Motto oder Wahlspruch ist eine eindrucksvolle Bereicherung der Kultur des Friedens insgesamt. Gleiches findet sich in manchen afrikanischen Verfassungen. (15) Die Verfassung von Brunei Darussalam (1959/2006)246 formuliert in Teil II Ziff. 3.1: The official religion of Brunei Darussalam shall be the Islamic Religion: Provided that all other religions may be practised in peace and harmony by the persons professing them.
Damit wird der Islam zur Staatsreligion erhoben, doch sind andere Religionen zugelassen, wenn sie friedlich bleiben. Angesichts des bekannten Gewaltpotentials von manchen Religionen in Geschichte und Gegenwart ist diese Friedensklausel wichtig. Art. 39 gibt dem Sultan bzw. dem Gesetzgeber die Kompetenz, Gesetze zu machen für den Frieden, die Ordnung, die Sicherheit und die gute Regierungsführung des Landes. Diese Klausel ist schon aus anderen nationalen Verfassungen bekannt. Sie bedarf der Integrierung in die Staatsaufgabenlehre. Inkurs A: Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte vom 05. 08. 1990247 Nicht direkt ergiebig ist die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam vom 05. 08. 1990. Wort und Sache des Friedens kommt direkt nicht vor. Die Erklärung ist durchgängig durch den Islam geprägt. Immerhin finden sich die Stichworte „Freiheit des Menschen und sein Recht auf ein würdiges Leben“ (Präambel) sowie das Verbot, „Mittel einzusetzen, die zur Vernichtung der Menschheit führen“ (Art. 2 lit. b), Art. 3 lit. a verlangt beim Einsatz von Gewalt, nicht Unbeteiligte wie Alte, Frauen und Kinder zu töten. Art. 11 verurteilt die Sklaverei, die Demütigung und den Kolonialismus. Selbst an das Asylrecht ist gedacht (Art. 12). Art. 17 lit. c verlangt vom Staat die Garantie eines angemessenen Lebensstandards des Einzelnen, so dass er in der Lage ist, seine Bedürfnisse und die seiner Familie zu befriedigen.
245 246 247
www.constituteproject.org. www.constituteproject.org. www.humanrights.ch/uploud/pdf/140327_Kairoer-Erklärung_der_OIC.pdf.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Inkurs B: Die Arabische Charta der Menschenrechte vom 15. 09. 1994248 Diese Charta enthält teils vorbildliche Textpassagen, teils fragwürdige. Im ersten Teil der Präambel ist vom Recht der arabischen Nation auf ein würdevolles Leben auf der Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens die Rede (als Auszeichnung durch Gott). Später ist gesagt: „unter Ablehnung des Rassismus und des Zionismus, die gegen die Menschenrechte verstoßen und eine Bedrohung des Weltfriedens darstellen“. Anschließend ist von der „Anerkennung der engen Beziehung zwischen den Menschenrechten und dem Weltfrieden“ die Rede. In Art. 33 wird vom Recht der Bürger gesprochen, in einem geistigen und kulturellen Umfeld zu leben, in dem „die internationale Zusammenarbeit und die Sache des Weltfriedens unterstützt werden“. Dies ist eine neue Textstufe. Da die Charta sich gleichzeitig auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und andere UN-Pakte beruft, überdies jedoch stark vom Islam her geprägt ist, kommt es naturgemäß zu Friktionen. Als überraschender Fund darf der Passus in der Präambel gelten: „… in Anerkennung der engen Beziehung zwischen den Menschenrechten und dem Weltfrieden“. Doch dieser erstaunliche Satz steht ganz im Kontext der islamischen Prägung der Charta durch die Scharia. Für sich genommen erinnert er an Art. 1 Abs. 2 des deutschen GG. Die Kontextthese des Verf. von 1979/2001249 verbietet jedoch eine vorschnelle Deutung als inhaltliche Übereinstimmung.
5. Asien Asien ist ein kulturell sehr heterogener Kontinent. Dort finden sich postsozialistische Verfassungen, ehemalige Commonwealth-Länder, aber auch buddhistische und hinduistische Staaten sowie islamische Länder. Der Textvergleich ist vom Kontext her unterschiedlich zu grundieren, er hat daher nur begrenzte Aussagekraft. Gleichwohl lassen sich Rezeptionen aufspüren. (1) Die Verfassung Japans (1946)250, bekanntlich intensiv von der seinerzeitigen Besatzungsmacht USA beeinflusst, ist bis heute weltberühmt wegen ihrer pazifistischen Prägung. Diese kommt mehrfach zum Ausdruck: besonders intensiv im Narrativ der Präambel und zwar in folgenden Stichworten: „fruits of peaceful cooperation with all nations …, … desire peace for all time …, trusting in the justice and faith of the peace-loving peoples of the world …, … international society striving for the preservation of peace …, … We recognice that all peoples of the world have the 248 www.un.org/depts/germany/menschenrechte/arab.pdf. Aus der Lit.: E. M. Andonie, Die Arabische Charta der Menschenrechte 2004, 2016. 249 P. Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, 1979, S. 44 ff.; ders., Die Verfassung im Kontext, in: D. Thürer u. a. (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, S. 17 ff.; ders., Europäische Verfassungslehre, 7. Aufl. (2011), S. 10 ff. 250 http://japan.kantei.go.jp/constitution_and_government_of_japan/constitution_e.html.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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right to live in peace …“ – fast eine konkrete Utopie im Sinne des „ewigen Friedens“. Vielleicht erfindet dieser Text die stärkste Formulierung des Friedensglaubens, die einem nationalen Verfassunggeber möglich ist (Verfassungspazifismus). Darüber hinaus heißt es im berühmten Art. 9, der immer wieder politisch in Frage gestellt wird, auch 2016/2017251, in vielleicht naivem Optimismus: Aspiring sincerely to an international peace based on justice and order, the Japanese people forever renounce war as a sovereign right of the nation and the threat or use of force as means of settling international disputes. In order to accomplish the aim of the preceding paragraph, land sea, and air forces, as well as other war potential, will never be maintained. The right of belligerency of the state will not be recognized.
Allenfalls in französischen oder lateinamerikanischen Verfassungen finden sich einige Textelemente, die an diesen besonders weitreichende und intensive Friedensartikel erinnern. Der internationale Frieden soll auf Gerechtigkeit basieren – leider bislang ein frommer Wunsch, den zu wiederholen eine ewige wissenschaftliche Aufgabe bleibt. Die Gestaltung des Friedens ist Handwerk und Kunst. (2) Die Verfassung von Afghanistan (2004)252, offenkundig eine islamische, eröffnet ihre Texte nach einer invocatio dei mit dem Satz: Praise be to Allah, the Cherisher and Sustainer of the Worlds; and Praise and Peace be upon Mohammad, His last Messenger and his disciples and followers.
Es folgt eine Präambel mit erneuten Bekenntnissen zum Islam und zur universalen Menschenrechtserklärung. Auch werden als Grundlage der Zivilgesellschaft die rule of law, die soziale Gerechtigkeit und die Menschenrechte fixiert. Ein Friedensbekenntnis an dieser Stelle fehlt, obwohl es gerade heute mehr als notwendig wäre. Art. 36 erfindet eine neue Textstufe zur Versammlungsfreiheit, die nicht subjektiv auf den Jedermann oder die Bürger bezogen ist, sondern wie in den USA auf das Volk: The people of Afghanistan shall have the right to gather and hold unarmed demonstrations, in accordance with the law, for attaining legitimate and peaceful purposes.
Merkwürdigerweise findet sich im Amtseid des Präsidenten nicht die Friedensklausel. Vielmehr figurieren hier nur Respekt vor der Verfassung, Sicherung der nationalen Souveränität und Integrität Afghanistans. Das Recht, Krieg und Frieden zu erklären, besitzt der Präsident unter Zustimmung der Nationalversammlung (Art. 64 Ziff. 4). Diese Enthaltsamkeit im Blick auf Friedenstexte ist auffällig, ausgerechnet im von Bürgerkriegen und Stellvertreterkriegen erschütterten Afgha251
Laut FAZ vom 09. 06. 2017, S. 10 will Japans Ministerpräsident Abe den PazifismusArtikel der Verfassung ändern. Er will ergänzend die Existenz der Selbstverteidigungskräfte ausdrücklich absichern, jedoch neuestens Art. 9 nicht mehr umschreiben. 252 www.constituteproject.org. – Aus der wissenschaftlichen Literatur: T. Walter, Die Entstehung der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistans vom 4. Januar 2004, JöR 58 (2010), S. 713 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
nistan, es wird heute zu einem gescheiterten Staat. Vielleicht wagt der nationale Verfassunggeber gerade deshalb keine Normen mit Friedenspathos festzulegen. (3) Die jüngste Verfassung des Königreichs Thailand (2016)253 wurde zwar vom Militär durchgesetzt, gleichwohl ist sie für die Wissenschaft aufschlussreich und durchaus ergiebig. Die sehr umfangreiche Präambel endet mit dem Ausdruck der Hoffnung auf Frieden, Glück, Wohlstand und Würde für alle Bürger des Königreichs. Sektion 43 Abs. 3 befasst sich mit dem Petitionsrecht in Sachen friedlichen Lebens („peaceful livelihood“ – eine neue Wendung). Sektion 44 Abs. 1 garantiert das friedliche Versammlungsrecht. Sektion 70 befasst sich mit der Aufgabe des Staates, das friedliche Leben des thailändischen Volkes bzw. seiner verschiedenen ethnischen Gruppen nach ihrem Willen zu schützen. Sektion 164 Abs. 4 verpflichtet den Ministerrat, alle sozialen Schichten zu stärken, um in einer gerechten, friedlichen und harmonischen Weise zusammen zu leben. Sektion 257 fixiert u. a. die Staatsziele Frieden und Ordnung, Einheit und Versöhnung, materielle und geistige Entwicklung (Sektion 257 Abs. 1 und 2). Auch ist das „Glück des Volkes“ als Ziel festgeschrieben, von uns aus gesehen eine abstrakte Utopie. Die Verfassung setzt einen eigenen nationalen Rat für „Frieden und Ordnung“ ein (Sektion 263 – 279). Die Institutionalisierung eines solchen Rates ist im Auge zu behalten, auch wenn zu befürchten ist, dass sie unter der Militärherrschaft keinen ehrlichen Auftrag wahrnimmt. Im Ganzen verbietet sich wohl eine Kritik an der spezifischen Kultur Thailands von Europa aus. Bekanntlich sind in Thailand im Laufe der 50 Jahre währenden Herrschaft des 2016 verstorbenen König Bhumibol viele Verfassungen ergangen. Aus der überholten Verfassung von 2015254 seien drei Texte erwähnt: Art. 39 Abs. 1 gibt jedermann das Recht auf „peaceful habitation“ – ein neues Feld für den Friedensgedanken. Art. 53 garantiert jedem Bürger die Freiheit des friedlichen Versammlungsrechts, Art. 68 aber wagt etwas Neues und Besonderes in den Worten: „A citizen shall have the right to peacefully resist an act committed for the acqusition of the power to rule the country by means which is not in accordance with the modes provided by this Constitution“. Sollte damit der „friedliche Ungehorsam“255 gemeint gewesen sein, so wäre dies eine kleine Sensation. Jedenfalls ist bemerkenswert, dass sich dieser Text in der späteren Verfassung von 2016 nicht mehr findet, wohl aber regelt Sektion 297 unter dem Stichwort „Reconciliation“ die Gründung einer nationalen Kommission, damit das Volk in der demokratischen Gesellschaft „friedlich zusammenleben“ kann. Sektion 296 nimmt sich der Medien an und verlangt die Förderung „of alternative media, community media, peace media“ – was auch immer damit gemeint sein mag: jedenfalls neue Themen. 253
www.confinder.richmond.edu. www.student-weekly.com/pdf/200415-constitution-en.pdf. 255 Dazu die Darstellung im Blick auf Sitzblockaden in BVerfGE 73, 206 (250 ff.), auch mit Hinweisen auf die innerstaatliche Friedenspflicht und angelsächsische Demokratien, in denen es um einen Prozess von trial und error geht (S. 251 f.). Das BVerfG lässt die Fragen offen. In E 73, 330 (339) wird auf die Aufgabe der Rechtsordnung und des Staates angesichts des Streits um den zivilen Ungehorsam hingewiesen. – Der Fall Dr. Simon. 254
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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(4) Die Verfassung der Republik Indonesien (1945/2002)256 ist weniger ergiebig. In der Präambel heißt es immerhin in Bezug auf eine Weltordnung: „… based on freedom, perpetual peace …“. Der Klassikertext von I. Kant (1795) ist damit erneut Verfassungstext geworden (auf Art. 11 Abs. 1 zum Recht des Präsidenten auf Friedensschluss sei verwiesen). (5) Ausgerechnet die Verfassung des kleinen Ost-Timor257(2002) schuf besonders reiche Texte und Spielarten zum Prinzip des Friedens. Dies beginnt schon in Sektion 8 Abs. 2 mit dem vom Völkerrecht her gedachten Bekenntnis zur friedlichen Regelung von Streitigkeiten und zur Sicherung von Frieden und Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen. Unter der Überschrift „Solidarität“ findet sich in Art. 10 Abs. 2 eine Garantie für Asylsuchende, die verfolgt werden wegen ihres Kampfes für „Menschenrechte, Demokratie und Frieden“. So ambivalent der Kontext des Kampfes ist und so schwierig die Konkretisierung im Einzelfall sein mag: Bemerkenswert ist die Aneinanderreihung von Menschenrechten, Demokratie und Frieden gerade hier, die sich sonst in Grundwerte-Artikeln findet. Ein besonderer Textfund ist dem Rechtsvergleicher in Sektion 15 zur Nationalflagge vergönnt. Deren Gestaltung ist auf das Genaueste beschrieben sowohl in den Formen als auch in den Farben: zum Beispiel „white star of five ends“. In Abs. 2 wird die Farbe weiß mit dem Wort „peace“ definiert („weiß“ gilt auch als Symbolfarbe des friedlichen Widerstands). Man braucht nicht zur Farbentheorie von Goethe zu greifen, um zu verstehen, was hier geleistet ist. Ein zentrales Staatssymbol wird mit den Mitteln der Kunst umschrieben: in einer neuen „Sprache des Friedens“. Es handelt sich um ein faszinierendes Element der Kultur des Friedens (die Farbe schwarz steht für den „Obskurantismus“– schwarz ist auch die Farbe des sogenannten Islamischen Staates und seiner Kriege gegen die „Ungläubigen“)258. Art. 85 lit. h regelt die Kompetenzen des Präsidenten für Krieg und Frieden (siehe auch Sektion 87 lit. a sowie Sektion 91 Abs. 1 lit.c). Vermutlich ist es kein Zufall, dass gerade kleine Nationen auf ihre Staatssymbole besonderen Wert legen, um ein Höchstmaß an Integration der Bürger zu erreichen, auch vom Emotionalen her. (6) Die Verfassung der Mongolei (1992/2001)259 verwendet zwar in ihrer Präambel nicht wie üblich den Begriff „Frieden“, sie bedient sich jedoch friedensnaher Ersatzbegriffe wie „humane, civic and democratic society in our motherland“. Überhaupt ist wissenschaftlich zu ergründen, welche Begriffe wie Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit, Brüderlichkeit, Familie, Zusammenhalt, letztlich auch für den Frieden stehen oder ihm doch benachbart sind: als funktionale Äquivalente. Art. 10 Abs. 1 bekennt sich zum Verfolgen einer friedlichen Außenpolitik als einem Staatsziel. Art. 16 Abs. 16 normiert die Garantie auf friedliche Versammlungen – den Eckstein einer weltweiten grundrechtsbezogenen Friedensthematik. Art. 17 verlangt 256 257 258 259
www.ilo.org.Man. www.confinder.richmond.edu. Aus der Lit.: J. Warrick: „Schwarze Flaggen“. Der Aufstieg des IS und die USA, 2017. www.constituteproject.org. Vgl. auch den Textanhang in JöR 46 (1998), S. 433 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
von den Bürgern Gerechtigkeit und Menschlichkeit als ethische Grundpflichten hochzuhalten, wohl eine Art „konstitutionelles soft-law“. Gleiches gilt für den Respekt vor der Würde der anderen Menschen – auch dies ist eine friedensnahe Grundpflicht (ein analoger Text findet sich in der Verfassung von Brandenburg, 1992). Man tut gut daran, sich allgemein nach solchen friedensnahen Begriffen, „funktionalen Äquivalenten“ für Frieden zu suchen. Diese Aufgabe wäre ein neues Wissenschaftsprogramm, das hier nicht geleistet werden kann, aber im theoretischen Teil berührt wird. (7) Die Verfassung Indiens (1949/2015)260 garantiert das fast weltweit bekannte Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit (Art. 19), verpflichtet den Staat auf die Förderung des internationalen Friedens (Art. 51) und gibt bestimmten Gouverneuren die Verantwortung für den Frieden (Art. 371 A und F, s. auch den fünften und den sechsten Anhang, im siebten Anhang wird dem Bund die Kompetenz über Frieden und Krieg zugeschrieben). Man hätte sich angesichts der Kulturgeschichte Indiens (z. B. im Blick auf M. Gandhi) wohl mehr einschlägige Texte zum Ideal des Friedens erwartet bzw. gewünscht261. Diese Idealgestalt hätte Indien textlich prägen können, so wie dies in Lateinamerika in manchen Ländern S. Bolivar tut. Freilich wird diesem großen Staatsmann dort die sog. bolivarische Republik Venezuela von heute nicht gerecht, sie ist auf dem Weg zur Diktatur. (8) Die Verfassung der islamischen Republik Pakistan262 (2012) sei wegen der geographischen Nähe zu Indien systematisch an dieser Stelle behandelt. Ihre Präambel spricht vom Beitrag zum „internationalen Frieden, Fortschritt und Glück der Menschheit“ – ein hohes Ideal. Wie weltweit, garantiert Art. 16 das Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit. Art. 40 Abs. 1 will die Verbindung mit der muslimischen Welt stärken und den internationalen Frieden fördern – ein oft normiertes Staatsziel. Abs. 4 ebenda verpflichtet die Exekutive des Bundes auf die Verhinderung schwerer Bedrohungen für „peace or tranquility“ in den Provinzen (siehe auch Art. 151 Abs. 5). Ähnliche Formulierungen finden sich in Abs. 4 und in Art. 258. Als Charakteristikum einer islamischen Verfassung darf die dreifache Bezugnahme auf den Propheten Mohammed gelten, unter dem Motto „peace be upon him“ (Art. 259, 260 Abs. 3 lit. a, Annex, Dritter Anhang, innerhalb der Eidesformel für den Präsidenten). Damit nimmt ein nationaler Verfassunggeber die – im Einzelnen freilich umstrittene – Friedensbotschaft des Propheten auf. Wirkt diese sich im praktischen Handeln islamischer Staaten aus? Man darf mitunter zweifeln.
260
www.confinder.richmond.edu. So gibt es ein indisches Nationalepos „Mahabharata“ bzw. aus diesem das 12. Buch „Shanti Parva“ vom Frieden, in Kap. 131 ist in Dialogform das Gebot (an den Herrscher) des Friedens formuliert. Es stammt aus der Zeit 400 v. Chr. bis 400 n. Chr. Dazu www.mahabharata.pushpak.de. 262 www.confinder.richmond.edu. 261
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
129
(9) Die Verfassung der Republik von Tajikistan (1994)263 spricht in Art. 11 von dem Staatsziel „peaceloving policies“, was sprachlich eine neue Wendung ist. Art. 29 garantiert ausdrücklich die Teilnahme an Friedensmärschen. Hier wird der neuen Wirklichkeit von „Versammlungen“ Rechnung getragen. (10) Die Verfassung der Republik (Süd-)Korea (1948/87)264 steht ganz im Zeichen einer erhofften friedlichen Wiedervereinigung, wie dies textlich nicht einmal beim deutschen Grundgesetz von 1949 der Fall war. Deutschland ist jedoch 1990 eine friedliche Revolution geglückt, ohne dass dies verfassungstextlich ausdrücklich so formuliert war. Schon die Präambel Südkoreas spricht von der Mission der „… peaceful unification of our homeland …“. Im letzten Absatz der Präambel ist sogar der dauernde Weltfrieden und das Wohlergehen der Menschheit als Ziel genommen („…lasting world peace and the common prosperity of mankind …“). In den allgemeinen Bestimmungen ist erneut einerseits die friedliche Wiedervereinigung, andererseits die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens als Staatsziel fixiert (Art. 4 und 5). Art. 66 statuiert ausdrücklich die Pflicht des Präsidenten, aufrichtig die friedliche Wiedervereinigung des „homeland“ zu verfolgen. Art. 69 platziert diese Aufgabe sogar im Amtseid. Der Friedensgedanke taucht dann z. B. in Art. 76 bei der Bewältigung von Krisen wieder auf. Eine neue Textstufe bekräftigt die Dringlichkeit der nationalen Wiedervereinigung beider Koreas. Art. 92 Abs. 1 lautet: An Advisory Council on Democratic and Peaceful Unification may be established to advise the President on the formulation of peaceful unification policy.
Eine solche Institutionalisierung der friedlichen Wiedervereinigungspolitik kannte nicht einmal das deutsche Grundgesetz von 1949. Auch die übrigen Friedensklauseln überzeugen, doch bleibt es wie so oft bisher beim bloßen politischen Willen der Koreaner. Die kommunistische Diktatur in Nordkorea tut ein Übriges. Nach den soeben gelungenen friedlichen Präsidentenwahlen kam es in Südkorea zu einem sanften Machtwechsel (Frühjahr 2017). In Aussicht gestellt wird eine friedliche Annäherung an den Norden265. (11) Die Verfassung von Kasachstan (1995/2011)266 umschreibt in ihrer Präambel das Selbstverständnis des Volkes im Kontext von Idealen wie Freiheit, Zivilgesellschaft, Weltgemeinschaft, Verantwortung für künftige Generationen mit den Worten „considering ourselves peace-loving and civil society“, in der Wirklichkeit von heute lässt sich freilich eine Entwicklung zu autoritären Strukturen beobachten. In Artikel 8 findet sich das Bekenntnis zur friedlichen Regelung internationaler Streitig-
263
www.confinder.richmond.edu. www.ccourt.go.kr/cckhome/images/eng/Main/Constitution_of_the_Republik_of_Korea. pdf. Vgl. auch den Textanhang in JöR 38 (1990), S. 587 ff. 265 Vgl. FAZ vom 12. 05. 2017, S. 1: „Südkoreas Wende“. 266 www.constituteproject.org. 264
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1. Teil: Bestandsaufnahme
keiten – eine textliche Verbeugung vor dem Völkerrecht und seinen Dokumenten und textlich wohl fast ein universales Element. (12) Die Verfassung der Republik Vietnam (2013)267 ist, angesichts der guten Entwicklung dieses Landes nicht überraschend, durchaus ergiebig. In Art. 12 verpflichtet sich die sozialistische Republik auf eine diplomatische Politik der Unabhängigkeit, des Friedens und der Freundschaft. Sie formuliert das Selbstverständnis als „friend, trust partner, and responsible member in international community“ und will sich für eine Welt des Friedens, der nationalen Unabhängigkeit, der Demokratie und des sozialen Fortschritts einsetzen – dies ist für das heutige Vietnam durchaus glaubhaft. Wie aus wenigen anderen Verfassungen zu ersehen ist, wird das Asylrecht für Ausländer durch deren Einsatz u. a. für den Frieden definiert. Art. 49, durchaus als Vorbild für jeden Verfassunggeber in Sachen Kultur des Friedens zu lesen, lautet: The Socialist Republic of Vietnam shall consider granting asylum to foreigners struggling for freedom, national independence, socialism, democracy and peace or are harmed because of their scientific work.
Tiefer gedacht wird so das Grundrecht auf Asyl in den Dienst des Friedens gestellt, wobei der Zusatz „scientific work“ weltweit wohl einzigartig ist, ein neues Element der Grammatik des Friedens. Art. 64 Abs. 2 in Sachen Verteidigung des Vaterlandes verpflichtet den Staat auf den Schutz des Friedens „in der Region und in der Welt“ – ein großes Ideal. Das Prinzip Frieden gewinnt eine neue Facette. Die Verfassungswirklichkeit im heutigen Vietnam gibt zu viel Optimismus Anlass. (13) Die Verfassung der Philippinen (1987)268 nimmt sich der Friedensidee in vielfältiger Form an. Schon in der Präambel, in der sich das „we the people“ ebenso findet wie eine invocatio dei, heisst es wunderbar am Schluss: „under the rule of law and a regime of truth, justice, freedom, love, equality, and peace, do ordain and promulgate this Constitution“ – damit sind diese Grundwerte hochrangig platziert. „Wahrheit“ als Orientierungswert ist in diesem Kontext neu. Art. II Section 2 lehnt den Krieg als Instrument nationaler Politik ab und legt ein Bekenntnis zu einer Politik des Friedens, der Gleichheit, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Kooperation sowie der Freundschaft mit allen Nationen ab. Es handelt sich hier um einen klassischen Grundwerteartikel mit dem Staatsziel Frieden. Section 5 ebenda verlangt die Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung, den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum sowie die Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt als wesentliche Ziele für das Volk bzw. „by all the people of the blessings of democracy“. Art. III Section 4 garantiert, wie fast auf der ganzen Welt bekannt, die friedliche Versammlungsfreiheit. Art. IX, C, Section 4 verpflichtet alle Staatsorgane einschließlich der Armee, ordnungsgemäße, ehrliche und friedliche sowie glaubwürde Wahlen zu garantieren. Ein neuer Gedanke und seit Ende 2016 plötzlich hochaktuell. Art X, Section 21 verpflichtet die Amtsträger zur Bewahrung des Friedens und der Ordnung innerhalb 267 268
www.constitutionNet.org. – Vgl. auch den Textanhang in JöR 45 (1997), S. 677 ff. www.constituteproject.org/constitution/Philippines_1987?lang=en.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
131
der Regionen. Art. XIII regelt die Rechte der Arbeiter, einschließlich des Streikrechts und spricht dabei von „peaceful concerted activities“. Auch werden Arbeiternehmer und Arbeitgeber bei ihren Streitigkeiten auf Schlichtungsverfahren und Arbeitsfrieden verpflichtet (ähnlich wie in der Schweiz). Ebenda Section 15 schafft eine ganz neue Textstufe in den Worten: The State shall respect the role of independent people’s organizations to enable the people to pursue and protect, within the democratic framework, their legitimate and collective interests and aspirations through peaceful and lawful means.
Damit ist das Gebot der Friedfertigkeit auf neue Organisationsformen, wie etwa die NGOs, erstreckt. Deren Wirken prägt eine neue Textstufe. Die Wissenschaft hat diese zu verarbeiten – trotz des derzeitigen autoritären Staatspräsidenten und seines blutigen Anti-Terror- und Anti-Drogenkrieges mit „privaten“ Hinrichtungen. Die Wendung von „friedlichen Wahlen“ bleibt ein Merkposten für die Praxis. (14) Die Verfassung von Papua-Neuguinea (1975)269 erfindet z. T. neue sprachliche Varianten. Bemerkenswert ist vor allem Art. 47, der das Tatbestandsmerkmal der „friedlichen Weise“ sowohl wie üblich auf die Versammlungsfreiheit erstreckt, als auch auf die Zugehörigkeit zu politischen Parteien, Organisationen oder anderen Vereinigungen – dies ist vorbildlich. Bei den Kompetenznormen in Bezug auf das Parlament ist dessen Aufgabe auf die Ziele „…for the peace order and good government of Papua New Guinea and the welfare of the People“ gerichtet (Art. 109 Abs. 1, s. auch Abs. 2). Solch eine Gemeinwohlklausel im Kontext des Friedens findet sich sonst relativ selten. Auch die Polizeikräfte werden auf die Bewahrung des Friedens verpflichtet (Art. 197). Neu ist das Engagement der Verteidigungskräfte für „international peace-keeping“ (Art. 205). Die aus dem Völkerrecht bekannten friedenserhaltenden Maßnahmen sind hier zu einer innerstaatlichen Textstufe geronnen. Die beiden Teilordnungen Völkerrecht und nationales Verfassungsrecht treffen sich – „Permeabilität“ als Stichwort (1978). Auf Art. 233 (Friedensvorsorge im Notstandsfall) sei verwiesen, ein weiteres Element der Kultur des Friedens. (15) Die Bundesverfassung von Malaysia (2010)270 sagt in Art. 3 Abs. 1 unmissverständlich: Islam is the religion of the Federation; but other religions may be practised in peace and harmony in any part of the Federation.
Damit ist der Islam als Staatsreligion ausgewiesen, doch ist die friedliche Religionsausübung anderen Religionen eröffnet. In diesem Geist wird allen Bürgern auch das friedliche Versammlungsrecht gewährleistet (Art. 10 Abs. 1); auch in Asien ist dieses Grundrecht ein weit verbreitetes Friedenselement und in der Sache dem rechtsstaatlichen Gewaltmonopol des Staates zugeordnet.
269 270
www.paclii.org/pg/legis/consol_act/cotisopng534/. www.confinder.richmond.edu.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
(16) Die alte Verfassung der Republik Kirgisien (1993)271 zeichnet sich durch eine prägnante Präambel aus, die der Friedensidee einen hohen Stellenwert einräumt und sich in die Generationenperspektive der Vorfahren einordnet. Der einzige, sehr eindrucksvolle Satz lautet: We, the people of the Kyrgyzstan, supporting revival and improvement of the statehood of the Kyrgyz people; remembering that the unitiy of the Kyrgyz is the basis for stability of the country and accord of all people of Kyrgyzstan; following precepts of our ancestors to live in unity, peace and accord, hereby adopt this Constitution.
„Peace and accord“ ist eine neue Textvariante, die Präambel verarbeitet Geschichte und entwirft Zukunft. In der neuen Verfassung Kirgisiens (2010)272 ist in der umfangreicheren Präambel noch die Zeile zu finden: Acting on behest of our ancestors to live in peace and accord, in harmony with nature, hereby adopt the present Constitution.
Der Gedanke des Lebens in „Harmonie mit der Natur“ ist an dieser Stelle neu und erfindungsreich (er erinnert an das Wort vom „Frieden mit der Natur“). Art. 9 der alten Verfassung spricht sich gegen jede Expansion und Aggression sowie territoriale Ansprüche aus, die durch militärische Kräfte gelöst werden. Auch ist vom Streben nach universalem und gerechtem Frieden die Rede sowie von der Lösung regionaler Probleme durch friedliche Mittel. Art. 17 bekennt sich zu universal anerkannten Menschenrechten und Freiheiten (wie die UN), Art. 18 Abs. 2 dekretiert sogar eine grundrechtliche Wesensgehaltgarantie. Eine eigene Textstufe findet sich für die Regierungspolitik: Sie soll „interaction with the civil society“ sichern (Art. 73 Ziff. 10). Damit ist wieder einmal die „Zivilgesellschaft“ zum Verfassungstext geworden. Sie ist als Friedensgesellschaft konzipiert, als Zustand und gewaltfreier, öffentlicher Prozess. Die neue Verfassung Kirgisien (2010)273 strebt nach universalem und gerechtem Frieden mit friedlichen Mitteln (Art. 14 Abs. 4). Art. 34 gewährleistet friedliche Versammlungsfreiheit. Art. 74 Abs. 5 Ziffer 3 erlaubt Streitkräfte nur im Blick auf die internationalen Verpflichtungen zur Unterstützung des Friedens und der Sicherheit. Der Verweis auf internationale Friedensverpflichtungen lässt aufhorchen. Völkerrecht und nationales Verfassungsrecht begegnen sich einmal mehr. Die heutige Verfassungswirklichkeit in Kirgisien ist nicht ermutigend: wegen wachsender autoritärer Strukturen. (17) Die Verfassung des Königreiches Nepal (1959)274 erfindet eine sehr bemerkenswerte Wendung für die gesetzgeberische Gewalt und ihre Ausrichtung auf den Frieden. Art. 51 lautet: 271 272 273 274
www.confinder.richmond.edu. www.confinder.richmond.edu. www.confinder.richmond.edu. www.consulat-nepal.org/IMG/pdf/NEPAL_CONSTITUTION_1959.pdf.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
133
General Power of Legislation: Subject to the provisions of this Constitution, Parliament shall have power to make laws of the peace, order and good government of Nepal.
Das Parlament wird auf den Frieden, auf Ordnung und gute Regierungsführung verpflichtet. Solche Klauseln finden sich weltweit nicht ganz selten, sie finden sich aber nicht im alten Europa. Die neue Verfassung Nepal (2015)275 formuliert in ihrer sehr dichten Präambel: Now therefore, in order to fulfill the aspirations for perpetual peace, good governance, development and prosperity through the medium of federal democratic republican system of governance, hereby promulgate this Constitution through the Constituent Assembly.
(18) Die Verfassung des Königreichs Kambodscha (1993/2008)276 formuliert in ihrer Präambel, wohl einzigartig in der Welt, die Textzeile: „…, to build the nation up to again be an „Island of Peace“ based on a liberal multiparty-democratic system,…“. Die Metapher der „Insel des Friedens“ ist erstaunlich und kühn, fast eine poetische Metapher. Sie dürfte auf menschheitliche Urwünsche, nämlich die Friedenssehnsucht, zurückverweisen277. Kambodscha liegt in Südostasien278, wenn auch mit einer Küste. Die Kultur prägt hier das Staatsgebiet – ideell (in Erinnerung bleibt freilich auch der furchtbare Genozid in Kambodscha vor 30 Jahren). Art. 1 Abs. 2 formuliert im gleichen Geist das staatliche Selbstverständnis in vorbildlicher Weise: The Kingdom of Cambodia shall be an independent, sovereign, peaceful, permanently neutral and non-aligned country.
Im Übrigen garantiert die Verfassung durchaus traditionell das Recht, friedliche Demonstrationen zu organisieren (Art. 37). Doch bricht sich die Friedensidee später in weiteren großen zum Teil neuartigen Texten Bahn: Art. 52 bekennt sich zu Politik der nationalen Versöhnung, Art. 53 trifft die Aussage, dass das Königreich die Politik eines friedlichen Zusammenlebens mit seinen Nachbarn und allen anderen Ländern der ganzen Welt betreibt (Abs. 1). In weiteren Absätzen folgt das Bekenntnis zur friedlichen Lösung in internationalen Angelegenheiten, zu einer Politik der Neutralität und zur Zulässigkeit von Militärbasen nur im Rahmen der UN. Erneut zeigt sich, wie hier das internationale Recht die nationalen Verfassungen mitgestaltet bzw. auf sie ausstrahlt. (19) Die Verfassung von Bhutan (2008)279 ist für kulturelle Rechtsvergleichung in Sachen Frieden besonders ergiebig. In Artikel 3 Abs. 1 heißt es, der Buddhismus sei das geistige Erbe von Bhutan, der die Prinzipien und Werte des Friedens, der Ge275
www.constituteproject.org. www.confinder.richmond.edu. 277 Zum Frieden als „Ursehnsucht“ eines jeden Menschen: W. Schmitt Glaeser, Ethik und Wirklichkeitsbezug des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1999, S. 19 f. 278 J. Menzel/ C. Hill (Hrsg.), Constitutionalism in South East Asia, Band 1 – 3, 2008. 279 www.confinder.richmond.edu. 276
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1. Teil: Bestandsaufnahme
waltlosigkeit, Mitgefühl und Toleranz fördert. In diesem Geist ist auch der Abschnitt zu den Grundrechten formuliert (Artikel 7). Dort wird die Freiheit für friedliche Versammlungen und die Bildung von Vereinigungen garantiert, sofern sie nicht Frieden und Einheit des Landes schaden (Ziff. 12). In der Regelung der Grenzen der Grundrechte wird sehr allgemein auf die Interessen des Friedens, der Stabilität und des Wohlergehens der Nation verwiesen (Ziff. 22b). Bei der Normierung der Grundsätze der staatlichen Politik (Artikel 9) verschreibt sich das Land dem Frieden und der Freundschaft in der Welt. Artikel 9 Ziff. 24 verlangt Respekt für das internationale Recht und die Regelung internationaler Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln, um den internationalen Frieden zu fördern. Artikel 20 Ziff. 1 verpflichtet die Exekutive auf gute Regierungsführung, den Frieden und die Sicherheit sowie das Wohlergehen und das Glück des Volkes. Im zweiten Anhang („Schedule“) der Verfassung ist die Nationalhymne von Bhutan festgelegt. Die letzte Zeile lautet: „May the sun of peace and happiness shine over all people.“ Einmal mehr findet sich hier eine Verfassung, die mit der Friedensidee textlich-verslich sogar im Staatssymbol der Nationalhymne ernst macht – wiederum ein Beleg dafür, dass es berechtigt ist, von „Kultur des Friedens“ zu sprechen (wie friedlich klingt die Melodie?). Bhutan nimmt den Buddhismus vorbildlich ernst, sogar das gängige Bruttonationalprodukt als Maßeinheit für Wohlstand ist ersetzt durch das Bruttonationalglück280. Der Europäer hält dies vermutlich ein wenig für naiv oder gar für einseitiges ökonomisches Denken. (20) Die Verfassung von Laos (1991/2003)281 räumt der Friedensidee einen außerordentlichen Platz ein. Noch vor der Präambel steht der Satz: „LAO PEOPLE’S DEMOCRATIC REPUBLIC PEACE INDEPENDENCE DEMOCRACY UNITY PROSPERITY“. In der letzten Zeile der Präambel findet sich der Satz „building Laos into a country of peace, independence, democracy, unity and prosperity“. Höher kann die Friedensidee nicht normiert werden. Die Formulierung „Laos als Land des Friedens“ findet sich nur in wenigen anderen nationalen Verfassungen und ist sprachlich und inhaltlich ein großer Gewinn für jeden Versuch, wissenschaftlich eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens zu skizzieren, so sehr man sich darüber im Klaren sein muss, dass selbst die Verfassunggeber und ihre Wissenschaft Friedensprozesse mit ihren eigenen Mitteln nur begrenzt steuern können. In den folgenden Artikeln kommt die Friedensidee immer wieder zum Ausdruck: so in Art. 12 Abs. 1 als Ziel der auswärtigen Politik neben Unabhängigkeit, Freundschaft und Kooperation. Auch wird das Wort „peaceful coexistence“ verwendet. In Abs. 2 ist sogar, durchaus ambivalent, von „struggle of the world’s people for peace“ die Rede. Art. 32 Abs. 1 verpflichtet die nationale Verteidigung auf Frieden und soziale Ordnung. Art. 33 Abs. 1 normiert für Staat und Gesellschaft die Aufgabe der Aufrechterhaltung des Friedens in der Gesellschaft. Bemerkenswert ist Art. 51. In ihm garantiert die Republik Asyl den Ausländern, die wegen ihres Kampfes für Freiheit, 280 Aus der Lit.: T. Pfaff, Das Bruttonationalglück aus ordnungspolitischer Sicht – eine Analyse des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems von Bhutan, 2011. 281 www.confinder.richmond.edu.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Gerechtigkeit, Frieden und wissenschaftlichen Gründen verfolgt werden. Die Friedensidee steht hier, wie in manchen Verfassungen Afrikas und Lateinamerikas, in einer Reihe mit Freiheit und Gerechtigkeit – viele Verfassunggeber schätzen und schützen diese Aneinanderreihung der bekannten Grundwerte, doch bleibt deren Gewichtung offen. Art. 78 normiert die Friedensidee in einem neuen Kontext. Die Aufrechterhaltung des Friedens und der öffentlichen Ordnung ist Aufgabe des Ortsvorstehers. Art. 90 ist von außerordentlicher Bedeutung für die universale Verfassungslehre und ihr Grundlagenthema der Kultur des Friedens. Er fixiert denkbar genau das nationale Wappen der Republik: sowohl hinsichtlich der Farben, als auch der Formen. Das ganze Wappenbild trägt die Inschrift „Peace, Independence, Democracy, Unity, Prosperity“. Damit bewahrheitet sich einmal mehr die These, dass in manchen Ländern die Staatssymbole künstlerisch durch die Friedensidee geprägt sind: in eigener Sprache. Erinnert sei auch an die Verfassungen, die in ihrem Anhang oder sonst in den Hymnen verslich den Frieden preisen. Nicht zufällig steht Artikel 90 im Kontext der genauen Beschreibung der Nationalflagge und der Nationalhymne sowie des nationalen Feiertags (Art. 91 bis 93). Dies darf als Bestätigung der wissenschaftlichen Bemühungen des Verfassers gewertet werden, eine Tetralogie von Feiertagen, Nationalhymen, Nationalflaggen und Elementen der Erinnerungskultur zu wagen282. (21) Die Verfassung von Myanmar (2008)283, einem buddhistisch geprägten Land, ist besonders reich an Friedenstexten. Dies beginnt schon in der Präambel mit der Einrichtung eines „State Peace and Development Council“. Dieser Rat durchzieht mit seinen Aufgaben die ganze Verfassung (zum Beispiel Art. 124 lit. a, 172 lit. a, 354, 442 und 443 sowie 445 und 448). Die Bewährung in der Praxis mag noch ausstehen, doch ist die Einrichtung einer solch übergreifenden Institution bemerkenswert. Gegenwärtig gibt es leider viele vergessene Kriege, auch Völkermord gegenüber muslimischen Minderheiten284. In der Präambel findet sich auch der Passus der Verfassungsziele „stalwartly strive for further burgeoning the eternal principles namely justice, liberty, equality and perpetuation of peace and prosperity of the National people…“. Wieder einmal findet sich das Friedensziel im Kontext der Prinzipien von Gerechtigkeit, Freiheit etc. aufgereiht. Das Verhältnis dieser Großbegriffe untereinander bleibt textlich freilich ungeklärt. Am Ende der Präambel findet sich auch noch das Prinzip friedlicher Koexistenz unter den Nationen und Weltfrieden. Erstaunlich ist die Anreicherung der Grundprinzipien um die „Ver282
Vgl. P. Häberle, Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, 1987; ders., Nationalhymen als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, 2007, 2. Aufl. 2013; ders., Nationalflaggen, Bürgerdemokratische Identitätselemente und internationale Erkennungssymbole, 2008; ders., Die Erinnerungskultur im Verfassungsstaat, 2011; A. Assmann, Formen des Vergessens, 2016. Aus der Judikatur des BVerfG prägnant zu Sinnbildern bzw. zu Symbolen wie der Nationalflagge: E 81, 278 (293 f.), unter Hinweis auf die in der Flagge „versinnbildlichten Grundwerte“ (Art. 22 GG); ähnlich kulturwissenschaftlich erarbeitend geht E 81, 298 (307 f.) für die deutsche Nationalhymne (3. Strophe) vor. 283 www.confinder.richmond.edu. 284 Vgl. FAZ vom 24. 12. 2016, S. 8.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
antwortung jeden Bürgers für öffentlichen Frieden und Ruhe sowie die Geltung von Gesetz und Ordnung“ (Art. 21 lit. c). Handelt es sich um eine Überforderung des Bürgers durch Grundpflichten (Gewaltverzicht) oder ist der Begriff „Verantwortung“ angemessen? Bei den Unionszielen in Art. 41 wird wiederum der Weltfrieden und die friedliche Koexistenz mit den Nationen beschworen. Art. 219 fordert: The Union Governement preserves stability of the Union, community peace and tranquility and prevalence of law and order.
Ähnliches normiert Art. 278 für die Selbstverwaltung, sowie Art. 376 für Ausnahmen bei persönlichen Verhaftungen („peace and tranquility in accord“). Art. 354 lit. b garantiert die friedliche Versammlungs- und Prozessionsfreiheit. Schließlich verpflichtet Art. 387 jeden Bürger in besondere Weise: Every citizen, with the Union spirit, has the duty to enhance unity among national races and to ensure public peace and stability.
Auch an anderen Stellen der Verfassung verlangt diese zum Beispiel für den Präsidenten oder die Verwaltung „community peace and tranquility“ (413 lit.b, 432 Schedule One, Ziff. 1, lit. f). Im Ganzen zeigt sich, wie in Myanmar Staat und Gesellschaft vom Verfassunggeber buchstäblich vom Frieden her und zum Frieden hin gedacht sind. Vermutlich setzt sich hier die Prägung durch den als Religion vorherrschenden Buddhismus durch. Umso schmerzlicher muss der heutige Unfrieden im Land sein (Verfolgung von Muslimen!). Manche Religionen praktizieren ihr viel diskutiertes Gewaltpotential leider immer noch, hier wie weltweit. Bemerkenswert ist ein Verfassungsentwurf von 1998285, damals unter dem Namen der Förderalen Union Burma veröffentlicht. In der Präambel wird der ewige Friede beschworen, auch ist die Rede von Rechten des Volkes, die auf Freiheit, Gleichheit, Fairness, Frieden und der rule of law beruhen. (22) Die Verfassung von Bangladesch (1972/2014)286 spricht in ihrer Präambel vom Willen „our full contribution towards international peace and co-operation in keeping with the progressive aspirations of mankind“ – eindrucksvoll werden die Hoffnungen der Menschheit beschrieben. Artikel 25 bekennt sich zur friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten und zum gerechten Kampf gegen Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus. Artikel 37 gewährt das Recht auf friedliche Versammlungen, Treffen und Prozessionen. Artikel 39 garantiert Gedanken und Redefreiheit, zieht aber die Grenze im Interesse freundlicher Beziehungen mit ausländischen Staaten. All diese Friedenstexte sind bemerkenswert und zeigen die große Ernsthaftigkeit der Verfassunggeber bei diesem Thema.
285 286
Zit. nach: JöR 46 (1998), S. 683 ff. www.bdlaws. Minilaw. Gov.bd/print_sections_all.php?id=367.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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(23) Die Verfassung der demokratischen sozialistischen Republik Sri Lanka (2015)287 garantiert jedem Bürger in Art. 14 lit. b die Freiheit auf friedliche Versammlung. Art. 27 Abs. 15 formuliert: The State shall promote international peace, security and co-operation, and the establishment of a just and equitable international economic and social order and shall endeavour to foster respect for international law and treaty obligations in dealings among nations.
(24) Die Verfassung der Republik von Aserbaidschan (1995)288 formuliert in ihrer reichhaltigen Präambel u. a. To remain faithful to universal human values, to live in peace and freedom with all the nations of the world and co-operate with them for this purpose.
Diese neue Textstufe meint mit dem Wort „to live in peace“ gewiss auch den inneren Frieden. Art. 49 Abs 2 garantiert die „Freedom of meetings“ mit dem Zusatz „peacefully and without arms“. Dabei wird die Versammlungsfreiheit deutlich erweitert und um den Zusatz ergänzt „meet with other people“. Inkurs C: Die ASEAN-Erklärung der Menschenrechte vom 18. 11. 2012289 Die Asean-Erklärung von 2012 könnte jetzt und in der Zukunft als Reservetext für so manche neue Verfassung wirken. Sie formuliert bemerkenswerte Aussagen und geht da und dort sogar neue Wege in ihrer „Sprache des Friedens“. Art. 24 bleibt traditionell (Recht jeder Person auf die Freiheit friedlicher Versammlung). Art. 31 Abs. 3 formuliert im Kontext des Rechts jeder Person auf die Erziehung Neues, ein Erziehungsziel: … education shall enable all persons to participate effectively in their respective societies, promote understanding, tolerance and friendship among all nations, racial and religious groups, and enhance the activities of ASEAN for the maintenance of peace.
Erziehung und die Aufgabe der Friedenswahrung durch ASEAN gehen hier eine denkbar enge Verbindung ein. Noch erstaunlicher ist Art. 38 unter der Überschrift „Right to peace“: Every person and the peoples of ASEAN have the right to enjoy peace within an ASEAN framework of security and stability, neutrality and freedom, such that the rights set forth in this Declaration can be fully realised. To this end, ASEAN Member States should continue to enhance friendship and cooperation in the furtherance of peace, harmony and stability in the region.
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www.confinder.richmond.edu. www.azerbaijan.az/portal/General/Constitution. 289 Wortlaut der Erklärung, sowie Hintergrundinformationen und Kritik unter: www.human rights.ch/de/internationale-menschenrechte/regionale/asean. 288
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Das Wagnis eines Rechtes auf Frieden scheint textlich weltweit im Vordringen zu sein, so utopisch es heute in der Wirklichkeit noch ist.
6. Australien und andere Weltregionen Ein Blick in weitere Erdteile ist wegen der kulturellen Unterschiede der Länder besonders schwierig. Gleichwohl sei er bei der Suche nach Mosaiksteinen des Friedens gewagt. a) Australien Australiens Bundesverfassung (1990)290 gibt erstaunlich wenig her. Immerhin heißt es in Art. 51 bei den Kompetenzen des Parlaments eingangs: The Parliament shall, subject to this Constitution, have power to make laws for the peace, order, and good government of the Commonwealth with respect to.
Art. 52 bestimmt, wohl eine angelsächsische Errungenschaft, wieder die Aufgaben des Parlamentes in der bekannten Trias unter Einbeziehung des Zieles guter Regierungsführung. The Parliament shall, subject to this Constitution, have exclusive power to make laws for the peace, order, and good government of the Commonwealth with respect to.
Zu vermuten ist, dass Australien in seiner Verfassung deshalb keine Friedensthematik braucht, weil es einen in sich geschlossenen Kontinent hat und einen diesen ganz abdeckenden Bundesstaat bildet. Es hatte sich in seiner Geschichte und Gegenwart nicht mit rivalisierenden Landmächten auseinanderzusetzen. Es ist ein nach außen ungewöhnlich friedliches Land. Im Folgenden ein Blick auf einige gliedstaatliche Verfassungen in Australien, ermutigt durch die reiche Ausbeute der gliedstaatlichen Verfassungen in Kanada und den USA. Wie sind diese gliedstaatlichen Verfassungen in Australien getextet? Welche Sprache des Friedens verwenden die Verfassunggeber? Was können die Friedenswissenschaften hiervon lernen? Westaustralien (1889)291 benutzt in seiner ausführlichen Verfassung für die Aufgabe der Legislative die schon bekannte Formel: „to make laws for the peace, order, and good government…“. Diese Trias findet sich, soweit ersichtlich, in den alten europäischen Verfassungstraditionen nicht. Man fragt sich nach den geistesgeschichtlichen Hintergründen. Es handelt sich wohl um ein spezifisch angelsächsisches rechtskulturelles Textelement. 290 www.aph.gov.au/About_Parliament/Senate/Powers_practice_n_procedures/Constitution. – Siehe auch JöR 40 (1992), S. 727 ff. 291 www.slp.wa-gov.au/legislation/statutes.nst/main-mrtitle_185_currencies.html.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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Die Verfassung von Südaustralien (1934)292 formuliert in Teil I Art. 2 die Anerkennung der „Aboriginal peoples of South Australia“. In dieser Textstufe wird wohl ein Stück guter englischer Verfassungspolitik für die Aboriginies sichtbar. Im Kontext der Aufgabe des Parlaments, Gesetze für Frieden, Ordnung und gute Regierungsführung zu machen, wird von diesem vorbildlich eine vorherige Anerkennung, Beratung und Zustimmung seitens der Ureinwohner verlangt. Dies überzeugt umso mehr, als ausdrücklich das kulturelle Erbe, Sprache und Gesetze der Aboriginies sowie ihr einzigartiger Beitrag zum Land hervorgehoben wird. Dieser spezifische Friedensgedanke überspringt Kontinente! In Kanada findet sich Ähnliches, wohl nicht in den USA. An einen bewussten Rezeptionszusammenhang dieser Texte vermag man kaum zu glauben, wohl aber ist diese Paralellität Ausdruck des relativ fairen Handelns von Großbritannien in neuerer Zeit gegenüber den Ureinwohnern als gute kulturelle Textstufe. Vielleicht wirkt sich hier auch die Commonwealth-Tradition aus, gemäß der die kolonisierten Völker auch im Interesse des Handels einen relativ großzügigen Autonomiestatus bekamen (Frieden durch Handel) – oder gibt es schon einen ideellen „corpus juris constitutionalis“, aus dem die Verfassunggeber weltweit schöpfen? Vielleicht kann man auch von einem Thesaurus linguae pacis sprechen – als Ermutigung für kulturanthropologisches Denken. Die Verfassung von Victoria (1975/2010)293 bezieht sich auf die Trias von Frieden, Ordnung und guter Regierungsführung im Blick auf Parlamentsgesetze für die kommunale Selbstverwaltung (Art. 74 A). Im Kontext der kommunalen Selbstverwaltung kommt der Friedesgedanke in dieser Form weltweit sonst wohl nicht vor. Die Verfassung des Nordterritoriums (1978/2014)294 verwendet in Art. 6 wiederum für die Legislative die bekannte Aufgabe, „to make laws for the peace, order, and good government“. Diese Trias könnte auch das Gemeinwohl umschreiben. Zuletzt sei in Australien die Verfassung von Queensland (2001/2016)295 befragt. Hier finden sich schon in der ungemein reichen Präambel, die auch schon an die künftigen Generationen denkt, neue Textelemente des Prinzips Frieden, die Sprache des Friedens bereichert sich: The people of Queensland, free and equal citizens of Australia – (a) intend through this Constitution to foster the peace, welfare and good government of Queensland; and (…) (f) resolve, in this the 150th anniversary year of the establishment of Queensland, to nurture our inheritance, and build a society based on democracy, freedom and peace.296
292
www.legislation.sa.gov.au/LZ/C/A/ConstitutionAct1934.aspx. www.legislation.vic.giv.au/domino/web_notes/LDMS/…nst/…/758750d195.pdf. 294 www.legislation.gov.au/Details/C2014C00573/Download. 295 www.legislation.gov.au/LEGISLTN/…/C/ConstofQA01.pdf. 296 Schon die Verfassung von 1867 (Anhang 1) verpflichtet das Parlament, in allen Bereichen Gesetze für Frieden, Wohlfahrt und gute Regierung zu machen. 293
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Damit ist wohl erstmals textlich ein direkter Zusammenhang zwischen der Aufgabe der Verfassung und der Förderung des Friedens hergestellt. Zugleich wird der 150ste Jahrestag der Gründung von Queensland durch den Aufbau einer Gesellschaft gekrönt, die sich auf Demokratie, Freiheit und Frieden gründet. Diese Textstufe ist ein Beleg für das später im zweiten theoretischen Teil unternommene „Grundlagendenken“: Demokratie, Freiheit und Frieden als Grundlage der Gesellschaft und ihr Ziel Prinzip Frieden. Überdies ist in Queensland der Feiertag bzw. Jahrestag herausgestellt. b) Andere Weltregionen (1) Die Verfassung der Republik Palau297 (1979) sagt in ihrer Präambel u. a.: „ our respect for peace, freedom and justice for all mankind“. Einmal mehr figuriert das Friedensziel als Staatsziel (wohl auch als Erziehungsziel in den Schulen zu lesen) in einer Reihe mit anderen hohen Werten wie Freiheit und Gerechtigkeit für die ganze Menschheit. Eine Klärung des Verhältnisses dieser Ideale bzw. Grundwerte untereinander findet wie in fast allen Verfassungen leider nicht statt. Dies zu leisten ist Aufgabe der Wissenschaft und wird im späteren Zweiten theoretischen Teil unternommen. Bemerkenswert ist Art. XIII Abs. 6, wo ein Verbot „nuklearer, chemischer und sonstiger Waffen“ ausgesprochen wird (auch für den Staat). „Ideale im Verfassungsstaat“ wäre ein eigenes Thema der universalen Verfassungslehre.Jetzt ein weiterer Blick auf die nationalen Verfassungen in diesem Raum: (2) Die Verfassung von Mikronesien (1975/2005) ist schon in ihrer Präambel ergiebig. Der Friedensgedanke kommt an drei Stellen in zum Teil neuen sprachlichen Wendungen zu Ausdruck: „With this Constitution, we affirm our common wish to live together in peace and harmony, … Having known war, we hope for peace …, … We extend to all nations what we seek from each: peace, friendship, cooperation, and love in our common humanity …“. Dem kleinen Mikronesien als Inselstaat ist hier ein großer Text gelungen. Die „gesammelten Stichworte“ dürfen beanspruchen, Elemente einer universalen Verfassungslehre zu sein, mit viel Idealismus und Hoffnung für die Zukunft. In der Erklärung der Rechte (Art. IV) ist dann noch die friedliche Versammlungsfreiheit garantiert (Section 1). Damit ist das Prinzip des Friedens in dieser Verfassung nach vielen Seiten hin abgerundet; es handelt sich um ein Beispiel für Verfassungspazifismus. (3) Nauru (1968)298 versucht als kleiner Inselstaat nach den bisherigen rechtsvergleichenden Erfahrungen gewiss mit besonderer Sorgfalt, seine Verfassung zu redigieren. Dies zeigt sich an vielen Stellen: In der Präambel ist das bekannte „we the people“ mit einer invocatio dei gekoppelt. Der Grundrechtsteil ist mit großer Sorgfalt ausgestaltet. Der Vorrang der Verfassung ist ausdrücklich festgeschrieben. In Art. 13 Abs. 1 wird das Friedensgebot auf die Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit er297 298
www.paclii.org/pw/legis/consol_act/cotrop359. www.constituteproject.org/constitution/Nauru_1968?lang=en.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
141
streckt. In Art. 15 findet sich die auch in anderen Verfassungen gelegentlich verwendete positivrechtliche Kontextformel: „unless the context otherwise requires“ – ein Beleg für die Kontextwissenschaft. Art. 27 gibt dem Parlament die Kompetenz, Gesetze für „Frieden, Ordnung und gute Regierungsführung“ zu erlassen – die schon bekannte Trias von Staatszielen für die Legislative. (4) Die Verfassung von Fiji (2013)299 spricht in ihrer Präambel die vielen Kulturgehalte des Volkes an. Man mag die letzte Zeile als friedensnahe Formulierung deuten: DECLARE our commitment to justice, national sovereignty and security, social and economic wellbeing, and safeguarding our environment,…
Ähnliche Grundwerte finden sich in Art. 1: „civic involvement and mutual support“. In Art. 18 Abs. 1 wird das Friedensgebot auf sehr viele Erscheinungsformen der Versammlung, der Demonstration etc. erstreckt, in den Worten: Every person has the right, peaceably and unarmed, to assemble, demonstrate, picket and to present petitions.
Man erkennt erneut die Ergiebigkeit des Textstufenparadigmas. Stück für Stück wird das klassische friedliche Versammlungsrecht auf andere Assoziations- bzw. Kommunikationsformen wie die Demonstrationsform ausgedehnt – und dies über Kontinente hinweg. Was etwa in Deutschland Judikatur und Wissenschaft zu Art. 8 GG erarbeitet haben, ist auf Fiji Verfassungstext (geworden). (5) Die Verfassung der Koralleninsel Niue (1974)300 zeichnet sich vor allem durch eine erstaunlich weit ausgebaute Friedensgerichtsbarkeit (Art. 51, 55 C, 78) aus. Dies mag mit der Geschichte der Ureinwohner und der Insellage zusammenhängen. Im Übrigen ist die schon von anderen Verfassungen her bekannte Formel normiert, dass die Legislative Gesetze für den Frieden, die Ordnung und gute Regierungsführung machen soll (Art. 28 Abs. 1). (6) Die Verfassung von Tonga (1988)301 erfindet eine neue Textstufe: die Freiheit Gottesdienste auszuüben findet ihre Grenze in dem, was konträr zu den Gesetzen und dem Frieden des Landes steht (Art. 4). Auch die Petitionsfreiheit ist im Zusammenhang mit der Versammlungsfreiheit unter das Gebot der Friedlichkeit gestellt (Art. 8). Bei uns in Deutschland musste dies die Verfassungsentwicklung erarbeiten: dank Judikatur und Wissenschaft. (7) Die Verfassung der Republik Malediven (2008)302 garantiert wie fast die meisten Verfassungen der Welt in Art. 32 das Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit. Ein spezielles Staatsziel findet sich in Art. 236. Die Sicherheitsdienste werden verpflichtet, allen Personen in Maledivien ein Leben in Frieden, Sicherheit 299 300 301 302
www.constituteproject.org/constitution/Fiji_2013?lang=en. http://undoc.org/tlbd/pdf/Niue-const_1974.doc. www.confinder.richmond.edu. www.confinder.richmond.edu.
142
1. Teil: Bestandsaufnahme
und Freiheit zu gewährleisten. Im Abschnitt über Legaldefinitionen (Art. 274) wird gesagt, dass eine Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ nicht vorliegt, wenn die Bürger ihre gesetzlichen Rechte auf friedliche Aktivitäten ausüben. Dieser Text und Kontext ist neu: ein allgemeines Grundrecht auf friedliche Aktivitäten. (8) Die Verfassung von Jamaika (1962/2011)303 gehört zu den Ländern, die in ihren Verfassungen mit der Kontextargumentation als Redaktionstechnik arbeiten, dies mit der bekannten Formel „unless the context otherwise requires“ (zum Beispiel Kapitel I, Art. 1, Abs. 1 und Abs. 10). Die wissenschaftliche Kontexttheorie hat hier einen verfassungsrechtlichen Beleg. Kapitel III Art. 13 Nr. 2 sowie Art. 23 garantieren die friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. In Teil II Art. 48 Abs. 1 zu den Kompetenzen des Parlamentes findet sich die wohl für angelsächsische Länder typische Verpflichtung des Parlaments auf Gesetzgebung für den Frieden: „make laws for the peace, order and good government of Jamaica.“ Das Friedensthema hat sich ein neues Feld erarbeitet. Der Begriff „gute Regierungsführung“ macht auch in geschriebenen Verfassungstexten Karriere. Bislang ringt vor allem die Wissenschaft um ihn. (9) Die Cookinseln haben in ihrer Verfassung von 2004304 reiche Texte in Sachen Frieden geprägt. In Artikel 39 Abs. 1 und 3 wird die Kompetenz des Parlaments mit den Worten beschrieben: „ to make laws for the peace, order, and good government“ – diese Wendung begegnete schon in anderen Ländern. Eine große Innovation findet sich im dritten Anhang („schedule“). Hier wird die Nationalflagge aufs Genaueste beschrieben. Unter anderem heißt es Blue – is the colour most expressive of our Nation, it is representative of the vast area of the Pacific Ocean in which the islands of the Cook Islands are scattered. Blue also depicts the peaceful nature of the inhabitants of our islands.
Die Beschreibung dieser Nationalflagge ist ein geradezu sensationeller Textfund. Natur und Kunst begegnen sich. Die Farbe Blau wird für die Friedlichkeit der Einwohner der Inseln in Anspruch genommen. Hier zeigt sich, wie berechtigt es ist von „Kultur des Friedens“ zu sprechen – im Gegensatz zur Natur des Krieges. Das künstlerische farbliche Element ist ein Mosaik im Ganzen des „Prinzips Frieden“. Vergleicht man das Abbild der Nationalflagge mit der Forderung der Verfassung, so zeigt sich, dass die Künstler sich sehr genau an den Text von Anhang drei gehalten haben. Das ganze wirkt als Sprache des Friedens sehr suggestiv. (10) Der Vertrag von Waitangi, d. h. das Abkommen zwischen der Britischen Krone und dem Volk der Maori in Neuseeland vom 04. Februar 1840305, spricht in der Präambel von dem Wunsch der Königin Victoria, dem Volk von Neuseeland das Land zu erhalten und Frieden und Ordnung unter ihnen aufrecht zu erhalten. Dieser Passus
303 304 305
http://pdba.georgetown.edu/Constitutions/Jamaica/jam62.html. www.confinder.richmond.edu. www.legislation.govt.nz/act/public/1986/0114/latest/whole.html.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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sei deshalb zitiert, weil die Verfassung von Neuseeland (1987) selbst keinen Friedenstext enthält306.
7. Exkurs: Die ehemaligen Verfassungen der kommunistischen Staaten unter Einbeziehung der geltenden Verfassungen Chinas, Kubas und Nordkoreas Ein Blick zurück könnte als Kontrastprogramm für die Gegenwart hilfreich sein. Die einstmals sozialistischen Staaten307 bzw. ihre damaligen Verfassungen in Sachen Frieden textlich zu befragen, hat durchaus Sinn. Zu vermuten sind Instrumentalisierungen des Friedensthemas im Interesse der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Dabei ist Sensibilität für die jeweiligen Kontexte gefragt („Auslegen durch Hinzudenken“). Denn derselbe Text, zum Beispiel die „Friedenspolitik“, kann in einem anderen Kontext eine vollkommen andere Bedeutung erlangen als die Friedenstexte in verfassungsstaatlichen Verfassungen. Diese Ambivalenz ist zu beachten. Der Textvergleich stößt hier auf seine Grenzen. Die Kontexte sind gefragt. Nur angemerkt sei, dass zwischen Rechtsvergleichung (mitunter zur Gewinnung der Wirkkraft als „5.“ Auslegungsmethode) und Rechtsangleichung zu unterscheiden ist. Diese sollte in Regionalpartnerschaften wie der EU nicht zu intensiv vorangetrieben werden, da sonst die rechtskulturelle Vielfalt leidet. (1) Begonnen sei mit der Verfassung der Volksrepublik Polen (1952/1976). Sie normiert in ihrer Präambel als Staatsziel „die Festigung der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den Völkern“, gestützt auf das Bündnis und die Brüderlichkeit, die heute das polnische Volk mit den friedliebenden Völkern der Welt im Streben nach gemeinsamen Ziele einig: eine Aggression unmöglich zu machen und den Weltfrieden zu festigen. Dieser gewundene Satz ist kaum misszuverstehen: er zielt auf die sozialistischen Bruderländer. Gleiches gilt für Art. 6 Abs. 1, wo vom Friedenswillen und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern die Rede ist (s. auch Abs. 2: „Solidarität mit den Kräften des Friedens und des Fortschritts“). Gedacht ist wohl nur an die sozialistischen Staaten. Allenfalls im Begriff „Weltfrieden“ dürfte das Anliegen der UN mitgedacht sein. (2) Die Verfassung der ungarischen Volksrepublik (1959/75) beschwört in der Präambel die „Siege im zweiten Weltkrieg“. § 5 Abs. 2 lautet, alle Völker einschließend: Als Teil des sozialistischen Weltsystems entwickelt und festigt die Ungarische Volksrepublik ihre Freundschaft mit den sozialistischen Ländern; im Interesse des Friedens und des 306
Aus der Lit. zum Vertrag von Waitangi: Quelle: www.newzealand.com/de/feature/treatyof-waitangi/. 307 Die Texte sind, soweit nichts anderes vermerkt, zit. nach G. Brunner/B. Meissner (Hrsg.), Verfassungen der kommunistischen Staaten, 1979.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
menschlichen Fortschritts strebt sie nach Zusammenarbeit mit allen Völkern und Ländern der Welt.
(3) Das Grundgesetz der Mongolischen Volksrepublik (1960) sagt: „Die Mongolische Volksrepublik betreibt eine friedliche Außenpolitik, die auf die Sicherung eines dauerhaften Friedens, der Freundschaft und Zusammenarbeit mit allen Völkern … gerichtet ist“. Am Ende wird noch einmal die Grundlage der Prinzipien des Marxismus-Leninismus beschworen. Bei den Kompetenzverteilungsnormen wird dem Großen Volkschural die Entscheidung von Fragen des Friedens und der sozialistischen Heimat zugeteilt. In Art. 82 Abs. 1 wird den Bürgern das Recht garantiert, sich in gesellschaftlichen Organisationen zu vereinigen, die „der Festigung des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern dienen“. Dem Wortlaut nach ist dieses Ziel auf alle Völker gerichtet. Ein schon aus anderen nationalen Verfassungen bekannter Text in Sachen Asylrecht findet sich in Art. 83 Abs. 3: Die MVR gewährt ausländischen Bürgern das Asylrecht, die wegen der Verteidigung der Interessen der Werktätigen, der Teilnamen am nationalen Befreiungskampf, der Tätigkeit zur Festigung des Friedens oder wegen wissenschaftlicher Tätigkeit verfolgt werden.
Damit wird das Asylrecht in den Dienst des Friedens gestellt; indessen ist die Prägung durch den Marxismus-Leninismus offenkundig. Art. 89 lit. g formuliert eine Grundpflicht jedes Bürgers, „aktiv zur Festigung der volksdemokratischen Ordnung beizutragen, das Staatsgeheimnis streng zu hüten und den Feinden gegenüber wachsam zu sein“ (s. auch lit. h: sozialistische Heimat gegen die Feinde des Sozialismus in heiliger Pflichterfüllung zu verteidigen). Die Grundpflicht wird hier totalitär. Ein rigoroses Freund/Feind-Denken herrscht vor. Einen ganz eigenen, vorbildlichen Weg geht demgegenüber Art. 90 Abs. 1: Das Staatswappen der Mongolischen Volksrepublik bringt das Wesen des Staates und die Idee der Völkerfreundschaft zum Ausdruck und zeigt die nationalen und wirtschaftlichen Besonderheiten des Landes.
Damit rückt die Völkerfreundschaft bzw. der Friede in ein Staatssymbol, was in der tendenziell weltweiten Verfassungsvergleichung dieses Buches auch schon in anderen fernen Verfassungen nachweisbar war und grundsätzlich Beifall verdient (Stichwort: Frieden als verfassungsrechtliches Programm für Staatssymbole). Der Friede wird zum Gegenstand von Kunst bzw. Kultur. Dem Künstler wird hier freilich viel abverlangt, um das Zielprinzip Frieden darzustellen. (4) Die Verfassung der Slowakischen Sozialistischen Republik (1960/78) bekennt vorweg den Willen, mit „allen Völkern der Welt in Frieden und Freundschaft zu leben“. Art. 1 Abs. 3 formuliert die Zugehörigkeit zum „sozialistischen Weltsystem und das Streben nach freundschaftlichen Beziehungen zu allen Völkern und Sicherung eines dauerhaften Friedens auf der ganzen Welt“. Beide Aussagen könnten sich widersprechen.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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(5) Die Verfassung der sozialistischen Republik Rumänien (1965) beschwört in Art. 14 Abs. 1 die Entwicklung von Beziehungen der Freundschaft und brüderlichen Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Ländern (s. auch das Ziel der Sicherung des Friedens und der Völkerverständigung in internationalen Organisationen). Diese Ziele beziehen sich wohl auf alle Völker. (6) Die Verfassung der DDR (1968/74) spricht in ihrer Präambel von dem Willen, „unbeirrt auch weiter den Weg des Sozialismus und Kommunismus, des Friedens, der Demokratie und Völkerfreundschaft zu gehen“. Die Einreihung des Friedens in den Kontext des Sozialismus vermittelt diesem Staatsziel einen ganz anderen Inhalt vom Kontext her. Dasselbe gilt für Art. 6 Abs. 1: „Eine, dem Sozialismus und dem Frieden der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Außenpolitik“. Gleiches gilt für Art. 7 Abs. 2: „Die nationale Volksarmee pflegt im Interesse der Wahrung des Friedens enge Waffenbrüderschaft mit den Armeen der Sowjetunion … „. Art. 4 formuliert als Staatsziel ein „friedliches Leben“. Demgegenüber lässt sich Art. 8 Abs. 1 durchaus ernst nehmen und als vorbildliches Textelement – auch für den kooperativen Verfassungsstaat von heute – werten: Die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts sind für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich.
Geradezu sensationell ist Art. 8 Abs. 2, zumal er beim Einmarsch nach Ungarn verletzt wurde (1956). Er lautet, sicherlich von dem französischen Vorbild von 1791 beeinflusst: Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.
Art. 23 Abs. 1 macht den Schutz des Friedens zur „Ehrenpflicht der Bürger“. Bemerkenswert ist Art. 23 Abs. 3: Die Deutsche Demokratische Republik kann Bürgern anderer Staaten oder Staatenlosen Asyl gewähren, wenn sie wegen politischer, wissenschaftlicher oder kultureller Tätigkeit zur Verteidigung des Friedens, der Demokratie, der Interessen des werktätigen Volkes oder wegen ihrer Teilnahme am sozialen und nationalen Befreiungskampf verfolgt werden.
Dieser Text könnte so auch in den Verfassungen stehen, die einen Beitrag zur universalen Verfassungslehre leisten: das Asylrecht im Dienste des Friedens. Doch legt der Kontext einen sozialistischen Asylgrund nahe, „werktätiges Volk“. Art. 91 lautet demgegenüber, universal formuliert, fast vorbildlich: Die allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts über die Bestrafung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen sind unmittelbar geltendes Recht. Verbrechen dieser Art unterliegen nicht der Verjährung.
(7) Die Verfassung der Volksrepublik Bulgarien (1971) sagt in ihrer Präambel: „Dass der gerechte Kampf der Völker um ihre Unabhängigkeit … unterstützt wird; dass an der Erhaltung des Weltfriedens, an der Zusammenarbeit zwischen allen Völkern der Erde mitgewirkt wird“. In Art. 3 Abs. 1 heißt es: „Dass die Friedens-
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1. Teil: Bestandsaufnahme
politik und die Zusammenarbeit in allen Ländern und Völkern verfolgt werden“. Der inhaltsreiche Begriff „Friedenspolitik“, der sich sonst relativ selten findet, hat hier wohl eine ganz andere Bedeutung als im pluralistischen Verfassungsstaat von heute. In Art. 12 ist von der „sozialistischen Weltgemeinschaft“ die Rede. Art. 63 Abs. 1 und 2 lauten: (1) Jeder Bürger ist verpflichtet, zur Sicherung und Festigung des Friedens beizutragen. (2) Kriegsanstiftung und Kriegspropaganda sind die schwersten Straftaten gegen den Frieden und die Menschheit. Sie sind verboten und strafbar.
Die Grundpflicht zur Festigung des Friedens beizutragen, erscheint vom weltoffenen Verfassungsstaat aus gesehen, eher fragwürdig. Die scharfe Verurteilung der Kriegspropaganda ist hingegen in der Sache, auch von einer universalen Verfassungslehre her, beifallswürdig. Im Kontext des Sozialismus jedoch, gewinnt sie wohl einen ganz anderen Inhalt und verdient Kritik. (8) Die Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (1974) fällt durch einen ungewöhnlich umfangreichen Einführungsteil „Grundsätze“ auf. Eine Art Präambel ist vorausgeschickt. In diesem weitgreifenden „Narrativ“ finden sich viele Stichworte, die ganz und gar durch den Marxismus-Leninismus geprägt sind und deshalb auch entsprechend zu verstehen sind, obwohl der Text auch in anderen Kontexten, in denen des Verfassungsstaates, zu finden sein könnte. Genannt seien Sätze wie: „Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes bildet einen integralen Bestandteil der Friedenspolitik …“. „Von der Überzeugung ausgehen, dass die friedliche Koexistenz … Voraussetzung für den Frieden und den gesellschaftlichen Fortschritt in der Welt bilden …“. Die Republik Jugoslawien setzt sich ein „für die Festigung des Friedens“. Schließlich: „Eine universale Zusammenarbeit mit und die Annäherung an alle Völker im Einklang mit den fortschrittlichen Bestrebungen der Menschheit zur Schaffung einer freien Gemeinschaft aller Völker der Welt zu entwickeln“. Solche Sätze können nur aus dem sozialistischen Kontext heraus gemäß dem sozialistischen Selbstverständnis „richtig“ verstanden werden. In sozialistischen Verfassungen jener Zeit wird stets alles durch die Frage geprägt: „Genosse, bist du gegen den Frieden?“308. Art. 281 Ziff. 1 gibt dem Bund die Kompetenz zur Entscheidung über „Krieg und Frieden“. (9) Die Verfassung der sozialistischen Volksrepublik Albanien (1976) klingt recht militaristisch. Schon in der Präambel heißt es: „Das albanische Volk hat sich den Weg der Geschichte mit dem Schwert in der Hand gebahnt“. An anderer Stelle ist davon die Rede, dass das sozialistische Albanien stets ein aktiver Faktor im Kampf für den Frieden, die Freiheit und die Rechte aller Völker gegen Imperialismus sei. In Art. 15 Abs. 2 heißt es: „Die sozialistische Volksrepublik Albanien ist für Frieden und gute Nachbarschaft“. Immer wieder ist von der Verteidigung des Vaterlandes und dem 308 Bemerkenswert insofern als Rückblick: V. Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, Bist du gegen den Frieden?, FAZ vom 11. 07. 2016, S. 6.
II. Der Friedensgedanke in nationalen Verfassungen
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bewaffneten Volk die Rede (z. B. Art. 41). Der Friede hat also einen ganz anderen Stellenwert als in den bisher untersuchten verfassungsstaatlichen Verfassungen. Die Texte sind ambivalent. „Gute Nachbarschaft“ wäre an sich eine schöne Wendung: für alle Länder. Frieden scheint oft erst nach Kämpfen möglich. (10) Die Verfassung der Republik Kuba (1976/2002)309 – sie ist neben jener der Volksrepublik China und Nordkorea als eine der wenigen sozialistischen mit Änderungen noch in Kraft – spricht in ihrer Präambel von der „brüderlichen Freundschaft mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern“. Art. 11 definiert die Republik Kuba als „Teil der sozialistischen Weltgemeinschaft“. Art. 12 spricht von einer „Kampfgemeinschaft der Völker“, in lit. a wird u. a. der Imperialismus als Hauptkraft der Aggression und des Krieges und als schlimmster Feind der Völker definiert. Lit. c „betrachtet die Aggressions- und Eroberungskriege als internationales Delikt“. Nach lit. d arbeitet die Republik Kuba für den „wirklichen und dauerhaften Frieden“. Auch die Textzeile in lit. j beschwört die „Interessen des Friedens und des Sozialismus“, Art. 13 verbindet ebenfalls die Begriffe „Sozialismus und Frieden“. In all diesen Texten wird deutlich, wie intensiv der Begriff Frieden im Dienste des Sozialismus steht und von ihm aus zu interpretieren ist. Es geht gerade nicht um Elemente der universalen Verfassungslehre und ihre „Kultur des Friedens“. (11) Die Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (1977) beschwört in ihrer Präambel mehrfach den Frieden, etwa in der Wendung: „Kräfte des Sozialismus, der nationalen Befreiung, der Demokratie und des Friedens in der ganzen Welt“ oder „Förderung der Festigung des Friedens und der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit“. Art. 28 Abs. 1 stellt fest: „die UdSSR verfolgt konsequent die leninsche Friedenspolitik“ (s. auch das Wort vom Prinzip der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und des Verbotes der Kriegspropaganda (Abs. 2 bzw. 3). Art. 29 bekennt sich zur friedlichen Regelung von Streitigkeiten. Art. 38 sagt zum Asylrecht: Die UdSSR gewährt Ausländern, die wegen Verteidigung der Interessen der Werktätigen und des Friedens, wegen Teilnahme an der revolutionären und der nationalen Befreiungsbewegung, wegen fortschrittlicher gesellschaftlich-politischer, wissenschaftlicher oder anderer schöpferischer Tätigkeit verfolgt werden, das Asylrecht.
Auch hier prägt der Kontext den Text. Die genannten Prinzipien bleiben sozialistisch geprägt. (12) Die Verfassung der Volksrepublik Chinas (1978) spricht in ihrer Präambel von „friedlicher Koexistenz“ und von der „Einheitsfront gegen die Supermächte“ und gegen einen „neuen Weltkrieg“. Die geltende Verfassung Chinas von 1982 mit Änderungen von 2004310 redet in ihrer Präambel von „friedlicher Koexistenz“ und der Sicherung des Weltfriedens. Art. 29 Abs. 1 schreibt die Armee dem Volk zu und 309
www.constituteproject.org/constitution/Cuba_2002.pdf?lang=en. www.constituteproject.org. – Das Basic law von Hongkong (1997) enthält keinen Verweis auf das Friedensthema (Quelle: www.wipo.int/edocs/lexdocs/laws/en/hk/hk156en.pdf). 310
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1. Teil: Bestandsaufnahme
erwartet von ihr die Sicherung der friedlichen Arbeit des Volkes. Die Volksarmee gibt sich 2017 besonders stark und bereit. (13) Die Verfassung von Taiwan (1947/2005)311 verwendet in ihrer Präambel nicht den Friedensgedanken, sondern ein funktionales Äquivalent: „social tranquility“. Im Übrigen ist von Kompetenzen für Friedensverträge die Rede, sowie von der Sorge für den Weltfrieden. (14) Die Verfassung der demokratischen Republik Vietnam (1959) erzählt in ihrer Präambel von der überwundenen Kolonialherrschaft fremder Aggressoren und will die Solidarität mit den Völkern Asiens und Afrikas und den friedliebenden Völkern in der ganzen Welt weiter verstärken. (15) Die alte sozialistische Verfassung der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik (1972)312 – mit Änderungen noch heute gültig – arbeitet vereinzelt mit dem Friedensgedanken. In Art. 14 Abs. 3 Satz 2 ist von der Mission der bewaffneten Kräfte die Rede, Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes und den Frieden zu bewahren. Art. 16 Abs. 1 will Beziehungen zu allen Ländern pflegen, „die sich unserem Land gegenüber freundlich verhalten“. Art. 66 lautet: Die Koreanische Demokratische Volksrepublik gewährt Emigranten aus anderen Ländern Schutz, die für Frieden, Demokratie, nationale Unabhängigkeit und Sozialismus, für die Freiheit von Wissenschaft und Kultur gekämpft haben.
Die sozialistischen Kontexte prägen auch hier die Verfassungstexte, so dass ein Vergleich mit äußerlich ähnlichen Regelungen in anderen Verfassungsstaaten von heute nicht sinnvoll ist. (16) Die Verfassung von Kambodscha (1976) formuliert eine umfangreiche Präambel ähnlich vor. In ihrem 11-Punkte-Programm der Einheitsfront (1978) ist in Ziff. 11 prägnant von der Unterstützung des gemeinsamen Kampfes aller Nationen für Frieden, nationale Unabhängigkeit, Demokratie und sozialen Fortschritt, sowie gegen Imperialismus, Kolonialismus und Neo-Kolonialismus die Rede. All diese Prinzipien sind höchst ambivalent. Die heutige Verfassung von Kambodscha ist demgegenüber, wie gezeigt, vorbildlich. Sie geht in der „Sprache des Friedens“ neue Wege. Zusammenfassend: Die sozialistischen Staaten lieferten in ihren Friedenstexten eindrucksvolle Gegenbilder gegen den Friedensgedanken, wie er eine universale 311
https://www.constituteproject.org/search?lang=en&q=taiwan. Die Verfassung von 1972 wurde mehrfach geändert, zuletzt 2012 (zit. nach: http://www. servat.unibe.ch/icl/kn00000_.html.). In der Präambel finden sich Aussagen zum Weltfrieden. Art. 9 spricht von der friedlichen Wiedervereinigung. Art. 17 und 59 bekennen sich zur Unabhängigkeit und Frieden. Art. 80 garantiert das Asylrecht den Kämpfern für Frieden und Demokratie. Irritierend ist freilich, die Ausrufung des Atomstaates in den Worten: „Staat im Besitz der Atomwaffe“, zit. nach: https://www.welt.de/politik/ausland/article106396115/Nord korea-nennt-sich-jetzt-offiziell-Atommacht.html. Man denke demgegenüber an Verfassungen in Übersee, die atomwaffenfreie Zonen etablieren. 312
III. Zwischenergebnis
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Verfassungslehre von heute auszeichnen sollte. Die alles überwölbende Lehre des Marxismus-Leninismus instrumentalisiert fast alle Friedenstexte. Kampf und Kriege stehen im Vordergrund des Narrativs. Einzelne Texte etwa zum Staatssymbol, zum Asylrecht oder zur friedlichen Streitbeilegung könnten für sich genommen durchaus sinnvoll sein. Im Kontext der sozialistischen Leitidee freilich gewann ihr Inhalt eine ganz andere Bedeutung als im weltoffenen kooperativen Verfassungsstaat. Gleichwohl oder gerade deswegen sind die sozialistischen Gegenbilder in Sachen Frieden für die universale Verfassungslehre von hohem wissenschaftlichem Interesse.
III. Zwischenergebnis zur Bestandsaufnahme von Friedenstexten in nationalen Verfassungen sowie im Völker- und Europarecht als „Sprache des Friedens“ Ein kleines Zwischenergebnis zur bisherigen wissenschaftlichenTextstufenarbeit, die aktive Rezeptionen und reiche Variationen sowie Produktionen bzw. Fortschreibungen sowie „Umschreibungen“ und „Nachführungen“ offengelegt hat, gelangt zu folgenden Erkenntnissen: Der Friedensgedanke kommt in vielen nationalen Verfassungen zum Ausdruck, er begegnet in älteren und neueren Texten, er findet sich in unterschiedlichen Textgruppen, Spielarten und Normensembles bzw. Kontexten und Konstellationen, dies in verschiedener Intensität und differenzierter Gestalt, gelegentlich aber auch in wortwörtlicher Rezeption oder kreativer Variation313. Dabei lassen sich in Geschichte (Frankreich, Schweiz sowie Spanien, Deutschland und Irland) und in der Gegenwart (vor allem in Lateinamerika, auch Afrika und Asien sowie in anderen Weltreligionen) besonders geglückte typologische Textstücke (Prototypen) finden, die vorbildlich für jeden Verfassungsstaat von heute sind und seine kulturelle Identität mitprägen können. Sie seien im Folgenden – angereichert durch die Judikatur des BVerfG – als Materialien für den später entworfenen Theorierahmen dargestellt: für die „Kultur des Friedens“, das „Prinzip Frieden“, die Sprache des Friedens, die auch vom Völkerrecht und Europarecht her geprägt sind. Die nationalen Verfassungstexte allein sind freilich nur begrenzt Ga-
313 Nur einige wenige Verfassungen verzichten ganz auf die Friedensthematik: Israel (1958), www.constituteproject.org; Niederlande (1815/2008), ebd.; Sambia (1991/2009), ebd.; Sambia Constitution Act (2016), confinder.richmond.edu; San Marino (1974/2002), confinder.richmond.edu; Vatikan (2000), confinder.richmond.edu. – Trotz des Fehlens eines konstitutionellen Friedenstextes im Vatikan sei an die reiche Geschichte friedlicher Vermittlungspolitik seitens der Päpste erinnert. Man denke zuletzt an die Vermittlung zwischen den USA und Kuba (2016).– Freilich gibt es auch manches Scheitern: Benedikt XV. scheiterte im 1. Weltkrieg (1917), Paul VI. im Vietnamkrieg. Aus der Lit.: V. Reinhardt, Pontifex, Die Geschichte der Päpste. Von Petrus bis Franziskus, 2017.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
rantien für Friedenswirklichkeit in pluralistischen Gesellschaften314. Sie zu schaffen ist Aufgabe aller in Staat und Gesellschaft (auch lokal, regional und universal neben Staatsorganen, insbes. den Verfassungsgerichten ist die ganze offene Zivilgesellschaft gefordert); diese Aufgabe wird oft genug verfehlt, z. B. wenn nötige Reformen unterbleiben, etwa Minderheiten nicht geschützt sind oder der demokratische, friedliche Machtwechsel nicht gelingt (so wie in Afrika derzeit in einigen Länder die Staatspräsidenten die Wahlperiode mehr oder weniger friedlich durch Verfassungsänderungen oder auf andere Weise rechtswidrig verlängern lassen, gelegentlich begleitet von Massendemonstrationen, oder gar verfassungswidrig im Amt bleiben).
1. Der Friedensgedanke in Verfassungspräambeln Verfassungspräambeln, schon sprachlich und rythmisch besonders gestaltet, bilden einen bevorzugten Ort für das Bekenntnis des kooperativen Verfassungsstaates zum Frieden. Wegen ihrer besonderen Eigenschaften als „Konzentrat“ der Verfassung ist es verfassungspolitisch klug, wenn der nationale Verfassunggeber das Staatsziel „Frieden“ gezielt gerade in seiner Präambel positiviert. Sie eröffnet den Weg zu weiteren Konkretisierungen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen bzw. Kontexten (von den Staatszielen bzw. Kompetenznormen über Erziehungsziele bis zu einzelnen materiellen Grundrechten und Staatssymbolen). Auch steht das Prinzip Frieden dann oft im Zusammenhang mit anderen hochrangigen (gleichwertigen?) Ideen und Idealen bzw. Grundwerten wie den Menschenrechten, der Demokratie, der Brüderlichkeit und/oder Solidarität, der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit oder auch dem Gemeinwohl oder dem Rechtsstaat oder der Sicherheit, auch dem „Fortschritt“, der „Entwicklung“ (welche Begriffe eine nachhaltige Aufforderung zu friedensschaffender Tätigkeit sein können). Der Friedensgedanke, hochrangig in den Präambeln platziert, ist eben deshalb allseits der Konkretisierung durch die Staatsorgane und die offene Gesellschaft fähig und bedürftig. Die besondere normative Kraft von Präambeln (teils von den Verfassungen von vorneherein ausdrücklich wie oft in Afrika positivrechtlich angeordnet, teils, so für das GG, durch die spätere Praxis bzw. Judikatur erarbeitet), kommt dem Friedensgedanken zugute, ebenso die meist feierliche und bürgernahe Sprache sowie der Kontext der Vergangenheitsaufbereitung und Geschichtsschreibung („Narrative“) bzw. dem Entwurf-Charakter für die Zukunft (Zukunftsgestaltung). Schon hier sei angemerkt, dass mitunter auch an anderer Stelle, z. B. bei einzelnen Grundrechten wie Art. 9 Abs. 2 GG (Völkerversöhnung)315 oder adverbial bei Art. 8 Abs. 1 GG, das „Prinzip Frieden“ platziert sein kann. Fast einzigartig, jedenfalls eine Pioniertat aber 314 Vergleiche BVerfGE 57, 295 (331): „ die – pluralistische – Allgemeinheit“; E 128, 1 (48): „pluralistische Gesellschaft“. 315 Dazu etwa BVerfGE 80, 244 (253); E 142, 234 im Kontext der Präambel sowie des Art. 1 Abs. 2 GG unter dem Stichwort „Einbindung der Bundesrepublik in die internationale Gemeinschaft“.
III. Zwischenergebnis
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ist vor allem im weltweiten Vergleich Art. 124 Abs. 3 Verf. der Republik Slowenien (1991)316, der eigentlich eher in die Präambel gehört. Er lautet (im Kontext des Abschnitts zur „Verteidigung des Staates“): Der Staat geht bei der Wahrung der Sicherheit vor allem von der Friedenspolitik und der Kultur des Friedens sowie von der Nichtanwendung von Gewalt aus.
Diese präambelhafte Textstufe zur Kultur des Friedens (und damit das kulturwissenschaftliche Verständnis) ist vorbildlich, auch wenn ihr Kontext die „Sicherheit“ ist. Wahlverwandtes oder Ähnliches findet sich später nur in einigen lateinamerikanischen Verfassungen sowie im Regionalstatut Umbriens (2005) sowie im Südsudan (2011). Für die innerdeutsche Diskussion und darüber hinaus sollte das besondere Wort von der „Friedenspolitik“ – es ist m. E. keineswegs durch die seinerzeitige Platzierung in alten (überholten) sozialistischen Verfassungen diskreditiert – von der und in die „Kultur des Friedens“ übernommen werden, am besten schon in Präambeln, vor allem aber auch in der Wissenschaft und besonders in der außenpolitischen Praxis, zum Beispiel in Gestalt von mühsamen Prozessen in der Ostukraine oder intern im Kolumbien unserer Tage. Man denke in der Vergangenheit auch an den langwierigen Friedensprozess im Baskenland sowie in Nordirland (Karfreitagsabkommen von 1998). Man denke an Bürgerkriege in der Antike (Rom 133 – 30 v. Chr.), den Amerikanischen Sezessionskrieg (1861 – 65) und etwa in Sri Lanka (1983 – 2009) sowie den noch andauernden barbarischen Bürgerkieg in Syrien (2011) und im Jemen, auch in Libyen und Venezuela.
2. Das „Prinzip Frieden“ in der Reihe der verfassungsstaatlichen Grundwerte Besonders häufig erscheint die Friedensidee in nationalen Verfassungen im Kontext der (anderen) zentralen Grundwerte-Artikel. Dies ähnelt ihrem Vorkommen in der Präambel. Meist ist der Friede textlich aufgezählt: in einer Reihe mit Gerechtigkeit, Menschenrechten, Sicherheit und Demokratie, Solidarität317 und Zivilgesellschaft etc. Das Verhältnis dieser Grundwerte untereinander bleibt textlich ungeklärt, die Wissenschaft ist gefordert: Frieden als finales Zielprinzip. Zu vermuten sei, dass es sich um Beziehungen wechselseitiger Bedingtheit handelt. Der soziale Rechtsstaat schafft kontinuierlich Frieden, setzt aber in seinen Inhalten und Verfahren auch schon einen solchen als bestehend voraus. Die pluralistische Demokratie bzw. freie, faire Wahlen sind eine Garantie für den Frieden in einer ver316 Zit. nach H. Roggemann (Hrsg.), Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, 1999, S. 899 ff. 317 Soweit ergiebig, wird die Judikatur des BVerfG zu den einzelnen Prinzipien bewusst „parallel“ geführt (als Arbeit an der universalen Verfassungslehre). Das Prinzip der „Solidarität“ taucht auch in mancher Entscheidung des BVerfG auf, z. B. E 22, 241 (253); E 58, 81 (110); E 70, 101 (111); s. auch: E 76, 256 (319); 97, 271 (285). – Zum bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft: E 101, 158 (221 ff., 233).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
fassten Gesellschaft und für einen friedlichen Machtwechsel (wie z. B. in Ägypten getextet). In Afrika kämpfen manche Staatspräsidenten leider gewaltsam um eine verfassungswidrige Amtsverlängerung. Auch irritiert die seinerzeitige Ankündigung des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten D. Trump, der laut Medienberichten gesagt haben soll, im Falle einer Niederlage bei den US-Wahlen im November 2016 komme es zum Bürgerkrieg. Freie Wahlen und faire sowie friedliche Wahlen sind das Verfahren zur Friedenssicherung in lebendigen Demokratien: sofern der jeweils „friedliche Machtwechsel“ (so textlich in einigen Verfassungen in Afrika und Asien) glückt. Gelingt er nicht, kommt es zum Bürgerkrieg, also dem status naturalis von Gewalt und Krieg im Sinne der Klassiker, insbesondere von I. Kant. Nachdem in den US-Wahlen zur allgemeinen Überraschung D. Trump gewonnen hatte, schafften die USA einen friedlichen Machtwechsel von Obama zu Trump (2016/17). Es kam nur zu einigen, meist gewaltlosen Demonstrationen gegen das Wahlergebnis bzw. den Gewinner. Neue Fragen stellen sich angesichts gezielter Falschmeldungen in Wahlkämpfen („fake news“). Sie widersprechen dem Gebot „fairer Wahlen“. Das Wahrheitsthema wird auf einem neuen Feld aktuell318. Auffällig ist, dass das Recht als solches bzw. die gesamte jeweils geltende Rechtsordnung – positive Rechtsordnung – auf direkte Weise in den geschriebenen Verfassungen nur selten angesprochen werden319, obwohl doch das positive Recht das friedliche Zusammenleben aller in einem politischen Gemeinwesen ermöglicht320. Nur vereinzelt nehmen die Verfassunggeber ausdrücklich auf Recht und soziale Gerechtigkeit sowie das Gemeinwohl Bezug321.
318
Dazu P. Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, 1995. BVerfGE 49, 304 (319) befindet sich beim Hinweis auf die Begründung einer Verfassungsbeschwerde ganz in der Nähe dieses Denkens: Das Deliktsrecht als gesetzlicher Schutz gegen die Verletzung dieser Rechtsgüter sei Grundlage jedweder Rechtsordnung der Kulturnationen und Bestandteil des Rechtsbewußtseins überhaupt; unterschiedslos – und diese Unterschiedslosigkeit sei seinem Charakter immanent – verpflichte es jedermann, stets und überall Eingriffe in geschützte Rechte Dritter zu unterlassen und für die Folgen schuldhafter Eingriffe einzustehen. 320 Treffend BVerfGE 3, 225 (237): „Würde eine Norm die dem Recht immanente Funktion der Friedenswahrung verleugnen …“. 321 Demgegenüber formuliert das BVerfG überzeugend in E 42, 312 (332): „Das Grundgesetz hat nicht eine virtuell allumfassende Staatsgewalt verfaßt, sondern den Zweck des Staates materialiter auf die Wahrung des Gemeinwohls beschränkt, in dessen Mitte Freiheit und soziale Gerechtigkeit stehen“. Zur Gemeinwohl- Aktualisierung durch den Gesetzgeber: E 74, 264 (296); 97, 228 (258): vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls.; zum Gestaltungsraum, der dem Gesetzgeber zur Verwirklichung des gemeinen Wohls verbleiben muss: E 97, 67 (82). E 98, 218 (246): „generelle Befugnis des Staates zum Handeln im Gemeinwohlinteresse“; E 118, 277 (328): Gemeinwohlauftrag des Deutschen Bundestages; E 137, 185 (241): „Das Staatswohl ist im parlamentarischen Regierungssystem des GG nicht allein der Bundesregierung, sondern dem Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut“. 319
III. Zwischenergebnis
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3. Der Friedensgedanke nach dem Modell von Art. 1 Abs. 2 GG Den Vätern und Müttern des Grundgesetzes ist in Art. 1 Abs. 2 etwas Außerordentliches geglückt: formal (edle Sprache) und inhaltlich (hohe Ideale). Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Dieser Satz zum „Prinzip Frieden“ ist vorbildlich: Menschenrechte als Grundlage des Friedens. Er ist offenkundig schon dem Wortlaut nach ein Baustein der universalen Verfassungslehre und findet sich später als aktive Rezeption, variantenreich fortgeschrieben, in manchen neueren Verfassungen Afrikas und Lateinamerikas („Nachbilder“). Entworfen ist ein Stück des „nationalen Weltverfassungsrechts“, wie der Verf. es seit Jahren in Analogie zum „nationalen Europaverfassungsrecht“ skizziert hat322. Man beachte die Formulierung „jeder (!) menschlichen Gemeinschaft“ (zum Beispiel auch in der Familie). Der Friedensgedanke ist damit zugleich als Ideal in Einklang und Gleichklang zu Menschenwürde, Menschenrechten und Gerechtigkeit in der Welt gebracht. Art. 1 Abs. 2 hat universal Modellcharakter. Er könnte auch in einer Präambel (oder in Konkordanz mit anderen Grundwerten) formuliert sein und sollte (wie bisher schon weltweit) andere nationale Verfassunggeber in Zukunft inspirieren. Er wirkt als junger Klassikertext des weltoffenen Verfassungsstaates. Der Kontext „Gerechtigkeit in der Welt“ ist allerdings sehr anspruchsvoll, ja utopisch, hier denkt das nationale Verfassungsrecht an das Völkerrecht (indes kann auch für den inneren Bereich des Staates der Satz gewagt werden: Frieden durch Gerechtigkeit). Hinzugefügt sei, dass der Frieden mit Hilfe der anderen Grundwerte seinerseits eine Voraussetzung für die Durchsetzung der Menschenrechte ist: als status culturalis: jenseits des status naturalis der rohen Natur des Krieges („bellum omnium contra omnes“) und des pessimistischen Menschenbildes „homo homini lupus“ (Plautus / Hobbes). Freilich bedarf es des menschlichen Willens zum Frieden.
4. Souveränitätsbeschränkungen im Interesse des regionalen und universalen Friedens Sie bilden vor allem in Europa ein typisches verfassungsstaatliches Element in Blick auf die europäische Integration; dasselbe könnte auch in Regional- bzw. Si322 Dazu P. Häberle, Europaprogramme neuerer Verfassungen und Verfassungsentwürfe – der Ausbau von nationalem „Europaverfassungsrecht“, FS für Ulrich Everling, Bd. 1, 1995, S. 355 ff. (auch in: Das Grundgesetz zwischen Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 1996, S. 445 ff., sowie auch in: Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 156 ff.); zuletzt Staatsrechtslehrertagung Speyer für das Völkerrecht: VVDStRL 75 (2016), S. 484 f. – Aussprache.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
cherheitspartnerschaften in der übrigen Welt aktuell werden (z. B. im Mercosur). Prototyp ist Art. 24 Abs. 2 GG mit zweimaligem Bekenntnis zum Frieden als Staatsziel: Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
Manche Verfassungen kombinieren in ähnlicher Weise die Friedensidee mit der Zulässigkeit von Souveränitätsbeschränkungen zugunsten von regionalen Sicherheitspartnerschaften.
5. Verbot von Angriffskriegen und Kriegspropaganda Verbote von Angriffskriegen oder friedensgefährdenden Handlungen finden sich oft neben dem Stichwort: Verpflichtung zu „friedlicher Streitbelegung“, inspiriert vom Völkerrecht (vgl. auch Art. 24 Abs. 3 GG: internationale Schiedsgerichtsbarkeit). Sie sind mitunter strafbewehrt. Modellartikel ist Art. 26 Abs. 1 GG. Er lautet: Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
In diesem Prototyp sind die friedliche Koexistenz und die Friedenspolitik im Blick auf das Völkerrecht zu einem guten Text geronnen. Es handelt sich um ein spezielles Staatsziel, das auch als Erziehungsziel in den Schulen „gelesen“ werden kann323. Auf das häufig zu findende Verbot von Kriegsproganda als Annexgarantie sei verwiesen. Oft fehlt es freilich an der praktischen legislativen bzw. administrativen Umsetzung324, allgemein am Willen zum Frieden.
6. Textstücke zur Unterscheidung von innerem (öffentlichen) und äußerem (internationalen) Frieden Auch hier gibt es einige Prototypen und viele kontextuelle Textbeispiele (etwa in der Schweiz). In der Wissenschaft (gelegentlich auch in Verfassungstexten) werden
323
Vgl. P. Häberle, Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele, FS für Hans Huber, 1981, S. 211 ff. (auch in: Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 321 ff.). 324 Bemerkenswert ist, dass das BVerfG die Kriegsopferversorgung als „Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung“ der staatlichen Gemeinschaft ansieht: E 38 (46). Die Bewältigung der Kriegslasten, der Wiederaufbau, die Sorgen für Kriegerwitwen etc. ist eine genuine Friedensarbeit. Deutschland handelte hier wohl vorbildlich.
III. Zwischenergebnis
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immer wieder innerer und äußerer Frieden unterschieden325. Auch dort, wo dies nicht ausdrücklich gesagt ist, kann oft (nur) der innere Friede gemeint sein. So sind viele Artikel zur Versammlungsfreiheit, Demonstrations- und Petitionsfreiheit in vielen Epochen und in fast allen Ländern stets mit dem Prädikat „friedlich“ versehen und insofern universal. Gemeint ist damit naturgemäß der innere Frieden eines Landes. „Friedlich“ als Element der Umschreibung des Schutzbereiches eines Grundrechts (Verbot von gesellschaftlicher/privater Gewalt angesichts des rechtsstaatlich disziplinierten und unentbehrlichen Gewaltmonopoles des Verfassungsstaates) verdient freilich eine eigene Würdigung. Große Vorarbeit hat das BVerfG im Brokdorf-Beschluss zur Versammlungsfreiheit (E 69, 315) geleistet326. Im heutigen Deutschland seien die Protestmärsche der Pegida-Bewegung in Dresden und neue Formen wie „Flashmobs“, „Smartmobs“ erwähnt; sie müssen gewaltfrei bleiben. Dafür hat vor allem die Polizei zu sorgen. Das Polizeirecht ist überhaupt das innere Friedensrecht par excellence327. Massenversammlungen können in nuce eine Vorform von Plebisziten sein, ein Stück informeller direkter Demokratie. Darum sind sie dem Verfassunggeber wohl etwas „unheimlich“. Die Gewaltexzesse in Hamburg (2017) sind ein schlimmes Gegenbeispiel.
325
Hilfreich ist BVerfGE 100, 313 (373): äußerer und innerer Frieden als hochrangiges Gemeinschaftsgut. In E 105, 61 (73) wird die funktionstüchtige Verteidigung als Staatsaufgabe im Rahmen der Wehrpflicht und der Bündnisverpflichtung herausgestellt. Aus der Lit. zum äußeren und inneren Frieden: M. Kotzur, Thematik des Verfassungsgesetzes, HStR Bd. XII, 3. Aufl., 2014, § 260, Rn. 15. Zum „inneren Frieden als Staatsaufgabe“: R. Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, HStR Bd. IV, 3. Aufl., 2006, § 72, Rn. 26; V. Götz, Innere Sicherheit, HStR Bd. IV, 3. Aufl., 2006, § 85, Rn. 25, qualifiziert den inneren Frieden als „Gemeinschaftsgut mit Verfassungsrang“. 326 Dazu J. Gericke, 30 Jahre Brokdorf-Beschluss, DÖV 2016, S. 948 ff. 327 Das deutsche Polizeirecht liefert viele Stichworte für das Prinzip Frieden. Dies gilt vor allem für das Handbuch des Polizeirechts (hrsgg. von E. Denninger/F. Rachor), 5. Aufl., 2012): Im Abschnitt B. „Die Polizei im Verfassungsgefüge“ findet sich die geglückte Wendung „innenpolitische Friedlichkeitsgrenze“ (Rn. 73). Behandelt sind der „klassische Landfriedensbruch“ in § 125 StGB (Rn. 76) sowie § 80 StGB „Verbot des Angriffkriegs“ (Rn. 209). Aufgezählt sind „rechtsethische Grundprinzipien“ wie die Goldene Regel, der kategorische Imperativ, das Fairnessprinzip, das Prinzip Verantwortung, sowie das Prinzip Toleranz (Rn. 212), auch das Projekt Weltethos von H. Küng. Denninger erarbeitet, wie schwierig die „Friedlichkeitsprognose“ für Versammlungen ist (Rn. 78). Man sieht manche Parallele zwischen dem von klassischen Autoren beschriebenen Friedenselementen und den im Laufe dieser Studie vorgeführten Friedlichkeitstexten in Verfassungen und internationalen Dokumenten. Das deutsche StGB kennt einen eigenen Abschnitt „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“ (§§ 123 – 145d StGB). Schutzgut ist der öffentliche Friede (§ 126). – Besonders dramatisch war das Verbot türkischer Wahlkampfauftritte in Deutschland im Frühjahr 2017. Die saarländische Ministerpräsidentin stellte zu Recht fest: „Auftritte gefährden inneren Frieden“, FAZ vom 15. 3. 2017, S. 2. – Zur „öffentlichen Ordnung“ des GG gehört gewiss zentral das „Prinzip Frieden“.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
7. Friedlich als Tatbestandsmerkmal von Grundrechten, Frieden im Gewand von Grundrechten Fast weltweit findet sich in vielen Verfassungen der Passus aus Art. 8 Abs. 1 GG (in Europa wirkte das Vorbild Frankreichs in Gestalt seiner Verfassung von 1791): Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Die Verfassungen variieren nur in der Frage, wer Subjekt der Versammlungsfreiheit bzw. der Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit ist, also der „Jedermann“ oder nur die eigenen Staatsangehörigen. Das Wort „friedlich“ – ein Element des Schutzbereiches – meint den inneren, öffentlichen Frieden. Die Geschichte lehrt, welch große soziale Sprengkraft in Staat und Gesellschaft die Versammlungsfreiheit als unbeherrschbares, leicht in Gewalt umschlagendes Massenphänomen haben kann. Dies provoziert staatliche Gegengewalt. Hinter den handlungsbereiten Versammlungsteilnehmern können Teile des ganzen Volkes zu Gewalt bereit sein und die Rechtsordnung umstürzen. So können Revolutionen entstehen. Dies ist die andere Seite der in den USA entwickelten demokratiebezogenen Versammlungsfreiheit. (In Deutschland ist sie ein Deutschenrecht, kein Menschenrecht.) Darum gibt es wohl diesen fast weltweit normierten Text zur Versammlungsfreiheit in den meisten nationalen Verfassungen. Massenhafte Versammlungen bzw. Demonstrationen erwiesen sich in der Geschichte oft als Vorbote von (gewaltsamen) Revolutionen bzw. Bürgerkriegen. Dass dies im Glücksfall auch friedlich geschehen kann, zeigt das Jahr 1989/90 in Deutschland (Montagsdemonstrationen in Leipzig unter dem Motto „Wir sind das Volk“, ein Text von G. Büchner). Es gibt friedliche Massenversammlungen, die wie ein „kleines Plebiszit“ wirken. Jüngstes Beispiel ist der tagelange Massenprotest gegen die Staatspräsidentin in Südkorea, die dadurch zum Rücktritt gezwungen und anschließend angeklagt wurde (2017). Es gibt freilich auch gewalttätige Massenversammlungen, die zu Gegengewalt führen, so dass die Verfassungsfrage offen wird: der bürgerkriegsähnliche Zustand im heutigen Venezuela mit vielen Toten. Speziell für Deutschland sei an die Bannmeilengesetze erinnert, dabei muss der Bannkreis „so groß wie nötig sein, um den Schutz der Unabhängigkeit des Verfassungsorgans sicher zu stellen, anderseits auch so klein wie möglich, um das Versammlungsrecht nicht unnötig zu beeinträchtigen“328. In einem weiteren Sinne gehören auch nationale Regelungen des Asylrechts hierher, die demjenigen Asyl gewähren, der wegen seines Einsatzes für die Sache des Friedens verfolgt wird. Beispiele finden sich in einigen Verfassungen Afrikas (sowie in etlichen überholten Texten sozialistischer Länder). Der Begriff „Frieden“ ist in diesem Kontext freilich nicht leicht zu definieren, geht ihm doch der „Kampf“ für den Frieden oft voraus. Eine gewisse Ambivalenz bleibt bestehen329. Klänge es nicht 328
Dazu Dietel/Ginzel/Kniesel, VersG, 16. Aufl. 2010, § 16, Rn. 23 ff. Bemerkenswert ist, dass das BVerfG immer wieder den Begriff „Kampf“ verwendet, z. B. im Blick auf den Wahlkampf: E 20, 56 (114 ff.), E 40, 7 (39), E 47, 199 (226); s. auch E 24, 329
III. Zwischenergebnis
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etwas treuherzig und naiv, könnte man die These wagen, Leitbild sei der „friedliche Bürger“, der sich freilich am Wahlkampf und im Meinungskampf beteiligen kann330. Immer wieder gibt es Entscheidungen des BVerfG, die den Bürger als solchen in den Blick nehmen331. Sie müssten systematisch ausgewertet werden.
8. Der Friedensgedanke in verfassungsrechtlichen Erziehungszielen Die Normierung dieses Typus ist eine besondere Errungenschaft älterer und neuerer deutscher Verfassungen, später findet er sich in Übersee. Dies beginnt schon in Art. 148 Abs. 1 WRV („Völkerversöhnung“) und wird nach 1945 und nach 1989 fortgeschrieben in vielen neuen deutschen Länderverfassungen in Ost und West. Meist dürfte der innere (öffentliche) und der äußere Frieden gemeint sind. Überdies ist daran zu erinnern, dass im gemeindeutschen Kanon von Erziehungszielen auch das zum Ausdruck kommt, was der Verf. als „Orientierungswerte“ charakterisiert hat332. Das Erziehungsziel „Frieden“ ist ein Teil des allgemeinen Staatsziels Frieden. Was dem jungen Bürger als Erziehung zum Frieden bzw. zur Völkerversöhnung und Friedensliebe vermittelt wird, soll die Gesellschaft als Orientierungswert für alle bereichern und anleiten. Verwandte Begriffe sind Menschheit, Brüderlichkeit, „Harmonie“, Solidarität, wohl auch „Zivilgesellschaft“, „Zusammenhalt“, Toleranz333. Sie figurieren schon als Grundwerte und Sinnelemente eines ideellen „corpus juris constitutionalis“. Darum wird eine Parallelführung gewagt. Mit voller Absicht werden die analysierten Verfassungstexte fremder Länder durch Judikate des BVerfG „kommentiert“, etwa beim Schutz der Generationen oder beim Prinzip der Solidarität 278: „öffentlicher Meinungskampf“. Ähnlich E 25, 256 (265): „geistiger Kampf der Meinungen“. S. auch BVerfGE 41, 399: zur Wahlkampfkostenerstattung; zum „Arbeitskampf“: E 47, 191 (197); zu zulässigen Schärfen und Überspitzungen des öffentlichen Meinungskampfes E 60, 234 (241); zu Wahlkampf und Meinungskampf: E 61, 1 (12 f.). 330 Eher beiläufig und nur mittelbar erwähnt BVerfGE 28, 36 (50) den „friedlichen Bürger“. 331 Z. B. BVerfGE 40, 65 (76): ältere und kranke Bürger; E 40, 237 (256): Anspruch des Bürgers; E 42, 64 (77): der sozial Schwache als Bürger; E 45, 187 (223): „Gesellschaft der freien Bürger“; E 48, 210 (221): „Freiheit und Gleichheit der Bürger“; E 78, 350 (358): Recht des Bürgers auf gleiche Teilhabe; E 89, 243 (251): „Bürgerrecht auf Teilnahme an der Wahl“. E 103, 310 (327): Bürgerrechte zu respektieren; E 125, 260 (324): die Freiheitswahrnehmung der Bürger darf nicht total erfasst werden, dies gehört zur „verfassungsrechtlichen Identität“ Deutschlands; E 129, 1 (33): klare Erkennbarkeit für den Bürger; E 129, 124 (169): in der Würde des Menschen wurzelnder Anspruch des Bürgers auf Demokratie; E 131, 316 (336): jedem Bürger zustehendes Recht auf freie und gleiche Teilhabe an der demokratischen Selbstbestimmung. 332 Dazu P. Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981. 333 Aus der Judikatur des BVerfG, die auch hier bewusst in Parallelführung zu den Verfassungstexten weltweit ausgewertet ist, findet sich die Toleranz z. B. in E 33, 23 (32); s. auch E 41, 29 (51, 63); E 46, 266 (268); E 47, 46 (76 f.); E 52, 223 (237, 274); E 107, 339 (362); 108, 282 (301). Das BVerfG leistet auch hier ein Stück Arbeit an der universalen Verfassungslehre.
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sowie des Gemeinwohls. Was im Ausland Verfassungstexte normieren, erarbeitet sich das BVerfG in seinem Argumentationshaushalt und aus „eigenen“ (oft zusammen mit der Wissenschaft erarbeiteten) Prinzipien. Es geht um Arbeit an der universalen Verfassungslehre.
9. Der bereichsspezifische Ansatz In der bisherigen Textstufenanalyse hat sich – in Verbindung mit der Judikatur des deutschen BVerfG – gezeigt, dass die nationalen Verfassunggeber unterschiedliche Friedensbereiche umschreiben: den Religionsfrieden334, den Arbeitsfrieden335, den Betriebsfrieden, den Schulfrieden336, den gesellschaftlichen Frieden, den Hausfrieden, den Familienfrieden337 sowie den äußeren bzw. internationalen Frieden (Weltfrieden). Zeitlich lassen sich in der Praxis unterscheiden: der „Olympische Friede“ (seit der Antike) und der „Weihnachtsfriede“ (zum Beispiel in der Ostukraine 2016/17). Erinnert sei auch an den „Sonntagsfrieden“. Er wird von Dichtung und Musik oft umschrieben. Vor allem geht es um die Abgrenzung zur Hektik des Alltags338. Zu benennen ist schließlich der „Rechtsfrieden“339. Er hat wohl eine doppelte 334 Vgl. BVerfGE 53, 366 (LS. 1): „Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV gewährleistet in Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen“ (vgl. E 42, 312 (330 ff., 340)). E 66, 1 (22): „friedliches Zusammenleben von Staat und Kirchen“; ebenso E 137, 273 (314). 335 Das BVerfG ist dem Arbeitsfrieden in seinen Worten sehr nahe, vgl. E 4, 96 (107 ff.): „sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens“, „gedeihliche Fortbildung des Tarifrechts“; E 50, 290 (371): „sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“ in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG; ebd. aber auch Hinweise auf Konflikte und Kampf; E 58, 233 (248 ff.) in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG: „Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“. S. aber auch E 84, 212 (229): „Gleichgewicht der erforderlichen Kampfmittel“; E 88, 103 (115) „Kampfparteien“; E 92, 365 (394): Rechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Kampfmitteln. Man darf jedoch m. E. vermuten, dass Tarifabschlüsse selbst nach Streiks eine befriedende Wirkung haben. 336 Dazu BVerfGE 138, 296 (334 f., 341). 337 Dazu BVerfGE 66, 84 (98); E 79, 256 (271). 338 Aus der Judikatur des BVerfG: E 125, 39 (81 ff.); aus der Lit.: P. Häberle, Der Sonntag als Verfassungsprinzip, 1988, 2. Aufl. 2006. 339 Aus der Judikatur des BVerfG: E 20, 230 (235): „Eine solche gesetzliche Regelung hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt im Interessse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens für verfassungsmäßig erklärt“ (BVerfGE 2, 380 (404 f.); 7, 194 (195 ff.); 11, 263 (265); s. auch E 31, 194 (205): „allgemeine Aufgabe des Staates, die Rechtsordnung und den Rechtsfrieden zu wahren“; ähnlich E 51, 193 (218); „rechtsbewahrende Funktion“ des Eigentums; E 55, 171 (179): Aufgabe der Gerichte, „die Rechtsordnung und den Rechtsfrieden zu wahren“; E 62, 354 (364): „Befriedungsfunktion der Normenkontrollentscheidung des BVerfG“; ebenso E 121, 241 (253); E 122, 210 (229). E 84, 168 (181): Aufgabe des Staates, die Rechtsordnung und den Rechtsfrieden zu wahren. In E 98, 17 (37) ist vom „Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten“ die Rede. E 98, 265 (327): Beabsichtigung der Herstellung von Rechtseinheit und Rechtsfrieden im wiedervereinigten Deutschland. E 103, 21 (34): „Rechtsfrieden“ als Argument. E 103, 44 (71) Befriedung als Argument; E 106, 62 (145): „das gesamtstaatliche Rechtsgut der Rechtseinheit, verstanden als Erhaltung einer funktionsfähigen
III. Zwischenergebnis
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Bedeutung: Er kann heißen: Frieden durch Recht, aber auch Frieden in Bezug auf das Recht (z. B. durch Beendigung von Rechtsstreitigkeiten). Rechtssicherheit bedeutet Sicherheit durch Recht, aber auch Sicherheit in Bezug auf das Recht (indem die Rechtslage geklärt wird)340. Rechtssicherheit (vielleicht auch als „Erwartungssicherheit“ zu lesen) dient gewiss auch den Freiheitsrechten. Hinzu gehört der Justizgewährungsanspruch sowie das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz341. Der Rechtsfrieden342 ist ein wesentlicher Aspekt des verfassungsstaatlichen „Prinzips Frieden“. Er wurzelt sowohl in der Idee des Rechtsstaates wie im Gemeinwohlprinzip. Die prinzipielle Verbindlichkeit des Rechts ist Grundvoraussetzung „seiner Ordnungs- und Friedensfunktion“343 (der Zugang zum Recht ist ein Element des Friedens). Im Verfassungsstaat ist also nicht nur zwischen innerem und äußerem Frieden bereichsspezifisch zu unterscheiden, vielmehr kann je nach den Lebensbereichen differenziert werden. So gibt es, wie erwähnt, den Religionsfrieden als Frieden zwischen den in einem Verfassungsstaat gelebten Religionen, den Arbeitsfrieden, den Betriebsfrieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder allgemein den gesellschaftlichen oder sozialen Frieden, auch den Schulfrieden, z. B. in Sachen Kopftuchentscheidung des BVerfG. Das Klassikerzitat von G. Büchner: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen war friedlich und kriegerisch zugleich“. Frieden mit der Natur (Meyer-Abich) ist ein neues Schlüsselwort. Dies bedeutet heute Frieden mit der Umwelt. Intergenerationeller Frieden und Gerechtigkeit, Frieden zwischen den Generationen ist ein neues Feld, vgl. Art. 20 a GG (siehe auch das Stichwort von der Generationengerechtigkeit). Vereinzelt ist in der Judikatur des BVerfG speziell von „Befriedung“ der Hochschule die Rede344.
10. Der Friedensgedanke in staatlichen Kompetenzverteilungsnormen Sehr häufig nimmt sich ein nationaler Verfassunggeber der Sache „Krieg und Frieden“ in Kompetenznormen an. Es geht meist um die Abgrenzungen der BeRechtsgemeinschaft.“; in E 112, 284 (294) taucht als Argument der „Beitrag zum Rechtsfrieden“ auf. E 136, 382 (392): „Das Rechtsstaatsprinzip fordert, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet“. 340 Vgl. BVerfGE 119, 331 (383) mit dem Argument, es träte ein rechtliches Vakuum auf und bei den Rechtsunterworfenen entstünde Unsicherheit über die Rechtslage; zuletzt E 128, 326 (404). All diese Entscheidungen sind bislang, soweit ersichtlich, nicht ausgewertet worden. 341 Z. B. BVerfGE 65, 1 (70); E 72, 299 (300); E 81, 123 (129); E 85, 337; E 96, 27; E 131, 47; E 138, 33 (39): effektiver Grundrechtsschutz. 342 Aus der Judikatur des BVerwG zum Rechtsfrieden: BVerwG, Beschluss vom 20. 01. 2017 – 8 B 23.16; BVerwG, Beschluss vom 12. 11. 2002 – 7 AV 4.02. 343 BVerfGE 66, 116 (142); E 116, 135 (150). 344 BVerfGE 35, 79 (121).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
fugnisse von Verfassungsorganen, etwa des Staatspräsidenten (z. B. Abschluss von Friedensverträgen, Amtsauftrag Frieden), der Regierung oder den gesetzgebenden Körperschaften. Vielfältige Beispiele finden sich in vielen Zeiten und Räumen. Mitunter wird speziell die Legislative bzw. das Parlament ausdrücklich auf die Trias von Ordnung und Frieden sowie „guter Regierungsführung“ verpflichtet (vor allem in neueren ausländischen Verfassungen in Übersee, nicht in Deutschland). Hier zeigt sich ein materielles Kompetenzverständnis. Dieser Überblick belegt, wie innovationsreich und in wie vielen Spielarten der Friedensgedanke in zahlreichen nationalen Verfassungen schon textlich zum Ausdruck kommt und sich zu einem facettenreichen „Prinzip Frieden“ verdichtet. Die deutsche Staatsrechtslehre hat solche vergleichende Arbeit, soweit ersichtlich, bislang nicht ausreichend geleistet345. Überhaupt ist anzumerken, dass sie viel zu wenig an den reichen Fundus von schon vorhandenen Textvarianten als Literatur und Wissenschaft denkt. Gemäß dem von Produktionen und aktiven Rezeptionen lebenden Textstufenparadigma speichert sich in diesem Rerservoir (Schatzhaus) als (offener) corpus juris constitutionalis von konstitutionellen Texten oft sowohl Praxis als auch Wissenschaft und Judikatur. Wer künftig von „Friedenspolitik“ oder gar „Kultur des Friedens“ sowie dem „Prinzip Frieden“ oder der „Sprache des Friedens“ redet, sollte an die schon vorhandenen geschriebenen nationalen Textstufen bzw. Einzelelemente anknüpfen – dies vermittelt wegen der besonderen Dignität von 345 Speziell für die Staatsziele aber wegweisend K.-P. Sommermann, Staatszielbestimmungen, a.a.O. – Man wagt kaum festzustellen, wie wenig präsent die Friedensthematik in den älteren deutschen Staats- und Verfassungslehren, selbst bei Klassikern, ist. Die Autoren behandeln eher den Krieg: die Allgemeine Staatslehre von G. Jellinek, 3. Aufl., 6. Neudruck 1959: kein Ergebnis in Sachen Frieden, wohl aber: Krieg als Staatenbildner (S. 269), Kriegerherrschaft (S. 716), Kriegsstaat (S. 133), immerhin findet sich versteckt der Satz (S. 226): „Wenn irgendein Satz richtig ist, so der, dass das bellum omnium contra omnes die notwendige Folge des Fehlens von Staat und Recht wäre“; H. Kelsen: Allgemeine Staatslehre (1925): kein Stichwort in Sachen Frieden, wohl aber: Krieg als außerordentliche Staatsfunktion (S. 248, 415), als Ursprung des Staates (S. 22, 25), als Wesen des Staates (S. 309); C. Schmitt, Verfassungslehre (1928): kein Stichwort im Sachregister zu Frieden, außer dem Hinweis auf die Friedensresolution des Reichstages von 1917 (S. 336); R. Smend: Staatsrechtliche Abhandlungen (2. Aufl. 1968) ohne Ergebnis im Sachregister; H. Heller, Staatslehre (1934): ohne Fundstelle im Sachverzeichnis, wohl aber zum Krieg (S. 9) sowie zum Freund-Feind-Gegensatz i.S. von C. Schmitt ebd.; in seinem Aufsatz „Sozialismus und Nation“ (1925), in: Gesammelte Schriften, Erster Band, 1971, S. 437 ff. äußert sich Heller aber sehr ambivalent über den Krieg, den Frieden und die „religionslosen Humanitätspazifisten“ (S. 524 f.). Immerhin wird der ewige Friede i.S. von I. Kant als Idee der sittlichen Vernunft charakterisiert. – Herb. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, aber befasst sich eingehend mit der Geistesgeschichte der Friedensthematik (z. B. die alte Zusammengehörigkeit von pax und justitia, S. 714 f.) und schreibt ausdrücklich (S. 714 ff.): „Frieden als Ziel, Gerechtigkeit als Maßstab des Rechtswertes“. Er betont die Zusammengehörigkeit von Recht und Frieden und definiert den Frieden als „Ordnung mit guten Eigenschaften“; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 1978 (S. 25) schreibt: Staat als „Wirkungseinheit, dem in einem Raum in höchster Instanz die Wahrung von Frieden und Ordnung aufgetragen ist“. Ähnlich S. 77: „höchste und letzte Gewähr für die friedliche Ordnung eines Gebietes“, Frieden als Staatsaufgabe (s. auch das Sachregister S. 870). Siehe auch die Erkenntnisse von C. Starck, J. Isensee und A. Proelß, a.a.O.
III. Zwischenergebnis
161
Verfassungstexten eine spezifische Legitimation für die Wissenschaft, besonders die universale Verfassungslehre. Auch das Europarecht und Völkerrecht ist an Friedensthemen in vielen Spielarten überreich: mit großer Ausstrahlung auf das nationale Verfassungsrecht. Weltweite Rechtsvergleichung ist für eine universale Verfassungslehre unverzichtbar und höchst ertragreich. Sie übersteigt freilich meist die Möglichkeit eines einzelnen Forschers und kann hier nur punktuell geleistet werden. Die Friedenswissenschaften müssen hier viele Disziplinen vereinigen und den Willen zum Frieden unterstützen.
11. Der Friedensgedanke in Nationalhymnen Verwiesen sei auf die schon erwähnten Beispiele aus Afrika und Lateinamerika, die gelegentlich in Anhängen („schedules“) zur Verfassung oder in dieser selbst oder sonstwie textlich fixiert sind. Nationalhymnen wirken hier als kulturelle Kontexte zu etwaigen Friedensthemen in denselben geschriebenen Verfassungen. Oft sind die Nationalhymnen viel älter als die im Laufe der Zeit mitunter wechselnden juristischen Verfassungstexte eines Staates. Als Friedenstexte gesungen, bilden sie nicht selten in Musik und Text eine, ja die Konstante. Aber auch dort, wo Nationalhymnen textlich nicht selbst in geschriebenen Verfassungen oder ihren Anhängen oder sonst fixiert sind, besteht gelegentlich eine Konkordanz zwischen den Friedensthemen der Verfassung und den Versen der traditionsreichen Verse der Nationalhymnen. Für solche Konkordanz (seltener Diskrepanz) zwischen dem „Frieden“ als rechtlichem Prinzip der Verfassung und als gedichteten Text in Nationalhymnen seien folgende Beispiele erwähnt346. Deutschland: „Brüderlich mit Herz und Hand“ (1841/1922/ 1952/53/91), Kenia: „In Frieden und in Freiheit“ (1963), Litauen: „Und zum Wohl der Menschheit“ (1990 bzw. 1918 bis 1940), Luxemburg, großherzogliche Hymne: „Beteten still um Frieden“ (1919), Nigeria: „Für ein Volk, das in Freiheit und Frieden vereint“ (1978), Schweden, Nationalhymne: „So friedlich und fröhlich zu schauen“ (1844), Thailand: „Wir Thailänder sind ein friedliebendes Volk“ (1939), China (Republik Taiwan): „Damit erreichen wir den Weltfrieden (1937), Neuseeland: „Bewahr den Dreistern des Pazifik/Vor des Streits und des Krieges Pfeilen“ (1875/ 1977), Kolumbien: „Die ganze Menschheit, in Ketten klagend“ (1920/1943), Togo: zugleich in Harmonie mit dem Staatsmotto „Arbeit, Freiheit, Vaterland“ – „Eintracht, Frieden, Zusammengehörigkeit“ – die Verszeile „Du gabst ihnen Kraft, Frieden und Freude“ (1960), Slowenien: „Wo dem Freund Freiheit scheint/und wo zum Nachbar wird der Feind“ (1844/1991), Serbien: „Gott der Gerechtigkeit“ (1872/ 2004), Weißrussland: „Wir, die Belarussen, ein friedfertiges Volk“ (2002), Südafrika: „Gott … beende alle Kriege und Drangsal“ (1997), Nigeria: „In Freiheit und
346 Texte zit. nach Nationalhymnen, Texte und Melodien, Reclam, 12. Aufl. 2007, sowie H. D. Schurdel, Nationalhymnen der Welt, 2006.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Frieden vereint“ (1978). Vergleicht man andere Nationalhymnen347 fast weltweit miteinander, so fällt auf, dass in den älteren meist von Kampf, Schlachten, Krieg, Tod, Unabhängigkeit, Freiheit, Einheit und Vaterland, Heimat und Ruhm die Rede ist. Dies hängt mit dem seinerzeit beginnenden Nationalismus sowohl in Europa als auch später in Lateinamerika, Afrika und Asien zusammen. Die Länder mussten sich oft durch (Unabhängigkeits-)Kriege bzw. Freiheitskämpfe etablieren und emanzipieren (z. B. auch von der Sklaverei befreien). Man nehme in Europa und Lateinamerika auch nur die textlich und musikalisch recht kriegerische Nationalhymne von Frankreich (1792), sodann Rumänien (1842/1990), Bolivien (1845) – hier aber auch „Freiheit und Einheit“ – auch Italien (1847/1946), Mexiko (1853), Griechenland (1877), Irland (1907/1926), Albanien (1912) – hier aber auch „Kampf für Recht und Freiheit“. Zuweilen herrscht in Nationalhymnen ein ganz anderer Ton als in der Verfassung selbst: so offenkundig in Venezuela (1881), wo in der Verszeile vom „Ruhm des mutigen Volkes“, vom „Erflehen der Freiheit“, vom „überwundenen niederträchtigen Egoismus“ die Rede ist, also nicht von den Friedensthemen, die die heutige Verfassung auszeichnet. Es gibt freilich Länder, die mit friedensähnlichen Worten in ihren Nationalhymnen arbeiten (so Dänemark „Es liegt ein lieblich Land“ (1819/1844) – Dänemarks Königshymne ist im Text demgegenüber sehr kriegerisch (1780)). Friedliche Gedanken klingen an in Chile: „Sicheres Asyl vor Gewalt“ (1847/ 1941), Australien: „Glückliches Australien“ (1878/1974), Bulgarien: „Paradies auf Erden“ (1885/1964) und Indien: „Der du die Herzen der Völker durchwaltest“ (1911): ein Beispiel aus Asien. Soweit die Nationalhymnen textlich auf den Frieden anspielen, verdichtet sich dies zu einer Kultur des Friedens bzw. zum Prinzip Frieden. Gerade Nationalhymnen binden die Bürger emotional an ihren Verfassungsstaat (oft als „Erinnerungskultur“). Diese Bürger kennen ihre Nationalhymnen oft besser als die juristischen Verfassungstexte! Diese Kultur des Friedens findet sich auch bei Wahlsprüchen, bei Motti, vereinzelt sogar in Nationalflaggen (das Beispiel der Cook-Inseln). Friedenshymnen kommen freilich oft nicht ohne Bezugnahme auf vorhergehende Kriege und Kämpfe aus. Hier zeigt sich erneut eine spezifische Ambivalenz. Eine besondere Würdigung der Melodien (kriegerisch oder friedlich) bleibt eine wichtige Aufgabe, ebenso die Suche nach dem „Originalklang“. Hier ist die Musikwissenschaft gefordert. Sie muss die „Sprache der Musik“ erkunden. Sie stützt die juristischen Verfassungstexte von Formen der Kunst her und dient dabei der Kultur des Friedens.
347 Dazu P. Häberle, Nationalhymnen als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, 2. Aufl., 2013.
III. Zwischenergebnis
163
12. Das Friedensthema in Gestalt von Amtseiden, Wappen, Nationalflaggen, Siegeln Zahlreiche verfassungsrechtliche Beispiele, etwa in Afrika, zeigen, dass das Friedensthema in typischen Staatssymbolen, die spezifisch identitätsstiftend sind, fixiert wird. Sie sprechen gezielt die emotionale Seite des Bürgers an und finden sich besonders in Amtseiden für Präsidenten, in Wappen, Nationalflaggen und Siegeln. Hier wird die Friedensidee zur Kunst: als ein Element der Kultur des Friedens. Sie (er)findet ihre eigene Sprache. Vor allem Nationalflaggen erreichen den bürgerlichen Alltag und seine Normalität als öffentlicher Zustand.
13. Motti und Wahlsprüche Die Textstufenarbeit hat gezeigt, dass einige Verfassungen weltweit Wahlsprüche und Motti, z. B. neben Gerechtigkeit und Arbeit, auf den Frieden hin denken. Hier verpflichtet sich der jeweilige Verfassungsstaat auf bestimmte Grundwerte, wie sie auch sonst linear aufgereiht sind. Es handelt sich um das ganze Land, Staat und Gesellschaft, Amtsträger und Bürger allseits prägende Themen. Friede wird hier zum finalen Zielprinzip. Erhofft ist der Wille zum Frieden.
14. Friedensnahe Ersatzbegriffe Hier geht es um eine eigene Kategorie. Die nationalen Verfassunggeber bedienen sich, auch in Übersee, „funktionaler Äquivalente“, d. h. friedensnaher Ersatzbegriffe. Solche sind etwa nationaler Dialog, Brüderlichkeit, Menschlichkeit, Kooperation, Freundschaft, Zusammenhalt348, Zivilgesellschaft, Sicherheit, Zusammenarbeit, Harmonie, Solidarität, Koexistenz, Toleranz, die das gewaltfreie Zusammenleben aller sichern wollen. All dies sind friedensnahe Prinzipien, Mittel zum Zweck „Frieden“. Hinzuzunehmen ist die „Rechtssicherheit“ als Teil der Gerechtigkeit349. 348
BVerfGE 93, 1 (22) spricht vom „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ sowie von der „pluralistischen Gesellschaft“. 349 Allgemein zur Gerechtigkeitsidee – und hier wieder hilfreich – BVerfGE 141, 1 (39 f.). Speziell zur Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit als Teil der Rechtsstaatlichkeit: E 20, 323 (331). Der rechtsstaatliche Grundsatz der „Normklarheit“ (E 21, 74 (79); E 103, 332 (384) dürfte ebenfalls ein Friedenselement sein. Dasselbe gilt für den „Rechtsverkehr“ E 21, 74 (83). Zur Sicherheit des Rechtsverkehrs E 50, 290 (354); zum Rechtsverkehr auch E 78, 77 (86 f.) sowie E 84, 372 (378). Zum Interesse der „Rechtsklarheit“ E 21, 292 (305 f.); E 52, 203 (212); E 76, 100 (106); E 84, 9 (20); E 104, 23 (38). E 27, 195 (210); E 108, 52 (Ls. 2): „Normenklarheit“; s. auch E 35, 311 (358), E 65, 1 (44); E 87, 48 (65); E 108, 1 (20); E 108, 169; E 114, 73 (92); E 118, 168; E 131, 88 (123). Zur „Rechtsmittelklarheit: E 107, 395 (416); E 114, 169 (237). BVerfGE 25, 269 (290) spricht von dem, dem Rechtsstaatsprinzip „immanenten Postulat der Rechtssicherheit“. Zur Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit E 35, 41 (47 f.); E 74, 129 (152). Zur „Idee der Gerechtigkeit“ BVerfGE 50, 125 (133); 50, 205 (214 f.); 54, 53
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1. Teil: Bestandsaufnahme
15. Frieden als Textelement aus dem Völkerrecht und Europarecht Sehr häufig werden in nationalen Verfassungen Textelemente als Mosaiksteine aus dem insoweit älteren Völkerrecht (Genfer und Haager Konventionen) in die jüngeren nationalen Verfassungen übernommen (vor allem nach 1945). Genannt seien friedliche Streitbeilegung, Schiedsgerichtsbarkeit, Weltfrieden, Völkerfrieden, Kooperation und ähnliches. Solche Rezeptionsvorgänge belegen die enge Zusammengehörigkeit von Prinzipien des Völkerrechts und des nationalen Verfassungsrechts, die im Zusammenspiel oft wechselseitig in Osmose stehen, zuweilen schubweise und zeitlich versetzt.
16. Positiver und negativer Friedensbegriff Zuletzt sei eine Begriffsbildung zur Diskussion gestellt, die sich verfassungstextlich nicht findet. In der Wissenschaft aber wird zwischen „negativen“ und „positiven“ Friedensbegriff unterschieden.350 Negativer Friede meint: Frieden als Abwesenheit von Krieg (zum Beispiel Waffenstillstand, irritierend ist das Wort von der „Zwischenkriegszeit“ für den Zeitraum von 1918/19 bis 1939), wogegen der positive Friedensbegriff auch Menschenrechte oder Gerechtigkeit etc. beinhaltet. Meines Erachtens ist der negative Friede im Verfassungsstaat eine wissenschaftliche Fiktion. Was er bedeutet, lässt sich nicht oder nur schwer definieren. Denkbar ist allenfalls, den negativen Friedensbegriff zu gebrauchen, wenn es um die Beschreibung „gewaltlos“, „ohne Waffen“ geht. Sinnvoll ist im Verfassungsstaat indes nur der positive Friedensbegriff, der von vorneherein durch andere Grundwerte wie Menschenrechte, Rechtsstaat (dieser im Gegensatz zum berüchtigten Polizeistaat oder zum NS-Gewaltregime), Herrschaft des Rechts als Garantie des Friedens, Demokratie, Solidarität angereichert ist. In den internationalen Beziehungen, im sogenannten „äußeren“ Frieden (Weltfrieden) mag der negative Friedensbegriff eher tauglich sein (z. B. nach 1918 zwischen Frankreich und Deutschland), nach 1945 wohl auch im „Kalten Krieg“, heute (2016/17) zum Teil in der Ostukraine (kein Gebrauch der Waffen seitens der beteiligten Separatisten und der Ukraine). (68); Gelegentlich spricht das BVerfG im Kontext der Rechtssicherheit von „Verlässlichkeit der Rechtsordnung“, vgl. E 60, 243 (268); s. auch E 70, 69 (84) sowie E 72, 200 (257): „Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen“. Später E 71, 255 (272); ähnlich auch E 105, 48 (57); E 109, 133 (180); E 113, 273 (308); E 126, 369 (393); E 128, 90 (106). Vereinzelt spricht das BVerfG von „Verantwortungsklarheit“, z. Bsp. E 124, 267 (277); E 131, 20 (38): zur Verlässlichkeit der Rechtsordnung als Voraussetzung für den eigenen Lebensentwurf. 350 Zum positiven Friedensbegriff als „Mindestmaß sozialer Stabilität und Achtung elementarer Menschenrechte“, M. Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar (2012), Art.1 Abs. 2, Rn. 4; zu Art.1 Abs. 2 GG auch: Becker/Braun/Deiseroth (Hrsg.), Frieden durch Recht?, 2010, S. 41; zum positiven Friedensbegriff auch R. Wolfrum, Deutschland in den Vereinten Nationen, HStR Bd. X, 3. Aufl., 2012, § 219, Rn. 5 ff.
III. Zwischenergebnis
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Der im Völkerrecht entwickelte positive Friedensbegriff hat sich wohl aus Elementen des nationalen Verfassungsstaates wie Menschenrechte, soziale Sicherheit351, Gerechtigkeit angereichert. Heute besteht wohl ein osmotisches Verhältnis zwischen dem positiven Friedensbegriff des Völkerrechts und dem Friedensbegriff des nationalen Verfassungsstaates. Auch für diesen kann man den negativen Friedensbegriff höchstens als eine erste Grundlage verwenden: Abwesenheit von Krieg (Bürgerkrieg). Aber der nationale Friedensbegriff ist von vorneherein positiv zu verstehen (dazu später): erfüllt von den Grundsätzen des nationalen Verfassungsstaates, insbesondere seiner Grundwerte. Dessen Texte helfen bei dieser wissenschaftlichen Aufgabe352, ebenso wie die „Auslese“ aus der so ertragreichen Judikatur des BVerfG.
351 Dazu BVerfGE 51, 1 (27), auch im Blick auf die Generationenperspektive; siehe ferner E 58, 137 (149): „künftige Generationen“; sodann E 61, 291 (307, 312) „kommende Generationen“; E 88, 129 (136): Vermittlung der Pflege der freien Wissenschaft an die nachfolgende Generation. 352 Vgl. B. Irlenborn, Europäischer Friede, Christlicher Glaube, FAZ vom 27. 12. 2016, S. 7: Frieden nicht nur als zeitweilige Abwesenheit von kriegerischer Gewalt, sondern auch struktureller Frieden, „innereuropäische Friedenskultur“.
Zweiter Teil
Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens I. Der kulturwissenschaftliche Ansatz Der seit 1982 gewagte kulturwissenschaftliche Ansatz des Verf. lässt sich ohne weiteres auf das Prinzip Frieden übertragen. Der Mensch im Verfassungsstaat befindet sich in einem status culturalis, der den status naturalis, den rohen Kriegszustand, hinter sich lässt – dank ihm, dem Verfassungsstaat. Das pessimistische Menschenbild von M. Luther („simul justus et peccator“) bis T. Hobbes (Kriegszustand im status naturalis, homo homini lupus im Bürgerkrieg) ist nicht das des Verfassungsstaates. Hier ist ein gedämpfter Optimismus angebracht (auf die Menschenbildjudikatur des BVerfG sei verwiesen)1. Er kommt oft in den Idealen und Grundprinzipien als inhaltsreichen Narrativen in Präambeln zum Ausdruck, aber auch in den Formen der Gewaltenteilung (gerichtet gegen Machtmissbrauch im Amt, also ein Stück Misstrauen). Demgegenüber stehen Art. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG (Vertrauen auf den Bürger). Wurden Staatssymbole in den bisherigen Arbeiten des Verf., vor allem im Blick auf das Gebiet Feiertage, Hymnen und Flaggen untersucht, so gerät jetzt das ganze Ensemble von Elementen der Kultur des Friedens ins Blickfeld: Wahlsprüche, Motti, Nationalhymnen und Nationalflaggen haben sich in Sachen Frieden in der Bestandsaufnahme als höchst ergiebig erwiesen – bis hin zu Farben und Zeichen, Versen und Melodien. Auch das berühmte, in vielen Verfassungen von heute übliche recht stolze „we, the people“ gehört hierher. Gleiches gilt für die invocatio dei, wie in der Schweiz, sowie die evocatio dei, wie in anderen Ländern (etwa im deutschen GG). Die in der Textstufenarbeit erschlossenen Grundwerteartikel im Kontext des Friedenszieles als Staatsziel bzw. Zielprinzip sind ebenfalls kulturwissenschaftlich einzuordnen. Die Kultur des Friedens hat viele 1 BVerfGE 6, 32 (40): „Eigenständigkeit, Selbstverantwortlichkeit und die Würde des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft“; E 24, 119 (144): „Eigenverantwortliche Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft“; E 27, 1 (7) „gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger“, s. auch E 27, 344 (351); E 30, 173 (193 ff.); E 32, 98 (107 f.), unter Hinweis auf das Gebot der Toleranz. E 43, 291 (315): „eigenverantwortliche Lebensführung in einem freiheitlichen Gemeinwesen“; BVerfGE 48, 127 (168): „Möglichkeit freier Selbstbestimmung als gemeinschaftsbildender Wert“; zum Menschenbild auch E 50, 166 (175); E 50, 290 (353); E 56, 37 (49); E 56, 363 (384); E 57, 361 (383); E 107, 104 (117); E 115, 118 (158 f.); E 128, 326 (376). Dazu allgemein P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 4. Aufl., 2008. Der „friedliche Bürger“ ist aus dieser Sicht nicht weit. – vielleicht darf man sogar einen Bogen schlagen: von der „Gemeinschaftsbezogenheit“ zu Art. 1 Abs. 2 GG!
I. Der kulturwissenschaftliche Ansatz
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Facetten. Der nationale Verfassunggeber will die tendenzielle (auch emotionale) Friedenssehnsucht seiner Bürger durch die einschlägigen Texte als erste Schritte befriedigen. Die „Sprache des Friedens“ adelt viele Texte. Hinzukommen muss der Wille zum Frieden und die gelebte Praxis des Friedens, diese ist wohl immer gefährdet. Man darf von einer Friedensleistung der Kultur sprechen, zugleich bringt der Frieden Kultur erst hervor. Überdies ist an die nachhaltige Friedensleistung des jeweils positiven Rechts zu erinnern. Man denke an Ausnahmen für die Zulässigkeit individueller, privater Gewalt im BGB (Stichwort Selbsthilfe)2. Schon dem Worte nach ist es erlaubt, ja geboten, die „Kultur des Friedens“ kulturwissenschaftlich zu erfassen. Frieden ist ein Teil der Kultur, verstanden im Gegensatz zur Natur. Kultur ist das vom Menschen Gestaltete. Erinnert sei an die klassische Lehre vom Übergang des friedlosen, gewaltreichen Naturzustandes in den friedlichen Kulturzustand (bellum omnium contra omnes: T. Hobbes)3. Dabei spielt naturgemäß das Handeln und Denken des Menschen in seiner Gesellschaft die besondere Rolle. Die Wissenschaft pendelt zwischen einem eher pessimistischen und eher optimistischen Menschenbild. Es mag offen bleiben, ob und wie dieser Übergang, meist mit Hilfe des fiktiven (I. Kant)4 oder realen Gesellschaftsvertrags erdacht, stattgefunden hat. Jedenfalls spielt die Kultur des Friedens die zentrale Rolle im jeweils geschaffenen Verfassungsstaat. Dessen Inhalte, Prinzipien, Instrumente und Verfahren, Wahlen und Abstimmungen (Demokratie) stehen in Wechselwirkung mit der Kultur des Friedens bzw. erwachsen aus dieser und machen diese umgekehrt zur Realität. Gewaltfreiheit in der Gesellschaft ist dabei unverzichtbar. Speziell für Europa sollte man nicht nur von einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sprechen, sondern auch von einem Raum des Friedens – dieser kulturwissenschaftlich verstanden5. Im Einzelnen: Die Kultur des Friedens und ihre Kontexte sind einschlägige Stichworte. Nachdem in einigen neueren Verfassungen schon im formalen Text das reichhaltige Wort „Kultur des Friedens“ auftauchte (zuerst wohl in Slowenien) sei im Folgenden der Versuch unternommen, die „Kultur des Friedens“ aufzuschlüsseln. Die völkerrechtlichen und europarechtlichen Friedenstexte sind etwas weniger differenziert ausgestaltet als die nationalen Verfassungstexte. Sie werden aber wissenschaftlich mitbehandelt. Von Kultur des Friedens ist unter Hinweis auf die Verfassung Slowenien und das Regionalstatut Umbrien und einige ähnliche Texte in Lateinamerika deshalb die 2
Vgl. BGH Beschl. v. 21. 04. 2015, Az.: 4 StR 92/15, Stichwort: „Besitzschutzrecht als Ausdruck eines allgemeinen Friedensschutzes, s. auch JA, 2015, S. 874. 3 Vgl. I. Kant, Zum ewigen Frieden (1795), Zweyter Abschnitt: „Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben ist kein Naturzustand (status naturalis) der vielmehr ein Zustand des Krieges ist. … Er muss also gestiftet werden.“ 4 Weiterführend J. J. Vasel, Regionaler Menschenrechtsschutz als Emanzipationsprozess, 2017, S. 336 f.: Regionaler Menschenrechtsschutz als Element des „ewigen Friedens“? 5 Dazu P. Häberle, Kulturpolitik in der Stadt – ein Verfassungsauftrag, 1979, S. 43 ff., ein früher Versuch einer kulturwissenschaftlichen Raumtheorie.
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
Rede, weil es um den Frieden als etwas vom „Menschen“ Gemachtes, hart Erarbeitetes geht, um mühsam Geschaffenes. Die Kultur des Friedens ist zu gestalten, mühevoll genug durch die Verfassungsordnung, Traditionen, Mentalitäten, Einstellungen, Verhaltensweisen und Ähnliches sowie die Bürger. Die ganze Fülle des Kulturbegriffes ist im Blick auf die Friedensaufgaben und Friedensregelungen zu aktualisieren. Der vom Verf. praktizierte kulturwissenschaftliche Ansatz ist hier und jetzt entschlossen einzubringen6. Die Kultur des Friedens muss nicht zuletzt dank der Institutionen des Verfassungsstaates wachsen können – nach innen wie nach außen. Wie die Erfahrung zeigt, kann sie vom einen Augenblick zum anderen gefährdet sein7 (wie derzeit in Brasilien). Jahre der Arbeit, Leistung und Anstrengung eines Volkes können plötzlich in Gefahr kommen. Letzte Garantien gibt es kaum. Man kann auch von einer Rechtskultur des Friedens sprechen. Erneut sei gefragt, warum sich die Staatsrechtslehre in Deutschland recht wenig um das kümmert, was in den Verfassungstexten als weltweitem Schatzhaus bereit liegt. Heute ist der Begriff Kultur des Friedens nicht nur von der Wissenschaft legitimiert, sondern auch durch den „Fundort“ in Slowenien und Umbrien, auch Ecuador und Südsudan. Von „Kultur des Friedens“ sei deshalb gesprochen, weil sie von Menschen zu gestalten ist – im Gegensatz zur vorgefundenen Natur. Jetzt zur Kultur des Friedens – als Synthese. Sehr hilfreich sind die textlichen Nachweise dieses Begriffs in den Verfassungen von Slowenien, Umbrien (Regionalstatut), Ecuador und Venezuela: Ein bislang, soweit ersichtlich, in der Wissenschaft kaum beachteter Begriff. Er ist jetzt als Ausdruck der Verfassungslehre als Kulturwissenschaft zu verstehen und des Versuches, eine universale Verfassungslehre zu etablieren. Die textlichen Beweisstücke aus neuen Verfassungen können gar nicht überschätzt werden. Bislang war in der Wissenschaft von „Kultur der Freiheit“ die Rede, jetzt sind wir so weit, von der Kultur des Friedens zu sprechen. Sie ist zwar je nach nationalem Verfassungsstaat verschieden zu verstehen, doch gibt es auch allgemeine Elemente für den Typus Verfassungsstaat. Offen bleibe an dieser Stelle, ob es ein persönliches Recht auf Frieden gibt: als Element der Friedenskultur. Warum „Kultur des Friedens“? Warum dieser kulturanthropologische Ansatz? Weil der Friede durch ständige menschliche Arbeit und Leistung – oft vieler Generationen – aufgebaut und erhalten werden muss (man denke nur an Europa), weil seine einzelnen Elemente viel menschliche Anstrengung verlangen: von Verfassungsorganen ebenso wie von der Gesellschaft im Ganzen und einzelnen Bürgern. Hilfestellung gibt es vom positiven Friedensbegriff des Völkerrechts her. Aufgabe: die einzelnen Textelemente und Kontexte der in den nationalen Verfassungen versammelten Elemente aufzuschlüsseln: zentrale Rolle der friedlichen Versammlungs6
Dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1. Aufl., 1982. Treffend eine Äußerung des malischen Schriftstellers A. Hampâté Ba (zit. nach FAZ vom 05. 07. 2017, S.8): „Im Frieden, und nur im Frieden, kann der Mensch die Gesellschaft aufbauen und entwickeln, während der Krieg in nur wenigen Tagen das zerstören kann, was wir jahrhundertelang geschaffen haben“. 7
I. Der kulturwissenschaftliche Ansatz
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und Vereinigungsfreiheit, damit das staatliche Gewaltmonopol unangetastet bleibt. Speziell diese Freiheit ist in fast allen Verfassungen als friedliche charakterisiert. Sie ist ein Kernstück der universalen Verfassungslehre, weil sie dem staatlichen Gewaltmonopol dient. Neue Elemente: durch den Frieden als Asylgrund, Bekenntnis zur friedlichen Streitbeilegung bei internationalen Kontroversen, Frieden mit der Umwelt, Friedenszonen, atomwaffenfreie Zonen, Friedensmissionen. Aktuell ist die Ablieferung der Waffen der FARC in Kolumbien zu Händen einer UN-Kommission (2017). Erinnert sei auch an die Friedenspflicht im deutschen Tarifrecht. In sehr vielen geltenden nationalen Verfassungen der heutigen Welt ließen sich Friedenstexte nachweisen. Manche Textelemente stammen, wie gezeigt, vom Völkerrecht. Schon dies schafft eine spezifische Universalität des Friedensgedankens. Zusammengenommen darf man bereits insofern von einer „Kultur des Friedens“ sprechen. In sehr vielen nationalen Verfassungen finden sich sogar gleich mehrere Textelemente dieser „Kultur des Friedens“: formal gesehen von den Präambeln über die Grundwertenormen und Grundrechte bis zu den Kompetenzbestimmungen. Wie gezeigt, sind in den unterschiedlichsten Textensembles vielfältige Bezugnahmen auf Einzelelemente der „Kultur des Friedens“ nachweisbar. Dies gilt aber auch inhaltlich. Wir begegnen friedensbezogenen Textstücken materiell bei grundsätzlichen Aussagen der Verfassungspräambeln, bei einzelnen Grundrechten, wie der Versammlungsfreiheit oder Vereinigungsfreiheit und dem Asylrecht, bei den Staatszielbestimmungen bis hin zu den Erziehungszielen und bei Kompetenzverteilungsnormen in Bezug auf Friedensschlüsse oder die Verhängung des Kriegs- und Belagerungszustands und dem Verbot von Kriegspropaganda oder Gewaltverboten sowie beim Verzicht auf einige Hoheitsrechte bei der Souveränität. Nimmt man zu alledem die Friedenstexte im Europäischen Verfassungsrecht und Internationalen Recht hinzu, so ergibt sich ein eindrucksvolles Gesamtbild, welches es sogar erlaubt, die „Kultur des Friedens“ heute als Schlüsselthema der universalen Verfassungslehre zu erkennen und zu bezeichnen. Man darf auch die These vom „Prinzip Frieden“ wagen. Vielleicht sollte man sogar auf die bekannte „Geist-Klausel“8 zurückgreifen, die der Verfasser in seinem kulturwissenschaftlichen Ansatz immer wieder interpretiert hat. Zugespitzt: Die „Kultur des Friedens“ ist der „Geist der Verfassung“ im Rahmen der universalen Verfassungslehre, um an Montesquieu anzuknüpfen. Das GeistDenken ist in doppelter Hinsicht für das Prinzip Frieden bereichernd: Zum einen darf man mit der Präambel der Verfassung Hamburgs (1952) von „Geist des Friedens“ sprechen, zum Anderen gehört das Prinzip Frieden zum Geist des Verfassungsstaates auf der heutigen Entwicklungsstufe. Aus alledem ist auch verständlich, warum heute weltweit ein fast unerschütterlicher Glaube der Bürger an „Verfassung“ zu beobachten ist. Wir begegnen hier
8 Die wohl bedeutendste und älteste Geist-Klausel ist § 112 der Verfassung des Königsreiches Norwegen (1814), einer Ewigkeitsklausel, die nur solche Modifikationen erlaubt, „die nicht den Geist der Verfassung verändern“.
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
nahezu einer theologischen Dimension, die der Verf. in anderem Zusammenhang bereits angesprochen hat9 – man denke an die invocatio dei und evocatio dei. Es ist schon erstaunlich, dass die zahlreichen Friedenstexte als prägende Elemente des Verfassungsstaats der heutige Entwicklungsstufe von der Staatsrechtslehre bisher zu wenig gewürdigt worden sind10. Es wird verkannt, wie viel Theorie, Judikatur und Praxis in den jeweiligen Teten verborgen sind und sich in Textstufen weiter entwickeln. Zu vermuten ist, dass die Klassikertexte von T. Hobbes und J. Locke / I. Kant vom Übergang des Naturzustands zum Kulturzustand dank der Vertragskonstruktion den Frieden hier verorteten. Stichworte sind die Klassikertexte: Bellum omnium contra omnes, homo homini lupus (aus dem konfessionellen Bürgerkrieg in England), Gegenbegriff ist der Kriegszustand. Gibt es eine latente Neigung des Menschen zu Gewalt?
II. Das Grundlagendenken und der Frieden als finales Zielprinzip („Friedenskultur“) Das Grundlagendenken ist ein wissenschaftliches Ergebnis der Textstufenanalysen. Gemeint sind viele Artikel in nationalen Verfassungen, die den Frieden im Kontext (also im Zusammenhang) normieren: Menschenrechte als „Grundlage des Friedens in der Gemeinschaft und in der Welt“. Auch andere Strukturen und Prinzipien werden oft so charakterisiert, etwa die Kooperation, die Demokratie oder der Rechtsstaat11, das Recht, die Sicherheit (z. B. dank der Polizei) und seine Teilrechtsordnungen bzw. die Zivilgesellschaft12 und die Sicherheit13 und der „Fortschritt“ (Fortschritt ist gewiss im Sinne von und im Blick auf Frieden gedacht). All dies ist jedoch nur die eine Seite. Die nationalen Verfassunggeber können meistens nicht zum Ausdruck bringen, dass die Garantie und Durchsetzung der Menschenrechte bereits friedliche Verhältnisse als bestehend voraussetzt. Darum ist wohl von einer wechselseitigen Bedingtheit des Prinzips Frieden und anderen Grundwerten zu sprechen. Es gibt unverzichtbare Friedensbedingungen für die übrigen Grundwerte. Diese anderen Grundwerte haben eine „je eigene Verbindung“ mit dem Frieden. 9
Dazu P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 7. Aufl. 2011, S. 642. Wegweisend aber für die Staatszielbestimmungen: K.-P. Sommermann, a.a.O. 11 Ein Baustein von ihm ist das „Rechtsschutzinteresse“, besonders sorgfältig vom BVerfG erarbeitet, z. B. E 117, 71 (123), E 124, 78 (113). 12 Den in Verfassungstexten gelegentlich vorkommenden Begriff der „Zivilgesellschaft“ benutzt jetzt auch das BVerfG: E 136, 9 (30). 13 Vgl. BVerfGE 49, 15 (56 f.): „Die Sicherheit des Staates als verfasste Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte…“. „Kriegs- und Notzeiten“ können besondere Maßnahmen erfordern: BVerfGE 52, 1 (30). BVerfGE 120, 274 (319): „Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht“; E 141, 220 (267): Staat als „verfasste Friedens- und Ordnungsmacht“. 10
II. Das Grundlagendenken und der Frieden als finales Zielprinzip
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Genannt sei Friede durch hochdifferenzierte Verfahren des Rechts insgesamt und bereichsspezifische Friedensbegriffe wie Religionsfrieden14, Arbeitsfrieden, Betriebsfrieden15, sozialer Frieden16 und Schulfrieden im Inneren des Verfassungsstaates sowie Völkerfrieden und Völkerversöhnung nach außen hin („Weltfrieden“) dank Kooperation. Das erwähnte Grundlagendenken muss also durch die Theorie von der wechselseitigen Bedingtheit ergänzt werden. So kommt es mühsam genug und stets prekär zur Rechtskultur des Friedens. Der positiven Rechtsordnung, die auf Gewaltfreiheit setzt, kommt hier große Bedeutung zu. Abgestützt wird diese durch das Polizeirecht und das Waffenrecht. Im Blick auf die USA irritiert das dort verbürgte Recht von Jedermann, Waffen zu tragen. Im Einzelnen: Mit folgenden Bausteinen des Verfassungsstaates und erweitert und vertieft gedacht der universalen Verfassungslehre steht die Kultur des Friedens in schwer zu beschreibender Wechselwirkung: - mit den Menschenrechten, sie setzen Frieden voraus und stellen von ihren Inhalten, Funktionen und Grenzen her die Kultur des Friedens her: als „Grundlage“ im Sinne des GG und anderer Verfassungen - mit der pluralistischen Demokratie, sie verlangt Bürgerfrieden und stellt durch ihre Verfahren nach dem Mehrheitsprinzip (mit differenzierten Minderheitsschutz) auf dem Boden eines Grundkonsenses die Kultur des Friedens her (z. B. durch friedlichen Machtwechsel nach friedlichen Wahlen); die offene Gesellschaft muss gesichert werden unter anderem durch das Straf- und Polizeirecht, auch das Waffenrecht17 und so gewaltfrei bleiben - mit Staatszielen und Staatsstrukturbestimmungen wie dem sozialen Rechtsstaat (due processes) und dem Kulturstaat18, auch mit Erziehungszielen. Gleiches gilt für den Umweltstaat („Frieden mit der Natur“) - mit der Gewaltenteilung der staatlichen Funktionen, die eine Kultur des Friedens voraussetzt und zugleich schafft, insbesondere durch die Unabhängigkeit der Judikative, vor allem der Verfassungsgerichtsbarkeit (das Verfassungsprozessrecht ist ihre „magna charta“)
14
Vgl. BVerfGE 138, 296 (339): religiöser Frieden. Dazu etwa BVerfGE 93, 37 (69); E 93, 352 (359). 16 Einbezogen sind auch Rundfunk und Fernsehen. So findet sich im Statut des Saarländischen Rundfunks die Aufgabe „zum Frieden und zur sozialen Gerechtigkeit“ zu mahnen (§10 Abs. 2), dazu BVerfGE 57, 295 (301). S. auch E 83, 283 (243) zum Programmgrundsatz des WDR: „zum Frieden und zur sozialen Gerechtigkeit mahnen“. 17 Zum Waffenrecht BVerfGE 8, 143 (153): „Die Waffe soll nicht in die Hände von Staatsfeinden, Verbrechern, Jugendlichen und unzuverlässigen Personen gelangen“ – das BVerfG spricht von „sicherheitspolizeilicher Tendenz“. Zur Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu schützen: E 46, 214 (223), vgl. auch E 49, 89 (143 f.). Zur öffentlichen Sicherheit auch E 110, 1 (17). 18 Zuletzt BVerfGE 111, 333 (353); E 127, 87 (114). 15
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
- mit vielen anderen Bausteinen der organisatorischen Struktur des Verfassungsstaates, insbesondere den unabhängigen Verfassungsgerichten. Erinnert sei auch an die Parteienartikel, die in manchen Verfassungen friedliche Mittel und Ziele verlangen - mit dem jeweils positiven Recht (in all seinen Teilordnungen vom bürgerlichen Recht über das Strafrecht bis zum Kartellrecht und inskünftig Internetrecht). Diese Bausteine der verfassungsstaatlichen Typologie in Sachen Frieden sind je für sich und zusammengenommen Ausdrucksformen der „Kultur des Friedens“. Die einzelnen nationalen Verfassungen nennen oft nur einige der hier untersuchten Normensembles. Es ist Sache der Wissenschaft, mit Hilfe der Verfassunggeber, diese alle zusammen zu sehen. Der Verf. zögert indes, ein Grundrecht des Einzelnen auf Frieden zu bejahen. Demgegenüber ist eine Friedenspflicht jeden Bürgers zu befürworten19 – sie ist wohl die Grundlage für alle Grundpflichten20, d. h. der „Grund der Grundpflichten“ (H. Hofmann). Dies gilt etwa für Versammlungen, Vereinigungen, Demonstrationen und im Arbeitsrecht. Freilich: Viele neue nationale Verfassungen reihen Grundwerte wie Menschenrechte, Freiheit, Gerechtigkeit Gemeinwohl und eben auch Frieden aneinander. Das Verhältnis dieser Grundwerte untereinander bleibt ungeklärt. Es ist auch wissenschaftlich sehr schwierig, die Wertungen unter diesen Grundwerten vorzunehmen. Vermutlich darf man Frieden und Gerechtigkeit auf Engste miteinander verbinden. Dabei können viele Werte wie Menschenrechte und Freiheit der Gerechtigkeit zugeordnet werden. Der Friede hat neben der Gerechtigkeit selbstständigen Wert. Im 19 Für eine Friedenspflicht des Bürgers, auf der das Gewaltmonopol beruht: J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 15, Rn. 93. Rn. 94 lautet: Alle verfassungsrechtlichen Freiheitsrechte stehen unter dem apriorischen Vorbehalt der Friedlichkeit. Treffend auch Rn. 83: Bürgerfrieden und Gewaltmonopol. – Zur Grundlage jener Friedenspflicht, die der Rechtsstaat seinen Bürgern auferlegt: E. Schmidt-Assmann, Der Rechtsstaat HStR Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 26, Rn. 32. Früh schon: J. Isensee, Die Friedenspflicht des Bürgers und das Gewaltmonopol des Staates, FS Eichenberger, 1982, S. 23 ff.; O. Depenheuer, Solidarität und Freiheit, HStR Bd. IX, 3. Aufl., 2011, § 194, Rn. 44: „Friedens- und Gehorsamspflicht als immanente Grundrechtsschranken“. 20 Es fällt auf, dass die deutsche Literatur zu Grundpflichten das Problem der Friedenspflicht selten streift. Wichtig aber J. Isensee, Aussprache in VVDStRL 41 (1983), S. 130 f.: „Auch die Friedenspflicht des Bürgers gilt unabhängig davon, ob sie gesetzlich geregelt ist, oder nicht“; ders. , Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, HStR Bd. V, 2. Aufl., 2000, § 115, Rn. 112: „Dem Staatsvorbehalt des Gewaltmonopols korrenspondiert eine Grundpflicht des Bürgers: die Friedenspflicht“. Bemerkenswert V. Götz, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 8 (37): „Was sich als verfassungsrechtliches Problem ,Friedenspflicht‘ stellt, ist die Pflicht des Staates, durch seine Gesetzgebung die Friedensordnung zu setzen und durchzusetzen“. – E. Denninger, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (30) spricht vom Vertrauen des Bürgers darauf, dass sein Gewaltverzicht zugunsten des Rechtsschutz- und Gesetzgebungsmonopol des Staates durch die Herrschaft des Rechtes wettgemacht wird; zur Friedenspflicht der Bürger: C. Calliess, Schutzpflichten, HGR Bd. II, 2006, § 44, Rn. 2, im Anschluss an E. Schmidt-Assmann.
II. Das Grundlagendenken und der Frieden als finales Zielprinzip
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Verfassungsstaat kann es nur gerechten Frieden geben. Gelegentlich klingt dies in den Texten an. Gesprochen sei von verhältnismäßiger Zuordnung von Frieden und anderen Grundwerten. Statt der oft verfassungstextlich vorkommenden linearen Reihung von Grundwerten wie Menschenrechte, Menschenwürde, Menschlichkeit, Gemeinwohl, Sicherheit etc. ist eine wissenschaftliche Gewichtung vorzunehmen. Geklärt werden muss die verhältnismäßige Zuordnung dieser einzelnen Grundwerte Frieden. Z. B. sind die Menschenrechte einerseits Voraussetzung von (gesellschaftlichem) Frieden, andererseits nur auf dem Hintergrund des Friedens möglich. Der nationale Verfassunggeber ist redaktionell und technisch wohl überfordert, selbst die Gewichtung vorzunehmen, dies ist Aufgabe der Wissenschaft und Judikatur. Sie ist freilich besonders schwierig, man denke z. B. an das Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit. In einer ägyptischen Verfassung heißt es früh: kein Frieden ohne Gerechtigkeit, andererseits setzt Gerechtigkeit auch viele Friedensprozesse voraus. Frieden ist kein Naturzustand, sondern mühsam geschaffener Kulturzustand (aktuell jetzt im Internet). Die „Kultur des Friedens“ ist sowohl „Dachbegriff“ bzw. „Zielprinzip“, als auch „Grundlagenbegriff“, wenngleich dies zunächst widersprüchlich erscheint. Dachbegriff, weil der Frieden Ergebnis des Wirkens vieler Elemente und Prozesse ist. Die „Kultur des Friedens“ ist einerseits Zustand und andererseits Prozess (man denke an „Oslo“ bzw. an den Nahen Osten und an Kolumbien, 2016/2017). Ein derartig komplexer universaler Begriff wird naturgemäß nur in seinen vielen einzelnen Dimensionen sichtbar. Im Einzelnen: „Grundlagenbegriff“ ist die „Kultur des Friedens“, weil der Verfassungsstaat und seine Prinzipien ihn als bestehend voraussetzen. „Dachbegriff“ ist die „Kultur des Friedens“, weil andere konstitutionelle Elemente wie die Menschenrechte, die Gewaltenteilung, der soziale Rechtsstaat und die pluralistische Demokratie selbst konstitutive Voraussetzungen sind und ihn gleichsam zum Kristallisationspunkt machen. Die Kultur des Frieden ist insofern das Ergebnis vieler Prozesse sowie Institutionen und deren Schlussstein. Andererseits braucht es die tagtägliche Orientierung vieler (Politiker, Amtsträger und Bürger) an dem Zielwert Kultur des Friedens als konkrete Utopie im Sinne von E. Bloch, z. B. auf dem Umweg über die Erziehungsziele, Orientierungswerte oder Grundrechtsgarantien, damit dieser Wirklichkeit werden kann. Daher ist der Frieden Zustand und gesellschaftlicher Prozess zugleich, jedenfalls ist er ein Schlüsselbegriff der universalen Verfassungslehre – auf der nationalen und der mit dieser immer mehr verschränkten internationalen Ebene. Er ist ein Brückenbegriff für diese beiden „Ebenen“, d. h. ihrer Teilverfassungen (z. B. das Seerechtsübereinkommen). Man darf von einer Wechselbezüglichkeit der beiden Ebenen sprechen. Die Wissenschaft hat hier noch große Aufgaben. Vermutlich kommt der Friedensgedanke deshalb so vielfältig in Verfassungstexten zum Ausdruck, weil der diesen Verfassungen zeitlich vorausgehende Zustand
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
oft undemokratisch, gewalttätig, chaotisch, totalitär, autoritär und kriegerisch oder friedlos war. Man denke an die Verfassungen nach dem Zweiten Weltkrieg (beispielhaft ist Bayern und das Grundgesetz) oder an die ehemaligen Kolonien in Afrika und Asien bzw. ihre Verfassungen. Vermutlich gilt dies auch für die vielgepriesene Verfassung von Virginia (1776) und die Verfassung der USA im Blick auf die vorausgegangene britische Kolonialzeit. Insofern mag „Verfassung“ selbst und im Ganzen ein Friedensprojekt sein – so wie das werdende EU-Verfassungsrecht seit den Römischen Verträgen bisher ein erfolgreiches Friedensprojekt war, ist und hoffentlich bleibt. Sowohl in vielen nationalen Präambeln als auch in den Grundwerteartikeln vieler nationaler Verfassungen findet sich der Begriff Friede oft einfach aufgereiht zusammen mit anderen Grundwerten wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat, Gemeinwohl etc. Vielleicht kann als Ergebnis der weltweiten Verfassungsvergleichung die These gewagt werden, dass die aufgezählten anderen Werte Elemente des übergeordneten Begriffs Kultur des Friedens sind. Wenn dem so ist, stellt sich freilich die Frage, ob je nach nationalem Verfassungsstaat die Kultur des Friedens unterschiedlich interpretiert werden muss. Wichtig ist auch die Frage, ob innerhalb der einzelnen nationalstaatlichen Verfassung der Friede je nach dem Problemzusammenhang unterschiedlich oder einheitlich zu verstehen ist. Wenn der „Kampf für den Frieden“ ein Asylgrund ist, dann geht es der Verfassung nicht nur um den eigenen Frieden, sondern um die Übernahme von Verantwortung für den Frieden anderwärts und vielleicht weltweit. Die Anordnung der Einzelelemente, wie Menschenrechte, Demokratie, Toleranz, Menschlichkeit sind für die spezielle Gesamtarchitektur einer Verfassung in Sachen Frieden konstituierend. Nachbarbegriffe zum Frieden sind: Solidarität, Brüderlichkeit, Zusammenhalt, Völkerversöhnung, Menschenrechte, Demokratie, Kooperation, Ersatzbegriffe. „Kultur des Friedens“ erweist sich mit vielen Bauelementen als „Architektur“ in Staat und Gesellschaft. In der Schweiz ist der innere Friede heute nur als halbdirekte Demokratie denkbar. Viele andere Ländern strukturieren sich als Föderalismus oder Zentralismus. Die Kultur des Friedens umfasst heute Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit. Unverzichtbar ist das Gewaltmonopol des Staates. Viele Friedensmomente, Themen, Gedichte21 oder musikalische Werke22 sind Ausdruck der 21
Das für deutsche Gedichte wohl repräsentative Werk von L. Reiners, Der ewige Brunnen, 1955 enthält einen bemerkenswerten Abschnitt „Buch des Kampfes“ (S. 515 ff.), leider keinen Abschnitt über den Frieden. Wohl aber finden sich einige Gedichte prominenter und anderer Autoren, die dem Geist des Friedens nahe sind. Hier eine Auswahl: M. Claudius, Auf den Tod der Kaiserin: „Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht“; G. Keller, Frühlingsglaube: Vers 2: „Das ist das Lied von Völkerfrieden und von der Menschheit letztem Glück“; W. Goethe, Hermann: vorletzte Zeile, „und gedächte jeder wie ich, so stünde die Macht auf/ gegen die Macht, und wir erfreutenuns alle des Friedens.“; F. Hölderlin, „Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen/mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden“; T. Fontane, „nur in der Arbeit wohnt der Frieden/ und in der Mühe wohnt die Ruh‘“; F. Schiller, Das Lied von der Glocke:
III. Das Friedensgebot für Grundrechte
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Kultur des Friedens. Man denke nur an die schon erwähnte Friedenstaube von P. Picasso. Vermutlich reicherte sich das Völkerrecht heute bei seinem positiven Friedensbegriff durch Elemente des Verfassungsstaats wie Menschenrechte und Rechtsstaat an. Umgekehrt übernahmen die nationalen Verfassunggeber nach 1945 das Friedensthema aus großen völkerrechtlichen Dokumenten. Das sei hier wiederholt.
III. Das Friedensgebot für Grundrechte und das verfassungsstaatliche Gewaltmonopol Einzelne Grundrechte stehen oft textlich expressiv verbis unter dem verfassungsstaatlichen Friedlichkeitsgebot, vor allem solche, die als „funktionelle Grundlage der Demokratie“ wirken. Genannt sei – fast weltweit – die Versammlungsfreiheit, sodann die Vereinigungs- und Demonstrationsfreiheit, vereinzelt auch die Petitionsfreiheit. Die Ziele und Mittel der politischen Parteien werden mitunter ausdrücklich ebenfalls auf das Friedensgebot hin verpflichtet. Hierher gehört die Idee der Volksrechte in der Schweiz, vor allem für die Versammlungsfreiheit, vom deutschen Grundgesetz u. a. mit dem Hinweis auf die US-Tradition vom BVerfG konkretisiert (E 69, 315 (343))23. Das rechtsstaatlich disziplinierte staatliche Ge„,Concordia‘ soll ihr Name sein.“… „Freude dieser Stadt bedeute,/ Frieden sei ihr erst Geläute“; C. F. Meyer, Homo Sum: „Ich bete christlich, dass es Friede sei“; C. F. Gellert, „Ein jeder Stand hat seinen Frieden/ ein jeder Stand hat seine Last“. – Freilich ist nicht selten der Friedensgedanke mit seinem Gegenteil des Krieges kontextualisiert, zum Beispiel Goethe:„Gib eine Norm zur Bürgerführung!“/ Hienieden/ im Frieden/ kehre jeder vor seine Türe; / bekriegt,/ besiegt,/ vertrage man sich mit der Einquartierung.“ 22 Schon ein oberflächlicher Blick in kirchliche Gesangbücher fördert viele Friedenstexte zutage. Vgl. etwa Gesangbuch für die evangelische Kirche in Württemberg 1912, das Lied Nachfolge Christi: „Du weißt allein die Friedenswege“ (Nr. 408). Ebd. Nr. 412 „Friede, ach Friede, ach göttlicher Friede vom Vater durch Christum“. – Zur katholischen Seite: Da pacem, Domine, „Leben in der Welt – Gerechtigkeit und Friede“, Nr. 473; „Friede sei in deinen Mauern“, Nr. 73, 1. 23 In dieser Entscheidung fallen wichtige Stichworte zu Art. 8 GG: Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers, Prozess von „trial and error“, Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung, Entfallen der Anmeldungspflicht bei Spontandemonstrationen sowie eine Umschreibung der öffentlichen Ordnung, „geordnetes menschliches Zusammenleben“, Leitziel der friedlich konzipierten Demonstration, friedlich gesonnene Teilnehmer, Mittel zur geistigen Auseinandersetzung, E 69, 315 (342 ff.). In E 83, 24 (34 f.) wird auch der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG umrissen: Kein Schutz bei unmittelbar bevorstehendem Landfriedensbruch. S. auch E 84, 203 (209): Der Schutz des Art. 8 endet dort, wo es nicht um die … Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht. Weitere Stichworte: erlaubt sind „Widerspruch und Protest“, abweichende Ziele „allein mit kommunikativen Mitteln“. In E 85, 69 (74 ff.) behandelt das BVerfG Eilversammlungen und Spontanversammlungen mit Stichworten wie „Verständigung zwischen Veranstaltern und Ordnungsbehörden“. E 87, 399 (406): „auch Sitzblockaden genießen den Schutz der Versammlungsfreiheit“, ebd. eine Definition der „Unfriedlichkeit“. E 104, 92 (Ls. 2): Versammlung i.S. des Art. 8 GG ist eine örtliche Zu-
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
waltmonopol24 steht im inneren Zusammenhang mit dem Friedensgebot für diese Freiheiten (Stichwort: gewaltfrei). Was die Praxis, insbesondere die Judikatur bei uns erarbeitet hat, etwa die Demonstrationsfreiheit, ist anderwärts ausdrücklich zum Verfassungstext geronnen – ein Beleg für die Richtigkeit der Textstufenmethode, an der auch Verfassungsgerichte, insbes. das BVerfG beteiligt sind. Das Friedensgebot kann auch das Asylgrundrecht prägen, Beispiele gibt es weltweit genügend (man kann vielleicht vom Asylrecht als spezifisch auf den Frieden gerichtetes Recht sprechen). Auf die beschriebene Ambivalenz sei zurückverwiesen. Im Übrigen sei die These gewagt, dass der Verfassungsstaat vom „friedlichen Bürger“ ausgeht, so sehr dieser an dem Kampf in der öffentlichen Meinungsbildung sowie bei und in Wahlen beteiligt ist. In der offenen Gesellschaft sind „Kämpfe“ nur auf Teilfeldern zulässig, aber auch notwendig: in Gestalt von Wahl- und Abstimmungskämpfen25, von Arbeitskämpfen (vgl. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG), die als Streiks in die Geschichte und Gegenwart in vorrevolutionäre Gewalt münden können, sowie im öffentlichen Meinungskampf26. Auf all diesen Gebieten ist private Gewaltausübung unzulässig. In Arbeitskämpfen freilich ist die Grenze zur Gewaltausübung gelegentlich prekär. Zu sammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Zum verfassungsrechtlichen Begriff der „Unfriedlichkeit“ ebd. S. 105 f.. In E 111, 147 wird das Schutzgut der öffentlichen Ordnung im Versammlungsrecht ausgelotet, mit Stichworten wie „Klima der Gewaltdemonstrationen und potenzielle Gewaltbereitschaft; in E 140, 225 (228) ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG auch auf juristische Personen erstreckt (Stichwort: gesamter Vorgang des „Sich-Versammelns“). 24 Mit leichter Hand, aber zutreffend, schreibt E. Benda, Frieden und Verfassung, AöR 100 (1984), S. 1 (11): „Dieses Gewaltmonopol ist Garant des Friedens, nicht nur des inneren, sondern auch des äußeren“. – Aus der Judikatur des BVerfG prägnant E 54, 277 (292): „In der Gerichtsbarkeit prägen sich innerstaatliches Gewaltverbot und staatliches Gewaltmonopol aus.“ Siehe auch das Argument von der „Wahrung der Rechtsordnung“. Nicht minder prägnant E 61, 126 (136): „dem Vollstreckungsgläubiger, dem der Staat als Inhaber des Zwangsmonopols die Selbsthilfe verbietet“… „Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtsordnung, welche ihrerseits Grundbestandteil der rechtsstaatlichen Ordnung ist“; E 61, 358 (374): „allgemeine Aufgabe des Staates, die Rechtsordnung und den Rechtsfrieden zu wahren“. E 80, 315 (336): „Ihre Grundlage findet die asylrechtliche Zurechnung von Drittverfolgungsmaßnahmen nicht schon im bloßen Anspruch eines Staates auf das legitime Gewaltmonopol, sondern erst in dessen – prinzipieller – Verwirklichung“. Ebd. S. 341: ist von einer Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung die Rede. E 122, 190 (203): Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten. Zum staatlichen Gewaltmonopol, dessen Kehrseite die Friedenspflicht des Bürgers ist: J. Isensee, Abwehrrecht und Schutzpflicht, HStR Bd. IX, 3. Aufl., 2011, § 191, Rn. 229; P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz: HStR Bd. V, 2. Aufl., 2000, § 24, Rn. 105: Sicherung des inneren Friedens durch ein staatliches Gewaltmonopol. 25 Dazu BVerfGE 37, 68 (90 f.). 26 Dazu etwa BVerfGE 42, 143 (153): Recht auf „Gegenschlag“, unter Bezugnahme auf E 12, 113 (125 f.); E 42, 163 (171), E 75, 369 (380): „politischer Tageskampf“; E 43, 130 (137): „geistiger Meinungskampf“; E 54, 129 (137 f.): „öffentlicher Meinungskampf“. Martialisch auch E 55, 72: „Angriffs- und Verteidigungsmittel“ in zivilrechtlichen Streitigkeiten; Gleiches gilt für die Metapher der „Waffengleichheit“, dazu BVerfGE 63, 45 (61); E 122, 248 (272); E 110, 226 (253).
IV. Die Sprache des Friedens in verfassungsrechtlichen Grundwertekatalogen
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Schwierigkeiten kommt es auch im Demonstrationsrecht27, das weltweit unter dem Gebot der Friedlichkeit steht. „Bürgerkriege“28 sind der extremste Fall von Unfrieden und Gewalt in der Gesellschaft. Man denke an historische Beispiele wie den Sezessionskrieg in den USA oder den Bürgerkrieg in Nordirland sowie im Baskenland, heute an Venezuela, Libyen und Jemen.
IV. Die Sprache des Friedens in verfassungsrechtlichen Grundwertekatalogen Verfassungsrechtliche Grundwertekataloge, vor allem in neuerer Zeit üblich, reihen den Frieden oft linear mit Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaat, Gerechtigkeit29, Menschenrechte, Gemeinwohl ein30. Angemessen ist sogar der Begriff „Gemeinwohlgerechtigkeit“31. Hier ist an das Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit zu erinnern, z. B.: kein Friede ohne Gerechtigkeit, so etwa Ägypten sehr früh, und umgekehrt keine Gerechtigkeit ohne Frieden. Jeder Grundwert hat eine je eigene Verbindung zum Frieden und sichert diesen. Dies müsste im Einzelnen erarbeitet 27 Dazu für Deutschland im Blick auf gewaltfreien Ungehorsam und aggressive Gewalttätigkeit sowie zu Reformen im einfachen Strafrecht: BVerfGE 37, 305 (309 f.). Zu Gewalttaten bei Demonstrationen, etwa dem Landfriedensbruch E 56, 247, E 76, 211 – Sitzdemonstrationen. 28 Zu „Bürgerkriegen“: BVerfGE 80, 315 (340 f.). Aus der Lit.: G. Agamben: „Stasis“. Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma, 2016. 29 Zu „grundlegenden“ Gerechtigkeitspostulaten: BVerfGE 94, 12 (34). 30 Für das BVerfG darf von „Gemeinwohljudikatur“ gesprochen werden, dazu die Rechtssprechungsanalysen bei P. Häberle: Gemeinwohljudikatur und Bundesverfassungsgericht, AöR 95 (1970), S. 86 ff., 260 ff., Nachtrag auch in ders., Kommentierte Verfassungsrechtsprechung 1979, S. 308 ff. Dabei sei unterschieden zwischen Judikatur zu rechtlichen Gemeinwohltatbeständen wie § 32 BVerfGG sowie „freie“ Gemeinwohljudikatur, in der das BVerfG das öffentliche Interesse oder ähnliche Topoi wie Gemeinschaftsinteressen ohne ausdrückliche Rechtstexte verarbeitet, insbesondere zu Art. 12 GG; Beispiele: E 65, 116 (128); E 65, 377 (383): Öffentliches Interesse an einer gerechten Entscheidung; E 66, 191 (195): Aufrechterhaltung einer Freiheitsentziehung, „wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend erfordern“; E 66, 337 (354 ff.): Interessen der Rechtspflege; E 68, 193 (218): finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Gemeinwohlaufgabe, ähnlich E 70, 1 (26); E 97, 12 (30 ff.): Schutz der Rechtspflege als Gemeinwohlbelang; E 72, 141 (154 f.) bei Fragen gesetzlicher Rückwirkung. Prägnant E 72, 278 (290): Verantwortung des Staates für das Gemeinwohl. Ohne textliche Belege arbeitet das BVerfG auch im Verfassungsprozessrecht, etwa bei der Frage, ob das öffentliche Interesse für eine Fortführung des Verfahrens spricht E 77, 345, E 83, 175 (181); s. auch E 87, 152 (153); E 87, 207 (209); E 89, 291 (299); E 89, 327 (328); freie Gemeinwohljudikatur findet sich auch in E 79, 69 (77); E 80 367 (375): öffentliches Interesse „an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren“; E 82, 60 (82): Familienförderung als „Gemeinschaftsbelang“. In E 100, 271 (283 ff.) wird Art. 9 Abs. 3 GG unter den Vorbehalt von „Gemeinwohlbelangen“ gestellt, ohne dass es einen einschlägigen Verfassungstext gibt (s. auch E 103, 293 (306). In E 102, 1 (18) wird Art. 20 a GG in den Gemeinwohlrang erhoben. Ebenso auch in E 102, 347 (365). 31 Vgl. BVerfGE 67, 256 (288); E 105, 185 (193).
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
werden, z. B. im Blick auf die Rechtssicherheit32 als Teil der Gerechtigkeit oder die Sicherheit allgemein. Die Rechtskultur der Sprache des Friedens ist auszuschöpfen: eine der vielen Aufgaben der Friedenswissenschaften in Verbindung mit der vergleichenden Verfassungslehre und der Völkerrechtswissenschaft.
V. Funktionale Äquivalente für das Prinzip Frieden Bestimmte friedensnahe Begriffe sind funktionale Äquivalente für das Prinzip Frieden. Gemeint sind verfassungsrechtliche Grundwerte wie Zivilgesellschaft, Kooperation, Versöhnung, Brüderlichkeit, Zusammenhalt, Sicherheit, Solidarität, Toleranz. Sie finden sich teils zusätzlich zum Frieden als Grundwert, teils stehen sie allein im Text. Auf die vielen Beispiele in der Bestandsaufnahme sei verwiesen. Die friedensnahen Begriffe unterscheiden sich von den Grundwerten, die direkt „Grundlage des Friedens“ sind: Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat und dank ihm die positive Rechtsordnung im Ganzen33, vor allem vom Strafrecht bis zum Zivilrecht34. All dies dient dem Ziel der Gewaltfreiheit der Bürger und Gruppen im (friedlichen) Zusammenleben35. Nicht vergessen seien die unabhängige Dritte Gewalt, besonders die Verfassungsgerichte und der spezifische Friedensdienst des Polizeirechts als Friedenskultur.
32 Zum rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes: E 67, 1 (14 f.); E 82, 6 (12) sagt von der Rechtssicherheit, sie sei im Interesse der Freiheitsrechte unerlässlich. Zur Wendung vom Rechtsvertrauen in die Richtigkeit von gerichtlichen Entscheidungen: E 104, 51 (59). Siehe auch E 105, 135 (153): das Bestimmtheitsgebot gewährt Rechtssicherheit und schützt zur Wahrung ihrer Freiheitsrechte das Vertrauen ihrer Bürger; E 111, 54 (82): Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit als wesentliche Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips; E 132, 372 (394 f.): Rechtssicherheit als allgemeiner Verfassungsgrundsatz. E 133, 143: „Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit …“. – E 133, 168 (198): „Das Rechtsstaatsprinzip sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt“. Dem BVerfG geht es auch ausdrücklich um die Vermeidung einer „Rechtszersplitterung“ (zum Beispiel: E 138, 136 (176 f.); E 140, 65 (87). In E 142, 313 (334) ist zusätzlich von der „Rechtsunsicherheit“ die Rede. 33 Hierzu gehört auch das „umfassende Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes“: BVerfGE 22, 349 (355 f.) m.w.N. sowie das „rechtliche Gehör als prozessuales Urrecht des Menschen“ (E 70, 180 (188); E 107, 395 (408)). 34 Eine hilfreiche Auflistung der Teilrechtsgebiete Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht und des jeweiligen Prozessrechts etc. findet sich bei C. Starck, Frieden als Staatsziel, FS Carstens, 1984, Bd. 2, S. 867 (876 ff.). Er arbeitet besonders den Zusammenhang zwischen Frieden und Freiheit sowie sozialem Ausgleich heraus; ders., Menschenwürde als Verfassungsgarantie im modernen Staat, JZ 1981, S.457 ff. Aus der Judikatur des BVerfG: „allgemeines Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechts- und Zivilrechtspflege“: E 106, 28 (49). In E 109, 279 (336) wird die Aufklärung gerade schwerer Straftaten als Auftag eines „rechtsstaatlichen Gemeinwesens“ bezeichnet. 35 BVerfGE 47, 327 (382 f.).
VII. Stetige Reformbereitschaft als Friedensgarantie
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VI. Friedenspolitik, Friedensarbeit Friedenspolitik36 bzw. Friedensarbeit sind vortreffliche Umschreibungen der mühsamen Aufgabe, die dem Verfassungsstaat immer neu obliegt: die Durchsetzung von Frieden im Verfassungsstaat verlangt viel mühevolle Arbeit aller Verfassungsorgane, Bürger und Gruppen. Manche Texte sprechen von „Anstrengung“.37 Praktische Friedenspolitik ist Handwerk und Kunst zugleich. Hierher gehören der Friede als Erziehungsziel für Bürger und junge Menschen sowie ganze Völker. Letzteres ist z. B. in Amerika fixiert. Verständigung und Friedensverträge bzw. ihre Umsetzung verlangen Ausdauer und Kraft, Geduld und Umsicht und Reformbereitschaft. Stichwort für diese kulturelle Sicht ist das Wort von den Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele (1981). Nicht vergessen seien die mühsame Verteidigung bzw. Friedenssicherung nach außen (Weltfrieden)38 und die Kompetenzen der UN, insbesondere der Sicherheitsrat, der leider schon oft genug versagt hat (z. B. in Bürgerkriegen in Ruanda und in Syrien). Der Wiederaufbau nach beendeten Kriegen ist schwerste Friedensarbeit und positiv zu bewerten.
VII. Stetige Reformbereitschaft als Friedensgarantie Im kooperativen, weltoffenen Verfassungsstaat ist Frieden auf Dauer nur zu erhalten, wenn er gewaltfreie Reformen ermöglicht und dabei als Staat für sich das rechtsstaatlich disziplinierte Gewaltmonopol durchsetzt. Im Begriff Frieden steckt ein (Reform-)Potential und Anspruch, den die Verantwortlichen im Blick auf andere Grundwerte ausschöpfen müssen. Man denke an Reformen für die Rechte Behinderter und Kinder sowie alter Menschen. Ein Reformstau führt zu Unfrieden – bis hin zu gewaltsamen Revolutionen und Bürgerkriegen. Der friedliche Machtwechsel nach Wahlen (in manchen Verfassungen ausdrücklich verlangt) hat soeben eine Bewährungsprobe in den USA (2016/17) mühsam bestanden. Ein frappantes Beispiel für Verfassungsreformen im Blick auf neue Grundwerte ist die Entwicklung des Umweltverfassungsrechts unter dem Stichwort „Frieden mit der Natur“39 (freilich ist anzumerken, das die Natur ihrerseits durchaus unfriedlich ist: man denke an die Nahrungskette vom Plankton bis zum Wal oder vom Wurm bis zum Elefanten). Alle 36 Zum Begriff „Friedenspolitik“: A. Proelß, Das Friedensgebot des GG, HStR Bd. XI, 3. Aufl., 2013, § 227, Rn. 13 f. 37 Hinzu gehört auch die Verfolgung von Kriegsverbrechen und das Völkerstrafverfahren, dazu: G. Werle/M. Vormbaum, JZ 2017, S. 12 ff.; man denke auch an die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse von 1946; M. Kotzur, (Internationales) Strafrecht im Dienstes des effektiven Menschenrechtsschutzes, in: Gedächtnisschrift für M. Seebode, 2015, S. 287 ff. 38 Zu Weltfrieden und internationaler Sicherheit als Ziele der UN: R. Wolfrum, Deutschland in den Vereinten Nationen, HStR Bd. X, 3. Aufl., 2012, § 219, Rn. 3 – 12. 39 C. F. von Weizsäcker, „Kein Friede zwischen den Menschen ohne Frieden mit der Natur“, Die Zeit drängt, 1986, S. 38 ff.
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
Amtsträger sind in dieser Weise auf das Staatsziel Frieden verpflichtet (Zielprinzip Frieden). In manchen Texten nationaler Verfassungen kommt dies für den Staatspräsidenten, die Legislative bzw. das Parlament und sogar die Judikative expressis verbis zum Ausdruck. Friede darf kein Leerwort sein oder zur bloßen Floskel werden. Als lediglich rhetorisches Schmuckstück sollte es nicht dienen, doch lassen sich viele gelungene Prototypen und Spielarten von Texten nachweisen: als Sprache des Friedens. In Deutschland entfaltet der soziale Rechtsstaat ein sich ständig erneuerndes und fortschreibendes Friedenspotential.
VIII. Noch einmal: Das Prinzip Frieden – der Wille zum Frieden Das „Prinzip Frieden“ (so zentral wie seinerzeit und seinerseits das Prinzip Hoffnung und das Prinzip Verantwortung) ist in entwickelten Verfassungsstaaten keine Leerformel oder ein bloßes Füllwort oder Schmuckvokabel. Zwar ist der Frieden als Wort und Ideal in vielen Texten mit anderen Grundwerten wie Menschenrechte, Rechtsstaat, Demokratie, Menschlichkeit40, Solidarität, Brüderlichkeit und Ähnliches aufgereiht, doch ergibt sich bei näherer Betrachtung, dass etwa der Rechtsstaat als „due process“ Frieden schafft, aber auch Frieden voraussetzt. Das Prinzip Rechtsstaat hat sich in der Geschichte bei uns zum sozialen Rechtsstaat entwickelt und so Frieden geschaffen. Der Friedensauftrag muss die Fortbildung der Verfassung in all ihren Verfahren leiten. Das Beispiel zeigt, dass der Frieden eine unverzichtbare „Reservefunktion“ im entwickelten Verfassungsstaat besitzt. In ihm steckt die Aufforderung an das politische Gemeinwesen, die anderen Grundwerte, etwa die Menschenrechte weiter zu entwickeln, damit es beim Frieden bleibt. Der Begriff „Friedensstaatlichkeit“ (K.-P. Sommermann) ist vielleicht auch im häufig nachweisbaren Staatsziel „Fortschritt“ mitgedacht. So sind etwa die Grundrechte der „zweiten Generation“, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Freiheiten entstanden: um des Friedens willen. So hat der Nationalstaat im Laufe der Zeit Minderheitenschutzrechte um des künftigen Friedens willen entwickelt und so ist das gesamte Umweltrecht entstanden, nicht nur um „Frieden mit der Natur“ zu erreichen, sondern auch Frieden mit den künftigen Generationen, die im gleichen politischen Gemeinwesen in Zukunft leben werden. Diese Reservefunktion löst vielleicht das Rätsel, warum in vielen Verfassungstexten unterschiedliche Länder und vieler Epochen der Friede einfach in eine Reihe mit den anderen Grundwerten gestellt wird. Auch die Normierung der Gerechtigkeit als Prinzip dürfte diese Reservefunktion haben. Sie verbindet sich überdies ganz spezifisch mit der des Friedens. Dieser Auftrag, wo nötig im schon geltenden Verfassungsrecht die vorhandenen Prinzipien weiter zu entwickeln, um das Ziel den Frieden zu erhalten, geht alle an: die eta40 Vgl. BVerfGE 102, 347 (365): „Kultur der Mitmenschlichkeit“ – zur Aufarbeitung des Unrechts aus der DDR (Verletzung von Grundsätzen der Menschlichkeit) E 109, 279 (312).
IX. Das Prinzip Frieden in Teilverfassungen des Völker- und Europarechts
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blierten Staatsfunktionen und ihre Akteure, aber auch die (lebendige) Zivilgesellschaft – ganz im Sinne der offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, die sich am Leitbild des Friedens im Inneren wie nach außen hin orientieren soll. Die Forderung, die Menschenrechte als Grundlage des Friedens zu schützen, verlangt, dass ein Stück des Friedens schon gelebt wird. Der Wille aller zum Frieden ist unerlässlich. Der Frieden ist also potentiell Grundlage von allen Prinzipien und Verfahren des Verfassungsstaates, die je für sich und zusammen den Frieden schaffen und sichern. Er geht in den geltenden Prinzipien und Verfahren des Verfassungsstaates nicht auf, ist in ihnen gleichsam „aufgehoben“, „aufbewahrt“. Die potenzielle Kraft des Friedens ist jedoch gefordert, wenn sich Reformvorhaben als notwendig erweisen. Um des Friedens willen entwickelte sich der Rechtsstaat zum sozialen Rechtsstaat. Die Unterscheidung von negativen und positiven Frieden verdeckt diese Zusammenhänge. Um des Friedens willen erwuchsen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundrechte als Ergänzung der klassischen Grundrechte. Insofern ist der Friede das große Reserveprinzip im Kontext der anderen Prinzipien und Verfahren des Verfassungsstaates: dies meint: Auslegung aus dem Zusammenhang, d. h. aus dem Kontext, in einigen Verfassungen ausdrücklich geregelt und als Redaktionstechnik gebraucht (if context does not, otherwise …)41. Das Reservepotential aktualisiert sich als solches bei Reformstau bzw. Fehlentwicklungen im Verfassungsstaat. Darum gehört es durchaus in die Reihe der anderen Grundwerte wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat, Solidarität, Fortschritt. Dieses Umschlagen von der potentiellen Kraft zur aktuellen ist ein Charakteristikum des „Prinzips Frieden“. Der Friede ist dank der anderen Grundwerte eine Art Reserveziel für die weitere Entwicklung des Verfassungsstaates in seinen Inhalten und Verfahren bei unverzichtbarem Willen zum Frieden.
IX. Das Prinzip Frieden in Teilverfassungen des Völker- und Europarechts In den Teilverfassungen des Völker- und Europarechts fehlt es, wie gezeigt, nicht an guten Friedenstexten, sondern oft an deren praktischer Umsetzung und dem guten Willen zum Frieden. Dies sei nur ein Merkposten. Das Völkerrecht soll nicht im Zentrum dieser Studie stehen, das Europarecht wurde gründlicher behandelt. Dabei ist deren Ausstrahlung auf das nationale Verfassungsrecht intensiv und groß. Frieden gelingt nur durch internationale Zusammenarbeit. Speziell das Seerechtsübereinkommen ist als „Verfassung der Meere“ eigens zu erwähnen. Die vielzitierte 41 Auf den Begriff „Kontext“ nimmt auch das BVerfG des öfteren Bezug, z. B. in: E 35, 311 (356); E 37, 271 (279); E 46, 43 (54 f.); E 100, 313 (365); E 101, 361 (382); E 102, 347 (367 f.); E 102, 370 (385, 387); E 107, 275 (284); E 136, 9 (41); E 124, 300 (341); E 126, 1 (26); E 126, 170 (205); E 128,1 (48); E 138, 102 (119); E 139, 321 (349).
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„Völkerrechtsfreundlichkeit“ des GG bzw. des BVerfG42 – „Völkerrechtsoffenheit“43 ist vielleicht noch anschaulicher – dürfte den Friedensaspekt in sich tragen. Dies wäre noch näher auszuarbeiten. Gleiches gilt für die „Europarechtsfreundlichkeit“44.
X. Frieden als Element im „Geiste“ der Verfassungen Im weltoffenen Verfassungsstaat im Ganzen und Einzelnen ist das Friedensprojekt ein großes Thema. Es geht um die stetige Fortschreibung des Narrativs Frieden. Frieden ist ein wesentlicher Baustein des vielbeschworenen „Geistes“ der Verfassungen. Der Weltfrieden ist heute besonders bedroht. Die Globalisierung leistet Gutes und Schlechtes zugleich. Die Völker sollten sich im Namen des Friedens als Ideal begegnen. Die Verfassungsvergleichung national und auch im Völkerrecht erweist sich als „Zukunftswissenschaft“ wie auch als „Vergangenheitswissenschaft“ – man denke an die überholten Texte, die sich aber im Rückblick und im Vorausblick als unentbehrliche Vorstufen im Lichte des Textstufenparadigmas von 1979/2001 erwiesen haben („Nachführung“ gemäß der Verfassungswirklichkeit wie in der Schweiz: 1999). Dabei ist zwischen Verfassungsvergleichung als fünfter Auslegungsmethode und Verfassungsvergleichung45 um ihrer selbstwillen zu unterscheiden. Auch die Verfassungsangleichung hat eigene Strukturen und Funktionen. Sie darf nicht die rechtskulturelle Vielfalt einebnen.
XI. Frieden als konstitutioneller Zustand und öffentlicher, kommunikativer Prozess Zuletzt sei ein Anlauf unternommen, das gelebte Prinzip Frieden in einer offenen Gesellschaft und ihrer Realität zu umschreiben: als Zustand und Prozess im gewaltfreien demokratischen Wettbewerb von Ideen und Interessen. Eine erste Annäherung kann von einer negativen Bestimmung aus gelingen: Frieden ist weder das Paradies auf Erden, noch der Friede des Kirchhofes oder einer Diktatur. Es ist Leben mit Anderen im Verfassungsstaat – ohne Freund-Feind-Denken, aber auch mit 42
Z. B. BVerfGE 128, 326 (365); E 141, 1 (26 ff.). BVerfGE 109, 13 (24); E 109, 38 (50). 44 Dazu P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 1. Aufl. 2001/2002, S. 4, Sachregister S. 605, 608; 7. Aufl. 2011, S. 5, sowie Sachregister S. 771, 776. Aus der Judikatur des BVerfG: E 123, 267 (354); E 126, 286 (303 ff.); E 127, 293 (334); E 129 124 (172). 45 Tiefdringend zur Europäischen Verfassungsvergleichung gleichnamig: A. Weber, 2010; aus der älteren Lit. zur Verfassungsvergleichung: P. Häberle, Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992; ders., Verfassungsvergleichung in europa- und weltbürgerlicher Absicht, 2009; ders., Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation im Verfassungsstaat – Zugleich zur Rechtsvergleichung als „fünfter“ Auslegungsmethode, JZ 1989, S. 913 ff. 43
XI. Frieden als konstitutioneller Zustand und öffentlicher Prozess
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Konflikten. Elemente der gelebten Kultur des Friedens finden sich in den Toleranzartikeln und Erziehungszielen, die man als friedliche Orientierungswerte lesen kann: sie finden sich im grundsätzlichen Verbot privater Gewaltausübung, geschützt durch das rechtsstaatlich disziplinierte Gewaltmonopol des Staates i.V. mit dem strafrechtlichen Rechtsgüterschutz bzw. der Dritten Gewalt und der Polizei; korrespondierend ist das Gebot der Rechtstreue der Bürger46 – sie wird als selbstverständlich vorausgesetzt, aber zu wenig thematisiert. Frieden heute ist im Inneren durch die Voraussetzungen und Erscheinungsformen der offenen Gesellschaft und ihrer kulturellen Grundierung gekennzeichnet. Die Grundrechte gehören ebenso hierher, wie die unabhängige Gerichtsbarkeit im Ganzen der Gewaltenteilung47. Möglich sind dem Bürger sowohl der Ohne-Mich-Standpunkt wie auch die intensive Integration (Inklusion und Kommunikation). Das Wertesystem des GG denkt auch an die Ordnung „zwischenmenschlicher Beziehungen“48. Mit dem BVerfG49 – dessen Judikatur sich als sehr ergiebig erweist – kann von der auf Dialog angelegten geistigen Natur des Menschen gesprochen werden, ebenso von einer staatsbürgerlichen und kulturellen Identität50. Das menschenwürdeorientierte Zusammenleben (auch dank des Privatrechts)51 und die vielen Grundwerte im gemeindeutschen Kanon von Erziehungszielen charakterisieren den gelebten Frieden im Verfassungsstaat – das BVerfG spricht vom „geordneten menschlichen Zusammenleben“52, auch von „wirksamer und gleichberechtigter“ Teilhabe an der Gesellschaft53 sowie von der Vielgestaltigkeit des Lebens54 – erhofft ist das „Einverständnis der Bürger“55 mit dem GG. Gelegentlich ist von „rechtschaffenem Leben in voller Selbststän-
46 Dazu BVerfGE 44, 125 (142): „Rechtsgehorsam“. E 116, 24 (49): „Selbstbehauptung des Rechts“; E 141, 1 (47): „Rechtstreue“ als Kernbestandteil des Rechtsstaatsprinzips. 47 Zur Friedens- und Gerechtigkeitsfunktion der Grundrechte im Anschluss an A. Bleckmann: K. Stern, Idee und Elemente eines Grundrechtsystems, in: HStR Bd. V, 2. Aufl., 2000, § 109, Rn. 27. 48 BVerfGE 121, 69 (92). 49 BVerfGE 76, 1 (51); E 80, 81 (91). 50 BVerfGE 76, 1 (53); E 97, 391 (399) qualifiziert den Namen eines Menschen als Ausdruck der „ Identität und Individualität“ (s. auch E 104, 373 (385, 392); E 109, 256 (266); 115, 1 (14); 123, 90 (102); 141, 186 (218)). Neuere Verfassungen schützen oft schon textlich die kulturelle Identität der Menschen. 51 Aus der Judikatur des BVerfG zum Privatrecht: E 98, 365 (395), mit Hinweis auf E 81, 242 (254); 89, 214 (234); E 112, 332 (354 ff.). – Zum Strafgesetzbuch und Bürgerlichen Gesetzbuch als rechtliche Grundlage für Frieden, Wohlstand und Freiheit: G. Kirchhof, Allgemeinheit des Verfassungsgesetzes, HStR Bd. XII, 3. Aufl., 2014, Rn. 28. 52 BVerfGE 77, 240 (253); s. auch E 78, 38 (52), mit einem Hinweis auf das öffentliche Interesse; zum „geordneten Zusammenleben“ im Staat auch E 88, 203 (252); ebd. zur Bildung des „Rechtsbewusstseins“ (S. 253) sowie zum allgemeinen Bewusstsein von Recht und Unrecht (S. 273). 53 BVerfGE 128, 282 (307). 54 BVerfGE 126, 170 (195). 55 BVerfGE 102, 370 (398).
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digkeit“ die Rede56, gelegentlich auch von Orientierung für ein normales Leben57 und Lebensqualität58. Eröffnet sind viele Dissense und Konflikte, dies aber auf dem Boden eines Grundkonsenses59 mit Minderheitenschutz – und gewaltfrei. Streitkultur ist im Verfassungsstaat mit der Idee des inneren Friedens durchaus vereinbar, ja notwendig. Man denke überdies an die „streitbare Demokratie“60 und den politischen Wettbewerb insgesamt61. Die bürgerliche Öffentlichkeit62 in all ihren Erscheinungsformen (auch als parlamentarische Öffentlichkeit)63 auf Plätzen und Straßen gehört hierher – bis hin zum zivilen Ungehorsam. Die Soziologie kann auf die fast zahllosen Kommunikationsprozesse zwischen den Bürgern und Gruppen verweisen, aber auch auf den gelebten Individualismus64. Wichtig ist die Normalität des Alltages65. Hierzu gehören auch die „Wechselfälle des Lebens“66 sowie das „unüber56
BVerfGE 116, 69 (86). BVerfGE 117, 71 (91). 58 BVerfGE 117, 71 (119). 59 Vgl. BVerfGE 44, 125 (147): „Diesen Grundkonsens lebendig zu erhalten, ist Aufgabe staatlicher Öffentlichkeitsarbeit“. Das BVerfG spricht zuvor vom „weitgehenden Einverständnis der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung“; vgl. auch E 63, 230 (243). 60 Dazu etwa BVerfGE 40, 287 (291); E 80, 244 (253). 61 Dazu etwa BVerfGE 121, 108 (120 f.); E 140, 1 (23); s. auch E 121, 205 (221): „politisches Kräftespiel“. 62 Zu ihr dürfte auch der ordre public-Grundsatz gehören. Dazu BVerfGE 7, 198 (206), E 37, 57 (66), E 45, 142 (169); E 62, 323 (331); E 63, 343 (371); E 77, 130 (137); E 91, 140 (143); E 94, 12 (47); E 101, 239 (258). Im deutschen ordre public ist ein Friedenselement gespeichert; zur „deutschen öffentlichen Ordnung“: E 63, 343 (378); zum ordre public im Sinne des deutschen Internationalen Privatrecht: E 116, 243 (266); E 137, 273 (316). Hier handelt es sich um indirekte Friedensjudikatur des BVerfG. 63 Dazu etwa BVerfGE 120, 56 (78 f.). Zum Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie: E 130, 318 (344); E 131, 152 (206). Zur Öffentlichkeit der Wahl: E 134, 25 (30); zur Öffentlichkeit des Parlaments: E 136, 277 (313). 64 Vgl. BVerfGE 59, 172 (210) „eigenverantwortliche Lebensführung“. 65 Zu ihr gehört etwa die „Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation“ des „gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Bürgers“; s. auch BVerfGE 65, 1 (44): „eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltendem auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit“. E 34, 238 (246), Stichwort: heimlich aufgenommene private Tonbandaufnahmen. Auch BVerfGE 35, 202 (220) arbeitet mit dem Bild des Einzelnen als ein in der Gemeinschaft lebenden Bürger in Kommunikation mit anderen; s. auch ebd. Sicherung eines freiheitlichen Lebensklimas, die in der Gegenwart ohne freie Kommunikation nicht denkbar ist. Ähnliche Stichworte finden sich in der Umschreibung der Resozialisierung von Straftätern: E 35, 202 (235 f.): Entlassung in die „normale freie“ Gesellschaft. S. auch E 36, 174 (188): Chance, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen. S. auch den Passus in E 37, 217 (239): innere Beziehung des freien Bürgers zu einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen; ebd. E 37, 252: „echte Bindung eines Kindes zum deutschen Volk, seiner Rechtsordnung und seiner Kultur“. Zur sozialen Wiedereingliederung E 44, 353 (375). Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft E 45, 187 (239). Siehe auch E 47, 46 (72): Auftrag des Staates, „das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden“. Zum Resozialisierungsgebot auch E 98, 169 mit Stichworten wie: 57
XI. Frieden als konstitutioneller Zustand und öffentlicher Prozess
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sehbare Spiel der freien Kräfte“67. Hinzuzunehmen ist der „Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs“68 – wobei man sich an die Kennzeichnung des Marktes und Wettbewerbs als „Entdeckungsverfahren“ (F. A. von Hayek) erinnern mag – sowie die „Kommunikationsteilhabe“69, auch der „Markt der Meinungen“70. Speziell die Privatautonomie ist „Selbstbestimmung des Einzelnen“ im Rechtsleben71. Laut BVerfG verwirklicht sich der Mensch als Person notwendig in „sozialen Bezügen“72. Die Garantie des Existenzminimums für alle Bürger mildert Gefahren73. Die Wahrung der Würde des denkenden und freiheitlich handelnden Menschen (G. Dürig) steht im Zentrum74. Dabei verlangt der Bestimmtheitsgrundsatz, dass der Wortsinn eines Gesetzes „aus der Sicht des Bürgers“ zu bestimmen ist75. Freilich gibt es auch das Recht „in Ruhe gelassen zu werden“76. Hinzu gehört der Schutz der
„Selbstverständnis einer Rechtsgemeinschaft“, „Wille zu verantwortlicher Lebensführung“; E 130, 372 (390): „freie Gesellschaft ohne Rechtsbruch“ als Ziel der Resozialisierung. Zur Normalität der bürgerlichen Kommunikation gehört auch das „Prinzip freier sozialer Gruppenbildung“: BVerfGE 38, 281 (303); E 100, 214 (223); E 124, 25 (35). Zum „freien Spiel der Kräfte“: E 46, 246 (257); E 60, 16 (64): „Freie Meinungsbildung vollzieht sich in einem Prozess der Kommunikation“. E 99, 185 (198): freier Kommunikationsprozess, den Art. 5 Abs. 1 GG im Sinn hat; s. auch E 100, 313 (358 ff.): „Kommunikationsvorgänge“, „Kommunikationspartner“. BVerfGE 132, 39 (50) spricht von freier und offener Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten; ebd. auch zum Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen (S. 53). E 134, 141 erarbeitet die freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wählern. Zu erinnern ist auch an den status corporativus (korporative Betätigung eines Grundrechts, vgl. etwa E 118, 168 (203); E 129, 78 (95 ff.); E 137, 273 (303 f.): korporative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 2 GG, ebenso E 139, 321 (349). 66 Dazu BVerfGE 40, 121 (136); siehe auch E 60,16 (39): Jedermann hat „grundsätzlich die Risiken seines eigenen Schicksals zu tragen“; siehe aber auch E 62, 117 (154) „gerechte Verteilung von Lebenschancen“. 67 E 52, 1 (33). 68 Vgl. BVerfGE 105, 252 (265 ff.), mit Stichworten wie „Marktteilhabe“, „Markt als Einrichtung“; s. auch E 106, 275 (298); E 116, 135 (151 f.): berufsbezogenes Verhalten Einzelner am Markt; ebenso E 118, 1 (15). Speziell zur „Werbewelt“ E 107, 275 (285); s. auch E 119, 181 (217): „Marktprozesse“. BVerfGE 126, 286 (300) will im Rahmen der Vertragsfreiheit die sozialen Belange strukturell schwächerer Marktteilnehmer wahren. 69 BVerfGE 106, 28 (40). 70 Vgl. BVerfGE 113, 63 (83 f.). 71 BVerfGE 114, 1 (34). 72 BVerfGE 109, 279 (319). 73 Aus der Judikatur des BVerfG: E 99, 246. Bemerkenswert E 103, 197 (221): Dem Staat ist die Wahrung der Würde des Menschen in einer solchen Situation der Hilfsbedürftigkeit anvertraut; E 137, 34 (72): Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. 74 BVerfGE 67, 157 (171). Hierzu gehört auch die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben: E 99, 341 (350). 75 BVerfGE 71, 108 (115). S. auch E 107, 395 (415). 76 BVerfGE 51, 97 (107); E 75, 318 (328); E 109, 279 (309); 115, 166 (196).
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
Privatheit und des Privatlebens, z. B. in der Wohnung (Art. 13 GG)77. Auch der „Lebensplan“ eines Bürgers gehört hierher78. Frieden im Inneren des weltoffenen Verfassungsstaates muss ebenfalls kulturwissenschaftlich erschlossen werden, gepaart mit kräftiger Hilfe sogenannter „Nachbarwissenschaften“. Mentalitäten und Tradition, Erfahrungen und Hoffnungen spielen ebenso eine große Rolle wie Traumata (z. B. von Tschernobyl in der Ukraine oder Kriegserlebnissen in Europa). Im Ganzen darf man mit dem BVerfG sagen: Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht und die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in einem justizförmigen Verfahren sind „Verfassungsaufgaben“79. Diese Erkenntnis ist auf alle staatlichen Funktionen zu erstrecken: Verfassungsaufgabe Rechtsfrieden (Recht soll befrieden) und damit auch Frieden überhaupt (Friedenskultur). Vielleicht darf man zur Konturierung des Zustand von Krieg und Frieden auf die vielen positiv-rechtlichen Beispiele für Kriegsverbrechen in Art. 8 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998) zurückgreifen. Man denke für den Krieg an die Stichworte von Ächtung von Angriffen auf die Zivilbevölkerung, die Verursachung großer Leiden, vorsätzliche Angriffe auf zivile Objekte, auf kulturelle Gebäude, die Verwendung von Waffen, Geschossen, Stoffen und Methoden der Kriegsführung, die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei. Zugleich finden sich hier mittelbar Stichworte für die Normalität des Friedenszustandes. Vielleicht ist dieser Teilabschnitt ein Versuch, das Wort „in Frieden leben“ zu umschreiben. Nicht vergessen sei das Desiderat friedlicher Wahlen. Diese Skizze ist mehr als fragmentarisch (immerhin wurde eine kleine wissenschaftliche Weltreise in Sachen Frieden unternommen). Die Stichworte aber sind für die fast weltweite kulturwissenschaftliche Erschließung des Prinzips Frieden in Raum und Zeit, Geschichte und Gegenwart aussagekräftig: für alle gefundenen Motivationsbausteine: in Texten als ein Stück Wissenschaft und Literatur zur Sprache des Friedens. Neue Formen von Kriegen bis hin zum Terrorismus verlangen nach neuen Verfahren der Friedensarbeit, z. B. für das Internet. Dieses muss buchstäblich „kultiviert“ werden. Bislang ist es ein staats-, wert- und rechtsfreier Raum, er bedarf der Strukurierung durch das Recht80. Der Terror und seine Bekämpfung ist ein eigenes Thema im Unterschied zum Krieg und dem Ausnahmezustand81 – der gesellschaftliche Frieden ist ebenso bedroht wie der weltweite Frieden. 77 Dazu BVerfGE 89, 1 (11 f.); E 89, 69 (83). – Zum Schutz der Privatsphäre z. B. E 90, 255; E 101, 381 („Rückzugsbereich“). 78 BVerfGE 66, 337 (359). 79 BVerfGE 107, 104 (Ls. 2). 80 BVerfGE 125, 260 (343): Im Rechtsstaat darf das Internet kein rechtsfreier Raum sein. 81 Dazu BVerfGE 133, 277 (334); E 141, 220 (266) umschreibt mit prägnanten Stichworten den Terrorismus: Destabilisierung des Gemeinwesens, rücksichtslose Instrumentalisierung anderer Menschen, Angriffe auf Leib und Leben beliebiger Dritter. Terrorismus richtet sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes;
XI. Frieden als konstitutioneller Zustand und öffentlicher Prozess
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Der Frieden als Symbol in den verschiedenen Kunstgattungen stützt all dies. Man denke an Picassos Friedenstaube sowie als Mahnung an dessen Schreckensbild Guernica (1937) in Bezug auf den spanischen Bürgerkrieg unter Franco. Auch Friedenshymnen und Friedensgedichte flankieren die Rechtstexte zum Prinzip Frieden: als Friedenskultur. Zuletzt Stichworte zur universalen Verfassungslehre. Sie kann nach heutigem Stand folgende Themen, Texte und Rechtstechniken ausmachen (sofern man das Völker- bzw. Europarecht und das nationale Verfassungsrecht als Bauelemente und Mosaiksteine zusammendenkt): - Differenzierte Präambeln in ihren besonderen rechtskulturellen Wirkweisen in ihrer Qualität als „Textereignis“ und Bürgernähe, bei ihrer Verarbeitung von Geschichte, Gegenwart und Entwerfung von Zukunft sowie in ihrer Eigenart, ein Konzentrat der nachfolgenden Texte zu sein - Menschenwürde und Menschenrechte – einschließlich grundrechtlicher Wesensgehaltsgarantien. Anreicherung der Grundrechtstexte durch Erfindungen der Judikatur und wissenschaftlicher Dogmatik, zum Beispiel in Sachen Teilhaberechte und Möglichkeitsvorbehalt, Grundrechte aller drei Generationen, Schutzpflichtendimension, Grundrechtsentwicklungsartikel nach dem Vorbild von Estland (§ 10 Verf. von 1992), Kinderrechte und Rechte älterer Menschen, auch Verbot von Sklaverei und Folter, schließlich das Menschenrecht auf Wasser. - Republikklausel bzw. Hinweise auf eine etwaige konstitutionelle Monarchie - pluralistische Demokratie, insbesondere Hinweis auf friedliche Machtwechsel und die Friedensbindung der politischen Parteien sowie auf den unabhängigen Abgeordnetenstatus - Grundwerte-Artikel einschließlich friedensbezogene Staatsziele wie Frieden, Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Toleranz, Solidarität, Kooperation, Zusammenhalt - Allgemeine Rechtsgrundsätze in den verschiedensten Kontexten des Völkerrechts, des Europarechts und der Menschenrechte - Ein solcher Allgemeiner Rechtsgrundsatz ist mittlerweile der universale Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Differenzierte Friedenstexte der in dieser Studie nachgewiesenen Vielfalt - Der „Rechtsstaat im Völkerrecht“ (M. Kotzur) und im innerstaatlichen Recht, insbes. Formulierungen zur Völkerrechtsfreundlichkeit und zur Europarechtsfreundlichkeit, Brückenklauseln zum internationalen Recht, z. B. Art. 16 Abs. 2 S. 2 - Sozialstaatliche Normenkomplexe einschließlich sozialer und kultureller Teilhaberechte ebd. S. 281 zur großen Bedeutung einer effektiven Terrorismusabwehr. – Es fällt auf, dass das BVerfG in diesem Kontext das Friedensthema nicht berührt hat.
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2. Teil: Eine Verfassungstheorie der Kultur des Friedens
- Bildungsverfassungsrecht und insbesondere Recht auf Bildung, Erziehungsziele - Umweltverfassungsrecht bis hin zu einem entsprechenden Erziehungsziel Umweltbewusstsein - Arbeitverfassungsrecht, Stichwort: Arbeitsfrieden, Recht zu arbeiten, soziale Schutzrechte - Gewaltenteilige Strukturen nicht nur im staatlichen Bereich, sondern bis in die offene Zivilgesellschaft hinein, unter besonderer Hervorhebung der Unabhängigkeit der dritten Gewalt, justizieller Grundrechte sowie des Rechts auf gute Verwaltung - pluralistische Medienverfassung - Garantien zur regionalen und kommunalen Selbstverwaltung - Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen einschließlich eines Sprachenartikels - Religionsverfassungsrecht, Stichwort: Religionsfrieden - Verfassungsgerichtsbarkeit mit Bezugnahmen auf die internationale Verfassungsgerichtsbarkeit und den Internationalen Strafgerichtshof - Ewigkeitsklauseln in der Tradition von Norwegen bis zum deutschen Grundgesetz (Vorläufer war und ist Art. 30 Verf. Delaware von 1776) - Verfahren der Verfassungsänderung und Verfassunggebung - Differenzierte Übergangs- und Schlussvorschriften. Zu erinnern ist, dass alle Typen von Textbildern zusammen zur Kultur des Friedens gehören, auch zum Europarecht und Völkerrecht hin, wo sich nicht wenige Parallelen finden.
Dritter Teil
Ausblick und Schluss – Verfassungspolitik für das Prinzip Frieden – Der kooperative Verfassungsstaat als Friedensprojekt I. Handlungspraktische Maximen für die Sprache des Friedens Diese kleine Studie kann nur fragmentarisch gelingen, zu gewaltig ist das Thema für einen einzelnen Forscher – es fehlt ihm an der „Weltübersicht“ im Sinne von Goethe. Der Schwerpunkt lag auf den Friedenstexten in nationalen Verfassungen, da diese in Geschichte und Gegenwart, in Raum und Zeit noch nicht typologisch im Zusammenhang und in allen Facetten wissenschaftlich aufgearbeitet sind; Gleiches gilt für die im Einzelnen ungemein ergiebige Judikatur des BVerfG, so heterogen die Fundstellen in den Bänden 1 bis 142 sind. So kurz der Theorieteil sein muss: im Zusammenhang mit den Kommentierungen der Textstufen, jeweils nach Kontinenten bzw. Nationen gegliedert, mag er die Konturen der „Kultur des Friedens“ im Verfassungsstaat erkennbar werden lassen, wobei die Ausstrahlungen und die Wechselwirkungen des Völkerrechts und Europarechts in Erinnerung gerufen seien. Nur stichwortartig sei ein verfassungspolitischer Ausblick gewagt (Fortschreibung des „Narrativs Frieden“ buchstäblich): auch dies im Dienst des „Geistes von Verfassungen“ und seines Elements Frieden. Die Grammatik der „vielsprachigen“ Sprache des Friedens kann sicher weiter ausdifferenziert werden. Der Frieden hat als Zielprinzip finalen Charakter. Das Prinzip Frieden ist dem Verfassungsstaat von heute immanent, so vielfältig es in den Staatsfunktionen und bereichsspezifisch auszugestalten ist. Zugleich gehört der Frieden als ein Element in das „patrimonium constitutionale“ des Typus Verfassungsstaat weltweit. „Friedfertigkeit“ ist eine kulturanthropologische Prämisse des Verfassungsstaats und der Welt von heute. 1. Jedem nationalen Verfassunggeber sei die Normierung des „Prinzips Frieden“ als Staatsziel bzw. Narrativ schon in der Präambel empfohlen. Dies geschieht bekanntlich bereits häufig, oft neben anderen Grundwerten. Viele Friedenstexte sind in Zeit und Raum über Grenzen und Kontinente hinweig miteinander vernetzt, der wechselseitige Einfluss ist offenkundig: eine „Werkstatt“. Kreatives „Abschreiben“ bzw. Umschreiben und Fortschreiben, auch die Rezeption und Variation von Texten wird oft zur Tugend der durchaus schöpferischen Rechtsvergleichung. Vom Völker-
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3. Teil: Ausblick und Schluss
und Europarecht her kommen viele textliche Innovationen, aber auch Rezeptionen1. Ihre personalen oder institutionellen „Mittler“, etwa internationale Beratergremien, sind freilich schwer zu bestimmen. Sie bedienen sich aber wohl oft aus dem platonischen „corpus juris constitutionalis“. Dabei kommt es auch auf die unterschiedlichen „Verfassungsverständnisse“ an2. 2. Darüber hinaus gehört es zu den besten Beispielen, wenn der Verfassunggeber in Katalogen den Frieden neben anderen Grundwerten wie Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, Fortschritt (wohin?) etc. aufzählt. Anderes ist rechtstechnisch wohl nicht möglich. Nur sollte das Potential des Friedens in diesem Kontext als Reserve für die Reformpolitik und die Wissenschaft in der Zukunft im Blick auf die anderen Grundwerte verstanden werden, etwa in Sachen Entwicklung des Rechtsstaats zum sozialen Rechtsstaat, des weiteren Ausbaus von Frieden schaffenden Menschenrechten (wie zugunsten der Kinder und Behinderten sowie alter Menschen), der Entwicklung des Umweltverfassungsrecht im Zeichen des „Friedens mit der Natur“ und „Ehrfurcht vor dem Leben“ (A. Schweitzer). Jeder andere Grundwert ist auf je eigene Weise mit dem Prinzip Frieden als finalem Zielprinzip verbunden, z. B. auch die pluralistische Demokratie sowie das Mehrheitsprinzip bei differenziertem Minderheitenschutz. Dieser ist heute eine Grundlage für Frieden in pluralistischen Gesellschaften. Dem parlamentarischen Gesetzgeber muss die Verfassung insgesamt zur eigenen Gestaltungsfreiheit genügend Raum lassen. Die genannten Grundwerteartikel sollen beibehalten werden3. 3. Entweder in der Präambel oder im Grundwertekatalog sollte der Begriff „Kultur des Friedens“ ausdrücklich normiert werden. Damit ist zugleich dem kulturellen Aspekt des friedenschaffenden und -erhaltenden Verfassungsstaates Genüge getan, auch wenn diesem noch an anderen Textstellen Tribut zu leisten ist (z. B. bei Erziehungszielen und in den Staatssymbolen). Die Wissenschaft darf von „Rechtskultur des Friedens“, von Frieden als Zielprinzip sprechen und um die beste „Sprache des Friedens“ ringen: Vielleicht gibt es schon ein „Oratoire universel“ in Sachen Frieden, in Anlehnung an die Metapher „auditoire universel“ (Ch. Perelman). 4. Empfohlen sei, dass die Aufgaben der Legislative (das Parlament) wie mitunter in Übersee – wohl von Großbritannien beeinflusst – auf den Frieden ausdrücklich ausgerichtet werden, etwa neben der Ordnung und „guten Regierungsführung“ (good governance). Zu erwägen ist, auch die Judikative ausdrücklich auf den Frieden zu verpflichten, wie dies in einigen gliedstaatlichen Verfassungen der USA geschehen ist (an die besondere Friedensgerichtsbarkeit in einigen Ländern sei erinnert). 1 P. Häberle, Theorieelemente eines allgemeinen juristischen Rezeptionsmodells, JZ 1992, S. 1033 ff; E. A. Kramer, Hauptprobleme der Rechtsrezeption, JZ 2017, S. 1 ff. 2 Vgl. BVerfGE 58, 257 (280): „nach heutigem Verfassungsverständnis“. 3 Schon klassisch BVerfGE 44, 125 (142): „Weil er der freien Selbstbestimmung unter Gewährleistung von Frieden und Ordnung einen institutionellen Rahmen verbürgt, kommt dem Staat Hoheitsgewalt … zu … . Bereitschaft und Verpflichtung aller Bürger zum Rechtsgehorsam und damit eine unerläßliche Bedingung für Freiheit und Frieden in einem Gemeinwesen …“.
I. Handlungspraktische Maximen für die Sprache des Friedens
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Manche staatliche Gerichte dürften dieser Aufgabe schon mehr oder weniger bewusst folgen, etwa indem sie schlichten. Überhaupt ist es eine spezifische Aufgabe der staatlichen Gerichte, Konflikte zu lösen4. Neue Formen des Krieges (heute Cyberattacken, Handelskriege oder asymmetrische Kriegsführung fordern neue Formen, Instrumente und Verfahren der Friedensschaffung; dasselbe gilt für die Notwendigkeit von Regeln und Grenzen für die „Algorithmen“). Zu denken ist auch an die Abwehr des internationalen Terrorismus sowie die Bewältigung von Migrationsströmen: vielleicht die schwierigste Aufgabe der Erfüllung des Friedensauftrages des Verfassungsstaates; innerer und äußerer Frieden sind hier gleichermaßen bedroht. 5. Schließlich sei der kompetenzielle Amtsauftrag eines Staatspräsidenten in der Verfassung bereits dem Wortlaut nach auf den Frieden erstreckt (überdies etwa im Amtseid, der konstitutive Inhalte hat, nicht nur deklaratorische). Einige neuere Verfassungen gehen diesen Weg, er sei ausdrücklich empfohlen (Stichwort: materielles Kompetenzverständnis). 6. In diesen Kontext gehört die Möglichkeit, das Prinzip Frieden durch Textelemente oder Zeichen und Farben bei den Staatssymbolen zum Ausdruck zu bringen. Hier konnten namhafte kulturwissenschaftlich greifbare Beispiele in Nationalflaggen, in Nationalhymnen, in Wappen und Siegeln von nationalen Verfassungen nachgewiesen werden (Narrativ Frieden in reichen Formen der Kunst). Sie sind als Vorbild für neue Verfassungen zu verstehen und sollen von der Kunst her dem Frieden dienen5. 7. Die Anreicherung von Wahlsprüchen (Motti) durch die Friedensidee, vor allem in afrikanischen Staaten belegbar, ist ebenfalls ein Gewinn für die Kultur des Friedens, etwa neben dem Thema Arbeit6, Solidarität, Brüderlichkeit, Toleranz. Sie prägen das Selbstverständnis des jeweiligen Verfassungsstaates. Letzlich darf auch das berühmte und weltweit oft verbreitete recht stolze „we the people“ hier eingeordnet werden. Es ist gemeinschaftsbildend, friedensstiftend und Ausdruck „kultureller Demokratie“. All dies belegt m. E. die Richtigkeit des hier unternommenen kulturwissenschaftlichen Ansatzes. „Wahlsprüche“ haben ihren guten Sinn. Sie sind ernst zu nehmen, vor allem in Afrika. 8. Empfehlenswert ist es, weiterhin bestimmte Grundrechte nur unter der Bedingung des Friedlichen zu garantieren: dies gilt für die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, die Demonstrationsfreiheit, auch die Petitionsfreiheit als 4 Im Ganzen gehört die „Rechtspflege“ als Gemeinwohlbelang hinzu (dazu BVerfGE 103, 1 (10)). Zur „Rechtspflege“ auch E 107, 299 (332). 5 Bemerkenswert eine Ausstellung in Frankfurt(Main) unter dem Motto: „Ja, wie geht Frieden eigentlich?“, FAZ vom 06. 07. 2017, S.11, in der als neues Friedenslogo ein blauer Kreis vorgeschlagen wird. 6 Zur „ anthropologischen Bedeutung der Arbeit“ abweichende Meinung des Richters Kruis, BVerfGE 98, 217 aus der Lit. P. Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat – aus Kultur und als Kultur, 2013, S. 494 ff.; zuvor: ders., AöR 109 (1984), S. 630 ff.
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3. Teil: Ausblick und Schluss
funktionelle bzw. gewaltfreie Grundlagen der Demokratie. Das Friedensgebot ist hier unverzichtbar. An neue Demonstrationsformen wie „flashmob“ und Friedensmärsche und Menschenketten mit gelegentlich gewaltiger sozialer Sprengkraft sei erinnert. Die hier drohende Ausübung von gesellschaftlicher Gewalt wäre eine große Gefahr für die freiheitliche Demokratie, sie muss durch das rechtsstaatlich disziplinierte staatliche Gewaltmonopol verhindert werden7 – dieses dient dem inneren Frieden. Das deutsche Vermummungsverbot besteht zu Recht, denn die Vermummung ist eine Vorstufe der Gewalt, wie die jüngsten Ereignisse um den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg gezeigt haben8. Auch die politischen Parteien sollten sowohl in ihren Zielen, als auch ihren Mitteln auf den Frieden verpflichtet werden. In einigen Verfassungen ist dies textlich geschehen, wenn nicht, ist die Wissenschaft und Praxis gefordert. Im Ganzen verdient das demokratische Prinzip des friedlichen Machtwechsels eine ausdrückliche Normierung als ein für die pluralistische Demokratie typisches Verfahren im Verfassungsstaat. Mancher Staatspräsident in Afrika kämpft nach Jahrzehnten des Machtbesitzes um eine rechtswidrige Amtsverlängerung auf die eine oder andere Weise – vermutlich weil er einmal Rebellenführer war. 9. Auf dem Felde der Erziehungsziele ist es vorbildlich, wenn der Friede oder friedensnahe Begriffe wie „Völkerversöhnung“, „Solidarität“9, Toleranz prominent neben anderen Begriffen wie staatsbürgerliche Verantwortung bzw. „Gesinnung“ oder Umweltbewusstsein figurieren. Afrikas „Erziehung der Völker zum Frieden“ sollte weltweit normiert und beherzigt werden (Stichwort des Verf. von 1981: Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele und Orientierungswerte). Z. B. folgt aus dem verfassungsrechtlichen Umweltschutz des Art. 20 a GG das Erziehungsziel „Umweltbewusstsein“. 10. Im Blick auf Völkerrecht und Europarecht bzw. ähnliche Staatenverbünde in anderen Regionen (Ecowas in Afrika, Mercosul in Lateinamerika, Asean in Asien) müssen die bewährten Textelemente wie Verbot von Angriffskriegen, friedliche Streitbeilegung10, internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Friedenszonen u. ä. (auch in 7 Die öffentliche Ordnung ist hier eine Grenze, vgl. BVerfGE 113, 154 (163); in ihr ist unter dem GG der Begriff Friede mitgedacht. 8 Dazu E. Lohse, Sehnsucht nach Gewalt. Ein kleiner, aber höchst gefährlicher Teil der Gesellschaft ist mit dem Frieden überfordert, FAZ vom 19. 07. 2017, S. 1. 9 Soziale Solidarität kommt in der Judikatur des BVerfG im Kontext des sozialen Rechtsstaats vor, z. B. E 35, 311 (356). Siehe auch E 54, 251 (273): „Sozialpflicht des Staates“; E 59, 231 (263): „Pflicht des Staates für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen“, „Offenheit des Sozialstaatsprinzips“; E 60, 16 (45): Auffangfunktion des „sozialen Netzes“; E 102, 254 (Ls. 1 Sozialstaatsgebot); E 113, 167 ist durchgängig vom Gedanken des sozialen Ausgleichs beherrscht („Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung“). E 116, 96 (125) „Solidarität und sozialer Ausgleich“. S. auch E 123, 186 (264): „Solidargemeinschaft“. 10 Eine große politische Leistung Deutschlands gelang in der Abwicklung der Kriegs- und Kriegsfolgelasten sowie der Reparationsschäden, dazu BVerfGE 41, 126 sowie E 46, 299 (307 ff.). Dies war harte Friedensarbeit. – Streitbeilegung im öffentlichen Wirtschaftsrecht wäre ein eigenes Thema.
I. Handlungspraktische Maximen für die Sprache des Friedens
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nationalen Verfassungen) in dem Maße bleiben und weiterentwickelt werden, wie die heute so unfriedliche Welt in eine friedliche umgestaltet werden sollte (etwa durch Friedensverträge, so begrenzt die Wirkkraft von bloßen Texten oft ist). Das BVerfG spricht von der Notwendigkeit einer „Abstimmung“ mit anderen Staaten und Rechtsordnungen sowie mit dem Völkerrecht11. Im Inneren eines Landes das Verbot von Kriegspropaganda festzulegen und durchzuführen, ist auch für die Außenpolitik im Verfassungsstaat unverzichtbar. Dies gehört zu seinem Charakter als kooperatives, weltoffenes Gemeinwesen. Im europäischen Verfassungsrecht gibt es genügend Friedensklauseln. Sie werden auch ernst genommen: bisher jedenfalls. Ihre tagtägliche Umsetzung in die Wirklichkeit sollte noch intensiver verfolgt werden, auch in der Reformpolitik, etwa der EU-Jubiläen wie im März 2017 zu den Römischen Verträgen im Blick auf 1957 können und sollten die jahrzehntelange erfolgreiche Friedenspolitik der EU herausstellen (sieht man von dem Scheitern im Balkankrieg einmal ab). Friedenspolitik ist Handwerk und Kunst zugleich, sie verlangt etwa die Erkenntnis des Prozesscharakters der Friedensschaffung, die Wahl des richtigen „Formats“ sowie der einzubeziehenden Akteure, die Vor- und Nachbereitung. Verfassungspolitik (hier ein Teil der Friedenspolitik)12 gehört m. E. zur Wissenschaft, so sehr sie die politischen Kompromisse der nationalen Verfassunggeber bzw. pluralistischen Demokratie achten muss und kaum je „ideal“ sein kann, auch sollte der Friedensgedanke nicht inflationär getextet werden. Indes dürfen kooperative Verfassungsstaaten in Sachen Friedenstexte durchaus nach eigenem Profil suchen: auf dem Humus ihrer Kultur. Nur mit dieser Einschränkung wurden die obigen Zeilen gewagt. Erwähnt sei, dass die Religionen auf die Art und Weise, wie das Prinzip Frieden eine Verfassung textlich prägt bzw. sprachlich gestaltet ist, Einfluss haben können. Man denke etwa an den Buddhismus (leider in der Vergangenheit kaum an das Christentum). Auch die geographische Lage eines Landes und seine historischen Erfahrungen beeinflussen die Art und Weise der Friedenstexte. Hier wird die Kulturgeographie relevant, etwa in Bezug auf Inseln und kleinen Staaten wie Andorra oder friedliche Grenzen dank Flüssen wie in Kanada. Jedenfalls ist der kooperative, weltoffene Verfassungsstaat im Einzelnen und Ganzen ein Friedensprojekt, so gefährdet er stets bleibt: im Inneren wie im Äußeren. Eine Verfassungspolitik für die Kultur des Friedens lässt sich aus einer Gesamtsicht der schon nachgezeichneten einzelnen Elemente von Texten und Kontexten sowie Judikaten des BVerfG in Sachen Frieden gewinnen. Man denke an das Staatsziel der Friedenssicherung, an das Erziehungsziel Völkerversöhnung und die Ausgestaltung der Friedenspflicht als Grundpflicht der Menschen. Diese dürfte eine 11 BVerfGE 100, 313 (362 f.); E 112, 1 (25) spricht im Blick auf das GG von einer „freiheitsund friedenswahrenden Völkerrechtsordnung“; E 113, 273 (295) „friedens- und freiheitswahrende internationale Organisation“. 12 Friedenspolitik manifestierte sich in der Geschichte in zahlreichen Konferenzen; als Beispiele seien genannt: Der Friedenskongress von Prag (1813), von Wien (1814), Potsdamer Friedenskonferenz (1945), die Friedenskonferenz von Madrid für den Nahen Osten (1991/ 2000).
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3. Teil: Ausblick und Schluss
Zusammenfassung aller einzelnen Grundpflichten sein, etwa der Pflicht zum Gesetzesgehorsam und zur Rechtstreue. Vermutlich ist die Friedenspflicht vom negativen Friedensbegriff her zu denken. Wenn es irgendwo eine unverzichtbare Kontextargumentation gibt, dann bei der Erarbeitung der Kultur des Friedens. Man denke an die spezifische Wirkkraft von Präambeln (z. B. Bayern), in denen der Friede als Ziel postuliert ist, auch an den Kontext der Menschlichkeit13, der Menschenrechte und der Gerechtigkeit14 : Grundwerte, die dem Frieden dienen. Menschenrechte und Gerechtigkeit sind als kulturelle Errungenschaft die Friedensgarantie. Auch die Steuergerechtigkeit gehört hierzu15. Das Ganze ist eine kleine Etappe auf dem Weg zur universalen Verfassungslehre, die spätere Generationen werden entwerfen sollen und hoffentlich können. Gefragt ist ein interdisziplinärer Ansatz für die Friedenswissenschaft. Die Komplexität der Friedenswissenschaften ist groß16. Sie nähren sich aus vielen Einzeldisziplinen: wie in dieser Studie punktuell gezeigt: aus der Musikwissenschaft (Nationalhymnen), aus der bildenden Kunst (Nationalflaggen), aus der Ökonomie (ganzheitlicher Begriff von Sicherheit und Entwicklung17), aus dem Verfassungsrecht sowie aus der Philosophie (I. Kant!). Rückblickend betrachtet war der Friede – trotz der vielen Kriege – in der Geschichte wohl immer ein Menschheitsthema; so brüchig er zu fast jeder Zeit ist. Die „organische Entfaltung der Menschheit im Prozess der Kultur“ (J. G. Herder) hat jedenfalls theoretisch/wissenschaftlich in der Familie der Verfassungsstaaten von heute einen besonderen Akzent. Das BVerfG hat sich an vielen unterschiedlichen „Stellen“ punktuell mit der Friedensthematik beschäftigt, wie 13 Zum Verstoß der NS-Herrschaft gegen die Grundsätze der Menschlichkeit: BVerfGE 22, 387 (425 f.), s. auch BVerfGE 136, 323 (337): einerseits nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft, andererseits keine Billigung von gewaltsamen Auseinandersetzungen seitens des Bundespräsidenten. Zu Verstößen gegen die Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit in der DDR: E 93, 213 (235 ff.). 14 Zur der im Rechtsstaatsgedanken enthaltenen Idee der Gerechtigkeit, z. B. BVerfGE 21, 378 (388), E 33, 367 (383). Zum Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes: E 22, 221 (248); 24, 220 (229 f.). Zur Rechtssicherheit als wesentlichem Element der Rechtsstaatlichkeit: E 24, 75 (98); s. auch E 30, 272 (285). Zum Vertrauensschutz, der dem Rechtsstaatsprinzip innewohnt: E 30, 367 (387); s. auch E 36, 281 (293); s. auch E 38, 61 (83), E 40, 296 (327): „Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes, Vertrauen ohne Transparenz …, ist nicht möglich“; s. noch E 51, 356 (362): für den Bürger bedeutet „Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz“. Zu rechtsstaatlicher Klarheit und rechtsstaatlicher Gewissheit: E 53, 115 (130). Zum Recht auf faires Verfahren: E 38, 105 (111 ff.), E 39, 238 (243); 41, 246 (249); E 64, 135 (145); E 86, 288 (339); 101, 397 (405). Vom rechtsstaatlichen „Gebot fairer Verfahrensführung“ spricht E 46, 202. 15 BVerfGE 65, 325 (354); E 66, 214 (223); 115, 97 (117); 117, 1 (30); 120, 1 (44 f.). 16 Es gibt einen eigenen Zweig der Historischen Friedensforschung. Als deren Nestor gilt K. Holl. Zu ihm aus Anlass seines Todes: FAZ vom 27. 04. 2017, S. 13: „Schmiedet die Schwerter zu Pflugscharen“; im Übrigen: H. J. Gießmann/B. Rinke (Hrsg.), Handbuch Frieden, 2011; zuletzt der Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken, BT-Drs. 18/10239. 17 Dazu: U. von der Leyen/G.Müller, Entwicklung und Sicherheit gehören zusammen, FAZ vom 28. 02. 2017, S.8.
II. Bibeltexte und Klassikertexte zum Prinzip Frieden
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gezeigt. Diese Materialien dienten als Grundlage für die Erarbeitung größerer Zusammenhänge. Der Idee von „Verfassungspazifismus“ ist das BVerfG in einem Kontext besonders nahe: in seinem Begriff vom Staat als „übergreifender Friedensund Ordnungsmacht“. Dieses Wort müsste noch in der Tiefe ausgelotet werden18 – es ist m. E. ein großer Beitrag zur direkten Friedensjudikatur des BVerfG. Die notwendige „Völkerrechtspolitik“ in Sachen Frieden wäre ein eigenes Thema.
II. Bibeltexte und Klassikertexte zum Prinzip Frieden Am Schluss seien Erkenntnisse aus großen Texten, klassischen Gedichten oder Äußerungen großer Denker als Ermutigung zitiert: im Sinne von „Klassikertexten im Verfassungsleben“. Diese großen Texte sollen als „Inspirationsquellen“ dienen: für die wissenschaftliche Arbeit am Prinzip Frieden und für neue Wendungen der „Sprache des Friedens“ in nationalen Verfassungstexten, in europarechtlichen und in völkerrechtspolitischen Projekten, sowie für den Willen zum Frieden. Genesis 17, 1: Der Friede gründet sich auf die vorrangige Beziehung zwischen jedem Menschen und Gott selbst, eine Beziehung, die von Rechtschaffenheit geprägt ist.
Mal 2, 5: In der biblischen Offenbarung ist der Friede weit mehr als die bloße Abwesenheit von Krieg: Er stellt die Fülle des Lebens dar.
Ri 6, 24: Der Frieden ist nicht nur ein Geschenk Gottes und ein menschliches Projekt, das dem Plan Gottes entspricht, sondern er ist vor allem ein wesentliches Attribut Gottes: Der Herr ist Friede19.
M. Luther: Friede gilt mehr denn alles Recht, und Friede ist nicht um des Rechtes willen, sondern Recht um des Friedens willen gemacht. Darum, wenn ja eines weichen muß, so soll das Recht dem Frieden und nicht der Friede dem Rechte weichen (1530, von Ehesachen).
I. Kant: Auf der Stufe der Kultur also, worauf das menschliche Geschlecht noch steht, ist der Krieg ein unentbehrliches Mittel, dieses noch weiter zu bringen; und nur nach einer (Gott weiß wann) vollendeten Kultur würde ein immerwährender Friede für uns heilsam und auch 18
Vgl. BVerfGE 80, 315 (334). Die Bibeltexte sind zit. nach: Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der katholischen Kirche, 2006, S. 348. 19
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3. Teil: Ausblick und Schluss
durch jene allein möglich sein. (Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, 1786, S. 99 – 100)
J. W. Goethe: Manches Herrliche der Welt/ Ist in Krieg und Streit zerronen/; Wer beschützet und erhält/, Hat das schönste Los gewonnen. Bald, es kenne nur jeder den eigenen, gönne dem andern Seinen Vorteil, so ist ewiger Friede gemacht. (Zu Kunst und Bildern, Beschildeter Arm) Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident! Nord- und südliches Gelände Ruht im Frieden seiner Hände. (Westöstlicher Divan, 1819)
A. Schweitzer: Nur das Denken, das die Gesinnung der Ehrfurcht vor dem Leben zur Macht bringt, ist fähig, den ewigen Frieden heraufzuführen. (Kultur und Ethik, 1923)
Karl Jaspers: Friede ist nur durch Freiheit, Freiheit nur durch Wahrheit möglich. (Die Voraussetzungen des Friedens, 1958)
D. Sternberger: Der Gegenstand und das Ziel der Politik ist der Friede. Das Politische müssen und wollen wir zu begreifen versuchen als den Bereich der Bestrebungen, Frieden herzustellen, Frieden zu bewahren, zu gewährleisten, zu schützen und freilich auch zu verteidigen. Oder, anders ausgedrückt: Der Friede ist die politische Kategorie schlechthin. Oder, noch einmal anders ausgedrückt: Der Friede ist der Grund und das Merkmal und die Norm des Politischen, dies alles zugleich (Heidelberger Antrittsvorlesung, 1960)
Papst Johannes XXIII: „Pacem in terris“ – Frieden auf Erden (1963): …an alle Menschen guten Willens Über den Frieden unter allen Völkern in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit.
Papst Franziskus: Um Frieden zu schaffen braucht es Mut, sehr viel mehr, als um Krieg zu führen (2014).